Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten: Das subjektive Recht im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis und seine verwaltungsgerichtliche Geltendmachung [1 ed.] 9783428503698, 9783428103690


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Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten: Das subjektive Recht im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis und seine verwaltungsgerichtliche Geltendmachung [1 ed.]
 9783428503698, 9783428103690

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WOLFGANG ROTH

Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 853

Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten Das subjektive Recht im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis und seine verwaltungsgerichtliche Geltendmachung

Von Privatdozent Dr. Wolfgang Roth, LL.M.

Duncker & Humblot · Berlin

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Roth, Wolfgang: Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten : das subjektive Recht im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis und seine verwaltungsgerichtliche Geltendmachung / Wolfgang Roth. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 853) Zugl.: Mannheim, Univ., Habil.-Schr., 2000 ISBN 3-428-10369-6

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10369-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinem Sohn Simon

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1999/2000 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind generell bis Ende 1999 eingearbeitet, doch konnten sie vielfach noch bis April 2000, in Einzelfällen während der Drucklegung noch darüber hinaus berücksichtigt werden. Der an dieser Stelle angemessene Dank gebührt zuvorderst meinem verehrten Lehrer Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, der das Thema angeregt und die Arbeit als Erstgutachter betreut sowie überhaupt meinen akademischen Werdegang in vielfältiger Weise gefördert hat. Dank schulde ich ferner dem Zweitgutachter Professor Dr. Hans-Wolfgang Arndt, der meine Vorhaben stets mit größtem Wohlwollen unterstützt hat und dessen nicht nur angesichts seiner zeitlichen Belastung als Dekan außergewöhnlichem Einsatz die zügige Durchführung des Habilitationsverfahrens geschuldet ist. Wissenschaft lebt freilich nicht von ideeller Förderung allein, sondern ist auf finanzielle Ermöglichung angewiesen, und so danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch ein mehrjähriges Habilitationsstipendium das Entstehen dieser Arbeit überhaupt erst ermöglicht und ihre Veröffentlichung durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß unterstützt hat. Herrn Professor Dr. Norbert Simon danke ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriften zum Öffentlichen Recht, ferner allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages für die freundliche Betreuung der Veröffentlichung. Herzlich danken möchte ich schließlich allen Kolleginnen und Kollegen für das angenehme Arbeitsklima, namentlich aber meinem langjährigen Freund und Kollegen Professor Dr. Dirk Looschelders für unzählige stets anregende Diskussionen nicht nur über das subjektive Recht.

Mannheim, im Dezember 2000

Wolfgang Roth

Inhaltsübersicht Einleitung

1

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

9

I.

Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

II. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten B. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht I.

Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten als Problematik des einfachgesetzlichen Verwaltungsprozeßrechts

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO I.

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges fur verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten

10 51 94 94 117 152 152

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

165

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

215

IV. Die Klagebefiignis im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

287

D. Das subjektive Recht I.

Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

329 329

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien des subjektiven Rechts

347

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

419

E. Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte I.

Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte... 462

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte I.

461

485 541

Die Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses .... 542

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

601

Inhaltsübersicht

χ

III. Subjektive Organrechte im Bereich öffentlich-rechtlicher Verwaltungsträger.. 646 G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten I.

Der Organrechtseingriff

700 701

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen

775

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte

786

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des in seinen Rechten verletzten Organs

852

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß I.

Die Beteiligtenverhältnisse in Organstreitverfahren

906 907

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

946

III. Das Rechtsschutzbedürfnis in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

973

IV. Vorläufiger Rechtsschutz in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren ...987 V. Die Kostentragung in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

992

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

1000

Literaturverzeichnis

1021

Sachwortverzeichnis

1056

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

9

I.

Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

10

1. Der Begriff der Organisation

11

a) Organisationsbegriffe b) Rechtliche Kategorisierung der Organisationen aa) Mitgliedschaftlich verfaßte Organisationen bb) Herrschaftlich verfaßte Organisationen c) Beschränkung auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten 2. Der Begriff des Organs a) Notwendigkeit von Organen und Organwaltern b) Die Merkmale des Organs aa) Funktionelle Merkmale bb) Institutionelle Merkmale c) Errichtung von Organen durch Organisationsakt 3. Der Organpluralismus als Grund ftir Organstreitigkeiten

11 15 16 18 19 21 21 27 27 29 33 37

a) Vorteile eines Organpluralismus bei Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts 38 b) Notwendigkeit einer Kompetenzabgrenzung 43 c) Die Konfliktträchtigkeit eines Organpluralismus 44 aa) Streit um die Richtigkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer Entscheidung... 45 bb) Rechtsbedingtheit der Zuordnung des Streites 47 cc) Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen zur Kanalisierung von Sachstreitigkeiten 48 II. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten 1. Fallgruppen verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten a) b) c) d)

Interorganstreitigkeiten Interorganteilstreitigkeiten Intra-Organ-Organteil-Streitigkeiten Inter-Organ-Organteil-Streitigkeiten

51 51 52 52 54 56

2. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten als eigenständiger Prozeßtypus.. 57 3. Streitigkeiten unter Beteiligung eines Nichtorgans 63 a) Externe Wahlbewerber b) Keine Organstreitigkeit um Bürgerbegehren

63 64

XII

Inhaltsverzeichnis aa) bb) cc) dd)

Konstruktionsmodelle organschaftlicher Bürgerbegehren Subjektivrechtliche Natur von Bürgerbegehren Keine demokratische Legitimation von Bürgerbegehren Fehlen eines rechtlichen Bedürfnisses fur eine Ausweitung des Organstreitbegriffs.' ee) Ergebnis

4. Organwalterstreitigkeiten um persönliche Rechte a) b) c) d)

Das Recht auf das Amt als persönliches subjektives Recht Das Recht an dem Amt als persönliches subjektives Recht Persönliche und organschaftliche Rechte aus dem Amt Resümee: Unterscheidung von Organ- und Organwalterstreitigkeiten

5. Der Begriff der „Organstreitigkeiten" B. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht I.

65 67 68 71 74 75 76 78 82 89 91 94

Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten als Problematik des einfachgesetzlichen Verwaltungsprozeßrechts

94

1. Spezifische Vorschriften der VwGO über Organstreitigkeiten

94

a) Das OVG als Verfassungsgericht b) Die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle c) Kein Umkehrschluß auf eine Unzulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Organstreitverfahren 2. Die Entscheidbarkeit verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten als Frage des einfachen Rechts a) Organstreitigkeiten und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG b) Kein rechtsstaatliches Gebot gerichtlicher Entscheidung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten c) Resümee 3. Die verwaltungsprozessualen Problembereiche verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten 1. Bundesverfassungsorganstreitigkeiten nach dem Grundgesetz a) b) c) d)

Entscheidungsinhalt Beteiligungsfähigkeit Antragsbefiignis Prozeßstandschaft aa) Vorliegen einer Prozeßstandschaft bb) Der Zweck der Prozeßstandschaft cc) Organteile als Prozeßstandschafter

2. Landesverfassungsorganstreitigkeiten nach dem Grundgesetz

95 99 102 104 104 110 111 112 117 119 119 122 123 124 125 128 129 133

3. Bund/Länder- und Zwischenländerstreitigkeiten nach dem Grundgesetz.... 135 4. Das subjektive Recht im Verfassungsgericht!ichen Verfahren a) Meinungsstand

141 141

Inhaltsverzeichnis b) Subjektivrechtliche Natur der Bund/Länder- und der Zwischenländerstreitigkeiten 145 c) Resümee 150 C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO I.

152

Die Eröffiiung des Verwaltungsrechtsweges für verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten

152

1. Rechtliche Streitigkeit

152

a) Konkreter Streit um die Anwendung von Rechtssätzen b) Irrelevanz der objektiven oder subjektiven Natur des streitbefangenen Rechtssatzes c) Irrelevanz der Zugehörigkeit zum Innenrecht oder Außenrecht d) Ungenügen bloßer Sachstreitigkeiten e) Das Problem der Organstreitigkeiten als Rechtsstreit 2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie 1. Die Bedeutung der Impermeabilitätstheorie

153 154 155 158 160 163 165 165

a) Der Inhalt der Impermeabilitätstheorie und ihre Bedeutung für Organstreitigkeiten 165 b) Unhaltbarkeit der Impermeabilitätstheorie 167 c) Die fortwirkende Bedeutung der Diskussion um die Impermeabilitätstheorie 170 2. Verfassungsorganstreitigkeiten und rechtliche Permeabilität des Staates unter Bismarcks Reichsverfassung

173

3. Der Begriff des Rechtssatzes in der konstitutionellen Staatsrechtslehre

178

a) Formelles und materielles Gesetz: Die verfassungsrechtliche Bedeutung des Rechtssatzbegriffes im Konstitutionalismus b) Der Rechtssatz als „soziale Schrankenziehung" c) Soziale Schrankenziehung und Impermeabilitätstheorie 4. Keine rechtliche Impermeabilität juristischer Personen a) b) c) d) e)

Organisationsbezogene Maßnahmen mit Außenwirkung Rechtsverhältnis zwischen dem Beamten und dem Staat Innerorganisatorische Schrankenziehung als Rechtssatz Organstreitigkeiten Ergebnis: Keine Impermeabilitätstheorie im Konstitutionalismus

5. Paradigmenwechsel der Rechtssatzbegriffe a) Von der Schrankenziehung zur Wesentlichkeitstheorie b) Maßgeblichkeit des Willens der normsetzenden Stelle III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

178 184 187 189 189 194 195 201 206 209 210 212 215

1. Hierarchische Weisungen als Anlaß und Gegenstand von Organstreitigkeiten

216

2. Keine Anrufung der Gerichte gegen hierarchische Weisungen im Betriebsverhältnis

218

XI

Inhaltsverzeichnis a) Keine gerichtliche Überprüfung hierarchischer Weisungen b) Die Unterscheidung von Grund- und Betriebsverhältnis 3. Das Begründungsproblem

219 221 226

a) Keine Erklärung mit Hilfe der fehlenden subjektiven Rechtsstellung 227 aa) Subjektive Rechte des angewiesenen Beamten 228 bb) Dogmatische Gleichbehandlung aller hierarchischen Weisungen....232 cc) Resümee 235 b) Notwendigkeit einer Erklärung mittels des fehlenden Rechtscharakters hierarchischer Weisungen 235 4. Begriff und Bedeutung hierarchischer Weisungen in besonderen Gewaltverhältnissen a) Die allgemeine Gehorsamspflicht im allgemeinen Gewaltverhältnis b) Die besondere Gehorsamspflicht im besonderen Gewaltverhältnis c) Die Unterscheidung von allgemeiner und besonderer Gehorsamspflicht d) Das besondere Gewaltverhältnis aa) Das Dienstverhältnis als besonderes Gewaltverhältnis bb) Das Anstaltsverhältnis als besondere Ausgestaltung des allgemeinen Gewaltverhältnisses e) Abgrenzung hierarchischer und hoheitlicher Weisungen nach der in Anspruch genommenen Autorität 5. Zur rechtlichen Qualität hierarchischer Weisungen a) Die Doppelfunktion der hierarchischen Weisung aa) Die hierarchische Weisung als Aktualisierung der Gehorsamspflicht bb) Die hierarchische Weisung als Mittel zur Konkretisierung der Dienstleistungspflicht cc) Normtheoretische Differenzierung b) Das Direktionsrecht des Arbeitgebers c) Die Rechtsnatur hierarchischer Weisungen im hoheitlichen Innenbereich 6. Hierarchische Weisungen als Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten

236 237 239 241 243 244 246 249 253 254 254 255 256 260 269 270

a) Rechtsschutz gegen das Grundverhältnis betreffende Weisungen 271 b) Kein Rechtsstreit um hierarchische Weisungen im Betriebsverhältnis ...271 c) Konsequenzen für den Rechtsschutz 275 aa) Zum Problem des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Weisungen 275 bb) Rechtsstreitigkeiten bei Verstößen gegen organisatorische Weisungen 281 d) Hierarchische Weisungen im Verhältnis zwischen Organen 284 e) Resümee 285 IV. Die Klagebefugnis im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren 1. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren als System subjektiven Individualrechtsschutzes

287 287

Inhaltsverzeichnis a) Die Klagebefugnis bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen aa) Ausschluß der Popular- und Interessentenklage bb) Individualrechtsschutz als Schutz subjektiver Rechte b) Klagebefugnis bei anderen als Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen c) Der subjektive Rechtsschutzbezug der Feststellungsklage d) Resümee e) Objektive Rechtsbeanstandungsverfahren

291 292 296 297

2. Die Problematik der Einordnung verwaltungsrechtlicher Organstreitverfahren in das Rechtsschutzsystem der VwGO

299

3. Zur Bedeutung des Begriffs des „Rechts" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO

307

a) b) c) d) e) f)

Wortlaut Systematik Entwicklungsgeschichte Entstehung des § 42 Abs. 2 VwGO Zweck der Klagebefugnis Resümee: Die Klagebefugnis und das subjektive Recht

4. Organstreitigkeiten um subjektive Rechte D. Das subjektive Recht I.

288 288 289

307 308 313 317 319 323 324 329

Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

329

1. Der Streit um das subjektive Recht in der Pandektenwissenschaft

330

a) Das Recht als Zwangsinstrument b) Das Recht als Instrument der Willensherrschaft c) Das Recht als Instrument des Interessenschutzes aa) Von Jherings Kritik der Willenstheorie bb) Der Begriff des subjektiven Rechts nach der Interessentheorie d) Kombinationstheorien 2. Der Begriff des subjektiven Rechts in der heutigen Diskussion II. Kritik der herkömmlichen Kriterien des subjektiven Rechts

332 338 339 339 341 342 343 347

1. Kritik des Willenskriteriums

347

2. Kritik des Interessenkriteriums

351

a) Interessenschutz durch bloß objektives Recht: Kritik des Individualisierungskriteriums b) Auseinanderfallen von Interesse und Recht c) Rechtlich geschütztes Interesse ohne subjektives Recht 3. Kritik des Rechtsmachtmomentes a) Die Erzwingbarkeit allen Rechts als bloße Fiktion b) Keine logische Koppelung von Recht und Zwangsbefugnis aa) Keine Gleichsetzung von Recht und Zwangsbefugnis bb) Keine logische Ableitung der Zwangsbefugnis aus dem Recht cc) Zwangsbefugnisse als bloßes rechtspolitisches Petitum

352 358 361 362 365 369 369 372 374

XVI

Inhaltsverzeichnis c) Subjektive Rechte ohne Zwangsbefugnis im positiven Recht 376 aa) Ausschluß der Vollstreckbarkeit von Leistungsurteilen 378 bb) Ausschluß der Klagbarkeit 382 (1) Spezifische gesetzliche Klagbarkeitsausschlüsse 384 (2) Unklagbarkeit kraft Vereinbarung oder Verwirkung bzw. Rechtsmißbrauchs 390 (3) Unklagbarkeit aufgrund rechtskräftiger Klagabweisung 392 (4) Unklagbarkeit infolge enumerierter Rechtswegeröflhung 392 (5) Zwischenergebnis: Klagbarkeit kein Wesensmerkmal subjektiver Rechte 394 cc) Einredebehaftete subjektive Rechte 394 dd) Irrelevanz einer mittelbaren Erzwingbarkeit 396 (1) Gegenbeispiele 398 (2) Grundsätzliche Bedenken 400 ee) Irrelevanz außergerichtlichen Zwanges 402 (1) Behördliche Zwangsmaßnahmen 403 (2) Gesetzlich sanktionierter außergerichtlicher Zwang 403 (3) Sozialzwang 405 ff) Ergebnis: Imperfekte subjektive Rechte 407 d) Die Durchsetzbarkeit des Rechts als Frage seiner Glaubwürdigkeit 408 4. Die Untauglichkeit der gängigen Definitionen des subjektiven Rechts

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

416 419

1. Formal-abstrakte Betrachtung des subjektiven Rechts

419

2. Entstehungsgrund und Geltungsgrund subjektiver Rechte

421

a) Die Unterscheidung von Entstehungsgrund und Geltungsgrund subjektiver Rechte b) Arten von Rechtssätzen als Geltungsgrund subjektiver Rechte aa) Befehlende und gewährende Rechtssätze bb) Rechtsmachtbegründende und erlaubende Rechtssätze als Entstehungsgründe für subjektive Rechte cc) Zur Kritik der Imperativentheorie (1) Das Recht als bloßer Komplex von Imperativen? (2) Unhaltbarkeit einer strengen Imperativentheorie (3) Unzulängliche Erfassung von Freiheits- und Herrschaftsrechten (4) Das normative Selbstverständnis der Rechtsordnung (5) Selbständigkeit der rechtsmachtbegründenden und erlaubenden Rechtssätze c) Resümee: Die Gewährung subjektiver Rechte

422 428 429 435 436 436 438 439 443 445 445

3. Die Ausübung subjektiver Rechte

446

4. Die Geltendmachung subjektiver Rechte

448

a) Die Geltendmachung subjektiver Rechte als Verlangen ihrer Beachtung b) Die Beschränkung der Geltendmachungsbefugnis auf den subjektiv Berechtigten c) Die (prozeß)standschafiliche Geltendmachung fremder subjektiver Rechte

449 456 459

Inhaltsverzeichnis E. Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte I.

461

Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte... 462 1. Der Interesseneinwand a) Irrelevanz des Interessenkriteriums für das Bestehen subjektiver Rechte b) Unzulässigkeit einer psychologisierenden Betrachtungsweise c) Subjektive Interessen von Trägern öffentlicher Gewalt 2. Der Gemeinwohleinwand a) Keine Antinomie von Partikular- und Allgemeininteresse b) Das Allgemeininteresse als Resultante öffentlicher Partikularinteressen aa) Definitionsbedürftigkeit des Allgemeininteresses bb) Öffentliche Partikularinteressen c) Gemeinwohlabsicherung durch subjektive Rechte

464 465 466 468 474 474 476 476 478 480

3. Der Verzichtbarkeitseinwand

480

4. Der Willküreinwand

482

5. Ergebnis

484

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte 1. Keine Aufspaltung der Staatsgewalt a) Das subjektive Recht des Organs an seinen Kompetenzen aa) Keine Rechte aus der Kompetenz bb) Keine Rechte auf die Kompetenz cc) Das Recht an der Kompetenz b) Kein Recht auf eine rechtmäßige Entscheidung c) Keine Verletzung der staatlichen Einheit durch Rechte an der Kompetenz

485 486 487 487 489 491 493 496

2. Der Organisationswohleinwand

498

3. Der Einwand der ausschließlich transitorischen Berechtigung

500

a) Unnötige Kompliziertheit des Modelles ausschließlich transitorischer Wahrnehmungszuständigkeiten b) Logische und begriffliche Vereinbarkeit transitorischer Aufgabenwahrnehmung mit der Innehabung subjektiver Rechte 4. Der Einwand fehlender Rechtspersönlichkeit a) Unterscheidung von Rechtspersönlichkeit und Rechtssubjektivität b) Die rechtliche Bedingtheit aller Rechtssubjektivität aa) Die natürliche Person als Kreation der Rechtsordnung bb) Die juristische Person als Kreation der Rechtsordnung cc) Notwendigkeit sachgerechter Regelung der Rechtssubjektivität c) Die Relativität aller Rechtsfähigkeit d) Organe als partiell rechtsfähige Rechtssubjekte ohne Rechtspersönlichkeit

2 Roth

500 503 504 505 507 508 512 514 516 518

XVIII

Inhaltsverzeichnis 5. Der Einwand unzulässiger Rechtsfortbildung a) Die allgemeine Verrechtlichungs- und Subjektivierungstendenz b) Organstreitigkeiten in den Vorläufergesetzen der VwGO aa) Organstreitigkeiten in vorkonstitutionellen Verwaltungsgesetzen... bb) Organstreitigkeiten unter den Verwaltungsgerichtsgesetzen der Nachkriegszeit cc) Von enumerierten Organstreitigkeiten zur Generalklausel c) Gesetzliche Anhaltspunkte fur eine Erstreckbarkeit der VwGO auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten d) Resümee

520 521 523 524 532 535 537 539

6. Ergebnis: Subjektive Organrechte

539

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

541

I.

Die Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses .... 542 1. Maßgeblichkeit des gemeinschaftlichen Subjektivierungsinteresses a) Das Gemeinschaftsinteresse als Grund fur die Schaffung objektiven Rechts b) Das Interesse der Rechtsgemeinschaft als Grund fur die Subjektivierung von Recht

542 542 547

2. Die Ermittlung subjektiven Rechts als Auslegungsaufgabe

552

3. Die Vorzüge einer Subjektivierung von Recht

558

a) Die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Berechtigten 558 b) Die verbesserte Gewähr der Rechtsdurchsetzung 561 aa) Kapazitätsgrenzen für eine umfassende staatliche Rechtswahrnehmung 562 bb) Engagement der Berechtigten 567 cc) Rationalität der Verfahrensgestaltung 568 (1) Kenntnisse 569 (2) Entscheidung über die Geltendmachung oder Nichtgeltendmachung des Rechts 570 c) Die Begründung subjektiver Rechte in der Rechtsprechung des EuGH.. 571 4. Die Nachteile einer Subjekti vierung von Recht a) Nachteile für den Berechtigten b) Nachteile der Subjektivierung von Recht für den Verpflichteten aa) Belastungen durch das Verfahren bb) Materiellrechtliche Nachteile für den Verpflichteten cc) Nachteile der Subjektivierung von Recht für den materiell Begünstigten in dreipoligen Verhältnissen c) Verwischung der Grenze zur Popularklage aa) Überlastung der Gerichte bb) Verlust der Opportunitätskontrolle 5. Die Subjektivierungsentscheidung als Resultat vernünftiger Abwägung

580 582 583 584 586 587 591 591 593 598

Inhaltsverzeichnis II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten 1. Die Durchsetzung der Kompetenzordnung als entscheidender Vorteil subjektiver Organrechte a) Das Gemeinwohl interesse an der Subjektivierung der Kompetenzordnung aa) Funktionelle Richtigkeit bb) Gewaltenteilungsprinzip cc) Demokratieprinzip dd) Interessenpluralismus (1) Kontrastorgane (2) Spezielle Sachwalterschaft ee) Resümee b) Keine andere adäquate Durchsetzungsgewähr aa) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch übergeordnete Organe? bb) Mittelbare Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Klagen Dritter? cc) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Auswechslung der Organwalter des gegnerischen Organs? dd) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Rechtssetzung? ee) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Sanktionsmaßnahmen gegen die verantwortlichen Organwalter? 2. Mögliche Nachteile einer Subjektivierung von Kompetenznormen a) Funktionsfähigkeit und Effizienz der Organisation b) Belastung der Gerichte und des Gegners c) Verlust der Opportunitätskontrolle? 3. Ergebnis: Kompetenzen als subjektive Organrechte

601 602 602 603 604 606 607 609 617 620 621 621 629 632 633 635 636 636 641 642 643

III. Subjektive Organrechte im Bereich öffentlich-rechtlicher Verwaltungsträger.. 646 1. Systematik der Organrechte

647

2. Subjektive Organrechte im Bereich der Gemeinden

652

a) Subjektive Organrechte des Gemeinderats 652 b) Subjektive Organrechte von Gemeinderatsausschüssen 656 c) Subjektive Organrechte einzelner Gemeinderatsmitglieder 657 aa) Organrechte der Gemeinderatsmitglieder als „Mitgliedschaftsrechte" 657 bb) Unstrittige Organrechte der Gemeinderatsmitglieder 659 cc) Zum Recht auf Mitgliedschaft in Gemeinderatsausschüssen 667 dd) Recht auf Verschonung mit gemeindefremden Angelegenheiten?... 672 ee) Die Erfolgswertbezogenheit des Stimmrechts der Gemeinderatsmitglieder 674 (1) Zählwert und Erfolgswert 674 (2) Inkonsistenzen der herrschenden Meinung 676 (3) Invokation objektivrechtlicher Vorschriften in Verfolgung subjektiver Rechte 677 (4) Effektiver Schutz des Stimmrechts 678

X

Inhaltsverzeichnis (5) Das Demokratieprinzip und der Grundsatz der Erfolgswertgleichheit (6) Die Subjektivierung des erfolgswertbezogenen Stimmrechts d) Subjektive Organrechte einzelner Gemeinderatsfraktionen e) Subjektive Organrechte von initiativberechtigten Gemeinderatsminderheiten f) Subjektive Organrechte des Bürgermeisters

691 693

3. Subjektive Organrechte im Bereich sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts

694

680 684 688

4. Subjektive Organrechte und die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO... 697 G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten I.

700

Der Organrechtseingriff

701

1. Die Elemente des Eingriffsbegriffs

702

a) Kausalität b) Zurechenbarkeit aa) Das Problem psychisch vermittelter Kausalität bb) Untaugliche Zurechnungskriterien (1) Finalität (2) Unmittelbarkeit (3) Adäquanztheorie (4) Relevanz- und Normzwecktheorien cc) Die Lehre von der objektiven Zurechnung (1) Gefahrschaffung und Gefahrverwirklichung als die zentralen Zurechnungskriterien (2) Die rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung (3) Der Vernünftigkeitsmaßstab als Relevanzkriterium der Gefahrschaffung

703 704 705 707 707 709 710 712 714 714 715 719

2. Organrechtseingriffe bei zweipoligen Organstreitigkeiten

724

a) Rechtliche Organrechtseingriffe aa) Deprivative Organrechtseingriffe bb) Imperative Organrechtseingriffe cc) Folgebeeinträchtigungen b) Faktische Organrechtseingriffe aa) Absolute und usurpative Organrechtseingriffe bb) Kompulsive Organrechtseingriffe

725 725 728 729 729 730 732

3. Organrechtseingriffe in dreipoligen Organstreitkonstellationen a) Personell und strukturell mittelbare Eingriffe b) Keine generelle Unzurechenbarkeit mittelbarer Beeinträchtigungen c) Die Zurechenbarkeit mittelbarer Beeinträchtigungen aa) Problemstellung bb) Gefahrschaffungsgefahr und Vernünftigkeitsmaßstab d) Personell mittelbare Organrechtseingriffe e) Strukturell mittelbare Organrechtseingriffe aa) Strukturell mittelbare Beeinträchtigungen der Rechte von Organteilen

738 738 742 746 746 748 750 753 753

Inhaltsverzeichnis bb) Kritik der herrschenden Meinung 756 cc) Zur Zurechenbarkeit strukturell mittelbarer Organrechtseingriffe.... 762 ( 1 ) Zweifelhafte Rechtslage 764 (2) Politische Rücksichtnahme 764 dd) Resümee 771 4. Die Vernachlässigung organschaftlicher Leistungsrechte II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen 1. Die materielle Rechtfertigung von Organrechtseingriffen a) Legitime Eingriffszwecke b) Übermaßverbot c) Diskriminierungsverbot 2. Kompetentielle und formelle Rechtfertigungsvoraussetzungen III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 1. Unmittelbare und mittelbare Fehlerfolgen bei Rechts- und Realakten a) b) c) d)

Die Unterscheidung unmittelbarer und mittelbarer Fehlerfolgen Realakte und Rechtsakte Keine unmittelbaren Fehlerfolgen bei Realakten Unmittelbare Fehlerfolgen bei Rechtsakten

2. Gesetzliche Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten a) Innenrechtsakte sind keine Verwaltungsakte b) Gesetzliche Fehlerfolgen bei gewissen Innenrechtsakten aa) Fehlerfolgen bei der hierarchischen Weisung bb) Nichtigkeit von Gemeinderatsbeschlüssen unter Beteiligung Ausgeschlossener cc) Keine generelle Nichtigkeit rechtswidriger Gemeinderatsbeschlüsse dd) Keine generelle Nichtigkeit unzulässiger Eilentscheidungen des Bürgermeisters 3. Gesetzliche Fehlerfolgen bei Außenrechtsakten a) b) c) d) e) f)

Gesetzliche Fehlerfolgen bei Rechtssätzen Fehlerfolgen bei Verwaltungsakten Fehlerfolgen bei Planfeststellungsbeschlüssen Fehlerfolgen bei Gerichtsentscheidungen Fehlerfolgen bei öffentlich-rechtlichen Verträgen Systematik der gesetzlich geregelten Fehlerfolgen bei Außenrechtsakten

4. Unmittelbare Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten a) Keine Rückbeziehung der fur einen Außenrechtsakt geltenden Fehlerfolgen auf den vorausgehenden Innenrechtsakt b) Kohärente Rechtsfortbildung nach dem Gedanken der Funktionsäquivalenz? c) Die gesetzgeberischen Wertungen bezüglich der Nichtigkeitsfolge d) Zur Frage der Heilbarkeit nichtiger Innenrechtsakte

772 775 775 775 778 779 780 786 786 786 787 789 790 792 793 802 802 802 804 808 809 810 816 819 821 822 827 835 835 837 841 849

XII

Inhaltsverzeichnis

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des in seinen Rechten verletzten Organs 1. Das primäre Recht und seine Hilfsansprüche

853

2. Sekundäre Hilfsansprüche bei subjektiven Organrechten

856

3. Der Folgenbeseitigungsanspruch des verletzten Organs bei nach außen wirksam gewordenem kompetenzwidrigem Organhandeln

863

a) Der Erlaß eines Verwaltungsakts unter Verstoß gegen subjektive Organrechte aa) Keine Anfechtung eines unter Verstoß gegen subjektive Organrechte erlassenen Verwaltungsakts durch das verletzte Organ bb) Folgenbeseitigungsanspruch auf Rücknahme oder Widerruf des unter Verstoß gegen subjektive Organrechte erlassenen Verwaltungsakts (1) Folgenbeseitigungsanspruch trotz ausgeschlossener Anfechtungsklage (2) §§ 48,49 VwVfG als gesetzliche Ermächtigung fur Rücknahme bzw. Widerruf organrechtsverletzend zustande gekommener Verwaltungsakte (3) Anwendbarkeit der Widerrufsvorschriften trotz Kompetenzwidrigkeit (4) Ausschluß des Rücknahme- und Widerrufsermessens durch den Folgenbeseitigungsanspruch und Fortbestehen des Vertrauensschutzes cc) Der Folgenbeseitigungsanspruch des verletzten Organs auf Aufhebung des Verwaltungsakts (1) Der innerorganisatorische Adressat des Folgenbeseitigungsanspruchs (2) Materiellrechtliche Einschränkungen des Folgenbeseitigungsanspruchs bei Stimmrechtsverletzungen (3) Durchsetzung des organschaftlichen Folgenbeseitigungsanspruchs mittels allgemeiner Leistungsklage b) Der Abschluß öffentlich-rechtlicher Verträge unter Verletzung subjektiver Organrechte c) Rechtssetzung unter Verstoß gegen subjektive Organrechte d) Sonstige unter Verletzung subjektiver Organrechte im Außenverhältnis ergangene Maßnahmen H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß I.

852

864 865

871 872

874 879

883 886 888 894 896 898 900 903 906

Die Beteiligtenverhältnisse in Organstreitverfahren

907

1. Die Beteiligungsfähigkeit der Organe und Organteile für das verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren

908

a) Die dogmatische Begründung der Beteiligungsfähigkeit von Organen und Organteilen b) Zum Fortbestehen der Beteiligungsfähigkeit bei Wegfall eines Beteiligten im Organstreitverfahren

908 923

2. Zur Prozeßfähigkeit und Postulationsfähigkeit im Organstreitverfahren

929

3. Die Prozeßftihrungsbefugnis im Organstreitverfahren

935

Inhaltsverzeichnis a) Die passive Prozeßfuhrungsbefugnis von Organen im Organstreitverfahren 936 b) Prozeßstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren.... 940 II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

946

1. Irrelevanz einer Klage sui generis

947

2. UnStatthaftigkeit einer allgemeinen Gestaltungsklage

949

a) Bedenken gegen die Statthaftigkeit einer allgemeinen Gestaltungsklage de lege lata b) Kein Effektivitätsvorteil der allgemeinen Gestaltungsklage aa) Begrenztheit eines etwaigen Effektivitätsgewinnes bb) Zur Vollstreckung von Leistungsurteilen auf Abgabe einer Willenserklärung in Organstreitverfahren c) Schutz der Verwaltung vor allgemeinen Gestaltungsurteilen

951 953 954 958 961

3. Die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle

963

4. Allgemeine Leistungsklage und Feststellungsklage

966

III. Das Rechtsschutzbedürfnis in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

973

1. Rechtsschutzbedürfnis bei gemeinsamer Aufsichtsbehörde

974

2. Rechtsschutzbedürfnis bei eigener Widerspruchsbefugnis

980

3. Rechtsschutzbedürfnis bei Einwilligung in den organrechtsverletzenden Akt

983

IV. Vorläufiger Rechtsschutz in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren ...987 V. Die Kostentragung in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

992

1. Die Kostenentscheidung

992

2. Der Kostenerstattungsanspruch

994

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

1000

Literaturverzeichnis

1021

Sachwortverzeichnis

1056

Abkürzungsverzeichnis a. Α. a.F. AbgG Abs. AcP AEG ÄndG AfP AK GG AktG AllgVerwR Alt. Anm. AöR AP AR-Blattei SD arg. ARSP Art. AS AsylVfG AT Aufl. AuR BadGemO

BadVGH BAfÖG BauGB BauR BayGVBl. BayVBl.

anderer Ansicht alte Fassung; alte Folge Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz) Absatz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Eisenbahngesetz Änderungsgesetz Zeitschrift fur Medien- und Kommunikationsrecht Alternativkommentar: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare Aktiengesetz Allgemeines Verwaltungsrecht Alternative Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsrecht-Blattei Systematische Darstellungen argumentum Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland Asylverfahrensgesetz Allgemeiner Teil Auflage Arbeit und Recht Badische Gemeindeordnung vom 5. Oktober 1921 (Badisches GVB1. 1921 S. 347 und 1922 S. 183) i.d.F. vom 30. Juni 1922 (Badisches GVB1. S. 483) Badischer Verwaltungsgerichtshof Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) Baugesetzbuch Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Bayerische Verwaltungsblätter

Abkürzungsverzeichnis BayVerfGH BayVGG

BayVGH BB BBesG BBG Bbg. BBiG BDO BesVerwR BFH BGB BGB-RGRK BGBl. BGH BGHR BGHSt BGHZ BK GG Bl. BMinG BNatSchG BPersVG BRRG BRS BSG BSHG BT Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BVerwGG BW BWahlG BWVPr CPO

Bayerischer Verfassungsgerichtshof Gesetz betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen vom 8. August 1878 (BayGVBl. S. 369) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Brandenburg Berufsbildungsgesetz Bundesdisziplinarordnung Besonderes Verwaltungsrecht Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bonner Kommentar zum Grundgesetz Blatt Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) Bundespersonalvertretungsgesetz Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts (Beamtenrechtsrahmengesetz) Baurechtssammlung Bundessozialgericht Bundessozialhilfegesetz Bundestag Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (Bundesverfassungsgerichtsgesetz) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 (BGBl. IS. 625) Baden-Württemberg Bundeswahlgesetz Baden-Württembergische Verwaltungspraxis Civilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 (RGBl. S. 83)

XXVI DB ders. DGO dies. DJZ DÖV Drucks. DRZ DV DVB1. DVO GjS ebd. EGGVG EGV EGZPO EL EMRK ErfKomm ESVGH

EuG EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW f., ff. FG Fn. FS FStrG FwG GBl. GemO GemSOGB GenG GeschO GewArch GewO GG GjSM GK-HGB GKG

Abkürzungsverzeichnis Der Betrieb derselbe Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (RGBl. I S. 49) dieselbe, dieselben Deutsche Juristen-Zeitung Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Verwaltung, Zeitschrift fur Verwaltungsrecht Deutsches Verwaltungsblatt Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS, nunmehr GjSM) ebenda Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz, betreffend die Einführung der Zivilprozeßordnung Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgende Festgabe Fußnote Festschrift Bundesfernstraßengesetz Feuerwehrgesetz Gesetzblatt Gemeindeordnung Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Geschäftsordnung Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Gemeinschaftskommentar zum Handelsgesetzbuch Gerichtskostengesetz

Abkürzungsverzeichnis GmbHG GroßKomm AktG Gruchot

GrünhutsZ GS GVB1. GVG GWB HandwO HdbDStR HdbVerfR HeilbKG

HessStGH HGB HGrG HirthsA

HK-StPO HK-WettbR HKWP h.M. HStR i.d.F. i.S.d. i.V.m. IHK-G JA JbSächsOVG JherJb JK JR Jura JuS JW JZ KDVG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Großkommentar zum Aktiengesetz Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet als Beiträge zur Erläuterung des Preußischen Rechts von Gruchot, Hamm 1857 ff, Berlin 1865 ff Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, herausgegeben von C. S. Grünhut, Wien 1874 ff. Gedächtnisschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) Handbuch des Deutschen Staatsrechts Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Dentisten (Heilberufe-Kammergesetz) Hessischer Staatsgerichtshof Handelsgesetzbuch Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz) Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik, herausgegeben von Georg Hirth und Max Seydel, Berlin 1868 ff, Leipzig 1873 ff, München & Leipzig 1884 ff. Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis herrschende Meinung Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung im Sinne des in Verbindung mit Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern Juristische Arbeitsblätter Jahrbücher des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Jura-Kartei Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Gesetz über die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen (Kriegsdienstverweigerungsgesetz)

XXVIII KK StPO KMK-HSchR KölnKomm AktG KomWG krit. LBO Lfg. LG LK StGB LKrO LKV LM LuftVG LVerfG LVerfGE LVG m.w.N. MDR MEPolG Motive MRVO Nr. 141

MRVO Nr. 165

MünchArbR MünchHdbGesR MünchKomm MV n.F. NatSchG NdsVBl. NJW NJW-RR NKStGB NKVwGO Nr., Nrn. NStZ NuR

Abkürzungsverzeichnis Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz - Informationen zum Hochschulrecht Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Kommunalwahlgesetz kritisch Landesbauordnung Lieferung Landgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Landkreisordnung Landes- und Kommunalverwaltung Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Luftverkehrsgesetz Landesverfassungsgericht Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder Landesverwaltungsgericht; Landesverwaltungsgesetz mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich Militärregierung Deutschland - Britisches Kontrollgebiet, Verordnung Nr. 141 vom 1. April 1948: Verwaltungsgerichtsbarkeit in Verwaltungssachen (Amtsblatt der Militärregierung Deutschland Britisches Kontrollgebiet, 1948, S. 719) Militärregierung Deutschland - Britisches Kontrollgebiet, Verordnung Nr. 165 vom 15. September 1948: Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Britischen Zone (Amtsblatt der Militärregierung Deutschland - Britisches Kontrollgebiet, 1948, S. 799) Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Kommentar Mecklenburg-Vorpommern neue Fassung; neue Folge Naturschutzgesetz Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung Nummer, Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht Natur und Recht

Abkürzungsverzeichnis NVwZ NVwZ-RR NW NWVB1. NZS OLG OVG OVGE PBefG PolG PrALR PrGS PrLVG Protokolle PrOVG PrOVGE PrVBl. PrVerfUrk PrZustG RFH RFHE RG RGBl. RGSt RGZ RIW Rn. RStGH RVerf. s. S. SächsVBl. SächsVerf. SächsVerfGH SchulG

Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte für das Land Nordrhein-Westfalen und für das Land Niedersachsen Personenbeförderungsgesetz Polizeigesetz Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 mit Anhang vom 1. April 1803 (Neue Ausgabe 1817) Preußische Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten Preußisches Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (PrGS S. 195) Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs Preußisches Oberverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Preußisches Verwaltungsblatt Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850 (PrGS S. 17) Preußisches Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (PrGS S. 237) Reichsfinanzhof Entscheidungen des Reichsfinanzhofes Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer(n) Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (RGBl. S. 63) siehe Satz; Seite Sächsische Verwaltungsblätter Verfassung des Freistaates Sachsen Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Schulgesetz

XX Seuffert SG SGB SGG SH SJZ SK StGB SK StPO Sig. Sp. SparkG st. Rspr. StGB StGH StGHG StiflungsG StPO StrG StVO StVollzG

ThürVBl. ThürVerfGH Tz. UG UIG UWG VB1BW VerfG VerfGH VersR VerwArch VG VGG

VGH vgl.

Abkürzungsverzeichnis Seuffert' s Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten, München 1866 ff. Soldatengesetz Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Schleswig-Holstein Süddeutsche Juristen-Zeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des EuG Spalte Sparkassengesetz ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Gesetz über den Staatsgerichtshof Stiftungsgesetz Strafprozeßordnung Straßengesetz Straßenverkehrs-Ordnung Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (StrafVollzugsgesetz) Thüringer Verwaltungsblätter Thüringer Verfassungsgerichtshof Textziffer Universitätsgesetz Umweltinformationsgesetz Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassungsgericht Verfassungsgerichtshof Zeitschrift fur Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsgesetz) in - Bayern vom 25. September 1946 (GVB1. S. 281), - Württemberg-Baden vom 16. Oktober 1946 (RegBl. S. 221) - Hessen vom 31. Oktober 1946 (GVB1. S. 194) i.d.F. vom 30. Juni 1949 (GVB1. S. 137) - Bremen vom 5. August 1947 (GBl. S. 171), - Baden-Württemberg vom 12. Mai 1958 (GBl. S. 131) Verwaltungsgerichtshof vergleiche

Abkürzungsverzeichnis VRspr

VVDStRL VwGO VwVfG WahlprüfG WaStrG WDO WG WissR WiVerw WM WRP WRV z.B. z.T. ZBR ZDG ZfBR ZG ZLR ZRP ZStW ZUM zust. ZZP

Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland, Sammlung obergerichtlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wahlprüfungsgesetz Bundeswasserstraßengesetz Wehrdisziplinarordnung Wassergesetz Wissenschaftsrecht Wirtschaft und Verwaltung Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) (RGBl. S. 1383) zum Beispiel zum Teil Zeitschrift fur Beamtenrecht Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz) Zeitschrift für Baurecht Zeitschrift fur Gesetzgebung Zeitschrift fur das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend Zeitschrift für Zivilprozeß

Einleitung Seit Jahrzehnten beginnt nahezu jede Abhandlung zum Themenkreis „verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten" mit einer Klage über dessen unzureichende dogmatische Durchdringung und den fehlenden Konsens selbst über grundlegende Aspekte der Innenrechtsstreitigkeiten 1. Daß für die mit dieser Thematik angesprochenen materiellrechtlichen und prozessualen Fragen „eine dogmatisch befriedigende Lösung bisher nicht gefunden" wurde 2 und dementsprechend noch erheblicher Klärungsbedarf besteht, entspricht allgemeiner Meinung; Unterschiede bestehen allenfalls hinsichtlich der Einschätzung des Ausmaßes des diagnostizierten Defizits: Die Konstatierung einer „nicht unerheblichen dogmatischen Unterbilanz" 3 und einer bloß „vordergründigen" Geschlossenheit4 sowie die Feststellung „nicht unerheblicher Schwierigkeiten" 5 zählen dabei noch zu den eher zurückhaltenden Situationsbeschreibungen, nachdem andere das Thema auch als „weitgehend unsicheres Terrain" 6 ausgemacht haben oder gar die Lage der Dogmatik als nachgerade „desolat" einstufen 7. Nun könnte der mißtrauische Leser fragen, ob es sich bei diesen Klagen womöglich um ein lediglich vorgeschobenes Lamento handelt, um eine wiederholte oder wiederholende Stellungnahme zu einem in Wahrheit bereits ausdiskutierten Thema zu rechtfertigen, um Interesse an Uninteressantem zu wecken und den arglosen Leser unversehens auf ein eigentlich abgedroschenes Gebiet zu 1

Vgl. Barth,, Subjektive Rechte, S. 8; Bethge, DVB1. 1980, 309; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 21; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 14, 81; Erichsen, in FS Menger, 1985, S. 212; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 157; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 16; Herbert, DÖV 1994, 109; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 26; ders., NJW 1980, 1017; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 10; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 117; Kisker, JuS 1975, 705; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 1; Krebs, VerwArch 1977, 189; ders., Jura 1981, 571; Martensen, JuS 1995, 989; Papier, DÖV 1980, 293; Rausch, JZ 1994, 697; Schnapp, VerwArch 1987, 422; Schoch, JuS 1987, 784; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 1. 2 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 21. 3 Bethge, DVB1. 1980, 309; zustimmend Barth, Subjektive Rechte, S. 8. 4 Papier, DÖV 1980, 293. 5 Erichsen, in FS Menger, 1985, S. 212. 6 Herbert, DÖV 1994, 109. 7 Hoppe, NJW 1980, 1017; zustimmend Krebs, Jura 1981, 571. 3 Roth

Einleitung

2

locken. Tatsächlich hat sich die Figur der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten in den nunmehr 40 Jahren seit Inkrafttreten der VwGO als materielles und prozessuales Institut fest etabliert, und die Praxis ist auch durchaus zu einer pragmatischen Handhabung des Problems gelangt8. Diese Ergebnisse werden indessen weitgehend nur um den Preis einer oftmals unberechenbaren Kasuistik erzielt, da sich die Gerichte über die tatsächlich bestehenden dogmatischen Schwierigkeiten nicht selten mit Hilfe vager Verlegenheitsformeln hinweg retten müssen. Derartige Kasuistiken sind nun meist ein verläßlicher Indikator für das Bestehen „grundsätzlicher Unklarheiten" 9 sowie das Fehlen einer konsensfähigen dogmatischen Basis, und somit ein Beleg dafür, daß „die Grundlagen und Voraussetzungen dieser Verfahren sowohl materiellrechtlich ... wie auch im Hinblick auf prozessuale Fragen in vielen Punkten ungeklärt" geblieben sind 10 . Es fehlt zwar weder an Konzeptionen zur Lösung der dogmatischen Grundsatzfragen noch an Vorschlägen zur Lösung einzelner Detailprobleme. Ungeachtet aller Bemühungen vermochte jedoch keiner dieser Ansätze vollends zu überzeugen und wurde „eine dogmatisch befriedigende Lösung bisher nicht gefunden" 11. Daher wurde erst jüngst wieder ein „weitgehendes Scheitern der bisherigen Rekonstruktionsversuche" behauptet12. Jedenfalls kann angesichts der aufgezeigten Meinungslage in der Tat nicht bezweifelt werden, daß es bislang selbst hinsichtlich dogmatischer Grundfragen an einem konsensfähigen Modell zur Behandlung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten fehlt 13 . Angesichts dieses Befundes verwundert es nicht, wenn schon mehrfach der Ruf nach dem Gesetzgeber laut geworden ist 14 oder eine gesetzliche Regelung als zumindest erwägenswert 15 oder gar als „wünschenswert" betrachtet wurde, „um auch der Rechtsprechung eine solide Basis zu geben"16. Dieser Ruf speist sich nicht nur aus dem resignierenden Eingeständnis, in welchem Maße Rechtsprechung und Literatur bisher an einer befriedigenden Lösung des Problems gescheitert sind, sondern entspringt vielmehr auch kompetenz- und gewaltenteilungsrechtlichen Bedenken, ob die Gerichte bei der gegebenen Gesetzeslage 8

S. den Rechtsprechungsüberblick unten A.II. 1. Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 81. 10 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 26; ferner Schoch, JuS 1987, 784. 11 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 21. 12 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 14. 13 Martensen, JuS 1995,989. 14 Vgl. Hoppe, NJW 1980, 1017 ff.; Müller, NVwZ 1994, 124; Papier, DÖV 1980, 294 ff. 15 Fuß, WissR 1972, 109 Fn. 36 (mit Gesetzgebungsvorschlag). 16 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 171 ff. (mit Gesetzgebungsvorschlägen); ferner Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 (Lfg. 1996) Rn. 136. 9

Einleitung überhaupt zu einer befriedigenden Lösung rechtlich in der Lage sind. Dem Ruf nach dem Gesetzgeber wird freilich entgegengehalten, die Lage sei in dogmatischer Hinsicht so wenig ausgelotet und geklärt, daß selbst der Gesetzgeber nur schwerlich Abhilfe schaffen könnte, weil ihm von Seiten der Wissenschaft keine sinnvoll normierbaren Kriterien zur Verfügung gestellt würden 17 und deshalb jeder Normierungsversuch eher zusätzliche Rechtsprobleme schaffen müßte, anstatt einen Gewinn an Rechtssicherheit und -klarheit zu bringen 18. Aber selbst wenn ihm diese Hilfe angeboten würde, wäre doch angesichts der oft beklagenswert schlechten Qualität moderner Gesetzgebung und der vielfach zu beobachtenden Geringschätzung der Rechtswissenschaft durch den sich klüger dünkenden oder allein kurzfristige Ziele verfolgenden Gesetzgeber keineswegs gesichert, daß er solchem Rat zu folgen willens oder fähig wäre. Im übrigen ist das materielle Hauptproblem, wann nämlich den Organen und Organteilen von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts in concreto subjektive Rechte zustehen, ohnehin der einheitlichen Regelung durch den Bundesgesetzgeber entzogen. Denn das für die in der Praxis wichtigsten Organstreitigkeiten maßgebliche Kommunal-, Hochschul- und Rundfunkrecht ist (größtenteils) Länderkompetenz 19, so daß der VwGO-Gesetzgeber gar nicht in der Lage wäre, den klagenden Organen das „Risiko von Probeläufen und Tests" abzunehmen, wann ihnen nach dem einschlägigen materiellen Landesrecht klagbare Rechte zustehen20. Bemerkenswerterweise ist es auch keineswegs so, daß es über die Zeit zumindest gelungen wäre, die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten dogmatisch zunehmend besser in den Griff zu bekommen und die verschiedenen Streitfragen wo nicht zu lösen, so doch wenigstens abzumildern. Wenn man die angeführten Stellungnahmen chronologisch ordnet, zeigt sich vielmehr, daß das beklagte Ausmaß an Unklarheiten nicht geringer zu werden scheint, sondern gerade die jüngeren Stellungnahmen die Grundsätzlichkeit der dogmatischen Meinungsverschiedenheiten betonen21. In gewisser Weise kann es auch nicht überraschen, daß das Ausmaß des wissenschaftlichen Streites über die Zeit zunimmt, statt - wie es vielleicht auf den ersten Blick zu hoffen wäre - abzunehmen. Denn das forensische Anschauungsmaterial, an dem sich alle Theorien bewähren müssen, wächst ständig an, und mit dem Auftauchen immer neuer Probleme und Fallkonstellationen müssen notwendig die wissenschaftlichen Theorien 17

Kritisch bezüglich der Leistungen der Wissenschaft auf dem Gebiet der Organstreitigkeiten Fehrmann, NWVB1. 1989, 306. 18 Vgl. Bethge, DVB1. 1980, 824; Ehlers, NVwZ 1990, 105; Püttner, Organstreitverfahren, S. 137; krit. ferner Wengenroth, Rechtsstellung, S. 220 f. 19 Bethge, DVB1. 1980, 824. 20 Unschlüssig daher Hoppe, NJW 1980, 1020. 21 Barth, Subjektive Rechte, S. 8; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 81; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 157; Herbert, DÖV 1994, 109.

4

Einleitung

schritthalten, so daß auch diese eine Tendenz zur immer weiteren Verfeinerung und Ausdifferenzierung aufweisen. Letzteres aber macht sie natürlich umgekehrt ihrerseits immer anfälliger für Kritik, und indem so jede neue Theorie, jeder neue Lösungsansatz wiederum neue Entgegnungen provoziert, befindet sich die Diskussion um verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten gegenwärtig noch in einem Zustand der Expansion; es fehlt ihr bislang ein anerkanntes Zentrum, das als gesicherter Fixpunkt für die weitere Diskussion dienen könnte. Das heißt nicht, daß die bisherige Diskussion keine brauchbaren Ergebnisse gezeitigt hätte oder gar als vergeblich abzutun wäre. Denn selbst soweit man den verschiedenen Theorien entweder schon grundsätzlich oder jedenfalls im Detail nicht folgen möchte, ist doch auf der Grundlage der Popperschen Wissenschaftstheorie festzuhalten, daß auch eine letztlich nicht aufrechtzuerhaltende Theorie nicht vergebens ist, nachdem ja der wissenschaftliche Fortschritt ohnehin nur in der Falsifikation von Theorien bestehen kann: mit jeder Widerlegung einer Theorie ist ein echter Erkenntnisfortschritt verbunden 22. Die Unsicherheiten über die rechte dogmatische Behandlung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten beruhen letztlich auf den grundsätzlichen Unklarheiten, welche über einen der Zentralbegriffe der heutigen deutschen Rechtsordnung überhaupt bestehen, nämlich des sowohl im Bereich des materiellen wie des Prozeßrechts gleichermaßen grundlegenden und in seiner exakten Bedeutung unsicheren Begriffs des subjektiven Rechts. Denn obschon jedwede Vorstellung von für das Recht impermeabler juristischer Personen zu verwerfen ist und folglich die Möglichkeit echter Rechtsbeziehungen zwischen oder innerhalb von Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts keinen grundsätzlichen Einwänden unterliegen kann, bleibt doch allemal zweifelhaft und umstritten, ob es sich hierbei um lediglich objektivrechtliche Streitigkeiten handelt oder ob subjektive Rechte im Spiel sind, ob also die einem Organ zugewiesenen Kompetenzen allein im Sinne einer objektivrechtlichen Pflichtenstellung zu verstehen sind, seine Kompetenzen nicht zu überschreiten und nicht in die Kompetenzen anderer Organe einzugreifen, oder ob und inwieweit derartige Organkompetenzen als subjektive Organrechte zu verstehen sind. Der Begriff des subjektiven Rechts gehört nun indes trotz seiner fundamentalen Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung zu den ungeklärtesten Rechtsfiguren überhaupt, und wenn es schon im Bereich des Außenrechts nicht selten umstritten ist, wann einem Rechtssubjekt ein subjektives Recht zukommt, so nimmt es nicht wunder, wenn diesbezügliche Zweifel erst recht hinsichtlich des Innenrechtskreises auftreten.

22 Grundlegend Popper, Logik der Forschung, S. 3 ff., 14 f., 198 f., 425 ff.; ders., Evolutionäre Erkenntnistheorie, in: Lesebuch, S. 66; vgl. ferner Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 115 ff.; Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, in: Recht und Gerechtigkeit, S. 21 ff.

Einleitung Aus diesem im Laufe der Untersuchung noch näher zu belegenden Befund ergibt sich auch die wesentliche Gliederung der Arbeit: Nach einer Darstellung und Abgrenzung des Problembereiches der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten (Teil A.) wird es um deren Einordnung in das verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzsystem gehen, wobei die Untersuchung spezialgesetzlicher Regelungen den Anfang machen soll (Teil B.). Hierbei werden auch die Verfassungsorganstreitigkeiten in die Betrachtung einbezogen, schon weil ein großer Teil der materiellrechtlichen Problematik bei verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Organstreitigkeiten gleich gelagert ist. Da nun die Verfassungsorganstreitigkeiten gesetzlich in wesentlich größerem Maße geregelt sind, lassen sich hier Rückschlüsse auf das gesetzgeberische Verständnis ziehen, was für die verwaltungsrechtliche Erörterung schon deshalb von Bedeutung ist, da auf die systematische Stimmigkeit der Organstreitigkeiten besonderes Gewicht gelegt werden muß. Wenngleich diese Betrachtungen einigen Aufschluß über die dogmatische Einordnung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten geben, wird sich dennoch die Notwendigkeit erweisen, sie den allgemeinen Vorschriften der VwGO unterzuordnen, worauf denn auch gerade ihre besondere Problematik beruht (Teil C.). Da die Austragung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten nicht an Impermeabilitätsvorstellungen scheitern kann, wird sich die Frage nach ihrer Einbindung an die an subjektiven Rechtsschutzvorstellungen ausgerichtete VwGO als Kern der Problematik erweisen. So bestehen bereits grundsätzliche Verständnisdifferenzen hinsichtlich der Trägerschaft innerorganisatorischer Rechte. Denn für nicht wenige Autoren bereitet die Annahme subjektiver Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt und noch mehr ihrer Organe grundsätzliche Schwierigkeiten. Ist eingedenk etwa des Verdikts Otto Mayers, das subjektive Recht sei immer etwas Begrenztes, wohingegen beim Staat das dahinter stehende Unbegrenzte durchschlage 23, manchen schon die Vorstellung subjektiver Rechte des Staates suspekt, so ist für viele auf der Grundlage des herrschenden Begriffsverständnisses des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztes Interesse noch weniger nachvollziehbar, wie hoheitliche Organe und gar Organteile Inhaber subjektiver Rechte sein sollen, scheint dies doch die Verfolgung gemeinwohlwidriger Partikularinteressen zu implizieren. In der Tat ist nicht zu verkennen, daß ein erheblicher Teil der Schwierigkeiten mit den verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten auf das Konto einer nicht überzeugenden Bestimmung des subjektiven Rechts geht. Deshalb bedarf zunächst der Begriff des subjektiven Rechts selbst eingehender Untersuchung (Teil D.), ehe sodann, auf dem gewonnenen Begriffsverständnis aufbauend, die mögliche Innehabung subjektiver Rechte durch juristische Personen des öffentlichen Rechts und ihre Organe nachgewiesen werden kann (Teil E.). Da die mögliche Innehabung subjektiver 23

Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 104.

6

Einleitung

Rechte freilich noch nicht die entscheidende Frage beantwortet, ob denn nun eine konkrete Rechtsnorm ein solches subjektives Recht verleiht, bedarf es ferner der Herausarbeitung jener Entscheidungskriterien, nach denen sich die insofern maßgebliche Gesetzesauslegung richten muß; erst nach dieser Klärung lassen sich fundierte Aussagen machen, wann Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts selbst Inhaber subjektiver Rechte sind (Teil F.). Damit schließt sich dann der Kreis zu der verwaltungsprozessualen Ausgangsproblematik ihrer Klagebefugnis. Im Anschluß an die Erörterung der prozessualen Hauptprobleme der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten kann die Untersuchung ihrer materiellrechtlichen Seite erfolgen, nämlich wann eine Verletzung derartiger subjektiver Organrechte anzunehmen ist und welche materiellrechtlichen Folgen eine etwaige solche Verletzung nach sich zieht (Teil G.). Probleme bereitet hier wie in sonstigen Rechtsgebieten auch zumal die Beurteilung faktischer Eingriffe, vorliegend vor allem in der Konstellation mittelbarer Eingriffe, speziell inwieweit die Beeinträchtigung der Rechte eines Organs zugleich als Beeinträchtigung der Rechte seiner Teile anzusehen ist. Die Feststellung eines Eingriffs besagt nichts über dessen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit, und deshalb sind ferner die diesbezüglichen Kriterien darzustellen. Schließlich bedarf der eingehenden Untersuchung, welche materiellrechtlichen Rechtsfolgen eine eventuelle Rechtsverletzung im hiesigen Kontext nach sich zieht. In der Tat sind nämlich die Fehlerfolgen, welche die Verletzung von Organrechten nach sich zieht, keineswegs geklärt, zumal hierbei auch zwischen den Fehlerfolgen nach innen und denen nach außen zu unterscheiden ist: Im Innenverhältnis stellt sich beispielsweise die Frage, ob kompetenzwidrig ergangene Beschlüsse lediglich rechtswidrig oder ob und wann sie eventuell gar nichtig sind, ersterenfalls ob hier ein innerorganisatorischer Störungsbeseitigungsanspruch auf Aufhebung derselben anzunehmen ist. Da ein solcher Anspruch bei Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht auf Grundrechte gestützt werden könnte, wäre freilich zunächst die Rechtsgrundlage eines solchen Anspruchs zu klären. Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung der Fehlerfolgen vor allem bei Akten, die bereits nach außen wirksame Folgen gezeitigt haben. Vermag solchenfalls das in seinen Rechten verletzte Organ überhaupt noch eine effektive Reparatur seiner Verletzung zu erlangen, möglicherweise über einen Folgenbeseitigungsanspruch? Abschließend sind gewisse prozessuale „Restfragen" zur konkreten Durchführung von Verwaltungsprozessen über Organstreitigkeiten zu beantworten (Teil H.). Problematisch ist hierbei insbesondere, mittels welcher Klagearten die dargelegten materiellen Rechte zu verfolgen sind - eine Frage, die namentlich wegen des Streites über die Möglichkeit verwaltungsinterner Verwaltungsakte näherer Betrachtung wert ist - , ferner, wie die erforderliche Beteiligungsfahigkeit dogmatisch richtig zu konstruieren ist, schließlich noch Fragen des

Einleitung Rechtsschutzbedürfnisses, des einstweiligen Rechtsschutzes und der (praktisch wichtigen) Kostentragung. Die meisten der aufgezeigten Streitfragen können rechtstheoretisch auf verschiedene Weise beantwortet werden. Die vorliegende Untersuchung soll indes keine rechtstheoretische bleiben, sondern ist dem geltenden Recht verpflichtet. Als solche muß sie jenseits der theoretischen Möglichkeiten vor allem die Vorstellungen des Gesetzgebers im Auge behalten, wie sie sich in den Normen des positiven Rechts wiederfinden. Das Wesen der Organstreitigkeiten kann daher sinnvoll nicht abstrakt behandelt werden, sondern nur auf dem Boden der bestehenden Gesetze und der daraus sprechenden gesetzgeberischen Einordnung. Zu deren Klärung wird nicht zuletzt die historische Entwicklung des Begriffs des subjektiven Rechts zu vergegenwärtigen sein, da nur vor deren Hintergrund zu erschließen ist, welche Vorstellung dem Gesetzgeber diesbezüglich vorgeschwebt haben dürfte. Von besonderem Interesse werden dabei die Auseinandersetzungen um die Impermeabilitätstheorie und die Umbrüche sein, die der Übergang vom Konstitutionalismus in die heutige Rechtsordnung mit sich gebracht hat. Mit diesem Ansatz soll keine unbesehene Unterwerfung unter dogmatische Vorstellungen des Gesetzgebers propagiert werden. Gesetzgeberische Fehlvorstellungen können unter Umständen durch den Gesetzesinterpreten korrigiert werden 24. Zudem kann die Auslegung von Rechtsnormen auch durchaus neueren dogmatischen Erkenntnisssen angepaßt werden. Aber in welchem Maße solche Eingriffe des Interpreten erforderlich sein können, und vor allem wo ihre Grenzen liegen, jenseits derer nur der Gesetzgeber eingreifen kann, hängt doch von einer genauen Analyse der gesetzgeberischen Wertungen ab. Insbesondere bei der Beantwortung der Frage nach der Bedeutung von Außen· bzw. Innenrechtsbeziehungen für den Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts ist stets zu berücksichtigen, inwieweit es sich um einen theoretischen Begriff oder einen solchen des positiven Rechts handelt. Dieser Unterschied ist deswegen von Bedeutung, weil es dem Gesetzgeber natürlich freisteht, seinen Normen ein bestimmtes Verständnis von subjektiven Rechten zugrundezulegen, das für den Normanwender auch dann verbindlich ist, wenn rechtstheoretisch mit guten Gründen ein anderes Verständnis vorgeschlagen werden könnte. Aufgabe des Normanwenders ist dann, die anfallenden Probleme auf der Basis der normativen Vorgaben befriedigend zu lösen, nicht aber seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Bethge beklagte 1980, daß eine „definitive monographische Durchdringung der prinzipiellen Problematik, bei der das Phänomen des verwaltungsrechtlichen Organstreits materiellrechtlich und prozessual übergreifend in Augen-

24

Vgl. hierzu Looschelders/Roth,

Juristische Methodik, S. 224 ff.

Einleitung

8

schein genommen wird", noch ausstehe25. Hieran hat sich bis heute nichts geändert. Die einschlägigen Arbeiten haben zwar Wesentliches geleistet, jedoch, wie die seitherige Diskussion gezeigt hat, keine Klärung gebracht und keinen Konsens gestiftet. Freilich dürfte die Hoffnung, eine derart vielschichtige und zahlreiche Grundfragen des Rechts berührende Problematik könne je „definitiv" bearbeitet werden, ohnehin zu optimistisch sein, zumal die Befassung mit dem Wesen des subjektiven Rechts und der Stellung der Organe juristischer Personen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ja in der Rechtsordnung überhaupt, grundsätzliche Fragen des Denkens über das Recht anspricht, hinsichtlich deren Beantwortung sich womöglich nie ein allgemeiner Konsens erzielen lassen wird. Immerhin aber läßt sich der dogmatische Grund der Problematik so bearbeiten, daß eine Konsensbildung befördert wird und zumindest nicht mehr Streitigkeiten geführt werden, die letztlich nur auf unzutreffenden Vorstellungen über zentrale Rechtsbegriffe zurückgehen. Die Zielsetzungen vorliegender Untersuchung liegen vor diesem Hintergrund auf zwei Ebenen. Zum einen soll die wünschenswerte Konsensbildung im Grundsätzlichen befordert werden, indem durch eine auch gewisse historische Fehlvorstellungen ausräumende Betrachtung der so wichtige Begriff des subjektiven Rechts sowie - mit Blick auf die Organstreitigkeiten - seine Anwendbarkeit auf Träger öffentlicher Gewalt geklärt wird. Zum anderen sollen, hierauf aufbauend, eine Reihe von Detailproblemen im Bereich der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten untersucht werden. Bei dem Anliegen ihrer dogmatisch stimmigen Einordung in das Rechtsschutzsystem der VwGO geht es dabei nicht um Dogmatik allein der Wissenschaft willen. Vielmehr sind die hierüber zu gewinnenden Erkenntnisse geeignet, immer noch bestehende Vorbehalte gegen verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten abzubauen, welche sich verschiedentlich in der Tendenz einer restriktiven Handhabung äußern; insofern kann und soll die Klärung dogmatischer Streitfragen sehr wohl auch praktische Konsequenzen nach sich ziehen.

25

Bethge, DVB1. 1980, 309.

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten sind nach dem Maßstab des Verwaltungsrechts zu entscheidende Streitigkeiten zwischen oder innerhalb von Organen derselben juristischen Person des öffentlichen Rechts um die den Streitparteien als Organ bzw. Organteil zustehenden Kompetenzen1. Mit diesem Satz ist zwar noch nichts erklärt, doch sind damit immerhin die zentralen Problemfelder des Themas und mithin auch die hauptsächlichen Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit benannt. Zunächst ist eine Klarstellung erforderlich, was „Organe" in dem hier zu behandelnden Sinne sind und welche „Streitigkeiten" zwischen und innerhalb von ihnen vorkommen können. Rechtswissenschaft wie Rechtspraxis interessieren sich freilich im allgemeinen nicht für eine Streitigkeit um ihrer selbst willen, sondern vor allem dafür, ob und wie diese einer rechtlichen Lösung oder Entscheidung zuzuführen ist. Nach der eher beschreibenden Aufgabe, die Vielfalt möglicher Organstreitigkeiten aufzuzeigen und von ähnlichen Erscheinungen abzugrenzen, wird daher das Schwergewicht der Arbeit auf der Untersuchung der verwaltungsrechtlichen und verwaltungsprozessualen Vorgaben und Maßstäbe liegen, nach denen sich die Entscheidung derartiger Streitigkeiten richtet.

1

Vgl. Barth, Subjektive Rechte, S. 14; Bauer/Krause, JuS 1996, 411; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 25; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 9 f.; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, § 30 I; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 16 f.; Erichsen, in FS Menger, S. 218 f.; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 158; Fuß, WissR 1972, 98; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 785; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 421; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 1, 94; Krebs, Jura 1981, 570; Martensen, JuS 1995, 989; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 20; Rausch, JZ 1994, 697; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 18 f.; Stern/ Bethge, Rechtsstellung, S. 84; Stober, Kommunalrecht, §15 X 1; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 91; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 662; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 3; ferner OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178; VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten Die prozeßrechtliche Kategorie der Organstreitigkeiten ist ohne Kenntnis der ihr in tatsächlicher Hinsicht zugrunde liegenden Streitfälle nicht befriedigend zu verstehen und einzuordnen, und der Organstreit als tatsächliche Erscheinung wiederum ist nicht ohne hinreichende Vorstellung von Organisationen und ihren Organen richtig zu erfassen und in seiner Besonderheit von sonstigen Streitfällen als eigenständige Kategorie abzugrenzen. Denn Organstreitigkeiten erhalten ihr charakteristisches Gepräge durch den Umstand, daß es sich hierbei sämtlich um Streitigkeiten innerhalb ein und derselben Organisation handelt. Jeder im Inneren einer Organisation bestehende Konflikt impliziert eine besondere Spannungslage, die bei einem Streit im Außenverhältnis dieser Organisation gegenüber einer anderen natürlichen oder juristischen Person nicht oder jedenfalls nicht in derselben Weise besteht und die dadurch zahlreiche spezifische Fragen aufwirft. Einerseits besteht nämlich ein Dissens zwischen den betreffenden Organen wie er in vergleichbarer Weise bei allen Streitfällen zutage treten kann. Andererseits gehören die sich streitenden Organe derselben Organisation an und hieraus ergeben sich Konsequenzen hinsichtlich der Austragung dieses Streites. Streitparteien sind gemeinhin rechtlich nicht gegenseitig für ihr weiteres Schicksal verantwortlich, sondern können ihre Konflikte im Rahmen der Gesetze ohne Rücksicht auf die Folgen für den anderen austragen, insbesondere also vermeinte Rechte jedenfalls diesseits der Grenze regelrechten Mißbrauchs ohne Bedacht auf die der anderen Seite drohenden Konsequenzen verfolgen. Bei Streitigkeiten innerhalb ein und derselben Organisation verhält es sich offensichtlich anders. Ein Organ genügt niemals sich selbst, sondern es ist stets Organ einer Organisation, für die es die ihm eigenen Funktionen ausübt und von der sich seine spezifische Rolle und Stellung ableitet. Deshalb scheidet es von vornherein aus, Organstreitigkeiten so zu betrachten, als stritten sich zwei beliebige, durch keinerlei besondere Beziehungen verbundene Subjekte. Vielmehr bleiben Organe derselben Organisation ungeachtet aller eventuellen Konflikte doch immer noch auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet. Welche rechtlichen Folgerungen sich aus diesem Spannungsverhältnis für die Einordnung und Behandlung von Organstreitigkeiten ergeben, wird im Laufe dieser Arbeit zu entwikkeln sein. Diese Andeutungen mögen aber für die Darlegung der Notwendigkeit genügen, noch vor der Betrachtung der Organe (unten 2.) und ihrer möglichen Streitigkeiten (unten 3.) der Organisation als solcher etwas Aufmerksamkeit zu widmen (nachfolgend 1.).

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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1. Der Begriff der Organisation a) Organisationsbegriffe Die Beschäftigung mit dem Phänomen der „Organisation" wird dadurch erschwert, daß sich je nach dem Gegenstand der Betrachtung unterschiedliche, je für sich durchaus legitime Organisationsbegriffe ausmachen lassen2, deren Abgrenzung im Interesse terminologischer Klarheit und zur Vermeidung von Mißverständnissen ratsam erscheint. Bei einer rein äußerlich beschreibenden (deskriptiven) Betrachtung des sozialen Phänomens der Organisation stellt sich diese als eine abgegrenzte Mehr- oder gar Vielzahl von Menschen dar, die untereinander durch ein Netz mehr oder weniger formaler Kommunikationsabläufe verbunden sind, und die sich auf der Basis dieser Kommunikationsprozesse zueinander sowie im Verhältnis zu Dritten, über einen Zeitraum von gewisser Dauer hinweg, derart in einer jeweils bestimmten Weise verhalten, daß sie in ihrer Gesamtheit gewisse Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse wahrzunehmen in der Lage sind3. Jede Organisation ist also eine abgegrenzte Gesamtheit von Menschen, die freilich nicht als willkürliche Untermenge aus der gesamten Menschheit herausgegriffen wird (das wäre ein bloßer Haufen oder eine zufällige Menschenansammlung), sondern bei der sich die Zugehörigkeit nach den von den beteiligten Menschen wenn auch nicht ausnahmslos immer, so doch in aller Regel gezeigten Verhaltensweisen bestimmt4, und die sich somit als „organisierte menschliche Wirkungseinheit" verstehen läßt5. Stellt man in diesem Sinne auf die beteiligten Menschen ab, und nimmt man gegebenenfalls noch die sachlichen Mittel hinzu, derer sie sich im Rahmen ihres organisationsbezogenen Handelns bedienen, so erhält man eine in ihren Menschen und Sachen äußerlich sichtbare Organisation 6. Eine solche bloß äußerliche Betrachtung würde das Wesen der Organisation freilich nur sehr unvollkommen beschreiben und jedenfalls überhaupt nicht er2 Vgl. hierzu, mit z.T. von der hiesigen abweichenden Terminologie und Kategorisierung, Böckenförde, in FS Wolff, S. 276 f.; Bull, AllgVerwR, Rn. 133 f.; Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, §69 Rn. 2; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, §52 Rn. 1; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 77 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 92 ff.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 223 ff.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 I b, II. Ähnlich Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 124 zum Begriff der Gesellschaft als „empirisch beobachtbares, in den laufenden Kommunikationen konkret gegebenes ... hochkomplexes Einzelsystem"; vgl. ferner Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 6 f. 3 Ähnlich Wolff Organschaft I, S. 213; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 II a 1; ferner Böckenförde, in FS Wolff, S. 298; Groß, Kollegialprinzip, S. 11 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 180 f.; Raiser , AcP 199 (1999), 132 f. 4 Ähnlich, aber auf den gemeinsamen Zweck abstellend, G. Jellinek, System, S. 25 f. 5 Böckenförde, in FS Wolff, S. 292. 6 Vgl. v. Gierke, Das Wesen, S. 19 f.

12

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

klären können. Daß die einer Organisation zugehörigen Menschen bestimmte kennzeichnende Kommunikationsabläufe und Verhaltensmuster beachten, kann zwar zur Abgrenzung verschiedener Organisationen dienen, vermag aber nicht zu erklären, warum sie das tun. Eine allgemeine Aussage über den Grund für die Befolgung solcher Verhaltensmuster läßt sich deshalb schwer machen, weil von der Vielzahl denkbarer Gründe - z.B. die Notwendigkeiten des Lebens, Zwang, Furcht, Einsicht, Übereinkommen, Gewohnheit, Befolgung von Regeln und Normen, Erwartung von Gegenleistungen - die Beteiligten keineswegs dasselbe Motiv oder Bündel von Motiven besitzen müssen. Von den seltenen Fällen äußerlich sichtbar angewandter körperlicher Gewalt abgesehen, muß der Grund für die Befolgung der den Betroffenen jeweils zugedachten Verhaltensweisen in einer Motivationslage liegen, auf die lediglich aus den Beobachtungen und gewissen Indizien gedankenweise zurückgeschlossen werden kann. Dieser gedankliche Rückschluß bedeutet nicht, daß es sich hierbei lediglich um eine Fiktion handelte. Vielmehr verhält es sich ähnlich wie mit Naturgesetzen, welche trotz vielfacher Beobachtung von Naturphänomenen auch allein gedanklich erfaßbar sind, ohne daß der fraglichen Naturkraft reale Existenz abgesprochen werden könnte. Nimmt man die vorbezeichneten deskriptiven und explikativen Elemente ins Auge, so zeigt sich, daß jeder Organisation ein reales Substrat zukommt7, das zum einen - sichtbar - aus den Menschen und den beobachtbaren Kommunikationsabläufen und Verhaltensweisen und zum anderen - nur gedanklich erfaßbar - aus den Motivationen der beteiligten Menschen besteht. Organisationen haben zwar keine äußerlich wahrnehmbare Existenz außerhalb der in bestimmter regelformiger Weise agierenden Menschen. Aber sie haben, wenn diese Verhaltensweise dauerhaft und hinreichend verläßlich erfolgt, eine beobachtbare und erfahrbare Wirkung und insofern eine wirkmächtige soziale, wenn auch nicht sinnlich wahrnehmbare Existenz 8, und damit eine eigene Realität 9, aufgrund welcher es nicht berechtigt erscheint, Organisationen als bloße „Abstraktion"10 oder „Fiktion" 11 zu verstehen 12.

7

Vgl. v. Lübtow, in FS Ernst Wolf, S. 450; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 3: „soziale Substrate". 8 Vgl. Beuthien, NJW 1999, 1143; Böckenförde, in FS Wolff, S. 277 („sozialer Komplex"); Bull, AllgVerwR, Rn. 133; v. Gierke , Das Wesen, S. 22 ff; Hoffmeister, Wörterbuch, Stichwort „Person", S. 458; Raiser , AcP 199 (1999), 108 („soziales Gebilde"). 9 Böckenförde, in FS Wolff, S. 292, 298; Raiser , AcP 199 (1999), 112, 133, 136. 10 Haenel, Das Gesetz, S. 231: „einseitige Abstraktion, die wir uns ... zur Erleichterung unseres Denkens und Sprechens bilden". 11 Zur Fiktionstheorie unten E.II.4.b.bb. 12 Gegen eine Reduzierung des Organisationsphänomens auf die rein rechtlichen Aspekte auch Böckenförde, in FS Wolff, S. 276 f., 292 ff; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 603 ff; ders., Das Wesen, S. 8 ff; G. Jellinek, System, S. 25; v. Lübtow, in

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

13

Wenn hier vom realen Substrat jeder Organisation gesprochen wird, so ist dies nicht im Sinne einer unveränderlichen Festlegung auf die jeweils einer Organisation zugehörigen Individuen zu verstehen. Tatsächlich zeigt nämlich die Beobachtung, daß die an einer bestimmten Organisation Beteiligten zumeist auswechselbar sind, daß also einzelne ausscheiden bzw. neu dazukommen können, ohne daß die betreffende Organisation nennenswert, wenn überhaupt, oder dauerhaft beeinträchtigt würde, und ohne daß man den Eindruck gewönne, es infolge solcher Vorgänge mit einer anderen Organisation zu tun zu haben, sondern man vielmehr ohne weiteres von der Identität der Organisation ausgeht13. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Organisationen, die im wesentlichen nach je gleichem Muster funktionieren, obschon sie individuell ganz anders zusammengesetzt sind. Die regelmäßig zu beobachtende Austauschbarkeit der an einer Organisation Beteiligten zeigt, daß die Betrachtung des Phänomens „Organisation" nicht bei der Feststellung ihres realen Substrats stehen bleiben kann, sondern daß es ein tiefer liegendes gedankliches Substrat der Organisation geben muß 14 , das man als das Organisationsprinzip bezeichnen kann, welches innerhalb der Organisation befolgt wird und das infolgedessen so mächtig wirkt und waltet, daß es sogar die Individualität der beteiligten Menschen zu überspielen vermag, und welches daher nicht minder das Wesen der Organisation ausmacht wie deren reales Substrat 15. Gewiß kann dies dauerhaft nur funktionieren, wenn das Organisationsprinzip genug Spielraum für Individualität beläßt, so daß nicht zu viele Menschen aus der Organisation hinaus- oder auf eine Änderung des Organisationsprinzips hinstreben, und wenn die von der Organisation verfolgten Angelegenheiten den Beteiligten in irgendeiner Weise zugute kommen, so daß sie die diesbezügliche Ein- und Unterordnung hinzunehmen bereit sind. Während die einzelnen Menschen, indem sie sich mit anderen zusammenschließen, zunächst ihre (gemeinsamen) Interessen und Angelegenheiten verfolgen, hat die Abstraktion und die Verselbständigung der Organisation zugleich die Abstraktion jener Interessen zur Folge: So wie vom einzelnen Mitglied abstrahiert wird, so muß auch von seinem je individuellen Interesse abstrahiert werden, weil dieses ja dem einzelnen Menschen anhaftet, und wenn dieser ohne Tangierung der Organisation austauschbar sein soll, dann muß dies auch für sein konkretes Interesse gelten. Das Interesse der Organisation stellt sich damit FS Ernst Wolf, S. 450; Raiser , AcP 199 (1999), 114; Wolff, Organschaft I, S. 207 ff., 216 f. 13 Vgl. G. Jellinek, System, S. 25. 14 Vgl. v. Gierke, Das Wesen, S. 20 f.: Wie sich die Identität und Persönlichkeit des Menschen nicht in seinem sichtbaren Körper erschöpft, so muß auch bei der Organisation das Sichtbare mit dem Unsichtbaren verknüpft werden, um deren ganzes Wesen zu erfassen. 15 Ähnlich Raiser, AcP 199(1999), 133.

14

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

letztlich als Resultante der zahlreichen Einzel- und Gruppeninteressen dar 16 , so daß die Organisation treffend als eine „zwar vielheitlich bewirkte, aber einheitlich wirkende" Einheit beschrieben wurde 17 . Das heißt nicht, daß es auf die jeweiligen Interessen der jeweils Betroffenen gar nicht ankäme. Aber wenn die Organisation so verfaßt sein muß, daß sie die Auswechslung einzelner überdauert, dann kann sie nicht auf jedes einzelne Interesse ihrer austauschbaren Mitglieder in seiner je individuellen Formulierung Bedacht nehmen, ja muß ihr als Allgemeininteresse begriffenes Interesse erforderlichenfalls auch gegen individuelle Interessen ihrer Angehörigen durchgesetzt werden 18. Erforderlich ist nur, daß die damit unvermeidliche Diskrepanz zwischen den Interessen der Organisation und den Interessen ihrer jeweiligen Mitglieder nicht unannehmbar groß wird. Bei der Betrachtung von Organisationen als Gesamtheiten von Menschen fällt ins Auge, daß sich in fast allen Organisationen eine oder mehrere Untereinheiten feststellen lassen, deren jeweilige Mitglieder einerseits untereinander durch besonders qualifizierte Kommunikationsprozesse verbunden und dadurch von den anderen Organisationszugehörigen abgehoben sind, und deren Wirken andererseits fur alle anderen von besonderer Bedeutung ist, weil sie diesen besonders wirkmächtige Verhaltensvorgaben machen können und auch müssen, soll der notwendige Zusammenhang (innerhalb) der Organisation ermöglicht und gesichert werden 19. Auch solche Wirkeinheiten (Organe) können in gewisser Weise als Organisationen verstanden werden, insofern sie die sämtlichen bislang genannten Organisationsmerkmale erfüllen 20. Gleichwohl sollte der Organisationsbegriff auf diejenigen Gesamtheiten von Menschen beschränkt bleiben, die in und für sich sinnvolle Produkte und Resultate hervorbringen können, was bei Subeinheiten, die lediglich einer solchen Gesamtheit zuarbeiten und deren Wirken allein in bezug auf die Gesamtheit und bei Einordnung in diese Sinn hat, gerade nicht der Fall ist 21 . Bei analytischer Betrachtung lassen sich Organisationen auf ihre einzelnen Wirkeinheiten (Organe) hin untersuchen. Ein analytischer Organisationsbegriff würde auf die Beschreibung der Organverhältnisse untereinander sowie zu den an der Organisation beteiligten Menschen zielen, mit anderen Worten auf die Organisationsstruktur. Analytisch läßt sich die Organisation daher als Inbegriff der wechselseitigen Beziehungen der Organe untereinander und zu den beteilig16

Vgl. Bull, AllgVerwR, Rn. 60, 235; G. Jellinek, System, S. 68 f.; vgl. hierzu auch unten E.I.2.b. 17 Böckenförde, in FS Wolff, S. 292. 18 G. Jellinek, System, S. 69. 19 Böckenförde, in FS Wolff, S. 293. 20 Vgl. Böckenförde, in FS Wolff, S. 299. 21 S. unten A.I.2.b.bb.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

15

ten Menschen verstehen 22. Die gedanklich abstrakte Formulierung dieser Organisationsstruktur stellt die Verfassung der Organisation dar, wobei zum einen die Verfassung im realen Sinn, der Verfassungswirklichkeit nach, betrachtet werden kann, nämlich der tatsächliche intern strukturierte Zustand der Organisation, zum anderen die Verfassung aber auch normativ verstanden werden kann als der Inbegriff der den Aufbau, die Struktur und die Funktionsweise der Organisation (grundlegend) regelnden Rechtssätze23. Schließlich kann man noch einen dynamischen Organisationsbegriff bilden, indem „Organisation" nicht statisch begriffen wird - sei es beschreibend, abstrahierend oder analysierend - , sondern als dynamischer Vorgang, als Akt des Organisierens, als auf die Herstellung bestimmter Beziehungen zwischen Menschen respektive Organen und die Bildung einer Organisation gerichtete Tätigkeit 24 . Die Vieldeutigkeit des Organisationsbegriffs spiegelt lediglich die Vielgestaltigkeit des Phänomens der Organisation wider, die anders erscheint, je nachdem ob man den Blick eher deskriptiv und explikativ auf konkret beteiligte Menschen und ihre wechselseitigen Beziehungen und Verhaltensweisen lenkt, oder ob man von diesen abstrahiert und sich mit der Struktur und der Funktionsweise der Organisation als gedanklichem Substrat sowie ihrer Gliederung in Organe und deren Zusammenspiel befaßt. Im folgenden soll ein diese verschiedenen Aspekte vereinigender Organisationsbegriff zugrunde gelegt werden. Unter einer Organisation soll daher ein gedanklich abstrahiertes Substrat einer in bestimmter Weise handelnden Gesamtheit von Menschen verstanden werden, die durch ein Organisationsprinzip derart verbunden sind, daß die Individualität aller Beteiligten zurücktritt und die Organisation zu einer sozial existenten verselbständigten Einheit mit effektiver Wirkmächtigkeit wird.

b) Rechtliche Kategor is ierung der Organisationen Organisationen stellen nicht lediglich Faktoren der sozialen Wirklichkeit dar, vielmehr ist ihre Existenz eine Vorgabe fur die Rechtsordnung 25. So wie die Rechtsordnung eine Antwort auf die Existenz von Menschen geben muß, so muß sie auch der Existenz von Organisationen Rechnung tragen. Der entscheidende Anknüpfungspunkt, Regelungen über Organisationen zu treffen, ist nach 22

Vgl. Wolff

Organschaft I, S. 192 Fn. 3; Wolff/Bachof

Verwaltungsrecht II, § 71 II

b 1. 23

Vgl. Böckenförde, in FS Wolff, S. 293 f.; Groß, Kollegialprinzip, S. 13; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 543; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 II c. 24 Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 51 Rn. 1; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, §71 II d 1. 25 Vgl. v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 632, 707 ff.

16

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

dem Vorstehenden das Organisationsprinzip, da sich hierin die Wirkmacht der Organisation erweist und es daher in erster Linie das Interesse der Rechtsordnung verdient. Insoweit dieses Organisationsprinzip eng mit der Organisationsstruktur verknüpft ist - hierdurch werden die internen Kommunikationsabläufe maßgeblich mitbestimmt - gehören auch Strukturfragen zu den zentralen Regelungsgegenständen. Es ist hier nicht möglich, einen vollständigen Überblick über sämtliche Organisationsformen zu geben, da diese - entsprechend den verschiedenen Bedürfnissen - sehr unterschiedliche Ausgestaltungen annehmen können. Zur Klärung zu verwendender Begriffe und zum besseren Verständnis des Ganzen sei immerhin so viel gesagt: Der Rechtsordnung stünde es zwar theoretisch frei, rein fiktive Gebilde zu kreieren, denen kein soziales Substrat entspricht und an denen in der Lebenswirklichkeit niemand interessiert ist. Sinnvoll wäre eine solche Kreation freilich nicht. Vielmehr muß jeder Organisation letztlich ein soziales Substrat in der Lebenswirklichkeit entsprechen, welches die Organisation trägt und sie mit einem im sozialen Sinn verstandenen „Leben" erfüllen kann. Allein Organisationen dieser Art sind als sozial sinnvoll oder gar notwendig rechtlicher Anerkennung würdig. Alle Organisationen entstehen durch Personen, die sich zur Verfolgung eines mehr oder weniger bestimmten Zweck zusammenschließen oder die einen Zweck verselbständigen 26. Bei diesen die Organisation mit einem sozialen Sinn erfüllenden Personen ist die Frage der Trägerschaft angesprochen, wobei die Trägerschaft der Organisation nicht damit zu verwechseln ist, ob und inwieweit die Mitglieder je einzeln für sich bzw. in ihrer Gesamtheit oder aber die Organisation Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Letzteres ist eine Frage der normativen Ausgestaltung, namentlich der Frage der Rechtsfähigkeit, die je nach Art der Organisation unterschiedlich sein kann 27 . Die Trägerschaft der Organisation soll lediglich angeben, wem die Kreation und das Arbeiten der Organisation der sozialen und hieran anknüpfend auch der normativen Sinnbedeutung nach zuzurechnen ist. Je nachdem, ob hiernach das Gewicht mehr auf den die Organisation konstituierenden Mitgliedern oder mehr auf dem in der Organisation verselbständigten Zweck liegt, lassen sich mitgliedschaftlich oder herrschaftlich verfaßte Organisationen unterscheiden.

aa) Mitgliedschaftlich verfaßte Organisationen Mitgliedschaftlich verfaßte Organisationen (Verbände) zeichnen sich dadurch aus, daß „sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen oder Perso26 27

Vgl. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 180 f. Hierzu näher unten E.II.4.b.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

17

nenvereinigungen für längere Zeit zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks ... zusammenschließt und einer einheitlichen Willensbildung unterwirft" 2 8 , daß aber trotz dieser Unterwerfung unter den Organisationswillen von der Zielsetzung der Organisation her die Mitglieder

i m Vordergrund stehen, die einen be-

stimmten zumeist egoistischen, seltener auch altruistischen Zweck verfolgen. Den oft zahlreichen Mitgliedern, denen die Tätigkeit der betreffenden Organisation nach deren Zweck in erster Linie zugute kommen soll, ziehen diese Nutznießung unmittelbar kraft ihrer Mitgliedschaft. Die Gesamtheit der Mitglieder ist als Träger der Organisation anzusehen 29 . Je nach der Nähebeziehung des Verbandes zu der i m sozialen Sinn als Träger anzusehenden Mitgliedern und dem sich daraus ergebenden Maß an Abhängigkeit desselben von seinem M i t gliederbestand und damit der Bedeutung, die der Individualität seiner Mitglieder zukommt, lassen sich zwei Formen unterscheiden: Körperschaften und Personengesellschaften 30 . Zwar sind auch Körperschaften in ihrer Existenz von Mitgliedern abhängig, doch kommt es hier nicht auf die konkrete Individualität der Mitglieder, sondern bloß auf deren Existenz in fur das Funktionieren der Körperschaft genügender Zahl an. Die Körperschaft ist so weitgehend von ihren Mitgliedern verselbständigt, daß auch ein zahlenmäßig bedeutender Wechsel im Mitgliederbestand die Körperschaft als solche nicht unmittelbar berührt (freilich können sich die Zielsetzungen der Körperschaft ändern, wenn sich die Zusammensetzung der Mitgliederschaft ändert, weil dann andere Interessen in den Vordergrund treten können). Eine solche Unabhängigkeit des Verbandes von der Mitgliederschaft und damit eine Körperschaft findet sich vor allem dort, wo die Zahl der Mitglieder sehr groß ist; denn naturgemäß kann dem einzelnen Mitglied dann keine große Bedeutung mehr zukommen und ein Wechsel in der Mitgliederschaft keinen die Körperschaft als solche gefährdenden Charakter annehmen. Körperschaften erscheinen vor allem als Personal- oder als Gebietskörperschaften, wobei letztere einen starken personalen Einschlag aufweisen können, wenn die volle Mitgliedschaft an eine Koppelung von Gebietszugehörigkeit und bestimmten persönlichen Eigenschaften geknüpft ist. Verbände, in denen die Zahl der Mitglieder überschaubar, in der Regel sogar klein ist, so daß die Individualität und die persönlichen Eigenschaften der Mitglieder viel stärker in den Vordergrund treten als bei mitgliederstarken Körperschaften, können als Personengesellschaften konstituiert sein. Diese betonen mehr als Körperschaften ihre je individuellen Mitglieder und erschweren daher auch den Mitgliederwechsel (Eintritt, Austritt, Nachfolge, Ersetzung), indem sie ihn an bestimmte enge Bedingungen knüpfen oder von der Zustimmung der (Mehrheit der) übrigen Mitglieder (Gesellschafter) ab-

28

BVerwGE 106, 177, 181; vgl. ferner Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 179 ff.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 III b 1. 29 Vgl. Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 III b 1; VGH München, NVwZ-RR 1999, 141, 143 (fur den Zweckverband als Zusammenschluß kommunaler Gebietskörperschaften). 30 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 III b 1. 31 Zum Begriff der Körperschaft Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 37 ff.; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 11 ff.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 84 II. 4 Roth

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

18

hängig machen32. Erscheint die Individualität der Mitglieder als besonders wichtig, kann sogar das Fortbestehen der Personengesellschaft an die unveränderte Zusammensetzung der Mitgliederschaft geknüpft sein. Bei einer Körperschaft ist dies nicht möglich; wäre der Mitgliedschaft einzelner eine solche Bedeutung zugemessen, so handelte es sich um keine Körperschaft mehr, sondern eben um eine Personengesellschaft.

bb) Herrschaftlich verfaßte Organisationen Herrschaftlich verfaßte Organisationen unterscheiden sich von den Verbänden dadurch, daß bei ihnen nicht Personen als Mitglieder i m Vordergrund stehen, sondern vielmehr der Zweck, der mittels der Organisation verfolgt w i r d 3 3 . Derartige Organisationen werden nicht von Mitgliedern getragen, sondern vielmehr von einer oder mehreren Personen gegründet und mit personellen und sachlichen Mitteln ausgestattet, um bestimmte Zwecke zu verfolgen, deren Nutznießung nicht oder jedenfalls nicht vorrangig ihren externen Trägern zugute kommen soll und auch nicht unmittelbar aus der Trägerschaft fließt, sondern an die Erfüllung bestimmter Bedingungen geknüpft ist. „Herrschaftlich" verfaßt ist eine solche Organisation deshalb zu nennen, w e i l ihre Träger, wenn sie auch nicht die primären Nutznießer sein sollen, doch immerhin die Herrschaft über ihre Organisation behalten wollen. V o r allem nach dem Grad der Herrschaft der Träger über die Organisation lassen sich Anstalten und Stiftungen unterscheiden. Anstalten 34 haben einen gegenständlich beschränkten und weitgehend verselbständigten Zweck, doch ist bei ihnen noch ein personaler Träger vorhanden, dessen andauernder Einflußnahme und Dispositionsbefugnis Zweckbestimmung und Fortbestand der Anstalt unterworfen bleiben35. Der mit der Anstalt verfolgte Zweck ist damit zwar in gewissem Maße, aber doch nicht gänzlich verselbständigt, sondern bleibt der Herrschaft ihres Trägers unterworfen, und dieser kann daher bestimmen, wer zu welchen Bedingungen als Benutzer der Anstalt in den Genuß ihrer Leistungen kommen soll. Stiftungen 36 hingegen haben einen gänzlich verselbständigten Zweck und besitzen anders als Anstalten keinen personalen Träger, sondern stellen auf einem einmalig gestifteten Vermögen und seinen Erträgnissen oder auf sukzessiven Vermögenszuwendungen beruhende rechtlich verselbständigte Vermögensmassen dar, die ihrerseits zu eigenen apersonalen Trägern ausgeformt sind. Die Stiftung stellt also „keinen personellen Zusammenschluß dar und weist keine verbandsmäßige Organisation auf, sondern ist eine auf Ausstattung mit einem Vermögen angelegte selbständige juristische Person zur Er32

Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 71 III b 1 ß. Vgl. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S., 183 ff.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, §71 III b 2. 34 Zum Begriff der Anstalt Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 46; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 15; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 98 I. 3r Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 102 II a 3. 36 Zum Begriff der Stiftung Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 55; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 20; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 102 II. 33

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

19

reichung eines dauernden Zwecks, der gerade durch den Willen des Errichters festgesetzt wird" 37 . Stiftungen sind damit reine Verwaltungsorganisationen, mit deren Hilfe der vom Stifter gewollte Zweck verwirklicht wird 38 , indem sie ihre jeweiligen Vermögensmassen zu dem Stiftungszweck verwenden, der darin besteht, den bei der Errichtung der Stiftung bestimmten Destinatären unter den festgesetzten Voraussetzungen Wohltaten zukommen zu lassen. Mit dem Vollzug der Stiftung (Gründung durch Gesetz, Genehmigung einer privatrechtlichen Stiftung) wird der Stiftungszweck dauerhaft festgelegt und weitestgehend gegen spätere Änderungen immunisiert, und zwar auch gegen nachträgliche Eingriffe seitens des Stifters selbst. „Die durch den Stifterwillen festgelegte Zielsetzung der Stiftung ist damit unabhängig von den Veränderungen der äußeren Umstände, vom Verhalten der Stifter und von den in ihr wirkenden Organen. Insofern ist die Stiftung sozusagen ein 'Selbstläufer' nach der Art einer einmal ins Rollen gebrachten Kugel" 39 . Lediglich wenn die Erfüllung des bisherigen Zwecks unmöglich geworden ist oder das Gemeinwohl gefährden würde (§ 87 Abs. 1 BGB), sind spätere Änderungen des Stiftungszwecks zulässig, jedoch muß auch bei einer solchen etwa erforderlich werdenden Zweckanpassung oder -änderung dem tatsächlichen und mutmaßlichen Willen des Stifters (§ 2 StiftungsG BW) soweit als möglich Rechnung getragen werden 40 (vgl. § 87 Abs. 2 BGB). Indem der Stifter sich selbst - zugleich mit Wirkung für seine Rechtsnachfolger - der weiteren Herrschaft über den Stiftungszweck entäußert und dadurch ein sozusagen verselbständigter und objektivierter Stiftungswille entsteht41, wird eine Perpetuierung des historischen Stifterwillens erreicht und die Rechtsfigur des mit einem Willen ausgestatteten Vermögens geschaffen.

c) Beschränkung

auf verwaltungsrechtliche

Organstreitigkeiten

Die bisher gegebene Beschreibung trifft auf sämtliche Organisationen zu, gleich ob sie dem öffentlichen oder dem Zivilrecht unterstehen, und von daher ließe sich i m weiteren auch eine allgemeine Definition des Organbegriffs und eine allgemeine Beschreibung der Organstreitigkeiten entwickeln. Da sich diese Arbeit jedoch auf die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten zu beschränken hat, sollen nur die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und deren Organe betrachtet werden. Denn obwohl die j e nach ihrer Einordnung in die verschiedenen Rechtsgebiete zu unterscheidenden zivilund gesellschaftsrechtlichen

Organstreitigkeiten

von Vereins-

und

Gesell-

schaftsorganen 42 , europarechtlichen Organstreitigkeiten zwischen und innerhalb

37

BVerwGE 106, 177, 185. BGHZ 99, 344, 350. 39 BVerwGE 106, 177, 185. 40 Vgl. BGHZ 99, 344, 348 f. 41 BGHZ 99, 344, 348. 42 Zu den - sich übrigens in Anlehnung an die seit langem geführte Diskussion verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten erst in vergleichsweise jüngerer Zeit entwickelnden (U. Bauer, Organklagen, S. 27; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 IV 2 a; krit. Hüffer, AktG, § 90 Rn. 23) - noch heftig umstrittenen gesellschaftsrechtlichen Organstreitigkeiten vgl. etwa U. Bauer, Organklagen, S. 14 ff; Hoffmann38

20

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

von Organen der Europäischen Union 43 , sowie eben die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten phänomenologisch in vielen Punkten vergleichbar sind, können sie doch schon angesichts der unterschiedlichen Rechtslage nicht allesamt rechtlich gleich behandelt werden. Mit der Einordnung einer Organstreitigkeit in ein bestimmtes Rechtsgebiet - Vereins-, Handels·, Gesellschaftsrecht, Europarecht, Verfassungs- oder (besonderes) Verwaltungsrecht - ist stets zugleich eine Aussage darüber verbunden, nach welchen prozeß- und materiellrechtlichen Regelungen die betreffende Organstreitigkeit auszutragen und zu entscheiden ist, und von daher müßte eine übergreifende Darstellung unweigerlich übermäßig abstrakt werden und die rechtliche Argumentation anhand konkreter Gesetzesbestimmungen und Beispielsfälle erschweren. Unter die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten sind diejenigen zu rechnen, bei denen die Organisation insgesamt sowie die Konstituierung und damit die Funktionsweise ihrer Organe und Organteile verwaltungsrechtlichen, namentlich etwa kommunal-, hochschul- und rundfunkrechtlichen Bestimmungen untersteht. Materiell sind derartige Streitigkeiten nach den jeweils einschlägigen verwaltungs-, also z.B. kommunal-, hochschul- und rundfunkverfassungsrechtlichen Regelungen zu beurteilen. Prozessual kommt ihre Entscheidung, sofern sie überhaupt möglich sein sollte, allein im Verwaltungsstreitverfahren in Betracht. Denn von allen Prozeßordnungen bietet sich ersichtlich am ehesten die VwGO für die Austragung von Streitigkeiten zwischen oder innerhalb von Organen von Verwaltungsträgern an, und in der Tat wird bei Organstreitigkeiten im Bereich der Kommunen, staatlichen Hochschulen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten allein eine Entscheidung im Verwaltungsrechtsweg in Betracht gezogen. Freilich sind - wie schon ein kursorischer Blick über die VwGO zeigt - die ausdrücklichen prozessualen Regelungen gerade für diesen Problembereich besonders spärlich, zumal verglichen mit den recht detaillierten Regelungen, die für verfassungsrechtliche Organstreitigkeiten bestehen. Deshalb werfen sich

Becking , in MünchHdbGesR IV, § 33 Rn. 55 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 14 IV 2; ablehnend BGHZ 122, 342, 344 f.; OLG Hamburg, DB 1992, 774; Flume , BGB AT 1/2, S. 405 ff.; Hüffer, AktG, § 90 Rn. 18 ff.; Mertens, in KölnKomm AktG, vor § 76 Rn. 4 ff. („Schreckbild"). 43 Zu den sich auf Art. 230 Abs. 1-3 (ex-Art. 173 Abs. 1-3) EGV stützenden europarechtlichen Organstreitigkeiten vgl. EuGH, Slg. 1990, 1-2067, 2072 Tz. 16 ff.; Slg. 1994, 1-653, 657 Tz. 8 ff. - Parlament/Rat; Slg. 1995, I 2019, 2045 Tz. 10 ff. - Parlament/Kommission; Bleckmann, Europarecht, Rn. 836 ff., 845; Borchardt, in Lenz, EGV, Art. 230 Rn. 5, 24, 26; Cremer, in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 230 Rn. 4 ff.; Geiger, EGV, Art. 173 Rn. 14; Oppermann, Europarecht, Rn. 740 ff.; Schoo, EuGRZ 1990, 528 ff., 532 f.; Triantafyllou, DÖV 1990, 1040 ff., 1045; Wenig, in Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 173 EGV (2. Lfg.) Rn. 2 ff.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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diesbezüglich über die ohnehin ubiquitären Detailprobleme hinaus eine ganze Reihe sehr grundsätzlicher Fragen auf. Von vorrangigem praktischen Interesse im Kontext der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten sind Streitigkeiten von Organen der Gebietskörperschaften, und zwar auf kommunaler Ebene (Gemeinden, Gemeindeverbände, Landkreise) als Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten. Größere praktische Relevanz kommt ferner den Hochschulverfassungsorganstreitigkeiten bei den Universitäten und Fachhochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu. Geringere Bedeutung besitzen Organstreitigkeiten bei Anstalten und noch weniger bei Stiftungen, doch spielen jedenfalls die Anstaltsverfassungsorganstreitigkeiten in Gestalt von Organstreitigkeiten bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie bei den Sparkassen als rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts (§ 1 SparkG BW) in der Praxis eine gewisse Rolle 44 .

2. Der Begriff des Organs Daß Organisationen unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung nicht ohne Organe auskommen und daß diese wiederum mit Organwaltern ausgestattet sein müssen, ist allgemeiner Kenntnisstand45 und als solches nicht mehr begründungsbedürftig. Indessen bestehen bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung in der Sache zahlreiche begriffliche Unklarheiten, auf deren Klärung in einer Arbeit, in welcher der Organbegriff einen so zentralen Platz einnimmt, nicht verzichtet werden kann, zumal sich diese Verständnisprobleme auch auf die dogmatische Behandlung der Organstreitigkeiten auswirken.

a) Notwendigkeit

von Organen und Organwaltern

Organisationen kommt zwar eine reale Existenz zu, insoweit sich ihre Wirkmächtigkeit an den Kommunikationen und Verhaltensweisen der sie konstituierenden Menschen auch äußerlich ablesen läßt 46 . Die natürliche, physische wie psychische Existenz der Organisation erschöpft sich jedoch in den Menschen, die Existenz der Organisation ist eine zwar reale, aber doch nur durch gedankliche Abstraktion erfaßbare. In natura kann die Organisation hingegen weder handeln noch kann sie einen Willen im natürlichen Sinn herausbilden; denn 44

Zu einem Organstreit innerhalb des Studentenwerkes als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284. 45 Vgl. hierzu G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 205, 220; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 544; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 19 ff.; Wolff, Organschaft II, S. 230 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, §§ 74 ff. 46 Vgl. oben A.I.l.a.

22

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Wollen und Handeln können nur Menschen47. Indessen wäre es allenfalls bei sehr kleinen Organisationen praktikabel, sämtliche in Verfolg der Organisationszwecke erforderlichen Handlungen und Willensakte durch alle die Organisation Tragenden unmittelbar selbst zusammen vornehmen zu lassen, und schon hier müßte ein solches Organisationsprinzip als wenig zweckmäßig erscheinen, da die Organisation ihre Berechtigung ja gerade in der Ermöglichung koordiniert arbeitsteiligen Zusammenwirkens erfährt, welche Errungenschaft weitgehend aufgegeben würde, wenn doch stets alle zusammen agieren müßten. Jedenfalls ab einer gewissen Größe ist eine solche Vorstellung gänzlich ausgeschlossen; das Erfordernis eines fortwährenden Mitwirkens aller bedeutete das Ende der Organisation. Diese Feststellung schließt freilich nicht aus, für einzelne Fälle eine solche allgemeine Mitwirkung vorzusehen, namentlich wenn diese von besonderer Bedeutung für die Organisation und ihre Träger sind. Für den Regelfall indes bedarf es einzelner Menschen, die die für das Funktionieren der Organisation erforderlichen Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen. Hierzu zählen namentlich die nähere Festlegung, Regelung und Überwachung der organisationsinternen Funktionsabläufe, gegebenenfalls auch die Bestimmung der konkreten Tätigkeitsziele und Vorhaben der Organisation, und schließlich die etwa erforderliche Repräsentation und Vertretung der Organisation gegenüber ihren einzelnen Mitgliedern sowie im Verhältnis zu außenstehenden Nichtmitgliedern bzw. den Benutzern und Destinataren. Freilich können diese Aufgaben nicht einzelnen Menschen in ihrer je höchstpersönlichen Kapazität obliegen. Eine Zuweisung der Aufgaben und Befugnisse an individuelle Menschen entsprechend ihren zufälligen individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften gäbe zum einen das mit dem Organisationsbegriff erreichte Abstraktionsniveau wieder auf. Vor allem aber hätte dies den praktisch gravierenden Nachteil, daß mit dem Ausscheiden des höchstpersönlich Zuständigen dessen Zuständigkeiten ohne weiteres entfielen, und die bislang von diesem wahrgenommenen Aufgaben dann erst erneut verteilt und zugewiesen werden müßten, was ein zu hohes Maß an Ineffektivität und Instabilität mit sich brächte. Die erforderliche Kontinuität der Tätigkeit einer Organisation läßt sich ab einer gewissen Größe der Organisation, Komplexität ihrer Aufgaben sowie 47

G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 205; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 540; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 179 f.; Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 19; Roth, Faktische Eingriffe, S. 106; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 73 III a, § 74 V. Desgleichen v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 696 Fn. 1 : „Jede Aktion durch Wort, Schrift oder sonstiges leibliches Handeln muss durch Mund oder Hand von Einzelpersonen erfolgen"; insofern dürfte seine oft kritisierte These, Organisationen käme eine reale Willens· und Handlungsfähigkeit zu (ebd., S. 603 ff.), auf einer gewissen Zuspitzung seines Verständnisses der Verhaltensanrechnung vom Organwalter zur Organisation (dazu sogleich nachfolgend im Text) beruhen, ohne sachlich oder im Ergebnis von der h.M. abzuweichen.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

23

einem höheren Entwicklungsstand der Gesellschaft unter der Voraussetzung eines Mindestmaßes juristischen Abstraktionsvermögens 48 nur noch durch die gedankliche Unterscheidung von Organ und Organwalter 49 erreichen, weil hier-

48 Anders beurteilt dies G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 540: „Die Vorstellung, daß die Handlungen einzelner Menschen nicht nur als solche, sondern zugleich auch als Handlungen eines Verbandes gelten, dem sie angehören, entspringt durchaus nicht erst der Reflexion des juristisch geschulten Denkens höherer Kulturstufen. Sie gehört im Gegenteil bereits den naiven sozialen Begriffen der Naturvölker an, und heute noch ist in Nachwirkung primitiver Ideen das populäre Denken tief von ihr beeinflußt. Ursprünglich gilt jede nach außen hin wirkende Handlung des Mitgliedes einer sozialen Gruppe als Handlung der Gruppe selbst. Für die Missetat des einzelnen haftet daher die Familie, die Sippe, der Stamm derart, daß das Delikt der Gesamtheit zugerechnet wird". - Hiergegen ist einzuwenden, daß in solchen Gesellschaften die Handlungen einzelner Menschen nicht lediglich ihrem Verband „zugerechnet" werden und als solche des Verbandes „gelten", sondern daß sie vielmehr Handlungen des Verbandes „sind". Es stellt einen großen Unterschied dar, ob der konkret handelnde Mensch als selbständiges Individuum aufgefaßt wird - denn nur solchenfalls stellt sich überhaupt ernstlich die Frage, ob seine Handlung einer Organisation anzurechnen ist - oder ob jener Mensch ohnehin nur als unselbständiger Teil der Organisation betrachtet wird - denn dann ergibt sich die Verantwortlichkeit der Organisation eo ipso, und zwar nicht im Wege der Anrechnung, sondern weil sie selbst gehandelt hat. Sippenhaft, Stammesfehden und der als eine „Form der Gesamthaftung" geführte Krieg (ebd., S. 540) erscheinen nur deswegen als Ungeheuerlichkeit, wenn und weil man die Individualität des Normbrechers anerkennt und sich dann die - selbstverständlich zu verneinende - Frage stellt, ob es legitim sein kann, qua Anrechnung dieses Verstoßes den ganzen Verband oder zufällig aus diesem herausgegriffene Mitglieder desselben mit Unheil zu überziehen. Kennt man hingegen kein Konzept der Individualität, dann ist die Vergeltung gegenüber dem gesamten Verband die geradezu logisch zwingende Konsequenz: Ohne Individualität hat eben nur „irgendeiner" aus dem feindlichen Verband das Verbrechen begangen, und dafür muß eben „irgendeiner" aus diesem Verband oder gar dieser Verband selber büßen (vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 404). Erst unter Zugrundelegen einer gewissen individualistischen Sichtweise (vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 541) kommen überhaupt Bedenken auf, für ein Verbrechen des X den Y büßen zu lassen, nur weil beide demselben Verband angehören. Es ist deshalb der Sache nach etwas ganz anderes, ob sich die Verantwortung einer Organisation unmittelbar daraus ergibt, daß eines ihrer Teile gehandelt hat, oder ob diese erst aus der Anrechnung der Handlung selbständiger Individuen erwächst. Praktische Bedeutung gewinnt dieser Unterschied vor allem darin, daß die Anrechnungskonzeption eine ultra vires-Doktrin möglich macht, wonach bestimmte Handlungen eines einzelnen so sehr außerhalb des ihm zugewiesenen Aufgabenbereiches liegen, daß die Anrechnung seiner Handlung und damit eine Verantwortlichkeit der Organisation ausscheiden. Die Differenzierung von Individuum und Organisation sowie die Kategorie der Handlungsanrechnung setzen aber entgegen der Einschätzung G. Jellineks eben sehr wohl ein gewisses juristisches Abstraktionsniveau voraus. 49

Vgl. hierzu Beuthien, NJW 1999, 1143; Böckenförde, in FS Wolff, S. 270 ff; Bull, AllgVerwR, Rn. 144; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 559 f.; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 30, 35; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 26; Thoma, HdbDStR II,

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

durch ein Wechsel der die Aufgaben des Organs wahrnehmenden Menschen möglich wird, ohne daß davon der Bestand des Organs und damit letztlich der Organisation beeinträchtigt würde 50 . Ja selbst wenn gleichzeitig sämtliche Organwalter aus einem Organ ausschieden, so bestünde dieses doch fort; das Organ müßte solchenfalls wieder mit Organwaltern besetzt, nicht aber neu konstituiert werden 51. Es ist zwar möglich, daß einem Organwalter ein Recht darauf zusteht, als Organwalter in einem bestimmten Organ wirken zu können - beispielsweise aufgrund einer Wahl, Ernennung oder Berufung - , doch dieses etwaige Recht des Organwalters auf Organstellung 52 ist streng zu unterscheiden von der dem Organ selbst zugewiesenen Organstellung 53. Der Organisation werden also zur Realisierung ihres Tätigkeitsbedarfs Organe zugeordnet und die Organe wiederum mit Organwaltern besetzt. Die Handlungs- und Willensfähigkeit einer Organisation im Rechtsverkehr wird so im Wege einer zweifachen Anrechnung hergestellt 54: Zunächst wird das Handeln bzw. Wollen der zu Organwaltern bestellten55 Personen dem Organ, dem die Organwalter angehören, als Handlung oder Wille des Organs angerechnet, und sodann wird dieses Organhandeln bzw. dieser Organwille der Organisation, die Trägerin des betreffenden Organs ist, als deren eigenes Handeln oder Wollen angerechnet. Überwiegend wird diesbezüglich davon gesprochen, der Organisation würde das Organhandeln und dem Organ seinerseits das Handeln der Organwalter „zugerechnet" 56. Der Begriff der Zurechnung trägt jedoch die Vorstellung von et-

S. 614; Wolff, Organschaft II, S. 228 f.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 73 I c 1, III a, b, § 74 I e, IV b, V; a.A. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 190 ff. 50 Vgl. Beuthien, NJW 1999, 1144; Bull, AllgVerwR, Rn. 142; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 562 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 I f 6. 51 Beuthien, NJW 1999, 1144. 52 Hierzu unten A.II.4.a. 53 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561 f. 54 Vgl. Böckenförde, in FS Wolff, S. 270 ff.; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 19; Schnapp, Amtsrecht, S. 94; Wolff Organschaft II, S. 242 f., 246 f.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 73 III d; ferner G. Jellinek, System, S. 29 f. 55 Zu der Bestellung zur Erledigung von Aufgaben der Organisation als notwendige Voraussetzung der Anrechnung des Organwalterverhaltens vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 159 f., 299; Maurer, AllgVerwR, § 25 Rn. 12; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 189; Palandt/Thomas, BGB, § 839 Rn. 29; Roth, Faktische Eingriffe, S. 107; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 64 II g. 5 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 39; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 169 f.; Ρalandt/Heinrichs, BGB, § 31 Rn. 1; Schnapp, Amtsrecht, S. 94; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 20; Wolff Organschaft II, S. 235; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 32 II b 2 (unter - s. sofort nachfolgend - unzutreffender Berufung auf die Terminologie von Kant, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, AB 22 = Akad. S. 223); dies., Verwaltungsrecht II, § 74 V d.

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was Getrenntem in sich, welche Distanz erst durch eine zusammenführende gedankliche Leistung überwunden werden muß, sei es wie im Falle der Zurechnung einer Wirkung zu einer Ursache 57, oder der Zurechnung des Handelns einer Person zu dem Rechtskreis einer anderen. Doch so wie man nicht davon sprechen kann, einem Menschen werde sein eigenes Handeln „zugerechnet" nur die Folgen seines Handelns können ihm zugerechnet werden - , so wäre eine solche Vorstellung auch im Verhältnis von Organwalter und Organ bzw. Organ und Organisation unzutreffend. Vielmehr ist hier das Handeln und Wollen des Organwalters dem Organ und durch dieses dann der Organisation rechtlich unmittelbar „zugeordnet" 58 , wird das Organ(walter)verhalten ohne weiteres als eigenes Verhalten der Organisation betrachtet 59. Um diesen Sachverhalt auch terminologisch deutlich zu machen, wird hier von Anrechnung gesprochen 60. Voraussetzung für diese doppelte Anrechnung ist allerdings, daß der Organwalter „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen" (vgl. § 31 BGB) oder, wie es auch heißt, „in Ausübung" des ihm anvertrauten Amtes (vgl. Art. 34 GG) gehandelt hat. Es ist nämlich erforderlich, das der privaten Sphäre des Organwalters zugehörige Handeln von demjenigen abzugrenzen, das dem Organ anzurechnen ist 61 . Denn jede Bestellung zum Organwalter ist auf ein funktional beschränktes Wirkungsgebiet bezogen und der Betroffene verliert deshalb durch seine Bestellung zum Organwalter nicht die Fähigkeit, weiterhin auch in persönlicher Eigenschaft und damit jenseits der Wirkung seiner Bestellung handeln zu können62. Infolgedessen kann „auch im Dienst eine dienstfremde Handlung" vorgenommen werden 63, und deshalb bedarf es der Abgrenzung des privaten von dem organwalterischen Tätigkeitskreis. Ob ein Handeln (noch) in „amtlicher Eigenschaft" 64 und in Ausübung der dem Organwalter als solches übertragenen Aufgaben erfolgt, kann im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein. Allein daß der Organwalter seine Befugnisse überschritten und seine Pflichten gegenüber dem Organ bzw. der Organisation, 57 Kant, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, AB 22 = Akad. S. 223; vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 154 Anm.*. 58 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 170; Löer, Kontrolle, S. 23; Maurer, AllgVerwR, Verwaltungsrecht II, § 73 III d. § 21 Rn. 19; Wolff/Bachof 59 Zum Wesen organschaftlichen Handelns vgl. Beuthien, NJW 1999, 1142 ff.; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 623 ff., 672 f.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 I f 1. 60 Roth, Faktische Eingriffe, S. 107. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 154 spricht hier von „Zuschreibung". 61 Roth, Faktische Eingriffe, S. 107; Wolff Organschaft II, S. 235; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 45 I c; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 44 Rn. 13. 62 Vgl. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 190; Wolff Organschaft II, S. 230. 63 RGZ 159, 235, 238; BGHZ 11, 181, 186. 64 RGSt 1, 124.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

für die er seines Amtes walten soll, verletzt hat, verhindert nämlich die Anrechnung nicht, sofern nur das Handeln überhaupt noch in den ihm zugewiesenen Wirkungskreis fällt 65 . Denn „der Begriff der amtlichen Eigenschaft ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriffe der amtlichen Zuständigkeit. Ersterer geht über die Grenzen des letzteren hinaus und legt den Schwerpunkt auf das amtliche Handeln" 66 . An dem nötigen „inneren Zusammenhang"67 fehlt es erst dann, wenn das Handeln so sehr den allgemeinen Rahmen des dem Organwalter übertragenen Aufgabenkreises überschreitet, daß auch aus Sicht von Außenstehenden der Schluß geboten ist, der Organwalter habe nicht in Ausführung seiner Aufgaben, sondern nur bei Gelegenheit derselben gehandelt68. Diese Abgrenzung ist in vorliegendem Zusammenhang deshalb von Bedeutung, weil eine Handlung, die den inneren Bezug zu einer amtlichen Tätigkeit verläßt und deshalb allein dem privaten Bereich zugehört, schon deshalb keine Organstreitigkeit auslösen kann, weil Streitigkeiten um derartige Handlungen im Zivilrechtsweg auszutragen sind 69 . So fehlt es beispielsweise mangels amtlicher Eigenschaft der Äußerung an einem Organhandeln, wenn ein Gemeinderatsmitglied den Bürgermeister oder ein anderes Gemeinderatsmitglied aus rein privaten Gründen beleidigt, selbst wenn dies im zeitlichen Rahmen einer Gemeinderatssitzung erfolgt; die Gekränkten können solchenfalls gegen den Beleidiger allein vor den Zivilgerichten vorgehen 70. Dies gilt auch, wenn die ehrkränkende Äußerung zwar mit Blick auf die Amtsführung des anderen erfolgte, selbst aber nicht den Anspruch einer amtlichen Stellungnahme erhebt, sondern sich in persönlichen Invektiven erschöpft 71.

65

BGHZ 98, 148, 151 f.; 99, 298, 299 f.; Wolff Organschaft II, S. 241 f.; Wolff/ Bachof Verwaltungsrecht I, § 64 II d; a.A. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 48 f.; G. Jellinek, System, S. 243 f. 66 RGSt 1, 124, 125. 67 Vgl. BGHZ 11, 181, 185 ff.; 42, 176, 179; 99, 298, 300; BGH, DVB1. 2000, 482. 68 BGHZ 98, 148, 152; 99, 298, 300; OLG Dresden, NVwZ-RR 1998, 343; Palandt/ Heinrichs, BGB, § 31 Rn. 10; Palandt/Thomas, BGB, § 839 Rn. 10 ff. 69 Vgl. V G H Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94; Eyer mann/Renner U VwGO, § 40 Rn. 83; Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 28a; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 121. 70 Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Organstreitigkeit stattfindet, wenn die ehrkränkende Äußerung amtlichen Charakter hatte, s. unten A.II.4.C. 71 Vgl. OLG Frankfurt/M., NVwZ-RR 1999, 814 f.: Zivilrechtsweg für Widerrufsklage des Bürgermeisters gegen ein Gemeinderatsmitglied, das ihm auf einer Gemeinderatssitzung „vulgäre" Redensweisen vorgeworfen hatte.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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b) Die Merkmale des Organs Unter einem Organ ist eine der Organisation eingegliederte, weder rechtsfähige noch auch nur rechtlich selbständige, wohl aber organisatorisch verselbständigte 12 Einheit zu verstehen, die unabhängig vom Wechsel der Organwalter besteht, und der die Zuständigkeit sowie die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Funktionen für die Organisation zukommt. Hierzu gehört namentlich die Willensbildung sowie die Wahrnehmung von Aufgaben und das Handeln für die Organisation 73. Organe sind mithin durch besondere funktionelle und institutionelle Merkmale gekennzeichnet74.

aa) Funktionelle Merkmale Jedes Organ hat bestimmte Zuständigkeiten, innerhalb derer es die Ziele und Aufgaben der Organisation für diese wahrzunehmen hat 75 . Sofern, wie es meistens der Fall ist, eine Organisation mehrere Organe hat, sind deren Zuständigkeiten so aufgeteilt, daß die Organe in arbeitsteiligem Zusammenwirken die Gesamtheit der Aufgaben der Organisation wahrnehmen 76. Diese Zuständigkeiten der Organe sind jedoch keine Eigen-, sondern Fremdzuständigkeiten 77, in dem Sinne nämlich, daß jedes Organ notwendig auf die Wahrnehmung der Aufgaben der Organisation ausgerichtet ist 78 und - sonst wäre es kein Organ - diesbezüglich dienende Funktion hat. Insoweit spricht man im Anschluß an Wolff 9 von transitorischer Wahrnehmungszuständigkeit 80: Die Zuständigkeit zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben und Befugnisse als eigene liegt unmittelbar bei der Organisation (z.B. der Körperschaft, Anstalt oder Stiftung), während das Organ 72

Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 23. Zum Organbegriff vgl. Bernatzik, AöR 5 (1890), 278; Böckenförde, in FS Wolff, S. 274 f.; Bull, AllgVerwR, Rn. 143 f.; Erichsen, in FS Menger, S. 215; v. Gierke , Labands Staatsrecht, S. 42 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 169 f.; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 23; Schreiber, BayVBl. 2000, 132 ff; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 26; Wolff, Organschaft II, S. 236 ff; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 74 I f. 74 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 22; Peine, AllgVerwR, Rn. 21; vgl. Löer, Kontrolle, S. 25 f. 75 Löer, Kontrolle, S. 24; Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 24. Zu der Kompetenz von Organen näher unten A.I.3.b. 6 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 168 f.; Löer, Kontrolle, S. 24; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 25. 77 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 24. 78 Vgl. Bernatzik, AöR 5 (1890), 277. 79 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 72 I c 4, § 74 I f 7. 80 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 39; Erichsen, in FS Menger, S. 215; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 170; Löer, Kontrolle, S. 24; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 24; Rupp, Grundfragen, S. 87 ff. 73

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

diese Aufgaben und Befugnisse dem rechtlichen und sozialen Sinnbezug nach nicht für sich selbst, sondern lediglich vermittelnd für die Organisation wahrnimmt 81 . Ist die Organisation als (teil)rechtsfähiges Rechtssubjekt unmittelbar Adressat {Zurechnungsendsubjekt) von berechtigenden oder verpflichtenden 82 Rechtssätzen , so obliegt zwar dem jeweils zuständigen Organ deren Wahrnehmung und Befolgung, doch hierbei handelt es sich eben allein um eine transitorische Wahrnehmungszuständigkeit, welche das Organ nicht selbst zum Endsubjekt dieser Rechte und Pflichten werden läßt 83 . Diese Funktion des Organs als Transmissionsstelle für die Anrechnung des natürlichen Verhaltens von Organwaltern als Verhalten der Organisation und damit als Instrument zur Begründung der Willens- und Handlungsfähigkeit der Organisation kommt bereits in der Begriffswahl „Organ" 84 zum Ausdruck. Sowohl die Etymologie des Wortes „Organ" - von griechisch οργανον, was eigentlich Werkzeug bedeutet85 - als auch der (durch die Begrifflichkeit der Biologie beeinflußte 86) heutige Sprachgebrauch - Organ als ein spezifischen Funktionen dienender Teil eines Ganzen87 - deuten nämlich die auch im juristischen Kontext maßgebliche Vorstellung der Zu- und Unterordnung des Organs im Verhältnis zu einer größeren Einheit an, seine Einordnung als „eines Mittels zur Versehung von Funktionen" 88 innerhalb des größeren Rahmens einer Organisation. Diese funktionelle Ausrichtung des Organs ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil, wie auch immer „Organstreitigkeiten" konkret beschaffen und im Einzelfall zu entscheiden und aufzulösen sein mögen, doch jede Behandlung der Organstreitigkeit Rücksicht auf diese funktionelle Bezogenheit des Organs auf die Organisation nehmen muß, soll nicht die Entscheidung der Streitigkeit Gefahr laufen, jener übergeordneten Einheit Schaden zuzufügen. „Behördenkriege" 89 zu führen oder „kommunalpolitische Schlachten"90 zu schlagen, kann da81

Vgl. VGH München, BayVBl. 1998, 665. Zur Rechtssubjektivität näher unten E.II.4. 83 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 169 f.; Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 24. 84 Nachweise eines Gebrauchs des Organ-Begriffs in der Gesetzesterminologie bei v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 614 Fn. 1. 85 Brockhaus Enzyklopädie, 16. Band, Stichwort „Organ"; G. Jellinek, System, S. 36; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 I b. Zu der stets zu beachtenden Unscharfe und notwendigen Begrenztheit aller bildhaft veranschaulichenden Vergleiche zwischen der Organisation und ihren Organen mit lebenden Organismen und deren Organen, sowie der Gefahr, biologische Vorstellungen in die juristische Begrifflichkeit zu übernehmen, vgl. v. Gerber, Grundzüge, S. 220 ff.; v. Gierke, Das Wesen, S. 16 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 I c. 87 Vgl. zum biologischen Sprachgebrauch Brockhaus Enzyklopädie, 16. Band, Stichwort „Organ"; Duden, Deutsches Universalwörterbuch, S. 1105. 88 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 74 I b. 89 Alberts , WissR 1974, 54; Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 172; Dolde, in FS Menger, S. 438; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 42. 82

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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her von vornherein nicht Sinn und Zweck etwaiger Organstreitverfahren sein. Vielmehr muß die Erhaltung und Effektuierung der Funktionalität der Organisation oberste Leitidee für jede Behandlung der Organstreitigkeiten sein und ein Filter gegenüber funktionsfremden oder -schädlichen Erwägungen.

bb) Institutionelle Merkmale Je nach ihrer Struktur und Besetzung mit Organwaltern lassen sich monistische und pluralistische Organe unterscheiden. Monistische Organe sind solche, deren Zuständigkeiten von einem einzigen Organwalter allein wahrgenommen werden, dessen Wille ohne weiteres der Organwille ist 91 , während bei pluralistischen Organen die Organzuständigkeiten von mehreren Organwaltern wahrgenommen werden. Im letzteren Fall sind wiederum monokratische und kollegialische Organe zu unterscheiden. Kollegialische Organe sind solche, deren Zuständigkeiten von mehreren gleichberechtigten Organwaltern wahrgenommen werden 92. Der Wille des Organs kann hier als Resultante der in Einstimmigkeits- 93 oder (normalerweise) Mehrheitsbeschlüssen geäußerten Organwalterwillen verstanden werden 94, indem der natürliche Wille der verschiedenen Organwalter als der einheitliche Organwille normativ fingiert wird 95 . Kollegialische Organe können unter Umständen sämtliche Mitglieder der Organisation erfassen96, doch sind sie in aller Regel als Repräsentativorgane ausgestaltet (z.B. Parlament, Gemeinderat) oder entsprechend den ihnen gestellten Aufgaben nach anderen Kriterien (z.B. erhoffter Sachverstand97) zusammengesetzt. Monokrati-

90

Müller, NVwZ 1994, 123. Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 75 II a: z.B. Bundespräsident, Bundeskanzler, Ministerpräsident, Einzelrichter. 92 Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 35; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 75 III a : z.B. Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Kreistag, Gemeinderat, Kammern und Senate von Gerichten; näher hierzu Groß, Kollegialprinzip, S. 45 ff; vgl. ferner Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 159 ff. 93 Z.B. einstimmiger Senatsbeschluß über Berufungen zum OVG gemäß § 130a VwGO; einstimmige Entscheidungen der von den Senaten des BVerfG berufenen Kammern (§ 15a BVerfGG) über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde sowie gegebenenfalls der Stattgabe derselben gemäß § 93d Abs. 3 S. 1 BVerfGG; einstimmige Beschlüsse des Rates der Europäischen Union in den vertraglich bestimmten Fällen (z.B. Art. 93, 94, 250 Abs. 1, 308 EGV). 94 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 75 III a. 95 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 205 f., 326, 329; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 543 („durch einen juristischen Prozeß ... gewonnen"); Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 46 ff; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 207. 96 Beispielsweise sind im Rat der Europäischen Union sämtliche Mitgliedstaaten vertreten (Art. 203 Abs. 1 EGV). 97 Z.B. Bundesprüfstelle nach § 9 GjSM. 91

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

sehe Organe dagegen sind solche, die einen leitenden Organwalter haben, der die Zuständigkeit des Organs selbst oder durch die von ihm weisungsabhängigen Organwalter (die ihrerseits wieder einander hierarchisch über- und untergeordnet oder untereinander gleichberechtigt sein können) wahrnimmt 98 . Der Organwille ist hier der Wille des leitenden Organwalters; er übt diesen entweder unmittelbar selbst oder mittelbar durch die untergeordneten Organwalter aus, die ihn nach außen vertreten 99. Bei pluralistischen Organen lassen sich Organteile unterscheiden. Zunächst kann jeder einzelne Organwalter in seiner organschaftlichen Rolle als Teil des pluralistischen Organs verstanden werden 100 . Ferner sind etwaige Zusammenschlüsse von Organwaltern Teile des betreffenden Organs. Derartigen Organteilen kann im gesamten Funktionsablauf der Organisation und ihrer Organe zwar eine wichtige Rolle zukommen, gleichwohl unterscheiden sie sich durch ihre organisatorische Unselbständigkeit von den Organen. Organteile wie insbesondere etwa die organisatorischen Ämter haben nur teil an der Funktion des Organs, können jedoch nicht unvermittelt für die Organisation als solche auftreten 101 . In praxi sind vor allem die Organteile kollegialischer Organe bedeutsam: Jedes Mitglied eines kollegialischen Organs stellt für sich ein Organteil dar 102 , doch können auch die mehr oder minder dauerhaften Zusammenschlüsse von Organmitgliedern Organteile konstituieren. Zur Illustration hierfür sei auf die Verhältnisse im Gemeinderat verwiesen: Daß jedes einzelne Gemeinderatsmitglied als Teil des Gemeindeorgans „Gemeinderat" und damit Organteil verstanden werden kann, ergibt sich aus dem Gesagten. Doch auch Zusammenschlüsse von Gemeinderatsmitgliedern können als Organteile verstanden werden. Dies gilt insbesondere für die Gemeinderatsfraktionen: „Ratsfraktionen sind Gruppen von Mitgliedern der Gemeindevertretung mit jeweils gemeinsamen politischen Grundanschauungen, die sich zusammengeschlossen haben, um ihre Vorstellungen und Aktivitäten aufeinander abzustimmen und diesen im arbeitsteiligen Zusammenwirken zu besserer Wirksamkeit zu verhelfen" 103 . Während Gemeinderatsfraktionen hiernach dauerhaft konstituierte Organteile dar-

98 Rudolf, in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 36; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 75 II b 1 : z.B. Minister, Regierungspräsident, Landrat, Bürgermeister, Staatsanwaltschaft. 99 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 75 II b 1. 100 Zu dieser sprachlich-begrifflichen Möglichkeit unten B.II. 1 .c.cc. 101 Vgl. Becker-Birck, Insichprozeß, S. 31 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 40; Schreiber, BayVBl. 2000, 134 f.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 74 I f 10. 102 Bethge, HKWP II, S. 178; vgl. Thoma, HdbDStR II, S. 615. 103 BVerwGE 90, 104, 105; ferner Bick, Die Ratsfraktion, S. 22; Rothe, DVB1. 1988, 383 f.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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stellen 104 , lassen sich auch eher spontane oder locker zusammengefugte Gruppen denken, beispielsweise bestimmte Antragsminderheiten, die ebenfalls Organteil sind - mit welcher Kategorisierung freilich noch nichts über ihren prozeß- und materiellrechtlichen Status gesagt ist. Organteile können bloße unselbständige Teile eines Organs, sie können aber auch innerhalb desselben verselbständigte Teile sein, denen entweder innerhalb des betreffenden Organs (Beispiel: beratende Ausschüsse des Gemeinderats, § 41 GemO BW) oder sogar an Stelle desselben (Beispiel: beschließende Ausschüsse des Gemeinderats, § 39 GemO BW) bestimmte eigenständig wahrzunehmende Aufgaben zugewiesen sind. In derartigen Fällen ist freilich dem Organ vielfach die Befugnis vorbehalten, die betreffenden Angelegenheiten wieder an sich ziehen zu können. Soweit ein Organteil ermächtigt ist, an Stelle des Organs zu handeln, ist es zugleich ein Organ der Organisation selbst (deshalb sind etwa beschließende Gemeinderatsausschüsse nicht lediglich Organteile des Gemeinderats, sondern auch Organe der Gemeinde105).

Sofern ein Organ selbst die Struktur einer Organisation aufweist, können einzelne seiner Teile ihrerseits wiederum als Organe fungieren 106. Dabei lassen sich Teilorgane und Unterorgane unterscheiden 107. Teilorgane sind diejenigen Organteile, die zwar institutionell-rechtlich in den Meinungs- und Willensbildungsprozeß des Organs einbezogen sind, dank ihrer andersartigen Zusammensetzung und Konstituierung jedoch keine Organfunktionen als solches wahrnehmen, insbesondere das betreffende Organ weder als solches repräsentieren noch für dieses Entscheidungen treffen können 108 (Beispiele: das einzelne Gemeinderatsmitglied im Verhältnis zum Gemeinderat 109, die Gemeinderatsfraktionen im Verhältnis zum Gemeinderat). Ein Unterorgan ist dagegen Organ eines Organs, welches das Organ im Verhältnis zu anderen Organen und der Organisation als solches repräsentieren oder sonstige Organfunktionen wahrnehmen, unter Umständen sogar Entscheidungen mit Wirkung für das Organ treffen kann (Beispiele: Gemeinderatsausschüsse im Verhältnis zum Gemeinderat 110, der Bürgermeister in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Gemeinderats) 111. Damit wird das Unterorgan aber nicht Organ der übergeordneten Organisation das wäre, wie erwähnt, nur der Fall, soweit es an Stelle des Organs handeln könnte - , sondern aus deren Sicht bleibt es bloßes Organteil des eigentlichen 104

Vgl. Bich, Die Ratsfraktion, S. 56 ff.; a.A. VGH München, NJW 1988, 2754,

2755. 105

Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 47; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 87 I d; weiter Schreiber, BayVBl. 2000, 135 ff.: auch die beratenden Ausschüsse. 106 Vgl. dazu Böckenförde, in FS Wolff, S. 275, 284 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 94 ff. 107 v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 686; vgl. ferner Böckenförde, in FS Wolff, S. 285 f. 108 BVerwGE 90, 104, 108. 109 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 545. 110 Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 66; ferner Schreiber, BayVBl. 2000, 135 ff. 111 Vgl. BVerwGE 90, 104, 109; OVG Münster, DVB1. 1984, 155, 157.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Organs. So ist etwa der Bundestag Organ der Organisation „Bundesrepublik Deutschland", während der Präsident, das Präsidium und der Ältestenrat des Bundestags zwar Organe desselben (vgl. Art. 40 GG, §§ 5 ff. GeschO BT), aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland gleichwohl bloße Organteile sind, weil sie nicht berufen sind, Organfunktionen fur den Staat selbst wahrzunehmen 112. Gelegentlich sind freilich Organe und Organteile über die verschiedenen Ebenen hinweg so verschachtelt, daß ein und dieselbe Einheit als Organ und Unterorgan zugleich erscheint. So ist beispielsweise113 nach baden-württembergischen Kommunalrecht der Bürgermeister zum einen Organ der Gemeinde (§§ 23, 42 Abs. 1 S. 2 GemO BW). Als Mitglied des Gemeinderates (§ 25 Abs. 1 S. 1 GemO BW) ist er freilich für die Gemeinde gleichzeitig, weil ja auch der Gemeinderat Organ der Gemeinde ist (§§ 23, 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW), ein bloßes Organteil. Zusätzlich ist der Bürgermeister aber noch Vorsitzender des Gemeinderates (§ 25 Abs. 1 S. 1, § 42 Abs. 1 S. 1 GemO BW) und in dieser Funktion Organ desselben, so daß er aus Sicht der Gemeinde auch Unterorgan des Organs Gemeinderat ist. Angesichts der hiernach möglichen Stufung von Organisation - Organ - Unterorgan und der möglichen Organverschachtelung bedarf es zur Vermeidung terminologischer Verwirrung (speziell der möglicherweise mißverständlichen Einordnung des Organs als Organisation und der damit ermöglichten Erhebung eines Unterorgans zum veritablen Organ) der Verortung des Anfangs- und Bezugspunktes dieser Kette. Dieser wird herkömmlicher- und auch sinnvollerweise bei den (rechtsfähigen) Körperschaften, Anstalten und Stiftungen gesetzt, so daß allein diese als Organisationen verstanden werden, auf welche sich die Kategorisierung von Organen und Unterorganen bezieht, während ihre Organe selbst dann nicht als Organisationen verstanden werden, wenn sie eine Organisationsstruktur aufweisen sollten. Diese Einordnung rechtfertigt sich daraus, daß im Rechtsverkehr allein die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen als Rechtspersonen verstanden werden, mit denen andere (natürliche oder juristische) Rechtspersonen in Beziehung treten. Die Organe solcher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen treten zwar für diese im Rechtsverkehr auf, werden aber nicht selbst als Teilnehmer im Rechtsverkehr und von den anderen Rechtspersonen nicht als gleichgeordnete Partner verstanden. Organe treten im Außenverhältnis nicht selbst in rechtliche Beziehungen ein, sondern sind diesbezüglich eben nur transitorische Wahrnehmungseinheiten ihrer sie tragenden Or-

112

Böckenförde, in FS Wolff, S. 284 f. Weiteres Beispiel bei Schnapp, Amtsrecht, S. 95: der Bundesratspräsident ist als Vertreter des Bundespräsidenten (Art. 57 GG) Organ der Bundesrepublik Deutschland, im übrigen aber als Organ des Bundesrates (Art. 52 Abs. 1, 2 GG) zugleich Unterorgan im Verhältnis zum Bund. 113

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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ganisation114. Da nun die Rechtsordnung zuvörderst die Regelung der rechtlichen Beziehungen zwischen ihren Rechtssubjekten zum Gegenstand und Ziel haben muß, sind sie als die Hauptakteure anzuerkennen, die sinnvollerweise zum Orientierungspunkt auch der Begrifflichkeiten gemacht werden, von dem ausgehend die Begriffe „Organ" und „Organteil" zu bestimmen sind 115 .

c) Errichtung von Organen durch Organisationsakt Organe werden durch einen Organisationsakt des Inhabers der Organisationsgewalt 116 errichtet. Der Organisationsakt kann sich seinem Inhalt nach nicht in der bloßen Kreation des Organs erschöpfen, vielmehr sind auch einige notwendige institutionelle Festlegungen zu treffen. So müssen Struktur und Zusammensetzung des Organs festgelegt werden, namentlich also, ob es monistisch oder pluralistisch ausgeformt sein soll. Im letzteren Fall ist auch die interne Willensbildung zu regeln, also etwa, ob diese kollegialisch oder monokratisch verlaufen soll, und auf welche Weise der Wille herauszubilden ist. Ferner muß der Organisationsakt Bestimmungen über die Besetzung des Organs mit Organwaltern treffen 117 . Ein besonders wichtiger und angesichts des in aller Regel anzutreffenden Organpluralismus 118 unverzichtbarer Bestandteil des Organisationsakts ist in funktioneller Hinsicht die genaue Festlegung der Kompetenzen des Organs 119 , d.h. seiner organisationsinternen Entscheidungszuständigkeiten und Verfahrensbefugnisse, und zwar unabhängig davon, ob dieser Kompetenzabgrenzung rechtliche Relevanz im Außenverhältnis der Organisation zu Dritten zukommt. Anzumerken ist, daß die bloße Errichtung eines Organs nicht genügt. Da mit der Institution des Organs gerade die Aktionsfähigkeit der Organisation sichergestellt werden soll, bedarf es darüber hinaus seiner vollständigen Einrichtung durch die Besetzung mit Organwaltern sowie die Ausstattung mit den erforderlichen weiteren personellen und sachlichen Mitteln 120 .

114

S. vorstehend A.I.2.b.aa. Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 40; ferner Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 I f vor 1. 116 Zu Begriff und Arten der Organisationsgewalt vgl. Butzer, Die Verwaltung 1994, 160 ff, 171 ff.; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 1 ff.; Schmidt-De Caluwe, JA Verwal1993, 116 f.; Stern, Staatsrecht II, § 41 IV 10 e α, S. 793 ff.; Wolff/Bachof, tungsrecht II, § 78 I, III. 117 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 III b. 118 Hierzu näher unten A.I.3. 119 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 66; Rudolf, in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 2; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 74 III a. 120 Vgl. hierzu Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 58; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 IV a, § 78 I b. 115

5 Roth

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Inhaber der Organisationsgewalt ist nach der Natur der Sache die Organisation, um deren Organe es sich handelt. Der Bund und die Länder besitzen daher originäre Organisationsgewalt hinsichtlich ihrer jeweiligen Staatsorgane sowie im Bereich ihrer jeweiligen Verbandszuständigkeiten für alle untergeordneten Exekutiv- und Judikativorgane. In entsprechender Weise kommt grundsätzlich auch allen sonstigen Körperschaften sowie den Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts die Organisationsgewalt in bezug auf ihre Organe zu. Allerdings ist diesbezüglich zu beachten, daß sie ihre eigene Existenz wiederum einem Organisationsakt des Staates verdanken, dem es freisteht, ob er staatliche Aufgaben durch rechtlich unselbständige eigene Organe oder mit Hilfe von rechtlich selbständigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen wahrnehmen will. Insofern ist die Organisationsgewalt dieser Körperschaften, Anstalten und Stiftungen nur eine derivative und der des Staates nachgeordnete. Der Staat ist daher nicht gehindert, im Zuge der Errichtung öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen zugleich auch Bestimmungen über deren innere Organisationsstruktur zu treffen. Ihre Organisationsgewalt ist mithin durch etwaige gesetzliche Vorgaben seitens des Staates begrenzt. Organisationsakte können ihrem Charakter nach sowohl durch Rechtssatz121 wie durch hierarchische Weisung übergeordneter Organe 122 ergehen 123. Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn der Bürgermeister als Leiter der monokratischen Gemeindeverwaltung diese durch Organisationsverfügung in verschiedene Dezernate und Ämter unterteilt und diesen je bestimmte Sachgebiete zur Erledigung zuweist. Erfolgen kann eine derartige Kompetenzzuweisung durch Einzelweisung, doch wird sie in aller Regel durch eine generelle Verwaltungsverordnung vorgenommen (Organisationsverwaltungsverordnung). Die Errichtung der unmittelbaren Organe m von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts obliegt notwendigerweise dem (Verfassungs)Gesetzgeber, weil es keine andere Instanz gibt, der diese Befugnis zukommen könnte. Hinsichtlich der bei pluralistischen Organen erforderlichen Festlegung ihrer internen Strukturen ist zu unterscheiden. Bei monokratischen Organen können die erforderlichen Bestimmungen zwar in rechtssatzmäßiger Form ergehen, wenn der zuständige Normgeber das für sinnvoll erachtet; da hier jedoch in aller Regel der leitende Organwalter die von ihm für erforderlich erachteten internen Organisationsmaßnahmen einfach durch hierarchische Weisung verfügen kann, 121 Zur Möglichkeit organisatorischer Regelungen durch Rechtssatz näher im Zusammenhang mit der Diskussion der sog. Impermeabilitätstheorie unten C.II. 122 Zum Wesen hierarchischer Weisungen eingehend unten C.III. 123 Vgl. Groß, Kollegialprinzip, S. 17 f.; Rupp, JuS 1975, 614 (soweit sie „nur für den verwaltungsinternen Hausgebrauch ... gedacht sind"). 124 Zur Abgrenzung unmittelbarer und mittelbarer Organe vgl. v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 687; ders, Labands Staatsrecht, S. 46 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 544 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 75 I a.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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wobei er freilich etwaige rechtssatzmäßige Vorgaben 125 beachten muß, ist eine rechtssatzmäßige Organisationsmaßnahme aber nicht nötig und auch nicht gebräuchlich. Demgegenüber können bei kollegialischen Organen interne Organisationsmaßnahmen mangels weisungsbefugten Organwalters nicht durch hierarchische Weisung, sondern nur durch Rechtssatz oder durch Geschäftsordnung aufgrund Gesetzes getroffen werden. Dem Rang nach können rechtssatzmäßige Organisationsakte zunächst als Verfassungsgesetz ergehen. Dies ist zum einen in bezug auf die Verfassungsorgane als die unmittelbaren Organe des Staates der Fall 126 , oftmals aber auch hinsichtlich weiterer grundlegender Fragen des Staatsaufbaus. Im Rahmen der Verfassung können die unmittelbaren Organe durch eigene Organisationsakte mittelbare Organe kreieren 127 . Abzugrenzen ist dabei vor allem die Kreationsbefugnis der Regierung von der des Gesetzgebers. Inwieweit der Gesetzgeber nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hat, die Organisationsstruktur durch formelles Gesetz zu regeln, ist, soweit die Verfassung nicht eine solche Regelungsform ausdrücklich vorschreibt oder untersagt, nach den allgemeinen Grundsätzen über den Vorbehalt des Gesetzes gemäß der Wesentlichkeitstheorie m zu beantworten 129. Hiernach besteht zwar kein organisationsrechtlicher „Totalvorbehalt" des förmlichen Gesetzes130 (vgl. Art. 86 S. 2 GG, Art. 70 Abs. 2 Verf. BW). Formellgesetzlicher Regelung bedürfen Organisationsmaßnahmen jedoch erstens dann, wenn sie grundrechtswesentlich sind, insbesondere den Bürger in einer für die Verwirklichung seiner Grundrechte wesentlichen Weise betreffen 131 oder - wie beispielsweise in bezug auf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten anzunehmen - aus anderen Gründen wesentliche Bedeutung 125

Zur Problematik der Auslegung, welche Bedeutung die bloße Erwähnung der ausführenden Behörde in einem Gesetz für die Organisationsgewalt der Regierung hat, vgl. v. Seydel/Piloty, Bayerisches Staatsrecht I, S. 321. 126 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 544 ff.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 75 I b 1, § 78 II a. 127 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 557 ff. 128 Zur Wesentlichkeitstheorie vgl. BVerfGE 40, 237, 248 ff.; 49, 89, 126 f.; 83, 130, 142; Ossenbühl, in Isensee/Kirchhof, HStR III, §62 Rn. 41 ff.; Stern, Staatsrecht I, § 20 IV 2 b δ, S. 811 ff.; ferner Roth, Faktische Eingriffe, S. 505 ff, 525, 610. 129 Vgl. BVerfGE 40, 237, 249 f.; 83, 130, 152 ff; VerfGH NW, NJW 1999, 1243, 1244; Brüning, DÖV 1997, 287 ff; Groß, Kollegialprinzip, S. 241; Krebs, in Isensee/ Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 87; Maurer, AllgVerwR, § 6 Rn. 21; Puffert, DÖV 1998, 904 ff; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 143 ff. 130 BVerfGE 8, 155, 167; 40, 237, 252; VerfGH NW, NJW 1999, 1243, 1244; OVG Bautzen, LKV 1999, 509; Brinktrine, Jura 2000, 128 f.; Bull, AllgVerwR, Rn. 284; Groß, Kollegialprinzip, S. 239; Rudolf, in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 5; Wolff/ Bachof, Verwaltungsrecht II, § 78 II c; vgl. Butzer, Die Verwaltung 1994, 165 f. 131 BVerfGE 40, 237, 249; Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 72; Wolff/ Bachof, Verwaltungsrecht II, § 78 II b 1; vgl. Rupp, JuS 1975, 614; Stern, Staatsrecht II, §41 IV 10 e a, S. 794 f.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

für die Grundrechtsverwirklichung besitzen 132 ; zweitens, wenn sie von grundlegender Bedeutung für die Verwirklichung namentlich des Rechtsstaats- und des Gewaltenteilungsprinzips sind 133 ; drittens, wenn die Organisationsentscheidung wesentlich für die Wahrnehmung der Staatsleitung ist, ohne zum Kernbereich der Organisationsgewalt der Exekutive zu gehörden und deshalb dieser vorbehalten zu sein 134 . Freilich muß das Gesetz auch in solchen wesentlichen Bereichen die Verwaltungszuständigkeiten nicht bis in alle Einzelheiten festlegen, sondern kann es die Regelung von untergeordneten Modalitäten und Detailfragen dem Verordnungsgeber übertragen bzw. der Verwaltungsentscheidung überlassen 135. Der Gesetzgeber muß hiernach Aufbau und Struktur der Verwaltung und der Gerichte insgesamt sowie deren Zuständigkeiten im Verkehr mit dem Bürger selbst regeln 136 , insbesondere also auch die Errichtung von aus der staatlichen Verwaltung ausgegliederten Verwaltungsträgern (Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts), sowie ferner die Errichtung der für den Verkehr mit dem Bürger zuständigen Organe und Behörden 137 . Hingegen bedürfen (verwaltungs)interne Organisationsakte ohne unmittelbare rechtliche Außenrelevanz für den Bürger keiner gesetzlichen Regelung oder Grundlage 138. Soweit der Gesetzgeber nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet ist, bestimmte Kompetenzregelungen selbst durch formelles Gesetz vorzunehmen, kann durch einfaches Gesetz bestimmt werden, daß gewisse Organisationsmaßnahmen nur durch Rechtsverordnung oder Satzung getroffen werden dürfen. So bestimmt etwa die baden-württembergische Gemeindeordnung, daß der Gemeinderat nur durch Hauptsatzung (§ 4 Abs. 2 GemO BW) beschließende Ausschüsse bilden und ihnen bestimmte Aufgabengebiete zur dauernden Erledigung übertragen kann (§ 39 Abs. 1 S. 1 GemO BW), und daß gegebenenfalls in dieser Hauptsatzung bestimmt werden muß, ob ein Viertel der Ausschußmitglieder den Gemeinderat mit einer Angelegenheit befassen (§ 39 Abs. 3 S. 3 GemO BW) oder der Gemeinderat dem Ausschuß Weisungen erteilen kann etc. (§ 39 Abs. 3 S. 5 GemO BW). Desgleichen ist etwa die dauernde Übertragung der Erledigung bestimmter Aufgaben durch den Gemeinderat an 132 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), AfP 1999, 61, 62: die Organisationsstruktur der Rundfunkanstalten ist daher von Verfassungs wegen durch den Gesetzgeber zu regeln; ebenso SächsVerfGH, LVerfGE 7, 213, 229. 133 VerfGH NW, NJW 1999, 1243, 1245; vgl. Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 78 II b 2; krit. Böckenförde, NJW 1999, 1235 f.; Brinktrine, Jura 2000, 128 f. 134 VerfGH NW, NJW 1999, 1243, 1245; Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 87; krit. Böckenförde, NJW 1999, 1235 f.; Brinktrine, Jura 2000, 128 f. 135 BVerfGE 40, 237, 250 f.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 78 II c 5. 136 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 66. 137 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 66; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 144 f. 138 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 66.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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den Bürgermeister nur durch Hauptsatzung möglich (§ 44 Abs. 2 S. 2 GemO BW). Sofern die betreffende Organisationsmaßnahme nicht zum exekutiven Kernbereich gehört und damit der gesetzlichen Regelung verschlossen ist, kann es schließlich aus politischen Gründen zu einer freiwilligen rechtssatzmäßigen Organisationsregelung durch den formellen oder materiellen Gesetzgeber kommen, obschon eine solche im Weisungswege statthaft wäre 139 . Dies kann Ergebnis eines politischen Kompromisses sein, wenn beispielsweise die Zustimmung eines Koalitionspartners oder der Opposition zu einem wichtigen Vorhaben dadurch gesichert werden soll, daß die betreffende Organisationsmaßnahme gesetzlich verfügt und dadurch gegen spätere Änderungen im Weisungswege immunisiert wird. Denkbar ist freilich auch, daß die Herbeiführung einer gesetzlichen Kompetenzregelung der Entlastung des für die Organisationsmaßnahme sonst zuständigen Organs von politischer Verantwortung dient. Sofern eine Organisationsentscheidung durch formellen oder materiellen Rechtssatz getroffen wurde, scheidet ihre spätere Änderung im Weisungswege aufgrund des Vorrangs des Gesetzes selbstverständlich aus 140 .

3. Der Organpluralismus als Grund für Organstreitigkeiten Organstreitigkeiten setzen wie alle Streitigkeiten die Beteiligung wenigstens zweier Streitparteien voraus und sind daher bei allen Organisationen möglich, die mehrere Organe haben oder, sofern sie nur ein Organ besitzen sollten, wenn dieses pluralistischer Natur ist und also mindestens zwei Organteile aufweist, die miteinander in Streit geraten können. Je mehr Organe eine Organisation besitzt bzw. je pluralistischer diese konstituiert sind und je mehr Organteile oder gar Unterorgane diese daher aufweisen, desto mehr Streitkonstellationen sind vorstellbar. Da nun fast alle 141 Organisationen - und zumal die hier interessierenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts über mehrere Organe verfügen, in aller Regel sogar noch über ein pluralistisch zusammengesetztes Organ (nachfolgend a), überrascht nicht, daß es trotz aller 139 Verwaltungsrecht II, § 78 II b Vgl. Böckenförde, NJW 1999, 1236; Wolff/Bachof 5; ferner Brinktrine, Jura 2000, 127 f.; Butzer, Die Verwaltung 1994, 165, 173 f. 140 Böckenförde, NJW 1999, 1235; Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, §69 Rn. 89. 141 Eine Ausnahme besteht namentlich bei Stiftungen, die nach § 86 BGB als notwendiges Stiftungsorgan lediglich einen Vorstand haben müssen, während ein weiteres Organ (z.B. Kuratorium) in der Praxis zwar häufig durch die Stiftungsverfassung vorgesehen wird, gesetzlich aber nicht vorgeschrieben ist, Palandt/Heinrichs, BGB, § 86 Rn. 1; Reuter, in MünchKomm BGB, § 85 Rn. 6. Dies gilt sowohl für Stiftungen des Privat- als auch für die des öffentlichen Rechts, vgl. z.B. §§ 6, 19 StiftungsG BW.

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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Versuche präziser Kompetenzabgrenzung (unten b) zu vielfältigen Organstreitigkeiten kommen muß (unten c).

a) Vorteile eines Organpluralismus bei Körperschaften, und Stiftungen des öffentlichen Rechts

Anstalten

Daß die hier zu betrachtenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts durchweg mindestens zwei Organe besitzen, hat seinen Grund darin, daß sie nach ihrer Größe und personellen Zusammensetzung nicht in der Lage wären, ihre Ziele und Zwecke durch nur ein einziges Organ sinnvoll und effektiv zu realisieren, so daß die Vielzahl ihrer Aufgaben zweckmäßigerweise auf mehrere Organe verteilt wird, welche die Aufgaben ihres Trägers arbeitsteilig wahrnehmen 142. Ein solcher Organpluralismus hat zum einen den Vorteil, eine gewisse Arbeitsteilung zwischen den Organen zu ermöglichen und damit den für diese tätigen Organwaltern ein größeres Maß an Spezialisierung zu gestatten, indem sie sich auf einzelne Aufgabengebiete konzentrieren können, statt sämtliche Angelegenheiten gleichzeitig wahrnehmen zu müssen; dies fördert ersichtlich „die Güte der staatlichen Leistungen" 143 . Zugleich ist damit eine gewisse Entlastung von Verantwortung verbunden, eben weil nicht jeder Organwalter für alles zuständig ist. Immerhin ist zu bemerken, daß eine effektive Arbeitsteilung auch stattfinden könnte, wenn es nur ein einziges, jedoch pluralistisches Organ gäbe, weil auch hier den zahlreichen untergebenen Organwaltern eine Spezialisierung auf bestimmte Aufgaben möglich wäre. Der hauptsächliche Vorteil eines Organpluralismus ist darin zu sehen, daß er es ermöglicht, „daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen" 144 . Monistische bzw. pluralistische (monokratische oder kollegialische) Organe haben allesamt ihre jeweiligen Stärken und Schwächen, die sie für je unterschiedliche Aufgaben unterschiedlich geeignet erscheinen lassen145. Hätte eine Organisation nur ein einziges Organ, so implizierte dies - zumindest wenn die Organisation ein großes Aufgabenspektrum zu bewältigen hat - , daß dieses

142

Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 25. G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 222 f. 144 BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1, 15; vgl. hierzu v. Danwitz, Der Staat 1996, 330 ff.; Groß, Kollegialprinzip, S. 200 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 488 ff.; Ossenbühl, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 62 Rn. 49; Schliesky, ZG 1999, 100; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 66. 145 Zu den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Organtypen näher Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 443 ff.; Rudolf, in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 37; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 162 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 75 III e. 143

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

39

eine Organ notwendigerweise auch Aufgaben wahrzunehmen hätte, für die es seiner Struktur und Zusammensetzung nach nicht wirklich geeignet ist. Ein Organpluralismus eröffnet demgegenüber die Möglichkeit, die verschiedenen Organe genau auf bestimmte Aufgabengebiete hin zuzuschneiden, ihnen also eine funktionsadäquate Struktur zu geben, und sodann die verschiedenen anfallenden Aufgaben so auf die Organe zu verteilen, daß sie eine strukturadäquate Funktion ausüben können. Die Möglichkeit einer Kombination verschieder Typen von Organen stellt so ein wesentliches Instrument zur Sicherung gleichermaßen der Richtigkeit (Gesetz- und Zweckmäßigkeit) wie der Effizienz der Tätigkeit der Organisation insgesamt dar. Ein nicht geringzuschätzender Vorteil ist schließlich, daß ein Organpluralismus erlaubt, ein System von checks and balances zu errichten, in welchem sich die Organe gegenseitig kontrollieren 146 . Damit kann nicht nur einem nachgerade mißbräuchlichen Verhalten eines Organs entgegengesteuert werden. Vielmehr eröffnet sich hierdurch die Möglichkeit, auch schlichte Fehler und Versehen des jeweils anderen Organs entdecken und vielleicht beizeiten korrigieren zu können, ehe gravierende oder gar irreparable Folgen erwachsen. Angesichts dieser Vorzüge eines Organpluralismus kann es nicht überraschen, daß die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts nicht nur allesamt über mehrere Organe, sondern - insofern eine Folge bewährter Umsetzung des Gedankens funktionsadäquater Organstruktur - darüber hinaus über ganz vergleichbare Organtypen mit jeweils korrelierender Aufgabenstellung verfügen, obgleich natürlich je nach ihrer historischen Herausbildung und Entwicklung oder nach aktuellen Bedürfnissen nicht unerhebliche Abweichungen im Detail zu verzeichnen sind. Die nachfolgende Skizzierung der wesentlichen Elemente der Organisationsstrukturen der für die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten im Mittelpunkt stehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen dient indes nicht nur als Beleg für die zwischen ihnen bestehenden Parallelen, sondern vor allem als Basis für die eine gewisse Vertrautheit mit ihren Organen und ihren grundlegenden Organisationsstrukturen voraussetzende weitere Betrachtung. Als Prototypen organpluralistischer Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die Gemeinden mit ihrer dualistischen Organstruktur zu nennen, bei denen die sämtlichen Gemeindeaufgaben auf die beiden Gemeindeorgane Gemeinderat und Bürgermeister (§ 23 GemO BW) aufgeteilt sind. (Diese dualistische Struktur der süddeutschen Gemeindeverfassung soll in dieser Arbeit insgesamt als Gemeindeverfassungsmodell zugrunde gelegt werden, nachdem sowohl die Magistratsverfassung mit ihrem Trialismus von Gemeinderat - Magistrat - Bürgermeister wie auch die norddeutsche Ratsverfassung mit ihrem monistischen 146

Vgl. BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1,15.

40

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Grundansatz eines allzuständigen Gemeinderats mit einem ehrenamtlichen Bürgermeister als Vorsitzendem und einem exekutivisch tätigen Gemeinde-/Stadtdirektor in der neueren Kommunalgesetzgebung weitestgehend aufgegeben worden ist und sich das süddeutsche Modell damit dem Grunde nach in ganz Deutschland durchgesetzt hat 147 .) Aus Gründen der Darstellbarkeit und Übersichtlichkeit werden des weiteren in dieser Arbeit im allgemeinen nur die Vorschriften der baden-württembergischen Gemeindeordnung zitiert; inhaltlich sind die Regelungen aber in allen Ländern weitgehend vergleichbar. Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Gemeinderats und Leiter der Gemeindeverwaltung; er vertritt die Gemeinde in ihren rechtlichen und politischen Beziehungen nach außen (§ 42 Abs. 1 GemO BW) 1 4 8 . Aufgrund dieses umfänglichen Aufgabenkreises kann der Bürgermeister nicht als monistisches Organ strukturiert sein, sondern er ist vielmehr monokratisches Organ mit dem Bürgermeister als Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde aller Gemeindebediensteten (§ 44 Abs. 4 GemO BW). Der Gemeinderat hingegen ist als von den Gemeindebürgern unmittelbar gewähltes (§ 26 Abs. 1 GemO BW) kollegialisch organisiertes (§ 25 Abs. 1 GemO BW) Repräsentationsorgan (§ 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW) konzipiert, dem dank seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation als Hauptorgan der Gemeinde (§ 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW) die Entscheidung über die Grundsatzfragen des Gemeindelebens obliegt (§ 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW). Darauf, daß der Gemeinderat in Gestalt seiner Ausschüsse149 und des Ältestenrates Unterorgane besitzt, zudem insbesondere in Gestalt der Gemeinderatsfraktionen wichtige Organteile als Teilorgane aufweist, wurde bereits hingewiesen150. Dieselbe Organisationsstruktur wie die Gemeinden weisen die Landkreise mit ihrem Dualismus von Kreistag und Landrat auf (§ 18 LKrO BW), denen auf der Kreisebene die entsprechenden Funktionen zukommen wie dem Gemeinderat und dem Bürgermeister auf der Gemeindeebene (vgl. § 19 Abs. 1, § 37 Abs. 1 LKrO BW). Von daher überrascht es nicht, daß Gemeinde- und Landkreisverfassungsorganstreitigkeiten prozessual wie materiell nach denselben Grundsätzen behandelt und deshalb auch unter demselben Oberbegriff der Kommunalverfassungsorganstreitigkeit zusammengefaßt werden.

147 Zu diesen Entwicklungen Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 40ff.; Knemeyer, JuS 1998, 193 ff; Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 10; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 55 ff; speziell zur Reform der Kommunalverfassung in Nordrhein-Westfalen Lingk, NWVB1. 1999, 121 ff; zu den dadurch bewirkten faktischen Veränderungen und Machtverschiebungen Schulenburg, NWVB1. 1999, 126 ff. 148 Zum „Rollenbild" des Bürgermeisters vgl. Schulenburg, NWVB1. 1999, 132. 149 Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 66. 150 S. oben A.I.2.b.bb.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

41

V o m Ansatz her ähnliche, i m einzelnen aber nicht unerheblich modifizierte Organisationsstrukturen weisen die für das Thema verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten gleichfalls relevanten öffentlich-rechtlichen

Rundfunkanstal-

ten, Hochschulen, Sparkassen und Kammern auf. Ihre nähere Darstellung ist hier weder möglich noch n ö t i g 1 5 1 . Immerhin dürfte bereits die folgende Skizze genügen, um einen Eindruck sowohl von der Vielfalt hier möglicher Organstreitigkeiten als auch von deren Bedeutsamkeit für die Praxis zu vermitteln. Die im Rahmen der Tätigkeit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt wahrzunehmenden Aufgaben sind zwischen dem Rundfunkrat, dem Verwaltungsrat und dem Intendanten aufgeteilt 152, und zwar bei allen Rundfunkanstalten in grundsätzlich gleicher Weise 153 . Das Hauptorgan aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist der Rundfunkrat, dem vergleichbar dem Gemeinderat die Entscheidung über die wesentlichen Fragen der Tätigkeit der Rundfunkanstalt vorbehalten sind. Der Rundfunkrat wählt den Intendanten, besitzt einen bestimmenden Einfluß auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates, und muß den Haushaltsvoranschlag genehmigen. In bezug auf die Programmgestaltung kommen ihm wichtige Kompetenzen zu, da er Programmgrundsätze und Programmrichtlinien für die Sendungen erlassen kann und deren Einhaltung zu überwachen hat 154 ; dabei hat er als Repräsentationsorgan der gesellschaftlich relevanten Gruppen vor allem auch auf die verfassungsrechtlich gebotene Vielfalt und Ausgewogenheit des Programms zu achten155. Auch dem Verwaltungsrat kommen gegebenenfalls gewisse Programmfunktionen zu, doch stehen ihm gemäß Übertragung in den Rundfunk-Staatsverträgen auch gewisse Exekutivbefugnisse zu. Der Intendant ist für die Außenvertretung der Anstalt sowie für ihre Leitung im übrigen zuständig, insbesondere trägt er die Verantwortung für die Programmgestaltung im einzelnen156. Hochschulen (Universitäten, Fachhochschulen) sind Körperschaften mit einer sehr komplexen, zahlreiche Organe aufweisenden Struktur, die ihnen bereits das Prädikat „komplizierteste Institution des Rechtslebens"157 eingetragen hat, und die zumal infolge der Vertretung der verschiedenen Gruppen von Hochschulangehörigen (Professoren, 151 Einen guten Überblick über die Organisationsstruktur zahlreicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gibt Löer, Kontrolle, S. 245 ff, eine umfassende, auch die geschichtliche Entwicklung einbeziehende Darstellung der Organisationsstruktur der vielfältigen Selbstverwaltungskörperschaften Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 31 ff, speziell eine Typologie von Kollegialorganen schließlich Groß, Kollegialprinzip, S. 63 ff. 1 In Bremen noch zusätzlich dem Direktorium, vgl. BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), AfP 1999,61. 153 Vgl. hierzu BVerfGE 31, 314, 327 f.; ThürVerfGH, LKV 1999, 21, 22; Degenhart, in BK GG, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Lfg. 1999) Rn. 768 ff.; Groß, Kollegialprinzip, S. 76 ff.; Löer, Kontrolle, S. 201 ff.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 10 ff, 26 ff.; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 121ff; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 28 ff. 154 Vgl. etwa ThürVerfGH, LKV 1999, 21, 22. 155 Vgl. hierzu BVerfGE 83, 238, 334; 90, 60, 87 ff; ThürVerfGH, LKV 1999, 21,

22.

156 157

Vgl. ThürVerfGH, LKV 1999, 21, 22. Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 2; ferner Fuß, WissR 1972, 100.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Angehörige des wissenschaftlichen Dienstes, Studierende, nichtwissenschaftliche Bedienstete usw., vgl. § 6 UG BW) ein nicht unerhebliches Konfliktpotential aufweisen. Auf der zentralen Ebene der Hochschule sind hier zu nennen der Präsident oder das Rektorat (dieses bestehend aus dem Rektor, den Prorektoren und dem Kanzler), der Große Senat, der (Kleine) Senat, der Verwaltungsrat (vgl. § 11 UG BW), ferner die Verfaßte Studentenschaft bzw. (in Baden-Württemberg) der Allgemeine Studierendenausschuß (AStA) als Ausschuß des Großen Senats (§ 18 Abs. 3 UG BW), sowie neuerdings gegebenenfalls der Hochschulrat 158, dessen Erfindung durch den Gesetzgeber zweifellos Anlaß zu vielfältigen neuen Hochschulverfassungsorganstreitigkeiten geben wird, auch wenn der Schwerpunkt seiner Problematik in den abzusehenden Übergriffen in die Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) liegen dürfte 159, welche Grundrechtsverletzungen keine Organstreitigkeiten begründen, sondern als gewöhnliche Außenrechtsstreitigkeiten auszutragen sind 160 . Auf Fakultätsebene sind zu nennen der Dekan, der Fakultätsrat, der erweiterte Fakultätsrat und die Fachschaft (§§ 23, 25 UG BW). Eine nähere Darstellung der jeweiligen Befugnisse ist hier ausgeschlossen. Es genügt der Hinweis, daß dem Präsidenten/Rektor bzw. Dekan die Außenvertretung, Leitung und Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung obliegt (§§ 12, 15, 24 UG BW) - beim Rektorat ist die Verwaltungsleitung dabei im Sinne eines Ressortprinzips zwischen dem Rektor, den Prorektoren und dem Kanzler aufgeteilt (vgl. § 14 Abs. 3 UG BW) 1 6 1 - , während die anderen Organe die insbesondere fur die Grundsatzentscheidungen zuständigen Repräsentationsorgane der Hochschulangehörigen sind (vgl. §§ 18 ff., 25 UG BW). Die Kompetenzverteilung zwischen den Organen der Sparkassen (§ 10 SparkG BW: Verwaltungsrat, Kreditausschuß, Vorstand) kann hier gleichfalls nicht näher dargelegt werden. Sie orientiert sich indes mit dem Verwaltungsrat als Hauptorgan (vgl. § 11 SparkG BW), dem Kreditausschuß als ständigem beschließenden Ausschuß zur Beschlußfassung über die Zustimmung zur Gewährung von Krediten (vgl. § 20 SparkG BW) und dem Vorstand als Leitungs- und Geschäftsfiihrungsorgan (vgl. § 22 SparkG BW) an der inneren Organisation der Gemeinden; die verschiedenen Aufgaben der Sparkassenorgane in ihrem Verhältnis zueinander entsprechen im wesentlichen der fur die Gemeindeorgane geltenden Rechtslage162. Auch bei den als abschließendes Beispiel zu nennenden, als Körperschaften des öffentlichen Rechts konstituierten Kammern (zu dieser ihrer Rechtsnatur vgl. etwa § 90 Abs. 1 HandwO, § 3 Abs. 1 IHK-G, § 7 HeilbKG BW) verteilen sich die zahlreichen Kompetenzen durchgängig auf mehrere Organe. Bei den Handwerkskammern etwa sind zu nennen die Mitgliederversammlung (Vollversammlung), der Vorstand und die Ausschüsse (§ 92 HandwO), bei den Industrie- und Handelskammern die Vollversammlung, der Präsident (Präses), das Präsidium und gegebenenfalls Ausschüsse (§§ 4, 6, 8 IHKG), sowie schließlich bei den Ärzte-, Zahnärzte-, Tierärzte- und Apothekerkammern die

158 Zu Status, Zusammensetzung und Befugnissen der Hochschulräte und Kuratorien vgl. etwa Groß, Kollegialprinzip, S. 78 ff.; ders., DÖV 1999, 895 ff; Kempen, BayVBl. 1999, 455 ff; Kersten, DVB1. 1999, 1705 f. 159 Zu dieser Problematik Kempen, BayVBl. 1999, 457 f.; Kersten, DVB1. 1999, 1707 f. 160 S. hierzu unten A.II.4. 161 Neese, WissR 1999, 22, 35 f. 162 Vgl. hierzu OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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Vertreterversammlung, der Vorstand, der Umlageausschuß und die Berufsgerichte (§ 17 HeilbKG BW).

b) Notwendigkeit

einer Kompetenzabgrenzung

Als Folge des unverzichtbaren Organpluralismus ist eine möglichst genaue Abgrenzung der Kompetenzen der verschiedenen Organe notwendig 163 . Diese Kompetenzfestsetzung ist so elementar und fur das Wesen der Organe so kennzeichnend, daß Wolff das Organ nachgerade hierüber definiert und zuspitzend das Organ als „subjektivierten Zuständigkeitskomplex" bezeichnet hat 164 . Während bei Organisationen mit nur einem einzigen Organ dieses (vorbehaltlich etwaiger gesetzlicher oder satzungsmäßiger Beschränkungen) die Aufgaben der Organisation umfassend wahrzunehmen und diese auch nach außen zu vertreten hat 165 , diesem Organ somit insbesondere alle Sachentscheidungen obliegen, bedarf es bei Vorhandensein mehrerer Organe der Festlegung, welches Organ welche Aufgaben und Zuständigkeiten der Organisation transitorisch für diese wahrzunehmen hat und auf welche Weise das arbeitsteilige Zusammenwirken der mehreren Organe vonstatten gehen soll. Dazu gehört etwa die Bestimmung, ob die verschiedenen Organe einander hierarchisch über- und untergeordnet oder vielmehr gleichrangig sein sollen, letzterenfalls, ob und welche Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse es gibt oder ob jedes Organ seine Aufgaben in gänzlicher Unabhängigkeit von den anderen wahrnimmt. Damit soll nicht die Bedeutung informeller Arbeits- und Entscheidungsabläufe in Abrede gestellt werden, welche nicht selten jenseits der rechtlichen Vorgaben funktionieren; indes gibt die rechtliche Kompetenzordnung selbst bei informeller Verständigung immer noch in unverzichtbarer Weise das gesetzliche Rollenleitbild und den Rahmen der Tätigkeit aller Organe vor 166 . Im übrigen ist sie - wie letzten Endes alles Recht - ohnehin vor allem im Konfliktfall relevant, in dem es gerade nicht zu einer einvernehmlichen Handhabung kommt; gerade im Streitfall vor Gericht erweisen sich allein die rechtlichen Kompetenzabgrenzungen als tragend, und nicht etwaige informelle Gepflogenheiten. Die Gesamtheit der hiernach durch Gesetz oder Organisationsakt festgelegten Aufgaben und Zuständigkeiten eines Organs, zusammen mit den hierauf bezogenen organisationsinternen Befugnissen materieller wie auch prozeduraler Art soll mit dem Oberbegriff der Kompe-

163

Vgl. Haenel, Das Gesetz, S. 222; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 549; Puttfarcken, in FS Ule, S. 63. Wolff, Organschaft II, S. 236; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 74 I f 2. 165 Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 548 f.; für den Stiftungsvorstand Palanti/ Heinrichs, BGB, § 86 Rn. 1; Reuter, in MünchKomm BGB, § 86 Rn. 3. 166 Vgl. Lingk, NWVB1. 1999, 125.

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

44

tenz des Organs bezeichnet werden 167 . Die Kompetenz eines Organs beschreibt also als zusammenfassender Begriff den Komplex sämtlicher funktioneller Merkmale eines institutionell eingerichteten Organs, d.h. die Gesamtheit seiner Entscheidungs- und Mitwirkungsbefugnisse. Dasselbe gilt, mutatis mutandis, fur pluralistisch zusammengesetzte Organe 168 . Auch hier muß festgelegt werden, welches Organteil oder gar Unterorgan (umstrittene) Sachentscheidungen zu treffen hat. Deshalb muß der Organisationsakt bei pluralistischen Organen deren innere Struktur, die Zuständigkeiten der Unterorgane sowie die intern zu beachtenden Verfahrensvorschriften festlegen. Wie von den Kompetenzen der verschiedenen Organe kann daher auch von den Kompetenzen der Organteile gesprochen werden, insbesondere wenn sich diese als Unterorgane darstellen.

c) Die Konfliktträchtigkeit

eines Organpluralismus

Den beschriebenen Vorteilen eines Organpluralismus steht der Nachteil entgegen, daß sich trotz noch so klarer Verfahrensregelungen und Aufgabenzuweisungen Konflikte zwischen den Organen nicht vollständig vermeiden lassen169, sei es infolge des regelmäßig unumgänglichen Gebrauchs unbestimmter Rechtsbegriffe, sei es aufgrund eines etwa eingeräumten Ermessens 170 (z.B. bezüglich der Verhandlungsleitung, der Verhängung von Ordnungsmaßnahmen, der Festlegung der Ausschußgröße etc.). Doch selbst bei klarer Kompetenzregelung kann es inhaltliche Differenzen zwischen Organen geben, die, wenn sie für bestimmte Maßnahmen auf ein Zusammenwirken angewiesen sind, Konflikte hervorrufen können. Und schließlich können Kompetenzvorschriften ebenso verletzt werden wie alle anderen Vorschriften, so wenn etwa ein Organ aus politischen Gründen versucht, die Kompetenzen anderer Organe zu beschneiden oder zu unterlaufen. Bei allen skizzierten Vorteilen eines Organpluralismus hat dieser damit den offenkundigen Nachteil, daß es zu Spannungen und Konflikten zwischen den Organen bzw. Organteilen kommen kann, je nach der Ausgestaltung des Systems der checks and balances womöglich sogar zu einer teilweisen oder vollständigen wechselseitigen Blockade ihrer Tätigkeit. Darin spiegelt sich 167

Zum Kompetenzbegriff vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 94; Wolff, Organschaft II, S. 237; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72 I c; ferner Groß, KolleOff. 169

Vgl. Bethge, Die Verwaltung 1975, 463; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 21; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 65; Neese, WissR 1999, 35 f.; Neyses, Rundfìinkverfassungsstreitverfahren, S. 2 f., 30; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 82 ff.; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 408. 170 Schnapp, VerwArch 1987, 409 f.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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der Umstand, daß Organisationen wie namentlich juristische Personen des öffentlichen Rechts zwar rechtsbegrifflich Einheiten, gleichwohl aber mit Rücksicht auf ihre Gliederung in verschiedene Organe sowie der Vielzahl der für sie agierenden Amtswalter der Einheitlichkeit ihrer Willensbildung tatsächlich Grenzen gesetzt sind 171 . Durch solche Konflikte kann freilich die Organisation insgesamt schweren Schaden nehmen, zumal wenn infolge solcher Vorgänge notwendige Entscheidungen oder Maßnahmen gar nicht, nur zögerlich oder nur unzulänglich getroffen werden.

aa) Streit um die Richtigkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer Entscheidung Freilich besitzen hierbei nicht alle Konflikte denselben Charakter, sondern unterscheiden sich danach, welcher Dissens den Streit auslöst. Diese Erkenntnis ist für die rechtliche Einordnung des Konfliktes von Bedeutung, denn ob sich das Recht überhaupt um denselben kümmert und sich seiner Auflösung annimmt, anstatt ihn allein dem Spiel der politischen Kräfte zu überlassen, hängt außer von den an diesem Streit Beteiligten und ihrem Verhältnis zueinander vor allem von dem Charakter des fraglichen Streites ab. Hierbei ist als wesentlicher Unterschied zu beachten, ob der Streit um die Richtigkeit oder um die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung oder Maßnahme des handelnden Organs oder Organteils geht 172 . Denkbar ist erstens, daß sich zwei Organe bzw. Organteile um die sachliche Richtigkeit einer zu treffenden oder bereits getroffenen Entscheidung oder Maßnahme streiten, ohne daß hierbei von einer Seite die Verletzung eines Rechtssatzes geltend gemacht wird. Ein solcher Streit um die Richtigkeit liegt vor, wenn weder geltend gemacht wird noch sonst ersichtlich ist, daß das Organ bzw. Organteil, welches die umstrittene Entscheidung getroffen oder Maßnahme ergriffen hat, damit seine Kompetenzen überschritten oder sonstige rechtliche Vorgaben verletzt hätte, sondern wenn allein die politische Weisheit oder praktische Zweckmäßigkeit derselben angezweifelt wird. Der Streit braucht freilich nicht oder jedenfalls nicht allein um die Sache zu gehen. Vielmehr kann der Streit auch die Rechtmäßigkeit der Entscheidung eines Organ(teil)s betreffen, wenn nämlich ein anderes diese für rechtswidrig hält. Ein solcher Streit um die Rechtmäßigkeit wird häufig von einem Streit um die sachliche Richtigkeit begleitet, ohne daß er freilich durch einen solchen politischen Hintergrund seinen Charakter als Streit um die Rechtmäßigkeit einbüß171 BVerwGE 45, 207, 209; OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35. Vgl. hierzu näher unten E.I.2.b. 172 Vgl. Schulze, Staatsrecht I, S. 505; ferner Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 65.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

te 173 . Es gibt allerdings Fälle, in denen das andere Organ(teil) die inkriminierte Entscheidung sachlich-inhaltlich an sich durchaus begrüßt, aber etwa der Ansicht ist, sie sei nach der bestehenden Rechtslage überhaupt unzulässig und hätte deshalb eine vorherige Gesetzesänderung erfordert 174, oder in denen das betreffende Organ(teil) meint, es sei selbst für diese Entscheidung zuständig, müßte zumindest in bestimmter Weise daran beteiligt werden 175 . Unter diesen Rechtmäßigkeitsstreitigkeiten sind wiederum zwei Kategorien zu unterscheiden. Zum einen kann ein solcher Streit dadurch verursacht sein, daß ein Organ(teil) die Entscheidung oder Maßnahme eines anderen für rechtswidrig erachtet, ohne freilich zu behaupten, selbst in irgendeiner Weise betroffen oder verletzt zu sein. Beispielsweise muß der Bürgermeister nach § 43 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz GemO BW Beschlüssen des Gemeinderates widersprechen, die er für „gesetzwidrig" erachtet. Letzterer Begriff ist, da es hier um die Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung geht, im weiten Sinne jeder Rechtswidrigkeit zu verstehen; ob gerade die dem Bürgermeister durch die Gemeindeordnung zugewiesenen Kompetenzen betroffen sind, spielt hierfür keine Rolle 176 . Angesichts der Ausgestaltung der VwGO als System zum Schutz individueller subjektiver Rechte177 besteht Einigkeit, daß die gerichtliche Geltendmachung eines solchen bloß objektivrechtlichen Rechtsverstoßes oder einer Rechtsverletzung ohne Bezug zu den Rechten des Klägers nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung statthaft ist 178 . Derartige Streitigkeiten werden im 173 Vgl. Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 9; Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 13. 174 Als Beispiel hierfür kann der Streit um den Beschluß der Bundesregierung zum Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen im Gebiet des früheren Jugoslawien dienen, den die F.D.P. politisch unterstützt und im Kabinett mitgetragen, gleichwohl aber aus verfassungsrechtlichen Gründen vor dem BVerfG angegriffen hat; vgl. hierzu und zur Antragsbefugnis der F.D.P.-Fraktion im diesbezüglichen Verfassungsorganstreitverfahren BVerfGE 90, 286, 338 ff. 1 5 Streitigkeiten dieser Art haben beispielsweise zu einer Reihe von Klagen des Europäischen Parlaments gegen den Rat der Europäischen Union geführt, wenn dieser einen Rechtsakt auf Vertragsbestimmungen stützte, die dem Europäischen Parlament geringere Mitwirkungsbefugnisse zugestanden als diesem bei einer Anwendung der von ihm für zutreffend erachteten Ermächtigungsgrundlage einzuräumen gewesen wären. Vgl. zur Zulässigkeit dieser Klagen zwecks Wahrung des institutionellen Gleichgewichts innerhalb der Union und zur Verteidigung der parlamentarischen Kompetenzen nunmehr ausdrücklich Art. 230 Abs. 3 EGV und zuvor schon EuGH, Slg. 1990,1-2067, 2072 Tz. 16 ff.; 1994,1-653, 657 Tz. 11 ff. (vgl. hierzu oben Fn. 43). 176 Vgl. Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 275; Kingreen, DVB1. 1995, 1339 f.; Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, §43 (10. Lfg. 1995) Rn. 6 f.; entsprechende Regelungen finden sich in sämtlichen Gemeindeordnungen, vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 506; Stober, Kommunalrecht, § 15 V 2 a. 177 S. hierzu näher unten C.IV. 1. 178 S. unten C.IV.I.e.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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allgemeinen nicht als Organstreitigkeiten verstanden, und sie sollen ihrer ganz anderen Problemlage wegen auch aus dieser Arbeit ausgeklammert bleiben. Zum anderen kann der Streit darauf beruhen, daß sich das eine Organ in seinen Kompetenzen (Zuständigkeiten oder Mitwirkungsrechten) verletzt sieht, und also - ganz unabhängig von der Frage, ob es sachlich und inhaltlich mit der beanstandeten Entscheidung einverstanden ist - dafür hält, das andere Organ sei aus Kompetenzgründen gar nicht zuständig gewesen oder es habe zumindest bestimmte Mitwirkungsbefugnisse beachten müssen. Da die Kompetenzen eines Organs letztlich auf Rechtsakte zurückzuführen sein müssen179, begründet jede Kompetenzverletzung notwendig zugleich eine Rechtsverletzung in einem allgemeinen Sinn. Sie ist jedoch eine in der Weise qualifizierte Rechtsverletzung, daß sie einen spezifischen Bezug gerade zu dem rügenden Organ hat, indem sie nämlich nicht gegen irgendwelche Rechtssätze verstößt, sondern gerade gegen kompetenzzuweisende. Der Streit um die Kompetenzwidrigkeit eines Organhandelns ist somit ein Unterfall eines Streites um die Rechtswidrigkeit. Der Unterschied besteht darin, daß eine Kompetenzwidrigkeit ihren Grund im Verhältnis der betroffenen Organe hat - und deshalb durch rein organisationsinterne Vorkehrungen zu vermeiden war - , während eine sonstige Rechtswidrigkeit organisationsexterne Gründe hat und deshalb auch nicht durch ein einvernehmliches Agieren der beteiligten Organe zu vermeiden ist.

bb) Rechtsbedingtheit der Zuordnung des Streites Die Abgrenzung, ob ein Streit um die Richtigkeit oder um die Rechtmäßigkeit eines Organhandelns geführt wird, ist nicht von der Natur der Sache her vorgegeben, sondern vielmehr von der konkreten Ausgestaltung seines rechtlichen Umfeldes abhängig. Denn welche rechtlichen Grenzen bei einer Entscheidung zu beachten sind, hängt von den einschlägigen Rechtssätzen ab, ob und in welchem Umfang sie politische Gestaltungsspielräume, Beurteilungsspielräume bei der Bewertung von Vorgängen und Ereignissen, ein Planungsermessen oder sonstige Formen eines Ermessens einräumen. Je enger die rechtlichen Grenzen des Organhandelns gezogen sind und je mehr und je genauere rechtliche Vorgaben diesbezüglich gemacht sind, desto weniger Raum bleibt für bloße Sachstreitigkeiten um die Richtigkeit der Maßnahme und desto eher wird ein Streit um ihre Rechtmäßigkeit geführt werden. Im äußersten Fall können die rechtlichen Vorgaben sogar so spezifisch und eng sein, daß jeder Streit notwendig ein Rechtmäßigkeitsstreit sein muß, weil ein Spielraum oder ein Ermessen hinsichtlich der Sachentscheidung nicht verbleibt. Solange dies aber nicht der Fall ist, bleibt ein bloßer Streit um die Richtigkeit einer Entscheidung oder Maßnahme 179

Vgl. hierzu näher unten C.II, und C.III.

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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möglich, sofern nicht gleichzeitig durch die Geltendmachung einer Überschreitung der dem Spielraum oder dem Ermessen gesetzten rechtlichen Grenzen eben auch die Rechtmäßigkeit derselben in Zweifel gezogen wird.

cc) Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen zur Kanalisierung von Sachstreitigkeiten Die Rechtsordnung als solche hält zwar keine materiellen Entscheidungsmaßstäbe fur bloße Sachstreitigkeiten um die politische Richtigkeit und Zweckmäßigkeit einer Maßnahme bereit 180 . Jedoch auch wenn sie den sachlichen Streit nicht durch das Normieren rechtlicher Vorgaben zu einem Rechtsstreit machen will, verhält sie sich nicht etwa gänzlich indifferent gegenüber solchen Sachstreitigkeiten. Insoweit sie nämlich die Austragung derartiger Konflikte nicht einfach dem „Gesetz" des (politisch) Stärkeren überantworten will, bestimmt sie durch rechtliche Vorgaben, welches Organ oder Organteil für die Sachentscheidung zuständig sein und damit im Streitfall das Sagen haben soll. Eine der wichtigsten Funktionen einer Kompetenzordnung ist daher die Festlegung, wer welche rechtlich nicht regelbaren oder jedenfalls nicht geregelten Sachentscheidungen treffen soll, die dann von allen anderen als verbindlich hinzunehmen sind. Derartige Zuständigkeitsregelungen können gegebenenfalls mit besonderen Verfahrensregelungen für den Fall eines sachlichen Disputes zwischen den involvierten Organen gekoppelt sein, um diesen durch eine Ausweitung des Verfahrens bis zu einer definitiven Entscheidung hinaus noch weitere Gelegenheit zu verschaffen, ihren Streit in der Sache doch noch beizulegen. Namentlich in Betracht kommt hier die Einräumung aufschiebender und/oder überstimmbarer Veto-Möglichkeiten 181 oder der Befugnis zur Anrufung weiterer Schlichtungsoder Entscheidungsorgane 182. Solche verfahrensrechtlichen Lösungen unterscheiden sich von dem gewöhnlichen Verfahren, das zur Entscheidungsfindung ohnehin durchlaufen werden muß, lediglich dadurch, daß seine Einleitung in die Option des politisch unterlegenen dissentierenden Organs gestellt ist, welches sachlich mit der Entscheidung nicht einverstanden ist, im normalen Verfahrensverlauf aber keine Möglichkeit hatte, jene Entscheidung zu verhindern. Eine Verrechtlichung der streitigen Frage selbst wird hierdurch aber nicht bewirkt, diese bleibt vielmehr unverändert Gegenstand politischer Entscheidung.

180

Zum hiermit zusammenhängenden Erfordernis einer Rechtsstreitigkeit als Grundvoraussetzung jeder Anrufung eines Gerichts näher unten C.I.l.d. 181 Zu solchen internen Kontrollmöglichkeiten eingehend Löer, Kontrolle, S. 35 ff, 182 ff. 182 Vgl. Schulze, Staatsrecht I, S. 505.

I. Entstehung und Gegenstand von Organstreitigkeiten

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Beispiele für diese Regelungstechnik finden sich sowohl im Bereich des Verwaltungsais auch des Verfassungsrechts. Im ersteren Bereich ist zunächst ganz allgemein an die jederzeit mögliche Anrufung des gemeinsamen Behördenleiters oder der etwa bestehenden Fachaufsichtsbehörde mit der Bitte zu denken, die inkriminierte Entscheidung im Wege einer sachlichen Weisung zu ändern. Als eine spezielle Regelung ist auf § 43 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz GemO BW zu verweisen, wonach der Bürgermeister Beschlüssen des Gemeinderates mit aufschiebender Wirkung (§ 43 Abs. 2 S. 3 GemO BW) widersprechen kann, wenn er der Auffassung ist, daß sie für die Gemeinde „nachteilig" sind. Letzteres ist der Fall, wenn sie nach der subjektiven Überzeugung des Bürgermeisters 183, auch ohne rechtswidrig zu sein - dann ist der Bürgermeister ohnehin zur Einlegung eines Widerspruchs verpflichtet (§ 43 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz GemO BW) - , nicht unerhebliche negative Auswirkungen materieller oder immaterieller Art für die Gemeinde haben können (z.B. für die Gemeindefinanzen, das Ansehen der Gemeindeverwaltung, den Frieden in der Gemeinde)184. Der Gemeinderat hat dann auf einer spätestens binnen drei Wochen stattfindenden Sitzung erneut über die Angelegenheit zu beschließen (§ 43 Abs. 2 S. 4 GemO BW); hält der Bürgermeister auch den neuen Beschluß für der Gemeinde nachteilig, so muß er ihn gleichwohl ausführen (arg. e § 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW) - das aufschiebende Veto soll lediglich dem Bürgermeister die Chance geben, seine sachlichen Bedenken nachdrücklich geltend zu machen, nicht jedoch die kompetenzordnungsgemäße Verantwortlichkeit des Gemeinderates für die politische Zweckmäßigkeit seiner Beschlüsse aufheben 185. Im Bereich des Verfassungsrechts ist als Beispiel etwa der Fall sachlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren an einer Angelegenheit federführend oder mitberatend beteiligten Bundesministern zu nennen, über die gemäß Art. 65 S. 3 GG die Bundesregierung entscheidet186. Verfahrensrechtliche Regelungen zur Herbeiführung von Kompromissen bei sachlich-politischcn Streitigkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat enthalten die Bestimmungen über den Vermittlungsausschuß (Art. 77 Abs. 2 GG) sowie über das anschließend mögliche aufschiebende Veto des Bundesrates bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzen (Art. 77 Abs. 3 GG). Zwar kann der Bundesrat weder durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses noch durch die Erhebung eines Einspruchs das Zustandekommen solcher Gesetze letztlich verhindern. Indessen wird hierdurch das Gesetzgebungsverfahren verlängert und verkompliziert, und hierdurch die Wahrscheinlichkeit eines politischen Kompromisses über die sachlichen Divergenzen erhöht 187, zumal wenn diese Verfahrenserweiterung die Einbeziehung weiterer strittiger 183 BGH, NJW 1998, 1944, 1945; vgl. Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 29 f.; Löer, Kontrolle, S. 50. 184 Vgl. hierzu Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 43 (2. Lfg. 1984) Rn. 9. Vergleichbare Widerspruchsrechte bestehen nach den meisten deutschen Gemeindeordnungen, vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 506; zu restriktiv Löer, Kontrolle, S. 49 f.; krit. gegen dieses Widerspruchsrecht Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 37. 185 Vgl. Löer, Kontrolle, S. 49. 186 Vgl. hierzu Hermes, in Dreier, GG, Art. 65 Rn. 35; Herzog., in Maunz/Dürig, GG, Art. 65 (23. Lfg. 1984) Rn. 75; Meyn, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 65 Rn. 16; Oldiges, in Sachs, GG, Art. 65 Rn. 26. 187 Zu dieser Zielsetzung der betreffenden Verfahren vgl. Bryde, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 77 Rn. 7; Lücke, in Sachs, GG, Art. 77 Rn. 7, 21; Stettner, in Dreier, GG, Art. 77 Rn. 15; ferner Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 77 (Lfg. 1970) Rn. 12.

6 Roth

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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Sachfragen ermöglicht und so die Möglichkeit eines Gesamtkompromisses schafft - auf einem anderen Blatt steht freilich, daß solche Kompromisse keineswegs immer in der Sache sinnvoll sind und nicht selten auf einen Kuhhandel hinauslaufen. Besonders drastische verfahrensrechtliche Möglichkeiten der Reaktion auf sachliche Streitigkeiten sind etwaige (destruktive oder konstruktive) Mißtrauensvoten, welche einem Organ die Macht verleihen, sachliche Differenzen mit einem anderen Organ dadurch zu bereinigen, daß es einzelne oder sämtliche Organwalter des anderen Organs absetzt oder abwählt und sodann in der Sachfrage übereinstimmende Organwalter beruft 188.

Verfahrensregelungen der beschriebenen Art können natürlich ihrerseits Anlaß zu Organstreitigkeiten geben, wenn ein Organ oder Organteil die Verletzung von Verfahrensvorschriften insbesondere zu seinen Lasten oder eine sonstige Kompetenzverletzung in solchen Verfahrensabschnitten rügt. Dadurch werden indessen wiederum lediglich die allgemeinen Kompetenzprobleme aufgeworfen, nicht aber die Frage der Richtigkeit der Entscheidung zu einer solchen ihrer Rechtmäßigkeit gemacht.

188

Vgl. hierzu aber unten F.II.l.b.cc.

II. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten Die Herausarbeitung eines rechtlichen Lösungsansatzes für Organstreitigkeiten dürfte davon profitieren, wenn man sich zuvor einen Überblick über die verschiedenen in Betracht kommenden Streitkonstellationen und zugleich eine Vorstellung davon verschafft, welche große praktische Bedeutung und zugleich Problemvielfalt die Organstreitigkeiten aufweisen. Dabei ist sinnvollerweise von den anerkanntermaßen als verwaltungsgerichtlich austragbaren Organstreitigkeiten auszugehen (nachfolgend 1.). Diese erweisen die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten als einen prozessual eigenständigen Typus (unten 2.), der von Streitigkeiten unter Beteiligung eines Nichtorgans (unten 3.) sowie von Organwalterstreitigkeiten um persönliche Rechte abzugrenzen ist (unten 4.).

1. Fallgruppen verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Zumeist werden die Organstreitigkeiten in die zwei Unterkategorien der Interund der Intraorganstreitigkeiten aufgeteilt, nämlich den Streitigkeiten zwischen zwei Organen derselben juristischen Person und den Streitigkeiten innerhalb eines Organs1. Diese Klassifizierung ist freilich, weil die genannten Streitkonstellationen auch in Kombination auftreten können2, teilweise unpräzise und jedenfalls näher erläuterungsbedürftig. Die Einbeziehung der verschiedenen Fallgruppen unter denselben Oberbegriff der Organstreitigkeiten beruht dabei zunächst allein auf ihrer phänomenologischen Verwandtschaft als Streitigkeit innerhalb einer Organisation, durch welche sie sich deutlich von Streitigkeiten zwischen verschiedenen Organisationen abheben. Zu betonen ist, daß damit noch keinesfalls die Behauptung verbunden sein soll, daß alle solche Organstreitigkeiten nach denselben materiellrechtlichen und prozessualen Grundsät1

Vgl. OVG Münster, OVGE 27, 258, 259 f.; 35, 8; JZ 1983, 25; Barth, Subjektive Rechte, S. 14; Bauer/Krause, JuS 1996, 411; Bethge, HKWP II, S. 177; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 158; Fink, WissR 1994, 127 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 785; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 120; ders., NJW 1980, 1018; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 3; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 118; Krebs, Jura 1981, 570; Löer, Kontrolle, S. 28; Martensen, JuS 1995, 989; Püttner, Organstreitverfahren, S. 133; Schnapp, VerwArch 1987, 426; Stober, Kommunalrecht, § 1 5 X 1 ; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 91. 2 Bethge, Die Verwaltung 1975, 468.

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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zen zu behandeln seien. Ob und inwieweit dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Untersuchung der den rechtlichen Status der betroffenen Organe und Organteile im Verhältnis zueinander sowie zu der Organisation regelnden Gesetzesvorschriften und nur unter Berücksichtigung des jeweiligen Grundes und Gegenstandes des entstandenen Streites entschieden werden. Diese Klärung ist den weiteren Teilen dieser Arbeit vorbehalten. Allerdings vermittelt bereits ein Überblick über die von den Verwaltungsgerichten für zulässig erachteten verwaltungsrechtlichen Organstreitverfahren einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit der Problematik.

a) Interorganstreitigkeiten Verfügt eine Organisation über mindestens zwei Organe, so ist eine sogenannte Interorganstreitigkeit denkbar, mit welchem Begriff Streitigkeiten zwischen Organen derselben Organisation bezeichnet werden. Der Konflikt besteht hier auf derselben Ebene der Organisationsstruktur, insofern ja die beteiligten Organe unabhängig von ihrer eigenen inneren Strukturierung gliederungsmäßig die obersten Wirkeinheiten der Organisation darstellen. Beispiele solcher Interorganstreitigkeiten sind die als zulässig erachteten Klagen des Gemeinderats gegen den Bürgermeister wegen erfolgter Beanstandung eines Gemeinderatsbeschlusses3, des Bürgermeisters gegen den Gemeinderat auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses wegen Befangenheit 4, des Ersten Bürgermeisters (als ständiger Stellvertreter des Oberbürgermeisters selbst Organ der Gemeinde) gegen den Oberbürgermeister wegen Verletzung seiner allgemeinen Vertretungsbefugnis 5, entsprechend eines Beigeordneten gegen den Bürgermeister wegen der von diesem verfügten Beschränkung seiner Vertretungsbefugnis 6 , schließlich eines Landschaftsbeirates gegen den Bürgermeister in seiner Funktion als Organ der Landschaftsverwaltung wegen Verletzung seines Beteiligungsrechtes7.

b) Interorganteilstreitigkeiten Bei pluralistischen Organen kann es zu Streitigkeiten zwischen deren Organteilen kommen. In der forensischen Praxis sind derartige Interorganteilstreitigkeiten allerdings nur bei kollegialischen Organen relevant, weil bei monokrati-

3 4 5 6 7

VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 409. VGH Mannheim, ES VGH 28, 210. OVG Koblenz, AS 9, 335, 343 ff. VG Potsdam, LKV 1998, 409. OVG Münster, NWVB1. 1998, 149.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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sehen Organen der leitende Organwalter alle internen Konflikte entscheidet und es deshalb im allgemeinen nicht zu einer gerichtlichen Austragung derselben kommt 8 . Streitigkeiten zwischen Teilen desselben Organs werden in Abgrenzung zu den Interorganstreitigkeiten zumeist Intraorganstreitigkeiten genannt. Diese Terminologie ist allerdings insofern unpräzise, als Streitigkeiten innerhalb eines Organs nicht notwendig zwischen zwei Orgmteilen bestehen müssen, sondern vielmehr auch die praktisch sehr bedeutsamen Streitigkeiten zwischen einem Organteil und dem betreffenden Organ selbst im eigentlichen Sinne des Wortes Intraorganstreitigkeit sind9. Daher spricht man bei Streitigkeiten zwischen Organteilen desselben Organs besser von Interorganteilstreitigkeiten, um so auch die strukturelle Parallele zu den Interorganstreitigkeiten auszudrükken. Entsprechend der Mehrzahl von Organteilen sind verschiedene Konstellationen von Interorganteilstreitigkeiten denkbar. Zu nennen sind beispielsweise die Klagen — eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Bürgermeister in seiner Unterorganfunktion als Ratsvorsitzender wegen unterbliebener Ladung 10 , auf Erlaß eines Rauchverbotes für die Ratssitzungen11, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ordnungsrufs 12 oder eines Saalverweises13, auf Berücksichtigung eines Antrags 14 bzw. Änderungsantrags zur Tagesordnung 15, wegen Verhinderung einer Abstimmung im Gemeinderat 16, auf Zulassung mündlicher Anfragen 17, entsprechend eines Kreistagsmitglieds gegen den Vorsitzenden des Kreistags wegen Entzug des Rederechts 18, auf Feststellung, er sei nicht ordnungsgemäß zu einer Gemeinderatssitzung eingeladen worden 19 , wegen Frak— eines Gemeinderatsmitglieds gegen eine Gemeinderatsfraktion tionsausschlusses20 bzw. auf Zulassung zur Fraktionsarbeit 21, entsprechend von

8 Zur Problematik des Rechtsschutzes gegen hierarchische Weisungen eingehend unten C.III. 9 Bauer/Krause, JuS 1996, 411. 10 OVG Koblenz, AS 10, 55, 56. 11 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1990, 98; OVG Münster, JZ 1983, 25. 12 OVG Koblenz, DVB1. 1987, 147; NVwZ-RR 1996, 52, 53. 13 VGH Mannheim, VB1BW 1993, 259; OVG Münster, OVGE 32, 192 f. 14 VGH Mannheim, NVwZ 1984, 664; OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 460. 15 OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1288. 16 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 204. 17 VGH Mannheim, VB1BW 1989, 96, 97. 18 V G Stuttgart, NVwZ 1990, 190. 19 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 369. 20 VGH Kassel, NVwZ 1992, 506; OVG Lüneburg, NVwZ 1994, 506; OVG Münster, NJW 1989, 1105; NVwZ 1993, 399; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1990, 104; a.A. VGH München, NJW 1988, 2754 ff.; NVwZ 1989, 494: zivilrechtliche Streitigkeit. 21 VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 580.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Kreistagsmitgliedern gegen Kreistagsfraktionen tagsbeschlüsse und Landratswahl 22,

wegen rechtswidriger Kreis-

— eines Ausschußmitglieds gegen den Ausschußvorsitzenden auf Ausspruch eines Rauchverbotes in den Ausschußsitzungen23, — eines Ausschußmitglieds gegen den Ausschuß auf Feststellung der Verfahrensfehlerhaftigkeit eines Ausschußbeschlusses24, auf Unterlassung einer Beschlußfassung ohne ausreichende Informationsgrundlage 25, wegen dessen Beschlusses über nichtöffentliche Beratung 26, auf Feststellung der Nichtigkeit eines Ausschußbeschlusses wegen Verletzung der Sitzungsöffentlichkeit 27, — einer Gemeinderatsfraktion gegen den Bürgermeister als Gemeinderatsvorsitzenden auf Feststellung der Verpflichtung, ihren Antrag auf die Tagesordnung zu setzen28, — eines Viertels der Gemeinderäte gegen den Gemeinderatsvorsitzenden Aufnahme eines Verhandlungsgegenstandes in die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung 29.

auf

c) Intra-Organ-Organteil-Streitigkeiten Wie bereits im Vorstehenden erwähnt, erfaßt der Bereich der Intraorganstreitigkeiten nicht lediglich die Interorganteilstreitigkeiten, sondern auch die praktisch in der Tat sogar deutlich bedeutsameren Streitigkeiten zwischen einem Organ und einem seiner Teile. Diese sollen in konsequenter Fortentwicklung der Terminologie als Intra-Organ-Organteil-Streitigkeiten bezeichnet werden. Beispiele für derartige Streitigkeiten sind die Klagen — eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Gemeinderat auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bzw. Unwirksamkeit eines Gemeinderatsbeschlusses wegen Beschlußunfähigkeit 30, wegen tagesordnungswidriger Beschlußfassung 31, wegen

22

OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361 f.; OVG Lüneburg, OVGE 2, 225. OVG Münster, ΝWVB1. 1991, 16. 24 OVG Münster, NVwZ-RR 1992, 205. 25 VG Schwerin, LKV 1998, 74. 26 BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 179. 27 OVG Münster, OVGE 35, 8, 9. 28 VGH Kassel, NVwZ 1986, 328 f.; DÖV 1988, 304; OVG Koblenz, DVB1. 1985, 906 m. Anm. v. Unruh; OVG Lüneburg, DVB1. 1984, 734 f.; OVG Münster, DVB1. 1984, 155. 29 VGH Mannheim, DVB1. 1984, 729, 730. 30 OVG Münster, OVGE 17, 261. 31 VG Greifswald, LKV 1999, 110. 23

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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nicht ordnungsgemäßer Ladung und Einberufung der Sitzung32, auf Unterlassung einer Beschlußfassung wegen unzulänglicher Beschlußvorlage 33, wegen geschäftsordnungswidriger Nichtdurchführung einer geheimen Abstimmung 34 , auf Zulassung als Zuhörer zu den Sitzung aller Gemeinderatsausschüsse35, wegen fehlerhafter Beschlüsse über die Besetzung der Ausschüsse36, auf Erteilung eines Sitzes in einem Gemeinderatsausschuß37, auf Gewährung eines Antragsund Stimmrechts in weiteren Ausschüssen38, wegen seiner Abberufung als Vertreter der Stadt im Aufsichtsrat eines kommunalen Energieversorgungsunternehmens39, auf Wiederholung einer Beigeordnetenwahl 40, wegen erfolgter Feststellung seiner Befangenheit 41, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Sitzungsausschlusses42, wegen Beschränkung seiner Redezeit43, auf Feststellung der Berechtigung zur Fraktionsbildung 44, gegen den Kreistag wegen rechts— entsprechend von Kreistagsmitgliedern widriger Kreistagsbeschlüsse und Landratswahl 45, wegen des Beschlusses über die Verlegung des Kreissitzes 46, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Kreistagsbeschlusses wegen Mitwirkung Befangener bei der Abstimmung 47 , auf Feststellung der nicht ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Kreistags als Folge der zu Unrecht unbeanstandeten Teilnahme eines Nachrückers 48, — entsprechend von Mitgliedern einer Regionalen Planungsversammlung gegen diese wegen Verletzung ihres Initiativrechts 49, entsprechend von studentischen Mitgliedern des Senats einer Universität gegen den Senat auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wahl des studentischen Verwaltungsratsmitglieds 50, 32

VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 153, 154; VB1BW 1999, 304. VG Schwerin, LKV 1998, 76; 2000, 167. 34 VGH Kassel, NVwZ 1988, 81; OVG Münster, OVGE 35, 83. 35 OVG Lüneburg, OVGE 3, 223 f.; 6, 437. 36 BVerwGE 3, 30 f., 33; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 140; OVG Münster, OVGE 10, 143 f. 37 BVerwG, DÖV 1978, 415; OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1196; VGH Mannheim, ESVGH 28, 7, 8; NVwZ 1990, 893. 38 OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459. 39 OVG Münster, NVwZ 1990, 791. 40 OVG Münster, NVwZ 1992, 286. 41 VGH Mannheim, VB1BW 1987, 24 f.; VG Minden, NvwZ 1989, 689. 42 VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342, 343. 43 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229. 44 BVerwG, NJW 1980, 304; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1997, 310; VGH Mannheim, BWVPr 1978, 88; VB1BW 1989, 178. 45 OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361 f.; OVG Lüneburg, OVGE 2, 225. 46 OVG Lüneburg, OVGE 4, 240. 47 OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178. 48 VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182. 49 VGH Kassel, ESVGH 44, 291. 50 VGH Mannheim, DÖV 1983, 862. 33

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

eines Verwaltungsratsmitglieds einer Sparkasse gegen den Verwaltungsrat auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Vorstandsbestellung und der Verweigerung von Akteneinsicht 51, schließlich eines Mitglieds einer Kammerversammlung gegen die Kammerversammlung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gefaßter Beschlüsse52, — einer Gemeinderatsfraktion gegen den Gemeinderat wegen verfahrensfehlerhafter oder sonst gesetzwidriger Bürgermeisterwahl 53, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses wegen Beschlußunfähigkeit 54, wegen unzulässiger Absetzung eines Tagesordnungspunktes55, auf Zuteilung von Ausschußsitzen56 bzw. eines Sitzes mit vollem Stimmrecht in allen Gemeinderatsausschüssen57, auf Durchführung einer Neuwahl der in den Aufsichtsrat einer kommunalen Beteiligungsgesellschaft zu entsendenden Mitglieder 58 , entsprechend einer Kreistagsfraktion gegen den Kreistag auf Gewährung von Fraktionszuschüssen59, sowie einer Fraktion in der Bezirksversammlung gegen die Bezirksversammlung auf einen Sitz in deren Ausschüssen60, — von Ausschußmitgliedern Ausschusses61,

gegen den Gemeinderat wegen der Auflösung des

— schließlich eines Gemeinderatsausschusses gegen den Gemeinderat wegen Verletzung seiner gesetzlichen Zuständigkeiten62.

d) Inter-Organ-Organteil-Streitigkeiten Mit den Interorganstreitigkeiten und den Intraorganstreitigkeiten sind noch nicht alle Fälle der Organstreitigkeiten erfaßt. Tatsächlich fehlt noch eine praktisch durchaus bedeutsame Fallgruppe, nämlich die Streitigkeiten zwischen einem Organ und dem Teil eines anderen Organs, die zur Unterscheidung von

51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 103. OVG Münster, OVGE 28, 208, 209. OVG Münster, VRspr 4, 389; NVwZ 1989, 989 f. OVG Münster, OVGE 30, 196 f. OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 380. OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 140; VGH Mannheim, VB1BW 1988, 407 f. OVG Saarlouis, NVwZ 1992, 289. VG Göttingen, NdsVBl. 1999,218. VGH Kassel, DVB1. 1998, 781 f. BVerwG, DVB1. 1986, 240, 241; OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242. OVG Münster, OVGE 27, 258, 259. BVerwGE 97, 223, 224.

57

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

den Intra-Organ-Organteil-Streitigkeiten als Inter-Organ-Organteil-Streitigkeiten zu bezeichnen sind 63 . Beispiele hierfür sind die Klagen — eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Bürgermeister wegen der Durchführung einer Maßnahme ohne vorherige Zustimmung des Gemeinderats 64, namentlich wegen unzulässiger Eilentscheidung an Stelle des Gemeinderats 65, wegen Vollziehung eines Gemeinderatsbeschlusses betreffend die Besetzung eines Ausschußsitzes66, wegen Ausübung des Fragerechts 67, auf Erteilung von Auskünften 68 oder Gewährung von Akteneinsicht 69, — einer Gemeinderatsfraktion gegen den Bürgermeister Eilentscheidung70, wegen verweigerter Akteneinsicht 71,

wegen unzulässiger

— schließlich aus dem Bereich der Hochschulverfassungsorganstreitigkeiten des Rektors einer Universität gegen den AStA als Organ der Studierendenschaft auf Unterlassung allgemeinpolitischer Stellungnahmen72.

2. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten als eigenständiger Prozeßtypus Organstreitigkeiten sind im Vorstehenden beschrieben worden als Streitigkeiten zwischen Organen und/oder Organteilen derselben Organisation um ihre gegeneinander abgegrenzten oder abzugrenzenden Kompetenzen73. Eine Organstreitigkeit in diesem Sinne liegt also nicht vor, wenn es sich bei wenigstens einer am Streit beteiligten Partei nicht um ein Organ oder Organteil handelt, oder wenn der Streit nicht um eine organschaftliche Kompetenz geführt wird. Dies festzuhalten ist deshalb angezeigt, weil es Fälle gibt, die eine gewisse Ähnlich63

Bethge, Die Verwaltung 1975, 468 ordnet diese Konstellation „mehr als Unterfall der interorganschafilichen Streitigkeit" ein; fur eine eigenständige Klassifizierung spricht jedoch, daß die Organteile den Streit hier in der Regel ohne, wenn nicht gar gegen den Willen ihres Mutterorgans führen und sich daher eine Reihe besonderer Probleme ergeben, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob sie in einem solchen Verfahren fähig sind, die Verletzung der Rechte des Mutterorgans zu rügen, ferner aber auch Fragen der Beteiligungsfähigkeit und der Kostentragung. 64 OVG Münster, ΝWVB1. 1989,21. 65 VGH Mannheim, NVwZ 1993, 396. 66 VGH München, NVwZ 1989, 494. 67 VGH Kassel, NVwZ-RR 1998, 773. 68 VGH Mannheim, VB1BW 1990, 20. 69 OVG Münster, NVwZ 1999, 1252. 70 OVG Münster, NVwZ 1989, 989 f. 71 OVG Greifswald, LKV 1999, 106 f. 72 OVG Münster, OVGE 24, 82, 83. 73 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 153; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 25; Meder, LKV 1998, 346.

58

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

keit mit Organstreitigkeiten aufweisen und deshalb auch verschiedentlich als solche eingeordnet oder behandelt worden sind 74 , obgleich dies näherer Betrachtung nicht standhält. Nun wäre es zwar bei streng logischer Betrachtung unerheblich, ob eine bestimmte Fallkonstellation als Organstreitigkeit verstanden wird oder nicht. Denn „Organstreitigkeiten" sind keine gesetzliche Kategorie in dem Sinne, daß an die Qualifikation eines konkreten Streitfalles als Organstreitigkeit unmittelbare Rechtsfolgen geknüpft wären 75, und insofern könnte es zu Mißverständnissen einladen, nachgerade von einem eigenen „prozessualen Rechtsinstitut" der Organstreitigkeit 76 zu sprechen. Vielmehr dient die Zusammenfassung von Fällen der vorstehend geschilderten Art unter dem Titel der Organstreitigkeit zunächst allein Systematisierungszwecken, an welche sich die Herausarbeitung adäquater prozessualer wie auch materiellrechtlicher Regelungen erst noch anschließen muß 77 . Insofern erübrigt sich die konkrete rechtliche Prûfung nicht schon aufgrund der bloßen Zuordnung eines Falles zu den Organstreitigkeiten. Gleichwohl ist unverkennbar, daß sich die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten im Laufe der Rechtsentwicklung zu einem eigenen Typus von Streitigkeiten herausgebildet haben. Denn nicht nur werfen die hierunter zu zählenden Konstellationen vergleichbare Fragen auf, und zwar überdies solche, die sich in dieser Weise nur bei den beschriebenen Organstreitigkeiten stellen78, zudem erheischen sie auch vergleichbare Antworten und sind im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung ähnlich zu behandeln. Infolgedessen wäre es kaum sinnvoll, andere, eben diese Probleme überhaupt nicht aufwerfenden Sachverhalte in die Kategorie der Organstreitigkeiten mit einzubeziehen. Nachdem sich zur Beantwortung der spezifischen Probleme bei Organstreitigkeiten spezifische Antworten herausgebildet haben - deren Darstellung, Kritik, Präzisierung, Fortentwicklung und nicht zuletzt dogmatische Fundierung ist Gegenstand dieser Arbeit - , kann es nicht ausbleiben, daß mit dem Etikett „Organstreitigkeit" gewisse mittlerweile festgefugte prozessuale Vorstellungen verbunden werden 79. In diesem Sinne handelt es sich bei den verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten um eine besondere Kategorie von Streitigkeiten, welche nicht bloß besondere tatsächliche Eigenheiten aufweisen, sondern die auch in rechtlicher Hinsicht eine spezifische Behandlung erfahren - in der Tat rechtfertigt und ge74

Vgl. OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 362. Vgl. Erichsen, in FS Menger, S. 213; Lüders, Ratsausschüsse, S. 38, 48; Schnapp, VerwArch 1987, 440; Schoch, JuS 1987, 785; Schröder, NVwZ 1985, 246. 76 OVG Münster, DÖV 1962, 710; Hoppe, NJW 1980, 1018; ferner OVG Lüneburg, OVGE 22, 508, 509; Heermann,, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 51 f. („besondere Prozeßart"); Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 1 („bestimmte Prozeßart"). 77 Schnapp, VerwArch 1987, 440 f. 78 S. unten B.I.3. 79 Vgl. Bethge, DVB1. 1980, 824; Lüders, Ratsausschüsse, S. 37. 75

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

59

bietet erst dieser Umstand ihre besondere Heraushebung in einer rechtswissenschaftlichen Arbeit, nachdem die Untersuchung allein der tatsächlichen Aspekte eher in das Fach der Verwaltungslehre sowie der Politologie und Soziologie fiele. Damit aber birgt die irrige Einordnung eines Falles unter den Typus der Organstreitigkeit die Gefahr, daß seine rechtliche, insbesondere seine prozessuale Behandlung von vornherein auf die falsche Schiene gerät. Diese aus einer unzutreffenden Klassifizierung eines Falles erwachsende Gefahr erweist sich schon bei den verwaltungsprozessualen Beteiligtenverhältnissen. Es entspricht nämlich, wie sich aus den zahlreichen angeführten Beispielen 80 ergibt, mittlerweile ganz herrschender Meinung, daß verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten vor Gericht zwischen den beteiligten Organen und Organteilen ausgetragen werden können und müssen, daß also sowohl auf Kläger- wie auf Beklagtenseite ein Organ oder Organteil steht81. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil Organe aufgrund ihrer Wesensnatur als transitorische Wahrnehmungseinheiten für ihre Organisation 82 sonst grundsätzlich überhaupt nicht als aktiv oder passiv prozeßführungsbefugte Beteiligte in einem Verwaltungsstreitverfahren auftreten, sondern vielmehr - vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Ausnahmeregelung - jeweils die juristische Person Beteiligte ist, auch wenn natürlich immer ein Organ oder Organteil die streitige Handlung vorgenommen oder unterlassen hat. Die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten heben sich also nicht nur in tatsächlicher, sondern vor allem auch in (prozeß)rechtlicher Hinsicht dadurch von allen anderen Verwaltungsstreitverfahren ab, daß sie in Abweichung von dem nach allgemeinen Grundsätzen zu Erwartenden zwischen Organen und Organteilen von Hoheitsträgern ausgetragen werden, und gerade nicht zwischen den in allen anderen Verfahren beteiligten Hoheitsträgern 83. Wie dies dogmatisch zu begründen ist, ist an späterer Stelle zu untersuchen 84. Hier genügt es festzuhalten, daß die Konstellation, daß auf beiden Seiten im Prozeß auch ohne dahingehende ausdrückliche gesetzliche Anordnung Organe und Or80

S. vorstehend A.II. 1. BVerwG, BWVPr 1977, 181, 182 f.; DVB1. 1988, 792; Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 179; OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 43; 1998, 361, 362; OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242; OVG Koblenz, NJW 1992, 1844; VGH Mannheim, DÖV 1983, 862; 1988, 476; NVwZ-RR 1990, 369, 370; VB1BW 1999, 304; OVG Münster, JZ 1983, 25; NVwZ-RR 1990, 101, 103; DVB1. 1992, 444, 445; Bethge, HKWP II, S. 188; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 162; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 6, § 78 Rn. 2 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 118; Martensen, JuS 1995, 1078; Stern/ Bethge, Rechtsstellung, S. 111 f.; a.A. VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76; NVwZ-RR 1990, 99; OVG Saarlouis, AS 10, 82, 85 f. (s. hierzu unten H.I.3.a). 82 S. oben A.I.2.b.aa. 83 VGH Mannheim, DÖV 1983, 862; NVwZ-RR 1990, 369, 370; OVG Münster, OVGE 36, 154, 156; KMK-HSchR 1989, 348, 349; NVwZ-RR 1990, 101, 103; DVB1. 1992, 444, 445. 84 S. unten H.I.3.a. 81

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

ganteile von Trägern öffentlicher Gewalt stehen, ausschließlich bei Organstreitverfahren vorzufinden und als zulässig anerkannt ist. Aus diesem Grunde ist es berechtigt und notwendig, die Organstreitigkeiten als eine besondere prozessuale Kategorie von Streitigkeiten herauszuheben, und sie von allen übrigen Streitigkeiten abzugrenzen, bei denen dies nicht der Fall ist. Die fehlerhafte Einordnung einer Streitigkeit als Organstreitigkeit verleitet aus diesem Grund dazu, die Klage gegen ein Organ oder Organteil des Hoheitsträgers zu richten, anstatt, wie es richtig wäre, gegen diesen selbst. Eine solche falsche Wahl des Beklagten muß nun aber notwendig mangels passiver Prozeßfuhrungsbefugnis zur Unzulässigkeit bzw. wegen fehlender Passivlegitimation zur Unbegründetheit der Klage führen 85. Es ist daher von erheblicher Tragweite, ob wirklich eine Organstreitigkeit vorliegt, bei dem die Klage ausnahmsweise von einem Organ oder Organteil gegen ein anderes gerichtet werden kann, oder ob trotz etwaiger Ähnlichkeiten und Berührungspunkte eine hiervon abzugrenzende gewöhnliche Streitkonstellation vorliegt. Allerdings ist einzuräumen, daß in der forensischen Praxis nur wenige Klagen daran scheitern, daß der Kläger den falschen Beklagten benennt. Denn zum einen hat das Gericht, wenn der Beklagte zwar falsch bezeichnet, wohl aber nach den sonstigen Ausführungen in der Klageschrift oder den beigefügten Unterlagen erkennbar ist, gegen wen sich die Klage in Wahrheit richtet, den Klageantrag entsprechend auszulegen und das Passivrubrum dementsprechend zu berichtigen, und zwar erforderlichenfalls noch in der Rechtsmittelinstanz86. Ein solcher Fall kann vorliegen, wenn die Klage ersichtlich nur versehentlich gegen das Organ statt gegen die Körperschaft gerichtet wurde 87 . Ist die Klage dagegen eindeutig gegen den (richtig bezeichneten) falschen Beklagten gerichtet, so führt dieser Mangel in den hier interessierenden Fällen gleichwohl nicht notwendig zum Scheitern der Klage. Zum einen ist nämlich die für alle Klagen und Anträge gegen Träger öffentlicher Gewalt (entsprechend) geltende88 Vorschrift des § 78 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz VwGO zu beachten, wonach die Angabe der Behörde zur Bezeichnung des tatsächlich zu verklagenden Hoheitsträgers ge-

85 Zur Unterscheidung von Prozeßführungsbefugnis und Passivlegitimation unten H.I. - Zur diesbezüglich strittigen Einordnung des § 78 VwGO vgl. Eyermann/Happ, VwGO, § 78 Rn. 1 ff, Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 23 ff, § 78 Rn. 1; Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (Lfg. 1996) Rn. 4 ff.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 539 ff. 86 BVerwGE 20, 21, 22; 26, 31, 33; BVerwG, NVwZ-RR 1990, 44; Kopp/Schenke, VwGO, § 78 Rn. 1; vgl. auch BGH, NJW 1998, 3499, 3500. 87 VGH München, NVwZ-RR 1990, 99; Kopp/Schenke, VwGO, § 91 Rn. 3. 88 Ehlers, in FS Menger, S. 397; Eyermann/Happ, VwGO, § 78 Rn. 8; Kopp/Schenke, VwGO, § 78 Rn. 9; Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (1. EL 1997) Rn. 57; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 554.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

61

nügt 89 ; hält also das Gericht dafür, daß der Kläger richtigerweise die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung hätte verklagen müssen, hat der Kläger dagegen das Organ verklagt, so kann und muß das Gericht in (entsprechender) Anwendung des § 78 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz VwGO schlicht von Amts wegen und gegebenenfalls noch in der Rechtsmittelinstanz das Rubrum entsprechend berichtigen 90 . Mangels ausdrücklicher Regelung problematischer ist der umgekehrte Fall, daß die Klage gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung gerichtet ist, während in Wahrheit eine Organstreitigkeit vorliegt und daher richtigerweise eines ihrer Organe oder Organteile zu verklagen war. Zwar ist es gängige Praxis, auch in einer solchen Situation eine Rubrumsberichtigung von Amts wegen vorzunehmen91. Streitig ist allerdings die Begründung. Gegen die teilweise vorgeschlagene inverse Anwendung des § 78 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz VwGO - d.h. die Angabe des verklagten Rechtsträgers als Bezeichnung des zu verklagenden Organs genügen zu lassen92 - spricht die mangelnde Eindeutigkeit 93 : Während das Organ eindeutig seiner Organisation zugeordnet ist und deshalb ohne Verwechslungsmöglichkeit vom benannten Organ auf die richtigerweise zu verklagende Organisation übergegangen werden kann, gilt die Umkehrung oftmals nicht: Organisationen haben in aller Regel mehrere Organe und Organteile 94, und folglich läßt sich eben nicht ohne weiteres von dem in der Klageschrift genannten Hoheitsträger auf das nach dem Willen des Klägers in Anspruch zu nehmende Organ oder Organteil schließen. Sofern nicht nach Lage der Dinge zweifelsfrei nur ein einziges Organ oder Organteil in Betracht kommt - etwa weil sich aus der Klagebegründung klar ergibt, welchem Organ oder Organteil das inkriminierte Handeln zur Last gelegt wird und durch welches Organ sich das klagende in seinen Kompetenzen verletzt sieht - und deshalb das Gericht analog § 78 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz VwGO vorgehen und das Passivrubrum von Amts wegen umstellen muß 95 , hat hier der Vorsitzende dem Kläger einen diesbezüglichen rechtlichen Hinweis zu erteilen (§ 86 Abs. 3 VwGO) 96 , um ihm 89

Vgl. VGH München, NVwZ-RR 1990, 99. BVerwG, NVwZ-RR 1990, 44; Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (1. EL 1997) Rn. 56; Redeher/v. Oertzen, VwGO, § 78 Rn. 11. 91 Vgl. z.B. OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 411, 412; OVG Münster, NWVB1. 1998, 149, 150; VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368, 369; 1999, 356, 357. 92 OVG Münster, NJW 1991, 2586. 93 Vgl. Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (Lfg. 1996) Rn. 58. 94 S. obenA.1.3. 95 Vgl. Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (Lfg. 1996) Rn. 58. 96 Vgl. Ehlers, in FS Menger, S. 398; Eyermann/Happ, VwGO, § 78 Rn. 26; Redeher/v. Oertzen,, VwGO, § 78 Rn. 11. 90

62

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

die Möglichkeit zu geben, seine Klage entsprechend umzustellen. Dies wird der Kläger dann sinnvollerweise tun, also beispielsweise die Klage statt gegen die Gemeinde nunmehr gegen den Gemeinderat richten. In diesem Beteiligtenwechsel erkennen manche Autoren schon keine Klageänderung 97. Selbst wenn man aber richtigerweise eine Klageänderung annimmt 98 - das Organ und seine Organisation sind nun einmal nicht identisch - , so ist sie doch in aller Regel als sachdienlich anzusehen und deshalb vom Gericht auch ohne Einwilligung des Beklagten zuzulassen (§ 91 Abs. 1 VwGO) 99 . Denn die Organisation und ihre Organe stehen sich nicht als unverbundene Dritte gegenüber, wo es in der Regel unbillig wäre, den einen ohne seine Zustimmung in den bis dahin durch den anderen geführten Prozeß eintreten zu lassen. Vielmehr sind sie in einer Weise organisatorisch aufeinander bezogen, daß es einem Organ nicht unzumutbar sein kann, in einen Prozeß einzutreten, den sein Rechtsträger als Beklagter geführt hat 100 . Aus vergleichbaren Erwägungen ist eine entsprechende Rubrumsberichtigung auf Klägerseite vorzunehmen, wenn ein Organ namens seines Trägers gegen ein anderes Organ desselben Hoheitsträgers klagt, obgleich das klagende Organ in Wirklichkeit eigene Rechte geltend macht und daher eine Organstreitigkeit vorliegt, bei dem es in eigenem Namen klagen kann und muß 101 . Praktisch führt aus den genannten Gründen die Angabe des falschen Beklagten nur dann zur Klageabweisung, wenn der Kläger entgegen einem Hinweis des Gerichts auf seiner irrigen Festlegung des Beklagten beharrt. Dies bedeutet aber nicht, daß es nicht gleichwohl von großem Interesse ist, wer richtigerweise Streitgegner in einem Organstreitverfahren ist und prozessual sein muß. Zum einen sind hier dogmatische Grundfragen angesprochen, deren Beantwortung für eine vollständige Erfassung des Phänomens der Organstreitigkeiten unerläßlich ist. Zum anderen aber ist diese Kenntnis doch wiederum für die Praxis unverzichtbar, weil ja wenigstens die Gerichte wissen müssen, welche Hinweise sie zu geben und wen sie in das Entscheidungsrubrum aufzunehmen haben. Es ist daher sowohl aus praktischen wie dogmatischen Gründen angezeigt, die besondere Konstellation der Organstreitigkeiten von Fällen abzugrenzen, die zwar

97 Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (Lfg. 1996) Rn. 58; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 91 Rn. 5. 98 VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182; VB1BW 1983, 342; 2000, 321, 322; v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 437. 99 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 2000, 321, 322; Ehlers, in FS Menger, S. 398: Einwilligung entbehrlich, weil neuer Beklagter Organ der zunächst verklagten Organisation ist. 100 Vgl. auch OVG Koblenz, AS 10, 55, 56: Sachdienlichkeit einer subjektiven Klageänderung bei Übergang vom Gemeinderat auf den Bürgermeister als Gemeinderatsvorsitzenden. 101 Vgl. OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 37.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

63

gewisse Berührungspunkte mit ihnen aufweisen, die aber bei rechter Betrachtung nicht in diese besondere Kategorie gehören.

3. Streitigkeiten unter Beteiligung eines Nichtorgans Keine Organstreitigkeit liegt vor, wenn an dem Streit ein Rechtssubjekt beteiligt ist, welches nicht als Organ oder Organteil eines Trägers öffentlicher Gewalt anzusehen ist. Solchenfalls handelt es sich um einen gewöhnlichen Rechtsstreit, der nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen auszutragen ist und den nach den besonderen für Organstreitigkeiten entwickelten Regeln zu behandeln es keinen Grund gibt. Insbesondere ist hier richtiger Klagegegner ausschließlich die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, der gegenüber das klagende Rechtssubjekt ein Recht zu haben behauptet, und nicht etwa das für diese auftretende Organ, dessen Handlung das subjektive Recht verletzt haben soll. Problematisch sind im Umfeld der Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten vor allem die Fälle des abgelehnten Wahlbewerbers und des Bürgerbegehrens. Denn beide weisen eine so enge Beziehung zu der Gemeinde auf, daß sie schon verschiedentlich als Organe behandelt und ihre Rechtsverfolgung dem Kommunalverfassungsorganstreitverfahren zugeordnet worden ist.

a) Externe Wahlbewerber Ein Wahlbewerber, der beispielsweise für die Wahl zum Gemeinderat oder zum Kreistag kandidieren will, oder der sich um das Amt eines Beigeordneten oder des Landrats bewirbt, will Organ oder Organteil der Gemeinde oder des Kreises werden, braucht es aber noch nicht zu sein. Wird die Bewerbung eines der Organisation nicht als Organwalter angehörenden externen Wahlbewerbers zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen, aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Wahl ein anderer gewählt oder das Wahlergebnis falsch ermittelt, und soll infolge eines solchen Fehlers ein anderer als gewählt ernannt werden, oder sind sonstige Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu Ungunsten des externen Wahlbewerbers aufgetreten, so muß dieser, weil er kein Organ der Gemeinde oder des Kreises „und deshalb ein (kommunalverfassungsrechtliches) Organstreitverfahren im eigentlichen Sinne nicht gegeben ist" 102 , seine „persönliche Rechtsstellung" 103 im Verfahren gegen die Gemeinde oder den Landkreis wahrnehmen 104 , wobei etwaige besondere Wahlprüfungsverfahren zu beachten sind. Es ist demgegenüber unrichtig, den Streit um die Rechtmäßigkeit seiner Nichtwahl 102 103 104

OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 362; vgl. VGH Kassel, NVwZ 1988, 81, 82. VGH München, VGH n.F. 6, 110, 117. VGH Kassel, NVwZ 1988, 81, 82; Meder, LKV 1998, 345.

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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wie eine Organstreitigkeit zu behandeln und die Klage des unterlegenen externen Bewerbers gegen den Gemeinderat oder Kreistag zuzulassen105. Gewiß ist beispielsweise dem Kreistag die Wahl des Landrats als ausschließliche Befugnis gesetzlich zugewiesen106. Dies ändert jedoch nichts daran, daß der Kreistag die Wahl des Landrats allein in transitorischer Wahrnehmungszuständigkeit für den Landkreis vornimmt 107 . Daß den Organen juristischer Personen bestimmte Befugnisse als ausschließliche zugewiesen sind, ist eine ganz übliche Erscheinung, und dennoch geht der Gesetzgeber davon aus, daß die Organe nicht für sich, sondern für ihren Rechtsträger tätig werden, und daß die daraus resultierenden Rechtsstreitigkeiten deshalb diesen treffen, während seine Organe oder Organteile insoweit eben gerade nicht prozeßführungsbefugt sind 108 . Die Zulassung von Organstreitigkeiten mit für derartige Verfahren beteiligungsfähigen Organen stellt eine aus einem besonderen Bedürfnis heraus erwachsende Ausnahme dar, für die es, wenn am Streit ein Rechtssubjekt beteiligt ist, das wie ein externer Bewerber nicht derselben juristischen Person als Organ oder Organteil angehört, keinen Anlaß gibt.

b) Keine Organstreitigkeit

um Bürgerbegehren

Sehr umstritten ist, ob die auf kommunaler Ebene vorgesehenen Formen unmittelbarer Bürgerbeteiligung - in Baden-Württemberg Antrag auf Durchführung einer Bürgerversammlung (§ 20a Abs. 2 GemO BW), Bürgerantrag (§ 20b GemO BW) und Bürgerbegehren (§ 21 Abs. 3 GemO BW) - in eine Kommunalverfassungsorganstreitigkeit münden können 109 . Eine solche Konstellation ließe sich etwa annehmen, wenn der über die Zulässigkeit solcher Anträge entscheidende Gemeinderat (vgl. § 20a Abs. 2 S. 4, § 20b Abs. 3 S. 1, § 21 Abs. 4 S. 1 GemO BW) den betreffenden Antrag als unzulässig abweist, wenn der Bürgermeister oder der Gemeinderat die sich aus einem solchen Antrag nach der Bestimmung mancher Kommunalgesetze ergebende Sperrwirkung 110 bzw. (we105

So aber OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 362. Daraufstellt das OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 362 ab. 107 Meder, LKV 1998, 346. 108 Vgl. oben A.I.2.b.aa. 109 Bejahend OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 411, 412; 1997, 241; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 96, 97; 1998, 240; V G Dresden, SächsVBl. 1998, 90, 91; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 88; Wefelmeier, NdsVBl. 1997, 33 f. - Verneinend OVG Greifswald, NVwZ 1997, 306, 307; VGH Mannheim, DÖV 1988, 476; VGH München, NVwZ-RR 1998, 256, 257; VG Dessau, LKV 1996, 74, 75; VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368; 1999, 356, 357; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 161; Schliesky, DVB1. 1998, 173; Seckler, BayVBl. 1997, 234 f.; Wehr, BayVBl. 1996, 552 f. 110 Zur Sperrwirkung vgl. VGH München, NVwZ-RR 1998, 256, 257; Schliesky, ZG 1999, 112 ff. Ohne dahingehende gesetzliche Bestimmung ist eine solche Sperrwirkung 106

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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niger weitreichende) Sicherungsrechte zum Schutz der Durchführung des Bürgerentscheids 111 mißachten, oder wenn Streitigkeiten um die Ordnungsmäßigkeit einer durchgeführten Abstimmung entstehen, z.B. angesichts einer (vorgeblich) unzulässigen Beeinflussung der Abstimmung durch die Gemeindeorgane. Solchenfalls stellt sich die Frage, ob „das Bürgerbegehren" - also etwa die Gruppe der Initiatoren des Antrags, die Gesamtheit der Unterzeichner des Antrags oder ihrer Vertretungsberechtigten - als Organ der Gemeinde anzusehen ist und derartige Konflikte im Kommunalverfassungsorganstreitverfahren gegen den Gemeinderat bzw. Bürgermeister austragen kann. Für Baden-Württemberg hat diese Frage eine ausdrückliche, und zwar verneinende Antwort erfahren 112. Nach § 41 Abs. 2 S. 1 KomWG BW kann nämlich gegen die Zurückweisung der genannten Anträge jeder ihrer Unterzeichner Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erheben. Der Gesetzgeber faßt also die Initiatoren, Unterzeichner etc. nicht als gruppenmäßige Gesamtheit auf, der Organstellung zukommen könnte, sondern stellt einen rein individuellen Bezug von Bürgerbegehren her. Er geht also offenbar davon aus, daß jeder Unterzeichner mit seiner Klage sein durch die Gemeindeordnung verliehenes subjektives Recht auf Beteiligung an der gemeindlichen Willensbildung geltend mache, und zwar, wie sich aus dem Verweis auf die Anfechtungsklage ergibt, gegen die Gemeinde, nicht gegen den Gemeinderat 113,114 .

aa) Konstruktionsmodelle organschaftlicher Bürgerbegehren Sofern ausdrückliche gesetzliche Regelungen fehlen, wer gegen wen und auf welche Weise gerichtlich vorgehen kann, mag sich die Erwägung anbieten, Streitigkeiten um Bürgerbegehren nach den Grundsätzen einer Kommunalverfassungsorganstreitigkeit auszutragen. Freilich wird dabei, zumal angesichts der Vielfältigkeit der verschiedenen landesgesetzlichen Ausgestaltungen sowohl auf kommualrechtlicher als auch hinsichtlich der Parallelproblematik des Volksbe-

nicht anzunehmen, vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1999, 140. Zur Verfassungwidrigkeit einer übermäßig weitreichenden Sperrklausel wegen Verstoßes gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1997, 622, 625 f. 111 Vgl. hierzu OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253, 254; VGH München, NVwZRR 1998, 252 f. 112 VGH Mannheim, DÖV 1988, 476; Seckler, BayVBl. 1997, 233; vgl. Gern,, Kommunalrecht BW, Rn. 425. 113 VGH Mannheim, VB1BW 1984, 149; DÖV 1988, 476; NVwZ-RR 1994, 110. 114 Ähnlich die Rechtslage in Bayern, wobei hier allerdings die gegen die Gemeinde zu richtende Klage ausschließlich durch die Vertreter des Bürgerbegehrens zu erheben ist, vgl. dazu etwa VGH München, NVwZ-RR 1998, 252, 253; 1998, 256, 257; VG Würzburg, BayVBl. 1999, 282. 7 Roth

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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gehrens auf verfassungs(prozeß)rechtlicher Ebene durchaus unterschiedlich beantwortet, wer hierbei als Organ anzusehen sein könnte. Am weitesten geht die Vorstellung, daß die Gesamtheit der Gemeindebürger, welche zur Entscheidung über die betreffenden Anträge berufen ist, bzw. bei Volksbegehren das Volk, als Organe der Gemeinde bzw. des Staates anzusehen seien 115 , denen Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren zukomme 116 , während die Initiatoren, Vertrauenspersonen oder Vertretungsberechtigten das Verfahren in gesetzlicher Prozeßstandschaft betrieben 117. Weniger weitgehend könnte zweitens „das Bürgerbegehren" als zeitlich und funktional begrenztes „außerordentliches Organ" der Gemeinde begriffen werden, dessen Rechte durch die Initiatoren als „Teil" dieses „außerordentlichen Organs" geltend gemacht würden 118 . Drittens könnte die Gesamtheit der Unterzeichner des Antrags als Organ verstanden werden 119 , für welches die im Antrag namentlich benannten oder sonst bestimmten Vertretungsberechtigten die Verfahrensrechte wahrnähmen und gegebenenfalls bei deren gerichtlichen Geltendmachung als gesetzliche Vertreter bzw. als Prozeßstandschafter für die Gesamtheit der Unterzeichner aufträten 120. Nach einem vierten Modell schließlich 121 ließe sich auch die Gruppe der Initiatoren oder der Vertretungsberechtigten als Organ verstehen 122 , welches bei materieller Betrachtung die Interessen der Unterzeichner wahrnähme 123. Für ein solches Verständnis ließe sich die durch die gesetzliche Zuweisung verfahrensrechtlicher Aufgaben an die Initiatoren oder Vertretungsberechtigten bewirkte rechtliche und gewissermaßen institutionelle Heraushebung anführen, welche zu der These geführt hat, bei ihnen handele es sich um

115

BVerfGE 8, 104, 114 („das Volk als Verfassungsorgan"); 13, 54, 85, 95; SächsVerfGH, LKV 1998, 443 („Volksgesetzgeber"). 116 SächsVerfGH, LKV 1998, 443 (zu Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 SächsVerf.). 117 SächsVerfGH, LKV 1998, 443. 118 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253 f.; V G Dresden, SächsVBl. 1998, 90, 91. 119 Vgl. BVerfGE 96, 139, 147 f.; 96, 231, 240; BayVerfGH 44, 9, 14; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1995, 156, 157; Wefelmeier, NdsVBl. 1997, 35. 120 Vgl. BVerfGE 60, 175, 201; 96, 139, 148; 96, 231, 240; BayVerfGH 44, 9, 14; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1995, 156, 157. 121 Theoretisch könnte fünftens noch erwogen werden, ob nicht auch ein einzelner Unterzeichner eines Antrags als Organ in Betracht kommt (vgl. Bethge, Jura 1998, 534: „wenn der einzelne in organschaftlicher Funktion ... als Part des Staatsvolkes auftritt"). Hiergegen spricht aber, daß der einzelne für sich einen Antrag nie stellen kann, sondern in allen Fällen eine Mindestzahl von Unterschriften vorausgesetzt ist; der einzelne Unterzeichner nimmt deshalb keine Organfunktionen wahr und kommt auch nicht als Beteiligter eines Organstreitverfahrens in Frage (BVerfGE 60, 175, 200 ff.). 12 * Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 411, 412; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 96, 97. 123 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 411, 412; VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368 (zu § 26 Abs. 2 S. 2 GemO NW).

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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Organe oder zumindest „Quasi-Organe" der Gemeinde124, die die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens im Innenverhältnis im Wege eines kommunalverfassungsrechtlichen Organstreitverfahrens betreiben könnten 125 .

bb) Subjektivrechtliche Natur von Bürgerbegehren Die relativen Vorzüge des einen Modells über das andere bedürfen hier keiner Erörterung. Bei rechter Betrachtung sind nämlich alle vier Theorien zurückzuweisen: Weder die Gesamtheit der Gemeindebürger noch „das Bürgerbegehren" noch gar die Gesamtheit der Unterzeichner oder die Gruppe der Initiatoren bzw. Vertretungsberechtigten sind als gemeindliches Organ anzuerkennen, das in organschaftlichen Beziehungen zu einem Kommunalorgan (namentlich dem Gemeinderat) stünde und ein Kommunalverfassungsorganstreitverfahren auszutragen vermöchte. Denn „das Bürgerbegehren" ist ein bloßer Antrag und als solcher kein beteiligungsfähiges Organ 126 . Und hinsichtlich der Unterzeichner sowie der Initiatoren bzw. Vertretungsberechtigten von Gesetzesinitiativen oder Bürgerbegehren fehlt es an jeglicher rechtlichen oder tatsächlichen organisatorischen Eingliederung in den Staat bzw. die Gemeinde, so daß sie nicht als Organ dieser Körperschaften angesehen werden können. Es kann nicht als Inhalt der gesetzlichen Regelung über die Bürgerbeteiligung verstanden werden, daß sich jeder Bürger durch eigenen Entschluß zum Staats- oder Gemeindeorgan machen und in ein organschaftliches Verhältnis zu den gesetzlich konstituierten Staatsoder Gemeindeorganen treten kann. Der Gesetzgeber verleiht, wenn er direktdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet, dem Bürger eben als Bürger subjektive Rechte 127 , erhebt aber weder ihn selbst noch die in Ausübung dieses Rechts sich bildenden Gruppen wie die Gesamtheit der Unterzeichner oder der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens zu Organen der Gemeinde 128,129 .

124

OVG Koblenz, NVwZ-RR 1997, 241 („gemeindliche Quasi-Organe"); OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 240 („quasi-organschaftliche" Qualität der Teilhabe der Unterzeichner an der kommunalen Willensbildung); VG Darmstadt, NVwZ-RR 1995, 156, 157 („eigenständiges kommunales Organ"); Wefelmeier, NdsVBl. 1997, 34. 125 Vgl. OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 240. 126 Treffend OVG Münster, DVB1. 1998, 785; vgl. Heimlich, DÖV 1999, 1031; Schliesky, DVB1. 1998, 170. 127 Vgl. BVerfGE 60, 175, 201 f.; 96, 139, 148; VGH München, NVwZ-RR 1998, 256, 257; VG Dessau, LKV 1996, 74, 75; Schliesky, ZG 1999, 110 f. 128 VGH München, NVwZ-RR 1998, 256, 257; VG Dessau, LKV 1996, 74, 75; Heimlich, DÖV 1999, 1031; Schliesky, DVB1. 1998, 170. 129 Der Vergleich des Einwohnerantrags mit dem Initiativrecht von Gemeinderatsmitgliedern (OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253, 254; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 96, 97) oder Gemeinderatsfraktionen (OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 411,412) geht fehl, da die Gemeinderatsmitglieder und Fraktionen als Teile des Gemeinderates unab-

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

Es trifft zwar zu, daß beispielsweise das gesetzlich begründete Initiativrecht einer Gruppe von Unterzeichnern „sich von den politischen Individualrechten jedes einzelnen zu dieser Gruppe gehörenden Aktivbürgers" unterscheidet, weil es die Gruppe als solche berechtigt und auf einer Kompetenz beruht, die das Gesetz eben der Gruppe zuordnet 130 . Allein der Umstand, daß gewisse (politische) Rechte einer Personenmehrheit bzw. einer Personengesamtheit zugewiesen sind, läßt diese jedoch nicht zu einem staatlichen respektive gemeindlichen Organ werden, weil auch die mit eigenen Rechten versehenen Vereinigungen Privater doch immer noch der Sphäre des Bürgers zuzuordnen sind. Gewiß nehmen die Initiatoren und Unterzeichner eines Volks- oder Bürgerbegehrens eine „Funktion im Verfassungsleben" des Staates bzw. der Gemeinde wahr 131 . Allein daraus folgt aber nicht, daß es sich hierbei um die Ausübung einer „innerorganisatorischen Kompetenz" handelte132. Denn auch dem Wahlrecht kommt eine solche Funktion zu und doch ist dieses seit jeher ausschließlich als subjektives Recht jedes Bürgers im Außenrechtsverhältnis zum Staat bzw. zur Gemeinde verstanden worden, noch nie aber als „innerorganisatorische Kompetenz" der Bürger; weshalb dies bei direkten Beteiligungsmöglichkeiten anders sein soll, bleibt unerfindlich 133 .

cc) Keine demokratische Legitimation von Bürgerbegehren Überdies unterliegt die Ansicht, die Gruppen der Unterzeichner oder der Vertretungsberechtigten von Volks- oder Bürgerbegehren stellten staatliche oder gemeindliche Organe dar, grundlegenden demokratierechtlichen Einwänden. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 S. 1, Art. 28 Abs. 1 GG), und das heißt nicht nur, daß jedes Organ, das gegenüber dem Bürger unmittelbar Hoheitsgewalt ausübt, der demokratischen Legitimation bedarf, vielmehr muß sich überhaupt jede als hoheitliches Organ anzusehende Einheit auf einen Legitimationsakt des Volkes zurückfuhren lassen134. Organe von Trägern öffentlicher Gewalt handeln generell organschaftlich, d.h. sie üben Staatsgewalt hängig von irgendwelchen Anträgen als Organteil konstituiert sind, während die den Einwohnerantrag unterstützenden Bürger eben auch dann, wenn sie sich hierzu in mehr oder weniger fester und dauerhafter Weise zusammenfinden, doch immer noch im gesellschaftlichen Bereich verbleiben. Aus der etwaigen Gleichheit der mit einer Initiative verfolgten Ziele läßt sich jedenfalls nicht auf eine gleiche Organstellung schließen. 130 BVerfGE 96, 231,240. 131 BVerfGE 13, 54, 87; 96, 231, 240 f. 132 So aber OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 411, 412; 1997, 241; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1997, 96, 97; Wefelmeier, NdsVBl. 1997, 33 f. 133 Vgl. Erichsen, JK 98, VwGO § 123/3; Heimlich, DÖV 1999, 1031, Schliesky, DVB1. 1998, 170 f.; Wehr, BayVBl. 1996, 553. 134 Vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 870, 873; VGH München, NVwZ 1999, 1122, 1124.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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aus, nicht nur wenn sie rechtsverbindliche Akte setzen, sondern auch, wenn sie von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen 135. Die hiernach für jedes hoheitlich tätige Organ notwendige demokratische Legitimation bezieht sich nicht nur auf die Errichtung jenes Organs - insoweit genügte es allerdings schon, daß das betreffende Organ gesetzlich vorgesehen ist - , sondern vielmehr muß jeder einzelne Organwalter, der für ein solches Organ tätig sein soll, wenigstens mittelbar demokratisch legitimiert sein 136 . Als Organwalter eines staatlichen oder gemeindlichen Organs kann folglich nur fungieren, wer entweder durch das Volk in der jeweiligen Gebietskörperschaft (Bund, Land, Gemeinde, etc.) gewählt ist, wer durch die oder den vom Volk unmittelbar Gewählten seinerseits gewählt oder ernannt wurde, oder wer über eine die parlamentarische Verantwortlichkeit wahrende ununterbrochene Legitimationskette zumindest seine Ernennung auf einen solchen Gewählten oder Ernannten zurückführen kann 137 . Die Initiatoren, Vertretungsberechtigten, Unterzeichner und Repräsentanten von Volks- und Bürgerbegehren sowie die von diesen gebildeten Gruppen erfüllen diese Bedingung ausnahmslos nicht. Denn demokratische Legitimation kann nur das Volk in seiner jeweiligen auf die betreffende Körperschaft bezogenen Gesamtheit verleihen, namentlich also die Gesamtheit des Volkes in Bund, Land bzw. Gemeinde. Eine beliebige Teilmenge des Volkes hingegen ist weder selbst legitimiert, für das gesamte Volk aufzutreten, noch in der Lage, demokratische Legitimation zu vermitteln 138 . Daß die Initiatoren und Unterstützer von Volks- und Bürgerbegehren legitime demokratische Willensbetätigung ausüben und in gesetzmäßiger Weise Einfluß auf die staatliche bzw. kommunale Willensbildung und -entschließung nehmen, steht zwar außer Frage. Sie tun dies aber allein auf eigene politische Rechnung aus freiem Entschluß als Bürger und ohne demokratische Legitimation durch das Volk. Selbst wenn das Volk die zur Abstimmung gestellten Maßnahmen gutheißt 139 und das Begehren Erfolg hat, so erringen die Initiatoren damit zwar 135

BVerfGE 8, 104, 114. BVerfGE 77, 1, 40; 83, 60, 72 f.; BVerwG, NVwZ 1999, 870, 871, 872 f. 137 Vgl. BVerfGE 47, 253, 275; 83, 60, 71 ff.; 93, 37, 67; BVerwG, NVwZ 1999, 870, 873; Dreier, in Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 104 ff; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 7 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 507; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35, 39; Schnapp, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 30. 138 Unrichtig daher OVG Koblenz, NVwZ-RR 1997, 241, 245 f., wonach sich der „Wille des Volkes ... in den dem Quorum entsprechenden Unterschriften der Bürger und dem darin verkörperten sachlichen Anliegen" ausdrücke - die Antragsunterstützer üben allein ihr Antragsrecht aus und tun mitnichten den Willen des Volkes kund. 139 Um die Unverfälschtheit des demokratischen Willens der Bürger zu gewährleisten, muß die zur Abstimmung gestellte Frage eindeutig und klar formuliert sein, vgl. OVG Bautzen, SächsVBl. 1998, 272; VGH Mannheim, ESVGH 27, 73, 75; VGH München, NVwZ-RR 1999, 139; 1999, 141, 142; VG Dresden, SächsVBl. 1998, 90, 91 f. 136

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einen politischen Sieg, erlangen aber doch keineswegs nachträglich oder gar rückwirkend ein demokratisch legitimiertes Mandat. Der Versuch, Initiatoren oder Unterzeichner von Volks- oder Bürgerbegehren als (quasi)staatliche bzw. -gemeindliche Organe zu konstruieren, scheitert aus diesem Grund spätestens am Demokratieprinzip. Die ein Volks- oder Bürgerbegehren betreibenden Gruppen sind und bleiben trotz ihrer unverkennbaren Rolle im Staats- bzw. Gemeindeleben ,freie gesellschaftliche Gebilde, die sich selbst das Ziel gesetzt haben, verfassungsrechtlich erlaubte, aber nicht notwendige Meinungsäußerungen der Bürger im Volksbegehren ... zu propagieren" 140. Als von den Initiatoren und Unterstützern frei konstituierte gesellschaftliche Gruppen besitzen sie kein legitimierendes Mandat seitens des Gesamtvolkes, sondern stellen lediglich einen Ausschnitt aus dem Volk dar, der selbst keine demokratische Legitimation besitzt und deshalb verfassungskonform nicht als staatliches oder kommunales Organ verstanden werden darf. Nach alledem sind die Initiatoren und Vertretungsberechtigten eines Bürgerbegehrens keine Organe der Gemeinde, sondern im Verhältnis zu dieser Außenstehende141. Von daher wäre allenfalls zu erwägen, die im Abstimmungsakt wirkende Gesamtheit der stimmberechtigten Gemeindeeinwohner als Gemeindeorgan zu begreifen, und deren Beziehung zum Gemeinderat als organschaftliche zu verstehen 142 . Denn immerhin gehört „die Stimmabgabe der wahlberechtigten Gemeindebürger nicht in den Bereich des Gesellschaftlichen", sondern kann „die gemeindliche Volksbefragung als organschaftliches Handeln" der Gemeinde verstanden werden 143 . Andererseits ist zu bedenken, daß es sich beim Volk „nicht um stets präsente, handlungsfähige Einheiten [handelt], auf die der Begriff des Organs im engeren Sinn beschränkt ist", und daß „nur zwischen solchen Organen im engeren Sinn" ein Rechte- und Pflichtenverhältnis bestehen kann, aus dem Organstreitigkeiten hervorgehen können 144 , so daß das Volk nicht Partei eines Organstreites sein könnte 145 . Das mag hier aber dahinstehen. Selbst wenn man nämlich dem Volk oder der Gesamtheit der Gemeindebürger eine solche Organstellung zuschriebe, so hätten doch jedenfalls die Initiatoren und Unterstützer des Antrags keine Befugnis, das Gemeindevolk zu vertreten. Zwar sprechen einige Gemeindeordnungen von den „Vertretungsberechtigten" des Bürgerbegehrens. Dieser Begriff ist jedoch in einem untechnischen Sinn zu verstehen: da sämtliche Verfahrensrechte bei diesen „Vertretungsberechtigten" liegen, treten sie durchweg aus eigenem Recht auf, und „vertreten" lediglich in einem

140 141 142 143 144 145

BVerfGE 13, 54, 83 (Hervorhebung durch Verfasser). OVG Greifswald, NVwZ 1997, 306, 307; VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368. VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 411. BVerfGE 8, 122, 133. BVerfGE 13,54,85. BVerfGE 13, 54, 95; VerfGH Berlin, DVBl. 1999, 979, 980.

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materiellen Sinn die politischen Interessen der Unterzeichner 146. Selbst wenn man demgegenüber aber ein Vertretungsverhältnis im Sinne des § 164 BGB annähme, so wären die bezeichneten „Vertretungsberechtigten" jedenfalls niemals Vertreter des Volkes, sondern verträten sie allenfalls in einem der Abstimmung durch das Gemeindevolk vorausgehenden Stadium die Antragsunterzeichner, die wiederum weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit Organ der Gemeinde sind 147 . Es ist auch nicht möglich, in den Vertretungsberechtigten eines Bürgeroder Volksbegehrens gesetzliche Prozeßstandschafier für das (Gemeinde)Volk zu sehen148, denn auch hier gilt, daß die sogenannten „Vertretungsberechtigten" im Verfahren über die Zulassung von Bürgerbegehren eigene Verfahrensrechte geltend machen. Alle Vertretungs- oder Prozeßstandschafiskonstruktionen scheitern schließlich daran, daß der Gesetzgeber aufgrund des Demokratieprinzips schon aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert wäre, demokratisch überhaupt nicht legitimierte, bestenfalls von Privaten als ihre Vertreter auserkorene Bürger als Vertreter oder Prozeßstandschafier des Volkes oder irgendwelcher Gemeinde- oder Staats organe zu fingieren; wer nämlich mit Wirkung für und gegen Hoheitsorgane Prozesse führen oder sonstige Verfahrenshandlungen können soll, benötigt auch für seine Person eine zumindest mittelbare demokratische Legitimation, welche die Unterzeichner und Initiatoren nicht vorzuweisen haben.

dd) Fehlen eines rechtlichen Bedürfnisses für eine Ausweitung des Organstreitbegriffs Kein Argument für ein Verständnis des Bürgerbegehrens als Organ der Gemeinde oder für ihre Einbeziehung in ein Kommunalverfassungsorganstreitverfahren läßt sich schließlich aus der Erwägung des BVerfG ableiten, Volksbegehren - in Anlehnung an die einschlägige Behandlung politischer Parteien eine Beteiligungsfähigkeit in verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren zuzuerkennen. Die Aussage des BVerfG, Volksbegehren seien, weil sie eine „Funktion im Verfassungsleben" wahrnehmen 149, „insoweit in die Organisation des Staates" einbezogen150 und als Beteiligte im verfassungsgerichtlichen Or-

146

OVG Münster, DVB1. 1998, 785. VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368; Gern,, Kommunalrecht BW, Rn. 425. 148 A.A. SächsVerfGH, LKV 1998, 443, der die Vertrauenspersonen eines Volksantrags als gesetzliche Prozeßstandschafter ansieht, die „für den Volksgesetzgeber" (also das Volk) einen Organstreitantrag stellen können. 149 BVerfGE 13, 54, 87; 96, 231, 240 f. 150 BVerfGE 96, 231, 241. 147

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

ganstreitverfahren zuzulassen151, muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß es keine verfassungsgerichtliche Generalklausel gibt 152 . Die sich aus dem verfassungsgerichtlichen Enumerationsprinzip für Verfassungsstreitigkeiten ergebende Rechtsschutzlücke153 - es kann danach eben sehr wohl verfassungsrechtliche Rechte und Pflichten geben, deren Feststellung durch das BVerfG die Interessierten nicht betreiben können 154 - hat nämlich das BVerfG nicht gehindert, sondern im Gegenteil gerade dazu veranlaßt, die bestehenden Zugangsmöglichkeiten teilweise extensiv zu handhaben, um das Verfassungsrecht trotz des Enumerationsprinzips so weit als möglich verfassungsgerichtlich abzusichern. Da nun Volksbegehren grundrechtlich nicht geschützt und folglich weder für die betreibenden Gruppen 155 noch für die einzelnen Unterzeichner oder Initiatoren mittels Verfassungsbeschwerde durchzusetzen sind 156 - die Verfassungsbeschwerde ist nämlich nicht zur Austragung von Streitigkeiten gegeben, mit denen Rechte geltend gemacht werden, die auf einer besonderen kompetentiellen Funktion des Betroffenen im Verfassungsleben beruhen 157 - , hat das BVerfG, um für derartige Volksbegehren gleichwohl verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz gewähren zu können, dafür gehalten, daß schon eine bestimmte „verfassungsrechtliche Funktion im Rahmen eines Volksgesetzgebungsverfahrens ... erlauben würde, in ausdehnender Interpretation des in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG festgelegten Begriffs der Organstreitigkeit ihre Parteifahigkeit in einem Verfassungsstreitverfahren anzuerkennen" 158. Inwieweit eine solche „ausdehnende Interpretation" der Vorschriften über Organstreitigkeiten methodisch zulässig oder eine unstatthafte Umgehung der Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine verfassungsgerichtliche Generalklausel und für eine möglichste Einschränkung des Kreises der Beteiligten im Verfassungsprozeß 159 darstellt 160 , braucht hier nicht entschieden zu werden. Immerhin kann hier etwa auf das Vorbild der 151 Vgl. BVerfGE 13, 54, 87 ff.; 96, 231, 241; ferner BayVerfGH 44, 9, 14; SächsVerfGH, LKV 1998, 443; Bethge, Jura 1998, 534; Meder, BayVerf., Art. 64 Rn. 1; offen BVerfGE 60, 175, 202; anders VerfGH Berlin, DVB1. 1999, 979 f. 152 Vgl. BVerfGE 13, 54, 96, Bethge, Jura 1998, 529 f. - S. unten B.II. 153 Bethge, Jura 1998, 531. 154 BVerfGE 13, 54, 96 f. 155 Vgl. BVerfGE 13, 54, 89 f.; 96, 231, 239. 156 Vgl. BVerfGE 13, 54, 90 ff.; 96, 231, 242. 157 BVerfGE 96, 231,239. 158 BVerfGE 13, 54, 87 (Hervorhebung durch Verfasser); hieraufnimmt BVerfGE 96, 231, 240 f. ausdrücklich Bezug. Eine entsprechende Motivation liegt auch BayVerfGH 44, 9, 14 zugrunde. 159 BVerfGE 1, 208, 226 f.; 13, 54, 95; 60, 175, 199 f. 160 Ein etwa empfundenes rechtspolitisches Bedürfnis an der Entscheidbarkeit einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit durch das BVerfG allein kann nicht dessen Zuständigkeit begründen, BVerfGE 38, 121, 127; Bethge, Jura 1998, 529.

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politischen Parteien verwiesen werden, denen das BVerfG als „andere Beteiligte" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren zuerkennt, „weil die politischen Parteien formierte Einheiten sind, ohne die die Durchführung von Wahlen und die Besetzung der obersten Staatsämter in der modernen Massendemokratie nicht möglich ist", und die Parteien „nach Art. 21 GG integrierende Bestandteile des Verfassungsaufbaus und des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens, also verfassungsrechtlich notwendige Institutionen" sind 161 . Bei dieser den Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG wie des § 63 BVerfGG übersteigenden 162 Einbeziehung der Parteien in den Bereich der verfassungsgerichtlichen Organstreitigkeiten handelt es sich methodisch um eine Rechtsfortbildung, die in Gestalt einer teleologischen Extension 163 den eingedenk der tatsächlichen politischen wie auch verfassungsrechtlichen Bedeutung (Art. 21 GG) der Parteien zu eng geratenen Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschriften erweitert. Die Zulässigkeit einer vergleichbaren teleologischen Extension auch zugunsten von Volksbegehren erscheint nicht unzweifelhaft. Anders als Parteien sind sie nämlich keine verfassungsrechtlich notwendigen Institutionen 164 , und von daher ist es nicht möglich, die für Parteien herausgearbeiteten Regeln einfach auf solche Initiativen und Gruppen zu übertragen 165. Selbst soweit man jedoch in verfassungsprozessualer Hinsicht eine Parallele zwischen Volksbegehren und Parteien ziehen und auch Volksbegehren zu verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren zulassen wollte, ist doch zu beachten, daß dies niemals die Ansicht rechtfertigte, es handle sich bei ihnen um Organe des Staates. Auch bei Parteien ist ja ungeachtet ihrer ganz überwiegend befürworteten Beteiligtenfähigkeit für Organstreitigkeiten anerkannt, daß sie keine Staatsorgane sind 166 , und aus den zuvor genannten Gründen wäre die entgegengesetzte Sicht demokratierechtlich auch gar nicht akzeptabel. Vielmehr sind Parteien aus Sicht der Staatsorganisation Außenstehende, denen freilich ei161 BVerfGE 13, 54, 81 f.; vgl. bereits BVerfGE 1, 208, 223 ff.; 4, 27, 30 f. (Plenum); 4, 31, 35 f.; ferner BVerfGE 60, 53, 61 f.; 82, 322, 335; VerfGH Berlin, LVerfGE 1, 105, 113; DVB1. 1999, 979, 980; ebenso schon früher RStGH, RGZ 118 (Anhang Nr. 2), S. 22*, 29* f.; krit. Ipsen, in Sachs, GG, Art. 21 Rn. 49; Morlok, in Dreier, GG, Art. 21 Rn. 48. 162 Vgl. BVerfGE 13, 54, 81; 60, 53, 61; Meder, Bay Verf., Art. 64 Rn. 1. 163 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 397 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 267 ff. 164 Zu den auch verfassungsrechtlichen Unterschieden zwischen Parteien und Initiativgruppen eingehend BVerfGE 13, 54, 82 ff. 165 Ablehnend auch VerfGH Berlin, DVB1. 1999, 979, 980. 166 BVerfGE 1, 208, 225; Ipsen, in Sachs, GG, Art. 21 Rn. 50; Meder, Bay Verf., Art. 64 Rn. 1; Morlok, in Dreier, GG, Art. 21 Rn. 24. Abzulehnen der Vorschlag von Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 56 ff, politische Parteien als Organe der Gemeinde einzustufen.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

ne wichtige verfassungsrechtliche Funktion zukommt und die insofern auch in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zum Staat und seinen Organen stehen167. Deshalb mag einiges dafür sprechen, Parteien im Verfassungsorganstreitverfahren abzusichern 168, doch zum staatlichen Organ werden sie dadurch nicht. Dasselbe gilt für Volksbegehren auf verfassungsrechtlicher Ebene. Selbst wenn sie - wenn nicht sinnvollerweise ohnehin besondere Volksentscheidverfahren vorgesehen sind, welche auch eine Anrufung der Verfassungsgerichte vorsehen 169 - unter Umständen prozessual wie eine Verfassungsorganstreitigkeit behandelt werden mögen 170 , dürfen sie deshalb doch nicht als Organ des Staates verstanden werden. Wenn man auch aus den genannten Rechtsschutzerwägungen angesichts des verfassungsgerichtlichen Enumerationsprinzips die Beteiligtenfähigkeit im Verfassungsorganstreitverfahren wortlautüberschreitend auf Volksbegehren extendieren mag, so besteht kein vergleichbarer Anlaß für eine parallele Erstreckung der Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten auf Bürgerbegehren. Angesichts der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel bedarf es keines „ausdehnenden" Verständnisses verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten. Im Gegenteil können sämtliche gesetzlich begründeten Rechte der Initiatoren, Unterzeichner und Vertretungsberechtigten von Bürgerbegehren fraglos auf dem gewöhnlichen Weg klageweise gegen die Gemeinde geltend gemacht werden; die Unterstellung derartiger Streitigkeiten unter die Kategorie der Organstreitigkeiten würde hier daher - insoweit in einem bemerkenswerten Unterschied zu den Verfassungsorganstreitigkeiten - nicht nur keinen Rechtsschutzgewinn bringen, sondern viel eher einen Beitrag zur Komplizierung und Verunklarung der Rechtslage leisten.

ee) Ergebnis Rechtsschutz im Zusammenhang mit kommunalen Bürgerbegehren ist nach alledem nicht im Organstreitverfahren gegen den Gemeinderat, sondern - dieser Frage ist hier nicht nachzugeben - mittels Verpflichtungsklage auf Zulassung 167

Vgl. Bethge, Jura 1998, 532. Für Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten gilt dies entgegen Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 56 ff. übrigens nicht: Da das Verwaltungsstreitverfahren im Gegensatz zum Verfassungsprozeß eine Generalklausel kennt, wird die Zulassung politischer Parteien als Beteiligte im Kommunalverfassungsorganstreitverfahren nicht durch Rechtsschutzerwägungen geboten. 169 Auf Bundesebene vgl. § 24 Abs. 5 S. 3 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG vom 30. Juli 1979 (BGBl. I S. 1317); ferner BVerfGE 60, 175, 206; 96, 139, 140 ff.; 96, 231, 241; BayVerfGH 44, 9, 15. 170 Vgl. BVerfGE 96, 231, 241; SächsVerfGH, LKV 1998, 443. 168

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des Bürgerbegehrens 171, allgemeine Leistungsklage172 bzw. Feststellungsklage gegen die Gemeinde als Körperschaft zu erlangen 173. Eine Klage gegen den Gemeinderat als handelnde Behörde ist nur zulässig, soweit das Landesrecht von der diesbezüglichen Ermächtigung in § 61 Nr. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hat 174 , doch auch hierbei handelt es sich dann um kein Organstreitverfahren, weil ja der Gemeinderat solchenfalls lediglich in gesetzlicher Prozeßstandschaft für die Gemeinde auftritt 175 .

4. Organwalterstreitigkeiten um persönliche Rechte Auch wenn sich in einem Streit zwei Organe oder Organteile gegenüberstehen, muß nicht notwendig eine Organstreitigkeit vorliegen, sofern nämlich der Streit nicht um organschaftliche Kompetenzen, sondern um die persönlichen Rechte eines der Organwalter geführt wird 1 7 6 . Illustrieren läßt sich das am bereits erörterten Beispiel der Streitigkeit um die Wahl eines Kandidaten zu einem Amt 1 7 7 . Der weder dem wählenden noch einem anderen Organ des nämlichen Trägers öffentlicher Gewalt angehörende externe Wahlbewerber muß schon deshalb seine vermeinten Rechte im gewöhnlichen Verfahren gegenüber der Körperschaft verteidigen, weil er weder Organ noch Teil eines Organs derselben ist und deshalb keine Organstreitigkeit austragen kann. Nun gibt es aber Fälle, in denen ein Organ auch eines seiner Mitglieder in ein zu besetzendes Amt wählen kann oder sogar muß. So kann ein Gemeinderatsmitglied zur Wahl als Beigeordneter durch den Gemeinderat (vgl. § 50 Abs. 2 S. 1 GemO BW) oder ein Kreistagsmitglied zur Wahl als Landrat durch den Kreistag kandidieren (vgl. § 39 Abs. 3 S. 2, Abs. 5 S. 1 LKrO BW), und die Stellvertreter, die der Gemeinderat in Gemeinden ohne Beigeordnete zu bestellen hat, müssen sogar,

171

VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368 f.; NVwZ 1999, 684, 685. Für die allgemeine Leistungsklage Heimlich, DÖV 1999, 1033 ff. 173 OVG Greifswald, NVwZ 1997, 306, 307; VGH Mannheim, DÖV 1988, 476; OVG Münster, NWVB1. 1998, 412; VG Dessau, LKV 1996, 74, 75; VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368 f. 174 Vgl. OVG Münster, NWVB1. 1998, 412; VG Düsseldorf, NWVB1. 1998, 368 f.; NVwZ 1999, 684, 685. 175 Zu diesem Verständnis des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO vgl. BVerwGE 80, 127, 128; OVG Münster, NJW 1979, 1057; Eyermann/Happ, VwGO, § 78 Rn. 17; Kopp/Schenke, VwGO, §61 Rn. 13, §78 Rn. 10; Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (1. EL 1997) Rn. 38; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 61 Rn. 6; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 463. 176 Vgl. Bethge, DVB1. 1980, 825; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 27 f.; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 25; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 40 Rn. 32; Püttner, Organstreitverfahren, S. 136; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1240 f. 177 S. oben A.II.3.a. 172

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

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ebenso wie die Mitglieder der Gemeinderatsausschüsse aus der Mitte des Gemeinderates bestellt werden (vgl. § 40 Abs. 1 S. 2, § 41 Abs. 1 S. 2, § 48 Abs. 1 S. 1 GemO BW). Bei solchen Organangehörigen Bewerbern 178 läßt sich das Vorliegen einer Organstreitigkeit nicht mehr schon mit dem Argument verneinen, am Streit seien nicht ausschließlich Organe oder Organteile beteiligt 179 . Als Organteil käme ein solcher Organangehöriger Bewerber durchaus als Beteiligter an einem Organstreitverfahren gegen das wählende oder ein anderes Organ der fraglichen Körperschaft in Betracht, wenn dieses seine Wahl behindert. Hier erweist sich die Bedeutung der zweiten Voraussetzung einer Organstreitigkeit, nämlich daß sich die beteiligten Organe und Organteile um organschaftliche Kompetenzen streiten müssen. Diese sind von den persönlichen Rechten des jeweiligen Organwalters zu unterscheiden, die ihm nicht kraft seiner organschaftlichen Stellung, sondern als Bürger zukommen 180 , und deren subjektivrechtliche Natur ebensowenig grundsätzliche Fragen aufwirft wie ihre Verteidigung im Verwaltungsstreitverfahren.

a) Das Recht auf das Amt als persönliches subjektives Recht Als grundlegendes subjektives Recht jedes Organwalters ist zunächst das Recht auf das Amt zu nennen181: Mit der ordnungsgemäßen Wahl erlangt der Gewählte ein persönliches Recht auf das Mandat 182 , ein „subjektives Recht auf Organschaft" 183, d.h. auf Anerkennung als Organwalter und Zulassung zu dessen Funktionen 184 , beispielsweise als Mitglied im Gemeinderat oder als Beigeordne-

178

Erst mit der Bestellung des gewählten Beigeordneten bzw. Landrats zum Beamten der Gemeinde (§ 50 Abs. 1 S. 1 GemO BW) bzw. des Landkreises (§ 37 Abs. 2 S. 1 LKrO BW) entsteht ein nachträglicher Hinderungsgrund fur ihre Mitgliedschaft im Gemeinderat bzw. Kreistag, der zu ihrem Ausscheiden fuhrt (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. la, § 31 Abs. 1 S. 2 GemO BW, § 24 Abs. 1 Nr. la, § 25 Abs. 1 S. 1 LKrO BW); solange der Gemeinderat bzw. Kreistag die erforderlichen Feststellungen aber noch nicht getroffen hat (vgl. § 31 Abs. 1 S. 4 GemO BW, § 25 Abs. 1 S. 3 LKrO BW), ist der betreffende organangehörige Bewerber (noch) Organteil. 79 Insofern ungenau Barth, Subjektive Rechte, S. 15. 180 Vgl. VGH München, BayVBl. 1959, 353, 355: Mitglieder eines Kollegialorgans stehen in ihrer Eigenschaft als Wahlbewerber dem Kollegialorgan „als Dritte" gegenüber und haben „in dieser Eigenschaft" ein Recht auf Achtung der ihnen als Wahlbewerber zukommenden persönlichen Rechtsstellung; vgl. auch VGH München, VGH n.F. 6, 110, 117. 181 Vgl. Wolff Organschaft II, S. 265 ff.; ferner Umbach, in FS Zeidler II, S. 1241 f. 182 Vgl. VGH Kassel, ESVGH 16, 197, 199; Barth, Subjektive Rechte, S. 128; Ewald, DVB1. 1970, 239. 183 v. Gierke , Labands Staatsrecht, S. 45. 184 Vgl. schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561 f.; ders., System, S. 167 f.

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ter etc. Wenn diese „Mitgliedschaftsstellung" 185 oder sonst das Recht auf das Amt bestritten oder beeinträchtigt wird, etwa indem die Gültigkeit der Wahl angezweifelt oder ein anderer als Wahlsieger deklariert oder als gewählt ernannt werden soll, dann kann der Gewählte dieses sein Recht auf das Amt nach allgemeinen Grundsätzen im Verwaltungsstreitverfahren gegen den Rechtsträger des Wahlorgans geltend machen; ein Organstreitverfahren gegen das Organ, welches die Wahl durchzuführen oder das Wahlergebnis festzustellen hat, ist dagegen unzulässig186. Ein anderes gilt auch dann nicht, wenn ein förmliches Wahlprüfungsverfahren vorgesehen ist, in dem das Wahlorgan (z.B. der Gemeinderat oder Kreistag) über Zweifel an der Gültigkeit der Wahl durch Verwaltungsakt zu entscheiden hat, und wenn das Landesrecht außerdem unter Ausnutzung der Ermächtigung des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO generell in einem Ausführungsgesetz zur VwGO oder speziell in der Gemeindeordnung bzw. einem Kommunalwahlgesetz für Wahlprüfungsentscheidungen vorschreibt, daß die Anfechtungsklage gegen den Gemeinderat bzw. Kreistag zu richten ist 187 . Denn in solchen Fällen tritt die Behörde in gesetzlicher Prozeßstandschaft für den Rechtsträger auf, für den sie gehandelt hat 188 , und ist also im Unterschied zu den Konstellationen der Organstreitigkeiten nicht aus eigenem Recht in Wahrnehmung ihrer organschaftlichen Kompetenzen beteiligt. Die Einordnung des Rechtes auf das Amt als persönliches Recht leuchtet zunächst unmittelbar für externe Wahlbewerber ein. Wer zum Gemeinderat oder als Beigeordneter gewählt wird, kandidiert als Bürger und wird als solcher gewählt, so daß die durch die Wahl erlangte Rechtsstellung nur eine persönliche sein kann. Nichts anderes gilt aber auch für zufällig Organangehörige Bewerber, wenn also beispielsweise der Gemeinderat eines seiner Mitglieder zum Beigeordneten oder der Kreistag eines seiner Mitglieder zum Landrat wählt. Auch hier ist anzunehmen, daß der Beigeordnete oder Landrat in seiner persönlichen Kapazität gewählt wird, ungeachtet seiner Mitgliedschaft in den betreffenden Wahlorganen. Wenn nämlich das Wahlorgan jeden Bürger wählen kann, gleich ob organangehörig oder nicht, dann kann die rechtliche Einordnung der Wahl und die Rechtsstellung der Wahlbewerber sowie des Gewählten und die rechtliche Einordnung seines Rechtes auf das Amt nicht danach variieren, ob er zufällig dem Wahlorgan angehört. Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch für notwendig organangehörige Bewerber gelten, wie etwa für die Stellvertreter des Bürgermeisters, die der Gemeinderat in Gemeinden ohne Beigeordneten aus seiner Mitte zu bestellen hat 185

VGH München, VGH n.F. 13, 24, 27. Vgl. VGH München, VGH n.F. 5, 203 ff.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 28 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 171 f.; Martensen, JuS 1995, 991. 187 Vgl. etwa VGH Kassel, ESVGH 16, 197, 198 f. 188 Vgl. oben A.II.3.b.ee. 186

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

(§ 48 Abs. 1 S. 1 GemO BW), sowie ferner für die Besetzung der Gemeinderatsausschüsse (§ 40 Abs. 1 S. 2, § 41 Abs. 1 S. 2 GemO BW). Da hier gerade nicht jeder Bürger gewählt werden kann, sondern nur ein Mitglied des Gemeinderats, fragt sich, ob das so erlangte Amt in persönlicher Kapazität innegehabt wird, so daß Streitigkeiten um Wahl, Ernennung und Abberufung im Außenrechtsstreit gegen die Gemeinde auszutragen sind 189 , oder ob insoweit organschaftliche Kompetenzen im Streit sind. Richtigerweise dürfte in derartigen Fällen ein zwar durch die Organmitgliedschaft bedingtes, aber gleichwohl seinem Wesen nach persönliches Recht des Bestellten anzunehmen sein, nicht aber ein organschaftliches. Zwar müssen die als Stellvertreter des Bürgermeisters oder als Ausschußmitglieder Bestellten aus der Mitte des Gemeinderats kommen. Dennoch aber repräsentieren sie in diesem Amt nicht etwa den Gemeinderat als solchen oder auch nur Teile desselben, sondern sind in ihrer diesbezüglichen Tätigkeit ebenso frei und nur dem Gesetz und ihrem Gewissen unterworfen wie bei ihrer Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied. Deshalb ist auch eine solche besondere Position dem Amtsinhaber in seiner persönlichen Kapazität zuzuordnen, die durch ordnungsgemäße Bestellung erlangte Rechtsstellung also als persönliche und nicht als organschaftliche zu verstehen. Wird dieser besondere Status durch ein Organ oder Organteil der Gemeinde verletzt, so ist Rechtsschutz daher nicht im Organstreitverfahren gegen das eingreifende Organ, sondern als subjektiver Individualrechtsschutz gegen die Gemeinde zu erlangen 190 .

b) Das Recht an dem Amt als persönliches subjektives Recht Mit dem genannten Recht auf die Anerkennung der Amtsstellung und die Zulassung zu den Amtsfunktionen untrennbar verbunden ist das Recht an dem Amt, wonach nämlich einem einmal zu seinem Amt bestellten Organwalter dieses nur noch unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen wieder entzogen werden darf 191 . Praktische Bedeutung besitzt dies im hiesigen Kontext in den 189

So VGH München, BayVBl. 1988, 83; NVwZ 1989, 494, der den entsprechenden für die Gemeinderatsmitgliedschaft geltenden Rechtsgedanken analog auf die Ausschußmitgliedschaft übertragen will. 190 Vgl. VGH München, BayVBl. 1988, 83; NVwZ 1989, 494. 191 Vgl. BVerfGE 56, 396, 409 f.; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 295; VGH München, NVwZ 1989, 494; VG Kassel, NVwZ-RR 1999, 526; ebenso bereits G. Jellinek, System, S. 142 f.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 110 f.; vgl. ferner Groß, Kollegialprinzip, S. 321 ff., der jedoch zu Unrecht aus der persönlichen Natur des Rechtes an dem Amt insbesondere bei Wahl- oder Repräsentativämtern ableitet, daß auch die im Amt wahrzunehmenden Kompetenzen und Mitwirkungsbefugnisse sämtlich persönlicher Natur seien und dem Amtsinhaber als persönliche Rechte zuständen (zu der hier notwendigen Differenzierung nachfolgend A.II.4.c).

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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Ländern, in denen der Gemeinderat den Bürgermeister oder die Beigeordneten abwählen oder sonst vorzeitig abberufen kann 192 , ferner in bezug auf die etwaige Abberufung von Ausschußmitgliedern, welche teilweise nach freiem Ermessen des Gemeinderats 193, teilweise nur aus besonderem Grund möglich ist 194 (z.B. bei gröblicher Verletzung der Pflichten eines Ausschußmitglieds, oder wenn sich infolge von Fraktionsaus- oder -Übertritten, Fraktionsausschlüssen oder Fraktionsauflösungen die bei der Besetzung der Ausschüsse maßgeblich zu beachtenden Stärkeverhältnisse im Gemeinderat ändern 195). Dieses Recht am Amt ist gleichfalls ein persönliches Recht des jeweiligen Amtsinhabers, und deshalb sind Streitigkeiten um den vollständigen Entzug oder die Aberkennung der Rechtsstellung als Organwalter nicht im Organstreitverfahren gegen das abberufende Organ, sondern nach den allgemeinen Bestimmungen über den subjektiven Rechtsschutz gegen die betreffende Körperschaft auszutragen. Zwar könnte man, insoweit durch einen solchen Akt die Organ- oder Organteilstellung des Betroffenen aufgehoben wird, daran denken, diesen als einen innerorganisatorischen Vorgang zu verstehen und die Verteidigung der organschaftlichen Rechtsstellung im Organstreitverfahren z.B. gegen den Gemeinderat zu gestatten196. Einzuräumen ist, daß die Annahme einer Organstreitigkeit in derartigen Fällen nicht daran scheiterte, daß der Betreffende bereits seine organschaftliche Stellung verloren hätte; insoweit nämlich gerade um die Rechtmäßigkeit seiner Abberufung gestritten wird, wäre er im Prozeß noch als Organ oder Organteil zu behandeln und ein Organstreit insoweit durchaus vorstellbar 197 . Gegen die Einordnung eines Streites um den Verlust der Organ(teil)stellung in die Kategorie der Organstreitigkeiten spricht jedoch, daß hierbei nicht allein um „die organschaftliche Stellung" 198 , sondern eben auch und sogar vorrangig um den persönlichen, wenngleich sich aus dem Kommunalrecht ergebenden Status des Betroffenen gestritten wird. Daß dieser, wenn er denn noch sein Amt innehätte, die damit verbundenen Kompetenzen ausüben dürfte, steht in solchen Fällen ganz außer Zweifel; Streit besteht hier nur dahin, ob er noch

192 Vgl. hierzu Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 385. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von und den verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen an Abwahlentscheidungen vgl. BVerfGE 7, 155, 169 f.; BVerwGE 20, 160, 162 ff.; 56, 163 ff.; 81, 318, 320 ff.; BVerwG, NVwZ 1990, 772 f.; OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 43 ff. 193 Vgl. § 40 Abs. 1 S. 2 GemO BW: „widerrufliche" Bestellung der Ausschußmitglieder. 194 Vgl. VGH München, BayVBl. 1988, 83, 84. 195 Vgl. VGH München, BayVBl. 1988, 83, 84. 196 So etwa BVerwG, DVB1. 1989, 933; OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 43; VGH Kassel, DVB1. 1989, 934 f.; OVG Weimar, LKV 1996, 416. 197 VGH Kassel, DVB1. 1989,934. 198 So aber BVerwG, NVwZ 1990, 772; OVG Weimar, LKV 1996, 416.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

im Amt ist. Über diese Frage können jedoch die erst aus der Innehabung des Amtes fließenden organschaftlichen Kompetenzen naturgemäß nicht sagen. Wenn der Bürger durch ordnungsgemäße Wahl oder Bestellung ein persönliches Recht auf das Mandat erlangt, welches nicht in einem Organstreitverfahren durchzusetzen ist, so muß dasselbe im umgekehrten Fall gelten, wenn nicht die Erlangung des Amtes im Streit ist, sondern dessen spätere Entziehung. Die Abwahl oder Abberufung stellt sich als actus contrarius zu dem Akt dar, durch den der Betroffene sein Amt erlangt hat 199 , und es gibt daher keinen überzeugenden Grund, Streitigkeiten um die Rechtmäßigkeit der Abwahl oder Abberufung in einem anderen Verfahren und gegen einen anderen Beklagten auszutragen wie Streitigkeiten um die Wahl oder Bestellung. Auch eine solche Abwahl etc. beeinträchtigt seine persönliche Rechtsstellung200 und sie ist daher nicht als Organstreit, sondern (wiederum vorbehaltlich besonderer Prüfungsverfahren 201) nach allgemeinen Bestimmungen einer gerichtlichen Prüfung zugänglich 202 . Somit ist festzuhalten, daß Streitigkeiten über den Verlust oder die Entziehung des Organwalterstatus nicht als Organstreitigkeiten zu klassifizieren sind 203 , sondern der Betroffene Rechtsschutz nach allgemeinen Grundsätzen gegenüber der jeweiligen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung begehren kann und muß 204 , vorbehaltlich wiederum einer etwaigen landesrechtlichen Bestimmung gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, daß die Klage solchenfalls gegen die als Prozeßstandschafter anzusehende Behörde zu richten ist, die als verfassungsmäßig berufenes Organ die Abwahl oder sonstige Abberufung vorgenommen hat 205 . Es

199 VGH Kassel, DVB1. 1989, 934, 935; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 295; OVG Weimar, LKV 1996, 416; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 387. 200 Vgl. BVerwG, DVB1. 1989, 933. 201 Vgl. BVerfGE 56, 396, 409 f.: Der bisherige Amtsinhaber kann, wenn er meint, seine Abwahl oder Abberufung sei unwirksam, unter Umständen Rechtsschutz durch Anfechtung der Wahl seines Nachfolgers erlangen, da im Wahlanfechtungsverfahren auch geltend gemacht werden kann, daß die Voraussetzungen einer Neuwahl nicht vorlagen. 202 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 387; Sodan, in NKVwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 224. 203 Dasselbe gilt auch im umgekehrten Fall, wenn ein Amtsinhaber, z.B. ein Gemeinderatsmitglied, klageweise die ihm verweigerte Entbindung von seinem Amt verfolgt, VGH Mannheim, VB1BW 1984, 281; Martensen, JuS 1995, 991. 204 Vgl. BVerwGE 56, 163; 81, 318, 319; VGH Kassel, ESVGH 38, 10; VGH Mannheim, VB1BW 1984, 281, 282; OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 368. Der Sache nach auch VGH München, BayVBl. 1988, 83; NVwZ 1989, 494, obwohl er mißverständlich von einer „kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeit" spricht. 205 Vgl. OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 43.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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mag dabei dahinstehen, ob eine Abwahl als Verwaltungsakt 206 oder als Rechtsakt sui generis zu verstehen ist; dies hat nur Bedeutung für die Rechtsschutzform im Außenverhältnis und ändert nichts an dem hier interessierenden Umstand, daß jedenfalls keine Organstreitigkeit vorliegt. In entsprechender Weise hat der Amtswalter sein Recht an dem Amt in einem Außenrechtsstreit gegen die Körperschaft zu verteidigen, wenn ihm durch deren Organe oder Organteile die „Würdigkeit" 207 oder Legitimität zur Ausübung seines Amtes abgesprochen wird 2 0 8 . Zwar stellt dies keine förmliche Entziehung seines Amtes dar. Der gewählte Volksvertreter (Abgeordnete oder Gemeinderat) erlangt kraft seiner Wahl aber nicht lediglich ein formales Recht auf Zulassung zu seinem Amt und auf die rechtlich ungestörte Ausübung desselben. Vielmehr ist darüber hinaus auch gewährleistet, daß die durch Wahl erworbene Legitimation, das Volk im Parlament bzw. Gemeinderat zu vertreten, von den anderen Organen respektiert wird, und dieses Recht wird beeinträchtigt, wenn die Legitimität seines Mandates beispielsweise unter Verweis auf schwere politische Verfehlungen in Abrede gestellt wird. Die die Legitimität des Amtes anzweifelnden amtlichen Feststellungen oder Äußerungen beeinträchtigen das „Recht auf politische Selbstdarstellung" als Bestandteil und Ausfluß des freien Mandates209, indem sie auf eine politische Isolierung und Entfremdung des Mandatsinhabers vom Wahlvolk zielen und tendenziell geeignet sind, die politische Effektivität seiner Arbeit zu untergraben. Solange jedoch die anderen Organe aus ihren Feststellungen keine Konsequenzen ziehen und den Inkriminierten nach wie vor zu sämtlichen kompetenzordnungsgemäßen Funktionen zulassen, liegt keine Beeinträchtigung organschaftlicher Rechte aus dem Amt 2 1 0 vor, welche ein Organstreitverfahren rechtfertigte 211. Vielmehr muß der Betroffene die Legitimität seines Amtes in derselben Weise in einem gewöhnlichen Außenrechtsstreit verteidigen, wie er Angriffe auf seine persönliche Ehre abwehren oder gegen die förmliche Entziehung seines Amtes vorgehen müßte 2 1 2 , 2 1 3 . 206 So die h.M, vgl. OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 43; OVG Lüneburg, DVB1. 1992, 982 m. zust. Anm. J. Ipsen; OVG Münster, DVB1. 1981, 879; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 387; a.A. VGH Kassel, DVB1. 1989, 934, 935. 207 BVerfGE 94, 351, 366; VerfG M V , LKV 1997, 94, 97 („Parlamentswürdigkeit"); ThürVerfGH, LVerfGE 7, 337, 351. 208 Vgl. BVerfGE 94, 351, 366 f.; 99, 19, 32; VerfG MV, LKV 1997, 94, 95 f.; ThürVerfGH, LVerfGE 7, 337, 351 f. 209 Vgl. VerfG M V , LKV 1997, 94, 95. 210 Zu diesen Rechten sogleich nachfolgend c). 211 Die gegenteilige Auffassung für Abgeordnete (BVerfGE 94, 351, 366 f.; 99, 19, 28 f.; VerfG M V , LKV 1997, 94, 95; ThürVerfGH, LVerfGE 7, 337, 350) entspricht der - sich aus der Abwesenheit einer verfassungsgerichtlichen Generalklausel erklärenden generell extensiven Handhabung des Verfassungsorganstreits, welche nicht auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten zu übertragen ist (vgl. hierzu oben A.II.3.b.dd). 2 h Vgl. insofern BVerfGE 99, 19, 29.

8 Roth

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit c) Persönliche und organschaftliche

Rechte aus dem Amt

Neben dem stets persönlichen Recht auf das sowie an dem Amt gibt es auch Rechte aus dem Amt, d.h. Rechte, die aus der Stellung z.B. als Gemeinderatsoder Kreistagsmitglied entspringen 214. Diesbezüglich bedarf es einer weiteren Differenzierung 215. Zum einen fließen aus der Innehabung eines Amtes persönliche Rechte des Organwalters. Streitigkeiten um derartige Rechte sind, weil sie ebenso wie Streitigkeiten um die Begründung oder Aufhebung seines Organwalterstatus unmittelbar auf seine persönliche Rechtsstellung durchgreifen 216, ihn also nicht (nur) in seinen organschaftlichen Kompetenzen betreffen, sondern (auch) in seinen subjektiven Rechten als Bürger, dem Organstreitverfahren entzogen. Hierher gehören beispielsweise Ansprüche der Gemeinderäte auf Ersatz ihrer Auslagen und ihres Verdienstausfalles (§ 19 Abs. 1 GemO BW) 2 1 7 , gegebenenfalls gemäß satzungsmäßiger Bestimmung auf eine Aufwandsentschädigung (§ 19 Abs. 3 GemO BW) 2 1 8 und eine Reisekostenvergütung (§ 19 Abs. 4 GemO BW), sowie ähnliche Ansprüche 219. Derartige persönliche Ansprüche sind erforderlichenfalls im Wege einer Klage gegen die Gemeinde als Schuldnerin durchzusetzen 220. Sodann gibt es aber auch Rechte, die als „Ausfluß der organschaftlichen Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Gremium als solchem" anzusehen sind 221 , und die dem einzelnen Gemeinderatsmitglied etc. nicht wie die eben genannten An213 Insofern verfängt auch nicht das Argument, daß, wenn ein Organstreit über Einzelbefugnisse wie z.B. das Rederecht statthaft ist, er dies „erst recht [sei], wenn das freie Mandat als solches betroffen ist" (VerfG M V , LKV 1997, 94, 95). Die rechtliche oder tatsächliche Beeinträchtigung des Bestands des Mandates ist mit der Beeinträchtigung einzelner, aus dem Amt fließenden Befugnisse nicht vergleichbar, sondern betrifft den gewählten Mandatsinhaber in seinem persönlichen Recht an dem Mandat, und ist folglich wie ein solches gegen die jeweilige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung geltend zu machen. 214 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 369; VGH München, NVwZ 1990, 1197. 215 Vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 214, S. 54; G. Jellinek, System, S. 231 f.; Krebs, VerwArch 1977, 196. 216 Vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 120. 217 Vgl. BVerwG, NVwZ 1990, 162, 163. 218 Vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 214, S. 53 ff. (in bezug auf die Entschädigung von Landtagsabgeordneten); Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 150. 219 Vgl. BVerwG, DVB1. 1998, 1077, 1078 zum Streit eines Beigeordneten mit der Gemeinde um Zahlungen aus der vom Beigeordneten ausgeübten Aufsichtsratstätigkeit in einem kommunalen Versorgungsunternehmen; vgl. bereits G. Jellinek, System, S. 171. 220 VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342, 343. 221 VGH München, NVwZ 1990, 1097.

II. Verwaltungsrechtliche Orgaiistreitigkeiten

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Sprüche zu seiner persönlichen Verwendung (auch) im privaten Bereich zustehen, sondern die seine organschaftlichen Befugnisse ausmachen, welche ihm gerade in seiner amtlichen Funktion zur Erledigung seiner Aufgaben als Gemeinderatsmitglied etc. zukommen 222 . Ob und inwieweit derartige organschaftliche Befugnisse als subjektive Rechte anzusehen sind, ist freilich eines der zentralen Probleme im Bereich der Organstreitigkeiten 223. Jedenfalls aber kann der jeweilige Organwalter derartige Organkompetenzen niemals als eigene subjektive Rechte gegen den betreffenden Hoheitsträger geltend machen, vielmehr kann sie allenfalls das beeinträchtigte Organ bzw. Organteil - in welchem Umfang und auf welcher dogmatischen Basis auch immer - im Organstreitverfahren gegen das beeinträchtigende Organ oder Organteil verteidigen. Aus diesem Grund muß genau zwischen persönlichen und organschaftlichen Rechten aus dem Amt unterschieden werden und ist die spezifische Thematik der Organstreitigkeiten allein auf letztere zu beziehen. Es ist darauf hinzuweisen, daß die hier vertretene Differenzierung nach persönlichen bzw. organschaftlichen Rechten aus dem Amt im Bereich des Bundesverfassungsrechts nicht nachvollzogen wird oder zumindest stark in Richtung auf ein organschaftliches Verständnis verschoben ist. Beispielsweise ist das Recht des Abgeordneten auf Entschädigung gemäß Art. 48 Abs. 3 S. 1 GG nach Ansicht des BVerfG im Organstreitverfahren geltend zu machen224, während die vergleichbaren Rechte eines Gemeinderatsmitglieds als persönliche Rechte betrachtet werden, die dem Kommunalverfassungsorganstreitverfahren entzogen sind und dem regulären Klageverfahren gegen die Gemeinde unterfallen. Der Grund für diese unterschiedliche Betrachtungsweise liegt im Fehlen einer bundesverfassungsgerichtlichen Generalklausel 225. Da die bezeichneten Rechte der Abgeordneten ersichtlich keine Grundrechte im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG und daher nicht über die Verfassungsbeschwerde zu schützen sind 226 , ist ihre Verteidigung gegen Übergriffe seitens

222 Vgl. Bethge, DVB1. 1980, 825; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 38 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 143 ff.; Kisker, Insichprozeß, S. 19 ff.; Krebs, Jura 1981, 570; Martensen, JuS 1995, 990; Wolff Organschaft II, S. 272; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, §73 III d 1; a.A. Dolde, in FS Menger, S. 428; Groß, Kollegialprinzip, S. 323; Papier, DÖV 1980, 297. 223 Hierzu ausfuhrlich unten C.IV.2. 224 BVerfGE 4, 144, 149 ff.; 40, 296, 308; 64, 301, 312 f. 225 Papier, DÖV 1980, 297. 226 Vgl. BVerfGE 6, 446, 447 ff. (fur Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und fur den Mandatsverlust); BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 214, S. 53. Etwas anderes gilt, wenn der Verfassungsbeschwerdefuhrer nicht aus einem gegenwärtigen Abgeordnetenstatus heraus Regelungen z.B. über die Abgeordnetenentschädigung beanstandet; so können etwa aus dem Parlament ausgeschiedene Abgeordnete Verfassungsbeschwerde gegen eine ihre Altersversorgung betreffende Regelung erheben und potentielle Kandidaten

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

anderer Verfassungsorgane überhaupt nur im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren denkbar. „Da der Abgeordnete in der Lage sein muß, diesen seinen Status gegenüber anderen Verfassungsorganen zu wahren", führt dies zum einen dazu, seine Parteifähigkeit im Verfassungsorganstreitverfahren zu bejahen 227 . Zum anderen aber nötigt dies zu der Annahme, daß „der Abgeordnete die mit seinem verfassungsrechtlichen Status verbundenen Rechte im Organstreit geltend machen" können muß 228 . „Im Organstreit kann der einzelne Abgeordnete die behauptete Verletzung oder Gefährdung jedes Rechts, das mit seinem Status verfassungsrechtlich verbunden ist, geltend machen" 229 . Unter die mit seinem Status „verbundenen" Rechte aber zählen nicht nur die organschaftlichen, sondern auch die persönlichen Rechte aus dem Amt - nur die Grundrechte des Abgeordneten fallen nicht hierunter, da diese in keinem Fall mit seinem Abgeordnetenstatus, sondern eben mit seiner Stellung als Bürger verbunden sind 230 . Eine ebensolche Ausweitung des Kommunalverfassungsorganstreits ist nicht angebracht, da hier das Gemeinderatsmitglied dank der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel seine persönlichen Rechte, auch soweit sie (wie z.B. der Entschädigungsanspruch) mit seinem Mandat verbunden sind, gegen die Gemeinde als Verpflichtete geltend machen kann. Für die sonach jedenfalls im Bereich der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten erforderliche Abgrenzung von persönlichen und organschaftlichen Rechten aus dem Amt ist zunächst daraufhinzuweisen, daß sie sich alleine nach der Natur der betroffenen Rechte oder Befugnisse bestimmt. Wenn dem Berechtigten ein Anspruch verliehen ist, der ihm persönlich zugute kommen soll, so kann dieser nicht im Organstreitverfahren verfolgt werden, welches ausschließlich für die Wahrung organschaftlicher Kompetenzen konzipiert und reserviert ist 231 . Selbst wenn ein persönliches Recht eines Organwalters aus einem in der amtlichen Tätigkeit liegenden Grund beeinträchtigt würde, resultierte daraus also keine Organstreitigkeit. Denn entscheidend ist nicht die solchenfalls allerdings zu bejahende organbezogene Motivation des Streites, sondern allein dessen Gegenstand. Würde also etwa der Bürgermeister die Auszahlung der Aufwandsentschädigung oder des Sitzungsgeldes an bestimmte oppositionelle oder sonst mißliebige Gemeinderäte blockieren, um gegen deren Teilnahme an den Sitzungen des Gemeinderats zu wirken, so müßten die Betroffenen aufeine Verletzung ihres passiven Wahlrechts mit der Verfassungsbeschwerde rügen, BVerfGE 40, 296, 309; 64, 301, 313; a.A. Umbach, in FS Zeidler II, S. 1250 f. 227 BVerfGE 2, 143, 164. 228 BVerfGE 6, 446, 448; vgl. bereits BVerfGE 4, 144, 149. 229 BVerfGE 94, 351, 362; 99, 19, 28 (Hervorhebung durch Verfasser); vgl. ferner Barth, Subjektive Rechte, S. 64 f.; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1241. 230 Vgl. BVerfGE 43, 142, 148 f.; 64, 301, 312; 94, 351, 365; 99, 19, 29; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1240 f., 1243. 231 Vgl. OVG Münster, JZ 1983, 25.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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grund der persönlichen Natur ihrer Ansprüche gegen die Gemeinde klagen und dürften nicht im Organstreitverfahren gegen den Bürgermeister vorgehen, obgleich das Motiv seiner Handlung hier fraglos dem organschaftlichen Bereich zuzuordnen ist. Zweifelhaft kann die Zuordnung disziplinarischer oder sonstiger Ordnungsmaßnahmen erscheinen, die etwa gegen einzelne Gemeinderatsmitglieder verhängt werden können. So kann beispielsweise nach § 17 Abs. 4 i.V.m. § 16 Abs. 3 GemO BW einem Gemeinderatsmitglied als einem zu ehrenamtlicher Tätigkeit bestellten Bürger, wenn er die ihm obliegenden Tätigkeiten nicht ausübt oder seine Pflichten gröblich verletzt, durch den Gemeinderat ein Ordnungsgeld bis zu 1.000 D M auferlegt werden. In solchen Fällen handelt der Gemeinderat als Behörde im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG, die Auferlegung des Ordnungsgeldes ist Verwaltungsakt 232 und Rechtsschutz im Wege der Anfechtungsklage gegen die Gemeinde zu erlangen 233. Andererseits kann der Gemeinderat ein Mitglied bei wiederholter grober Ungebühr oder fortgesetzt ordnungswidrigem Verhalten gemäß § 36 Abs. 3 S. 2 GemO BW für bis zu sechs Sitzungen ausschließen. Diese Ordnungsmaßnahme wird nicht als Verwaltungsakt verstanden 234 und Rechtsschutz im Wege eines Kommunalverfassungsorganstreits gegen den Gemeinderat gewährt 235 . Problematisch ist bei dieser Ausgangslage etwa die rechtliche Einordnung einer vom Gemeinderat gegenüber einem seiner Mitglieder ausgesprochenen „Ermahnung", nicht ohne ausreichenden Grund den Sitzungen fernzubleiben. Verstünde man eine solche Ermahnung als minus gegenüber der Verhängung eines Ordnungsgeldes gemäß § 17 Abs. 4 i.V.m. § 16 Abs. 3 GemO B W 2 3 6 , so läge es nahe, die Ermahnung als Eingriff in die persönliche Rechtsstellung des Betroffenen zu begreifen, und dann wäre die Zulassung eines Organstreitverfahrens gegen den ermahnenden Gemeinderat 237 inkonsequent. Letzteres wäre nur dann zutreffend, wenn diese Ermahnung lediglich Auswirkungen auf die organ-

232 OVG Koblenz, AS 15, 207; VGH München, NVwZ 1989, 182; Gern,, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 505; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 161; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 48; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 97 f.; P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 120. 233 OVG Münster, DÖV 1959, 835 f.; Bock., in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 16 (Lfg. 1984) Rn. 15: Bonk, Organstreitigkeiten, S. 119 f. 234 VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342 f.; VGH München, BayVBl. 1988, 16; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 36 (Lfg. 1986) Rn. 19; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 478; a.A. Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 161 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 97, 102 f. - Ausführlich hierzu unten G.III.2.a. 235 VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342, 343; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 36 (Lfg. 1986) Rn. 19; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 480. 236 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1996, 99, 101. 237 So aber VGH Mannheim, VB1BW 1996, 99.

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

schaftliche Stellung des betroffenen Gemeinderatsmitglieds hätte. Erkennt man jedoch einer solchen Ermahnung zumal dann, wenn sie in öffentlicher Sitzung ausgesprochen wird und in der Presse Resonanz gefunden hat, diskriminierende und eine das Ansehen des Ermahnten in der Öffentlichkeit herabsetzende Wirkung zu 2 3 8 , dann läßt sich die Annahme bloß organschaftlicher Wirkungen nicht aufrechterhalten. Vielmehr impliziert eine öffentliche Ansehensminderung einen Eingriff in die persönlichen Rechte des Betroffenen 239, und dessen Abwehr obliegt nicht einem Organstreitverfahren, sondern ist im gewöhnlichen Individualrechtsschutzverfahren zu unternehmen. Die hiernach für die richtige Wahl des Klage- oder Antragsgegners sowie den zu stellenden Antrag maßgebliche Abgrenzung bestimmt sich danach, ob der von der Ordnungsmaßnahme Betroffene nur seine organschaftlichen Kompetenzen oder aber (auch) seine Rechte als Bürger verteidigen will 2 4 0 . Diese mitunter diffizile Unterscheidung wird teilweise durch die Gesetzessystematik erleichtert. Ist eine bestimmte Maßnahmen gesetzessystematisch an einer Stelle eingeordnet, an der die Rechtsstellung der Bürger allgemein geregelt ist (dies trifft für die genannten § 17 Abs. 4, § 16 Abs. 3 GemO BW zu), so spricht, insoweit sie in gleicher Weise gegen ein Gemeinderatsmitglied verhängt werden kann, viel für die Einordnung, daß sie ihn in seiner persönlichen Rechtsstellung betreffen soll, und sie unterliegt dann den allgemeinen Regeln und nicht der Anfechtung im Organstreitverfahren. Anders dagegen verhält es sich bei solchen Maßnahmen, die ihrer Stellung nach ausschließlich organisationsinterne Vorgänge regeln (also z.B. § 36 Abs. 3 GemO BW). Hier spricht die Systematik dafür, daß organschaftliche Kompetenzen angesprochen sind, so daß diesbezügliche Streitigkeiten als Organstreitigkeiten anzusehen sind. Soweit sich nicht schon aus der Gesetzessystematik klare Anhaltspunkte für die notwendige Abgrenzung ergeben, ist diese nach denselben Kriterien vorzunehmen 241, nach denen im Beamtenrecht zu beurteilen ist, ob sich dienstliche Weisungen im Betriebsverhältnis bewegen oder auf das Grundverhältnis durchschlagen 242: Liegt danach eine die persönliche Rechtsstellung des Gemeinderatsmitgliedes beeinträchtigende Maßnahme vor, so kann er diese allein nach allgemeinen Grundsätzen im Verwaltungsstreitverfahren gegen die Gemeinde angreifen; das Organstreitverfahren gegen den Gemeinderat steht ausschließlich zur Wahrnehmung organschaftlicher Kompetenzen zu Verfügung. 238

VGH Mannheim, VB1BW 1996, 99, 100. Vgl. Martensen, JuS 1995, 1078. 240 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 477; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 45 ff. 241 Diese Parallele ziehen auch Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 93 ff; Martensen, JuS 1995, 990; P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 120; ferner Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 45 ff. 242 Vgl. hierzu näher unten C.III.2.b. 239

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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Wird ein vom Gemeinderat nach § 36 Abs. 3 S. 2 GemO BW verfügter Sitzungsausschluß vom Bürgermeister zusätzlich mit einem Hausverbot verbunden, so ist deshalb der Rechtsschutz differenziert ausgestaltet: Über den Sitzungsausschluß ist im Kommunalverfassungsorganstreitverfahren gegen den Gemeinderat zu befinden, weil dieser den Betroffenen allein in seinem organschaftlichen Status betrifft; das über einen bloßen Sitzungsausschluß hinausgehende Hausverbot hingegen ist in einer Klage gegen die Gemeinde anzufechten, weil es auch das jedermann zustehende Betretungsrecht einschränkt 243. Einer differenzierenden Betrachtung bedarf es auch, wenn ein Organwalter von einem anderen den Widerruf ehrverletzender Äußerungen begehrt. Zunächst steht fest, daß rein in persönlichen Verhältnissen wurzelnde Beleidigungen schon deshalb keine Organstreitigkeit begründen, weil sie von dem betreffenden Organwalter überhaupt nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern als Privatperson getätigt werden, selbst wenn die beleidigende Bemerkung bei Gelegenheit amtlicher Tätigkeit fällt, beispielsweise im zeitlichen Rahmen einer Gemeinderatssitzung 244; in derartigen Fällen beurteilt sich der Rechtsschutz wie zwischen Privatleuten. Wie aber, wenn die Äußerung sehr wohl amtliche Natur aufweist, etwa wenn ein Gemeinderatsmitglied den Bürgermeister in einer Gemeinderatssitzung durch ehrkränkende Tatsachenbehauptungen über dessen Amtsführung beleidigt? 245 In derartigen Fällen ist zwar der Verwaltungsrechtsweg eröffnet 246 . Gleichwohl ist ein solcher Streit nicht als Organstreitigkeit einzuordnen. Zwar stehen sich in einem solchen Fall zwei Organe bzw. Organteile einer Körperschaft gegenüber 247. Indessen streiten sie hier anders als bei Organstreitigkeiten nicht um ihre Kompetenzen, sondern um das persönliche Recht auf Ehre 248 . Der Ehrenschutz aber kommt einem Organwalter selbst bei Ausübung seiner amtlichen Funktion als Person und nicht als Organ oder Organteil zu, wie schon daran ersichtlich wird, daß ihm die erfahrene Kränkung ja auch in seinem Privatleben anhaften bleibt. Für die klageweise Durchsetzung dieses Ehrenschutzes kommen zwei Möglichkeiten in Betracht, je nachdem, in welcher Funktion derjenige gehandelt hat, der die ehrkränkende Äußerung tat: Grundsätzlich sind Klagen auf Unterlassung und Widerruf ehrkränkender dienstlicher Äußerungen von Amtsträgern nicht gegen diese selbst, sondern gegen den zuständigen Hoheitsträger zu richten, weil ja der Beamte nicht selbständig über die Vornahme dienstlicher Handlungen - wozu auch der Widerruf 243

VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342, 343. S. oben A.I.2.a. 245 Vgl. OVG Koblenz, NJW 1992, 1844. 246 VGH Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94; Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 83; Hufen,, Verwaltungsprozeßrecht, § 11 Rn. 56; Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 28. 247 OVG Koblenz, NJW 1992, 1844, 1845. 248 OLG Frankfurt/M., NVwZ-RR 1999, 814, 185; vgl. v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 436. 244

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

dienstlicher Äußerungen zählt - entscheiden kann 2 4 9 . Dies gilt ebenso, wenn der Gekränkte selbst Amtsträger dieser Körperschaft ist 2 5 0 . Das OVG Koblenz nimmt insoweit jedoch eine Ausnahme bei Äußerungen von Gemeinderäten an und meint, daß die Widerrufsklage hier unmittelbar gegen das passiv legitimierte Gemeinderatsmitglied zu richten sei, welches die ehrkränkende Äußerung getan hat. Dieses übe nämlich im Unterschied zu weisungsgebundenen Beamten sein Amt nach freier, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmter Gewissensüberzeugung aus, und deshalb stehe ihm frei, „über die weitere Amtsführung zu bestimmen, mithin auch umstrittene Äußerungen zu widerrufen oder dies abzulehnen"251. Diese Auffassung verdient keine Zustimmung. Daß das einzelne Gemeinderatsmitglied bei seiner Tätigkeit allerdings keiner Weisung unterliegt, ändert nämlich aufgrund seiner Gesetzes- und Pflichtenbindung 252 nichts daran, daß es, wenn die Gemeinde rechtskräftig oder vorläufig vollstreckbar zur Vornahme einer bestimmten Handlung verurteilt ist, rechtlich verpflichtet ist, alles in seiner Macht Stehende zu tun, damit die Gemeinde den gerichtlichen Spruch erfüllen kann. 1st also die Gemeinde zum Widerruf einer ehrkränkenden Äußerung verurteilt, so muß das betreffende Gemeinderatsmitglied den Widerruf vornehmen, ohne sich auf seine Weisungsungebundenheit berufen zu können. Es besteht hiernach kein Grund, von dem anerkannten Grundsatz abzuweichen, daß Unterlassungsund Widerrufsklagen wegen ehrverletzender dienstlicher Äußerungen gegen den Hoheitsträger zu richten sind und nicht gegen den betreffenden Organwalter. Allerdings setzt die vorbezeichnete Lösung voraus, daß die ehrkränkende Äußerung überhaupt als ein dem Hoheitsträger anzurechnendes Organhandeln erscheint, daß also der Äußernde dem Verletzten gerade als Organ des Trägers öffentlicher Gewalt gegenübertritt 2 5 3 . Während dies bei Äußerungen i m Außenverhältnis in aller Regel erfüllt sein wird, muß dies i m Innenverhältnis nicht notwendig der Fall sein. Insbesondere innerhalb von Kollegialorganen treten die Kollegen einander nicht als Organe der Körperschaft gegenüber - anders der Sitzungsleiter - und daher lassen sich ihre Äußerungen nicht dem Hoheitsträger als solchem anrechnen 2 5 4 . Sofern also eine ehrkränkende Äußerung nicht ohnehin nur bei Gelegenheit der dienstlichen Tätigkeit erfolgte, in Wahrheit aber als private anzusehen und ihr deshalb i m Zivilrechtsweg entgegenzutreten ist, würde ein diesbezüglicher Streit zwar i m Verwaltungsrechtsweg auszutragen sein, aber nicht zwischen dem Verletzten und der Körperschaft, Anstalt oder Stif-

249 Vgl. hierzu BGHZ 34, 99, 105 ff.; BVerwG, DÖV 1968, 429; OLG Dresden, NVwZ-RR 1998, 343, 344; VGH Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94. 250 Vgl. BVerwG, ZBR 1995, 370, 371; VGH Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94; Leuze, ZBR 1998, 192 f. 251 OVG Koblenz, NJW 1992, 1844; zustimmend Waechter, Kommunalrecht, Rn. 342. 252 Vgl. etwa § 32 Abs. 3 S. 1 GemO BW: „Die Gemeinderäte entscheiden im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien ... Überzeugung". Hierzu näher Schröder, Grundlagen, S. 378 ff. 253 VGH Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94. 254 VGH Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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tung, sondern zwischen den beteiligten Organwaltern 255. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Organstreitigkeit zwischen Organteilen, sondern um eine Organwalterstreitigkeit um das persönliche Recht der Ehre.

d) Resümee: Unterscheidung von Organ- und Organwalterstreitigkeiten Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Maßnahmen, die den rechtlichen Status eines Bürgers als Inhaber eines Amtes begründen, ändern oder aufheben, oder die sonst auf seine Person durchgreifen, durch den Betroffenen im gewöhnlichen Rechtsschutzverfahren gegen den Hoheitsträger anzugreifen sind, nicht hingegen in einem Organstreitverfahren gegen das die Maßnahme vornehmende oder verhängende Organ 256 . In derartigen Fällen liegt kein Organstreit vor, sondern eher könnte man von einer Organwalterstreitigkeit sprechen, weil hieran zwar ein Organwalter beteiligt ist, er aber nicht organschaftliche, sondern persönliche subjektive Rechte geltend macht 257 . Die Notwendigkeit einer Unterscheidung von Organ- und Organwalterstreitigkeiten erweist sich im übrigen schon an den ganz verschiedenen möglichen Rechtsfolgen. Sieht sich ein Organ oder Organteil in seinen Kompetenzen verletzt, so kann es dies ausschließlich in einem Organstreitverfahren gegen das verletzende Organ oder Organteil geltend machen. Es ist ausgeschlossen, einer Kompetenzverletzung im Wege einer Organwalterstreitigkeit gegen den verantwortlichen Organwalter begegnen zu wollen. Gewiß mag die pflichtwidrige Vornahme kompetenzverletzender Handlungen, welche den Grund für eine Organstreitigkeit darstellen, für die zuständige Stelle Anlaß sein, Schritte gegen den verantwortlichen Organwalter persönlich zu ergreifen. Denn schließlich bedeutet das Vorliegen einer Kompetenzverletzung keineswegs, daß die kompetenzverletzende Handlung so sehr außerhalb des Aufgabenbereiches des Organwalters läge, daß dessen Anrechnung als Handeln des Organs ausschiede258. Vielmehr muß sich ein Organ in aller Regel auch das die Kompetenzen eines anderen Organs verletzende Handeln seiner Organwalter anrechnen lassen, und gerade die dadurch unter Umständen entstehenden Schäden und Nachteile mögen ein Vorgehen gegen den Verantwortlichen angezeigt erscheinen lassen. Indessen kann es dabei allein um die Verhängung von Sanktionen gegen den Or255

VGH Mannheim, VB1BW 1999, 93, 94. Vgl. BVerwGE 20, 160, 162; 81, 318, 319; VGH Kassel, ESVGH 38, 10; OVG Lüneburg, DVB1. 1992, 982; VGH Mannheim, VB1BW 1984, 281; OVG Münster, DVB1. 1979, 522; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 78 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 193; Sodan, in NK VwGO, §42 (Lfg. 1996) Rn. 224; P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 120. 257 Bethge, DVB1. 1980, 825. 258 S. oben A.I.2.a. 256

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Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

ganwaiter gehen259 (z.B. Disziplinarmaßnahmen, Amtsenthebung, Regreßansprüche). Die Beseitigung einer dem Organstreit zugrunde liegenden Kompetenzverletzung läßt sich auf diesem Wege nie erreichen, weil ja der Organwalter in seiner persönlichen Kapazität gar nicht zu Vornahme organschaftlicher Handlungen befähigt ist 260 . Selbst die Entfernung des Organwalters aus seiner Position könnte die Organstreitigkeit nicht erledigen, weil die Anrechnung seines Handelns an das verletzende Organ nicht infolge seines späteren Ausscheidens rückwirkend entfällt und daher das die Organstreitigkeit auslösende Organhandeln fortbesteht. Rechtlich müssen die Problemfelder der Organwalterstreitigkeiten um persönliche Rechte und der Organstreitigkeiten um organschaftliche Rechte daher deutlich unterschieden werden, da sie nach gänzlich anderen prozessualen und materiellen Bestimmungen auszutragen sind 261 . Verschiedentlich ist angenommen worden, daß dem vom Entzug seiner Stellung oder von persönlichen Sanktionen bedrohten Organwalter beide Vorgehensweisen eröffnet seien, er also (nach seiner Wahl) zusätzlich zu seinem Rechtsschutz gegen den Träger des Organs (z.B. Gemeinde, Landkreis) auch ein Organstreitverfahren etwa gegen das abberufende Organ selbst (z.B. Gemeinderat, Kreistag) anstrengen könne 262 . Einer solchen Alternativität ist nicht beizupflichten. Sie ist nicht erforderlich, um die Rechtsstellung des Betroffenen besser zu schützen, sondern vielmehr verursacht eine solche Verdoppelung allenfalls unnötige prozessuale Komplikationen. Da der Betroffene schon durch die nach allgemeinen Grundsätzen mögliche Verteidigung seiner persönlichen Rechte gegen den Rechtsträger des handelnden Organs in effektiver Weise zum selben Ziel gelangen kann, kommt der Verteidigung etwaiger aus dem Amt fließenden Organkompetenzen gegenüber der Verteidung der subjektiven Rechtsstellung in bezug auf das innegehabte Amt keine eigenständige Bedeutung zu. Deshalb besteht keine Notwendigkeit, den Bereich der Organstreitigkeiten auf Fälle von Organwalterstreitigkeiten auszuweiten, sondern vielmehr ist es auch aus methodischen Gründen geboten, solchenfalls den Streitfall allein nach den regulären Individualrechtsschutzmöglichkeiten auszutragen. Nicht ausgeschlossen ist freilich, daß Organwalter- und Organstreitigkeiten parallel zueinander vorkommen können, nämlich wenn das verletzte Organ ge259

Vgl. G. Jellinek, System, S. 243 f. Vgl. hierzu etwa den Amtshaftungsanspruch gemäß Art. 34 GG / § 839 BGB, der trotz der Überleitung der Haftung auf den Hoheitsträger infolge seiner Herkunft als persönliche Haftung des Beamten allein auf Geld, nicht aber auf Vornahme einer Amtshandlung gerichtet sein kann, BGHZ 34, 99, 105 f.; OLG Dresden, NVwZ-RR 1998, 343, 344; Maurer, AllgVerwR, § 25 Rn. 44; Palandt/Thomas, BGB, § 839 Rn. 79. 261 Im Verfahren gegen den Hoheitsträger oder in Organstreitverfahren kommt auch keine Beiladung (§ 65 VwGO) der handelnden Beamten in Betracht, vgl. VGH München, BayVBl. 1998, 665 f. 262 Vgl. OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 43; VGH Kassel, DVB1. 1989, 934 f. 260

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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gen das verletzende im Organstreitverfahren, und gleichzeitig das für die Verhängung von Sanktionen gegen den Organwalter zuständige Organ gegen diesen persönlich vorgeht. In einem solchen Fall ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 44, 64 VwGO) 2 6 3 eine subjektive Klagenhäufung zulässig264, wodurch aber freilich die rechtliche Eigenständigkeit von Organ- und Organwalterstreitigkeit nicht aufgehoben wird. Organwalterstreitigkeiten sollen im folgenden aus der Betrachtung ausgeklammert bleiben, da sie keine grundsätzlichen Fragen aufwerfen, sich vielmehr das Vorliegen eines persönlichen subjektiven Rechts des Organwalters sowie dessen Geltendmachung im Verwaltungsstreitverfahren nach allgemeinen Grundsätzen beurteilen.

5. Der Begriff der „Organstreitigkeiten" Terminologisch hält sich diese Arbeit an den überwiegend, insbesondere in Zusammenhang mit den Kommunal-, Hochschul- und Rundfunkverfassungsorganstreitigkeiten gebrauchten Begriff der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeit 265 . Positiv spricht für diesen Begriff die entsprechende Gesetzesterminologie bei Verfassungsorganstreitigkeiten 266. Zwar wäre etwa der Begriff „Kommunalverfassungsstreit" 267 kürzer. Jedoch ist er ungenau, da Streitigkeiten um das in der Gemeindeordnung und der Hauptsatzung etc. niedergelegte kommunale Verfassungsrecht weiter reichen und auch Streitigkeiten umschließen, die nicht als Organstreitigkeiten aufzufassen sind 268 . Organstreitigkeiten können in einem bestimmten materiellen Sinn als „Insichprozesse" verstanden werden: prozessual streitet zwar niemand mit sich selbst, 263

Zur subjektiven Klagenhäufung vgl. Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 64 (2. Lfg. 1996) Rn. 2, 8; Eyermann/Rennert, VwGO, § 44 Rn. 7; Kopp/ Schenke, VwGO, § 64 Rn. 1. 264 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342, 343: Klagenhäufung bei der Klage eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Gemeinderat wegen Sitzungsausschluß und der Klage gegen die Gemeinde wegen des vom Bürgermeister in Folge des Sitzungsausschlusses ausgesprochenen Hausverbotes. 265 Ebenso etwa Bauer/Krause, JuS 1996, 517; Bethge, DVB1. 1980, 309; Fuß, WissR 1972, 99; Krebs, Jura 1981, 569; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 72 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 91. 266 Tsatsos, Organstreit, S. 16. 267 Diesen gebrauchen z.B. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, passim; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 785; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, passim; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 6; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 17 ff. Vgl. die Darstellung von Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 34 ff, 50 f.; das konzediert auch Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 24 f.

92

Α. Das Phänomen der Organstreitigkeit

doch insofern auf Kläger- wie Beklagtenseite Organe ein und desselben Rechtsträgers auftreten, wird aus dessen Sicht ein „Insichprozeß" gefuhrt 269 . In dieser Arbeit soll dieser Begriff gleichwohl keine Verwendung finden. Hiergegen spricht bereits, daß der Begriff „Insichprozeß" zumeist die Konnotation der Unzulässigkeit in sich trägt 270 . Eine solche quasi automatische Verknüpfung des „Insichprozesses" mit dem Verdikt „unzulässig" ist zwar in dieser Pauschalität unberechtigt 271. Denn die VwGO enthält keine besonderen Vorschriften über „Insichprozesse". Ob und inwieweit diese statthaft sind, richtet sich daher nach den einschlägigen Gesetzesbestimmungen272. Gleichwohl erscheint es nicht sinnvoll, die Erörterung der Organstreitigkeiten mit einem derart vorbelasteten Begriff zu beschweren und schon terminologisch ständig in die Defensive zu geraten. Der Begriff der verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten ist demgegenüber neutraler und ergebnisoffener, und schon deshalb vorzugswürdig. Außerdem schließt der Begriff des Insichprozesses über die hier interessierende Konstellation der Organstreitigkeiten hinaus beispielsweise auch Streitigkeiten zwischen der Verwaltung und weisungsfreien Ausschüssen bzw. Beauftragten 273 , insbesondere um die materielle Richtigkeit der getroffenen Entscheidung 274 , sowie zwischen dem Fiskus und Hoheitsträgern ein 275 . Letztere Kon-

269 OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 13; Bethge, DVB1. 1980, 314; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 24; Herbert, DÖV 1994, 109; Kisker, JuS 1975, 705; Kopp/Schenke, VwGO, §63 Rn. 7; Stern/ Bethge, Rechtsstellung, S. 94. 270 Vgl. BVerwGE 31, 263, 267; OVG Lüneburg, OVGE 5, 418, 420; Achterberg, AllgVerwR, § 20 Rn. 67; Eyer mann/ F röhler, VwGO, § 61 Rn. 9b; Püttner, Organstreitverfahren, S. 132; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 19 Fn. 17; Tsatsos, Organstreit, S. 15; diesen „anscheinend unverwüstlichen peiorativen Beigeschmack" des Begriffs des Insichprozesses diagnostiziert auch Bethge, DVB1. 1980, 314. 2Ί] Vgl. BVerwGE 45, 207, 209 f.; BVerwG, NJW 1992, 927; OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35; OVG Münster, OVGE 6, 224, 228; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 15, 86 ff.; Bethge, DVB1. 1980, 314; Groß, Kollegialprinzip, S. 316; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 25 f.; Herbert, DÖV 1994, 109; Klinger, VwGO, § 61 Anm. C 3 c; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 7 Rn. 12; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 531; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 169; Staudacher, JZ 1985, 969 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 98; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 102. 272 Becker-Birck, Insichprozeß, S. 89; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 36 f.; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 42 ff; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 94. 273 Zu einem Streit zwischen einem Datenschutzbeauftragten und einem Landesministerium vgl. OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35. 274 Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 41; Löwer, VerwArch 1977, 335; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 7 Rn. 12. - Überzogen kritisch gegen die Möglichkeit einer Klage einer Behörde gegen die Entscheidung eines Beschlußausschusses Bettermann, in GS W. Jellinek, S. 388; ders., VVDStRL 17 (1959), 172: „Perversion" der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

II. Verwaltungsrechtliche Orgastreitigkeiten

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stellationen sollen hier jedoch trotz gewisser Berührungspunkte ob der insgesamt deutlich abweichenden Problemlage unberücksichtigt bleiben, so daß hier der spezifischere Begriff der Organstreitigkeiten auch der genauere ist. Gegen den Begriff „Organstreitigkeit" ist freilich eingewandt worden, daß die Organe auf der Organebene keine Organe seien, in ihrem Verhältnis zueinander nicht als transitorische Wahrnehmungseinheiten für ihren Träger aufträten, sondern ihre eigenen Kompetenzen verteidigten 276 ; deshalb sei der Begriff „Innenrechtsstreit" vorzugswürdig 277. Indessen bezeichnet der Begriff „Organstreitigkeiten" nicht ein Streiten als Organ, sondern ein Streiten von Organen, welches sich aus ihrem organschaftlichem Wirken ergeben hat. Wenn zwei Organe oder Organteile einen Organstreit austragen, dann treten sie in diesem allerdings nicht als Organ und namens ihrer Organisation auf, nehmen nicht transitorisch deren Aufgaben wahr, sondern sie machen ihre eigenen Kompetenzen geltend, die ihnen als „Zurechnungsendsubjekte" durch die einschlägigen Innenrechtsnormen zugewiesen worden sind 278 . Indessen streiten sie hierbei um Kompetenzen, die ihnen nicht um ihrer selbst willen, sondern eben nur zur Wahrnehmung ihrer Organfunktionen eingeräumt wurden und über deren Handhabung sie bei ihrer organschaftlichen Tätigkeit in Streit gerieten. Ihren Status als „Zurechnungsendsubjekte" von Innenrechtssätzen 279 verdanken sie einzig dem Umstand, daß sie als Organe konstituiert sind, und nur von dieser Organeigenschaft her erhält die Zuweisung von Kompetenzen ihren Sinn. Deshalb ist der Begriff der Organstreitigkeit gut geeignet, das Spezifische dieses Konfliktes auszudrücken, nämlich gleichermaßen die Beteiligten an dieser Streitigkeit wie den Anlaß und Gegenstand ihres Streites zu benennen.

275

Becker-Birck, Insichprozeß, S. 11 ff.; Herbert, DÖV 1994, 109; Kisker, Insichprozeß, S. 11 Fn. 11, S. 15 ff.; ders, JuS 1975, 705 Fn. 1; Tsatsos, Organstreit, S. 15; vgl. auch Löwer, VerwArch 1977, 330 ff, 333 und Lorenz, AöR 93 (1968), 309, die bei ihren Abhandlungen über Insichprozesse die Organstreitigkeiten deshalb ausdrücklich ausklammern. 276 Vgl. Erichsen, in FS Menger, S. 215 f.; Schnapp, VerwArch 1987, 415 f. Fn. 34; vgl. Lüders, Ratsausschüsse, S. 44 ff. 277 So vor allem Erichsen, in FS Menger, S. 213 ff; zustimmend Ehlers, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 130; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 333; Schnapp, VerwArch 1987, 415 f. Fn. 34. 278 Hierzu näher unten E.II.4. 279 Herbert, DÖV 1994, 111; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 92.

Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht An die im vorstehenden Teil A. dieser Arbeit gegebene Beschreibung und Eingrenzung der Thematik der Organstreitigkeiten schließt sich die Frage nach ihrer rechtlichen Behandlung an, und zwar nicht in einem rechtstheoretischen Sinne, welche Modelle diesbezüglich überhaupt denkbar sind oder sinnvoll wären, sondern dogmatisch, wie solche Organstreitigkeiten unter der geltenden Rechtsordnung zu behandeln, insbesondere also, ob und wie sie gegebenenfalls einer gerichtlichen Entscheidung zuzuführen sind. Dem Schwerpunkt dieser Arbeit entsprechend sollen vor allem die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten und deren rechtliche Behandlung betrachtet werden. In prozessualer Hinsicht tritt dabei die VwGO in den Vordergrund, da allein diese ihrem Gegenstand nach zur Austragung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten ernsthaft in Betracht kommt (nachfolgend I.). Die Verfassungsorganstreitigkeiten sollen demgegenüber hauptsächlich zu Vergleichszwecken in die Betrachtung mit einbezogen werden (unten II.).

I. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten als Problematik des einfachgesetzlichen Verwaltungsprozeßrechts 1. Spezifische Vorschriften der VwGO über Organstreitigkeiten Die Untersuchung, ob und auf welche Weise Organstreitigkeiten im Verwaltungsstreitverfahren auszutragen sind, nimmt ihren Ausgang sinnvollerweise bei jenen prozeßrechtlichen Vorschriften, die sich ihrem Regelungsgegenstand nach spezifisch gerade auf derartige Streitfälle beziehen. Die VwGO enthält indes lediglich eine Vorschift, die sich spezifisch mit Organstreitigkeiten befaßt, eine Vorschrift freilich, die - überraschenderweise - ausschließlich Verfassungsorganstreitigkeiten betrifft (nachfolgend a), während vergleichbare ausdrückliche Regelungen für verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten nicht zu finden sind. Allenfalls ließe sich hier - mit erheblichen Einschränkungen - die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle des § 47 VwGO anführen, da dieser in besonderen Konstellationen immerhin phänomenologisch ein Organstreit zugrunde liegen kann (unten b).

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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a) Das OVG als Verfassungsgericht Die VwGO enthält nur eine einzige, noch dazu an recht verborgener Stelle am Ende ihrer Übergangsbestimmungen befindliche - und wohl deshalb in bezug auf die vorliegende Problematik bislang unbeachtet gebliebene - Bestimmung, die als ausdrückliche Regelung von Organstreitigkeiten verstanden werden kann: Nach § 193 VwGO nämlich bleibt in einem Land, in dem kein Verfassungsgericht besteht, bis zur Errichtung eines solchen „eine dem Oberverwaltungsgericht übertragene Zuständigkeit zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Landes ... unberührt". Da unter den Begriff der Verfassungsstreitigkeiten jedenfalls auch, wenn nicht gar vorrangig, die Verfassungsorganstreitigkeiten fallen, ist die Vorschrift im vorliegenden Kontext von beträchtlichem dogmatischen Interesse, auch wenn § 193 VwGO aufgrund seiner Subsidiarität heute keine praktische Relevanz mehr besitzt. Zuständigkeiten des OVG in Landesverfassungsstreitigkeiten bestanden bei Inkrafitreten der VwGO allein gemäß § 27 Buchst, d MRVO Nr. 1651, der im Bereich der britischen Zone den OVG die Entscheidung „über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes, in dem kein anderes Gericht zu ihrer Regelung besteht", zuwies2. Die Bedeutung des § 193 VwGO besteht somit darin, daß er die Vorschrift des § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 „unberührt", und das heißt: entgegen der für die MRVO Nr. 165 ansonsten geltenden Aufhebungsvorschrift des § 195 Abs. 2 Nr. 2 VwGO fortgelten läßt3. Grund für diese Bestimmung war, daß bei Inkrafitreten der VwGO noch nicht alle im Geltungsbereich der MRVO Nr. 165 liegenden Länder ein eigenes Verfassungsgericht eingerichtet hatten (nämlich Berlin und Schleswig-Holstein)4. Soweit in diesen Ländern das OVG gemäß §27 Buchst, d MRVO Nr. 165 für Landesverfas1 Zur Fortgeltung des § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vgl. BVerfGE 1, 208, 234; BVerwGE 3, 30, 33; OVG Lüneburg, OVGE 2, 157, 162 f.; 2, 225, 228; DVB1. 1952, 82 f.; ferner Eyermann/Fröhler, VwGO, § 193 Rn. 1; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 61; Klinger, VwGO, Anm. zu § 193; Kopp, VwGO, § 193 Rn. 1; Schunck/De Clerck, VwGO, § 193 Anm. 1; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Anm. zu § 193 VwGO; a.A. BVerfGE 3, 261, 266 f. unter offensichtlicher Verkennung seiner früheren Entscheidung. 2 § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 wurde Art. 19 WRV nachgebildet, so daß die zu Art. 19 WRV herausgearbeiteten Grundsätze sinngemäß für seine Auslegung heranzuziehen sind, OVG Lüneburg, OVGE 2, 157, 163; DVB1. 1952, 82, 83. 3 Vgl. Eyermann/Fröhler, VwGO, § 193 Rn. 1; Klinger, VwGO, Anm. zu § 193; Kopp, VwGO, § 193 Rn. 1; Schunck/De Clerck, VwGO, § 193 Anm. 1; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Anm. zu § 193 VwGO. - A.A. Eyermann/P. Schmidt, VwGO, § 193 Rn. 2; Heckmann/Vogler, in NKVwGO, § 193 (2. EL 1999) Rn. 6, die annehmen, § 195 Abs. 2 Nr. 2 VwGO habe auch § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 aufgehoben, damit aber sinnwidriger Weise implizieren, daß § 193 VwGO nie einen Anwendungsbereich hatte. 4 Klinger, VwGO, Anm. zu § 193; Koehler, VwGO, Anm. zu § 193.

Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

96

sungs(organ)streitigkeiten zuständig war, sollte diese Zuständigkeit durch § 193 V w G O aufrechterhalten werden 5 . Ohne die Ausnahmebestimmung des § 193 V w G O wäre nämlich sonst in diesen Ländern mit Inkrafitreten der V w G O die Entscheidung von LaHöfosverfassungsstreitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. A l t . G G ohne weiteres dem B V e r f G anheimgefallen; ein solcher Übergang der Entscheidungszuständigkeit für Landesverfassungsorganstreitigkeiten

auf

ein Ziwrafesgericht sollte indes nicht gegen den W i l l e n des Landesgesetzgebers erfolgen, und deshalb sollte die diesbezügliche Zuständigkeit des O V G fortdauern, bis der Landes(verfassungs)gesetzgeber eine Entscheidung über die Errichtung eines eigenen Landesverfassungsgerichts bzw. gemäß Art. 99 G G über die Zuweisung von Landesverfassungsstreitigkeiten an das B V e r f G getroffen haben würde. Von dieser ratio des § 193 VwGO her erklärt sich übrigens, weshalb der Landesgesetzgeber, sobald er einmal ein Landesverfassungsgericht errichtet und dadurch dem OVG seine Ersatzzuständigkeit entzogen hat, durch spätere Abschaffung des Landesverfassungsgerichts die Zuständigkeit des OVG nicht wieder neu begründen könnte. Die in diesem Falle Platz greifende Ersatzzuständigkeit des BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Alt. GG) wäre dann nämlich keine - durch § 193 VwGO auszuschließende - Folge des Inkrafttretens der VwGO mehr, sondern eben Konsequenz der Entscheidung des Landesgesetzgebers, die eigene Verfassungsgerichtsbarkeit wieder abzuschaffen, und gegen die Folgen einer solchen eigenen Entscheidung bedürfen die Länder keines Schutzes. § 193 VwGO besitzt daher, wenn man seinen Wortlaut und seine systematische Stellung ernst nimmt, eine lediglich begrenzte Bedeutung, weil er nur bestehende Zuständigkeiten des OVG in Landesverfassungsstreitigkeiten „unberührt" läßt, ohne hingegen selbst eine solche Zuständigkeit zu begründen oder eine Neubegründung von Zuständigkeiten eines OVG fur Verfassungsstreitigkeiten zu decken6.

5

Vgl. Kopp, VwGO, § 193 Rn. 1; Stelkens, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 193 (Lfg. 1996) Rn. 1. 6 Eyermann/P. Schmidt, VwGO, § 193 Rn. 3; Kopp, VwGO, § 193 Rn. 2. Die gegenteilige Ansicht CHeckmann/Vogler, in NKVwGO, § 193 [2. EL 1999] Rn. 4 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, § 193 Rn. 1; Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, §32 Rn. 7; Stelkens, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 193 [Lfg. 1996] Rn. 3), wonach sich § 193 VwGO nicht auf die Fortgeltung etwaiger bei Inkrafitreten der VwGO bestehender verfassungsgerichtlicher Zuständigkeiten der OVG beziehe, sondern (auch) auf später begründete, widerspricht der systematischen Einordnung des § 193 VwGO als bloße Übergangsvorschrift. Hätte der VwGO-Gesetzgeber eine Neubegründung solcher Zuständigkeiten zulassen wollen, hätte dies systematisch bei § 48 VwGO eingeordnet werden müssen. Auch wäre dann nicht die Formulierung „bleibt... unberührt" gewählt worden, sondern vielmehr hätte sich dann eine dem (erst durch das 6. VwGOÄndG aufgehobenen) § 145 VwGO a.F. betreffend das OVG als Revisionsgericht (vgl. hierzu Eyermann/Fröhler, VwGO, § 145 Rn. 1 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 145 Rn. 1 ff.) entsprechende Ermächtigung des Landesgesetzgebers angeboten, verfassungsrechtliche Streitigkeiten dem OVG zuzuweisen. Schließlich widerspricht die Annahme, § 195 Abs. 2 Nr. 2 VwGO habe auch § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 außer Kraft gesetzt und § 193 VwGO habe daher lediglich die Wiedereinführung einer entsprechenden Rege-

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

97

Unter die dem O V G nach § 27 Buchst, d M R V O Nr. 165 zugewiesenen Streitigkeiten zählten neben der abstrakten Normenkontrolle namentlich die Landesverfassungsorganstreitigkeiten 7 . Damit stellt § 193 V w G O i.V.m. § 27 Buchst, d M R V O Nr. 165 einen anderen Rechtsweg i m Sinne des Art. 93 Abs. 1 N r . 4, 3. A l t . G G 8 dar und schließt die subsidiäre Zuständigkeit des B V e r f G für Landesverfassungsorganstreitigkeiten aus 9 . Heute hat § 193 V w G O mangels eines eigenen Verfassungsgerichts nur noch Bedeutung für Schleswig-Holstein 1 0 . A l lerdings sind Landesverfassungsorganstreitigkeiten

in diesem Land gemäß

Art. 44 Nr. 1 Verf. SH i.V.m. Art. 99 G G dem B V e r f G zur Entscheidung zugewiesen worden 1 1 , und zwar umfassend und abschließend 12 . Inwieweit dem O V G Schleswig neben den durch Art. 44 Nrn. 2 und 3 Verf. SH i.V.m. Art. 99 GG dem B V e r f G außerdem noch zugewiesenen Streitigkeiten noch gewisse verfassungsrechtliche Streitigkeiten zur Entscheidung verbleiben 1 3 , kann i m hiesigen Zusammenhang dahinstehen. Jedenfalls i m Bereich der Landesverfassungsorganstreitigkeiten kommt dem § 193 V w G O infolge seiner Subsidiarität keine lung erlauben wollen, der offenkundigen Absicht des Gesetzgebers, die bestehenden landesrechtlichen Regelungen aus Gründen des Respektes - immerhin geht es hier um landesverfassungsrechtliche Streitigkeiten - zu erhalten. Die Neubegründung einer derartigen Zuständigkeit des OVG läßt sich auch nicht unter Hinweis auf die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder für den Bereich der Landesverfassungsgerichtsbarkeit legitimieren. Danach haben die Länder zwar die freie Entscheidung über die Errichtung besonderer Landesverfassungsgerichte; sie können jedoch nicht Gerichten, die kraft Bundesrechts gebildet sind (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) und deren Zuständigkeiten durch Bundesrecht abschließend normiert sind, ohne entsprechende bundesgesetzliche Ermächtigung weitere Zuständigkeiten zuweisen, selbst wenn sich diese allein auf landes(verfassungsrechtliche Materien beziehen. Nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO fehlt den Verwaltungsgerichten die Rechtswegzuständigkeit für verfassungsrechtliche Streitigkeiten, und hierüber kann sich der Landesgesetzgeber ohne Ermächtigung durch den Bundesgesetzgeber nicht hinwegsetzen (vgl. Stelkens, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 193 [Lfg. 1996] Rn. 2). 7 Zur diesbezüglichen Beteiligungsfähigkeit Klinger, MRVO Nr. 165, § 27 Anm. C; van de Sandt, MRVO Nr. 165, § 27 Anm. 3. 8 S. hierzu unten B.II.2. 9 OVG Lüneburg, OVGE 2, 157, 166; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Anm. zu § 193 VwGO. 10 Eyermann/Fröhler, VwGO, § 193 Rn. 1; Heckmann/Vogler, in NKVwGO, § 193 (2. EL 1999) Rn. 2 f.; Kopp, VwGO, § 193 Rn. 1; Kopp/Schenke, VwGO, § 193 Rn. 1; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 193 Rn. 1; a.A. Eyermann/P. Schmidt, VwGO, § 193 Rn. 1 ff.: überhaupt keine Bedeutung. 11 Vgl. Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 99 Rn. 4; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 11 Rn. 3, 6; Sturm, in Sachs, GG, Art. 99 Rn. 1, 4. 12 BVerfGE 1, 208, 233 ff.; 3, 261, 266; 7, 77, 83; 27, 240, 244; a.A. OVG Lüneburg, OVGE 2, 157, 166. 13 Für Wahl- und Mandatsprüfungen vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 193 Rn. 1; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 32 Rn. 8, 14; Stelkens, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 193 (Lfg. 1996) Rn. 5. 9 Roth

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

praktische Bedeutung mehr zu. Auf verwaltungsxechiWche Organstreitigkeiten ist § 193 VwGO demgegenüber bereits tatbestandlich nicht anwendbar, da er nur die Entscheidungszuständigkeit des OVG für „Verfassungsstreitigkeiten" fortdauern läßt. Auch § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 bezog sich allein auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten im staatsrechtlichen Sinn und nicht etwa auf die „Verfassung" der Gemeinden und sonstigen Träger öffentlicher Gewalt 14 , und § 193 VwGO hat diesbezüglich keine Erweiterung gebracht. Obgleich § 193 VwGO aufgrund seiner Subsidiarität im Ergebnis keine praktische Bedeutung für landesverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten mehr besitzt, und obwohl er schon seinem Wortlaut nach keine Anwendung auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten findet, ist diese Vorschrift dennoch aufschlußreich und von erheblichem dogmatischen Interesse in bezug auf den hier untersuchten Problemkreis. Erstens steht § 193 VwGO der Ansicht entgegen, der VwGO-Gesetzgeber hätte womöglich die Problematik der Organstreitigkeiten einfach übersehen und deshalb keine diesbezüglichen Regelungen in die VwGO aufgenommen. Wäre eine solche Annahme schon in sich unplausibel, da Streitigkeiten dieser Art bei Abfassung der VwGO sehr wohl bekannt waren und auch dem Gesetzgeber nicht entgangen sein können15, so erscheint sie jedenfalls im Lichte des § 193 VwGO nicht begründbar. Besonders bedeutsam ist aber vor allem, daß der Gesetzgeber offensichtlich nicht der Ansicht ist, die Entscheidung von Organstreitigkeiten sei mit dem Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und den Aufgaben der Verwaltungsgerichte aus prinzipiellen Gründen unvereinbar. § 193 VwGO kann nicht als abschließende und erschöpfende Regelung von Organstreitigkeiten im Bereich der VwGO verstanden werden. Der ausdrücklichen Regelung in § 193 VwGO bedurfte es aus zwei Gründen. Erstens war sie wie gezeigt - erforderlich, um die Fortgeltung des § 27 Buchst, d MRVO Nr. 165 entgegen der sonst greifenden Aufhebungsvorschrift des § 195 Abs. 2 Nr. 2 VwGO anzuordnen, und zweitens wäre sonst nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO für verfassungsrechtliche Streitigkeiten dieser Art der Verwaltungsrechtsweg verschlossen gewesen16. Diese beiden Probleme stellen sich in bezug auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten ersichtlich nicht, und deshalb bestand diesbezüglich kein Anlaß für eine ausdrückliche Regelung nach Art des § 193 VwGO. Die auf den dargelegten besonderen Erwägungen beruhende ausdrückliche Erhaltung der Zuständigkeit des OVG für verfassungsrechtliche (Organ)Streitigkeiten gestattet daher keinesfalls einen Umkehrschluß dahin, ver14 Klinger, MRVO Nr. 165, § 27 Anm. C; a.A. van de Sandt, MRVO Nr. 165, § 27 Anm. 3. 15 Näher unten E.II.5.b. 16 Vgl. Stelkens, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 193 (Lfg. 1996) Rn. 2.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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waltungsrechtWche Organstreitigkeiten seien mangels ausdrücklicher Erwähnung unstatthaft. Im Gegenteil liegt ein argumentum a fortiori näher. Wenn nach Ansicht des Gesetzgebers die Verwaltungsgerichtsbarkeit (wenn auch nur subsidiär und nur auf Landesebene) sogar zur Entscheidung verfassungsrechtlicher Organstreitigkeiten zuständig sein kann, so müssen die VerwaltungsgerichOrganstreite als die hierzu primär berufenen Gerichte verwaltungsrechtliche tigkeiten erst recht entscheiden können.

b) Die oberverwaltungsgerichtliche

Normenkontrolle

Als einen weiteren, wenngleich auf einer besonderen Konstellation beruhenden Beispielsfall für eine in der VwGO geregelte Organstreitigkeit könnte man an die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle des § 47 VwGO denken17. Der Normenkontrollantrag kann nämlich nach § 47 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. VwGO auch von Behörden gestellt werden, sofern sie mit dem Vollzug der Rechtsnorm befaßt sind oder diese sonst bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben zu beachten haben18. Unstreitig gilt dies auch für Behörden jener Körperschaft, deren Normgebungsorgane die inkriminierte Norm gesetzt haben19. Eine Ausnahme macht die herrschende Meinung allerdings in bezug auf jene Behörde, die selbst über die fragliche Rechtsnorm verfugen, sie insbesondere aufheben oder ändern und dadurch den Rechtsverstoß beseitigen könnte20. Diese Einschränkung ist nicht unzweifelhaft. Jedenfalls kann sie nicht gelten, wenn eine solche Aufhebung aufsichtsbehördlichen Zustimmungsvorbehalten unterliegt oder wenn es der betreffenden Behörde gerade um eine rückwirkende Nichtigerklärung geht, weil ja eine rückwirkende 17

So OVG Lüneburg, DVB1. 1999, 1737; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 156. 18 Vgl. hierzu, auch zu der strittigen Frage, ob es sich bei dieser Voraussetzung um ein selbständiges Zulässigkeitserfordernis oder um das nach allgemeinen Grundsätzen erforderliche objektive Rechtsschutz- bzw. Kontrollinteresse handelt, etwa BVerwGE 81, 307, 309 f.; BVerwG, NVwZ 1990, 57; VGH Mannheim, NuR 1999, 110 f.; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 47 Rn. 81 f.; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 (1. EL 1997) Rn. 78; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 71; Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn. 34; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 898, 912. 19 OVG Bremen, DVB1. 1980, 369; VGH München, BayVBl. 1993, 626; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 (1. EL 1997) Rn. 79; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 63; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 898; Staudacher, JZ 1985, 974 f. 20 BVerwGE 81, 307, 310 f.; OVG Bremen, DVB1. 1980, 369; VGH Mannheim, NJW 1977, 1469, 1470; VGH München, BayVBl. 1993, 626; Bader/v. Albedyll, VwGO, § 47 Rn. 76; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, § 74 I 3; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 47 Rn. 26; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 47 Rn. 59, 81; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 71; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn. 24; Staudacher, JZ 1985, 974; Ziekow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 239; a.A. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 19 Rn. 49; Kopp, VwGO, § 47 Rn. 35.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Normänderung oder -aufhebung besondere Probleme z.B. im Hinblick auf Rechtssicherheit und Vertrauensschutz aufwerfen könnte21. Davon abgesehen verträgt sich der mit einem Fehlen des Rechtsschutz- bzw. Normenkontrollintéressés begründete Ausschluß der normsetzenden Behörde von der Stellung eines Normenkontrollantrags schwerlich mit der allgemein bejahten Antragsbefugnis der mit der Normausführung befaßten Aufsichtsbehörde 22, die ja sehr wohl auf eine Aufhebung der Norm hinwirken könnte23, und daher nach dieser These eigentlich auch kein Rechtsschutz- oder Kontrollinteresse besitzen dürfte. Richtig ist zwar, daß z.B. die rechtsaufsichtliche Weisung an eine Gemeinde, eine gemeindliche Rechtsverordnung oder Satzung zu ändern, unter Umständen selbst zu einem gerichtlichen Verfahren fuhren kann, nämlich über die Rechtmäßigkeit der Beanstandung (vgl. § 125 GemO BW), so daß der Normenkontrollantrag der Aufsichtsbehörde durchaus sinnvoll ist 24 . Ob allein dies jedoch die Position der herrschenden Meinung trägt, ist fraglich, weil ja völlig ungewiß ist, ob eine solche Weisung wirklich angefochten werden würde. Nach allgemeinen Grundsätzen dürfte das Rechtsschutzbedürfnis der Aufsichtsbehörde für die Normenkontrolle mit dieser Begründung nur bejaht werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Gemeinde die Weisung, ihre Rechtsnorm zu ändern, anfechten würde. Eine solche Einschränkung wird aber von der herrschenden Meinung bezeichnenderweise nicht gemacht. Sieht man den Vorteil des Normenkontrollantrags in der dadurch ermöglichten allgemeinverbindlichen Entscheidung 2 5 (§ 47 Abs. 5 S. 2 V w G O ) , so besteht dieser Vorteil auch bei einer Antragstellung durch das Normsetzungsorgan. Dieses kann zwar die N o r m aufheben oder ändern und damit den Gegenstand des Streites beseitigen, nicht aber kann es den Gültigkeitsstreit allgemeinverbindlich entscheiden. Dementsprechend ist denn auch anerkannt, daß keine Subsidiarität der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Nr. 1 BVerfGG gegenüber einem möglichen legislativen A k t besteht und die Normenkontrolle nicht deshalb unzulässig ist, weil der Antragsteller selbst eine Gesetzesänderung herbeifuhren könnte. Das Rechtsschutzinteresse fur die Normenkontrolle entfallt nicht, weil die erfolgreiche Normenkontrolle unter U m ständen zur Vernichtung des Rechtssatzes ex tunc fuhrt, während eine Gesetzesänderung in aller Regel nur mit Wirkung ex nunc ergehen könnte 2 6 .

21 Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §47 (1. EL 1997) Rn. 79; vgl. auch Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 912. 22 BVerwG, NVwZ 1990, 57 f.; OVG Bautzen, SächsVBl. 1998, 59 f.; VGH München, BayVBl. 1982, 654; 1993, 626; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 47 Rn. 26; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, §47 Rn. 59, 81; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 47 (1. EL 1997) Rn. 79; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 71; Staudacher, JZ 1985, 974; Ziekow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 239; a.A. VGH Kassel, ESVGH 44, 238 f. 23 BVerwGE 75, 142, 146; VGH München, BayVBl. 1982, 654, 655; Kopp, VwGO, § 47 Rn. 35. 24 Eyermann/J Schmidt, VwGO, § 47 Rn. 81. 25 Vgl. VGH München, BayVBl. 1993, 626, 627; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 47 Rn. 81. 26 BVerfGE 32, 199, 211 ;Stuth, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 76 Rn. 7.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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Diese Frage kann hier letztlich dahinstehen. Selbst wenn man mit der herrschenden Meinung die normgebenden Organe von der Antragstellung ausschlösse, änderte sich nichts an dem bemerkenswerten Umstand, daß jedenfalls alle übrigen Behörden der betreffenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung einen Normenkontrollantrag stellen können. Damit aber liegt der Sache nach ein Dissens zwischen der antragstellenden Behörde und dem normgebenden Organ über die Rechtmäßigkeit der Norm vor, der sich, insoweit beide derselben juristischen Person angehören, phänomenologisch als Organstreit verstehen ließe27. Allerdings richtet sich der Normenkontrollantrag gemäß § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO nicht gegen das Normgebungsorgan, sondern gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, welcher der Normsetzungsakt dieses Organs angerechnet wird 28 , so daß prozessual keine Organstreitigkeit vorliegt 29 , sondern ein OrganOrganisations-Streit zwischen der antragstellenden Behörde und ihrem Rechtsträger. Diese Gestaltung hat ihren guten Grund, auch wenn man an sich die Vorstellung gerichtlicher Verfahren von Behörden gegen die sie tragenden Hoheitsträger überraschend finden könnte. Denn die Normenkontrolle kann nicht nur von Behörden, sondern vor allem von natürlichen und juristischen Personen beantragt werden, und in bezug auf diese steht fraglos nicht das Normgebungsorgan im Vordergrund, sondern eben die den Rechtssatz als den ihrigen tragende Körperschaft, Anstalt oder Stiftung. Dasselbe gilt für antragstellende Behörden anderer Hoheitsträger. Wird diesbezüglich aber der Normenkontrollantrag sinnvollerweise gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung gerichtet, so wäre es in der Tat unzweckmäßig, den Antrag der körperschafts-, anstalts- oder stiftungszugehörigen Behörde gegen das Normgebungsorgan zuzulassen. Sachlich ist diese Ausgestaltung deshalb überzeugend, weil ja ein Rechtssatz nie als Rechtssatz des normgebenden Organs anzusehen ist, sondern immer als Rechtssatz des betreffenden Trägers öffentlicher Gewalt, für den das Organ handelt. So beschließt zwar der Gemeinderat die kommunalen Satzungen (vgl. § 4 Abs. 2 GemO BW), erlassen werden sie im rechtlichen Sinne jedoch von der Gemeinde (§ 4 Abs. 1 GemO BW). Folglich ist es sachgerecht, den Normen27

Vgl. in bezug auf die bundesverfassungsgerichtliche abstrakte Normenkontrolle Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 71 Rn. 2; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, vor § 63 Rn. 40; ders, in FS Zeidler II, S. 1239. 28 Bader/v. Albedyll, VwGO, §47 Rn. 90; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, §47 Rn. 60; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §47 (1. EL 1997) Rn. 83; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §19 Rn. 11; Kopp/Schenke, VwGO, §47 Rn. 25. - Unhaltbar demgegenüber OVG Lüneburg, DVB1. 1999, 1737, wonach die „Körperschaft", welche eine gemeindliche Rechtsvorschrift erlasse, der Gemeinderat sei. Denn da der Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO gegen die „Körperschaft, Anstalt oder Stiftung" zu richten ist, kann mit „Körperschaft" in diesem Sinne unmöglich das normgebende Organ gemeint sein. 29 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 26; vgl. auch Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 165 f.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

kontrollantrag in allen Fällen gegen den Rechtsträger richten zu müssen. Deshalb wird der tatsächlich zwischen der antragstellenden Behörde und dem Normgebungsorgan bestehende Dissens aus der Interorganebene herausgehoben und - unter Beibehaltung der Antragsbefugnis der befaßten Behörde - rechtlich auf die Ebene der Organisation selbst gehoben. Die Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO ist aber nicht nur nach ihrer prozessualen Ausgestaltung selbst im Falle einer antragstellenden Behörde nicht als Organstreitverfahren aufzufassen. Auch materiell hat sie als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren 30 allein die behauptete objektive Rechtswidrigkeit der Norm zum Gegenstand und dient nicht notwendig dem Schutz irgendwelcher Rechte oder Belange der initiativberechtigten Behörde, auch wenn sie freilich diesen Effekt haben kann 31 . Ungeachtet der zwischen Organstreitigkeiten und der prozessualen Ausgestaltung der Normenkontrolle bestehenden Unterschiede ist diese dennoch auch im hiesigen Kontext von einigem Interesse. Denn immerhin beweist § 47 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. VwGO, daß die VwGO keine grundsätzlichen Bedenken trägt, Behörden als Antragsteller in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zuzulassen, und dies sogar in einem offenkundigen „Insichprozeß" gegen ihre eigenen Rechtsträger 32. Von daher können auch Verwaltungsstreitverfahren zwischen Organen desselben Rechtsträgers schwerlich pauschal als unzulässige „Insichprozesse" abgetan werden.

c) Kein Umkehrschluß auf eine Unzulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Organstreitverfahren Die VwGO enthält nach dem Gesagten keine Bestimmungen, die einen ausdrücklichen Bezug zu verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten enthalten. Diese auf den ersten Blick bemerkenswerte Zurückhaltung kontrastiert nicht nur mit der dargestellten Vielfalt und praktischen Bedeutung der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten 33, angesichts derer man vielleicht doch einige ausdrückliche Bestimmungen erwartet hätte. Vielmehr erscheint diese Zurückhaltung um so auffälliger, als ja im Unterschied hierzu die einschlägigen Verfassungen und Verfassungsgerichtsgesetze sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene zahlreiche zum Teil recht detaillierte Regelungen für die verfassungs30 Vgl. Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 47 Rn. 6; Gerhardt, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 47 (2. EL 1998) Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 3; Redeker/v. Oertzen, VwGO, §47 Rn. 1; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 873; Staudacher, JZ 1985, 971. 31 S. unten H.II.3. 32 Zu dieser Einordnung als - zulässigen - Insichprozeß Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 63; Staudacher, JZ 1985, 970 ff. 33 S. oben A.II. 1.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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rechtlichen Organstreitigkeiten bereithalten 34, und weil schließlich in § 193 VwGO selbst eine Bestimmung getroffen wurde, die vor allem derartige Verfassungsorganstreitigkeiten erfaßt. Indessen wäre es verfehlt, aus diesem Schweigen des Gesetzgebers zu folgern, daß verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten womöglich ganz aus dem Anwendungsbereich der VwGO herausfielen und nicht im verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren ausgetragen werden könnten 35 . Im Gegenteil wäre es eine „nicht verständliche Folgerung", könnten zwar Verfassungsorganstreitigkeiten innerhalb eines Landes nach § 193 VwGO verwaltungsgerichtlich ausgetragen werden, nicht aber die funktionell gleichgelagerten Organstreitigkeiten innerhalb von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts36. Wenn nach der Konzeption des Gesetzgebers gemäß §193 VwGO Landesverfassungsorganstreitigkeiten und gemäß §47 VwGO Verfahren von Behörden gegen ihre eigenen Rechtsträger vor den Verwaltungsgerichten möglich sind, so wäre es umgekehrt überraschend, wenn verwaltungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Organen desselben Trägers einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung grundsätzlich nicht zugänglich wären. Führt man sich diese Implikationen des OVG als Verfassungs- und Normenkontrollgericht vor Augen und bedenkt man ferner, daß ein praktisches Bedürfnis fur die Austragbarkeit verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten allgemein anerkannt wird und dies auch vom Gesetzgeber kaum anders gesehen worden sein kann, so besteht die nächstliegende Erklärung für das Fehlen diesbezüglicher spezifischer Regelungen nicht in der Annahme einer insoweitigen Lückenhaftigkeit der VwGO 3 7 . Vielmehr ist es vor dem aufgezeigten Hintergrund mindestens ebenso plausibel, daß der Gesetzgeber spezifische Vorschriften über verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten für überflüssig erachtete, weil er ob zu Recht oder zu Unrecht - davon ausging, mit den allgemeinen Bestimmungen der VwGO ausreichend Vorsorge auch für solche Verfahren getroffen zu haben. Bestärkt wird diese Vermutung durch die Erkenntnis, daß auch unter den unmittelbaren Vorläufergesetzen der VwGO zahlreiche verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten ausgetragen wurden 38 , obschon auch diese Gesetze keine ausdrücklichen diesbezüglichen Vorschriften enthielten. Wenn nun aber die Gerichte - ungeachtet der teilweise erheblichen dogmatischen Streitfragen - unter der Geltung der süddeutschen VGG bzw. der MRVO Nr. 165 zu insgesamt befriedigenden Ergebnissen gelangten, so brauchte der Gesetzgeber keinen Anlaß sehen, nähere Bestimmungen über diese Fall34

S. nachfolgend B.II. Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 133. 36 So zutreffend bereits OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 228 in bezug auf §§ 22, 27 Buchst, d MRVO Nr. 165. 37 So aber Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 13; wohl auch Kopp/Schenke, VwGO, § 1 Rn. 8. Hierzu näher unten E.II.5.b.bb. 35

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

konstellationen in die VwGO aufzunehmen, sondern durfte er davon ausgehen, daß die VwGO auch ohne explizite Regelungen eine hinreichende Grundlage für die Fortsetzung der bei allen Unklarheiten doch insgesamt bewährten Praxis bieten werde.

2. Die Entscheidbarkeit verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten als Frage des einfachen Rechts Die Zusammenschau der §§47 und 193 VwGO erbringt, wie vorstehend dargelegt, einen ersten Beleg dafür, daß die Austragung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten der VwGO nicht wesensfremd sein kann. Daraus folgt aber freilich noch nicht, daß sie auch tatsächlich zulässig sind. In Ermangelung spezifischer Vorschriften läßt sich nur durch eine Auslegung der einschlägigen Prozeßrechtsvorschrifien beantworten, ob die VwGO verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren gestattet. Zuvor wirft sich allerdings die Frage auf, ob und inwieweit der einfache Gesetzgeber bei der Regelung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten überhaupt freie Hand hat. Denn sofern er diesbezüglich verfassungsrechtlichen Bindungen unterläge, wären diese bei der Auslegung und Anwendung der VwGO zu beachten. Fraglich ist insbesondere, ob Art. 19 Abs. 4 GG bzw. das Rechtsstaatsprinzip die verwaltungsgerichtliche Entscheidbarkeit verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten gebieten.

a) Organstreitigkeiten

und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG

In erster Linie ist zu prüfen, ob die formelle Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG die hier zu behandelnden Organstreitigkeiten zwischen oder innerhalb von Organen von Trägern öffentlicher Gewalt erfaßt und ob deshalb schon aus Art. 19 Abs. 4 GG ein Argument oder gar ein verfassungsrechtliches Gebot abzuleiten ist, daß verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten gerichtlich entscheidbar sein müssen39. Nun scheitert die Berufung auf Art. 19 Abs. 4 GG in der Tat nicht an der Voraussetzung der Ausübung öffentlicher Gewalt. Denn Organe und Organteile von Hoheitsträgern treten auch bei innerorganisatorischem Handeln anderen Organen oder Organteilen gegenüber doch immer noch in ihrer Funktion als zur Wahrnehmung öffentlicher Gewalt berufene Einheiten

39 So etwa BVerwGE 3, 30, 35; BVerwG, DÖV 1972, 350; VGH Kassel, NVwZ 1988, 81; VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76; 29, 37, 39; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 128; Groß, Kollegialprinzip, S. 323; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 129, 157; Streinz, BayVBl. 1983, 746; für einen Rückgriff auf den „Grundgedanken" des Art. 19 Abs. 4 GG „einer umfassenden Rechtsschutzgewährung" Bauer/Krause, JuS 1996, 516 Fn. 57.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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auf 0 , und daher fallen beispielsweise kommunalverfassungsrechtliche Entscheidungen eines Kommunalorgans gegenüber einem anderen durchaus unter den Begriff der „öffentlichen Gewalt" im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG 41 . Ob sich die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG mit der Begründung verneinen läßt, „bloße Organrechte" etc. seien von dessen Schutzbereich nicht erfaßt 42, hängt von der zutreffenden Qualifikation der Organkompetenzen ab: Sofern man (was allerdings höchst strittig und noch eingehend zu behandeln ist 43 ) Kompetenzen als subjektive Rechte des beeinträchtigten Organs oder Organteils ansieht44, wäre die Annahme einer Rechtsbeeinträchtigung im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG keineswegs ausgeschlossen. Die eigentliche und im hiesigen Kontext zum Tragen kommende Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG besteht vielmehr, wie sich aus seiner systematischen Stellung als Schlußstein des Grundrechtsteils des Grundgesetzes sowie seiner Entstehungsgeschichte45 ergibt, in seiner ausschließlichen Geltung fur Grundrechtsträger 46, so daß er insbesondere im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern Bedeutung besitzt47. Da der Staat sowie sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts und damit auch deren Organe und Organteile keine Grundrechtsträger nach Art. 19 Abs. 3 GG sind 48 , können sie sich folglich nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen 49. Auch Gemein40

Vgl. BVerwGE 3, 30, 35; VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76. VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 132 ff. 42 So aber BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 214, S. 54; Nr. 215, S. 58 f.; OVG Münster, NWVB1. 1989, 21, 22; Bracher, NWVB1. 1994, 410; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 60 (Organ„rechte" werden von Art. 19 Abs. 4 GG nicht erfaßt); ders, VerwArch 1977, 196; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 148. 43 Zur Problematik subjektiver Organrechte eingehend unten E.II, F. 44 Vgl. BVerwGE 3, 30, 35; VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39. 45 Ausfuhrlich hierzu Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982), S. 3 ff. 46 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 29; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 51; Krüger, in Sachs, GG, Art. 19 Rn. 113; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 63. 47 BVerfGE 60, 319, 326. 48 BVerfGE 15, 256, 262; 45, 63, 78; 61, 82, 100 f.; 75, 192, 195 f.; VerfGH Berlin, NVwZ 2000, 549. 49 BVerfGE 39, 302, 312 ff, 316; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 64 ff.; Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 395; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 51; Krüger, in Sachs, GG, Art. 19 Rn. 115; Roellecke, Zur Geltung von Grundrechten, S. 149; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 32, 37; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 42; Schoch, JuS 1987, 789; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 64; a.A. BSG, NJW 1958, 399; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 108; Klein, VVDStRL 8 (1950), 102; v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 19 Anm. V I I 1; Pabst, DÖV 1951, 285 f.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 55 ff; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 41. 41

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

den und Landkreise sind nicht grundrechtsfähig im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG 5 0 , und aus diesem Grunde stehen Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten nicht unter dessen Rechtsschutzgarantie51. Die Ausklammerung der Träger öffentlicher Gewalt von der Grundrechtsinhaberschaft gilt allerdings nicht ausnahmslos. Bestimmten juristischen Personen des öffentlichen Rechts wird nämlich, insofern sie Grundrechte in einem Bereich verteidigen, in dem sie vom Staat unabhängig52 und unmittelbar einem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind 53 , zur effektiven Verwirklichung dieser Grundrechtsbereiche ausnahmsweise doch eine (beschränkte) Grundrechtsfähigkeit zugebilligt 54 . Zu dieser „Ausnahmetrias" zählen außer den (hier nicht zu behandelnden) Kirchen 55 die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, denen das Grundrecht der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) zuerkannt wird 56 , sowie die Universitäten und Fakultäten, denen das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) zusteht57. Weil somit

50 BVerfGE 45, 63, 78 f.; OVG Berlin, NuR 1999, 287, 288; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 87 ff.; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 42; Roellecke, Zur Geltung von Grundrechten, S. 149; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 42; Stern, Staatsrecht III/l, § 71 V I I 6 a, S. 1166; a.Α. Schenke , in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 38. 51 Erichsen, in FS Menger, S. 232; Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 395; Krebs, Jura 1981, 575; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20; Schwerdtner, VB1BW 1996, 210; Zimmerling, , Organstreitigkeiten, S. 42; vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 215; im Ergebnis auch Lorenz, AöR 93 (1968), 326 ff.; a.A. VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 110 f. (für Intraorganstreitigkeiten). 52 Zu diesem Erfordernis vgl. BVerfGE 15, 256, 262. 53 BVerfGE 31, 314, 322; 39, 302, 313; 75, 192, 195 f.; VerfGH Berlin, NVwZ 2000, 549; Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 272; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 38. 54 Vgl. hierzu BVerfGE 15, 256, 262; 31, 314, 322; 39, 302, 312 f.; 45, 63, 78 f.; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 38; Schmidt-Aßmann, in Maunz/ Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 41 ff.; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 64. 55 BVerfGE 19, 129, 132; 53, 366, 387; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 78 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 18; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 40; Stern, Staatsrecht III/l, § 71 V I I 3 a, S. 1152 f. 56 BVerfGE 31, 314, 322; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 83 ff.; Degenhart, in BK GG, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Lfg. 1999) Rn. 728, 764; Starck, in v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 122, 171. 57 BVerfGE 15, 256, 262; 31, 314, 322; BVerwGE 45, 39, 42; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 80 ff.; Fink, WissR 1994, 135 ff.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 419 ff; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 370.

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diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundrechtsfähig sind, kommt ihnen auch der Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG zugute58. Zu betonen ist, daß die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht auf den Schutz jener Grundrechte beschränkt ist, welche die Rundfunkanstalt bzw. die Universität oder Fakultät innehaben. Während nämlich in Art. 19 Abs. 1 bis 3 GG einschränkend jeweils nur von „Grundrechten" die Rede ist, reicht Art. 19 Abs. 4 GG schon seinem Wortlaut nach weiter, weil hier allgemein alle (subjektiven) „Rechte" erfaßt sind 59 ; deshalb ist zutreffend anerkannt, daß „Rechte" im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur Grundrechte, sondern alle subjektiven Rechte, auch solche des einfachen Rechts sind 60 . Art. 19 Abs. 4 GG ist somit dahin zu verstehen, daß alle subjektiven Rechte eines Grundrechtsträgers gerichtlichen Rechtsschutz gegen hoheitliche Verletzungen genießen. Rundfunkanstalten und Universitäten/Fakultäten können deshalb ihre Rechte umfassend gegen hoheitliche Übergriffe verteidigen, auch soweit nicht ihre Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 bzw. 3 GG betroffen sind 61 . Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich auch einzelne Organe oder Organteile einer Rundfunkanstalt oder Universität bzw. Fakultät auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG berufen können62. Dazu müßten sie Träger wenigstens eines Grundrechts sein. Bejahendenfalls wären sie „ohne Rücksicht auf ihre allgemeine oder besondere Rechtsfähigkeit" 63 Grundrechtsträger und genössen damit den Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG, und zwar in be58

BVerfGE 39, 302, 316; OVG Münster, GewArch 1981, 291, 292; Jarass/Pierotk, GG, Art. 19 Rn. 29; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 38. 59 Vgl. hierzu auch unten C.IV.3.b. 60 Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 59; Krüger, in Sachs. GG, Art. 19 Rn. 127; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 285. 61 Jarassi Ρ ieroth, GG, Art. 19 Rn. 29; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 64. 62 Diese Frage nach der Grundrechtsinhaberschaft der betreffenden Organe und Organteile ist übrigens zu unterscheiden von der Frage, inwieweit sich einzelne Mitarbeiter der Rundfunkanstalten bzw. Universitäten und Fakultäten persönlich auf die Grundrechte aus Art. 5 GG berufen können. Hier gilt: Für einzelne Rundfunkmitarbeiter besteht nach außen gegenüber dem Staat in dem Maße Grundrechtsschutz wie für die Rundfunkanstalt, dagegen steht ihm keine „innere Rundfunkfreiheit" zu, sondern er unterliegt der auch programmatischen Direktionsbefugnis der zuständigen Gremien, namentlich des Rundfunkrats sowie des Intendanten; vgl. hierzu OVG Münster, NJW 1982, 670 f.; Bethge, in Sachs, GG, Art. 5 Rn. 109; Degenhart, in BK GG, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Lfg. 1999) Rn. 731; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 123. Wissenschaftler hingegen sind persönlich Inhaber der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 GG auch gegenüber der Universität und Fakultät; sie unterliegen daher bezüglich des Inhalts ihrer Forschung und Lehre keinen Weisungen des Rektors/Präsidenten oder des Dekans, vgl. hierzu OVG Berlin, JZ 1973, 209, 210; Wendt, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 104. 63 BVerfGE 15,256,262.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

zug auf alle ihre Rechte, nicht nur hinsichtlich dieser konkreten Grundrechte. Eine solche Grundrechtsinhaberschaft ist nicht unzweifelhaft 64. Während aus dem Umstand, daß eine juristische Person des öffentlichen Rechts keine Grundrechte innehat, abzuleiten ist, daß auch ihre Organe keine Grundrechte besitzen, läßt sich im umgekehrten Fall kein vergleichbarer Schluß ziehen. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann vielmehr sehr wohl Inhaberin von Grundrechten sein, ohne daß gleiches fur ihre Organe und Organteile gelten müßte. Aus der Zuerkennung von Grundrechtsfähigkeit an die Rundfunkanstalten und Universitäten sowie Fakultäten folgt also nicht, daß deren Organe den Schutz des Art. 5 Abs. 1 bzw. 3 GG genössen. Zur Abwehr staatlicher Eingriffe genügte es nämlich, die Organisation als solche grundrechtlich zu schützen, ohne daß ihre sämtlichen Organe gleichfalls als eigenständige Grundrechtsträger aufzufassen sein müßten. Denn ein staatlicher Eingriff in die rundfunk- bzw. wissenschaftsbezogenen Kompetenzen dieser Organe stellt notwendig zugleich einen Eingriff in die betreffenden Grundrechte der Rundfunkanstalten und Universitäten bzw. Fakultäten dar, so daß die einzelnen Organe und Organteile nicht auf einen eigenständigen Grundrechtsschutz gegenüber dem Staat angewiesen sind. Ob den Organen und Organteilen von Rundfunkanstalten bzw. Universitäten und Fakultäten die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 bzw. 3 GG zustehen oder nicht, hängt deshalb weniger davon ab, ob sie gegen staatliche Übergriffe geschützt werden müssen, sondern vielmehr davon, ob sie einen solchen abwehrrechtlichen Schutz in ihrem organschaftlichen Verhältnis untereinander benötigen 65 . Hier ist zu bedenken, daß der Rundfunk- bzw. der Wissenschaftsfreiheit nicht lediglich Gefahren von seiten des Staates drohen, etwa durch Übergriffe im Zuge der staatlichen Rechtsaufsicht 66, sondern daß derartige Gefahren durchaus auch innerorganisatorisch bestehen können, beispielsweise wenn der Intendant die Programmkompetenzen des Rundfunkrats mißachtet und gegen dessen Entscheidung die Ausstrahlung oder Absetzung einer Sendung anordnet, oder wenn der Rektor, Dekan oder Hochschulrat die im Interesse der Wissenschaftsfreiheit bestehenden Befugnisse des Senats, Konvents oder Fakultätsrats übergeht (z.B. bei der Behandlung von Berufungsvorschlägen) 67. Denkbar ist ferner, daß ein Organ im Zusammenwirken mit staatlichen Behörden die Befugnisse 64

Ablehnend Bauer/Krause, JuS 1996, 513; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 73 ff.; ders., DVB1. 1980, 314; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 123. 65 Bejahend Fink, WissR 1994, 139, 141; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 426 f. 66 Zur staatlichen Rechtsaufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vgl. Degenhart, in BK GG, Art. 5 Abs. 1 u. 2 (Lfg. 1999) Rn. 825 ff.; Starck, in v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 137. 67 Vgl. Fink, WissR 1994, 140 f.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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eines anderen Organs beeinträchtigt 68. Man mag daher dafürhalten, daß „innerhalb der Rundfunkanstalt ... niemand in niemandes Rundfunkfreiheit eingreift], wenn z.B. ein Aufsichtsgremium dem Intendanten eine gesetzlich vorgesehene Weisung gibt" 69 . Ungesetzliche und kompetenzwidrige Maßnahmen organisationsinterner (Kontroll)Gremien hingegen brauchen nicht hingenommen zu werden, sondern können gerichtlich angegriffen werden 70. Dieses anerkannte Ergebnis spricht fur die Annahme einer grundrechtlichen Sicherung der Rundfunk- bzw. Wissenschaftsfreiheit im Verhältnis der Rundfunkanstaltsbzw. Hochschulorgane untereinander, jedenfalls soweit eine bestimmte Kompetenzregelung zumindest auch mit Rücksicht auf die von Art. 5 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 3 S. 1 GG geschützten Freiheiten erlassen worden ist 71 . Sähe man dies anders, so obläge es allein der Entscheidung des Prozeßrechtsgesetzgebers, ob er einfachgesetzlich eine Klagemöglichkeit eröffnet oder nicht. Geht man aber davon aus, daß das aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotene meinungspluralistische Rundfunkprogramm durch eine binnenpluralistische Organisation der Rundfunkanstalt abgesichert sein muß 72 bzw. daß im Interesse einer freiheitlichen Wissenschaft wissenschaftsrelevante Entscheidungen durch die dank ihrer personellen Zusammensetzung hierzu am besten befähigten Organe zu treffen sind, dann impliziert dies die Notwendigkeit einer grundrechtlichen Absicherung der die Rundfunk- bzw. Wissenschaftsfreiheit primär verkörpernden Organe vor Kompetenzübergriffen seitens der eher Verwaltungsaufgaben erfüllenden Organe. Damit dürften die überwiegenden Gründe für eine Zubilligung der fraglichen Grundrechte an die genannten Organe und Organteile sprechen, mit der Konsequenz, daß Rundfunk- und Hochschulverfassungsorganstreitigkeiten der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unterstellt sind. Damit ist für einen wichtigen, wenngleich zahlenmäßig weit hinter den Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten zurückbleibenden Teil der Organstreitigkeiten eine verfassungsrechtliche Garantie gerichtlicher Entscheidung gegeben. Das heißt natürlich nicht, daß derartige Organstreitigkeiten unter unmittelbarem Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG im ordentlichen Rechtsweg zu entscheiden wären. Vorrangig bleibt zu untersuchen, inwieweit sie im Verwaltungsstreitverfahren zu entscheiden sind 73 . 68 Vgl. OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 587: unzulässige Überwachung des Hochschulsenats durch das Wissenschaftsministerium in Abstimmung mit dem Präsidenten der Hochschule. 69 Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 123 (Hervorhebung durch Verfasser). 70 Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 138. 71 Vgl. Fink, WissR 1994, 142. 72 Vgl. Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Rn. 124. 73 Hierzu ausführlich unten C.I. und IV. sowie H.I.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht b) Kein rechtsstaatliches Gebot gerichtlicher Entscheidung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Zu erwägen ist, ob und inwieweit sich möglicherweise auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG unter Rückgriff auf den Gedanken eines im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Justizgewährleistungsanspruchs 74 bzw. aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) ein verfassungsrechtliches Gebot an den Gesetzgeber ergibt, eine gerichtsförmige Entscheidung von Organstreitigkeiten zu ermöglichen 75. Dabei ist zunächst einschränkend zu bemerken, daß diese Prinzipien jedenfalls keinem Organ die Befugnis verleihen, allgemein gegen rechtswidrige Beschlüsse und Maßnahmen anderer Organe und Organteile unabhängig von einer eigenen rechtlichen Betroffenheit klagen zu können76. Daß jedes Organ oder Organteil von Hoheitsträgern gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zur Einhaltung der Gesetze verpflichtet ist und rechtswidrig handelt, wenn es einschlägige Rechtsnormen mißachtet, enthält nämlich keine Aussage darüber, wie die Rechtsordnung auf einen solchen Verstoß zu reagieren hat. Wenn Art. 19 Abs. 4 GG und die Prozeßordnungen gegenüber rechtswidriger hoheitlicher Tätigkeit lediglich subjektivrechtlich geprägten Rechtsschutz vorsehen und der Gesetzgeber objektive Rechtsbeanstandungsverfahren lediglich in besonderen Ausnahmefällen eingerichtet hat 77 , liegt hierin kein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Daher könnte sich von vornherein allenfalls die Frage stellen, ob Organe von Trägern öffentlicher Gewalt aus dem Rechtsstaatsprinzip unter Umständen einen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz gegen subjektive Rechtsverletzungen herleiten können. Insoweit dürfte nun freilich ein Umkehrschluß aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt sein. Der Verfassungsgeber ging offenkundig davon aus, daß weder das Rechtsstaats- noch das Gesetzmäßigkeitsprinzip per se eine Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes enthielten und hat gerade deshalb eine ausdrückliche Generalklausel zu diesem Effekt geschaffen. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG ist es deshalb unstatthaft, dasselbe Ergebnis durch Rückgriff auf die allgemeinen Prinzipien herleiten zu wollen. Allerdings gebietet das Rechtsstaatsprinzip dem Gesetzgeber, Sorge zu tragen, daß nicht infolge von Organstreitigkeiten nachgerade rechtsstaatswidrige Zustände eintreten, indem etwa ein nicht auflösbarer Konflikt zu einer Blockade oder nachhaltigen Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Tätigkeit der öffent74

Vgl. BVerfGE 57, 9, 22; BVerwG, ZBR 1990, 354, 355; OVG Koblenz, DVB1. 1991, 719; ferner Henrichs, DVB1. 1959, 560. 75 Vgl. Bleckmann, DVB1. 1986, 666; Bracher, NWVB1. 1994, 410 ff.; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 151 ff.; Henrichs, DVB1. 1959, 560; Lerche, in FS Knöpfle, S. 171 Fn. 2. 76 BVerwG, DÖV 1972, 350. 77 S. hierzu unten C.IV.I.e.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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liehen Verwaltung führen kann. Solange dies jedoch insbesondere durch Möglichkeiten der Rechtsaufsicht gewährleistet ist, läßt sich allein unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip keine Befugnis der am Streit beteiligten Organe und Organteile begründen, ihre Streitigkeiten selbst vor Gericht austragen zu können.

c) Resümee Von den Sonderfällen der Rundfunk- und Hochschulverfassungsorganstreitigkeiten abgesehen, besteht keine verfassungsrechtliche Gewährleistung, daß verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten einer (verwaltungs)gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden können. Ob dies ermöglicht werden soll oder nicht, unterliegt bis zur Grenze rechtsstaatswidriger Zustände der freien Entscheidung des Gesetzgebers78. Dieser kann verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten aber einfachgesetzlich selbstverständlich zulassen79, wäre verfassungsrechtlich keineswegs gehindert, Organstreitigkeiten allein „dem politischen Kräftespiel" zu überlassen80. Auch könnte der Gesetzgeber ein Modell wählen, wonach Organstreitigkeiten allein auf verwaltungsinternem Wege zu schlichten oder zu entscheiden wären. Zwar ist aus dem Rechtsstaatsprinzip eine Pflicht des Gesetzgebers abzuleiten, verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, daß nicht infolge unlösbarer Organkonflikte rechtsstaatlich untragbare Zustände eintreten. Selbst dies präjudiziell jedoch kein bestimmtes Modell von Organstreitverfahren. Insbesondere ob und in welcher Weise Organstreitigkeiten gerichtlich ausgetragen werden können, stellt damit eine weitestgehend rechtspolitische Entscheidung des zuständigen Gesetzgebers dar, die (bundes)verfassungsrechtlich nicht festgelegt ist 81 . Ob und unter welchen Voraussetzungen verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten einer gerichtlichen Entscheidung zuzuführen sind, bestimmt sich somit nach den Maßstäben der entsprechend der Natur des Streites allein in Betracht kommenden VwGO.

78

Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 395; Lerche, in FS Knöpfle, S. 173. 79 Krebs, VerwArch 1977, 196; vgl. Rupp, Grundfragen, S. 100. 80 Vgl. BVerfGE 60, 319, 326. 81 Vgl. - in bezug auf landesverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten - BVerfGE 60,319, 326.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

3. Die verwaltungsprozessualen Problembereiche verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Die bisherige Bestandsaufnahme ergibt eine offenes Bild. Einerseits demonstrieren die §§ 47, 193 VwGO deutlich, daß gegen verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren keine grundsätzlichen Bedenken bestehen können. Andererseits finden sich in der VwGO keine ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen etwa über kommunal-, hochschul- oder rundfunkverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten. Daraus folgt zwar keineswegs deren Ausschluß aus dem Verwaltungsstreitverfahren, wohl aber ergibt sich als zwingende Konsequenz: Wenn derartige Streitigkeiten überhaupt im Verwaltungsstreitverfahren zu entscheiden sein sollen, dann nur, wenn sie die allgemeinen verwaltungsprozessualen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllen. Indem das Prozeßrecht Sachentscheidungsvoraussetzungen aufstellt, errichtet es Hürden für die gerichtliche Realisierbarkeit des materiellen Rechts. Zwischen materiellem und Prozeßrecht bestehen zahlreiche Wechselwirkungen 82 . Einerseits kommt dem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich eine dienende Funktion gegenüber dem materiellen Recht zu 83 , mit anderen Worten: das Prozeßrecht ist „final-akzessorisch" zum materiellen Recht84, und deshalb muß der Prozeß hinsichtlich seiner Zulässigkeit und Durchführung möglichst so ausgestaltet sein und müssen gegebenenfalls die Prozeßrechtsbestimmungen so ausgelegt werden, daß dieses Ziel auch erreicht werden kann 85 . Dies erhellt etwa daraus, daß eine Diskrepanz zwischen der materiellen Rechtslage und dem Prozeßrecht, insbesondere also die Diagnose, daß das Prozeßrecht ungeeignet sei, das materielle Recht in vollem oder wenigstens weitestgehenden Umfang effektiv durchzusetzen, in aller Regel eher in einen Ruf nach einer Reform des Prozeßrechts mündet und nicht etwa der Wunsch nach einer Änderung des materiellen Rechts zwecks Anpassung desselben an das Prozeßrecht wach wird 86 . Andererseits kann nicht alles, was Inhalt des materiellen Rechts ist und von diesem vorgeschrieben wird, prozessual auch wirklich geltend gemacht und durchgesetzt werden. Wenn der Prozeßrechtsgesetzgeber nicht verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG bzw. - in allerdings sehr weiten Grenzen durch das Rechtsstaatsprinzip zur Einräumung bestimmter Klagemöglichkeiten verpflichtet ist, steht es ihm frei, die Sachentscheidungsvoraussetzungen re82

Bachof in FS Laforet, S. 285. Vgl. hierzu Hoppe, NJW 1980, 1021; Hufen, JuS 1999, 314; Schmidt-Aßmann, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. (Lfg. 1996) Rn. 212; vgl. ferner Schnapp, Amtsrecht, S. 121 f.; für das Verwaltungsverfahren entsprechend (z.T. krit.) Hufen, Fehler, Rn. 8, 492, 584 ff. 84 Engisch, Einführung, S. 96. 85 Vgl. Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 214; Menger, System, S. 74 f. 86 Vgl. etwa G. Jellinek, System, S. 359. 83

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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striktiv zu gestalten, selbst wenn deshalb das Recht nicht in allen Fällen durchgesetzt werden könnte. Daß die dienende Funktion des Prozeßrechts keine absolute und unbedingte ist, verdient gerade im Blick auf die Organstreitigkeiten Betonung, weil es keineswegs selbstverständlich ist, daß diese überhaupt einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden können. Während nach der Ausgestaltung der (Prozeß)Rechtsordnung infolge der Generalklauseln heute ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, daß Private ihre Streitigkeiten jedenfalls um subjektive Rechte untereinander sowie im Verhältnis zu Trägern öffentlicher Gewalt stets auf die eine oder andere Weise gerichtlich austragen können (letzteres ist durch Art. 19 Abs. 4 GG ohnedies garantiert), läßt sich eine vergleichbare Aussage bezüglich Organstreitigkeiten nicht mit derselben Selbstverständlichkeit machen. Insbesondere verdient der Umstand Beachtung, daß es im allgemeinen nicht verfassungsrechtlich geboten ist, eine Möglichkeit zur gerichtlichen Entscheidung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten zu schaffen. Ob verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugeführt werden können, hängt nach dem Gesagten davon ab, ob sie die von der VwGO statuierten allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllen. Paradoxerweise ergeben sich nun die besonderen Schwierigkeiten der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten gerade aus dem Umstand, daß sie nach den allgemeinen verwaltungsprozessualen Bestimmungen zu behandeln sind. Hätte der Gesetzgeber für sie ein besonderes rechtliches Regime aufgestellt, so wie er es für Verfassungsorganstreitigkeiten getan hat, dann sähe sich der Rechtsanwender zwar gewiß immer noch zahlreichen Auslegungs- und Anwendungsproblemen im Einzelfall ausgesetzt; indes grundsätzliche Zweifel, ob und inwieweit derartige Streitigkeiten überhaupt entscheidbar sind, könnten bei einer solchen gesetzlichen Spezialregelung nicht mehr aufkommen. Die Schwierigkeit besteht also gewissermaßen darin, das besondere Phänomen der Organstreitigkeiten in die allgemeine (Prozeß)Rechtsordnung einzupassen, und unter Rückgriff auf die allgemein geltenden Regelungen befriedigende Lösungen für die sich bei Organstreitigkeiten stellenden spezifischen Probleme zu entwickeln. Wenngleich es angesichts der in Rechtsprechung und Literatur heute allgemein bejahten und auch unzweifelhaft einem praktischen Bedürfnis entsprechenden grundsätzlichen Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Organstreitverfahren ernsthaft nicht mehr um die Frage gehen kann, ob das Institut der Organstreitigkeit überhaupt anzuerkennen sei, so verdient doch die genaue dogmatische Begründung hierfür durchaus eine nähere Untersuchung, zumal davon auch der im Einzelfall mitunter strittige genaue Umfang abhängen kann, in welchem die sich um ihre Kompetenzen streitenden Organe und Organteile von den Möglichkeiten der VwGO Gebrauch machen können. Insbesondere werfen ei10 Roth

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

nige wesentliche Sachentscheidungsvoraussetzungen der VwGO 8 7 - auch angesichts ihrer Umstrittenheit in Rechtsprechung und Literatur - grundsätzliche Fragen in Verbindung mit Organstreitigkeiten auf, nämlich das für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs unverzichtbare Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit, die Klagebefugnis, die Beteiligungsfähigkeit, die Prozeßführungsbefugnis, das Rechtsschutzbedürfhis und die richtige Verfahrensart. Diese Problemkreise können an dieser Stelle nur skizzenhaft benannt werden, weil sie allesamt eingehender Behandlung bedürfen. Anbelangend erstens das Verständnis von Kompetenzstreitigkeiten als /tec/tfsstreitigkeiten im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, so erscheint diese Zuordnung nur dann als unproblematisch, wenn man die Diskussion um die Impermeabilitätstheorie ausblendet. Bezieht man diese jedoch in die Betrachtung ein, so zeigt sich, daß die Organstreitigkeiten bereits in bezug auf die Vorstellung, wie Organe und Organteile derselben Organisation Streitigkeiten um ihre rechtlichen Beziehungen zueinander führen können sollen, grundsätzlich erörterungsbedürftige Fragen aufwerfen 88. Noch problematischer erweist sich die Notwendigkeit eines subjektivrechtlichen Rechtsschutzbezuges. Wie noch näher darzulegen sein wird, stellt die VwGO nämlich sowohl für die Zulässigkeit als auch die Begründetheit einer Klage entscheidend auf die angestrebte Verteidigung subjektiver Rechte ab 89 . Infolge dieser der VwGO insgesamt zugrunde liegenden, ihren Ausdruck insbesondere in der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO findenden Individualrechtsschutzkonzeption müssen sich Organe und Organteile nicht nur rechtlich streiten - damit überhaupt der Weg zu den Gerichten eröffnet ist - , sondern sie müssen sich um subjektive Rechte in ihrem Verhältnis zueinander streiten, wenn sie verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen wollen 90 . Die Vorstellung jedoch, wie dies möglich und ein nicht rechtsfähiges Organ oder gar nur Organteil Inhaber eines gerichtlich zu verteidigenden subjektiven Rechtes sein kann, ist alles andere als klar. An diesem Punkt zeigt sich übrigens sehr deutlich, daß das Verhältnis von materiellem und Prozeßrecht nicht einseitig nur mit Blick auf die dienende Funktion des letzteren zu beschreiben ist, sondern daß sie in einem Interdependenzverhältnis stehen: Das subjektive Recht als solches ist seinem Wesen nach eine materiellrechtliche Kategorie 91, worin

87

Vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 17; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 65, 724a. 88 S. hierzu eingehend unten C.II. 89 S. unten C.IV. 1. 90 S. näher unten C.IV.2. 91 Vgl. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 4, 8, 57; Krebs, Jura 1981, 571; Rupp, Grundfragen, S. 160 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 85 f.

I. Organstreitigkeiten als einfachgesetzliche Problematik

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auch immer deren inhaltliche Bedeutung genau bestehen mag 92 . Seine überragende praktische Bedeutung fur das Verwaltungsstreitverfahren gewinnt es aber erst daraus, daß die VwGO bei den Sachentscheidungs- sowie dann bei den korrespondierenden Begründetheitsvoraussetzungen in prominenter Weise an das subjektive Recht anknüpft. Wäre das verwaltungsgerichtliche Verfahren als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren konzipiert, so wäre das subjektive Recht als dogmatische Kategorie vielleicht noch von theoretischem Interesse, praktisch aber jedenfalls weitgehend bedeutungslos. Und auch in einem aktionenrechtlichen oder einem rein enumerativen Klagesystem stehen die actio bzw. die Enumerationskataloge im Vordergrund; das subjektive Recht wird erst mit der Überwindung dieser Systeme relevant 93. Der nächste große Problemkomplex bei Organstreitigkeiten betrifft die bereits angesprochene94 Frage nach den Beteiligtenverhältnissen im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren, also zum einen nach der Beteiligungsfähigkeit von Organen und Organteilen überhaupt, und zum anderen nach der aktiven und passiven Prozeßfuhrungsbefugnis. Daß die ganz herrschende Meinung davon ausgeht, daß sich im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren auf Klägerwie auf Beklagtenseite Organe bzw. Organteile derselben Körperschaft, Anstalt oder Stiftung gegenübertreten, wurde bereits erwähnt. Wie dieses weitgehend konsentierte Ergebnis jedoch dogmatisch genau zu begründen ist, ist weniger klar. Hinsichtlich der Beteiligungsfähigkeit (§61 VwGO) ist nämlich keineswegs selbstverständlich, wie und weshalb die sich streitenden Organe und Organteile überhaupt als fähig zu erachten sind, am verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein. Gemäß ihrer wesensmäßigen Konzipierung als bloß transitorische Wahrnehmungseinheiten, die die Rechte und Pflichten ihrer Trägerorganisation für diese wahrnehmen, ohne diese selbst innezuhaben, wird nämlich sonst als allgemeiner Grundsatz formuliert, daß Organe und Organteile von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht beteiligungsfähig sind und deshalb weder selbständig Kläger noch Beklagter sein können95, sondern daß nach dem Rechtsträgerprinzip 96 richtigerweise die juristischen Personen, fur die sie handeln, am Verwaltungsstreitverfahren beteiligt sind. Ob die aktive und passive Beteiligungsfähigkeit der Organe und Organteile bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten eher als Durchbrechung des Rechtsträger-

92

Zum Begriff des subjektiven Rechts ausfuhrlich unten Teil D. Vgl. Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 6 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 154 ff. - Vgl. näher unten E.II.5.b.cc. 94 S. oben A.II.2. 95 VGH Mannheim, DÖV 1988, 474. 96 BVerwGE 14, 330, 331; Kopp/Schenke, VwGO, § 78 Rn. 3; Meissner, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (1. EL 1997) Rn. 14. 93

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

prinzips anzusehen ist 97 - weil sich die beteiligten Organe um Rechte streiten, die in transitorischer Weise eigentlich ihrem Rechtsträger zukommen - , oder ob es sich hierbei im Gegenteil um eine strenge Verwirklichung des Rechtsträgerprinzips handelt - weil die Organe um Rechte streiten, die ihnen selbst in ihrem Verhältnis zueinander zustehen - , hängt wiederum von der bereits genannten Problematik subjektiver Organrechte ab, und kann daher erst im Anschluß an deren Erörterung beantwortet werden 98. Neben diesen prozessualen Hauptproblemen erfordern die Organstreitigkeiten die Erörterung einer Reihe weiterer Sachentscheidungsvoraussetzungen. Zweifelsfragen wirft etwa die richtige Klageart auf, mit der die beteiligten Organe ihr Rechtsschutzanliegen zu verfolgen haben. Diskutiert wird heute vor allem, ob sie sich einer allgemeinen Gestaltungsklage bedienen können oder ob sie auf die gewöhnlichen Klageformen zurückgreifen können und müssen. Letzterenfalls bedarf der Erörterung, ob in ihrem Verhältnis auch Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen in Betracht kommen, was wiederum von der äußerst umstrittenen Frage abhängt, ob innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen Rechts Verwaltungsakte ergehen können99. Untersuchenswert sind ferner das Rechtsschutzbedürfnis, das zumal bei Organen und Organteilen mit gemeinsamer Behördenspitze oder Aufsichtsbehörde zweifelhaft sein kann, und schließlich Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes sowie der Kostentragung 100. Die genannten prozessualen Probleme stellen nach mittlerweile gefestigtem Stand von Rechtsprechung und Literatur keine unüberwindlichen Hindernisse für die verwaltungsgerichtliche Austragung von Organstreitigkeiten dar. Die wissenschaftliche Aufgabe besteht deshalb in erster Linie darin, dieses konsentierte Ergebnis dogmatisch befriedigend zu begründen, und damit zum besseren Verständnis auch der materiellrechtlichen Rechtsbeziehungen innerhalb von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts beizutragen, zumal eine nähere und systematische Untersuchung der Organrechtseingriffe sowie der materiellrechtlichen Folgen von Organrechtsverletzungen bislang fehlt 101 . Hinzu kommt die für das praktische Ergebnis bedeutsame Überprüfung, inwieweit etwaige dogmatische Unklarheiten auf das konkrete Ergebnis durchschlagen. Denn daß die Statthaftigkeit verwaltungsgerichtlicher Organstreitverfahren dem Grunde nach anerkannt ist, bedeutet nicht, daß es nicht im einzelnen bedeutsame Differenzen gäbe.

97 So etwa OVG Münster, JZ 1983, 25; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 10; Martensen, JuS 1995, 1078; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 686. 98 S. unten H.I.3.a. 99 S. unten G.III.2.a. 100 Hierzu unten H.III., IV. und V. 101 Hierzu ausführlich unten Teil G.

Π. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten Nach der gegebenen Beschreibung von Organen und den zwischen diesen und innerhalb derselben denkbaren Konflikten ergibt sich ohne weiteres, daß solche Streitigkeiten auch auf verfassungsrechtlicher Ebene unter Beteiligung von Verfassungsorganen oder ihrer Teile vorkommen können. Damit treten die Möglichkeiten in den Blick, die den Verfassungsorganen nach dem Grundgesetz und dem BVerfGG 1 eröffnet sind, „ihren verfassungsmäßigen Anteil an der Staatswillensbildung im Prozeßwege vor einem Verfassungsgericht zu verfolgen" 2, also ihre Organstreitigkeit (verfassungs)gerichtlich auszutragen. Verdienen verfassungsprozeßrechtliche Regelungen schon aufgrund der Bedeutsamkeit der Materie Aufmerksamkeit, kommt im Kontext dieser Arbeit ein weiteres hinzu: Wenngleich sich diese Arbeit auf die Untersuchung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten konzentrieren soll, so dürfte doch auch insoweit ein Vergleich mit den Regelungen über Verfassungsorganstreitigkeiten nicht unergiebig sein, und da im Laufe dieser Arbeit zu Vergleichszwecken ohnehin mehrfach auf die Verfassungsorganstreitigkeiten zu verweisen sein wird, erscheint es sinnvoll, deren Regelung vorab und zusammenhängend zu skizzieren. Bereits ein erster Blick ins Gesetz zeigt, daß Verfassungsorganstreitigkeiten im Grundgesetz sowie im BVerfGG in wesentlich größerem Umfange ausdrücklich geregelt sind, als dies angesichts der aufgezeigten diesbezüglichen Zurückhaltung von der VwGO gesagt werden kann. Dieser Unterschied erklärt sich aus dem Umstand, daß es im Gegensatz zur Rechtslage in verwaltungsrechtlichen wie auch in bürgerlichen Rechtsstreitverfahren (§ 40 Abs. 1 VwGO, § 13 GVG) keine verfassungsgerichtliche Generalklausel, sondern abschließend enumerierte Zuständigkeiten des BVerfG gibt 3 , auch wenn die fraglichen Vorschriften 1

Die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen über Verfassungsorganstreitverfahren können hier außer Betracht bleiben, da sie keinen Beitrag zur Auslegung der bundesgesetzlichen VwGO liefern können. Sachlich lehnen sie sich aber ohnedies weitgehend an die Regelung der Organstreitigkeiten auf Bundesebene an. 2 So die Definition der verfassungsrechtlichen Organstreitigkeit in BVerfGE 2, 143, 152. 3 BVerfGE 1, 396, 408; 13, 54, 96; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 295; Bethge, Jura 1998, 531; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 13 Rn. 6; Maunz, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (8. Lfg. 1985) Rn. 4; Mayer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 22; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 1; Schiaich,

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teilweise generalklauselartig weit gefaßt sind4, wodurch für einzelne Streitkomplexe eine „Lückenlosigkeit des verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes" erreicht wird 5 . Infolgedessen mußte der Gesetzgeber etwa gewollte verfassungsrechtliche Organstreitverfahren ausdrücklich zulassen und zugleich auch deren Zulässigkeitsvoraussetzungen eigens festlegen. Aus dem Fehlen vergleichbarer Bestimmungen in der VwGO folgt deshalb auch keineswegs im Umkehrschluß, daß verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren unstatthaft wären. Denn der Gesetzgeber kann davon ausgegangen sein, diese schon durch die verwaltungsgerichtliche Generalklausel erfaßt und damit zugelassen zu haben, ohne daß dies einer besonderen Erwähnung oder ausdrücklichen Regelung bedurfte 6. Angesichts dieses Schweigens der VwGO ist jedoch eine Betrachtung der Verfassungsorganstreitigkeiten besonders interessant, welche Vorstellungen der Gesetzgeber mit den verfassungsrechtlichen Organstreitverfahren verbunden hat, insbesondere im Hinblick darauf, ob sich womöglich allgemeine Grundsätze herauskristallisieren lassen, die auch für die Lösung der zahlreichen Probleme verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten fruchtbar zu machen sind. Zwar betrifft das Verfassungsprozeßrecht eine andere Materie als das Verwaltungsprozeßrecht. Gleichwohl sind doch die aus den bundesrechtlichen Regelungen über Verfassungsorganstreitigkeiten abzuleitenden dogmatischen Erkenntnisse im Sinne einer systematisierend-teleologischen Interpretation 7 nach Möglichkeit auch der Auslegung der weniger detaillierten verwaltungsprozessualen Vorschriften zugrunde zu legen, um die Einheit und Kohärenz der Rechtsordnung8 auch zwischen verschiedenen Prozeßordnungen soweit zu wahren, wie es deren unterschiedliche Verfahrensgegenstände erlauben. Schon von dieser Zielsetzung her kann es nachfolgend selbstverständlich nicht um einen Versuch einer umfassenden Darstellung der Verfassungsgerichtsbarkeit oder auch nur der Verfassungsorganstreitigkeiten gehen. Einzugehen ist vielmehr allein auf jene Aspekte, die im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten problematisch und insoweit von besonderem Interesse sind, während Fragen

Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 72; entsprechend VerfGH Berlin, DVB1. 1999, 979, 980. 4 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 296; Geiger, BVerfGG, § 13 Anm. 2 („kleine Generalklauseln"); Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 2; Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 2 a. 5 BVerfGE 11, 6, 13 f. für die Bund/Länder-Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 GG. 6 S. oben B.I.I.e. 7 Vgl. hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 150, 180 f.; ferner Engisch, Einführung, S. 94 f. 8 Vgl. hierzu Engisch, Einführung, S. 206 ff.; larenz, Methoden lehre, S. 334 f., 437; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 180; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 486; Roth, Faktische Eingriffe, S. 203, 567 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 I.

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spezifisch verfassungsrechtlicher Natur ausgeklammert bleiben können und müssen. Nicht in die Betrachtung einbezogen werden sollen zudem die verfassungsrechtlich vorgesehenen Normenkontrollverfahren, gleich, ob sie als abstrakte oder als konkrete ausgestaltet sind. Denn zwar liegt jedenfalls abstrakten Normenkontrollverfahren - wie schon zu § 47 VwGO dargelegt 9 - phänomenologisch, „der Sache nach" 10 , stets ein Streit zwischen dem antragsbefugten Organ und dem Gesetzgebungsorgan oder einem anderen Organ, das den Rechtssatz verteidigen will (z.B. die Regierung), über die Verfassungs- oder sonstige Rechtmäßigkeit des angegriffenen Rechtssatzes zugrunde 11. Indessen sind sämtliche verfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren formal nicht als kontradiktorische Organstreitverfahren ausgestaltet12, sondern als objektive Beanstandungs- und Kontrollverfahren 13. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, daß sie im Unterschied zur Rechtslage bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle noch nicht einmal einen Antragsgegner kennen, sondern nur Beteiligungs- und Äußerungsrechte vorsehen (vgl. §§ 76, 77, 82 Abs. 1 bis 3 BVerfGG).

1. Bundesverfassungsorganstreitigkeiten nach dem Grundgesetz a) Entscheidungsinhalt Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG entscheidet das BVerfG „über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind". Diese Formulierung, daß das BVerfG zwar anläßlich einer Organstreitigkeit über die „Auslegung des Grundgesetzes" entscheide, nicht aber über die Organstreitig9

S. oben B.I.l.b. Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 71 Rn. 2. 11 Vgl. Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 63; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 31; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 115; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 206 („häufig praktisch streitähnlich"); ümbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, vor § 63 Rn. 40. 12 BVerfGE 2, 143, 156; Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 71 Rn. 2; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 202. 13 BVerfGE 1, 208, 219 f.; 68, 346, 350 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 643; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 56; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 115; Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 5 a, S. 985; ders., in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 202; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 76 (5. Lfg. 1978) Rn. 2 ff. 10

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keit selbst, klingt zwar in gewisser Weise an eine abstrakte Normenkontrolle oder an eine „prinzipale Grundgesetzinterpretation" 14 an, und scheint anzudeuten, die sich streitenden Organe müßten die Folgerungen hinsichtlich der Beurteilung ihres Verhaltens auf der Basis jener Auslegung selbst ziehen und den Streit im politischen Zusammenspiel beilegen15. Diese vom Grundgesetz angedeutete Konzeption wird freilich „durch §§ 64, 67 BVerfGG etwas abgewandelt" 16 . Danach ist das Verfassungsorganstreitverfahren nämlich als echtes kontradiktorisches Streitverfahren ausgestaltet17. Insbesondere beschränkt sich das BVerfG gemäß § 67 S. 1 BVerfGG keineswegs auf die Auslegung des Grundgesetzes - die Auslegungsfrage wird vielmehr quasi inzidenter nur vorfrageweise beantwortet (vgl. § 67 S. 3 BVerfGG) 18 - , sondern entscheidet den konkreten Rechtsstreit 19 und stellt in seiner Entscheidung fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners grundgesetzwidrig ist 20 . Wird ein Verfassungsverstoß festgestellt, so ist es Aufgabe der zuständigen Organe, unverzüglich die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und - sofern rechtlich und tatsächlich möglich - den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen 21 . In der Regel muß dies rückwirkend durch Aufhebung der als verfas14 Jesch, DÖV 1961, 760; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 4, 17; ferner Geiger, NJW 1954, 1058. 15 Vgl. hierzu BVerfGE 1, 208, 231; 2, 79, 86; 2, 143, 152 ff.; C Arndt, AöR 87 (1962), 210 ff.; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 233 f.; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 26; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 1, 5; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 77; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 33; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 63 (10. Lfg. 1987) Rn. 2. 16 BVerfGE 2, 79, 86. 17 BVerfGE 20, 18, 23 f.; 64, 301, 315; StGH BW, ESVGH 35, 241, 242; Lechner/ Zuck, BVerfGG, vor § 63 Rn. 8; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 25; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 86; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 32; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 63 (10. Lfg. 1987) Rn. 3. 18 Vgl. BVerfGE 90, 286, 339: Klärung der Auslegung von Vorschriften des Grundgesetzes als zulässiges Rechtsschutzziel „im Rahmen eines Organstreits". 19 BVerfGE 45, 1, 29; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 907; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 234; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 4; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 77 ff. 20 Diese Entscheidungsbefugnis ist verfassungskonform, vgl. BVerfGE 1, 208, 231 f.; C Arndt, AöR 87 (1962), 212 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 902 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 8; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 67 Rn. 1; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 14; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 234 f., 258; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 25; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 79 ff.; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §67 (10. Lfg. 1987) Rn. 1; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 67 Rn. 4 ff.; a.A. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 5, 43. 21 BVerfGE 24, 300, 351 f.; 80, 188, 235; 85, 264, 326; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 974; Geiger, NJW 1954, 1058; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 16; Lücke, JZ 1983, 381 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 47,

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten121 sungswidrig beanstandeten Maßnahme durch das zuständige Organ sowie Rückabwicklung etwaiger Folgen geschehen22. Allerdings kann das BVerfG nach allgemeinen Grundsätzen zur Vermeidung untragbarer Zustände, die mit der Verfassung noch weniger vereinbar wären als die vorübergehende Hinnahme des gegenwärtigen wiewohl verfassungswidrigen Zustandes23, die aus seiner Feststellungsentscheidung zu ziehenden Konsequenzen auf einen zukünftigen Zeitpunkt beziehen24. Ob das BVerfG notfalls eine Vollstreckungsanordnung (§ 35 BVerfGG) erlassen kann, um die Befolgung der Beseitigungspflicht sicherzustellen 25, erscheint entgegen der herrschenden Meinung zweifelhaft 26. Denn es entspricht sonst allgemein anerkannten prozessualen Grundsätzen, daß Feststellungsurteile in der Hauptsache nicht vollstreckungsfähig sind 27 , und wenn der Gesetzgeber nun einmal aufgrund einer bewußten Entscheidung28 den Erlaß einer vollstreckbaren Entscheidung in Organstreitverfahren nicht vorgesehen hat 29 , dann greift die Vorschrift des § 35 BVerfGG in dieser Verfahrensart folglich ins Leere. Denn das BVerfG kann hiernach zwar - unter Beachtung der grundgesetzlichen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung 30 - das Vollstreckungsorgan bestimmen § 20 Rn. 84, 129; Roth, AöR 124 (1999), 483; Schenke, NJW 1982, 2526; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 78; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 67 Rn. 17. 22 Vgl. BVerfGE 85, 264, 326 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 47, § 20 Rn. 84. 23 Vgl. hierzu BVerfGE 83, 130, 154; 85, 264, 326; Lower, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 105; Roth, AöR 124 (1999), 473, 495 ff.; Stern, Staatsrecht II, § 44 V 3 g, S. 1041 f. 24 Vgl. BVerfGE 85, 264, 326 ff. 25 Bejahend BVerfGE 6, 300, 303 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 974; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §69 (15. Lfg. 1997) Rn. 198 f., § 72 (15. Lfg. 1997) Rn. 59 f.; Geiger, BVerfGG, § 35 Anm. 5; Herzog, Der Staat 1965, 39 f.; Klein, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §35 (10. Lfg. 1987) Rn. 13; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 19 Rn. 8; Roellecke, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 35 Rn. 14 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 116; einschränkend Lücke, JZ 1983, 380 („in Ausnahmefällen"). 26 Eingehend hierzu Roth, AöR 124 (1999), 471 ff. 27 Geiger, BVerfGG, § 35 Anm. 3; Klein, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 35 (10. Lfg. 1987) Rn. 13; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 19 Rn. 4; Roth, AöR 124 (1999), 478 f. 28 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 1/788, S. 28 (zu § 32 des BVerfGG-Entwurfs); hierzu Roth, AöR 124 (1999), 481 f.; diesen gesetzgeberischen Willen konstatiert auch Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 19 Rn. 4. 29 BVerfGE 2, 79, 86. 30 S. dazu zutreffend Herzog, Der Staat 1965, 41 ff; a.A. BVerfGE 2, 139, 142 f.; Geiger, BVerfGG, § 35 Anm. 7; mit Einschränkungen auch Klein, in Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §35 (10. Lfg. 1987) Rn. 2; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 35 Rn. 10.

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und auch „im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln", vermag aber nicht aus einer nicht vollstreckbaren feststellenden Entscheidung eine vollstreckbare zu machen31. Die damit etwa verbundene Vollstreckbarkeitslücke 32 mag verfassungspolitisch bedenklich erscheinen, ist indessen als Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen. Unerträgliche Zustände sind als Folge dessen nicht zu befürchten, da dem BVerfG erforderlichenfalls eine Annexkompetenz zum Erlaß vollstreckbarer Übergangsanordnungen zwecks Bewältigung etwaiger Folgeprobleme seiner Feststellungsentscheidungen zuwächst33. Trotz der richtigerweise zu verneinenden Vollstreckbarkeit der Feststellungsentscheidung in der Hauptsache kann das BVerfG übrigens einstweilige Anordnungen (§ 32 BVerfGG) auch in Organstreitverfahren erlassen34. Da nämlich die betroffenen Verfassungsorgane auch ohne dahingehenden verfassungsgerichtlichen Ausspruch verpflichtet sind, den als verfassungswidrig festgestellten Zustand zu beseitigen, muß es dem BVerfG möglich sein, zur Sicherstellung der effektiven Wirkung der Hauptsacheentscheidung dafür Sorge zu tragen, daß keine irreversiblen Fakten geschaffen werden können, die es den beteiligten Organen später unmöglich machen würden, die gebotenen Folgerungen aus der Feststellung zu ziehen35.

b) Beteiligungsfähigkeit Als Beteiligte eines solchen Verfassungsorganstreits, sei es als Antragsteller oder als Antragsgegner, kommen gemäß § 63 BVerfGG „der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe" in Betracht, sowie darüber hinaus unmittelbar kraft des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG 36 alle sonstigen durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestatteten „Beteiligten".

31

Roth, AöR 124 (1999), 478 f. Vgl. hierzu Roth, AöR 124 (1999), 483 ff. 33 Hierzu näher Roth, AöR 124 (1999), 490 ff. 34 BVerfGE 93, 208, 211; Schenke, NJW 1982, 2526. 35 Vgl. Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 79, 427. 36 Vgl. hierzu Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 914; Clemens, in Umbach/ Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 14; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 5; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 243, 255 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 15; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 82; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 87, 91; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 36. Für Teilnichtigkeit des § 63 BVerfGG Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 12. 32

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c) Antragsbefugnis Dem Antragsteller steht die Antragsbefiignis zu, wenn er geltend macht, „daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist" (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). Die geltend gemachte Rechtsverletzung oder -gefährdung muß möglich erscheinen, darf also nicht von vornherein ausgeschlossen werden können37. Trotz dieser auf den Normalfall zugeschnittenen Formulierung des § 64 Abs. 1 BVerfGG kann im Verfassungsorganstreit nicht allein eine Maßnahme des Antragsgegners Gegenstand des Antrags sein; vielmehr ist im Hinblick auf die weite Fassung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, der lediglich eine streitige verfassungsrechtliche Beziehung zwischen den Beteiligten fordert, auch der umgekehrte Fall denkbar, daß der Antragsteller die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit seines eigenen Verhaltens begehrt, solange nur die Grundvoraussetzung eines rechtserheblichen, die Ausübung verfassungsmäßiger Rechte und Pflichten des Antragstellers verletzenden oder gefährdenden Verhaltens des Antragsgegners vorliegt 38 . Gegenstand des verfassungsrechtlichen Organstreits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 63, 64 Abs. 1 BVerfGG ist stets der Streit um „Rechte und Pflichten" des Antragstellers oder des Organs, fur das dieser in Prozeßstandschaft auftritt. Dabei kommt allerdings dem Tatbestandsmerkmal der „Pflichten" keine eigenständige Bedeutung gegenüber dem der „Rechte" zu 39 . In einem lediglich zweipoligen Verhältnis ist dies offensichtlich, wenn die bezeichnete „Pflicht" des einen Organs bzw. Organteils lediglich die Kehrseite eines durch das andere geltend gemachten Rechts darstellt. In einem dreipoligen Verhältnis ist es zwar denkbar, daß das antragstellende Organ geltend macht, es werde durch das gegnerische Organ bei der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht einem Dritten gegenüber behindert; indessen muß in einem solchen Fall diese Pflicht dann doch grundsätzlich von einem Recht zur Erfüllung eben dieser Aufgaben gegenüber dem Dritten begleitet sein, da nach dem auch für Träger öffentlicher Gewalt geltenden40 allgemeinen Rechtsgrundsatz ultra posse nemo obligatur eine Rechtspflicht ohne grundsätzliche Rechtsmacht zur Erfüllung dieser Pflicht nicht bestehen kann 41 . Im Ergebnis läuft daher die Rüge nach § 64 Abs. 1 37

BVerfGE 94, 351, 362 f.; 99, 19, 28. BVerfGE 2, 143, 157 f.; Model/Müller, GG, Art. 93 Rn. 5; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 27. 39 Lorenz, in FG BVerfG I, S. 239; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 145. 40 Vgl. hierzu OVG Münster, JZ 1959, 359, 360; Roth, Faktische Eingriffe, S. 488 f.; Stern, Staatsrecht III/l, § 67 III 2 c. 41 Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 145; Ulsamer, in Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 64 (10. Lfg. 1987) Rn. 7; vgl. auch Lorenz, in FG BVerfG I, S. 239. 38

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BVerfGG immer auf die Geltendmachung einer Rechtsverletzung bzw. -gefährdung hinaus. Es ist zu betonen, daß die Antragsbefugnis nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und § 64 Abs. 1 BVerfGG auch dann die Geltendmachung einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung von „durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten" voraussetzt, wenn sich die Beteiligungsfähigkeit des Antragstellers allein aus seiner geschäftsordnungsmäßigen Ausstattung mit eigenen Rechten ergibt. Die ausschließliche Rüge der Verletzung von Geschäftsordnungsbestimmungen genügt nicht 42 , wobei allerdings die Herstellung des erforderlichen Bezuges zum Grundgesetz regelmäßig nicht besonders schwerfallen wird, da das BVerfG beispielsweise den Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG extensiv interpretiert und sich die Vorenthaltung geschäftsordnungsmäßiger Befugnisse daher oftmals als (mögliche) Verletzung dieser Bestimmung darstellen wird 43 . Daß einerseits die Beteiligtenfähigkeit allein schon aufgrund einer geschäftsordnungsmäßigen Ausstattung mit Rechten begründet wird, andererseits die Verteidigung bloßer Geschäftsordnungsrechte nicht die Antragsbefugnis begründet, scheint wenig sinnvoll, und in der Tat wäre die Zuerkennung einer Beteiligtenfähigkeit unsinnig, wenn dem Betreffenden dann definitionsgemäß jede Antragsbefugnis ermangelte. Diese scheinbare Paradoxie löst sich indessen auf, wenn man bedenkt, daß die Antragsbefugnis nicht ausschließlich durch die Geltendmachung einer Verletzung eigener verfassungsmäßiger Rechte zu begründen ist, sondern daß auch eine prozeßstandschafiliche Geltendmachung fremder Rechte in Betracht kommt. Die praktische Bedeutung der Verleihung der Beteiligtenfähigkeit an bloß geschäftsordnungsmäßig berechtigte Organteile liegt daher darin, daß sie als Prozeßstandschafter für das Organ, dem sie angehören, auftreten können. Ihnen ist also die Beteiligtenfähigkeit „nicht um ihrer selbst willen, sondern nur zur Vertretung der Rechte" des fraglichen Organs verliehen 44.

d) Prozeßstandschaft Beachtenswert ist, daß § 64 Abs. 1 BVerfGG eine ausdrückliche Zulassung einer Prozeßstandschaft enthält45: Sofern es nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 42 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 930, 941; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 502; Geiger, BVerfGG, § 64 Anm. 3; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 13, 28; entsprechend VerfGH NW, NWVB1. 1999, 411,412. 43 Vgl. BVerfGE 80, 188, 209 ff.; 84, 304, 317 ff.; femer VerfGH NW, NWVB1. 1999,411,412. 44 BVerfGE 2, 143, 165. 45 BVerfGE 2, 143, 164 ff.; 68, 1, 65 f.; 90, 286, 343; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 946; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 4; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 10; Lechner/Zuck,, BVerfGG, vor § 63 Rn. 25, § 64 Rn. 5 f.;

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten125 BVerfGG überhaupt selbst beteiligungsfähig ist, kann hiernach ein Organteil als Antragsteller eine Verletzung der Rechte und Pflichten des Organs rügen, dem es angehört.

aa) Vorliegen einer Prozeßstandschaft Die Einordnung dieser Befugnis als eine Prozeßstandschaft wird zwar gelegentlich mit dem Argument bestritten 46, die Rechte des Organs, die das Organteil geltend mache, seien „zugleich auch seine eigenen ..., weil das Kollegium auf seine Rechte nicht verzichten kann und er, der Teil, ein rechtliches Interesse daran hat, daß sie um der ungeschmälerten Erhaltung seines eigenen Status willen nicht verkürzt werden" 47 . Indessen trifft es, wie das BVerfG im Verhältnis von Parlament und Abgeordneten betont hat, nicht zu, daß die Rechte des Organs zugleich auch Rechte seiner Teile sind: „Die Kompetenzen des Bundestages lassen sich nicht als ein Bündel inhaltsgleicher Kompetenzen der Abgeordneten verstehen. Der Bundestag ist nicht lediglich die Summe seiner Mitglieder; er ist selbst Organ und als solches Inhaber originärer Kompetenzen. Nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament als Ganzes im Sinne der Gesamtheit seiner Mitglieder übt ... die ... Staatsgewalt aus" 48 . Diese Ausfuhrungen gelten allgemein für das Verhältnis von Organen zu ihren Mitgliedern und Teilen. Die einem Organ zugewiesenen Rechte stehen diesem als solchem zu und nicht seinen Mitgliedern oder etwaigen Organteilen. Infolgedessen bedeutet eine Verletzung von Rechten des Organs keineswegs, daß damit zugleich ein nämliches Recht der Organmitglieder oder der Organteile verletzt wäre 49. Allerdings hat jedes Mitglied und jeder Teil eines Organs ein Recht darauf, entsprechend seinen in der Verfassung oder der Geschäftsordnung des Organs festgelegten Kompetenzen und Zuständigkeiten an der Willensbildung des Organs teilhaben zu können50. So wie es aber kein Recht auf ein bestimmtes Ergebnis dieses Willensbildungsprozesses und auf einen bestimmten Inhalt der Willensentschließung des Organs gibt 51 , so besteht grundsätzlich auch kein Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 32; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 86; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 158; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 37; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 63 (10. Lfg. 1987) Rn. 5; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1253. 46 So Lorenz, in FG BVerfG I, S. 252. 47 Geiger, BVerfGG, § 64 Anm. 3; zustimmend Lorenz, in FG BVerfG I, S. 252. 48 BVerfGE 90, 286, 342 f. 49 Vgl. BVerfGE 90, 286, 342; StGH BW, DÖV 1997, 203, 204. 50 Vgl. BVerfGE 80, 188, 217 f.; 90, 286, 343; VerfGH Berlin, NVwZ-RR 2000, 314. 51 Vgl. BVerfGE 2, 143, 161 f.; 80, 188, 212; StGH BW, DÖV 1997, 203, 204.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Recht darauf, daß das Organ bestimmte Maßnahmen etwa zur Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber einem anderen Organ ergreife. Gewiß darf kein Verfassungsorgan auf seine Rechte verzichten oder auch nur von der Wahrnehmung seiner Rechte absehen. Denn diese sind ihm nicht im eigenen Interesse verliehen, sondern zum Wohl des Staatsganzen, und sie stehen daher unter einer strikten Pflichtenbindung. Ein Verstoß gegen diese Pflichtenbindung aller staatlichen Kompetenzen impliziert indessen keineswegs, daß dadurch den einzelnen Teilen des betreffenden Organs die Rechte des Organs als eigene zuwüchsen. Es ist zwar denkbar, daß sich die Kompetenzen der Organteile zu einem „Recht zur Mitwirkung" unmittelbar von Verfassungs wegen verdichten 52. Auch ist zu erwägen, den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Organtreue 53 dahin fruchtbar zu machen, es jedem Organ zu verwehren, in einer solchen Art und Weise von der Wahrnehmung seiner Rechte abzusehen, daß die Rechte des Organteils ausgehöhlt werden und effektiv leerlaufen, damit nicht der verfassungsrechtliche Status der Mitglieder und Teile des Organs unterminiert wird 54 . Dadurch wird ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis indessen allein zwischen dem Organ und seinem Organteil begründet 55. Folglich würde eine etwaige Verletzung des Rechts eines Organteils auf Mitwirkung oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verfassungsorgantreue durch das „Mutterorgan" zwar dem Organteil die Möglichkeit eröffnen, das Organ als solches im Wege eines Organstreitverfahrens in Anspruch zu nehmen56. Keinesfalls aber hätte dies einen Übergang der Rechte des Organs auf seine Organteile zur Folge 57 . Nun wäre es ersichtlich wenig effizient, Organteile auf einen Organstreit gegen ihr Organ zu verweisen, um dieses zur Initiierung eines Organstreitverfahrens gegen ein anderes Organ zu zwingen, welches nach Ansicht des Organteils das Organ, dem es angehört, in seinen Rechten verletzt hat. Denn zum einen gibt es zahlreiche Fälle, in denen durchaus zweifelhaft ist, ob wirklich eine Beeinträchtigung der Organkompetenzen vorliegt, so daß die Mehrheit des betreffenden Kollegialorgans vielleicht mit guten oder doch jedenfalls vertretbaren Gründen der Ansicht ist, eine solche Verletzung und damit ein Anlaß für ein 52

BVerfGE 27, 44, 52; 90, 286, 343. Vgl. hierzu BVerfGE 90, 286, 337 m.w.N. 54 Vgl. BVerfGE 2, 143, 166: Beeinträchtigung des Status der Abgeordneten, übertrüge der Bundestag sein Gesetzgebungsrecht an einen Ausschuß. 55 Vgl. BVerfGE 90, 286, 343. 56 Vgl. BVerfGE 2, 143, 166; 27,44, 52; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 253 f. 57 Ob hingegen in der Verletzung der Rechte des Organs zugleich eine mittelbare Verletzung der Rechte der Organteile liegt, kann infolge der ausdrücklichen Zulassung der Prozeßstandschaft im Ergebnis dahinstehen (vgl. VerfGH Berlin, JR 1999, 18, 20). Bedeutung erlangt diese Frage bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten, da die VwGO im Unterschied zum BVerfGG eine Prozeßstandschaft im Organstreitverfahren nicht ausdrücklich vorsieht. Zur Prpblematik mittelbarer Organrechtseingriffe eingehend unten G.I.3. 53

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten127 Organstreitverfahren liege nicht vor. Solchenfalls müßte nun aber ein allein auf den Gesichtspunkt treuwidrigen Verhaltens gestütztes Organstreitverfahren des Organteils gegen sein Organ erfolglos bleiben. Außerdem wäre es mißlich, in einem solchen Verfahren inzident eine vollständige Prüfung des zwischen dem beklagten Organ und dem anderen Organ bestehenden Verhältnisses vornehmen zu müssen; jedenfalls wäre ein solches Verfahren unnötig kompliziert. Der Gesetzgeber hat sich aus diesen Gründen entschlossen, dem Organteil direkt ein Organstreitverfahren gegen jenes andere Organ zu ermöglichen. Daß dies im Endziel auch der effektiven Wahrnehmung der Rechte des Organteils dient, ändert freilich nichts daran, daß nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 64 Abs. 1 BVerfGG Streitgegenstand in diesem Verfahren die Rechte des Organs sind, dem das Organteil angehört. Da sich das Vorliegen einer Prozeßstandschaft nach dem Streitgegenstand richtet, ob nämlich eigene oder fremde Rechte geltend gemacht werden, und nicht danach, ob der Prozeßstandschafter damit mittelbar auch eigene rechtliche oder sonstige Interessen verfolgt - das wird ohnehin in aller Regel der Fall sein, weil es rein altruistische Prozeßstandschafter nur selten gibt - , ist somit der Beurteilung des § 64 Abs. 1 BVerfGG als gesetzliche Zulassung einer Prozeßstandschaft beizupflichten. Infolgedessen ist es ausgeschlossen, daß ein Organteil Rechte des Organs gegenüber diesem selbst prozeßstandschaftlich wahrnimmt: die Prozeßstandschaft läßt nicht den kontradiktorischen Charakter des Organstreitverfahrens entfallen, und in diesem kann sich die Rechts Verfolgung nicht gegen dasjenige Organ richten, dessen Rechte das prozeßstandschaftlich auftretende Organteil verteidigen möchte58. Als Ausnahme von dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, daß Verfahrensbeteiligte nur eigene Rechte geltend machen können, wird die Prozeßstandschaft allerdings nur zugelassen soweit ausdrücklich vorgesehen59. Deshalb scheidet insbesondere eine Prozeßstandschaft auf der Seite des Antragsgegners aus: ein Organteil kann nicht als Antragsgegner prozeßstandschaftlich in bezug auf Rechte und Pflichten in Anspruch genommen werden, die dem Organ selbst zugeordnet sind 60 . Nicht vorgesehen und mithin unstatthaft ist ferner der umgekehrte Fall der Prozeßstandschaft eines Verfassungsorgans für seine Teile oder eines Organs für ein anderes61.

58 VerfGH Berlin, LVerfGE 1, 160, 166; NVwZ-RR 2000, 314; StGH BW, DÖV 1997, 203, 205; 2000, 729, 730 f. 59 BVerfGE 90, 286, 343. 60 BVerfGE 2, 143, 166 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 953; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 12; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 254; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 36; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 165. 61 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 32.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht bb) Der Zweck der Prozeßstandschaft

Der Grund für die gesetzliche Zulassung einer Prozeßstandschaft liegt in der Erkenntnis, daß (zumal angesichts des das gesamte Verfassungsleben durchziehenden Wirkens der Parteien) die Mehrheit der Mitglieder eines Organs durchaus einmal aus politischer Rücksichtnahme eine Beeinträchtigung der verfassungsmäßigen Rechte des Organs hinzunehmen bereit sein mag, und daß der Minderheit deshalb eine Chance zur selbständigen Verteidigung der Befugnisse des betreffenden Organs gegeben werden muß, wenn im Interesse der Wahrung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung als „normatives Rückgrat" des politischen Prozesses62 eine weitgehend von parteipolitischen Interessen und Rücksichten unabhängige Kontrolle ermöglicht und die Einhaltung des Verfassungssystems gewährleistet werden soll 63 . In diesem Sinne dient die Zulassung der Prozeßstandschaft, auch wenn das Organteil nicht eigene, sondern eben die Rechte des Organs wahrnimmt, letztlich dem Minderheitenschutz, indem nämlich verhindert wird, daß die Mehrheit eine Beeinträchtigung der Rechte des Organs zum Nachteil der Ziele der Minderheit hinnimmt 64 . Aus diesem Grund wird die Prozeßstandschaft nicht dadurch ausgeschlossen, daß das betreffende Organ der prozeßstandschafilichen Geltendmachung seiner Rechte durch sein Organteil widerspricht oder gar den streitigen Akt billigt, in dem das Organteil die Organrechtsverletzung erblickt 65 . Praktische Bedeutung hat dies vor allem für die Fähigkeit der Oppositionsfraktionen, Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung geltend zu machen, da infolge der weitgehenden politischen Übereinstimmung von Regierungsfraktionen und Bundesregierung innerhalb des parlamentarischen Regierungssystems sonst die Gefahr bestünde, daß die Parlamentsmehrheit aus politischen Überlegungen die Rechte des Bundestages nicht effektiv wahrnehmen und verteidigen könnte66.

62

Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 24. Lorenz,, in FG BVerfG I, S. 252 ff.; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 161. 64 Vgl. BVerfGE 45, 1, 29 f.; 60, 319, 325 f.; 68, 1, 77; 90, 286, 344; C. Arndt, AöR 87 (1962), 230; Benda/Klein,, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 948; Clemens, in Umbach/ Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 5; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 63 Rn. 9; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 19, 21; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 5, 12; Stern,, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 76; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 34; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1253, 1258; krit. - jedoch auf der Basis eines zu engen Verständnisses des Begriffs des Minderheitenschutzes - Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 32 Fn. 112. 65 BVerfGE 1, 351, 359 f.; 45, 1, 29 f.; StGH BW, DÖV 1997, 203, 204. 66 Vgl. BVerfGE 90, 286, 344; Benda/Klein,, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 928, 948; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 5; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 86; Stern,, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 161. 63

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten

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cc) Organteile als Prozeßstandschafter §§ 63, 64 Abs. 1 BVerfGG verleihen nur „Teilen" von Kollegialorganen 67 die Befugnis, „Rechte und Pflichten" des Organs, dem das antragstellende Organteil angehört, prozeßstandschaftlich geltend zu machen. Hier ist nun fraglich, was unter einem Organteil im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist. Zweifelhaft ist insbesondere, ob einzelne Organmitglieder oder beliebige Gruppen von Mitgliedern Organteile in diesem Sinne sein können, oder ob nur besonders qualifizierte Teile eines Organs als dessen Prozeßstandschafter in Betracht kommen. Dem Wortlaut des § 63 BVerfGG ist eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen68. Richtig ist zwar, daß § 63 BVerfGG nur von „Teilen" der genannten Organe spricht und nicht allgemein von „Mitgliedern". Andererseits bestehen sprachlich keine Bedenken gegen die Aussage, daß „'Teil' eines Kollegialorgans ... ohne weiteres auch dessen 'Mitglied' sein [kann]" 69 , und so wird namentlich der Abgeordnete oftmals als „Teil" des Parlamentes bezeichnet 70 . Zwar sind Organ und Organteil auf derselben gedanklichen Ebene angesiedelt, während der Organwalter auf einer anderen gedanklichen Ebene liegt. Der Organwalter nimmt die Aufgaben des Organs und seiner Teile wahr, und sein Handeln wird dem Organ bzw. Organteil als eigenes angerechnet71, welche Anrechnung lediglich eine rechtliche Fiktion ist, die keine ontologische Gleichsetzung behaupten will. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß diese unterschiedlichen Ebenen gerade in der Person des Organwalters miteinander verbunden sind. Wenn man sich die Konstruktion bewußt macht, ist es daher sprachlich durchaus möglich, auch den einzelnen Organwalter als „Teil" des Organs zu bezeichnen, sofern er seine organschaftlichen Befugnisse und nicht seine persönlichen Rechte ausübt72. Jedenfalls liegt diese Begrifflichkeit nicht so sehr jenseits verständiger Wortsinnbetrachtung, um sie verwerfen zu können, wie denn auch allgemein von Organstreitigkeiten auch dort gesprochen wird, wo eben einzelne Mitglieder als Organteil in den Streit involviert sind 73 . Von daher fuhrt die abstrakte Frage, was ein Organteil „ist", zu keinem eindeutigen Ergebnis. Entscheidend muß daher sein, was das Gesetz in §§63, 64 Abs. 1 BVerfGG unter einem als Prozeßstandschafter zugelassenen Organteil versteht.

67 Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 927; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 109. 68 So aber Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 6; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1252 f. 69 Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 86. 70 BVerfGE 4, 144, 148; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 63 Rn. 11; Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 4 a, S. 981. 71 S. hierzu oben A.I.2.a. 72 Zu dieser Unterscheidung oben A.II.4. 73 S. oben A.II. 1.

11 Roth

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Diesbezüglich aber indizieren die Gesetzessystematik sowie der telos dieser Vorschriften eindeutig eine einschränkende Interpretation. Zunächst ist auf § 22 Abs. 1 S. 2 BVerfGG zu verweisen, der sehr differenziert formuliert, daß sich „gesetzgebende Körperschaften und Teile von ihnen" vor dem BVerfG „auch durch ihre Mitglieder vertreten lassen" können, und nicht etwa davon spricht, die Gesetzgebungsorgane könnten sich durch ihre „Teile" vertreten lassen. Dies läßt den Schluß zu, daß der Gesetzgeber des BVerfGG durchaus zwischen dem Begriff des „Teils" eines Organs und dem des „Mitglieds" unterscheiden wollte. Für ein engeres Verständnis des Organteil-Begriffs läßt sich ferner anfuhren, daß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sehr allgemein von „anderen Beteiligten" spricht und es für den Gesetzgeber nahegelegen hätte, diesen Ausdruck in das BVerfGG zu übernehmen, wenn er auch hier eine so umfassende Beteiligungsfähigkeit hätte statuieren wollen. Daß er statt dessen von „Organteilen" spricht, legt daher die Annahme nahe, er habe damit eine gewisse Einschränkung verfolgt. Vor allem aber entspricht dieses einschränkende Verständnis des Begriffs des „Organteils" sowohl der in den Materialien zum Ausdruck gekommenen Intention des Gesetzgebers als auch dem mit der Gestattung einer Prozeßstandschaft verfolgten Zweck. Damit sollte zwar ein gewisser Minderheitenschutz sichergestellt werden, doch es war keineswegs beabsichtigt, jedem Mitglied des Organs oder jeder Mitgliedergruppe die Geltendmachung vermeinter Rechte des Organs zu erlauben 74, zumal auch eine solche Ausweitung der Prozeßstandschaftsbefugnis den Ausnahmecharakter dieses Instituts durchbrochen hätte75. Aus diesen Gründen kann nicht jedes Organmitglied und auch nicht jede beliebige sich jeweils ad hoc zusammenfindende Gruppe von Organmitgliedern als „Organteil" im Sinne der §§63, 64 Abs. 1 BVerfGG verstanden werden, und zwar auch dann nicht, wenn dieses Mitglied bzw. diese Mitgliedergruppierung durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechte ausgestattet ist und insofern eine Befugnis bestünde, dieses eigene Recht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG im Wege eines Organstreitverfahrens geltend zu machen. Denn das BVerfGG kann schlechterdings nicht dahin verstanden werden, es habe als prozeßstandschaftsbefugte Organteile jeden Abgeordneten und jede Gruppierung verstehen wollen, denen nur irgendein verfassungs- oder geschäftsordnungsmäßiges Recht zusteht76. Infolgedessen genügt die Ausstattung mit Rechten zwar zur Begründung der Beteiligungsfähigkeit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, nicht aber ohne weiteres zur Be74 Vgl. BVerfGE 2, 143, 160; femer Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 21. 75 Vgl. Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 6; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 14. 76 BVerfGE 2, 143, 160, 165.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten

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gründung der Organteil-Eigenschaft im Sinne des § 63 BVerfGG und der Prozeßstandschafterfähigkeit nach § 64 Abs. 1 BVerfGG. Für letzteres bedarf es vielmehr zusätzlich eines festen Zusammenschlusses auf eine gewisse Dauer 77, durch welchen eine „stets präsente" 78, „organisierte handlungsfähige Einheit" 79 geschaffen wird. Eine bloße Vereinbarung von Organmitgliedern allein kann diesen Zusammenschluß freilich nicht mit Wirkung für und gegen das Organ ins Leben rufen, denn welcher Teil für das Organ als Prozeßstandschafter auftreten darf, kann nicht dem freien Belieben einer Gruppe von Organmitgliedern überlassen sein. Vielmehr muß der in Betracht kommende dauerhafte Zusammenschluß von der Organisation oder dem Organ selbst „als ständige Gliederung eingerichtet" 80 und damit „formiert" 81 oder „etabliert" 82 sein, d.h. er bedarf der rechtlichen Konstituierung oder zumindest Anerkennung dergestalt, daß ihm durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung des obersten Bundesorgans „eigene Rechte" zugewiesen sind (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG). Erst durch diese Ausstattung mit eigenen Rechten wird der Organteil durch die Organisation oder das fragliche Organ anerkannt und diese Anerkennung nach innen und außen bekundet. Einzelnen Abgeordneten etwa 83 , bloßen Antragsquoren sowie Abstimmungsmehrheiten wird daher zu Recht keine Beteiligungsfähigkeit als Organteil nach § 63 BVerfGG und damit auch keine Fähigkeit zum Auftreten als Prozeßstandschafter nach § 64 Abs. 1 BVerfGG zugesprochen84. Indem ein Organ für bestimmte Anträge Quoren aufstellt und für Abstimmungen bestimmte Mehrheiten fordert, regelt es allein seinen Geschäftsgang und sein Verfahren; keineswegs aber soll damit die individuell völlig beliebig zusammengesetzte und nach freiem Belieben der Mitglieder womöglich von Fall zu Fall wechselnde Antragsminderheit oder Abstimmungsmehrheit als dauerhafter Organteil mit eigenen 77 Vgl. BVerfGE 2, 143, 160, 165; 20, 56, 104; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 6 f. 78 BVerfGE 13, 54, 85. 79 BVerfGE 13,54,95. 80 BVerfGE 2, 143, 160; 90, 286, 343; zustimmend Lorenz, in FG BVerfG I, S. 253. 81 BVerfGE 2, 143, 161; 13, 54, 84. 82 Lorenz, in FG BVerfG I, S. 245. 83 BVerfGE 70, 324, 354; 90, 286, 343; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 937; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 8; Ulsamer, in Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (14. Lfg. 1995) Rn. 54; a.A. Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 12; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 81. 84 Vgl. BVerfGE 2, 143, 160 f.; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 8; Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 63 Rn. 15, § 63 Rn. 13; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 14, 33; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 81 f.; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 115, 159; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 63 (10. Lfg. 1987) Rn. 12 ff.; a.A. Geiger, BVerfGG, § 64 Anm. 3.

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Rechten und Pflichten konstituiert werden. Das Quorum ist eine Rechengröße im organinternen Willensbildungsprozeß und keine auch nur teilweise verselbständigte Einheit. Es manifestiert sich allein im Abstimmungsprozeß, und existiert nicht als „Teil" des Organs, der losgelöst von anderen „Teilen" gedacht werden könnte85. Die Organmitglieder, die durch ihr Abstimmungsverhalten für die Erreichung des Quorums sorgen, wollen damit zwar die verfahrensmäßigen Erfordernisse für die zur Abstimmung gestellte Beschlußfassung schaffen, aber auch nach ihrem Selbstverständnis keineswegs eine auf gewisse Dauer angelegte feste Zusammenschließung begründen. Von dieser Verneinung ihrer Organteil-Eigenschaft unberührt bleibt die bereits dargelegte Möglichkeit, die Verletzung eigener Rechte als „anderer Beteiligter" im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG geltend zu machen. Dies gilt namentlich für einzelne Abgeordnete 86 sowie für Abgeordnetengruppierungen, die sich zur Erfüllung bestimmter vorgesehener Antrags- und Abstimmungsquoren konstituieren und denen durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung des Bundestages diesbezüglich eigene Rechte zugewiesen sind 87 . Daß hiernach nicht jeder „Beteiligte" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG auch ein „Organteil" im Sinne der §§ 63, 64 Abs. 1 BVerfGG und somit die Fähigkeit, als Prozeßstandschafter auftreten zu können, enger gefaßt ist als die Möglichkeit, als „anderer Beteiligter", der durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet ist, die Verletzung eigener verfassungsmäßiger Rechte im Organstreitverfahren geltend zu machen88, ist eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschränkung. Denn Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG garantiert lediglich die Möglichkeit 85

Vgl. BVerfGE 2, 143, 161 f. BVerfGE 2, 143, 164; 4, 144, 149; 62, 1, 31 f.; 80, 188, 208 f.; 90, 286, 342; Benda/Klein,, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 931, 937; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§63, 64 Rn. 8, 14, 25; Lechner/Zuck,, BVerfGG, vor §63 Rn. 16, §63 Rn. 15; Schenke, NJW 1982, 2526; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 117; Umbach, in FS Zeidler II, S. 1253. 87 Welchen „konstituierten Minderheiten" Beteiligtenfahigkeit zuzusprechen ist, kann hier nicht näher untersucht werden; vgl. dazu C Arndt, AöR 87 (1962), 233; Benda/ Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 930, 942, 947; Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 8; Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 63 Rn. 15; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 19; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 245 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 14; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 113 ff., 124 ff.; femer BVerfGE 2, 143, 162 ff.; 67, 100, 126; 90, 286, 341 f. 88 Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 926, 936; Clemens, in Umbach/ Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 14; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 63 Rn. 14; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 108, 135; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (14. Lfg. 1995) Rn. 54; femer BVerfGE 2, 143, 165 f.; Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 11. 86

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten

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der Geltendmachung eigener Rechte und nicht auch die - allein einfachgesetzlich begründete - Befugnis, als Prozeßstandschafter die Rechte anderer geltend machen zu können89, und seien es auch solche des „Mutterorgans".

2. Landesverfassungsorganstreitigkeiten nach dem Grundgesetz Neben den vorstehend skizzierten Bundesverfassungsorganstreitigkeiten des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG kennt das Grundgesetz auch Landesverfassungsorganstreitigkeiten: Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Alt. GG besteht eine subsidiäre Entscheidungszuständigkeit des BVerfG in allen „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ... innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist". Diese „Ersatzzuständigkeit" 90 des BVerfG bezieht sich nach dem kontextualen Zusammenhang und der systematischen Stellung der Vorschrift sowie entsprechend der Funktion des BVerfG lediglich auf verfassungsrechtliche Streitigkeiten innerhalb des Landes91, und hierunter unzweifelhaft insbesondere auf Landesverfassungsorganstreitigkeiten 92. In Übereinstimmung hiermit ist die Beteiligungsfähigkeit gemäß dem sich an Art. 93 Abs. 1 Nr. 1GG orientierenden § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG auf „die obersten Organe des Landes und die in der Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung eines obersten Organs des Landes mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe, wenn sie durch den Streitgegenstand in ihren Rechten oder Zuständigkeiten unmittelbar berührt sind", beschränkt, wodurch das Verfahren zulässig als Organstreitigkeit konkretisiert ist 93 . Nach dieser Vorschrift greift die Ersatzzuständigkeit des BVerfG nicht nur ein, wenn überhaupt keine Zuständigkeit eines Landes(verfassungs-) gerichts 94 für Landesverfassungsorganstreitigkeiten begründet ist, sondern auch

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Vgl. Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 15. Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 71 Rn. 15; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 394; Zierlein, AöR 118 (1993), 66 ff. 91 BVerfGE 60, 175, 199; Benda/Klein,, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1038; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 96e; ders., Jura 1998, 530; Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 61; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 52. 92 BVerfGE 27, 240, 245 ff; 60, 175, 199 f.; 67, 65, 69; A. Arndt, DVB1. 1951, 300; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1039; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, §13(15. Lfg. 1997) Rn. 96f; ders., in Landesverfassungsgerichtsbarkeit II, S. 32; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 34; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 25; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 259; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 52 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 11 Rn. 19; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 100; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 395; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 71 Rn. 17, 40. 93 BVerfGE 60, 175,200. 94 Zum OVG als möglicher „anderer Rechtsweg" in diesem Sinne oben B.I. 1 .a. 90

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

dann, wenn der Kreis der antragsbefugten Organe und Organteile nach Landesrecht enger gezogen ist als nach § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG 95 . Die Entscheidung des BVerfG über die Landesverfassungsorganstreitigkeit entspricht inhaltlich derjenigen bei Bundesverfassungsorganstreitigkeiten (§ 72 Abs. 2 BVerfGG), und auch im übrigen sind die Grundsätze über das Verfahren im wesentlichen dieselben96. Dies gilt namentlich hinsichtlich der für die Begründung der Antragsbefugnis erforderlichen Geltendmachung der Verletzung oder unmittelbaren Gefahrdung „eigener Rechte" des Antragstellers 97. Allerdings ist bei Landesverfassungsorganstreitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Alt. GG eine Prozeßstandschaft von Organteilen für Organe unzulässig98. Denn zum einen wird in § 71 Abs. 2 BVerfGG zwar ausdrücklich die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift des § 64 Abs. 3 BVerfGG über die Antragsfrist angeordnet, nicht aber auf die die Prozeßstandschaft vorsehende Regelung des § 64 Abs. 1 BVerfGG verwiesen. Dies muß als bewußte Entscheidung des Gesetzgebers verstanden werden, bei Landesverfassungsorganstreitigkeiten bundesgesetzlich keine Prozeßstandschaft vorzusehen. Diese Entscheidung entspricht auch dem Sinn und Zweck der subsidiären Zuständigkeit des BVerfG für Landesverfassungsorganstreitigkeiten 99. Damit soll nämlich zwar ein lückenloser gerichtlicher Rechtsschutz für alle verfassungsrechtlichen Streitigkeiten innerhalb der Länder gewährleistet werden, doch dies erfordert eben allein die Möglichkeit, alle Verletzungen eigener verfassungsmäßiger „Rechte und Zuständigkeiten" geltend zu machen100. Ob hingegen Organteile im Wege der Prozeßstandschaft darüber hinaus die Möglichkeit besitzen sollen, die Rechte ihres Organs zu verteidigen, ist eine an den Belangen des Minderheitenschutzes auszurichtende verfassungspolitische Entscheidung, die jedes Land für sich treffen muß 101 - entweder in seinen Verfassungsgerichtsgesetzen oder durch eine ent95

BVerfGE 4, 375, 377; 93, 195, 202; vgl. auch BVerfGE 60, 194, 199; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 71 (15. Lfg. 1997) Rn. 151; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 11 Rn. 20; a.A. Zierlein,, AöR 118 (1993), 103. 96 Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1049 ff; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 11 Rn. 19; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, vor § 63 Rn. 42. 97 BVerfGE 1, 208, 228 f.; 60, 319, 324; 62, 194, 201; 88, 63, 67 f.; Benda/Klein,, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1047. 98 BVerfGE 60, 319, 325 ff.; 88, 63, 68; 91, 246, 250; 92, 130, 134; Benda/Klein,, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1048; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 34; Lechner/Zuck,, BVerfGG, § 71 Rn. 3; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 26; Schiaich,, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 100; vgl. auch Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 10 ff.; a.A. Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 63. 99 Vgl. BVerfGE 60, 319, 326 f.; femer Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1038; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 96h f.; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 26. To ° BVerfGE 93, 195,202. 101 Vgl. Umbach, in FS Zeidler II, S. 1254 f.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten135 sprechende Nutzung der von Art. 99 GG eröffneten Möglichkeit einer ausdrücklichen Zuweisung solcher Streitigkeiten an das BVerfG - und deren sich der Bund enthalten hat, wenn er sich nicht gar aus bundesstaatlichen Gründen einer so weitreichenden Regelung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit enthalten mußte.

3. Bund/Länder- und Zwischenländerstreitigkeiten nach dem Grundgesetz Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG entscheidet das BVerfG bei „Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht", sowie nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG „in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern" (Bund/Länder-Streitigkeiten). Ferner entscheidet das BVerfG nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 2. Alt. GG in „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ... zwischen verschiedenen Ländern" (.Zwischenländerstreitigkeiten). Nun sind zwar Bund/Länder- bzw. Zwischenländerstreitigkeiten keine Organ-, sondern vielmehr Verbandsstreitigkeiten 102 zwischen Bund und Land bzw. mehreren Ländern, da diese sich hier jeweils als eigenständige Körperschaften und nicht etwa als Organe der Bundesrepublik Deutschland gegenüberstehen. Gleichwohl handelt es sich bei Organstreitigkeiten auf der einen und Bund/ Länder- bzw. Zwischenländerstreitigkeiten auf der anderen Seite um im wesentlichen gleichartige Verfahren 103. § 69 BVerfGG drückt diese Gleichartigkeit dadurch aus, daß er für das Verfahren des Bund/Länder-Streits des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG eine generelle Verweisung auf „die Vorschriften der §§64 bis 67" über das Organstreitverfahren ausspricht, so daß sich beide Verfahrensarten nach denselben prozessualen Bestimmungen richten. Lediglich eine Prozeßstandschaft ist bei dem Bund/Länder-Streit ausgeschlossen104: da für den Bund nur die Bundesregierung und für jedes Land nur dessen Landesregierung han-

102 Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (14. Lfg. 1995) Rn. 74. 103 BVerfGE 20, 18, 24; vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 981, 987 f.; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §69 (15. Lfg. 1997) Rn. 2; Sachs, Die Bindung des BVerfG, S. 214; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 91; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 327 f.; Umbach, in Umbach/ Clemens, BVerfGG, vor § 63 Rn. 42. 104 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 988; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 26; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 9 Rn. 12; Wenckstern, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 68 Rn. 6, 8.

136

Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

dein können (§ 68 BVerfGG) 105 - die Regierungen treten dabei übrigens nicht in Prozeßstandschaft für den Bund bzw. das Land auf, sondern als deren allein vertretungsberechtigte Organe 106 - , läuft die Verweisung auf § 64 BVerfGG durch § 69 BVerfGG insofern leer. Zwar findet sich für die Bund/LänderStreitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG und für die Zwischenländerstreitigkeiten des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 2. Alt. GG keine solche ausdrückliche Verweisung; gleichwohl gelten hier vergleichbare Grundsätze wie bei der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG geregelten Bund/Länder-Streitigkeit und damit letztlich wie bei den Organstreitigkeiten. Aufgrund dieser anerkannten Gleichartigkeit zu Organstreitigkeiten erscheint es von Interesse, auch die Bund/Länder- bzw. Zwischenländerstreitigkeiten in die vorliegende Betrachtung einzubeziehen. Allerdings bestehen sowohl bei den Bund/Länder- als auch bei den Zwischenländerstreitigkeiten Abgrenzungsschwierigkeiten. Umstritten ist zunächst die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der die Bund/Länder-Streitverfahren betreffenden Vorschriften des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4, 1. Alt. GG. Während nämlich das BVerfG auch bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG eine verfassungsrechtliche Streitigkeit „im materiellen Sinne" voraussetzt 107, geht die Literatur mit besseren Gründen überwiegend davon aus, daß hier ausschließlich Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art erfaßt werden 108 . Daß die Ansicht des BVerfG nicht zu überzeugen vermag, ergibt sich zum einen aus der dem Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG beigefügten und sich auf seine sämtlichen Alternativen beziehenden109 Subsidiaritätsklausel. Handelte es sich bei den „anderen öffentlich-recht105

Krit. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 9 Rn. 9, soweit diese Einschränkung auch in Fällen gelten soll, die nicht Fragen der Bundesaufsicht betreffen. Hiergegen Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §69 (15. Lfg. 1997) Rn. 8. 106 BVerfGE 8, 122, 129; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 985 f.; Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §69 (15. Lfg. 1997) Rn. 4 f.; Leisner, in FG BVerfG I, S. 265; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 36; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 332; a.A. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 505; Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 51; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 9 Rn. 12. BVerfGE 31, 371, 377; 49, 10, 13 f.; 94, 297, 309 f.; 95, 250, 266; vgl. auch BVerfGE 27, 240, 245 f.; ebenso Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 95e ff., § 71 (15. Lfg. 1997) Rn. 17 ff.; ders., Jura 1998, 530 f.; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 68; Model/Müller, GG, Art. 93 Rn. 13. 108 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1019; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 30; Leisner, in FG BVerfG I, S. 283 f.; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 42; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 50; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 35; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 98; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 376; ders., Staatsrecht II, § 44 IV 6 e a, S. 1001; Ziekow, in NKVwGO, § 50 (Lfg. 1996) Rn. 4; ebenso noch BVerfGE 1, 299, 306. 109 A.A. Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 95h: der Rechtswegvorbehalt greift nur bei der 3. Alternative.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten137 liehen Streitigkeiten" des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG ausschließlich um Streitigkeiten (materiell) verfassungsrechtlicher Art, so wäre die Subsidiaritätsklausel insoweit ohne denkbaren Anwendungsbereich und sinnlos, weil es ja ftir verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bund und einem Land ohnehin keinen anderen Rechtsweg als den zum BVerfG geben kann 110 . Gesetzesauslegungen, die einer in einem Rechtssatz getroffenen Bestimmung schon theoretisch jedes Anwendungsbereiches berauben, sind indessen zu vermeiden. Auch die teleologischen Erwägungen des BVerfG dringen nicht durch. Zwar ist seine Ausgangsüberlegung an sich zutreffend, daß ihm das Grundgesetz aufgrund seiner Stellung im Grundsatz nur verfassungsrechtliche Streitigkeiten zuweisen will. Indessen gilt dies nur ftir den Regelfall, und der Gesetzgeber war und ist nicht gehindert, dem BVerfG jedenfalls im Sinne einer Ersatzzuständigkeit auch Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zuzuweisen111, namentlich um hierdurch etwaige negative Kompetenzkonflikte sicher auszuschließen. Freilich besteht heute dank der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel eine umfassende Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ftir alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art. Gerade für verwaltungs- sowie sozialrechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern hat der Gesetzgeber in § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und § 39 Abs. 2 S. 1 SGG ausdrücklich die sachliche Zuständigkeit von BVerwG bzw. BSG vorgesehen und damit bekundet, daß er solche Streitigkeiten durch die Verwaltungs- bzw. Sozialgerichtsbarkeit entschieden wissen will. Infolgedessen kommt zwar die diesbezügliche Ersatzzuständigkeit des BVerfG nach der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG praktisch nicht mehr zur Anwendung112. Indes war bei Abfassung des Grundgesetzes eben keineswegs eindeutig abzusehen, in welcher Weise die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgestaltet werden würde. Von daher lag es für den Verfassungsgeber nahe, sicherheitshalber eine Ersatzzuständigkeit des BVerfG vorzusehen, damit auch Bund/Länder-Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art auf jeden Fall einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden können und es nicht zu einer diesbezüglichen Rechtsschutzlücke kommen konnte113. Folglich greift die Berufung darauf, „im ausdifferenzierten Rechtswegestaat des Grundgesetzes" mache allein die Entscheidung von verfassungsrechtlichen Streitigkeiten den Sinn der Verfassungsgerichtsbarkeit aus 114 , nicht durch - in welcher Weise genau die Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher Rechtsschutzverfahren erfolgen würde, war bei Abfassung des Grundgesetzes nicht vorherzusehen.

Kein überzeugender Einwand gegen die Annahme, das BVerfG solle (ersatzweise) zur Entscheidung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten bestellt sein, ergibt sich aus der Befürchtung einer „Fernwirkung, die das generelle Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und seinen Fachgerichtsbarkeiten beein-

110

Vgl. Bethge, Jura 1998, 531. Vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, § 13 Rn. 3; das betont auch Bethge, in Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §71(15. Lfg. 1997) Rn. 20. 112 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1019 f.; Leisner, in FG BVerfG I, S. 284 ff; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 50 f.; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 98; Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 6 e, S. 1001 f. 113 Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 6 e α, S. 1001. 114 Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 95f. 111

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

flussen könnte" 115 . Zwar ist dem Anliegen beizupflichten, Kompetenzübergriffen des BVerfG in die Rechtsprechung der Fachgerichte entgegenzuwirken und eine funktionsadäquate Abgrenzung von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit sicherzustellen 116. Dieses Anliegen gerät jedoch durch eine ausnahmsweise Zuständigkeit des BVerfG für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten nicht in Gefahr. In diesen Fällen würde es zwar als Fachgericht tätig und wäre allerdings von seiner Beschränkung auf die Entscheidung allein verfassungsrechtlicher Fragen befreit. Das gilt aber eben ausschließlich für solche Fälle, und es ist vom BVerfG zu erwarten, daß es die solchenfalls ausnahmsweise bestehende Entscheidungskompetenz bezüglich einfachrechtlicher Fragen nicht unzulässig in verfassungsrechtliche Verfahren überträgt. Das BVerfG kann in einer Vielzahl von Fällen einfaches Recht unmittelbar selbst auszulegen und sogar anzuwenden haben - beispielsweise verweisen § 28 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 47 BVerfGG für eine Reihe von Verfahrensfragen selbst auf Vorschriften der StPO und der ZPO - , ohne hieraus die generelle Befugnis zu einer umfassenden Überprüfung der Anwendung einfachen Rechts durch die Fachgerichte ableiten zu können. Von daher erscheint es durchaus hinnehmbar, wenn es in bestimmten einzelnen Verfahren einfaches Recht anzuwenden hat. Nach alledem greift die Annahme des BVerfG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG erfasse nur verfassungsrechtliche Streitigkeiten, nicht durch. Streitigkeiten dieser Art werden vielmehr umfassend durch die Vorschrift des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG erfaßt, die auch nicht lediglich den Charakter einer Ersatzzuständigkeit hat, sondern die Regelzuständigkeit des BVerfG für Bund/Länder-Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Natur 117 begründet. Infolgedessen erfaßt Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG gerade die nichtverfassungsrechtlichen Bund/LänderStreitigkeiten. Eine spiegelbildliche Schwierigkeit bereitet die Auslegung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 2. Alt. GG. Die Nähe zu der 1. Alternative legt nach dem zuvor Gesagten die Annahme nahe, daß sich diese Bestimmung gleichfalls allein auf nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten bezieht. Dem steht jedoch hier entgegen, daß sich das Wort „andere" nach dem Kontext nicht auf diese Alternative beziehen kann 118 , weil Zwischenländerstreitigkeiten in Art. 93 Abs. 1 GG sonst an keiner Stelle erwähnt werden. Deshalb sind in dieser Alternative alle öffentlich-recht-

115 Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 95f. 116 Vgl. dazu Roth, AöR 121 (1996), 550 ff., 561 ff. m.w.N. 117 Vgl. BVerfGE 8, 122, 129; 13, 54, 72 f. 118 Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 6 f a , S. 1003; a.A. Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 59.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten139 liehen Streitigkeiten zwischen Ländern erfaßt, also sowohl verfassungsrechtliche als auch die nichtverfassungsrechtlicher Natur 119 . Damit hat zwar der Begriff der „öffentlich-rechtlichen Streitigkeit" in den verschiedenen Alternativen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG unterschiedliche Bedeutungen, nachdem sich die 1. Alternative auf nichtverfassungsrechtliche Bund/Länder-Streitigkeiten, die 2. Alternative auf verfassungs- und nichtverfassungsrechtliche Zwischenländerstreitigkeiten und die 3. Alternative auf landesverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten 120 bezieht. Diese Differenzierung ergibt sich jedoch aus dem unterschiedlichen Verfahrensgegenstand sowie daraus, daß es eben nur fur verfassungsrechtliche Bund/Länder-Streitigkeiten in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG eine vorrangige Bestimmung gibt, während eine solche für verfassungsrechtliche Zwischenländer- sowie für Landesverfassungsorganstreitigkeiten fehlt, so daß diese eben unter Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 2. und 3. Alt. GG subsumiert werden müssen. Die 2. Alternative ist hierbei deshalb noch besonders weit zu verstehen, damit für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen den Ländern wenigstens subsidiär ein Rechtsweg eröffnet ist; dem Verfassungsgeber bot sich hierfür sinnvollerweise nur die Entscheidungszuständigkeit des BVerfG an. Auch der einfache Gesetzgeber ging bei der prozessualen Umsetzung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG in § 71 Abs. 1 BVerfGG von einem solchen Bedeutungsunterschied aus und betonte ausdrücklich, daß deshalb auch der Begriff „öffentlich-rechtliche Streitigkeiten" in § 71 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 „ein anderer" ist wie in § 71 Nr. 3 BVerfGG: „Bei Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern und zwischen verschiedenen Ländern handelt es sich ... um 'Streitigkeiten nichtprivatrechtlicher Art' (Artikel 19 WRV); ... öffentlich-rechtliche Streitigzwischen verkeiten im Sinne des § [71] Nr. 3 sind Verfassungsstreitigkeiten schiedenen Organen eines Staates"121. Freilich läßt für nichtverfassungsrechtliche Zwischenländerstreitigkeiten die Subsidiaritätsklausel dem BVerfG keine Zuständigkeit mehr, weil insofern die Zuständigkeit des BVerwG (§ 40 Abs. 1, § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) oder des

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Redeker/v. Oertzen, VwGO, §50 Rn. 2; Rinken,, in AK GG, Art. 93 Rn. 36: Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 99; Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 6 f α, S. 1003; ders, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 379 f.; Ziekow, in NKVwGO, §50 (Lfg. 1996) Rn. 4; a.A. Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §13(15. Lfg. 1997) Rn. 96a; ders, Jura 1998, 530 f.; Umbach, in Umbach/ Clemens, BVerfGG, §71 Rn. 9 ff.; unklar Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 10 Rn. 2. 120 S. hierzu bereits vorstehend B.II.2. 121 Begründung des Regierungsentwurfs zum BVerfGG, BT-Drucks. 1/788, S. 33 (zu § 65 des Entwurfs) (Hervorhebungen im Original).

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

BSG (§39 Abs. 2 S. 1, §51 SGG) begründet ist 122 . Im Ergebnis hat daher Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 2. Alt. GG nur noch bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Ländern praktische Bedeutung123. Hinsichtlich des zulässigen Entscheidungsinhalts bei Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. und 2. Alt. GG ist die Bestimmung des § 72 Abs. 1 BVerfGG bemerkenswert. Hiemach kann nämlich das BVerfG bei den sonstigen Bund/Länder- sowie in Zwischenländerstreitverfahren nicht nur auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Maßnahme erkennen (§ 72 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG), sondern auch „die Verpflichtung des Antragsgegners, eine Maßnahme zu unterlassen, rückgängig zu machen, durchzuführen oder zu dulden" (§ 72 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG) oder „die Verpflichtung, eine Leistung zu erbringen" (§ 72 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG) aussprechen, mit anderen Worten ein Leistungsurteil erlassen124. Dadurch unterscheiden sich diese Verfahren deutlich sowohl von den Bundes· und Landesverfassungsorganstreitigkeiten, in denen das BVerfG nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auf die Feststellung beschränkt ist 125 , ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen das Grundgesetz bzw. die Landesverfassung verstößt (§ 67 S. 1, § 72 Abs. 2 S. 1 BVerfGG), als auch von den Bund/Länder-Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG. Denn nach § 69 BVerfGG findet hier § 67 BVerfGG auf den Entscheidungsausspruch des BVerfG entsprechende Anwendung, so daß das BVerfG wiederum grundsätzlich auf ein Feststellungsurteil beschränkt ist 126 . Lediglich für den Fall, daß der Bund/Länder-Streit einen Beschluß des Bundesrates gemäß Art. 84 Abs. 4 GG zum Gegenstand hat, wird im Hinblick darauf, daß Art. 84 Abs. 4 S. 2 GG von der Anrufung des BVerfG „gegen den Beschluß des Bundesrates" und § 70 BVerfGG sogar von dessen Anfechtung spricht, angenommen, daß hier neben der Feststellung auch eine kassatorische Entscheidung des BVerfG zulässig ist, d.h. der streitbefangene Beschluß im bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungstenor aufgehoben werden kann 127 . Soweit darüber hinaus vertreten wird, das BVerfG könne bei Bund/ Länder-Streitigkeiten generell Leistungsurteile erlassen128, kann dem nicht beigepflichtet

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Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 42; Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, § 10 Rn. 2; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 99; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 387. 123 Vgl. BVerfGE 62, 295, 312 f. 124 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1024, 1036; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 72 Rn. 1; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 72 Rn. 5. 125 BVerfGE 1, 351, 371; 2, 79, 86; 24, 300, 351; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 974; Lechner/Zuck, BVerfGG, § 72 Rn. 2; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 15; Lücke, JZ 1983, 380; Roth, AöR 124 (1999), 471 ff.; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 78; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, § 72 Rn. 8. 126 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1012; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 41; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 9 Rn. 15. 127 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1012; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, §56 Rn. 41; Maunz, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 69 (10. Lfg. 1987) Rn. 9; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 9 Rn. 22; Sachs, Die Bindung des BVerfG, S. 218 f.; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 363; wohl auch Lechner/Zuck, BVerfGG, § 70 Rn. 2. 128 Maunz, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §69 (10. Lfg. 1987) Rn. 9.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten141 werden. Diese Sicht würde zwar den Entscheidungsausspruch im Bund/Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG und den bei sonstigen Bund/Länder-Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG harmonisieren. Gleichwohl ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu respektieren, der eben nur im letzteren Fall einen Leistungsausspruch zugelassen (§ 72 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BVerfGG), im ersteren Fall aber in § 69 BVerfGG ohne Einschränkungen auf § 67 BVerfGG verwiesen hat. Zu erklären ist diese unterschiedliche Behandlung dadurch, daß die „anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern" des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG, wie vorstehend dargelegt, nur Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art umfassen und deshalb der Gesetzgeber anders als bei echten Verfassungsstreitigkeiten keine Bedenken hatte, ebenso wie bei verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen Leistungsurteile zuzulassen129.

4. Das subjektive Recht im verfassungsgerichtlichen Verfahren Bundes- wie Landesverfassungsorganstreitigkeiten nach dem Grundgesetz liegt nach dem Vorstehenden stets ein Streit um „Rechte und Pflichten" von Verfassungsorganen, ihrer Teile oder anderer Beteiligter zugrunde, wobei der Antragsteller entweder eine Verletzung eigener Rechte oder - sofern eine Prozeßstandschaft vorgesehen ist - von Rechten des Organs, dem er angehört, geltend machen muß.

a) Meinungsstand In bezug auf den hiernach entscheidenden Begriff der „Rechte" von Beteiligten ist nun, nicht anders als bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten 130, umstritten, ob es gerechtfertigt ist, von subjektiven Rechten zu sprechen. Die am weitesten gehende verneinende Auffassung geht davon aus, daß auch die bei Verfassungsorganstreitigkeiten beteiligungsfähigen Organe und Organteile nicht Träger subjektiver Rechte sein können 131 . Als hauptsächlicher Grund fur diese Annahme wird vor allem das Fehlen jeder Verfügbarkeit über oder Verzichtbarkeit auf die verfassungs- oder geschäftsordnungsmäßig zugewiesenen Kompetenzen genannt, welche Eigenschaften als wesentliche Merkmale subjektiver Rechte verstanden werden 132 , so „daß Kompetenzen ein aliud zu subjektiven

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Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1024. Hierzu näher C.IV.2. 131 C Arndt, AöR 87 (1962), 208 f.; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 909; Geiger, NJW 1954, 1057; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 9; Spanner, in FS Jahrreiß, S. 414; Wernsmann, Jura 2000, 346. 132 Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 909; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 9. 130

142

Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Rechten und Pflichten darstellen" 133 . In dieser Sicht stellt die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 63, 64 Abs. 1 BVerfGG getroffene Begriffswahl nachgerade eine (wenn auch im Ergebnis unschädliche) „falsa demonstratio" dar 134 , deren Grund in „herkömmlichem prozessualem Denken" des Gesetzgebers liege 135 , während „richtiger" von einem Streit um Befugnisse, Kompetenzen oder - wie in § 65 Abs. 1 BVerfGG formuliert - Zuständigkeiten gesprochen werden müsse136. Eine mittlere Auffassung lehnt zwar ebenso ab, von subjektiven Rechten zu sprechen, und betont, die Rechte der Staatsorgane seien „nicht den subjektiven Privatrechten gleichzusetzen"137. Mit dieser Aussage ist natürlich nicht die triviale Feststellung gemeint, daß verfassungsrechtlich begründete Rechte von Verfassungsorganen keine „Privatrechte" sein können, vielmehr ist sie als Verneinung der subjektiven Rechtsqualität überhaupt zu verstehen 138, so wie sich der Begriff des subjektiven Rechts vor allem in bezug auf natürliche oder juristische Personen im Privatrecht herausgebildet hat. Zugleich wird jedoch hervorgehoben, daß durch die Einräumung (verfassungs)gerichtlich verfolgbarer Rechte von Staatsorganen „notwendig eine gewisse Subjektivierung der verfassungsrechtlichen Beziehungen" eintritt 139 , infolge der das verfassungsgerichtliche Organstreitverfahren prozeßrechtlich durchaus mit den Verfahren zur gerichtlichen Erledigung subjektiver Rechtsstreitigkeiten in anderen Rechtsgebieten verglichen werden kann 140 . Nach dieser Ansicht geht es bei Verfassungsorganstreitigkeiten also zwar nicht um subjektive Rechte im eigentlichen Sinn, wohl aber um rechtlich „versubjektivierte" Kompetenzen oder Befugnisse 141.

133

C. Arndt, AöR 87 (1962), 210. Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 8; zustimmend Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 909; Wernsmann, Jura 2000, 346 Fn. 34. 135 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 909. 136 Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 5; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 74. 137 BVerfGE 2, 143, 152; zustimmend Lechner/Zuck,, BVerfGG, vor §63 Rn. 10; Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, vor § 63 Rn. 32; vgl. auch Sachs, Die Bindung des BVerfG, S. 89. 138 Vgl. Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 31; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 64 (10. Lfg. 1987) Rn. 6 („nicht im engen Sinn subjektiver Rechte"). 139 BVerfGE 2, 143, 152; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 74; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 31; a.A. Umbach, in Umbach/Clemens, BVerfGG, vor §63 Rn. 32. 140 BVerfGE 2, 143, 152; Lechner/Zuck, BVerfGG, vor § 63 Rn. 10. 141 Vgl. BVerfGE 2, 143, 152; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 97; Krebs, Jura 1981, 575 f.; Meyer, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 93 Rn. 25; Sturm, in Sachs, GG, Art. 93 Rn. 31 ; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §13(14. Lfg. 1995) Rn. 51. 134

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten143 In eine ähnliche Richtung geht die Ansicht, fur welche die von „Rechten" staatlicher Organe sprechende Gesetzesformulierung auf eine gesetzliche Fiktion hinausläuft. Hiernach sind nämlich, soweit die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Organklage an das Bestehen von „Rechten" anknüpfen, „bloße Kompetenzen so zu behandeln, als wären sie 'Rechte' der Organe" 142 . Nach dieser Vorstellung sind Kompetenzen zwar an sich keine subjektiven Rechte, doch werden sie aufgrund gesetzlicher Anordnung als solche fingiert. In diesem Sinne wird auch von einem „Kunstgriff' des Gesetzgebers gesprochen 143, der die subjektivrechtliche Konstruktion wähle, um die eigentliche Zielsetzung zu verfolgen, nämlich auf diese Weise zugleich die „objektive Bewahrung des Verfassungsrechts" sicherzustellen 144. „Um den Prozeß zu ermöglichen, verleiht das Gesetz gewissen Organen (Organteilen) Prozeßfähigkeit und fingiert ein Rechtsverhältnis, über dessen Existenz und Inhalt gestritten und richterlich entschieden werden kann. ... Es wird so getan, als ob sich verschiedene Rechtsträger mit eigenen Rechten gegenüber stünden" 145 . Zahlreiche Autoren schließlich tragen keine Bedenken, den Verfassungsorganstreit als einen Streit um subjektive Rechte der beteiligten Verfassungsorgane oder ihrer Teile zu verstehen 146. Auch in der Judikatur des BVerfG finden sich Andeutungen in diese Richtung. So sieht es etwa den Unterschied von 142

Clemens, in Umbach/Clemens, BVerfGG, §§ 63, 64 Rn. 133; wohl auch Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 10; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 107. 143 C. Arndt, AöR 87 (1962), 209. 144 BVerfGE 2, 79, 86; 2, 143, 152; C Arndt, AöR 87 (1962), 209; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 910; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 252; Sachs, Die Bindung des BVerfG, S. 89; Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 75; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §13(14. Lfg. 1995) Rn. 51. 145 Geiger, NJW 1954, 1057 (Hervorhebung im Original). 146 Barth, Subjektive Rechte, S. 58 f., 115 f.; Bethge, DVB1. 1980, 312; ders., in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, §13 (14. Lfg. 1995) Rn. 76 ff.; ders., Organstreitigkeiten des Landesverfassungsrechts, S. 23, 26; Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 2016 („Feststellung eines subjektiven Rechtsverhältnisses"); Bonk, Organstreitigkeiten, S. 89; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 500 („subjektiver Rechtsschutz"); Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 452 Fn. 1; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 56 f.; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 236 ff.; Maunz, in Maunz/Dürig, GG, Art. 93 (Lfg. 1971) Rn. 10; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 45 f.; Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 25 f.; Stern, Staatsrecht II, §44 IV 4, S. 980; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 86 f.; wohl auch Naumann, Verhandlungen des 38. DJT, D 30; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 29; ebenso zur Vorgängerregelung des Art. 19 WRV Thoma, HdbDStR II, S. 614, 618. Einschränkend Sachs, Die Bindung des BVerfG, S. 89 f. (der Begriff des subjektiven Rechts sei „entsprechend der Eigenart des jeweiligen Rechtsgebietes zu bestimmen", und mit dieser Einschränkung seien die Kompetenzen staatlicher Funktionsträger „den sonst anerkannten subjektiven Rechten daher soweit ähnlich, daß man sie mit dem Grundgesetz ... als subjektive Rechte der Funktionsträger auffassen kann").

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Bundesverfassungsorgan- und Bund/Länder-Streitigkeiten gegenüber der abstrakten Normenkontrolle gerade darin, daß letztere „allein die von subjektiven Rechten und Rechtsauffassungen unabhängige Frage" der objektiven Rechtmäßigkeit des Rechtssatzes zum Gegenstand habe 147 ; dies legt den Umkehrschluß nahe, daß in Verfassungsorgan- ebenso wie in Bund/Länder-Streitverfahren um subjektive Rechte gestritten wird. Einem solchen Verständnis steht auch nicht entgegen, daß das Plenum des BVerfG in einer sehr frühen Entscheidung mit Blick auf verfassungsrechtliche Organstreitigkeiten betont hat, daß das BVerfG auch da, „wo es über verletzte Rechte oder behauptete Pflichten entscheidet, ... weniger im Dienste subjektiver Rechts Verfolgung als im Dienste objektiver Bewahrung des Verfassungsrechts" steht 148 . Denn damit ist nur das auf die Wahrung der verfassungsmäßigen Gesamtordnung gerichtete Endziel jeder verfassungsgerichtlichen Tätigkeit benannt und der Umstand betont, daß allerdings der Streit um etwaige Rechte und Pflichten von Verfassungsorganen keinen isoliert zu betrachtenden Zweck haben kann, schon weil die Verfassungsorgane eine dem Staatsganzen dienende Funktion haben und ohnehin ebensowenig wie die sie tragenden Körperschaften selbst Selbstzweck sind. Diese Charakterisierung des mit dem verfassungsgerichtlichen Spruch verfolgten Zieles ändert aber nichts daran, daß Streitgegenstand in einem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG eben der Streit „über verletzte Rechte oder behauptete Pflichten" ist, wohingegen die Wahrung des objektiven Rechts nicht für sich allein Ziel des Organstreits ist 149 : „Das Organstreitverfahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungsaufsicht" 150. Somit muß der Antragsteller eigene - bzw. im Falle zulässiger Prozeßstandschaft fremde - Rechte zu verteidigen suchen. Es muß also in concreto der „Rechtskreis" des Antragstellers betroffen sein 151 . Das mit dem verfassungsgerichtlichen Verfahren fraglos verfolgte Endziel der Wahrung der objektiven Verfassungsordnung wird hiernach Verfahrens- und gesetzestechnisch im Wege subjektiver Rechtsverfolgung erreicht. Infolgedessen wäre die Annahme subjektiver Rechte von Verfassungsorganen als rechtstechnisches Instrument der Sicherung der verfassungs-

147

BVerfGE 68, 346, 350 f. BVerfGE 2, 79, 86; Spanner, in FS Jahrreiß, S. 417; vgl. femer SächsVerfGH, JbSächsOVG 2, 103, 107. 149 BVerfGE 2, 143, 156; 20, 134, 140; 100, 266, 268; StGH BW, ESVGH 35, 241, 242. 150 BVerfGE 100,266,268. 151 BVerfGE 1, 208, 228 f.; StGH BW, ESVGH 35, 241, 242. - Für Verfassungsstreitigkeiten nach Art. 19 WRV ähnlich RStGH, RGZ 130, Anhang Nr. 3, S. 11*, 17*; Friesenhahn, HdbDStR II, S. 534. 148

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten145 mäßigen Kompetenzordnung 152 sehr wohl mit dem Wesen und der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit vereinbar.

b) Subjektivrechtliche Natur der Bund/Länder- und der Zwischenländerstreitigkeiten Angesichts dieses Meinungsstreits in der verfassungs(prozeß)rechtlichen Literatur gerade in bezug auf die zentrale Frage der subjektiven Rechtsnatur der „Rechte" der beteiligten Organ(teil)e scheinen sich diesbezüglich keine Rückschlüsse für die Einordnung der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten ziehen zu lassen, und in der Tat bedarf die Entscheidung, welcher Ansicht zu folgen ist, bei den verfassungsrechtlichen Organstreitigkeiten letztlich in gleicher Weise der näheren Untersuchung wie in bezug auf die verwaltungsrechtlichen 153 . Gleichwohl ist die Analyse der verfassungsrechtlichen Dogmatik bezüglich der Frage subjektiver Rechte von Verfassungsorganen mit der einfachen Feststellung des Meinungsstreites zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG noch keineswegs beendet. Bezieht man nämlich die anderen verfassungsgerichtlichen kontradiktorischen Streitverfahren in die Betrachtung mit ein, so lassen sich durchaus aufschlußreiche Erkenntnisse für die Beurteilung der Verfassungsorganstreitigkeiten gewinnen. Bemerkenswerterweise versteht nämlich die herrschende Meinung den Streit um „Rechte und Pflichten" in Bund/Länder-Streitigkeiten als Streit um subjektive öffentliche Rechte154. Das BVerfG hat Rechtsstreitigkeiten im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG sogar dahin definiert, daß sie nur vorliegen, „wenn der Antragsteller gegen den Antragsgegner Ansprüche erhebt, die sich aus einem beide Teile umschließenden Verfassungsrechtsverhältnis ergeben" 155, mithin auf das Vorliegen eines Anspruchs abgestellt, der ja einen besonders markanten Typ eines subjektiven Rechts darstellt. Für die Prüfung, ob eine bestimmte Grundgesetzbestimmung den Ländern einen „gegen den Bund verfolgbaren Anspruch" in diesem Sinne verleiht, stellt das BVerfG darauf ab, ob die betreffen152

Lorenz, in FG BVerfG I, S. 238, 252. Hierzu eingehend unten Teil E. 154 Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (14. Lfg. 1995) Rn. 76, § 69 (15. Lfg. 1997) Rn. 3, 14; Leisner, in FG BVerfG I, S. 262 f.; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 30; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 91; Stern, Staatsrecht II, § 44 IV 6 d a, S. 999; ders., in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 337; Wenckstern, in Umbach/Clemens, BVerfGG, vor § 68 Rn. 7; ebenso zu Art. 19 WRV Thoma, HdbDStR II, S. 618. Den subjektiven Charakter der Bund/LänderStreitigkeiten betonen auch Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 983, 1016, lehnen aber wie bei den Organstreitigkeiten und insofern konsequent ab, von subjektiven öffentlichen Rechten des Bundes oder der Länder zu sprechen (ebd., Rn. 984). 155 BVerfGE 13, 54, 72 f. 153

12 Roth

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

de Maßnahme im Interesse der betroffenen Länder oder „nur im Interesse des Ganzen" vorgesehen ist 156 . Damit aber legt es ein Kriterium zugrunde, welches typischerweise zur Abgrenzung des subjektiven von nur objektivem Recht herangezogen wird 1 5 7 , und bestätigt so die Auffassung, daß bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG ein Streit um subjektive Rechte des Bundes bzw. der Länder ausgetragen wird. Es erschiene nun aber wenig kohärent, die Verfassungsorganstreitigkeit nicht als Streit um subjektive Rechte zu verstehen, während der Bund/Länder-Streit als ein solcher Streit aufgefaßt wird. Denn immerhin ist die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Beschreibung der Organstreitigkeit gebrauchte Formulierung mit der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG zur Beschreibung des Bund/Länder-Streits gebrauchten Formulierung in dem hier relevanten Tatbestandsmerkmal identisch: in beiden Fällen ist von „Rechten und Pflichten" die Rede, ohne daß Anhaltspunkte für ein differenzierendes dogmatisches Verständnis des Verfassungsgebers vorliegen. Und in der Tat hat ja auch das BVerfG die Parallelität und Gleichartigkeit beider Verfahren betont: „Sowohl der Organstreit als auch der Bund/Länder-Streit sind kontradiktorische Streitverfahren, bei denen Antragsteller und Antragsgegner in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen müssen, aus dem sich Rechte und Pflichten ergeben, die sie gegenseitig achten müssen und die zwischen ihnen streitig geworden sind" 158 . Wieso das streitige Recht im einen Fall ein echtes subjektives öffentliches Recht sein, im anderen Fall hingegen bestenfalls eine „versubjektivierte" oder gar nur als subjektivrechtlich fingierte Kompetenz darstellen soll, vermag nicht einzuleuchten. Die herrschende Meinung kann diese Diskrepanz auch nicht mit dem Hinweis erklären, daß die Charakterisierung der Bund/Länder-Streitigkeiten als Streitigkeiten um subjektive Rechte dadurch „erleichtert" werde, daß es sich bei Bund und Ländern im Gegensatz zu den Organen bzw. Organteilen immerhin um selbständige juristische Personen handelt 159 . Es ist nämlich keineswegs so sehr die mangelnde juristische Personalität von Organ(teil)en, aufgrund welcher ihnen die Innehabung subjektiver Rechte abgesprochen werden würde 160 , sondern vor allem das Argument, sie könnten auf ihre Kompetenzen nicht verzichten und diese könnten daher keine subjektiven Rechte sein 161 . Gerade dieses Fehlen der Verfügbarkeit gilt nun aber selbstverständlich auch für die Kompetenzen

156 157 158 159 160 161

BVerfGE 13, 54, 73 f. S. hierzu näher unten D.I.2. BVerfGE 20, 18, 23 f. Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 30. S. hierzu näher unten E.II.4. S. hierzu näher unten E.I.3.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten147 von Bund und Ländern 162 , weil die grundgesetzliche Verteilung der Kompetenzen zwischen diesen kein dispositives Recht darstellt 163 . Das Scheitern dieses Versuchs, eine unterschiedliche dogmatische Beurteilung betreffend das Vorliegen subjektiver Rechte zu begründen, bedeutet zwar nicht schon, daß sie im Ergebnis verfehlt wäre. Wohl aber zeigt sich, wie schwer sich diese Ansicht damit tut, eine überzeugende Begründung dafür anzubieten, weshalb es bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG im Unterschied zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG nicht um subjektive Rechte gehen soll. Ähnliche Bedenken würfe eine entsprechende Differenzierung bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG auf. Dies läßt sich zunächst für dessen 1. Alternative zeigen: Wenn sich nach herrschender Meinung der Bund/Länder-Streit des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG um subjektive Rechte dreht, so muß dies auch für die unter Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG fallenden „anderen" öffentlich-rechtlichen Bund/Länder-Streitigkeiten gelten. Der Unterschied zwischen beiden Fallgruppen von Bund/Länder-Streitigkeiten besteht nämlich allein in der Qualifikation des streitigen Rechtsverhältnisses als verfassungsrechtlich oder als nichtverfassungsrechtlich 164, nicht jedoch in der Frage der objektiven oder subjektiven Rechtsnatur des im Streite befindlichen Rechts. Daß die im Bund/Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG zu verteidigenden „Rechte, Garantien und sonstigen Rechtspositionen"165 keine andere Rechtsnatur haben als die im Bund/ Länder-Streit des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG geltend zu machenden subjektiven öffentlichen Rechte, wird von der herrschenden Meinung implizit dadurch anerkannt, daß sie auch bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alt. GG, obgleich dies hier vom Gesetz nicht ausdrücklich gefordert wird, eine Antragsbefugnis im Sinne einer geltend zu machenden Verletzung eigener Rechte voraussetzt 166, welche Rechte - in Übereinstimmung mit der Rechtslage bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG - sinnvoll nicht anders als im Sinne subjektiver öffentlicher Rechte verstanden werden können. Dasselbe gilt für den Zwischenländerstreit, bei welchem die Antragsbefugnis ebenfalls von der Geltendmachung einer Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte abhängt167. Dieses dogmatische Verständnis wird offenbar auch vom Gesetzgeber geteilt: Nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entscheidet das BVerwG im ersten und letzten Rechtszug „über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher 162 Vgl. BVerfGE 1, 14, 35; 4, 115, 139; 41, 291, 311; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, §56 Rn. 31. 163 BVerfGE 41, 291, 311. 164 Vgl. dazu oben B.II.3. 165 Vgl. BVerfGE 94, 297, 310. 166 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1018; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 30. 167 Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1031; Jarass/Pieroth, GG, Art. 93 Rn. 32.

148

Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht

Art zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen verschiedenen Ländern"; nach der korrespondierenden Regelung des § 39 Abs. 2 S. 1 SGG entscheidet das BSG über derartige Streitigkeiten auf dem Gebiet des Sozialrechts. Mit diesen dem Art. 93 Abs. 4, 1. und 2. Alt. GG nahezu wortlautgleichen Vorschriften knüpft der Gesetzgeber an die Subsidiaritätsklausel dieser Grundgesetzbestimmung an und weist die genannten Streitigkeiten dem BVerwG bzw. BSG zu, und zwar erstinstanzlich: Nicht nur kommt solchen Streitfragen oftmals erhebliche Bedeutung zu, vor allem erschiene es auch problematisch, die Gerichte eines Landes über Streitigkeiten zwischen diesem und dem Bund oder einem anderen Land entscheiden zu lassen, und ob die Sache von einem Instanzgericht je im Revisionswege vor das BVerwG oder BSG käme, ist völlig offen, und zudem wären deren Überprüfungsbefugnisse als Revisionsgerichte beschränkt. § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und § 39 Abs. 2 S. 1 SGG treffen jedoch allein eine Regelung über die sachliche Zuständigkeit 168 und fuhren nicht etwa ein eigenes Klageverfahren mit eigenen Zulässigkeitsvoraussetzungen ein. Namentlich die Eröffnung des Verwaltungs- bzw. Sozialgerichtsweges 169, ferner die Frage der richtigen Klageart nebst den einschlägigen Voraussetzungen betreffend Klagebefugnis und Rechtsschutzbedürfnis richten sich daher nach den allgemeinen Regel des Verwaltungs- bzw. Sozialgerichtsverfahrens 170. Damit setzt aber der Gesetzgeber offenkundig voraus, daß es nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern oder zwischen verschiedenen Ländern geben kann, die eben diese allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllen - denn es wäre müßig, dem BVerwG bzw. BSG eine Entscheidungszuständigkeit allein zu dem Zweck zuzuweisen, entsprechende Klagen als unzulässig abzuweisen. Wenn nun aber § 42 Abs. 2 VwGO für die Klagebefugnis die Geltendmachung einer Verletzung subjektiver Rechte voraussetzt 171, so folgt daraus, daß dem Bund bzw. den Ländern solche im Verwaltungsrechtsweg klagefähigen subjektiven Rechte zustehen können müssen; dasselbe gilt in bezug auf die nach § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 SGG erforderliche Klagebefugnis 172. Obgleich freilich der VwGO- bzw. SGG-Gesetzgeber die Vorschrift des Art. 93 Abs. 4, 1. und 2. Alt. GG nicht authentisch interpretieren kann, folgt daraus doch immerhin, daß es mit dem einfachen Gesetz unverein-

168

Vgl. Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 50 (Lfg. 1996) Rn. 2; Eyermann/P. Schmidt, VwGO, §50 Rn. 1; Kopp, VwGO, §50 Rn. 1; Ziekow, in NKVwGO, § 50 (Lfg. 1996) Rn. 3. 169 Vgl. Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 48 (1. EL 1997) Rn. 5; Ziekow, in NKVwGO, §50 (Lfg. 1996) Rn. 3; wohl auch Eyermann/P. Schmidt, VwGO, § 50 Rn. 3; a.A. anscheinend Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 50 Rn. 2. 170 Vgl. Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 48 (1. EL 1997) Rn. 5. 171 Hierzu näher unten C.IV. 172 Vgl. Meyer-Ladewig,, SGG, § 54 Rn. 9 ff., daß § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 SGG trotz der unterschiedlichen Fassung ebenso auszulegen ist wie § 42 Abs. 2 VwGO.

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten

149

bar wäre, dem Bund bzw. den Ländern die Fähigkeit zur Innehabung subjektiver Rechte abzusprechen. Ist nun aber bei Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 1. und 2. Alt. GG die Geltendmachung einer Verletzung oder Gefahrdung „eigener Rechte" im Sinne von subjektiven Rechten des Antragstellers Voraussetzung der Klagebefugnis, so ist, weil ja Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG die „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes" unterschiedslos nebeneinander auffuhrt, nicht ersichtlich, weshalb allein in den ersten beiden Alternativen ein Streit um subjektive Rechte vorliegen soll, und nur in der dritten Alternative nicht, zumal ja als die bei allen Unterschieden bestehende Gemeinsamkeit dieser Verfahren gerade ihr kontradiktorischer Charakter betont wird 1 7 3 , welcher sich nun aber gerade darin ausdrückt, daß die Organe bzw. Organteile um eigene Rechte im subjektiven Sinne streiten. Folglich ist bei allen Alternativen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG anzunehmen, daß der Streit um subjektive Rechte geführt wird 1 7 4 . Auch dieses Ergebnis hat wiederum Rückwirkungen auf das Verständnis des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Denn wenn die gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Alt. GG vor dem BVerfG auszutragenden Larafesverfassungsorganstreitigkeiten einen Streit um subjektive Rechte der beteiligten Organe bzw. Organteile zum Gegenstand haben, so liegt die Annahme nahe, daß dasselbe auch für die ßw^öfesverfassungsorganstreitigkeiten des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG gilt. Freilich ist einzuräumen, daß alleine der Umstand, daß die herrschende Meinung bei Bund/Länder-Streitigkeiten einen Streit um subjektive Rechte annimmt, noch kein Beweis dafür ist, daß dies dogmatisch auch tatsächlich zutrifft. Sie könnte sich irren, und damit entfiele zugleich die Basis des auf den dargestellten kontextualen Zusammenhängen innerhalb des Art. 93 Abs. 1 GG beruhenden Schlusses von der subjektiven Rechtsnatur der Bund/Länder- und Zwischenländerstreitigkeiten auf die subjektive Rechtsnatur auch der Bundesbzw. Landesverfassungsorganstreitigkeiten. Insofern bleibt auch von daher eine nähere Untersuchung der Problematik des subjektiven Rechts unverzichtbar. Die Antwort hängt in beiden Fällen von dem Wesen des subjektiven Rechts und der Vorstellung davon ab, wer Träger eines subjektiven Rechts sein kann, insbesondere also ob staatliche Hoheitsträger sowie - für die Organstreitigkeiten essentiell - deren Organe und Organteile subjektive Rechte innehaben können.

173

Stern, in BK GG, Art. 93 (Zweitb. 1982) Rn. 374. Bethge, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 13 (15. Lfg. 1997) Rn. 95a. 174

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Β. Organstreitigkeiten im Verwaltungs- und Verfassungsprozeßrecht c) Resümee

Unbeschadet der einstweilen noch unbeantwortet zu lassenden Fragen kann als Resultat der Betrachtung der verfassungsgerichtlichen Organstreitigkeiten immerhin festgehalten werden: Der Verfassungsgeber hat keine Bedenken getragen, explizit von „Rechten" der Verfassungsorgane sowie der als mögliche weitere Beteiligte am Verfassungsorganstreit anvisierten Teile derselben zu sprechen, und indem er sogar von „eigenen Rechten" spricht (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), lehnt er sich terminologisch deutlich an die Begrifflichkeit des subjektiven Rechts an 175 . Denn von „eigenen Rechten" wird sonst nur gesprochen, wenn subjektive Rechte im Räume stehen. Ob man dies einfach als „unzutreffende Ausdrucksweise" des Grundgesetzes 176 und als „falsa demonstratio" eines in „herkömmlichen" - und das soll wohl heißen: überholten - Begrifflichkeiten befangenen Gesetzgebers abtun kann 177 , oder ob dieser Kritik nicht vielmehr ihrerseits ein korrekturbedürftiges Verständnis vom Begriff des subjektiven Rechts zugrunde liegt, ist doch gerade die Frage. Jedenfalls kann festgehalten werden, daß der Verfassungsgeber entweder wahrhafte subjektive Rechte von Verfassungsorganen und sogar von Teilen derselben annahm oder daß er ihrem Fehlen zumindest nicht die Bedeutung zumaß, die einen Ausschluß von Verfassungsorganstreitigkeiten indiziert hätte. Welche dogmatischen Vorstellungen der Verfassungsgeber hatte, ja ob er überhaupt solche schwierigen dogmatischen Streitfragen entscheiden wollte, ist durchaus zweifelhaft. Letztlich kommt es darauf freilich auch gar nicht an. Die Dogmatik steht nicht über dem Gesetz, sondern muß sich an der positiven Verfassungs- und Gesetzeslage herausbilden und an dieser messen lassen. „Insoweit erweist sich die Dogmatik nicht als treffendes Argument gegen den Organstreit, sondern dieser als Widerlegung einer überholten Dogmatik" 178 . Das BVerfG hat mit Recht daraufhingewiesen, daß der Vergleich der Verfassungsorganstreitigkeiten mit den Verfahren zur gerichtlichen Erledigung von Rechtsstreitigkeiten in anderen Rechtsbereichen prozeßrechtlich „durchaus zulässig und geboten" ist 179 . Andere dogmatische Abweichungen als die von dem Wesen der Beteiligten und dem Verfahrensgegenstand her unabdingbar nötigen sind daher zu vermeiden. Deshalb spricht in Abwesenheit zwingender Gegengründe mehr als nur eine Vermutung dafür, bei einer parallelen Gesetzeslage eine gleiche dogmatische Lage anzunehmen. Wenn also die Begrifflichkeit, der Kläger oder Antragsteller müsse behaupten, „in seinen Rechten" verletzt zu 175

Vgl. Sachs, Die Bindung des BVerfG, S. 89 f. Spanner, in FS Jahrreiß, S. 414. 177 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 909; Löwer, HStR II, § 56 Rn. 8. 178 Treffend Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 18. 179 BVerfGE 2, 143, 152. 176

in Isensee/Kirchhof,

II. Verfassungsprozessuale Vorschriften über Organstreitigkeiten151 sein, sonst allgemein als gesetzliche Bezugnahme auf subjektive Rechte verstanden wird, so liegt die Annahme nahe, der Verfassungsgeber habe mit der Verwendung desselben Ausdrucks in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG dieselbe Vorstellung verbunden. Diese Überlegung beantwortet aber freilich weder, was denn nun genau unter „Rechten" in diesem Sinne zu verstehen ist, noch gar, wann derartige „Rechte" vorliegen. Antworten hierauf lassen sich naturgemäß den systematischen Zusammenhängen alleine nicht entnehmen, und auch von daher bleibt eine detaillierte dogmatische Untersuchung des Begriffs des subjektiven Rechts unentbehrlich.

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO Die in Ermangelung spezifischer verwaltungsprozessualer Regelungen über verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten unumgängliche Einfügung derselben in das allgemeine Rechtsschutzsystem der VwGO wirft vor allem hinsichtlich zweier Problemkreise grundsätzliche Fragen auf, nämlich in bezug auf die Rechtswegeröffnung (nachfolgend I.) und in bezug auf die Klagebefugnis (unten IV.). Die bezüglich der sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen teilweise zu verzeichnenden dogmatischen Streitstände betreffen demgegenüber weniger Grundsatzfragen des Rechts, sondern sind schlicht Resultat der bei einzelnen einschlägigen Gesetzesbestimmungen bestehenden Auslegungsschwierigkeiten; diese können sinnvollerweise erst nach Bereitung des dogmatischen Grundes am Ende dieser Arbeit behandelt werden (Teil H.). Daß die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges (nachfolgend I.) bei Organstreitigkeiten als Problem zu diskutieren ist, ist zunächst der sogenannten Impermeabilitätstheorie zu verdanken, bei deren Zugrundelegung die Möglichkeit eines Rechtsstreites um innerorganisatorische Organkompetenzen ausgeschlossen wäre. Obgleich eine solche Theorie nicht nur unhaltbar ist, sondern im eigentlichen Sinne nie vertreten wurde (unten II.), verdient sie dennoch nähere Betrachtung. Denn immerhin gilt doch auch nicht etwa umgekehrt, daß sämtliche internen Organisationsmaßnahmen und Organisationsabläufe wie insbesondere interne Anordnungen im Betriebsverhältnis Gegenstand eines Rechtsstreites sein könnten. Damit ist die gleichermaßen dogmatisch schwierige wie praktisch bedeutsame Frage angeschnitten, weshalb dienstliche Weisungen und interne Verwaltungsverordnungen keinen Grund für eine gerichtlich austragbare Organstreitigkeit abgeben (unten III.).

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges für verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten 1. Rechtliche Streitigkeit Grundvoraussetzung für die Anrufung der Verwaltungsgerichte ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ebenso wie bei allen anderen Gerichten (vgl. § 13 GVG) das Vorliegen einer /tecA/sstreitigkeit. Sonach bedarf es stets eines konkreten Strei-

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

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tes um die richtige Anwendung von Rechtssätzen (nachfolgend a), gleich ob diese objektiver oder subjektiver Natur sind (unten b), wohingegen bloße Sachstreitigkeiten nicht genügen (unten c). Diese Voraussetzungen müssen auch Organstreitigkeiten erfüllen, wenn überhaupt an ihre gerichtliche Entscheidung zu denken sein soll (unten d).

a) Konkreter Streit um die Anwendung von Rechtssätzen Die erste Voraussetzung für die Anrufung der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung von Organstreitigkeiten ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, daß diese Streitigkeiten rechtlicher Natur sind, daß sich die beteiligten Organe bzw. Organteile also um die richtige Anwendung des Rechts, genauer: um die Anwendung bestimmter Rechtssätze streiten. Dabei darf sich dieser Streit nicht in einer abstrakten Rechtsfrage erschöpfen 1, die dem Gericht aus rein wissenschaftlichem Interesse oder im Hinblick auf bloß theoretische, künftig mögliche Streitfälle unterbreitet wird. Vielmehr muß eine Rechtsanwendung im konkreten Fall begehrt werden. Denn Aufgabe der Gerichte ist nicht die Klärung des Rechts um seiner selbst willen, sondern die Anwendung des Rechts; dessen gegebenenfalls erforderliche Ermittlung und Klarstellung kann stets nur Vorstufe der eigentlichen Rechtsanwendung durch das Gericht sein2. Der Gesetzgeber ist zwar nicht gehindert, eine abstrakte Rechtsklärung durch die Gerichte ohne Bezug zu einem konkreten Streitfall zu ermöglichen. Beispielsweise kann er bestimmten Organen die Initiierung abstrakter Normenkontrollen (z.B. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Nr. 1 BVerfGG) oder die Einholung von Rechtsgutachten gestatten3. Solche Verfahrensarten werden vorgesehen, um besonderen Bedürfnissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung zu 1 Vgl. BVerwGE 14, 235, 236; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 (Lfg. 1996) Rn. 100; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 103 f.; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 61; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 402. 2 Schenke/Roth, WiVerw 1997, 104. 3 Die Erstattung gerichtlicher Gutachten ist beispielsweise nach Art. 68 Abs. 3 und Art. 300 Abs. 6 EGV durch den EuGH möglich, sowie gemäß Art. 96 Charta der Vereinten Nationen, Art. 65 IGH-Statut durch den Internationalen Gerichtshof. - Eine ebensolche Gutachtenerstattung war nach § 97 BVerfGG a.F. für das BVerfG vorgesehen, welches durch Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gemeinsam sowie durch den Bundespräsidenten um die „Erstattung eines Rechtsgutachtens über eine bestimmte verfassungsrechtliche Frage" ersucht werden konnte. Diese Gutachtenerstattung wurde freilich von Anfang an als eine der richterlichen Funktion grundsätzlich „wesensfremde" Tätigkeit (BVerfGE 2, 79, 86) und als „Fremdkörper" im Aufgabenbereich eines Gerichts verstanden (Geiger, BVerfGG, § 97 Anm. 2), und, nachdem es zu Streitigkeiten über die ΒindungsWirkung derartiger Rechtsgutachten gekommen war (bejahend BVerfGE 2, 79, 83, 87 ff; a.A. Geiger, BVerfGG, § 97 Anm. 2, 6), bereits 1956 wieder abgeschafft (Heyde, in Umbach/Clemens, BVerfGG, 97 Rn. 3 f.).

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

tragen, stellen jedoch eine Ausnahme dar und bedürfen jeweils besonderer gesetzlicher Zulassung. Die VwGO kennt eine derartige Möglichkeit nur in einem eingeschränkten Sinne, nämlich in Gestalt des Behördenantrags bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO); immerhin ist aber auch hier wenigstens vorauszusetzen, daß die antragstellende Behörde mit der Ausführung der Norm befaßt ist oder sie zumindest bei ihrer Tätigkeit zu beachten hat4, so daß insofern ein - wenngleich abgeschwächter - Bezug zu konkreten Anlaßfällen bestehen muß. Infolgedessen scheidet ein bloß abstrakter Streit um das Recht ohne Bezug zu einem konkreten Lebenssachverhalt als zulässige Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO aus.

b) Irrelevanz der objektiven oder subjektiven Natur des streitbefangenen Rechtssatzes Ob der Rechtsstreit um objektives oder um subjektives Recht geführt wird, spielt für die Rechtswegeröffnung keine Rolle. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO spricht allgemein von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten und fordert keinen Streit gerade um subjektive Rechte5. Zudem zeigen der in § 42 Abs. 2 VwGO enthaltene Vorbehalt („soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist") sowie die Antragsbefugnis von Behörden im oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren (§ 47 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz VwGO) 6 , daß im Verwaltungsprozeß eben durchaus objektive Rechtsbeanstandungsverfahren möglich sind. Folglich läßt sich auch nicht unter Berufung auf eine „Gesamtsystematik des Gesetzes und seines entstehungszeitlichen Kontextes" eine Beschränkung schon der Rechtswegklausel auf die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes vorbehaltlich gesetzlich eingeräumter Entscheidungszuständigkeiten im Bereich des objektiven Rechts7 rechtfertigen 8. Die Frage, inwieweit Organstreitigkeiten um subjektive Rechte geführt werden müssen, ist deswegen zwar keineswegs bedeutungslos. Aber sie betrifft nicht den Rechtsweg, sondern wird gesetzessystematisch erst 4

S. oben B.I.l.b. VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 292; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 (Lfg. 1996) Rn. 132; Erichsen, in FS Menger, S. 220 f.; ders., VerwArch 1980, 431; Eyermann/Rennert, VwGO, §40 Rn. 8; Herbert, DÖV 1994, 110; Kopp/ Schenke, VwGO, §40 Rn. 5c; Krebs, Jura 1981, 577 f.; Martensen, JuS 1995, 991; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 97; Schnapp, VerwArch 1987, 442; Schoch, JuS 1987, 785; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 9 f., 23 f.; Ziekow, NWVB1. 1998, 298; a.A. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 62; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 10; Papier, DÖV 1980, 293, 294. Unzutreffend die These von Friesenhahn, in FS Thoma, S. 36 f., 41, das Gericht übe bei objektiven Rechtsbeanstandungsverfahren „mangels Rechtsstreits auch keine Rechtsprechung aus". 6 S. hierzu oben B.I.l.b. 7 So aber Papier, DÖV 1980, 294. 8 Schoch, JuS 1987, 785. 5

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

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im Zusammenhang mit der Klagebefugnis respektive dem Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses relevant 9.

c) Irrelevanz der Zugehörigkeit zum Innenrecht oder Außenrecht Für § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist ferner unerheblich, ob der in Streit stehende Rechtssatz dem sogenannten Innenrecht oder dem Außenrecht 10 zugehört. Zwar könnte etwa die Darlegung des BVerwG, daß „die Generalklauseln der das verwaltungsgerichtliche Verfahren regelnden Gesetze ... dem Schutz der Rechte des der öffentlichen Gewalt unterworfenen Staatsbürgers [dienen]" 11 , in die Richtung verstanden werden, die Geltendmachung reinen Innenrechts werde durch die verwaltungsgerichtliche Generalklausel nicht abgedeckt. Die Tragweite einer solchen These im vorliegenden Kontext ist evident. Wäre § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO tatsächlich allein auf das Außenverhältnis Bürger - Staat bezogen, so bliebe für Streitigkeiten, die allein den innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis betreffen, der Verwaltungsrechtsweg verschlossen; rein organisationsinterne Maßnahmen, Vorgänge und Weisungen schieden also - unbeschadet ihrer sich aus der Zuordnung zu einem Innenrecht ergebenden rechtlichen Verbindlichkeit und Relevanz - infolge ihrer /VzcA/zugehörigkeit zum Außenrecht als Gegenstand rechtlicher Streitigkeiten im Sinne der Rechtswegklausel aus. Gegenüber einem solchen Vorstellungsmodell ist freilich zu beachten, daß bereits der Begriff des Innenrechts durchaus mehrdeutig ist und er denn auch zum Teil in unscharfer Form verwandt wird. Zum einen kann der Begriff „Innenrecht" als Bezeichnung für die Gesamtheit der den internen Verwaltungsaußau und die Organisationsstruktur einer Organisation regelnden Bestimmungen verstanden und dem „Außenrecht" als der Gesamtheit der die Beziehungen dieser Organisation zu anderen Rechtssubjekten beherrschenden Rechtssätzen gegenübergestellt werden 12. Eine solche Terminologie hat insofern ihren Sinn, als sie Regelungen mit einer besonderen Zielsetzung zu einer eigenen begrifflichen Kategorie zusammenfaßt und so die Diskussion der damit spezifisch verbundenen Probleme erleichtern mag. Indes kann diese Klassifizierung nach den mit einer Regelung verfolgten Zielen keine dogmatische Sonderung in ihrer rechtli9

S. unten CTV.l. Zu dieser Unterscheidung Bachof, in FS Laforet, S. 296 f.; U Bauer, Organklagen, S. 27 ff; Erichsen,, in FS Menger, S. 213 ff; Friauf, Der Staat 1970, 228 ff; Fuß, WissR 1972, 101 ff; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 132 f.; Kisker, Insichprozeß, S. 9 f.; Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 28; Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 4 f., § 21 Rn. 26; Peine, AllgVerwR, Rn. 21; Kupp, Grundfragen, S. 19 ff, 34; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 86, 115 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 160 ff. 11 BVerwGE 14, 84, 86. 12 Vgl. Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 4 f., § 21 Rn. 26. 10

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

chen Behandlung begründen, weil die besondere Zielsetzung keinen Unterschied im Wesen des Rechtssatzes begründet. Deshalb wird mit Recht betont, daß das so verstandene Innenrecht teilweise dieselben Rechtsquellen besitzt wie das Außenrecht (nämlich Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen)13. Dann aber kommt dem Innenrecht zumindest insoweit trotz unterschiedlichem Regelungsgegenstand dieselbe Rechtsnatur wie dem Außenrecht zu 14 , und somit kann die bloße Behauptung, gewisse Vorschriften seien allein für Außenrechtssätze gedacht, niemals genügen, die in ihrer Rechtsnatur identischen Innenrechtssätze von der diesbezüglichen Anwendung auszuschließen. Selbst wenn die Rechtsschutzmöglichkeiten der VwGO primär das Verhältnis des Bürgers zum Staat im Auge haben15, folgt doch nicht, daß diese auf Streitigkeiten um Innenrechtssätze keine Anwendung fände. Denn daß sich die VwGO ausschließlich auf Außenrechtsstreitigkeiten bezieht, läßt sich weder vom Wortlaut des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO noch von ihrer Entstehungsgeschichte her nachweisen16. Es ist wiederum erforderlich, sich die positivgesetzlichen Bestimmungen über Verfassungsorganstreitigkeiten zu vergegenwärtigen 17, worunter nicht zuletzt eben auch § 193 VwGO zählt 18 . Diese Regelungen beweisen, daß es keinen allgemeinen Grundsatz geben kann, der Innenrecht von einer gerichtlichen Entscheidung ausnehmen würde. Und wenn dies für Innenrecht im Bereich des Verfassungsrechts gilt, so ist nicht ersichtlich, wieso dies für Innenrecht auf der Ebene des Verwaltungsrechts anders sein sollte 19 . Der Begriff des „Innenrechts" wird nicht allein für solche Vorschriften verwandt, welche die innere Organisationsstruktur regeln. Es ist auch möglich, mit „Innenrecht" die Gesamtheit der Regelungen zu verstehen, die bei gegebener Organisationsstruktur den internen Funktionsablauf und die inneren Verwaltungsvorgänge zum Gegenstand haben20. Dieses Verständnis läge etwa in bezug auf tätigkeitsleitende dienstliche Weisungen nahe, die nicht den Verwaltungsaufbau bestimmen, sondern dem Untergebenen vorschreiben, auf welche Art und Weise er von seinen Kompetenzen Gebrauch machen soll 21 . Dieses Ver13

Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 27; Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 5, §21 Rn. 27. 14 Erichsen, in FS Menger, S. 219 f.; Krebs, Jura 1981, 573; Martensen,, JuS 1995, 991; Rupp, Grundfragen, S. 21, 26; a.A. offenbar Herbert, DÖV 1994, 110. 15 Vgl. hierzu unten E.II.5. 16 Vgl. Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 157 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 101; Tsatsos, Organstreit, S. 40. 17 S. oben B.II. 18 S. oben B.I.l.a. 19 Vgl. Erichsen, in FS Menger, S. 220; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 43; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 86. 20 Vgl. Hoppe, DVB1. 1970, 845 Fn. 10; Rupp, Grundfragen, S. 34. 21 S. unten C.III.

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

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ständnis begegnet vor allem zwei Bedenken. Erstens wäre danach die Abgrenzung der „Rechtsbereiche" des in diesem Sinne verstandenen Innenrechts von dem Außenrecht fließend. Denn sobald sich eine als innenrechtlich gedachte Maßnahme auf den Rechtskreis außenstehender Rechtssubjekte auswirkt, stellt sie sich notwendig als außenrechtlich dar 22 , und deshalb kann es keine kategorische Unterscheidung von Innen- und Außenrecht geben23. Dienstliche und insofern interne Weisungen haben sehr oft externe Wirkungen nachgerade zum Ziel, weil sie dem dem Bürger unmittelbar gegenübertretenden Organ bzw. Organwalter Vorgaben für sein Verhalten im Außenverhältnis machen, und sind daher gleichzeitig auf Innen- wie auf Außenwirkung gerichtet. Damit aber ist ihre Zuordnung zu einem Innen- bzw. Außenrecht durchaus nicht evident. Zweitens besteht auch hiernach wieder das Problem des Nachweises, daß das so verstandene Innenrecht aus dem Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO herausfällt. Selbst wenn eine innerdienstliche Weisung oder Maßnahme keine Außenwirkung hätte, so wäre doch begründungsbedürftig, weshalb sie nicht Gegenstand eines Rechtsstreites sein können soll. Welches Verständnis auch immer mit dem Begriff des „Innenrechts" verbunden wird - ob man damit das die interne Organisationsstruktur oder das die internen Abläufe regelnde Recht bezeichnet - , so ist doch auch Innenrecht - falls nicht der Ausdruck völlig irreführend gewählt ist, und vorbehaltlich der noch eingehend zu erörternden Impermeabilitätsproblematik 24 - Recht, und somit ist auch ein Innenrechtsstreit ein Rechtsstreit. Daß aber diese Art von Rechtsstreitigkeiten nicht unter § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO fiele, ist positivrechtlich nicht nachweisbar. Insgesamt ist festzuhalten, daß das Außenrecht und das (wie auch immer definierte) Innenrecht keine strikt voneinander getrennten, sondern vielmehr ineinander übergehende Rechtskreise darstellen 26. Deshalb eignet sich diese Klassifizierung nicht zur Begründung, weshalb bestimmte organisationsinter-

22

Vgl. die diesbezügliche Diskussion in der konstitutionellen Staatsrechtslehre (unten C.II.4.a). 23 Vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 379 f.; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 27; Rupp, Grundfragen, S. 21 ff.; Schnapp, VerwArch 1987, 441 f., 445. 24 S. unten C.II. 25 Vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 378 f.; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 131; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 14; Eyermann/Rennert, VwGO, §40 Rn. 16; Fehrmann, DÖV 1983, 314; Fuß, WissR 1972, 100 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 22, 24; Hoppe, DVB1. 1970, 847; Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 27, 29, 50; Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 5; Neyses, Rundfiinkverfassungsstreitverfahren, S. 42, 84; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 86; Schoch, JuS 1987, 785; Ziekow, NWVB1. 1998, 298; femer OVG Lüneburg, DVB1. 1999, 1737; für Verfassungsorganstreitigkeiten bereits BVerfGE 2, 143, 155. 26 Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 27; Schnapp, Amtsrecht, S. 161.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

ne Vorgänge aus dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzsystem, hier: der Rechtswegeröffnung nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO herausfallen sollen.

d) Ungeniigen bloßer Sachstreitigkeiten Der Verwaltungsrechtsweg ist nach dem Vorstehenden nur zur Austragung von Rechtsstreitigkeiten eröffnet, nicht jedoch bei bloßen Meinungsverschiedenheiten in der Sache. Denn auch nach dem gebotenen weiten Verständnis des Begriffs der „rechtlichen Streitigkeit" in § 40 Abs. 1 VwGO 2 7 als Sammelbegriff fur alle Klagen und Anträge, mit deren Erhebung oder Einreichung der Kläger oder Antragsteller einen gerichtlichen Streit beginnt, indem er um die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen dem Gericht unterbreiteten Sachverhalt ersucht und den Ausspruch einer Rechtsfolge begehrt 28, fehlt es doch an dieser Voraussetzung, wenn sich schon aus dem Vortrag der Beteiligten ergibt, daß es nicht um die Anwendung von Rechtssätzen geht. Eine „rechtliche Streitigkeit" im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO liegt daher ebenso wie bei der Parallelvorschrift des § 13 GVG namentlich dann nicht vor, wenn sich die Angelegenheit in einem außerrechtlichen, insbesondere auch rein politischen Bereich bewegt29. Wenn also zwischen Organen oder Organteilen lediglich Meinungsverschiedenheiten über die sachliche „Richtigkeit" oder Zweckmäßigkeit einer Entscheidung bestehen, ohne daß (auch) ein Streit um deren Rechtmäßigkeit vorliegt 30 , so können diese folglich schon in Ermangelung der Grundvoraussetzung einer Rechtsstreitigkeit nicht vor die Gerichte gebracht werden 31,32 . Inwieweit dem Gesetzgeber die Möglichkeit offenstünde, bestimmten Organen einen echten Rechtsanspruch auf eine „richtige" Sachentscheidung eines anderen Organs einzuräumen und fur die (gerichtliche) Durchsetzung desselben zu sorgen, bedarf hier keiner Entscheidung. Bedenken bestehen insofern, als ein solches Modell auf die Übertragung der Entscheidung reiner Sachfragen an die Gerichte hinausliefe, was diesen jedoch 27

Vgl. Schenke/Roth, WiVerw 1997, 104 f. Schenke/Roth, WiVerw 1997, 105. 29 Vgl. Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 101; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 89 ff.; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 103. 30 Zu dieser Streitkostellation oben A.I.3.c.aa. 31 Vgl. Schulze, Staatsrecht I, S. 505. 32 Der Ausschluß bloßer Sachstreitigkeiten von der gerichtlichen Entscheidung wird übrigens nicht durch das selbständige Beweissicherungsverfahren (§§ 485 ff. ZPO) widerlegt. Dieses soll nämlich nicht die Austragung reiner Sachstreitigkeiten für sich ermöglichen (vgl. OLG Köln, MDR 1998, 224, 225), sondern einen Rechtsstreit vorbereiten und unterstützen (OLG Düsseldorf, BauR 2000, 604, 605; LG Freiburg, BauR 1998, 400), stellt sozusagen eine vor den eigentlichen Prozeß gezogene Beweisaufnahme dar (vgl. § 493 Abs. 1 ZPO); dies zeigt sich schon an den einschränkenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des Beweissicherungsverfahrens. 28

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

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wesensfremd ist. Die Gerichte sind wesensmäßig Institutionen der /tec/rtsprechung (Art. 92 GG). Diese Funktion liefe Gefahr, wenn ihnen zusätzlich noch reine Sachentscheidungen übertragen würden, weil sie dadurch in den ihre Autorität untergrabenden politischen Meinungskampf einbezogen würden. Zudem bestünden insofern erhebliche demokratierechtliche Einwände. Aufgrund der Bindung der Gerichte an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) besteht trotz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) durch die Vermittlung der anzuwendenden Gesetze eine inhaltliche Rückanbindung der Gerichtsentscheidungen an den Willen des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers33. Im Bereich bloßer Sachfragen könnte es eine solche inhaltliche Rückanbindung nicht geben. Deshalb stellten Sachentscheidungen der Gerichte infolge ihrer Unabhängigkeit einen massiven Einbruch in die (politische) Letztverantwortlichkeit des Parlamentes und der Regierung gegenüber dem Wähler dar - fur gerichtliche Sachentscheidungen müßte der Richter sich nicht vor dem Wähler verantworten, und niemand anders könnte es. Die Beschränkung der Gerichte auf Rechtsfragen stellt dagegen sicher, daß „die politische Verantwortung vor dem Volk und der Geschichte" bei den zuständigen Organen der Legislative und Exekutive verbleibt 34.

Dem positiven Recht jedenfalls sind gerichtlich einklagbare Ansprüche auf „richtige" - und nicht bloß rechtmäßige - Sachentscheidungen fremd; die Rechtsordnung enthält keine Entscheidungsmaßstäbe für bloße Sachstreitigkeiten und die politische Richtigkeit und Zweckmäßigkeit einer Maßnahme35. Gerichte sollen ausschließlich das Recht anwenden und nicht zwischen zwei rechtlich gleichermaßen akzeptablen Alternativen auswählen und rechtmäßige Entscheidungen abändern. Exemplarisch kann hier auf Ermessensentscheidungen bei Verwaltungsakten verwiesen werden, die von niemandem mit dem bloßen Vorwurf der Unzweckmäßigkeit gerichtlich angefochten werden können (vgl. §114 VwGO): Solange sich ein Verwaltungsakt in dem von den Gesetzen gebildeten Rahmen hält, ist jede Entscheidung innerhalb dieses Rahmens rechtmäßig; eine Beurteilung nach Maßstäben der Zweckmäßigkeit ist den Gerichten verwehrt und den Fachaufsichtsbehörden vorbehalten, weil nur letztere eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen können. Da aus diesem Grund bloße sachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Organen oder innerhalb eines Organs keiner gerichtlichen Entscheidung zugänglich sind 36 , können sie nachfolgend unberücksichtigt bleiben. Wenn und solange eine Sachentscheidung durch das kompetenzordnungsmäßig zuständige Organ getroffen und auf ordnungsgemäßem Wege zustande gekommen ist, und wenn sie ferner alle materiellrechtlichen Vorgaben einhält, so interessiert sich die Rechtsordnung nicht weiter für den konkreten Entscheidungsinhalt. Besteht diesbezüglich Disput, so ist dieser allein politischer Natur, den das Recht nicht 33

Zu dieser demokratierechtlichen Bedeutung der richterlichen Gesetzesbindung vgl. Böckenförde, in Isensee/Kirchhof, HStR I, § 22 Rn. 23; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 7 f., 52 f. 34 BVerfGE 2, 79, 96. 35 Vgl. BayVerfGH 29, 62, 97 f. 36 Zum Fehlen eines Rechts auf die richtige Entscheidung näher unten E.II.l.b.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

entscheidet, und den demzufolge die Gerichte auch nicht zu entscheiden berufen sind. In aller Regel hat also schlicht das kompetenzordnungsgemäß zuletzt entscheidende Organ das Sagen und die politische Letztentscheidung und -Verantwortung, und die sachlich dissentierenden Organe müssen dies eben ohne weiteren Rekurs hinnehmen37. Sofern aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung eine Verfahrensprolongation möglich oder vorgesehen ist (Veto, Vermittlungsverfahren etc.) 38 , mündet auch diese nicht in einer gerichtlichen Entscheidung über die Sachfrage, sondern kann es allenfalls zu Rechtsstreitigkeiten über die bei solchen Verfahren einzuhaltenden Vorschriften kommen; diese richten sich indes nach den allgemeinen Regeln und konstituieren keine gesonderte Fallgruppe von Organstreitigkeiten.

e) Das Problem der Organstreitigkeiten

als Rechtsstreit

Nach dem Vorstehenden ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO für eine Organstreitigkeit nur dann eröffnet, wenn zwischen den Organen bzw. Organteilen nicht lediglich sachlich-politische Meinungsverschiedenheiten bestehen, sondern wenn ein hinreichend konkreter Streit um die Anwendung eines Rechtssatzes vorliegt. Keine Rolle spielt für § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, ob dieser Rechtssatz objektiv- oder subjektivrechtlicher Natur ist. Gleichfalls irrelevant ist, ob er gerade die Beziehungen der sich streitenden Organe und Organteile betrifft. Da die Notwendigkeit eines subjektiven Rechtsschutzbezuges erst unter § 42 Abs. 2 VwGO als Sachentscheidungsvoraussetzung relevant wird 39 , die Rechtswegklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO hingegen weder bloß objektivrechtliche Rechtsstreitigkeiten noch Streitigkeiten um Rechte Dritter ausschließt, genügte es für dessen Zwecke sogar, wenn sich zwei Organe oder Organteile darüber streiten, ob das eine berechtigt war, eine bestimmte Entscheidung oder Maßnahme einem Dritten gegenüber zu treffen, sei es einem anderen Organ oder gar einem Bürger im Außenverhältnis gegenüber. Eine Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO würde also beispielsweise dann vorliegen, wenn der Gemeinderat die Rechtmäßigkeit eines vom Bürgermeister an einen Bürger adressierten Verwaltungsaktes bestreitet nur wächst freilich dem Gemeinderat daraus nicht etwa auch die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO zu 40 . Während die Sachentscheidungsvoraussetzung der Rechtsstreitigkeit somit anders als die der Klagebefugnis keine größeren Schwierigkeiten bereitet, wenn sich zwei Organe um die Rechtmäßigkeit eines Aktes im Außenverhältnis zu ei37 38 39 40

Vgl. VG Würzburg, BayVBl. 1999, 282, 283 f. S. oben A.I.3.C.CC. S. unten C.IV. S. unten E.II.l.b.

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

161

nem Bürger streiten - insofern gelten die allgemeinen, oben skizzierten Grundsätze - , wirft das Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit bemerkenswerterweise gerade dann erhebliche grundsätzliche Probleme auf, wenn Organe um spezifisch in ihrem Verhältnis greifende Entscheidungen und Maßnahmen streiten. Diese überraschende Wendung beruht auf den Zweifeln, welche der rechtlichen Einordnung der das Verhältnis von Organen und Organteilen einer Organisation festlegenden Kompetenzordnung anhaften. Es wurde dargelegt, daß jeder Organpluralismus eine Kompetenzordnung erforderlich macht, durch die die jeweiligen Zuständigkeiten und verfahrensmäßigen Befugnisse der verschiedenen Organe in möglichst genauer Weise festgelegt werden 41, und daß dementsprechend Streitigkeiten um die Einhaltung und Beachtung dieser Kompetenzordnung den Hauptanwendungsfall verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten ausmachen. Die Frage der Organstreitigkeiten als Rechtsstreitigkeit läuft dementsprechend im Kern darauf zu, wann Kompetenzstreitigkeiten als Rechtsstreitigkeiten anzusehen sind. Hier sind nun zwei Problemfelder zu unterscheiden, je nachdem welche Rechtsnatur die betreffende Kompetenzordnung und korrespondierend dann auch die darum geführte Streitigkeit besitzt. Es wurde bereits gesagt, daß die Kompetenzen von Organen und Organteilen (Entscheidungszuständigkeiten und Verfahrensbefugnisse im Organisationsablauf) sowohl durch Rechtssatz (Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung) als auch durch hierarchische Weisung (in praxi vor allem durch Organisationsverwaltungsverordnung, aber auch durch individuelle Organisationsverfügung) festgelegt werden können42. Es fragt sich nun, welche Konsequenzen diese in ihrer Natur ganz unterschiedlichen Weisen der Konstituierung einer Kompetenzordnung für die Möglichkeit einer Entstehung von Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO haben, ob es also einen Unterschied macht, ob sich eine Organstreitigkeit an einer (vermeinten) Verletzung rechtssatzmäßig oder an einer Verletzung bloß weisungsmäßig bestimmter Kompetenzen entzündet, und worin dieser etwaige Unterschied dogmatisch begründet liegt. Worin liegt also beispielsweise der Unterschied, wenn der Gesetzgeber die Kompetenzen von Gemeinderat und Bürgermeister gegeneinander abgrenzt und diese sich über die Einhaltung ihrer gesetzlichen Kompetenzen streiten, oder wenn der Bürgermeister kraft seiner Organisationsgewalt im Weisungswege Dezernate und Ämter in der Gemeindeverwaltung einrichtet und sich verschiedene Dezernats- und Amtsleiter um ihre jeweiligen Kompetenzen streiten? Auf den ersten Blick scheint der Unterschied klar zutage zu liegen. Ist die Kompetenzordnung rechtssatzmäßig festgelegt, so ist ein Streit um die Beachtung bzw. Verletzung derselben ein Streit um die konkrete Anwendung eines Rechtssatzes, und damit scheint das Vorliegen einer Rechtsstreitigkeit im Sinne 41 42

S. oben A.I.3.b. S. oben A.I.2.C.

13 Roth

162

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO unzweifelhaft zu sein. Umgekehrt mag man bezweifeln, ob ein Streit um bloß weisungsmäßig festgelegte Kompetenzen eine Rechtsstreitigkeit darstellen kann, da nun einmal der Streit um die Anwendung einer bloßen Verwaltungsverordnung - wenn man diese mit der ganz herrschenden Meinung 43 nicht als Gesetz versteht - keinen Streit um die Anwendung eines Rechtssatzes darstellt. Indessen sind nun beide Punkte in dogmatischer Hinsicht sehr viel problematischer als es zunächst den Anschein hat. Die Annahme, die organisationsinterne Kompetenzordnung könne durch Rechtssätze festgelegt werden und Streitigkeiten darum seien deshalb notwendig Rechtsstreitigkeiten, erscheint nur dann als unproblematisch, wenn die Diskussion um die Impermeabilitätstheorie ausge44 blendet wird ; bezieht man diese dagegen in die Betrachtung ein, so erweist sich die Möglichkeit rechtssatzmäßiger Rechtsbeziehungen im Innenbereich juristischer Personen des öffentlichen Rechts als weniger selbstverständlich. Dies rechtfertigt es, die Impermeabilitätsproblematik näher zu thematisieren (nachfolgend II.). Und umgekehrt ist zwar richtig, daß Verwaltungsverordnungen nach herrschender Meinung keine Rechtssätze sind. Aber erstens ist dies nicht unbestritten, und zweitens ist doch immerhin zu bemerken, daß Verwaltungsverordnungen fur die Untergebenen rechtlich verbindlich und nicht anders zu befolgen sind wie Rechtssätze, und daß deshalb jeder Verstoß gegen eine weisungsmäßige Kompetenzordnung durchaus rechtswidrig ist. Von daher ist es eben keineswegs evident, daß Streitigkeiten um solcherart festgelegte Kompetenzen keine Rechtsstreitigkeiten sein könnten. Es fällt zwar ins Auge, daß sich in der forensischen Praxis kaum Streitigkeiten um bloß weisungsmäßig festgelegte Kompetenzen finden. Doch ob dies lediglich daran liegt, daß solche Konflikte immer rechtzeitig durch den weisungsbefugten gemeinsamen Behördenleiter entschieden werden und es aus diesem Grunde nicht zu einer Anrufung der Gerichte kommt, oder ob Rechtsstreitigkeiten um weisungsmäßige Kompetenzen schon aus grundsätzlichen Erwägungen ausscheiden, bedarf eingehender Betrachtung (unten III.), da man sich nicht mit dem einem praktischen Bedürfnis genügenden Ergebnis zufrieden geben kann, ohne dessen rechtsdogmatische Begründung zu kennen.

43

S. unten C.III.4.e. Darauf weisen auch Erichsen/Biermann, Löwer, VerwArch 1977, 327 f. mit Recht hin. 44

Jura 1997, 158; Krebs, Jura 1981, 572;

I. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges

163

2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art Die soeben angedeutete Problematik der Organstreitigkeiten als Rechtsstreitigkeiten könnte offen gelassen werden, wenn der Verwaltungsrechtsweg schon aus anderen Gründen verschlossen wäre, nämlich wenn es sich bei diesen Streitigkeiten um keine öffentlich-rechtlichen handelte oder wenn sie verfassungsrechtlicher Art 4 5 wären. Beides ist jedoch nicht der Fall. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten sind als Streitigkeiten definiert worden, bei denen sich Organe oder Organteile von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts um die ihnen in ihrem Verhältnis zueinander zukommenden Kompetenzen streiten. Da diese Kompetenzordnung, sofern sie überhaupt in rechtlicher Weise festgelegt ist (vorbehaltlich also der Impermeabilitätsproblematik und der Problematik dienstlicher Weisungen), auf Rechtssätzen des öffentlichen Rechts beruhen muß, muß ein darum geführter Streit notwendig eine öffentlichrechtliche Streitigkeit sein 4 6 , 4 7 . Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten sind nach allgemeiner Ansicht nichtverfassungsrechtlicher Art 4 8 . Es ist zwar schon seit jeher umstritten, wie verfassungsrechtliche von nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten abzugrenzen sind, insbesondere49 ob auf die Natur der am Streit beteiligten Organe, die 45

Bei § 193 VwGO handelt es sich zwar um verfassungsrechtliche Organstreitigkeiten (s. oben B.I.l.a), doch stellt diese Vorschrift eine Sonderzuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit dar. Vgl. Bethge, Die Verwaltung 1975, 469; ders., HKWP II, S. 184 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 112 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 9 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 121; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 5; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 83 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 105 f. 47 Als öffentlich-rechtlich ist nach h.M. auch der Streit eines Gemeinderatsmitglieds um die Mitgliedschaft in einer Gemeinderatsfraktion anzusehen, VGH Kassel, NVwZ 1992, 506; OVG Lüneburg, NVwZ 1994, 506; OVG Münster, NJW 1989, 1105; NVwZ 1993, 399; Aulehner, JA 1989, 479 ff.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §21 Rn. 7; Kopp/Schenke, VwGO, §40 Rn. 30c; Lange, JuS 1994, 297; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 66a; Schmidt-Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 116 ff.; Ziekow, NWVB1. 1998, 298 f.; a.A. VGH München, NJW 1988, 3754 ff.; NVwZ 1989, 494; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 277 f. 48 Vgl. BVerfGE 8, 122, 130; BVerwGE 3, 30, 33; BVerwG, NVwZ 1985, 112, 113; OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 228; VGH München, VGH n.F. 21, 74, 75 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 113 f.; Erichsen/Bier mann, Jura 1997, 158; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 37 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 39 f., 88, 121; Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 14 ff.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 85 ff; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 124; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 106 f. 49 Die früher oft vertretene formelle Theorie, wonach es darauf ankomme, ob die Streitigkeit ausdrücklich einem Verfassungsgericht zugewiesen werde (z.B. Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 170 f.), wird heute allgemein abgelehnt, vgl.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Natur der streitbefangenen Rechte und Pflichten oder eine Kombination dieser Merkmale abzustellen ist 50 . Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung: weder sind die Organe der öffentlich-rechtlichen Körperschaften (außer dem hier nicht betrachteten Staat), Anstalten und Stiftungen Verfassungsorgane, noch ist die sie betreffende Kompetenzordnung als solches verfassungsrechtlicher Natur, so daß folglich keine der vertretenen Ansichten zur Bejahung einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit gelangt. Hieran ändert auch die gängige und insofern in der Tat möglicherweise mißverständliche Bezeichnung von Organstreitigkeiten im Bereich der Gemeinden als „Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten" bzw. die entsprechenden Titulierungen „Hochschulverfassungsorganstreit", „Rundfunkverfassungsorganstreit" nichts 51 . Diese Terminologie ist zwar in Anlehnung an die Verfassungsorganstreitigkeiten entstanden, bezieht sich aber nur darauf, daß sich der Streit um die in der „Verfassung" der Gemeinden52, Hochschulen, Rundfunkanstalten etc. (nämlich den einschlägigen Gesetzen, Satzungen und Geschäftsordnungen) festgelegte Kompetenzordnung dreht 53 , nimmt aber nicht Bezug auf den staatsrechtlichen Verfassungsrechtsbegriff, der für § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO alleine relevant ist. Gleichwohl ist, schon um falsche Assoziationen zu vermeiden, der auch in dieser Arbeit verwendete Ausdruck „verwaltungsrechtliche Organstreitigkeit" vorzugswürdig 54. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges für derartige Streitigkeiten kann hiernach nicht am Tatbestandsmerkmal der ö^H///cA-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art scheitern, sofern nur überhaupt eine rechtliche Streitigkeit vorliegt. Damit erweist sich die Befassung mit der Impermeabilitätstheorie und der Problematik dienstlicher Weisungen einschließlich der Verwaltungsverordnungen als unumgänglich.

BVerwGE 24, 272, 279; Bethge, Jura 1998, 531; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 40 (Lfg. 1996) Rn. 146; Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 31; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 126. 50 Vgl. zu dieser Diskussion etwa BVerwG, DÖV 1999, 1045; OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35; OVG Lüneburg, OVGE 2, 157, 163 f.; Bethge, Jura 1998, 532 ff.; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 137 ff.; Eyermann/RennerU VwGO, §40 Rn. 18 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, §40 Rn. 31 ff.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 127 ff.; sowie bereits Anschütz, WRV, Art. 19 Anm. 3 ff; Friesenhahn, HdbDStR II, S. 534 ff. 51 Bonk, Organstreitigkeiten, S. 38; Krebs, Jura 1981, 570 f.; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 121 f.; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 669; Ziekow, NWVB1. 1998, 299. 52 In diesem Sinne schon PrOVGE 19, 111, 115: „korporative Verfassung". 53 Vgl. Barth, Subjektive Rechte, S. 13; Bethge, Die Verwaltung 1975, 466 f.; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 17 ff; Klinger, VwGO, § 40 Anm. Β I 2, S. 137; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 30 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 39 f., 50. 54 Bethge, Die Verwaltung 1975, 467; Krebs, Jura 1981, 570 f.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie Im Ausgangspunkt der Betrachtung steht die Überlegung, daß Kompetenzen insoweit rechtlicher Natur sein müssen, als sie durch Rechtssätze festgelegt werden, und daß Streitigkeiten um derart rechtssatzmäßig festgelegte Kompetenzen folglich Rechtsstreitigkeiten sein müssen, es sei denn, nach dem Gedanken einer Impermeabilitätstheorie wäre eine rechtssatzmäßige Kompetenzfestlegung im Innenbereich juristischer Personen des öffentlichen Rechts überhaupt ausgeschlossen.

1. Die Bedeutung der Impermeabilitätstheorie a) Der Inhalt der Impermeabilitätstheorie für Organstreitigkeiten

und ihre Bedeutung

Die Impermeabilitätstheorie, als deren Begründer oder Protagonisten gemeinhin Georg Jellinek und Paul Laband genannt werden 1, hat nach allgemeinem Verständnis die These zum Inhalt, „daß das Recht wesentlich die Regelung der äußeren Beziehungen von impermeablen Rechtssubjekten ist, so daß die Regelung interner Beziehungen jedenfalls keine rechtssatzmäßige sein kann" 2 ; 1 So etwa von Bauer/Krause, JuS 1996, 411 Fn. 6; U. Bauer, Organklagen, S. 29 f. Fn. 15; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 42; Bethge, HKWP II, S. 178 Fn. 19; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 70 f. Fn. 21, 22; Böckenförde, Gesetz, S. 234; Böckenförde/Gr awert, AöR 95 (1970), 6 f.; Friauf Der Staat 1970, 228; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 157 f.; Kingreen, DVB1. 1995, 1338; Kisker, Insichprozeß, S. 10 Fn. 5; Krebs, Jura 1981, 572; Krüger, in FS Smend, S. 213 f. Fn. 8; Löwer, VerwArch 1977, 327 f.; Lorenz, AöR 93 (1968), 314; Kupp, Grundfragen, S. 19; Schenke, Beamtenrecht, S. 110; Schnapp, Amtsrecht, S. 66; ders., VerwArch 1987, 441; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 17 Fn. 1. 2 So die prägnante und repräsentative Formulierung von Krüger, in FS Smend, S. 216; femer ü. Bauer, Organklagen, S. 30; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 39 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 71; Böckenförde, Gesetz, S. 234 ff.; Böckenförde/ Grawert, AöR 95 (1970), 6 f.; Groß, Kollegialprinzip, S. 14; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 21 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 157 ff.; Hufen, Fehler, Rn. 49; Kingreen, DVB1. 1995, 1338; Kisker, Insichprozeß, S. 10; Krebs, Jura 1981, 572; ders., in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 26; Leuze, ZBR 1998, 188; Lorenz, AöR 93 (1968), 313 f.; Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 5; Rupp, Grundfragen, S. 19 f.; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 79.

166

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

der RechtssatzbegrifF der Rechtslehre im Konstitutionalismus sei also mit anderen Worten definitionsgemäß auf das Außenrechtsverhältnis zwischen Bürger und Staat begrenzt und deshalb unfähig gewesen, Beziehungen im Staatsinneren als rechtliche zu erfassen 3. Die Konsequenzen, die eine solche Sichtweise für die Thematik der Organstreitigkeiten haben müßte, liegen auf der Hand: Die Beziehungen zwischen Organen derselben juristischen Person sind fraglos interner Natur, Beziehungen zwischen Organteilen eines Organs sogar solche organinterner Art. Wäre nun die Regelung solcher interner Beziehungen wie namentlich der jeweiligen Kompetenzen der verschiedenen Organe oder Organteile in ihrem Verhältnis zueinander keine rechtssatzmäßige, so könnte ein faktisch nichtsdestoweniger möglicher Streit um solche Kompetenzen kein Rechtsstreit sein4. Damit fehlte es aber an einer Grundvoraussetzung für die Anrufung von Gerichten. Bei Anerkennung einer derartigen Impermeabilitätstheorie schieden mithin Organstreitigkeiten schon definitionsgemäß als tauglicher Gegenstand gerichtlicher Entscheidung aus, weil es danach an jedwedem rechtlichen Maßstab für einen gerichtlichen Ausspruch über interne Organstreitigkeiten fehlte und diese sich als allein auf politischem Wege auszutragende Konflikte darstellten. Zwar ist es zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nicht erforderlich, daß tatsächlich eine das Begehren des Klägers tragende und vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgende Anspruchsgrundlage besteht. Vielmehr genügt es, wenn eine solche auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers in Betracht kommt und nicht offensichtlich ausscheidet5. Dennoch führte eine etwaige Impermeabilität von Organisationen für das Recht selbst bei Anlegung dieses großzügigen Maßstabes notwendig zur Verneinung des Rechtswegs, weil dann eben nicht einmal die Möglichkeit des Bestehens eines solchen Innenrechtssatzes bestünde6. Nach der Impermeabilitätstheorie fehlte es stets an einer Sachentscheidungsvoraussetzung, weil schon nach dem Vortrag des Klägers oder Antragstellers ersichtlich wäre, daß es ihm nicht um die Entscheidung von 3 Vgl. Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 22; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 161 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 20. 4 Zu dieser Konsequenz Bethge, HKWP II, S. 178; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 71 ; Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 15; Krebs, Jura 1981, 572. 5 Eyermann/Fröhler, VwGO, § 40 Rn. 1; Eyermann/Rennert 9 VwGO, § 40 Rn. 34; Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 6; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 40 Rn. 1. An diesem Resultat würde sich übrigens nichts ändern, wenn man die Impermeabilitätsproblematik nicht bei der Voraussetzung der Rechtsstreitigkeit, sondern erst bei der Prüfung der Klagebefugnis thematisierte. Auch solchenfalls wäre nämlich - und zwar noch vor der Prüfung des subjektiven Charakters des Rechtssatzes, dessen Verletzung behauptet wird - zu untersuchen, ob überhaupt die Verletzung von Recht geltend gemacht wird, und diese Frage wäre nach der Impermeabilitätstheorie notwendig zu verneinen, so daß sich durch eine solche systematische Verlagerung der Prüfung keine inhaltlichen Unterschiede ergäben.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

167

Rechtsfragen ginge, sondern um Fragen, die nicht nach rechtlichen Maßstäben zu beurteilen wären und deshalb auch nicht der Beurteilung durch Gerichte unterlägen.

b) Unhaltbarkeit der Impermeabilitätstheorie Daß eine Impermeabilitätsvorstellung, nach der innerhalb von juristischen Personen oder sonstigen Organisationen keine rechtsförmigen Beziehungen bestehen könnten, diese also für das Recht undurchdringliche, impermeable Subjekte wären, weder seinerzeit überzeugte noch gar unter den Gegebenheiten der heutigen Rechtsordnung richtig sein könnte, wurde schon so oft nachgewiesen7, daß sich diese Arbeit insofern im wesentlichen auf die Feststellung beschränken kann, daß die Impermeabilitätstheorie heute ausnahmslos abgelehnt wird 8 . Eine solche Vorstellung würde in absurder Weise das Bild natürlicher Personen, die als Individuen im wahrsten Sinne des Wortes unteilbar und deshalb auch keinen inneren Rechtsbeziehungen zugänglich sind, auf juristische Personen und nicht rechtsfähige Organisationen übertragen. Gewiß mögen die generell oder partiell rechtsfähigen Organisationen, wenn sie als Rechtssubjekte im Rechtsverkehr auftreten, aus Sicht der anderen Rechtssubjekte eine Einheit darstellen und in diesem Sinne eine individuelle Identität besitzen. Aus Sicht der betroffenen Organisation dagegen, wenn man den Blick nach innen wendet, erweist sich, daß sie keineswegs ein „Individuum" im Sinne einer Unteilbarkeitsvorstellung darstellt. Zwar mag man sich juristische Personen denken, die tatsächlich und rechtlich nur einen einzigen Menschen als Träger haben, der zugleich als einziger Organwalter des einzigen Organs derselben fungiert. Die Regel ist dies aber keineswegs, und namentlich bei Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts findet sich eine solche Konstruktion überhaupt nicht. In diesem Bereich haben alle Organisationen mehrere Organe und Organteile 9, die jeweils durch die bestellten Organ waiter handeln, und es kann schon von daher

7

Vgl. etwa Böckenförde, Gesetz, S. 283 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 20 ff. Vgl. Bachof in FS Laforet, S. 297 f.; U. Bauer, Organklagen, S. 30 f.; Bethge, DVB1. 1980, 311, 825; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 72 f.; Erichsen, in FS Menger, S. 214; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 158; Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 16; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 22; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 132, 161 ff.; Kingreen, DVB1. 1995, 1338; Leuze, ZBR 1998, 188; Lorenz, AöR 93 (1968), 314; Lüders, Ratsausschüsse, S. 72 ff.; Neyses, Rundfimkverfassungsstreitverfahren, S. 40 ff.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 96; ders., in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 198; Schnapp, Amtsrecht, S. 67; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 24 Rn. 21. 9 S. oben A.I.3.a. 8

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

keine Rede von einer begrifflichen oder gedanklichen Unteilbarkeit derartiger Organisationen sein10. Aus diesem Grund war übrigens die Sichtweise Anschütz ' ganz abwegig, „daß die 'Fiktion', welche nur eine Mehrheit von Menschen nach gewissen Richtungen hin und unter gewissen Gesichtspunkten als eine Einheit erscheinen läßt, keine größere ist, als diejenige, vermittelst deren wir den einzelnen Menschen, überhaupt jeden beliebigen Gegenstand als etwa Ganzes, als eine Einheit auffassen, anstatt in ihm das, was er im Grunde 'wirklich' ist, zu sehen, einen Komplex von Zellen, schließlich einen Haufen von Molekülen" 11 . Man mag bereits darüber streiten, ob es tatsächlich angemessen ist, den Menschen bloß als eine aus einem „Haufen von Molekülen" bestehende, gedanklich oder rechtlich fingierte Einheit zu verstehen. Gewiß erhält alles seine rechtliche Existenz erst durch die Rechtsordnung, und in diesem Sinne könnte man auch von einer „Fiktion" natürlicher Personen sprechen 12. Gleichwohl erweckt dieser Begriff einen falschen Eindruck. Denn von einer rechtlichen Fiktion kann man sinnvoll nur dort sprechen, wo die Rechtsordnung einen Umstand fingiert, der sonst so nicht bestünde. Eine Fiktion setzt stets die zumindest gedankliche Möglichkeit voraus, daß die Rechtsordnung den fraglichen Punkt ebensogut anders behandeln könnte. Das aber ist beim Menschen nicht der Fall. Gewiß hat die Rechtsordnung einigen Spielraum, wie sie die /tec/ztestellung des Menschen ausgestalten will, aber daß der einzelne Mensch und nicht seine Zellen die kleinstmögliche Einheit eines Akteurs in der Rechtsordnung darstellt, ist eine jeder Rechtsordnung vorgegebene Grundtatsache. Jedenfalls ist es unvertretbar, so zu tun, als stünde die gedankliche Operation, die mehrere Menschen zu einer Organisation zusammenfaßt, auf derselben Stufe, wie diejenige, die einen bestimmten abgegrenzten „Komplex von Zellen" als einen Menschen begreift. Hier wird in einem schwer verständlichen Verstoß gegen Anschütz' eigene berechtigte Mahnung, die „Persönlichkeit als Rechtsbegriff' sei „etwas von der physiologischen, sozialen, ethischen 'Person' Abweichendes; Analogieschlüsse von einem dieser Begriffe auf den ersteren können daher zu unrichtigen Resultaten führen" 13 , ein Beziehungsverhältnis konstruiert - daß sich nämlich die Organisation zu ihren Organen und Mitgliedern verhalte wie der Mensch zu seinen Zellen und Molekülen - , das unter biologischen wie rechtlichen Gesichtspunkten völlig fehlgeht. Natürlich ist „die 'Wirklichkeit der Dinge' ... für die teleologische Betrachtungsweise etwas Anderes als für die mechanische"14. Aber gerade unter juri10 11 12 13 14

Vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 297; Fuß, WissR 1972, 107. Anschütz, Kritische Studien, S. 74 (Hervorhebung im Original). S. unten E.II.4.b.bb. Anschütz, Kritische Studien, S. 73. Anschütz, Kritische Studien, S. 74.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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stisch wertenden Gesichtspunkten ist es von vornherein ausgeschlossen, die mehreren Menschen, die in ihrer Gesamtheit eine Organisation ausmachen, rechtlich auf dieselbe Stufe wie einen „Haufen von Molekülen" zu stellen, und aus dem Umstand, daß es zwischen Molekülen und innerhalb eines Molekülhaufens keine Rechtsbeziehungen geben kann, folgern zu wollen, auch zwischen Organen und Organwaltern innerhalb einer Organisation könne es keine rechtlichen Beziehungen geben. Den einzelnen Menschen kann man, auch wenn man seine biologische Zusammensetzung aus Körperzellen zur Kenntnis nimmt, juristisch nicht sinnvoll zerteilen; der einzelne Mensch ist die juristisch nicht weiter aufspaltbare kleinste Einheit, die als Rechtssubjekt überhaupt in Betracht kommt. Anders bei der Organisation. Mag diese auch aus guten Gründen in rechtlicher Sicht als Personeneinheit fingiert werden, tatsächlich bleibt sie doch allemal eine Personen- und Organmehrheit, die nur „mit der Abgrenzung und mit der Zusammensetzung 'einer Mehrheit von Willensträgern', als seinen Organen, Behörden oder Beamten" bestehen kann 15 . Aus diesem Grunde können Organisationen anders als einzelne Menschen sehr wohl sinnvoll nach ihren „Bestandteilen", etwa nach ihren Mitgliedern und Organen rechtlich untergliedert werden, und deshalb sind Rechtsverhältnisse innerhalb der Personenmehrheit einer Organisation denkbar 16. Da jede Organisation wenigstens ein Organ und dieses zumindest einen Organwalter haben muß 17 , bestehen mindestens drei Relationen innerhalb jeder Organisation: Organisation - Organ, Organ - Organwalter, Organisation - Organwalter 18. Da die meisten Organisationen über mehrere Organe, diese über Organteile, sowie über mehrere Organwalter verfugen, kommen sogar regelmäßig sehr viel mehr Relationen in Betracht, insbesondere auch Organ-OrganRelationen19. Damit ist zwar noch nicht gesagt, welche dieser Beziehungen rechtlich geregelt sind, und in welcher Weise. Da aber kein Grund ersichtlich ist, weshalb die Rechtsordnung nicht in der Lage sein sollte, die Beziehungen zwischen nicht identischen Einheiten rechtlich zu regeln, kann sie auch einzelne oder sämtliche denkbaren internen Relationen in rechtsförmiger Weise normieren 20 . Als positivrechtlicher Beleg für die dogmatische Unhaltbarkeit etwaiger Impermeabilitätsvorstellungen genügt der Hinweis auf die bereits näher dargestell-

15

Haenel, Das Gesetz, S. 231 f.; femer Bernatzik, AöR 5 (1890), 277: „psychische Vielheit von Einzelwillen". 16 Vgl. Haenel, Das Gesetz, S. 233; ferner v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 154, 613; ders., Das Wesen, S. 15, 28 f., 31 f.; sowie Bachof, in FS Laforet, S. 297 f. 17 S. oben A.I.2.a. 18 Achterberg, AllgVerwR, § 13 Rn. 14, § 20 Rn. 52 ff. 19 Achterberg, AllgVerwR, § 13 Rn. 14. 20 Vgl. Achterberg, AllgVerwR, § 13 Rn. 13 f., § 20 Rn. 52 ff.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

ten spezifischen gesetzlichen Vorschriften über verfassungsrechtliche Organstreitigkeiten, welche zugleich Motor und Vorbild bei der Entwicklung verwaltungsrechtlicher Organstreitverfahren 21 waren. Denn alle diese Vorschriften setzen offenkundig voraus, daß die fraglichen Verfassungsorganstreitigkeiten rechtlicher Natur sind, da der Gesetzgeber sonst gewiß keine Gerichte - das BVerfG im Falle des Art. 93 Abs. 1 Nrn. 1 und 4, 3. Alt. GG 2 2 , das OVG im Falle des § 193 VwGO 2 3 - zu deren Entscheidung berufen hätte. Und zwar sind hiernach nicht nur die Beziehungen zwischen verschiedenen Verfassungsorganen rechtlicher Natur. Selbst innerhalb einzelner Organe kann es offenbar Rechtsbeziehungen geben, nachdem gemäß den einschlägigen Vorschriften unter Umständen sogar bloße Teile von Verfassungsorganen Organstreitigkeiten gerichtlich austragen können24. Diese ausdrücklichen Bestimmungen über Verfassungsorganstreitigkeiten beweisen, daß der Gesetzgeber keiner Vorstellung eines impermeablen Staates anhängt, und es ist nicht ersichtlich, wieso dies in bezug auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten anders sein sollte. Deshalb gibt es keinen Grund, weshalb interne Streitigkeiten um rechtssatzmäßig festgelegte Kompetenzen keine Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO darstellen sollten 25 .

c) Die fortwirkende Bedeutung der Diskussion um die Impermeabilitätstheorie Wenn nachfolgend trotz der Unhaltbarkeit der Impermeabilitätstheorie jene Lehren näher zu betrachten sind, die gemeinhin als Ausdruck eines Impermeabilitätsverständnisses genannt werden, so hat dies vor allem drei Gründe. Erstens verdient die als Impermeabilitätstheorie titulierte Lehre schon von ihrer dogmengeschichtlichen Bedeutung her Beachtung. In der Tat finden sich bei den gewöhnlich als Begründer der Impermeabilitätstheorie genannten Autoren, Georg Jellinek und Paul Laband, Äußerungen, die in die Richtung einer solchen Theorie zu weisen scheinen26. Entgegen dem möglicherweise bestehenden Eindruck haben sie dabei keineswegs Mindermeinungen begründet oder verfochten. Vielmehr waren ihre Ansichten durchaus richtungweisend bzw. repräsentativ für den überwiegenden Teil der konstitutionellen Verfassungs- und Verwaltungsrechtslehre, so daß hier mit gleicher Berechtigung noch weitere 21

Vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 15. S. hierzu oben B.II. 1. und 2. 23 S. hierzu oben B.I.l.a. 24 S. oben B.II.l.b. 25 Vgl. BVerfGE 2, 143, 155; Erichsen, in FS Menger, S. 220; Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 16; Herbert, DÖV 1994, 110; Schoch, JuS 1987, 785; Tsatsos, Organstreit, S. 40 ff. 26 S. näher unten C.II.3.C. 22

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

171

Autoren zu nennen wären, namentlich etwa Eduard Hubrich und Heinrich Rosin, mit gewissen Einschränkungen auch Gerhard Anschütz, die sämtlich ähnliche Lehren vertreten haben. Selbstverständlich bestanden nicht wenige Differenzen in Detailfragen. Im Ausgangspunkt war man sich aber überwiegend einig, daß vom Rechtssatzbegriff her rein interne Regelungen innerhalb des Körpers der Verwaltung keine rechtssatzmäßigen sein könnten27. Bei genauerer Betrachtung erweist sich zwar die Deutung dieser Lehre als Impermeabilitätstheorie als zweifelhaft, und im Interesse rechtshistorischer Wahrheit ist es schon per se angebracht, bestehende Mißverständnisse aufzuklären. Daß dies nicht ohne nähere Darstellung der seinerzeit vertretenen Ansichten möglich ist, versteht sich, dürfte aber schon deswegen kein Nachteil sein, weil die diesbezügliche Diskussion ohnehin daran krankt, daß viel zu oft lediglich isolierte oder gar - wie Bachof (soweit ersichtlich ohne Widerhall) schon 1952 mit eher zurückhaltenden Worten monierte - „gekürzte und daher nicht unmißverständliche" 28 Zitate als „Beleg" für die angebliche Impermeabilitätstheorie herhalten müssen. In der Tat gewinnt manches derartige Zitat „ein anderes Aussehen, wenn man die im Zusammenhang der zitierten Stelle folgenden Ausführungen hinzunimmt" 29 , so daß ein grundsätzliches Umdenken in bezug auf die Beurteilung der seinerzeitigen Lehre angezeigt sein dürfte. Freilich geht es hierbei nicht allein um eine rechtsgeschichtliche Betrachtung um ihrer selbst willen. Unter der Prämisse, daß die frühere Lehre und Rechtsprechung mitsamt der Gesetzgebung auf dem Boden eines Impermeabilitätsdogmas standen und somit die Beziehungen des Staates zu seinen Organen und Organwaltern „prinzipiell dem Recht entzogen" blieben 30 , mußte natürlich die Anerkennung von subjektiven Organrechten und Organstreitigkeiten als geradezu revolutionäre Neuerung erscheinen, der jedenfalls in Abwesenheit ausdrücklicher gesetzlicher Regelung eher restriktiv zu begegnen war 31 . Insofern hat allein die Vorstellung einer vormals anerkannten Impermeabilitätstheorie überaus

27

Vgl. etwa Anschütz, Kritische Studien, S. 74 ff.; Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 74; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 240 ff.; Laband, Staatsrecht II, S. 180 ff.; Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 29; aus der Rechtsprechung vgl. RGSt 22, 45, 48; RGZ 48, 84, 85; anders aber und weitergehend v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 182; Haenel, Das Gesetz, S. 231 ff. 28 Bachof in FS Laforet, S. 298 f. 29 Treffend Bachof in FS Laforet, S. 299 Fn. 44 gegen Krüger, in FS Smend, S. 215. 30 Schnapp, Amtsrecht, S. 67. 31 Deutlich etwa Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 68 f.: „Vorgänge innerhalb eines Rechssubjektes" seien zwar „für die Rechtsordnung normalerweise nicht faßbar", doch da die Gemeinde nun einmal „eine Verfassung braucht, die gerade das Innenverhältnis regelt", müsse die Rechtsordnung eben „ausnahmsweise bis zu jenen internen Vorgängen" hineinreichen; femer Püttner, Organstreitverfahren, S. 132 f.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

tiefgreifende Nachwirkungen gehabt32 - Bethge spricht gar von einem „Impermeabilitätstrauma" 33 - , nämlich nicht nur große Unsicherheiten hinsichtlich der Anwendbarkeit der verwaltungsprozessualen Vorschriften auf Organstreitigkeiten verursacht und dadurch eine umfangreiche Kontroverse provoziert, sondern in durchaus ergebnisrelevanter Weise Argumentationslasten verteilt und eine tendenziell restriktive Handhabung von Organstreitigkeiten impliziert, ja gar zur Formulierung eines „Grundsatzes" gefuhrt, „daß Organe im Zweifel keine subjektiven Rechte haben"34. Nachdem also die gesamte nachfolgende Entwicklung der Organstreitigkeiten unter dem Eindruck der als Impermeabilitätstheorie (miß)verstandenen Lehre erfolgte, dürfte deren Klarstellung zweitens die heutige Diskussion von unnötigem Ballast befreien, insbesondere die Gesetzesauslegung und -anwendung des Zwanges entledigen, Organstreitigkeiten immer als „historisch gesehen" besonders begründungsbedürftigen Sonderfall rechtfertigen und verteidigen zu müssen. Drittens kommt dieser Lehre auch - oder vielmehr gerade - ohne die Behauptung einer rechtlichen Impermeabilität juristischer Personen einige Bedeutung für das Thema der Organstreitigkeiten zu, indem sie zu einer Klärung der internen Beziehungen zwischen Organen beiträgt und deshalb auch in vorliegendem Zusammenhang fruchtbar zu machen ist. Denn die Diskussion in der konstitutionellen Staatsrechtslehre drehte sich um nichts anderes als den Rechtssatzbegriff, und dessen Bestimmung ist von entscheidender Bedeutung für die im Kontext dieser Arbeit ohnehin erforderliche richtige Qualifizierung von Organisationsverwaltungsverordnungen. Schließlich ist ja die korrekte Abgrenzung der Verwaltungsverordnungen als Regelungen, „die für eine abstrakte Vielheit von Sachverhalten des Verwaltungsgeschehens verbindliche Aussagen treffen, ohne auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet zu sein" 35 , von den eben eine solche Außenwirkung entfaltenden Rechtssätzen, und darunter namentlich den Rechtsverordnungen, heute nicht weniger bedeutsam als damals. Von daher verspricht die kritische Betrachtung der seinerzeitigen Diskussion auch heute noch unmittelbaren Gewinn.

32 Zu diesen Nachwirkungen krit. Bethge, DVB1. 1980, 310 f.; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 147; Lerche, in FS Knöpfle, S. 174 f.; Rinken, in AK GG, Art. 93 Rn. 18; Schnapp, Amtsrecht, S. 66 f. 33 Bethge, DVB1. 1980,311. 34 Kisker, JuS 1975, 710; ebenso Krebs, VerwArch 1977, 193 Fn. 31: „in der Regel" keine subjektiven Rechte von Organen. 35 BVerfG, GewArch 1999, 290, 291; vgl. Lerche, in Maunz/Dürig, GG, Art. 84 (24. Lfg. 1985) Rn. 96.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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2. Verfassungsorganstreitigkeiten und rechtliche Permeabilität des Staates unter Bismarcks Reichsverfassung Die genannten Einwände gegen die Impermeabilitätstheorie 36 liegen eigentlich so sehr auf der Hand, daß man ein gewisses Gefühl der Verwunderung nicht zu unterdrücken vermag, daß Größen wie namentlich Georg Jellinek und Paul Laband eine derartige These vertreten haben sollen, und man mag auch bei aller diesen Autoren zugestandener monarchischer Gesinnung nicht recht glauben, daß sie sich in einer solchen Weise offensichtlichen Einwänden gegenüber verschlossen und blind gestellt haben sollen, allein um Kaiser und König einen von parlamentarischer Mitbestimmung freien, weil für materielles Gesetz undurchdringlichen Raum zu verschaffen 37. Die \eriass\mgspolitischen Implikationen einer solchen verfassungsrechtlichen Konstruktion lagen allerdings auf der Hand und waren auch seinerzeit den Autoren sehr wohl bewußt38. Ob ihre Lehre aber deshalb schon als „Kunstgriff' zu verdächtigen ist, „der dazu diente, bestimmte verfassungsrechtliche Situationen und politische Auffassungen juristisch-konstruktiv darzustellen und zu legitimieren" 39 , läßt sich ohne eine genaue Analyse dessen, was sie wirklich gesagt haben, nicht entscheiden. Es ist ein allgemeines Merkmal aller Rechtswissenschaft und darunter sicher nicht zuletzt der Staats- und Verfassungsrechtslehre, daß ihre Aussagen zum Teil erhebliche politisch bedeutsame Folgen nach sich ziehen können; deswegen ist es aber keineswegs legitim, einem Autor ohne weiteres zu unterstellen, er habe seine Theorien vornehmlich aus politischen Gründen vertreten, statt ihm zuzubilligen, daß er sie - bei aller Kenntnis der politischen Implikationen - aus wissenschaftlicher Überlegung und Überzeugung gebildet haben kann 40 . Die Verwunderung steigert sich noch, wenn man bedenkt, daß schon zu jener Zeit sehr wohl positivrechtliche Bestimmungen über Verfassungsorganstreitigkeiten sowohl auf Reichs- als auch auf Landesebene bekannt waren 41, und deshalb bereits damals eine Impermeabilitätstheorie dogmatisch unvertretbar gewesen wäre. Hinzuweisen ist hier zunächst auf Art. 76 Abs. 1 RVerf.: „Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofern dieselben nicht privatrechtli-

36

S. oben C.II.l.b. In diese Richtung eine oft geäußerte Kritik, vgl. etwa Rupp, Grundfragen, S. 29; Schnapp, Amtsrecht, S. 67 ff., 72 ff. 38 S. nachfolgend C.II.3.a. 39 Schnapp, Amtsrecht, S. 67; in diese Richtung auch Böckenförde, Gesetz, S. 331 f. 40 Es ist daher nicht akzeptabel, wenn Rupp, Grundfragen, S. 29 Fn. 46 (ihm folgend Lüders, Ratsausschüsse, S. 73 Fn. 6) alleine den Umstand, daß Laband und Jellinek die Konsequenzen ihrer Lehren klar erkannten, als „Beweis" (!) für ein „politisches Motiv der Impermeabilitätslehre" und ihrer „politischen Zielrichtung" betrachtet. 41 Zu den seinerzeit bestehenden Möglichkeiten der Austragung verwaltungsrechiYicher Organstreitigkeiten eingehend unten E.II.5.b.aa. 37

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

eher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehörden zu entscheiden sind, werden auf Anrufen eines Theils von dem Bundesrathe erledigt". Dank der weiten Formulierung dieser Bestimmung wurde dem Bundesrat ein beträchtliches Ermessen über die Art der herbeizuführenden Erledigung zuerkannt, ihm natürlich insbesondere der Versuch gütlicher Streitbeilegung zugestanden. Im Hinblick auf die Entstehung der Vorschrift 42 und angesichts ihres Vorbildes in Art. 11 Abs. 4 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815, wonach eine richterliche Streitbeilegung zwischen den Bundesstaaten ausdrücklich vorgesehen war 43 , war jedoch allgemeine Ansicht, daß diese Erledigung vor allem im Wege eines Richterspruchs durch ein vom Bundesrat zu bestimmendes Gericht erfolgen konnte44. Auch Laband betonte, daß „das äußerste und definitive Mittel der Erledigung ein Richterspruch, der zwangsweise vollstreckt werden kann", gewesen sei 45 . Da nun ein Richterspruch nur über Rechtsstreitigkeiten in Betracht kam und kommt 46 , Schloß dies aus, das Deutsche Reich als rechtlich impermeable Person zu betrachten. Allerdings ist es nicht zwingend, in den möglichen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Einzelstaaten des Deutschen Reiches einen Beleg gegen dessen Impermeabilität zu sehen. Denn obgleich das Deutsche Reich eine juristische Person war 47 , kam ihm doch als Bundesstaat48 insofern eine im Vergleich zu ande42 Vgl. die Darlegung des Bundeskommissars v. Savigny in der allgemeinen Diskussion des Artikels im Constituierenden Norddeutschen Reichstag: „Unter dem Worte 'erledigt' ist nur im Allgemeinen angedeutet worden, daß der Bundesrath seinerseits bestrebt sein wird, ... diejenigen Rechtswege selbst zu bezeichnen, auf denen die Sache zum Austrag kommen kann. Vorzugsweise ist dabei auch der Fall einer Verweisung auf Austrägalinstanz vorausgesehen. Das verstehen wir unter dem Worte 'erledigt'" (zitiert nach v. Holtzendorff/Bezold, Materialien, Band II, S. 584). 43 Art. 11 Abs. 4 der Bundesakte lautete: „Die Bundes-Glieder machen sich ebenfalls verbindlich, einander unter keinerley Vorwand zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bey der Bundesversammlung anzubringen. Dieser liegt alsdann ob, die Vermittlung durch einen Ausschuß zu versuchen; falls dieser Versuch fehlschlagen sollte, und demnach eine richterliche Entscheidung nothwendig würde, solche durch eine wohlgeordnete Austrägal Instanz zu bewirken, deren Ausspruch die streitenden Theile sich sofort zu unterwerfen haben" (zitiert nach E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 1, S. 84 ff.; gleichfalls in Näf, Die deutsche Bundesakte, S. 37 f.); vgl. hierzu etwa v. Rönne, Staats-Recht I, S. 217 f. 44 A. Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 6; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 415; Laband, Staatsrecht I, S. 269; v. Rönne, Staats-Recht I, S. 218 f.; Schulze, Staatsrecht II, S. 60 f.; Seydel, Verfassungs-Urkunde, S. 254 f.; Zorn, Staatsrecht I, S. 159. 45 Laband, Staatsrecht I, S. 269. 46 S. oben C.I.l.d. 47 Laband, Staatsrecht I, S. 94 ff.; Zorn, Staatsrecht I, S. 46. 48 Vgl. hierzu A. Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, S. 59; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 296 ff.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 185 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 224 f.; v. Mohl, Das deutsche

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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ren juristischen Personen besondere Struktur zu, als es sich eben aus den Einzelstaaten als Mitgliedern konstituierte 49 (vgl. Art. 1 und 6 RVerf.), diese aber „nicht bloße Bestandteile des Reichs" waren, „sondern eine eigene staatsrechtliche Persönlichkeit" besaßen50, wenn ihnen nicht sogar (richtigerweise) eine freilich beschränkte staatliche Souveränität zuzuerkennen war 51 . Jedenfalls war hiernach das Verhältnis der Einzelstaaten zueinander ein durchaus anderes als das sonst zwischen bloßen Teilen juristischer Personen anzutreffende, und infolgedessen wäre es logisch denkbar gewesen, eine Impermeabilitätstheorie zu vertreten und gleichzeitig Rechtsstreitigkeiten innerhalb des Reiches zwischen den Einzelstaaten anzuerkennen. Die nach Art. 76 Abs. 1 RVerf. offenkundig gegebene rechtliche Permeabilität des Deutschen Reiches hätte somit vielleicht noch die These erlaubt, nicht föderal strukturierte juristische Personen fur impermeabel zu halten. Als eindeutige verfassungsrechtliche Widerlegung jeder Impermeabilitätsvorstellung mußte aber auf jeden Fall Art. 76 Abs. 2 RVerf. angesehen werden: „Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf Anrufen eines Theiles der Bundesrath gütlich abzugleichen oder, wenn das nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen". Hinsichtlich der Art und Weise, in der solche Landesverfassungsstreitigkeiten - dazu zählten insbesondere Organstreitigkeiten zwischen der Regierung und der Volksvertretung 52 sowie zwischen zwei Kammern des Parlamentes53 - im Falle des Scheiterns von Vergleichsbemühungen zu erledigen waren, kam dem Bundesrat ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Vorstellbar war, den Streit ohne richterliche Entscheidung beispielsweise durch Reichsgesetzgebung zu beenden54. Namhafte Autoren sahen die Art der Erledigung primär darin, daß Reichsstaatsrecht, S. 33 ff; Laband,, Staatsrecht I, S. 56 ff., 88 ff.; v. Rönne, StaatsRecht I, S. 37 ff.; Zorn, Staatsrecht I, S. 54 ff. 49 A. Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, S. 57; Laband, Staatsrecht I, S. 97. 50 Laband, Staatsrecht I, S. 107 f.; femer Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 187; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 226 f.; Rosin, HirthsA 1883, 273 ff. 51 Vgl. A. Arndt, Staatsrecht, S. 40 f.; ders., Verfassung des Deutschen Reichs, S. 55 f.; v. Gerber, Deutsches Staatsrecht, S. 26 Fn. 7; v. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 77; v. Rönne, Staats-Recht I, S. 68; a.A. Laband, Staatsrecht I, S. 101; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 187; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 227; Rosin, HirthsA 1883, 270 f. 52 A. Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 7; v. Gerber, Deutsches Staatsrecht, S. 199; Laband, Staatsrecht I, S. 271; v. Rönne, Staats-Recht I, S. 220; v. Seydel, Verfassungs-Urkunde, S. 255. 53 v. Gerber, Deutsches Staatsrecht, S. 200 f. 54 Vgl. hierzu Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 418 f.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 246 f.; Laband, Staatsrecht, S. 272 f.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Bundesrat und Reichstag zusammen im Wege formeller Gesetzgebung eine „materiell die Bedeutung eines Richterspruchs" habende Entscheidung träfen 55, also selbst einen Richterspruch in Form eines Gesetzes fällen konnten56. Vor allem aber war bei Art. 76 Abs. 2 RVerf. die Möglichkeit ins Auge gefaßt, durch Reichsgesetz das Reichs- oder ein anderes Obergericht mit der Entscheidung der Verfassungsstreitigkeit nach richterlichen Grundsätzen gemäß dem betreffenden Landesrecht zu beauftragen 57. Dies ergab sich aus dem kontextualen Zusammenhang der beiden Absätze des Art. 76 RVerf. und ihrer parallelen Formulierung („erledigt" respektive „zur Erledigung bringen"), aufgrund welcher sich eine abweichende Auslegung beider Bestimmungen verbot. Wenn aber zu Art. 76 Abs. 1 RVerf. entsprechend dem bereits erwähnten Vorbild der „Austrägalinstanz" des Art. 11 Abs. 4 der Deutschen Bundesakte allgemein die Möglichkeit anerkannt war, ein Gericht mit der Streitentscheidung zu betrauen, so mußte dies ebenfalls für Art. 76 Abs. 2 RVerf. gelten. In diesem Sinne wurde denn auch beispielsweise mit Gesetz vom 14. März 188158 verfahren, durch welches dem Reichsgericht die Entscheidung von Streitfragen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft der freien und Hansestadt Hamburg zugewiesen wurde. Dieses komplizierte Verfahren mit der Zwischenschaltung der politischen Gesetzgebungsinstanzen Bundesrat und Reichstag lag nicht etwa in der Ansicht begründet, daß es sich bei solchen Verfassungsorganstreitigkeiten nicht um justifiable Rechtsstreitigkeiten handelte. Vielmehr lag dem gerade umgekehrt die Sorge zugrunde, daß man bei „Fragen, die sich auf politischem Gebiete bewegen sollen, ... einem Staate wie Preußen ebenso wenig wie seinen Mitverbündeten anempfehlen [könnte], sich a priori dem Urtheil eines Collegiums zu unterwerfen, das wenn es auch aus noch so namhaften und bedeutenden Elementen zusammengesetzt sein sollte jedenfalls denn doch vorzugsweise bloß nach rein juristischen Grundsätzen und nach Maßgabe rein juristischer Gesichtspunkte entscheiden würde" 59 . Die Regelung bezweckte demzufolge die Vorschaltung einer politischen Kontrollinstanz, um Streitigkeiten von womöglich großer Bri55

Laband, Staatsrecht I, S. 272. Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 50; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 418; v. Gerber, Deutsches Staatsrecht, S. 200 Fn. 4; Schulze, Staatsrecht II, S. 62 f.; Seydel, Verfassungs-Urkunde, S. 255 f.; Zorn, Staatsrecht I, S. 159 f.; krit. Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 130 f. 57 A. Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 6, 10; ders., Staatsrecht, S. 112 f.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, S. 571 f.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 713; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 936 f.; v. Rönne, Staats-Recht I, S. 218 f.; Triepel, Die Reichsaufsicht, S. 131. 58 RGBl. 1881 S. 37. 59 Bundeskommissar v. Savigny in der allgemeinen Diskussion des Art. 76 im Constituierenden Norddeutschen Reichstag (zitiert nach v. Holtzendorff/Bezold, Materialien, Band II, S. 585). 56

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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sanz nach Möglichkeit auf politischem Wege bereinigen zu können, anstatt sie ohne weiteres einem Richterspruch zu unterwerfen; daß eine Zuweisung der Streitigkeit an ein Gericht damit ausgeschlossen sein sollte, folgte daraus gerade nicht, sondern im Gegenteil war dieser Weg als eine Option bewußt ins Auge gefaßt und die Justitiabilität der betreffenden Streitigkeit explizit vorausgesetzt worden. Entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, daß Gerichte nur über echte Rechtsstreitigkeiten entscheiden, war denn auch allgemein anerkannt, daß es sich bei den von Art. 76 Abs. 2 RVerf. genannten Verfassungsorganstreitigkeiten um Rechtsstreitigkeiten handelte60: „Ein Verfassungsstreit, wenn sich seiner die politische Leidenschaft auch noch so sehr bemächtigt, bleibt doch streng genommen eine Frage des positiven inneren Landesstaatsrechtes und somit eine juristische, die nur nach festen Rechtsgrundsätzen, nicht nach wechselnder politischer Konvenienz entschieden werden soll" 61 . In der Tat sah Laband dies genauso: „Daraus, daß die Form der Gesetzgebung vorgeschrieben ist, folgt keineswegs, daß die Entscheidung nicht materiell die Bedeutung eines Richterspruches habe. Es muß im Gegenteil als ein ideelles Postulat eines solchen Gesetzes aufgestellt werden, daß es das bestehende Recht deklariert. Denn es handelt sich um 'Erledigung von Verfassungsstreitigkeiten', d.h. von Rechtsstreitigkeiten, und die Organe des Reiches treten nur dann in Funktion, wenn nicht verfassungsmäßig eine Behörde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, sie haben also offenbar eine Aufgabe, wie sie einer solchen Behörde obliegt, d.h. eine richterliche" 62 . Nach dieser Stellungnahme kann Laband nicht die sämtlichen Einzelstaaten als rechtlich „impermeabel" betrachtet haben, weil sich solchenfalls die Annahme verfassungsrecAi//cAer Beziehungen zwischen Landesverfassungsorganen verboten hätte, und damit weder Art. 76 Abs. 2 RVerf. noch die in mehreren Einzelstaaten bestehende Einrichtung eigener Staatsgerichtshöfe zur Erledigung von Verfassungsorganstreitigkeiten bzw. die dort teilweise vorgesehene Übertragung der Entscheidung solcher Streitigkeiten an sonstige Obergerichte 63 zu erklären gewesen wäre.

60 Anschütz, Kritische Studien, S. 50 f.; A. Arndt, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 7; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 418; v. Gerber, Deutsches Staatsrecht, S. 199 f.; Haenel, Deutsches Staatsrecht, S. 567; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 712 Fn. 8; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 934 Fn. 11; v. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 76; v. Rönne, StaatsRecht I, S. 222. 61 Schulze, Staatsrecht II, S. 62 (Hervorhebung im Original). 62 Laband, Staatsrecht I, S. 272 (Hervorhebung im Original). 63 Vgl. hierzu Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 417 f.; Schulze, Staatsrecht I, S. 505; ders., Staatsrecht II, S. 62.

14 Roth

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

3. Der Begriff des Rechtssatzes in der konstitutionellen Staatsrechtslehre a) Formelles und materielles Gesetz: Die verfassungsrechtliche des Rechtssatzbegriffes im Konstitutionalismus

Bedeutung

Die Untersuchungen, die den Eindruck einer Impermeabilitätstheorie entstehen ließen und namentlich Georg Jellinek und Paul Laband die Zuschreibung der Urheberschaft derselben eintrugen, lassen sich in ihrer Bedeutung und Tragweite nur vor dem Hintergrund der seinerzeitigen Verfassungslage richtig einordnen. Art. 5 Abs. 1 RVerf. bestimmte: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend". Die Reichsgesetzgebung setzte damit zwingend die Zustimmung des Reichstags als die unmittelbar demokratisch legitimierte Volksvertretung (vgl. Art. 20 Abs. 1 RVerf.) voraus, und eben diese „Betheiligung des Volkes in seiner Vertretung an der staatlichen Gesetzgebung" wurde als das „charakteristische Merkmal des 4 Verfassungsstaates' " angesehen, in welchem erst „der Rechtsstaat zur vollkommenen Realität gelangen" konnte 64 . Im Gegensatz hierzu konnte gemäß Art. 7 Abs. 1 Nr. 2 RVerf. der aus den „Vertretern der Mitglieder des Bundes" bestehende Bundesrat „über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes bestimmt" war, ohne Beteiligung des Reichstags beschließen. Im wesentlichen gleiche Regelungen bestanden nach den Verfassungen der Einzelstaaten, wonach an der Gesetzgebung die Volksvertretungen beteiligt waren, während die ausführenden Verwaltungsvorschriften durch die Fürsten und ihre Regierungen erlassen werden konnten65. Unterschiede bestanden allerdings 64

Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 3. Falsch liegt Schnapp, Amtsrecht, S. 68 f., wenn er unter Bezug auf die die Volkssouveränität deklarierenden Verfassungen der USA (1787), Frankreichs (1791) und Belgiens ( 1831 ) und der Vorbildfunktion letzterer beispielsweise für die preußische Verfassung von 1850 und hierüber mittelbar für die Reichsverfassung von 1871 behauptet, das demokratische Prinzip der grundsätzlichen Zuständigkeit des Parlaments für alle wichtigen Angelegenheiten, soweit nicht besondere Vorbehalte zugunsten der Exekutive bestanden, „hätte an sich auch für die deutschen Länder gelten müssen", welche „Tatsache" dann jedoch „durch die konstitutionelle Lehre überspielt" worden sei, indem sie „der preußischen Verfassung das monarchische Prinzip nicht entnahm, sondern schlicht imputierte", und so die eigentliche Verfassungslage verdrehend zu einer prinzipiellen Prärogative der Krone kam, die allein durch ausdrückliche Vorbehalte zugunsten des Parlaments limitiert war. - Dieser Vorwurf übersieht, daß die genannten ausländischen Verfassungen sämtlich revolutionären Ursprungs waren, die die Souveränität in der Tat beim siegreichen Volk verankerten und seiner Vertretung hierzu stimmig den obersten 65

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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insoweit, als die älteren Verfassungen in den Einzelstaaten die Zustimmung der Volksvertretung zumeist nur fur jene materiellen Gesetze vorsahen, die in Freiheit oder Eigentum der Bürger eingriffen - so daß es hiernach noch materielle Gesetze ohne formellgesetzliche Grundlage geben konnte - , während die neue-

Rang zuwiesen, wohingegen die deutschen Verfassungen des konstitutionellen Zeitalters gerade keine revolutionären Verfassungen waren: Erst die WRV entstand als Folge einer Revolution (Anschütz, WRV, Einleitung, S. 1 ff.) und erst sie verankerte denn auch konsequenterweise in ihrem Art. 1 die Volkssouveränität, nachdem ja die Paulskirchen-Verfassung gerade daran gescheitert war, daß der als Kaiser vorgesehene preußische König die Kaiserwürde nicht aus den Händen des Volkes empfangen wollte, wie es § 68 der Paulskirchen-Verfassung vom 28. März 1849 (RGBl. 1849, 16. Stück, Frankfurt a.M., 28. April 1849: „Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen") impliziert hätte. Die Ablehnung eines solches Vorschlages hatte der preußische König, Friedrich Wilhelm IV., schon im Dezember 1848 in einer an Deutlichkeit nicht zu überbietenden drastischen Weise zum Ausdruck gebracht: Eine Krone, die eine „in die revolutionäre Saat geschossene Versammlung macht", sei keine, die er annehmen könne, sie „verunehrt überschwenglich mit ihrem Ludergeruch der Revolution von 1848, der albernsten, dümmsten, schlechtesten, wenn auch gottlob nicht der bösesten diese Jahrhunderts", einen solchen „imaginären Reif, aus Dreck und Lettern gebacken" (!) könne „ein legitimer König von Gottes Gnaden" sich nicht geben lassen (zitiert in E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 1, S. 402 f.). Die Präambel beispielsweise der PrVerfUrk vom 31. Januar 1850 (PrGS 1850 S. 17) dagegen sprach ausdrücklich vom Gottesgnadentum des Königs, und Anschütz meinte dazu völlig zutreffend: „Im Lichte dieser Entstehungsgeschichte erscheint die Beibehaltung der altherkömmlichen Formel 'von Gottes Gnaden' vor allem als eine Verwahrung des Gesetzgebers gegen den Grundsatz der Volkssouveränität. In der preußischen wie in jeder anderen deutschen Landesverfassung soll 'von Gottes Gnaden' heißen: 'nicht von Volkes Gnaden', - eine vorwiegend negative Bedeutung, der es indessen an rechtlichem und praktisch-politischem Inhalt keineswegs fehlt und deren ergänzendes Seitenstück jene andere Negative bildet: die NichtÜbernahme des Satzes 'tous les pouvoirs émanent de la nation' aus der sonst vorbildlichen belgischen Verfassung in die preußische" (Anschütz, PrVerfUrk, S. 64). In Preußen wie in jeder anderen deutschen Monarchie lag nach dieser Vorstellung die Souveränität beim Landesheim CAnschütz, PrVerfUrk, S. 64; A. Arndt, RVerf., S. 57; Laband, Staatsrecht I, S. 97). Deshalb schlossen auch die regierenden Fürsten den Bund, der den Namen Deutsches Reich führen sollte (Präambel der RVerf.), so daß die Souveränität des Reiches von der Gesamtheit der Regierungen abgeleitet wurde, nicht vom Kaiser, aber eben auch nicht vom Volk (vgl. A. Arndt, RVerf., S. 57; Laband, Staatsrecht I, S. 96 ff.; Reincke, RVerf., Art. 11 Anm. I b; v. Rönne, Staats-Recht I, S. 67; Zorn, Staatsrecht I, S. 61 ff.). Hiernach kann keine Rede davon sein, daß die Verfassungslage im Konstitutionalismus „eigentlich" die Volkssouveränität impliziert hätte und dies bloß durch monarchisch gesinnte Rechtslehrer überspielt wurde. Entgegen Schnapp war daher die Fürstensouveränität im Konstitutionalismus keine Erfindung der Lehre, sondern bis 1918/19 geltendes Verfassungsrecht (davon gehen auch Böckenförde/Grawert, AöR 95 [1970], 8 aus). Wieso es dann auch noch ein „Fehler" der konstitutionellen Lehre gewesen sein soll, „die verfassungsrechtliche (sie!) Lage durch zusätzliche Begriffskonstruktionen abzusichern" (Schnapp, Amtsrecht, S. 77), ist nicht nachvollziehbar.

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ren Verfassungen ähnlich wie in der Reichsverfassung die Beteiligung der Volksvertretung bei allen Gesetzen vorschrieben 66. Die Bemühungen um eine begriffliche Abgrenzung von Gesetz und Verwaltungsverordnung 67 waren also keineswegs von lediglich dogmatischem und wissenschaftlichem Interesse, sondern hatten zugleich zentrale Bedeutung für die Abgrenzung der Kompetenzen von Volksvertretung und monarchischer Regierung. Zusätzliche und für die Bürger unmittelbar praktische Relevanz gewann diese Unterscheidung noch dadurch, daß Verwaltungsvorschriften als „Internum des Beamtenapparates" verstanden wurden, „welche die Beamten nicht in eine Rechtsbeziehung zu dem versetzen, was dem geschlossenen Behördenapparat gegenüber als Außenwelt erscheint" 68: „Danach dürfen die vom Bundesrate beschlossenen Ausführungsverordnungen - ohne im Gesetze gegebene anderweite Ermächtigung - Rechtsvorschriften überhaupt nicht aufstellen; sie dienen vielmehr als Verwaltungsverordnung nur dazu, die im Gesetze beim Eintritte gewisser Vorkommnisse vorgesehenen Handlungen zu gebieten, einzuschränken oder zu verbieten, die Modalitäten, unter denen die Handlungen zu vollziehen, zu bezeichnen, die Thätigkeit sowie das Verhalten der Behörden bei der weiteren Ausführung des die Stütze der Verordnung bildenden Gesetzes zu regeln, nicht aber dazu, eine Rechtsordnung bezw. Rechtssätze zu normieren" 69. Das hatte einerseits für den Bürger den Nachteil, daß er sich zur Begründung von Ansprüchen gegen den Staat nicht auf bloße Verwaltungsverordnungen (Instruktionen, Reglements, Dienstvorschriften) berufen konnte. Deren unrichtige Anwendung stellte keine Rechts-, sondern nur eine Amtspflichtverìetzung dar 70 , und konnte daher allenfalls eine Aufsichtsbeschwerde rechtfertigen, im übrigen aber weder Klage noch sonstige formliche Rechtsmittel begründen 71, 66 Schulze, Staatsrecht I, S. 528; vgl. auch A. Arndt, Staatsrecht, S. 199 f. - Vgl. im einzelnen etwa zu Baden: Glockner, Badisches Verfassungsrecht, § 65 Verfassung Anm. 1, 5, §66 Verfassung Anm. 2; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 209 f., 213 f.; Wielandt, Staatsrecht des Großherzogthums Baden, S. 164 ff.; - zu Bayern: v. Seydel/Piloty, Bayerisches Staatsrecht I, S. 320 f.; - zu Preußen: Bornhak, Preußisches Staatsrecht I, S. 514 ff., 532 ff; v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 353 f., 365 ff.; - zu Württemberg: Göz, Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 210 f., 216 f. 67 Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 55 ff., 70 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 226 ff., 252 ff.; Laband, Staatsrecht II, S. 180. 68 Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 68; desgleichen Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 30. 69 RGSt 22, 45, 48; ebenso RGZ 40, 68, 70; teilweise ablehnend Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 707 f. Fn. 13. 70 Anschütz, Kritische Studien, S. 78. 71 Vgl. RGSt 1, 125; 36, 321; 2, 195, 196; RGZ 22, 246, 254; Anschütz, Kritische Studien, S. 77 ff.; Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 56; Laband, Staatsrecht II, S. 69 f., 182; Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 30.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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allenfalls einen auf Geld lautenden Schadensersatzanspruch auslösen (§ 839 BGB). Andererseits hatte dies dafür umgekehrt den Vorteil, daß bloße Verwaltungsverordnungen keine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in die Rechte einzelner darstellten 72 und auch nicht geeignet waren, gesetzlich begründete Ansprüche auszuschließen73. Diese sowohl verfassungs- als auch einfachgesetzlich so bedeutsame Abgrenzung von Gesetz und Verwaltungsverordnung wurde nun auf einer nächsten gedanklichen Ebene mit Hilfe der Kategorien des Gesetzes im formellen und des Gesetzes im materiellen Sinne74 vorgenommen, welche Unterscheidung sich als notwendige Folge der Undurchführbarkeit einer strikten Gewaltenteilung ergab 75 , freilich nicht zuletzt deswegen wiederum ihrerseits nicht unumstritten war. Unter einem Gesetz im formellen Sinn wurde dabei unabhängig vom Inhalt alles verstanden, was in der Form eines Gesetzes und damit in dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren erging 76 , wohingegen das Gesetz im materiellen Sinn gerade in der Anordnung eines Rechtssatzes gesehen wurde 77 . „Die hervorragendste Bedeutung der Unterscheidung von formellem und materiellem Gesetz liegt aber darin, dass sie allein den Weg weist zu einer Lösung eines der schwierigsten Probleme des constitutionellen Staatsrechts, der Abgrenzung der Competenz der constitutionellen Gesetzgebung von der Verordnungs- und Verfügungsgewalt der Regierung" 78. Dies beruhte auf dem „leitenden Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts ..., daß das Staatsoberhaupt

72

Vgl. RGZ 11, 65, 71 f.; RGSt 22, 45, 47 f.; Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 30. RGZ 45, 162, 164 ff. 74 Vgl. zu dieser Diskussion Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 10 ff., 78 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 226 ff., 252 ff.; Laband, Staatsrecht II, S. 1 ff., 61 ff.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 499 ff.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 637 ff. 75 Anschütz, Kritische Studien, S. 2 f., 8. 76 RG, Seuffert 38 (1883), Nr. 187, S. 240; Anschütz, Kritische Studien, S. 3, 9; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 23 Iff.; Laband, Staatsrecht II, S. 63 f., 69 f.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 500, 503; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 638. 77 Anschütz, Kritische Studien, S. 1, 3; Göz, Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 211; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 240; Laband, Staatsrecht II, S. 2 ff., 73, 86 f.; Ο. Mayer, AöR 18 (1903), 97; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 639, 1044; v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 347; zustimmend RGSt 22, 45, 48. - Abweichend A. Arndt, Staatsrecht, S. 156 f.; ders., Verfassung des Deutschen Reichs, Anm. zu Art. 5, S. 120 f.; Bornhak, Preußisches Staatsrecht I, S. 518 f., die den Gesetzesbegriff auf das formelle Gesetz beschränkten. Hiergegen Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 2 ff., 21 ff. 78 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 254; desgleichen Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 647. 73

182

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

kein Gesetz ohne Zustimmung der Volksvertretung erlassen kann" 79 , nachdem „in allen constitutionellen Verfassungsurkunden der mehr oder minder scharf formulierte Grundsatz eingedrungen [war], dass Veränderungen des Rechtszustandes der Unterthanen nur kraft eines formellen Gesetzes stattfinden dürfen. ... Alle materielle staatliche Gesetzgebung fällt daher principiell der formellen Gesetzgebung anheim, indem entweder diese selbst das materielle Gesetz aufstellt oder durch materielles Gesetz das Recht anderer Organe zur Anordnung derselben deklarirt oder delegirt" 80 . „Zu dem materiellen Begriffe des Gesetzes" trat daher notwendig „noch ein formelles Erforderniß hinzu, so daß also im konstitutionellen Staate nur solche ... Rechtsregeln als Gesetze anzusehen, welche vom Staatsoberhaupte unter Zustimmung der Volksvertretung erlassen worden sind" 81 . Hingegen stritt in sämtlichen anderen Bereichen eine „Vermuthung ... für die Freiheit der Regierung bezüglich des Rechtes zur Vornahme von Verwaltungsakten", sofern nicht wiederum durch formelles Gesetz, insbesondere durch die Verfassung, der Volksvertretung ausdrücklich ein Recht auf Mitwirkung bei solchen Maßnahmen zugestanden war 82 . Konkrete Auswirkungen hatte diese auf den Rechtssatzbegriff bezogene Definition des materiellen Rechts zum einen dahin, daß auch rein formelle Gesetze begrifflich faßbar wurden 83 . Darunter verstand man jene Gesetze, die zwar unter Mitwirkung des Parlamentes im verfassungsmäßig vorgeschriebenen förmlichen Verfahren ergangen waren, jedoch keine materielle Anordnung eines Rechtssatzes enthielten. Diese kamen weder als Anspruchstitel des Bürgers noch als Eingriffstitel der Verwaltung in Betracht 84, sondern konnten sich wie etwa bei den Staatshaushaltsplänen und den Organisationsgesetzen in Anweisungen („Instruktionen") des Gesetzgebers an die Verwaltungsbehörden erschöpfen 85.

79

v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 347 f. (Hervorhebungen im

u. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 255; desgleichen Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 647, 655. 81 v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 348 (Hervorhebungen im Original). 8 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 256; ebenso Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechis, S. 655. 83 Vgl. hierzu Anschütz, Kritische Studien, S. 40 ff., 76 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 244 ff.; Laband, Staatsrecht II, S. 63, 69 f., 74 f.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 503 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 644, 646 f.; a.A. Haenel, Das Gesetz, S. 172 et passim. 84 Vgl. Laband, Staatsrecht II, S. 69 f. 85 Vgl. RGZ 48, 84, 85; RG, Seuffert 38 (1883), Nr. 187, S. 241; PrOVGE 99, 88, 89; 100, 155, 157; Anschütz, Kritische Studien, S. 38 f., 68; Laband, Staatsrecht II, S. 70.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

183

Nicht überzeugend war es dabei freilich, wenn auch die zahlreichen als „instruktionelle" 86 oder als bloße Ordnungsvorschriften verstandenen gesetzlichen Soll-Bestimmungen 87 als rein formelle Gesetze verstanden wurden 88. Allerdings konnte eine Verletzung derartiger Bestimmungen in aller Regel nicht gerichtlich geltend gemacht werden. Indessen lag dies doch lediglich daran, daß die Nichtbeachtung einer bloßen Ordnungsvorschrift „als Verletzung einer Rechtsnorm nicht angesehen werden kann"89. Der diesbezüglichen Rechtsprechung war daher nicht zu entnehmen, daß Soll-Vorschriften kein materielles Recht darstellten, sondern nur, daß ein Handeln entgegen einer solchen Vorschrift in aller Regel nicht rechtswidrig ist, keine Rechtsverletzung darstellt. Dies liegt darin begründet, daß bereits der materielle Inhalt eines ein „Sollen" aussprechenden Rechtssatzes ein nur beschränkter ist, indem er nämlich die Verhaltensanforderungen zurücknimmt90. Doch die Beschränktheit seines materiellen Gehaltes macht aus einem Gesetz noch kein bloß formelles 91, zumal bei einem groben Verstoß oder gar einer mißbräuchlichen oder sonst willkürlichen Nichtbefolgung derartiger Soll- und Ordnungsvorschriften eine gerichtliche Überprüfung nicht ausgeschlossen sein mußte. Soll- und Ordnungsvorschriften machen zwar keine absolut gültigen Verhaltensvorgaben, aber sie können doch, wenn jeder nachvollziehbare Grund für ihre Nichtbefolgung fehlt, als Indiz fur ein willkürliches Verhalten dienen, und insofern eben auch materielle Bedeutung gewinnen. V o r allem war m i t Hilfe der Kategorien des formellen und materiellen Gesetzes nunmehr die schwierige Unterscheidung von Rechts- und Verwaltungsverordnungen möglich. Rechtsverordnungen

wurden als „Gesetze i m materiellen

Sinne des Wortes, j u s scriptum, Rechtsnormen" verstanden 92 , und gerade durch die Statuierung von Rechtssätzen definiert: „ D i e Rechtsverordnung ist ein materielles Gesetz, das in der Form der Verordnung erscheint, jedoch dieselben Wirkungen äussert, wie irgend ein auf anderem Wege, sei es der formellen Gesetzgebung, sei es der Gewohnheit entstandener Rechtssatz" 93 . So wie aber überhaupt jede materielle Gesetzgebung ihre Basis in formellen Gesetzen haben mußte, galt dies auch für die Rechtsverordnung. Denn jede „verwaltende Persönlichkeit" durfte zwar „Verwaltungsverordnungen innerhalb der ihrer Competenz unterworfenen Sphäre ... aus eigenem Rechte erlassen", jedoch zum Erlaß von Rechtsverordnungen bedurfte sie einer „staatlichen Delegation" in Gestalt

86

RGZ 5, 364, 366; RGSt 6, 25, 27; vgl. Hubrich,, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 82 ff.; Laband, Staatsrecht II, S. 63, 69 f., 182. 87 RGSt 6, 25, 27; RGZ 55, 340, 343. 88 So etwa Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 82; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 244 f.; Laband, Staatsrecht II, S. 69 f.; ebenso Krüger, in FS Smend, S. 236. 89 RGSt 2, 378, 379; 6, 25, 27. 90 Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 83 Fn. 199: „Imperative anderen Charakters". 91 Nicht überzeugend daher Anschütz, Kritische Studien, S. 85 f., nach dem derartige Soll-Bestimmungen zwar dienstliche Weisungen und Befehle, nicht aber Rechtssätze darstellen sollten. 92 Laband, Staatsrecht II, S. 87; ferner Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 34. 93 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 385.

184

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

eines formellen Gesetzes94. Im Unterschied hierzu wurden Verwaltungsverordnungen als rein formelle Verordnungen verstanden, die zwar als Handlungsanweisungen und -maßstäbe für die untergebenen Beamten und Behörden gewiß Normen 95, aber eben keine Rechtsnormen 96, keine Rechtssätze enthielten97, also keine materiellen Gesetze waren, und folglich auch keiner formellgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurften. Die Scheidegrenze zwischen dem der Mitwirkungsbefugnis des Parlamentes unterliegenden und dem der Regierung vorbehaltenen Bereich, zwischen der materiellen Gesetzgebung einschließlich der Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen und dem freien Verwaltungsverordnungsrecht der Exekutive, wurde sonach durch den Begriff des Rechtssatzes gezogen, und entlang dieser Grenze definierte sich auch der gerichtliche Rechtsschutz. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund der Rechtssatzdiskussion und ihre verfassungspolitischen Implikationen in der konstitutionellen Monarchie dürfen nicht aus dem Auge verloren werden.

b) Der Rechtssatz als „soziale Schrankenziehung

tf

Nachdem alle Versuche, den Rechtssatzbegriff formal anhand von Kriterien wie beispielsweise der Allgemeinheit oder Abstraktheit der getroffenen Regelung zu definieren 98, als gescheitert anzusehen waren 99, weil es erstens eben auch Verwaltungsverordnungen abstrakt-generellen und gleichwohl nicht

94 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 386; femer Anschütz, Kritische Studien, S. 88; Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 24 ff., 58 f.; Laband, Staatsrecht II, S. 182 f.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 517, 541; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 672, 706 f.; v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 366; Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 32; Schulze, Staatsrecht I, S. 530; vgl. RGSt 12, 40, 44; 22, 45, 48; RGZ 40, 68, 70; 48, 84, 87; a.A. Zorn, Staatsrecht I, S. 130. 95 Zum Begriff der Norm unten D.III.2.b.aa. 96 Treffend Anschütz, Kritische Studien, S. 21. 97 Vgl. RGZ 34, 17, 24; PrOVGE 1, 173, 181; 86, 20, 21 f.; Anschütz, Kritische Studien, S. 56; Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 56; Laband, Staatsrecht II, S. 182 f.; Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 516; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 671; Schulze, Staatsrecht I, S. 529 f.; vgl. ferner v. Rönne, Staats-Recht II, S. 56; ders., Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 378 f.; a.A. Zorn, Staatsrecht I, S. 129. 98 So etwa Meyer, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 501; v. Rönne, StaatsRecht II, S. 55 f.; ders., Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 347; vgl. auch RG, Seuffert 39 (1884), Nr. 161, S. 232. 99 Vgl. hierzu Anschütz, Kritische Studien, S. 23 ff.; Haenel, Das Gesetz, S. 124 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 235 ff.; Laband, Staatsrecht II, S. 2 f., 180 f.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

185

rechtssatzmäßigen Inhalts gab 100 und weil zweitens Rechtssätze wenngleich nur ausnahmsweise bloße Individual- und Einzelfallregelungen treffen konnten 101 , und nachdem außerdem die Gleichsetzung von Rechtsnorm und Gebot fragwürdig erschien 102, da es rein formelle Gesetze gab, die zwar Gebote gegenüber den mit ihrer Ausführung betrauten Beamten enthielten, gleichwohl aber keine Gesetze im materiellen Sinn darstellten 103, auf die sich die Bürger hätten berufen können (z.B. der Staatshaushaltsplan)104, unternahmen es Jellinek und Laband,, den Rechtssatz von dem mit der Regelung verfolgten Zweck der Abgrenzung der Befugnisse und Pflichten der einzelnen Subjekte gegeneinander" 105 her zu definieren: „Hat ein Gesetz den nächsten Zweck, die Sphäre der freien Thätigkeit von Persönlichkeiten gegeneinander abzugrenzen, ist es der socialen Schrankenziehung wegen erlassen worden, so enthält es die Anordnung eines Rechtssatzes, ist daher auch ein Gesetz im materiellen Sinne, hat es jedoch irgend einen anderen Zweck, so ist es kein materielles, sondern nur ein formelles Gesetz" 106 . Der Rechtssatz zieht mit anderen Worten „dem freien Handeln der Staatsgenossen sowohl unter einander als auch dem Staate selbst gegenüber Schranken" 107. Kurz: „Alles Recht ist Beziehung von Rechtssubjekten"108. In diesem Ausgangspunkt befanden sie sich übrigens in Übereinstimmung sowohl mit den herrschenden rechtsphilosophischen Anschauungen über das Wesen des Rechts - nach Kant betraf der „Begriff des Rechts ... erstlich nur das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere, sofern ihre Handlungen als Facta aufeinander (unmittelbar oder mittelbar) Einfluß

100

Vgl. RGZ 22, 246, 254; 45, 162, 165. RG, Gruchot 30 (1886), 897, 898 f.; Anschütz, Kritische Studien, S. 25 f.; Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 60, 75 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 640; Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 8 f.; ferner v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 349 ff., der im Widerspruch zu seiner These, ein „eigentliches" Gesetz müsse stets eine allgemeine Norm enthalten, gleichwohl anerkennen mußte, daß durch lex specialis auch der Rechtszustand „eines bestimmten Individuums" geregelt werden kann. 102 RGSt 12,381,384. 103 Anschütz, Kritische Studien, S. 39. 104 S. vorstehend C.II.3.a. 105 Laband, Staatsrecht II, S. 181 (Hervorhebung im Original). 106 G. Jellinek,, Gesetz und Verordnung, S. 240; zustimmend Anschütz, Kritische Studien, S. 27 f., 33, 35 f.; zum „objektiven Merkmal" des Gesetzes als „sociale Schrankenziehung" desgleichen Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 1 Fn. 2; krit. Haenel, Das Gesetz, S. 255 ff. zum Kriterium des „nächsten Zweckes". 107 G. Jellinek,, Gesetz und Verordnung, S. 214 f.; ebenso Laband, Staatsrecht II, S. 73; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 655 ff.; Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 2 f. 108 G. Jellinek,, System, S. 10, 193; desgleichen Laband, Staatsrecht I, S. 84. 101

186

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

haben können" 109 , und Hegel definierte das Recht als „das Verhältnis der Menschen, insofern sie abstracte Personen sind" 110 - als auch mit der in der Rechtswissenschaft im übrigen herrschenden Vorstellung des Rechts als „die äußere Abgrenzung der Willensmacht der Persönlichkeiten" 111. Nach dieser Ansicht hing also das Vorliegen eines Rechtssatzes schon begrifflich von der Abgrenzung der Sphären der Handlungsfreiheit von Personen gegeneinander ab 112 , wohingegen ein „isoliert gedachter Rechtsträger" als eine „unvollziehbare Vorstellung" verworfen wurde 113 . Insoweit ergab sich hieraus zwangsläufig, daß Rechtssätze fraglos das Verhältnis zwischen juristischen Personen regeln können, nicht aber ohne weiteres innerhalb solcher: Das Recht „setzt seinem Wesen nach eine Mehrheit von Willensträgern voraus, die miteinander kollidieren können; die Rechtsordnung ist eine Macht über den Einzelnen. Verhaltungsregeln, die ein einzelner sich selbst gibt, können niemals Rechtsvorschriften sein; niemand kann gegen sich selbst einen Rechtsanspruch oder eine Rechtspflicht haben oder gegen sich selbst eine Rechtsverletzung verüben. Nur insoweit die Willenssphäre eines Subjekts durch Gebote, Verbote, Gewährungen gegen fremde Willenssphären abgegrenzt ist, und soweit ein Anspruch, eine Verpflichtung, ein Schutz gegen Eingriffe oder gegen Widerstand anderen gegenüber begründet ist, waltet die Rechtsordnung" 114.

109

Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, AB 32 = Akad.

S. 230. 110

Hegel, Philosophische Propädeutik, Philosophische Encyklopädie, § 182. Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 1, 29; ders., HirthsA 1883, 268; desgleichen Anschütz, Kritische Studien, S. 35 f.; Haenel, Das Gesetz, S. 207 f., 212; Hubrich, Gesetzes· und Verordnungsbegriff, S. 74; O. Mayer, AöR 18 (1903), 97; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 640. 112 Der verschiedentlich gegen Laband und Jellinek erhobene Vorwurf, ihr Rechtssatzbegriff habe in verkürzender, einseitiger Weise die Schrankenziehung, die Begrenzung betont und die weitere Funktion des Rechts übergangen, Zusammenwirken und Zusammenordnung der Rechtssubjekte zu regeln (Becker-Birck, Insichprozeß, S. 45; Böckenförde, Gesetz, S. 233 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 162 f.; ebenso schon Haenel, Das Gesetz, S. 207 f., 212), erscheint übrigens unberechtigt. Ihnen lag nichts femer als eine Vorstellung rechtlich unverbundener, isolierter Individuen, die durch das Recht quasi voneinander gesondert würden. Schon der von ihnen gewählte Begriff der „sozialen (!) Schrankenziehung" beweist, daß sie als selbstverständlich von der Zusammengehörigkeit innerhalb einer Gemeinschaft ausgingen und die Schrankenziehung als Ordnung, nicht etwa als Aufhebung dieser Sozietät verstanden wissen wollten. 113 G. Jellinek, System, S. 10. 114 Laband, Staatsrecht II, S. 181 (Hervorhebungen im Original). 111

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie c) Soziale Schrankenziehung

und

187

Impermeabilitätstheorie

V o n der Ausgangsdefinition des Rechtssatzes als Instrument sozialer Schrankenziehung her scheint sich nun in der Tat eine Impermeabilitätstheorie ableiten zu lassen. Insoweit nämlich der Staat „nicht als der Schöpfer der Rechtsordnung selbst, sondern als eine innerhalb derselben handelnde und waltende Persönlichkeit erscheint", ist er „trotz seiner Herrschermacht, die ihn befähigt, das Recht selbst zu gestalten, in seiner verwaltenden Tätigkeit unter die von ihm gesetzte Rechtsordnung gestellt" 1 1 5 , und folglich gilt die Rechtssatzdefinition auch in Ansehung des staatlichen Verwaltungsaufbaus: „Daher ist das Verhältnis des Staates zu seinen Organen als ein Verhältnis innerhalb des Staates an sich kein Rechtsverhältnis. N u r insofern die Beziehungen des Staates zu seinen Organen zugleich Beziehungen zu einer ausserhalb seiner Organisation stehenden Person ... in sich schliessen, erlangen diese Beziehungen den Charakter von rechtlichen, durch Rechtssätze zu beherrschenden" 116 , wohingegen „ein Vorgang, der streng innerhalb einer Persönlichkeit bleibt und an sich keine Wirkungen anderen gegenüber äussert, niemals ein nach Rechtsnormen zu beurteilender sein k a n n " 1 1 7 . „Aber nur da, wo die Willenssphäre des verwaltenden Staates (der Verwaltung) mit irgend einer anderen vom Recht anerkannten Willenssphäre in Kontakt kommt, wo ein wechselweiser Eingriff, eine Kollision, eine Ausgleichung möglich ist, kann für einen Rechtssatz Raum sein. Regeln dagegen, die sich innerhalb der Verwaltung selbst halten, die in keiner Richtung einem außerhalb derselben stehenden Subjekte Beschränkungen auferlegen oder Befugnisse einräumen, ihm nichts gewähren und nichts entziehen, ihm nichts gebieten und nichts verbieten, sind keine Rechtsvorschriften. Wenn die Verwaltung ihr eigenes Verhalten innerhalb des Bereiches ihrer freien Willensbestimmung regelt, so greift dies ebensowenig in die Sphäre des Rechtes ein, als wenn ein Privatmann Anordnungen über die Führung seines Haushalts, seiner Fabrik, seiner Landwirtschaft erteilt oder als wenn ein Aktienverein, eine Genossenschaft, eine Kommune Beschlüsse über ihre Angelegenheiten faßt. Es ist damit keineswegs gesagt, daß die Geschäftsordnung, welche die Verwaltung sich selbst gibt, für die Staatsangehörigen unerheblich oder gleichgültig sei; tatsächlich gereicht ihnen dieselbe zum Nutzen oder zum Schaden, und das Interesse, welches die einzelnen an den Einrichtungen der Verwaltung haben, kann möglicherweise ein sehr dringendes sein; aber deshalb braucht es nicht zum Recht gestaltet und als solches geschützt zu sein" 118 . „Wenn ein Gesetz die Aufnahme einer Staatsanleihe anordnet, den Verkauf von Staatsgütern genehmigt, die Errichtung einer Universität befiehlt ... usw., so ist schon der nächste Zweck solcher Gesetze keineswegs auf eine Änderung der bestehenden Rechtsordnung gerichtet, sondern auf ein Ziel, welches mit dem objektiven Rechte gar nichts zu thun hat, mit Wirkungen ökonomischer und ethischer Natur, die auf dem Boden des geltenden Rechts sich vollziehen, den Rechtsgeschäften des Privatrechts analog. 115 116 117 118

Laband, Staatsrecht II, S. 181 (Hervorhebung im Original). G. Jellinek, System, S. 194. G. Jellinek, System, S. 233; vgl. ders., Allgemeine Staatslehre, S. 370 Fn. 1. Laband, Staatsrecht II, S. 181 f. (Hervorhebungen im Original).

188

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Man kann auch nicht etwa behaupten, dass durch solche Gesetze neues objektives Recht für die mit dem Vollzug derselben beauftragten Regierungsorgane geschaffen wird. In dem Befehl dieser Gesetze macht der Staat nur Gebrauch von der ihm bereits zu Gebote stehenden Gehorsamspflicht seiner Organe, er setzt ihrer verwaltenden Thätigkeit einen Inhalt, nicht aber ihnen den Unterthanen oder seiner eigenen Persönlichkeit gegenüber eine Schranke, er erlässt durch diese Gesetze an sie nicht einen Rechts-, sondern einen Verwaltungsbefehl" 119. „Andererseits kann die Errichtung von Registraturen und Schreibstuben, von technischen Instituten und Bureaus, die Geschäftsverteilung der staatlichen Betriebsanstalten usw. eine innere Angelegenheit der Verwaltung sein, welche ohne alle Rechtswirkung für dritte ist und eben deshalb die Rechtsordnung nicht berührt. Diese Organisationen, Geschäftsverteilungen, Veränderungen usw. gehören daher zu den staatlichen Handlungen, die sich innerhalb der allgemeinen Rechtsordnung vollziehen"120. In diesem Sinne also „können auch allgemeine in formellen Gesetzen enthaltene Vorschriften, die sich an die Unterthanen wenden, ausschließlich den Charakter von Verwaltungsvorschriften haben. ... In all diesen Fällen grenzt der Staat weder seine noch der Unterthanen Rechtssphären ab. Er schafft nicht objektives Recht, sondern setzt die Förmlichkeiten fest, unter denen seine Thätigkeit in Anspruch genommen werden kann oder die Modalitäten, unter denen eine ihm von Rechtswegen bereits gebührende Leistung zu vollziehen ist" 121 .

Mit besonderer Klarheit hat diesen Gedanken auch Rosin ausgesprochen: „Allein die ... Thatbestandsnormirung der Verwaltungsverordnung ist keine rechtliche: selbst da, wo sie sich auf das Verhältniß der Verwaltung zu den Einzelnen, auf Art und Maß der Verwendung staatlicher, durch Gesetz gewährter Machtmittel ihnen gegenüber bezieht, ist ihre Absicht und Aufgabe nicht die Abgrenzung der Rechtssphäre zweier Persönlichkeiten, der Gesammtpersönlichkeit des Staates in seiner verwaltenden Funktion und der Gliedpersönlichkeit des Einzelnen, sondern vielmehr nur eine Regelung der Verhältnisse innerhalb des freien Rechtskreises einer und derselben Persönlichkeit, eine Selbstbestimmung im Rahmen der durch das Gesetz abgesteckten Rechtssphäre der Staatsverwaltung. Inhalt der Verordnung in diesem Sinne ist daher wohl eine die unteren Stellen kraft ihrer Amtspflicht zur Nachachtung verpflichtende Verwaltungsvorschrift, aber keine Rechtsvorschrift, kein Rechtssatz"122. In demselben Sinn nahm auch Anschütz Stellung: „Das Recht ist seinem Wesen nach nie innerpersönlich, sondern setzt eine Mehrheit von Personen voraus, zwischen deren Willenssphären es seine Schranken zieht" 123 . Der Rechtssatzbegriff ist hiernach an die Unterscheidung des Innenbereichs des Verwaltungsaufbaus und des Außenbereichs des Verhältnisses der Verwal119

G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 240 f.; ebenso Laband, Staatsrecht II,

S. 182. 120 121 122 123

Laband, Staatsrecht II, S. 185. G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 244 f. Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 29 (Hervorhebung im Original). Anschütz, Kritische Studien, S. 74 f.

I Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

189

tung zu anderen Rechtssubjekten geknüpft 124 . Verfassungsrechtlich hatte dies unter den seinerzeitigen Gegebenheiten die notwendige Folge, daß die Regierung als Spitze der Verwaltung nicht nur im Wege interner Dienstanweisungen im Einzelfall, sondern eben auch mittels allgemeiner Verwaltungsverordnungen die verwaltungsinternen Vorgänge regeln konnte, ohne hierzu - wie es bei deren Qualifikation als Rechtsverordnung der Fall gewesen wäre - der Ermächtigung durch ein unter Beteiligung des Parlamentes erlassenes formelles Gesetz zu bedürfen.

4. Keine rechtliche Impermeabilität juristischer Personen Die herrschende Lehre im Konstitutionalismus beschränkte nach dem Vorstehenden zwar den Rechtssatzbegriff auf das Verhältnis zwischen Rechtssubjekten und nahm damit Regelungen, die sich allein im Innenbereich juristischer Personen bewegen, aus dem materiellen Rechtsbegriff (und damit von der hieran geknüpften Mitwirkungsbefugnis des Parlamentes) aus. Alleine hieraus ergibt sich indessen noch keine Impermeabilitätstheorie in dem Sinne wie sie gemeinhin verstanden wird, nämlich mit dem Staat als rechtlich impermeabler Person. Gegen ein solches Verständnis sprechen zwei Umstände. Erstens wurde der Rechtssatz von seinem Zweck und nicht etwa von seinem unmittelbaren Adressatenkreis her definiert, und deshalb bedeutete allein die Adressierung von Regelungen an Beamte mitnichten, daß es sich nicht um einen materiellen Rechtssatz handelte. Vielmehr konnte es eben sehr wohl organisationsbezogene Regelungen mit Außenwirkung geben, d.h. Maßnahmen, die zwar unmittelbar auf die Organisation der inneren Struktur bezogen waren, sich ihrem Zweck nach aber (auch) als Abgrenzung der Rechtsspären der Bürger darstellten und damit rechtssatzförmigen Charakter haben mußten. Zweitens, und das ist in vorliegendem Zusammenhang noch bemerkenswerter, ging die konstitutionelle Staatsrechtslehre auch von möglichen internen Schrankenziehungen im Verhältnis staatlicher Organe und damit dem insoweitigen Vorliegen von Rechtssätzen aus.

a) Organisationsbezogene Maßnahmen mit Außenwirkung Zunächst ist darauf zu verweisen, daß die in der Schrankenziehung liegende Zwecksetzung, durch die sich ein Rechtssatz seiner Natur nach auszeichnen sollte, keineswegs restriktiv verstanden wurde und es deshalb sehr wohl organisationsbezogene Maßnahmen geben konnte, denen im Außenverhältnis schrankenziehende Wirkung und damit Rechtssatzcharakter zukam. Der Rechtssatzbe124

Zu dieser Unterscheidung oben C.I. 1 .c.

190

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

griff namentlich Jellineks und Labands kann nur richtig verstanden werden, wenn man die sowohl beschränkende als eben auch ausweitende Bedeutung seiner Herleitung aus dem Zweck erfaßt. „Bei der Bestimmung, ob der Inhalt einer staatlichen Willensäusserung die Anordnung eines Rechtssatzes sei oder nicht, kommt es stets auf den nächsten, den unmittelbaren Zweck an. Denn die Rechtsordnung ist nicht um ihretwillen da, sondern dient allen Zwecken der Persönlichkeiten, sowohl der Individuen, als des Staates. Namentlich bei formellen Gesetzen, welche die Beziehungen des Staates zu den Unterthanen regeln, ist es wichtig, zur Erkenntniss ihrer Natur ihren unmittelbaren Zweck von dem entfernteren zu trennen; denn hier ist oft ein dem Gebiete der Verwaltung angehöriger Zweck das Motiv der Rechtssetzung. Um Kräfte und Mittel zur Verwaltung zu finden oder um die Interessen der Volksgemeinschaft wirksam fordern zu können, setzt der Staat sich und den Individuen gegenseitige Schranken. Daher muss gegebenen Falles die nächste beabsichtigte Wirkung des Gesetzes von dem Endzweck sorgfältig geschieden werden" 125 . Die bloße Berufung darauf, eine bestimmte Regelung diene im Endergebnis Verwaltungszwekken, konnte sie also keinesfalls ihrer Natur als Rechtssatz entkleiden, sofern sie sich des Mittels der Schrankenziehung zwischen Subjekten bedienen mußte, um jenes Endziel zu erreichen. Deshalb war es zwar möglich, Weisungen „innerhalb des freien Rechtskreises einer und derselben Persönlichkeit" vom Rechtssatzbegriff auszunehmen, auch wenn sie sich letztlich ihrem Endziel nach auf das Verhältnis der Verwaltung zu den einzelnen bezog, indem nämlich die übergeordnete Behörde die untergeordnete anwies, wie sie dem Bürger gegenüber zu verfahren habe 126 . Indessen stand dies unter der Bedingung, daß „Absicht und Aufgabe" dieser Weisung nicht unmittelbar selbst die Abgrenzung der Rechtssphären zweier Rechtssubjekte war, sondern daß eine derartige Abgrenzung erst durch die Maßnahme der angewiesenen Behörde erfolgte 127 . Ein bloßer Bezug auf die Abgrenzung von Rechtssphären zweier Persönlichkeiten machte eine allgemeine Weisung nicht zum Rechtssatz, erforderlich war vielmehr eine dahin gehende Intention oder Wirkung. Denn letzten Endes ist ohnehin alle Verwaltungstätigkeit auf den Bürger bezogen, doch das sollte nicht genügen, ihr eine Rechtsaktsqualität beizumessen, solange ihr keine dessen Rechtssphäre tangierende Wirkung zukommt. Sobald aber letzteres der Fall ist, ergab sich aus der Definition der Schrankenziehung das Vorliegen eines Rechtssatzes. Diese zweckbezogene Definition des Rechtssatzes als Instrument zur Schrankenziehung bedeutete, daß es sehr wohl

125

G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 242; zustimmend Anschütz, Kritische Studien, S. 33 ff. 126 Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 29; vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 72. 127 Vgl. Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 29; ferner Anschütz, Kritische Studien, S. 34.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

191

auch auf den Verwaltungsaufbau zielende Regelungen mit Rechtssatzcharakter geben konnte, welches Ergebnis mit einer Impermeabilitätsvorstellung nichts zu tun hat. „Rechtssetzung und Verwaltung können aber derart miteinander verknüpft sein, dass die Vollziehung eines Verwaltungsaktes nothwendig eine Änderung der bestehenden Rechtsordnung zur Folge hat. Wird durch formelles Gesetz ein derartiger Verwaltungsakt angeordnet, so gehört er selbst zwar materiell in das Gebiet der Verwaltung, die zu seiner Realisirung nothwendigen Rechtsänderungen sind jedoch materielle Gesetze. ... Femer ist die Errichtung eines Behördenorganismus ihrem Wesen nach ein Akt der Verwaltung. Indem aber die Behörden bestimmt sind, mit den Unterthanen in Verkehr zu treten und Herrschaftsrechte ihnen gegenüber auszuüben, müssen der Umfang des ihnen zustehenden imperium und demgemäss die Rechte und Pflichten der Unterthanen ihnen gegenüber durch Rechtssätze normirt werden. Organisation ist Verwaltungssache, Funktioniren der durch die Verwaltung geschaffenen Organe oft nur durch Rechtssätze möglich. ... Bei dem nothwendigen Ineinandergreifen der von der in sich einheitlichen Staatsgewalt ausgehenden Staatsfunktionen ist es natürlich, dass die einzelnen diesen Funktionen entspringenden Akte sich oft mit einander in geradezu unlöslicher Weise verknüpfen. Schon dadurch wird die Einordnung des einzelnen Aktes in eine bestimmte Kategorie oft sehr schwierig" 128.

Hieraus zog nun Georg Jellinek seine im vorliegenden Zusammenhang bemerkenswerte Schlußfolgerung: „Daher lässt sich auch keineswegs behaupten, dass überall, wo in einem Gesetze nur Befehle an die Staatsbeamten vorhanden sind auch ein nur formelles Gesetz vorliege. Allerdings verwaltet der Staat nur mittelst seiner Organe; daher ist ein Verwaltungsakt, sofern er überhaupt einer Vollziehung bedürftig ist, notwendigerweise Akt eines Verwaltungsorganes. Indem der Staat von den ihm zu Gebote stehenden Kräften Gebrauch macht, wirkt er nicht rechtssetzend. In vielen Fällen werden daher die Befehle des Staates an seine Beamten Verwaltungsakte sein, und zwar Akte der Regierung, die sich in Akte der Vollziehung verwandeln sollen. Häufig werden daher auch die in Gesetzesform ergangenen Befehle des Staates an seine Beamten materiell Verwaltungsakte sein. Aber nicht in allen Fällen. Auch hier muß der nächste Zweck des Gesetzesbefehls entscheiden"129. Sobald also den inneren Verwaltungsvorgang betreffende Regelungen sich „direkt oder indirekt" 130 auch auf die Rechtsstellung des Bürgers und die Abgrenzung seiner Sphäre von der des Staates auswirkten, sind sie sonach materielles Recht, und zwar selbst dann, wenn sie formal nur an bestimmte Organe und Organwalter des Verwaltungsträgers gerichtet sind: „Die Verwaltungsverordnungen des Staates schaffen demnach niemals neues Recht, sondern bewegen sich auf dem Boden der geltenden Rechtsordnung. Sie können an zwei 128

G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 243 f.; zustimmend Anschütz, Kritische Studien, S. 76. 129 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 244. 130 G. Jellinek, System, S. 194.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Gattungen von Persönlichkeiten adressirt sein. Entweder nämlich nur an die Staatsbeamten oder auch an die Unterthanen. Die erste Gattung umfaßt die Dienstinstruktionen, das Reglement des Chefs der Verwaltung oder der vorgesetzten Behörden an die untergeordneten. In ihr macht der Staat Gebrauch von der ihm zu Gebote stehenden Dienstpflicht seiner Beamten, er schafft durch sie kein neues Rechtsverhältniss, sondern handhabt eine ihm kraft eines bestehenden Rechtsverhältnisses zukommende Befiigniss. ... Zu der zweiten Gattung gehören ... die Organisationsverordnungen. Durch diese wird nämlich nicht nur der Ämterorganismus innerhalb der Verwaltung geregelt, sondern auch dem Publikum die Existenz und der Wirkungskreis desselben bekannt gegeben. Sie sind daher nicht rein interne Sache der Verwaltung... Organisationsverordnungen sind aber vielfach sowohl Rechts-, als Verwaltungsverordnungen. Insofern nämlich durch dieselben bloss Organe geschaffen werden, regeln sie reine Verwaltungsakte. Die Schöpfung einer Persönlichkeit oder eines Organes kann niemals ein Rechtssatz sein: alles Recht knüpft an bereits existirende Persönlichkeiten oder Organe an. Insofern jedoch eine Verordnung die Competenz der durch sie eingesetzten Organe abgrenzt, ist sie wenn in der Competenzbegrenzung zugleich eine Verleihung von Imperium gelegen ist, Rechtsverordnung, weil dadurch neue Rechte und Pflichten geschaffen werden" 131.

Sehr deutlich nahm in demselben Sinne auch Laband Stellung, und hier mag gleichfalls ein längeres Zitat als Beleg angezeigt sein, daß er ebensowenig einer Impermeabilitätsvorstellung anhing: „Zu den Anordnungen, welche man ebensowohl unter dem Gesichtspunkte der (materiellen) Gesetzgebung als unter dem der Verwaltung auffassen kann, gehört namentlich die Einrichtung des Verwaltungsapparates selbst, die Organisation des Behördensystems. ... Da jede juristische Person ein Gebilde des Rechts ist, so ist auch die Organisation derselben durch die Rechtsordnung bestimmt und geregelt und die Bildung und Wirksamkeit ihrer Organe beruht auf Rechtssätzen. So wie man auf dem ganzen Gebiet des Privatrechts keinerlei Art von juristischer Person sich vorstellen kann, deren Grundformen und Organe nicht durch Rechtssätze vorgezeichnet oder durch Statut normiert sind, so gibt es auch auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts keine juristische Person ohne Organe, die von Rechts wegen bestehen. ... Ob nun die Einrichtung der Behörden und die Abgrenzung ihres Geschäftskreises ein Akt der Gesetzgebung oder ein Akt der Verwaltung ist, bestimmt sich ebenfalls nach dem entwickelten Grundprinzip. Es kommt darauf an, ob die Maßregel nur innerhalb des Verwaltungsapparates wirksam sein soll, oder ob sie ihre Wirkungen außerhalb desselben erstreckt. Wenn einer Behörde staatliche Herrschaftsbefugnisse für gewisse Angelegenheiten übertragen werden sollen, wenn sie in den Stand gesetzt werden soll, mit rechtsverbindlicher Wirkung den Untertanen zu befehlen ..., so ist die Schaffung einer solchen Behörde und die Bestimmung ihrer Kompetenz ein Teil der Rechtsordnung. Dies kann auch von ihrer Zusammensetzung, der Qualifikation ihrer Mitglieder, dem von ihr inne zu haltenden Verfahren gelten. Die Bildung und Zusammensetzung der Gerichte ist nicht bloß eine innere Angelegenheit der Justizverwaltung, sondern der Einzelne hat einen im öffentlichen Recht begründeten Anspruch darauf, daß das Gericht, welches über ihn urteilt, in gewisser Weise gebildet und mit einer bestimmten Zahl von Mitgliedern besetzt wird, daß die letzteren in be-

131

G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 386 f.; vgl. Göz, Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 212; O. Mayer, AöR 18 (1903), 98.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

193

stimmter Weise qualifiziert, lebenslänglich angestellt sind usw. Dasselbe kann auch von Verwaltungsbehörden gelten" 132 .

Da Jellinek und Laband den Rechtssatz nicht formal z.B. nach dem Merkmal der Abstraktheit oder Allgemeinheit und auch nicht nach seinem Adressaten definierten, sondern nach dem materiellen Kriterium seiner Außenwirkung, d.h. nach seiner Eignung, Rechtssphären zwischen verschiedenen Rechtssubjekten abzugrenzen, kamen sie folgerichtig zu dem Ergebnis, daß (außenwirksame) Regelungen der (internen) Verwaltungsorganisation Rechtssatzcharakter haben mußten. Freilich konnte es infolge des Abstellens auf die Zweckrichtung einer Maßnahme zur Bestimmung ihrer Rechtsnatur schwierig werden, zu entscheiden, ob der Staat seine oder der Bürger Rechtssphären abgrenzen oder lediglich Förmlichkeiten festsetzen wollte, unter denen seine Tätigkeit erfolgt; daher mußte es „in vielen Fällen sehr zweifelhaft sein, ob man es mit einem Rechtssatz oder mit einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu thun hat. Auch hier kann nämlich Verwaltungsvorschrift und Rechtssatz unlöslich mit einander verknüpft sein" 133 . Denn es gibt „sehr zahlreiche Vorschriften über die Erledigung staatlicher Geschäfte, welche nach ihrem Inhalte eine doppelte Auffassung zulassen; sie können gedacht werden als bloße Instruktionen für Behörden und Beamte, sie können aber auch in dem Sinne aufgefaßt werden, daß dadurch Dritten Rechte und Pflichten erwachsen. Das Interesse, welches die Untertanen an einer gewissen Art der Geschäftserledigung haben, kann zum Recht erhoben sein oder auch nicht. Ob nun das Eine oder das Andere gewollt ist, muß durch Interpretation festgestellt werden" 134 . Die etwaige Schwierigkeit der Bestimmung, ob denn nun eine konkrete organisatorische Vorschrift ihrem Zweck nach Rechtssatz war, ändert aber nichts daran, daß sie für diese Lehre jedenfalls als solcher in Betracht kam. Der Kernsatz, daß im Falle außenwirksamer Kompetenzen „die Schaffung einer solchen Behörde und die Bestimmung ihrer Kompetenz ein Teil der /tecAteordnung" sei 135 , widerlegt sonach die Annahme, Jellinek und Laband hätten eine Impermeabilitätstheorie vertreten. Der Verwaltungsträger wurde keineswegs als ein für das Recht impermeabler Körper verstanden, sondern vielmehr wurde ohne weiteres vorausgesetzt, daß wesentliche Strukturmerkmale desselben rechtssatzmäßig festgelegt werden mußten. Es verdient dabei festgehalten zu werden, daß die Rechtssatzförmigkeit auch staatsinterner Kompetenzregelungen infolge des weiten Zweckverständnisses 132

Laband, Staatsrecht II, S. 183 ff. (Hervorhebungen im Original); vgl. in diesem Sinne auch RGZ 48, 84, 85. 133 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 245 f. 134 Laband, Staatsrecht II, S. 182 (Hervorhebungen im Original). 135 Laband, Staatsrecht II, S. 184 (Hervorhebung im Original); femer Haenel, Das Gesetz, S. 212, 223 f. 15 Roth

194

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

der sozialen Schrankenziehung nicht als Ausnahme-, sondern als Regelfall verstanden wurde: „Allein in der grössten Zahl der Fälle und zwar den allerwichtigsten schafft der Staat durch Normierung der Kompetenzen seiner Organe zugleich rechtliche Pflichten und Ansprüche der ihm Subjizierten... Durch Rechtssätze ist bestimmt, wer die Krone trägt, die Gesetze sanktioniert, die Minister ernennt, ... weil nur dem durch die Rechtsordnung bezeichneten Willensträger des Staates Gehorsam zu zollen, nur seine Anordnungen ... Anerkennung heischen können... Die ganze innere Staatsordnung ist Rechtsordnung deshalb, weil sie nicht für den abstrakten Staat, sondern für die konkrete ihn bildende Menschengemeinschaft da ist" 136 . Die Laband und Jellinek als angebliche Impermeabilitätstheorie unterschobene Lehre läuft nach alledem in Wirklichkeit allein auf die Feststellung hinaus, daß es im Staatsinneren unter Umständen, nämlich sofern ausnahmsweise keinerlei Auswirkungen auf irgendein Rechtssubjekt zu erwarten ist, auch nicht rechtssatzformige Regelungen geben konnte. Ihr Versuch, die „schwierige Frage" zu lösen, „wie in der Lehre von der staatlichen Organisation Rechtssatz und Verwaltungsvorschrift zu sondern sei" 137 , beruhte sonach gerade auf der Grundannahme, daß die staatliche Organisation selbstverständlich der Regelung durch Rechtssatz zugänglich war, denn sonst hätte sich dieses Abgrenzungsproblem gar nicht gestellt. Schon hiernach kann nicht an der Behauptung festgehalten werden, diese Autoren hätten eine Impermeabilitätstheorie vertreten.

b) Rechtsverhältnis zwischen dem Beamten und dem Staat Bereits dadurch, daß interne Vorschriften für Beamte, sofern sie nur ihrem Inhalt nach Auswirkungen auf die Rechtssphäre Dritter hatten, als materielle Gesetze angesehen wurden, welche einer formellgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurften, war der interne Bereich der Verwaltung in sehr weitem Maße aufgebrochen und für das Recht zugänglich geworden. Fraglich war allerdings, ob jener Dritte nur ein ganz außerhalb der Verwaltung stehender Bürger sein konnte oder auch ein Beamter selbst. In der Tat entsprach es nämlich einer verbreiteten Auffassung, daß in Abwesenheit verwaltungsexterner Wirkungen durch Verwaltungsverordnungen auch die Rechtsverhältnisse der Beamten geregelt werden durften. So verstand das Reichsgericht etwa „eine Anordnung, die der Verwaltungschef im Interesse der Amtsdisciplin für einen bestimmten Kreis von Beamten getroffen" hatte, nicht als materielles Gesetz138,

136

G. Jellinek, System, S. 233 f. (Hervorhebungen durch Verfasser). G. Jellinek, VerwArch 12 (1904), 266. 138 RG, Seuffert 39 (1884), Nr. 161, S. 232; zustimmend Anschütz, Kritische Studien, S. 82 Fn. 195. 137

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

195

obgleich in der strittigen Bestimmung 139 „Normativbedingungen für die Thätigkeit der Kanzleibeamten festgesetzt", insbesondere das Quantum der täglich abzuliefernden geschriebenen Seiten bestimmt und fur ein Unterschreiten des obliegenden Arbeitspensums ein Gehaltsabzug vorgesehen war. Nach dieser Sicht wären die Beamten allerdings weitgehend rechtsschutzlos gestellt und allein auf die Aufsichtsbeschwerde verwiesen gewesen, so daß sich in Beamtenangelegenheiten eine partielle Impermeabilität der Verwaltung ergeben hätte. Indessen war diese restriktive Sichtweise keineswegs herrschende Lehre. Diese unterschied genau zwischen dem „durch den Anstellungsvertrag begründeten Dienstverhältnis und der Führung eines Amtes" 140 , und ging in bezug auf ersteres ohne weiteres davon aus, daß diese Beziehung des Staates zu seinen „physischen Organträgern" eine rechtliche war, d.h. durch Rechtssätze beherrscht wurde 141 . Insoweit nicht lediglich die Amtsführung, sondern die persönlichen Angelegenheiten und der Rechtsstatus des Beamten betroffen waren, wurde er als eine dem Staat gegenübertretende Rechtsperson mit eigenen Rechten betrachtet 142 , deren Rechtsverhältnisse folglich durch Gesetz zu regeln waren 143 . Namentlich die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten (Alimentation, Aufwandsentschädigung usw.) wurden selbstverständlich als subjektive Rechte betrachtet, die im Wege der Klage geltend gemacht und geschützt werden konnten 144 . Durch die Begründung eines Beamten Verhältnisses wurde somit auch nach seinerzeitigem Verständnis keineswegs ein rechtsfreier Raum geschaffen, wenngleich natürlich dem Beamten besondere Einschränkungen seiner Rechte auferlegt werden konnten, die es so im allgemeinen Gewaltverhältnis des Bürgers nicht gab 145 .

c) Innerorganisatorische

Schrankenziehung als Rechtssatz

Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß der Staat nicht als rechtlich impermeables Subjekt verstanden wurde, sondern daß auch innerorganisatorische Regelungen Rechtssatzcharakter besitzen konnten, sofern ihnen die geforderte schrankenziehende Wirkung zukam. Allerdings ging es bislang lediglich um die Abgrenzung der Rechtssphären der Bürger untereinander sowie in 139 § 4 der Allgemeinen Verfügung vom 4. September 1879 betreffend die Beschaffung des Schreibwerks bei den Justizbehörden (Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege 1879, S. 308). 140 Laband, Staatsrecht I, S. 515. 141 G. Jellinek, System, S. 194. 142 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 562; Laband, Staatsrecht I, S. 517. 143 G. Jellinek, System, S. 194. 144 Laband, Staatsrecht I, S. 513; vgl. etwa RGZ 40, 68, 75, 77. 145 Vgl. Erichsen, in FS Wolff, S. 220 ff., 226 f. mit zahlreichen Nachweisen.

196

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

ihrem Verhältnis zum Staat, und entsprechend um die Abgrenzung der Rechtssphäre der Beamten, soweit sie in ihrer persönlichen Rechtsstellung betroffen waren, von der des Staates. Damit ist erst eine partielle rechtliche Permeabilität des Staates aufgezeigt, jedoch noch nichts über das im Zusammenhang mit Organstreitigkeiten interessierende Verhältnis der Behörden und anderer staatlicher Organe zueinander gesagt. Dieser Punkt nun, ob die rechtliche Permeabilität des Staates soweit gehen sollte, auch das Organverhältnis zu erfassen, oder ob diesbezüglich eben eine partielle Impermeabilität des Staates anzunehmen war, war allerdings deutlich umstrittener als die bei allem Streit im Detail konsentierte Möglichkeit rechtssatzmäßiger Binnenregelungen mit Außenwirkung. Immerhin vertrat ein namhafter Autor wie Anschütz die These, daß „die 'Ressortverhältnisse' der Behörden wohl durch Normen, nicht aber durch Rechtssätze abgegrenzt sein" könnten, weil das Recht seinem Wesen nach nie innerpersönlich sei, sondern eine Mehrheit von Personen voraussetze, zwischen deren Willenssphären es seine Schranken zieht: „Eine Mehrheit von Staatsorganen ist aber keine Mehrheit von Personen. Die organisatorischen Normen ermangeln somit prinzipiell des Rechtscharakters" 146. Damit verfocht Anschütz in der Tat eine recht weitgehende partielle Impermeabilitätstheorie, die alle Inter- und Intraorganbeziehungen von einer rechtssatzmäßigen Regelung ausnahm. Diesbezüglich ist aber zweierlei bemerkenswert: erstens befand er sich mit dieser These in der Minderheit, und namentlich Jellinek und Laband beurteilten diesen Punkt durchaus anders; zweitens konnte er seine These selbst nicht konsequent durchhalten. Anschütz' Beharren darauf, daß zwischen sonstigen Behörden niemals Rechtsbeziehungen bestehen könnten, stand in einem schwer verständlichen Widerspruch zu der selbstverständlichen Anerkennung rechtssatzmäßiger Beziehungen zwischen den Verfassungsorganen 147. Daß der Staat als Rechtspersönlichkeit „dem Einzelnen gegenüber eine Einheit, ein Ganzes" bilden sollte, innerhalb dessen keine Rechtsbeziehungen bestehen könnten 148 , war schlechterdings unvereinbar mit dem positiven verfassungsrechtlichen Befund über die rechtlichen Beziehungen zwischen den Verfassungsorganen. In bezug hierauf betonte Anschütz nämlich selbst, „daß es bisher noch Niemanden eingefallen ist, die Verfassungsbestimmungen über diese höchsten Organe des Reiches nicht als Rechtssätze anzusehen"149. Damit gab es aber anerkanntermaßen „eine Summe von Vorschriften, die zwar nur der innern Organisation angehören, die aber trotzdem fur die Rechtsordnung des Staates nicht weniger ... gelten müs146

Anschütz, Kritische Studien, S. 74 f.; desgleichen v. Seydel/Piloty, Staatsrecht I, S. 319. 147 S. oben C.II.2. 148 Anschütz, Kritische Studien, S. 74. 149 Anschütz, Kritische Studien, S. 79 (Hervorhebung im Original).

Bayerisches

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

197

sen, wie solche organisatorischen Normen, welche die Rechte und Pflichten der Unterthanen berühren" 150 . Angesichts der Verfassungsbestimmungen über die Kompetenzen der Verfassungsorgane, die niemand ihres Rechtscharakters entkleiden wollte, war es ausgeschlossen, staatliche Organe „prinzipiell" von der Vorstellung einer Schrankenziehung in ihrem Verhältnis zueinander und damit von der Zugänglichkeit für eine rechtssatzmäßige Regelung auszunehmen. Anschütz' Behauptung, daß die „Auffassung über die staatsrechtliche Stellung der obersten Organe, insbesondere der Volksvertretung, als Willensträger zu eigenem Recht" nicht seiner die Ablehnung organisationsinterner Rechtsbeziehungen tragenden „Theorie von der Einheit der Staatspersönlichkeit" widerspreche 151, war unzutreffend. Sein diesbezüglicher Erklärungsversuch, in der Volksvertretung als der „Personifikation des Volkes" sähe man „das Subjekt aller 'Freiheitsrechte' des Volkes" und „im Monarchen das Subjekt alles staatlichen Imperiums" 152 , war nicht nur inhaltlich unhaltbar, weil die Volksvertretung selbstverständlich auch Anteil am „staatlichen Imperium" hatte und die vorgenommene Unterscheidung daher nicht trug. Vor allem aber spaltete dieses Modell entgegen seinen Beteuerungen das einheitliche Staatswesen doch in zwei Rechtssubjekte auf, das Volkssubjekt und das Fürstensubjekt, das Subjekt der Freiheitsrechte und das Subjekt der staatlichen Machtfülle. Dies aber stand im Widerspruch zu seiner Grundthese. Sein Resümee, „von dieser eigenartigen Stellung der höchsten Potenzen im Staate, einer Stellung, die in den Prinzipien des konstitutionellen Staatsrechts ihre Erklärung findet, abgesehen, ist es falsch, den Organen des Staates Rechtssubjektivität zuzuschreiben" 153, erweist die Unstimmigkeit seiner Theorie. Da Anschütz nicht an dem positiven verfassungsrechtlichen Befund vorbeikam, daß die Beziehungen zwischen den Verfassungsorganen rechtlicher Natur waren, war er genötigt, diesbezüglich eine Ausnahme von seiner Grundthese zu machen, daß „innerpersönliche" Beziehungen nie rechtsformig sein könnten. Mit dieser unvermeidlichen Zulassung dieser Ausnahme mußte jedoch seine Grundannahme zusammenbrechen. Denn danach sollte ja das Recht „seinem Wesen nach nie innerpersönlich" sein 154 . Indessen verträgt die Argumentation mit dem „Wesen" eines Gegenstandes keine Ausnahme, weil jede zugestandene Ausnahme beweist, daß es sich eben doch nicht um eine wesensmäßige Eigenschaft handeln kann. Deshalb stellt die von Anschütz mit Blick auf die Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen aufgestellte salvatorische Klausel, organisatorische Normen ermangelten dem „Wesen" des Rechts nach „prinzipiell" des Rechtscharakters, „falls nicht beson150 151 152 153 154

Haenel, Das Gesetz, S. 225. Anschütz, Kritische Studien, Anschütz, Kritische Studien, Anschütz, Kritische Studien, Anschütz, Kritische Studien,

S. 80. S. 80. S. 80 (Hervorhebung im Original). S. 74 f.

198

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

dere Momente bei ihnen hinzutreten" 155 , keine Rettung seiner Theorie dar, sondern vielmehr deren Widerlegung. Die eingeschränkte, nämlich ausdrücklich nicht auf die Beziehungen der Verfassungsorgane bezogene Impermeabilitätsthese Anschütz' fand denn zu Recht keine Gefolgschaft, sondern wurde von der herrschenden Meinung und nicht zuletzt auch von Georg Jellinek und Laband verworfen. Gewiß hatten auch letztere ihre Definition des Rechtssatzes nach seiner Eignung zur Schrankenziehung zwischen den Rechtssphären von Rechtssubjekten vornehmlich mit Blick auf die natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts in Gegenüberstellung zur staatlichen Sphäre entwickelt. Dies ist auch wenig überraschend, da diese Beziehungen in der Rechtspraxis fraglos die wichtigste Rolle spielten und spielen, und daher normalerweise das Muster darstellen, an dem dogmatische Entwicklungen sich vollziehen und zuvörderst erörtert werden. Indessen wurde keine Beschränkung der Schrankenziehungsfunktion und damit des Rechtssatzbegriffes auf diese Verhältnisse befürwortet. Erstens wurde keine definitive Festlegung dahin vorgenommen, daß es ausschließlich um die Schrankenziehung zwischen rechtsfähigen Personen gehen sollte. Eine solche Einschränkung wäre schon deshalb verfehlt gewesen, weil ja Organisationen wie z.B. nicht rechtsfähige Vereine und BGB-Gesellschaften unzweifelhaft ebenfalls rechtlicher Regelung unterliegen. Die Aussage, Rechtssätze grenzten die Sphären von Rechtssubjekten ab, durfte daher nicht auf rechtsfähige Rechtssubjekte beschränkt verstanden werden. Zweitens findet sich bei Jellinek und Laband auch nicht die von Anschütz vertretene, jedoch angesichts der unbestrittenermaßen rechtlichen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Verfassungsorganen unhaltbare Ausklammerung staatlicher Organe aus der Vorstellung einer rechtssatzformigen Schrankenziehung. Vielmehr bezog sich die Definition des Rechtssatzes als Schrankenziehung auf alle Einheiten, die in irgendeiner Weise willens- und handlungsfähig sind 156 und deshalb miteinander in Konflikt geraten können. Von daher gab es keinen Grund, die Abgrenzung der Sphären staatlicher Organe vom Rechtssatzbegriff auszunehmen157. Denn auch die Organe, Behörden und Beamten stellen eine „Mehrheit von Willensträgern" dar, „welche miteinander in 'Kontakt kommen', unter welchen 'wechselweiser Eingriff, eine Collision, eine Ausgleichung mög-

155

Anschütz, Kritische Studien, S. 75. Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 74; Laband., Staatsrecht II, S. 181; vgl. auch Haenel, Das Gesetz, S. 207 f., 231 f. Die Willens- und Handlungsfähigkeit aller staatlichen Behörden konzediert auch Anschütz, Kritische Studien, S. 74. 157 Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 74: Rechtsnorm als „eine das gegenseitige äußere Verhalten aller Willenssubjekte ('Dritte') eines bestimmten Kreises innerhalb der Staatsgemeinschaft (mit Einschluß des Staats selbst und der Staatsbehörden) ... regulierende Norm 44 (Hervorhebung im Original). 156

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

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lieh ist'", und welche Abgrenzung eben „nur mit dem Rechte" möglich ist: „Darum sind denn aber auch diejenigen objektiven Normen, welche die Abgrenzung und Zusammenordnung der im Staate oder im verwaltenden Staate mitwirkenden menschlichen Willenskräfte feststellen, Rechtssätze" m. „Wenn irgend eine Vorschrift in der Form des Gesetzes es zu ihrem Inhalte hat, die Bildung und innere Formation eines Staatsorganes, insbesondere einer Verwaltungsbehörde anzuordnen oder aber einem Staatsorgane eine bestimmte Aufgabe ... zuzuschreiben oder endlich das Verhältniss eines Staatsorganes zu den andern Staatsorganen zu bestimmen, so kann ein solcher Inhalt schlechterdings nicht den Grund abgeben, um jener Vorschrift die Eigenschaft eines Rechtssatzes, als Bestandtheiles der öffentlichen Rechtsordnung abzusprechen" 159. Laband hat sich hierzu im gleichen Sinne geäußert: „der Willenssphäre der zur Verwaltung berufenen Behörden sind rechtliche Schranken gesetzt gegenüber den Individuen, den Kommunen, den anderen Organen des Staates selbst" 160 . Hieran ist bemerkenswert, daß die rechtliche Schrankenziehung - und damit das Vorliegen echter Rechtssätze - nicht ausschließlich auf die Beziehung der Behörden zum Bürger beschränkt, sondern ohne Zögern auf die Verhältnisse einer Behörde zu den Kommunen und selbst zu anderen staatlichen Organen angewandt wurde. Dabei verdient hervorgehoben zu werden, daß unter den hiermit in Bezug genommenen Organen keineswegs etwa (nur) Verfassungsorgane verstanden wurden, sondern der Begriff des Organs in diesem Kontext umfassend im Sinne aller Organe, die verwaltende Tätigkeit auszuüben haben, verstanden wurde 161 ; demzufolge wurde eine rechtssatzmäßige Schrankenziehung zwischen Verwaltungsorganen mitnichten als begriffliche Unmöglichkeit verstanden, sondern als eine sich aus dem Begriff des Rechtssatzes ergebende Selbstverständlichkeit gedacht162. Für die Beurteilung, daß auch keine partielle Impermeabilitätstheorie vertreten wurde, ist von besonderer Bedeutung, daß die Annahme einer rechtssatzmäßigen Schrankenziehung zwischen staatlichen Behörden nicht davon abhing, daß zugleich eine Schrankenziehung dem Bürger gegenüber bestand: „Die materiellen Wirkungen der Gesetze bestimmen sich nach deren Inhalt... Wenn ein Gesetz eine Rechtsvorschrift enthält, so hat es die Bedeutung, welche dem Rechte überhaupt zukommt" - nämlich der Schrankenziehung - , und dies gilt

158

Haenel, Das Gesetz, S. 232 (Hervorhebungen im Original); vgl. auch G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 550. 159 Haenel, Das Gesetz, S. 233. 160 Laband, Staatsrecht II, S. 181; ferner Haenel, Das Gesetz, S. 232. 161 Vgl. Laband, Staatsrecht II, S. 184; unrichtig daher Becker-Birck, Insichprozeß, S. 39 f. Fn. 2. 162 Das betont auch Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 73 f.; vgl. RGZ 48, 84, 85.

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ungeachtet dessen, „daß die in dem Gesetz enthaltene Anordnung bald an die Einzelnen, bald an die Behörden und Organe der Staatsgewalt selbst gerichtet sein kann. ... Sehr zahlreiche Gesetze regeln nur die eigene Tätigkeit des Staates, seine Verfassung, die Zusammensetzung, Geschäfte und Geschäftsformen der Behörden ... Solche Gesetze berühren den Untertan des Staates unmittelbar gar nicht und sind auf ihn und seine individuellen Rechtsbeziehungen unanwendbar; er wird von den Wirkungen dieser Gesetze nur dadurch mitbetroffen, daß er in dem Staatswesen lebt, in welchem jene Gesetze gelten" 163 . Die Vorstellung einer Schrankenziehung im Verhältnis allein zwischen Behörden, unabhängig von der Betroffenheit der Rechte Privater, bedeutete nach der zugrundeliegenden Definition aber das Vorliegen eines materiellen Rechtssatzes164, und daher war es nur folgerichtig, die Verletzung dieser Schranken als Rechtsverletzung zu verstehen: „Wenn ... eine andere Staatsbehörde unbefugter Weise oder mit Überschreitung ihrer Kompetenz in den Geschäftskreis einer Behörde eingreift, so ist dies ... eine Verletzung der objektiven Rechtsordnung" 165 . Dasselbe hat Georg Jellinek betont. Für ihn war es selbstverständlich, daß bei einer so hoch entwickelten und ausdifferenzierten Organisation wie dem Staat „regelmäßig der tatsächliche Vorgang der Organisation unlöslich mit Rechtsnormen verknüpft sein" wird. „Ferner werden auch die Zuständigkeit der Organe und der Weg, auf dem ihr Wille sich äußert,... durch Rechtssätze festgestellt werden müssen. Unter allen Umständen ist eine Rechtsordnung dort notwendig, wo mehrere Organe zusammenwirken, und bei kollegialisch gestalteten Organen, wo der Organwille erst durch einen juristischen Prozeß aus den Aktionen einer Vielheit individueller Willen gewonnen werden muß" 166 . „Die Rechtsordnung ... bezeichnet die Organe in ihrer Eigenart, ihren Funktionen und ihren gegenseitigen Beziehungen"167. „Der Staat kann durch objektives Recht die Kompetenzen seiner Organe normieren" 168 . „Auch die Ausstattung staatlicher Organe mit Macht gegenüber anderen Organen ... sind Rechtssätze" 169 . Aus dieser notwendigen rechtlichen Festlegung der Kompetenzen mehrerer Organe bzw. des Prozedere bei pluralistischen Organen ergab sich dann natürlich zwingend der Rechtsstreitcharakter möglicher Konflikte um Kompetenzen: „Diese Zuständigkeiten können durch die betreffenden Organe einander gegen163 164 165 166 167 168 169

Laband, Staatsrecht II, S. 73 f. (Hervorhebungen im Original). Vgl. Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 73 f. Laband., Staatsrecht I, S. 367. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 543 (Hervorhebungen durch Verfasser). G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 562. G. Jellinek, System, S. 227. G. Jellinek, VerwArch 12 (1904), 266.

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übertreten, es kann Streit zwischen ihnen entstehen über ihre Grenzen. ... alle Rechtsstreitigkeiten zwischen ihnen sind Zuständigkeitsstreite innerhalb ein und desselben Rechtssubjekts" m. „Daher handelt es sich im Kompetenzkonflikte ... um eine Interpretation objektiven Rechtes, welches das eine oder das andere Organ zur Vornahme einer staatlichen Handlung beruft" 171 . Organisatorische Vorschriften konnten nach ganz herrschender Meinung somit sehr wohl in Gestalt echter Rechtssätze ergehen 172.

d) Organstreitigkeiten Wenn nach dem Vorstehenden Kompetenzregelungen in Gestalt von Rechtssätzen ergehen und Teil der Rechtsordnung sein konnten, und demzufolge ein Streit innerhalb der Verwaltung um derartige Kompetenzen als echter Rechtsstreit anzusehen war, so drängte sich notwendig die Frage auf, ob derartige Rechtsstreitigkeiten als Organstreitigkeiten gerichtlich auszutragen waren. Denn aus der Feststellung, daß ein Kompetenzstreit zwischen Behörden einen echten Rechtsstreit darstellte, folgte noch nicht, daß die betroffenen Behörden diesen Rechtsstreit um ihre Kompetenzen vor Gericht fuhren können sollten, oder ob es eben allenfalls dem Bürger möglich war, sich auf die Unzuständigkeit oder ein sonst kompetenzwidriges Handeln der ihm gegenüber auftretenden Behörde zu berufen. Hier läßt sich nun konstatieren, daß der pragmatisch denkende Gesetzgeber offenkundig keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Zulassung gerichtlicher Organstreitverfahren hatte, und daß dies auch der Rechtswissenschaft nicht entgangen war. Daß zumindest ftir gewisse Verfassungsorganstreitigkeiten nach Art. 76 RVerf. eine gerichtliche Austragung vorgesehen war, wurde bereits dargelegt 173 , und daß gleiches auch fur gewisse verwaltungsrechtliche Organstrei170

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 560 f. (Hervorhebung durch Verfasser); ebenso Bornhak, Preußisches Staatsrecht II, S. 517. 171 G. Jellinek, System, S. 227. 172 Vgl. RGZ 2, 63, 65 („auch die Behördeneinrichtungen des Staates ... gehören zu den Instituten des geltenden Rechtes - des öffentlichen Rechtes -"); RGZ 8, 403, 404 (Allerhöchster Erlaß über die Organisation der Verwaltung der Staatsbahnen als Rechtsnorm i.S.d. § 12 EGZPO); PrOVGE 19, 111, 115 (Zuständigkeit der Gemeindevertretung ergibt sich aus der „korporativen Verfassung"); Bornhak, Preußisches Staatsrecht II, S. 517 f.; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 145 Fn. 239; v. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 72 f.; ders., Grundzüge, S. 235; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 673, 678, 685; ders., Labands Staatsrecht, S. 44, 48; ders., Das Wesen, S. 7, 29; Haenel, Das Gesetz, S. 225, 232 f.; Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 74; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 543, 560 f.; ders., System, S. 233 ff.; Laband, Staatsrecht I, S. 367; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 210. 173 S. oben C.II.2.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

tigkeiten vorgesehen war, ist an geeigneter Stelle noch im einzelnen aufzuzeigen 174 . Als weiteres, nicht nur eher punktuell ausgestaltetes, sondern eine ganze Kategorie von Organstreitigkeiten erfassendes Beispiel sei hier die Entscheidung sogenannter Kompetenzkonflikte durch einen Kompetenzgerichtshof genannt. Gemäß § 17 Abs. 2 GVG 1877 175 konnte durch Landesgesetz „die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des Rechtswegs besonderen Behörden" übertragen werden. Auf dieser Grundlage wurden in den einzelnen Ländern Kompetenzgerichtshöfe eingerichtet, die in einem gerichtsförmigen Verfahren über die besagten (positiven oder negativen) Kompetenzkonflikte zu entscheiden hatten 176 . Auch wenn sich dies, dem in § 2 EGGVG festgelegten Anwendungsbereich des GVG entsprechend, nur auf die ordentliche Gerichtsbarkeit in ihrer Abgrenzung zu den Verwaltungsgerichten bzw. -behörden bezog und verwaltungsinterne Kompetenzkonflikte nicht erfaßte 177, ist diese Bestimmung insofern von Interesse, als sie jedenfalls demonstriert, daß der Reichsgesetzgeber keine grundsätzlichen Bedenken gegen die gerichtsförmige Austragung von Kompetenzstreitigkeiten gehabt haben kann 178 .

174

S. unten E.II.5.b.aa. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 (RGBl. 1877 S. 41). 176 Vgl. hierzu, auch zu den Unterschieden in den einzelnen Ländern, Bornhak, Preußisches Staatsrecht II, S. 527 ff.; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege II, §§ 545 ff.; Göz, Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 162 f.; v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 521 ff.; v. Seydel/Piloty, Bayerisches Staatsrecht, S. 482 ff.; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 132 ff; Wielandt, Staatsrecht des Großherzogthums Baden, S. 113 ff. 177 Berner, in v. Brauchitsch, Die Preußischen Verwaltungsgesetze, 1. Band, Verordnung betreffend die Kompetenzkonflikte, Vorbemerkung, S. 208, sowie Anm. III, S. 211; Bornhak, Preußisches Staatsrecht II, S. 530; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege II, §§ 546, 549; Struckmann/Koch, CPO, § 17 GVG Anm. 3; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 133; Wielandt, Staatsrecht des Großherzogthums Baden, S. 114. 178 Der Einwand von Friesenhahn, in FS Thoma, S. 54, § 17 Abs. 2 GVG könne nicht als Beleg für Rechtsbeziehungen und Rechtsstreitigkeiten zwischen Organen unterhalb der Verfassungsebene dienen, weil hier eigentlich nicht Gerichts- und Verwaltungsbehörde stritten, sondern über den Rechtsschutzanspruch des Klägers entschieden worden sei, greift nicht durch: Die Parteien des Ausgangsverfahrens, welches Anlaß zur Erhebung des Kompetenzkonfliktes gegeben hatte, waren zwar im Verfahren vor dem Kompetenzkonfliktshof äußerungsberechtigt, nicht aber auch formell Parteien des Kompetenzkonfliktverfahrens (RGZ 11, 391, 394; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 134 f.), das ja bezeichnenderweise auch nicht von den Parteien des Ausgangsverfahrens angestrengt werden konnte, sondern nur von der Behörde, eben weil es nur deren Schutz vor Kompetenzübergriffen diente. 175

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

203

Freilich konnten Kompetenzstreitigkeiten nicht nur unter Beteiligung der ordentlichen Gerichte auftreten, sondern nicht minder innerhalb des Gebietes der Verwaltung, und hier ist nun interessant, daß verschiedentlich in Anlehnung an § 17 Abs. 2 GVG 1877 ein verwaltungsinternes Kompetenzkonfliktsverfahren gesetzlich vorgesehen wurde. Erwähnenswert ist vor allem §113 Abs. 5 PrLVG: „Haben sich in derselben Sache die zur Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren berufene Behörde und eine andere Verwaltungsbehörde für zuständig erklärt, so entscheidet auf Grund der schriftlichen Erklärungen der über ihre Kompetenz streitenden Behörden und nach Anhörung der Parteien ... das Oberverwaltungsgericht". Da die Verwaltungsgerichtsbarkeit seinerzeit in den unteren Instanzen durch Verwaltungsbehörden ausgeübt wurde, denen zwar zu diesem Zweck noch zusätzliche besondere Funktionen übertragen waren, die aber nichtsdestoweniger als Teil der Verwaltung verstanden wurden 179 (§113 Abs. 5 PrLVG: „andere Verwaltungsbehörde"), lag somit dieser Einrichtung einer Kompetenzgerichtsbarkeit zur Entscheidung des Streites der beiden Behörden 180 offenkundig die Vorstellung einer justitiablen Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltungsbehörden zugrunde, was aber von der Rolle der Gerichte her notwendig voraussetzt, daß ihr eine rechtliche Natur zugeschrieben wurde. Gewiß war dieser Rechtsweg nur in Ausnahmefällen eröffnet, da, wenn „die über ihre Zuständigkeit uneinigen Behörden sachlich (...) einer gemeinsamen Oberbehörde" unterstanden, der Zuständigkeitsstreit durch deren Entscheidung zu lösen war 181 . Dies beruhte indessen nicht auf der Überzeugung, daß derartige Streitigkeiten zwischen Behörden mit gemeinsamer Oberbehörde nicht rechtlicher Natur seien, sondern vielmehr auf der Überlegung, daß solchenfalls eine gerichtliche Entscheidung nicht erforderlich sei, den Streit zu beheben. Daß die Möglichkeit einer rechtssatzformigen Regelung der jeweiligen Kompetenzen verschiedener Verwaltungsbehörden in ihrem Verhältnis zueinander sowie eine Möglichkeit gerichtlicher Entscheidung diesbezüglicher Kompetenzstreitigkeiten bestand, wurde damit nicht in Abrede gestellt.

179 Vgl. Bornhak, Preußisches Staatsrecht II, S. 451 ff.; Gtfz, Staatsrecht des Königreichs Württemberg, S. 164; Schulze, Staatsrecht I, S. 654 f.; v. Seydel/Piloty, Bayerisches Staatsrecht, S. 483 f.; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 128; Wielandt, Staatsrecht des Großherzogthums Baden, S. 105. 180 Berner, in v. Brauchitsch, Die Preußischen Verwaltungsgesetze, 1. Band, LVG, §113 Anm. 3, S. 106; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege II, § 552. 181 Wielandt, Staatsrecht des Großherzogthums Baden, S. 114; ferner Bornhak, Preußisches Staatsrecht II, S. 518 f.; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege II, § 554; v. Rönne, Staatsrecht der Preußischen Monarchie I, S. 519; v. Seydel/Piloty, Bayerisches Staatsrecht, S. 482.

204

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Zwar konnten Kompetenzstreitigkeiten infolge des Enumerationsprinzips 182 außerhalb der ausdrücklich vorgesehenen Anwendungsfalle nicht (verwaltungs-) gerichtlich ausgetragen werden. Unter der Geltung des Enumerationsprinzips gab es indessen zahlreiche Streitigkeiten, deren rechtliche und prinzipiell justitiable Natur ungeachtet der restriktiven Ausgestaltung des positiven Prozeßrechts unzweifelhaft war, ohne daß sie vor Gericht gebracht werden konnten. Die Entscheidung über die Einräumung einer Klagemöglichkeit beruhte auf politischen sowie Zweckmäßigkeitserwägungen, und die Nichtaufnahme in den Enumerationskatalog läßt daher nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber habe die betreffende Sache nicht als Rechtsstreit angesehen. Daß der Gesetzgeber grundsätzliche dogmatische Einwände gegen die Möglichkeit einer gerichtlichen Austragung von Organstreitigkeiten gehabt hätte, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil belegen die genannten positiven Beispiele, daß derartige Bedenken gerade nicht bestanden183. In der Tat hat Georg Jellinek diese Folgerung auch expressis verbis gezogen. Zwar finden sich bei ihm Stellen, die auf den ersten Blick zu belegen scheinen, er habe Streitigkeiten um gesetzlich festgelegte Organkompetenzen kategorisch ausscheiden wollen: „Der die Kammern nicht in verfassungsmässiger Frist zusammenberufende Monarch, das gesetzliche Ausgaben verweigernde Parlament handeln verfassungs-, also pflichtwidrig. Allein es sind nicht subjektive Rechte ... dadurch verletzt, sondern Zuständigkeiten zum Schaden anderer Organe nicht eingehalten oder überschritten worden. Weder Kläger noch Richter sind hier denkbar" 184 . Diese Aussage muß jedoch in ihrem Kontext gesehen werden, da sich Jellinek an dieser Stelle allein mit der Frage befaßte, inwieweit derartige verfassungsmäßig festgesetzte Organkompetenz subjektive Rechte konstituieren könnten. Daß er dies verneinte („Es ist logisch und faktisch unmöglich, dass aus den Pflichten der obersten Staatsorgane gegen den Staat selbst irgend jemand ein subjektives Recht entspränge. Setzt die Verfassung Pflichten des Monarchen fest, so erwächst daraus niemand ein Recht... Ebenso steht es mit den Pflichten anderer unmittelbarer Staatsorgane, wie vor allem der Kammern, die niemand ein Recht gewähren... Weder Kläger noch Richter sind hier denkbar. So beruht die Staatsordnung selbst auf Pflichten, die niemand berechtigen" 185), implizierte daher nicht, daß er auch objektivrechtlich ausgestaltete Rechtsstreitigkeiten um derartige Kompetenzen verneinen wollte. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn er wenige Seiten später unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die bereits genannten positivrechtlichen Beispiele der richterlichen Entscheidung von 182 Vgl. etwa Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 789 f.; Walz, Staatsrecht des Großherzogtums Baden, S. 128 f.; Wielandt, Staatsrecht des Großherzogthums Baden, S. 106 ff. r83 Vgl. Haenel, Das Gesetz, S. 251 f. 184 G. Jellinek, System, S. 197. 185 G. Jellinek, System, S. 196 f.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

205

Kompetenzkonflikten sowie der Verfassungs- und Staatsgerichtshöfe 186 für die sich „stets nur um eine Interpretation objektiven Rechts" drehenden „Kompetenzkonflikte" feststellt: „Entscheidung über objektives, nicht über subjektives Recht bildet den Gegenstand der Rechtsprechung des Konfliktgerichtshofes" 187. „Der Staat als Gericht kann entscheiden, ob der Staat als Parlament oder der Staat als Minister im konkreten Falle seine Kompetenz eingehalten hat" 188 . In demselben Sinn hat er sich denn auch in seiner Allgemeinen Staatslehre in bezug auf die sich als Rechtsstreitigkeiten darstellenden Zuständigkeitsstreitigkeiten innerhalb des Rechtssubjektes Staat 189 eindeutig geäußert: „Diese Zuständigkeiten können durch die betreffenden Organe gegenübertreten, es kann Streit zwischen ihnen entstehen über ihre Grenzen. Dieser Streit kann in den Formen eines Prozeßverfahrens geführt werden und der Staat formell seinen Organen Parteirolle zuweisen" 190. Mit großer Selbstverständlichkeit ging auch Otto von Gierke davon aus, daß organisationsinterne Rechtsverhältnisse des Rechtsschutzes zugänglich und namentlich „Processe ... über die Kompetenzgrenzen zwischen verschiedenen Organen, über die Wirksamkeit von Beschlüssen und Anordnungen", denkbar seien 191 . Da freilich derartige Streitigkeiten zwischen Organen des Staates oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Verbände keine bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 13 GVG darstellten 192, waren „vor Allem die Streitigkeiten, in welchen gemeinheitliche und gliedmäßige Rechtsbeziehungen des inneren Staatslebens in Frage stehen, der Kompetenz der ordentlichen Gerichte entzogen", es bildeten jedoch „gerade die Streitsachen dieser Gattung einen erheblichen Bruchteil der Fälle, in denen besondere Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zur Rechtsprechung berufen sind" 193 . „Jedes Organ hat ... eine staatsrechtliche Befugniß, die ihm anvertrauten staatlichen Rechte auszuüben und Eingriffe unbefugter Organe in seine Kompetenz mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln abzulehnen"194. „Wie Verfassungsstreitigkeiten, so sind auch Kompetenzstreitigkeiten wahre Rechtshändel, in denen Organe desselben Staates einander als Parteien gegenübertreten" 195.

186

G. Jellinek, System, S. 235. G. Jellinek, System, S. 227 f. 188 G. Jellinek, System, S. 228. 189 S. vorstehend C.II.4.C. 190 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 560 (Hervorhebung durch Verfasser); ferner ders., System, S. 232 f. 191 v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 183, 734 f. 192 Vgl. RGZ 3, 409, 410 ff. 193 v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 184 f. unter Hinweis auf die Verfassungsgerichte, die Kompetenzkonfliktsgerichte und die Verwaltungsgerichte. 194 v. Gierke, Labands Staatsrecht, S. 47. 195 v. Gierke, Labands Staatsrecht, S. 48. 187

206

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Daß der seinerzeitige Gesetzgeber eine gerichtliche Austragung verfassungsund verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten aus welchen rechtspolitischen Erwägungen auch immer enumerativ nur für gewisse Streitfälle und nicht allgemein für sämtliche Fälle eröffnet hat, läßt die Erkenntnis unberührt, daß die herrschende konstitutionelle Verfassungs- und Verwaltungsrechtslehre gerichtlich austragbare Organstreitigkeiten nicht aus dogmatischen Gründen prinzipiell verwarf 96 .

e) Ergebnis: Keine impermeabilitätstheorie

im Konstitutionalismus

Die vorstehenden Darlegungen haben gezeigt, daß der Staat in der konstitutionellen Rechtslehre nicht als „impermeable" Person betrachtet wurde, deren organisatorische Regelungen keine rechtssatzförmige Natur besitzen könnten. Im Gegenteil wurde zum einen ausdrücklich betont, daß interne Kompetenzregelungen vielfach externe Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Bürgers haben können und schon deshalb als „soziale Schrankenziehung" im Sinne des konstitutionellen Rechtssatzbegriffes in Gestalt oder auf der Grundlage eines materiellen Gesetzes ergehen mußten. Zwar wurde das materielle Recht auf die Regelung der Beziehung von Rechtssubjekten beschränkt. Jedoch die Impermeabilität von Rechtssubjekten oder gar des Staates war nicht Bestandteil der Theorie, sondern im Gegenteil wurden die mit anscheinend bloß organisationsinternen Regelungen oftmals untrennbar verknüpften Außenwirkungen und damit die Rechtssatzqualität solcher Regelungen betont 197 . Vor allem aber beschränkte sich diese Lehre keineswegs darauf, interne Regelungen mit Außenwirkung in den Rechtssatzbegriff einzubeziehen, sondern wurde der Rechtssatzbegriff von seinem Verständnis der Schrankenziehung konsequent auf das Verhältnis mehrerer Organe zueinander angewandt198. Dementsprechend wurde die Abgrenzung der Willenssphären verschiedener Behörden sogar ausdrücklich als ein Fall rechtssatzmäßiger Regelung genannt und nicht 196 Neben den Genannten im selben Sinne femer Bernatzik, AöR 5 (1890), 207: „förmlicher Rechtsstreit" vor dem Kompetenzkonfliktshof; v. Gerber, Staatsrecht, S. 199 f. 197 Vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 298 f. 198 Wenn diese Anerkennung intemer Rechtssätze als Systembruch oder Inkonsequenz der konstitutionellen Lehre ausgegeben wird (z.B. Böckenförde, Gesetz, S. 235; Schnapp, Amtsrecht, S. 76 f., 87 Fn. 27), so beruht dies übrigens auf einer einseitig verkürzenden Betrachtung, welche die politisch ohnehin verdächtigte (s. oben C.II.3.a Fn. 65) konstitutionelle Lehre zunächst auf einen vermeintlichen Impermeabilitätskern reduziert und von diesem aus jeden anerkannten Innenrechtssatz als inkonsequente Ausnahme erscheinen läßt, anstatt sich darum zu bemühen, die seinerzeitige Lehre in ihrer Gesamtheit zu begreifen, und hiemach die Berechtigung des Impermeabilitätsvorwurfs zu hinterfragen.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

207

nur von Georg Jellinek explizit die Möglichkeit gerichtlicher Organstreitverfahren angeführt. Nach alledem ist die Formulierung, daß unter dem Recht „wesentlich die Regelung der äußeren Beziehungen von impermeablen Rechtssubjekten" verstanden worden sei 199 , keine zutreffende Wiedergabe oder Zusammenfassung der Jellinek-Labandschen Auffassung. Diese sahen wohl das materielle Recht, den Rechtssatz, allein als Schrankenregelung im Verhältnis zwischen Rechtssubjekten; daß aber „das Innere des Rechtssubjektes der rechtlichen Normierung unzugänglich" 200 gewesen wäre, war nicht nur nicht Bestandteil ihrer Lehre, sondern vielmehr belegen die wiedergegebenen Äußerungen deutlich, daß zumal der Staat keineswegs als fur das Recht „impermeable" Person verstanden wurde. Allerdings verneinte die seinerzeit herrschende Meinung, daß es sich bei derartigen Organstreitigkeiten um subjektive Rechtsstreitigkeiten handeln könnte 2 0 ', 2 0 2 . £) a s P r o v o etwa ging davon aus, die Gemeindevertretung habe „als korporatives Organ keine selbstständigen, von denen der Korporation verschiedene, eigene Rechte"; soweit das Gesetz (wie z.B. in § 21 Abs. 2 PrZustG) mit Bezug auf solche Organe gleichwohl ausdrücklich von „ihren Rechten" spreche, könnten darunter der „Natur der Sache" nach „immer nur die Verwaltungsbe199

Krüger, in FS Smend, S. 216. Krüger, in FS Smend, S. 214. 201 PrOVGE 19, 111, 115; G. Jellinek, System, S. 196 f., 227; Laband, Staatsrecht I, S. 367; Schulze, Staatsrecht I, S. 653; a.A. immerhin Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 145 Fn. 239; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 173, 182, 678, 685; ders., Labands Staatsrecht, S. 44, 47; Haenel, Das Gesetz, S. 232, 270; ders., Deutsches Staatsrecht I, S. 567; differenzierend Anschütz, Kritische Studien, S. 73, 79 f.: subjektive Rechte an ihren Kompetenzen haben nur die obersten Staatsorgane (König, Bundesrat, Volksvertretung), nicht jedoch die sonstigen Staatsorgane. 202 In die Richtung einer Anerkennung subjektiver Organrechte scheint auf den ersten Blick Bernatzik zu gehen, wenn er den Monarchen gleichzeitig als Organ des Staates und Subjekt seiner öffentlichen Rechte bezeichnet und annimmt, er übe die staatlichen Hoheitsrechte kraft eigenen Rechtes aus (AöR 5 [1890], 217, 299 ff), und wenn er sagt, daß dort, „wo die Erstgeborenen gewisser Häuser des hohen Adels kraft ihrer Geburt ... Sitz und Stimme in der ersten Kammer" haben, sie „eigene Rechte, einen Theil des Organwillens dieser Kammer zu bilden" hätten (ebd., S. 310). Das damit Gemeinte ergibt sich indes aus seiner Erläuterung, daß der Monarch die „kraft eigenen Rechtes" auszuübenden Hoheitsrechte „wie ein Privatrecht oder ein 'wohlerworbenes Recht'" erwirbt und innehat, sie ihm auch nicht ohne seine Einwilligung entzogen werden könnten (ebd., S. 301). Es geht Bernatzik bei seinen Beispielen also gerade nicht um organschaftliche, sondern um persönliche Rechte im traditionellen Sinne: So wie der Gewählte ein persönliches subjektives Recht auf das Amt hat (s. oben A.II.4.a), so erwarb in einer Erbmonarchie der Monarch kraft dynastischer Erbfolge ein persönliches Recht auf den Thron (vgl. hierzu v. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 53 f.; v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 192 f. Fn. 2; ders., Labands Staatsrecht, S. 40 f.) bzw. besaß der Kronprinz ein persönliches Recht auf den Sitz in der ersten Kammer, etc. Über die rechtliche Qualifikation der Ausübung des so erlangten Amtes besagt dies nichts. 200

208

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

fugnisse verstanden sein, vermöge deren sie nach der korporativen Verfassung auf gewissen Gebieten den Willen der Korporation rechtsverbindlich für Dritte festzustellen, gegebenen Falles auch gegen diese im Streitverfahren geltend zu machen" haben203. Entsprechend betonte Georg Jellinek, daß Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen Organen eines Rechtssubjektes „stets Streitigkeiten über objektives, nie über subjektives Recht" seien 204 , und Laband meinte, daß der Übergriff einer Behörde in den Geschäftskreis einer anderen „nicht die Verletzung eines subjektiven Rechts dieser Behörde oder ihrer Mitglieder" sei 205 und daß weder die Behörde noch der Beamte „wegen eines Eingriffes in seine Zuständigkeit einen subjektiven Anspruch auf eine Genugtuung irgend welcher Art" habe 206 . Kann man dem Ausschluß eines Anspruchs auf „Genugtuung" gewiß zustimmen, so gilt dies freilich nicht ohne weiteres für Unterlassungsund Beseitigungsansprüche, die anders als etwa Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche nicht auch nur teilweise Genugtuungsfunktion besitzen, sondern ausschließlich die (Wieder)Herstellung eines in Einklang mit der objektiven Rechtslage stehenden Zustandes bezwecken207. In der Tat kann der generellen Negierung subjektiver Rechte auf Achtung der Kompetenzen aus den noch im einzelnen darzulegenden Gründen nicht beigetreten werden 208 . Indessen ist zu beachten, daß die Verneinung subjektiver Rechte von Organen mit einer Negierung objektivrechtlicher Beziehungen sowie der grundsätzlichen Möglichkeit gerichtlicher Austragung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Organen nichts zu tun hat 209 - schließlich werden ja subjektive Organrechte auch von vielen heutigen Autoren abgelehnt210, die gewiß nicht „impermeabilitätsverdächtig" sind. Unter dem seinerzeit herrschenden Enumerationssystem kam dem Vorliegen subjektiver Rechte nicht dieselbe Bedeutung zu wie es heute unter der an eine subjektive Rechtsverletzung anknüpfenden Generalklausel der Fall ist: Wenn der Gesetzgeber im Enumerationskatalog keine Klagemöglichkeit vorgesehen hatte, so vermochte auch das etwaige Bestehen eines subjektiven Rechts daran nichts zu ändern, wohingegen, wenn eine Klagemöglichkeit eingeräumt war, dahinstehen konnte, ob damit subjektive Rechte verfolgt wurden. Entscheidend war letzterenfalls allein, daß objektivrechtliche Rechtsbeziehungen vorlagen, weil nur solche überhaupt einer gerichtlichen Entscheidung zugänglich waren. Die seinerzeitige Negierung subjektiver Rechte von Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts trägt deshalb nicht die Zuschrei203 204 205 206 207 208 209 210

PrOVGE 19, 111, 115. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561. Laband, Staatsrecht I, S. 367. Laband, Staatsrecht I, S. 367. S. unten G.IV.l und 2. Eingehend unten Teil E. Nicht überzeugend daher Löwer, VerwArch 1977, 328 f. S. unten C.IV.2.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

209

bung einer Impermeabilitätstheorie. Vielmehr genügt hier die Feststellung, daß gerichtlich auszutragende „Rechtsstreitigkeiten ... innerhalb ein und desselben Rechtssubjekts" akzeptiert wurden 211 , und zwar als eine aus dem seinerzeit herrschenden Grundansatz folgende Selbstverständlichkeit. Nach alledem geht es nicht an, den Rechtslehrern des Konstitutionalismus eine Impermeabilitätsvorstellung zu unterstellen, nach der der Rechtssatzbegriff definitionsgemäß auf das Außenverhältnis beschränkt und deshalb innerhalb des staatlichen Hoheitsraumes kein Platz für Rechtssätze gewesen sei. Für die heutige Diskussion bedeutet diese Erkenntnis erstens die Richtigstellung nicht etwa historischer Irrtümer, sondern vielmehr aktueller Irrtümer über die historische Lehre, zweitens aber vor allem, daß Rechtsbeziehungen im Innenbereich juristischer Personen nicht (mehr) als außergewöhnliche, jeweils besonders erklärungs- und begründungsbedürftige Erscheinungen verstanden und dementsprechend gar zurückhaltend gehandhabt werden sollten. Sie mögen zwar im Hinblick auf ihren Gegenstand eigene Probleme aufwerfen, die sich so bei Außenrechtsbeziehungen nicht stellen. Dogmatisch stellen solche Innenrechtsbeziehungen gleichwohl keine Kuriositäten dar, und es ist wichtig, sich diesen Umstand auch bei der Diskussion zu vergegenwärtigen, ob es sich hierbei um swòyetóvrechtliche Beziehungen handeln kann.

5. Paradigmenwechsel der Rechtssatzbegriffe Wie gesehen, haben Georg Jellinek und Paul Laband nicht die schon zu ihrer Zeit unhaltbare These vertreten, innerhalb des Staates oder einzelner Verwaltungsträger gebe es keine Rechtssätze. Da es keinen Grund gibt, eine solche Sichtweise heute einzuführen, ist mit der allgemeinen Ansicht davon auszugehen, daß einer rechtssatzmäßigen Regelung organisationsinterner Rechtsbeziehungen wie namentlich der Kompetenzen von Organen und Organteilen von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts weder grundsätzliche rechtstheoretische noch rechtsdogmatische Bedenken entgegenstehen. Für die Begründung dieses Ergebnisses kann zunächst auf die vorstehend dargelegten Erwägungen der Staatsrechtslehrer des Konstitutionalismus verwiesen werden. Freilich dürfte es nicht möglich sein, diese Argumente unmittelbar auf die heutigen Verhältnisse zu übertragen. Obgleich sie nämlich auf der Grundlage der damaligen Verfassungsrechtslage den hierzu adäquaten Rechtssatzbegriff zutreffend bestimmt haben, muß doch zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse auf einen Paradigmenwechsel hingewiesen werden, aufgrund dessen das Wesen des Rechtssatzes heute in anderem Lichte als zur Zeit des Konstitutionalismus erscheinen muß. In der Tat weichen der Rechtssatzbegriff der kon211

16 Roth

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 560 f.

210

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

stitutionellen Rechtslehre und der heutige Rechtssatzbegriff grundlegend voneinander ab, und diese Erkenntnis untermauert nicht nur die durchgängige Verwerfung jedweder Impermeabilitätsvorstellungen, sondern ist ein bedeutsamer Schritt, die im nachfolgenden Abschnitt III. zu behandelnden Kompetenzabgrenzungen durch Organisationsverwaltungsverordnung dogmatisch präzise in den Griff zu bekommen.

a) Von der Schrankenziehung zur Wesentlichkeitstheorie Der im Konstitutionalismus vorherrschende Ansatz, den Begriff des materiellen Gesetzes von seinem Zweck der Schrankenziehung zwischen den Rechtsoder Willenssphären von Rechtssubjekten her zu definieren, war durch die seinerzeitige Verfassungslage bedingt und vor dem verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Hintergrund zu sehen, daß die Grenzziehung zwischen dem materiellen Gesetz und der Verwaltungsverordnung zugleich die Grenze zwischen den Machtbereichen des Parlamentes und des Monarchen markierte 212 . Nach der Verfassungslage im Konstitutionalismus hing die Mitwirkungsbefugnis der Volksvertretung ohne weiteres von der Rechtsnatur der in Frage stehenden Verordnung der Verwaltung ab: Handelte es sich um eine Rechtsverordnung, also um materielles Recht, so war hierzu eine Ermächtigung in Gestalt eines formellen Gesetzes erforderlich; lag dagegen bloß eine Verwaltungsverordnung vor, so implizierte dies die Entbehrlichkeit jeglicher Mitwirkung des Parlamentes. Die Mitwirkungsbefugnis der Volksvertretung entschied sich deshalb allein danach, ob ein materielles Gesetz vorlag oder nicht. Infolgedessen mußte der Rechtssatzbegriff materiell aufgeladen werden, um dem Parlament diejenigen Mitwirkungsbefugnisse zu sichern, die es in die Lage versetzten, seiner freiheitssichernden Rolle als Repräsentationsorgan der Bürger gegenüber dem Monarchen gerecht zu werden. Diese inhaltliche Aufladung des Rechtssatzbegriffes konnte nach Sinn und Zweck der Mitwirkungsbefugnisse des Parlaments nur dahin gehen, daß zumindest jede Abgrenzung der Rechtssphären der Bürger das Vorliegen eines materiellen Gesetzes indizieren mußte; dies war die Basis für den im Konstitutionalismus tragenden Grundsatz, daß Eingriffe in Freiheit und Eigentum nur aufgrund formellen Gesetzes erfolgen durften. Der Streit um den Rechtssatzbegriff, der Anlaß zu der Diskussion um die Impermeabilitätstheorie bot, ergab sich aus dem Spannungsverhältnis zweier im Grundsätzlichen divergierenden Verfassungs- und Parlamentarismuskonzeptionen. Ausgehend von der Aufgabe des Parlaments, als Volksvertretung die Freiheiten und Rechte der Bürger zu sichern, lag es an sich nahe, die materielle Aufladung des Rechtssatzbegriffs auf die Bestimmung und Abgrenzung der 212

Hierzu oben C.II.3.a.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

211

Rechtssphären der Bürger zu beschränken (in diese Richtung Anschütz). Dagegen stand die begrifflich konsequente, allerdings aus teleologischer Sicht durchaus nicht unzweifelhafte Überlegung, die Idee der Abgrenzung von Rechtssphären auf alle willens- und handlungsfähigen Einheiten zu übertragen; letzteres mit der Folge, daß damit eben auch zwischen staatlichen Organen und Behörden rechtssatzmäßige Kompetenzabgrenzungen möglich und parlamentarischer Mitbestimmung unterworfen wurden (so insbesondere Jellinek und Labancf ]3). Die restriktive Sicht ließ sich nicht konsequent durchhalten, weil die Verfassungen sowohl des Reiches als auch der einzelnen Staaten offenkundig echte Rechtsbeziehungen zwischen den Verfassungsorganen statuierten 214 und es infolgedessen keinen dogmatischen Grund gab, die Verhältnisse zwischen sonstigen Behörden und Organen kategorisch von der Zugänglichkeit für eine rechtssatzförmige Regelung auszunehmen215. Die extensive Sicht hatte dagegen Schwierigkeiten damit, daß unverkennbar eine Vielzahl innerorganisatorischer Schrankenziehungen namentlich kompetentieller Art ohne gesetzliche Grundlage ergingen, ohne daß irgendjemand ernsthaft vertreten hätte, daß für sämtliche derartige Regelungen eine (formell)gesetzliche Ermächtigung erforderlich wäre 216 . Dieses Spannungsverhältnis konnte im Konstitutionalismus nicht aufgelöst werden, weil die Dogmatik nicht an den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten vorbeikam, welche eine materielle Aufladung des Rechtssatzbegriffs unumgänglich machten, ohne zugleich anzugeben, nach welchen Kriterien diese vorzunehmen sei. Eine befriedigende Lösung dieses scheinbaren Paradoxes ist erst durch einen vor diesem Hintergrund als geradezu epochal zu begreifenden Paradigmenwechsel möglich geworden, der die Erforderlichkeit einer formellgesetzlichen Ermächtigung und damit die Mitwirkungsbefiignisse des Parlaments nicht mehr an das früher maßgebliche Kriterium knüpft, ob ein materielles Gesetz vorliegt, sondern vielmehr die Frage stellt, ob ein materielles Gesetz vorliegen muß2X 1. Die früher so zentrale Funktion des Gesetzesbegriffs als Grenzlinie zwischen den Befugnissen der Regierung und denen des Parlamentes kommt dem Gesetzesbegriff heute nicht mehr zu. Denn die Kompetenz des Parlamentes wird nach der Wesentlichkeitstheorie 218 an die inhaltliche Wichtigkeit des Aktes insbesondere für die Grundrechte des Bürgers geknüpft und nicht an dessen Funktion. Zwar decken sich die beiden Verständnisse insofern, als Eingriffe in die Grundrechte der Bürger stets als wesentlich zu verstehen und deshalb nur durch 213 214 215 216 217 218

S. oben C.II.4.C. S. oben C.II.2. S. oben C.II.4.C. Darauf weist Anschütz, Kritische Studien, S. 75 zu Recht hin. Vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 400 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 125. Vgl. hierzu oben A.I.2.C.

212

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig sind, wobei behördliche Eingriffe zwar auch auf der Grundlage von Rechtsverordnungen oder Satzungen ergehen können, dann aber diese ihrerseits auf einer mehr oder weniger bestimmten formellgesetzlichen Grundlage beruhen müssen. Allerdings geht die Wesentlichkeitstheorie darüber hinaus und unterwirft noch weitere Materien der Kompetenz des Parlaments, für die es nach konstitutioneller Verfassungslage keinerlei Mitwirkungsbefugnisse gehabt hätte. Anders als früher ist es deshalb heute möglich, eine von der Verwaltung als Verordnung erlassene Regelung als Verwaltungsverordnung statt als Rechtsverordnung zu qualifizieren, ohne damit das Parlament apriorisch und definitiv von der Mitwirkung auszuschließen. Während früher alleine die begriffliche Einstufung als Verwaltungsverordnung notwendig zur Folge hatte, daß sie keiner formellgesetzlichen Grundlage bedurfte, gilt dies heute nicht mehr. Denn je nach der Wesentlichkeit der geregelten Materie ist es denkbar, eine vorhandene Verwaltungsverordnung für ungenügend zu erachten und an ihrer Stelle eine Rechtsverordnung auf formellgesetzlicher Grundlage zu fordern. Mit anderen Worten: Während früher die begriffliche Qualifikation einer Verordnung als Verwaltungs- bzw. als Rechtsverordnung über die Beteiligung des Parlaments entschied, richtet sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage nunmehr nach der materiellen Wichtigkeit des fraglichen Aktes. Infolgedessen bedarf der Rechtssatzbegriff heute keiner materiellen Aufladung etwa nach einer „nächsten Wirkung" der „sozialen Schrankenziehung" mehr, sondern vielmehr kann der Rechtssatz rechtstechnisch als eine bestimmte Form staatlicher Machtmittel verstanden werden. Die Wesentlichkeitstheorie hat daher nicht nur den Geltungsbereich des Vorbehalts des Gesetzes über dessen im Konstitutionalismus herrschenden Bereich der Regelung von Eingriffen in Freiheit und Eigentum sowie anderer Formen „sozialer Schrankenziehung" hinaus erweitert 219 und in diesem Sinne von seiner Bindung an in rechtsstaatlicher und demokratischer Hinsicht mittlerweile „überholte Formeln" gelöst 220 ; sie hat vor allem auch den Rechtssatzbegriff selbst vom Zwang einer materiellen Aufladung befreit und damit eine neue Perspektive für die Problemlösung eröffnet.

b) Maßgeblichkeit des Willens der normsetzenden Stelle Ob eine Verwaltungsverordnung oder eine Rechtsverordnung vorliegt, hängt hiernach nicht mehr davon ab, ob sie inhaltlich auf eine Schrankenziehung gerichtet ist oder zumindest eine solche Schrankenziehung bewirkt. Insbesondere

219

Vgl. BVerfGE 8, 155, 166 f.; 40, 237, 249; 49, 89, 126; 95, 267, 307; Roth,, BayVBl. 1999, 264; Schulze-Fielitz, in Dreier. GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 103 ff. 220 Gerhardt, BayVBl. 1980, 725.

II. Organstreitigkeiten und Impermeabilitätstheorie

213

rechtfertigt alleine der Umstand, daß eine abstrakt-generelle Weisung geeignet ist, subjektive Rechte des Angewiesenen oder Dritter zu beeinträchtigen, nicht den Schluß, daß sie keine Verwaltungsverordnung sein könne, sondern es sich um eine Rechtsverordnung handeln müsse221. Vielmehr bestimmt sich die diesbezügliche Qualifizierung wie jede Auslegung nach dem „Willen der normsetzenden Stelle" 222 . Auf diesen ist im Zweifelsfall anhand verschiedener Indizien zurückzuschließen: Regelungsinhalt, Bezeichnung, Wortlaut, Angabe einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, Form und Art der Verkündung 223 , Veröffentlichung in Amts- oder in Gesetzblättern 224, internen Rundschreiben, etc. 225 Ergibt diese Auslegung, daß eine Rechtsverordnung gewollt war, so ist zu untersuchen, ob sie rechtsgültig erlassen worden ist, insbesondere in der vorgeschriebenen Form und auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Ergibt die Auslegung hingegen, daß eine Verwaltungsverordnung gewollt war, so schließt sich als nächstes die Untersuchung an, ob diese überhaupt statthaft war oder ob angesichts der Wesentlichkeit der zu regelnden Materie, insbesondere etwa infolge ihrer Auswirkungen auf subjektive (Grund)Rechte, eine Rechts Verordnung auf formellgesetzlicher Grundlage oder gar ein Parlamentsgesetz erforderlich gewesen wäre. Letzterenfalls kann die Verwaltungsverordnung nicht etwa in ei-

221

So aber etwa VGH München, VGH n.F. 5, 19, 21; Bachof, in FS Laforet, S. 309 f. BVerwGE 19, 48, 53; vgl. Rupp, Grundfragen, S. 94; Schnapp, Amtsrecht, S. 231 f. 223 BVerwGE 19,48, 53. 224 Zweifelhaft daher die Rechtsprechung des VGH Mannheim (ESVGH 23, 90, 91 f.; 47, 102, 103; ZBR 1990, 218; VB1BW 1992, 350, 351; 1999, 70, 71), ministerielle Verwaltungsvorschriften über die Lehrerarbeitszeiten als Rechtsverordnungen zu behandeln (und sie als solche der Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu unterwerfen), obschon das Ministerium selbst sie nicht als Rechtsverordnung versteht und konsequenterweise auch nicht im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht, in dem gemäß § 2 VerkündungsG BW ministerielle Rechtsverordnungen verkündet werden müssen, sondern im Amtsblatt. Daß die Verwaltungsvorschrift das Grundverhältnis der Lehrer betrifft (hierzu unten C.III.2.b), macht sie nicht zur Rechtsverordnung. Die Konkretisierung der gesetzlichen Arbeitszeitregelung erfolgt vielmehr kraft hierarchischer Weisung (hierzu unten C.III.4.), nur eben nicht per Einzelweisung, sondern abstrakt-generell durch Verwaltungs V e r o r d n u n g . 225 Die Auseinandersetzung, ob sich nach materiellen oder nach formellen Kriterien bestimmt, ob ein Rechtssatz oder eine bloße Verwaltungsverordnung vorliegt (vgl. hierzu Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 [1. EL 1997] Rn. 23 f.; Kopp/Schenke, VwGO, §47 Rn. 15, 18; Ziekow, in NKVwGO, §47 [1. EL 1998] Rn. 90 ff, jeweils m.w.N.), erscheint bei rechter Betrachtung gleichermaßen unentscheidbar wie obsolet: Im Zweifelsfällen sind sowohl materielle wie formelle Gesichtspunkte für die Ermittlung bedeutsam und heranzuziehen, welche Rechtsnatur der betreffende Regelungsakt nach dem Willen der erlassenden Stelle haben soll. 222

214

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

ne Rechtsverordnung umgedeutet werden, sondern vielmehr ist sie dann als rechtswidrig zu erachten 226. Deshalb ist es auch nicht überzeugend, wenn gesagt wird, es sei „im allgemeinen allein nicht entscheidend", ob die „normsetzende Stelle den Willen hatte, Rechtssätze oder bloße Verwaltungsvorschriften zu erlassen"; „denn häufig liegt es nicht im Ermessen der normsetzenden Stelle, darüber zu befinden, ob ihre Anordnung ein Rechtssatz sei oder nicht" 227 . Es liegt allerdings nicht im Ermessen des betreffenden Organs, ob eine Rechtsvorschrift erforderlich ist oder ob eine bloße Verwaltungsvorschrift genügt. Wohl aber ist es die alleinige Entscheidung des Organs, ob es eine Rechtsvorschrift erlassen will oder nicht, und es gibt keinen Automatismus, daß es eine Rechtsnorm erlassen wollte, nur weil es dies aus verfassungsrechtlichen oder einfachgesetzlichen Gründen tun mußte. Richtig ist nur, daß nicht leichthin angenommen werden darf, die betreffende Stelle hätte lediglich eine Verwaltungsvorschrift erlassen wollen, obschon eine Rechtsvorschrift nötig gewesen wäre. Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen der verfassungskonformen Auslegung vorgleichbaren Interpretationstopos, nach Möglichkeit eine Auslegung zu wählen, die nicht zur Rechtswidrigkeit des fraglichen Aktes fuhrt 228 . Hingegen findet kein zwingender Schluß von der erforderlichen auf die tatsächlich vorliegende Rechtsnatur statt. Denn letzteres betrifft die rechtliche Qualität des betreffenden Aktes, ersteres seine Rechtmäßigkeit 119. War nach den vorliegenden Indizien eine Verwaltungsverordnung gewollt, so bleibt die betreffende Regelung deshalb auch dann eine eine - freilich rechtswidrige - Verwaltungsverordnung, wenn eine Rechtsnorm erforderlich gewesen wäre. Daß der Rechtssatzbegriff heute nicht mehr nach inhaltlichen Eigenschaften wie etwa der Eignung zu einer „Schrankenziehung" zu bestimmten, sondern rechtstechnisch als eine bestimmte hoheitliche Handlungs/orw zu verstehen ist, sagt noch nichts darüber, welche Merkmale ein hoheitlicher Akt aufweisen muß, um als Rechtssatz begriffen zu werden. Diese insbesondere die Abgrenzung von Rechtsverordnung und Verwaltungsverordnung betreffende Frage wird im hiesigen Zusammenhang vor allem bei der Beurteilung der Rechtsnatur von Organisationsverwaltungsverordnungen bedeutsam und soll deshalb im Rahmen des folgenden Abschnitts behandelt werden. 226

Beispielsweise kam keine Umdeutung der als Verwaltungsvorschrift erlassenen TA Luft in eine Rechtsverordnung in Betracht, obgleich aus europarechtlichen Gründen eine Rechtsvorschrift zur Umsetzung der betreffenden EG-Richtlinie nötig gewesen wäre; vgl. hierzu EuGH, NVwZ 1991, 866, 867; Kopp/Schenke, VwGO, § 98 Rn. 3a. 227 BVerwGE 19, 48, 53; ebenso VGH Mannheim, ESVGH 23, 90, 92. 228 Zur verfassungskonformen Auslegung - Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht als absolutes Kohärenzkriterium im Rahmen der teleologischen Interpretation - vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 177 ff. m.w.N. 229 Vgl. Bachof in FS Laforet, S. 304.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen Daß die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts für das Recht durchdringbar und damit die Kompetenzverhältnisse ihrer Organe und Organteile rechtlich normierbar sind, bedeutet nun, was schon in der Diskussion im Konstitutionalismus1 mit Recht betont und auch von den seinerzeitigen Kritikern nie in Abrede gestellt wurde, nicht, daß alle internen Vorgänge und insbesondere sämtliche internen Kompetenzabgrenzungen notwendig rechtlicher Natur sein müßten2 und Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein könnten. Da die Wesentlichkeitstheorie nicht vorschreibt, daß alle verwaltungsinternen Regelungen wie insbesondere Kompetenzfestsetzungen durch Rechtssatz getroffen werden müßten3, verdient - auch unter Inrechnungstellung des den Rechtssatzbegriff betreffenden Paradigmenwechsels4 - die in der konstitutionellen Staatsrechtslehre vertretene Ausklammerung bestimmter Organisationsmaßnahmen vom Rechtssatzbegriff jedenfalls im Prinzip heute noch Zustimmung. So wie die Vorstellung, die konstitutionelle Rechtslehre habe sämtlichen Regelungen im Verwaltungsinneren die Rechtssatzqualität abgesprochen, ein Zerrbild ist, so wäre es nun umgekehrt eine unzutreffende Übersteigerung, allen (abstrakt-generellen) internen Regelungen Rechtssatzqualität zuzusprechen5. Dementsprechend wird überwiegend angenommen, daß Verwaltungsverordnungen keine Rechtssätze darstellen 6, und daß Geschäftsordnungen zwar Rechtssätze enthalten können, nicht aber notwendig welche enthalten müssen7. Wieso dies aber so ist und wie man sich etwa vorzustellen hat, daß Verwaltungsverordnun1

S. oben C.II.3.C. Haenel, Das Gesetz, S. 235; vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 75. 3 S. oben A.I.2.C. 4 S. oben C.II.5. 5 Gegen ein solches Umschlagen „ins andere Extrem" auch Bethge, Die Verwaltung 1975, 460, 461 f. 6 BVerwGE 55, 250, 255; 58, 45, 49; 66, 75, 81; BVerwG, NJW 2000, 531; BGHZ 111, 63, 67; BGH, NJW 2000, 1042; V G H Mannheim, DÖV 1984, 214, 216; Kopp/ Schenke, VwGO, § 47 Rn. 17; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 881; Schneider, NWVB1. 1996, 92; Stettner, Kompetenzlehre, S. 70; vgl. EuGH, N V w Z 1991, 866, 867; a.A. Erichsen, in FS Menger, S. 213 f.; Lange, Innenrecht, S. 321; Rupp, Grundfragen, S. 29 ff.; ders., JuS 1975,612. 7 OVG Münster, DÖV 1997, 344 f.; Schneider, NWVB1. 1996, 92 f.; femer Kopp/ Schenke, VwGO, § 4 7 Rn. 18; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 882; a.A. Schnapp, VerwArch 1987, 441 Fn. 150. 2

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

gen trotz ihrer offenkundigen rechtlichen Bindungswirkung für die untergebenen Beamten keine Rechtsnormen sind, bedarf der Erläuterung. Dreh- und Angelpunkt dieser Problematik ist die Rechtsnatur und dogmatische Einordnung hierarchischer Weisungen.

1. Hierarchische Weisungen als Anlaß und Gegenstand von Organstreitigkeiten Organstreitigkeiten können sich nicht lediglich an einer (vermeinten) Verletzung rechtssatzmäßiger Kompetenzen entzünden, sondern - jedenfalls in einem rein phänomenologischen Sinne, ob als Rechtsstreitigkeit, ist gerade die Frage auch an sog. „innerdienstlichen" oder „verwaltungsinternen" Weisungen8, die in dieser Arbeit zur Charakterisierung der damit einhergehenden spezifischen Hierarchieverhältnisse im Organisationsinneren 9 als hierarchische Weisungen bezeichnet werden sollen. Derartige Weisungen können Inhalte verschiedenster Art haben, dem Beamten beispielsweise vorgeben, wie er einen Antrag zu bescheiden hat, wann er Sprechstunden für den Publikumsverkehr halten soll, um welche Uhrzeit er seinen Dienst anzutreten hat, wann er Mittagspause machen darf, an welchem Ort und in welchem Zimmer welchen Gebäudes er seinen Dienst zu verrichten hat, welches Referat er übernehmen soll, welche Zuständigkeiten ihm dabei zukommen, etc. Schon diese Beispiele belegen, daß die hier angesprochenen hierarchischen Weisungen in der Verwaltungspraxis keine geringere Bedeutung besitzen als Rechtssätze, und in der Tat können sie - man denke nur an die sogenannten ermessensbindenden bzw. rechtsauslegenden Verwaltungsvorschriften 10 - für den einzelnen Beamten in seiner konkreten Entscheidungssituation vielfach sogar bedeutsamer sein als Rechtsvorschriften. Näherhin lassen sich tätigkeitsleitende und organisatorische Weisungen unterscheiden. Tätigkeitsleitende hierarchische Weisungen sind solche, die die Art und Weise der Ausübung der Amtstätigkeit im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten betreffen 11. Inhaltlich kann eine solche Weisung gerichtet sein auf eine Tätigkeit nach außen oder auf eine im Behördeninternen verbleibende Tätigkeit. Ersteres ist der Fall, wenn ein Organ oder ein Untergebener angewiesen wird, wie gegenüber einem Außenstehenden zu verfahren ist, der nicht selbst als Organwalter in den hierarchischen Verwaltungsaufbau integriert ist. Die Befolgung einer solchen auf das Außenverhältnis zielenden Weisung mündet unmit8

Bachof in FS Laforet, S. 285. Zu Begriff und Bedeutung administrativer Hierarchie Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 77 I. Hierzu näher unten C.III.4. 10 Vgl. hierzu BVerwGE 82, 163, 169; Lerche, in Maunz/Dürig, GG, Art. 84 (24. Lfg. 1985) Rn. 100 ff; Maurer, AllgVerwR, § 24 Rn. 9 f. 11 Vgl. hierzu Haenel, Das Gesetz, S. 238, 240. 9

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

217

telbar in eine Entscheidung oder Maßnahme gegenüber diesem Dritten. Demgegenüber stehen Weisungen, die allein den organisationsinternen Ablauf betreffen. Sie haben für die etwaige Tätigkeit nach außen allenfalls vorbereitende Funktion. Ihre Befolgung betrifft den Dritten nicht unmittelbar, kann aber unter Umständen Auswirkungen für diesen haben, wenn es später zu einer Maßnahme ihm gegenüber kommen sollte. Im Kontext der Organstreitigkeiten kann hier etwa auf das Beispiel des § 39 Abs. 3 S. 5 GemO BW verwiesen werden, wonach die Hauptsatzung einer Gemeinde vorsehen kann, daß der Gemeinderat seinen beschließenden Ausschüssen „allgemein oder im Einzelfall Weisungen erteilen" kann 12 , mit der Folge, daß ein entgegen der Weisung gefaßter Ausschußbeschluß gesetzwidrig im Sinne des § 43 Abs. 3 GemO BW wäre 13. Hier fragt sich, ob der solchermaßen instruierte Gemeinderatsausschuß die Weisung selbst dann hinzunehmen hat, wenn er sie für rechtswidrig erachtet, sei es, weil nach seiner Ansicht die Befolgung der Weisung Kompetenzen anderer Gemeindeorgane verletzte, sei es, weil durch eine weisungsgemäße Beschlußfassung Rechte außenstehender Bürger verletzt würden. Während nach dem schon Gesagten eine Meinungsverschiedenheit bloß über die Zweckmäßigkeit einer solchen Weisung nie Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann 14 , ist klärungsbedürftig, ob ein Rechtsstreit um eine Weisung geführt werden kann, wenn sie nach Meinung des Angewiesenen zwar rechtswidrig ist, aber eben nicht ihn, sondern einen anderen betrifft (also z.B. ein anderes Organ oder einen Bürger). Allgemein fragt sich daher, ob das angewiesene Organ oder Organteil, wenn es die erteilte Weisung für rechtswidrig hält oder gar der Ansicht ist, diese wegen ihrer Defekte nicht befolgen zu müssen, diesen Disput zum Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit gegen das anweisende Organ machen kann. Weisungen können ferner einen organisatorischen Inhalt haben, der nicht auf die Ausübung bestehender Kompetenzen gerichtet ist, sondern auf die Zuweisung und Abgrenzung von Aufgabenbereichen und Zuständigkeiten. Organisatorische Weisungen haben also die Begründung neuer bzw. die Erweiterung, Einschränkung oder Entziehung bestehender Kompetenzen zum Gegenstand15. Derartige Zuständigkeitsbestimmungen können konkreter Natur sein, so wenn etwa der Vorgesetzte anordnet, daß X die Akte A, wohingegen Y die Akte Β bearbeiten soll. Praktisch von besonderer Bedeutung als Instrument der Organisationsgewalt sind freilich die Organisationsverwaltungsverordnungen, die in 12

Zu den entsprechenden Vorschriften in den anderen Bundesländern Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 411. 13 Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, §39 (2. Lfg. 1984) Rn. 31; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 213. 14 S. oben C.I.l.d. 15 Haenel, Das Gesetz, S. 238; vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 450.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

abstrakt-genereller Weise organisationsinterne Kompetenzabgrenzungen zwischen verschiedenen Organen sowie Organteilen vornehmen. Hierunter zählt beispielsweise die Organisationsverfügung des Bürgermeisters zur Einteilung der Gemeindeverwaltung in Dezernate, Abteilungen, Ämter und Büros mit jeweils festgelegten Zuständigkeiten16. Während sich in der Praxis wohl eher selten Probleme hinsichtlich konkret-individueller organisatorischer hierarchischer Weisungen ergeben - daß, um im vorgenannten Beispiel zu bleiben, X weisungswidrig die interessantere oder weniger mühsame Akte Β an sich nimmt, um diese zu bearbeiten, und dem Y die unangenehmere Sache A zuschiebt, dürfte vermutlich nicht oft vorkommen (freilich würde sich, wenn es doch geschähe, durchaus die Frage einer Organstreitigkeit zwischen X und Y stellen) - , sind Streitigkeiten um die in einer Organisationsverwaltungsverordnung weisungsmäßig festgelegten Kompetenzen von potentiell sehr viel größerer Bedeutung. Es gibt in der Tat keinen Grund, weshalb abstrakt-generelle Organisationsverfügungen geringere Auslegungsschwierigkeiten bereiten und weniger Streitigkeiten produzieren sollten als abstrakt-generelle gesetzliche Kompetenzvorschriften.

2. Keine Anrufung der Gerichte gegen hierarchische Weisungen im Betriebsverhältnis Obgleich die tätigkeitsleitenden und noch mehr die organisatorischen hierarchischen Weisungen nicht weniger konfliktträchtig sind als verhaltensleitende oder eben kompetenzbegründende Rechtssätze17 und obgleich sich daher aus den vorstehend dargelegten Gründen phänomenologisch aus derartigen Weisungen ebenso Organstreitigkeiten ergeben wie bei Streitigkeiten über rechtssatzmäßig festgelegte Kompetenzen, fällt auf, daß in der forensischen Praxis derartige Streitigkeiten nur selten vorkommen 18. Diese Diskrepanz zwischen ihrer großen praktischen Bedeutung und Häufigkeit einerseits und ihrer weitgehenden Abwesenheit in der Gerichtspraxis andererseits erklärt sich nicht aus der a priori geringeren Streitlust der von einer solchen hierarchischen Weisung Be16 Vgl. BVerwG, ZBR 1992, 176; V G H Mannheim, VB1BW 1985, 63, 64; Maurer, AllgVerwR, § 24 Rn. 8; Ossenbühl, in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 33; ferner Wolff/ Bachof Verwaltungsrecht II, § 76 I I I a. 17 Zur Konfliktträchtigkeit jedes Organpluralismus oben A.I.3.C. 18 Praktische Bedeutung besitzen vor allem Streitigkeiten, die sich aus der Änderung des Aufgabenbereichs eines Beamten durch Organisationsverfügung ergeben, vgl. BVerwGE 98, 334 ff.; BVerwG, Buchholz 232 § 26 BBG Nr. 21; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 142. - Zu einem (sich allerdings nicht an einer hierarchischen Weisung entzündenden) unzulässigen Verwaltungsprozeß zwischen zwei städtischen Ämtern als „unselbständigen Organisationseinheiten des als Behörde handelnden Oberbürgermeisters vgl. BVerwGE 101, 47, 50.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

21

troffenen. Der Grund ist vielmehr darin zu sehen, daß die Gerichte ohnehin in weitestem Umfange nicht mit Aussicht auf Erfolg gegen derartige Weisungen angerufen werden.

a) Keine gerichtliche Überprüfung hierarchischer

Weisungen

Die Problematik eines gerichtlichen Rechtsschutzes gegen hierarchische Weisungen beschäftigt Rechtsprechung und Lehre schon seit langem, wobei nach einhelliger Ansicht ein solcher Rechtsschutz im Interesse der „Einheit der Verwaltung" grundsätzlich nicht in Betracht kommt 19 . In der Tat ergibt sich schon aus den praktischen Erfordernissen der Verwaltungseffizienz, daß es schwerlich erträglich wäre, Rechtsstreitigkeiten um alle derartigen Weisungen hinzunehmen, beispielsweise Untergebene die dienstlichen Weisungen ihrer Vorgesetzten vor Gericht angreifen oder mehrere Untergebene desselben Vorgesetzten (z.B. verschiedene Dezernenten innerhalb der monokratischen Gemeindeverwaltung) interne Kompetenzstreitigkeiten gerichtlich austragen zu lassen20. So hat das PrOVG in einer frühen Grundsatzentscheidung zwar betont, daß es an sich dem Wesen der Staatsaufsicht nicht widerspreche, deren Ausübung der Rechtskontrolle im Verwaltungsstreitverfahren zu unterwerfen; namentlich die Aufsicht des Staates über andere Körperschaften wie etwa über die Gemeinden unterliege sehr wohl der gerichtlichen Kontrolle, weil die Aufsichtsbehörde hier in ein ihr eigentlich entzogenes fremdes Rechtsgebiet eingreife, was nur unter gesetzlich eng umgrenzten und gerichtlich überprüfbaren Voraussetzungen statthaft sei 21 . „Hiervon grundsätzlich verschieden ist das Verhältniß der polizeilichen Exekutivbehörden zu deren Aufsichtsorganen. Jene, wie diese, leiten ihre Befugnisse aus einer und derselben Quelle, der Polizeigewalt des Staates, die begrifflich eine einheitliche ist, her. Dem entsprechend bildet auch die in verschiedene Instanzen gegliederte staatliche Polizeiverwaltung eine Einheit, inner19

Vgl. BVerwG, DVB1. 1978, 638; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2000, 371, 372; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1997, 474; NVwZ 1998, 94; VGH Mannheim, Die Justiz 1998, 134; OVG Münster, OVGE 6, 224, 227; Bethge, DVB1. 1980, 313 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 86 ff.; Herbert, DÖV 1994, 111; Kisker, Insichprozeß, S. 54 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 113; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 182; Löwer, VerwArch 1977, 339 ff.; Lorenz, AöR 93 (1968), 324; Püttner, Organstreitverfahren, S. 135; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 390; Schneider, NWVB1. 1996, 93; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 53; Schwerdtner, VB1BW 1996, 211 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 94; Ule, VVDStRL 15 (1957), 156 f.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 77 II h 2. 20 Rupp, Grundfragen, S. 58: „eine unbeschränkte Gerichtskontrolle bereits im Bereich der Beziehungen der Organfunktionäre [müßte] das Nervensystem des Staatsorganismus zerschneiden". 21 PrOVGE 3, 345, 347.

2

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

halb deren die Aufsichtsbehörde, soweit sie die Verfügungen der örtlichen Polizeibehörde aufhebt oder abändert, an deren Stelle tritt. Diese Einheit der Polizeiverwaltung schließt eine Organisation nicht aus, welche die lokalen Organe insofern selbstständig stellt, als die Aufsichtsinstanzen deren Befugnisse nicht willkürlich, sondern nur unter bestimmten gesetzlich geordneten Voraussetzungen an sich ziehen können; unvereinbar mit derselben ist aber ein Klagerecht der einen Instanz gegen die andere zur Ordnung der Aufsicht" 22 . An dieser Grundposition hat sich bis heute nichts geändert. Auch das BVerwG bezog in einer Grundsatzentscheidung zu der Möglichkeit der Anfechtung dienstlicher Weisungen durch untergeordnete Organe oder Beamte ablehnend Stellung. Dabei wies es zunächst - übrigens ganz in Einklang mit der Lehre Georg Jellineks und Labands 23 - die Ansicht zurück, „daß es für die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs nicht darauf ankomme, ob der klagende Beamte durch die von ihm angegriffene Maßnahme des Dienstherrn als selbständiger Träger eigener Rechte angesprochen wird oder nur als Glied des Staatsorganismus"24, und führte dann aus: „Soweit der Staatsbürger aber selbst in den die öffentliche Gewalt ausübenden Staatsorganismus eingegliedert ist, wie hier der Kläger durch den freiwilligen Eintritt in ein 'besonderes Gewaltverhältnis', sind Maßnahmen, die an ihn nur in dieser Stellung und nicht als Träger eigener Rechte gerichtet sind, verwaltungsinterne Vorgänge, gegen welche die Verwaltungsgerichte nicht angerufen werden können. Dies gilt insbesondere für alle Vorgänge, welche die öffentliche Verwaltung und die Amtsführung lenken. So sind dienstliche Weisungen einer Aufsichtsbehörde an eine der Anweisung und Aufsicht unterliegende Behörde bei monokratischer Verwaltungsorganisation als verwaltungsinterne Akte nicht im Verwaltungsrechtsweg anfechtbar (...). Das gleiche gilt für - interne - Anordnungen gegenüber einem einzelnen Beamten als Glied der Verwaltung, die lediglich seine Amtsführung lenken und denen er sich durch den freiwilligen Eintritt in ein öffentliches Dienstverhältnis unterstellt hat" 25 . Sofern sich also der Streit ausschließlich um den Erlaß oder die Anwendung einer verwaltungsinternen Weisung letzterer Art dreht, ist er einer gerichtlichen Entscheidung unzugänglich26.

22 23 24 25 26

Ipse η.

PrOVGE 3, 345, 347 f. Vgl. oben C.II.4.b. BVerwGE 14, 84, 85. BVerwGE 14, 84, 86. Vgl. BVerwGE 14, 84, 86; BVerwG, DVB1. 1957, 321, 322 mit zust. Anm. Κ P.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

21

b) Die Unterscheidung von Grund- und Betriebsverhältnis Die Entscheidung, ob eine hierarchische Weisung gerichtlicher Kontrolle unterliegt oder nicht, richtet sich nach dem Vorstehenden danach, ob sie den Angewiesenen als Träger eigener Rechte oder ob sie ihn nur in seiner Stellung als „Glied des Staatsorganismus" und eben nicht als Träger eigener Rechte berührt. Zur präziseren Fassung und dogmatischen Einordnung dieses Unterschiedes wurde die Differenzierung von Betriebs- und Grundverhältnis entwickelt 27 . Unter dem Grundverhältnis wird das rechtliche Verhältnis verstanden, in dem der Beamte oder sonstige Organwalter als mit eigenen Rechten ausgestattetes Rechtssubjekt zu dem Dienstherrn oder Organ steht; zum Grundverhältnis gehören insbesondere alle Fragen, die den Bestand des Beamtenverhältnisses und die dienstrechtliche Stellung des Beamten betreffen 28. Das auf diesem Grundverhältnis basierende und erst durch das Bestehen eines solchen Grundverhältnisses ermöglichte Betriebsverhältnis betrifft demgegenüber nicht die rechtliche Stellung des Beamten als Person mit eigenen subjektiven Rechten, sondern lediglich dessen Rolle als Organwalter im Rahmen der Organisation und deren Funktionsabläufe 29. So einleuchtend diese Unterscheidung an sich ist, so problematisch erweist sich doch nicht selten die Entscheidung, wann eine konkrete Weisung das Grund- und wann sie nur das Betriebsverhältnis betrifft. Diese zu den Hauptschwierigkeiten bei der Beurteilung organisationsinterner Vorgänge zählende Abgrenzung kann nicht danach getroffen werden, daß alle Weisungen zum Betriebsverhältnis zu rechnen wären, die dienstlichen Zwecken und insofern dem Betrieb der betreffenden Organisation oder auch des einzelnen Organs dienen30. Denn daß eine Weisung dienstlichen (amtlichen, betrieblichen) Zwecken dienen muß, um überhaupt von der Gehorsamspflicht gedeckt zu sein 31 , ist ohnehin selbstverständliche Voraussetzung, weil der betroffene Untergebene nur zur Verfolgung solcher Zwecke als „Werkzeug" in die Organisationsstruktur eingegliedert ist und sich einzig zu solchen Zwecken zur Verfugung halten muß, nicht aber etwa zum privaten Nutzen seiner Vorgesetzten oder zu sonst dienst-

27

Grundlegend Ule, VVDStRL 15 (1957), 151 ff.; ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 190 ff.; femer Bull, AllgVerwR, Rn. 783; Kopp, VwVfG, §35 Rn. 51; Maurer, AllgVerwR, § 9 Rn. 28; Schenke, Beamtenrecht, S. 112 f.; ders., VerwaltungsprozeßVerwaltungsrecht I, §45 Rn. 81 f.; vgl. auch recht, Rn. 214 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Laband, Staatsrecht I, S. 515; femer Bachof, in FS Laforet, S. 303 ff; krit. Achterberg, AllgVerwR, §20 Rn. 81; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 12 Rn. 40; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 138 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 119 ff. 28 Vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 190 ff. 29 Vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 193. 30 Vgl. BVerwGE 60, 144, 146; OVG Koblenz, NVwZ-RR 2000, 371, 372. 31 Vgl. Laband, Staatsrecht I, S. 460.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

fremden Zwecken 32 . In diesem Sinne ergehen Weisungen immer „gegenüber dem Beamten allein in seiner Eigenschaft als Amtsträger" 33. Infolgedessen ist aus dem dienstlichen Zweck kein Unterscheidungskriterium zwischen (rein) betriebs- und (auch) grundverhältnisbezogenen Weisungen zu gewinnen. Auch der Versuch, Grund- und Betriebsverhältnis danach abzugrenzen, ob die betreffende hierarchische Weisung „in gleicher Form auch an jeden beliebigen anderen Beamten" hätte gerichtet werden können34, ob dieser also für die Zwekke dieser hierarchischen Weisung austauschbar war 35 , ist untauglich. Ein Beamter kann selbstverständlich auch dann durch eine hierarchische Weisung in seinen persönlichen Rechten betroffen werden, wenn diese statt seiner ebensogut seinen Kollegen hätte treffen können, so daß dann eben dieser in seinen persönlichen Rechten betroffen gewesen wäre. Ist beispielsweise eine dringliche Angelegenheit zu bearbeiten und weist der Vorgesetzte deshalb den Beamten an, am Wochenende Dienst zu tun, der ihm gerade zufällig als erster auf dem Korridor begegnet, so wird dieser doch allemal in seinen Rechten betroffen - ob verletzt, ist eine andere Frage, weil eine solche Weisung rechtmäßig sein kann - , und an diesem Umstand ändert sich nicht deshalb etwas, weil der Vorgesetzte aus dienstlichen Gründen ebensogut dessen Kollegen mit dieser Aufgabe hätte betrauen können. Entscheidend für die Abgrenzung muß vielmehr die Wirkung der hierarchischen Weisung aus Sicht des betroffenen Beamten sein36. Wenn hier von der Wirkung gesprochen wird, die eine hierarchische Weisung auf das Grundverhältnis haben kann, so ist daran zu erinnern 37, daß damit nicht statusrelevante Maßnahmen gemeint sind. Die Begründung, Änderung oder Beendigung des Rechtsstatus als Amtsträger und damit des Grundverhältnisses überhaupt ist nie im Wege hierarchischer Weisung zu bewirken, sondern stets nur durch Hoheitsakt auf entsprechender gesetzlicher Grundlage, und daher immer rechtlich relevant 38 . Wenn also nach hierarchischen Weisungen gefragt wird, die das Grundverhältnis betreffen, so muß es sich um solche handeln, die zwar die Rechtsstellung des Betroffenen berühren, nicht aber geradezu den Bestand seiner Organwalterstellung verändern. Hierzu zählen alle internen Akte, die - gewollt oder ungewollt - die subjektive Rechtsstellung des Beamten persönlich betreffen,

32

Vgl. Laband, Staatsrecht I, S. 460. BVerwGE 14, 84,85. 34 Barth, Subjektive Rechte, S. 88. 35 Maurer, AllgVerwR, § 9 Rn. 28. 36 Vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 304; Schenke, Beamtenrecht, S. 113, 180 f. 37 S. oben A.II.4.a. und b. 38 Vgl. Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 141 f.; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 52; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 214 f.; ders., Beamtenrecht, S. 113; öle, VVDStRL 15 (1957), 152 f.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 73 III a 3, b. 33

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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auch wenn sie als Weisung des Vorgesetzten ergehen 39. Denn zum Betriebsverhältnis gehören Akte nicht schon deshalb, weil sie zum Zweck des Betriebs der betreffenden Behörde oder Organisation ergehen. Die Zuordnung einer Maßnahme zum Grund- bzw. Betriebsverhältnis ist nach dem Kriterium vorzunehmen, ob sie sich auf das Privatleben auswirkt, nämlich auf die Lebensführung des Betroffenen außerhalb des Dienstes 40 oder auf sein soziales Ansehen. Alles, was der Betroffene nach Dienstschluß und Feierabend hinter sich lassen kann, gehört allein zum Betriebsverhältnis. Was dagegen notwendig in das Privatleben hinüberwirkt, den Beamten in seinen privaten Lebensverhältnissen betrifft, nämlich sein soziales Ansehen beeinträchtigt oder ihm eine bestimmte Lebensführung aufnötigt bzw. ihn zu einer Änderung einer einmal angenommenen Ordnung seiner privaten Lebensführung zwingt, bleibt nicht im Betriebsverhältnis, sondern berührt ungeachtet der dienstlichen Veranlassung der Maßnahme auch das Grundverhältnis. Zu betonen ist, daß mit der Feststellung einer solchen Relevanz für das Grundverhältnis selbstverständlich noch keine Aussage über die Zulässigkeit der betreffenden Weisung getroffen ist, da auch das Grundverhältnis berührende Weisungen natürlich sehr wohl rechtmäßig sein können, weil sich der Beamte im Interesse des geordneten und effizienten Funktionierens des Staates auch Eingriffe in seine subjektiven Rechte gefallen lassen muß 4 1 , 4 2 . 39 Z.B. gemeindeinteme Änderung der Dezernatseinteilung, aufgrund welcher der im Beamtenrecht wurzelnde subjektivrechtliche Anspruch eines Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung verletzt wird, vgl. VG Braunschweig, NdsVBl. 1998, 266 f. 40 Vgl. BVerwG, DÖV 1999, 695, 696: Weisung an einen uniformierten Polizeibeamten, seine Haare zu kürzen, wirkt anders als die Einschränkung bezüglich des Tragens von Schmuckstücken im Dienst „unausweichlich auf die Privatsphäre fort"; femer Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 56 („Privatsphäre des Beamten"); Maurer, AllgVerwR, § 9 Rn. 28 („in seinen persönlichen Verhältnissen" betroffen); Schenke, Beamtenrecht, S. 181 („persönliche Belange des Beamten betroffen"); Schnapp, Amtsrecht, S. 280 f. (der das Kriterium der Privatsphäre allerdings nicht zur Abgrenzung von Grund- und Betriebsverhältnis heranzieht, sondern damit die Konkordanzabwägung zwischen den Grundrechten des Beamten und der Funktionsfähigkeit der Verwaltung vornehmen will). 41 Zu diesem Kollisionsverhältnis vgl. BVerfGE 39, 334, 366 f.; Isensee, HdbVerfR, § 32 Rn. 80 f.; Schenke, Beamtenrecht, S. 92 f. 42 Angesichts der sehr weitreichenden Pflichten des Beamten zur Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit kann zwar die Anordnung des Dienstherrn an einen alkoholabhängigen Beamten, sich einer stationären Entziehungskur zu unterziehen, noch als dienstlich veranlaßte Weisung verstanden werden. Allerdings betrifft die Maßnahme die private Lebensführung des Betroffenen und damit das Grundverhältnis, so daß der Beamte insoweit subjektive Rechte anführen kann. Aufgrund der Erheblichkeit einer stationären Entziehungskur für die private Lebensführung übersteigt die Anordnung die Weisungsbefugnis des Dienstherrn (vgl. VGH München, ZBR 1999, 68, 69); sie greift in unverhältnismäßiger Weise in das Grundverhältnis ein, so daß der

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Zum Grundverhältnis gehören danach beispielsweise Weisungen, die Dauer sowie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit festlegen, ferner solche, die den Dienstort bestimmen, wenn dies entweder die vom Beamten zu erbringende Anfahrtszeit in meßbarer Weise erhöht, einen spürbar größeren Aufwand oder gar einen Umzug erforderlich macht. Zum Betriebsverhältnis gehören demgegenüber insbesondere Weisungen, die allein den Dienst- und Arbeitsinhalt betreffen. Bloße sachliche Differenzen über die Richtigkeit der Weisung verlassen nicht das Betriebsverhältnis, weil derartige Meinungsverschiedenheiten nicht das private Leben des Beamten berühren. Anders kann es sich verhalten, wenn den Betroffenen ernsthafte Gewissensnöte hindern, eine dienstliche Weisung zu befolgen; denn da man das Bewußtsein, gegen ein Gewissensgebot verstoßen zu haben, nicht mit Dienstschluß ablegen kann, muß die resultierende seelische Qual notwendig über den Dienst hinaus in das Privatleben fortwirken, so daß derartige Weisungen - wenngleich möglicherweise rechtmäßig - in das Grundverhältnis eingreifen. Nach diesem Kriterium ist auch die umstrittene Frage der Einordnung von Umsetzungen zu beantworten: Grundsätzlich gehört die Zuweisung bestimmter dienstlicher Tätigkeiten allein dem Betriebsverhältnis zu, weil die Frage, welches konkrete Amt der Beamte auszuüben hat, nach Dienstschluß keine Rolle mehr spielt. Anders verhält es sich, wenn ihm eine unterwertige Tätigkeit zugewiesen wird oder wenn eine Umsetzung nach den gegebenen Umständen diskriminierenden Charakter hat 43 . Denn eine solche unterwertige Beschäftigung oder Diskriminierung trifft den Beamten in seiner Persönlichkeit, und dies kann er nicht einfach nach Dienstschluß ablegen, zumal derartige Umstände ihn sowohl in den Augen seiner Kollegen als auch in seinem sozialen Achtungsanspruch im privaten Kreis zu beeinträchtigen geeignet sind. Auch eine solche Wirkung macht die Umsetzung zwar nicht zu einem Verwaltungsakt 44, weil eine nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtete Maßnahme nicht dadurch zum Verwaltungsakt wird, daß sie sich im Einzelfall faktisch als Rechtsbeeinträchtigung auswirkt. Aber der betroffene Beamte kann sie als

Dienstherr, wenn der Beamte die nötige Einsicht in die Gebotenheit einer solchen Maßnahme nicht aufzubringen oder nicht einsichtsgemäß zu handeln vermag, nach den bei Dienstunfahigkeit allgemein geltenden Vorschriften zu verfahren hat. 43 Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 42 Rn. 70; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 205; ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 218; ferner Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 12 Rn. 41. 44 So aber früher BVerwGE 14, 84, 87; 45, 39, 42. 45 BVerwGE 60, 144, 145; 98, 334, 335 f.; BVerwG, ThürVBl. 1997, 89; Kopp/ Schenke, VwGO, Anh. § 42 Rn. 70; Maurer, AllgVerwR, § 9 Rn. 26.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Eingriff in seine Rechte insbesondere mittels allgemeiner Leistungsklage oder Feststellungsklage gerichtlich überprüfen lassen46. Während das Grundverhältnis berührende Maßnahmen gerichtlicher Kontrolle unterliegen, können nach herrschender Meinung dienstliche Weisungen des Vorgesetzten und andere Maßnahmen, die ausschließlich das Betriebsverhältnis betreffen, gerichtlich nicht angegriffen werden 47. Dies gilt insbesondere auch fur organisatorische Maßnahmen wie die Änderung einer Dezernatseinteilung und des Ämterzuschnitts sowie des bisherigen Aufgabenbereichs eines Beamten, hinsichtlich welcher dem Dienstherrn „eine nahezu uneingeschränkte organisatorische Dispositionsbefugnis" zukommt 48 ; die betroffenen Beamten können derartige Maßnahmen nicht gerichtlich anfechten, solange sie nicht in ihrem persönlichen Rechtsstatus beeinträchtigt werden 49. Zu berücksichtigen ist dabei übrigens, daß die Zuordnung einer Maßnahme zum Grund- bzw. Betriebsverhältnis von den konkreten Umständen ihrer Vornahme abhängen kann. Eine Maßnahme, die bei äußerlicher Betrachtung unproblematisch in das Betriebsverhältnis zu fallen scheint (z.B. eine aus organisatorischen Gründen vorgenommene Umsetzung), kann in Wahrheit doch eine das Grundverhältnis berührende Maßnahme sein, wenn sie nämlich zur Abstrafung des Betroffenen erfolgte und diesen daher zu diskriminieren oder in seinem sozialen Ansehen herabzusetzen geeignet ist. Deshalb kann der Betroffene bei objektiv betriebsverhältniszugehörigen Maßnahmen eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung daraufhin erlangen, „ob sie durch Ermessensmißbrauch maßgebend geprägt sind, insbesondere, ob die Gründe des Dienstherrn seiner tatsächlichen Einschätzung entsprachen oder etwa nur vorgeschoben sind, um eine in Wahrheit auf anderen Beweggründen beruhende Entscheidung zu rechtfertigen" 50. Erweist sich solchenfalls, daß die Betriebsgründe (teilweise) nur vorgeschoben waren und daß eigentlich der Beamte (zumindest auch) persönlich getroffen werden sollte, so unterliegt die Maßnahme als Eingriff in das Grundverhältnis der üblichen Kontrolle auf die Pflichtmäßigkeit der Ermessensausübung51; wenn nicht materiell-, so wird dabei zumindest formellrechtlich das 46 Vgl. BVerwGE 60, 144, 146; 89, 199, 200 f.; 98, 334, 335 f.; Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 42 Rn. 70; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 118, 150; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 218; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 146 f. 47 OVG Koblenz, NVwZ-RR 2000, 371, 372; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1999, 297 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 97 f., 214 ff.; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 195; vgl. auch Battis , BBG, § 3 Rn. 5. 48 BVerwG, ZBR 1992, 176, 177; OVG Koblenz, ZBR 1999, 284. 49 Vgl. BVerwGE 60, 144, 150 f.; 98, 334, 337 ff.; BVerwG, ZBR 1992, 175 f.; 1992, 176 f.; VG Braunschweig, NdsVBl. 1998, 266 f. 50 OVG Koblenz, ZBR 1999, 284; vgl. BVerwGE 89, 199, 203. 51 Zu diesem Kontrollmaßstab bei das Grundverhältnis berührenden Maßnahmen unten C.III.6.a.

17 Roth

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

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Operieren mit vorgeschobenen Scheinbegründungen in aller Regel zu beanstanden sein. Ergibt sich dagegen, daß die Maßnahme tatsächlich allein aus den angegebenen im Betriebsverhältnis liegenden Gründen motiviert war, so hat es damit sein Bewenden; eine weitergehende gerichtliche Kontrolle findet dann nicht mehr statt.

Am Ausschluß der gerichtlichen Überprüfbarkeit hierarchischer Weisungen im Betriebsverhältnis ist weniger das als solches unangefochtene Ergebnis als vielmehr dessen dogmatische Begründung von wissenschaftlichem Interesse. Denn in der Tat ist es schon von den praktischen Bedürfnissen her unabdingbar, dienstliche Weisungen von der gerichtlichen Überprüfung auszunehmen. Die Vorstellung, jeder Beamte oder jedes nachgeordnete Organ könnte gegen sämtliche Weisungen seiner Vorgesetzten oder übergeordneten Organe ohne weiteres verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz erlangen, befremdete schon im Hinblick auf die absehbar nachteiligen Folgen für die Funktionsfähigkeit der Verwaltung 52 . Zudem kann man sich auch nicht der Überlegung verschließen, daß eine derartige gerichtliche Einflußnahme auf verwaltungsinterne Vorgänge dem traditionellen und auch vom Gesetzgeber sanktionierten Bild der Verwaltung, ihrer Hierarchie sowie ihrer Abgrenzung zur Judikative zuwiderliefe 53. Fraglich ist jedoch, wie es dogmatisch zu begründen ist, daß hierarchische Weisungen im Betriebsverhältnis keiner gerichtlichen Überprüfung unterliegen sollen. Schließlich ersetzt die Einsichtigkeit des praktischen Bedürfnisses nicht die dogmatische Begründung des gewünschten Resultates. Die Antwort hierauf fällt keineswegs leicht. Immerhin muß der Untergebene derartige Weisungen von Rechts wegen befolgen, und er setzt sich disziplinarischer Maßregelung aus, wenn er das nicht tut. Eine solche Befolgungspflicht aber müßte nach normalen Maßstäben zumindest einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit darstellen und schon aus diesem Grund zum Gegenstand eines Rechtsstreites gemacht werden können. Es bedarf daher der Begründung, weshalb dies in aller Regel nicht möglich sein soll, ohne dabei in unzulässige Impermeabilitätsvorstellungen zu verfallen 54. Für das PrOVG war es noch möglich, die Unzulässigkeit derartiger Rechtsschutzbegehren unter Hinweis auf ihre Nichtaufnahme in den enumerierten Katalog zulässiger Klagen zu begründen 55. Eine solche Argumentation scheidet 52 53 54 55

S. oben C.III.2.a. Vgl. PrOVGE 3, 345, 346 f. Zur Unrichtigkeit etwaiger Impermeabilitätstheorien ausführlich oben C.II. Vgl. PrOVGE 3, 345, 346 f.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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heute dank der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel aus. Aus demselben Grund läßt sich das Fehlen einer gerichtlichen Überprüfbarkeit hierarchischer Weisungen im Betriebsverhältnis auch nicht mit einer oft gebrauchten Formulierung 56 damit erklären, daß Weisungen und sonstige Maßnahmen, die ausschließlich das Betriebsverhältnis berühren, keine gerichtlich anfechtbaren Verwaltungsakte seien. Letzteres ist zwar richtig, jedoch als Argumentation unvollständig und insofern irreführend: Dank der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel hängt die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz erlangen zu können, gerade nicht mehr vom Vorliegen eines Verwaltungsaktes ab 57 . Infolgedessen genügt die bloße Verneinung des Verwaltungsaktscharakters dienstlicher Weisungen keinesfalls als Begründung, hiergegen gerichtete Rechtsschutzmöglichkeiten des Beamten ausschließen zu können58. Daß eine Anfechtungsklage ausscheidet, hieße also nicht, daß der angewiesene Beamte nicht etwa mittels allgemeiner Leistungs- oder Feststellungsklage gegen die Weisung vorgehen könnte. Die Lösung der hiermit aufgeworfenen Problematik besitzt grundsätzliche Bedeutung für die Organstreitigkeiten insgesamt. Ein wesentlicher Grund für die Verneinung subjektiver Rechte von Organen ergab sich nämlich stets aus der Befürchtung, daß ihre Bejahung womöglich zu einer im praktischen Resultat inakzeptablen Justitiabilität verwaltungsinterner Vorgänge führen könnte. Wenn demgegenüber der Nachweis zu erbringen wäre, daß bei einem dogmatisch richtigen Verständnis hierarchischer Weisungen diese schon ihrer Natur nach keiner gerichtlichen Anfechtung zugänglich sind, entfiele ein wichtiger Einwand gegen subjektive Organrechte, und dies hat dann wiederum größte Bedeutung für die Austragbarkeit von Organstreitigkeiten im übrigen. Indessen ist die dogmatische Begründung dieses konsentierten Ergebnisses zweifelhaft. Letztlich kann sie nur darin liegen, daß der dienstlichen Weisung nicht lediglich der Verwaltungsaktscharakter, sondern überhaupt die subjektivrechtliche Relevanz abgesprochen (nachfolgend a) oder noch weiter gehend angenommen wird, daß insoweit kein Streit um rechtliche Beziehungen vorliegt 59 (unten b).

a) Keine Erklärung mit Hilfe der fehlenden subjektiven Rechtsstellung Es liegt nahe, die grundsätzliche gerichtliche Unangreifbarkeit hierarchischer Weisungen damit zu erklären, daß untergeordneten Organen im Verhältnis zu

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Battis , BBG, § 3 Rn. 5; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 43; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 193. 57 BVerwGE 19, 19, 20; 60, 144, 148; Battis , BBG, § 56 Rn. 9. 58 BVerwGE 60, 144, 145; 98, 334, 335 f.; Battis , BBG, § 56 Rn. 9; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 178; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 98. 59 Zutreffend Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 35.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

ihrer vorgesetzten Stelle eben die subjektive Rechtsstellung fehle 60 , um deren Schutz es - von wenigen Sonderfällen abgesehen - im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geht 61 . Ein solcher Ansatz scheint bereits bei dem zitierten Urteil des PrOVG 62 durch, wenn dieses besonders den Unterschied zwischen der staatlichen Rechtsaufsicht über verselbständigte Körperschaften mit eigenem Rechtskreis auf der einen und der Fachaufsicht über in die Verwaltungseinheit eingegliederte staatliche Behörden ohne solchen eigenen Rechtskreis auf der anderen Seite betonte63. Ohne subjektive Rechtsinhaberschaft wäre zwar nicht schon der Verwaltungsrechtsweg verschlossen und immerhin noch eine Rechtsstreitigkeit gegeben, aber es wäre doch im Ergebnis nie eine Klagebefugnis oder ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gegeben, so daß jede diesbezügliche Klage als unzulässig abzuweisen und damit den benannten praktischen Bedürfnissen genügt wäre. Ginge es lediglich um Weisungen gegenüber in den hierarchischen Verwaltungsaufbau eingeordneten Organen oder Organteilen, so wäre es in der Tat möglich, die dogmatische Lösung des geschilderten Problems durch eine generelle Negierung von subjektiven Rechten derselben zu versuchen. Tatsächlich aber greift dieser einfache Lösungsansatz zu kurz. Denn hierarchische Weisungen brauchen nicht nur gegenüber Organen oder Organteilen ausgesprochen werden, sondern können auch direkt an einen Organwalter gerichtet sein. Da diesbezüglich eine pauschale Verneinung subjektiver Rechte ausscheidet (nachfolgend aa), gleichzeitig aber sämtliche hierarchischen Weisungen dogmatisch gleich zu behandeln sind (unten bb), läßt sich die Unangreifbarkeit hierarchischer Weisungen im Betriebsverhältnis nicht über eine Verneinung der subjektiven Rechtsstellung erklären (unten cc).

aa) Subjektive Rechte des angewiesenen Beamten Hierarchische Weisungen werden oftmals direkt an einen konkreten Organwalter adressiert, und demzufolge kann es zum Streit über die Weisung zwischen diesem und seinem Vorgesetzten kommen, etwa weil der Beamte die an ihn gerichtete Weisung für im Außenverhältnis rechtswidrig hält. Wenn nun das BVerwG derartige Weisungen von der gerichtlichen Kontrolle ausnehmen will 6 4 , so kann dies nicht mit einer pauschalen Negierung subjektiver Rechte des angewiesenen Beamten begründet werden. Denn es ist mittlerweile gesicherte

60 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 87; Löwer, VerwArch 1977, 339 ff.; Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 28; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 95 f.; ferner Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 45 Rn. 82. 61 Hierzu näher unten C.IV. 1. 62 S. oben C.III.2.a. 63 Vgl. PrOVGE 3, 345, 347 f. 64 S. oben C.III.2.a.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Erkenntnis, daß ein Organwalter durch seine Eingliederung etwa als Beamter in das als besonderes Gewaltverhältnis 65 ausgestaltete Beamtenverhältnis nicht seiner (Grund)Rechte verlustig geht 66 . Die Aussage, daß „der Beamte als Amtswalter nicht grundrechtsfähig" sei 67 , „daß er als integraler Teil der Staatsorganisation gerade kein Adressat der Grundrechte ist und daß er seine Aufgaben nicht aus eigenem Recht und zum eigenen Nutzen, sondern treuhänderisch zum Wohl der Allgemeinheit wahrnimmt" 68 , ist sowohl in gewisser Weise richtig als auch irreführend. Gewiß steht niemandem „als Amtswalter", d.h. gerade in und aufgrund seiner Funktion als Amtswalter ein Grundrecht zu, und deshalb kann sich niemand unter Bezugnahme auf seine Amtswalterstellung auf ein Grundrecht berufen, das ihm jenseits dieser Amtswalterstellung nicht zukäme; in diesem Sinne kann folglich niemand „als Amtswalter" in einem Grundrecht beeinträchtigt werden. Dies ändert aber nichts daran, daß ein Bürger, der zum Beamten ernannt und in ein Amt eingewiesen wird, als Bürger seine Grundrechte in dieses Amt sozusagen mit hineinnimmt. Der Beamte ist nie nur Amtsträger, sondern eben immer auch Bürger, und obschon er in seiner ersteren Funktion keine Grundrechte invozieren kann, stehen ihm doch in seiner letzteren Eigenschaft seine sämtlichen Grundrechte weiterhin zu: Der Amtswalter „steht zwar 'im Staat' und ist deshalb mit besonderen Pflichten belastet, die ihm dem Staat gegenüber obliegen, er ist aber zugleich auch Bürger, der seine Grundrechte gegen den Staat geltend machen kann" 69 . Dem läßt sich auch nicht durch eine „bereichsdifferenzierte Bewertung der jeweils betroffenen Sphäre des Beamten"70 begegnen71. Diese

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Zum besonderen Gewaltverhältnis näher unten C.II 1.4. Vgl. BVerfGE 39, 334, 366; BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, 680; OVG Koblenz, DVB1. 1999, 330, 331; Achterberg, AllgVerwR, § 14 Rn. 57; Erichsen, in FS Wolff, S. 238 ff.; Hofmann, ZBR 1998, 198; Isensee, HdbVerfR, § 32 Rn. 80; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 28; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 46; Leuze, ZBR 1998, 188 f.; Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 7; Robbers, JuS 1985, 926; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 97; ders., Beamtenrecht, S. 86 ff.; Schmidt-Bremme, NVwZ 1996, 455 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 275 f.; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 209 ff; Stern, Staatsrecht I, § 11 IV 4; ders., Staatsrecht III/l, § 74 III 5; a.A. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 128 f.; anders früher auch etwa Jacobi, HdbDStR II, S. 256. 67 OVG Koblenz, DVB1. 1995, 629, 630; vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 2000, 371, 372; Erichsen, VerwArch 1980, 437; Isensee, HdbVerfR, §32 Rn. 81; Leuze, ZBR 1998, 189. 68 OVG Koblenz, DVB1. 1995, 629, 630; Isensee, HdbVerfR, §32 Rn. 81; vgl. Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 73 III d 1. 69 BVerfGE 39, 334, 366. 70 OVG Koblenz, DVB1. 1995, 629; ebenso OVG Koblenz, NVwZ-RR 2000, 371, 372. 71 In diese Richtung etwa Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 88. 66

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Differenzierung der „Rechtsebenen" Amt und Privatbereich 72 löst das Problem deshalb nicht, weil der angewiesene Beamte nun einmal beide Ebenen in seiner Person vereinigt. So schizophren kann nämlich der Beamte kaum sein, um ihn durch eine Weisung allein „als Amtswalter" ansprechen zu können, obschon er doch die Weisung mit seinen eigenen Händen ausführen und sich insofern notwendig auch als Mensch angesprochen fühlen muß 73 . Dies wird letztlich auch von denen konzediert, die den „Beamten als Amtsträger" vom Grundrechtsschutz ausnehmen wollen, dann aber „Ausnahmen" hiervon machen müssen, etwa „wenn eine dienstliche Weisung von dem Beamten die Preisgabe seiner Menschenwürde verlangt" 74 , in welchen Fällen der Grundrechtsschutz „aktiviert" sei 75 . Es ist nämlich nicht überzeugend, es vom Inhalt oder den Wirkungen der Weisung abhängig zu machen, ob der angewiesene Beamte als Amtsträger oder als Bürger angesprochen wird. Entweder die Weisung unterliegt immer der Kontrolle am Maßstab der Grundrechte oder nie; für eine Differenzierung dahin, daß sie sich zwar an Art. 1 Abs. 1 (Menschenwürde) 76 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (allgemeines Persönlichkeitsrecht) 77 messen lassen müsse, nicht aber an den anderen Grundrechten und insbesondere nicht an Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) 78, läßt sich allenfalls das - intuitiv richtige - Ergebnis anführen, aber keine durchgreifende dogmatische Begründung nachweisen. Zwar kann in diesem Zusammenhang auf die Vorschrift des Art. 33 Abs. 4, 5 GG verwiesen werden, wonach das besondere Dienst- und Treueverhältnis der Angehörigen des öffentlichen Dienstes deren materielles Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu überlagern und dadurch auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG auszuschließen geeignet sei 79 . Es ist zu konzedieren, daß sich im Wege einer solchen Kollisionskonstruktion eine unterschiedliche Behandlung verschiedener Grundrechte begründen läßt, nämlich in Abhängigkeit von

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OVG Koblenz, DVB1. 1995, 629; NVwZ-RR 2000, 371, 372; Barth, Subjektive Rechte, S. 75; Isensee, HdbVerfR, § 32 Rn. 80; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 182; Stern, Staatsrecht III/l, § 74 III 5 b, S. 1385 ff. 73 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 74; Böckenförde, Gesetz, S. 380 f.; Rupp, Grundfragen, S. 25; Schnapp, Amtsrecht, S. 157; ferner Bull, AllgVerwR, Rn. 566; Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 43. 74 Leuze, ZBR 1998, 189; ebenso Erichsen, VerwArch 1980, 437; Isensee, HdbVerfR, § 32 Rn. 81 Fn. 149. 75 Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 47; Leuze, ZBR 1998, 189. 76 Isensee, HdbVerfR, § 32 Rn. 81 Fn. 149; Leuze, ZBR 1998, 189. 77 Leuze, ZBR 1998, 193 f. 78 Vgl. BVerfGE 39, 334, 367. 79 Vgl. Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 201; ders., Beamtenrecht, S. 110 f.

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ihrer jeweiligen Wertigkeit 80 . Auch ist damit ein wichtiger Gesichtspunkt angesprochen, der, wie noch zu zeigen sein wird 81 , einen wesentlichen Faktor bei der Problemlösung darstellt. Gleichwohl dringt auch dieser Hinweis nicht zum Kern des Problems durch. In allen übrigen Zusammenhängen ist nämlich anerkannt, daß die Kollision eines Grundrechts mit einem entsprechend hochrangigen Verfassungsgut dem Staat zwar ein Recht zum Eingriff m dieses Grundrecht gibt 82 , ihn also materiell berechtigt, das betreffende Verfassungsgut zu Lasten des Grundrechts durchzusetzen. Eine derartige Verfassungskollision begründet aber lediglich eine grundrechtliche Eingriffsrechtfertigung und läßt nicht das Grundrecht als solches entfallen 83. Dementsprechend kann der Grundrechtsträger jede Maßnahme mit der Begründung gerichtlich überprüfen lassen, der Staat habe die Konkordanzmäßigkeit bei der Auflösung der Verfassungskollision mißachtet und dadurch sein Grundrecht verletzt. Es stellte deshalb einen dogmatischen Bruch dar, die „Überlagerung" des Art. 2 Abs. 1 GG durch Art. 33 Abs. 4, 5 GG so weit zu verstehen, dieses Grundrecht gänzlich entfallen zu lassen. Vielmehr ist diese Kollisionslage ebenso wie sonstige Verfassungskollisionen im allgemeinen Bürger-Staat-Verhältnis in der Weise aufzulösen, daß die von Art. 33 Abs. 4, 5 GG verfassungsrechtlich anerkannten Verwaltungsbedürfnisse Eingriffe in die als solche fortbestehenden Grundrechte der Beamten materiell rechtfertigen können84. Somit ist davon auszugehen, daß dem Beamten sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verbleibt und die gerichtliche Kontrolle hierarchischer Weisungen nicht mit dem Argument auszuschließen ist, eine solche Weisung könne den Beamten überhaupt nicht in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit betreffen, weil sie ihm im Rahmen des Betriebsverhältnisses überhaupt nicht mehr zustehe. Daß Beamte die an sie gerichteten Weisungen im allgemeinen nicht anfechten können, läßt sich ebensowenig damit begründen, daß Weisungen an Beamte normalerweise nicht nachgerade zu dem Zweck erteilt werden, diese in ihren fortbestehenden subjektiven Rechten zu beeinträchtigen. Denn das Fehlen einer Eingriffsintention ist irrelevant: „Beschränken sich indessen im Einzelfall die potentiellen Wirkungen einer als verwaltungsintern gedachten Maßnahme des Dienstherrn nicht auf die Stellung des Beamten als Amtsträger und Glied der Verwaltung, sondern erstrecken sie sich - über die Konkretisierung der Gehor80

Vgl. Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 47 f. S. unten C.III.Ó.b. 82 Vgl. hierzu eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 470 ff., 573 ff. m.w.N. 83 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 481 ff. m.w.N. 84 Vgl. BVerwGE 10, 213, 217 f.; BVerwG, DVB1. 1999, 1441, 1442; OVG Koblenz, DVB1. 1999, 330, 331; Achterberg, AllgVerwR, §14 Rn. 57 f.; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 48; Schenke, Beamtenrecht, S. 87 f.; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 210 f.; fur die Wehrverfassung (Art. 87a Abs. 1 GG) entsprechend BVerwG, NVwZ 1996, 474; Schmidt-Bremme, NVwZ 1996, 456. 81

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samspflicht hinaus - auch auf dessen Stellung als eine dem Dienstherrn mit selbständigen Rechten gegenüberstehende Rechtspersönlichkeit", so ist die Maßnahme im Verwaltungsrechtsweg angreifbar 85. Wenn eine Maßnahme rechtlich oder faktisch in die Rechte eines Rechtssubjektes eingreift 86 , dann spielt es für ihre gerichtliche Anfechtbarkeit keine Rolle, ob sie von dem Organ, von dem sie herrührt, möglicherweise als rein interne Dienstanweisung verstanden wurde und ihm ihre rechtsbeeinträchtigende Wirkung gar nicht in den Blick gekommen ist. Entscheidend ist nicht die Intention 87 , ob sie lediglich „als verwaltungsintern gedacht" war, sondern allein der Effekt des Eingriffs in ein Recht. Ob eine sich solcherart auswirkende Maßnahme darum als Verwaltungsakt, als innerorganisatorischer Rechtsakt eigener Art oder als schlichthoheitliche Maßnahme zu verstehen ist, betrifft eine Frage der Handlungstypenlehre, die nicht die grundsätzliche Feststellung berührt, daß es sich jedenfalls um einen Akt handelt, der Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann. Nimmt man die Erkenntnis ernst, daß der Amtswalter seine Grundrechte behält, dann kann die Anfechtung einer an ihn gerichteten Weisung nicht einfach unter Berufung darauf ausgeschlossen werden, daß er keine subjektiven Rechte habe. Wenn eine Weisung, die, wäre sie an einen beliebigen Bürger ergangen, als Eingriff in dessen allgemeine Handlungsfreiheit unzweifelhaft der gerichtlichen Überprüfung unterläge, als dienstliche Weisung gegenüber einem Beamten keiner solchen Überprüfung unterliegen soll, obschon doch der Beamte eben auch ein Bürger mit eigenen Rechten ist und er die Weisung in seiner Person befolgen muß, so läßt sich dies nicht mit der fehlenden subjektivrechtlichen Relevanz der fraglichen Weisung erklären. Jedenfalls für Beamte bedarf es daher einer anderweitigen dogmatisch stimmigen Erklärung dafür, weshalb sie dienstliche Weisungen trotz deren Grundrechtsrelevanz nicht mit Aussicht auf Erfolg anfechten können, solange sich diese im betrieblichen Bereich halten und solange die Ausführung der Weisung nicht dem Beamten als Bürger mit fortbestehenden Grundrechten unzumutbar wird.

bb) Dogmatische Gleichbehandlung aller hierarchischen Weisungen Daß sich die fehlende gerichtliche Überprüfbarkeit der unmittelbar an einen Beamten adressierten hierarchischen Weisung im Betriebsverhältnis nach dem Vorstehenden nicht mit fehlenden subjektiven Rechten desselben begründen 85 BVerwGE 14, 84, 87; ebenso BVerwGE 19, 19, 21; ferner Schnapp, Amtsrecht, S. 229. 86 Zu den Kriterien für die Abgrenzung rechtlicher und faktischer Eingriffe eingehend Roth,, Faktische Eingriffe, S. 225 ff. 87 Vgl. allgemein dazu, daß das Vorliegen eines Eingriffs nicht von einer auf das Eingreifen gerichteten Intention abhängt, Roth, Faktische Eingriffe, S. 199 ff.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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läßt, würde nun zwar nicht zwingend hindern, hierarchische Weisungen gegenüber Organen und Organteilen mit eben dieser Begründung von der gerichtlichen Kontrolle auszunehmen. Denn theoretisch könnte man daran denken, hierarchische Weisungen an Organwalter auf der einen bzw. an Organe und Organteile auf der anderen Seite dogmatisch unterschiedlich zu konstruieren, und zwar so, daß im ersteren Fall deren Überprüfung an der Rechtsnatur der Weisung und im letzteren an einer fehlenden subjektiven Rechtsstellung scheitern würde. Indessen fehlt es für eine solche unterschiedliche Behandlung derselben Erscheinung, nämlich der hierarchischen Weisung, an sämtlichen Anhaltspunkten. Auch das BVerwG hat nicht gezögert, Weisungen vorgesetzter an untergebene Beamte einerseits und hierarchische Weisungen vorgeordneter an nachgeordnete Organe andererseits gleich zu behandeln: „So sind dienstliche Weisungen einer Aufsichtsbehörde an eine der Anweisung und Aufsicht unterliegende Behörde bei monokratischer Verwaltungsorganisation als verwaltungsinterne Akte nicht im Verwaltungsrechtsweg anfechtbar (...). Das gleiche gilt für - interne - Anordnungen gegenüber einem einzelnen Beamten als Glied der Verwaltung" 88 . Das BVerwG hat diese Gleichbehandlung beider Weisungsmöglichkeiten nicht näher begründet, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. In der Tat ist kein Grund für eine abweichende dogmatische Einordnung ersichtlich, und auch in der Literatur wird zwischen den Weisungen übergeordneter an nachgeordnete Behörden und den Weisungen der Vorgesetzten an ihre Untergebenen kein Unterschied gemacht89. Hierarchische Verhältnisse besitzen stets die gleiche Struktur: zwei Subjekte (Organe, Organteile, Organwalter), von denen eines dem anderen Weisungen (Befehle) erteilen kann, die das andere von Rechts wegen zu befolgen verpflichtet ist. Das durch Weisungsbefugnis und Gehorsamspflicht charakterisierte hierarchische Verhältnis kann sowohl auf Organebene - hier zwischen dem übergeordneten und einem nachgeordneten Organ bzw. Organteil - als auch auf Organwalterebene - nämlich zwischen dem Vorgesetzten und dem Untergebenen - bestehen90. Prototyp für ein hierarchisches Verhältnis zwischen Organen ist die Gliederung der staatlichen Verwaltungsbehörden in oberste, mittlere und untere Landesbehörden, Prototyp für hierarchische Verhältnisse zwischen Organwaltern ist das der Beamten. Übergeordnetes Organ oder Vorgesetzter ist,

88

BVerwGE 14,84,86. Vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 285, 297, 299 f., 307; Bull, AllgVerwR, Rn. 149, 564; Haenel, Das Gesetz, S. 235 f.; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 43; Maurer, AllgVerwR, § 9 Rn. 27; Ossenbühl, in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 31 ; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 390; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 35; vgl. auch Barth, Subjektive Rechte, S. 118 ff. 90 Vgl. Becker-Birck, Insichprozeß, S. 72 f.; Haenel, Das Gesetz, S. 235 f. 89

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

wer Weisungen erteilen kann 91 (vgl. § 25 Abs. 3 LVG BW, § 3 Abs. 2 S. 2 BBG, § 30 Abs. 1 S. 1 ZDG) oder befugt ist, Befehle zu geben (§ 1 Abs. 5 S. 1 SG). Wer Vorgesetzter ist, d.h. wem diese Weisungsbefugnis zukommt, bestimmt sich nach dem Aufbau der Verwaltung (vgl. §§ 20 ff. LVG BW, § 3 Abs. 2 S. 3 BBG, § 30 Abs. 1 ZDG) oder sonstigen gesetzlichen Bestimmungen über die hierarchische Struktur der betreffenden Organisation (vgl. § 1 Abs. 5 S. 2 SG) 92 . Infolge dieser Ableitung der Vorgesetztenstellung aus der Organisationsstruktur kommt eine solche Weisungsbefugnis lediglich dem örtlich und sachlich zuständigen Vorgesetzten gegenüber den örtlich und sachlich zuständigen Organen bzw. Beamten und nur zu dienstlichen Zwecken zu 93 . Im Gesetz findet sich hiernach keine erkennbare Differenzierung danach, ob die Weisung zwischen Organen oder zwischen Amtswaltern (Beamten) erteilt wird. Das erscheint auch deswegen sachgerecht, weil ein Organ eine empfangene Weisung ohnehin nur durch seine berufenen Organwalter ausführen kann, und deshalb jede Weisung an ein Organ notwendig immer eine Weisung an einen Organwalter impliziert 94 . Der Unterschied besteht lediglich darin, daß bei einer Weisung an einen Organwalter dieser unmittelbar angesprochen wird, während bei einer Weisung an ein Organ der zuständige Organwalter erst noch gemäß der organinternen Aufgabenverteilung bestimmt werden muß, doch dieser Unterschied rechtfertigt keine dogmatisch unterschiedliche Einordnung der betreffenden Weisungen. Besonders deutlich wird dies bei monokratischen Organen, wo es reine Formulierungssache ist, ob das Organ oder der leitende Organwalter als Adressat der Weisung bezeichnet wird - rechtlich ist dies jedenfalls dasselbe 95 . Ob beispielsweise der Regierungspräsident den Landrat oder das Landratsamt zu einer bestimmten Maßnahme anweist, macht rechtlich keinen Unterschied, weil der Landrat das monokratische Organ ist; daß aber die Weisung des Regierungspräsidenten an den Landrat eine andere Natur haben sollte als die Weisung des Landrats an einen untergebenen Beamten, nur weil dieser nicht auch ein monokratisches Organ ist, ist weder ersichtlich noch je behauptet worden. Es ist daher unumgänglich, beide Fälle gleich zu behandeln, und eine von der Zufälligkeit ihrer jeweiligen Adressierung unabhängige Rechtsnatur hierarchischer Weisungen anzunehmen.

91 BVerwGE 98, 334, 336; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 8; Ο. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 182 f. 92 Vgl. hierzu Battis , BBG, § 55 Rn. 4; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 8. 93 Vgl. Battis , BBG, § 55 Rn. 4. 94 Schnapp, Amtsrecht, S. 228. 95 Bachof, in FS Laforet, S. 307.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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cc) Resümee Ist es danach angezeigt, hierarchische Weisungen dogmatisch gleich zu behandeln, einerlei ob sie an ein Organ oder Organteil oder an einen Organwalter adressiert sind, so ergibt sich daraus, daß eine für Organwalter gültige Erklärung für die fehlende gerichtliche Überprüfbarkeit hierarchischer Weisungen auch auf Organe und Organteile übertragbar sein muß. Wenn nun der Beamte ungeachtet seiner fortbestehenden subjektiven Rechtsstellung unzweifelhaft keineswegs jede an ihn ergehende Weisung anfechten kann, und wenn der Grund hierfür nicht das Fehlen jeglicher subjektiver Rechte sein kann, muß gleiches für Organe und Organteile gelten. Die Unangreifbarkeit hierarchischer Weisungen im Betriebsverhältnis ist sonach insgesamt nicht von der Seite der subjektiven Rechtsstellung her zu erklären.

b) Notwendigkeit einer Erklärung mittels des fehlenden Rechtscharakters hierarchischer Weisungen Die Diskussion um die Impermeabilitätsfrage hat gezeigt, daß es nicht möglich ist, den Innenraum einer Organisation als rechtsfreien Bereich zu erachten 96 . Andererseits ist unstrittig, daß es organisationsinterne Maßnahmen wie namentlich hierarchische Weisungen einschließlich der Organisationsverwaltungsverordnungen gibt, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich sind 97 . Zweifelhaft ist allein die dogmatische Begründung dieser vom praktischen Ergebnis her unabweisbaren Notwendigkeit der Einschränkung gerichtlicher Kontrolle. Da ein bei der subjektiven Rechtsstellung des Weisungsadressaten ansetzendes Erklärungsmodell aus den vorstehend genannten Gründen nicht befriedigt, muß die Dogmatik ein System entwickeln, welches dieses Ergebnis anderweit befriedigend zu erklären vermag. Ein solches Erklärungsmodell für die regelmäßige gerichtliche Unanfechtbarkeit hierarchischer Weisungen im Betriebsverhältnis könnte in der Annahme bestehen, daß derartigen Weisungen der rechtliche Charakter ermangelt und daher Streitigkeiten um solche Weisungen keine Rechtsstreitigkeiten sein können. Indem die Problematik der Organstreitigkeiten um hierarchische Weisungen bereits auf der Ebene der Rechtsstreitigkeit verortet und damit bei der Rechtswegeröffhung diskutiert wird, ließe sich eine systematisch stimmige Erklärung dafür liefern, weshalb Organwalter derartige Weisungen trotz innegehabter subjektiver Rechte nicht anfechten können, und diese Erklärung ließe sich unproblematisch und bruchlos auf an Organe oder Organteile gerichtete Weisungen übertragen. Letzteres hätte zugleich zwei bedeutsame Konsequenzen im Kontext dieser 96 97

S. oben C.II.l.b. S. oben C.III.2.a.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Arbeit. Erstens käme es, insoweit um eine Weisung schon aufgrund ihrer Rechtsnatur kein Rechtsstreit gefuhrt werden könnte, auf die sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen nicht mehr an und könnte insbesondere die schwierige Frage nach etwaigen subjektiven Rechte von Organen bzw. Organteilen dahinstehen. Vor allem aber entfiele damit jeder praktische Grund, subjektive Rechte von Organen und Organteilen zu negieren, nur um erklären zu können, wieso sie dienstliche Weisungen nicht anzugreifen vermögen. Damit aber würde ein Haupteinwand gegen die Annahme subjektiver Organrechte gegenstandslos, nämlich daß deren Anerkennung zu einer inakzeptablen Justitiabilität rein verwaltungsinterner Vorgänge fuhren müßte. Die Verortung der Problematik hierarchischer Weisungen bei der Frage schon ihres Rechtscharakters führt in eine scheinbare Paradoxie. Es bereitet nämlich Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie es möglich sein soll, daß eine dienstliche Weisung keinen tauglichen Gegenstand eines Rechtsstreites abgeben soll, obschon doch die Weisung rechtlich verbindlich ist und befolgt werden muß, zudem ein Verstoß gegen eine verbindliche Weisung rechtswidrig ist und gegebenenfalls disziplinarische Sanktionen nach sich zieht 98 - denn diese Bedeutung kann der hierarchischen Weisung offenkundig nur kraft Rechts zukommen99. Wie diese Problematik zu lösen ist, ohne in eine Impermeabilitätstheorie zu verfallen, ist nur durch eine eingehende Untersuchung von Wesen und Rechtsnatur hierarchischer Weisungen zu beantworten, wozu zunächst deren Abgrenzung von den hoheitlichen Weisungen, welche unzweifelhaft stets Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein können, zu präzisieren ist, eine Abgrenzung, welche zugleich den Unterschied von besonderem und allgemeinem Gewaltverhältnis ausmacht (nachfolgend 4.), bevor sodann die Rechtsnatur hoheitlicher Weisungen entschlüsselt werden kann (unten 5.).

4. Begriff und Bedeutung hierarchischer Weisungen in besonderen Gewaltverhältnissen In einem allgemeinen Sinn kann von einer Weisung immer dann gesprochen werden, wenn einer einem anderen eine rechtlich verbindliche Handlungsvorgabe macht; der Weisungsbefugnis auf der einen Seite korrespondiert eine Rechtspflicht zur Befolgung der erteilten Weisung (Weisungsgebundenheit), welche in Übernahme der herkömmlichen Terminologie 100 auch heute überwie-

98

Vgl. BVerwGE 14, 84, 86; Bachof in FS Laforet, S. 304. Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 5. 100 Vgl. etwa Haenel, Das Gesetz, S. 236; Laband, Staatsrecht I, S. 460; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 183 f.; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 593. 99

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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gend Gehorsamspflicht genannt wird 1 0 1 . Allen Weisungen kommt dieselbe Wirkung zu: Vorausgesetzt, sie werden von einem zuständigen Weisungsbefugten ausgesprochen und halten sich innerhalb der einschlägigen materiellrechtlichen Grenzen, so müssen sie von dem Angewiesenen befolgt werden. Infolgedessen liegt auf den ersten Blick die Annahme nahe, alle Weisungen hätten dieselbe Wesensnatur und seien sämtlich Ausprägungen derselben dogmatischen Erscheinung. In der Tat ist es äußerlich ganz dasselbe, ob z.B. ein Beamter einem Bürger gegenüber eine polizeiliche Weisung ausspricht oder einem Untergebenen eine dienstliche Weisung erteilt. Selbst in der Formulierung der jeweiligen Weisungen braucht hier kein Unterschied zu bestehen. Diese Wirkungsgleichheit gilt dabei nicht nur für konkret-individuelle Einzelweisungen. Denn nach ihrer verhaltenssteuernden Wirkung und Verbindlichkeit für den Adressaten besteht auch zwischen einer an die Rechtsgenossen gerichteten Rechtsverordnung und einer an die Untergebenen bzw. nachgeordnete Organe gerichteten Verwaltungsverordnung kein Unterschied. Eben diese äußerliche Übereinstimmung dürfte Ursache für die Schwierigkeit sein, die tatsächlich bestehenden höchst bedeutsamen dogmatischen Unterschiede hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung und Tragweite der jeweiligen Weisung zu erkennen. Doch nur wenn dieser Unterschied deutlich herausgearbeitet wird, ist es möglich, die unbeschadet der bezeichneten Gemeinsamkeiten zum Teil nicht unbeträchtlich abweichende Behandlung etwa in bezug auf die Frage gerichtlichen Rechtsschutzes zu erklären. Dies wiederum setzt eine nähere Betrachtung der das allgemeine Gewaltverhältnis kennzeichnenden allgemeinen Gehorsamspflicht (nachfolgend a) sowie der die besonderen Gewaltverhältnisse prägenden besonderen Gehorsamspflicht (unten b) und eine Herausarbeitung der insoweit bestehenden Unterschiede voraus (unten c).

a) Die allgemeine Gehorsamspflicht

im allgemeinen Gewaltverhältnis

Als das grundlegende Moment der staatlichen Rechtsordnung ist die allgemeine Gehorsamspflicht aller Rechtsunterworfenen dem Staat gegenüber zu nennen102. Der Staat kann einseitig durch Hoheitsakt, insbesondere durch 101

BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, 680; BVerwG, ZBR 1999, 424; DÖV 1999, 695, 696; DVB1. 1999, 1441, 1442; OVG Münster, NWVB1. 1998, 434, 436; Achterberg, AllgVerwR, § 14 Rn. 40; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 11; Felix/ Schwarplys, ZBR 1996, 33; Grupp, in FS Lüke, S. 213; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 8, 115; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 129; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 220. Krit. gegen diese Terminologie Battis , BBG, § 55 Rn. 3. 102 Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. S. 71; Fleiner, Institutionen, S. 165; Jacobi, HdbDStR II, S. 255; G. Jellinek, System, S. 197 ff.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 15, 104 ff.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Rechtsnorm oder Verwaltungsakt, jedem dadurch angesprochenen Rechtssubjekt verbindliche Handlungsanweisungen geben103. Diese Gehorsamspflicht ist eine allgemeine, weil sie unterschiedslos jeden trifft, der tatbestandlich von dem ergangenen Hoheitsakt erfaßt wird 1 0 4 , und weil ihr Bestehen an keine andere Voraussetzung als eben das Unterworfensein unter die staatliche Gewalt geknüpft ist, ohne daß der Verpflichtete irgendeinen ihn aus der Allgemeinheit heraushebenden besonderen Gehorsamsstatus innehaben müßte. Sie erwächst vielmehr aus der allgemeinen „Unterwerfungspflicht" der dem Souverän untergeordneten einzelnen Rechtssubjekte105, welche sich darin äußert, wirksam gesetzte Hoheitsakte beachten und befolgen zu müssen. Wer in dieser allgemeinen Weise der Staatsgewalt unterworfen ist und damit der allgemeinen Gehorsamspflicht unterliegt, befindet sich im allgemeinen Gewaltverhältnis 106. Zutreffend wird daraufhingewiesen, daß das damit definierte allgemeine Gewaltverhältnis ein rechtlich geprägtes Verhältnis zwischen dem Staat und den Rechtsunterworfenen darstellt, also nicht etwa als ein allein auf physischer Macht und nackter Gewalt beruhendes Verhältnis mißverstanden werden darf 107 . Der These freilich, die Figur des allgemeinen Gewaltverhältnisses habe mit dieser Erkenntnis seine Daseinsberechtigung verloren 108 und sei deshalb nunmehr besser als „allgemeines Rechtsverhältnis" zu verstehen und bezeichnen109, ist nicht zuzustimmen110. Letzteres Verständnis ist zu schwach, um die Natur der Gesamtheit aller Beziehungen zwischen dem Staat und den Rechtsunterworfenen richtig zu erfassen. Wenn das Volk als Träger aller „Staatsgewalt" (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) durch die staatlichen Organe handelt (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), so treten sich der staatliche Souverän und die einzelnen Rechtssubjekte gegenüber, und diese Relation ist nun einmal eine der Über- und nicht der Gleichordnung. Der Staat kann den Individuen gegenüber verbindliche Verhaltensvorga103

Vgl Henke, JZ 1992,543. Vgl. Haenel, Das Gesetz, S. 244. 105 BVerfGE 2, 143, 172. 106 Vgl. Achterberg, AllgVerwR, §20 Rn. 36; Fleiner, Institutionen, S. 164 f.; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 126 f.; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 46; Laband, Staatsrecht I, S. 434; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 15, 74. 107 Vgl. bereits G. Jellinek, System, S. 10; ferner Achterberg, AllgVerwR, § 20 Rn. 36; H Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 167 ff.; Henke, JZ 1992, 542 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 280; Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 6; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 244 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 387; Stern, Staatsrecht III/l, § 74 III 4 a, S. 1381. 108 Bull, AllgVerwR, Rn. 712; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 46; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 280. 109 Henke, DÖV 1980, 624; zustimmend H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 169 f.; Bull, AllgVerwR, Rn. 711; Scherzberg, DVB1. 1988, 131. 110 Ebenso Stern, Staatsrecht III/l, § 74 III 4 a, S. 1381. 104

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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ben machen, nicht umgekehrt, und dem Staat steht - und das ist eben auch sehr real-physisch zu verstehen - das Gewaltmonopol zu. „Allgemeines Rechtsverhältnis" suggeriert eine Gleichordnung von Staat und Bürger, die es unbeschadet der letzterem zukommenden Grund- und Menschenrechte angesichts der rechtlichen und tatsächlichen Machtverhältnisse weder geben kann noch im Interesse des friedenssichernden staatlichen Gewaltmonopols geben darf 111 .

b) Die besondere Gehorsamspflicht

im besonderen Gewaltverhältnis

Von dieser allgemeinen Gehorsamspflicht wird die besondere Gehorsamspflicht unterschieden, welche nicht jedes Rechtssubjekt trifft, sondern nur jemanden, der in spezifischer Weise in ein besonderes Hierarchieverhältnis eingebunden ist, dort nämlich als Untergebener der Weisungsbefugnis seines Vorgesetzten unterliegt 112 . Dies ist, wie schon erwähnt 113 , insbesondere bei den in eine hierarchische Verwaltungsstruktur eingebundenen Organen sowie bei den einer inneren Behördenhierarchie unterstehenden Beamten der Fall. Die für hierarchische Verhältnisse charakteristischen Weisungen können zum einen als konkrete Anordnungen ergehen, und zwar als konkret-individuelle Weisung (Einzelweisung), wie in einem bestimmter Einzelfall zu handeln ist 114 , oder als konkret-generelle Weisung (allgemeine Weisung), wie in einer Mehrzahl gleichgelagerter Fälle zu verfahren ist 115 . Weisungen können aber auch als Richtlinien abstrakter Natur (Verwaltungsverordnungen, allgemeine Verwaltungsvorschriften, Runderlasse) erlassen werden 116 , die nicht die Behandlung einzelner oder mehrerer konkreter Fälle betreffen, sondern abstrakt formulierte Vorgaben für die Tätigkeit des oder der Angewiesenen machen (vgl. § 55 S. 2 BBG, § 37 S. 2 BRRG) 117 . Das BVerfG hat daher zu Recht den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften als eine „der Exekutive inhärente Befugnis" be-

111 Zum staatlichen Gewaltmonopol als notwendiger (nicht hinreichender!) Bedingung des inneren Friedens und des Schutzes der Freiheiten der Bürger vgl. Isensee, in FS Sendler, S. 46 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 415 ff. m.w.N. 112 Vgl. Jacobi, HdbDStR II, S. 255 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 246; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 209. 113 S. oben C.III.3.a.bb. 114 Z.B. die Weisung, an den Nachbarn A des Β einen Verwaltungsakt des Inhalts ... zu erlassen. 115 Z.B. die Weisung, an alle Nachbarn des Β einen Verwaltungsakt des Inhalts ... zu erlassen. 116 BVerwG, NJW 2000, 531; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1997, 474; Maurer, AllgVerwR, § 24 Rn. 1. 117 Vgl. hierzu Battis , BBG, § 55 Rn. 4; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 45 II c 1; femer Jacobi, HdbDStR II, S. 257.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

zeichnet 118 : innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereiches können alle vorgesetzten Organe gemäß der Natur ihrer hierarchischen Stellung untergeordneten Organen eben nicht nur Einzelweisungen erteilen, sondern auch Weisungen in Gestalt von Verwaltungsverordnungen. Anders als mit dem weisungsbefugten Vorgesetzten verhält es sich mit Dienstaufsichtsbehörden bzw. Dienst- oder Disziplinarvorgesetzten (vgl. §21 LVG BW, § 3 Abs. 2 S. 1 BBG, § 1 Abs. 6 SG, § 61 ZDG). Diese sind zugleich auch Vorgesetzte im allgemeinen Sinne 119 , zeichnen sich darüber hinaus aber dadurch aus, daß sie den Dienstherrn bei dienst- und personalrechtlichen Angelegenheiten betreffend die persönliche Rechtsstellung der Untergebenen bzw. der Angehörigen der nachgeordneten Behörden vertreten 120, wozu auch die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen sowie die Einleitung von Disziplinarverfahren gehören (vgl. § 26 Abs. 1 S. 1, § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 2 BDO, § 23 Abs. 1 WDO, § 58a Abs. 2, § 64 ZDG). Zu beachten ist, daß der Dienstvorgesetzte dienst- und personalrechtliche Angelegenheiten nicht im Wege hierarchischer Weisung erledigen kann, sondern nur durch hoheitliche Maßnahmen121, und diese daher bei der Analyse hierarchischer Weisungen außer Betracht zu bleiben haben. Denn die besondere dienstliche Gehorsamspflicht, auf welche hierarchische Weisungen gestützt werden, folgt aus der Rechtsstellung als Amtsträger, und deshalb können Maßnahmen, die eben diese persönliche Rechtsstellung unmittelbar berühren (z.B. Anstellung, Beförderung, Entlassung, Disziplinarmaßnahmen), nicht auf jene besondere Gehorsamspflicht gestützt werden, weil diese nicht aus sich selbst heraus begründet werden kann. Da die Rechtsstellung als Amtswalter die Basis für die dienstliche Gehorsamspflicht ist, kann sie nicht einseitig qua dienstlicher Weisung verändert werden. Vielmehr sind Begründung, Änderung oder Aufhebung eines hierarchischen Verhältnisses - da dies den Amtswalter in seiner persönlichen Rechtsstellung betrifft - ebenso zu behandeln wie Eingriffe in die Rechte von Rechtssubjekten im allgemeinen Gewaltverhältnis. Infolgedessen sind derartige Maßnahmen nur durch Gesetz oder aufgrund gesetzlicher Ermächtigung zulässig, und sie müssen auch die sonstigen Eingriffsrechtfertigungsvoraussetzungen erfüllen, namentlich das Übermaßverbot beachten.

118 BVerfG, N V w Z 1999, 977, 978; ferner Bull, AllgVerwR, Rn. 305; Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 141; Ossenbühl, in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 55; Thoma, HdbDStR II, S. 223 („Hausgut der Verwaltung"); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 24 Rn. 22 („Verwaltungsvorschriften als originäres Hausgut der Verwaltung"). 119 Vgl. Battis , BBG, § 3 Rn. 5. 120 Vgl. Battis , BBG, § 3 Rn. 4; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 8. 121 Zu diesem Unterschied sogleich nachfolgend C.III.4.C.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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c) Die Unterscheidung von allgemeiner und besonderer Gehorsamspflicht Vergleicht man die im allgemeinen bzw. besonderen Gewaltverhältnis bestehende allgemeine respektive besondere Gehorsamspflicht, so drängt sich die Frage auf, ob es sich bei der allgemeinen und der besonderen Gehorsamspflicht im Grunde um dieselbe dogmatische Erscheinung handelt 122 , in der Art nämlich, daß die den in ein Hierarchieverhältnis eingebundenen Untergebenen treffende besondere Gehorsamspflicht nur eine Unterart, eine besondere Ausprägung der allen Rechtssubjekten obliegenden allgemeinen Gehorsamspflicht wäre, oder ob insofern ein wesensmäßiger Unterschied besteht. Daß letzteres richtig ist, zeigt sich bei einer Betrachtung des Inhalts der jeweiligen Gehorsamspflicht. Wenn von der allgemeinen Gehorsamspflicht gesprochen wird, die jedes Rechtssubjekt im allgemeinen Gewaltverhältnis gegenüber dem Staat trifft, so muß man sich vergegenwärtigen, daß dieser allgemeinen Gehorsamspflicht als solcher überhaupt keine existente Rechtspflicht entspricht, deren Befolgung als Erfüllung der allgemeinen Gehorsamspflicht erschiene. Das allgemeine Gewaltverhältnis ist lediglich zusammenfassender Ausdruck für die Befugnis des Souveräns, durch die staatlichen Organe handelnd den Rechtsunterworfenen gegenüber Rechtspflichten neu zu begründen, Rechtspflichten also, die ohne den betreffenden Hoheitsakt nicht bestünden, mit anderen Worten den Rechtsunterworfenen dort zu verpflichten, wo vorher keine Rechtspflicht bestand; die allgemeine Gehorsamspflicht erschöpft sich darin, daß, wenn derartige Rechtspflichten begründet sind, diese befolgt werden müssen. Von einer unmittelbar durch Gesetz oder aufgrund entsprechender gesetzlicher Ermächtigung möglichen originären Begründung neuer Rechtspflichten im allgemeinen Gewaltverhältnis 123 zu unterscheiden sind Akte, die lediglich von einer bereits existenten Gehorsamspflicht Gebrauch machen, selbst aber keine neue Rechtspflicht begründen. Eben so verhält es sich mit den „intern innerhalb des Verwaltungsapparats wirkenden Anweisungen an Behörden, deren Verbindungskraft aus der von den unteren Behörden der oberen Behörde geschuldeten besonderen Dienstpflicht resultiert", und nicht etwa daraus, daß der Weisung dieselbe originäre Verpflichtungswirkung wie einem Rechtssatz oder Verwaltungsakt zukäme124. Keinen Unterschied macht es dabei, ob es sich bei einer solchen Weisung um einzelfallbezogene oder um generelle Anordnungen handelt: „Die lediglich innerhalb des Verwaltungsapparats wirkenden Verwaltungs122 So etwa Anschütz, Kritische Studien, S. 55 f. Fn. 113, S. 71, der die „Dienstpflicht des Beamten" und die „allgemeine Gehorsamspflicht des Staatsbürgers" als gleiche dogmatische Erscheinung verstand; desgleichen Böckenförde, Gesetz, S. 289; wohl auch Rupp, Grundfragen, S. 50. 123 Zum Geltungs- und Entstehungsgrund von Rechtspflichten näher unten D.III.2.a. 124 Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 74; vgl. Haenel, Das Gesetz, S. 244; Jacobi, HdbDStR II, S. 257.

18 Roth

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Vorschriften generellen Inhalts unterscheiden sich ... dadurch von den Rechtsvorschriften, daß ihnen Gehorsam von den untergeordneten Instanzen nur kraft der besonderen Dienstpflicht, die diese an die obere Behörde knüpft, geschuldet wird, daß ihnen also die originäre Verbindungskraft der Rechtsnorm abgeht" 125 . „In dieser Bindung aus der Kraft des [besonderen] Gewaltverhältnisses liegt das für die Verwaltungsvorschrift Entscheidende, nicht in der Adresse des Gewaltunterworfenen, denn es gibt auch Gesetze, die sich nur an Gewaltunterworfene wenden, diese aber mit der Kraft des Gesetzes binden" 126 . Hierüber ist es möglich, die äußerlich gleich erscheinenden hierarchischen Weisungen von den hoheitlichen Weisungen zu unterscheiden, wie sie beispielsweise in Gestalt polizeilicher Weisungen an den Bürger vorkommen. Der Polizeibeamte, der eine polizeiliche Weisung ausspricht, begründet für den Adressaten eine neue Rechtspflicht; er macht von der allgemeinen Gehorsamspflicht in originärer Weise Gebrauch, und deshalb bedarf er hierzu auch einer gesetzlichen Ermächtigung 127. Im Unterschied hierzu werden durch hierarchische Weisungen keine neuen Rechtspflichten begründet. Der Vorgesetzte wird durch seine Vorgesetztenstellung nicht ermächtigt, neue Rechtspflichten für seine Untergebenen zu begründen, sondern vielmehr kann er nur Gebrauch davon machen, daß seine Untergebenen bereits kraft Gesetzes zum Gehorsam ihm gegenüber verpflichtet sind 128 . Seine dienstliche Weisung nimmt daher lediglich einen Gehorsam in Anspruch, der sich rechtlich bereits aus dem bestehenden besonderen Hierarchieverhältnis ergibt. Die Inanspruchnahme einer solchen Gehorsamspflicht durch den Vorgesetzten bedarf nicht der gesetzlichen Ermächtigung 129 , weil sie ja keine Rechtspflicht neu begründet, sondern nur der kompetenzmäßigen Befähigung zum Erlaß einer hierarchischen Weisung, und diese besteht allein in der Bestellung zum Vorgesetzten 13°. Die Unterscheidung zwischen der Begründung einer neuen und der Inanspruchnahme einer bestehenden Rechtspflicht entspricht der allgemeinen Rechtsvorstellung. Der Beamte muß sich (im Dienst) ständig zur Verfügung seiner Vorgesetzten halten, ebenso wie etwa der Arbeitnehmer (während der Arbeitszeit) zur Verfügung des Arbeitgebers. Das heißt, schon aufgrund der Dienststellung besteht eine besondere, wenngleich zunächst nur latente Gehorsamspflicht 131, die jederzeit aktualisiert werden kann. Hingegen im allgemeinen 125

Treffend Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 77; ebenso Haenel, Das Gesetz, S. 238 f.; Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 29. 126 Treffend Jacobi, HdbDStR II, S. 257. 127 S. hierzu unten C.III.4.d.bb. 128 Ähnlich Haenel, Das Gesetz, S. 238, 244; Jacobi, HdbDStR II, S. 257; G. Jellinek, System, S. 239 f. 129 Vgl. Jacobi, HdbDStR II, S. 256, 260; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 247. 130 Vgl. Jacobi, HdbDStR II, S. 260. 131 Vgl. Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 115.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Verhältnis der Rechtssubjekte zum Staat besteht eine derartige latente Gehorsamspflicht nicht, sondern es besteht nur eine potentielle Gehorsamspflicht, die vor der tatsächlichen Begründung einer Rechtspflicht zu überhaupt nichts verpflichtet. Hierarchische Verhältnisse sind geradezu definiert durch Weisungsbefugnis und Gehorsamspflicht 132. Das allgemeine Verhältnis der Rechtssubjekte zum Staat ist dagegen keines der hierarchischen Unter- und Überordnung 133, sondern eine Unterordnung unter die hoheitlich auftretende Staatsgewalt. Natürlich muß jeder damit rechnen, daß durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes Rechtspflichten neu begründet werden. Aber in diesem allgemeinen Gewaltverhältnis muß sich niemand gerade zu diesem Zweck zur Verfügung halten und darauf warten, daß dies erfolge. Während beim Beamten die Entgegennahme und Erfüllung der dienstlichen Weisungen des Vorgesetzten geradezu als Sinn und Zweck seiner Beamtenstellung und als Erfüllung seiner daraus folgenden spezifischen Funktionen verstanden wird, ist dies bei Rechtssubjekten im allgemeinen Gewaltverhältnis völlig anders. Letztere besitzen im allgemeinen Gewaltverhältnis nicht die Zweckbestimmung, hoheitliche Weisungen entgegenzunehmen und zu erfüllen. Gewiß müssen sie, wenn ihnen aufgrund entsprechender Ermächtigung Rechtspflichten auferlegt werden, diese befolgen. Darin erweist sich aber allein die Souveränität der Rechtsgemeinschaft und verwirklicht sich nicht etwa eine spezifische Zweckbestimmung des betroffenen Rechtssubjektes. Und weil dies so ist, bedarf im allgemeinen Gewaltverhältnis jede einzelne originär durch hoheitliche Weisung neu zu begründende Rechtspflicht einer gesetzlichen Grundlage, während bei einem besonderen Gewaltverhältnis zwar dessen Begründung, nicht aber jede einzelne hierarchische Weisung innerhalb seines Rahmens eine gesetzliche Grundlage verlangt.

d) Das besondere Gewaltverhältnis Die Einbindung in eine durch Weisung und Gehorsam definierte Hierarchie, innerhalb der der Untergebene Weisungen befolgen muß, hat weitreichende Folgen. Wer (rechtswirksam) in ein solches hierarchisches Verhältnis im Rahmen des Staatsaufbaus eingegliedert ist, steht im wahren Sinne des Wortes in einem besonderen Gewaltverhältnis 134 als einem Zustand „verschärfter Abhän132

S. oben C.III.3.a.bb. Vgl. Hubrich, Gesetzes- und Verordnungsbegriff, S. 77: „Im modernen Rechtsstaat ist die dem Staatsbürger obliegende Gehorsamspflicht keine ungemessene. Jeder an Untertanen gerichtete Verwaltungsbefehl muß seine Wurzel in einer Rechtsnorm haben". 134 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 182; ferner Ule, VVDStRL 15 (1957), 133 ff. - G. Jellinek, System, S. 216 ff. unterschied hier zwischen Herrschaftsund sonstigen Gewaltverhältnissen; Herrschergewalt ist die allein dem Staat zukommende qualifizierte Gewalt. Soweit er in diesem Zusammenhang das Beamtenverhältnis als 133

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

gigkeit, welche zugunsten eines bestimmten Zweckes öffentlicher Verwaltung begründet wird für alle Einzelnen, die in den vorgesehenen besonderen Zusammenhang treten" 135 . Soweit es reicht, überlagert das besondere Gewaltverhältnis das allgemeine und schließt die (unmodifizierte) Berufung auf die in diesem geltenden Grundsätze aus 136 . Aus diesem Grund wird es auch Sonderrechtsoder Sonderstatusverhältnis genannt137. Die bloße Angabe, wodurch sich das allgemeine und das besondere Gewaltverhältnis unterscheiden, genügt daher noch nicht. Für die konkrete Rechtsanwendung bedarf es gerade wegen dieser Unterschiede der Bestimmung, wer unter welchen Voraussetzungen in einem solchen besonderen Gewaltverhältnis steht und daher hierarchische Weisungen befolgen muß, ohne daß der Vorgesetzte zu deren Erteilung eigens eine gesetzliche Ermächtigung bräuchte. Nach herkömmlichem Verständnis erscheint das besondere Gewaltverhältnis in zwei Arten, dem Dienstverhältnis und dem Anstaltsverhältnis 138. Beizupflichten ist indes nur ersterer Einordnung (nachfolgend aa), während Anstaltsverhältnisse keine besonderen Gewaltverhältnisse konstituieren (unten bb).

aa) Das Dienstverhältnis als besonderes Gewaltverhältnis Angesichts des mit der Zugehörigkeit zu einem besonderen Gewaltverhältnis verbundenen weitgehenden Ausschlusses der für die rechtliche Stellung der Rechtssubjekte sonst geltenden allgemeinen Grundsätze kann die Einbindung in ein solches besonderes Gewaltverhältnis nicht beliebig zulässig sein. Insbesondere kann es dem Staat nicht gestattet sein, Bürger ohne zwingenden Grund in hierarchische Verhältnisse einzugliedern. Andernfalls könnte er nämlich die deren Schutze dienenden Grundsätze in erheblichem Maße einfach dadurch aushebeln und unterlaufen, daß er ihre Einbeziehung in ein besonderes Gewaltverhältnis verfügt. Infolgedessen bedarf die Begründung eines besonderen Gewaltverhältnisses einer hinreichenden Legitimation. Diese kann nur darin bestehen, daß der Staat überhaupt nur mittels seiner Organwalter Handlungsfähigkeit er„einfaches Gewaltverhältnis" bezeichnet, bezieht sich dies auf den diesbezüglichen Ausschluß der Herrschergewalt und soll damit im hier gebrauchten Sinne ausdrücken, daß die Tätigkeit des Beamten gerade nicht nach den Regeln des allgemeinen Gewaltverhältnisses zu beurteilen ist, sondern er in einem „speziellen Verpflichtungsverhältnis" zum Staat steht (ebd., S. 239). 135 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 101 f. 136 Vgl. Hofmann, ZBR 1998, 198 f.; G. Jellinek,, System, S. 214 („gesteigerte Gehorsamspflicht des Staatsbeamten"). 137 Erichsen, in FS Wolff, S. 242; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 95, Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 25 Rn. 43, § 32 Rn. 25; ähnlich Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 6. 138 öle, VVDStRL 15 (1957), 135.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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langen kann 139 , und ihm deshalb die Befugnis zukommen muß, natürliche Personen als seine „Werkzeuge" 140 einzusetzen und ihnen dabei gleichzeitig in weitem Umfange die Möglichkeit abzuschneiden, hierarchische Weisungen gerichtlich angreifen zu können. Verfassungsrechtlich ist hier an die bereits erwähnte 141 Bestimmung des Art. 33 Abs. 4 GG zu erinnern, welcher die Einbeziehung aller Angehörigen des öffentlichen Dienstes in ein besonderes öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis im Interesse der Stabilität und Funktionsfähigkeit aller Träger öffentlicher Gewalt legitimiert 142 . Wer sich freiwillig zum Organwalter berufen 143 und damit zum „Instrument, vermittelst dessen der Staat seine Rechte ausübt" 144 , machen läßt, zum „persönlichen Mittel" des Staatsbetriebes145 und zum „Rädchen" innerhalb des Staatsmechanismus146, oder wer unter ganz besonders engen Voraussetzungen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung im Rahmen einer gesetzlichen Dienstpflicht zwangsmäßig zu einem solchen Werkzeug gemacht werden kann 147 (etwa im Rahmen der Wehrpflicht sowie der ihr in dieser Hinsicht gleichgestellten Ersatzdienstpflicht), muß es hinnehmen, daß ihm in dieser Rolle - und solange er nur in dieser Rolle angesprochen wird - Weisungen eben nur als Werkzeug und Repräsentanten des Staates durch übergeordnete Repräsentanten des Staates erteilt werden 148 . Eine solche Situation liegt verfassungs- und verwaltungsrechtlich bei Beamten, Richtern, Soldaten sowie sonstigen in einem ähnlichen besonderen öffentlich-rechtlichen Verhältnis zum Staat stehenden Organwaltern vor (z.B. Abgeordnete 149, Minister, Gemeinderäte). Bei Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes ist zu beachten, daß der Dienst- und Arbeitsvertrag gewissermaßen ein - allerdings zivil- und arbeitsrechtliches - „besonderes Gewaltverhältnis" zwischen Dienstberechtigtem und Dienstverpflichteten begründet, das in seinen rechtlichen Wirkungen dem öffentlich-rechtlichen besonderen Gewaltverhältnis vergleichbar ist 150 . 139

S. oben A.I.2.a. S. zum etymologischen Verständnis des Organs als Werkzeug oben A.I.2.b.aa. 141 S. oben C.III.3.a.aa. 142 Vgl. Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 25; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 25; ferner OVG Koblenz, NVwZ-RR 2000, 371, 372. 143 Es handelt sich hierbei in aller Regel um einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt (vgl. unten G.III.3.b); a.A. G. Jellinek, System, S. 209 ff.: subjektionsrechtlicher Vertrag. 144 Laband, Staatsrecht I, S. 495; ferner G. Jellinek, System, S. 211 f. 145 Ule, VVDStRL 15 (1957), 152. 146 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 215. 147 Vgl. G. Jellinek, System, S. 209 f. 148 Ähnlich Hofmann, ZBR 1998, 199. 149 Vgl. G. Jellinek, System, S. 171 ff. 150 Vgl. G. Jellinek, System, S. 214 f.; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 22, 24 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 119 f.; Ule, VVDStRL 15 (1957), 151 f. 140

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO bb) Das Anstaltsverhältnis als besondere Ausgestaltung des allgemeinen Gewaltverhältnisses In anderen Fällen als den eben genannten Dienstverhältnissen ist es entgegen

dem auch heute noch vielfach übernommenen 1 5 1 traditionellen Verständnis 1 5 2 nicht überzeugend, von einem „besonderen" Gewaltverhältnis zu sprechen. Namentlich Strafgefangene 153 , Schüler 1 5 4 und andere Anstaltsbenutzer oder -insassen stehen ausschließlich i m allgemeinen Gewaltverhältnis zum S t a a t 1 5 5 , 1 5 6 . Lehrer sind nicht Vorgesetzte ihrer Schüler, Schüler nicht Untergebene ihrer Lehrer; desgleichen ist der Gefängnisdirektor nicht Vorgesetzter der Gefangenen, und diese sind nicht seine Untergebenen. Lehrer erteilen Weisungen an ihre Schüler 1 5 7 und der Gefängnisdirektor erteilt Weisungen an die Gefangenen 151

Vgl. HessStGH, NJW 1966, 31, 32; Achterberg, AllgVerwR, § 20 Rn. 44, 81, 83; Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 2; Bull, AllgVerwR, Rn. 275, 279; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 104, 129; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 127; Hofmann, ZBR 1998, 198 f.; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 28; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 46; Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 9, 17, 36; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 247; Ossenbühl, in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 59; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 95; Stern, Staatsrecht III/l, §74 III 4, S. 1380 f., §74 III 5 e, S. 1390; Ule, VVDStRL 15 (1957), 135, 145, 152. 152 Vgl. Fleiner, Institutionen, S. 165 f.; Jacobi, HdbDStR II, S. 256; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 284 ff.; C. Schmitt, HdbDStR II, S. 577; Thoma, HdbDStR II, S. 223. 153 Grundlegend BVerfGE 33, 1, 9 ff.; vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, Einl. Rn. 22 f. 154 Grundlegend BVerfGE 34, 165, 192 f.; femer BVerfGE 58, 257, 268 ff.; Roth, BayVBl. 1999, 258. 155 Vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 300 ff.; Maurer, AllgVerwR, § 6 Rn. 17 ff., § 8 Rn. 28 ff.; Schnapp, Amtsrecht, S. 233 ff.; vgl. auch Hohm, NJW 1986, 3115; v. Münch, in v. Münch/Kunig, GG, vor Art. 1 Rn. 59, 61; Rupp, JuS 1975, 612 ff. 156 Der G. Jellinek, System, S. 218 vorschwebenden Differenzierung, ob das Gewaltverhältnis aufgrund staatlichen Befehls begründet wird (wie z.B. bei Strafgefangenen, schulpflichtigen Kindern) oder durch „Vertrag" zustande kommt (wie z.B. beim Eintritt in weiterführende Schulen, Universitäten, öffentliche Krankenhäuser), ist nicht zu folgen. Inwieweit hier jeweils wirklich eine Freiwilligkeit vorliegt, die derart weitreichende Unterscheidungen rechtfertigte, ist unter den heutigen sozialen Lebensbedingungen nicht minder fraglich wie früher (vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 301; Ule, VVDStRL 15 [1957], 159 f.). Und jedenfalls verfängt nicht der Grundgedanke aller besonderen Gewaltverhältnise, durch im weitesten Maße rechtlich nicht überprüfbare hierarchische Weisungen die im besonderen Gewaltverhältnis Befindlichen problemlos und unbeschränkt für staatliche Zwecke heranziehen zu können. 157 Inwieweit derartige Weisungen in der Rechtsform von Verwaltungsakten ergehen oder - mangels der Tatbestandswirkung fähigen Regelungsgehaltes - als „schlichte Verwaltungsgebote" (Bull, AllgVerwR, Rn. 568), kann hier nicht näher untersucht werden. Anzumerken ist immerhin, daß eine befriedigende Einordnung beispielsweise schulischer Hausaufgaben etc. möglich sein dürfte, wenn man berücksichtigt, daß eine hoheit-

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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daher nicht hierarchisch kraft einer Vorgesetztenstellung, sondern hoheitlich kraft entsprechender, wenn auch z.T. generalklauselartiger Ermächtigung in den Schulgesetzen158 (z.B. §§ 89 f. SchulG BW) bzw. im Strafvollzugsgesetz (vgl. §§81 ff. StVollzG) 159 . Daß es „gleichgültig" sei, ob der Betroffene als Beamter „für den Staat tätig" wird oder ob er als Schüler, Strafgefangener etc. „eine staatliche Tätigkeit an sich selbst vollziehen" lassen muß, daß es also unerheblich sei, ob „der Bürger ein arbeitendes oder zu bearbeitendes Glied des staatlichen Verwaltungsapparates" ist 160 , ist deshalb unrichtig, und es erscheint nicht nur „auf den ersten Blick verquer", sondern bleibt es entgegen Kunig auch bei „nüchterner Betrachtung" 161 , das Beamtenverhältnis auf der einen und z.B. Schul- oder Strafvollzugsverhältnisse auf der anderen Seite als parallele dogmatische Erscheinungen einzustufen. Gewiß muß das allgemeine Gewaltverhältnis im Anstaltsbenutzungsverhältnis besonders ausgestaltet werden 162 . Denn durch die gemeinsame Anstaltsbenutzung entsteht eine besondere Nähebeziehung zum einen unter den Benutzern oder Insassen, zum anderen zwischen den Benutzern oder Insassen und dem Anstaltspersonal, und hierdurch werden spezifische Regelungsbedürfhisse aufgeworfen. Dogmatisch und der Sache nach bestehen hier jedoch keine Unterschiede zum Verhältnis beispielsweise von Teilnehmern am öffentlichen Straßenverkehr untereinander sowie zur Verkehrspolizei. Auch hier erfordert die besondere Gemeinschaftslage mit ihren Gefahren und Konfliktpotentialen zahlreiche spezifische Regeln über das Verhalten im Straßenverkehr sowie eine Befugnis der Polizei, jederzeit zusätzliche Weisungen geben zu können. Gleichwohl handelt es sich bei den „Zeichen und Weisungen" der Polizeibeamten, die gemäß § 36 Abs. 1 S. 1 StVO „zu befolgen" sind, keineswegs um Weisungen in liehe Anordnung, die für den Betroffenen keine rechtliche Verpflichtung begründet, sondern lediglich eine Obliegenheit, keinen Verwaltungsakt darstellt (.Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 30; vgl. Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 37): Die Erledigung der Hausaufgaben kann nicht selbständig erzwungen werden, sondern stellt auf Seiten des Schülers eine Obliegenheit dar, der er zur Vermeidung notenmäßiger Sanktionen nachkommen sollte. Die Anordnung des Nachsitzens dagegen sowie sonstige Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen (§ 90 Abs. 3 SchulG BW) stellen Verwaltungsakte dar (VGH Mannheim, NVwZ 1984, 808). Zur Problematik der Rechtsnatur einzelner Noten vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1994, 582; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 54; Kopp/Schenke, VwGO, Anh §42 Rn. 28; P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §35 Rn. 129. 158 Vgl. VGH München, NVwZ-RR 1999, 378 f.; VG Berlin, NVwZ 1999, 907 f. 159 Vgl. hierzu Bull, AllgVerwR, Rn. 278 f.; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 82 Rn. 3. 160 Fleiner, Institutionen, S. 166. 161 Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 46. 162 Vgl. in diesem Sinne BVerfGE 49, 24, 57; Hohm, NJW 1986, 3115; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 30; Stern, Staatsrecht III/l, § 74 III 4 a, S. 1381; vgl. auch Löschetder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 18 ff.

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einem hierarchischen Verhältnis. Vielmehr ist unbestritten, daß es sich bei derartigen polizeilichen Anordnungen um Rechtsakte handelt, nämlich um Verwaltungsakte, und zwar bei den „Zeichen" um Allgemeinverfügungen, bei den „Weisungen" um Einzelverwaltungsakte 163, so wie schließlich auch die StVO selbst eine Rechtsverordnung und keine Verwaltungsverordnung ist. Es ist also deutlich zwischen echten besonderen Gewaltverhältnissen und lediglich besonders ausgestalteten allgemeinen Gewaltverhältnissen zu unterscheiden. Letztere sind nur scheinbar „besondere" Gewaltverhältnisse. Tatsächlich aber tritt der Anstaltsbenutzer der Anstalt nicht anders wie jeder Staatsangehörige dem Staat als ein Außenstehender gegenüber 164; lediglich die Bediensteten der Anstalt stehen zu dieser in einem besonderen Gewaltverhältnis 165. Wenn derartige Anstaltsverhältnisse traditionell oft als besondere Gewaltverhältnisse verstanden und deshalb der Regelung durch bloße Verwaltungsverordnung ohne formellgesetzliche Grundlage unterworfen worden sind 166 , so beruht dies auf einer Verkennung ihrer wahren Rechtsnatur und exakten dogmatischen Ausgestaltung. Was beide Kategorien als ähnlich erscheinen läßt, ist lediglich die weite Weisungsbefugnis des Inhabers der Anstaltsgewalt, da diese äußerlich der Weisungsbefugnis des Vorgesetzten in hierarchischen Verhältnissen gleicht. Dogmatisch besteht aber der Unterschied, daß die Weisungsbefugnis der Anstaltsleitung nur kraft gesetzlicher Ermächtigung besteht und daß jede solche Weisung als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des betroffenen Anstaltsbenutzers oder -insassen der gerichtlichen Überprüfung unterliegen können muß 167 . Selbstverständlich sind als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe qua hoheitlicher Weisung in einem derart besonders ausgestalteten allgemeinen Gewaltverhältnis auch Generalklauseln statthaft, da angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Konflikte eine große Flexibilität gewährleistet sein muß und daher der möglichen Bestimmtheit der Eingriffsermächtigung Grenzen gezogen sind 168 . Dies entspricht aber wiederum nur der Lage beispielsweise bei

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Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 36 StVO Rn. 18 f. Treffend Bachof, in FS Laforet, S. 301. 165 Vgl. insoweit Ule, VVDStRL 15 (1957), 152. 166 Vgl. Fleiner, Institutionen, S. 166 f.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 102 f.; ders., Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 286; Meyer/Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, S. 669 ff. 167 Vgl. Bachof, in FS Laforet, S. 300, 302; Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 54. 168 Vgl. BVewG, BayVBl. 1999, 87 f.; VG Berlin, NVwZ 1999, 907, 908; Bull, AllgVerwR, Rn. 279; Hohm, NJW 1986, 3115; Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 54; Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 20; Schnapp, Amtsrecht, S. 235 f. 164

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der polizeilichen Generalklausel 169 und stellt keine Besonderheit gerade bei der Anstaltsnutzung und den dabei bestehenden Weisungsbefugnissen der Anstaltsleitung dar. In Betracht zu ziehen ist ferner, daß eine derartige Eingriffsermächtigung vom Gesetz auch konkludent erteilt werden kann. Denn mit der gesetzlichen Begründung der Anstaltsgewalt kann im allgemeinen auch ohne dahin gehenden besonderen Ausspruch davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber der Anstaltsleitung alle Befugnisse zuweisen will, die zum ordnungsgemäßen Betrieb der Anstalt unabdingbar sind; insofern besteht eine Kompetenz selbst ohne ausdrückliche Zuweisung kraft Natur der Sache bzw. als notwendiger Annex zur Sachkompetenz170. Allerdings werden hiervon nur die zur Aufrechterhaltung des Anstaltsbetriebes unverzichtbaren Maßnahmen gedeckt 171 , insbesondere also der Verweis eines Störers aus der Anstalt, bei Wiederholungsgefahr unter Umständen der Ausspruch eines (zeitlich befristeten) AnstaltsVerbotes 172. Sanktionen zählen jedoch nicht zu diesen Maßnahmen. Ein zur Strafe auszusprechendes (zeitweiliges) Anstaltsverbot 173 sowie den Charakter von Zwangs- oder gar Bußgeldern besitzende „Mahngebühren" bedürfen daher einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; denn die Statthaftigkeit derartiger Sanktionen ist nicht sachgesetzlich schon in der gesetzlichen Begründung der Anstaltsgewalt eingeschlossen.

e) Abgrenzung hierarchischer und hoheitlicher Weisungen nach der in Anspruch genommenen Autorität Das maßgebliche Kriterium zur Abgrenzung hierarchischer und hoheitlicher Weisungen besteht in Konsequenz des Gesagten darin, daß sich erstere allein auf die besondere Gehorsamspflicht des angewiesenen Organs oder Organwalters stützen und daher nur innerhalb besonderer Gewaltverhältnisse ergehen können, während hoheitliche Weisungen kraft gesetzlicher Ermächtigung aufgrund der allgemeinen Gehorsamspflicht im allgemeinen Gewaltverhältnis erlassen werden und deshalb nicht an das vorherige Bestehen hierarchischer Strukturen gebunden sind. Die hierarchische Weisungsbefugnis folgt aus der Vorgesetztenstellung, und wer Vorgesetzter ist, definiert sich nach der Wei169 Zur Zulässigkeit generalklauselartiger Eingriffsermächtigungen BVerfGE 8, 274, 326; 56, 1,12; BVerwG, NJW 1987, 1435; Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 39; eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 606 ff. 170 Vgl. VGH München, BayVBl. 1981, 657; VG Frankfurt/M., NJW 1998, 1424; a.A. VGH München, BayVBl. 1980, 723, 724 mit abl. Anm. Gerhardt. 171 Ähnlich Bachof, in FS Laforet, S. 302; vgl. ferner Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 54. 172 Vgl. VGH München, BayVBl. 1981, 657, 658. 173 Vgl. VG Frankfurt/M., NJW 1998, 1424, 1425: Hausverbot nach wiederholtem Hausverweis.

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

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sungsbefugnis 174; Vorgesetztenstellung und Weisungsbefugnis sind eins. Dagegen der Polizeibeamte, auch wenn er nach den einschlägigen Polizei- und Ordnungsgesetzen eine polizeiliche Weisung gegenüber einem Bürger ausspricht, ist doch niemals „Vorgesetzter" des Bürgers. Nach keinem denkbaren Verständnis verleiht das Polizeirecht dem weisungsbefugten Polizisten eine Vorgesetztenstellung gegenüber dem Bürger, gleich ob Störer oder Nichtstörer. Seine Weisungsbefugnis leitet sich nicht aus einer Vorgesetztenstellung ab, sondern entstammt einer diesbezüglichen gesetzlichen Ermächtigung, originär neue Rechtspflichten zu begründen, und den Bürger trifft die Befolgungspflicht aufgrund seiner der Rechtsgemeinschaft geschuldeten allgemeinen Gehorsamspflicht 175 . Der Vorgesetzte hingegen erläßt seine dienstliche Weisung aufgrund seiner Dienststellung als Repräsentant des Dienstherrn, und der Untergebene muß sie nicht aufgrund seiner allgemeinen Gehorsamspflicht als Staatsbürger befolgen, sondern dank der besonderen Gehorsamspflicht als Amtswalter, die der Vorgesetzte durch die Weisung aktualisierend in Anspruch nimmt. Wichtig ist die Erkenntnis, daß neue Rechtspflichten immer nur durch hoheitliche Weisung und damit unter Rückführung auf die allgemeine Gehorsamspflicht zu begründen sind, d.h. aber stets durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes begründet werden müssen. Hierarchische Weisungen kommen hierfür nicht in Betracht, weil diese ihre Grundlage in der bestehenden besonderen Gehorsamspflicht haben und diese keine Ermächtigung bietet, die Pflichtenstellung der Untergebenen zu erweitern 176. Besondere Bedeutung kommt dieser Abgrenzung für die Unterscheidung von Rechts- und Verwaltungs Verordnungen zu, die ja, wie schon die konstitutionelle Staatsrechtsdiskussion ergeben hat 177 , weder durch eine unterschiedliche Zwecksetzung oder Eignung zur „Schrankenziehung" noch nach ihrer inneren oder logischen Struktur der Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolgeanordnung 178 zu unterscheiden sind, und deren Abgrenzung daher schon seit langem Schwierigkeiten bereitet. Vergegenwärtigt man sich, daß Verwaltungsverordnungen lediglich (abstrakt-generelle) hierarchische Weisungen in besonderen Gewaltverhältnissen sind 179 , so ergibt sich auch hier, daß das maßgebliche Differenzierungskriterium darin zu sehen ist, welche Autorität der Urheber der Bestimmung in Anspruch nimmt: Rechtssätze begründen in originärer Weise Rechtspflichten und nehmen hierfür die staatliche Souveränität in Anspruch, re174

S. oben C.III.3.a.bb. Vgl. Bettermann, in GS W. Jellinek, S. 378. 176 Vgl. oben C.III.4.C. 177 S. oben C.II.3.a. 178 Zur Struktur von Rechtssätzen näher unten C.III.5.a.cc. 179 Vgl. BVerwG, NJW 2000, 531; OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1997, 474; Jacobi, HdbDStR II, S. 257; Jarass, JuS 1999, 105 f.; Maurer, AllgVerwR, § 24 Rn. 1; s. oben C.III.4.b. 175

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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kurrieren also auf die allgemeine Gehorsamspflicht aller Rechtssubjekte gegenüber der im Staat verfaßten Rechtsgemeinschaft. Verwaltungsverordnungen hingegen stützen sich auf eine bestehende besondere dienstliche Gehorsamspflicht; diese besteht freilich nur in besonderen Gewaltverhältnissen und vermag folglich niemand zu binden, der nicht in ein solches eingegliedert ist 180 . Der Erlaß von Rechtsverordnungen ist wie alle Gesetzgebung Rechtssetzung, ändert nämlich den Inhalt der bestehenden Rechtsordnung oder schafft gar (objektives oder subjektives) Recht dort, wo vorher keines bestand. Der Erlaß von Verwaltungsverordnungen dagegen ist Rechtsausübung, indem die vorgesetzte Stelle Gebrauch von der bereits bestehenden besonderen Gehorsamspflicht des Untergebenen macht 181 . „Die allgemeine Verwaltungsvorschrift ist zwar der Rechtswelt zugehörig, aber kein Rechtssatz... Es fehlt hier die Allgemeingeltung schlechthin auf Grund des allgemeinen Untertanenverhältnisses, in dem alle gleichmäßig stehen, sie gilt nur für die Gewaltunterworfenen" 182. Die Mißachtung einer Verwaltungsverordnung durch den untergebenen Beamten unterscheidet sich daher qualitativ nicht von der Mißachtung einer Einzel Weisung183. Welche Autorität bei dem Erlaß einer Regelung in Anspruch genommen werden soll, bestimmt sich nach dem Willen der normsetzenden Stelle, welcher gegebenenfalls mit Hilfe der oben 184 genannten Indizien zu ermitteln ist. Ist die normsetzende Stelle hiernach zwar frei, zu bestimmen, welche Rechtsnatur eine bestimmte Regelung nach ihrem Willen hat, so ist sie freilich nicht auch Herr darüber, welche Regelungsform (verfassungs)rechtlich notwendig ist. Sollen Rechtspflichten neu begründet werden, so ist hierzu ein Rechtssatz erforderlich, denn ebenso wie bei Einzelweisungen ist auch die dienstliche Gehorsamspflicht gegenüber abstrakten Regelungen keine ausreichende Basis zur Begründung 180

Vgl. BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), NVwZ 1999, 290, 291; OVG Münster, NWVB1. 1998, 434, 436; Jacobi, HdbDStR II, S. 255; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 84, 103; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 74 f., 119 f.; Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 30; vgl. auch G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 379; a.A. Rupp, Grundfragen, S. 42 f. 181 Vgl. Haenel, Das Gesetz, S. 245; Jacobi, HdbDStR II, S. 260; Schneider, NWVB1. 1996, 92. 182 Jacobi, HdbDStR II, S. 257 unter Bezugnahme auf O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 74. - Unzutreffend daher Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 18 f., wenn sie ausführen, auch Verwaltungsvorschriften hätten „ihre Verbindlichkeit mit der Kraft des Rechts" (ähnlich Rupp, JuS 1975, 612). Daß Verwaltungsverordnungen die Untergebenen binden, wird zwar in der Tat durch das Recht bestimmt, aber die Verwaltungsverordnung bindet anders als eine Rechtsnorm nicht aus eigener Kraft, sondern allein dank der sich aus dem Gesetz ergebenden Anordnung, daß untergebene Amtswalter Verwaltungsverordnungen als generell-abstrakte hierarchische Weisungen in derselben Weise zu befolgen haben wie Individualweisungen ihrer Vorgesetzten. 183 Schneider, NWVB1. 1996, 92. 184 S. oben C.II.5.b.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

neuer Rechtspflichten. Im übrigen bestimmt sich nach der Wesentlichkeitstheorie 1 8 5 , ob eine rechtssatzmäßige Regelung notwendig ist oder eine Verwaltungsverordnung genügt. Nach diesen Grundsätzen ist auch die Streitfrage zu beantworten, ob Bestimmungen in der Geschäftsordnung beispielsweise des Gemeinderats als Rechtssatz 186 , als innerorganisatorische Verwaltungsverordnung 187 oder als Regelungstyp sui generis 188 anzusehen sind 189 . Entgegen einer verbreiteten Ansicht 190 kommt es insoweit nicht entscheidend darauf an, ob die betreffende Geschäftsordnungsbestimmung durch eine Ausbalancierung von Mehrheiten- und Minderheitenrechten die Rechtsstellung der Gemeinderatsmitglieder und -fraktionen berührt oder ob sie lediglich als Ordnungsvorschrift anzusehen ist 191 , die allein technische Details oder „Spielregeln" 192 des Prozedere festlegt 193, mit anderen Worten eine modale Ausgestaltung des Verfahrens darstellt, auf die sich die Betroffenen unschwer einstellen können und die ihnen daher hinsichtlich ihrer eigentlichen Ziele gleichgültig sein kann. Der Normgeber ist nämlich nicht gehindert, auch bloße Ordnungsvorschriften durch Rechtssatz zu erlassen. Umgekehrt ist die rechtliche Relevanz einer Vorschrift alleine kein Beweis für ihre Rechtssatznatur. Die Unterscheidung richtet sich nicht nach dem Inhalt der betreffenden Geschäftsordnungsbestimmung, sondern danach, welche Autorität sie nach dem Willen des erlassenden Gemeinderats selbst für sich in Anspruch nimmt. So wie eine Verwaltungsverordnung keinen Rechtssatz darstellt, wenn sie lediglich auf den durch den Adressaten ohnehin geschuldeten Gehorsam gegründet wird, so enthält eine Geschäftsordnung keine Rechtssätze, insofern sie nur auf eine organinterne Bindung zielt und hierfür lediglich von der bereits ge185

S. oben A.I.2.C. BVerwG, N V w Z 1988, 1119, 1120; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1999, 265; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 78; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 304. 187 V G H Mannheim, ESVGH 22, 180, 181; Groß, Kollegialprinzip, S. 18; Ossenbühl, in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 67; Schneider, NWVB1. 1996, 92; Seeger, BWVPr 1978, 51; wohl auch OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 184, 185. 188 Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 211; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 44; Maurer, AllgVerwR, § 24 Rn. 12; Schmidt-Aßmann, in SchmidtAßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 64. 189 Zur gleichermaßen umstrittenen Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen eingehend Achterberg, Parlamentsrecht, S. 38 ff.; femer BVerfGE 1, 144, 148 f. („autonome Satzung44); Dach, in BK GG, Art. 40 (77. Lfg. 1996) Rn. 21; Magiera, in Sachs, Art. 40 Rn. 25; Morlok, in Dreier, GG, Art. 40 Rn. 18. 190 Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 32 Fn. 3; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 55; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 18; Neyses, Rundfünkverfassungsstreitverfahren, S. 109 f., 112 ff. 191 Zu diesen beiden Funktionsaspekten von Geschäftsordnungen Schröder, Grundlagen, S. 90 ff. 192 Vgl. BVerwG, UPR 1998, 270, 271. 193 BVerfGE 63, 343, 359. 186

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setzlich begründeten Unterworfenheit der Organmitglieder unter das Selbstorganisationsrecht und die Leitungs- und Ordnungsgewalt des betreffenden Organs Gebrauch macht 194 . Überschreitet die Geschäftsordnung allerdings die interne Ordnungsgewalt und erlegt sie den Gemeinderatsmitgliedern weitergehende Rechtspflichten oder Beschränkungen auf, die nicht schon durch die Gemeindeordnung oder sonstige Rechtsnormen begründet sind, muß sie als Rechtssatz (Satzung) auf der Grundlage einer diesbezüglichen Ermächtigung durch die Gemeindeordnung und unter Einhaltung des Satzungsgebungsverfahrens 195 ergehen, sonst wäre sie rechtswidrig. Desgleichen sind auch die sogenannten Sonderverordnungen 196 in den Griff zu bekommen, die von der Exekutive zur Regelung besonderer Anstaltsbenutzungsverhältnisse erlassen werden: Da derartige Verhältnisse keine besonderen Gewaltverhältnisse darstellen, sondern richtigerweise als besonders ausgestaltete Formen des allgemeinen Gewaltverhältnisses anzusehen sind 197 , hat die Exekutive keine Befugnis, das Verhalten der Schüler, Strafgefangenen etc. mittels Verwaltungsverordnung zu regeln; diese wären mangels besonderer Gehorsamspflicht an eine solche Verwaltungsverordnung gar nicht gebunden. Die Verwaltung (Anstaltsleitung etc.) muß daher eine Rechtsverordnung, Satzung oder Allgemeinverfugung erlassen, wozu sie freilich eine entsprechende explizite oder zumindest konkludente gesetzliche Ermächtigung benötigt 198 . Die Figur der Sonderverordnung behält insofern ihren Sinn, als sich damit die spezifischen Regelungsbedürfnisse innerhalb derartiger Anstaltsbenutzungsverhältnisse erfassen lassen. Über diese Kategorisierungsfiinktion geht ihre Bedeutung allerdings nicht hinaus; insbesondere stellen Sonderverordnungen nicht etwa eine Gattung von Rechtsakten dar, welche ohne gesetzliche Grundlage Eingriffe in die Rechte der Anstaltsbenutzer ermöglichten.

5. Zur rechtlichen Qualität hierarchischer Weisungen Nach dieser präzisierenden Abgrenzung hierarchischer von hoheitlichen Weisungen ist es nunmehr möglich, die Rechtsqualität hierarchischer Weisungen zu 194

Vgl. Schneider, NWVB1. 1996, 92 f. Waechter, Kommunalrecht, Rn. 302. 196 Vgl. hierzu Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 16 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, §47 Rn. 20; Loschelder, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 123 Rn. 60; Ossenbühl, in Erichsen, AllgVerwR, § 6 Rn. 58 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 882; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 25 Rn. 43. 197 S. oben C.III.4.d.bb. 198 Vgl. Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 31; Schnapp, Amtsrecht, S. 233 ff.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 25 Rn. 44; a.A. Böckenförde/Grawert, AöR 95 (1970), 30 f., 33. 195

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

bestimmen und damit eine dogmatisch befriedigende Erklärung zu geben, weshalb diese im allgemeinen keiner gerichtlichen Anfechtung unterliegen.

a) Die Doppelfunktion der hierarchischen

Weisung

Hierarchische Weisungen wurden vorstehend von hoheitlichen Weisungen dadurch abgegrenzt, daß sie anders als letztere keine neuen Rechtspflichten begründen können. Die in einem hierarchischen Verhältnis vom Vorgesetzten auf der Basis der bestehenden Gehorsamspflicht des Untergebenen erteilte Weisung kann diesen also nicht zu etwas verpflichten, wozu er nicht aufgrund seiner Dienststellung und den daraus folgenden Rechtspflichten ohnehin verpflichtet ist. Da freilich der Untergebene doch unzweifelhaft rechtlich zur Befolgung der ihm erteilten Weisung verpflichtet ist, fragt sich, wie dies zu verstehen ist. Um das beantworten zu können, ist vorab zu klären, was durch eine Weisung überhaupt bewirkt wird. Da das oft gebrauchte Modell der Weisung als Konkretisierung der Gehorsamspflicht mißverständlich ist, sollte die Weisung besser als Aktualisierung der Gehorsamspflicht verstanden werden (nachfolgend aa). Eine Konkretisierung bewirkt sie allein in bezug auf die Dienstleistungspflicht (unten bb).

aa) Die hierarchische Weisung als Aktualisierung der Gehorsamspflicht Nach einem gängigen Verständnis soll die hierarchische Weisung eine „Konkretisierung der Gehorsamspflicht" 199 darstellen, in dem Sinne nämlich, daß „auf nur organisationsinterne Wirkung gerichtete Weisungen des Dienstherrn, die gegenüber dem Beamten allein in seiner Eigenschaft als Amtsträger ergehen, ... die durch die Übernahme in das Beamtenverhältnis begründete allgemeine Pflicht des Beamten zur Befolgung derartiger Weisungen jeweils konkretisieren" 200 . Derartige Formulierungen erschweren indessen die zutreffende Einordnung hierarchischer Weisungen. Die Weisungen des Vorgesetzten zu befolgen, ist bereits Inhalt der Gehorsamspflicht 201. Daneben ist es weder dogmatisch überzeugend begründbar noch sinnvoll, als Inhalt der Weisung eine konkretisierte Pflicht anzunehmen, die konkret erteilte Weisung zu befolgen: Die hierarchische Weisung begründet weder eine Befolgungs- oder Gehorsamspflicht noch spricht sie eine solche aus, sondern setzt im Gegenteil das Bestehen einer Gehorsamspflicht voraus. In der Tat wäre es ohnehin eine völlig unnütze 199

BVerwGE 14, 84, 87; Rupp, Grundfragen, S. 43; vgl. bereits Jacobi, HdbDStR II, S. 257 („Gehorsamspflicht näher bestimmt"). 200 BVerwGE 14, 84, 85. 201 S. oben C.III.3.a.bb und 4.b.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Verdoppelung rechtlicher Pflichten, enthielte die Weisung selbst einen Befolgungsbefehl oder begründete sie eine Gehorsamspflicht. Und schließlich müßten, wenn eine Weisung eine „Konkretisierung" der Gehorsamspflicht bewirkte, die Gehorsamspflichten zweier Beamter, denen verschiedene Weisungen erteilt werden, einen unterschiedlichen rechtlichen Inhalt annehmen, der sich zudem entsprechend der jeweils erteilten Weisung ständig ändern würde. In Wirklichkeit ist und bleibt ihre Gehorsamspflicht jedoch immer dieselbe - nämlich die dienstlichen Weisungen des Vorgesetzten zu befolgen 202 - , nur ist sie eben auf je unterschiedliche Erfolge gerichtet, je nachdem wie der Vorgesetzte diese Pflicht durch seine Weisungen in Anspruch nimmt. Richtigerweise ist deshalb die Weisung nicht als Konkretisierung der Gehorsamspflicht zu verstehen, sondern als deren „Aktivierung" 203 oder Aktualisierung: Die Weisung stellt das Tatbestandsmerkmal dar, an welches der die Gehorsamspflicht begründende Rechtssatz seinen Rechtsfolgenausspruch knüpft, nämlich daß der zum Gehorsam Verpflichtete die Weisung befolgen muß, und in diesem Sinne wird durch das Ergehen einer hierarchischen Weisung die Gehorsamspflicht aktualisiert.

bb) Die hierarchische Weisung als Mittel zur Konkretisierung der Dienstleistungspflicht Die vorstehende Kritik soll nicht besagen, daß die Konkretisierungsvorstellung des BVerwG zur Gänze unberechtigt ist. Indessen geht es bei der hierarchischen Weisung nicht um die Konkretisierung der Gehorsamspflicht, sondern vielmehr um die Konkretisierung der Dienstleistungspflicht des Beamten205. Es wäre ein Mißverständnis, die Pflichten des Beamten auf die Gehorsamspflicht zu reduzieren. In der Tat trifft diesen zunächst einmal als Hauptpflicht die Pflicht zur Erbringung seiner Dienste 206 (vgl. § 52 Abs. 1 S. 2, § 54 S. 1 BBG, § 35 Abs. 1 S. 2, § 36 S. 1 BRRG), und die Gehorsamspflicht stellt hierzu lediglich eine wenngleich besonders bedeutsame Nebenpflicht dar. Die Dienstleistungspflicht des Beamten ist durch das Gesetz in inhaltlicher Hinsicht nur sehr unzureichend bestimmt, doch wie jede Rechtspflicht kann sie nur bestehen, 202

v. Tuhr, BGB AT II/l, S. 149 Fn. 31. Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 115. 204 Vgl. insofern Jacobi, HdbDStR II, S. 257, 258: „Geltendmachung" bzw. „Inanspruchahme" der Gehorsamspflicht. Zur nötigen Unterscheidung von Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht vgl. Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 8, 115; Schnapp, Amtsrecht, S. 133 ff. Zur Amtsfuhrungs- und Dienstleistungspflicht der Beamten vgl. BVerwG, ZBR 1999, 424, 425; Achterberg, AllgVerwR, § 14 Rn. 38; Battis , BBG, § 52 Rn. 3, § 54 Rn. 1; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 129; Schnapp, Amtsrecht, S. 131 ff. 203

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

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wenn sie wenigstens inhaltlich bestimmbar ist. Diese Bestimmung kann nun nicht zuletzt im Wege der Weisung erfolgen, und hier greift die Gehorsamspflicht als das Instrument, mittels dessen der Vorgesetzte die erforderliche nähere Inhaltsbestimmung bewerkstelligen kann 207 , indem er für den Untergebenen bestimmt, was er schuldet208, d.h. welche Leistung er zu erbringen hat. In diesem Sinne bezweckt die Weisung eine angemessene inhaltliche „Entfaltung der Dienstpflicht" 209 . Diese Einordnung entspricht 210 der in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Lehre herrschenden Vorstellung von der Funktion des Direktionsrechts des Arbeitgebers, mittels dessen er eine „Konkretisierung" des Arbeitsvertragsinhaltes bewirken kann 211 . Letzteres beruht auf dem Umstand, daß die Dienst- und Arbeitsleistungspflicht des Arbeitnehmers durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag und Gesetz nur rahmenmäßig vorgegeben und es daher erforderlich ist, dieselbe inhaltlich näher zu bestimmen. Die Grundlage dieser Konkretisierungsbefugnis des Arbeitgebers ergibt sich teilweise aus besonderen gesetzlichen Bestimmungen (§121 GewO, § 9 BBiG, §29 Abs. 1 S. 2 SeemannsG, § 23 Abs. 1 S. 2 BinnenschiffahrtsG), im übrigen konkludent aus dem Arbeitsvertrag 212, und das Instrument ihrer Bewerkstelligung ist die Weisung des Arbeitgebers. Da kein Grund dafür ersichtlich ist, in Hierarchieverhältnissen erteilte Weisungen dogmatisch unterschiedlich zu behandeln, je nachdem ob das betreffende hierarchische Verhältnis öffentlich-rechtlicher Natur ist oder ob es sich aus einem privat- oder arbeitsrechtlichen Vertrag ergibt, erscheint es schon deshalb sinnvoll, dieses im Arbeitsrecht ganz herrschende dogmatische Verständnis auch bei der hierarchischen Weisung zwischen Organen oder Organwaltern zugrunde zu legen.

cc) Normtheoretische Differenzierung Eine und dieselbe Handlung, nämlich die vom Vorgesetzten erteilte Weisung, in der geschilderten Weise differenzierend zu behandeln - einerseits als Aktua207

Zur genauen dogmatischen Einordnung näher nachfolgend C.III.5.b und c. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 182. 209 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 184. 210 Diese Parallele betont auch Schnapp, Amtsrecht, S. 135. 211 Vgl. etwa Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 49e, 87; Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 42; Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 4; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 69; Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 255; Preis, in ErfKomm, § 611 BGB Rn. 289; Söllner, Arbeitsrecht, §29 I 1; Staudinger/RichardU BGB, §611 Rn. 252. 212 Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 49e; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 71; Söllner, Arbeitsrecht, § 29 I 1; Staudinger/RichardU BGB, § 611 Rn. 245, 249; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 74. 208

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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lisierung der Gehorsamspflicht, andererseits als Mittel zur Konkretisierung der Dienstleistungspflicht - mag auf den ersten Blick problematisch erscheinen, und diese Schwierigkeit dürfte auch für die wenig glückliche Charakterisierung derartiger Weisungen durch das BVerwG verantwortlich sein. Sobald man sich jedoch den Unterschied zwischen der Dienstleistungs- und der Gehorsamspflicht des Beamten vergegenwärtigt, erschließt sich die ganz unterschiedliche dogmatische Einordnung der Weisung, weil sich dann zeigt, daß der Weisung im Rahmen der jeweiligen Rechtspflicht und des diese statuierenden Rechtssatzes ganz verschiedene Funktionen zukommen. Die Stimmigkeit der dogmatischen Unterscheidung erhellt, wenn man die logische Struktur von Rechtssätzen213 betrachtet. Ein (selbständiger 214) Rechtssatz besteht - sofern es sich nicht um ein Einzelfall- oder Individualgesetz handelt, bei dem an einen individuellen Tatbestand eine individuelle Regelung geknüpft wird 2 1 5 - aus der Verknüpfung eines in abstrakter Weise formulierten Tatbestandes mit einer abstrakt formulierten Rechtsfolgeanordnung. Jeder solche Tatbestand definiert in abstrakt-genereller Weise diejenige Menge von Sachverhalten, für welche die Rechtsfolgeanordnung Gültigkeit beansprucht. Das heißt: für jeden konkreten 216 Lebenssachverhalt, der unter den Tatbestand subsumierbar ist, mit anderen Worten zu der durch den Tatbestand abstrakt festgelegten Menge gehört, soll die Rechtsfolgeanordnung eintreten. Diese auf der Rechtsfolgeseite stehende Rechtsfolgeanordnung wiederum besteht aus der abstrakt formulierten, aber inhaltlich konkreten Anordnung des Gesetzgebers, daß für jeden dem Tatbestand unterfallenden konkreten Lebenssachverhalt die vorgesehene konkrete Rechtsfolge eintreten soll. Wer durch sein Verhalten den Tatbestand eines Rechtssatzes verwirklicht (d.h. einen Lebenssachverhalt schafft, der Element der durch den Tatbestand 213 S. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 90 f. Fn. 3; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 87 ff. 214 S. hierzu unten D.III.2.b.cc (1). 215 Vgl. Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 10. 216 Nach v. Jhering, Der Zweck im Recht I, S. 341 (zustimmend Bernatzik, Rechtsprechung, S. 5 f. Fn. 5; Rosin, Polizei verordnungsrecht, S. 9 f. Fn. 19) sind die Begriffe „individuell" und „konkret" dadurch abzugrenzen, daß dem Konkreten notwendig ein Abstraktes korreliert, daß also bei dem konkreten einzelnen Phänomen stets ein Allgemeines mitgedacht wird, als dessen Verwirklichung im einzelnen Fall sich das Konkrete darstellt und welches daher sämtliche Merkmale des Abstrakten in sich enthält; das Individuelle hingegen steht gerade nicht als bloße Ausprägung eines Typus, als Verwirklichung des Abstrakten, sondern es weist wenigstens ein Merkmal auf, durch welches es sich in einem für die Beschreibung des Abstrakten wesentlichen Punkt unterscheidet, und ist in diesem Sinne ein Gegensatz desselben. „Individuelle" Gebote der Staatsgewalt sind daher nur diejenigen, „welche im einzelnen Fall eine Anordnung treffen, die nicht schon abstract vorgesehen, durch das Gesetz als nothwendig gesetzt ist, sondern die auf freiem, spontanem Wollen der Staatsgewalt beruht" (v. Jhering, ebd.).

19 Roth

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abstrakt formulierten Menge von Sachverhalten ist), der löst damit also nicht eine lediglich abstrakte Rechtsfolge aus - eine Rechtsfolge vermag in abstracto ja keine praktische Wirksamkeit zu entfalten - , sondern vielmehr die Rechtsfolgeanordnung, daß in bezug auf den konkreten Lebenssachverhalt die statuierte konkrete Rechtsfolge eintreten soll. Der Eintritt der Rechtsfolgeanordnung hat also zwei Ursachen: erstens den Akt des Gesetzgebers, wodurch er den Rechtssatz aufstellt, zweitens ein Verhalten, das den Tatbestand erfüllt 217 . Beides ist gleichermaßen unverzichtbar, auch wenn der Erfüllung des Tatbestandes als dem letzten 218 menschlichen Verhalten in dieser Kausalkette besondere Bedeutung zukommt 219 und - allerdings nur - in diesem Sinne gesagt werden kann, der Betroffene habe selbst die Rechtsfolge verursacht. Diese Mitverursachung der Rechtsfolge heißt aber nicht, daß das den Tatbestand eines Rechtssatzes erfüllende Verhalten die abstrakt formulierte Rechtsfolgeanordnung „konkretisierte"; diese Konkretisierungswirkung wohnt nicht dem betreffenden Verhalten inné, sondern sie ist nachgerade Inhalt der Rechtsfolgeanordnung und damit im Rechtssatz selbst angelegt. Tatbestandsmäßiges Verhalten konkretisiert daher nicht etwa das Recht, sondern es löst nur die vorgesehene Rechtsfolgeanordnung aus und aktualisiert damit die in den einschlägigen Rechtssätzen normierten Rechtsfolgen. In diesem Sinne ist die Weisung in bezug auf die Gehorsamspflicht zu verstehen. Die Rechtsnorm, die die Gehorsamspflicht statuiert, lautet 217

Vgl. bereits deutlich v. Savigny, System I, S. 12; femer Regelsberger, Pandekten, §118; Thibaut , System des Pandekten-Rechts, §113; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, §§ 63, 68 Fn. 1; s. femer Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 234. 218 In eben diesem Punkt erweist sich die Problematik rückwirkender Gesetze: Hier setzt der Gesetzgeber die letzte Ursache für die Auslösung der Rechtsfolgeanordnung, und damit entfallt die Legitimation für die Anordnung belastender Rechtsfolgen. 219 Deshalb trifft es nicht, wenn Rosin (Polizeiverordnungsrecht, S. 4 f. Fn. 4) das Gesetz nicht als Ursache, sondern nur als Kausalbeziehung versteht, weil die Tatbestandserfüllung die wertungsmäßig wichtigste Bedingung des Erfolgs, nämlich des Eintritts der Rechtsfolgeanordnung, sei. Die Tatbestandserfullung ist zwar die letzte Erfolgsbedingung, aber sie ist für den Erfolg nicht wichtiger als die Aufstellung des Rechtssatzes. Insofern greift auch der Vergleich mit Naturgesetzen nicht durch. Da diese für Menschen unverfugbar und eben schlicht als Bedingungen ihrer Handlungen hinzunehmen sind, mag es bei der Beurteilung menschlicher Handlungen wenig Sinn haben, die Naturgesetze als Ursache von Erfolgen mit zu benennen. Sie sind eben die Kausalbedingungen, unter denen alles menschliche Verhalten stattfindet. Da im Unterschied hierzu Gesetze von Menschen gemacht werden, kann es sinnvoll sein, diesen Umstand durch die Benennung des Gesetzgebers als Mitverursacher der Rechtsfolge im konkreten Fall klar zu benennen. Was in eine zu juristischen Zwecken gebildete Kausalkette als Ursachen und Wirkungen einbezogen wird, ist stets auch eine Frage der Wertung (vgl. dazu Roth, Faktische Eingriffe, S. 115). Da es der Jurisprudenz letztlich immer um die Beurteilung menschlichen Verhaltens geht, ist es zwar sinnvoll, die Naturgesetze zu juristischen Zwecken nicht als Ursachen zu verstehen. Die auf menschliche Setzung zurückgehenden Gesetze sind hingegen sehr wohl als (eine) Ursache dessen zu verstehen, was sie anordnen.

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im Kern: „Wenn der Vorgesetzte eine dienstliche Weisung erteilt, befolge diese!". Indem nun der Vorgesetzte seine Weisung ausspricht, verwirklicht er den Tatbestand dieser Norm, und für den Untergebenen tritt damit ohne weiteres die Rechtsfolgeanordnung in Kraft, daß er diese Weisung befolgen muß. Eine derartige tatbestandsmäßige Aktualisierung von Rechtssätzen ist freilich nur dort möglich, wo die Rechtsfolgeanordnung, wenngleich abstrakt formuliert, so doch inhaltlich hinreichend bestimmt ist, so daß sie, sobald sie durch die Erfüllung des Tatbestandes ausgelöst wird, eine konkrete Verhaltensanordnung treffen kann. Diese Notwendigkeit einer (bei aller Abstraktheit der Formulierung) hinreichenden inhaltlichen Konkretheit der Rechtsfolgeanordnung ist, bezogen auf die Rechtsfolgeseite von Rechtsnormen, identisch mit dem Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot schreibt vor, daß ein Rechtssatz nicht nur im Tatbestand, sondern auch in der Rechtsfolge - inhaltlich zumindest bestimmbar sein muß; im Falle einer inhärenten Unbestimmtheit im Sinne einer Unbestimmbarkeit ist der Rechtssatz nichtig 220 . Die erforderliche Bestimmbarkeit wird nun in den meisten Fällen dadurch gewährleistet, daß der Norminhalt im Wege der Auslegung hinreichend präzisiert werden kann. Ist dies unmöglich, so ist der betreffende Rechtssatz im allgemeinen nichtig 221 . Nun gibt es jedoch einige Fälle, in denen alle Auslegung den Inhalt eines Rechtssatzes nicht bestimmen kann und dieser dennoch nicht nichtig ist. Es ist nämlich denkbar, daß einem Rechtssubjekt, sei es dem Verpflichteten, dem Berechtigten, oder einem Dritten, die Befugnis verliehen ist, die erforderliche Konkretisierung noch nachträglich, d.h. nach Entstehen der Rechtspflicht herbeizuführen. Eben so verhält es sich nun mit der Dienstleistungspflicht. Die diese statuierende Norm lautet: „Wer Beamter/Arbeitnehmer ist, muß Dienste leisten". Hier zeigt sich, daß das Problem anders als bei der Gehorsamspflicht nicht auf der Tatbestands-, sondern auf der Rechtsfolgeseite liegt. Das Problem ist nicht, daß es erst noch einer Aktualisierung der Dienstleistungspflicht bedürfte - der Tatbestand ist fraglos verwirklicht - , sondern vielmehr liegt die Schwierigkeit in der inhaltlichen Unbestimmtheit der Rechtsfolge. Es ist hier gänzlich ausgeschlossen, durch Auslegung zu ermitteln, was der Verpflichtete tun muß, und auch eine Lückenschließung im Wege ergänzender Rechtsfortbildung kommt hier in keiner sinnvollen Weise in Betracht, weil es an jedwedem rechtlichen Maßstab fehlt, was der Dienstverpflichtete tun soll. Dennoch ist diese Rechtsnorm nicht als nichtig zu erachten, und zwar eben deswegen, weil der

220

Roth, Faktische Eingriffe, S. 438. Vgl. BVerfGE 45, 363, 371 f.; 87, 363, 391 f.; Looschelders/Roth, Methodik, S. 18 f. 221

Juristische

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Vorgesetzte durch seine Weisung die Rechtsfolgeseite konkretisieren, d.h. ihr einen bestimmten Inhalt geben kann 222 . Nach alledem ist davon auszugehen, daß eine hierarchische Weisung die Gehorsamspflicht aktualisiert und dadurch gleichzeitig die Dienstleistungspflicht konkretisiert. Diese Unterscheidung trägt dem Umstand Rechnung, daß die die Gehorsams- bzw. Dienstleistungspflicht statuierenden Rechtsnormen in der Rechtsanwendung an verschiedenen Stellen Probleme aufwerfen. Die Gehorsamspflicht wird durch einen Rechtssatz begründet, der auf der Rechtsfolgeseite keinerlei Konkretisierungsbedarf mehr hat und lediglich der tatbestandlichen Aktualisierung bedarf. Die Dienstleistungspflicht hingegen bereitet auf der Tatbestandsseite keine Probleme, sondern bedarf eines Konkretisierungsaktes auf der Rechtsfolgeseite, der damit den Charakter einer Leistungsinhaltsbestimmung annimmt. Mit dem Verständnis der hierarchischen Weisung als Instrument, mittels einer Aktualisierung der Gehorsamspflicht die Dienstleistungspflicht zu konkretisieren, ist zunächst lediglich eine begriffliche Klarstellung ihrer Doppelfunktion verbunden. Die für die Rechtsanwendung einschließlich etwaiger Rechtsschutzmöglichkeiten interessante Frage ist indes, welche Rechtsnatur einer solchen Weisung zukommt, insoweit nämlich von ihrer zutreffenden dogmatischen Einordnung ihre rechtliche Behandlung abhängt.

b) Das Direktionsrecht

des Arbeitgebers

In diesem Zusammenhang bietet sich ein Vergleich mit der arbeitsrechtlichen Doktrin über das Direktionsrecht des Arbeitgebers an. Denn die auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers gestützte Weisung gegenüber einem Arbeitnehmer stellt ebensowenig wie die dienstliche Weisung gegenüber einem Beamten eine hoheitliche Weisung dar, sondern vielmehr eine hierarchische Weisung, die ihre Grundlage in dem bereits bestehenden hierarchischen Verhältnis mit seiner charakteristischen Weisungsgebundenheit besitzt 223 . Obgleich es sich im ersten Fall um ein privatrechtliches (arbeitsrechtliches) Verhältnis handelt und im zweiten um ein spezifisch öffentlich-rechtliches (beamtenrechtliches), sind doch beide Konstellationen strukturell so hinreichend ähnlich, daß sie soweit möglich dogmatisch gleich behandelt werden sollten 224 . Obschon sich in der arbeitsrechtlichen Literatur in bezug auf die Rechtsnatur des Direktionsrechts des Arbeitgebers kein einheitliches, sondern ein nicht unumstrittenes Bild zeigt, und sich infolgedessen keine einfache und unbesehene dogmatische Anleihe machen läßt, ist doch ein Vergleich mit der Arbeitgeberweisung aufschlußreich. Denn die ar222

Ähnlich Schnapp, Amtsrecht, S. 153 ff. Vgl. oben C.III.4. 224 Rupp, Grundfragen, S. 76 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 83; vgl. G. Jellinek, System, S. 214 f. 223

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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beitsrechtliche Diskussion hat Erkenntnisse erbracht, die auch im vorliegenden Zusammenhang fruchtbar zu machen sind, so daß deren Betrachtung lohnend erscheint. Nach allgemeiner Ansicht sind alle auf das Direktionsrecht (Weisungsrecht) des Arbeitgebers gestützten Weisungen, durch die er (im Rahmen von Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Individualarbeitsvertrag) einseitig die Arbeitsbedingungen, also Art, Zeit und Ort der zu erbringenden Arbeitsleistung sowie das arbeitsbegleitende Verhalten im Betrieb bestimmt, rechtsgestaltende Leistungsinhaltsbestimmungen im Sinne des § 315 BGB 2 2 5 . Diese Qualifikation gilt allerdings trotz der oft weiten Formulierungen ausweislich der jeweils angeführten Beispiele nur für diejenigen grundlegenden Festlegungen, die den Charakter der Tätigkeit überhaupt ausmachen oder sonst, wie etwa die Bestimmung von Arbeitszeit und Arbeitsort, grundlegende Bedeutung für den Arbeitnehmer besitzen226. Überwiegend nicht erörtert wird dagegen die Rechtsnatur der auf die Bestimmung des konkreten Arbeitsinhaltes gerichteten Weisungen („Bedienen Sie jetzt diesen Kunden!", „Streich' die Wand grau!", „Erledigen Sie diese Bestellung" etc.). Soweit diese Arbeitsweisungen überhaupt gesondert behandelt werden, werden auch sie teilweise als rechtsgestaltende Leistungsinhaltsbestimmungen im Sinne des § 315 BGB eingeordnet 227. Dies soll selbst für das zum „Prüfstein" 228 der verschiedenen Auffassungen gewordene, eigentlich zur Widerlegung dieser Ansicht vorgebrachte Beispiel des Kommandos „Hau ruck!" 2 2 9 gelten, welches von manchen nicht als Realakt, sondern als ein einseitiges, die Arbeitsleistungspflicht konkretisierendes gestaltendes Rechtsgeschäft verstanden wird 2 3 0 .

225

BAG, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 26 mit Anm. Löwisch; Bötticher, AuR 1967, 326; Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 49e; Erman/Hanau, BGB, § 611 Rn. 282 ff., 291 f.; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 11; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 69; Müller-Glöge, in MünchKomm BGB, §611 Rn. 244, 416 f.; Palandt/Putzo, BGB, §611 Rn. 45 ff.; Preis, in ErfKomm, §611 BGB Rn. 290, 293; Richardis in MünchArbR, § 12 Rn. 52; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 31 Rn. 31; Schliemann, in BGB-RGRK, § 611 Rn. 1351, 1358; Söllner, Arbeitsrecht,* § 29 I 1; Soergel/Kraft, BGB, §611 Rn. 52; Soergel/Wolf, BGB, §315 Rn. 18; Staudinger/Richardis BGB, § 611 Rn. 251 ; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 74 Fn. 28, S. 179. 226 Vgl. hierzu den Überblick über die diesbezügliche arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bei Staudinger/Mader, BGB, § 315 Rn. 109 ff. 227 Blomeyer, in MünchArbR, § 46 Rn. 24, 26; Gottwald, in MünchKomm BGB, §315 Rn. 42; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 164; wohl auch Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 9 ff. 228 Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 42 Fn. 154. 229 Beispiel von Bötticher, AuR 1967, 326. 230 Vgl. Blomeyer, in MünchArbR, § 46 Rn. 26; Gottwald, in MünchKomm BGB, §315 Rn. 42.

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Der rechtspolitische Hintergrund dieses Verständnisses dürfte in dem verbreiteten Unbehagen liegen, eine besondere, rechtlich eigenständige „Gehorsamspflicht" oder Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers anzunehmen; entgegen der früher selbstverständlichen Bejahung einer solchen Pflicht wird diese heute vielfach fur obsolet gehalten231 und demzufolge die Vorstellung der arbeitsvertraglichen Dienstleistungspflicht als ein „Einsatz der Arbeitskraft nach Weisung" 232 verworfen. Da aber der Arbeitnehmer nach der Natur der Sache nun einmal die Weisungen des Arbeitgebers befolgen muß, wird versucht, dieses Ergebnis unter alleinigem Rückgriff auf die Dienstleistungspflicht zu erklären, indem auch diese Weisungen als rechtsgestaltende Konkretisierungen der vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht konstruiert werden. Der Malergeselle, der auf Weisung seines Arbeitgebers die Wand grau streicht, „gehorcht" nach dieser Vorstellung nicht seinem Meister, sondern er erfüllt „nur" seine vertragliche Pflicht, welche durch die Weisung rechtsgestaltend konkretisiert wurde. Ob diesem Anliegen, die Gehorsamspflicht als eigenständige Rechtsfigur im Arbeitsrecht zu eliminieren, de lege ferenda beizupflichten ist, mag hier dahinstehen. Daß der Arbeitnehmer „kein personenrechtlich Abhängiger, sondern ein Vertragspartner" ist 233 , ist selbstverständlich richtig, und daß sich kein Arbeitnehmer „zum Gehorsam an sich" verpflichtet 234 , ist ebensowenig zu bezweifeln. Immerhin verraten derartige Begründungen deutlich, welche verzerrten Vorstellungen mit dem Begriff des „Gehorsams" verknüpft sind, die dann allerdings zu seiner Ablehnung fuhren müssen. Wenn sich der Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag zu weisungsgebundener Arbeit verpflichtet 235 , entsteht natürlich keine „personenrechtliche Abhängigkeit" und er verpflichtet sich auch mitnichten zu einem „Gehorsam an sich". Nicht ersichtlich ist aber, welche Bedenken gegen die Annahme bestehen sollen, daß er sich damit - im Rahmen von Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag - vertraglich zur Befolgung von Weisungen verpflichtet, so daß ihm danach eine Gehorsamspflicht oder (falls man diesen Begriff für antiquiert hält) eine Weisungsbefolgungspflicht als echte Rechtspflicht dem Weisungsberechtigten gegenüber obliegen kann 236 .

231 Vgl. Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 87; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 69; Richardis in MünchArbR, § 12 Rn. 51; Söllner, Arbeitsrecht, § 29 I 1; Soergel/Kraft, BGB, § 611 Rn. 58; Staudinger/Richardis BGB, § 611 Rn. 250; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 179. 232 Bötticher, AuR 1967, 326. 233 Richardis in MünchArbR, §12 Rn. 51; Staudinger/Ric hardi, BGB, §611 Rn. 250. 234 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 179. 235 Bötticher, AuR 1967, 326; Erman/Hanau, BGB, § 611 Rn. 291; vgl. Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 5, 36, 45 ff. 236 Vgl. Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 38; ferner Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 55 Rn. 1.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Die Ablehnung einer eigenständigen Gehorsamspflicht setzte sich zudem in Widerspruch zu den Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser hat nämlich nicht nur für Beamte und Soldaten eine Gehorsamspflicht besonders statuiert (§ 37 S. 2 BRRG, § 55 S. 2 BBG, § 11 SG), und zwar als eine von deren Dienstpflichten verschiedene, eigenständige Rechtspflicht 237. Vielmehr hat er bezeichnenderweise auch bei privatrechtlichen Arbeitsverträgen, soweit diese überhaupt eine gesetzliche Regelung gefunden haben, durchgängig ausdrücklich Gehorsamspflichten normiert (§121 GewO 238 , §9 BBiG 2 3 9 , §29 Abs. 1 SeemannsG240), und damit bekundet, daß diese seiner Vorstellung nach eine von der Dienstleistungspflicht zu unterscheidende Pflicht darstellt 241 . Wenn nun der Gesetzgeber hiermit eine besondere Gehorsamspflicht positivieren wollte 242 , dann kann der Rechtsanwender diese Bestimmungen nicht einfach entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem traditionellen Verständnis in schlecht formulierte Umschreibungen des Direktionsrechts uminterpretieren und behaupten, in diesen Vorschriften habe nur das Direktionsrecht seinen Ausdruck gefunden, obwohl der Gesetzgeber hier offenkundig eine Gehorsamspflicht statuiert hat 243 . Man mag vielleicht der Auffassung sein, daß es der „Krücke" 2 4 4 der Gehorsamspflicht nicht (mehr) bedürfe und man dasselbe Ergebnis auch mit Hilfe der neueren Rechtsgestaltungskonstruktion erreichen könne 245 . Indessen ändert letzteres doch nichts an der gesetzgeberischen Vorgabe, und die Dogmatik sollte das bestehende Gesetz erfassen und nicht eine als „moderner" verstandene Auffassung als geltendes Gesetz ausgeben. Der Versuch, diese explizit Gehorsamspflichten statuierenden Vorschriften als Ausnahmeregelungen beiseite zu lassen, welche keine Bedeutung für das zu 237

S. oben C.III.5.a.bb. „Gesellen und Gehilfen sind verpflichtet, den Anordnungen der Arbeitgeber in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten ... Folge zu leisten". 239 „Der Auszubildende hat sich zu bemühen, die Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die erforderlich sind, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Er ist insbesondere verpflichtet, 1. die ihm ...aufgetragenen Verrichtungen sorgfältig auszuführen, ... 3. den Weisungen zu folgen, die ihm ... erteilt werden". 240 „Das Besatzungsmitglied hat die Schiffsdienste zu verrichten, zu denen es im Rahmen des Heuerverhältnisses verpflichtet ist. Es hat dabei den Anordnungen der zuständigen Vorgesetzten Folge zu leisten". - Entsprechend § 23 Abs. 1 BinnenschiffahrtsG. 241 Ähnlich Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 39 f. 242 Das konzedieren auch Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 7; Staudinger/Richardi, BGB, § 611 Rn. 386. 243 So aber - durchgängig ohne Begründung - Müller-Glöge, in MünchKomm BGB, § 611 Rn. 244; Richardi, in MünchArbR, § 12 Rn. 51; Söllner, Arbeitsrecht, § 29 I 1; Staudinger/RichardU BGB, § 611 Rn. 250. 244 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 1 Rn. 26. 245 Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 87; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 7; Müller-Glöge, in MünchKomm BGB, § 611 Rn. 245. 238

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

entwickelnde dogmatische Verständnis hätten, überzeugt nicht. Die Annahme, die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Befolgung von Einzelweisungen sei „im allgemeinen mit seiner Arbeitspflicht identisch, soweit sie nicht spezialgesetzlich konkretisiert ist" 2 4 6 , impliziert einen merkwürdigen dogmatischen Bruch: bei Beamten, Soldaten, gewerblichen Gesellen und Gehilfen, Seeleuten, Binnenschiffern und Auszubildenden existierte danach eine von der Dienstleistungspflicht begrifflich und dogmatisch verschiedene Gehorsamspflicht, während bei allen anderen Arbeitnehmern diese Pflichten identisch wären... Tatsächlich besteht überall eine selbständige Gehorsamspflicht 247; daß diese durch den Arbeitsvertrag begründet und begrenzt wird, bedeutet nicht, daß sie mit der arbeitsvertraglichen Dienstleistungspflicht gleichzusetzen wäre. Das Bestreben, die eigenständige Gehorsamspflicht aus dem Arbeitsverhältnis zu eliminieren, wird aber nicht nur der Gesetzeslage nicht gerecht. Sie verursacht zudem tiefgreifende dogmatische Unstimmigkeiten, weil diese Ansicht gezwungen ist, Vorgänge als Rechtsgestaltungen zu behandeln, die nach den üblichen Vorstellungen deren Charakteristika gar nicht besitzen. Die gewöhnlichen, die Arbeitstätigkeit leitenden Weisungen des Arbeitgebers weisen zahlreiche Merkmale auf, die mit einer Qualifikation als rechtsgestaltende Erklärung unvereinbar sind, und deshalb lassen sich inhaltliche Arbeitgeberweisungen nicht unterschiedslos als Ausübung eines Gestaltungsrechtes im Sinne des § 315 BGB einordnen. Erstens sind derartige Weisungen nach allgemeiner Ansicht jederzeitfrei widerruflich und abänderbar 248. Gerade dadurch unterscheiden sie sich signifikant von den nach sonstigem Verständnis unter § 315 BGB zu rechnenden Erklärungen: Ein Bestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB wird grundsätzlich mit seiner Ausübung verbraucht und ist daher nur auf eine einmalige Rechtsgestaltung gerichtet 249 . Deshalb sind Rechtsgestaltungserklärungen grundsätzlich unwiderruflich und nicht einseitig abänderbar 250. Zwar ist bei Dauerschuldverhältnissen an die Möglichkeit von (stufenweisen) Anpassungen an veränderte

246

Blomeyer, in MünchArbR, § 46 Rn. 25. Ähnlich Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 41, 45 ff. 248 Vgl. Blomeyer, in MünchArbR^ § 46 Rn. 26; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 10, 12; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 73 f., 164. 249 Vgl. Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 22; Soergel/Wolf, BGB, § 315 Rn. 43; Staudinger/Mader, BGB, § 315 Rn. 81. 250 Motive II, S. 192; BGH, NJW 1966, 539, 540; BAG, VersR 1981, 941, 942; OLG Köln, NJW-RR 1993, 1073, 1074; Ballhaus, in BGB-RGRK, § 315 Rn. 16; Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 22; Palandt/Heinrichs, BGB, § 315 Rn. 11; Soergel/ Wolf, BGB, § 315 Rn. 43; Staudinger/Mader, BGB, § 315 Rn. 54. 247

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Umstände zu denken251. Jedoch eine fortlaufende, nach freiem Belieben des Berechtigten womöglich „täglich, stündlich oder noch rascher" wechselnde Weisung 252 hat mit gelegentlichen „Anpassungen" nichts gemein 253 . Der Klarheit ist auch nicht damit gedient, das Direktionsrecht als ein „Muttergestaltungsrecht" 254 zu titulieren. Eine solche terminologische Angleichung an die dem §315 BGB unterfallenden Leistungsbestimmungsrechte ändert nämlich nichts an den bestehenden sachlichen Unterschieden. Zweitens können die auf den Arbeitsinhalt bezogenen Weisungen nach freiem Belieben des Arbeitgebers ergehen; er ist nicht auf eine Inhaltsbestimmung nach billigem Ermessen, wie von §315 Abs. 1 BGB vorgeschrieben, beschränkt 255. Auch eine Billigkeitskontrolle durch das Arbeitsgericht gemäß §315 Abs. 3 BGB findet „in keinem Fall" statt 256 . Es ist vielmehr nicht möglich, gegen „normale Arbeitsanweisungen" das Arbeitsgericht anzurufen 257. Wieso dies aber nicht möglich ist, läßt sich auf der Basis der Annahme einer rechtsgestaltenden Natur derselben nicht überzeugend begründen. Denn wenn die normale Arbeitsanweisung wirklich als Rechtsgestaltung wirkte, durch welche „die konkrete Arbeitspflicht erst entsteht" 258 , dann müßte über das Bestehen dieser „konkreten Arbeitspflicht" gerichtlich gestritten werden können und zumindest eine Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB Platz greifen. Erklärungen wie die, daß bei normalen Arbeitsweisungen „die richterliche Kontrolle keinen rechten Sinn hat" 259 , wirken unbeholfen und demonstrieren lediglich die Schwierigkeiten, in welche man sich durch die undifferenzierte Betrachtung des Direktionsrechts und die unterschiedslose Einordnung aller Weisungen hineinmanövriert. Wenn der von § 315 BGB vorgeschriebene Billigkeitsmaßstab und die anhand desselben durchzuführende richterliche Kontrolle, ja überhaupt die Behandlung normaler Arbeitsweisungen als rechtsgestaltende Erklärungen keinen rechten Sinn haben, so hat es wohl auch keinen Sinn, derartige Maßnahme 251

Vgl. BAG, VersR 1981, 941, 942; Ballhaus, in BGB-RGRK, § 315 Rn. 5; Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 12, 22; Soergel/Wolf, BGB, § 315 Rn. 43; Staudinger/Mader, BGB, § 315 Rn. 54. 252 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 164. 253 Bötticher, AuR 1967, 325. 254 Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 42; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 12. 255 Brox, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 42; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 5 Rn. 132; Löwisch, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 26. 256 Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 5 Rn. 132. 257 Brox, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Gottwald, in MünchKomm BGB, §315 Rn. 42; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 5 Rn. 132; Hunold, in ARBlattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 17, 19. 258 Blomeyer, in MünchArbR, § 46 Rn. 26. 259 Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 42.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

überhaupt als Leistungsinhaltsbestimmungen im Sinne des § 315 BGB anzusehen 260 . Insgesamt unterscheiden sich die auf den Arbeitsinhalt bezogenen Weisungen des Arbeitgebers in allen entscheidenden Punkten von Leistungsinhaltsbestimmungen im Sinne des § 315 BGB und verlassen die mit letzteren verbundenen Vorstellungen in einem Maße, daß sie nicht mehr als rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärungen anzusehen und unter diese Vorschrift zu subsumieren sind. Zuzustimmen ist daher der differenzierenden Ansicht 261 , daß Weisungen des Arbeitgebers nur insoweit als rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärungen im Sinne des § 315 BGB anzusehen sind, als sie die Arbeitsbedingungen festlegen (z.B. Arbeitszeit 262 , Arbeitsort, Art der Tätigkeit 263 ), wohingegen die auf die Bestimmung des konkreten Arbeitsinhaltes gerichteten Weisungen nicht diese Qualität besitzen, weil sie nicht auf eine Rechtsgestaltung, sondern lediglich auf den Vollzug einer bereits bestehenden arbeitsvertraglichen Pflicht gerichtet sind 264 . Sowenig etwa die schlichte Aufforderung des Gläubigers an den Schuldner, seine Leistung zu erbringen, als Rechtsgeschäft zu werten ist, sowenig ist die gewöhnliche Arbeitsweisung als ein solches zu sehen. In beiden Fällen geht es allein darum, daß der Berechtigte von einem bestehenden Recht tatsächlich Gebrauch macht, nicht aber um irgendeine Rechtsgestaltung. Um eine unbestimmte Verpflichtung, die erst noch durch eine Rechtsgestaltung inhaltlich bestimmt werden müßte, handelt es sich dabei nicht. Denn „Einsatz der Arbeitskraft nach Weisung ist bereits eine bestimmte Leistung", und zwar gerade die, „die das Wesen abhängiger Arbeit ausmacht"265. Diese Differenzierung trägt sowohl der anerkannten Möglichkeit einer arbeitsgerichtlichen Kontrolle nur gewisser, nicht aber aller Weisungen, als auch 260 Zutreffend Brox, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27: der als Drucker eingestellte Arbeitnehmer hat die Arbeitspflicht, „alle an der Druckmaschine anfallenden Druckarbeiten zu erledigen. Bei der Festlegung dieser Arbeiten im einzelnen (z.B. Bestimmung der Papiersorte, der Druckfarbe, des Druckformats, der Auflagenhöhe, des Druckinhalts) handelt es sich nur noch um untergeordnete Einzelweisungen", die keine Bestimmungen i.S.d. § 315 BGB sind. 261 Vgl. Bötticher, AuR 1967, 326; Brox, AP §611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 16 ff. („kleines" und „großes" Direktionsrecht); Löwisch, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 26; Richardi, in MünchArbR, § 12 Rn. 52 f.; Staudinger/Ric hardi, BGB, § 611 Rn. 251 f. 262 Vgl. BAG, NJW 1999, 669, 670. 263 Vgl. Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 21; Preis, in ErfKomm, § 611 BGB Rn. 290. 264 Bötticher, AuR 1967, 326; Brox, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27; Richardis in MünchArbR, § 12 Rn. 53; Staudinger/Richardi, BGB, § 611 Rn. 252; ferner Löwisch, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 26. 265 Treffend Bötticher, AuR 1967, 326; desgleichen Brox, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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der Rechtsnatur von Gestaltungsrechten Rechnung. Während nämlich gewöhnliche tätigkeitsbestimmende Weisungen nicht überzeugend als Gestaltungserklärungen aufzufassen sind, weil sie jederzeit nach Belieben widerrufbar und abänderbar sind, selbstverständlich auch keiner Billigkeitskontrolle durch die Gerichte unterliegen können, sind Weisungen, durch die die Arbeitsbedingungen festgelegt werden, durchaus richtig als Rechtsgestaltungserklärungen im Sinne des § 315 BGB verortet. Dies stellt sicher, daß derartige Weisungen, die ja den Arbeitnehmer unter Umständen stark belasten können, einer gerichtlichen Kontrolle gemäß § 315 BGB unterzogen werden können 266 : Sie dürfen nur nach billigem Ermessen (§315 Abs. 1 BGB) ergehen und nicht nach freiem Belieben erteilt oder geändert werden, und sie sind in dieser Hinsicht gerichtlich überprüfbar (vgl. § 315 Abs. 3 BGB). Demgegenüber sind die gewöhnlichen tätigkeitsbezogenen Weisungen des Arbeitgebers keine rechtsgestaltenden Erklärungen, sondern stellen ein bloßes Gebrauchmachen von der Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers dar 267 , welches rein faktischer Natur ist. Daß eine derartige Weisung selbst rechtlicher Natur sein müßte, ergibt sich weder aus ihrer Funktion, die Gehorsamspflicht zu aktualisieren, noch aus ihrer Aufgabe, die Dienstleistungspflicht zu konkretisieren. Ersteres ist an sich selbstverständlich. Es ist gewiß möglich, daß ein Rechtssatz spezifisch an einen Rechtsakt anknüpft, nämlich wenn gewisse Tatbestandsmerkmale nur durch Akte rechtlicher Natur zu verwirklichen sind. Solche Anknüpfungen an spezifisch rechtliche Aktualisierungsakte sind indessen nicht die Regel. Praktisch viel bedeutsamer sind die Fälle, daß Tatbestände nur oder jedenfalls auch an Akte tatsächlicher Natur anknüpfen. In diesem Sinne sind auch tätigkeitsbezogene Weisungen dogmatisch einzuordnen. Sie aktualisieren zwar die Gehorsamspflicht und lenken die geschuldete Dienstleistung auf ein bestimmtes Ziel, sind infolgedessen von erheblicher rechtlicher Relevanz und keinesfalls als ein rechtliches Nullum anzusehen. Aber es steht nichts entgegen, sie ungeachtet ihrer rechtlichen Relevanz nicht selbst als einen Akt rechtlicher Natur, sondern vielmehr als tatsächlichen Akt zu verstehen. Zu einem anderen Schluß zwingt auch nicht der Umstand, daß durch derartige Weisungen die Dienstleistungspflicht inhaltlich konkretisiert wird. Diese Konkretisierung ist nicht rechtsgestaltender Natur, sondern nur die tatsächliche Auswirkung dessen, daß der Arbeitgeber kraft seiner Weisungsbefugnis von der vom Arbeitnehmer geschuldeten Dienstleistung Gebrauch machen kann. Ganz unverständlich ist der gegen diese Sicht erhobene Einwand, derartige Weisungen könnten deswegen nicht rein faktischer Natur sein, weil ihre Nicht-

266 267

Vgl. BAG, NJW 1999, 669, 670; Gottwald, in MünchKomm BGB, § 315 Rn. 42. Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 255.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

befolgung eine Verletzung der Gehorsamspflicht darstellt 268 . Gerade weil ja der Vorwurf (zutreffend) auf die Verletzung der Gehorsamspflicht lautet, und nicht etwa auf die Verletzung der Weisung geht, ist die Rechtsnatur letzterer völlig unerheblich. Dies erweist sich nicht zuletzt, wenn man das als „Prüfstein" der verschiedenen Auffassungen dienende Beispiel betrachtet, daß der Arbeitgeber das „Kommando 'Hau ruck!'" gibt. Kommt der angewiesene Arbeiter dem Kommando nicht nach, so verletzt er unmittelbar seine Gehorsamspflicht, mittelbar seine Dienstleistungspflicht. Mit Recht käme aber niemand auf die Idee, den Vorwurf zu erheben, er habe das gegebene Kommando verletzt. Die Mißachtung einer Weisung hat rechtliche Bedeutung nur insofern als die Weisung die Gehorsamspflicht aktualisiert und die Dienstpflicht konkretisiert, so daß die Mißachtung der Weisung notwendig eine Verletzung der Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht darstellt. Daneben kommt der gegebenen Weisung aber keine eigenständige pflichtenbegründende Bedeutung zu; die Tatsache des Ausspruchs einer Weisung ist allein Tatbestandsmerkmal bei der Prüfling der Verletzung der Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht. Keinen Einwand gegen diese Differenzierung stellt es schließlich dar, daß es im Einzelfall schwierig sein mag, beide Arten von Weisungen zu unterscheiden 269 . Die etwaige Schwierigkeit der Bestimmung, ob eine Weisung noch als in diesem Sinne normale Arbeitsweisung oder als Festlegung unter Umständen belastender Arbeitsbedingungen anzusehen ist, ist ein gewöhnliches Auslegungsproblem, das nicht gegen die grundsätzliche Möglichkeit der Unterscheidung spricht; es ist daher nicht gerechtfertigt, beide Weisungsformen entgegen ihren wesentlichen Unterschieden dogmatisch gleich zu behandeln. In der Tat entspricht diese arbeitsrechtliche Unterscheidung zwischen gewöhnlichen Arbeitsanweisungen und der Festlegung von Arbeitsbedingungen der beamtenrechtlichen Unterscheidung von Betriebs- und Grundverhältnis 270, deren Abgrenzung zwar gleichfalls nicht immer unproblematisch sein mag, dennoch aber nicht als prinzipielles Hindernis verstanden wird, Maßnahmen z.B. hinsichtlich der Möglichkeit gerichtlicher Anfechtung unterschiedlich zu behandeln, je nachdem ob sie (nur) das Betriebs- oder (auch) das Grundverhältnis betreffen. Im Ergebnis ergibt sich so ein Drei-Stufen-Modell zur Einordnung und Beurteilung von Weisungen des Arbeitgebers: Weisungen, die gegen Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Individualarbeitsvertrag verstoßen, insbesondere also dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit auftragen, zu der er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet ist, sind unzulässig und unverbindlich; will der Ar268

Vgl. Gottwald,, in MünchKomm BGB, §315 Rn. 42; ferner Söllner, AcP 171 (1971), 561. 269 So aber Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 33; Söllner, AcP 171 (1971), 561. 270 S. oben C.III.2.b.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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beitgeber den Arbeitnehmer zu einer Tätigkeit einsetzen, zu der dieser arbeitsvertraglich nicht verpflichtet ist, bleibt ihm nur die Möglichkeit einer einvernehmlichen Vertragsänderung, gegebenenfalls, soweit zulässig, einer Änderungskündigung 271. Arbeitgeberweisungen, die sich im Rahmen des Arbeitsvertrages halten, sind grundsätzlich zulässig; sofern sie sich jedoch auf das Privatleben, d.h. die private Lebensführung 272 oder das soziale Ansehen273 des Arbeitnehmers auswirken, stellen sie eine das „Grundverhältnis" des Arbeitsvertrages berührende Festlegung von Arbeitsbedingungen dar, welche nur als rechtsgeschäftliche Leistungsinhaltsbestimmungen ergehen können und als solche den Maßstäben des § 315 BGB und der diesbezüglichen arbeitsgerichtlichen Kontrolle unterliegen. Arbeitgeberweisungen schließlich, welche sich auf das Privatleben des Arbeitnehmers nicht auswirken und damit im arbeitsvertraglichen „Betriebsverhältnis" verbleiben, stellen als „normale Arbeitsanweisungen" ein rein faktisches Gebrauchmachen von der bestehenden arbeitsvertraglichen Dienstleistungspflicht dar, welches weder einem Billigkeitserfordernis noch einer diesbezüglichen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Mit diesem Rückgriff auf die Unterscheidung von Grund- und Betriebsverhältnis ist zugleich der Bogen zur weiteren Untersuchung hierarchischer Weisungen im hoheitlichen Innenbereich geschlagen.

c) Die Rechtsnatur hierarchischer

Weisungen im hoheitlichen Innenbereich

Die vorstehend dargelegte differenzierende Betrachtung von Arbeitgeberweisungen ist aus den angeführten, hier entsprechend geltenden Gründen auf hierarchische Weisungen innerhalb hoheitlicher Organisationen zu übertragen. Hierarchische Weisungen, die die Dienstleistungspflicht in einer das Grundverhältnis berührenden Weise konkretisieren, sind zwar keine privatrechtsgestaltenden Erklärungen im Sinne des § 315 BGB, wohl aber als öffentlich-rechtliche Gestaltungserklärungen eigener Art zu begreifen. Verwaltungsakte stellen 271

Vgl. Ascheid, in ErfKomm, § 2 KSchG Rn. 13 ff.; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 45 Rn. 43. 272 Dies ist auch für Arbeiten anzunehmen, die der Arbeitnehmer unter Verstoß gegen seine Gewissensüberzeugungen vornehmen müßte, weil eine beruflich veranlaßte Gewissensverletzung nicht sozusagen am Werkstor zurückgelassen werden kann, sondern das gesamte Leben des Betroffenen belasten muß. Hier ist daher die Problematik der Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen (vgl. dazu BAG, AP § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 27 m. krit. Anm. Brox; BAG, NJW 1990, 203, 204 f.; Schliemann, in BGBRGRK, § 611 Rn. 1355) systematisch zu verorten. 273 Aufgrund ihrer Bedeutung für den „Arbeitswert" und das soziale Prestige können andere Tätigkeitsbereiche nur nach dem Maßstab des § 315 BGB zugewiesen werden, vgl. Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 6 Rn. 33; femer Hunold, in AR-Blattei SD (20. Lfg. 1995), Direktionsrecht Rn. 106, 115.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

derartige Erklärungen hingegen nicht dar, weil sie nicht auf eine außenwirksame Regelung gerichtet sind 274 , sondern vielmehr lediglich die Konkretisierung bestehender Dienstleistungspflichten innerhalb der Verwaltung bezwecken; daß sie als Eingriff in das Grundverhältnis Relevanz für die Rechtsstellung des betroffenen Organwalters haben, ist eine für die Gewährung möglichen Rechtsschutzes bedeutsame Frage. Im Unterschied hierzu sind die sich innerhalb des Betriebsverhältnisses bewegenden hierarchischen Weisungen ebenso wie die gewöhnlichen Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers rein faktischer Natur. Sie stellen keine rechtlich gestaltenden Erklärungen dar, sondern machen lediglich in tatsächlich konkretisierender Weise von der bestehenden Dienstleistungspflicht Gebrauch. Hierarchische Weisungen innerhalb des Betriebsverhältnisses sind somit rechtserhebliche Tatsachen und keine Rechtsakte 275. Wer eine (für ihn verbindliche) hierarchische Weisung mißachtet, verletzt also nicht die Weisung, sondern seine in der Weisung aktualisierte besondere Gehorsamspflicht und infolgedessen in aller Regel auch seine durch die Weisung konkretisierte Dienstleistungspflicht.

6. Hierarchische Weisungen als Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten Die dargelegte unterschiedliche Rechtsnatur hierarchischer Weisungen, je nachdem ob sie (nur) das Betriebsverhältnis betreffen oder (auch) das Grundverhältnis berühren, hat nun notwendig Konsequenzen für die Möglichkeit etwaigen Rechtsschutzes, und zwar bemerkenswerterweise bereits bei der Rechtswegvoraussetzung der Rechtsstreitigkeit. Daß auch hier wiederum zu differenzieren ist, scheint schon in der eingangs276 zitierten Grundsatzentscheidung des BVerwG durch, in welcher die Anfechtbarkeit bewußt allein für Maßnahmen ausgeschlossen wird, die an den Amtsträger „nur in dieser Stellung und nicht als Träger eigener Rechte gerichtet sind", die also „lediglich seine Amtsführung lenken" 277 . Indes läßt sich aufgrund der geleisteten Vorarbeit nunmehr eine dogmatisch stimmige Erklärung für die Unterschiedlichkeit der gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten geben, weshalb zwar Rechtsschutz gegen eine das Grundverhältnis berührende hierarchische Weisung zu erlangen ist, nicht aber gegen eine im Betriebsverhältnis bleibende.

274

Verwaltungsakte müssen auf eine Regelung im Außenverhältnis gerichtet sein, hierzu näher unten G.III.2.a. 275 Bachof in FS Laforet, S. 304. 276 S. oben C.III.2.a. 277 BVerwGE 14,84,86.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen a) Rechtsschutz gegen das Grundverhältnis

betreffende

27 Weisungen

Hierarchische Weisungen, die das Grundverhältnis betreffen, kommen als öffentlich-rechtliche Gestaltungserklärungen 278 für eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in Betracht. Die Dienstleistungsberechtigung des Dienstherrn und die korrespondierende Dienstleistungspflicht des Beamten stellen unzweifelhaft ein Rechtsverhältnis dar, das Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann; folglich kann auch jeder rechtliche Gestaltungsakt, der diese Rechtspflicht konkretisiert, Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein, sofern Streit darüber besteht, ob die Dienstleistungspflicht in zulässiger Weise konkretisiert worden ist. Eine Weisung betrifft nach dem Gesagten das Grundverhältnis, wenn sie sich auf die private Lebensführung des angewiesenen Amtswalters auswirkt 279 ; da dieser insofern subjektive Rechte anführen kann, wird auch die - hier nicht zu vertiefende 280 - Bedingung der subjektiven Rechtsbetroffenheit im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO in aller Regel erfüllt sein. Die vom Verwaltungsgericht auszuübende Kontrolle ist keine Billigkeitskontrolle analog § 315 BGB, sondern der öffentlich-rechtlichen Einbindung des Verhältnisses gemäß eine Prüfung der Pflichtmäßigkeit der Ermessensausübung durch den Vorgesetzten. Dies ist auch im Ergebnis sachgerecht. Da derartige Weisungen durch ihre das Privatleben des Betroffenen berührende Wirkung gekennzeichnet sind, muß der Vorgesetzte auf diese Belange Rücksicht nehmen. Während er also nach seinem Belieben inhaltliche Weisungen im Betriebsverhältnis geben kann, dürfte er nicht z.B. jeden Tag die Arbeitszeiten neu festlegen, weil sich ja die Beschäftigten in ihrer Lebensführung darauf einstellen können müssen.

b) Kein Rechtsstreit um hierarchische

Weisungen im Betriebsverhältnis

In Einklang mit der herrschenden Meinung ist demgegenüber gegen hierarchische Weisungen im Betriebsverhältnis kein gerichtlicher Rechtsschutz zu erlangen 281 . Während sich für dieses Ergebnis bislang keine oder nur unzulängliche Begründungen finden, läßt es sich nach allen Vorarbeiten nunmehr dogmatisch stimmig erklären. Der Grund hierfür liegt nicht etwa in einer überhaupt fehlenden subjektiven Rechtsposition des Angewiesenen, sondern vielmehr darin, daß eine derartige Weisung zwar von erheblicher rechtlicher Relevanz ist, selbst aber des rechtlichen Charakters ermangelt und rein tatsächlicher Natur ist 282 . Über Akte faktischer Natur, mögen sie als Aktualisierung einer Rechtsnorm 278 279 280 281 282

S. vorstehend C.III.5.C. S. oben C.III.2.b. Hierzu näher unten C.IV. 1. S. oben C.III.2.a. Ebenso Bachof, in FS Laforet, S. 304; a.A. Schnapp, Amtsrecht, S. 155.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

noch so große rechtliche Bedeutung haben, kann man sich indessen nicht rechtlich und damit auch nicht gerichtlich streiten. Ob und wie ein solcher faktischer Akt vonstatten ging, ist eine tatsächliche, eine Sachstreitigkeit, für deren Austragung im deutschen Prozeßrecht kein Rechtsweg eröffnet ist 283 . Ein Rechtsstreit kann einzig um die etwaigen hieran geknüpften Rechtsfolgen geführt werden, und nur in diesem Rahmen sind, weil die Entscheidung des Rechtsstreites allerdings die Feststellung der Tatbestandsverwirklichung voraussetzt, vorfrageweise auch die tatsächlichen Fragen zu klären. Begreift man die im Betriebsverhältnis ergehende hierarchische Weisung als einen die Dienstleistungspflicht konkretisierenden Akt lediglich tatsächlicher Natur, so ergibt sich ohne weiteres, daß und weshalb die hierarchische Weisung als solche kein tauglicher Gegenstand eines Rechtsstreites sein kann. Rechtlich gestritten werden kann nur um die Reichweite der Dienstleistungs- bzw. Gehorsamspflicht, wenn also Streit darüber besteht, ob sich die Weisung wirklich (noch) im Rahmen des Betriebsverhältnisses hält oder ob sie aufgrund ihrer Auswirkungen auf die persönliche Lebensführung des Beamten (schon) das Grundverhältnis betrifft bzw. womöglich sogar die dienstliche Gehorsamspflicht übersteigt und gar nicht als hierarchische Weisung ergehen darf. Ein derartiger Streit involviert den sachlichen Inhalt der erteilten Weisung immer nur vorfrageweise; als Rechtsstreit geht er ausschließlich um deren rechtliche Zulässigkeit. Bei der hierarchischen Weisung aktualisiert der Vorgesetzte eine schon bestehende besondere dienstliche Gehorsamspflicht, im Unterschied etwa zur polizeilichen Weisung, durch die eine Rechtspflicht des Bürgers gegenüber dem Träger der Polizeibehörde zur Befolgung der Weisung neu begründet wird 2 8 4 . Der Eingriff in die Grundrechte und insbesondere die allgemeine Handlungsfreiheit des Beamten liegt bereits in der rechtswirksamen Eingliederung in ein durch hierarchische Unterordnung gekennzeichnetes besonderes Gewaltverhältnis 285 . Denn mit dieser Eingliederung entstehen kraft Gesetzes Dienstleistungs· und Gehorsamspflichten, von denen der jeweils zuständige Vorgesetzte innerhalb des Betriebsverhältnisses unbeschränkt Gebrauch machen kann. Obschon der Beamte diese Weisungen in eigener Person ausführen muß, stellen sie keine eigenständigen rechtlich faßbaren Eingriffe in seine allgemeine Handlungsfreiheit dar, eben weil dieser Eingriff bereits mit der Begründung der Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht vollendet ist, die einzelne Weisung somit nur noch die Dienstleistungspflicht konkretisiert, ohne aber dem bereits vorliegenden Eingriff noch eine weitere Beeinträchtigung hinzuzufügen. So wie etwa der Schuldner die Aufforderung seines Gläubigers, er möge die geschulde283 284 285

S. oben C.I.l.d. S. oben C.III.4.a und c. Zur Charakterisierung des besonderen Gewaltverhältnisses oben C.III.4.b.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

27

te Leistung erbingen, nicht als Eingriff in seine Rechte verstehen kann, und so wie die tätigkeitsbezogene Arbeitgeberweisung keine nach rechtlichen Maßstäben kontrollierbare rechtsgeschäftliche Leistungsinhaltsbestimmung ist 286 , so stellt auch die konkretisierende Weisung an den Dienstverpflichteten, welche Dienstleistung er genau erbringen solle, keine Maßnahme dar, die über das hinausginge, was an Eingriff bereits durch die Auferlegung der Dienstleistungspflicht erfolgt ist - immer vorausgesetzt selbstverständlich, daß die Weisung nicht entweder überhaupt die Grenzen der Dienstpflicht überschreitet oder infolge ihrer Auswirkungen auf die private Lebensführung des Angewiesenen das Grundverhältnis betrifft. Aufgrund dieser weitreichenden und die Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG innerhalb des Betriebsverhältnisses im Ergebnis ausschließenden Folgen der Eingliederung in ein besonderes Gewaltverhältnis bedarf bereits dessen Begründung einer grundrechtlich tragfähigen Rechtfertigung. Deren Notwendigkeit drängt sich im Falle einer gesetzlichen Dienstpflicht wie z.B. der Wehrpflicht ohne weiteres auf, gilt jedoch auch für Beamte und Berufssoldaten, weil deren einmal gegebene Einwilligung zum Eintritt in den Staatsdienst im Hinblick auf die zeitliche Dauer sowie den ganz unabsehbaren Inhalt etwa auszuführender Weisungen nicht durch den Gesichtspunkt des volenti non fit iniuria etwa als Grundrechtsverzicht gewertet werden kann 287 . Die fortdauernde Rechtfertigung, die Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht eben auch und gerade dann noch bestehen zu lassen, wenn der betreffende Beamte mit der Weisung nicht einverstanden ist, ergibt sich aus den unabweisbaren Bedürfhissen der Stabilität und Verläßlichkeit der Verwaltung, welche etwa in Art. 33 Abs. 4, 5 GG verfassungsrechtlich verankert sind, sowie nicht zuletzt aus der demokratierechtlich vorgegebenen Letztverantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament für alles Verwaltungshandeln (vgl. Art. 43 Abs. 1, Art. 67 GG), welche Verantwortlichkeit als notwendiges Korrelat die Weisungsgebundenheit der Untergebenen voraussetzt 288, so daß sich die hierarchische Struktur der Verwaltung mit der grundsätzlichen Weisungsgebundenheit auch aus dem Demokratieprinzip ergibt 289 . Diese verfassungsrechtlichen Erfordernisse „überlagern" daher zwar die Grundrechte des Beamten, aber nicht in dem Sinne, daß sie überhaupt ent-

286

S. oben C.III.5.b. Vgl. hierzu näher Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 239 ff.; ablehnend auch BVerwGE 10, 213, 218; Schenke, Beamtenrecht, S. 87; Schnellenbach, Beamtenrecht, Rn. 210; femer Erichsen, in FS Wolff, S. 238 f.; ders., VerwArch 1980, 437; a.A. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 128, 494. 288 Vgl. BVerfGE 9, 268, 281 f.; 93, 37, 67. 289 Dreier, in Dreier, GG, Art. 20 (Demokratie) Rn. 114. 287

20 Roth

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

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fielen, sondern vielmehr in dem Sinne, daß der in der Pflicht zur Befolgung erteilter Weisungen liegende Grundrechtseingriff materiell gerechtfertigt ist 290 . Wie weit diese Eingriffsrechtfertigung reicht, ist nicht für alle Grundrechte des Beamten einheitlich zu beantworten. Innerhalb des Betriebsverhältnisses werden jedenfalls, was den Inhalt der Tätigkeit betrifft, die allgemeine Handlungs- (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) im Eingriffswege völlig zurückgedrängt. In bezug auf andere Grundrechte rechtfertigt Art. 33 Abs. 4, 5 GG Eingriffe dagegen entweder überhaupt nicht (nämlich bezüglich Art. 1 Abs. 1 GG) oder nur in eingeschränktem Maße (z.B. bezüglich Art. 4 2 9 1 , Art. 5 2 9 2 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), selbst wenn sich die Eingriffsfolgen allein auf die betriebliche Sphäre beschränken sollten (was freilich bei Beeinträchtigungen der Menschenwürde, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Glaubensfreiheit in aller Regel ohnehin nicht der Fall sein dürfte). Soweit sich eine hierarchische Weisung demgegenüber auf die private Lebensführung des Beamten und damit das Grundverhältnis auswirkt, liefert Art. 33 Abs. 4, 5 GG keine vorweggenommene pauschale Eingriffsrechtfertigung. Zwar können allerdings auch derartige Weisungen rechtmäßig sein, doch ist dies jeweils anhand einer konkreten Abwägung der Rechtsgüter des Beamten mit den Interessen der Verwaltung zu entscheiden293. Jedenfalls aber ist, wenn die Konkretisierung der Dienstleistungspflicht (auch) die private Lebensführung betrifft, ein rechtlich relevanter Vorgang gegeben, der Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann. Denn die Einordnung in ein besonderes Gewaltverhältnis kann nach heutigen Maßstäben nicht so weit gehen, auch die private Lebensführung zu überdecken. Maßnahmen wiederum, die gar das Grundverhältnis selbst begründen, aufheben oder modifizieren, können ohnehin überhaupt nicht als hierarchische Weisungen ergehen, sondern nur als Hoheitsakt (insbesondere Verwaltungsakt), der der vollen Kontrolle an den subjektiven Rechten des Beamten standhalten muß 294 , was übrigens (wenngleich für eine besondere Konstellation) ausdrücklich von Art. 132 Abs. 3 GG anerkannt wird 2 9 5 . Art. 33 Abs. 4 GG legitimiert

290

Vgl. hierzu bereits oben C.III.3.a.aa. Vgl. BVerwG, DVB1. 1999, 1441, 1442. 292 Vgl. OVG Koblenz, DVB1. 1999, 330, 331. 293 Vgl. BVerwG, DÖV 1999, 695, 696: „Abwägung der dienstlichen und der privaten Belange" bei der Entscheidung über die zulässige Haarlänge uniformierter Polizeibeamter. 294 Ule, VVDStRL 15 (1957), 153. 295 Der in Art. 132 Abs. 3 GG enthaltene Verweis auf Art. 19 Abs. 4 GG wurde zwar ganz überwiegend als deklaratorisch erachtet (BGHZ 10, 295, 297; Jess, in BK GG, Art. 132 [Erstb.] Anm. II 4; Kunig, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 132 Rn. 3), bleibt aber immerhin als Bestätigung dafür von Interesse, daß der Verfassungsgeber in Einklang mit 291

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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zwar grundsätzlich die Begründung und Aufhebung besonderer Gewaltverhältnisse, doch inwieweit eine diesbezügliche Maßnahme einem konkreten Betroffenen gegenüber rechtmäßig ist, unterliegt der individuellen Prüfung. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Frage schon des /tecAtecharakters einer Weisung von der konkreten Ausgestaltung des Betriebsverhältnisses abhängt. Je nach der Weite bzw. Enge der gesetzlich begründeten dienstlichen Gehorsamspflicht wird sich eine Weisung noch oder nicht mehr als deren Aktualisierung darstellen. Als bloße Aktualisierung der bestehenden dienstlichen Gehorsamspflicht könnte sie mangels rechtlichen Charakters nicht Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein. Macht hingegen der Angewiesene geltend, daß die erteilte Weisung das Betriebsverhältnis verlasse und ihn ihm Grundverhältnis in seinen Rechten betreffe, so liegt eine Rechtsstreitigkeit vor. Übersteigt die Weisung gar die Grenzen der Gehorsamspflicht, so müßte sie, um verbindlich sein zu können, als originäre Rechtspflicht begründet werden, was freilich nur durch Hoheitsakt (Gesetz oder Verwaltungsakt auf entsprechender Ermächtigungsgrundlage) möglich ist 296 . Auch in diesem Fall wäre eine Rechtsstreitigkeit gegeben.

c) Konsequenzen für den Rechtsschutz Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich nunmehr in bezug auf diejenigen Konstellationen fruchtbar machen, deren genaue dogmatische Behandlung im Zusammenhang mit den Organstreitigkeiten besondere Probleme bereitet.

aa) Zum Problem des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Weisungen Die vorstehend erwähnte Abhängigkeit der Rechtsnatur einer Weisung von der Ausgestaltung des Betriebsverhältnisses in seiner Abgrenzung zum Grundverhältnis bedingt eine gewisse Variabilität, welche dazu führen kann, daß eine hierarchische Weisung unter bestimmten Voraussetzungen von der einen in die andere Kategorie rücken und damit seine Eignung als tauglicher Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit erlangen bzw. einbüßen kann. Mit Hilfe dieses Phänomens ist es möglich, die Problematik des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige hierarchische Weisungen in den Griff zu bekommen, ob es also einen Rechtsstreit auslösen kann, wenn das angewiesene Organ oder der angewiesene Organwalter die Rechtmäßigkeit der angeordneten Handlung deshalb bezweifelt, weil dadurch rechtswidrig in Rechte eines Dritten eingegriffen werde. Nach der auch seinerzeit unangefochtenen Meinung der Beendigung und Modifikation des Beamtenverhältnisses eindeutig subjektivrechtliche Relevanz beimaß. 296 Ähnlich Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 10.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

dem Gesagten hängt dies von der Abgrenzung des Betriebs- und des Grundverhältnisses sowie davon ab, welchem Bereich die fragliche Weisung zuzuordnen ist. Folglich muß die Frage, ob die Rechtswidrigkeit einer Weisung einen Rechtsstreit zwischen dem Angewiesenen und dem Anweisenden begründen kann, differenzierend beantwortet werden. Die Pflicht des Beamten (und entsprechend des Soldaten) zur Befolgung rechtswidriger dienstlicher Weisungen (bzw. Befehle) 297 sowie die daraus unter Umständen entspringende persönliche Verantwortlichkeit ist durch das Gesetz in differenzierter Weise ausgestaltet, und entlang dieser Grenzlinie verläuft denn auch die Unterscheidung von Betriebs- und Grundverhältnis. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, daß der Beamte grundsätzlich die volle persönliche Verantwortung fur die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen trägt (§ 56 Abs. 1 BBG, § 38 Abs. 1 BRRG). Handelt er rechtswidrig, so ist er unabhängig davon, ob sich die Rechtswidrigkeit seines Handelns aus einem Verstoß gegen verbindliche Weisungen Vorgesetzter 298 oder als Folge einer Gesetzesverletzung ergibt, hierfür disziplinar- und gegebenenfalls strafrechtlich verantwortlich, unter Umständen im Wege eines Haftungsrückgriffs (Art. 34 S. 2 GG) auch schadensersatzpflichtig (vgl. Art. 34 S. 1 GG/§ 839 BGB). Da sämtliche dieser bei einem rechtswidrigen Handeln drohenden Sanktionen den Beamten (auch) in seiner persönlichen Lebensführung träfen, würde von daher jede Weisung, welche dem Beamten die Begehung einer rechtswidrigen Handlung aufgibt, notwendig eine das Grundverhältnis berührende Maßnahme darstellen 299, und infolgedessen als Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit in Betracht kommen 300 . Dies führt jedoch nicht dazu, daß der Beamte generell gegen die Anordnung rechtswidrigen Handelns Rechtsschutz begehren könnte: Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Anordnung hat der Beamte nämlich unverzüglich bei seinen Vorgesetzten geltend zu machen (vgl. § 56 Abs. 2 S. 1, 2 BBG, § 38 Abs. 2 S. 1 BRRG). Erst wenn diese Remonstration 301 oder Gegen297 Zur möglichen Verbindlichkeit auch rechtswidriger Weisungen und Befehle vgl. BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, 680; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 54 ff.; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 34; Friauf Der Staat 1970, 231 f.; Fürst/ H. Arndt, in Fürst, GKÖD, Teil Yk, § 11 SG (Lfg. 2/96) Rn. 5; Mühl, in Fürst, GKÖD, Teil K, § 55 (Lfg. 1/75) Rn. 3, § 56 BBG (Lfg. 1/75) Rn. 2. 298 BVerwG, NVwZ 1998, 403, 405: Verstoß gegen allgemeine Dienstvorschriften. 299 Vgl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 184: „Was zu viel ist" - d.h. was dem Befehlsempfänger unberechtigt persönliche Nachteile zumutet - „ist Unrecht gegen den Dienstpflichtigen und nimmt dem Dienstbefehl den Rechtsboden". 500 Vgl. Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 35 f. Fn. 49. 301 Zu Remonstrationsrecht und Remonstrationspflicht der Beamten vgl. Battis, BBG, § 56 Rn. 1 f., 4; Kopp, Öffentliches Dienstrecht, Rn. 115; Mühl, in Fürst, GKÖD, Teil K, §56 BBG (Lfg. 1/75) Rn. 2, 5; ferner Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 15 ff.,

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

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Vorstellung 302 erfolglos bleibt und die Weisung bestätigt wird, darf und muß der Beamte die Weisung auch dann befolgen, wenn sie sich als Rechtsverletzung einem anderen gegenüber darstellt (vgl. § 56 Abs. 2 S. 3 B B G , § 38 Abs. 2 S. 2, 1. Halbsatz BRRG). Er ist dafür aber i m Gegenzug von der eigenen Verantwortung befreit (vgl. § 56 Abs. 2 S. 3, 2. Halbsatz B B G , § 38 Abs. 2 S. 2 B R R G , § 11 Abs. 2 S. 2 S G ) 3 0 3 . Allerdings besteht weder die Befolgungspflicht noch tritt eine Befreiung von der persönlichen Verantwortung ein, wenn die Anweisung auf die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit (§ 56 Abs. 2 S. 2 B B G , § 38 Abs. 2 S. 2, 2. Halbsatz B R R G ) - bei Soldaten allein einer Straftat (§ 11 Abs. 2 S. 1 SG) - gerichtet und dieser Umstand für den Beamten erkennbar ist, oder wenn das ihm aufgetragene Verhalten die Würde eines Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) - sei es seiner eigenen, sei es der eines D r i t t e n 3 0 4 - verletzen würde (§ 56 Abs. 2 S. 3 B B G , § 38 Abs. 2 S. 2, 2. Halbsatz B R R G , § 11 Abs. 1 S. 3 SG). Aus diesen Gründen muß der Beamte die Weisung nicht nur auf ihre formelle terielle

Rechtmäßigkeit (Zuständigkeiten, F o r m ) 3 0 5 , sondern auch auf ihre maRechtmäßigkeit im Außenverhältnis prüfen, zumindest soweit die ge-

nannten schwerwiegenden Verstöße in Frage s t e h e n 3 0 6 , 3 0 7 .

152 ff. (mit allerdings nicht überzeugender Qualifikation der Remonstration als bloße Obliegenheit des Beamten: die Remonstration ist nämlich nicht nur Mittel des Beamten, sich selbst von persönlicher Verantwortlichkeit zu befreien, sondern soll auch seinen Vorgesetzten sowie überhaupt seinen Dienstherrn vor den Folgen rechtswidrigen Handelns schützen). 302 Zur entsprechenden Gegenvorstellung bei Soldaten vgl. BGHSt 19, 231, 233 f.; Fürst/H; Arndt, in Fürst, GKÖD, Teil Yk, § 11 SG (Lfg. 2/96) Rn. 3. 303 Zu diesem Zusammenhang von persönlicher Verantwortlichkeit und Remonstration mit Befreiung von dieser Verantwortlichkeit BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, 680 f.; Achterberg,, AllgVerwR, § 14 Rn. 40; Battis , BBG, § 56 Rn. 4; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 13 ff.; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 34 ff.; Kunig, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 6. Abschn. Rn. 130. 304 Weisungen und Befehle sind nicht nur unverbindlich, wenn sie die Menschenwürde des Untergebenen verletzen, sondern auch im Falle einer Verletzung der Menschenwürde der von der Ausführung betroffenen Dritten, Fürst/H. Arndt, in Fürst, GKÖD, Teil Yk, § 11 SG (Lfg. 2/96) Rn. 7; im Ergebnis auch Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 136 f. 305 Vgl. hierzu schon Laband, Staatsrecht I, S. 461 ff.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 185 f.; zustimmend Haenel, Das Gesetz, S. 236; femer Schnapp, Amtsrecht, S. 185 ff. 306 Battis , BBG, § 56 Rn. 4; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 189 f. Unrichtig daher Schnapp, Amtsrecht, S. 182 f., wenn er meint, das Außenrecht gebe „keinen Maßstab für die Vorgesetztenweisung" ab. Unhaltbar Rupp, Grundfragen, S. 68 f., der die grundsätzlich volle persönliche Verantwortlichkeit des Beamten kurzerhand mit der Bemerkung verdrängt, die Vorschriften über die Unverbindlichkeit einer auf die Begehung von Straftaten etc. gerichteten Weisung hätten zwar „erzieherischen Wert", enthielten aber „sicher nicht" eine Lösung des Rechtmäßigkeitsproblems und seien außerdem „kaum praktikabel". Eine solche Argumentation ist methodisch inak-

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Legt man die Auswirkung auf die persönliche Lebensführung als Abgrenzungskriterium von Grund- und Betriebsverhältnis zugrunde, so zeigt sich, daß eine dienstliche Weisung immer dann das Grundverhältnis berührt, wenn ihre Befolgung den Angewiesenen persönlichen Sanktionen aussetzte, wohingegen sie immer dann allein dem Betriebsverhältnis zugehört, wenn solche Folgen nicht zu befürchten sind. Letzteres ist insbesondere auch dann der Fall, wenn die Weisung auf Remonstration hin verbindlich und mit von Verantwortung befreiender

Wirkung bestätigt wird. Für die Möglichkeit einer Rechtsstreitigkeit

zwischen dem angewiesenen Beamten und seinem Dienstherrn über die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Weisung bedeutet dies: Die einfache Rechtswidrigkeit einer nach Remonstration bestätigten Weisung läßt die Verbindlichkeit derselben dem untergebenen Organ oder Organwalter gegenüber -

selbstver-

ständlich aber nicht gegenüber dem Gericht, da dieses j a gerade nicht in diese Weisungshierarchie eingebunden i s t 3 0 8 - unberührt; die betreffende Weisung bewegt sich ausschließlich i m Betriebsverhältnis, da den Angewiesenen keine persönliche Verantwortung trifft. Ungeachtet der aus Sicht des Dritten gegebenen Rechtswidrigkeit der Handlung, auf deren Vornahme die Weisung gerichtet

zeptabel. Dogmatische Konstruktionen müssen sich am Gesetz orientieren und dürfen nicht das Gesetz einfach als unerheblich abtun. Damit aber bricht Rupps These der ausschließlichen Beurteilung des Organwalterverhaltens anhand des Innenrechts ohne (unmittelbare) Relevanz des Außenrechts samt der darauf basierenden Schlußfolgerungen (ebd., S. 45 ff., 54 ff.) in sich zusammen. 307 Überwiegend wird angenommen, daß offensichtlich rechtswidrige Weisungen unabhängig davon, ob ihre Befolgung den Beamten einer persönlichen Verantwortlichkeit aussetzte, nicht verbindlich sind, vgl. BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, ZBR 1996, 680, 681; a.A. Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 139 ff.; Felix/Schwarplys, 35 Fn. 43; z.T. a.A. Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 79: Weisung nur bei schwerer und offensichtlicher Rechtswidrigkeit unverbindlich. 308 Die Aussage, eine ermessensbindende Weisung sei „rechtswidrig und damit unverbindlich" (VGH München, NVwZ-RR 1998, 332) ist in zweierlei Hinsicht ungenau. In bezug auf den Beamten ist diese Aussage in ihrer allgemeinen Form unrichtig, da für diesen auch rechtswidrige Weisungen verbindlich sein können. In bezug auf das Gericht trifft die Aussage zwar im Ergebnis zu, ist jedoch mißverständlich, da die Unverbindlichkeit einer Weisung nicht erst Folge ihrer Rechtswidrigkeit sein kann, nachdem ja auch rechtmäßige Weisungen gegenüber dem Gericht keine Bindungswirkung entfalten (VGH Mannheim, VB1BW 1999, 30, 31). Allerdings können rechtmäßige Weisungen mittelbar für das Gerich beachtlich werden, namentlich bei der der Prüfung etwaiger Ermessensfehler, da sich aus Art. 3 Abs. 1 GG eine Selbstbindung der Verwaltung ergeben kann (vgl. BVerwGE 34, 278, 280 f.; 58, 45, 53; VGH Mannheim, VB1BW 1999, 30, 31; Ossenbühl, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 65 Rn. 44 ff.) und Abweichungen von generellen Weisungen im Einzelfall ohne überzeugende Gründe (dazu, daß wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalles auch gegenüber allgemeinen Verwaltungsvorschriften Rechnung zu tragen ist, vgl. BVerwGE 70, 127, 142; BVerwG, NJW 1991, 650, 651; VGH München, NVwZ-RR 1998, 332) deshalb in der Regel willkürlich sind (vgl. hierzu BVerwGE 19, 48, 55 f.).

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen ist, stellt sich eine solche einfach rechtswidrige Weisung aus Sicht des angewiesenen Beamten also lediglich als Maßnahme im Betriebsverhältnis dar, die fur ihn lediglich eine Konkretisierung seiner Dienstleistungspflicht ausmacht, um die er angesichts ihrer rein faktischen Natur keinen Rechtsstreit zu führen vermag 309 . Anders verhält es sich in bezug auf Weisungen, die an einem qualifizierten Rechtsverstoß leiden, nämlich dem Angewiesenen eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat oder ein menschenwürdewidriges Verhalten ansinnen. Da hier der Beamte trotz Bestätigung der Weisung nach Remonstration nicht von seiner persönlichen Verantwortung befreit wird, greift eine solche Weisung in das Grundverhältnis ein 310 und ist folglich tauglicher Gegenstand eines Rechtsstreits. Begründete nach den dargelegten Grundsätzen die Rechtswidrigkeit einer Weisung eine persönliche Verantwortlichkeit des Untergebenen, so stellte ein Streit zwischen Dienstherrn und Untergebenem um seine Pflicht zur Befolgung der von ihm für unverbindlich gehaltenen Weisung einen Rechtsstreit dar. Ob ein solcher Rechtsstreit um eine qualifiziert rechtswidrige Weisung gerichtlicher Entscheidung unterbreitet werden kann, hängt davon ab, ob diesbezüglich auch die übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben sind. Von besonderer Bedeutung ist zunächst eine etwaige besondere Rechtswegzuweisung (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Insbesondere ist hier zu beachten, daß die Weigerung eines Beamten, eine als unverbindlich erachtete Weisung zu befolgen, auch disziplinarrechtliche Fragen aufwirft, und es nicht zu einer Verlagerung disziplinarrechtlicher Fragen in den Verwaltungsrechtsweg kommen darf 311 . Ob jedoch der Disziplinarrechtsweg stets „angemessene und ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten" bietet und deshalb „keine rechtsstaatliche Notwendigkeit [besteht], den Rechtsschutz der Beamten, die einer verwaltungsinternen Maßnahme den Qehorsam verweigern, den Verwaltungsgerichten zu übertragen" 312, ist indessen durchaus fraglich. Denn das Disziplinarverfahren greift immer erst nachträglich und bietet daher nur nachträglichen Rechtsschutz, nachdem der betreffende Beamte seine Entscheidung über die Befolgung der Weisung oder deren Verweigerung zu treffen hatte. Dadurch erwächst ihm ein Irrtumsrisiko. Denn wenn ein Beamter eine für unverbindlich gehaltene Weisung nicht befolgt und seine Einschätzung von den Disziplinarinstanzen nicht geteilt wird, hat er

309

A.A. - für eine unbeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit - Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 35 f.; Grupp, in FS Lüke, S. 213 (Leistungsklage auf Aufhebung der rechtswidrigen Weisung). 310 Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 205. 311 Zu der vergleichbaren Problematik des Verhältnisses von Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit vgl. Schenke/Roth, WiVerw 1997, 110. 312 BVerwGE 14, 84, 86; vgl. Ule, VVDStRL 15 (1957), 157, 160 f.; früher etwa v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 471.

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO disziplinarrechtliche Sanktionen zu erwarten. Dies gilt zumal deswegen, weil er sich kaum auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen können wird (vgl. § 11 Abs. 1 S. 3, 2. Halbsatz SG), wenn er pflichtgemäß remonstriert hatte und die Remonstration als unbegründet zurückgewiesen wurde. Werden die vom Beamten im Remonstrationswege vorgebrachten Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Weisung von den zuständigen Vorgesetzten zurückgewiesen, so handelt der Beamte auf eigenes Risiko, wenn er dennoch auf seiner Meinung beharrt und die Weisung fälschlich als unverbindlich mißachtet. Da aber der Beamte andererseits unausweichlich die volle persönliche Verantwortung dafür trägt, keine ordnungswidrige oder gar strafbare Handlung vozunehmen bzw. die Menschenwürde zu verletzen, kann es ihm unzumutbar sein, sogar eine bestätigte Weisung ohne gerichtliche Klärung befolgen zu müssen. Zwar tritt diese persönliche Verantwortlichkeit nur ein, wenn die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für den Beamten erkennbar ist (§ 56 Abs. 2 S. 3 BBG, § 38 Abs. 2 S. 2, 2. Halbsatz BRRG), und Fälle, in denen einem Beamten trotz Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Weisung durch die zuständigen Vorgesetzten deren Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit erkennbar ist, werden selten sein. Vorstellbar sind derartige Fälle gleichwohl, beispielsweise in einem Bereich verwaltungsrechtsakzessorischer Strafbewehrung 313 wie etwa dem Umweltrecht 314 , wenn ein (rechtskundiger) Beamter von seinem Vorgesetzten aus durchschaubaren politischen oder ideologischen Gründen zu einem seiner Ansicht nach straf- oder bußgeldbewehrten Verhalten angewiesen wird. Insofern bleibt dem Beamten die Pflicht zur Prüfung der Verbindlichkeit der Weisung auf eigene Gefahr 315 . Es verbleibt sonach ein Bereich, innerhalb dessen der Betroffene, um seine Entscheidung über die Befolgung oder Nichtbefolgung einer bestätigten Weisung nicht unter dem Damokles-Schwert eines drohenden Disziplinarverfahrens treffen zu müssen, guten Grund haben mag, eine verwaltungsgerichtliche Klärung der Verbindlichkeit der Weisung herbeiführen zu können, anstatt nur nachträglich auf den Disziplinarrechtsweg verwiesen zu sein 316 . So wie bei verwaltungsrechtsakzessorischer Strafbewehrung der Rechtsschutz durch die Strafgerichte

313

Vgl. hierzu Schenke/Roth, WiVerw 1997, 84 ff. m.v.N. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Amtsträgern im Umweltbereich vgl. BGHSt 38, 325, 330 ff.; 39, 381, 385 ff.; Lackner/Kühl, StGB, vor § 324 Rn. 8 ff.; Steindorf, in LK StGB, vor § 324 Rn. 49 ff.; Tröndle/Fischer, StGB, vor § 324 Rn. 5 ff. 315 Vgl. ferner Laband, Staatsrecht I, S. 461. 316 Bachof in FS Laforet, S. 306 Fn. 60; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 203 ff.; vgl. Rupp, Grundfragen, S. 67. - Zur Parallelproblematik der „Damokles-Rechtsprechung" bei verwaltungsrechtsakzessorischer Strafbewehrung vgl. BVerwGE 89, 327, 331; Kopp/Schenke, VwGO, §43 Rn. 24; eingehend Schenke/Roth, WiVerw 1997, 84 ff., 136 ff. 314

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

281

nicht den Verwaltungsrechtsweg ausschließt317, schließt auch der Disziplinarrechtsweg diesen nicht grundsätzlich aus. Ob es zu einer Entscheidung in der Sache kommen kann, hängt über die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges hinaus ferner insbesondere davon ab, ob die Klagebefugnis bzw. ein Feststellungsinteresse gegeben ist. Letzteres dürfte im Hinblick auf die persönliche Verantwortlichkeit des Betroffenen regelmäßig anzunehmen sein: Da das Betriebsverhältnis nicht darauf ausgerichtet ist, daß sich der Organwalter persönlich einem Bußgeld- oder gar Strafbarkeitsrisiko aussetzt, sich eine dahin auswirkende Weisung also nicht mehr als wirksame Aktualisierung der hierarchischen Gehorsamspflicht darstellen kann, sondern vielmehr notwendig das Grundverhältnis betrifft, wäre in diesen Fällen in der Regel sowohl das Kriterium der Rechtsstreitigkeit erfüllt als auch die Klagebefugnis bzw. das Feststellungsinteresse gegeben. Eine unerträgliche Beeinträchtigung der Funktionsfahigkeit der Verwaltung ist durch die Zulassung solcher Klagen nicht zu befürchten, weil es hierbei nur um krasse Fälle gehen kann. Da es sich bei Weisungen der fraglichen Art nicht um Verwaltungsakte handelt 318 , ist auch keine Behinderung oder gar Lähmung des Verwaltungsablaufs als Folge eines sonst mit Widerspruch und Anfechtungsklage verbundenen Suspensiveffektes zu befürchten 319. In Ermangelung von Rechtsbehelfen mit aufschiebender Wirkung und kraft seiner Dienst- und Treuepflicht ist der Beamte grundsätzlich verpflichtet, die betreffende bestätigte Weisung unverzüglich auszuführen 320 . Meint er, sie griffe rechtswidrig in seine Rechte ein, so kann er einstweiligen Rechtsschutz nur gemäß § 123 VwGO erlangen 321, doch gerade dadurch wird eine Schranke gegen mißbräuchliche Rechtsschutzbegehren errichtet 322 .

bb) Rechtsstreitigkeiten bei Verstößen gegen organisatorische Weisungen Die gewonnenen Erkenntnisse lassen ferner eine Aussage darüber zu, ob und wann der Verstoß gegen organisatorische Weisungen, namentlich Organisationsverwaltungsverordnungen, welche ein übergeordnetes Organ in Wahrnehmung seiner Organisationskompetenz zur Abgrenzung der Kompetenzen nach317

Schenke/Roth,, WiVerw 1997, 108 ff. Ausführlich hierzu unten G.III.2.a. 319 Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 202. 320 BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, 680 f.; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 76; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 39. 321 OVG Lüneburg, NdsVBl. 1999, 297, 298; VGH München, BayVBl. 1994, 500 f.; OVG Münster, NVwZ 1986, 773; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 1166 ff.; a.A. Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §80 (Lfg. 1996) Rn. 310. 322 Vgl. Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 219 ff.; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 39 f. 318

282

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

geordneter Organe oder Organteile erlassen hat 323 , Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann. Auch mit solchen Organisationsweisungen macht der weisungsbefugte Inhaber der Organisationsgewalt von der bestehenden Gehorsamspflicht Gebrauch 324, und zwar sowohl den Adressaten der Weisung als auch allen anderen Gehorsamspflichtigen gegenüber - denn zur dienstlichen Beachtung einer Organisationsweisung sind auch diejenigen nachgeordneten Organe und Untergebenen verpflichtet, an die sie nicht unmittelbar adressiert war. Da sich derartige Organisationsweisungen in aller Regel allein im Bereich des Betriebsverhältnisses bewegen, müssen sie kraft der Gehorsamspflicht von allen Untergebenen befolgt und beachtet werden, ohne zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden zu können. Ein anderes gilt allerdings insoweit, als eine Organisationsweisung z.B. aufgrund ihres einen bestimmten Beamten diskriminierenden Charakters einen Eingriff in dessen Grundverhältnis darstellt 325 ; dieser Beamte kann solchenfalls bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Zulässigkeit dieser Maßnahme gerichtlich überprüfen lassen. Daß - von derartigen Sonderfällen abgesehen - Organisationsweisungen nicht Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein können, bedeutet nicht, daß sie nicht Anlaß fur eine solche sein könnten. Die Organisationsweisung stützt sich nämlich auf die bestehende besondere Gehorsamspflicht, und wenn sie eine bestimmte Kompetenzordnung konstituiert, so stellt jede Mißachtung jener Kompetenzordnung durch die untergeordneten und damit weisungsgebundenen Organe und Organwalter notwendig eine Verletzung ihrer Gehorsamspflicht dar, und ein solcher Rechtsverstoß kann Gegenstand einer gerichtlichen Rechtsstreitigkeit sein. Nimmt also beispielsweise ein Organ eine Handlung vor, die weisungsgemäß einem anderen Organ vorbehalten war, so verletzt es seine hierarchische Gehorsamspflicht gegenüber dem übergeordneten Organ, das die Organisationsordnung erlassen hat. Am Vorliegen eines Rechtsstreites kann danach kein Zweifel bestehen. Ob dieser aber gerichtlich ausgetragen werden kann, und wer ihn gegebenenfalls fuhren könnte - insbesondere also, ob das in seiner Kompetenz verletzte Organ dies tun könnte - , ist damit aber ebensowenig gesagt wie die Frage beantwortet ist, wer sich auf die Verletzung der Gehorsamspflicht berufen kann. Das betrifft jedoch nicht die Frage des Vorliegens einer Rechtsstreitigkeit, sondern der Klagebefugnis bzw. eines Feststellungsinteresses und damit des Bestehens subjektiver Rechte.

323

S. oben C.III. 1. Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 75; Schulze, Staatsrecht I, S. 529 f.; unzutreffend Haenel, Das Gesetz, S. 238 ff., der hier im Ergebnis immer Rechtsverordnungen annahm. 325 S. oben C.III.2.b. 324

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

283

Daß hierarchische Weisungen nicht selbst rechtlicher Natur sind, hat im vorliegenden Kontext der Organstreitigkeiten eine bedeutsame Konsequenz: Wenn eine hierarchische Weisung nicht rechtlicher Natur ist und somit selbst keine objektivrechtlichen Pflichten begründen kann, so kann sie erst recht keine subjektiven Rechte begründen, weil ein subjektives Recht ohne objektive Rechtspflicht undenkbar ist. Dies gilt nun nicht nur für die hierarchische Einzelweisung - wenn etwa der Vorgesetzte seinen Untergebenen jeweils spezifische Aufgabenbereiche zuweist - , sondern auch für hierarchische Weisungen abstrakt-genereller Natur, namentlich Verwaltungsverordnungen. Wenn also der Vorgesetzte (z.B. Behördenleiter) oder das übergeordnete Organ (z.B. Fachaufsichtsbehörde) kraft hierarchischer Weisung eine Organisationsverfügung erläßt, welche die Kompetenzen der Untergebenen oder nachgeordneten Behörden festlegt und gegeneinander abgrenzt, so besitzt diese Kompetenzordnung keine eigenständige Rechtsverbindlichkeit. Das heißt, die Angewiesenen müssen die Kompetenzregeln allein kraft ihrer bereits bestehenden besonderen dienstlichen Gehorsamspflicht beachten, nicht aber müssen sie diese Kompetenzregeln um ihrer selbst willen befolgen, so wie es der Fall wäre, wenn eine Kompetenzordnung durch Rechtsnormen konstituiert würde. Mißachtet ein Weisungsgebundener diese Kompetenzordnung, so verletzt er seine dienstliche Gehorsamspflicht, nicht aber verletzt er einen Kompetenzrechtssatz. Stellt eine derartige, durch hierarchische Weisung begründete Kompetenzordnung aber kein objektives Recht dar, so kann sie auch keine subjektiven Rechte begründen. Infolgedessen kann solchenfalls derjenige Untergebene, in dessen Kompetenz eingegriffen wurde, keine Verletzung subjektiver Rechte geltend machen. Verletzt ist vielmehr ausschließlich die dienstliche Gehorsamspflicht des die Kompetenzweisung mißachtenden Untergebenen gegenüber seinem Dienstherrn, und der Vorgesetzte mag dies - von etwaigen disziplinarischen Sanktionen abgesehen - natürlich als Anlaß zu einem Einschreiten nehmen, um die Verletzung der Kompetenzweisung abzustellen. Selbstverständlich steht es auch allen und insbesondere dem in seiner Kompetenz verletzten Untergebenen frei, den Vorgesetzten auf die Mißachtung der Kompetenzweisung hinzuweisen und ein Einschreiten anzuregen; denkbar ist sogar, daß sie eine diesbezügliche dienstliche Pflicht zur Unterrichtung des Vorgesetzten trifft. Wie dieser aber auf die Verletzung der Gehorsamspflicht reagiert, ist allein seine und nicht der Untergebenen Sache. Eine subjektive Rechtsverletzung des in seiner Kompetenz Verletzten kann auch nicht über den Weg der Gehorsamspflichtverletzung konstruiert werden. Ob man annimmt, daß der dienstlichen Gehorsamspflicht eines Beamten auf seiten des Dienstherrn ein swèyetóvrechtlicher Gehorsamsanspruch gegenübersteht, mag hier dahinstehen. Offensichtlich ist jedenfalls, daß kein Untergebener ein subjektives Recht des Inhalt haben kann, daß ein anderer seiner Gehorsamspflicht nachkomme. Die Nichtbefolgung einer Verwaltungsverordnung ist daher

284

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

zwar, aber auch nur, als Verletzung der Gehorsamspflicht rechtswidrig, und dies mag den Vorgesetzten zu einem Einschreiten veranlassen; die in ihren durch die Verwaltungsverordnung zugewiesenen Kompetenzen Verletzten können daraus jedoch unter keinem Gesichtspunkt eine subjektive Rechtsverletzung ableiten. Infolgedessen ist zwar festzuhalten, daß die Mißachtung hierarchischer Weisungen einschließlich etwaiger Organisationsverwaltungsverordnungen als Verletzung der dienstlichen Gehorsamspflicht Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann. Gleichzeitig ist aber zu bemerken, daß von diesem Rechtsverstoß allein der in Person des Vorgesetzten handelnde Dienstherr betroffen ist, nicht aber die anderen Beamten desselben, da ihnen kein Gehorsam geschuldet ist und ihnen gegenüber deshalb auch keine Gehorsamspflicht verletzt werden kann. Unter der dem subjektiven Rechtsschutz dienenden VwGO 3 2 6 muß folglich mangels Möglichkeit einer Rechtsverletzung jede Klage eines Untergebenen gegen einen anderen wegen der (angeblichen) Verletzung der von ihrem Vorgesetzten verfügten Organisationsordnung aufgrund fehlender Klagebefugnis bzw. fehlenden Feststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen werden.

d) Hierarchische

Weisungen im Verhältnis zwischen Organen

Oben wurde dargelegt, daß es keinen Grund gibt, Weisungen in Hierarchieverhältnissen dogmatisch abweichend zu behandeln, gleich ob die Weisung an einen untergebenen Beamten oder an ein nachgeordnetes Organ oder Organteil ergeht 327. Von daher gelten die vorstehenden Ausführungen, auch insoweit sie sich am Beamtenverhältnis am Prototyp eines hierarchischen Verhältnisses orientieren, grundsätzlich entsprechend für die Beurteilung von Organhierarchien. Indessen ist hier ein Unterschied bemerkenswert, der einer unbesehenen und vollständigen Übertragung des Gesagten entgegensteht. In bezug auf an einen Organwalter persönlich adressierte Weisungen wurden drei Kategorien unterschieden und einer differenzierenden Behandlung unterworfen 328. Maßnahmen, die das Grundverhältnis, in dem der betreffende Organwalter zu seinem Dienstherrn steht, in seinen wesentlichen Merkmalen betreffen, können nie als hierarchische Weisungen ergehen, sondern stets nur als hoheitliche Maßnahmen auf entsprechender gesetzlicher Grundlage. Derartige Maßnahmen sind stets tauglicher Gegenstand eines Rechtsstreits. Soweit sie sich als Eingriff in subjektive Rechte darstellen, unterliegen sie der vollen Prüfung am Übermaßverbot und der sonstigen gerichtlichen Kontrolle nach allgemeinen Grundsätzen. Weisungen hingegen, die das Grundverhältnis nicht begründen, aufheben 326 327 328

S. nachfolgend C.IV.l. S. oben C.III.3.a.bb. S. oben C.III.5.C.

III. Organstreitigkeiten und hierarchische Weisungen

285

oder umgestalten, dieses wohl aber betreffen, indem sie die Dienstleistungspflicht des Organwalters in einer seine private Lebensführung berührenden Weise konkretisieren, können als hierarchische Weisungen ergehen, stellen jedoch rechtsgestaltende Akte dar, die Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein und als solches einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden können; Prüfungsmaßstab ist dabei, ob der Vorgesetzte von seiner Weisungsbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch gemacht und damit die Dienstleistungspflicht in zulässiger Weise konkretisiert hat. Weisungen schließlich, die sich allein innerhalb des Betriebsverhältnisses bewegen, d.h. keine Auswirkungen auf die private Lebensführung des Beamten haben, sind rein faktische Konkretisierungen seiner Dienstleistungspflicht. Sie stellen keinen möglichen Gegenstand eines Rechtsstreits dar, um sie kann unter keinen Umständen rechtlich gestritten werden. Eine gegen eine betriebsverhältnisinterne Weisung gerichtete Klage wäre daher mangels Vorliegens einer Rechtsstreitigkeit bereits wegen fehlender Rechtswegeröffnung unzulässig, auch wenn man im übrigen annimmt, daß der Angewiesene subjektive Rechte innehat. Bedeutsam ist nun, daß diese Dreiteilung nur für Organwalter gilt, nicht aber für Organe oder Organteile. Denn diese haben ihrer Wesensnatur nach keine private Lebensführung und folglich gibt es bei ihnen die eben genannte zweite Alternative nicht. Vielmehr kommt für sie nur die erste oder die dritte Alternative in Betracht: Entweder die Weisung überschreitet das nach dem Hierarchieverhältnis überhaupt an Gehorsam Geschuldete und ist damit für das angewiesene Organ unverbindlich. Oder aber die Weisung ist verbindlich, doch dann bewegt sie sich notwendig immer im Betriebsverhältnis, so daß dem nachgeordneten Organ als solchem nie der Rechtsweg gegen die Weisung eröffnet sein kann. Hiervon unberührt bleibt die eventuelle Möglichkeit der diesem Organ angehörenden Organwalter, diejenige Weisung anzugreifen, mit der ihnen aufgegeben wird, die dem Organ erteilte Weisung umzusetzen, sofern die diesbezüglich herausgearbeiteten Kriterien erfüllt sind, sie sich also insbesondere persönlichen Sanktionen aussetzen würden. Der Rechtsstreit wird aber solchenfalls eben durch den Beamten geführt, nie durch das Organ als solches.

e) Resümee Da die hierarchische Weisung nicht selbst eine Gehorsamspflicht begründet, sondern lediglich die bereits bestehende besondere dienstliche Gehorsamspflicht aktualisiert, welche aufgrund des besonderen Gewaltverhältnisses als originäre Pflicht kraft der entsprechenden Rechtsnormen besteht, kann sie nicht Gegenstand eines Rechtsstreites sein. Der Weisung kommt im Rahmen hierarchischer Verhältnisse lediglich die Funktion eines Tatbestandsmerkmales tatsächlicher Natur zu, über welches gerichtlich nicht gestritten werden kann. Al-

286

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

lerdings müssen sich hierarchische Weisungen im Rahmen der originären organschaftlichen oder organwalterlichen Gehorsamspflichten halten. Der Streit um die Einhaltung dieses Rahmens stellt, weil es hierbei um die Grenzen einer Rechtspflicht geht, einen Rechtsstreit dar. Für die Frage, wann eine hierarchische Weisung (Einzelweisung, generelle Anordnung, Organisationsakt) Gegenstand einer Rechtsstreitigkeit sein kann, kommt es weder auf ihre Adressierung noch auf die Intention an, die mit ihr verfolgt wird, sondern darauf, ob sie bloß die Aktualisierung einer bereits bestehenden Gehorsamspflicht darstellt oder ob ihre Befolgung der Begründung çiner neuen Rechtspflicht bzw. einem Eingriff in bestehende Rechte gleichkäme. Sobald sie das Betriebsverhältnis verläßt und so in das Grundverhältnis hinüberwirkt - aber eben erst dann - , stellt sie eine Maßnahme dar, über die ein rechtlicher Streit geführt werden kann. Kein Organ, Organteil oder Organwalter vermag daher einen Rechtsstreit um eine Maßnahme zu führen, wenn nicht eine Überschreitung der Grenzen des Betriebsverhältnisses geltend gemacht wird. Akte innerhalb des Betriebsverhältnisses scheiden als Rechtsstreitigkeiten aus den genannten Gründen von vornherein aus. Ob und inwieweit der angewiesene Untergebene oder das nachgeordnete Organ bzw. Organteil subjektive Rechte innehat, ist für diesen Ausschluß von Rechtsstreitigkeiten um hierarchische Weisungen irrelevant. Deshalb impliziert die Annahme subjektiver Rechte von Organen und Organteilen keineswegs, daß sie nun alle an sie gerichteten hierarchischen Weisungen angreifen könnten, sobald sie diese aus irgendeinem Grund für rechtswidrig halten. Auf die Innehabung subjektiver Rechte kommt es erst an, wenn geltend gemacht werden kann, daß die Weisung das Betriebsverhältnis überschreitet oder gar das hierarchische Verhältnis verläßt. Dann erst kommt nämlich ein Rechtsstreit um die Weisung in Betracht, und wer diesen führen kann, hängt allerdings von der weiteren Voraussetzung subjektiver Rechtsbetroffenheit ab 329 . Zur Frage der Rechtswegeröffnung gehört dies nicht mehr.

329

S. dazu nachfolgend C.IV.

IV. Die Klagebefugnis im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren Mit der Klärung, unter welchen Voraussetzungen eine Organstreitigkeit als Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO anzusehen ist, für deren gerichtliche Austragung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, ist eine erste entscheidende prozessuale Hürde genommen. Weitere grundsätzliche Fragen wirft die sich als Folge der Konzeption des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als System des Individualrechtsschutzes (nachfolgend 1.) ergebende besondere Problematik des subjektiven Rechts für Organstreitverfahren auf (unten 2.), welche sich im wesentlichen aus der von § 42 Abs. 2 VwGO vorgegebenen Abhängigkeit der Klagebefugnis von der Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung ergibt (unten 3.) und eine nähere Betrachtung des Begriffs des subjektiven Rechts erforderlich macht (unten 4.).

1. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren als System subjektiven Individualrechtsschutzes Das verwaltungsgerichtliche Verfahren nach der VwGO stellt in erster Linie ein „System des Individualrechtsschutzes" 1 dar, denn vorbehaltlich ausdrücklicher gesetzlicher Ausnahmen2 können Klagen und Anträge nur dann zulässig zu den Verwaltungsgerichten erhoben werden, wenn der Kläger oder Antragsteller damit den Schutz seiner eigenen Rechte bezweckt3.

1 Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 16. 2 S. unten C.IV.I.e. 3 Vgl. BVerwGE 101, 73, 81; VGH Mannheim, Z U M 1999, 588, 589; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 78 ff.; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 72; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 29 ff; Kiock, Kommunal verfassungsstreitigkeiten, S. 119 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 1; Schoch, NVwZ 1999, 457; Stern/ Bethge, Rechtsstellung, S. 99 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 16; rechtspolitisch kritisch Winter, NVwZ 1999, 467 f., 473.

288

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO a) Die Klagebefugnis bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen

Die subjektivrechtliche Ausrichtung des Rechtsschutzsystems der VwGO ergibt sich vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG in erster Linie aus der Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO über die Klagebefugnis 4: Danach ist, soweit gesetzlich nicht ein anderes bestimmt ist, die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung „in seinen Rechten" verletzt zu sein. Diese Voraussetzung setzt sich - auf der Begründetheitsstufe - konsequent in §113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO fort, wonach der Erfolg der Anfechtungsbzw. Verpflichtungsklage jeweils von der Verletzung des Klägers „in seinen Rechten" abhängt.

aa) Ausschluß der Popular- und Interessentenklage Mit der Ausgestaltung der Klagebefugnis verfolgt der Gesetzgeber den Doppelzweck, sowohl die Interessenten- wie auch die Popularklage auszuschließen. Die häufig gebrauchte Formulierung, § 42 Abs. 2 VwGO solle die Popularklage ausschließen5, ist insoweit zwar nicht unzutreffend, greift jedoch zu kurz 6 . Allerdings schließt das Erfordernis, der Kläger müsse geltend machen, in seinen Rechten verletzt zu sein, die Popularklage zur Wahrung des objektiven Rechts sowie Klagen zur Wahrung der Rechte anderer aus7. Mit dem weiteren Erfordernis, der Kläger müsse eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, wird aber darüber hinaus die Interessentenklage ausgeschlossen8, weil hiernach auch ein noch so sehr individuell und selbst Betroffener keine Klage zum Schutz bloßer persönlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Interessen erheben kann, die 4

Zur Terminologie vgl. Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 18; ferner Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 14. 5 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 32 (zu § 41 des Entwurfs); BVerwGE 17, 87, 91; 19, 269, 271; 36, 192, 199; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 195; Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 120; Knöpfle, in FS Lerche, S. 772 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 59; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 25; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 490; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 119. 6 Papier, DÖV 1980, 295; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 7. 7 Zu einem besonders krassen Fall einer Popularklage s. OVG Koblenz, GewArch 1982, 50 f. 8 Ehlers, NVwZ 1990, 111; ders., VerwArch 1993, 141; Herbert, DÖV 1994, 110; Laubinger, VerwArch 1991, 494; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 5; Papier, DÖV 1980, 295; Schoch, NVwZ 1999, 457 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 8; ferner Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 85 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 2.

IV. Die Klagebefgnis

289

nicht gesetzlich in den Status eines Rechts erhoben sind9. Erst im Zusammenspiel beider Elemente des Tatbestandsmerkmals „seiner Rechte" wird daher die volle Wirkung des § 42 Abs. 2 VwGO erfaßt, „durch die Zulässigkeitsvoraussetzung der subjektiven Beschwer Popularklagen und solche Klagen, mit denen der Kläger außerrechtliche Interessen verfolgt", auszuschließen10. In Kombination beider Kriterien ergibt sich a fortiori, daß ein Kläger erst recht nicht bloße Gruppen- oder Allgemein-Interessen gerichtlich verteidigen kann, da hierbei weder der individuelle noch der /tec/tfsschutzbezug gewahrt wäre.

bb) Individualrechtsschutz als Schutz subjektiver Rechte Unter „seinen Rechten" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO sind nach allgemeiner Ansicht 11 auf jeden Fall sämtliche subjektiven öffentlichen Rechte des Klägers zu verstehen 12. Umstritten ist, ob auch die subjektiven privaten Rechte erfaßt sind 13 . Die verneinende Ansicht 14 beruht auf der Überlegung, daß nur subjektive öffentliche Rechte - subjektive Rechte also, die auf dem öffentlichen Recht zugehörigen Rechtssätzen beruhen 15 - Träger öffentlicher Gewalt verpflichten und deren Handlungen rechtswidrig werden lassen könnten und infolgedessen subjektive private Rechte im Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO keine Rolle spielten16. Gegen diese Argumentation spricht jedoch, daß die Abgrenzung des öffentlichen und des Privatrechts nicht nach dem Charakter des Berechtigten oder des Verpflichteten vorzunehmen ist, sondern nach der Natur des fraglichen Rechtssatzes. Danach gehören zum öffentlichen Recht alle

9

Vgl. Ehlers, VerwArch 1993, 141; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 59; Wahl/ Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 8. 10 BVerfGE 83, 182, 196; femer OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36. 11 OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36; VGH Kassel, AfP 1997, 746, 747; OVG Münster, NVwZ 1997, 1002, 1003; Dolde, in FS Menger, S. 437; Ehlers, VerwArch 1993, 144 f.; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 83; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 81; Redeker/v. Oertzen, VwGO, §42 Rn. 102; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 497a f.; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 42; grundsätzlich weiter Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 71 : jede Betroffenheit „in seinen Angelegenheiten". 12 Zur Begründung dieser Ansicht näher unten C.IV.3. 13 Bejahend BVerwGE 101, 47, 48 f.; BVerwG, DVB1. 1988, 446, 447; DÖV 1998, 157 f.; Klinger, VwGO, § 42 Anm. C 4 a; Koehler, VwGO, § 42 Anm. C IV 6 a; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 120. 14 Bader/v. Albedyll, VwGO, §42 Rn. 70; Ehlers, VerwArch 1993, 144 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, § 42 Rn. 81; Rupp, Grundfragen, S. 223; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 24; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 43. 15 Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 102. 16 Ehlers, VerwArch 1993, 144 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 81. 21 Roth

290

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Rechtssätze, die spezifisch gerade Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten 17. Daraus folgt aber nicht, daß privatrechtliche Rechtssätze nicht auch Träger öffentlicher Gewalt berechtigen und verpflichten könnten. Jedenfalls wenn diese in allgemeiner Weise am Rechtsverkehr teilnehmen und ihr Handeln nicht auf öffentlich-rechtliche Rechtssätze stützen, können Träger öffentlicher Gewalt fraglos privatrechtlich berechtigt oder verpflichtet sein, und sie können in diesem Rahmen auch subjektive private Rechte verletzen. Wenn nun der in subjektiven privaten Rechten Verletzte hiergegen gerichtlichen Schutz begehrte, gäbe es, soweit es hierfür auf seine Klagebefugnis ankommt, keinen Grund, ihm diesen Rechtsschutz durch eine generelle Ausklammerung subjektiver privater Rechte aus § 42 Abs. 2 VwGO zu versagen. Freilich wird für eine Streitigkeit um Privatrechte regelmäßig der Verwaltungsrechtsweg verschlossen sein, da es sich hierbei eben nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO handelt; deshalb wirkt sich die von der herrschenden Meinung befürwortete Ausklammerung subjektiver öffentlicher Rechte aus § 42 Abs. 2 VwGO in praxi kaum aus. Die Eröffnung des Rechtsweges und die Klagebefugnis betreffen indessen zwei verschiedene Punkte, und die Verschlossenheit des Rechtsweges ist kein Argument für eine einschränkende Auslegung der Klagebefugnis. Bedeutung hat dies insbesondere dann, wenn den Verwaltungsgerichten durch § 17 Abs. 2 S. 1 GVG eine rechtswegübergreifende Gesamtzuständigkeit zuwächst, aufgrund der sie bei gemischten Rechtsverhältnissen auch für die Entscheidung über privatrechtliche Anspruchsgrundlagen zuständig werden 18. § 17 Abs. 2 S. 1 GVG überbrückt nämlich nur die Rechtswegfremdheit, läßt jedoch nicht die sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen entfallen, welche sich allein nach der für das zuständige Gericht geltenden Prozeßordnung richten 19. Hier wäre es nun offensichtlich nicht sachgemäß, wenn das nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG zuständige Verwaltungsgericht über eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage deshalb nicht sachlich entscheiden könnte, weil der Kläger insofern nur ein subjektives privates und kein subjektives öffentliches Recht geltend macht. Noch größere Probleme bereitete die Ausklammerung subjektiver privater Rechte aus dem Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO, wenn das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg irrigerweise bejaht, während in Wirk17

GemSOGB, BGHZ 97, 312, 314; NJW 1990, 1527; Hufen,, Verwaltungsprozeßrecht, § 1 Rn. 33; Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 11; Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 18; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 22 Rn. 25 ff.; vgl. bereits Ο. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 15. 18 Vgl. hierzu Kissel , GVG, § 17 Rn. 36; Kopp/Schenke, VwGO, § 41 Rn. 4; Wolf in MünchKomm ZPO, § 17 GVG Rn. 12. 19 Vgl. Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 41/§ 17a GVG (Lfg. 1996) Rn. 19; Kopp/Schenke, VwGO, §41 Rn. 26; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 158.

IV. Die Klagebefgnis

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lichkeit keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO vorliegt. Die Rechtsmittelgerichte sind an diese Entscheidung gebunden und dürfen gemäß § 17a Abs. 5 GVG die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs nicht mehr prüfen, wohl aber andere Sachentscheidungsvoraussetzungen20. Nähme man nun an, die Geltendmachung subjektiver privater Rechte könne die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO nicht begründen, so müßte weil die Klagebefugnis sogar noch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist 21 - in einem solchen Fall das Rechtsmittelgericht doch zu einer Abweisung der Klage als unzulässig kommen, was dem Konzentrations- und Beschleunigungszweck des § 17a GVG zuwider liefe. Richtigerweise sind daher alle subjektiven Rechte unter § 42 Abs. 2 VwGO zu fassen, also sowohl die subjektiven öffentlichen als auch die subjektiven privaten Rechte22. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob das fragliche subjektive private Recht etwa über die Grundrechte, namentlich Art. 14 oder Art. 2 Abs. 1 GG, auch in ein subjektives öffentliches Recht transformiert werden kann 23 . Diese Möglichkeit mag fur die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bedeutsam sein, spielt aber fur die Klagebefugnis keine Rolle.

b) Klagebefugnis bei anderen als Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen Nach dem Wortlaut des § 42 Abs. 2 VwGO gilt das Erfordernis einer Klagebefugnis allein für Klagen gegen einen ergangenen Verwaltungsakt oder wegen der Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes, und nach seinem kontextualen Zusammenhang mit § 42 Abs. 1 VwGO bezieht sich § 42 Abs. 2 VwGO an sich ebenfalls allein auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Das Erfordernis einer Klagebefugnis wird indessen als ein allgemeiner Grundsatz verstanden, der auch auf andere Klagearten bezogen wird. So liegt es nahe, dasselbe Erfordernis für die Fortsetzungsfeststellungsklage aufzustellen, die an die Stelle einer wegen Eintritts der Erledigung unzulässig gewordenen oder werdenden Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage tritt 24 . Dasselbe gilt für Gestal-

20

Vgl. Wolf in MünchKomm ZPO, § 17a GVG Rn. 28. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 10. 22 BVerwGE 97, 143, 151 f.; 101, 47, 49; für das subjektive Recht i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG auch Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 286. 23 Vgl. hierzu BVerwGE 101, 47, 49; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 81; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 285. 24 BVerwGE 18, 154, 157; BVerwG, NJW 1982, 2513, 2514; 1994, 2037, 2038; Ehlers, VerwArch 1993, 141; Eyermann/Happ, §42 Rn. 80; Kopp/Schenke, VwGO, in Schoch/ §42 Rn. 62; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 489; Wahl/Schütz, Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 22. 21

292

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

tungsklagen25, sofern diese neben der Anfechtungsklage besonders vorgesehen sind 26 oder soweit eine allgemeine Gestaltungsklage anzuerkennen wäre 27 . Es ist ferner ganz überwiegend anerkannt, daß § 42 Abs. 2 VwGO analog auf allgemeine Leistungsklagen anzuwenden und auch für diese eine Klagebefugnis in Gestalt einer geltend zu machenden möglichen Verletzung eigener Rechte zu fordern ist 28 . Schließlich ist der Normenkontrollantrag (§ 47 VwGO) einer natürlichen oder juristischen Person seit dem 6. VwGOÄndG nur noch zulässig, wenn diese geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung „in ihren Rechten" verletzt zu werden (§ 47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO).

c) Der subjektive Rechtsschutzbezug der Feststellungsklage Umstritten ist, ob das Erfordernis einer Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO auch für Feststellungsklagen zu erheben ist. Die Rechtsprechung 29 und bedeutende Teile der Literatur 30 befürworten die entsprechende Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO auf die Feststellungsklage „zur Vermeidung der dem Verwaltungsprozeß fremden Popularklage" 31. Bereits diese Begründung zeigt freilich die Fragwürdigkeit dieser Ansicht 32 . Denn wer das ohnehin von § 43 Abs. 1 VwGO geforderte eigene berechtigte Interesse an der Feststellung besitzt, ist 25 Eyermann/Happ, § 42 Rn. 80; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 62; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 492. 26 Vgl. dazu Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 366. 27 Zu dieser Streitfrage eingehend unten H.II.2. 28 BVerwGE 36, 192, 199; 60, 144, 150; 100, 262, 271; Ehlers, NVwZ 1990, 109 f.; ders., VerwArch 1993, 142 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 119; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 62; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 5; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 492; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 33 f.; a.A. Erichsen, DVB1. 1982, 100; Ramsauer, Assessorprüfung, Rn. 18.05; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 153; krit. auch Schoch, JuS 1987, 790. 29 BVerwGE 99, 64, 66; 100, 262, 271; BVerwG, DÖV 1982, 411; NVwZ 1991, 470, 471; OVG Koblenz, AS 17, 211, 212 f.; GewArch 1982, 50, 51. Zur Entwicklung der Rspr. ausführlich Laubinger, VerwArch 1991, 460 ff. 30 Ehlers, NVwZ 1990, 110 f.; ders., VerwArch 1993, 143 f.; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 80; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 38; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 43 Rn. 19. 31 BVerwGE 99, 64, 66; 100, 262, 271. 32 Ablehnend Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 148; Knöpfte, in FS Lerche, S. 776 f., 783; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 63; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 410, 414, 492; Schoch, JuS 1987, 790; Streinz, BayVBl. 1983, 746; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 23 ff.; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 425; krit. auch Laubinger, VerwArch 1991, 482 ff, 491 ff.

IV. Die Klagebefgnis

293

keineswegs ein qui vis ex populo, der eine Popularklage erhöbe 33. Die analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO wäre daher nur angezeigt, wenn nicht nur die Popularklage, sondern vielmehr auch die Interessentenklage ausgeschlossen werden sollte 34 . Dies widerspräche indes der Wertung des § 43 Abs. 1 VwGO. Der Gesetzgeber hat nämlich, indem er sich hier mit der bloßen Forderung eines „berechtigten Interesses" als Voraussetzung für die verwaltungsgerichtliche Feststellung begnügte, eine bewußte Erweiterung gegenüber der engeren Fassung des § 256 ZPO, wonach die zivilprozessuale Feststellungsklage ein „rechtliches Interesse" voraussetzt, bezweckt35. Diese Intention würde unterlaufen, wenn infolge einer analogen Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO nun sogar die Geltendmachung einer Rechtsverletzung gefordert wird, weil darin eine besonders starke Form eines rechtlichen Interesses läge36. Auch widerspricht diese Ansicht der allgemein anerkannten Möglichkeit, daß an dem Rechtsverhältnis nicht beteiligte Dritte bei berechtigtem Interesse die Feststellung begehren können 37 . Es ist nämlich nicht ersichtlich, wie ein an dem Rechtsverhältnis nicht beteiligter Dritter die Verletzung eigener Rechte geltend machen und damit die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllen können sollte. Das heißt andererseits nicht, daß die Feststellungsklage ohne subjektiven Rechtsschutzbezug zulässig wäre. Gegenstand der Feststellungsklage ist die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, worunter die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person (gegebenenfalls in Ansehung einer Sache) zu verstehen sind 38 , kraft welcher rechtlichen Beziehung „eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muß, kann oder darf oder nicht zu tun braucht" 39 . Diese Standarddefinition darf übrigens

33

Ehlers, NVwZ 1990, 111; ders., VerwArch 1993, 140 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 7, 23. 34 Zu dieser Funktion des § 42 Abs. 2 VwGO oben C.IV. 1 .a.aa. 35 Begründung des Regierungsentwurfes zur VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 32 (zu §42 des Entwurfs); Schenke/Roth, WiVerw 1997, 135 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 25; zu diesem Erweiterungswillen vgl. auch Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. III/l094, S. 5 (zu § 42 des Entwurfs). 36 Knöpfle, in FS Lerche, S. 777; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 25. 37 Vgl. BVerwGE 39, 247, 248; 50, 60, 62; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 16; Redeker/v. Oertzen, VwGO, §43 Rn. 10; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 409; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 29. 38 Vgl. BVerwGE 14, 235, 236; 89, 327, 329; 100, 262, 264; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 43 Rn. 3; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 18 Rn. 7; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. l 1; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 43 Rn. 3; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 93. 39 BVerwGE 100, 262, 264, BVerwG, Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 123, S. 33.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

nicht zu dem MißVerständnis verleiten, daß womöglich nur „Personen" im Sinne natürlicher oder juristischer Personen als generell rechtsfähige (vollrechtsfähige) Rechtssubjekte40 in einem Rechtsverhältnis stehen könnten. Tatsächlich können nicht nur solche Rechtspersonen in ein Rechtsverhältnis zueinander treten, sondern überhaupt alle Rechtssubjekte, seien sie auch bloß partiell rechtsfähig 41 . Von daher ist eine allgemeinere Formulierung vorzugswürdig: Rechtsverhältnis ist eine aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm sich ergebende rechtliche Beziehung eines (generell oder partiell rechtsfähigen) Rechtssubjektes zu einem anderen. Ein solches Rechtsverhältnis setzt das Vorliegen wenigstens eines subjektiven Rechts voraus 42, weil nur durch ein solches rechtliche Beziehungen zwischen Rechtssubjekten begründet werden, wohingegen bloß objektive Pflichten nicht genügen, weil der Verpflichtete solchenfalls nicht einem anderen Rechtssubjekt gegenüber verpflichtet ist 43 . Das festzustellende Rechtsverhältnis - und damit das subjektive Recht - muß entweder zwischen dem Feststellungskläger und dem Feststellungsbeklagten bestehen, oder aber, wenn der Feststellungskläger die Feststellung eines zwischen dem Feststellungsbeklagten und einem Dritten oder gar eines zwischen einem Dritten und einem Vierten bestehenden Rechtsverhältnisses begehrt, so muß dieses doch zumindest für ein Rechtsverhältnis vorgreiflich oder von sonstiger rechtlicher Bedeutung sein, an dem der Feststellungskläger beteiligt ist 44 . Ein allenfalls denkbares ideelles Interesse an der Feststellung subjektiver Rechte zum Wohle anderer oder der Allgemeinheit wäre demgegenüber kein eigenes Interesse des Feststellungsklägers und daher nicht als berechtigtes Feststellungsinteresse anzuerkennen45. Sonach ergibt sich die subjektivrechtliche Qualität der Feststellungsklage aus der Natur ihres Ge40

Zu dieser Qualifikation näher unten E.II.4.a. Zu diesen näher unten E.IIAa und c. 42 Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 11; Schenke, Rechtsschutz, S. 216 ff.; ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 380; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 93. 43 Deshalb läßt sich die Statthaftigkeit der Feststellungsklage in bezug auf umstrittene Kompetenzen nicht mit dem Hinweis begründen, daß diese allerdings auf Rechtsnormen beruhen (s. oben C.II. 1 .b) und „also eine rechtliche Relation zwischen den Organen" schaffen (so aber Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 157). Ob diese rechtliche Relation nur eine objektivrechtliche zwischen dem verpflichteten Organ und der Rechtsgemeinschaft oder - wie für § 43 Abs. 1 VwGO erforderlich - eine subjektivrechtliche zwischen zwei Organen ist, ist gerade die Frage, und diese wird durch die rechtliche Natur der Kompetenzordnung keineswegs beantwortet. 44 BVerwG, NVwZ 1991, 470, 471 („daß von dem Rechtsverhältnis immerhin eigene Rechte des Klägers abhängen"); Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 120 f.; Kopp, VwGO, § 43 Rn. 16; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 11; Pietzcker, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 (Lfg. 1996) Rn. 31; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 409. 45 Vgl. G. Arndt, DÖV 1963, 573. 41

IV. Die Klagebefgnis

295

genstandes in Verbindung mit dem geforderten berechtigten Feststellungsinteresse, ohne daß es zur Verhinderung von „Popularfeststellungsklagen" einer Analogie zu § 42 Abs. 2 VwGO bedürfte 46. Dasselbe gilt für die Nichtigkeitsfeststellungsklage: Es genügt, wenn der Verwaltungsakt, dessen Nichtigkeit festgestellt werden soll, für ein Rechtsverhältnis, an dem der Kläger beteiligt ist, präjudiziell ist 47 ; daß der Verwaltungsakt, wenn er nicht nichtig wäre, in die Rechte des Klägers eingriffe und von diesem angefochten werden könnte 48 , ist nicht erforderlich 49. Dies widerspräche nämlich dem anerkannten Umstand, daß sich auf die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts jedermann berufen kann 50 , so daß - bei Vorliegen eines genügenden Feststellungsinteresses -jedermann die Nichtigkeitsfeststellungsklage muß erheben können, auch ohne zum Kreis der potentiellen Anfechtungskläger zu gehören, die eine Verletzung eigener Rechte geltend machen müssen51. Hierfür spricht weiter, daß es für die Begründetheit der Nichtigkeitsfeststellungsklage allein auf das Vorliegen eines Fehlers im Sinne des § 44 VwVfG ankommt und nicht auf eine subjektive Rechtsverletzung gerade des Feststellungsklägers, so daß es ungereimt wäre, für diesen eine Klagebefugnis vorauszusetzen. Die von § 42 Abs. 2 VwGO geforderte Klagebefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung ist vor dem Hintergrund dessen zu verstehen, daß ja auch die Begründetheit von Anfechtungs·, Verpflichtungs- oder allgemeinen Leistungsklagen eine subjektive Rechtsverletzung erfordert; wo indessen die Begründetheit der Klage eine solche subjektive Rechtsverletzung nicht erfordert, ist es sinnwidrig, die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung als Zulässigkeitsvoraussetzung zu postulieren 52.

46

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 63; Laubinger, VerwArch 1991, 494 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 410; femer Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 (Lfg. 1996) Rn. 31. 47 BVerwG, NVwZ 1991, 470, 471; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 63; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 414. 48 So BVerwG, DÖV 1982, 411; NVwZ 1991, 470, 471; OVG Koblenz, GewArch 1982, 50, 51; OVG Münster, UPR 1982, 203, 204; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 120; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §43 (Lfg. 1996) Rn. 31. 49 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 414; krit. auch Laubinger, VerwArch 1991, 482 f. 50 BVerwG, DÖV 1982, 411; BGHZ 24, 386, 391; Kopp, VwVfG, § 43 Rn. 20; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 100; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 56 Rn. 9. 51 Laubinger, VerwArch 1991, 482 f.; a.A. BVerwG, DÖV 1982, 411. 52 Laubinger, VerwArch 1991, 483.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO d) Resümee

Die Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Klagen und Anträge hängt hiernach grundsätzlich von der Verfolgung eines individuellen Rechtsschutzbegehrens ab, weil es entweder für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO (analog) auf die Geltendmachung einer Verletzung eigener Rechte ankommt, oder weil es für die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO eines Bezuges des Klagegegenstandes zu einem Rechtsverhältnis und damit zu einem subjektiven Recht bedarf 63. Das subjektive Recht ist freilich nicht nur für die Zulässigkeit der überwiegenden Zahl von Klagen von Bedeutung, sondern es bestimmt maßgeblich auch den möglichen Inhalt der gerichtlichen Entscheidung. So hat etwa die Anfechtungsklage nur dann Erfolg, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch „in seinen Rechten" verletzt ist (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO), wie auch der Erfolg einer Verpflichtungsklage von einer solchen Verletzung des Klägers „in seinen Rechten" abhängt (§113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Diese individualrechtsschutzbezogene Zielrichtung der VwGO gilt übrigens nicht nur für die erstinstanzliche Anrufung des Gerichts, sondern ebenso für das Rechtsmittelverfahren 54, da der Erfolg eines Rechtsmittels voraussetzt, daß die angefochtene Entscheidung Rechte des Rechtsmittelführers verletzt 55. Die VwGO wird sonach geradezu von der Vorstellung des Schutzes „eigener" und das heißt „subjektiver" Rechte des Klägers oder Antragstellers durchzogen, ohne deren Betroffensein eine Klage weder zulässig noch begründet sein kann.

53

Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 495; Streinz, BayVBl. 1983, 746. BVerwGE 77, 102, 105; BVerwG, UPR 1998, 309; NVwZ 2000, 436, 437. 55 BVerwGE 69, 256, 258; 104, 289, 292 f.; BVerwG, UPR 1998, 309. Zum Erfordernis der rechtlichen Beschwer des Rechtsmittelführers vgl. BVerwG, NVwZ 2000, 436, 437; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 124 Rn. 39. Dem steht nicht entgegen, daß für Rechtsmittel des Klägers bzw. Beklagten grundsätzlich auch eine formelle Beschwer genügt, welche dann vorliegt, wenn die angegriffene Entscheidung etwas versagt, was beantragt worden war (BVerwGE 4, 283, 284; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 124 Rn. 40 f.). Dieses Abstellen auf die formelle Beschwer erleichert nämlich lediglich die Zulässigkeitsprüfung, indem so die Prüfung einer materiellrechtlichen Beschwer unterbleiben kann. Der Sache nach schließt die formelle Beschwer jedoch die Behauptung einer materiellrechtlichen Beschwer ein. Denn da in der ersten Instanz (zulässigerweise) nur Anträge gestellt werden dürfen, mit denen der Beteiligte seine Rechte verfolgt, bedeutet jedes Zurückbleiben hinter diesem Antrag notwendigerweise, daß ihm das beanspruchte Recht nicht oder nicht in vollem Umfang zuerkannt wird. Gibt das Gericht einem Klage- oder Klageabweisungsantrag zu Unrecht nicht oder nur teilweise statt, so verletzt es damit notwendig die geltend gemachten Rechte des Klägers bzw. Beklagten. 54

IV. Die Klagebefiignis

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e) Objektive Rechtsbeanstandungsverfahren Der Individualrechtsschutzcharakter verwaltungsgerichtlicher Verfahren gilt allerdings nur als Grundsatz. § 42 Abs. 2 VwGO läßt nämlich abweichende bundes- oder landesgesetzliche Bestimmungen zu, nach denen Klage- oder Antragsbefugnisse ohne Rüge einer subjektiven Rechtsverletzung eingeräumt werden können56. Dabei kommen verschiedene gesetzliche Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht 57. Erstens kann der Kläger von der Geltendmachung eigener Rechte befreit und ihm so im Wege der gesetzlichen Prozeßstandschaft die Verteidigung der subjektiven Rechte eines anderen gestattet werden 58. Zweitens kann die Klage individuell Interessierter zugelassen werden, unabhängig davon, ob diese eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen können59. Schließlich könnte sogar eine reine Popularklage eingeführt werden, mit der die Verletzung des (objektiven) Rechts unabhängig von einem Individualbezug gerade zum Kläger - sei es Behörde, natürliche Person oder Verband - gerügt werden kann. Solche Gestaltungen wirken sich - obgleich dies fur die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage in § 113 Abs. 1 und 5 VwGO nicht ausdrücklich bestimmt ist - dahin aus, daß es auch fur die Begründetheit der hiernach zulässigen Klage nicht auf die Verletzung eigener Rechte des Klägers ankommt, sondern vielmehr die Klage im Falle einer gesetzlichen Prozeßstandschaft bei Verletzung des zulässigerweise geltend gemachten fremden Rechts, sonst bei objektiver Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme begründet ist 60 . Ob und inwie56 Unrichtig daher Becker-Birck, Insichprozeß, S. 55, 119, wenn er aus dem Umstand, daß einer Behörde ausdrücklich Klagemöglichkeiten gegen Entscheidungen anderer Behörden eingeräumt sind, ableitet, daß ihr subjektive Rechte zuerkannt sein müßten. 57 Vgl. Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 37. 58 Zur Prozeßstandschaft bei Verfassungsorganstreitigkeiten oben B.II.l.d, zur diesbezüglichen Problematik in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren ausfuhrlich unten H.I.3.b. 59 Bis zur Änderung des § 47 VwGO durch das 6. VwGOÄndG war hier das Antragsrecht natürlicher und juristischer Personen zu nennen, die nach § 47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO a.F. den Normenkontrollantrag stellen konnten, wenn sie durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen „Nachteil" erlitten oder zu erwarten hatten; dieser weit auszulegende (BVerwGE 91, 318, 320) Nachteilsbegriff erfaßte jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen, ohne daß es einer Rechtsbetroffenheit i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO bedurfte (BVerwGE 56, 172, 175; 64, 77, 80). Insofern stellte dies einen Fall einer zulässigen Interessentenklage dar. Immerhin aber mußte der Nachteil den Antragsteller selbst treffen, so daß das Verfahren einen individuellen Schutzeinschlag aufwies und eine bloße Popularklage ausgeschlossen war; vgl. hierzu Eyermann/ Fröhler, VwGO, § 47 Rn. 28; Kopp, VwGO, § 47 Rn. 24. 60 Vgl. VG Darmstadt, NVwZ 1987, 921, 922; Eyermann/ Happ, VwGO, §42 Rn. 118; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 182; Redeker/v. Oertzen, VwGO, §42

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

weit der Gesetzgeber durch die Einfuhrung objektiver Rechtsbeanstandungsverfahren z.B. in Gestalt der Verbandsklage fur eine größere Effektivität gerichtlicher Kontrollmöglichkeiten sorgen und sich das Bemühen Interessierter u m Einhaltung des Rechts zu Nutzen machen w i l l , obliegt seiner rechtspolitischen Abwägung mit den hierbei etwa zu erwartenden Nachteilen; eine dahin gehende verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht nicht 6 1 . Bundesgesetzlich ist als Beispiel eines objektiven Rechtsbeanstandungsverfahrens vor allem das Initiativrecht der Behörden bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle (§ 47 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz VwGO) bedeutsam62, ferner etwa63 die Klagemöglichkeit des beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestellten Bundesbeauftragten fur Asylangelegenheiten gegen Entscheidungen des Bundesamtes (§ 6 Abs. 2 S. 3 AsylVfG), des Kreiswehrersatzamtes sowie der Wehrbereichsverwaltung gegen Entscheidungen der Ausschüsse und Kammern ftir Kriegsdienstverweigerung (§ 18 Abs. 2 KDVG), der Handwerkskammer gegen eine Ausnahmebewilligung zur Eintragung in die Handwerksrolle ( § 8 Abs. 4 HandwO) sowie gegen die Ablehnung einer von ihr beantragten Untersagung einer Betriebsfortsetzung (§ 16 Abs. 3 S. 2 HandwO), der Industrie- und Handelskammer gegen die Eintragung eines ihr angehörigen Gewerbetreibenden in die Handwerksrolle (§ 12 HandwO), und schließlich die Klagemöglichkeit der hinsichtlich der Indizierung jugendgefährdender Schriften antragsberechtigten Stellen (§ 2 DVO GjS) gegen die Bundesprüfstelle (§ 11 Abs. 2, § 20 GjSM) 6 4 . Bedeutsame landesgesetzliche Ausnahmen65 vom Erfordernis eines subjektiven Rechtsschutzbegehrens finden sich in Gestalt der Klagebefugnis anerkannter Naturschutzverbände in den Naturschutzgesetzen der meisten Bundesländer66. Nicht in diesen

Rn. 21; Skouris, NVwZ 1982, 235; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 39. 61 BVerwGE 101, 73, 81 f.; BVerwG, ZfBR 1998, 102, 103; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 117. 62 S. dazu bereits oben B.I. 1 .b. 63 Zu weiteren Beispielen Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 119; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 181; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 40. 64 Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 23; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, § 34 V 1; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 40 Fußn. 140; a.A. BVerwGE 19, 269, 271 ff.; z.T. a.A. BVerwGE 28, 63, 64 f.: Klagebefiignis nur bezüglich gerügter Verfahrensfehler. 65 Dieser Ausnahmecharakter wird durch verschiedentlich anzutreffende Subsidiaritätsklauseln in Landesnaturschutzgesetzen noch betont, nach denen die Verbandsklagebefugnis nur gegeben ist, wenn kein anderweitiges Klagerecht eines Betroffenen gemäß § 42 Abs. 2 VwGO besteht. Zur Auslegung solcher Klauseln vgl. BVerwG, ZfBR 1998, 102 f. 66 Vgl. hierzu BVerwG, NVwZ-RR 1998, 98, 99; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 119; Harings, NVwZ 1997, 538 f , 540; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 181; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 42, 236. Zur Diskussion um die Verbandsklage vgl. Masing, Mobilisierung, S. 121 ff.

IV. Die Klagebefgnis

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Zusammenhang gehört die Möglichkeit anerkannter Naturschutzverbände, eine Verletzung ihrer von § 29 Abs. 1 BNatSchG bundesrechtlich eingeräumten Äußerungs- und Akteneinsichtsrechte klageweise geltend zu machen; denn hierbei handelt es sich um subjektive Rechte, so daß sich die Klagebefugnis insoweit aus allgemeinen Grundsätzen ergibt, wohingegen materielle Mängel des betreffenden Planfeststellungsbeschlusses von den fraglichen Verbänden gerade nicht kraft Bundesrechts gerügt werden können67.

Solche objektiven Verfahren stellen freilich die Ausnahme gegenüber den subjektiven Rechtsschutzverfahren dar, und zwar sowohl was die Zahl der Vorschriften betrifft als auch in bezug auf ihre praktische Häufigkeit, weshalb sie an dem grundsätzlichen Charakter der VwGO als einem dem Schutz subjektiver Rechte dienendem System nichts ändern. Es ist daher ausgeschlossen, derartigen Bestimmungen einen „allgemeinen Rechtsgedanken" zu entnehmen, für öffentliche Funktionsträger genüge zum Nachweis ihrer Klagebefugnis immer die Beeinträchtigung der ihnen übertragenen Funktionen68. Die genannten Ausnahmefälle beruhen sämtlich auf der gesetzgeberischen Wertung, in speziellen Situationen die Einhaltung des objektiven Rechts durch objektive Rechtsbeanstandungsverfahren (zusätzlich) abzusichern, und gestatten keine Verallgemeinerung dahin, daß gewisse Organe generell vom Erfordernis der Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung ausgenommen seien, wenn sie eine verwaltungsgerichtliche Klage erheben wollen 69 .

2. Die Problematik der Einordnung verwaltungsrechtlicher Organstreitverfahren in das Rechtsschutzsystem der VwGO Wie gezeigt, konstituiert die VwGO ein System subjektiven Individualrechtsschutzes, in dem die Verteidigung eigener Rechte fur alle Klagearten eine entscheidende Sachurteilsvoraussetzung darstellt. Da auch Trägern öffentlicher Gewalt und ihren Organen jenseits etwaiger gesetzlich vorgesehener objektiver Beanstandungsklagen bloße Interessenten- oder Popularklagen verwehrt sind 70 , 67

Vgl. hierzu BVerwGE 87, 62, 68 ff.; 92, 263, 266; 98, 100, 104 ff.; 102, 358, 361, 364 f.; BVerwG, NVwZ 1997, 491, 492; VGH Kassel, NuR 2000, 226 f.; Hörings,, NVwZ 1997, 539, 541 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 230 ff. 68 So aber Fuß, WissR 1972, 115 f. 69 Vgl. Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 47; Dolde, in FS Menger, S. 437; Hoppe, NJW 1980, 1019; Kisker, JuS 1975, 706 Fn. 9. 70 OVG Lüneburg, OVGE 16, 349, 350; 27, 351, 352; VGH Mannheim, VB1BW 1994, 99, 100; 1999, 304; VGH München, VGH n.F. 29, 37, 40; OVG Münster, OVGE 17, 261, 265 f.; Barth, Subjektive Rechte, S. 51; Bethge, HKWP II, S. 192; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 102 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 25 f.; Fuß, WissR 1972, 110 f.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 17; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 179; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 127 ff; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 100, 128 ff.; Stahl, DVB1. 1972, 772; Stern/

300

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

können deshalb unabhängig von der Klageart auch verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten nur dann einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugeführt werden, wenn Individualrechtsschutz unter den Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 bzw. des § 43 Abs. 1 VwGO begehrt wird 71 . Diesem Schluß läßt sich nicht mit der Erwägung entgehen, die VwGO sei vornehmlich auf den Rechtsschutz des Bürgers gegen den Staat zugeschnitten72, und das Erfordernis der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) solle nur die Popularklage durch Private ausschließen, könne aber nicht auf Träger öffentlicher Gewalt übertragen werden. Es mag zwar sein, daß bei letzteren angesichts ihrer Gemeinwohlverpflichtung 73, ihrer Bindung an Gesetz und Recht sowie ihrer regelmäßigen Besetzung mit Juristen oder anderem qualifizierten Personal die Gefahr querulatorischer oder sonst mißbräuchlicher Klagen ohnehin recht gering ist und daher die mit der Eröffnung von Popularklagen verbundenen Gefahren hier geringer wären. Doch wie § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO zeigt, weiß der Gesetzgeber sehr wohl danach zu unterscheiden, ob eine Antrags- oder Klagemöglichkeit zum Schutz subjektiver Rechte gewährt oder ob im Interesse der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine objektive Rechtskontrolle auf Initiative eines befaßten Verwaltungsorgans ermöglicht werden soll. Diese Differenzierung ist erst im Jahre 1996 durch das 6. VwGOÄndG bestärkt und vertieft worden, in-

Bethge, Rechtsstellung, S. 119; Tsatsos, Organstreit, S. 44 ff.; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 94, 97; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 82, 153 f. f] BVerwG, Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 129; NVwZ 1985, 112, 113; 1989, 470; NVwZ-RR 1994, 352 f.; OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1288; OVG Berlin, LKV 2000, 453; VGH Kassel, NVwZ 1986, 328, 329; DÖV 1988, 304, 305; OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178; OVG Lüneburg, OVGE 27, 351, 352; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 153; NVwZ 1993, 396; VB1BW 1999, 304; VGH München, VGH n.F. 29, 37, 40; OVG Münster, OVGE 27, 258, 263 f.; 28, 208, 211 f.; NWVB1. 1998, 149, 150; G. Arndt, DÖV 1963, 572 f.; Bauer/Krause, JuS 1996, 512 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 195 f.; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 81 ff, 101 f.; Dolde, in FS Menger, S. 437; Ehlers, NVwZ 1990, 110; Ewald, WissR 1970, 46; Eyermann/ Fröhler, VwGO, § 42 Rn. 198; Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 16; Fehrmann, NWVB1. 1989, 305; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 25; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 32 ff.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 124 f.; ders., NJW 1980, 1019; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §21 Rn. 17; Kopp/Schenke, VwGO, vor §40 Rn. 6; Krebs, Jura 1981, 580; Martensen, JuS 1995, 992; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 89 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 6; Schnapp, VerwArch 1987, 415 f.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 23; Seeger, BWVPr 1978, 51; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 119 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 31; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 681; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 16, 84 f , 154; a.A. Fuß, WissR 1972, 115 f. 72 Zu diesem Einwand näher unten E.II.5.c. 73 Vgl. hierzu näher unten E.I.2.

IV. Die Klagebefgnis

301

dem der Gesetzgeber die Antragsbefugnis natürlicher und juristischer Personen (einschließlich von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts) gegenüber der nach § 47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO a.F. genügenden Geltendmachung eines bloßen Nachteils restringiert hat und nunmehr die Geltendmachung einer Rechtsverletzung fordert, während die ohne eine solche Rüge gegebene Antragsbefugnis der Behörden unverändert beibehalten worden ist 74 . Infolgedessen kann keineswegs angenommen werden, der Gesetzgeber habe Behörden generell einen erleichterten Zugang zu den Verwaltungsgerichten verschaffen wollen. Angesichts der diesbezüglich von ihm bei § 47 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz VwGO für erforderlich gehaltenen Sonderregelung hätte er sonst nämlich auch bei § 42 Abs. 2 VwGO eine entsprechende Bestimmung treffen müssen. Daß er dies nicht getan hat, läßt nur den Schluß zu, daß er bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle aus besonderen Erwägungen eine Erweiterung der Antragsbefugnis für Behörden treffen wollte, während sich ansonsten die Möglichkeit von Trägern öffentlicher Gewalt und ihren Organen, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, nach den allgemeinen Vorschriften richten soll. Für eine teleologische Reduktion der verwaltungsgerichtlichen Sachentscheidungsvoraussetzungen, um den Organen bzw. Organteilen von Trägern öffentlicher Gewalt einen erleichterten Zugang zu den Verwaltungsgerichten zu ermöglichen, ohne die auf den subjektiven Rechtsschutz bezogenen Bedingungen des § 42 Abs. 2 bzw. § 43 Abs. 1 VwGO erfüllen zu müssen, besteht hiernach kein Raum, zumal der Gesetzgeber für den Parallelfall der Verfassungsorganstreitigkeiten ausdrücklich vorgesehen hat, daß die antragstellenden Organe oder Organteile eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen müssen75, und daher nicht begründbar ist, weshalb gerade auf der Ebene der Organe von Verwaltungsträgern ein solches Erfordernis nicht Platz greifen sollte 76 7 7 .

74

S. dazu oben B.I.l.b. S. oben B.II.4. 76 Vgl. G. Arndt, DÖV 1963, 572; Barth, Subjektive Rechte, S. 117; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 194; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 27. 77 De lege ferenda ließe sich vielleicht manches Argument dafür anführen, Träger öffentlicher Gewalt und ihre Organe generell - beispielsweise in Anlehnung an ihre Antragsbefugnis im oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren - von der Notwendigkeit zu befreien, als Voraussetzung ihrer Klagebefugnis eine Verletzung eigener Rechte geltend machen zu müssen, um so eine verstärkte Rechtskontrolle durch die Gerichte zu ermöglichen. So wurde etwa für die Gemeinden vorgeschlagen, überstimmten Ratsmitgliedem oder den Minderheitsfraktionen im Gemeinderat ein Klagerecht gegen gesetzwidrige Gemeinderatsbeschlüsse unabhängig von einer eigenen Rechtsverletzung einzuräumen, um auf diese Weise ihrer Stellung als gewählte Vertreter der Allgemeinheit und insofern Wahrer des Allgemeininteresses an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung besser Rechnung zu tragen (vgl. Henrichs, DVB1. 1959, 560 f.; vgl. auch Papier, DÖV 1980, 295 f.; femer Stettner, Kompetenzlehre, S. 71), namentlich um 75

302

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Der aufgezeigte Zwang zur Einordnung der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten in das subjektivrechtlich orientierte Rechtsschutzsystem der VwGO leitet unmittelbar zu einem der zentralen Problempunkte der Organstreitthematik über: der Frage nämlich, ob Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts überhaupt subjektive Rechte innehaben können, welche in einem Verwaltungsstreitverfahren zu verteidigen wären. Bejahendenfalls bereitete die Annahme der Klagebefugnis bzw. eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses keine Schwierigkeiten. Verneinendenfalls wäre dieser unzweifelhafte Weg zur Erfüllung des § 42 Abs. 2 bzw. § 43 Abs. 1 VwGO freilich versperrt und es wäre, sofern man aus Gründen praktischer Notwendigkeit die gerichtliche Austragung derartiger Organstreitigkeiten gleichwohl ermöglichen will, zu untersuchen, ob man dieses Ziel im Wege einer Rechtsfortbildung zu erreichen vermöchte. Die Frage nach der Inhaberschaft subjektiver Rechte durch Organe und Organteile von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gehört zu den umstrittensten des Verwaltungs(prozeß)rechts. Zwar sehen zahlreiche Stimmen keine grundsätzlichen Einwände gegen die Zuerkennung subjektiver Rechte an Organe und sogar Organteile 78. Andere hingegen stellen sogar schon in Abrede, daß der Staat oder sonstige Träger öffentlicher Gewalt In-

so eine effektivere Durchsetzung des Rechts gerade in den für politische Kungeleien und Korruption besonders anfälligen Gemeinden sicherzustellen und dadurch Schaden für die Gemeinden abzuwenden. Wie man derartige Vorschläge auch immer rechtspolitisch bewerten mag (zu den mit jeder Einräumung von Klagemöglichkeiten verbundenen Vorund Nachteilen näher unten F.I.3. und 4.), de lege lata besteht jedenfalls eine solche Klagemöglichkeit keinesfalls, sondern ist die gesetzgeberische Grundentscheidung für ein verwaltungsgerichtliches Individualrechtsschutzsystem auch für hoheitliche Organe zu respektieren (Tsatsos, Organstreit, S. 46). 78 Vgl. OVG Koblenz, AS 9, 335, 344 f.; Barth, Subjektive Rechte, S. 38 f.; Bethge, Die Verwaltung 1975, 465; ders., DVB1. 1980, 312; ders., HKWP II, S. 178 f., 183; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 107, 197; Ewald, DVB1. 1970, 243; Eyermann/ Fröhler, VwGO, § 40 Rn. 31; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 38 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 63 ff; Henke, DÖV 1980, 626; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 20; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 28; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 67; Schnapp, Amtsrecht, S. 143, 211; ders., VerwArch 1987, 416 f., 426; Scholz, DÖV 1973, 846; Schröder, NVwZ 1985, 246; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 87, 97; Tsatsos, Organstreit, S. 43 f.; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 197; wohl auch BVerwG, NVwZ 1988, 1119, 1120; ebenso bereits Thoma, HdbDStR II, S. 614; in diese Richtung auch Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 117, 148; ders., in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. (Lfg. 1996) Rn. 18; ders., in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 83, der Organen zwar mangels „Personalität" subjektive Rechte i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG abspricht, ihnen aber auf einfachgesetzlicher Ebene „subjektive Rechte im weiteren Sinne" zuerkennt.

IV. Die Klagebefgnis

303

haber subjektiver Rechte sein können 7 9 , woraus sich dann notwendig a fortiori die Folgerung ergibt, daß deren Organe erst recht keine subjektiven Rechte innehaben können 8 0 . Die überwiegende Ansicht bejaht dagegen zwar die Fähigkeit von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, Träger subjektiver Rechte sein zu können, spricht ihren Organen aber die nämliche Eigenschaft ab 8 1 . Welche grundsätzlichen Schwierigkeiten die Vorstellung bereitet, Organe und Organteile könnten subjektive Rechte innehaben, w i r d durch nichts besser belegt als durch die zahlreichen Vorschläge, wie deren Kompetenzen anderweit begrifflich zu erfassen sein könnten. In eine erste Kategorie fallen dabei Ausdrücke, die möglichst neutral sein wollen, indem sie jede terminologische Referenz zu subjektiven Rechten zu vermeiden suchen. Besonders häufig werden Organkompetenzen als „wehrfähige

Rechtspositionen" paraphrasiert 82 , doch

79 Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 449 f.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 3; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfe. 1996) Rn. 103. Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 449, 452; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 6; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 120; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 92. 81 OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1288; SächsVBl. 1999, 35, 36; OVG Berlin, LKV 2000, 453; OVG Koblenz, AS 8, 78, 82 ff.; OVG Münster, OVGE 27, 258, 263; 28, 208, 212; 32, 192, 194 f.; DVB1. 1992, 444, 445; U. Bauer, Organklagen, S. 38 f., 40; Böckenförde, in FS Wolff, S. 302 f.; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 92 ff.; Bracher, NWVB1. 1994, 410; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 158; Erichsen, in FS Menger, S. 226; ders, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 46 f.; Erichsen/ Biermann, Jura 1997, 159 Fn. 33; Eyermann/Rennert, VwGO, § 40 Rn. 15; Fehrmann, NWVB1. 1989, 305; Fuß, WissR 1972, 110 ff.; Herbert, DÖV 1994, 110; Kingreen, DVB1. 1995, 1338; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 96 f.; Krebs, VerwArch 1977, 192 f.; ders., Jura 1981, 574 ff.; Papier, DÖV 1980, 294; Püttner, Organstreitverfahren, S. 132; Ramsauer, Assessorprüfung, Rn. 22.07; Rupp, Grundfragen, S. 99; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 24 f. Fn. 60; Stettner, Kompetenzlehre, S. 68 f., 71; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72 I c 5; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 41 Rn. 11, 13; grundsätzlich auch Becker-Birck, Insichprozeß, S. 50 f. (außer bei „ausdrücklicher" gesetzlicher Anordnung); unklar Fromm, Kommunal verfassungsstreitverfahren, S. 44, 46 („den eigentlichen subjektiv-öffentlichen Rechten ... gleichgestellt"); Kisker, Insichprozeß, S. 40 („subjektive Rechte"), S. 57 f. („auasi-eigene Rechte"). 82 OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1288; SächsVBl. 1999, 35, 36; OVG Münster, NWVB1. 1998, 149, 150; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 135; Erichsen, in FS Menger, S. 225 ff.; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 159; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 11; Kingreen, DVB1. 1995, 1339; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 333; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 44; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 80; Müller, NVwZ 1994, 120; Schneider, NWVB1. 1996, 94; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 3 d.

304

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

finden sich auch Bezeichnungen wie „wehrfähige Kompetenzen"83, „klagbare Rechtspositionen"84, „klagbare Wahrnehmungszuständigkeiten" 85, „gesetzlich eingeräumte Rechtspositionen"86, „körperschaftsinterne Rechtsstellung"87. In die zweite Kategorie fallen diejenigen Ausdrücke, welche die von den Organen und Organteilen innegehabte Rechtsstellung in verschiedenen Schattierungen gleichzeitig in die Nähe der subjektiven Rechte rücken wie von diesen abgrenzen sollen: „wehrfähige Rechte"88, „organschaftliche Rechte"89, „wehrfähige subjektive organschaftliche Rechte" 90 , „Interorganrechte" 91, „organisationsrechtliche subjektiv-öffentliche Rechte"92, „versubjektivierte Organrechtspositionen" 93, „subjektivrechtlich gefärbte Kompetenzen"94, „Quasi-(Individual-)Rechte"95, ,,'quasi-eigene' Rechte"96, „quasi-subjektive öffentliche Rechte"97, „Rechte" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO »neben den subjektiven öffentlichen Rechten"98. Angesichts solcher Formeln werfen sich zahlreiche Fragen auf. Zunächst springt die Frage nach ihrer genauen dogmatischen Einordnung ins Auge. Denn „organschaftliche Rechte" oder „wehrfähige Rechtspositionen" - um nur die meistgebrauchten Ausdrücke zu nennen - können kaum als Untergruppe oder Teilmenge subjektiver Rechte gemeint sein, als bloße Umschreibung für „subjektive Rechte eines Organs" also, nachdem die für die Verwendung dieser und ähnlicher Ausdrücke plädierenden Autoren damit ja gerade von der Gleichsetzung der Organkompetenzen mit subjektiven Rechten Abstand nehmen wollen. Wenn jedoch die bezeichneten „organschaftlichen Rechte", „wehrfähigen Rechtspositionen" etc. als eigenständige Kategorie neben den subjektiven Rechten im herkömmlichen Sinn stehen sollen, so wäre natürlich zu klären, was genau darunter zu verstehen sein soll. Zugegebenermaßen ist der Begriff des subjektiven Rechts unklar und umstritten genug, worin denn auch eine der Ur-

83

Martensen, JuS 1995, 991. Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 24 f. 85 OVG Berlin, LKV 2000, 453. 86 VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304. 87 OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 447. 88 BVerwGE 97, 223, 224. 89 BVerwG, BayVBl. 1988, 249; DVB1. 1988, 792, 793; Becker-Birck,, Insichprozeß, S. 30; Kopp, VwGO, § 42 Rn. 44; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 80. 90 VG Schwerin, LKV 2000, 167, 168. 91 U. Bauer, Organklagen, S. 38 f. 92 Hoppe, DVB1. 1970, 845. 93 Krebs, Jura 1981, 576, 577; Löer, Kontrolle, S. 28. 94 Püttner, Organstreitverfahren, S. 133. 95 Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72 IV c 3; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 24 Rn. 21. 96 Kisker, Insichprozeß, S. 58. 97 Ramsauer, Assessorprüfung, Rn. 22.07. 98 Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 3 (Hervorhebung im Original). 84

IV. Die Klagebefgnis

305

sachen für die Zweifel liegt, ob Organkompetenzen als subjektive Rechte anzusehen sein können. Aber den diesbezüglichen Bedeutungszweifeln kann nicht dadurch aus dem Wege gegangen werden, daß einfach neue Kategorien von Rechtspositionen eingeführt werden, die kein Vorbild in der sonstigen juristischen Dogmatik besitzen und deshalb mindestens ebenso unklar und umstritten sein müssen. Jenseits ihrer begrifflichen Unklarheit provoziert der Rückgriff auf derartige Begriffskategorien aber vor allem einen grundsätzlichen positivrechtlichen Einwand: Es entspricht, wie gesehen, nahezu allgemeiner Ansicht, daß auch verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten nur dann einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zuzuführen sind, wenn sie die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 bzw. des § 43 Abs. 1 VwGO erfüllen. Ferner wird nicht in Abrede gestellt, daß diese Vorschriften Bezug auf subjektive Rechte nehmen. Dann aber bedürfte es schon der Begründung, daß und weshalb auch von subjektiven Rechten verschiedene und etwa als „wehrfähige Rechtspositionen" und „organschaftliche Rechte" etc. bezeichnete Kompetenzen direkt unter § 42 Abs. 2 bzw. § 43 Abs. 1 VwGO zu subsumieren sind, oder weshalb es zumindest möglich sein soll, diese Vorschriften analog auf derartige nicht-subjektivrechtliche Kompetenzen anzuwenden. Wenn also mit dem Ausdruck „wehrfähige Rechtsposition" nicht einfach nur eine Umschreibung oder Definition des subjektiven Rechts gegeben", sondern etwas von einem subjektiven Recht materiell Verschiedenes bezeichnet werden soll, so bedarf es insbesondere des Nachweises, daß § 42 Abs. 2 VwGO hierauf zu erstrecken ist, obgleich in dieser Vorschrift nun einmal von „Recht" die Rede ist, und nicht von irgendwelchen „Rechtspositionen" wehrfähiger oder anderer Art. Bei diesem letzteren Hinweis geht es nicht um Wortklauberei. Denn es ist außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG - und Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts können sich eben nicht auf diese Rechtsschutzgarantie berufen 100 - grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, wem und unter welchen Voraussetzungen er den Klageweg eröffnen will 1 0 1 , und es liegt nicht in der Kompetenz des Rechtsanwenders, sich allein aus Praktikabilitätsgründen oder zur Umgehung dogmatischer Zweifelsfälle über eine solche gesetzgeberische Entscheidung hinwegzusetzen. Wenn der Gesetzgeber die Klagebefugnis nun einmal an die Geltendmachung einer Verletzung subjektiver Rechte knüpft, so kann man dies nicht einfach ignorieren und die Invokation von Rechtspositionen genügen lassen, die aus Sicht ihrer Vertreter erklärterma-

99

So wohl Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §113 (Lfg. 1996) Rn. 11; in diesem Sinne wohl BVerwG, SächsVBl. 1999, 32, 33. 100 S. hierzu sowie zu den anzuerkennenden Ausnahmen oben B.I.2.a. 101 Vgl. Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 131. 22 Roth

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

ßen mindere oder inhaltlich andere Anforderungen stellen als sie gemeinhin für das Vorliegen subjektiver Rechte angenommen werden. Da es mit der bloßen Behauptung, derartige wesensmäßig von subjektiven Rechten verschiedene „wehrfähige Positionen" etc. müßten eben „wie subjektive Rechte behandelt" 102 und diesen für die Zwecke des § 42 Abs. 2 VwGO und auch sonst „gleichgestellt" werden 103 , ebensowenig getan ist wie wenn man einfach von subjektiven Rechten „im weiteren Sinn" spricht 104 , bleiben, wenn man subjektive Rechte von Organen und Organteilen verneint, nur zwei logisch und methodisch korrekte Wege: Entweder man zeigt, daß der Begriff des „Rechts" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO als „Oberbegriff 4105 zu verstehen ist, der über die materiellen und formellen subjektiven Rechte im traditionellen Sinn hinaus auch sonstige „rechtlich geschützte Interessen bzw. Rechtspositionen" wie „wehrfähige Rechtspositionen" und „organschaftliche Rechte" erfaßt 106. Oder man akzeptiert, daß in Ermangelung subjektiver Rechte § 42 Abs. 2 und § 43 Abs. 1 VwGO bei Organstreitverfahren keiner direkten Anwendung zugänglich sind, und weist die Möglichkeit nach, sie in bezug auf ihre Tatbestandsmerkmale „eigenes Recht" bzw. „Rechtsverhältnis" analog auf jene nicht-subjektivrechtlichen Kompetenzen anzuwenden: § 42 Abs. 2 VwGO ist zwar bei anderen als Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen ohnehin nur analog anwendbar, doch dieser Analogieschritt bezieht sich allein auf die Überbrückung des insoweit fehlenden Tatbestandsmerkmals des Verwaltungsakts 107; wenn aber § 42 Abs. 2 VwGO außerdem Anwendung in Fällen finden soll, in denen das Tatbestandsmerkmal „eigenes Recht" fehlt, dann bedarf es eines von dem ersteren gedanklich zu unterscheidenden weiteren Analogieschrittes, der methodisch eigenständig begründet und gerechtfertigt werden muß. Erstere These läßt sich indessen anhand der Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO nicht bestätigen (nachfolgend 3.). Die Analogievariante hingegen setzte, weil ja der Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO vom Rechtsanwender nicht beliebig durch Zuschreibung anderer als subjektiver Rechte erweitert werden darf, aus methodischen Gründen den Nachweis voraus, daß Organe und Organteile in der Tat keine subjektiven Rechte haben können und die gesetzliche Regelung daher in bezug auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten ungewollt lückenhaft ist (dazu unten 4.).

102

Herbert, DÖV 1994, 110; Kingreen, DVB1. 1995, 1339. Herbert, DÖV 1994, 110. 104 Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 148; ders, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. (Lfg. 1996) Rn. 18. 105 Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 78. 106 BVerwG, NVwZ 1993, 884, 885; OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36; Kopp/ Schenke, VwGO, § 42 Rn. 78. 107 Vgl. oben C.IV.l.b. 103

IV. Die Klagebefgnis

307

3. Zur Bedeutung des Begriffs des „Rechts" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben, wenn der Kläger geltend macht, „in seinen Rechten" verletzt zu sein. Außer Zweifel steht, daß damit jedenfalls die subjektiven Rechte gemeint sind, und zwar unbestrittenermaßen die subjektiven öffentlichen Rechte, richtigerweise auch die subjektiven privaten Rechte108. Ob sich der Begriff des „Rechts" im Sinne dieser Vorschrift auf subjektive Rechte beschränkt oder ob er sich nicht darin erschöpft 109 und darüber hinausgehend auch „wehrfähige Rechtspositionen" oder wie immer zu benennende und definierende Organkompetenzen nicht subjektivrechtlicher Natur umfaßt, ist damit noch nicht entschieden, sondern durch Auslegung dieser Vorschrift zu ermitteln.

a) Wortlaut Die Wortlautauslegung des § 42 Abs. 2 VwGO allein fuhrt zwar zu keinem zwingenden Ergebnis, bringt jedoch bereits deutliche Anhaltspunkte. Zwar spricht § 42 Abs. 2 VwGO nicht expressis verbis von „subjektiven Rechten", und insofern kann sprachlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Begriff des „Rechts" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO weiter als der des subjektiven Rechts sein und auch Positionen einschließen könnte, die zwar keine subjektiven Rechte, diesen aber hinreichend ähnlich sind. Andererseits heißt es in § 42 Abs. 2 VwGO nicht, der Kläger müsse geltend machen, „das Recht" oder „ein Recht" sei verletzt, sondern vielmehr wird eine Verletzung des Klägers „in seinen Rechten" gefordert. Durch dieses Possessivpronomen wird eine eindeutige Zuordnung eines Objektes zu einem Subjekt ausgedrückt, eine Subjekt-ObjektBeziehung, die - bei allen Unklarheiten im einzelnen - eben gerade auch den unstreitigen Kern der subjektiven Rechte ausmacht. „Sein" ist, was einem Rechtssubjekt zugeordnet ist, was ihm zusteht, und was in diesem Sinne „subjektiv" ist. Deshalb ist die Gleichsetzung von „in seinen Rechten" gleich „in subjektiven Rechten des Klägers" noch nie in Zweifel gezogen worden, und es ist nicht ersichtlich, weshalb diese Gleichsetzung gerade in Ansehung der Organstreitigkeiten aufgegeben werden sollte. In der allgemeinen juristischen Dogmatik, die das Umfeld und den Hintergrund des gesetzgeberischen Handelns und der Formulierung seiner Gesetze bildet, wird der Begriff „Recht" stets entweder im Sinne von „objektivem Recht" oder von „subjektivem Recht" verstanden; eine dritte Kategorie von

108 109

S. oben C.IV.l.a.bb. OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36.

308

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Recht, das weder objektiver noch subjektiver Natur ist, gibt es nicht. Rechte „organschaftlicher" oder „wehrfähiger" Art, welche mehr sein sollen als bloß objektives Recht und weniger als subjektives Recht, sind in der sonstigen juristischen Dogmatik nirgendwo bekannt, und es ist daher wenig plausibel, daß der Gesetzgeber durch eine nicht näher spezifizierte Verwendung des Rechtsbegriffs in § 42 Abs. 2 VwGO ein solches Recht dritter Art einfuhren wollte. Indem § 42 Abs. 2 VwGO eine Verletzung des Klägers in „seinen" Rechten fordert, schließt er eindeutig eine Rüge der Verletzung bloß objektiven Rechts aus. Damit stellt er ein starkes Indiz dafür dar, daß der Gesetzgeber dann wohl eine Verletzung von Recht der zweiten Art voraussetzen wollte, des subjektiven Rechts also. Selbstverständlich ist der Gesetzgeber weder an herrschende Begrifflichkeiten oder Sprechweisen noch an eingeführte dogmatische Figuren gebunden, sondern er kann seine Begriffe abweichend bilden und neue Institute einführen, beispielsweise also mit „seinen Rechten" nicht nur subjektive Rechte, sondern noch andere Rechtspositionen bezeichnen. Eine solche abweichende Begrifflichkeit ist indessen nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte anzunehmen. Andernfalls ist zu vermuten, daß der Gesetzgeber Begriffe so benutzt, wie es dem überkommenen Verständnis entspricht 110. Daher stellt der Wortlaut des § 42 Abs. 2 VwGO („in seinen Rechten") zwar keinen zwingenden Beweis, wohl aber ein gewichtiges Indiz dafür dar, daß die Klagebefugnis von der Geltendmachung einer Verletzung subjektiver Rechte abhängen soll.

b) Systematik In systematischer Auslegung ist zunächst die Vorschrift des § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO von Interesse. Hiernach ist die Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage dann begründet, wenn der Verwaltungsakt bzw. seine Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig und der Kläger dadurch „in seinen Rechten" verletzt ist. Der Begriff des Rechts im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1 VwGO ist identisch mit dem des § 42 Abs. 2 VwGO 1 1 1 . Die gegenteilige Annahme hätte in der Tat ganz absurde Folgen. Zum einen wäre es sinnlos, wenn der Rechtsbegriff des § 113 VwGO weiter wäre als der des § 42 Abs. 2 VwGO. Denn eine auf der Verletzung eines solchen weiter verstandenen Rechts fußende Klage wäre mangels Klagebefugnis bereits unzulässig, so daß es zu einer Sachentscheidung nach § 113 VwGO gar nicht erst kommen könnte. Und umgekehrt wäre es absurd, wenn der Rechtsbegriff des § 113 VwGO enger wäre als der 1,0

Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 140, 145 f. BVerwGE 104, 170, 176; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 113 Rn. 18; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 9; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 14, 97, § 113 Rn. 7. 111

IV. Die Klagebefgnis

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des § 42 Abs. 2 VwGO. Denn dies bedeutete, daß die infolge der weiter reichenden Klagebefugnis zulässige Klage notwendig in eine Abweisung als unbegründet münden müßte. Allerdings hilft diese Feststellung der Begriffsidentität nur sehr begrenzt weiter. Denn hinsichtlich des Begriffs des „Rechts" in § 113 Abs. 1 und 5 VwGO bestehen dieselben Unklarheiten wie bei § 42 Abs. 2 VwGO. Soweit nicht bei der Erörterung ohnehin auf die zu § 42 Abs. 2 VwGO gemachten Aussagen verwiesen wird 1 1 2 , finden sich in bezug auf § 113 VwGO nämlich ähnliche Formulierungen wie zu § 42 Abs. 2 VwGO 1 1 3 . Soweit indes eigenständige Aussagen zu §113 Abs. 1 und 5 VwGO gemacht werden, herrscht freilich das Verständnis des hierin gebrauchten Rechtsbegriffs als subjektives Recht vor 114 . Nur wenig aufschlußreich ist auch der Vergleich mit § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Durch das 6. VwGOÄndG wurde zwar die Antragsbefugnis natürlicher und juristischer Personen bei der Normenkontrolle „an die Regelung der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) angepaßt" und zur stärkeren Betonung des Individualrechtsschutzes eine Rechtsverletzungsbehauptung als Voraussetzung der Antragsbefugnis postuliert 115 . Da der Gesetzgeber jedoch auch bei § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht näher festgelegt hat, was er unter dem als verletzt geltend zu machenden Recht genau versteht, bleibt der Begriff hier letztlich genauso offen wie in § 42 Abs. 2 VwGO und ist allenfalls noch mit sich aus dem Gegenstand der Normenkontrolle ergebenden zusätzlichen Unsicherheiten behaftet 116. Aufschlußreicher ist dagegen der Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG, wonach der Rechtsweg dem Grundrechtsträger 117 garantiert ist, der durch die öffentliche Gewalt „in seinen Rechten" verletzt ist. Diese Wortlautübereinstimmung ist nicht zufällig. Vielmehr hat der Gesetzgeber § 42 Abs. 2 VwGO („in seinen Rechten verletzt") bewußt in Anlehnung an Art. 19 Abs. 4 GG formuliert 118 .

112 So etwa Eyermann/Fröhler, VwGO, § 113 Rn. 32; Gerhardt, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 9; Koehler, VwGO, § 113 Anm. A III; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 26; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 113 Rn. 7. { ή Vgl. etwa Kopp, VwGO, § 113 Rn. 21 ; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 26. 114 BVerwGE 47, 19, 21 f.; 54, 328, 332. 115 Begründung des Regierungsentwurfs zum 6. VwGOÄndG, BT-Drucks. 13/3993, S. 10; ebenso Begründung des Entwurfs des Bundesrates, BT-Drucks. 13/1433, S. 9. 116 Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §47 (1. EL 1997) Rn. 40 ff. 117 Zu diesem Erfordernis oben B.I.2.a. 118 Schriftlicher Bericht des Bundestagsrechtsausschusses, BT-Drucks. III/l 094, S. 5 (zu § 41 des Entwurfs): Formulierung „ebenso wie im Grundgesetz".

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Deswegen entsprechen die Voraussetzungen der Klagebefugnis gemäß § 4 2 Abs. 2 V w G O nach allgemeiner Ansicht denen des Art. 19 Abs. 4 G G 1 1 9 . Wenn nämlich nach Art. 19 Abs. 4 GG jedem Grundrechtsträger, der sich durch die öffentliche Gewalt „in seinen Rechten verletzt" fühlt, der Rechtsweg offenstehen muß, und wenn gerade die verwaltungsgerichtliche Generalklausel des § 42 Abs. 2 VwGO sofern überhaupt der Verwaltungsrechtweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet ist - das entscheidende Tor zur Verwirklichung dieser Rechtsschutzgarantie ist, so ist davon auszugehen, daß der Begriff des „Rechts" in § 42 Abs. 2 VwGO jedenfalls nicht enger sein soll als der des Art. 19 Abs. 4 GG. Verhielte es sich anders, d.h. gäbe es Fälle, in denen der Kläger zwar eine Verletzung seiner Rechte durch die öffentliche Gewalt geltend machen und damit die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 4 GG dartun kann, ohne zugleich eine Verletzung seiner Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO rügen zu können, so hieße dies ja, daß dann in diesem nicht von § 42 Abs. 2 VwGO erfaßten Bereich die subsidiäre Eröffnung des Zivilrechtsweges nach Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG Platz griffe, was auf eine gänzlich unsachgemäße Rechtswegaufspaltung hinausliefe 120. Daß dies vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Umgekehrt gibt es aber auch keinen Grund, das Tatbestandsmerkmal „in seinen Rechten" bei § 42 Abs. 2 VwGO weiter auszulegen als bei Art. 19 Abs. 4 GG. Gewiß bestünden aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Einwände hiergegen. Denn Art. 19 Abs. 4 GG sichert nur einen Mindeststandard an Rechtsschutzmöglichkeiten und verbietet darüber hinausgehende Klagemöglichkeiten nicht. Andererseits bestehen keine Anzeichen dafür, daß der Gesetzgeber durch § 42 Abs. 2 VwGO Klagen in weiterem Umfange hätte zulassen wollen als von der Verfassung her geboten. Im Gegenteil konnte sich die Bundesregierung mit ihrem ursprünglichen großzügigen Vorschlag, für die Klagebefugnis jede Beschwer genügen zu lassen, gerade nicht gegen Bundestag und Bundesrat durchsetzen121. Der Gesetzgeber wollte, nicht zuletzt im Hinblick auf eine befürchtete zu starke Belastung der Verwaltungsgerichte, eine Beschränkung auf geltend gemachte Rechtsverletzungen. Der mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG insofern identische Wortlaut des § 42 Abs. 2 VwGO („in seinen Rechten verletzt") deutet vor diesem Hintergrund darauf hin, daß der Gesetzgeber zwar nicht weniger tun wollte, als durch Art. 19 Abs. 4 GG geboten, aber eben auch nicht mehr. Der vorgeschlagene Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 G G zur Interpretation des v o m Gesetzgeber absichtlich identisch formulierten und nach dem Gesagten gleich zu verstehenden § 42 Abs. 2 V w G O scheitert i m hiesigen Zusammenhang übrigens nicht daran, daß sich Träger öffentlicher Gewalt und ihre Organe i m allgemeinen nicht auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 G G berufen können und diese insofern für Organstreitigkeiten keine unmittelbare Bedeutung besitzt 1 2 2 . Art. 19 Abs. 4 G G erlangt nämlich über den „ U m w e g " des Bürgers eine quasi mittelbare Bedeutung für Organstreitigkeiten: Die Auslegung des § 42 Abs. 2 V w G O kann, soweit Grundrechtsträger betroffen sind, 119 Vgl. BVerfGE 83, 182, 196. Auch zu den Vorgängernormen des §42 Abs. 2 VwGO unter den VGG wurde schon angenommen, daß deren Generalklauseln mit Art. 19 Abs. 4 GG übereinstimmten, vgl. BFH, JZ 1951, 596 f. 120 Vgl. Loening, SJZ 1950, Sp. 262; Pabst, DÖV 1951, 287 f.; Ule, DV 1950, 42. 121 S. unten C.IV.3.d. 122 S. oben B.I.2.a.

IV. Die Klagebefgnis

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nicht ohne Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 GG erfolgen. Zwar wäre der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht gehindert, die Klagebefugnis von Trägern öffentlicher Gewalt restriktiver auszugestalten als die von Art. 19 Abs. 4 GG vorgezeichnete Klagebefugnis des Bürgers. Indessen fehlt doch jeder Hinweis auf eine solche Differenzierung und ist nicht ersichtlich, daß das Tatbestandsmerkmal „Recht" in § 42 Abs. 2 VwGO je nach dem Charakter des Klägers (Privater oder Träger öffentlicher Gewalt) einen anderen Sinn haben sollte. Die Voraussetzung, der Kläger müsse eine Verletzung „seiner Rechte" geltend machen, ist vielmehr begrifflich unabhängig von der Wesensnatur des Klägers zu verstehen. In Abwesenheit gegenteiliger Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, daß der in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG bei § 42 Abs. 2 VwGO zugrunde zu legende Begriff des „Rechts" für letztere Vorschrift einheitlich gilt, d.h. bei der Prüfung der Klagebefugnis von Trägern öffentlicher Gewalt und ihrer Organe in derselben Weise heranzuziehen ist wie bei Bürgern. Dieser Schluß drängt sich um so mehr deshalb auf, weil ja Art. 19 Abs. 4 GG immerhin für gewisse Träger öffentlicher Gewalt unmittelbar Geltung beansprucht, soweit sie sich nämlich ausnahmsweise auf Grundrechte berufen können 123 , namentlich also Universitäten und Rundfunkanstalten. In bezug auf diese ist daher § 42 Abs. 2 VwGO schon aus verfassungsrechtlichen Gründen in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG so auszulegen, daß der der verfassungsrechtlichen Generalklausel zugrunde liegende Rechtsbegriff auch für die verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis maßgeblich sein muß. Dann wäre es aber in bezug auf die anderen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts noch unplausibler, § 42 Abs. 2 VwGO abweichend auslegen zu wollen. Aus diesen Gründen schlägt die an Art. 19 Abs. 4 GG zu orientierende Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO notwendig auf seine Anwendung bei Organstreitigkeiten durch. Der dargelegte Bedeutungsgleichklang von § 42 Abs. 2 VwGO und Art. 19 Abs. 4 GG beseitigt freilich nicht sämtliche Unklarheiten. Denn auch bei Art. 19 Abs. 4 GG konnte ein gewisser Streit über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in seinen Rechten" nicht ausbleiben, worin sich wiederum die Umstrittenheit der Auslegung seiner Normvorläufer widerspiegelt 124. Nach der engsten Auffassung sollte sich Art. 19 Abs. 4 GG - entsprechend gewissen in diese Richtung deutenden Äußerungen im Verfassungsgebungsverfahren - nur auf als verletzt gerügte Grundrechte beziehen; dem steht aber bereits sein

123

Vgl. hierzu oben B.I.2.a. Zu den Normvorbildern des Art. 19 Abs. 4 GG und deren Auslegung Klein, VVDStRL 8 (1950), 113 f. 124

312

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Wortlaut entgegen, der im Unterschied zu den vorhergehenden Absätzen eben nicht von „Grundrechten" spricht, sondern allgemeiner von „Rechten" 125 . Eine in der Frühzeit des Grundgesetzes vielfach vertretene weiteste Auffassung wollte demgegenüber alle rechtlich geschützten Interessen in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG einbeziehen, sowie sogar, je nach dem Zweck der betroffenen Rechtsnorm, bloße Reflexrechte oder Rechtsreflexe 126. Zumal der letztere Punkt der Einbeziehung bloßer Rechtsreflexe in den Rechtsbegriff widerspricht indessen klar den geläufigen dogmatischen Vorstellungen über eingriffsfähige Rechte127, so daß nicht angenommen werden kann, der Verfassungsgeber habe eine solche Ausweitung intendiert. Einzuwenden ist zudem, daß diese Auffassung von einem offenbar zu engen Vorstellung eines „subjektiven öffentlichen Rechtes im technisch-spezifischen Sinne" 128 ausgeht - freilich ohne dies näher zu erläutern - , und insofern bei einem richtigen weiten Verständnis des subjektiven Rechts ihre Basis verliert 129 . Nach ganz herrschender Meinung ist eine solche extensive Interpretation des Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls ausgeschlossen: „Es genügt weder die Verletzung nur wirtschaftlicher Interessen noch die Verletzung von Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit begünstigt wird, die also reine Reflexwirkungen haben" 130 . Erforderlich ist vielmehr „eine im Interesse des einzelnen gewährte Rechtsposition"131, so daß der Begriff des Rechts im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG als subjektives (öffentliches oder privates) Recht verstanden wird 1 3 2 . Nachdem sich dieses Verständnis spätestens bis zum Erlaß der VwGO im Jahre 1960 als herrschend durchgesetzt hatte, spricht vieles dafür, daß der Gesetzgeber, wenn er § 42 Abs. 2 VwGO wortlautidentisch formulierte, auch in dieser Vorschrift auf die geltend gemachte Verletzung subjektiver Rechte abstellen wollte.

125 Klein, VVDStRL 8 (1950), 112; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 59; Krüger, in Sachs, GG, Art. 19 Rn. 127; Pabst, DÖV 1951, 286; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 286; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 43. 126 Giese, GG, Art. 19 Anm. 8; Klein, VVDStRL 8 (1950), 115, 125; Loening, SJZ 1950, Sp. 261; v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 19 Anm. V I I 3 d, e; Pabst, DÖV 1951, 286 f. 127 Vgl. Giese/Schunck, GG, Art. 19 Anm. 8. 128 Klein, VVDStRL 8 (1950), 115. 129 Vgl. Bachof, DRZ 1950, 344. 130 BVerfGE 31, 33, 39 f.; 83, 182, 194. 131 BVerfGE 27, 297, 305; 83, 182, 194. 132 BVerfGE 27, 297, 305; 83, 182, 195; StGH BW, VB1BW 1997, 338; Bachof, DRZ 1950, 344; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 190 f.; Krebs, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 19 Rn. 59; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 286; SchmidtAßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 116; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 43.

IV. Die Klagebefgnis

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c) Entwicklungsgeschichte Die Formulierung des § 42 Abs. 2 VwGO, der Kläger müsse eine Verletzung „in seinen Rechten" geltend machen, geht auf das Vorbild in seinen Vorläufernormen zurück, die allesamt eine solche Klagevoraussetzung kannten. So konnte schon nach § 127 Abs. 3 Nr. 1 PrLVG die Klage nur darauf gestützt werden, daß der Kläger „in seinen Rechten" verletzt sei. Eine identische Regelung traf in der britischen Besatzungszone § 23 Abs. 1 S. 1 MRVO Nr. 165 133 für die Anfechtungsklage. Eine sachlich gleiche, aber in der Formulierung teilweise abweichende Regelung fand sich in den Verwaltungsgerichtsgesetzen der amerikanischen Zone 134 . Danach setzte die Klagebefugnis allgemein voraus, daß der Kläger „ein ihm zustehendes Recht" geltend machen oder „eine ihm angesonnene Verbindlichkeit" 135 bestreiten mußte (§ 23 S. 1 VGG). Nach ausdrücklicher Bestimmung in § 23 S. 2 VGG standen dabei die Zugehörigkeit zu einem öffentlichen Verbände und die persönliche Rechtsstellung „einem Rechte gleich". Für die Klagebefugnis bei der Anfechtungsklage wurde diese allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung in § 35 Abs. 1 VVG wiederholt 136 und die Behauptung des Klägers vorausgesetzt, „in einem ihm zustehenden Rechte" (VGG Württemberg-Baden, VGG Bremen, VGG Baden-Württemberg) bzw. „in seinen Rechten" (VGG Bayern, VGG Hessen) verletzt zu sein. Schließlich bestimmte auch § 15 Abs. 1 BVerwGG, daß die Anfechtungsklage nur zulässig sei, wenn der Kläger behaupte, „in seinen Rechten" verletzt zu sein. Allerdings bestand bereits in bezug auf diese Vorschriften Streit über die Bedeutung der jeweils geforderten Verletzung des Klägers „in seinen Rechten" bzw. „in ihm zustehenden Rechten" als Voraussetzung der Klagebefugnis. So wurde nämlich schon zu § 127 Abs. 3 Nr. 1 PrLVG das Recht, das als verletzt zu rügen war, allgemein im Sinne von „Rechtssphäre" verstanden 137 und ausgeführt, „die Worte 'in seinen Rechten verletzt' bedeuten nicht Verletzung von 'subjektiven' oder gar 'wohlerworbenen' Rechten, sondern nur, daß 'irgendwie gerade in den vom Rechte anerkannten Lebenskreis des klagenden Individuums eingegriffen' worden sei" 138 . Ähnlich wurde die Gesetzeslage nach den Verwaltungsgerichtsgesetzen der Nachkriegszeit beurteilt. Ganz überwiegend wurde

133

Zur Entstehung der MRVO Nr. 165 W. Jellinek, DRZ 1948, 470. Zur Entstehung der VGG W. Jellinek, DRZ 1948, 269 f. 135 Diese zweite Tatbestandsalternative stellte einen Unterfall der ersten dar, da die Auferlegung einer nicht geschuldeten Verbindlichkeit immer eine Rechtsverletzung darstellt, Bühler, AöR 74 (1948), 369; W. Jellinek, DRZ 1948, 272; Klein, VVDStRL 8 (1950), 117; a.A. VGH Stuttgart, AöR 74 (1948), 365. 136 Eyermann/Fröhler, VGG, § 35 Anm. I 1. 137 PrOVGE 38, 376, 378. 138 Berner, in v. Brauchitsch, Die Preußischen Verwaltungsgesetze, 1. Band, §§ 127, 128 LVG Anm. 4 b. 134

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

die Gesetzesformulierung in §23 S. 1, §35 Abs. 1 VGG, §23 Abs. 1 S. 1 MRVO Nr. 165 und § 15 Abs. 1 BVerwGG in Einklang mit der bereits zu § 127 Abs. 3 Nr. 1 PrLVG vertretenen Auffassung nicht als eine Beschränkung der Klagebefugnis auf Fälle einer geltend gemachten Verletzung subjektiver Rechte verstanden, sondern jede gerügte Verletzung der „Rechtssphäre" oder „rechtlich geschützter Interessen" einbezogen139. Der Begriff des „Rechts" im Sinne dieser Vorschriften sollte danach zwar „in erster Linie subjektive Rechte" umfassen, sich jedoch nicht darin erschöpfen, sondern „auch von der Rechtsordnung als schutzwürdig angesehene Interessen" einschließen, „ohne daß sie bereits die Gestalt voll ausgebildeter subjektiver Rechte angenommen hätten" 140 . Zwar wurde von namhaften Stimmen auch die restriktivere Ansicht vertreten, unter einem dem Kläger „zustehenden Recht" im Sinne des § 23 S. 1 VGG sei ebenso wie in § 35 Abs. 1 VGG („in seinen Rechten") lediglich das subjektive (öffentliche) Recht zu verstehen 141. Und auch zu § 23 Abs. 1 S. 1 MRVO Nr. 165 142 sowie zu § 15 Abs. 1 BVerwGG wurde gesagt, eine Verletzung des Klägers „in seinen Rechten" liege nur vor, wenn „ein subjektives (öffentliches oder privates) Recht" verletzt sei 143 . Indessen wurden solche Stellungnahmen zumeist mit der Feststellung verbunden, der Begriff des subjektiven Rechts sei im Wandel begriffen und keineswegs eindeutig geklärt 144 . Zudem wurde bei einer Beschränkung des Begriffs des „eigenen Rechts" auf subjektive Rechte dieses subjektive Recht ohnehin sehr weit im Sinne der gesamten „Rechtssphäre" verstanden 145 bzw. eine Aufgabe der Verwaltungsgerichte postuliert, „durch Auslegung der einzelnen Rechtsvorschriften den Katalog der subjektiven öffentlichen Rechte auszubauen und zu vermehren" 146. Bei dieser Vorgeschichte kann es nicht überraschen, daß sich die nämliche Diskussion bei § 42 Abs. 2 VwGO fortsetzte, nachdem dieser in gleicher Weise wie seine direkten Normvorgänger zu verstehen ist 147 . Auf den ersten Blick scheint die historische Entwicklung dafür zu sprechen, § 42 Abs. 2 VwGO nicht 139

Vgl. BVerwGE 7, 237 f.; VGH Kassel, ESVGH 1, 101, 103; VGH Stuttgart, DRZ 1947, 345, 346; AöR 74 (1948), 362, 364; Eyermann/Fröhler, VGG, § 23 Anm. 1 b; Gehring, DÖV 1954, 335 f.; van Husen, VGG, § 23 Anm. 2; Klinger, MRVO Nr. 165, § 23 Anm. Β 2 b; van de Sandt, MRVO Nr. 165, § 23 Anm. 1; Schunck/De Clerck, BVerwGG, § 15 Anm. 2 c; Witten, DV 1949, 341. 140 BVerwGE 7, 237 f. 141 HufnagU Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 131; W. Jellinek, DRZ 1948, 272. 142 Lehmann, DV 1948, 134 f.; W. Jellinek, DRZ 1948, 471 f. 143 Ule, BVerwGG, § 15 Anm. I 3 a. 144 HufnagU Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 131; Ule, BVerwGG, § 15 Anm. I 3 a. 145 Ule,, BVerwGG, § 15 Anm. II 1 und 2. 146 Hufnagl, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 163. 147 Vgl. BVerwGE 18, 154, 157 in bezug auf § 35 Abs. 1 BVerwGG und § 42 Abs. 2 VwGO.

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auf subjektive Rechte zu beschränken, sondern - wie zu seinen Vorgängern überwiegend vertreten - weitere Rechtspositionen als rügefähig einzubeziehen 148 . Indessen würde eine solche Annahme einen wichtigen Punkt übersehen. Die frühere Auffassung, die zur Bejahung der Klagebefugnis erforderliche Geltendmachung der Verletzung „eigener Rechte" beziehe sich nicht nur auf subjektive Rechte, sondern darüber hinaus auch auf „rechtlich geschützte Interessen", die keine subjektiven Rechte seien, beruhte auf einem sehr engen Verständnis des subjektiven Rechts. Dies zeigt sich bereits daran, daß diesbezüglich immer wieder Formulierungen wie „eigentliche" subjektive Rechte149, „rechtstechnischer Begriff' des subjektiven Rechts150, „echte" subjektive Rechte 151 , subjektive Rechte „im technisch-spezifischen Sinne" bzw. „im prägnanten Sinne" 152 gebraucht wurden. Obgleich nicht näher erläutert wurde, was mit diesen besonderen Qualifikationen gemeint sei und worin der Unterschied zu subjektiven Rechten im dann wohl „uneigentlichen", „untechnischen" oder „unspezifischen" Sinne liegen soll, wiesen derartige Formulierungen doch deutlich auf ein enges Verständnis des subjektiven Rechts hin. Näher erhellt dies, wenn man eine gängige Definition berücksichtigt, wonach ein subjektives (öffentliches) Recht dann angenommen wurde, wenn der Staatsbürger auf Grund des Gesetzes gegenüber der öffentlichen Gewalt „das Recht hat, die Anwendung bestimmter öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu seinen Gunsten zu verlangen ... oder aber die öffentliche Gewalt verpflichtet ist, ein bestimmtes Verhalten des Staatsbürgers zu dulden" 153 . Im Ergebnis wurde mithin das subjektive (öffentliche) Recht als Anspruch verstanden 154. Eben dieses überwiegend vertretene enge Verständnis des subjektiven Rechts erklärt dann auch, weshalb der Gesetzgeber Anlaß sah, in § 23 S. 2 VGG ausdrücklich zu bestimmen, daß die „Zugehörigkeit zu einem öffentlichen Verbände und die persönliche Rechtsstellung" - letzteres sollte insbesondere das Recht auf Leben, körperliche Integrität, Gesundheit, Ehre, die Staatsangehörigkeit etc. erfassen 155 - ebenfalls als rügefähige Rechte im Sinne des § 23 S. 1 VGG anzusehen seien: Angesichts des unklaren und vielfach eng verstandenen Begriffs des subjektiven 148

Koehler, VwGO, § 42 Anm. C IV 4. Loening, SJZ 1950, Sp. 261. 150 Loening, SJZ 1950, Sp. 262. 151 Giese, GG, Art. 19 Anm. 8. 152 Klein,, VVDStRL 8 (1950), 114 f.; femer Pabst, DÖV 1951, 286. 153 Lehmann,, DV 1948, 134; zustimmend Klinger, MRVO Nr. 165, § 23 Anm. Β 2 a; van de Sandt, MRVO Nr. 165, § 23 Anm. 1. 154 Vgl. OVG Hamburg, DV 1948, 69, 70; VGH Kassel, ESVGH 1, 101, 103, VGH Stuttgart, DRZ 1948, 345, 346; Eyermann/Fröhler, VGG, § 15 Anm. 1 b, Anhang zu § 35 Anm. V 3; Gehring, DÖV 1954, 332, 335; Hufnagl, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 130 f., 162; van Husen, VGG, § 15 Anm. 2; Koehler, VwGO, § 42 Anm. C IV 6 a; Witten, DV 1949, 340 f.; femer Fleiner, Institutionen, S. 174, 177. 155 Eyermann/Fröhler, VGG, § 15 Anm. 2 b; van Husen, VGG, § 15 Anm. 5. 149

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Rechts hätten sonst Mißverständnisse entstehen können, die dem Streben des Gesetzgebers auf Sicherung des Rechtsschutzes zuwiderlaufen hätten können 156 . Da es in der Tat nicht überzeugend gewesen wäre, die Klagebefugnis auf die Geltendmachung einer Verletzung von (öffentlich-rechtlichen) Ansprüchen zu beschränken, kam man nicht an der Annahme vorbei, „daß eine Erweiterung des Verwaltungsrechtsschutzes in dem Sinn eingetreten ist, daß er sich nicht mehr auf die subjektiven Rechte in dem bisherigen Sinn beschränkt, sondern ... auf die gesamte Rechtssphäre des Betroffenen ausgedehnt ist" 1 5 7 . Die Einwände, die schon seinerzeit gegen eine Beschränkung des subjektiven Rechtsbegriffs auf Ansprüche sprachen, brauchen hier nicht dargestellt zu werden 158 . Denn jedenfalls kommt eine korrekte historische Interpretation nicht an der Feststellung vorbei, daß die Rechtsordnung seit damals „tiefgreifende Wandlungen" erfahren hat, aufgrund derer nicht nur vieles, was früher als lediglich objektivrechtliches Gebot verstanden wurde, heute als subjektives Recht angesehen wird 1 5 9 , sondern überhaupt die zwischenzeitliche rechtsdogmatische Entwicklung über ein solch enges Verständnis subjektiver Rechte hinausgegangen ist. In der Tat werden nämlich heute zahlreiche früher bloß als „rechtlich geschützte Interessen" titulierte Rechtspositionen ohne Bedenken als subjektive Rechte bezeichnet160. Namentlich „Rechtspositionen" wie das Recht auf Leben, körperliche Unversehrheit usw., deren Einbeziehung unter den seinerzeitigen sehr engen subjektiven Rechtsbegriff so zweifelhaft erschien, daß sich der Gesetzgeber des VGG zu einer ausdrücklichen Klarstellung veranlaßt sah, werden heute ohne Zögern als subjektive Rechte angesehen, ja in ihrer grundrechtlichen Statuierung sogar als Musterbeispiele subjektiver Rechte verstanden. Ferner wurde das heute als formelles subjektives Recht anerkannte Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung seinerzeit nicht als subjektives Recht verstanden, weshalb das BVerwG beispielsweise genötigt war, die Klagebefugnis gegenüber der behördlichen Verweigerung einer Ermessenseinbürgerung nicht auf die geltend gemachte Verletzung eines subjektiven Rechts, sondern auf die Beein156

Vgl. van Husen, VGG, § 15 Anm. 5. VGH Stuttgart, DRZ 1947, 345, 346; vgl. ferner VGH Stuttgart, SJZ 1947, Sp. 390 f.; grundsätzlich zustimmend Witten, DV 1949, 341. 158 Zur Entwicklung des Begriffs des subjektiven Rechts sowie dazu, daß dieser in der allgemeinen Dogmatik des materiellen Rechts nicht allein auf Ansprüche bezogen wurde, ausfuhrlich unten D.I. 159 Vgl. Ule, BVerwGG, § 15 Anm. I 3 a; ferner Hufnagl, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 163; zu dieser Möglichkeit bereits Fleiner, Institutionen, S. 173. 160 Vgl. z.B. in bezug auf den Gemeingebrauch als subjektives Recht VGH Mannheim, VB1BW 1992, 475; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 106, gegenüber VGH Kassel, ES VGH 1, 101, 103; Klinger, MRVO Nr. 165, § 23 Anm. Β 2 a; van de Sandt, MRVO Nr. 165, § 23 Anm. 1; vgl. ferner OVG Hamburg, DV 1948, 69, 70; DÖV 1955, 151 f. - Zu weiteren Beispielen vormals nicht als „subjektive Rechte" verstandenen „rechtlich geschützten Interessen" vgl. Koehler, VwGO, § 42 Anm. C IV 6. 157

IV. Die Klagebefgnis

317

trächtigung sonstiger „schutzwürdiger Interessen" des Antragstellers zu stützen 161 . Solange das subjektive Recht in einem engen Sinn als Anspruch verstanden wurde, war eine Ausweitung der Klagebefugnis auf andere „rechtlich geschützte Interessen" unabdingbar und folgerichtig, um zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen und um - wie die ausdrückliche Einbeziehung von Statusrechten und der persönlichen Rechtsstellung in die Klagebefugnis durch § 23 S. 2 VGG beweist - auch vom Gesetzgeber nicht gewollte Rechtsschutzlücken zu vermeiden. Mit der zwischenzeitlich erfolgten Ausweitung bereits des subjektiven Rechtsbegriffs auf solche Statusrechte ist hingegen die innere Rechtfertigung fur eine noch weiter gehende Ausweitung des Begriffs des „Rechts" im Rahmen der Klagebefugnis über subjektive Rechte hinaus auf nicht subjektivrechtliche Rechtspositionen entfallen. Infolge der zwischenzeitlichen Erweiterung des materiellen Begriffs des subjektiven Rechts ist also der Schluß unstatthaft, daß, weil unter den Vorgängern des § 42 Abs. 2 VwGO die Klagebefugnis über subjektive Rechte hinausreichte, nun auch unter § 42 Abs. 2 VwGO eine solche Erweiterung der Klagebefugnis Platz greifen müsse. Im Gegenteil deutet die historisch dargelegte Reziprozität zwischen der „Enge" des subjektiven Rechtsbegriffs und der - hieran gemessen - „Weite" der Klagebefugnis eher dahin, die heutige „Weite" des subjektiven Rechtsbegriffs mit einer auf diesen beschränkten Klagebefugnis zu paaren. Wird der in der Ausweitung des subjektiven Rechtsbegriffs bestehenden allgemeinen dogmatischen Entwicklung bei der Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO Rechnung getragen, so bedarf es neben einem sinnvoll weit verstandenen Begriff des subjektiven Rechts keiner Einbeziehung sonstiger Rechtspositionen in den Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO (mehr), um zu überzeugenden Ergebnissen bei der Klagebefugnis zu kommen.

d) Entstehung des § 42 Abs. 2 VwGO Die Entstehung des § 42 Abs. 2 VwGO war geprägt durch die bei seinen Normvorläufern bestehenden Unklarheiten über die Reichweite der vorauszusetzenden Klagebefugnis. Während der Regierungsentwurf zur VwGO zunächst eine sehr großzügige Regelung vorsah, wonach der Kläger lediglich behaupten mußte, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung „beschwert" zu sein 162 , favorisierte der Bundesrat - nicht zuletzt mit Blick auf eine befürchtete Überlastung der Verwaltungsgerichte im Falle einer derart weit ge-

161 162

Vgl. BVerwGE 7, 237 f. § 41 des Entwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks, III/55, S. 7.

318

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

faßten Klagebefugnis 163 - das an die bestehenden Verwaltungsgerichtsgesetze anknüpfende Erfordernis einer geltend zu machenden Rechtsverletzung 164. Der Rechtsausschuß des Bundestages schloß sich - und zwar auch im Hinblick auf die Formulierung des Art. 19 Abs. 4 GG - dieser Ansicht an, daß „deutlicher als in der Regierungsvorlage und ebenso wie im Grundgesetz zum Ausdruck gebracht werden müsse, daß eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nur bei Rechtsverletzungen zulässig sei" 165 . Die dementsprechend durch den Rechtsausschuß gegenüber dem Regierungsentwurf geänderte Formulierung 166 wurde sodann als § 42 Abs. 2 VwGO unverändert Gesetz. Bemerkenswert ist, daß die Bundesregierung ihren ursprünglichen Entwurf im Laufe der Beratungen damit begründete, mit dem neutraleren Ausdruck der Beschwer habe der unter der bisherigen Rechtslage bestehenden Unsicherheit begegnet werden sollen, ob die Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts behauptet werden müsse oder ob der Kläger „in seinen Rechten" bereits dann verletzt sei, wenn die Behörde bei dem Erlaß des Verwaltungsakts das Recht objektiv verletzt und auf den Kläger falsch angewendet habe; die Übernahme der „Formulierung der bisherigen VGG lasse befurchten, daß die Rechtsprechung wieder zu der Voraussetzung der Verletzung subjektiv öffentlicher Rechte zurückkehre und daß damit eine Entwicklung gehemmt werde, die kurz vor einem erfolgreichen Abschluß stehe" 167 . Ob und inwieweit die Position der Bundesregierung hinsichtlich der Erstreckung der Klagebefugnis auf jede Beschwer rechtspolitisch überzeugte, kann hier dahinstehen, da sie sich nicht durchsetzte. Es ist aber erhellend, daß die Bundesregierung die vom Bundesrat vorgeschlagene Formulierung, wonach die Klagebefugnis an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung geknüpft sein sollte, gerade deswegen ablehnte, weil es diese im Sinne einer Verletzung „subjektiv öffentlicher Rechte" interpretierte und eine solche Einschränkung nicht fur wünschenswert hielt. Dadurch, daß der Gesetzgeber diese Bedenken nicht geteilt und § 42 Abs. 2 VwGO gerade in Anlehnung an §§23, 35 Abs. 1 VGG formuliert hat, hat er sich zwar noch nicht notwendig eben diese Interpretation der Bundesregierung zu eigen gemacht und also nicht den Rechtsbegriff des § 42 Abs. 2 VwGO auf das subjektive Recht festgelegt. Immerhin aber läßt sich der Zurückweisung der Bedenken der Bundesregierung entnehmen, daß von Seiten des Gesetzgebers keine grundsätzlichen Einwände gegen ein solches Verständnis bestehen, während eine zu großzügige Handhabung jedenfalls nicht gewollt ist. Bezeichnen163

Vgl. Koehler, VwGO, § 42 Anm. C I 5 b. § 41 des Entwurfs des Bundesrates, BT-Drucks. III/55, S. 70. 165 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. III/1094, S. 5 (zu § 41 des Entwurfs). 166 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. III/1094, S. 30 (zu § 41 des Entwurfs). 167 Zitiert nach Koehler, VwGO, § 42 Anm. C I 5 b. 164

IV. Die Klagebefgnis

319

derweise haben weder der Bundesrat noch der Rechtsausschuß des Bundestages die von der Bundesregierung vorgebrachten Bedenken gegen die enge Fassung des § 42 Abs. 2 VwGO („in seinen Rechten verletzt") mit der Entgegnung auszuräumen versucht, daß die Interpretation der Bundesregierung („Verletzung subjektiv öffentlicher Rechte") unzutreffend eng sei; sondern vielmehr haben sie die rechtspolitische Entscheidung durchgesetzt, daß eben gerade eine restriktive Fassung der Klagebefugnis zur Entlastung der Verwaltungsgerichte vonnöten sei. Der Entstehungsgeschichte des § 42 Abs. 2 VwGO sind daher unmittelbar zwar keine Anhaltspunkte hinsichtlich der unter der Geltung seiner Vorgängernormen umstrittenen Frage eines engen oder weiten Verständnisses des subjektiven Rechts zu entnehmen. Wohl aber enthält sie in Gestalt der Zurückweisung der Bedenken der Bundesregierung deutliche Hinweise darauf, daß der Gesetzgeber die Klagebefugnis an die Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte knüpfen wollte. Daß der sich in den Materialien findende Ausdruck „Rechtsverletzungen" in einem anderen als dem herkömmlichen Sinn einer Verletzung subjektiver Rechte zu verstehen sein sollte, ist jedenfalls nicht ersichtlich.

e) Zweck der Klagebefugnis Mit § 42 Abs. 2 VwGO verfolgt der Gesetzgeber, wie schon ausgeführt 168, den Doppelzweck des Ausschlusses sowohl der Popular- wie der Interessentenklage. Diesem Gesetzeszweck lassen sich keine eindeutigen Vorgaben fur die Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO in bezug auf die hier interessierende Frage entnehmen, ob der Begriff des „Rechts" in einem weiten oder einem auf subjektive Rechte bezogenen engen Sinn zu verstehen ist. Zwar ist evident, daß ein Verständnis des „Rechts" als subjektives Recht die mit § 42 Abs. 2 VwGO verfolgten Zwecke erfüllt. Doch dies gilt ebenso für eine Auslegung, die „wehrfähige Rechtspositionen" oder „organschaftliche Rechte" unter § 42 Abs. 2 VwGO fassen würde 169 . Denn hierdurch würden gleichfalls Popular- und Interessentenklagen ausgeschlossen, weil diese Verständnismöglichkeiten gleichfalls sowohl einen individuellen Bezug gerade zum Kläger als auch eine Verankerung und Anerkennung im Recht voraussetzen und dadurch eine Klage Dritter oder des bloß in seinen Interessen Beeinträchtigten verhindern. Damit würde zwar - immer angenommen, derartige Rechtspositionen wären überhaupt etwas anderes als subjektive Rechte - die Klagebefugnis weiter gefaßt, als wenn sie strikt auf subjektive Rechte beschränkt bliebe. Bei einer sachgerechten Handha168 169

S. oben C.IV.l.a.aa. Darauf weist OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36 mit Recht hin.

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

bung „wehrfähiger Rechtspositionen" etc. wäre aber gleichwohl eine Aushöhlung der Sachentscheidungsvoraussetzung der Klagebefugnis oder eine übermäßige Belastung der Gerichte nicht zu befürchten. Von daher wäre es mit dem telos des § 42 Abs. 2 VwGO vereinbar, über die eindeutig erfaßten subjektiven Rechte hinaus noch weitere Rechtspositionen oder „wehrfähige Rechte" in seinen Anwendungsbereich einzubeziehen. Aus dieser Feststellung folgt aber freilich keineswegs, daß eine solche Erweiterung des Ausdrucks „in seinen Rechten" teleologisch geboten oder auch nur erlaubt wäre. Insoweit nämlich konkretere Anhaltspunkte fehlen, muß sich die teleologische Interpretation des § 42 Abs. 2 VwGO und des hierin gebrauchten Begriffs des „Rechts" nach allgemeinen Kriterien richten 170 , und in diesem Rahmen sind die Prinzipien der Einheitlichkeit der Rechtsordnung sowie die Erfordernisse möglichster dogmatischer Klarheit und Einfachheit von besonderer Bedeutung171. Solange es nicht zur Vermeidung unsinniger oder unbilliger respektive zur Erzielung überzeugender und gerechter Ergebnisse erforderlich ist, sollten deshalb keine begrifflichen Kategorien neu eingeführt werden, sondern vielmehr zuvor die bestehenden und eingeführten Rechtsbegriffe, -kategorien und -institute auf ihre Tauglichkeit zur Lösung der anstehenden Problematik geprüft werden. Im vorliegenden Kontext bedeutet dies: Wenn subjektive Rechte nach allgemeiner Ansicht unter den Begriff des Rechts im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO fallen, so dürfen nicht ohne Not neue Kategorien von „Rechten" oder „Rechtspositionen" eingeführt werden, die zwar keine subjektiven Rechte sind, aber dennoch wie diese die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllen sollen. Die Einführung neuer und abweichender Begriffe bringt stets eine nicht unerhebliche Rechtsungewißheit mit sich und impliziert zumal dann, wenn sie genau dieselbe Funktion wie ein geläufiger Begriff haben sollen, notwendig dogmatische Komplikationen. Ohne Ermittlung der genauen Bedeutung der Aussage, § 42 Abs. 2 VwGO erfordere die Geltendmachung einer Verletzung „subjektiver Rechte", und ohne einen darauf aufbauenden Nachweis, daß die Organstreitigkeiten mit Hilfe dieses subjektiven Rechtsbegriffs nicht sinnvoll in den Griff zu bekommen sind, dürfen abweichende Kategorien wie beispielsweise „wehrfähige Rechtspositionen" aus allgemeinen methodischen Gründen nicht in den Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO einbezogen werden. Gewiß ist das subjektive Recht, wie Bühler bemerkt hat, ein dogmatisch „heikler" Begriff, der in der praktischen Durchführung große Schwierigkeiten bereitet, „weil sie eine Durchbildung des materiellen öffentlichen Rechts, eine 170

Vgl. hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 181 ff. Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 317 ff. Zum Einfachheitsbegriff aus erkenntnistheoretischer Sicht Popper, Logik der Forschung, S. 97 ff. 171

IV. Die Klagebefgnis

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Klarheit der einschlägigen Normen und auch eine dogmatische Schulung in ihrer Anwendung voraussetzt, die vielfach eben nicht erreicht ist" 1 7 2 . Dies ändert indessen nichts daran, daß der Gesetzgeber allem Anschein nach und allen Unklarheiten zum Trotz bei der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO an diesen seit langem eingeführten Begriff anknüpfen wollte. Zwar hätte er, um die Schwierigkeiten bei der Identifizierung und Abgrenzung von subjektiven Rechten zu vermeiden, die Klagebefugnis weiter fassen können; eben dies war ja der Hintergrund des im Regierungsentwurf zur VwGO enthaltenen Vorschlags, für die Klagebefugnis schon das Vorliegen einer „Beschwer" genügen zu lassen173. Indessen hat sich der Gesetzgeber nun einmal für ein Individualrechtsschutzsystem entschieden, in welchem das subjektive Recht die maßgebliche Scheidegrenze ausmacht. Ob die Klagebefugnis über die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung hinausreichen sollte, läßt sich daher allenfalls de lege ferenda diskutieren, nicht aber nach dem geltenden Recht, und selbst für die rechtspolitische Diskussion sind die Würfel auf absehbare Zeit gefallen, nachdem der Gesetzgeber im Hinblick auf die Belastung und Funktionsfähigkeit der Gerichte künftig schwerlich eine Ausweitung der Klagebefugnis in Betracht ziehen wird, er ja sogar die bislang weiter reichende Antragsbefugnis bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle auf die Rüge einer Rechtsverletzung zurückgeführt hat 174 . Die dem Interpreten und Rechtsanwender damit gestellte Aufgabe, im Wege der Auslegung im Einzelfall über das Bestehen oder Nichtbestehen eines subjektiven Rechts zu entscheiden, kann man sich deshalb nicht dadurch entziehen, daß man neben die subjektiven Rechte, deren behauptete Verletzung nach allen Auffassungen die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO begründet, einfach noch „wehrfähige Rechtspositionen" oder ähnliche Kategorien setzt und behauptet, diesen käme für die Zwecke des § 42 Abs. 2 VwGO dieselbe Bedeutung wie dem subjektiven Recht zu. Abgesehen davon, daß mit einer solchen Ausweitung der Klagebefugnis über die geltend zu machende Verletzung subjektiver Rechte hinaus der Wille des Gesetzgebers verfälscht wird, ist damit für die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nichts gewonnen. Denn Begriffe wie „organschaftliche Rechte" oder „wehrfähige Rechtspositionen" sind keineswegs weniger unbestimmt als der unbestimmte Rechtsbegriff des „subjektiven Rechts" 175 . Zudem wären, wenn die Klagebefugnis nicht ausufern oder in nicht mehr hinnehmbarer Weise über das vom Gesetzgeber Gewollte hinausgehen soll, auch unter Zugrundelegung dieser Kriterien für den Rechtsanwender

172

Bühler, AöR 74 (1948), 369; vgl. ferner Loening, SJZ 1950, Sp. 260 f. S. vorstehend d). 174 S. hierzu unten F.I.4. 175 Vgl. Loening, SJZ 1950, Sp. 261: das „rechtliche Interesse" als „ziemlich dehnbarer Begriff'. 173

23 Roth

322

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

schwierige und für den Betroffenen mitunter schmerzliche Abgrenzungen unvermeidbar - obgleich insoweit zu konzedieren ist, daß die Zahl der problematischen Fälle bei einer großzügiger zugestandenen Klagebefugnis wohl geringer wäre, weil die dann noch ausgegrenzt bleibenden Fälle in der Regel weniger gewichtig und deshalb mit der Auslegung der Abgrenzungskriterien weniger einschneidende Folgen verbunden sein dürften. Der Lösung des Sachproblems der Klagebefugnis kommt man nicht näher, indem man dem unbestimmten Begriff des subjektiven Rechts weitere, mindestens ebenso unbestimmte Rechtsbegriffe beigesellt, zudem solcher, die jeder positivgesetzlichen Verankerung entbehren und daher erst recht die immanente Gefahr in sich tragen, daß der Rechtsanwender den Willen des Gesetzgeber verfälscht. Dieselben Einwände sind auch gegen die vereinzelt gebliebenen Vorschläge zu erheben, die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 GG bzw. § 42 Abs. 2 VwGO zwar auf objektive Rechtsverstöße auszudehnen, hierbei aber auf „die Beteiligten" 1 7 6 oder durch das Erfordernis einer „unmittelbaren wirtschaftlichen Schädigung" 177 zu begrenzen. Daß nämlich die Bestimmung der (materiell) „Beteiligten" und daher Klagebefugten nicht „die vielen heiklen Fragen" mit sich brächte, die dem Begriff des subjektiven Rechts anhängen178, ist nicht ersichtlich. Denn da es nicht darauf ankommen kann, wer „Beteiligter" sein will, sondern entscheidend sein muß, wer dies aus Sicht der Rechtsordnung ist, und zwar auch im Hinblick auf die Frage der Klagebefugnis, sind hier letztlich dieselben Fragen zu beantworten wie im Zusammenhang mit dem subjektiven Recht, so daß die Formel vom „Beteiligten" die Antwort letztlich offenläßt 179 . Ebensowenig kann die Hoffnung geteilt werden, das Gericht könne die Feststellung der Unmittelbarkeit (der wirtschaftlichen Schädigung) „im Einzelfall ebenso sicher wie leicht treffen" 180 . Angesichts der in allen Rechtsgebieten bei jeder Abgrenzung von „Unmittelbarkeit" und „Mittelbarkeit" stets auftretenden Streitfragen 181, ruft ein solcher Vorschlag vielmehr notwendig Skepsis hervor, und er ist daher mit Recht ohne Gefolgschaft geblieben.

176

So Bühler, AöR 74 (1948), 370. So Laming, SJZ 1950, Sp. 262. 178 Bühler, AöR 74 (1948), 370. 179 Loening, SJZ 1950, Sp. 261. 180 So aber Loening, SJZ 1950, Sp. 262. 181 Zur Unbestimmtheit des Unmittelbarkeitskriteriums, welche dieses im allgemeinen zu einer Leerformel werden läßt, vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 35 f.; femer unten G.I.l.b.bb (2). 177

IV. Die Klagebefgnis j) Resümee: Die Klagebefugnis

323

und das subjektive Recht

Die Bestimmung des Begriffs des „Rechts" im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO - dasselbe gilt in bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG, was hier aber nicht zu vertiefen ist - muß nach alledem von folgendem ausgehen: Sicher ist, daß der Gesetzgeber jedenfalls subjektive Rechte unter diese Vorschrift fassen wollte und daher die Klagebefiignis durch die Geltendmachung einer Verletzung subjektiver Rechte begründet wird. Durchaus zweifelhaft ist, ob auch andere, nicht als subjektive Rechte verstandene „wehrfähige Rechtspositionen" etc. in den Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 VwGO fallen sollen. Wortlaut, Entwicklungsund Entstehungsgeschichte des § 42 Abs. 2 VwGO sprechen ebenso wie der systematische Vergleich mit Art. 19 Abs. 4 GG gegen eine solche Annahme. Insbesondere kann hier darauf verwiesen werden, daß dem juristischen Sprachgebrauch neben den Kategorien des objektiven bzw. subjektiven Rechts ein Drittes fremd ist, so daß die Gesetzesformulierung „in seinen Rechten" offenbar im Sinne subjektiver Rechte zu verstehen sein soll und nicht bedeutet, daß der Gesetzgeber hierdurch eine neue Rechtskategorie einfuhren wollte. Entwicklungsgeschichtlich ist mit der Abkehr von einem allein auf Ansprüche bezogenen sehr engen Verständnis des subjektiven Rechts die Grundlage für eine Ausdehnung der Klagebefugnis über subjektive Rechte hinaus entfallen. Ferner enthalten die Gesetzesmaterialien zwar deutliche Hinweise auf ein subjektivrechtliches, nicht aber auf ein darüber hinausgehendes Verständnis des § 42 Abs. 2 VwGO. Anhaltspunkte, daß der Gesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal „seine Rechte" etwas anderes als subjektive Rechte gemeint haben könnte, finden sich nicht. Allerdings würde diese Feststellung einer Zuerkennung der Klagebefugnis in Fällen, in denen eine Verletzung subjektiver Rechte nicht im Räume steht, nicht zwingend entgegenstehen. Denn methodisch ließe sich eine extensive Auslegung 182 in Erwägung ziehen, um auf diese Weise auch andere Fälle als die geltend gemachte Verletzung eines subjektiven Rechts zu erfassen. Aus der zu konzedierenden prinzipiellen Erwägbarkeit einer solchen Handhabung folgt freilich noch nicht, daß ein solcher Ansatz als richtig anzusehen wäre. Denn aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung - in der ein Drittes neben objektivem und subjektivem Recht sonst nicht bekannt ist - , ferner zur Vermeidung unnötiger Verkomplizierungen im Interesse der dogmatischen Klarheit und Einfachheit wäre ein solcher Schritt methodisch nur zulässig, wenn zuvor der Nachweis erbracht wird, daß eine Beschränkung des § 42 Abs. 2 VwGO auf

182

Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 160: „hier den RechteBegriff weiter zu fassen und das, was bei einem Organ dem subjektiven Recht eines Bürgers entspricht, nämlich seine Kompetenz, ebenfalls für ausschlaggebend zu halten".

324

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

subjektive Rechte bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten zu unannehmbaren Ergebnissen führte.

4. Organstreitigkeiten um subjektive Rechte Das vorstehend zur Frage einer etwaigen extensiven Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO zum Zwecke des Einschlusses nicht-subjektivrechtlicher „wehrfähiger Rechtspositionen" oder „organschaftlicher Rechte" unter den Rechtsbegriff dieser Vorschrift Gesagte gilt in entsprechender Weise, ja sogar erst recht fur die Frage ihrer analogen Anwendung. Zwar wäre es ein methodisch gangbarer Weg, den Rechtsbegriff in § 42 Abs. 2 VwGO in Einklang mit den dargestellten Auslegungsergebnissen auf das subjektive Recht zu beschränken, und die Vorschrift sodann analog auf nicht als subjektive Rechte verstandene Organkompetenzen anzuwenden, nämlich derart, daß Organen und Organteilen nur dann die Klagebefugnis zustünde, wenn sie eine Verletzung ihrer jeweiligen Kompetenzen geltend machen können. Eine Analogie ist aber nur bei Vorliegen einer Regelungslücke statthaft 183. Infolgedessen ist es methodisch fehlerhaft, eine Vorschrift analog auf einen Sachverhalt anzuwenden, auf den die betreffende Vorschrift richtiger Auslegung nach bereits unmittelbar anwendbar ist. Mag es auch mitunter einem berechtigten praktischen Anliegen überlasteter Gerichte entsprechen, die präzise Bedeutung einer Vorschrift dahinstehen lassen zu können, weil sie Jedenfalls analog" anwendbar sei, so genügt ein solches Vorgehen doch keinesfalls exakter wissenschaftlicher Arbeitsweise. Gewiß können auch in wissenschaftlichen Arbeiten und selbst Monographien nicht sämtliche relevanten Probleme in extenso behandelt werden und muß oft manches ungeklärt bleiben. Daß aber im Kontext verwaltungsgerichtlicher Organstreitigkeiten nicht die so zentrale Frage dahinstehen kann, ob Organkompetenzen als subjektive Rechte anzusehen sind, dürfte ohne weiteres einleuchten. Deshalb ist die Überlegung, daß für die Behandlung der prozessualen Probleme der Organstreitigkeiten „der Nachweis der Klagbarkeit der Organkompetenz" genüge und die Erörterung, „ob diese Organkompetenz ein subjektivöffentliches Recht darstellt", „nicht notwendig" sei 184 , unrichtig. Denn nach der Systematik der VwGO folgt die Klagbarkeit unproblematisch nur aus dem subjektiven Recht, während die Klagbarkeit sonstiger „Rechtspositionen" durchaus zweifelhaft ist. Letzteres muß zwar, wie erwähnt, nicht definitiv ausgeschlossen

183

Vgl. hierzu Engisch, Einführung, S. 175 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 370 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 191 ff; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 280 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 461 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, §111. 184 Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 16 f., 31, 46.

IV. Die Klagebefgnis

325

sein. Da jedoch alle Indizien nun einmal auf subjektive Rechte als Tatbestandsmerkmal des § 42 Abs. 2 VwGO hinweisen, ist die Untersuchung nicht „unnötig", sondern vielmehr methodisch vorrangig, ob Organkompetenzen als subjektive Rechte anzusehen sind. Denn nur wenn dies zu verneinen wäre, würde sich überhaupt die Frage nach einer Rechtsfortbildung aufwerfen und eine analoge Anwendung der relevanten Vorschriften in Betracht zu ziehen sein. Derselbe grundsätzliche Einwand ist gegen den Versuch vorzubringen, die vermeintlich überflüssige Frage, „wie aus einer Kompetenz ein subjektives Recht zu machen sei" 185 , unter Hinweis auf die „Ähnlichkeit" 186 oder „strukturelle Parallelität und funktionale Komplementarität" 187 von subjektiven Rechten und Organkompetenzen mit dem Argument zu umgehen, „die Kompetenz als solche [enthalte] bereits alle notwendigen Elemente für ihre gerichtliche Geltendmachung"188. Gewiß ist es möglich, den Begriff der Kompetenz so zu definieren, daß er dieselben rechtlichen Konsequenzen wie subjektive Rechte trägt (der Grund dafür ist, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird 1 8 9 , daß Kompetenzen tatsächlich vielfach subjektive Rechte der Organe sind und sich ihre Behandlung daher allerdings unschwer in das System der VwGO einfügen läßt). Das ändert aber nichts daran, daß die VwGO nun einmal nirgends von „Kompetenzen" spricht, sondern namentlich etwa die Klagebefugnis von der Geltendmachung einer Verletzung von „Rechten" des Klägers abhängig macht. Daß sich Kompetenzen wie subjektive Rechte behandeln ließen, selbst wenn sie keine wären 190 , und daß „wegen der strukturellen Parallelität" von subjektivem Recht und Kompetenz „und der ohne weiteres anerkannten Justitiabilität von subjektiven Rechten vom normtheoretischen Standpunkt nichts gegen die Klagefähigkeit auch der Kompetenzen spricht" 191 , mag sein. Diese normtheoretische Feststellung besagt für sich aber höchstens, daß dem Gesetzgeber kein rechtstheoretischer oder logischer Widerspruch vorzuwerfen wäre, wenn er die Klagbarkeit von Kompetenzen ausdrücklich anordnete. Das aber ist noch kein Nachweis, daß das durch die geltende VwGO konstituierte Rechtsschutzsystem wirklich die gerichtliche Geltendmachung von Kompetenzen unabhängig von ihrer subjektivrechtlichen Natur gestattet. Der Schluß von der normtheoretischen Ähnlichkeit von Kompetenzen und subjektiven Rechten sowie der Klagbarkeit letzterer darauf, daß auch Organstreitigkeiten um nicht als subjektive 185

Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 21. Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 71 f , 73, 160. 187 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 83, 130, 150, 151. 188 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 21. 189 S. unten E.II, und F.II. 190 So Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 104 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 16, 31, 46, 48. 191 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 119 (Hervorhebung durch Verfasser). 186

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C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

Rechte verstandene Kompetenzen „im Rahmen der derzeitigen Rechtslage möglich" seien 192 , ist unhaltbar, nachdem die VwGO de lege lata explizit nur von „Rechten" spricht. Von daher ist der Ansatz, die Lösung der Problematik der Organstreitigkeiten nicht „auf eine rein verwaltungsprozessuale Perspektive, und diese noch überwiegend begrenzt auf das geltende Recht" zu beschränken 193, sondern sie anhand einer normtheoretischen, systematisch „hinter die VwGO" zurückgehenden Betrachtungsweise zu unternehmen 194, grundsätzlich verfehlt: Konkrete Rechtsfragen müssen unter Zugrundelegung des geltenden Rechts entschieden werden, und das heißt hier der VwGO mit ihren Begrifflichkeiten samt den hinter diesen stehenden Vorstellungen des Gesetzgebers. Eine Vermischung der Ebenen der Rechtsdogmatik und der Rechtstheorie kann nur Verwirrung stiften und ermöglicht keine de lege lata überzeugende Beweisführung. Nachdem sich alleine für subjektive Rechte unzweifelhaft nachweisen läßt, daß sie dem Rechtsbegriff des § 42 Abs. 2 VwGO genügen, und eine Ausweitung seines Anwendungsbereiches im Wege bloßer Behauptungen oder rechtstheoretischer Konstruktionen ausscheidet, bedürfte es schon des Nachweises überzeugender teleologischer Gesichtspunkte, wenn § 42 Abs. 2 VwGO und damit die Klagebefugnis auf andere Fälle erstreckt werden soll. In bezug auf die Problematik der Organstreitigkeiten müßte also aufgezeigt werden, daß eine Beschränkung des Rechtsbegriffs in § 42 Abs. 2 VwGO auf subjektive Rechte vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertungen zu unhaltbaren Ergebnissen führte. Insofern steht das Resultat der Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO in der Tat wie jedes Auslegungsergebnis unter dem Vorbehalt, daß es nicht als definitiv angesehen werden kann, ehe nicht die praktischen Konsequenzen desselben erfaßt worden sind 195 : Welche Tragweite die Aussage hat, daß als verletzt zu rügende Rechte im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO allein subjektive Rechte in Betracht kommen, läßt sich nicht beurteilen, solange nicht geklärt ist, was unter einem subjektiven Recht zu verstehen ist und ob sich Organe und Or-

192

Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 119, femer S. 127, 142: „Unter prozessualen Gesichtspunkten läßt sich also zusammenfassen, daß sich Kompetenzen von subjektiven Rechten nicht derart unterscheiden, daß sie als Voraussetzungen für eine Klagebefugnis oder ein Feststellungsinteresse bereits ohne weiteres ausscheiden. Im Gegenteil legt ihre strukturelle Gleichartigkeit gerade den umgekehrten Schluß nahe. Damit ist eine prinzipielle Klagebefugnis jedes staatlichen Organs verbunden". 193 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 14. 194 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 14 f., 45. 195 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 220 f., daß der Prozeß der Auslegung von Rechtssätzen nie abgeschlossen ist, bevor nicht die Folgen des gefundenen Auslegungsergebnisses betrachtet worden sind, aufgrund welcher sich die Frage einer etwaigen Rechtsfortbildung aufdrängen kann.

IV. Die Klagebefgnis

327

ganteile von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts im Rahmen eines Organstreitverfahrens auf subjektive Rechte berufen können. Damit aber spitzt sich alles auf die Frage zu, ob Organkompetenzen als subjektive Rechte verstanden werden können. Die Beantwortung dieser Frage bereitet nun aber zahlreiche im Grundsätzlichen liegende Schwierigkeiten. Diese beruhen zum einen darauf, daß Wesen und Natur des subjektiven Rechts selbst in erheblichem Maße ungeklärt sind und daher schon ganz allgemein Unklarheiten bestehen, wann im konkreten Fall ein subjektives Recht anzunehmen ist. Der jahrhundertealte Streit um die richtigen Kriterien und Merkmale subjektiver Rechte vermittelt einen Eindruck, wie zweifelhaft die Bestimmung ihres Vorliegens im Einzelfall sein kann. Gewiß ist die Aussage, daß das Bestehen oder Nichtbestehen eines subjektiven Rechts durch Auslegung des jeweils in Frage stehenden Rechtssatzes zu bestimmen ist 196 , völlig zutreffend. Abgesehen von den allfälligen Auslegungsproblemen aber, die sich bei allen Rechtssätzen aufwerfen können und keine prinzipielle Schwierigkeit gerade des subjektiven Rechts sind, bereitet indes die Ermittlung subjektiver Rechte deshalb besondere und prinzipielle Probleme, weil der Begriff des subjektiven Rechts unklar und deshalb auch nur schwer zu sagen ist, ob der betrachtete Rechtssatz ein solches verleiht. Wenn nicht bekannt ist, was unter einem subjektiven Recht genau zu verstehen ist, weiß man nicht, worauf bei der Auslegung eines Rechtssatzes überhaupt zu achten ist, um sagen zu können, ob jener Rechtssatz denn nun ein subjektives Recht verleiht oder nicht. Irgendeinen Inhalt hat jeder Rechtssatz und irgendein Ergebnis liefert jede Auslegung, doch ob dieser Inhalt in der Verleihung eines subjektiven Rechts an ein Rechtssubjekt besteht, ist keine Aussage, die allein in Ansehung des Rechtssatzes getroffen werden kann, sondern die bereits eine Vorstellung vom Begriff des subjektiven Rechts selbst voraussetzt. Insoweit handelt es sich um ein allgemeines Problem des subjektiven Rechtsbegriffs, das auch in bezug auf Rechtssubjekte besteht, die unbestrittenermaßen subjektive Rechte innehaben können. Zudem ergibt sich im Kontext der Organstreitigkeiten das grundsätzliche Problem, ob Organe und gar Organteile ihrem Wesen respektive ihrer Funktion und Stellung im Staatsaufbau nach überhaupt Inhaber subjektiver Rechte sein können. In der Tat ist hinsichtlich der Inhaberschaft subjektiver Rechte von Organen und Organteilen so gut wie alles streitig, ein Streit, dessen Ausmaß durch nichts so gut erhellt wird, wie den bereits eingangs dieser Arbeit erwähnten mehrfachen Ruf nach dem Gesetzgeber 197, in dem sich die Resignation widerspiegelt, daß Wissenschaft und Praxis zu einer sowohl dogmatisch stimmigen wie praktisch befriedigenden Lösung der Organstreitproblematik außerstande

196 197

Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 113 Rn. 18. S. oben Einleitung.

328

C. Der Organstreit im Rechtsschutzsystem der VwGO

seien, nicht zuletzt auch wegen ihres Unvermögens, das Problem des subjektiven Rechts in den Griff zu bekommen. Angesichts der bezüglich dieser Problembereiche bestehenden beträchtlichen Unklarheiten schon im Grundsätzlichen können die Antworten hierauf darstellungsmäßig nicht sozusagen inzidenter im Rahmen der Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO gegeben werden. Vielmehr bedarf es einer ausfuhrlichen Untersuchung des Begriffs des subjektiven Rechts (nachfolgend Teil D.), sodann einer näheren Betrachtung, ob Organe und Organteile überhaupt Inhaber subjektiver Rechte sein können (unten Teil E.), sowie schließlich, wann vom Bestehen solcher subjektiven Rechte auszugehen ist (unten Teil F.). Erst im Anschluß an diese Klärung kann die hier einstweilen noch offen zu lassende Frage der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO definitiv - und zwar, um das schließliche Ergebnis bereits hier zu benennen, in bejahendem Sinne - beantwortet werden 198 .

198

S. unten F.III.4.

D. Das subjektive Recht Im Vorstehenden wurde dargelegt, daß die Entscheidung über die mögliche Klagebefugnis von Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht ohne vorherige Klärung getroffen werden kann, was ein subjektives Recht seinem Wesen und seinen Merkmalen nach eigentlich ist. Denn nur wenn der Begriff des subjektiven Rechts bekannt ist, läßt sich angeben, ob die bezeichneten Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts Inhaber eines solchen sein können. Angesichts der diesbezüglich bestehenden grundlegenden dogmatischen Unklarheiten und gar Fehlvorstellungen kann diese Frage nur durch eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Begriff des subjektiven Rechts beantwortet werden. Hierbei geht es nicht um eine bloß theoretische Debatte. Denn zum einen muß diese Untersuchung die für die praktische Rechtsanwendung bedeutsamen Kriterien erschließen, wann vom Vorliegen eines subjektiven Rechts ausgegangen werden kann. Zum anderen ist nicht zu verkennen, daß, solange subjektive Organrechte als dogmatische Besonderheit betrachtet werden, die sich ständig gegenüber einem vermeintlichen „Normalfall" subjektiver Rechte behaupten und verteidigen müssen, zumindest unterschwellig eine Tendenz bestehen muß, bei der Anerkennung sowie der Annahme solcher Rechte Zurückhaltung zu üben. Wenn demgegenüber der Nachweis gelänge, daß das subjektive Recht bei dogmatisch zutreffendem Verständnis seiner Merkmale und seines Wesens unbedenklich auch den hier betrachteten Organen zustehen kann, dann müßte diese Reserve entfallen. Aus diesen Gründen gilt es zunächst, die Merkmale des subjektiven Rechts herauszuarbeiten, welche sich auf der Basis unserer Rechtsordnung nachweisen lassen.

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht Der Gesetzgeber hat den Begriff des subjektiven Rechts nicht definiert, setzt ihn vielmehr sowohl im Bereich des materiellen als auch des Prozeßrechts als gegeben voraus. Es konnte nicht ausbleiben, daß ein so zentraler und zugleich problematischer Begriff Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen wurde (nachfolgend 1.) und, wenngleich durch Formelkompromisse teilweise verdeckt, bis heute ist (unten 2.).

330

D. Das subjektive Recht

1. Der Streit um das subjektive Recht in der Pandektenwissenschaft Natur und Wesen des subjektiven Rechts beschäftigen die Rechtswissenschaft schon seit langer Zeit 1 , handelt es sich doch bei dieser Rechtsfigur um eine Grundkategorie juristischen Denkens, welche nicht an eine bestimmte Rechtsordnung gebunden ist. Allerdings können sich verschiedene Rechtsordnungen durchaus signifikant darin unterscheiden, welche Relevanz sie dem subjektiven Recht zumessen, eine Frage, die sich nicht zuletzt bei der prozeßrechtlichen Ausgestaltung des Zugangs zum Gericht entscheidet, je nachdem ob dieser einen stärker subjektiven respektive objektiven Einschlag aufweist; in diesem Sinne manifestiert sich in den dem subjektiven Recht zugedachten Funktionen immer auch eine Grundentscheidung über Rolle und Stellung des einzelnen Rechtssubjektes im Staat und seiner Rechtsordnung2. In Deutschland rückte das subjektive Recht - zunächst im Bereich des Zivilrechts - seit dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt des Interesses der durch die Aufklärung beeinflußten und an der Idee einer (jedenfalls auf privatrechtlichem Gebiet) liberalen Gesellschaftsordnung ausgerichteten Rechtswissenschaft 3. Mit einer aufklärerisch-liberalen Vorstellung war es nicht vereinbar, den einzelnen Menschen nur quasi als Objekt staatlicher fürsorgender Rechtspflege zu sehen, sondern vielmehr mußte jeder (mündige) Bürger aktiv seine Geschicke gestalten können. Wichtigstes Instrument in seiner Hand zu diesem Zweck war das subjektive Recht, das es ihm ermöglichen sollte, aus eigener Initiative und aus eigenem Recht seine Vorstellungen zu verwirklichen, ohne auf die Gnade der Obrigkeit verwiesen und ihrer Willkür anheimgegeben zu sein. Freilich war der Begriff des subjektiven Rechts nirgendwo gesetzlich definiert, was in dem auf dem römischen Recht fußenden gemeinen Recht schon deswegen nicht verwundert, weil die aktionenrechtlich denkenden römischen Juristen 4 derart abstrakte Kategorien überhaupt nicht interessierte: „Wie das der Klage zugrunde liegende Recht systematisch zu charakterisieren und klassifizieren sei, kümmerte sie wenig" 5 . Sobald aber im Gefolge der epochalen Leistung Windscheids, subjektives Recht und Klage analytisch zu unterscheiden und da-

1 Vgl. hierzu die eingehend belegte Darstellung von H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 22 ff. 2 Vgl. Κ Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 119 ff. 3 Sehr deutlich Puchta, Cursus der Institutionen I, §§ 1 ff; vgl. femer v. Savigny, System I, § 52; Sintenis, Civilrecht, § 1. 4 Zum römischen Aktionenrecht sehr anschaulich Wesel, Geschichte des Rechts, Rn. 135 ff. 5 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 368.

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

331

durch materielles und Prozeßrecht voneinander abzukoppeln6, das Fundament der wissenschaftlichen Systematik nicht mehr durch die Klage, sondern durch das Recht gebildet wurde, mußte sich das rechtswissenschaftliche Interesse zwangsläufig verstärkt und vorrangig letzterem zuwenden. Mangels gesetzlicher Definition mußte der unversehens so zentral gewordene Begriff des subjektiven Rechts notwendigerweise im Wege gedanklicher Abstraktion aus der großen Zahl einzelner Regelungen, die nach allgemeiner Auffassung Beispiele subjektiver Rechte7 wenngleich zum Teil sehr unterschiedlichen Typus enthielten8, gewonnen werden 9. Damit konnte es nicht ausbleiben, daß der Begriff des subjektiven Rechts sowohl durch einen hohen Abstraktionsgrad geprägt sein10 als auch - infolgedessen - Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen in der Pandektenwissenschaft 11 werden mußte. Wenn nachfolgend diese Pandektendiskussion überblicksmäßig nachgezeichnet werden soll - die umfangreichen Auseinandersetzungen um den Begriff des subjektiven Rechts können hier nicht im Detail und in allen vertretenen Varianten wiedergegeben werden 12 - , so beruht dies nicht lediglich auf rechtshistorischem Interesse. Es wird sich nämlich erweisen, daß die heutige Diskussion um das subjektive Recht diese frühere Auseinandersetzung im wesentlichen fort6 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 44; vgl. hierzu Enneccerus/Nipper dey, BGB AT 1/2, S. 1362 f.; Wesel, Geschichte des Rechts, Rn. 135. 7 Zu einem Überblick über die anerkannten Typen subjektiver Rechte - z.B. Persönlichkeitsrechte, Herrschaftsrechte über Sachen, Forderungen, Gestaltungsrechte - vgl. BGB AT, § 15 Rn. 1 ff.; Pawlowski, etwa Larenz, BGB AT, S. 214 ff.; Larenz/Wolf BGB AT, Rn. 290 ff.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 5 ff.; aus früherer Zeit Windscheid, Pandektenrecht, §§ 38 ff. 8 Bei den erwähnten Typen subjektiver Rechte handelt es sich um sogenannte „offene Typen" (zur juristischen Denkform des Typus eingehend Larenz, Methoden lehre, S. 220 ff, 302 f , 461 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 41 ff, 290 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 146 ff.; Zippelius, Typisierendes Denken, in: Recht und Gerechtigkeit, S. 411 ff.), die zwar nach ihrem Gesamtbild und ihrer Gesamtstruktur abzugrenzen, nicht aber durch einzelne Tatbestandsmerkmale streng zu unterscheiden sind, und daher durchaus fließende Übergänge kennen. Es gibt daher subjektive Rechte, die Elemente mehrerer Typen aufweisen (Larenz, Schuldrecht I, S. 227; ferner Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 284). Für die Zwecke dieser Arbeit bedarf es keiner präziseren Abgrenzung. Denn der gesuchte gemeinsame Oberbegriff des subjektiven Rechts muß ohnehin von allen Spezifika einzelner subjektiver Rechtstypen abstrahieren, um sie sämtlich unter sich vereinen zu können. 9 Zur Begriffsbildung durch Abstraktion vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 439 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 265 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 258. 10 Larenz, BGB AT, S. 210. 11 Unter dem Pandektenrecht wurde das gemeine deutsche Privatrecht römischen Ursprungs verstanden, also der das Zivilrecht betreffende Teil des rezipierten römischen Rechts, vgl. Brinz, Pandekten, § 1 ; Windscheid, Pandektenrecht, § 1. 12 Vgl. hierzu etwa den Überblick bei Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, § 37 Fn. 3, S. 157 ff.

332

D. Das subjektive Recht

setzt13, und daß das heutige Verständnis des subjektiven Rechts in Gänze Resultat dieser seinerzeitigen Diskussion ist und somit ohne Kenntnis des dogmengeschichtlichen Hintergrunds nicht wirklich verstanden werden kann; auch hier zeigt sich, wie so oft, daß, wer das Gedankengebäude verstehen will, dessen Fundament kennen muß. Hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs des subjektiven Rechts lassen sich in der Pandektenwissenschaft im wesentlichen drei Hauptrichtungen unterscheiden. Die älteste Lehre betonte allein den Zwangscharakter des Rechts (nachfolgend a), ein Kriterium, das auch in der nachfolgenden Diskussion nicht in Zweifel gezogen wurde. Jedoch wurde später eher die Frage nach dem Sinn und Zweck dieser Zwangseigenschaft des Rechts in den Vordergrund gestellt; während die Willenstheorie hierbei auf den Willen des Rechtsinhabers abstellte (unten b), hob die Interessentheorie dessen Bedürfnisse und Interessen hervor (unten c).

a) Das Recht als Zwangsinstrument Den Ausgangspunkt der Betrachtung des subjektiven Rechts bildete das Verständnis des Rechts als staatliches Zwangsinstrument. Bei dieser Charakterisierung des Rechts sind freilich zwei Sichtweisen hinsichtlich des exakten Verhältnisses des Rechts zum Zwang zu unterscheiden. Zum einen ließe sich der Zwang als notwendige Bedingung des Rechts verstehen, als (begriffs)notwendiges Korrelat des Rechts, ohne welches das Recht nicht bestehen könne; bei diesem Verständnis würde die Wesensverschiedenheit von Recht und Zwang nicht geleugnet, sondern nur betont, daß der Zwang ein Wesensmerkmal des Rechts sei. Zum anderen könnte der Zwang als notwendige und hinreichende Bedingung des Rechts gesehen werden, als das, was das Recht alleine ausmacht und in welchem es sich erschöpft, und außerhalb welchem das Recht gar keine Existenz hat. In letzterem Verständnis wäre der Zwang nicht nur eine unverzichtbare Eigenschaft des Rechts, sondern er wäre sogar wesensgleich mit dem Recht, d.h. Recht und Zwang wären dasselbe. Im ersteren Sinne wäre das Recht also notwendig auch, aber eben nicht nur Zwangsinstrument, im zweiten Sinne wäre es nur Zwangsinstrument. Beide Verständnismöglichkeiten finden sich bei Kant und Thibaut , die wohl als Hauptvertreter der Lehre vom Zwangscharakter des Rechts angesehen werden dürfen. So sagt Kant an der einen Stelle, daß „mit dem Rechte zugleich eine Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, ... verknüpft" sei 14 , befindet dann 13

Wolf WissR 1970,202. Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § D, AB 35 = Akad. S. 231. 14

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

333

aber im nächsten Paragraphen noch weitergehend: „Recht und Befugniß zu zwingen bedeuten also einerlei" 15 . Ähnlich findet sich bei Thibaut sowohl die Aussage: „Jedes Recht fuhrt als solches die Möglichkeit des Zwanges mit sich" 16 , während er ihm vorhergehenden Absatz noch von dem „Begriff eines Rechtes, als einer durch die Gesetze begründeten Möglichkeit des Zwanges" ausging17, mithin die Zwangsmöglichkeit dem Recht nicht nur beigesellte oder diese aus jenem ableiten wollte, sondern das Recht in dem Zwang begrifflich ganz aufgehen sah. Damit erhebt sich natürlich die Frage, ob und wie sich beide Aussagen jeweils vereinbaren lassen. Nicht weniger bedeutsam dürfte freilich die Begründung für jede dieser Thesen sein, da es sich, welcher man auch folgt, bei der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Zwang um ein Kardinalproblem allen Rechtsverständnisses handelt. Das (weniger weitgehende) Verständnis des Zwanges als unabdingbarem Begleitmoment des Rechts, als wesensverschiedene, aber unverzichtbare Eigenschaft jeden Rechts ergab sich für Kant mit logischer Notwendigkeit aus seinem Verständnis des Rechts als dem „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 18 , und dem hieraus wiederum folgenden Verständnis, daß eine jede Handlung recht sei, „die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann" 19 . Jede nicht mit dem allgemeinen Prinzip des Rechts - „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne" 20 - zu vereinbarende Handlung mußte hiernach als „ein Hinderniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen" Unrecht sein, welchem seinerseits wiederum Zwang entgegengesetzt werden dürfe, um das Recht wiederherzustellen: „wenn ein gewisser Gebrauch der Freiheit selbst ein Hinderniß der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen (d. i. unrecht) ist, so ist der Zwang, der diesem entgegengesetzt wird, als Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammen stimmend, d. i. recht: mithin ist mit dem Rechte zugleich eine Befugniß, den, der ihm Abbruch thut, zu zwingen, nach dem Satze des Widerspruchs verknüpft" 21 . Somit verstand Kant die Befugnis, das Recht zwangsweise durchzusetzen, als logisch notwendigen Inhalt des Rechts (als Negation der Negation), und kam somit zu seinem 15

Ebd., § E, AB 36 = Akad. S. 232. Thibaut , System des Pandekten-Rechts, § 50. 17 Ebd., § 49 (Hervorhebung im Original). 18 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, AB 33 = Akad. S. 230. 19 Ebd., § C, AB 33 = Akad. S. 230. 20 Ebd., § C, AB 34 = Akad. S. 231. 21 Ebd., § D, AB 35 = Akad. S. 231 (Hervorhebungen im Original). 16

334

D. Das subjektive Recht

(vorläufigen) Ergebnis, daß die Zwangsbefugnis dem Recht notwendig innewohne. Die weitergehende gänzliche Reduktion des Rechts auf ein bloßes Zwangsinstrument ergab sich für Kant in einem weiteren Schritt als Folge seines Postulats eines strikten Rechts. Als striktes Recht verstand er ein Recht, „dem nichts Ethisches beigemischt ist, dasjenige, welches keine andern Bestimmungsgründe der Willkür als bloß die äußern fordert; denn alsdann ist es rein und mit keinen Tugendvorschriften vermengt. Ein strictes (enges) Recht kann man also nur das völlig äußere nennen. Dieses gründet sich nun zwar auf dem Bewußtsein der Verbindlichkeit eines jeden nach dem Gesetze; aber die Willkür darnach zu bestimmen, darf und kann es, wenn es rein sein soll, sich auf dieses Bewußtsein als Triebfeder nicht berufen, sondern fußt sich deshalb auf dem Princip der Möglichkeit eines äußeren Zwanges"22. Die Notwendigkeit eines Verständnisses des Rechts als striktes Recht ergab sich aus seiner Trennung von Rechtslehre und Tugendlehre 23; denn „wenn die Absicht nicht ist, Tugend zu lehren, sondern nur, was recht sei vorzutragen, so darf und soll man selbst nicht jenes Rechtsgesetz als Triebfeder der Handlung vorstellig machen"; das Recht gebiete nur äußeres Handeln, hingegen „das Rechthandeln mir zur Maxime zu machen, ist eine Forderung, die die Ethik an mich thut" 24 . Infolge dieser strikten Beschränkung auf die Bedeutung des Rechts für das äußere Handeln verwarf Kant auch 22

Ebd., § E, AB 36 = Akad. S. 232 (Hervorhebung im Original); ähnlich auch Wach, GrünhutsZ 6 (1879), 539 Fn. 11. 23 Zur Vermeidung eines möglichen Mißverständnisses sei hier angemerkt, daß das strikte Recht, „dem nichts Ethisches beigemischt ist" (Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § E, AB 36 = Akad. S. 232), nicht im Sinne eines strikten Gesetzespositivismus mißzuverstehen ist, der auch unethisches Recht unbedenklich hinnähme. Religion, Ethik, Vernunft und Naturrecht stellen selbstverständlich Anforderungen an den Gesetzgeber, seine Gesetze in Einklang mit ihren ethischen Grundsätzen zu bringen. Ethische Anforderungen an den Gesetzgeber sind aber etwas anderes als ethische Forderungen des Gesetzgebers an den Bürger. Kant bestritt lediglich die Befugnis des Gesetzgebers, ethische Forderungen an den Rechtsunterworfenen als rechtliches Postulat zu erheben und zwangsweise durchzusetzen, insofern übrigens in Einklang mit der Ansicht Hegels, daß das Recht die Gesinnung frei lasse (Hegel, Philosophische Propädeutik, Pflichtenlehre, § 33). Recht soll deshalb „striktes Recht" sein, das alleine auf dem in seinem Umfang durch das allgemeine Prinzip des Rechts beschränkten Zwang beruht und - gerade auch zum Schutz der Freiheit - nicht weitergehende Tugendforderungen rechtlich verbindlich zu machen sucht. Letzteres war ein Postulat, dem gerade im absolutistischen Staat mit seiner allumfassenden Vorstellung von „guter Policey" mit dem Ziel allgemeiner Glückseligkeit und Wohlfahrt (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 2; Wesel, Geschichte des Rechts, Rn. 243) - gegen ein wohlfahrtsstaatliches Polizeiverständnis grundlegend PrOVGE 9, 353, 370 ff. - deutlich freiheitsschützende Bedeutung zukam. 24 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C, AB 34 = Akad. S. 231 (Hervorhebung im Original).

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

335

die Vorstellung eines aus „zwei Stücken", nämlich der rechtlichen Verbindlichkeit einerseits und der Zwangsbefugnis andererseits, zusammengesetzten Rechts, sondern wollte „den Begriff des Rechts in der Möglichkeit der Verknüpfung des allgemeinen wechselseitigen Zwanges mit jedermanns Freiheit unmittelbar setzen"25. Die unterschiedlichen Aussagen Kants über das Verhältnis von Recht und Zwang stellen mithin keinen gedanklichen oder logischen Fehler dar und beruhen auch nicht auf einem sprachlichen Versehen, sondern erklären sich daher, daß sich seine These von der logischen Verknüpfung der Zwangsbefugnis mit dem Recht auf das Recht als solches bezieht, während die Identifizierung von Recht und Zwangsbefugnis nur für das in seinem Sinne strikte Recht gilt. Eine nur begrenzt vergleichbare Vorstellung dürfte Thibaut vorgeschwebt haben, der zwar ebenfalls die Kategorien von Sitten- und Rechtslehre unterschied, diese jedoch im Unterschied zu Kant nicht in einem Verhältnis der Exklusivität, sondern als Ober- und Untermenge begriff. Als Rechtswissenschaft im engeren Sinn definierte Thibaut allein das System der Zwangsrechte begründenden Gesetze, denn lediglich eine Verpflichtung, die mittels physischen Zwanges durchzusetzen ist, war für ihn eine obligatio perfecta, eine (vollkommene) Zwangsverbindlichkeit. Im Unterschied hierzu verstand er den systematischen Inbegriff der moralischen Gesetze, welche zwar unbedingt Befolgung ihrer selbst wegen verlangen, die aber nicht zwangsweise durchsetzbar sind, weshalb eine bloß moralische Verbindlichkeit lediglich eine obligatio imperfecta darstelle 26. Von dieser Unterscheidung aus kam Thibaut zu zwei Unterformen der Gerechtigkeit, die er als den vorhandenen Gesetzen nicht widerstreitende Handlungsweise verstand: Innere Gerechtigkeit bestand für ihn in der Erfüllung moralischer Verbindlichkeiten, wohingegen er die Zwangsgesetzen gemäße Handlungsweise äußere Gerechtigkeit nannte27. Mit diesem auf die äußere Gerechtigkeit bezogenen Verständnis der Rechtswissenschaft im engeren Sinn klingt die Kategorisierung Thibauts an das Kantsche Verständnis vom Recht als eines Äußeren an, nur stellt eben Thibaut das äußere, eigentliche Zwangsrecht dem moralischen Gesetz nicht kategorisch gegenüber, sondern versteht er es als einen Unterfall desselben, als Gegenstand der Rechtswissenschaft im engeren statt im weiteren Sinn. Damit aber kann die Kantsche Vorstellung des „völlig äußeren", ethikfreien strikten Rechts für Thibaut keine Geltung gewinnen, und infolgedessen lassen sich seine Äußerungen über das begriffliche Verhältnis von Recht und Zwangsbefugnis auch nicht mit Hilfe jenes Striktheitskriteriums differenzieren. Deshalb ist Thibaut dahin zu verstehen, daß Recht und Zwangsbefugnis

25 26 27

Ebd., § E, AB 35 f. = Akad. S. 232. Thibaut , System des Pandekten-Rechts, §§ 1 f. Ebd., §5.

336

D. Das subjektive Recht

tatsächlich dasselbe sind 28 ; seine Aussage, daß das Recht die Möglichkeit des Zwanges mit sich führt 29 , soll somit lediglich die praktische Konsequenz dieses Verständnisses formulieren und keine begriffliche Differenzierung einführen. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die gesamte nachfolgende Pandektendiskussion diesen Zwangscharakter des Rechts in keiner Weise in Frage stellte, sondern als Ausgangspunkt und Grundlage der weiteren Überlegungen akzeptierte. So dachten auch die Vertreter der Willenstheorie stets das Moment staatlichen Zwanges mit. Denn zwar sei nicht auszuschließen, daß jener, der ein Recht verletzt hat, aus Einsicht in sein Unrecht freiwillig bei der Wiederherstellung mitwirke, doch „würden die Rechte eine höchst prekäre Existenz haben", wollte man sich allein darauf verlassen 30. Deshalb sei der Schutz gegen Verletzungen „ein wesentliches Erfordernis für die Existenz eines Rechts"; er könne zwar auch bloß unvollkommen sein, „aber ohne allen Schutz ist kein Recht denkbar" 31, vielmehr sei „Recht im innersten Wesen Macht" 32 , erscheine , jedes Recht ... zunächst als ein ruhender Begriff versehen mit der Möglichkeit, ihm Anerkennung und Geltung zu verschaffen" 33, beruhe die Verwirklichung des Rechts auf Zwang 34 . Die Definition des Rechts als Zwangsinstrument setzte nicht unbedingt hoheitlichen Zwang voraus, vielmehr wurde als ein die Existenz eines subjektiven Rechts begründender Schutz auch die (erlaubte) Selbsthilfe angesehen. Freilich wurde diesbezüglich betont, daß solche Selbsthilfe jedenfalls als Regelfall des Schutzes subjektiver Rechte sehr unerwünscht und aus zwei Gründen möglichst zurückzudrängen sei: Zum einen ist sie bedenklich, weil, wer Partei ist, „anderer sich einmischenden Rücksichten wegen" die Grenzen seines Rechts und des Unrechts des anderen oft nicht richtig beurteilen kann, jedenfalls aber leicht zur Überschreitung dieser Grenzen neigt 35 . Zum anderen kann die Selbsthilfe unzureichend sein, weil sie von der Zufälligkeit abhängt, ob der Berechtigte auch wirklich der Stärkere ist 36 . Und selbst der Stärkere mag vernünftigerweise vor der Selbsthilfe zurückschrecken, wenn mit Widerstand zu rechnen ist und der dann drohende Schaden außer Verhältnis zu dem zu reparierenden Unrecht stünde. Puchta wies in diesem Zusammenhang auf die in der Angewiesenheit auf die Selbsthilfe liegende „entschiedene Unvollkommenheit" des Völkerrechts 28

Ebd., §§ 2,49. Ebd., §50. 30 Puchta, Cursus der Institutionen I, § 29. 31 Puchta, Cursus der Institutionen I, § 29. 32 Regelsberger, Pandekten, § 14. 33 Sintenis, Civilrecht, § 27. 34 Brinz, Pandekten, § 18. 35 Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, II. Teil, Allgemeine Anmerkung, E I, A 198, Β 227 f. = Akad. S. 332. 36 Puchta, Cursus der Institutionen I, § 29. 29

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

337

hin, und betonte nachdrücklich, daß es ein „nicht zu rechtfertigendes Beginnen" sei, „wenn dieser Zustand in das Innere der Staaten verpflanzt wird, welches geschieht, wenn die öffentlichen Rechte der Bürger ohne rechtlichen Schutz bleiben, und somit die Glieder des Gemeinwesens auf den Fuß abgesonderter Völker zu einander gestellt sind" 37 . Infolge dieser gravierenden Mängel der Selbsthilfe konnte der für die Anerkennung subjektiver Rechte erforderliche Schutz regelmäßig nur ein staatlicher Rechtsschutz durch die hierzu bestellten Organe sein38. Welche Bedeutung auch von Jhering als der Begründer der Interessentheorie dem Rechtsschutzmoment zumaß, erhellt daraus, daß er ohne dasselbe schlichtweg das Vorliegen eines subjektiven Rechts verneinte und einen allenfalls „tatsächlichen Zustand des Nutzens oder des Genusses (faktisches Interesse)" annahm, der freilich Jederzeit ohne weitere Folgen von jedem, der dazu tatsächlich in der Lage ist, aufgehoben werden" könne: „Den Charakter der Zufälligkeit, Hinfälligkeit verliert dieser Zustand erst dadurch, daß das Gesetz ihn unter seinen Schutz nimmt, der Genuß oder die Aussicht auf denselben wird dadurch ein gesicherter: ein Recht. Der Begriff des Rechts beruht auf der rechtlichen Sicherheit des Genusses"39. Für ihn war staatlich gesetzter Zwang nachgerade eine „Bedingung" des Rechts, Recht ohne Rechtszwang undenkbar 40. Die spätere Diskussion kritisierte somit nicht das Zwangselement als solches, sondern vielmehr allein, daß das wahre Wesen des (subjektiven) Rechts nicht zutreffend erfaßt werden könne, wenn die Betrachtung „über die äußere Erscheinungsform des Rechts, den Zwang nicht hinaus[kommt]" 41 . Die Überschreitung der rein äußeren Betrachtungsweise zur Erschließung des Wesens subjektiver Rechte versuchte man dadurch, daß man nach dem Zweck fragte, um dessentwillen Rechte bestehen. Heftig umstritten war dann jedoch, welches weitere Charakteristikum das subjektive Recht auszeichne und zu seiner vollständigen Beschreibung und zu seinem vollen Verständnis herangezogen werden müsse.

37

Puchta, Cursus der Institutionen I, § 29. Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen I, § 29; Sintenis, Civilrecht, § 28; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, §§ 122 f. 39 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 339 (Hervorhebungen im Original). 40 v. Jhering, Der Zweck im Recht I, S. 320 ff. 41 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 328 (Hervorhebung im Original). 38

24 Roth

338

D. Das subjektive Recht b) Das Recht als Instrument der Willensherrschaft

Unter dem maßgeblichen Einfluß von Hegel sah die ganz herrschende Pandektenlehre den Zweck des Rechts in der Verwirklichung des freien Willens 42 , in der Ermöglichung und Realisierung von Willensherrschaft. Und dies in doppelter Hinsicht 43 : In bezug auf das objektive Recht, die Rechtsordnung als solche, stellte man auf den Willen der das Recht tragenden Gemeinschaft insgesamt ab, d.h. die Nation oder das Volk, verstand das Recht also als den abstrakten Ausdruck des allgemeinen Willens M. Hingegen in bezug auf das subjektive Recht als das einem individuellen Rechtssubjekt zustehende Recht hob man auf den Willen eben jenes einzelnen Rechtsinhabers ab. Dies erscheint insofern völlig folgerichtig, als das subjektive Recht, wie es auch immer im Detail verstanden wird, als Ausschnitt aus der Rechtsordnung insgesamt45 notwendigerweise deren Zwecke teilen muß, nur eben von der Gesamtheit auf das einzelne Rechtssubjekt übertragen. Diese Betonung des Willens als Merkmal des Rechts war keineswegs zufällig oder willkürlich entstanden, sondern eine nahezu zwangsläufige Ableitung aus dem in der Verwirklichung der Freiheit gesehenen obersten Zweck des Rechts: „Dem Rechte liegt die Freiheit des Einzelnen zu Grunde und das Recht besteht darin, daß ich den Andern als freies Wesen behandele"46. Da das Recht sonach überhaupt als in den Dienst der Freiheit gestellt angesehen47, ja die Freiheit gar als „Grundbegriff des Rechts" verstanden wurde 48 , mußte den Pandektenlehrern konsequenterweise auch das subjektive Recht primär als Ausfluß oder jedenfalls rechtliche Anerkennung dieser Freiheit erscheinen 49, mußte damit der menschliche Wille als die Fähigkeit, von dieser Freiheit durch die Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten Gebrauch machen zu können50, in das Zentrum des subjektiven Rechtsbegriffs rücken. Indessen ging es nicht um den bloßen Willen an sich, um ein folgenloses, nicht realisierbares Wünschen, sondern um einen Willen, der eben auch in 42 Vgl. die besondere Betonung der Willensfreiheit bei Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 4 ff, der die Freiheit als Substanz und Bestimmung des Willens, und weiter im „Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit" sah (ebd. § 4). 43 Zu diesen Zusammenhängen vgl. G. Jellinek, System, S. 42; v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 328. 44 Hegel, Philosophische Propädeutik, Erläuterungen zur Einleitung, § 18, Rechtslehre, §§ 2, 26. 45 S. hierzu näher unten F.I. 1 .b. 46 Hegel, Philosophische Propädeutik, Rechtslehre, § 3. 47 Vgl. hierzu etwa Puchta, Cursus der Institutionen I, §§ 1 ff. 48 Puchta, Cursus der Institutionen I, § 2. 49 Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen I, § 31. 50 Vgl. Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 14 f. (Freiheit des Willens in diesem Sinne als „Willkür"); Puchta, Cursus der Institutionen I, § 3.

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

339

rechtlicher Weise zur Verwirklichung kommen können sollte, damit sich so die menschliche Freiheit verwirklichen könne 51 . Denn individuelle Freiheit erweist sich gerade darin, seinen autonom gesetzten Willen verwirklichen zu können52. Mit dieser Bedingung tatsächlicher Verwirklichungsmöglichkeit war die Verknüpfung des Willensmomentes mit dem Zwangscharakter des Rechts geschaffen, weil das subjektive Recht dem Berechtigten die zwangsweise Durchsetzung seines durch das Recht geschützten Willens ermöglichte. Aus diesem Freiheitsund dem darauf bezogenen Rechtsverständnis ergab sich so als ganz überwiegende Begriffsdefinition das subjektive Recht als die dem Rechtssubjekt durch Gesetz eingeräumte Willensherrschaft 52.

c) Das Recht als Instrument des Interessenschutzes aa) Von Jherings Kritik der Willenstheorie Grundlegend neue Impulse gab der Diskussion um das subjektive Recht von Jhering mit seinen Arbeiten über die Bedeutung des Interesses und des Zweckes in der Jurisprudenz. Er stimmte der seinerzeit herrschenden Pandektenlehre zwar darin zu, daß die „Bezeichnung des Rechts im objektiven Sinn als des 'allgemeinen Willens' ... in formaler Beziehung das Wesen desselben in einer Weise wieder [gebe], wie sie nicht kürzer und treffender gedacht werden kann" 54 , und meinte sogar, daß das Verständnis des Rechts als Willensmacht „für die rein dogmatische Darstellung des Rechts" vollkommen ausreiche 55. Doch wandte er ein, daß eine ausschließliche Konzentration auf die Dogmatik nicht den „realen Inhalt des Rechts", sein Wesen und seine Natur erfassen könne: „Denn es fehlt ihr an einem Prinzip für den Inhalt des Willens" 56 . „Das Irrige dieser Ansicht besteht darin, daß sie den Begriff des subjektiven Rechts in dem des Willens aufgehen läßt. Endzweck desselben ist für sie das Wollen, und das Recht würde ihr zufolge zu definieren sein als ein abgegrenztes Stück Willenssubstanz"57. Diese Vorstellung über das Verhältnis des Willens zum Recht sei aber verfehlt. Das Recht beschränke sich darauf, dem Willen innerhalb gewisser Grenzen gesicherte Handlungsmöglichkeiten zu gewähren, „aber das rein Rechtliche an diesen Handlungen ist ohne allen und jeden Reiz, sie entlehnen 51

Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen I, § 6. Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 69 m.w.N. 53 Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen I, §§ 6, 29 f.; v. Savigny, System I, § 4, S. 7, § 52, S. 333; Sintenis, Civilrecht, § 11; Windscheid, Pandektenrecht, § 37; Windscheid7 Kipp, Pandektenrecht, § 37. 54 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 328. 55 Ebd., S. 329 (Hervorhebung im Original). 56 Ebd., S. 329. 57 Ebd., S. 330. 52

340

D. Das subjektive Recht

ihre Motive und damit die Befriedigung, welche sie gewähren, anderen Sphären, als der des Rechts"58. Diese Kritik ist in engem Zusammenhang mit von Jherings Kampf gegen eine sich zu sehr auf begriffliche Deduktionen versteifende und in Begriffen versteizu sehen, der gegenüber er die Notwendigkeit eines nerte Begriffsjurisprudenz Zweckdenkens und einer Berücksichtigung der hinter den Rechtsnormen stehenden gesetzgeberischen Interessenwertungen verfocht (Interessenjurisprudenz) 59. Diesen Ansatz galt es für das Verständnis der subjektiven Rechte fruchtbar zu machen. Denn diese sind in der Tat niemandem nur um des bloßen Wollens willen und auch nicht etwa deswegen eingeräumt, damit sich jemand seiner bloßen Willensmacht ergötze und sich an deren Ausübung als solcher erfreue, sondern der Gegenstände, Genüsse oder Interessen wegen, auf die eben dieses Wollen gerichtet ist 60 . Auch positivrechtlich sei die „Willenstheorie" abzulehnen. Denn nach ihr dürften willenlose Personen keine subjektiven Rechte haben können, weil in ihrer Person der von der herrschenden Pandektenlehre postulierte Zweck, nämlich die Verwirklichung der Willensmacht, nicht erreichbar sei; unter dieser Voraussetzung müßten Rechtsfähigkeit und Willensfähigkeit notwendig zusammenfallen, was aber dem Umstand widerspreche, daß die Rechtsordnung auch Kindern und selbst unheilbar Wahnsinnigen Vermögensfähigkeit zuerkenne 61. Gerade letzterer Schwierigkeit entgehe man, wenn man den Zweck der Rechte nicht im Willen und dessen Verwirklichung, sondern in den allen Menschen ohne Unterschied zukommenden Bedürfhissen und Interessen sowie deren Befriedigung sehe62. Freilich werde das Vermögen Unmündiger nicht durch sie verwendet, sondern für sie, doch gerade hierin zeige sich wiederum die Schwäche der Willenstheorie, weil nach ihr eigentlich der Vormund als Berechtigter anzusehen sein müßte, dem ja die Willensmacht zukommt, während nach dem gemeinen Recht tatsächlich das Mündel Rechtsinhaber ist 63 . Seine Kritik faßte von Jhering in dem Satz zusammen: „der Wille ist nicht der Zweck und die bewegende

58

Ebd., S. 332. Vgl. hierzu Engisch, Einführung, S. 243 ff.; Lorenz, Methodenlehre, S. 49 ff., 119 ff. 60 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 331 f.; zust. G. Jellinek, System, S. 42 ff. 61 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 332; zust. Bernatzik, AöR 5 (1890), 194 f. 62 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 333 ff.; zust. Thon, Rechtsnorm, S. 284. 63 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 335 f. 59

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

341

Kraft der Rechte; der Willens- und Machtbegriff ist nicht imstande, das praktische Verständnis der Rechte zu erschließen" 64.

bb) Der Begriff des subjektiven Rechts nach der Interessentheorie Von Jhering sah den Begriff des subjektiven Rechts durch zwei notwendige Momente konstituiert, ein substantielles und ein formales 65. Unter dem substantiellen Moment verstand er - in scharfer Abgrenzung zur Willenstheorie - den praktischen Zweck des fraglichen Rechts, den „Nutzen, Vorteil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll" 66 , somit das vom Gesetzgeber nach dem Standpunkt seiner Zeit anerkannte Interesse, welchem er in dem fraglichen Recht seinen Ausdruck gegeben hat 67 . Unter dem formalen Moment, welches sich zu dem substantiellen wie das Mittel zum Zweck verhält, verstand er den Rechtsschutz 68. Rechtsschutz stand, soweit es sich um Privatrechte handelte, in Gestalt der Zivilklage zu Gebote; subjektive private Rechte waren durch die Klage zum Zivilrichter geschützt und damit zugleich auch charakterisiert 69. Daneben erkannte von Jhering auch subjektive öffentliche Rechte an, die zwar nicht durch Privatklage und daher nur unvollkommen, nach seiner Ansicht aber hinreichend durch den Strafrichter und die Polizei geschützt waren 70. Dieses formale Moment entsprach der zu seiner Zeit herrschenden Meinung betreffend das Verständnis des subjektiven Rechts als Willensmacht, so daß sich seine Kritik im Wesentlichen auf die Außerachtlassung des substantiellen Momentes, also des Zwecks der subjektiven Rechte bezog. Durch die Kombination des substantiellen Momentes mit dem formalen kam von Jhering zu seiner klassisch gewordenen Definition des subjektiven Rechts als eines rechtlich geschützten Interesses 1\ Der Interessentheorie folgte im Grundsatz auch Regelsberger, für den die subjektiven Rechte „rechtlich anerkannte und geschützte Interessen- und Macht64

Ebd, S. 338 f. Ebd, S. 339; ähnlich G. Jellinek, System, S. 45, der hier zwischen einem materiellen Element (dem Gut oder Interesse) und einem formalen Element (der Willensmacht) unterschied. 66 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 339. 67 Ebd, S. 343. 68 Ebd, S. 339. 69 Ebd, S. 352 ff. 70 Ebd, S. 352. 71 Ebd, S. 339, 351 (mit dem zutreffenden Hinweis auf S. 351 Fn. 462, daß es sich hierbei um keine Zirkeldefinition handelt, weil sich das Adjektiv „rechtlich" auf das objektive Recht bezieht und deshalb logisch fehlerfrei zur Definition des subjektiven Rechts herangezogen werden kann); zustimmend v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 79, 415; ebenso PrOVGE 3, 6, 11. 65

342

D. Das subjektive Recht

kreise" konstituieren, „Sonderrechtskreise" also, in denen der einzelne das bestimmende Element deshalb darstellt, weil ihm das Recht „die Macht zur Befriedigung eines anerkannten Interesses" verleiht 72 . In ähnlicher Weise definierte Dernburg: „Recht im subjektiven Sinne ist der Anteil an den Lebensgütern, welchen der allgemeine Wille als einer Person zukommend anerkennt und ihr gewährleistet" 73. Diese Definition stellt in objektiver Sichtweise auf das rechtlich geschützte (materielle oder immaterielle) Gut als den Gegenstand des Rechts ab, während von Jhering das Interesse des Rechtsinhabers am Genuß jenes Gutes betont, also die subjektive Wertschätzung dessen, was objektiv als ein Gut erscheint, als rechtlich geschützten Gegenstand in den Blick nimmt 74 . Letztere Sichtweise erscheint überzeugender, da die Rechtsordnung Güter nicht um ihrer selbst willen schützt, sondern stets nur der Wertschätzung wegen, die ihnen seitens der Menschen entgegengebracht wird, vorausgesetzt, die Rechtsordnung selbst vermag diese Wertschätzung zu billigen oder anzuerkennen 75,76 .

d) Kombinationstheorien Ausgehend von der Überlegung, daß sowohl die Willens- als auch die Interessentheorie berechtigte Anliegen verfolgten, in ihren jeweiligen Zuspitzungen aber zu kurz griffen, weil „Wille und Interesse oder Gut ... im Begriffe des Rechtes notwendig zusammengehören]" 77, wurden alsbald Kombinationstheorien entwickelt, die in je verschiedener Betonung eine Verknüpfung von Willens· und Interessenkriterien unternahmen. So definierte Georg Jellinek das subjektive Recht als „die von der Rechtsordnung anerkannte und geschützte auf ein Gut oder Interesse gerichtete menschliche Willensmacht 78, kurz als eine „auf ein Interesse gerichtete rechtliche Willensmacht" 79 . Bernatzik meinte: „Recht ist ein menschlicher Zweck, behufs dessen Realisierung die Rechtsorddadurch anerkennt, dass sie rechtnung die Möglichkeit einer Willensherrschaft liche Wirkungen an dieselbe knüpft" 80 , indem es dem zur Realisierung des 72

Regelsberger, Pandekten, § 14. Dernburg, Pandekten I, § 39. 74 Vgl. G. Jellinek, System, S. 43. 75 Vgl. hierzu ausfuhrlich unten F.I. 76 Die Bezeichnung als „Durchschnittswertschätzung, welche die Rechtsordnung selbst vornimmt" (G. Jellinek, System, S. 43), oder als „durchschnittliches" Interesse (Bernatzik, AöR 5 [1890], 234) ist insofern allerdings etwas mißverständlich, als die Rechtsordnung auch Interessen schützt, die eher außergewöhnlicher Natur und keineswegs durchschnittlich akzeptanzföhig sind. 77 G. Jellinek, System, S. 44; femer Rosin, HirthsA 1883, 288 f. 78 G. Jellinek, System, S. 44 (Hervorhebungen durch Verfasser). 79 G. Jellinek, System, S. 54, 349; desgleichen W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 201; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 103, 106 f. 80 Bernatzik, AöR 5 (1890), 263 (Hervorhebungen durch Verfasser). 73

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

343

menschlichen Zweckes erforderlichen Willen rechtliche Kraft verleiht 81 . Und Rosin verstand unter dem subjektiven Recht „ein von der Rechtsordnung verliehenes Wollendürfen im eigenen Interesse, ein rechtliches Für-Sich-Wollendürfen" 82 .

2. Der Begriff des subjektiven Rechts in der heutigen Diskussion Die dargelegten früheren Unklarheiten und Streitstände bezüglich des subjektiven Rechts haben sich im wesentlichen erhalten und finden auch im heutigen Begriffsverständnis ihren Niederschlag. Daß die Diskussion der Pandektenwissenschaft auch unter der späteren Gesetzes- und Rechtslage sowohl im Bereich des öffentlichen als auch des Zivilrechts nahezu nahtlos fortgesetzt wurde und werden mußte, erklärt sich dogmengeschichtlich aus zwei Entwicklungssträngen. Zum einen beeinflußte das pandektenrechtliche Denken über das subjektive Recht schon deshalb notwendigerweise die Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzende Entwicklung des Verwaltungsrechts zu einer eigenständigen Rechtsmaterie, weil diese in zentralen Kategorien - wie etwa in bezug auf das subjektive Recht - notwendig Anleihen beim bereits ausgebildeten Privatrecht machen mußte83, und zudem ohnehin von pandektenrechtlich geschulten Staatsund Verwaltungsrechtlern betrieben wurde 84 . Zum anderen schlugen sich die pandektenrechtlichen Vorstellungen in den Kodifikationsbemühungen am Ende des 19. Jahrhunderts nieder, welche schließlich in Gestalt des BGB das gemeine Recht abgelöst haben, und aus welchem Gesetzbuch dann natürlich wiederum Schlüsse fur das Verwaltungsrecht gezogen wurden. Das BGB entstand nicht in einem rechtsleeren Umfeld ohne Anknüpfung an das Bestehende, sollte auch keine völlig neue Zivilrechtsordnung schaffen, sondern verstand sich selbst als Kodifikation des Privatrechts. Als solche wollte das BGB keine bloß sammelnde und ordnende Niederschreibung des Bestehenden darstellen, welche das vorgefundene Recht nicht änderte und allenfalls deklaratorisch neu formulierte; angestrebt war vielmehr eine Zusammenfassung des gesamten seinerzeit geltenden Privatrechts 85, die Ergebnis eines nach den Kriterien der Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Folgerichtigkeit untersuchenden und wertenden Vergleichs des gemeinen Rechts vor allem mit den größeren und bedeutenden preußischen, französischen (badischen) und sächsischen Gesetzbüchern sein sollte86. Als Kodifikation in diesem Sinne bezog das BGB seine entscheidenden Impulse 81

Bernatzik, AöR 5 (1890), 233. Rosin, HirthsA 1883, 289. 83 Hierfür ausdrücklich etwa Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 9; v. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 24; G. Jellinek, System, S. 58; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 201; Laband, Staatsrecht I, S. VII. 84 Vgl. dazu H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 74. 85 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 49. 86 Zu den Zielen der Zivilrechtskodifikation vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT I/1,S. 44 f. 82

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D. Das subjektive Recht

und übernahm es seine Institute und Begriffe vor allem aus dem gemeinen Recht, und zwar sowohl unmittelbar als auch mittelbar, da ja das Preußische Allgemeine Landrecht ebenso wie das auf dem Code Napoléon beruhende badische Landrecht und das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch ihrerseits wiederum maßgeblich auf dem römischen Recht beruhten 7 . Die Übernahme römischrechtlichen Denkens in die Kodifikationen war letztlich schon deswegen unvermeidlich, weil das gemeine Recht nahezu alleiniger Gegenstand der Rechtswissenschaft war 88 und damit zwangsläufig für das Denken der Juristen prägend sein mußte. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, daß die heutige Diskussion um das subjektive (öffentliche) Recht als Fortsetzung der seinerzeitigen erscheint. Allerdings wurde die früher heftig geführte Auseinandersetzung um den Beg r i f f des subjektiven Rechts zu einem guten T e i l dadurch entschärft, daß heute von Rechtsprechung und Literatur sowohl i m Zivilrecht als auch i m öffentlichen Recht - es entspricht allgemeiner Ansicht, daß der Begriff des subjektiven Rechts in beiden Rechtsgebieten derselbe ist 8 9 , nur daß es sich eben, j e nach der Zuordnung des betreffenden Rechtssatzes 90 , um ein subjektives privates oder um ein subjektives öffentliches Recht handelt - i m wesentlichen Kombinationstheorien vertreten werden. Das heißt, die herangezogenen Definitionen des subjektiven Rechts kombinieren i m Grunde nur die von den Pandektenlehrern herausgearbeiteten Kriterien. Dies gilt vor allem für die Formulierung, nach der das subjektive Recht als eine dem einzelnen zwecks Befriedigung seiner Bedürfhisse oder zur Verfol-

87 Vgl. hierzu Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 38 ff.; Windscheid, Pandektenrecht, § 6. 88 Dadurch trug die Pandektenwissenschaft übrigens trotz der Rechtszersplitterung im Deutschen Reich nicht unerheblich zur Aufrechterhaltung des Einheitsgedankens bei, Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 42. 89 Vgl. BVerwG, DÖV 1995, 909, 910; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 201; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 2; Reichel, JherJb 59 (1911), 448. 90 Eine von dieser heutigen Abgrenzung verschiedene Unterscheidung schwebte Georg Jellinek vor. Danach war subjektives öffentliches Recht „seiner materiellen Seite nach" ein solches, „welches dem einzelnen wegen seiner gliedlichen Stellung im Staate zusteht" und „überwiegend im Gemeininteresse" verliehen ist (G. Jellinek, System, S. 53), während es sich in formaler Hinsicht dadurch vom subjektiven Privatrecht unterscheide, daß das subjektive öffentliche Recht „ausschließliches Wollenkönnen", das subjektive private Recht hingegen „Wollendürfen" begründe: „Das subjektive öffentliche Recht ist daher nur durch ein Wollenkönnen geschütztes Interesse, das subjektive Privatrecht ein Interesse, zu dessen Realisierung auch ein Wollendürfen verliehen ist" (ebd., S. 57). Diese Unterscheidung beruhte auf dem Versuch, das öffentliche und das Privatrecht überhaupt mit materiellen Kriterien abzugrenzen, und ist mit der Aufgabe solcher materieller Abgrenzungsversuche überholt. Jellineks Erkenntnis jedoch, „dass subjektives Privat- und öffentliches Recht Glieder eines einheitlichen logischen Ganzen sind" (ebd., S. 58), gilt auch heute.

I. Die bisherige Diskussion um das subjektive Recht

345

gung seiner Interessen durch die Rechtsordnung verliehene Willensmacht91 oder Rechtsmacht92 verstanden wird, als die Möglichkeit, sein Interesse durch eigene Willensbetätigung durchzusetzen 93, oder, in der Formulierung von Wolff, als „Erlaubnis zur Wahrnehmung berechtigter Interessen" 94. Nicht selten wird zur Definition des subjektiven Rechts auch von Jherings Formel vom rechtlich geschützten Interesse herangezogen95, wobei freilich angenommen werden darf, daß dem nicht die Absicht einer Abgrenzung von der Willensmachtdefinition zugrunde liegt, zumal wenn beide Formulierungen - wohl in Verkennung ihres dogmengeschichtlich unterschiedlichen, wenn nicht gegensätzlichen Hintergrundes 96 - unterschiedslos nebeneinander als austauschbar verwendet werden 97 . Ebenso an von Jhering lehnt sich die differenzierende Formulierung von Enneccerus/Nipperdey an: „Das subjektive Recht ist begrifflich eine Rechtsmacht, die dem einzelnen durch die Rechtsordnung verliehen ist, seinem Zwecke nach ein Mittel zur Befriedigung menschlicher Interessen. Erst durch die Würdigung beider Seiten seines Wesens wird das subjektive Recht voll erkannt" 98 . In dieser

91

Bachof Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 63; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 95; Böckenförde, in FS Wolff, S. 302; Brox, BGB AT, Rn. 568; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 104; Kisker, JuS 1975, 706; Lehmann/ Hübner, BGB AT, S. 83; Medicus, BGB AT, Rn. 70; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 156; Scherner, BGB AT, S. 21; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Rn. 2/56, 69; Stech, ZZP 77 (1964), 163; Stettner, Kompetenzlehre, S. 68. 92 Bachof in GS W. Jellinek, S. 292 f., 299; Barth, Subjektive Rechte, S. 25, 38; Biermann, Bürgerliches Recht I, S. 36, 95; U. Bauer, Organklagen, S. 32; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 139 f.; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 443; Erichsen,, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 30; Frenz, DÖV 1995, 408; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 134; ders, NJW 1980, 1019; Hübner, BGB AT, Rn. 354; Köhler, BGB AT, § 5 Rn. 5; Krebs, VerwArch 1977, 192; ders, Jura 1981, 574 f.; Lorenz, AöR 93 (1968), 313; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 2; Peine, AllgVerwR, Rn. 79; Rüthers, BGB AT, Rn. 58; ders, Rechtstheorie, Rn. 64; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 496, ders., in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 288 f.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 186; Stern, Staatsrecht III/l, § 65 II 3, S. 533 ff. 93 Stech, ZZP 77 ( 1964), 163. 94 Wolff Organschaft I, S. 111. 95 VGH Mannheim, VB1BW 1985, 102; Z U M 1999, 588, 590; Böckenförde, in FS Wolff, S. 302; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 92; Huber, AllgVerwR, S. I l l ; Hübner, BGB AT, Rn. 406; Kisker, JuS 1975, 705; Rupp, Grundfragen, S. 245 f.; SchmidtPreuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 187. 96 S. oben D.I.I.e. 97 So etwa Hübner, BGB AT, Rn. 354, 406; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 186, 187. 98 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 428 f. (Hervorhebungen im Original); zustimmend Bachof, in GS W. Jellinek, S. 292; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 134 f.; ders., DVB1. 1970, 846.

346

D. Das subjektive Recht

Differenzierung spiegelt sich von Jherings Unterscheidung des formalen und des substantiellen Momentes subjektiver Rechte wider". Kennzeichnend für das heutige Verständnis des subjektiven Rechts ist sonach überwiegend eine Kombination dreier Begriffselemente: des Interessenmerkmals, des Elementes der Willensbetätigung und des Zwangselementes. Sieht man diese Kombination im Lichte der dargestellten Diskussion in der Pandektenwissenschaft, so wird deutlich, daß es sich hierbei um einen Kompromiß zwischen den in der Pandektenwissenschaft vertretenen Ansichten handelt. Diese Kompromißhaftigkeit dürfe dabei wohl weniger der Überzeugung entspringen, damit genau das Richtige getroffen zu haben, als vielmehr Folge der Einschätzung sein, daß die lange geführte Diskussion zu keinem klaren Ergebnis gekommen ist, daß vielmehr sowohl die Willens- wie auch die Interessentheorie Stärken und Schwächen bei der Erklärung des Phänomens subjektiver Rechte aufweist. Indessen kann eine solche bloße Kombination mehrerer je für sich anfechtbarer Kriterien kein besseres Ganzes ergeben 100. Auch der Gesetzgeber dürfte diese Skepsis teilen. Denn obgleich er das Institut des subjektiven Rechts sowohl in den Mittelpunkt des bürgerlichen Rechts gestellt als ihm auch einen (vielleicht nicht ganz so zentralen, aber dennoch) überaus wichtigen Platz im Bereich des öffentlichen Rechts zugewiesen hat 101 , hat er sich stets jeglicher diesbezüglichen Legaldefinition enthalten und den Begriff des subjektiven Rechts schlicht als bekannt vorausgesetzt, oder vielmehr: sich auf die ihm wichtig erscheinenden Regelungen beschränkt und die Herausarbeitung der genauen Begriffsdefinition der Rechtswissenschaft überlassen. Diese Zurückhaltung des Gesetzgebers beruht wohl nicht zuletzt auf der Erkenntnis, daß die wissenschaftliche Diskussion bislang kein befriedigend normierbares Begriffsverständnis erbracht hat 102 , und daß daher jeder gesetzgeberische Normierungsversuch Gefahr liefe, mehr Unklarheiten als Problemlösungen zu produzieren und damit letztlich der Rechtssicherheit zu schaden.

99

Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 339 (s. vorstehend D.I.l.c.bb). Vgl. Larenz, BGB AT, S. 212; Wolf, WissR 1970, 202. 101 S. oben C.IV.l. 102 Larenz, BGB AT, S. 210 meinte resümierend, die Suche nach einer Definition, die auf alle Arten subjektiver Rechte zutreffe, habe „notwendigerweise einen solchen Abstraktionsgrad erreichen [müssen], daß sie nichtssagend wurde"; Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 10. 100

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien des subjektiven Rechts Die durch die vorstehend dargelegten Kompromißformeln nur notdürftig übertünchten Unklarheiten bezüglich des subjektiven Rechtsbegriffs legen eine eingehendere Befassung mit demselben nahe. Diese hat, da eine dogmatische Rekonstruktion des subjektiven Rechtsbegriffs nur gelingen kann, wenn zuvor gewisse dogmengeschichtlich überkommene Fehlvorstellungen abgelegt werden, sinnvollerweise mit einer Kritik der herkömmlichen Kriterien des subjektiven Rechts zu beginnen, also des Willens-, des Interessen- und des Rechtsmachtkriteriums.

1. Kritik des Willenskriteriums Der berechtigten Kritik von Jherings an der Willenstheorie, daß der Wille für sich allein nicht das subjektive Recht ausmachen oder Gegenstand des subjektiven Rechts sein könne1, wird heute allgemein dadurch Rechnung getragen, daß das Willensmoment mit dem Interesse, auf welches der Wille bezogen sein soll, verknüpft wird 2 . Denn in der Tat muß jedes Wollen einen bestimmten Inhalt haben, und schon deshalb kann die Rechtsordnung nicht das Wollen schlechthin zum Gegenstand eines Rechts machen, sondern nur insoweit es einen Bezug zu einem Gut oder Interesse hat3. Da die heutigen Kompromißformeln diesem Bedenken Rechnung tragen, kann hieraus kein Einwand gegen die Benutzung des Willenskriteriums mehr gewonnen werden. Das heißt aber nicht, daß dieses deshalb unproblematisch wäre. Die Ausräumung dieses einen Bedenkens läßt nämlich nicht auch das Argument entfallen, daß die Willenstheorie nicht den Umstand erklären kann, daß auch Willensunfähige Rechte innehaben können4,

1

S. oben D.I.l.c.aa. Vgl. oben D.I.2. 3 Vgl. Bernatzik, AöR 5 (1890), 199; v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 253; G. Jellinek, System, S. 42. 4 Vgl. nur Gitter, in MünchKomm BGB, § 1 Rn. 5 ff.; Larenz, BGB AT, S. 89; Larenz/Wolf, BGB AT, § 5 Rn. 4; Pawlowski, BGB AT, Rn. 98. - A.A. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 162 ff, 166, der zu Unrecht davon ausgeht, daß die Rechte und Pflichten eigentlich dem gesetzlichen Vertreter zugeordnet seien und bloß im Wege einer „Fiktion" so behandelt würden, als ob sie solche des Handlungsunfähigen wären. § 1 BGB sieht das offensichtlich anders, nachdem hiemach die Rechtsfähigkeit mit der Vollen2

348

D. Das subjektive Recht

und daß nach ihr eigentlich die gesetzlichen Vertreter der Willensunfähigen die Rechtsinhaber sein müßten5, sich jedenfalls auf der Basis der Willenstheorie keine Entscheidung treffen läßt, wer denn nun eigentlich der Berechtigte ist der Willensunfähige oder sein Vertreter 6. Dieser Einwand freilich ist von den Anhängern der Willenstheorie bekämpft worden. Denn, so wurde ihm entgegengehalten, die Interessentheorie fordere schließlich auch ihrerseits die (gerichtliche) Durchsetzbarkeit des Interesses als Kennzeichen des subjektiven Rechts, wer aber willensunfähig sei, könne auch nicht klagen, und insofern müsse sich die Argumentation mit dem Willensunfähigen auch gegen die Interessentheorie richten; keine Ansicht komme an der Notwendigkeit vorbei, den gesetzlichen Vertreter für den Willensunfähigen handeln zu lassen, und so wie jener für diesen klagen kann, könne die Willenstheorie also durchaus annehmen, „daß im Namen des Berechtigten ein Anderer wollen (den von der Rechtsordnung als maßgebend anerkannten concreten Willensinhalt geltend machen) könne"7. Dieser Versuch, die Willenstheorie zu verteidigen, kann nicht überzeugen. Unschlüssig ist insbesondere das Gegenargument, daß schließlich auch nach der Interessentheorie der gesetzliche Vertreter für den Willensunfähigen klagen könne. Dieser Gegeneinwand übersieht nämlich den Unterschied zwischen einer unproblematischen Vertretung bloß bei der Ausübung und Geltendmachung eines Rechts einerseits, und einer überaus fragwürdigen Vertretung gerade in jenem Merkmal, welches das Recht ausmachen soll, andererseits; letzteres liefe nämlich auf eine Vertretung in der Innehabung des Rechts selbst hinaus. Die Interessentheorie zieht das Interessenkriterium heran, um den Rechtsinhaber zu bestimmen; daß dieser Rechtsinhaber seine Interessen eventuell nicht selbst verfolgen können mag, sondern insoweit durch seinen gesetzlichen Vertreter handeln muß, ändert nichts daran, daß dieser wiederum im Interesse des Vertretenen agiert, so daß hier die Berechtigung und das mit der Klage verfolgte Interesse durchaus zusammenfallen 8. Für die Interessentheorie ist die etwa erforderliche Vertretung eines Minderjährigen oder sonst in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten also kein Problem, weil die Vertretung in der Willensbetätigung bei der Ausübung eines Rechts mit der Innehabung dieses Rechts nichts zu tun hat. dung der Geburt beginnt, obschon in diesem Zeitpunkt von Willens- und Handlungsfähigkeit keine Rede sein kann. 5 Bernatzik, AöR 5 (1890), 199 f.; Leonhard., Allgemeines Schuldrecht, S. 13. Diese notwendige Konsequenz betont insofern zutreffend auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 164. 6 Rosin, HirthsA 1883, 287. 7 Windscheid, Pandektenrecht, § 37 Fn. 2; desgleichen Regelsberger, Pandekten, § 14; zustimmend Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 87 Fn. 22. 8 Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 353; ferner Wolff, Organschaft I, S. 115.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

349

Die Willenstheorie hingegen benutzt das Wollen zur Bestimmung des Rechts, und sie kann daher nicht zugeben, daß das Wollen und die Berechtigung auseinanderfallen, ohne ihre eigene Grundlage aufzugeben. Daß der Willensunfähige im Rechtsverkehr auch im Wollen vertreten werden muß, ist allerdings richtig, nur belegt eben dieser Umstand, daß sich das Willensmoment nicht als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung eignet, wer Rechtsinhaber ist. Die gesetzliche Vertretung verschiebt die Wahrnehmungszuständigkeit für das Recht: bezüglich des Willensmomentes wird auf den Vertreter abgestellt, bezüglich des Interesses auf den Vertretenen, und an diesem Auseinanderfallen scheitert die Willenstheorie. Der gesetzliche Vertreter nimmt die Interessen des geschäftsunfähigen Rechtsinhabers wahr, vertritt ihn aber nicht etwa in diesem Interesse, hingegen nimmt er nicht etwa den Willen des Vertretenen wahr, sondern vertritt ihn darin. Während dies der Interessentheorie keine Probleme bereitet, weil das Interesse stets bei dem willensunfähigen Rechtsinhaber bleibt und eine Vertretung nur in bezug auf Fragen stattfindet, die sie nicht heranzieht, um die Zuweisung der Rechtsinhaberschaft vorzunehmen, sieht sich die Willenstheorie genötigt, in ihrem zentralen Merkmal eine bloße Zurechnungsfiktion vorzunehmen, nämlich das rechtlich allein relevante Wollen des Vertreters dem unbeachtlichen Wollen des Geschäftsunfähigen zuzurechnen. Damit aber nimmt sie ihr zentrales Kriterium letztlich selbst nicht mehr ernst, sondern löst dieses in eine bloße Fiktion auf. Hiernach genügt nämlich nicht mehr die Betrachtung, wessen Willen relevant ist, sondern man müßte stets noch untersuchen, ob dieser Wille dem Wollenden zuzurechnen ist, oder womöglich einem anderen. Freilich setzt die Ausübung eines subjektiven Rechts eine Willensbetätigung voraus, und wer zu einer solchen Willensbetätigung nicht fähig ist oder wessen Willensbetätigung etwa aufgrund seiner Minderjährigkeit von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird, bedarf eines Vertreters in der Willensbetätigung. Nur hat eben diese Willensbetätigung zar Ausübung eines Rechts nichts mit der Innehabung des Rechts zu tun. Eben dieser Unterschied wird sehr deutlich von Windscheid/Kipp erkannt, die ihm freilich keine Bedeutung zumessen, sondern „beide Arten der subjektiven Rechte" unter die Willensherrschaftsdefinition fassen wollen, also sowohl erstens jene Fälle, in denen der Wille des Berechtigten „maßgebend für die Durchsetzung des von der Rechtsordnung erlassenen Befehls" sein soll, als auch zweitens die Fälle, „daß der Wille des Berechtigten maßgebend sei für die Entstehung von Rechten der zuerst gedachten Art"; in diesem zweiten Fall „wird dem Berechtigten ein maßgebender Wille zugeschrieben nicht für die Durchsetzung,, sondern für das Sein von Befehlen der Rechtsordnung" 9. Kann

9

Windscheid/Kipp,

Pandektenrecht, § 37 (Hervorhebungen durch Verf.).

350

D. Das subjektive Recht

man einer solchen Definition auch keinen logischen Fehler vorwerfen 10, so erscheint es freilich gleichwohl wenig zweckmäßig und sinnvoll, zwei gänzlich verschiedene Kategorien definitorisch unter demselben Begriff des subjektiven Rechts zu vereinigen. Denn indem der Wille wahlweise sowohl als Entstehungsgrund für das subjektive Recht gelten wie auch bloß als Durchsetzungsfaktor dienen kann, wird das Willensherrschaftskriterium in einer Weise aufgelöst, daß letztlich als Bestimmung des subjektiven Rechts nur noch übrigbleibt, daß es irgendetwas mit dem Willen zu tun hat. Daß die Durchsetzung eines Rechts immer vom Willen des Berechtigten bzw. seines gesetzlichen Vertreters abhängt - freilich mag er rechtlich zur Herbeiführung eines Erfolges verpflichtet sein, den er nur durch die Geltendmachung eben jenes Rechts bewirken kann 11 - , versteht sich ohnehin; nur ist nicht ersichtlich, wie dieser Umstand gerade zur Ermittlung herangezogen werden soll, wann ein subjektives Recht oder eben nur ein objektiver Rechtsbefehl vorliegt. Gewiß verhält es sich so, daß, wenn ein subjektives Recht vorliegt, dessen Durchsetzung vom Willen des Berechtigten abhängt; indes setzt diese Durchsetzbarkeit das subjektive Recht voraus, und der Durchsetzungswille kann daher sinnvoll nicht als jene Willensmacht verstanden werden, die das subjektive Recht definieren soll. Die Durchsetzung eines subjektiven Rechts ist etwas durchaus Sekundäres gegenüber dem, was das subjektive Recht ausmacht und was es beinhaltet, und deshalb überzeugt es nicht, unter jene Willensherrschaft, die nach der Willenstheorie das subjektive Recht kennzeichnen soll, auch den Durchsetzungswillen zu fassen. Es ist daher bezeichnend, wenn Windscheid/Kipp diesen für die Durchsetzung des subjektiven Rechts maßgebenden Willen daraus begründen, daß die Rechtsordnung, die „auf Grund eines konkreten Tatbestandes einen Befehl zu einem Verhalten bestimmter Art erlassen und diesen Befehl demjenigen, zu Gunsten dessen sie ihn erlassen hat, zur freien Verfügung hingegeben" habe, diesem überlasse, ob er von dem Befehl Gebrauch machen wolle 12 . Damit legen sie nämlich offen, daß es für das subjektive Recht nicht auf den Durchsetzungswillen als solchen ankommt, sondern darauf, ob ein Gesetzesbefehl „zu Gunsten" einer bestimmten Person ergangen ist - dieses Kriterium hat aber mit dem Willensmerkmal nichts zu tun, kann jedenfalls nicht als Willensherrschaft zur Durchsetzung verstanden werden, weil diese aus dem subjektiven Recht folgt und somit nicht das Recht (begrifflich) ausmachen kann. Welche merkwürdigen Formen die Verteidigung der Willenstheorie annimmt, erhellt ferner aus einer Stellungnahme von Tuhrs, der letztlich ebenso gezwun10 11 12

So Aicher, Das Eigentum, S. 36. Vgl. hierzu näher unten E.I.3. und 4. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, § 37 (Hervorhebung durch Verfasser).

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

351

gen ist, die Basis der Willenstheorie zu verlassen: „Die Rechtsfigur der Vertretung, bei welcher der Wille eines Menschen den Zwecken eines anderen dienstbar wird, ermöglicht es, die zum Wesen des subjektiven Rechts gehörende Willensherrschaft auch da herzustellen, wo das Subjekt, dessen Interessen zu schützen sind, keinen rechtlich beachtlichen Willen hat" 13 . An dieser Ausführung ist bemerkenswert, daß der wahre Rechtsinhaber als „Subjekt, dessen Interessen zu schützen sind", beschrieben wird. Diese auf der Basis einer vorgeblichen Willenstheorie erstaunliche Inkonsequenz kann allerdings letztlich nicht verwundern, weil ja von Tuhr andernfalls zu der reichlich befremdlichen Aussage genötigt gewesen wäre, die Vertretung ermögliche es, „die zum Wesen des subjektiven Rechts gehörende Willensherrschaft auch da herzustellen, wo das Subjekt, um dessen Willensherrschaft es geht, keinen rechtlich beachtlichen Willen hat". Indem aber von Tuhr zur Rechtfertigung der Willenstheorie in Vertretungsfällen gerade die Definition der Interessentheorie heranziehen muß und eben nicht mehr auf die Willensherrschaft abstellen kann, bestätigt er unwillentlich die Kritik von Jherings und entlarvt das Willensmerkmal als eine bloße Fiktion. Da auch Personen, die „keinen rechtlich beachtlichen Willen" haben, Inhaber von Rechten sein können, läßt sich die Willenstheorie nur um den Preis einer solchen Weite und Vagheit des Willenskriteriums als Definiens des subjektiven Rechts formulieren, daß sie insgesamt anfechtbar werden muß 14 . Damit ist festzuhalten, daß die Willenstheorie den Testfall des Willensunfähigen nicht zu bestehen vermag, vielmehr gerade in diesem kritischen Fall Zuflucht zu Interessenkriterien nehmen muß, weil sie allein aus dem Willenskriterium nicht begründen kann, wieso nicht der Vertreter, sondern eben doch der Vertretene Rechtsinhaber ist, obgleich sein Wille rechtlich völlig unbeachtlich ist. Ein Merkmal, das die Rechtsordnung für unbeachtlich erklären kann und auch in der Tat verschiedentlich für unbeachtlich erklärt, eignet sich jedoch nicht zur Bestimmung des subjektiven Rechts.

2. Kritik des Interessenkriteriums Gegen die Interessentheorie ist schon früh eingewandt worden, es sei nicht zulässig, den Zweck des Gesetzes in seinen Inhalt hineinzulesen, sondern daß vielmehr Zweck und Inhalt subjektiver Rechte zu unterscheiden seien15. Gewiß verfolge der Gesetzgeber mit der Gewährung subjektiver Rechte gewisse Zwek13

v. Tuhr, BGB AT I, S. 58 (Hervorhebung durch Verfasser). Vgl. Bernatzik, AöR 5 (1890), 195 f.: „Persönlichkeit des vertretenen Willensunfähigen als eine fingirte ... geht der Erklärung aus dem Wege". 15 Vgl. Windscheid, Pandektenrecht, § 37 Fn. 2; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, § 37 Fn. 3, S. 157; aus neuerer Zeit etwa Aicher, Das Eigentum, S. 21 Fn. 23; Blankenagel, Die Verwaltung 1993, 21. 14

352

D. Das subjektive Recht

ke und wolle er damit die Interessen des Berechtigten befördern. Dieses gesetzgeberische Motiv sage aber nichts über das Recht als solches aus, weil „die Substanz des Rechts nicht in dem Interesse, sondern in den von der Rechtsordnung zum Schutz dieses Interesses erlassenen Aussprüchen" liege 16 . Und in der Tat ging auch der BGB-Gesetzgeber davon aus, daß „ein vermögensrechtliches Interesse des Gläubigers ... nicht zum Wesen der Obligation" gehört, ja daß „die Wirksamkeit des Schuldverhältnisses ... auch damit nicht bekämpft werden [kann], daß der Gläubiger kein anderes schutzwürdiges Interesse an der Leistung habe" 17 . Die These von Jherings, jedem subjektiven Recht müsse ein vom Gesetzgeber als schützenswert empfundenes Interesse zugrunde liegen, ein Recht ohne zumindest abstrakten Genuß gebe es nicht 18 , hat danach keinen Beifall von Seiten des Gesetzgebers gefunden. Die in der Genußermöglichung liegende Zweckhaftigkeit allen Rechts erweist sich somit eher als ein rechtspolitisches Petitum denn als ein logisches Muß, welches ein Recht ohne Genuß nachgerade als „contradictio in adiecto" erscheinen ließe. Selbstredend liegt subjektiven Rechten in den allermeisten Fällen ein irgendwie geartetes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse zugrunde. Zum unverzichtbaren Inhalt des subjektiven Rechts gehört dies aber nicht. Diese Kritik trifft die Definition von Jherings indessen nur teilweise und jedenfalls nicht in ihrem Kern. Denn obgleich Zweck und Inhalt eines Rechts in der Tat unterschieden werden müssen, wollte ja von Jhering mit seinem Ansatz gerade eine über die rein dogmatische Betrachtung hinausgehende Beschreibung des Wesens subjektiver Rechte geben, und in dieser Beziehung ist es logisch durchaus statthaft, den Zweck des Rechts mit einzubeziehen. Von Jhering hat denn auch sehr klar gemacht, daß er den vom Gesetzgeber mit einer Norm verfolgten Zweck heranziehen wolle, um hiervon im Wege der Auslegung auf den Inhalt der Norm zu schließen; keineswegs sollte nach seiner Vorstellung dieser Zweck mit dem Inhalt gleichgesetzt werden.

a) Interessenschutz durch bloß objektives Recht: Kritik des Individualisierungskriteriums Die Kritik des von Jheringschen Ansatzes muß bei einem anderen Punkt ansetzen, der freilich für seine Theorie zentral ist und daher eine so wesentliche Schwäche derselben darstellt, daß die Eignung des Interessenkriteriums zur Bestimmung subjektiver Rechte überhaupt in Frage gestellt ist. Es kann nämlich nicht übersehen werden, daß das subjektive Recht keineswegs der einzige Weg

16 17 18

Windscheid/Kipp, Pandektenrecht, § 37 Fn. 3, S. 157. Motive II, S. 3. v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 350.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

353

zum Schutz von Interessen ist, sondern daß auch das objektive Recht durchaus zahlreiche Vorschriften enthält, die dem Interessenschutz dienen, ohne daß es sich hierbei um die gesetzliche Gewährung subjektiver Rechte handelte19. Diese Schwierigkeit hat freilich auch von Jhering nicht verkannt: „Nicht jedes Gesetz, welches ein Interesse schützt, verschafft dem Interessenten ein Recht im subjektiven Sinn, d.h. einen Rechtsanspruch auf Gewährung dieses Schutzes. Das Gesetz, welches im Interesse gewisser Fabrikationszweige Schutzzölle einfuhrt, kommt den Fabrikanten zugute, es fördert, schützt sie in ihrem Geschäftsbetriebe, und dennoch gewährt es ihnen keine Rechte. Wie verträgt sich dies mit unserer obigen Definition: Rechte sind rechtlich geschützte Interessen? Die Antwort lautet: es liegt hier nur eine bloße Reflexwirkung vor, ein Verhältnis, das allerdings mit dem Recht die größte Ähnlichkeit hat, aber um so sorgfältiger von ihm geschieden werden muß. Der Staat erläßt das Gesetz in Wirklichkeit in seinem Interesse, welches hier freilich mit dem der Fabrikanten ... Hand in Hand geht" 20 . „Wie scheiden sich aber diese lediglich durch die Staatsbehörden geschützten Interessen, denen wir den Charakter eines Rechts beilegen, von den obigen Reflexwirkungen des Gesetzes ab, denen wir ihn absprechen? Hier wie dort Interessen, denen die Staatsbehörde ihren Schutz zuteil werden läßt! Ich erblicke das unterscheidende Merkmal in der Möglichkeit der Konstatierung einer individuellen Rechtsverletzung. Werden die Schutzzölle nicht richtig gehandhabt, so ist es nicht dieser bestimmte Fabrikant oder Landwirt, der darunter leidet, sondern alle - die Wirkungen der mangelhaften Handhabung des Gesetzes verlieren sich ins Allgemeine, Unbestimmte"21. Damit ist man nun freilich unversehens vom Interessenkriterium zu einem Individualisierungskriterium gelangt. Das Interesse ist danach zwar immer noch eine notwendige Bedingung des subjektiven Rechts, aber nicht zur eigenständigen Bestimmung und Ermittlung desselben hinreichend. Die Definition des subjektiven Rechts müßte hiernach von dem rechtlich geschützten Interesse auf das rechtlich geschützte individuelle Interesse eingeschränkt werden. In der Tat wird dieses Individualisierungskriterium in Gefolgschaft zu von Jhering bis heute vielfach zur Abgrenzung bloß reflexartig begünstigender und subjektive Rechte verleihender Rechtssätze herangezogen22. So wird etwa formuliert, eine 19 Bernatzik, AöR 5 (1890), 233, 261 f.; G. Jellinek, System, S. 44, 69 f.; Regelsberger, Pandekten, § 14; Rosin, HirthsA 1883, 287 Fn. 3; ebenso Scherzberg, DVB1. 1988, 131. 20 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 351 f. (Hervorhebungen im Original). 21 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 353 (Hervorhebung im Original). 22 Vgl. BVerwGE 32, 173, 175; 66, 307, 308; 95, 333, 337 f.; BVerwG, NuR 1997, 504; OVG Weimar, ThürVBl. 1999, 212, 214; Barth, Subjektive Rechte, S. 27; Blankenagel, Die Verwaltung 1993, 18 f., 24 f.; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 21, 42 ff.; v. Danwitz, DÖV 1996, 485; Herbert, DÖV 1994, 110; Hoppe, Organ-

25 Roth

354

D. Das subjektive Recht

Vorschrift verleihe nur dann ein subjektives Recht, wenn sie zumindest „auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren, d.h. sich von der Allgemeinheit unterscheidenden Personenkreises" diene23, so daß bei „völliger Offenheit" und Unabgegrenztheit des Kreises der Begünstigten deren subjektive Berechtigung verneint wird 24 . Die Rechtsnorm muß nach dieser Ansicht eine „praktikable Abgrenzung eines berechtigten Personenkreises" ermöglichen 25, ja nachgerade „bestimmte Subjekte aussondern, diese also von der Allgemeinheit unterscheidbar machen"26, damit nicht ein „nicht mehr übersehbarer Kreis von angeblich Berechtigten" in den Schutz des Gesetzes komme 27 . Noch enger wird dieses Kriterium gehandhabt, wenn über die Bestimmtheit und Abgegrenztheit des Kreises der Berechtigten hinaus gefordert wird, dieser Kreis dürfe „nicht übermäßig weit" sein28. Derartige Einschränkungen des subjektiven Rechts anhand seiner „Individualisierbarkeit" sind freilich nicht unbedenklich. Erstens wirft dieser Ansatz eine Abgrenzungsschwierigkeit auf, die kaum lösbar sein dürfte: Wie viele Personen dürfen allenfalls in ihrem Interesse betroffen sein, um in diesem Sinne noch von einer „individuellen" statt von einer „allgemeinen" Beeinträchtigung sprechen zu können?29 Die hier bestehende Schwierigkeit läßt sich etwa an der Regelung der Öffnungszeiten im Einzelhandel durch das Ladenschlußgesetz demonstrieren: Diese dienen zum einen dem Interesse der Allgemeinheit an der Feierabend- sowie Feiertagsruhe, zum anderen aber und vor allem dem Arbeitnehmerschutz, insofern nämlich durch leicht kontrollfähige Ladenschlußzeiten die Einhaltung der Arbeitszeitregelungen sichergestellt werden soll 30 . Während nun der normale Bürger Verstöße gegen das Ladenschlußgesetz nicht rügen kann, kommt der Schutz des Ladenschlußgesetzes jedem Beschäftigten im Einzelhandel zugute, so daß jeder Arbeitnehmer einer Verkaufsstelle im örtlichen Geltungsbereich einer die Ladenöffnungszeiten erweiternden Rechtsverordnung mittels Normenkontrollantrags (§ 47 VwGO) eine Verletzung seiner subjektiven Rechte geltend machen

Streitigkeiten, S. 135, 184; G. Jellinek, System, S. 70 ff., 79 f.; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 8; Rupp, Grundfragen, S. 221 ff., 246, 248, 272; Schmidt, JuS 1999, 1110; SchmidtAßmann, Ordnungsidee, Rn. 4/57; Schoch, NVwZ 1999, 458. 23 BVerwGE 81, 329, 334; 95, 333, 337 f.; BVerwG, NuR 1997, 504. 24 VGH Mannheim, VB1BW 1991, 99, 100; vgl. BVerwGE 32, 173, 175. 25 BVerwGE 32, 173, 175. 26 Blankenagel, Die Verwaltung 1993, 24 (Hervorhebung im Original). 27 BVerwGE 32, 173, 175. 28 Huber, AllgVerwR, S. 112; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 276. 29 Vgl. Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 40; krit. auch H Bauer, AöR 113(1988), 602 f. 30 Vgl. BVerfGE 59, 336, 353; BVerwGE 65, 167, 172; BVerwG, NJW 1999, 1567; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694 f.; VGH Mannheim, NJW 1999, 1569.

355

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

kann31. Das zeigt, daß es letztlich nicht um ein Individualisierungsproblem gehen kann. Denn die Gesamtheit aller Verkaufsangestellten in einer Großstadt ist kaum besser individualisierbar wie die Einwohnerschaft derselben; wer in den Genuß subjektivrechtlichen Schutzes durch das Ladenschlußgesetz kommt, hängt von dessen Zweck ab, und nicht von der Frage, um wie viele Begünstigte es sich handelt. Zweitens ist nicht ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber gehindert sein soll, einer Vorschrift trotz ihrer Eignung, viele oder gar alle zu begünstigen, einen echten subjektiven Rechtscharakter zu verleihen, so daß sich dann eben entsprechend viele Begünstigte darauf berufen können 3 2 . Solche Fälle mögen gewiß selten sein, aber es kann nicht angehen, sie schon begrifflich

aus dem Bereich

des subjektiven Rechts auszuscheiden und so dem Gesetzgeber v o m Begriff des subjektiven Rechts her die Macht abzusprechen, allgemeine Begünstigungen als subjektive Rechte zu gewähren. Weshalb aus der Allgemeinheit gungswirkung einer Rechtsnorm zwingend

der Begünsti-

deren bloße Reflexhaftigkeit

soll, ist nicht begründbar. Denn, wie Bachof

folgen

treffend formulierte: „auch ein

Rechtssatz, der 'alle' schützt, kann jeden einzelnen schützen" 3 3 . In der Tat finden sich fur diese These sogar positivgesetzliche Beispiele, welche hinlänglich belegen, daß auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers von der Allgemeinheit der Begünstigung nicht auf deren bloß objektivrechtliche Natur geschlossen werden darf. Zu nennen ist hier namentlich der Gemeingebrauch an den öffentlichen Straßen, der Jedermann" zusteht (§ 7 Abs. 1 S. 1 FStrG, § 13 Abs. 1 StrG BW): Zwar besteht auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs kein Rechtsanspruch (§13 Abs. 2 StrG BW), aber solange der Gemeingebrauch eröffnet ist, stellt das Recht zum Gebrauch ein subjektives Recht dar 34 , und dies eben bemerkenswerterweise ungeachtet dessen, daß der Kreis der Berechtigten fürwahr umfassend und allgemein ist. Entsprechend werden auch die Jedermann" zustehenden Rechte auf Erholung in der freien Natur (§ 35 NatSchG BW) und auf unentgeltliche Betretung der freien Landschaft zum Zwecke der Erholung (§37 Abs. 1 S. 1 NatSchG BW) ungeachtet des gänzlich unbeschränkten Kreises der Berechtigten als subjektive öffentliche Rechte verstanden35. Als weiteres Beispiel kann auf § 4 Abs. 1 UIG verwiesen werden, wonach Jeder" Anspruch auf freien Zugang zu Informationen über die Umwelt hat, die bei Behörden oder bestimmten Privaten vorhanden sind; diese Vorschrift verleiht trotz des denkbar weiten und nicht näher einge31

BVerwG, NJW 1999, 1567; VGH München, GewArch 1999, 170, 171: „Verkaufsangestellter eines Nürnberger Kaufhauses" als Angehöriger des ftir eine Normenkontrolle nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO antragsbefugten Personenkreises. 32 Vgl. Bachof in GS W. Jellinek, S. 297; Classen, , VerwArch 1997, 668; Kopp/ Schenke, VwGO, §42 Rn. 84; Masing, Mobilisierung, S. 186; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 140; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 26. 33 Bachof in GS W. Jellinek, S. 297 (Hervorhebung im Original); zustimmend Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 50 Rn. 23; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 140; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 86 f. 34 Bachof in GS W. Jellinek, S. 298; Papier, in Erichsen, AllgVerwR, § 43 Rn. 61; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, § 58 II b. VGH Mannheim, VB1BW 1998, 174.

356

D. Das subjektive Recht

schränkten Kreises der Berechtigten sowohl seinem Wortlaut („Anspruch") als auch seinem Zweck und der gesetzgeberischen Intention nach ein subjektives Recht auf den betreffenden Zugang zu Umweltinformationen 36.

Die einzige Anforderung, die naturgemäß an einen Rechtssatz zu stellen ist, damit dieser ein subjektives Recht verleihen kann, ist seine hinreichende tatbestandliche Bestimmtheit dahin, daß zumindest im Wege der Auslegung zu ermitteln sein muß, wem das subjektive Recht zustehen soll; keine Rolle spielt dagegen, um wie viele Berechtigte es sich handelt und ob deren Kreis sonst personell oder räumlich abgegrenzt und individualisierbar ist 37 . Es basiert sonach auf einer zwar weitverbreiteten, gleichwohl aber unzutreffenden Vorstellung vom subjektiven Recht, wenn beklagt wird, daß die „Funktionslogik des verwaltungsprozessual zu rezipierenden subjektiven öffentlichen Rechts" gerade „in der Begrenzung des Kreises der Klageberechtigten" liege 38 . Richtig ist allein, daß der Gesetzgeber eine derartige Begrenzung vielfach intendiert; daß aber dem Begriff des subjektiven Rechts eine solche Limitierung immanent und diese daher notwendig mit der Rechtsfigur des subjektiven Rechts verbunden wäre, läßt sich hingegen nicht nachweisen. Drittens schließlich überzeugt es umgekehrt nicht, daß der Individualisierungsgrad aus einer bloß reflexweise wirkenden Begünstigung ein subjektives Recht machen können soll 39 . Hat beispielsweise der Staat einen Schutzzoll für Güter eingeführt, die im Inland nur ein einziger Produzent herstellt, so wäre dieser gewiß durch deren unrichtige Handhabung seitens der Zollbehörden individuell in seinem Interesse betroffen, und doch ist es keineswegs zwingend, allein deshalb ein subjektives Recht anzunehmen. Ja, es ist, um das von Jheringsche Beispiel fortzudenken, sogar vorstellbar, daß der Staat einen Schutzzoll sogar zum erklärten Zweck der Protektion des einzigen inländischen Produzenten eingeführt hat - und doch folgte daraus mitnichten ein subjektives Recht desselben auf richtige Anwendung der Zollbestimmungen40. Das läßt sich 36 BVerwG, DVB1. 1999, 1134, 1135 f.; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 152; Ruthig, BayVBl. 1997, 293; Schmidt-De Caluwe, in NKVwGO, § 44a (Lfg. 1996) Rn. 139 f.; Schmidt/Müller, Einführung in das Umweltrecht, § 1 Rn. 51; Turiaux, UIG, § 4 Rn. 1, 4; a.A. Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 216. 37 Vgl. Bachof, in GS W. Jellinek, S. 297; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 140; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 100; ferner OVG Münster, NVwZ 1983, 414, 415; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 84. 38 Schoch, NVwZ 1999, 458 (Hervorhebung im Original). 39 Vgl. Bachof, in GS W. Jellinek, S. 297; ders., Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 64; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §50 Rn. 22; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 140; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 100 f. 40 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 46 f.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien aber entgegen von Jhering

357

nicht damit erklären, daß unter der unrichtigen

Handhabung der Schutzzölle „nicht dieser bestimmte Fabrikant", sondern die Allgemeinheit leide. Denn abgesehen davon, daß die Allgemeinheit in aller Regel von einer zu niedrigen Erhebung von Schutzzöllen profitiert, w e i l sich dadurch die eingeführten Waren verbilligen, ist in diesem Fall eben sehr w o h l genau anzugeben, welcher konkrete Produzent unter dem Gesetzesverstoß leidet, verlieren sich dessen Wirkungen hier gerade nicht ins Allgemeine und Unbestimmte 4 1 . Das heißt aber, daß der Schluß von der Individualisierbarkeit des Interessenschutzes auf die subjektivrechtliche Natur der fraglichen N o r m nicht greift. Daß auch dem Gesetzgeber keine Gleichsetzung der Individualität des Interessenschutzes mit dem subjektiven Recht vorschwebt, läßt sich positivgesetzlich nachweisen. Es gibt nämlich Rechtssätze, die in concreto individualisierbare Personen begünstigen, ohne diesen deswegen ein subjektives Recht einzuräumen. M i ß t aber der Gesetzgeber selbst der Individualisierbarkeit keine ausschlaggebende Bedeutung bei, dann kann diese auch nicht das generell entscheidende Kriterium subjektiver Rechte sein. Beispielsweise besteht nach § 2 Abs. 3 BauGB kein Anspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplanes, obwohl - oder vielmehr gerade weil - die betroffenen Grundstückseigentümer hieran ein starkes (wirtschaftliches) Interesse haben können, da die Aufstellung eines Bebauungsplanes einen erheblichen Wertzuwachs der erfaßten Grundstücke mit sich bringen oder ein bestimmtes Bauvorhaben ermöglichen kann42. Bezeichnend ist nun, daß der Gesetzgeber den Anspruch auf Bauleitplanung ganz unabhängig davon ausschließt, wie viele Eigentümer davon profitieren. Denn die Bauleitplanung erfolgt im Interesse der Allgemeinheit, und ein noch so starkes Interesse noch so weniger Betroffener soll kein diesbezügliches subjektives Recht zur Entstehung bringen. Als weiteres Beispiel sei die Bestimmung des § 5 Abs. 7 S. 3 LBO BW über die baurechtlichen Abstandsvorschriften genannt, wonach der „nachbarschützende Teil" der Abstandsflächen lediglich zwei Drittel bzw. die Hälfte der objektiv-rechtlich vorgeschriebenen Abstandsflächen beträgt; lediglich der vorgesehene Mindestabstand ist in vollem Umfang nachbarschützend. Damit hat der Gesetzgeber explizit die Subjektivierung des Rechts auf einen Teil des objektiven Rechts beschränkt, obgleich der Nachbar bei natürlicher Betrachtung durchaus ein Interesse an der Einhaltung des gesamten vorgeschriebenen Abstands hat. Gerade aus letzterem Grund hatte die Rechtsprechung unter der früheren Rechtslage die Abstandsvorschriften in vollem Umfang als nachbarschützend verstanden43; der Gesetzgeber schritt hiergegen gerade deshalb ein, weil nach seiner Vorstellung das subjektive Recht des Nachbarn eben nicht so weit reichen soll wie sein Interesse4 , und zwar ungeachtet dessen, daß dieses Interesse des Nachbarn in einem Maße individualisierbar ist wie es nicht größer sein kann.

41 42 43 44

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 47 Fn. 64. z.B. BGH, MDR 1999, 149, 150. VGH Mannheim, VB1BW 1985, 102, 103. hierzu etwa Sauter, LBO, § 5 (9. Lfg. 1996) Rn. 99.

358

D. Das subjektive Recht

In diese Reihe gehört weiter etwa § 15 Abs. 1 StrG BW, wonach selbst die Straßenanlieger (also Eigentümer und Besitzer von Grundstücken, die an einer Straße liegen oder von ihr einen Zugang oder eine Zufahrt haben) keinen Anspruch darauf besitzen, daß die Straße nicht geändert oder eingezogen wird. Könnte man nämlich eine Vorschrift wie § 13 Abs. 2 StrG BW über das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs noch mit der Unüberschaubarkeit der an der Straßenbenutzung möglicherweise Interessierten erklären, so verfängt eine solche Erklärung in bezug auf die sehr präzise individualisierbaren, ja sogar unschwer namhaft zu machenden Straßenanlieger nicht. Ähnliches gilt für die Bestimmung des § 46 Abs. 1 WG BW, wonach die Unterhaltungspflicht von oberirdischen Gewässern eine öffentlichrechtliche Verpflichtung ist, auf deren Erfüllung „Dritte" keinen Anspruch haben. Dieser Rechtsausschluß gilt bezeichnenderweise auch für „die Anlieger, die Hinterlieger und diejenigen Eigentümer und Besitzer von Grundstücken und Anlagen, die von der Unterhaltung des Gewässers und seiner Ufer Vorteile haben"; diese können zwar nach § 58 S. 1 WG BW durch Satzung von den unterhaltungspflichtigen Gemeinden zu einem Unterhaltungsbeitrag herangezogen werden - worin sich nur noch zusätzlich bestätigt, daß es sich hierbei um einen abgrenzbaren Personenkreis Interessierter handelt und doch sind sie nach der Vorgabe des Gesetzes keine subjektiv Berechtigten.

Die Zuweisung eines subjektiven Rechts an den einen oder die mehreren oder gar vielen Berechtigten muß durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, und diese können sowohl die Zuerkennung subjektiver Rechte an eine Vielzahl Berechtigter legitimieren, wie auch umgekehrt die Annahme eines subjektiven Rechts ausschließen, obwohl nur wenige oder gar nur ein einziger als Inhaber desselben in Betracht käme. Zwar muß angesichts der mit einer Subjektivierung von Recht unter Umständen verbundenen Lasten für den Verpflichteten 45 um so sorgfältiger geprüft werden, ob die ihn verpflichtende Rechtsnorm wirklich subjektivrechtlicher Natur ist, je größer die Zahl der potentiell Berechtigten ist. Hierbei geht es aber allein um die erforderliche Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen der Subjektivierungsentscheidung; mit dem Individualisierungsgrad für sich oder der Zahl als solcher besteht dagegen kein logischer oder sonst notwendiger Zusammenhang. Ein Automatismus oder auch nur eine Vermutung, wonach aus der geringen Zahl oder der Individualisierbarkeit des Kreises der prospektiv Berechtigten auf die subjektive Natur einer Rechtsnorm zu schließen wäre, oder umgekehrt aus der großen Zahl auf die objektivrechtliche Natur, läßt sich jedenfalls nicht begründen.

b) Auseinanderfallen

von Interesse und Recht

Unabhängig von der Individualisierbarkeitsproblematik steht der Interessentheorie der durchschlagende Einwand entgegen, daß sie von ihrem Ausgangspunkt her in bestimmten Fällen keine zutreffende Bestimmung des konkreten Berechtigten ermöglicht. Sie fällt damit letztlich demselben Einwand wie die 45

S. hierzu näher unten F.I.4.b.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

359

Willenstheorie zum Opfer, nur daß sie eine andere Konstellation als jene nicht zu erklären mag. Aufgrund seines auf das Interesse abstellenden Prämisse mußte von Jhering zwangsläufig zu der These kommen, daß berechtigt nicht sei, wer das Wollen, sondern derjenige, der den Genuß, den das Recht gewährleisten soll, beanspruchen könne: „Subjekt des Rechts ist derjenige, dem der Nutzen desselben vom Gesetz zugedacht ist (der Destinatar)" 46. Diese Behauptung einer notwendigen Identität von Destinatar und Berechtigtem ist indessen offenbar unzutreffend. Daß der Inhaber eines subjektiven Rechts auch derjenige ist, dem der materielle Nutzen daraus zukommen soll, trifft zwar meistenteils zu, gilt jedoch keineswegs ausnahmslos. Vielmehr vermag „selbst dort, wo ein Individualinteresse gar nicht vorliegen kann, trotzdem ein geschützter Anspruch geschaffen zu werden" 47 . Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, ein subjektives Recht zu gewähren, das ausschließlich einem anderen als dem Rechtsinhaber oder gar nur der Allgemeinheit nutzt 48 , ohne daß eine solche Indienstnahme subjektiver Rechte für weitere (altruistische) Ziele 49 deren Charakter als subjektive Rechte entfallen ließe50. Die Gleichsetzung von Berechtigung und Nutzenziehung geht unzulässigerweise an der Rechtstatsache vorbei, daß es rein fremdnützige subjektive Rechte gibt, bei denen es keinem Zweifel unterliegt, daß der Destinatar des Rechts nicht dessen Inhaber und umgekehrt der Inhaber nicht Nutznießer des Rechts ist. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf unechte Verträge zugunsten Dritter, bei denen der Dritte zwar den Nutzen der ihm vom Versprechenden zu erbringenden Leistung, aber kein Recht darauf hat 51 , während umgekehrt der Versprechensempfänger selbst keinen Nutzen aus der Leistung zu ziehen braucht, auf die fremdnützigen Treuhandverhältnisse, bei denen dem Treuhänder ein Recht zusteht, das er im Interesse des Treugebers ausüben soll 52 , auf die Auflage, mit der der Erblasser durch Testament „den Erben oder einen Vermächtnisnehmer zu einer Leistung verpflichten [kann], ohne einem anderen ein Recht auf die Leistung zuzuwenden" (so die Legaldefinition des § 1940 BGB), so daß der Auflagenbegünstigte kein Forderungsrecht erwirbt, während die Vollziehungsberechtigten (§2194 BGB) Rechtsträger im fremden Interesse sind53, schließlich auf Stiftungerv, deren Destinataren nur unter bestimmten 46

v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 336 (Hervorhebungen im Original). G. Jellinek, System, S. 71. 48 Vgl. Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 63; Bernatzik, AöR 5 (1890), 263; Blankenagel, Die Verwaltung 1993, 21. 49 Vgl. BVerfGE 2, 79, 86. 50 Zu der Problematik, wie der Berechtigte zur Ausübung solcher fremd- oder gemeinnütziger Rechte zu motivieren ist, vgl. unten E.I.3. und 4. 51 Vgl. nur Gottwald, in MünchKomm BGB, § 328 Rn. 5; Larenz/Wolf BGB AT, § 23 Rn. 116; Ρalandt/Heinrichs, BGB, vor § 328 Rn. 1. 52 Vgl. hierzu BGH, NJW-RR 1993, 367, 368; Larenz/Wolf, BGB AT, §46 Rn. 28 ff.; Palandt/Bassenge, BGB, § 903 Rn. 33 ff.; Ρ alandt/Heinrichs, BGB, Überbl vor § 104 Rn. 25. 53 Palandt/Edenhofer, BGB, § 1940 Rn. 1, § 2194 Rn. 1, 3. 47

360

D. Das subjektive Recht

Voraussetzungen ein eigener Anspruch auf die Stiftungsleistungen zuerkannt wird, während im allgemeinen jedoch die Nutznießer aus ihrem tatsächlichen Interesse kein subjektives Recht herleiten können55.

Nicht minder unhaltbar sind auch die aus einer konsequenten Anwendung des Interessenkriteriums auf juristische Personen sich ergebenden Folgerungen, die von Jhering zu einer Negierung subjektiver Rechte juristischer Personen zwangen: „Die juristische Person als solche ist völlig genußunfähig, sie hat keine Interessen und Zwecke, kann also auch keine Rechte haben, denn Rechte sind nur da möglich, wo sie ihre Bestimmung erreichen, d.h. einem berechtigten Subjekt dienen können - ein Recht, das in der Person des Berechtigten nie diesen seinen Zweck zu erfüllen vermag, ist ein Unding, ein Widerspruch gegen die Grundidee des Rechtsbegriffs ... Nein! nicht die juristische Person als solche, sondern die einzelnen Mitglieder sind die wahren Rechtssubjekte"56. In einen natürlichen Sinne ist dem zuzustimmen, daß letztlich immer „der Mensch der Destinatar, das Bestimmungssubjekt der Rechte" sein muß 57 , weil es in der Tat absurd wäre, einer juristischen Person als solcher einen Genuß verschaffen zu wollen. Rechtlich hingegen kommt man nicht an der Erkenntnis vorbei, daß der Gesetzgeber nun einmal die Inhaberschaft subjektiver Rechte nicht auf natürliche Personen beschränkt, sondern diese eben auch bei juristischen Personen verortet. Rechtsphilosophisch mag man diesen „Unfug mit dem Personifizieren" 58 vielleicht (wenig überzeugend) ablehnen, positivrechtlich läßt sich diese gesetzgeberische Entscheidung weder übersehen noch übergehen, und sie stellt sonach einen weiteren Einwand dagegen dar, das subjektive Recht von einem als Genuß verstandenen Interesse her definieren zu wollen. Nach alledem erweist sich von Jherings Gleichsetzung von Genußdestination und Rechtsinhaberschaft als unzutreffend. Der Fehler liegt in der Annahme, daß das Interesse und Bedürfiiis, um das es einem subjektiven Recht geht, jeweils gerade nur dadurch zu befördern sei, daß der zu Begünstigende gesetzlich zum Rechtsinhaber gemacht wird. Diese stillschweigende Prämisse trifft zwar im Regelfall zu, gilt aber eben nicht ausnahmslos. Es gibt Fälle, in denen es mit dem Interessenschutz durchaus vereinbar ist, ja in denen es ein recht verstandener Interessenschutz gar gebieten mag, einen anderen als den Destinatar zum 54

Zum Begriff der Stiftung oben A.1.1 .b.bb. Vgl. RGZ 100, 230, 234 f.; BGHZ 99, 344, 352; BAG, NJW 1991, 514, 515; Palandt/Heinrichs, BGB, § 85 Rn. 4. - v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 359 f. muß hier, um seine These von der Identität von Recht und Interesse aufrechterhalten zu können, eine actio popularis postulieren, welche freilich im positiven Recht gerade nicht vorgesehen ist, so daß seine Konstruktion jedenfalls für die gegenwärtige Rechtsordnung nicht trägt. 56 v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 356 f. 57 Ebd., S. 357, 359. 58 Ebd., S. 357. 55

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

361

Rechtsinhaber zu machen, z.B. weil das Recht in der Person des Destinatars gefährdet wäre. Dieser Umstand hat nun eine sehr bedeutsame, freilich zumeist verkannte Konsequenz. Indem von Jhering auf die Bedeutung des jedem subjektiven Recht zugrundeliegenden Interesses hinwies, hat er zwar einen wichtigen Zugang für die Ermittlung eröffnet, ob überhaupt ein subjektives Recht vorliegt. Indessen ist die Frage nach dem Interesse nicht für die Bestimmung geeignet, wer Inhaber des Rechts ist. In aller Regel ist Rechtsinhaber zwar der Destinatar, und von daher stellt das Interessenkriterium ein wichtiges Indiz dar. Man muß sich aber vergegenwärtigen, daß es nicht wenige Ausnahmen gibt, die mit Hilfe der Interessentheorie nicht erfaßt werden können, und die diese daher als zur Beschreibung des Phänomens subjektiver Rechte ungeeignet widerlegen.

c) Rechtlich geschütztes Interesse ohne subjektives Recht Daß der Gesetzgeber davon ausgeht, daß die Eignung eines Rechtssatzes, einem Rechtssubjekt einen Vorteil zu verschaffen bzw. ihm einen Nachteil zu ersparen, nicht notwendig die subjektivrechtliche Natur dieses Rechtssatzes begründet, läßt sich nicht nur aus den Vorschriften ersehen, die ein Auseinanderfallen von subjektivem Recht und Interessen implizieren, sondern ist auch an der Regelung der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle zu demonstrieren. Bis zum Inkrafitreten des 6. VwGOÄndG am 1. Januar 199759 konnte nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a.F. den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, „die durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten" hatte. Mit diesem Nachteilserfordernis sollte einerseits zwar die Popularklage ausgeschlossen werden 60, doch war andererseits ganz überwiegend anerkannt, daß der Nachteilsbegriff weiter reichte als jener der Verletzung eines subjektiven Rechts61, deren Geltendmachung sonst nach § 42 Abs. 2 VwGO Voraussetzung der Klagebefugnis ist. Der Antragsteller mußte also keine Rechtsverletzung rügen, sondern nur aufzeigen, daß er durch die angegriffene Norm oder deren Anwendung negativ, d.h. verletzend in einem Interesse betroffen würde, das bei

59 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. 11. 1996 (BGBl. I S. 1626). 60 BVerwGE 59, 87, 96; 81, 307, 311; 91, 318, 321 f.; Kopp, VwGO, § 47 Rn. 24. 61 BVerwGE 81, 307, 311; 91, 318, 320; BVerwG, NVwZ 1994, 683, 684; NVwZRR 1996, 141 („erheblich weiter"); Eyermann/Fröhler, VwGO, § 47 Rn. 28; Eyermann/ J Schmitt, VwGO, § 47 Rn. 41; Hufen,, Verwaltungsprozeßrecht, § 19 Rn. 29; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 891; a.A. Kopp, VwGO, § 47 Rn. 25.

362

D. Das subjektive Recht

der Aufstellung der Norm als privates Interesse berücksichtigt werden mußte62. Dabei stellte der Nachteilsbegriff des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a.F. lediglich einen prozeßrechtlichen Begriff dar 63 , der auch keine materiellrechtliche Ausweitung des Begriffs des subjektiven Rechts implizieren sollte, sondern vielmehr war die Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle gerade deshalb besonders geregelt und auf den „Nachteil" erweitert worden, weil die Normenkontrolle einen stark objektiven Rechtsbeanstandungscharakter hat, der die Beschränkung der Antragsbefugnis auf bloße „Nachteile" nicht erfassende subjektive Rechtsverletzungen seinerzeit nicht sinnvoll erscheinen ließ 64 . Nach dieser früheren Gesetzeslage war also die Normenkontrolle zulässig, wenn ein Interesse des Antragstellers verletzt war, und sie war begründet, wenn die angegriffene Rechtsnorm gegen irgendeinen höherrangigen Rechtssatz verstieß. Letzterer schützte damit aber im Ergebnis notwendig das die Antragsbefugnis begründende Interesse des Antragstellers, müßte damit nach der Definition des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztes Interesse gemäß der Interessentheorie eigentlich ein subjektives Recht begründen, da es im Falle des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a.F. weder am Interesse noch an dessen rechtlichen Schutz fehlte. Indessen war es allgemeine Ansicht zu § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a.F., daß eine Normenkontrolle eben auch ohne subjektive Rechtsverletzung erfolgreich erhoben werden konnte. Alleine die Eignung oder sogar Zielsetzung eines Rechtssatzes zum Schutze eines Interesses kann also auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht dessen subjektivrechtliche Natur begründen 65.

3. Kritik des Rechtsmachtmomentes So wie sowohl die Willens- als auch die Interessentheorie das Rechtsmachtmoment zwar zur vollständigen Beschreibung des Wesens des subjektiven Rechts um weitere Kriterien ergänzen, das Rechtsmachtmoment als solches aber keineswegs in Zweifel ziehen wollten, wird auch von den heute vertretenen Theorien die Heranziehung des Rechtsmachtmomentes zur Charakterisierung des subjektiven Rechts ganz überwiegend nicht in Frage gestellt - ein Umstand, der wiederum nur belegt, wie sehr die heutige Diskussion eine Fortführung der seinerzeitigen ist. Die von Thon prägnant formulierte Frage: „darf bereits diejenige Norm als Rechtsnorm bezeichnet werden, welche sich darauf beschränkt, 62

BVerwGE 59, 87, 94; 91, 318, 322; BVerwG, NVwZ 1993, 468, 469; Bosch/ Schmidt, Praktische Einführung, § 74 I 1 b; Eyermann/1 Schmitt, VwGO, § 47 Rn. 40; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §47 (1. EL 1997) Rn. 40; Kopp, VwGO, § 47 Rn. 27. 63 BVerwGE 59, 87, 95 f. 64 Vgl. hierzu Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 19 Rn. 27. 65 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 430 f.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

363

als einfacher Befehl der Gemeinschaft auf den Willen der Genossen zu wirken oder verdient nur diejenige Norm den Namen einer Rechtsnorm, welche dies in verstärktem Masse thut, unter gleichzeitiger Androhung von Zwangsvollstrekkung oder von Strafe?" 66, wird von der herrschenden Meinung heute wie gestern in letzterem Sinne beantwortet 67. Überwiegend wird also angenommen, daß die Annahme eines subjektiven Rechts notwendig das Bestehen eines Rechtsmachtmomentes, eine gerichtliche oder außergerichtliche Zwangsmöglichkeit in der Hand des Berechtigten voraussetze68. Denn ein jeder Zwangsmacht gegenüber dem Pflichtigen entkleideter „anspruchsloser Anspruch" verdiene den Namen „Anspruch" nicht 69 , der Gläubiger müsse vielmehr „durch Anwendung von Rechtszwang die Leistung erreichen" können70. Die geforderte Erzwingbarkeit wird hierbei selbstverständlich nur als Möglichkeit der Erzwingung verstanden, denn daß der Zwang und die Erzwingung selbst das subjektive Recht ausmachten, ist vernünftigerweise nicht zu behaupten, weil die dem Recht korrespondierende Pflicht auchfreiwillig erfüllt werden kann 71 . Die tatsächliche Erzwingung einer Rechtsnorm ist etwas anderes als ihre Erzwingbarkeit, und wer die Erzwingbarkeit voraussetzt, behauptet keineswegs, daß alles Recht tatsächlich zwangsweise durchgesetzt werden müßte. In der Tat ist die tatsächliche physische Durchsetzung und Erzwingung von Rechtspflichten - obschon natürlich in Gestalt z.B. der zivil- oder verwaltungsgerichtlichen Zwangsvollstreckung, der Verwaltungsvollstreckung oder der polizeilichen unmittelbaren Ausführung von erheblicher praktischer Tragweite - statistisch gesehen die seltene Ausnahme. Vielmehr wird die übergroße Zahl aller Rechtspflichten freiwillig erfüllt, und zwar ohne Streit, und wenn im Streit, dann doch ohne Anrufung der Gerichte, und wenn erst aufgrund einer Gerichtsentscheidung, so doch jedenfalls ohne Vollstreckung 72.

66

Thon, GrünhutsZ 7 ( 1880), 246. S. oben D.I.2. 68 Vgl. Engisch, Einführung, S. 14, 16; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 120 f.; Hübner, BGB AT, Rn. 425; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 34 ff., 53 ff., 139 ff.; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 15 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 159; Reichel, JherJb 59 (1911), 410 ff.; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 289; Stech, ZZP 77 (1964), 163; Thon, Rechtsnorm, S. 121; Wahl, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 46; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17, 182 ff. 69 Reichel, JherJb 59(1911), 411. 70 Stech, ZZP 77 (1964), 163 f. 71 Vgl. zu dieser notwendigen Unterscheidung von Erzwingbarkeit und Erzwingung Henkel, Rechtsphilosophie, S. 118 f.; Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 244 f. 72 Eine Sonderstellung nimmt hier die Strafvollstreckung ein, insofern nämlich Freiheitsstrafen nicht „freiwillig" verbüßt werden können, sondern notwendigerweise vollstreckt werden müssen, vgl. Gaul, ZZP 112 (1999), 140, 143. 67

364

D. Das subjektive Recht

Die hiermit angesprochene Freiwilligkeit der Normbefolgung darf übrigens nicht mit Freiheit gleichgesetzt werden. Mit einer freiwilligen Normbefolgung ist vielmehr nur gemeint, daß der Verpflichtete seinen rechtlichen Pflichten nachkommt, ohne deren etwaige Erzwingung abzuwarten. Diese Sprechweise rechtfertigt sich daraus, daß ein jeder tatsächlich sehr wohl in der Lage ist, seine Rechtspflichten zu verletzten 73 und die Normbefolgung daher auf seinem freien Willen beruht. Mit Freiheit im Sinne einer Selbstbestimmung hat dies jedoch nichts zu tun, denn natürlich beinhalten alle Normen, die einen Wertungsmaßstab für Handlungsweisen vorgeben, eine je nach dem konkreten Norminhalt mehr oder weniger weitgehende Einschränkung der Freiheit, weil jeder Rechtsunterworfene entweder kategorisch oder wenigstens, wenn er einen bestimmten Erfolg erreichen will, hypothetisch74, die Vorgaben der einschlägigen Rechtsnormen einhalten muß und insoweit eben in seiner Autonomie beschränkt ist. Letzteres gilt übrigens unabhängig davon, ob die Befolgung der Rechtspflicht erzwingbar ist 75 , da der Rechtstreue rechtliche Gebote als für ihn verbindlich erfährt, und die „Freiheit" zum Rechtsbruch eben keine Freiheit ist 76 . Deswegen kann von Freiwilligkeit der Normbefolgung auch dort gesprochen werden, wo eine Freiheit an sich gar nicht besteht. Die in diesem Sinne freiwillige (wenn auch nicht notwendig freie) Befolgung von Rechtsnormen kann nur auf einer dahin gehenden Willensentschließung des Verpflichteten beruhen, mithin auf einem inneren Vorgang im Menschen. Nun kann es nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, zu untersuchen, inwieweit die Pandektenwissenschaft auf der Grundlage des damaligen gemeinen Rechts recht hatte. Denn allerdings mußte in einem aktionenrechtlichen System, in dem alles Recht von der Klage her bestimmt war, das Recht wohl mit der Klagemöglichkeit und der damit seinerzeit einhergehenden Zwangsvollstreckung identifiziert werden. Seit der Windscheid zu verdankenden analytischen Unterscheidung des materiellen Rechts von der prozessualen Klage und der damit implizierten Abkehr von dem früheren aktionenrechtlichen Denken77 kann die begriffliche Identifikation von Recht und Klagemöglichkeit als überwunden gelten. Dies schlösse aber freilich nicht aus, Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit als logischrechtstheoretisches Postulat bzw. als von der positiven Rechtsordnung vorgegebenes dogmatisches Kriterium des subjektiven Rechts zu verstehen. Indessen trägt weder die philosophisch-rechtstheoretische Basis dieser Ansicht noch kann die These, zu einem subjektiven Recht gehöre notwendig die Zwangsbefugnis, die Erzwingbarkeit als die Möglichkeit der Erzwingung, in dieser Allgemeinheit 73

G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 217. Zur Unterscheidung kategorischer und hypothetischer Imperative näher unten D.III.2.b.aa. 75 BVerfGE 79, 69, 76. 76 Roth, Faktische Eingriffe, S. 181. 77 S. oben D.I. 1. 74

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

365

nach heute geltendem Recht aufrechterhalten werden, nachdem der Gesetzgeber die Windscheidsche Unterscheidung schon alsbald übernommen hat: „Dem materiellen Rechte ... gehört die Frage der Zulassung des Zwanges nicht, wenigstens nicht ausschließlich an. Mit welchen Mitteln ein Urtheil zur Ausführung zu bringen sei, ist wesentlich eine prozessualische Frage" 78. Bedenken gegen eine als notwendig ausgegebene Verknüpfung von Zwangsmöglichkeit und Recht ergeben sich bereits daraus, daß sie letztlich auf eine unrealistische Fiktion hinausläuft und eine wirklichkeitsfremde Annahme zum Kern der Definition des Rechtsbegriffs macht (nachfolgend a), obgleich die von Kant behauptete logische Verknüpfung des Rechts mit der Zwangsbefugnis nicht besteht (unten b). Könnte man über die Zweckmäßigkeit eines solchen Rechtsbegriffs vielleicht noch verschiedener Ansicht sein, so wird er jedenfalls durch positivrechtliche Gegenbeispiele widerlegt, die die These einer notwendigen Erzwingbarkeit allen Rechts als dogmatisch unhaltbar falsifizieren (unten c).

a) Die Erzwingbarkeit

allen Rechts als bloße Fiktion

Das Postulat der notwendigen Erzwingbarkeit allen Rechts stellt eine Verknüpfung der Rechtsebene mit der Ebene der Lebenswirklichkeit her: Nur eine Norm, die von Rechts wegen die Chance auf eine notfalls zwangsweise unmittelbare oder wenigstens mittelbare Durchsetzung gegen den Verpflichteten hat, soll nach dieser Sicht Rechtscharakter besitzen, wohingegen eine Norm, hinsichtlich welcher die Rechtsordnung selbst keinen wie auch immer gearteten zwangsbewehrten Durchsetzungsanspruch erhebe, eben keine Rechtsnorm sein könne. Angesichts dieser von der herrschenden Meinung vorgenommenen Verknüpfung zwischen Recht und Lebenswirklichkeit ist freilich die Frage erlaubt, wie es mit dieser Durchsetzung denn in der Wirklichkeit aussieht. Hier nämlich ist zu konstatieren, daß es im wirklichen Leben vielfach an der praktischen Erzwingbarkeit rechtlicher Verpflichtungen fehlt; es gibt nicht wenige Fälle, in denen sich der Verpflichtete völlig sicher sein, und noch mehr Fälle, in denen er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, daß eine zwangsweise Durchsetzung der ihn treffenden Rechtspflicht nicht möglich oder nicht zu erwarten ist. Dieses Faktum ist zwar auch den Befürwortern des Erzwingbarkeitskriteriums gegenwärtig. Sie erachten derartige praktische Schwierigkeiten, wenn nicht gar Unmöglichkeiten, aber als unschädlich, weil das Problem nach ihrer Betrachtung nicht darin besteht, daß das Recht - wie jedermann bekannt - häufig nicht zwangsweise durchsetzbar ist, sondern sie vielmehr Sorge tragen, daß das Recht nicht selbst seinen Durchsetzungsanspruch aufgeben dürfe, damit es nicht in den Augen der Rechtsunterworfenen 78 Begründung des 3. Entwurfes einer Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, Berlin 1874, S. 443 f. (zitiert nach Struckmann/Koch, CPO, § 774 Anm. 7).

366

D. Das subjektive Recht

seinen spezifischen Status verliere. Das Recht müsse allen praktischen Hindernissen zum Trotz, ja sogar gegen praktisch unüberwindliche Hindernisse, seinen Anspruch auf zwangsweise Durchsetzung aufrechterhalten, um nicht den Rechtsunterworfenen als eine sich selbst nicht ernst nehmende Ordnung zu erscheinen. Logische Einwände sind gegen diese Sichtweise nicht zu erheben. Es ist zulässig, ein theoretisches Postulat auch gegen bestehende faktische Realisierungshindernisse zu erheben. Ob dies aber sinnvoll ist, muß bezweifelt werden. Wenn die Überlegung die ist, das Recht müsse sich selbst ernst nehmen und seine Ernsthaftigkeit dem Verpflichteten gegenüber signalisieren, um als Recht (an)erkannt zu werden, so ist nämlich auch zu bedenken, daß es die Achtung vor dem Recht und die Bereitwilligkeit zu seiner freiwilligen Befolgung noch mehr beeinträchtigen kann, wenn es irreale Bedingungen aufstellt, die, wenn es denn darauf ankäme, unerfüllbar blieben. Es ist allgemeinbekannt, daß das Recht in der Praxis nicht immer durchgesetzt wird, ja daß es in vielen Situationen nicht einmal durchsetzbar ist, doch diese Erkenntnis stört grundsätzlich nicht die Anerkennung der betroffenen Norm als Rechtsnorm 79. Erhebt man aber die Durchsetzbarkeit allen Rechts zu seinem Wesensmerkmal, so gerät seine Akzeptanz in Gefahr, wenn sich diese Durchsetzbarkeit als irreale Fiktion entlarvt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es die Autorität des Rechts mehr beeinträchtigen sollte, wenn es (in bestimmten wohlüberlegten Fällen) selbst davon absieht, sich eine zwangsweise Durchsetzbarkeit zuzumessen, als wenn es eine generelle Erzwingbarkeit in Anspruch nimmt und sich diesbezüglich von den Fakten widerlegen lassen muß. Deshalb ist es zwar möglich, aber nicht sinnvoll, eine Bedingung zum rechtlichen Merkmal des Rechts zu erheben, welche faktisch oftmals nicht gegeben ist. Wenn das Recht ohne faktische Erzwingbarkeit Recht bleiben kann, so gibt es keinen zwingenden Grund, weshalb es nicht ohne rechtlichen Erzwingbarkeitsanspruch Recht sein kann. Der eigentliche Einwand besteht indes nicht darin, daß es immer wieder Situationen gibt, in denen an eine Durchsetzung des Rechts faktisch nicht zu denken ist, sondern vielmehr darin, daß das Erzwingbarkeitspostulat, bezogen auf das Recht in seiner Gesamtheit, gänzlich irreal ist. Denn während die Erzwingbarkeitsthese gegen eine bloß situativ bedingte und damit in gewisser Weise zufällige Unmöglichkeit einer tatsächlichen Erzwingung noch zu verteidigen wäre, bestehen noch gravierendere Bedenken, wenn man sich die Grenzen vergegenwärtigt, welche jeder Erzwingung von Recht durch die Begrenztheit der (staatlichen) Machtmittel gesetzt sind. Es bedarf nur eines geringen Vorstellungsvermögens, um zu erkennen, daß das Rechtssystem, ja der Staat selbst, alsbald zusammenbrechen würden, wenn eine größere, geschweige denn die überwiegen-

79

Zu den Gründen hierfür näher unten D.II.3.d.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

367

de Zahl von Rechtspflichten tatsächlich zwangsweise durchgesetzt werden müßten, lehrt doch die Erfahrung, daß die Machtmittel des Staates ziemlich schnell erschöpft sind, sobald auch nur signifikante Minderheiten (koordiniert) Rechtsbruch begehen. Von solchen Kapazitätsproblemen abgesehen, ist die Erzwingbarkeit des Rechts aber insbesondere im Bereich des öffentlichen Rechts deshalb letztlich eine Fiktion, weil sich der etwaige Zwang gegen diejenigen richten müßte, die über die Zwangsmittel verfugen. Zwar kann man nicht so weit gehen, die Zwangsvollstreckung gegen den Staat und seine Untergliederungen fur eine logische oder sich aus der Natur der Sache ergebende Unmöglichkeit zu halten, fur einen „Widersinn, daß der Hort des Rechtes im Namen dieses Rechtes mit äußerem Zwang dazu gebracht werden soll, sein Recht zu achten"80. Gewiß wäre es in der Tat logisch undenkbar, daß ein und dieselbe natürliche Person sich selbst zu etwas „zwingt". Beim Staat als einer Organisation mit pluralistischer Organstruktur 81 ist es hingegen sehr wohl denkbar, daß der Gesetzgeber einzelnen Organen die Macht zuweist, andere Organe (bzw. deren Organwalter) notfalls zur Erfüllung ihrer Pflichten zu zwingen; es geht also nicht um einen allerdings widersinnigen Zwang gegen sich selbst, sondern um die mögliche Ausübung von Zwang eines mit Kontroll- und Zwangsbefugnissen ausgestatteten staatlichen Organs gegen ein anderes82. Deshalb kann der „Hort des Rechtes" sehr wohl auch Hüter des Rechtes gegen sich selbst sein, und sich, wenn man so will, quasi freiwillig zur Beachtung des Rechtes zwingen. Die Gewaltenteilung steht somit einer Zwangsvollstreckung gegen Hoheitsträger nicht nur nicht entgegen83, sondern vielmehr entspricht eine solche Zwangsvollstreckungsmöglichkeit letzten Endes gerade dem Sinn und Zweck der auf die Garantie des Rechts zielenden Gewaltenteilung84. Aber diese Garantie gilt nicht unbegrenzt und würde versagen, wenn sich selbst die obersten Staatsorgane (koordiniert) nicht mehr freiwillig dem Recht unterwürfen 85. Am Ende läuft daher alles 80

Ο. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 381 f.; ähnlich W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 194; Ipsen, MDR 1949, 508. 81 S. oben A.I.3.a. 82 Roth, VerwArch 2000, 21; vgl. Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 151 ff.; Bank, Zwangsvollstreckung, S. 63 f. 83 Vgl. hierzu Bachof Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 152 f.; Bank, Zwangsvollstreckung, S. 64; Ipsen, MDR 1949, 508. 84 Vgl. Bachof Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 151 ff; Bank, Zwangsvollstreckung, S. 63 f.; Pietzner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 167 (Lfg. 1996) Rn. 9. Vgl. BVerfGE 2, 79, 89; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 567; Roth, AöR 124 (1999), 484 f.; Stern, Staatsrecht II, § 44 V 3 k, S. 1044 Fn. 548. Es bestehen zwar eine Reihe von Kontrollmöglichkeiten und Zwangsbefugnissen im Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander (vgl. Roth, AöR 124 [1999], 485 f.), doch setzen diese ihrerseits Verfassungstreue der Organwalter des jeweiligen Kontrollorgans voraus.

368

D. Das subjektive Recht

Recht, jedenfalls soweit es den Staat und seine Organe betrifft, letztlich auf die Rechtstreue der Verfassungsorganwalter hinaus, die durch keine wirklich effektiven Erzwingungsmechanismen abgesichert sind. In diesem Sinne behält die Feststellung Otto Mayers über die Pflicht der Behörden, ihren Verpflichtungen nachzukommen, nach wie vor ihre Berechtigung: „Die dienstlichen, gesetzlichen und verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten der beteiligten Beamten sprechen darüber das letzte Wort. Und schließlich muß noch ein gesundes Gerechtigkeitsgefühl der Allgemeinheit dahinterstehen, ohne welches das schönste Verwaltungsrecht hier nichts hilft" 8 6 . Die prinzipielle Schwäche der Erzwingbarkeitstheorie erklärt sich daraus, daß sie an der Vorstellung einzelner Rechtsnormen und deren Anwendung in konkreten Situationen gegenüber konkreten Verpflichteten ausgerichtet ist. Sobald man aber die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit betrachtet und sich in bezug auf diese die Frage vorlegt, ob es irgend vorstellbar ist, daß sämtliche Rechtsnormen in allen Fällen und gegenüber allen Verpflichteten zwangsweise durchgesetzt werden könnten, ändert sich die Perspektive und erweist sich die Zweifelhaftigkeit des Erzwingbarkeitspostulats - denn diese Frage ist offenkundig zu verneinen. Das Recht insgesamt ist nicht erzwingbar 87. Erzwingbar ist es immer nur in bezug auf mehr oder weniger zufällig und nicht selten sogar willkürlich herausgegriffene einzelne Verpflichtete. Nun ist es zwar logisch unanfechtbar, die These von der notwendigen Erzwingbarkeit allen Rechts dahin zu modifizieren, daß Rechtsnorm nur sei, was jedenfalls in einigen wie auch immer zufällig ausgewählten Fällen zwangsweise durchgesetzt werden könne. Besonders überzeugend erscheint es freilich nicht, eine Eigenschaft als Definitionsmerkmai des Rechts auszugeben, die in einer derartigen Weise zufallsbehaftet ist. Hierzu müßte man nämlich angeben können, in wieviel Prozent aller vorkommenden Fälle man sich mit einer praktisch realisierbaren Erzwingung zufriedengeben will, um die „Erzwingbarkeit" bejahen und damit im Sinne dieser Theorie von einer Rechtsnorm sprechen zu können; eine rationale Bestimmung dieses Grenzwertes erscheint jedoch ausgeschlossen. Jedenfalls wäre es grundsätzlich bedenklich, das Recht von einem dermaßen unsicheren Kriterium her verstehen und definieren zu wollen. Die These von der notwendigen Erzwingbarkeit allen Rechts müßte folglich dahin eingeschränkt werden, daß kein Verpflichteter definitiv ausschließen können dürfte, nicht möglicherweise doch zur Normbefolgung gezwungen oder für eine Normverletzung bestraft zu werden, daß also jeder mit der zumindest hypothetischen Möglichkeit einer tatsächlichen Erzwingung rechnen müßte. Es gibt indes zahlreiche Situationen, in denen allen Beteiligten von vornherein klar ist, daß ein tatsächlicher Versuch der Durchsetzung des Rechts beispielsweise aus 86 87

O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 382. Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 123.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

369

familiären, wirtschaftlichen oder politischen Rücksichten keinesfalls unternommen werden wird, und sich der Verpflichtete deshalb sicher sein kann, daß eine Normverletzung für ihn keinerlei Sanktion nach sich ziehen wird. Gleichwohl ist nicht zu bezweifeln, daß es sich hier dennoch um eine rechtliche Pflicht handelt 88 . Da nicht plausibel wäre, das Vorliegen einer Rechtsnorm davon abhängig zu machen, ob sich der Verpflichtete sagen kann, daß gegenüber einem anderen eine inhaltlich parallele Rechtspflicht erzwingbar sein mag, läßt sich die Erzwingbarkeit nicht als unabdingbares Wesensmerkmal des Rechts behaupten. Von der These, alles Recht müsse erzwingbar sein, um als Recht anerkannt werden zu können, bleibt damit letztlich nur erstens die Hoffnung, daß die Zahl der Rechtsbrüche nicht überhandnehme, und zweitens die Erwartung, daß es in mehr oder minder zufällig bestimmten Fällen möglich sei, die Rechtspflicht zwangsweise durchzusetzen. Tatsächlich geht es also gar nicht um die Erzwingbarkeit allen Rechts, sondern um die exemplarische Erzwingung des Rechts in mehr oder weniger vielen Einzelfällen. Die offenkundige gänzliche Unmöglichkeit, wirklich alles Recht zwangsweise durchzusetzen, und der von vielen Zufälligkeiten, wenn nicht von Willkür abhängigen Bestimmung, welche Rechtspflichten tatsächlich durchgesetzt werden, läßt es als unglücklich erscheinen, die Erzwingbarkeit als Wesensmerkmal des Rechts zu postulieren. Die Rechtstheorie sollte, die Rechtsdogmatik darf keine unrealistischen Voraussetzungen aufstellen und als ein Kennzeichen von Recht ein Merkmal zugrunde legen, das in praxi sowohl in vielen Einzelfällen als auch bei einer Gesamtschau nur eine Fiktion bliebe.

b) Keine logische Koppelung von Recht und Zwangsbefugnis Gegen das Kantsche Rechtsverständnis, wonach Recht und Zwangsbefugnis logisch notwendig gekoppelt sein sollen 89 , sind zwei Einwände zu erheben: erstens kann das Recht nicht als ein „striktes Recht" in seinem Sinne verstanden werden, so daß die Gleichsetzung von Recht und Zwangsbefugnis abzulehnen ist, und zweitens ist schon sein Versuch einer logischen Ableitung der Zwangsbefugnis aus dem Recht verfehlt, so daß auch keine Notwendigkeit einer Verknüpfung von Recht und Zwang anzuerkennen ist.

aa) Keine Gleichsetzung von Recht und Zwangsbefugnis Einer Gleichsetzung von Recht und Zwangsbefugnis und einer damit einhergehenden vollständigen Reduzierung des Rechtsbegriffs auf das Moment der 88 89

BydlinskU Juristische Methodenlehre, S. 195. S. oben D.I.l.a.

26 Roth

370

D. Das subjektive Recht

Zwangsbefugnis steht die Überlegung entgegen, daß das Recht auch dort, wo es in der Tat Zwangsmöglichkeiten bereithält und bereithalten muß, zuvor auf eine freiwillige Befolgung der Rechtsnormen hofft und angesichts des limitierten staatlichen Zwangspotentiales90 hoffen muß. Die Zwangsbefugnisse werden stets lediglich als ultima ratio der Rechtsverwirklichung verstanden und keineswegs als Essenz des Rechtes selbst. Auch Recht, das Zwangsbefugnisse kennt, ist nicht nachgerade auf Zwang angelegt, sondern auf freiwillige Befolgung aus Einsicht in die Notwendigkeit der Rechtstreue, und der Zwang ist nur für den gedacht, der diese Einsicht nicht aufzubringen oder nicht einsichtsgemäß zu handeln vermag. Es ist allerdings richtig, und insoweit bleibt das Anliegen Kants 91 überzeitlich gültig, daß es mit der Freiheit des Menschen nicht vereinbar wäre, ihn rechtlich oder auch nur moralisch für verpflichtet zu erachten, für sich selbst das für recht zu halten, was der Gesetzgeber als Recht normiert hat. Die Unmöglichkeit, ein solches Gebot anzuerkennen, ergibt sich dabei nicht einmal vorrangig im Hinblick auf die Schwierigkeit, anzugeben, ob das, was die Gesetze wollten, auch wirklich recht ist 92 , oder gar wegen der in krassen Fällen bestehenden Möglichkeit gesetzlichen Unrechts 93. Vielmehr wäre es schon in sich unerträglich, jemanden für verpflichtet zu erachten, sein persönliches Gerechtigkeitsgefühl nach den Gesetzesbeschlüssen anderer auszurichten, und ihn verpflichten zu wollen, etwas allein deshalb für gerecht zu halten, weil es der Gesetzgeber so beschlossen hat. Daß dies unmöglich ist, erhellt schon daraus, daß zahlreiche, und dann natürlich gerade die problematischen Gesetze keineswegs einstimmig verabschiedet werden, daß also schon innerhalb der Gesetzgebungsorgane durchaus unterschiedliche Ansichten darüber bestehen können, was denn im konkreten Fall die gerechteste Lösung sei. In demokratischen Staatswesen muß sich zwar die Mehrheit durchsetzen, und auch ein (nur) mehrheitlich beschlossenes Gesetz hat (sofern es ordnungsgemäß zustande gekommen und nicht etwa wegen eines Verfassungsverstoßes nichtig ist) volle Gültigkeit und nicht weniger Anspruch auf Beachtung wie ein einstimmig verabschiedetes94. Aber die Mehrheit hat kein Recht gegenüber der Minderheit, daß sie das Gesetz gutheißen möge 95 . Und 90

S. vorstehend D.II.3.a. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C, AB 34 = Akad. S. 231. 92 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, AB 32 = Akad. S. 229 f. 93 Vgl. hierzu vor allem Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 328 f.; 344 ff.; ferner BVerfGE 3, 225, 232 f.; Engisch, Einführung, S. 217; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 563 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 37. 94 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 47; Roth,, VerwArch 1997, 435 f. 95 Vgl. BVerfGE 2, 143, 171 f. 91

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

371

selbst wenn ein Gesetz von Bundestag und Bundesrat noch so einmütig beschlossen worden wäre, so hätte doch der Gesetzgeber niemals ein Recht gegenüber den Bürgern, daß sie das Gesetz innerlich als klug, weise und gerecht begrüßen mögen. Aus dieser zutreffenden Erkenntnis, daß das Recht nicht fordern darf, seines Inhaltes wegen befolgt zu werden, darf jedoch nicht geschlossen werden, das Recht könne deshalb allein um der bestehenden Zwangsmöglichkeiten willen Beachtung beanspruchen. Vielmehr muß das Recht seines Wesens willen befolgt werden. Dieses Gebot aber, das Recht seines Wesens willen zu befolgen, hat eine völlig andere Qualität als es ein Gebot hätte, das Recht seines Inhaltes wegen zu befolgen. Deshalb kann zwar in der Tat nicht gefordert werden, ein Gesetz seines Inhalts wegen zu befolgen, wohl aber kann gefordert und nicht nur gehofft werden, daß ein jeder es eben deswegen beachte, weil es Gesetz ist 96-91. Das Recht soll sich zwar mit der Steuerung der äußeren Handlungsweisen begnügen, und wer sich in diesem Rahmen hält, dessen innere Überzeugung darf keine Rolle spielen98. Infolgedessen kann es auf der Ebene des Gesetzesinhalts allerdings nicht auf die moralischen Überzeugungen der Rechtsunterworfenen ankommen, so wie es auf der Ebene der Rechtsbefolgung nicht darauf ankommt, ob der Rechtsunterworfene das Recht befolgt, weil er für richtig hält, was dieses anordnet. Wohl aber kann auf dieser Ebene auf die Rechtstreue abgestellt werden, in dem Sinne nämlich, daß der Rechtsunterworfene - selbst ohne Billigung des Gesetzesinhalts - dem Gesetz allein deswegen gehorche, weil es Gesetz ist. Deswegen ist Kant zwar zuzustimmen, daß das „Rechthandeln" kein rechtliches Gebot sein könne, sondern vielmehr eine Maxime sei, die in der Ethik begründet ist 99 . Jedoch das Rechtmäßighandeln kann die Rechtsordnung sehr wohl als Gebot aufstellen, ohne damit dem Betroffenen unzulässigerweise ethische Überzeugungen rechtlich aufzuoktroyieren. 96

Wohl auch Hegel, Philosophische Propädeutik, Pflichtenlehre, § 59: „Die Pflichten gegen Andere sind zuerst die Rechtspflichten, welche mit der Gesinnung, das Recht um des Rechts willen zu thun, verknüpft sein müssen". Unrichtig daher etwa Wach, GrünhutsZ 6 (1879), 539 Fn. 11. 97 Die Pflicht zur Befolgung des Gesetzes betont zwar auch Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Einleitung, AB 15 = Akad. S. 219. Da er jedoch diesbezüglich nur „äußere Pflichten" anerkennen will, weil die rechtliche Gesetzgebung im Unterschied zur ethischen „nicht verlangt, daß die Idee dieser Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden sei", bleibt als „für Gesetze schickliche Triebfeder" legalen Handelns letztlich nur die für Kant mit der Rechtspflicht untrennbar verbundene staatliche Zwangsdrohung. 98 Zum Gedanken der Legalität (Gesetzmäßigkeit) als äußere Übereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetz, „ohne Rücksicht auf die Triebfeder" der Handlung vgl. bereits Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, Einleitung, AB 15 = Akad. S. 219. 99 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C, AB 34 = Akad. S. 231.

D. Das subjektive Recht

372

So wie es eine unerträgliche Freiheitsbeschneidung wäre, vom Rechtsunterworfenen die inhaltliche Billigung des Gesetzes zu erwarten, so wäre es eine unerträgliche Beleidigung und Kränkung eines jeden Menschen, ihm von Rechts wegen zu unterstellen, er befolge ein Gesetz allein aufgrund einer bestehenden Zwangsmöglichkeit, also ausschließlich aus Furcht vor Zwang und Sanktion. Eine solche Sichtweise machte aus freien Menschen Duckmäuser, die ihr Leben lang die Gesetze nur aus Angst befolgen, anstatt in freier ethischer Entscheidung die Notwendigkeit zu bejahen, beschlossene (gültige) Gesetze zu befolgen, selbst wenn sie mit deren Inhalt nicht einverstanden sind. Dagegen läßt sich auch nicht einwenden, die Würde des Menschen sei insofern in der Ethik begründet, und diese könne ihm ja durchaus die freiwillige Befolgung der Gesetze um ihrer selbst willen aufgeben. Denn es geht hier um das Menschenbild, welches die Rechtsordnung von dem Menschen hat, dessen rechtliche Geschicke sie (mit)bestimmen will. Wer Ethik und Recht in derart scharfer Weise trennen will, wie es Kant tut, indem er ein „striktes Recht" fordert, zwingt die Rechtsordnung dazu, dem Menschen die Rechtsbefolgung aus freier Selbstbestimmung abzusprechen und nur solche Motivationen anzuerkennen, die die Rechtsordnung selbst durch die von ihr bereitgehaltenen Sanktionen geschaffen hat. Eine solche Vorstellung lag den Rechtsordnungen zu keiner Zeit zugrunde, und jedenfalls entspricht sie in keiner Weise dem Menschenbild des Grundgesetzes. Recht und Zwangsbefugnis sind daher nicht identisch, vielmehr ist dem Recht nur ein rechtliches Gebot immanent und wesenseigen, dasselbe ob seiner Wesensnatur zu befolgen. Die Frage nach dem Zwangsmoment stellt sich folglich allenfalls noch im Sinne einer mehr oder minder notwendigen Verknüpfimg.

bb) Keine logische Ableitung der Zwangsbefugnis aus dem Recht Ebenfalls keine Zustimmung verdient Kants Versuch, die logische Verknüpfung von Recht und Zwangsbefugnis mit Hilfe des Satzes vom Widerspruch nachzuweisen100. Zwar ist richtig, daß die Beseitigung von Unrecht das Recht wiederherstellt, weil Unrecht die Negation des Rechts ist und somit die Negation der Negation wieder zur Restitution des Rechts führt, so etwa, wenn der Eigentümer dem Dieb die gestohlene Sache wieder abnimmt. Indessen gilt dieser einfache Satz ausschließlich unter der Prämisse, daß nur ein einziges Recht betroffen ist, nicht aber notwendig auch, wenn mehrere Rechtsgüter im Spiele sind. Wenn also der Eigentümer den Dieb tötet, um wieder an seine Sache zu kommen, so wird gewiß in bezug auf die Eigentumslage das Recht wiederhergestellt - daß dies aber im Hinblick auf das Leben des Diebes ebenso der Fall

100

S. oben D.I.l.a.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

373

wäre, folgt daraus mitnichten, und jedenfalls keineswegs mit logischer Notwendigkeit. Daß die Überwindung von Unrecht zur Wiederherstellung des Rechts Rechtens sein muß, gilt nur in bezug auf das verletzte Recht. Wenn aber zur Verfolgung dieses Zwecks Zwang ausgeübt werden muß, welcher die Rechte oder Rechtsgüter des Rechtsverletzers beeinträchtigt, läßt sich eine vergleichbare Folgerung logisch nicht mehr ziehen. Da der Rechtsbrecher durch die Verletzung bestimmter Rechtssätze nicht selbst in toto rechtlos wird 1 0 1 , ist es logisch sehr wohl denkbar, daß ein (überschießender) Zwang von Seiten des Verletzten bzw. der staatlichen Vollzugsorgane, auch wenn er das verletzte Recht wiederherstellt, unrechtmäßig ist, weil er in übermäßiger Weise andere Rechte beeinträchtigt. Zwar werden solche Verhältnismäßigkeitsbedenken im allgemeinen eine Frage des Einzelfalles sein und die Rechtsverteidigung nur ausnahmsweise bei deutlicher UnVerhältnismäßigkeit ausschließen. Indessen steht bereits die Konzession einer solchen Abwägungsbedürftigkeit im Einzelfall der Annahme einer logisch notwendigen Verknüpfung von Recht und Zwangsbefugnis entgegen. Selbstverständlich wäre es aber durchaus verfehlt, einen Gegensatz zwischen dem Recht und der rechtlich legitimen Ausübung von Macht zu behaupten102; in der Tat ist ein vom Gesetz gedeckter und legitimierter verhältnismäßiger Gewalteinsatz zur Durchsetzung des Rechts fraglos ein rechtlicher und rechtmäßiger Vorgang 103 . Daß zwischen Recht und Macht kein Gegensatz zu bestehen braucht, rechtfertigt indessen andererseits nicht die Gleichsetzung, „daß das Recht im Zwang und der Zwang im Recht ist" 104 . Denn daß ein „vom Recht beanspruchter und angewandter Zwang als ein innerrechtliches Element anzusehen" ist 105 , bedeutet eben nicht, daß allem Recht tatsächlich eine rechtmäßige Erzwingungsmöglichkeit beigeordnet sein müßte 106 . Es ist sonach kein logisches Gebot, daß jedem Recht eine Zwangsbefugnis korrelieren müsse, sondern vielmehr eine Sache rechtspolitisch zu bewertender Zweckmäßigkeit. Diese wird 101

Davon geht Kant, Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, II. Teil, Allgemeine Anmerkung Ε. I., A 199 = Β 228 f. = Akad. S. 333 etwa in bezug auf den Dieb selbst aus, da dieser nicht den Tod, sondern Zwangsarbeit als Strafe verwirkt haben soll. 102 Zutreffend Henkel, Rechtsphilosophie, S. 104 ff. 103 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 120. 104 Unzutreffend diesbezüglich Henkel, Rechtsphilosophie, S. 120. 105 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 120. 106 Widersprüchlich daher Henkel, der zuerst (Rechtsphilosophie, S. 121) Erzwingbarkeit als „ein Wesens- und Begriffsmerkmal des positiven Rechts" postuliert und sodann (ebd., S. 122 f.) konzediert, daß der Gesetzgeber sehr wohl „hinsichtlich einzelner Normen auf deren Ausstattung mit der Zwangsmöglichkeit verzichtet". Wie etwas We~ sensmerkmal einer Gattung sein soll, obschon es nicht für alle Mitglieder der Gattung gilt, ist nicht nachvollziehbar.

374

D. Das subjektive Recht

zwar in aller Regel eine solche Zwangsmöglichkeit erfordern, doch als eine dem Rechtsbegriff logisch inhärente Notwendigkeit läßt sich dies nicht verstehen.

cc) Zwangsbefugnisse als bloßes rechtspolitisches Petitum Schließlich ist gegen die von Kant gesehene - wie gesagt, logisch nicht zwingende - Verknüpfung von Recht und Zwangsbefugnis einzuwenden, daß sie ohnehin bestenfalls in einem bestimmten rechtstheoretischen System Gültigkeit beanspruchen könnte, sich aber nicht schlüssig auf das positive Recht übertragen läßt. Es ist nämlich zu beachten, daß sich diese Verknüpfung aus Kants rechtstheoretischer Betrachtungsweise ergab und sich auch nur auf seinen rechtstheoretischen Rechtsbegriff bezog. Kants Ausgangsproblem war die Frage nach dem, was Recht sei - eine Fragestellung, die den Rechtsgelehrten in ähnliche Verlegenheit setze wie den Logiker die Frage: Was ist Wahrheit? - , und er legte überzeugend dar, daß diese Frage durch eine Betrachtung allein der positiven Gesetze nicht zu beantworten ist: „Eine bloß empirische Rechtslehre ist... ein Kopf, der schön sein mag, nur schade! daß er kein Gehirn hat", daß vielmehr zur Erforschung dessen, was Recht und Unrecht ist, über die bloß empirischen Prinzipien hinausgegangen werden muß 107 . Kants rechtstheoretischer Rechtsbegriff entspricht nun aber keineswegs dem positiven Rechtsbegriff. Es ist nämlich unmöglich, das rechtstheoretisch postulierte allgemeine Rechtsprinzip: „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne" 108 , schlicht in dem Satz gesetzlich zu positivieren, ein jeder solle so handeln, daß seine Handlung mit der Freiheit der anderen „nach einem allgemeinen Gesetze bestehen kann". Denn was jenes „allgemeine Gesetz" sein soll, ist gerade das Problem. Es ist der Vorstellung Kants zwar zuzugeben, daß eine ganze Reihe von konkreten Handlungsrichtlinien sich aus diesem Prinzip unmittelbar ableiten lassen mögen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß es in zahlreichen Gebieten des (Rechts)Lebens oft verschiedene Möglichkeiten gibt, nach einem allgemeinen Gesetz zu handeln; denn vieles kann so oder anders gemacht werden, wenn es nur alle in derselben Weise tun. Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung lehren, daß nur weniges überall nahezu gleich ist, während das meiste oft nur historisch bedingte Abweichungen der einen oder anderen Art kennt. Man mag gelegentlich über die rechtspolitische Weisheit der verschiedenen praktizierten Möglichkeiten streiten, kann aber nicht in Abrede stellen, daß sich die in solchen unterschiedlichen 107

Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, AB 32 = Akad.

S. 230. 108

S. 231.

Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C, AB 34 = Akad.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

375

Rechtsordnungen lebenden Menschen nach je allgemeinen Gesetzen richten, nur daß es eben unterschiedliche allgemeine Gesetze sind. Als ein (banales) Beispiel sei etwa das Rechts- bzw. Linksfahrgebot genannt: Ob in einem Lande im Straßenverkehr rechts oder links gefahren wird, ist an sich völlig beliebig nur müssen alle Verkehrsteilnehmer derselben Regel gehorchen. Oder als ein weiteres (drastisches) Beispiel die Blutrache: Ob in einer Gesellschaft die Blutrache geübt wird oder verpönt ist, ist keine Frage der Allgemeinheit der Regel, sondern des akzeptierten Menschen- und Gesellschaftsbildes und der vorherrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen. Kann es hiernach also sowohl theoretisch als auch praktisch verschiedene allgemeine Gesetze in bezug auf denselben Regelungsgegenstand und dieselbe Angelegenheit geben, so kann das Kantsche allgemeine Rechtsgesetz nur ein rechtstheoretisches und kein positives sein, und es kann auch nicht als eine abschließende Handlungsanleitung für alle Lebensumstände verstanden werden. Es formuliert somit zwar eine notwendige Bedingung und ermöglicht dadurch negativ die Verwerfung aller nicht verallgemeinerungsfähigen Handlungsweisen als nicht für gesetzliche Positivierung tauglich, gibt aber nicht in einer für das positive Recht erforderlichen Weise als hinreichende Bedingung eine für sämtliche Konfliktsituationen genügende konkrete Anleitung. Was als ein allgemeines Gesetz fungieren kann, hängt oft nur von der Koordination des Handelns aller Beteiligten bzw. ihrer Verpflichtung auf bestimmte wertorientierte Verhaltensweisen ab, und eben diese Koordination und Wertvorgabe ist eine der wesentlichen Aufgaben der Gesetze. Das Gesetz muß festlegen,, was das für alle geltende allgemeine Gesetz sein soll. Sonach ergibt sich aber das Recht nicht aus dem allgemeinen Prinzip des Rechts, sondern aus der Rechtsordnung und deren Festsetzungen, welche sich freilich an dem Maßstab jenes allgemeinen Prinzips messen lassen müssen. Erkennt man aber an, daß zur Ermittlung dessen, was als Handlungsnorm Rechtens sein soll, die Ebene der Rechtstheorie zu verlassen und in die des positiven Rechts einzutauchen ist, dann ist es nicht mehr möglich, den rechtstheoretisch entwickelten (und schon rechtstheoretisch unrichtigen 109 ) Satz von der logischen Verknüpfung von Recht und Zwangsbefugnis auf die tatsächlich gegebene Rechtsordnung anzuwenden. Kann das die Handlungen der Beteiligten regelnde Recht nicht im unmittelbaren Rückgriff auf das allgemeine Prinzip deduziert werden, sondern bedarf es der Festsetzung durch die jeweilige Rechtsordung, dann muß sich auch die Frage der Durchsetzung und Erzwingbarkeit nach eben dieser Rechtsordnung richten und kann sich nicht aus einem „allgemeinen Rechtsgesetz" ergeben. Sobald das Rechtsgesetz nicht mehr als ein rechtstheoretisch allgemeines lautet: „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Frei109

S. vorstehend D.II.3.b.bb.

376

D. Das subjektive Recht

heit der anderen nach einem allgemeinen Gesetz bestehen kann", sondern es als ein positivrechtlich allgemeines vorgibt: „handle äußerlich so, wie es vom Gesetzgeber als allgemeines Gesetz bestimmt worden ist", ist es nicht mehr möglich, mit Hilfe rechtstheoretischer Schlüsse die notwendige Erzwingbarkeit allen Rechts zu begründen. So wie jede Rechtsordnung festsetzen muß, was das allgemeine Gesetz sei, nach dem sich alle richten müssen, so hat sie dann nämlich auch die Macht, Festsetzungen über die Erzwingung der materiellen Vorgaben zu treffen, einschließlich der Befugnis, eine solche Erzwingung in bestimmten Fällen aus guten Gründen auszuschließen. Auch gemessen an dem allgemeinen Prinzip muß dies möglich sein, da nicht zu sehen ist, weshalb es kein allgemeines Gesetz sein können sollte, in bestimmten wohlüberlegten Fällen von einer zwangsweisen Durchsetzung des Rechts abzusehen, sofern nur eben jener Ausschluß von Zwang gleichmäßig gilt. Zwar ist es gewiß insoweit richtig, daß, wer sich an dieses Gesetz hält, recht tut, und wer dagegen verstößt, unrecht. Da aber hierbei schon, was Recht und Unrecht ist, nicht aus einem „allgemeinen Prinzip" folgt, sondern aus der Setzung durch den Gesetzgeber, kann auch die Antwort, ob der, der einen andern durch Zwang daran hindern will, Unrecht zu begehen, seinerseits recht oder unrecht tut, sich nicht mehr logisch aus einem allgemeinen Prinzip ableiten lassen, sondern muß eben auch dies der gesetzgeberischen Setzung über das Ob und Wie der Rechtsdurchsetzung vorbehalten sein. Vermutlich würde Kant eine solche Rechtsordnung verwerfen, die Recht aufstellt, auf dessen zwangsweise Durchsetzung sie im gleichen Atemzug verzichtet, und jedenfalls würde er schwerlich dort von Recht sprechen, wo ein solcher Zwang ausgeschlossen ist. Indessen wäre dies nur ein rechtspolitisches Votum, über dessen Berechtigung man unterschiedlicher Ansicht sein kann. Einen logischen Widerspruch kann man einer Rechtsordnung, die unerzwingbares Recht kennt, jedenfalls nicht vorwerfen. Auch rechtspolitisch besteht kein Anlaß, in einen Rechtsverteidigungsrigorismus zu verfallen. Gewiß muß undurchsetzbares Recht die seltene Ausnahme bleiben, will die Rechtsordnung nicht ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen110. Doch wenn die Durchsetzung des Rechts unverhältnismäßige Kosten oder Folgen fur den Verpflichteten verursachte, kann es sehr wohl angemessen sein, von der Durchsetzung abzusehen, ohne daß deshalb etwa die Rechtspflicht entfiele.

c) Subjektive Rechte ohne Zwangsbefugnis im positiven Recht Die Feststellung, daß das Recht nicht logisch zwangsläufig mit einer Zwangsbefugnis bewehrt sein muß, impliziert lediglich, daß sich der Gesetzgeber keines Verstoßes gegen die Logik schuldig macht, wenn er nicht erzwingbares 110

Zu diesem Aspekt näher unten D.II.3.d.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien Recht statuiert; daß er dies aber tatsächlich tut und daß daher das positive

377 Recht

von einem solchen RechtsbegrifF ausgeht, folgt daraus noch nicht, da es dem Gesetzgeber immerhin aufgrund rechtspolitischer Erwägungen freistünde, tatsächlich allem Recht eine Zwangsbefugnis beizugesellen. Eine Aussage hierüber läßt sich nur durch eine Betrachtung des heute geltenden Rechts machen. Darin finden sich indessen eine ganze Reihe von Beispielen nicht zwangsweise durchsetzbarer subjektiver Rechte. Manche dieser Beispiele mögen entlegen erscheinen, und sie sind es zugegebenermaßen; das liegt einfach daran, daß nach der heutigen Ausgestaltung der Rechtsordnung die Durchsetzbarkeit von Recht den Regelfall darstellt, mithin der Gesetzgeber nur in besonderen Konstellationen subjektive Rechte einräumt, welche entweder schon nicht klagbar sind oder hinsichtlich derer die Vollstreckung eines Leistungsurteils ausgeschlossen ist. Indes genügt j a schon jedes einzelne Gegenbeispiel zur Widerlegung jeder generellen These von der Erzwingbarkeit als notwendiges Begriffsmerkmal des subjektiven Rechts. Bei der Untersuchung, ob die Rechtsordnung subjektive Rechte kennt, deren zwangsweise Durchsetzung sie versagt, sind zur Vermeidung von Mißverständnissen vorab die sogenannten unvollkommenen Verbindlichkeiten m, zumeist Naturalobligationen genannt1 1 2 , auszuscheiden. Diese zeichnen sich nämlich durch einen „Mangel der Rechtsqualität"113 dergestalt aus, daß sie schon materiellrechtlich keine rechtliche Verbindlichkeit begründen, daß also überhaupt keine Rechtspflicht besteht. Vielmehr ist hier die Erbringung der Leistung rechtlich völlig freigestellt, auch wenn diese immerhin soviel rechtliche Sanktionierung und Billigung genießt, daß, wenn auf die unvollkommene Verbindlichkeit geleistet worden ist, diese einen Erwerbsgrund bildet, der Leistungserfolg also Bestand hat und insbesondere eine condictio indebiti nicht stattfindet 114. Als (zivilrechtliche) Hauptbeispiele hierfür sind zu nennen der Ehemaklerlohn (§ 656 Abs. 1 BGB) sowie Spiel- und Wettschulden (§ 762 Abs. 1 BGB). Mangels einer Rechtspflicht kann einer unvollkommenen Verbindlichkeit nach allgemeiner Ansicht kein subjektives Recht korrespondieren. Eine Klage auf Erfüllung einer solchen unvollkommenen Verbindlichkeit ist zwar zulässig, kann aber keinen Erfolg haben und ist als unbegründet abzuweisen115. Solche Naturalobligationen sind nicht gemeint, wenn von nicht durchsetzbaren subjektiven Rechten die Rede ist; im hiesigen Kontext interessieren lediglich

111 Vgl. hierzu Kramer, in MünchKomm BGB, Einl. vor §241 Rn. 43; Palandt/ Heinrichs, BGB, vor §241 Rn. 15; Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 234; Schreiber, Jura 1998, 270 ff.; Soergel/Teichmann, BGB, vor § 241 Rn. 6; Stech, ZZP 77 (1964), 161 f., 170 ff. 112 Staudinger/Peters, BGB, § 194 Rn. 10 (mit dem Hinweis, daß die römischrechtliche obligatio naturalis freilich etwas anderes bedeutete). 113 Stech, ZZP 77 (1964), 162. 114 Vgl. hierzu etwa Erman/Westermann, BGB, § 812 Rn. 46. 115 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III 2a; Staudinger/ J. Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 151; Stech, ZZP 77 (1964), 162. Deshalb ist die Bezeichnung von Naturalobligationen als „unklagbare Ansprüche" (so etwa Bongartz, MDR 1995, 781) zumindest mißverständlich.

378

D. Das subjektive Recht

materiellrechtlich vollkommene subjektive Rechte, hinsichtlich derer die Durchsetzbarkeit ausgeschlossen ist.

aa) Ausschluß der Vollstreckbarkeit von Leistungsurteilen Eine wichtige und praktisch relevante Regelungstechnik, die Durchsetzung subjektiver Rechte zu hindern, stellt der gesetzliche Ausschluß der Vollstreckbarkeit eines Leistungsurteils dar, welches den durch ein subjektives Recht Verpflichteten zur Erfüllung seiner Rechtspflicht verurteilt. In diesen Fällen kann der Rechtsinhaber zwar erfolgreich Klage erheben und ein Leistungsurteil erwirken, jedoch vollstrecken kann er es nicht. Besondere Bedeutung besitzen zunächst die gesetzlichen Vollstreckungsausschlüsse, die der Gesetzgeber mit Rücksicht auf besondere Umstände des Leistungsschuldners vorgesehen hat. Zu nennen sind hier z.B. der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO, die Pfändungsverbote gemäß §§811, 811c, 812 ZPO, der Pfändungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO, ferner die Statuierung bestimmter Anzeige- und Zulassungserfordernisse bei der Zwangsvollstreckung gegen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (vgl. § 882a ZPO, § 127 GemO BW), durch welche eine Beeinträchtigung öffentlicher Aufgaben als Folge der Zwangsvollstreckung ausgeschlossen werden soll. Insbesondere infolge von Pfändungsschutzbestimmungen kann dem Gläubiger die Vollstreckung seines Titels dauerhaft unmöglich werden, ohne daß hierdurch sein Anspruch entfiele. Nun ist allerdings der Ausschluß der Zwangsvollstreckung aus derartigen Gründen keine zwingende Widerlegung der Erzwingbarkeitsthese, weil man diese dahin verteidigen könnte, das Vorliegen eines subjektiven Rechts erfordere lediglich dessen generelle Durchsetzbarkeit unter normalen Umständen, und eine konkrete Undurchsetzbarkeit aufgrund besonderer Verhältnisse schade ebensowenig wie ein individuelles Unvermögen des Schuldners zur Erbringung der Leistung. Wertungsmäßig überzeugend ist dies aber nicht: Wenn ein konkreter Gläubiger sein Recht trotz konkreter Unvollstreckbarkeit nicht verliert, warum soll er dann nicht ein Recht trotz dessen genereller Unvollstreckbarkeit besitzen können? Wäre die Erzwingbarkeit wirklich ein unverzichtbares Wesensmerkmal des subjektiven Rechts, so müßte dieses eigentlich in dem Moment untergehen, in dem das entsprechende Leistungsurteil dauerhaft unvollstreckbar wird. Das wird aber keineswegs vertreten, und schon dies belegt, daß die Vollstreckbarkeit nicht in den Begriff des subjektiven Rechts hineingelesen werden kann. Wenn nun aber ein Gläubiger selbst dann noch rechtlich Inhaber eines Anspruchs bleibt, wenn später offensichtlich wird, daß dessen Zwangsvollstrekkung gegen den Schuldner auf Dauer ausgeschlossen bleiben wird, so gibt es keinen Grund, weshalb man nicht ein subjektives Recht innehaben können soll,

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

379

bloß weil von vornherein feststeht, daß dieses einer Zwangsvollstreckung nicht zugänglich ist. Davon geht offenkundig auch der Gesetzgeber aus. Denn das Gesetz kennt Fälle, in denen es zwar die Zwangsvollstreckung bestimmter Leistungsurteile generell ausschließt, ungeachtet dessen aber und entgegen der Erzwingbarkeitsthese gleichwohl vom Vorliegen echter Rechtsansprüche ausgeht. Nach § 888 Abs. 3 ZPO ist die Anwendung hoheitlichen Beugezwanges (Zwangsgeld, Zwangshaft) zur Erzwingung der Vornahme einer unvertretbaren Handlung, die ausschließlich vom Willen des verurteilten Schuldners abhängt (§ 888 Abs. 1 ZPO), ausgeschlossen, wenn es sich um die Verurteilung zur Eingehung einer Ehe, um die Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens oder um die Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag handelt. Dabei spielt der Fall der Verurteilung zur Eingehung der Ehe keine praktische Rolle, da aus dem Verlöbnis ohnehin schon nicht auf die Eingehung der Ehe geklagt werden kann (§ 1297 Abs. 1 BGB) 1 1 6 ; die allenfalls in Betracht kommende Verurteilung in einem ausländischen Urteil dürfte schon mangels Anerkennungsfähigkeit dieses Urteils nicht vollstreckungsfähig sein (§ 723 Abs. 2 S. 2, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO), so daß § 888 Abs. 3 ZPO auch insoweit keine Bedeutung hat 117 .

Aufschlußreich ist aber der zweite in § 888 Abs. 3 ZPO genannte Fall, dem auch eine gewisse, wenngleich angesichts der geringen Bedeutung der Herstellungsklage nur geringe praktische Bedeutung zukommt 118 . Hiernach ist die Zwangsvollstreckung im Falle der Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens ausgeschlossen. Denn: „Die Anwendung von Zwangsmaßregeln zur Herstellung des ehelichen Lebens ist mit dem Wesen der Ehe als eines vorwiegend sittlichen, auf der ehelichen Gesinnung beruhenden Verhältnisses nicht vereinbar" 119 . Gerade dieser Ausschluß (nur) der Zwangsvollstreckung und eben nicht (auch) der Klagbarkeit oder gar der materiellen Rechtspflicht zum ehelichen Zusammenleben sollte aber nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Verurteilung zur Herstellung des ehelichen Lebens durchaus ermöglichen 120: Da ein Herstellungsurteil nur auf der Grundlage echter Rechtspflichten statt bloßer sittlicher oder moralischer Pflichten denkbar ist 121 , belegt der statuierte Vollstreckungsausschluß, daß die in § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB normierte Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft mit ihren sämtlichen Einzelausprägungen eine 116 117

Dazu sogleich näher nachfolgend D.II.3.c.bb (1). Brehm, in Stein/Jonas, ZPO, § 888 Rn. 35; Schilken,, in MünchKomm ZPO, § 888

Rn. 10. 118 Vgl. dazu Erman/Heckelmann,, BGB, § 1353 Rn. 20; Lüke, AcP 178 (1978), 5 f.; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 888 Rn. 10; Soergel/Lange, BGB, § 1353 Rn. 31; Staudinger/Hübner, BGB, § 1353 Rn. 134 ff.; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1353 Rn. 43; a.A. Schlosser, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 606 Rn. 14 ff. 119 Motive IV, S. 109; femer BGHZ 34, 80, 85; Soer gel/Lange, BGB, § 1353 Rn. 30. 120 Motive IV, S. 108 f.; femer Palandt/Brudermüller, BGB, vor § 1353 Rn. 12 f. 121 Pawlowski, Die „Bürgerliche Ehe" als Organisation, S. 72.

380

D. Das subjektive Recht

echte einklagbare Rechtspflicht darstellt, der ein subjektives Recht des anderen Ehegatten korrespondiert 122. Und in der Tat lag dem Gesetzgeber bei Normierung des Ausschlusses der Vollstreckbarkeit eines Urteils auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nichts ferner als die Negierung des subjektivrechtlichen Charakters des Rechts auf eheliche Lebensgemeinschaft 123, vielmehr versteht das BGB dieses sogar als gemäß § 194 Abs. 2 BGB unverjährbaren Anspruch 124 . Besonders erhellend ist schließlich die dritte Alternative des § 888 Abs. 3 ZPO, wonach Verurteilungen zur Leistung unvertretbarer Dienste aus einem Dienstvertrag nicht vollstreckt werden dürfen. Dienstvertrag in diesem Sinne ist jeder unter § 611 BGB fallende Vertrag, auch soweit er eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (§ 675 BGB) 1 2 5 , vorausgesetzt nur, er hat eine unvertretbare Dienstleistung zum Inhalt (vertretbare Dienstpflichten werden gemäß § 887 ZPO im Wege der Ersatzvornahme auf Kosten des Schuldners vollstreckt). Von diesem Ausschluß der Zwangsvollstreckung unberührt bleibt freilich das Recht des Gläubigers, Schadensersatz wegen Nichterfüllung (vgl. § 283 BGB) zu verlangen (§ 893 Abs. 1 ZPO). Grund für die Aufnahme dieses Vollstreckungsausschlusses durch die ZPO-Novelle 1898 war die Erwägung, „daß es den heutigen freiheitlichem Anschauungen kaum entsprechen dürfte, Jemanden durch Geldstrafen oder gar durch Haft zwangsweise in seinem Dienste festzuhalten" 126 ' 1 2 7 , eine Erwägung, die im Hinblick auf das durch Art. 2 Abs. 1 122 BGHZ 37, 38, 41; BGH, FamRZ 1988, 143; OLG Bremen, JZ 2000, 314, 315; Erman/Heckelmann, BGB, § 1353 Rn. 4; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, BGB, vor § 1353 Rn. 12, § 18 IV 4; Lühe, AcP 178 (1978), 4; Ρ alandt/Brudermüller, § 1353 Rn. 2; Roth-Stielow, in BGB-RGRK, § 1353 Rn. 13; Schwab, Familienrecht, Rn. 106; Soergel/Lange, BGB, § 1353 Rn. 3; Staudinger/Hübner, § 1353 Rn. 12 ff.; a.A. Pawlowski, Die „Bürgerliche Ehe" als Organisation, S. 53 ff, 72, der hier für eine Korrektur des Gesetzes plädiert. 123 Vgl. hierzu Motive IV, S. 108 f. 124 Motive I, S. 294 f.; v. Feldmann, in MünchKomm BGB, § 194 Rn. 27; Palandt/ Heinrichs, BGB, § 194 Rn. 11 ; Staudinger/Peters, BGB, § 194 Rn. 28. 125 Brehm, in Stein/Jonas, ZPO, § 888 Rn. 40; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 888 Rn. 10. 126 Bericht der VI. Kommission des Reichstags vom 26. April 1898 zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend Änderungen der Civilprozeßordnung, S. 219, abgedruckt bei Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 8. Band. 127 Vom Ausschluß der zivilgerichtlichen Zwangsvollstreckung zur Erzwingung von Dienstleistungspflichten unberührt blieb freilich die nach damals noch geltenden landesgesetzlichen Dienstboten- und Gesindeordnungen den Polizeibehörden eingeräumte Befugnis, auf Antrag des Dienstherrn Dienstboten, die ohne rechtlichen Grund vom Dienst fernblieben, unter Androhung polizeilicher Zwangsmaßregeln zur (Wieder)Aufnahme des Dienstes anzuhalten; vgl. dazu etwa PrOVGE 48, 418 ff.; 48, 421 f.; 52, 275 ff, 278. Der Anwendungsbereich des § 882 Abs. 3 ZPO war indessen umfassend und schloß auch Dienstverpflichtungen von der zivilgerichtlichen Zwangsvollstreckung

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

381

i.V.m. Art. I Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht heute erst recht gilt 1 2 8 . Daß dieser Vollstreckungsausschluß nach § 888 Abs. 3 ZPO keineswegs bedeutet, daß der Gesetzgeber die subjektive Rechtsqualität des primären Dienstleistungsanspruchs aus § 611 Abs. 1 BGB verneinen wollte, ist evident 129 ; ein anderes ist noch nie behauptet worden und wäre auch abwegig. Ähnlich gelagert sind die Fälle, in denen zwar eine vertragliche Verpflichtung voll wirksam begründet werden kann, in denen sich jedoch aus der Natur der geschuldeten Leistung ergibt, daß ihre Erzwingung gegen die guten Sitten verstieße (genannt werden hier etwa Verträge über Aktstehen, über Blutspende etc. 130 ; erst recht sind hier, sofern man derartige Verträge überhaupt für möglich und wirksam hält 131 , vertragliche Verpflichtungen zur Organspende anzuführen): entsprechend der in § 888 Abs. 3 ZPO zum Ausdruck gekommenen Wertung muß auch in solchen Fällen die Vollstreckung unterbleiben, so daß hier ebenfalls subjektives Recht und Durchsetzbarkeit auseinanderfallen. Der Sinn der Einräumung eines subjektiven Rechts bei gleichzeitiger Statuierung eines Vollstreckungsausschlusses liegt nach Überzeugung des Gesetzgebers darin begründet, daß „schon die Verurtheilung als solche wegen ihres moralischen Einflusses von nicht zu unterschätzendem Werthe ist" 132 . Immerhin kommt nämlich einem Urteil als „autoritative Feststellung der schon vorhandenen Rechtspflicht, [als] Imperativ des Gesetzes durch den Mund des Richters" 133 auch ohne Vollstreckungsmöglichkeit besonderer Nachdruck 134 und je-

aus, die nicht unter die Dienstboten- und Gesindeordnungen fielen; daher scheidet die Annahme aus, die ZPO hätte die betreffende Zwangsvollstreckungsmöglichkeit nur deshalb ausgeschlossen, weil entsprechende polizeiliche Zwangsmöglichkeiten bestanden; nachdem die polizeiliche Erzwingung von Gesindeleistungen später beseitigt wurde, wurde dementsprechend natürlich mitnichten erwogen, ihre zivilprozessuale Erzwingbarkeit wieder einzuführen. 128 Vgl. OLG Bremen, JZ 2000, 314, 315 m. zust. Anm. Walker; Brehm, in Stein/Jonas, ZPO, § 888 Rn. 41; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 888 Rn. 10. 129 Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 123; Steck, ZZP 77 (1964), 220. 130 Vgl. Heck, Grundriß des Schuldrechts, S. 71; Stech, ZZP 77 (1964), 178. Das Beispiel des Aktstehens bezieht sich auf das Posieren als Aktmodell im Rahmen herkömmlicher künstlerischer Tätigkeit etwa eines Malers oder Bildhauers, nicht etwa zu pornographischen Zwecken, welcher Vertrag schon nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre; gleichwohl leuchtet ein, daß ein Vollstreckungszwang, einen geschlossenen Vertrag über Aktstehen zu erfüllen, ausgeschlossen sein muß, wenn es sich das Modell zwischenzeitlich anders überlegt hat. 131 Bejahend Coester-Waltjen, Jura 2000, 106. 132 Motive IV, S. 108 mit Bezug auf die heutigen § 1353 Abs. 1 BGB, § 888 Abs. 3 ZPO. 133 Wach, GrünhutsZ 6 (1879), 536; zustimmend Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 253; ebenso Reichel, JherJb 60 (1912), 65. 134 Vgl. Er man/Heckelmann, BGB, § 1353 Rn. 20.

382

D. Das subjektive Recht

denfalls Appellwirkung zu 1 3 5 ; gegenüber der abstrakt-generellen Rechtsnorm übt ein auf die konkreten Beteiligten bezogenes Urteil einen „verstärkten Impuls" 136 in Richtung auf eine Gesetzesbefolgung aus und erhöht damit die Aussicht auf eine freiwillige Befolgung des Gesetzes. Im übrigen kann allein das Wissen darum, im Recht zu sein, fur nicht wenige Menschen manchmal bedeutsamer sein als die Durchsetzung dieses Rechts, und es erschiene zumal vor dem Hintergrund der referierten Überlegungen des Gesetzgebers wenig angemessen, dies pauschal als „bloße Rechthaberei" zu diffamieren, als verdiene jemand, der einen vielleicht recht dubiosen pekuniären Anspruch einklagt, mehr Sympathie als der, der ohne finanzielles Interesse das Recht um der Gerechtigkeit willen verfolgt, und als sei jeder, dem es „nur" um sein Recht geht, eine Art geistesgestörter Querulant. Infolgedessen können zwei Streitparteien ein durchaus anerkennenswertes und womöglich praktisch wirksam werdendes Interesse daran haben, einen unter ihnen bestehenden Streit um ihre Rechte und Pflichten im Wege gerichtlicher Klage auszutragen, selbst wenn das Urteil dann nicht vollstreckbar ist 137 . Sämtliche Fälle, in denen aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung oder infolge allgemeiner Rechtsgrundsätze die Vollstreckung eines Leistungsurteils ausgeschlossen ist, belegen, daß die Versagung einer Urteilsvollstreckung nicht nur nicht die Annahme eines subjektiven Rechts ausschließt, sondern das Vorliegen eines subjektiven Rechts nachgerade voraussetzt, weil sonst das Leistungsurteil gar nicht erst ergehen dürfte und sich somit die Frage seiner Vollstreckung überhaupt nicht stellte. Damit hat man einen klaren Beweis dafür, daß die Vollstreckbarkeit nach Ansicht des Gesestzgebers nicht Wesensmerkmal des subjektiven Rechts ist.

bb) Ausschluß der Klagbarkeit Noch einen Schritt weiter als Vollstreckungsausschlüsse gehen Regelungen, welche bereits die Klagbarkeit subjektiver Rechte ausschließen und so zur Abweisung einer dennoch erhobenen Klage als unzulässig führen 138 , und zwar übrigens nicht nur von Leistungsklagen, sondern, weil sie die Vermeidung von Prozessen über die betreffende Angelegenheit überhaupt bezwecken, auch von entsprechenden Feststellungsklagen139. Ein Klagbarkeitsausschluß ist eine sich 135

Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 23, 4; Schwab, Familienrecht, Rn. 127; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1353 Rn. 43. 136 Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 254. 137 Vgl. zutreffend Motive IV, S. 108 f.; femer Staudinger/Hübner, BGB, § 1353 Rn. 135. 138 Reichel, JherJb 60 (1912), 69 ff.; Stech, ZZP 77 (1964), 162. 139 Reichel, JherJb 60 (1912), 65.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

383

prozessual auswirkende - nämlich zur Unzulässigkeit der Klage führende materiellrechtliche Einwendung bzw. Einrede des Verpflichteten, welche nicht mit dem Klagerecht als solchem, verstanden als Anspruch auf Gewährung von Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte, zu verwechseln ist 1 4 0 ; eine Klage, mit der ein unklagbares Recht geltend gemacht wird, kann daher als unzulässig abgewiesen werden, ohne daß eine unstatthafte Rechtsverweigerung vorläge. Solche auf materiellen Erwägungen beruhende Klagbarkeitsausschlüsse sind freilich (rechtspolitisch) durchaus nicht unproblematisch und wohl nicht zuletzt deswegen zumeist auch dogmatisch sehr umstritten. Denn im Gegensatz zu bloßen Vollstreckbarkeitsausschlüssen führen sie dazu, daß überhaupt kein Urteil in der Sache ergehen darf, so daß die betreffenden subjektiven Rechte auch nicht von der Hoffnung auf eine freiwillige Befolgung unter dem Eindruck eines Urteils getragen werden können. Immerhin, und darin liegt der Sinn unklagbarer Rechte, kann mitunter allein das Wissen um das Bestehen rechtlicher Bindungen Einfluß auf das Verhalten des Verpflichteten haben 141 ; denn auch unklagbares Recht ist verbindlich und mehr als nur ein unverbindlicher Verhaltensvorschlag. Gerade angesichts ihrer zu konzedierenden Schwäche sind die Fälle unklagbarer Rechte hinsichtlich der Frage der Erzwingbarkeit als Wesensmerkmal subjektiver Rechte von besonderem dogmatischen Interesse. Auch unter Inrechnungstellung ihrer spezifischen Problematik kann nämlich einer grundsätzlichen Leugnung der Existenz unklagbarer Ansprüche 142 nicht zugestimmt werden. Klagbarkeit ist zwar im Regelfall jedem materiellen Anspruch eigen, doch eine ausnahmslose Bedingung ist dies nicht 143 . Ein Ausschluß der Klagbarkeit kann sich sowohl aus spezifischen gesetzlichen Klagbarkeitsausschlüssen 144 als auch aufgrund allgemeiner prozessualer Institute ergeben.

140 141

Hübner, BGB AT, Rn. 427. Vgl. Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 34 f., 140 ff.; Voßkuhle, NJW 1997,

2218 f. 142

So etwa Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1367 (anders freilich und in einem offenbaren Widerspruch hierzu dies, BGB AT 1/1, S. 203 f.). 143 Bachof, in GS W. Jellinek, S. 300; ders, Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 65; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 11; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 203 f.; Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 187; Friesenhahn,, in FS Thoma, S. 40 f.; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundzüge vor § 253 Rn. 25; Larenz, Schuldrecht I, S. 20; Reichel, JherJb 60 (1912), 104; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III 2; Schilken, Zivilprozeßrecht, Rn. 182; Soergel/Lange, BGB, § 1353 Rn. 3; Soergel/T eichmann, BGB, vor §241 Rn. 5; Staudinger/Peters, BGB, § 194 Rn. 3 ff, 9; Staudinger/J. Schmidt, BGB, Einl. zu §§241 ff. Rn. 141; Stern, Staatsrecht III/l, §65 II 3, S. 536 f.; Wache, in MünchKomm BGB, § 1353 Rn. 14; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 45; vgl. RGZ 48, 84, 86. 144 Zu solchen, teils durch Gesetzesänderungen überholten Beispielen eingehend Reichel, JherJb 59 (1911), 433 ff.; Reuss, AcP 154 (1955), 500 ff.; Stech, ZZP 77 (1964),

384 (1) Spezifische gesetzliche

D. Das subjektive Recht Klagbarkeitsausschlüsse

Unklagbarkeit des Eheversprechens A n erster Stelle ist auf § 1297 Abs. 1 B G B zu verweisen, eine Vorschrift, die trotz ihrer geringen praktischen Relevanz für das dogmatische Verständnis subjektiver Rechte und ihres Verhältnisses zur Klagbarkeit von besonderer Bedeutung ist, weil sie Bestandteil des B G B und damit jenes zentralen Gesetzeswerkes ist, welches für das heutige Rechtsdenken bestimmend wurde und an dem daher keine Herleitung des subjektiven Rechtsbegriffs vorbeigehen darf. Nach § 1297 Abs. 1 B G B kann aus einem Verlöbnis „nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden". Diese Bestimmung w i r d von der herrschenden Meinung dahin verstanden, daß die Eingehung eines Verlöbnisses eine echte Rechtspflicht zur Eheschließung begründet, nur daß eben nicht auf die Eheschließung geklagt werden kann 1 4 5 . Der Gegenansicht 1 4 6 , die eine Rechtspflicht verneint und eine allenfalls moralische Pflicht zur Erfüllung des Eheversprechens annimmt, kann demgegenüber nicht zugestimmt werden. Eine Rechtspflicht zur Eheschließung kann nicht unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift verneint werden 147. Zwar hatte der erste Entwurf zum BGB 1 4 8 in seinem § 1227 noch ausdrücklich bestimmt, daß durch das Verlöbnis „eine Verpflichtung der Verlobten zur Schließung der Ehe nicht begründet" werde. Er folgte hierin dem Vorschlag, den Planck als Redaktor des Familienrechts gemacht hatte (§ 1 Abs. 1 des Planckschen Entwurfes) 149. Es ist aber bezeichnend, daß sowohl Planck als auch die Erste Kommission diese Abkehr von dem gemeinrechtlichen Verständnis im wesentlichen damit begründeten, daß durch den zivilprozessualen Ausschluß jeder direkten oder indirekten Erzwingung der Eheschließung im Wege der Zwangsvollstreckung150 die Zulassung einer Klage auf Schließung der Ehe „jede praktische Bedeutung verloren"

166 ff., 196 ff.; femer Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III 2; Staudinger/J. Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 157. 145 RG, JW 1917, 848; Beitzke, in FS Ficker, S. 78 ff.; Erman/Heckelmann, BGB, § 1297 Rn. 1; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 8 III 1; Hübner, BGB AT, Rn. 426; Kipp/Wolff, Familienrecht, § 4 II 1; Palandt/Brudermüller, BGB, Einf. vor § 1297 Rn. 3; Roth-Stielow, in BGB-RGRK, § 1297 Rn. 8; Schreiber, Jura 1998, 273; Soer gel/Lange, BGB, § 1297 Rn. 1, 10; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1297 Rn. 5, 15. 146 RGZ 80, 88, 90; 98, 13, 14; OLG Bremen, JZ 2000, 314, 315; Canaris , AcP 165 (1965), 3 ff.; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1367; Lüderitz, Familienrecht, Rn. 109; Reichel, JherJb 59 (1911), 426; Staudinger/Strätz, BGB, vor § 1297 Rn. 54 f., 88; Stech, ZZP 77 (1964), 182. 147 So aber Stech, ZZP 77 (1964), 178 ff.; wohl auch Staudinger/Strätz, BGB, vor § 1297 Rn. 54. 148 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, Erste Lesung, Amtliche Ausgabe, Berlin und Leipzig 1888. 149 Planck, Entwurf eines Familienrechts, S. 1. 150 Zu § 888 Abs. 3 ZPO vgl. vorstehend D.II.3.c.aa.

385

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

habe 151 , und daß sie nicht etwa von der Vorstellung geleitet waren, infolge der Nichtvollstreckbarkeit sei die Annahme einer echten Eheschließungspflicht aus dem Verlöbnis ohnehin schon begrifflich ausgeschlossen. Vielmehr gingen sie davon aus, daß sich die Verneinung der Verbindlichkeit „nur als eine konsequente Fortentwicklung" des dem Vollstreckungsausschluß zugrunde liegenden Gedankens darstelle 152, plädierten also zwar ftir eine diesbezügliche „Fortentwicklung" des Rechts de lege ferenda, behaupteten aber keineswegs, daß sich die Unverbindlichkeit ohnehin schon als logische Folgerung daraus ergäbe, daß nach der ZPO die Vollstreckung des Herstellungsurteils ausgeschlossen war. Auch im Gesetzgebungsverfahren ist bezeichnenderweise nie argumentiert worden, infolge des Vollstreckungsausschlusses liege schon begrifflich kein subjektives Recht mehr vor und die Verneinung der Verpflichtung sei daher lediglich eine deklaratorische Feststellung dessen, was sich ohnehin bereits aus der Natur der subjektiven Rechts ergebe. Diskutiert wurde allein die rechtspolitische Weisheit der Einräumung eines unklagbaren Anspruchs auf Eingehung der Ehe, nicht wurde in Zweifel gezogen, daß ein solcher Anspruch ungeachtet seiner Unklagbarkeit als subjektives Recht sehr wohl denkbar ist. Jedenfalls wurden diese weitgehenden Vorschläge nicht Gesetz. Wegen der Sorge, der Satz, daß das Verlöbnis keine Verpflichtung zur Eingehung der Ehe begründe, könne womöglich den Anschein erwecken, es solle damit auch die in dem Verlöbnis liegende sittliche Verpflichtung negiert werden, beschränkte sich die Zweite Kommission auf den Gesetz gewordenen Ausschluß der Klagbarkeit, wohingegen „die Entscheidung der Frage nach dem prinzipiellen Karakter des Verlöbnisses der Wissenschaft überlassen" bleiben sollte 153 . Nachdem das B G B also keine explizite Abkehr von der bis zu seinem Erlaß ganz überwiegend geltenden Rechtslage einer Rechtsverbindlichkeit des Verlöbnisses statuierte, liegt es nahe, das Eheversprechen weiterhin als echte Rechtspflicht aufzufassen. Hiergegen läßt sich nicht einwenden, „nach modernem Verständnis" begründe das gegenseitig erklärte Einvernehmen, heiraten zu wollen, „heute" keine Rechtspflicht zur Eheschließung mehr 1 5 4 . Es mag allerdings vielfach sein, daß die Beteiligten bei Erklärung ihrer Heiratsabsicht keinen Rechtsbindungswillen besitzen; dann aber gehen sie eben kein Verlöbnis i m Sinne des § 1297 Abs. 1 B G B ein. Eine Uminterpretation des gesamten Rechtsinstituts des Verlöbnisses können etwaige gewandelte Anschauungen jedenfalls nicht bewirken 1 5 5 ; ob und inwieweit ihnen gegebenenfalls Rechnung getragen werden soll, ist eine dem Gesetzgeber vorbehaltene rechtspolitische Entscheidung, nicht Aufgabe des Rechtsanwenders. Für ein rechtsgeschäftlich

verpflichtendes

Verständnis

des

Verlöbnisses

spricht jedenfalls die innere Kohärenz des Privatrechts. Die Eheschließung ist unzweifelhaft rechtsgeschäftlicher Natur, auch wenn sie als besonders ausgestal151 Motive IV, S. 2; desgleichen Planck, Begründung des Entwurfs eines Familienrechts, S. 30. 152 Motive IV, S. 2 f. 153 Protokolle IV, S. 2; vgl. dazu auch Roth-Stielow, BGB-RGRK, vor § 1297 Rn. 2; Staudinger/Strätz, BGB, vor § 1297 Rn. 47. 154 Schwab, Familienrecht, Rn. 36; ähnlich Lüderitz, Familienrecht, Rn. 107. 155 Vgl. hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 207 f , 233 ff.

27 Roth

386

D. Das subjektive Recht

teter familien- und personenrechtlicher Vertrag nicht den allgemeinen V o r schriften

über

Rechtsgeschäfte,

sondern den besonderen

Regelungen

der

§§ 1310 ff. B G B unterliegt 1 5 6 ; da das Verlöbnis somit die Zusage des Abschlusses eines Rechtsgeschäftes darstellt, indem das Verlöbnis auf die Eheschließung hinführen soll, muß das Wesen der Eheschließung auf das Wesen des Verlöbnisses zurückwirken 1 5 7 . Ist hiernach aber das Verlöbnis ein familienrechtlicher Vertrag 1 5 8 - für welches Verständnis nicht zuletzt die bessere Eignung zur Lösung der Problematik des Verlöbnisses unter Beteiligung einer Minderjährigen spricht 1 5 9 - , und kommt somit dem von den sich Verlobenden abgegebenen Eheversprechen rechtsgeschäftliche Natur zu, so indiziert es das allgemeine Verständnis rechtsgeschäftlicher Versprechen, daß durch das Eheversprechen eine Rechtspflicht begründet wird. Die hiergegen gerichteten Einwände greifen nicht durch. So nötigt etwa die in § 1298 Abs. 1 S. 1 BGB statuierte Ersatzberechtigung der Eltern nicht dazu, das Verlöbnis nur als eine soziale Tatsache anzusehen, an welche Vertrauenstatbestände anknüpfen, anstatt es als einen Vertrag mit echten Rechtspflichten zu verstehen 160; daß ein Vertrag Schutzwirkungen auch zugunsten Dritter entfalten kann, ist nichts Ungewöhnliches, und der Gesetzgeber hat in § 1298 Abs. 1 S. 1 BGB aufgrund der praktischen Relevanz der Frage eine ausdrückliche Regelung getroffen, die Eltern in den Schutzbereich der vertraglichen Sekundäransprüche einzubeziehen161. Unverständlich ist der Einwand, daß im Falle einer bloßen Unklagbarkeit die in §§ 1298 ff. BGB angeordnete Haftung nicht zu erklären sei, da es sich hierbei „augenscheinlich" um eine Garantiehaftung ohne Verschulden handle, während, wenn die Ersatzpflicht auf einem als Vertragsverletzung verstandenen Verlöbnisbruch beruhe, die Statuierung einer Verschuldenshaftung zu erwarten gewesen sei 162 . Dieser Einwand übersieht außer dem Umstand, daß auch das Schuldvertragsrecht durchaus Garantiehaftung kennt (z.B. § 437, § 538, 1. Alt. BGB) und daher das Bestehen einer solchen Garantiehaftung mitnichten ein Indiz für das Fehlen einer vertraglichen Rechtspflicht darstellte163, daß § 1299 BGB sehr wohl ausdrücklich von einem „durch ein Verschulden"

156

Vgl. hierzu Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 11 II 4; Lüderitz, Familienrecht, Rn. 134; Müller-Gindullis, in MünchKomm BGB, § 11 EheG Rn. 5; Palandt/ Brudermüller, BGB, vor § 1310 Rn. 2, § 1311 Rn. 2; Schwab, Familienrecht, Rn. 54; Staudinger/Strätz, BGB, § 13 EheG Rn. 28. 157 Beitzke, in FS Ficker, S. 84 f. 158 RGZ 61, 267, 271 f.; 80, 88, 89; 98, 13, 14; BGHZ 28, 375, 377; Beitzke, in FS Ficker, S. 84 ff.; Erman/Heckelmann, BGB, vor § 1297 Rn. 8; Gernhuber/CoesterFamilienrecht, § 4 I; Palandt/BruderWaltjen, Familienrecht, § 8 I 4, II; Kipp/Wolff, müller, BGB, Einf. vor § 1297 Rn. 1; Roth-Stielow, BGB-RGRK, vor § 1297 Rn. 6 ff.; Soer gel/Lange, BGB, § 1297 Rn. 2; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1297 Rn. 4 f. 159 Dazu Beitzke, in FS Ficker, S. 86 ff.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 8 I 4, 5. 160 So aber Canaris, AcP 165 (1965), 3, 10 ff. 161 Beitzke, in FS Ficker, S. 83; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1297 Rn. 5. 162 So Canaris, AcP 165 (1965), 4. 163 Vgl. Beitzke, in FS Ficker, S. 81.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

387

veranlaßten Rücktritt vom Verlöbnis spricht, und damit die These von einer verschuldensabhängigen Vertragshaftung bestätigt164. Richtig ist zwar, daß § 1298 Abs. 1 S. 1 BGB kein Verschulden voraussetzt165. Dies gilt aber letztlich nur dem Wortlaut nach. Denn da § 1298 Abs. 3 BGB die Ersatzpflicht ausschließt, wenn ein wichtiger Grund für den Rücktritt vom Verlöbnis vorliegt - diese Gesetzestechnik hat Bedeutung nur für die Beweislast166 - , besteht eine Ersatzpflicht lediglich für einen Rücktritt ohne wichtigen Grund 167 . Ein solcher Rücktritt muß aber stets verschuldet sein 168 , weil die besondere Treuepflicht und das abgegebene Eheversprechen den Verlobten gebietet, von dem Verlöbnis im Hinblick auf die enttäuschten Erwartungen nicht ohne guten Grund zurückzutreten 169. § 1298 BGB brauchte daher das Verschuldenserfordernis nicht eigens zu statuieren, weil sich das Verschulden bei einem Rücktritt ohne wichtigen Grund von selbst ergibt. Wer hingegen zwar einen wichtigen Grund für den Rücktritt besitzt, diesen Grund indes durch eigenes Verschulden geschaffen hat, haftet konsequenterweise nach § 1298 Abs. 1 B G B 1 . Im Ergebnis kommt man so zu einer verschuldensmäßigen Haftung für einen grundlosen bzw. selbst verschuldeten Rücktritt vom Verlöbnis. Unzutreffend ist schließlich der Einwand, es sei mit dem Wesen einer Rechtspflicht unvereinbar, daß „die Rechtspflicht zur Eheschließung durch freien Widerruf beseitigt werden kann", weil damit das Bestehen der Pflicht „von dem Belieben der Verlobten" abhänge, so daß das entscheidende Charakteristikum jeder Rechtspflicht, die Verbindlichkeit, fehle 171 . Erstens ist der Rücktritt vom Verlöbnis angesichts der möglichen Ersatzpflicht nach §§ 1298 ff. BGB keineswegs immer völlig „frei" 172 . Zweitens trifft es zwar zu, daß eine Rechtspflicht dann nicht vorliegt, wenn sie unter der Bedingung steht, daß der „Verpflichtete" sie erfüllen will 1 7 3 . Doch so verhält es sich bei § 1297 Abs. 1 BGB gerade nicht. Die Rechtspflicht zur Eingehung der Ehe ist keineswegs dadurch bedingt, ob der Verlobte (noch immer) die Ehe schließen will, wie ja überhaupt das im 164

Beitzke, in FS Ficker, S.81. Palandt/Brudermüller, BGB, § 1298 Rn. 8. 166 Palandt/Brudermüller, BGB, § 1298 Rn. 10; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1298 Rn. 10, 16. 167 Palandt/Brudermüller, BGB, § 1298 Rn. 2; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1298 Rn. 1. 168 Ähnlich Beitzke, in FS Ficker, S. 81. 169 Der Fall eines unverschuldeten Irrtums über einen hinreichenden Rücktrittsgrund ist praktisch nicht denkbar, weil die Treuepflicht eine vorherige Aussprache der Verlobten gebietet; wer ohne eine solche vom Verlöbnis zurücktritt und sich damit der Chance zur Aufklärung etwaiger Mißverständnisse begibt, tut dies auf eigenes Risiko und handelt durchaus schuldhaft. 170 Über dieses Ergebnis besteht weitgehend Einigkeit, lediglich die dogmatische Begründung ist unterschiedlich: für eine teleologische Restriktion des § 1298 Abs. 3 BGB Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 8 IV 6; Soergel/Lange, BGB, § 1298 Rn. 3; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1298 Rn. 10; für eine teleologische Extension des § 1299 BGB Palandt/Brudermüller, BGB, § 1299 Rn. 1. 171 So aber Canaris , AcP 165 (1965), 4 f. (Hervorhebungen im Original); ferner Lüderitz, Familienrecht, Rn. 109; in diese Richtung bereits RGZ 80, 88, 90; 98, 13, 14. 172 Beitzke, in FS Ficker, S. 80; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, § 8 I 4; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1298 Rn. 1. 173 Vgl. RGZ 136, 132, 134 f.; ferner Canaris, AcP 165 (1965), 5; Larenz, Schuldrecht I, S. 82. 165

388

D. Das subjektive Recht

Verlöbnis liegende Eheversprechen nicht etwa den Inhalt hat, später die Ehe einzugehen, so man dann noch will, sondern das gegenwärtige Versprechen darstellt, später die Ehe tatsächlich zu schließen. Die Möglichkeit, sich von einer vertraglichen Verpflichtung zu lösen, stellt dagegen keine zur Negation der Rechtspflicht zwingende Abhängigkeit derselben vom Willen des Verpflichteten dar, sondern gibt ihm lediglich die Möglichkeit, die bestehende Pflicht zu beenden. Selbst wenn diese Möglichkeit vom freien Willen des Verpflichteten abhinge, entfiele damit nicht der Charakter der Rechtspflicht. Dies belegen Vorschriften wie z.B. §§ 346 ff. BGB 1 7 4 : Hiemach kann bei Schuldverträgen ein jederzeitiges Rücktrittsrecht vorbehalten werden, das der Rücktrittsberechtigte auch nutzen kann, um sich seinen lästig gewordenen Pflichten zu entziehen, und doch wurde insoweit noch nie vertreten, daß den Schuldner deshalb keine echte Rechtspflicht treffe. Gerade die Terminologie des Gesetzes, das in § 1298 Abs. 1 BGB ebenso wie in § 346 BGB von „Rücktritt" und eben nicht von „Widerruf 4 spricht, bringt dieses Wiederabgehen von einer zunächst wirksam entstandenen Rechtspflicht klar zum Ausdruck 175. Ist nun aber schon bei wirklich freier Rücktrittsmöglichkeit eine Verpflichtung anzunehmen, so erst recht, wenn ein Rücktritt ersatzpflichtig machen kann 176 .

Unklagbarkeit von Sperrabreden Als weiteres Beispiel eines unklagbaren Anspruchs ist die Sperrabrede zu nennen, durch die sich ein Prinzipal einem anderen Prinzipal gegenüber verpflichtet, einen Handlungsgehilfen, der bei letzterem im Dienst ist oder gewesen ist, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen anzustellen; aus einer solchen Vereinbarung findet „weder Klage noch Einrede statt" (§ 75f S. 2 HGB). Da allerdings jeder Beteiligte von einer solchen Sperrabrede jederzeit zurücktreten kann, wird ihr mitunter „ausschließlich moralische Bedeutung" zugesprochen und ihr Anspruchscharakter verneint 177. Dieser Bewertung kann nicht beigetreten werden. Die Sperrabrede zwischen zwei sich gegen Abwerbung und Wettbewerb zu sichern suchenden Arbeitgebern ist als Vertrag (§305 BGB) rechtsgeschäftlicher Natur und begründet vertragliche Ansprüche zwischen ihnen. Da sich der Gesetzgeber nicht dazu entschließen konnte, solche Sperrabreden zu verbieten und so für ihre Nichtigkeit (§ 134 BGB) zu sorgen, sondern ihnen zum Schutze der betroffenen Arbeitnehmer und ihres beruflichen Fortkommens178 nur durch die Unklagbarkeit und den Ausschluß jeder Berufung auf die Abrede die praktische Wirksamkeit zu nehmen suchte, kann der Klagbarkeitsausschluß die Rechtsnatur der Abrede nicht ändern. § 75f HGB berührt also nicht die Gültigkeit und Rechtswirksamkeit solcher Abmachungen, sondern entzieht sie nur der gerichtlichen Durchsetzung179. Daß es sich kei174 Beitzke, in FS Ficker, S. 80 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen,, Familienrecht, § 8 I 4; Wacke, in MünchKomm BGB, § 1297 Rn. 5; femer Kipp/Wolff, Familienrecht, § 4 I: dem Vertragsbegriff ist die Gebundenheit der Kontrahenten nicht wesentlich. 175 Zutreffend Beitzke, in FS Ficker, S. 80. 176 Beitzke, in FS Ficker, S. 81. 177 Steck, ZZP 77 (1964), 168. 178 Zum Schutzzweck des § 75f HGB vgl. BGHZ 88, 260, 263 ff.; Heymann/Henssler, HGB, § 75f Rn. 2; v. Hoyningen-Huene, in MünchKomm HGB, § 75f Rn. 2. 179 BGHZ 88, 260, 263; BGH, NJW 1974, 1330 („klaglose Vereinbarung"); Etzel, in GK-HGB, § 75f Rn. 2, 5; Sc hie gel berge r/Schröder, HGB, § 75f Rn. 2; Staudinger/ 1 Schmidt, BGB, Einl. zu § 241 Rn. 153.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

389

neswegs um eine bloß moralisch bedeutsame Absprache handelt, sondern um eine rechtliche Vereinbarung, erhellt auch aus der Erörterung etwaiger Nichtigkeitsgründe Sperrabreden, die nicht auf einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers beruhen, werden etwa ftir nach § 138 BGB nichtig gehalten180 - , welche Frage sich nur in bezug auf Rechtsgeschäfte stellt, weil sich bei nichtrechtlichen Absprachen die Thematik der Rechtswirksamkeit ohnehin nicht aufwirft. Auch ist eine (nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtige) Sperrabrede erfüllbar; dem betroffenen Handlungsgehilfen steht dann weder ein Unterlassungs- noch ein Schadensersatzanspruch z u 1 8 1 , 1 2 .

Unklagbarkeit divisenkontrollwidriger Devisenkontrakte Einen gesetzlich angeordneten Fall bloßer Unklagbarkeit sieht die ganz herrschende Meinung 183 ferner in der Bestimmung des Art. V I I I Abschnitt 2 (b) S. 1 IWF-Ü 1 8 4 : Devisenkontrakte unter Verstoß gegen Devisenkontrollbestimmungen eines Mitgliedstaates „shall be unenforceable" in allen anderen Mitgliedstaaten; in der (völkerrechtlich allerdings nicht maßgeblichen185) amtlichen deutschen Übersetzung wird dies mit „kann nicht geklagt werden" wiedergegeben. Die Auslegung, daß ein Verstoß gegen einschlägige Devisenbestimmungen die betreffenden Verträge nicht nichtig macht, sondern vielmehr zu einer (von Amts wegen zu beachtenden) Unklagbarkeit und damit zur Abweisung einer Klage als unzulässig fuhrt, ist sowohl vom Wortlaut als auch von Sinn und Zweck des Art. V I I I Abschnitt 2 (b) S. 1 IWF-Ü gedeckt. Zwar wären vom völkerrechtlich verbindlichen englischen Text (unenforceable) her noch andere Umsetzungen (etwa Nichtigkeit des Vertrags, Annahme bloßer Naturalobligationen, Vollstreckungsausschluß) statthaft; daß aber eine Unklagbarkeit gegen den Wortlaut verstieße, kann nicht gesagt werden, so daß insoweit kein Anlaß besteht, von der deutschen Fassung abzuweichen. Entgegen den insoweit vorgebrachten Einwänden186 ist ein solches Ver180 Heymann/Henssler, HGB, § 75f Rn. 5; v. Hoyningen-Huene, in MünchKomm HGB, § 75f Rn. 8; Schlegelbergen/Sehröder, HGB, § 75f Rn. 1. 181 Etzel, in GK-HGB, § 75f Rn. 5, 7; Heymann/Henssler, HGB, § 75f Rn. 7; v. Hoyningen-Huene, in MünchKomm HGB, § 75f Rn. 7, 10; Schlegelberger/Sehröder, HGB, §75fRn. 2. 182 Gegen eine Einordnung als Naturalobligation (so Weiland, BB 1976, 1180) spricht, daß § 75f HGB lediglich die Invokation der Abrede vor Gericht ausschließt und im Unterschied zu den anerkannten Fällen von Naturalobligationen (vgl. dazu oben D.II.3.C) nicht statuiert, daß eine Verbindlichkeit nicht begründet werde. 183 BGHZ 55, 334, 337 f.; 120, 334, 348 f.; BGH, NJW 1970, 1507; BGHR IWFAbkommen Art. V I I I Abschn. 2 (b) Amtsprüfling 1; OLG Hamburg, W M 1992, 1941, 1943; Ρ alandt/Heldr ich, BGB, Art. 34 EGBGB Rn. 2; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §92 III 2a; Soergel/v. Hoffmann, BGB, Art. 34 EGBGB Rn. 152; Staudinger/J. Schmidt, BGB, 12. Aufl. 1983, vor § 244 Rn. E 34; a.A. Ebke, RIW 1991, 6 f.; ders., JZ 1991, 341 f.; Martiny, in MünchKomm BGB, nach Art. 34 EGBGB Anh. II Rn. 32; Staudinger/J. Schmidt, BGB, vor § 244 Rn. E 62; offen BGHZ 116, 77, 84; BGH, NJW 1994, 390; 1994, 1868. 184 Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds (Bretton WoodsAbkommen) in der Fassung des Zweiten Änderungsübereinkommens von 1976 (BGBl. 1978 II S. 13). 185 BGHZ 116, 77, 83; BGH, NJW 1994, 390; 1994, 1868; Ebke, JZ 1991, 340. 186 Ebke, JZ 1991,341 f.

D. Das subjektive Recht

390

ständnis auch von Sinn und Zweck des Art. V I I I Abschnitt 2 (b) S. 1 IWF-Ü her interessengerecht und geboten: Die Bestimmung dient nicht dem Schutz privater Interessen, sondern bezweckt die wechselseitige Respektierung der (übereinkommenskonformen 187) Devisenschutzvorschriften der IWF-Mitglieder 188 , und dieses völkervertragsrechtlich sanktionierte öffentliche Interesse schließt es aus, die Beachtung der Vorschrift durch die Gerichte der Mitgliedstaaten der Disposition der Parteien anheimzugeben und sie als eine bloße (verzichtbare) prozessuale oder materiellrechtliche Einredemöglichkeit zu behandeln189. Hingegen besteht kein Anlaß, der Vorschrift weitergehende materiellrechtliche Wirkung beizumessen, etwa in der Weise, daß sie zur Nichtigkeit des fraglichen Devisenkontraktes führte, oder dadurch, daß eine von ihr erfaßte Vereinbarung lediglich eine unvollkommene Verbindlichkeit (Naturalobligation) begründete. Denn Art. VIII Abschnitt 2 (b) S. 1 IWF-Ü fordert nicht mehr, als daß die Gerichte der Mitgliedstaaten den Vertragsparteien nicht zur Durchsetzung devisenrechtlich unerlaubter Geschäfte Rechtsschutz gewähren 190, und gebietet keine darüber hinausgehende Beschränkung des Gläubigers aus dem Devisenkontrakt: Wenn beispielsweise der Gläubiger Sicherheiten für den Devisenkontrakt hat, die ihrerseits ohne Verstoß gegen Devisenschutzbestimmungen realisierbar sind (z.B. innerstaatliche Bürgschaft für einen unzulässigen Devisenkontrakt), gibt es keinen Grund, deren Durchsetzung zu verhindern, was aber wegen der regelmäßigen Akzessorietät solcher Sicherungsrechte der Fall wäre, behandelte man den Devisenkontrakt selbst als nichtig oder als (unvollkommene) Naturalobligation 191 (vgl. zur Bürgschaft § 765 Abs. 1, § 767 BGB 1 9 2 ). Hiemach ist die dogmatische Behandlung des Art. V I I I Abschnitt 2 (b) S. 1 IWF-Ü als bloßer, von Amts wegen zu beachtender Klagbarkeitsausschluß die überzeugendste Interpretation. Da dieses Verständnis dem Übereinkommen jedenfalls nicht widerspricht und keine Vermutung dafür besteht, daß die innerstaatliche Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags weiter geht als nach der völkerrechtlichen Verpflichtung geboten193, besteht auch kein Anlaß für eine vom Ziel völkerrechtskonformer Auslegung motivierte über die Annahme eines bloßes Klagbarkeitsausschlusses hinausgehende Auslegung und Anwendung des Art. V I I I Abschnitt 2 (b) S. 1 IWF-Ü durch die deuschen Gerichte.

(2) Unklagbarkeit

kraft

Vereinbarung oder Verwirkung

bzw. Rechtsmißbrauchs

Über die genannten Beispiele ausdrücklicher gesetzlicher Klagbarkeitsausschlüsse hinaus kann die Klagbarkeit auch nach allgemeinen Grundsätzen aufgehoben sein, ohne daß sich daraus eine Negierung subjektiver Rechte ergeben müßte. So kann die Klagbarkeit nach herrschender Meinung jedenfalls bei verfügbaren Ansprüchen durch Vereinbarung ausgeschlossen werden (pactum de 187

Vgl. dazu BGH, NJW 1994, 1868 f.; Martiny, in MünchKomm BGB, nach Art. 34 EGBGB Anh. II Rn. 30. 188 Martiny, in MünchKomm BGB, nach Art. 34 EGBGB Anh. II Rn. 32a. 189 Vgl. BGHZ 55, 334, 337; BGH, NJW 1970, 1507, 1508. 190 BGHZ 55, 334, 338; 116, 77, 85; BGH, NJW 1970, 1507; Martiny, in MünchKomm BGB, nach Art. 34 EGBGB Anh. II Rn. 10. 191 Vgl. Soergel/v. Hoffmann,, BGB, Art. 34 EGBGB Rn. 154. 192 Vgl. Palandt/Sprau, BGB, § 765 Rn. 28 m.w.N., daß die Bürgschaft für eine Naturalobligation selbst nur eine Naturalobligation des Bürgen begründet. 193 BVerwGE 107,223,229.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

391

non petendo) 194 , was zur Abweisung einer abredewidrig erhobenen Klage als unzulässig fuhrt 195 , ohne daß die Verpflichtung selbst beseitigt wäre 196 . Denn wenn ein gänzlicher Anspruchsverzicht wirksam ist, so muß erst recht ein sich als minus hierzu darstellender Verzicht auf eine gerichtliche Geltendmachung desselben möglich sein 197 ; ein solcher vertraglicher Klagbarkeitsausschluß ist grundsätzlich auch auf Dauer statthaft 198, so daß man auf diese Weise einen dauerhaft unklagbaren Anspruch erhalten kann. Ferner kann die Klagebefugnis verwirkt werden 199 oder wegen rechtsmißbräuchlicher Klageerhebung ausgeschlossen sein 200 , ohne daß zugleich der materielle Anspruch verwirkt oder ausgeschlossen sein müßte 201 . Zwar werden Klage- und Anspruchsverwirkung in der Regel zusammenfallen, doch zwingend notwendig ist dies nicht. In diesem Sinne formuliert denn auch § 13 Abs. 5 UWG eindeutig: „Der Anspruch auf Unterlassung kann nicht geltend gemacht werden, wenn die Geltendmachung ... mißbräuchlich ist"; der Gesetzgeber geht also davon aus, daß einem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch die insbesondere prozessuale Durchsetzbarkeit fehlen kann, ohne daß dies zum Erlöschen des materiellen Unterlassungsanspruchs selbst fuhren muß 202 . Auch praktisch besteht durchaus ein Bedürfnis für diese Unterscheidung: zum einen 194 Vgl. BGH, NJW-RR 1989, 1048, 1049; VersR 1995, 191, 192; NJW 1998, 2274, 2277; OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 375; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach, ZPO, vor § 253 Rn. 29; Larenz, Schuldrecht I, S. 270; Lühe, in MünchKomm ZPO, vor § 253 Rn. 9; Ρalandt/Heinrichs, BGB, § 202 Rn. 8; Reichel, JherJb 59 (1911), 445 ff.; a.A. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III 2b; offen Staudinger/ J. Schmidt, BGB, Einl. zu § 241 Rn. 154. 195 Thomas/Putzo, ZPO, vor § 253 Rn. 33; a.A. Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 33 IV 3. 196 Larenz, Schuldrecht I, S. 270. Wenn freilich (über den Ausschluß des Klageweges hinaus) die Erfüllung der Verpflichtung ganz in das Belieben des „Schuldners" gestellt würde, wäre nur noch eine Naturalobligation anzunehmen, RGZ 67, 390, 392. 197 Reichel, JherJb 59 (1911), 446. 198 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, S. 270; Schumann, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 253 Rn. 90, § 253 Rn. 214; wohl auch Schilken, Zivilprozeßrecht, Rn. 182; Thomas/Putzo, ZPO, vor § 253 Rn. 33. 199 Zur möglichen Verwirkung der Befugnis zur Anrufung der Gerichte BVerfGE 32, 305, 308 f. 200 Vgl. BGH, NJW 2000, 3566, 3567 ff. (zu § 13 Abs. 5 UWG). 201 BAGE 11, 353, 354 f.; Baumbach/Hefer me hl, Wettbewerbsrecht, §13 UWG Rn. 46; Graf Lambsdorff, Handbuch, Rn. 1097; Meckel, in HK-WettbR, § 13 UWG Rn. 59; Staudinger/ J. Schmidt, BGB, Einl. zu § 241 Rn. 156; a.A. BGH, NJW-RR 1990, 886, 887; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundzüge vor § 253 Rn. 25; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III 2b; Schumann, in Stein/Jonas, ZPO, Einl. Rn. 259. 202 Vgl. OLG München, WRP 1992, 270, 273; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 13 UWG Rn. 46; Graf Lambsdorff, Handbuch, Rn. 859, 946; Köhler/Piper, UWG, § 13 Rn. 47; Meckel, in HK-WettbR, § 13 UWG Rn. 59.

392

D. Das subjektive Recht

mag der Verpflichtete trotz Klageverwirkung oder Klagemißbrauchs von Seiten des Gläubigers doch immerhin noch freiwillig leisten, und dann leistet er auf eine bestehende Schuld und nicht etwa auf eine Nichtschuld; zum anderen mag der Gläubiger unbeschadet der in bezug auf den Hauptanspruch verwirkten Klage oder eines Klagemißbrauchs unter Umständen noch Sicherungsrechte realisieren können.

(3) Unklagbarkeit

aufgrund rechtskräftiger

Klagabweisung

Eine besondere Konstellation unklagbarer Ansprüche stellen die vom Gericht zu Unrecht abgewiesenen Ansprüche dar. Nach zutreffender herrschender Meinung fuhrt nämlich die rechtskräftige Abweisung einer Leistungsklage nicht zum Untergang des Anspruchs, da dem Urteil keine materiellrechtliche Gestaltungswirkung zukommt, sondern es lediglich prozessuale Wirkung entfaltet 203 , dergestalt nämlich, daß eine erneute Klage auf dieselbe Leistung unzulässig ist (ne bis in idem) 204 . Das prozessuale Verständnis ist gegenüber der materiellrechtlichen Annahme eines Anspruchsuntergangs schon deshalb vorzugswürdig, weil dadurch beispielsweise die Institute der Nichtigkeits- und der Restitutionsklage (§§ 578 ff. ZPO) überzeugender zu erklären sind 205 : Diese beseitigen das frühere, ein Prozeßhindernis fur die erneute Klage darstellende rechtskräftige Urteil, lassen aber nicht einen untergegangenen Anspruch wieder aufleben. Die rechtskräftige Klageabweisung begründet daher lediglich die Unklagbarkeit des betroffenen Anspruchs. (4) Unklagbarkeit

infolge enumerierter

Rechtswegeröffnung

Denselben Effekt wie die vorstehend behandelten Klagbarkeitsausschlüsse haben enumerierte Rechtswegeröfinungen. Denn wenn der Gesetzgeber den Rechtsweg zu den Gerichten nicht durch eine Generalklausel eröffnet, sondern in abschließend enumerierten Katalogen, so nimmt er damit zwangsläufig in Kauf, daß die Durchsetzung eines Rechts an der fehlenden Erlangbarkeit gerichtlichen Rechtsschutzes scheitert. Diese Frage hat zwar nach den heutigen 203

Gottwald, in MünchKomm ZPO, § 322 Rn. 9 ff.; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 62 II 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 151 II 3; differenzierend Leipold, in Stein/Jonas, ZPO, § 322 Rn. 19 ff. 204 BGHZ 36, 365, 367; 93, 287, 288 f.; 123, 30, 34; Bongartz, MDR 1995, 781; Jauernig, Zivilprozeßrecht, §62 III 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 151 II 3; Thomas/Putzo, ZPO, § 322 Rn. 6 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 322 Rn. 19; a.A. Stech., ZZP 77 (1964), 215: Zulässigkeit einer erneuten Sachentscheidung, aber notwendig mit gleichem Inhalt. 205 Gottwald, in MünchKomm ZPO, § 322 Rn. 12; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 151 II 3a.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

393

Prozeßordnungen keine große Bedeutung mehr, da der Rechtsweg zu den Fachgerichten durch Generalklauseln eröffnet wird. Praktische Bedeutung kann ihr aber immerhin noch bei der Verfassungsgerichtsbarkeit zukommen, da das BVerfG und die meisten Landesverfassungsgerichte nur enumerierte Zuständigkeiten kennen 206 , so daß gewisse verfassungsrechtliche Streitfälle einer gerichtlichen Entscheidung entzogen sind und damit insoweit die Durchsetzung der betreffenden verfassungsrechtlich begründeten Rechte207 unmöglich sein kann, gleichwohl aber nicht der Schluß berechtigt wäre, es handle sich diesbezüglich nicht um Recht 208 . Doch auch unabhängig hiervon ist das Phänomen enumerierter Rechtswegeröffnung von beträchtlicher dogmatischer Bedeutung für das Rechtsverständnis. Es dürfte Konsens bestehen, daß die Rechtswegeröffnung keine materiellrechtliche Wirkung hat, sondern eine rein prozessuale Angelegenheit ist. Hierfür spricht schon, daß mit dem Übergang vom verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzip zur Generalklausel schwerlich eine Änderung des materiellen Verwaltungsrechts einhergegangen sein kann, dergestalt nämlich, daß mit einem Schlag in allen nunmehr erstmals vor die Gerichte zu bringenden Streitigkeiten aus Nichtrecht Recht entstand. Gewiß hat dies in vielen Fällen dazu geführt, sich des Bestehens subjektiver Rechte überhaupt erst bewußt zu werden, nämlich überall dort, wo dies zuvor mangels Klagbarkeit derselben keine Rolle spielte 209 ; außerdem hat die Einführung der Generalklausel in Verein mit dem fortentwickelten Grundrechts- und Rechtsstaatsverständnis quasi einen Verrechtlichungs- und Subjektivierungsschub ausgelöst210. Das ist aber nur im Sinne eines fortentwickelten Denkens über das Recht zu verstehen, nicht etwa dahin, daß die neu gewonnene Klagbarkeit als solche subjektive Rechte geschaffen hätte 211 . Umgekehrt würde daher auch die Abschaffung der Generalklausel und die Wiedereinführung des Enumerationsprinzips in den nicht von der Aufzählung erfaßten Fällen keineswegs zum Wegfall des Rechtscharakters führen. Dann muß man aber anerkennen, daß das Bestehen eines Rechts nicht durch die auf rechtspolitischen Erwägungen oder gar bloßen Zufälligkeiten abhängende Aufnahme oder Nichtaufnahme in einen Katalog zulässiger Klagen bedingt sein kann, woraus wiederum folgt, daß die Klagbarkeit kein Wesensmerkmal des subjektiven Rechts ist. Dagegen läßt sich auch nicht einwenden, daß das Enumerationsprinzip nicht bedeutet, daß den nicht einklagbaren Rechten jede Durchsetzbarkeit fehle, sondern daß - wie es zumal unter Geltung des früheren verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzips der Fall war - daneben sehr 206 207 208 209 210 211

S. oben B.II. S. oben B.II.4. Vgl. BVerfGE 13, 54, 96 f. Zu diesem Zusammenhang oben C.II.4.e. Vgl. hierzu auch unten E.II.5.a. Vgl. G. Jellinek, System, S. 358 ff.

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D. Das subjektive Recht

wohl noch polizeiliche oder aufsichtsbehördliche Durchsetzungsmöglichkeiten bestehen können. Denn das Bestehen derartiger Möglichkeiten ist keine Voraussetzung des Enumerationsprinzips. (5) Zwischenergebnis: Klagbarkeit

kein Wesensmerkmal subjektiver Rechte

Das Zwischenergebnis der Untersuchung der Klagbarkeitsthese kann hier mit den Worten der Verfasser des BGB festgehalten werden: „Das römische Aktionensystem ist der heutigen Rechtsanschauung fremd. ... Man hat nicht ein Recht, weil man eine Klage hat, sondern eine Klage, weil man ein Recht hat. Der Begriff des subjektiven Privatrechtes bedingt für das moderne Recht die gerichtliche Verfolgbarkeit. Die Klagbarkeit kann dem Ansprüche fehlen, aber sie fehlt ihm nur, wenn sie ihm abgesprochen ist. Die Klagbarkeit der Rechte ist die selbstverständliche Reget 111. Diese Ausführung spricht für sich und bedarf nur einer Anmerkung: Das bezeichnete Regel-Ausnahme-Verhältnis ist kein begriffliches oder logisches, sondern ein gesetzliches: Die Klagbarkeit subjektiver Rechte ist nach der „modernen" Ausgestaltung des materiellen und des Prozeßrechts - im Zivilprozeß seit Überwindung des Aktionendenkens, im Verwaltungsprozeß seit der Abkehr vom Enumerationsprinzip - generalklauselmäßig vorgesehen, und deshalb bedarf es der besonderen Anordnung, wenn entgegen dieser Generalklausel die Klagbarkeit ausgeschlossen sein soll. Die Klagbarkeit ist nach alledem ein akzidentielles, kein essentielles Merkmal des subjektiven Rechts; sie setzt das Vorliegen eines subjektiven Rechts voraus, erklärt aber weder dessen Existenz noch begründet sie diese gar.

cc) Einredebehaftete subjektive Rechte Eine wichtige Klasse nicht durchsetzbarer subjektiver Rechte stellen die einredebehafteten dar, Rechte und Ansprüche also, deren Durchsetzung der Verpflichtete durch die Geltendmachung eines Gegenrechts dauernd oder zeitweilig hindern oder abschwächen kann 213 . Ließen sich nun die bloß zeitweiligen (aufschiebenden) Einreden (z.B. Stundung, Einrede der Vorausklage gemäß § 771 BGB) und die nur zu einer Verurteilung zur Leistung Zug um Zug führenden anspruchsbeschränkenden Einreden (z.B. Zurückbehaltungsrecht gemäß §§ 273, 274 BGB, Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 BGB) aufgrund ihrer begrenzten Wirkungen noch mit der These einer begriffsnotwendigen Durchsetzbarkeit jedes subjektiven Rechts vereinbaren, so scheidet dies bei 212

Motive I, S. 357 (Hervorhebungen im Original). Vgl. hierzu Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1382 f.; Erman/Hefermehl, BGB, §202 Rn. 4 f.; Larenz, BGB AT, S. 248 ff.; Larenz/Wolf BGB AT, §18 Rn. 56 ff. 213

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

395

dauernden Einreden (z.B. Einrede der Verjährung gemäß § 222 Abs. 1 BGB, Einrede des fehlenden Rechtsgrundes gemäß § 821 BGB, Einrede der unerlaubten Handlung gemäß § 853 BGB) aus. In diesen Fällen ist nämlich, sobald die Einrede einmal erhoben worden ist, die Durchsetzbarkeit des betroffenen Anspruchs für immer ausgeschlossen214, und zwar sowohl die gerichtliche als auch die außergerichtliche, da eine einredebehaftete Forderung nicht aufgerechnet werden kann (§ 390 S. 1 BGB); lediglich die verjährte Forderung kann in bestimmten Konstellationen, nämlich wenn die Aufrechnungslage vor Eintritt der Verjährung bestand, noch aufgerechnet (§ 390 S. 2 BGB) und insofern noch durchgesetzt werden. Wäre die These einer begriffsnotwendigen Durchsetzbarkeit subjektiver Rechte richtig, so müßte die Geltendmachung einer dauernden Einrede zum Untergang des Anspruchs führen; das entspricht aber nicht der Vorstellung des Gesetzes, wonach dauernde Einreden gerade keine rechtsvernichtende Wirkung haben, sondern das betroffene Recht fortbestehen lassen215. Deshalb wandelt auch eine dauernde Einrede den Anspruch nicht in eine bloße Naturalobligation um 216 : „für das natürliche Rechtsgefühl [bleibt] eine verjährte Schuld immer noch eine Schuld" 217 . Eine dauernde Einrede schließt also nur die Durchsetzbarkeit des Rechts gegen den Willen des Schuldners aus, macht es damit zwar im praktischen Ergebnis effektiv unwirksam, beseitigt es aber nicht 218 . Im Unterschied zu den Fällen unklagbarer Rechte schließt die Einrede nicht die Klagbarkeit aus 219 und führt nicht zur Unzulässigkeit, sondern zur Unbegründetheit einer Leistungsklage220; mit der Feststellungsklage hingegen kann auch bei einer dauerhaft einredebehafteten (z.B. verjährten) Forderung nur die Feststellung des Rechts zur Leistungsverweigerung begehrt werden, aber eben nicht die Feststellung, dem Gläubiger „stehe der Anspruch nicht zu" 2 2 1 . Gemeinsam hat sie mit den Unklagbarkeitsfällen, daß sie die These von der Durchsetzbarkeit als Wesenszug subjektiver Rechte widerlegt, und demonstriert, daß 214 BGH, ZZP 111 (1998), 205, 207; Larenz, Schuldrecht I, S. 20; Larenz/Wolf, BGB AT, § 18 Rn. 62; vgl. Motive I, S. 342. 215 BGH, NJW 1983, 392; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 123 f.; Larenz, Schuldrecht I, S. 20. 216 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1432 Fn. 16; v. Tuhr, BGB AT I, S. 290 Fn. 4a. 217 Motive I, S. 343 (in bezug auf den heutigen § 222 BGB). 218 BGH, NJW 1983, 392; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1384, 1430; Larenz, BGB AT, S. 248 f.; Ρ alandt/Heinrichs, BGB, § 222 Rn. 1; Stech, ZZP 77 (1964), 219; v. Tuhr, BGB AT I, S. 308; ferner Erman/Hefer me hl, BGB, § 222 Rn. 1; Pawlowski, BGB AT, Rn. 330; Schreiber, Jura 1998, 273. 219 Stech, ZZP 77 (1964), 219. 220 Larenz, BGB AT, S. 249; Larenz/Wolf, BGB AT, § 18 Rn. 61. 221 BGH, L M § 222 BGB Nr. 8; NJW 1983, 392 f.; Ρ alandt/Heinrichs, BGB, § 222 Rn. 1.

D. Das subjektive Recht

396

die Existenz eines subjektiven Rechts und die Frage seiner Erzwingbarkeit separat zu betrachten sind.

dd) Irrelevanz einer mittelbaren Erzwingbarkeit Z u erwägen ist, ob, wenn schon ein Anspruch nicht unmittelbar durchsetzbar sein muß, sondern etwa seine Klagbarkeit oder auch die Vollstreckbarkeit eines entsprechenden Leistungsurteils ausgeschlossen sein kann, dann nicht zumindest seine mittelbare

Erzwingbarkeit

als notwendige Voraussetzung für seine

Anerkennung als subjektives Recht gefordert werden muß. A l s Möglichkeiten einer mittelbaren Erzwingung in diesem Sinne wäre vor allem an die Ersatzvornahme auf Kosten des Verpflichteten (vgl. § 887 ZPO) sowie an Schadensersatzansprüche zu denken, ferner überhaupt an alle sonstigen staatlicherseits 222 verhängten oder ermöglichten Sanktionen 2 2 3 , einschließlich einer straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung i m Falle einer (schuldhaften) Verletzung strafbewehrter Rechte. Zwar dient ein solcher mittelbarer Zwang in Gestalt etwa von Schadensersatzansprüchen oder sonstigen Nachteilen bzw. Sanktionen nicht eigentlich der Durchsetzung des primären subjektiven Rechts, weil dieses gerade nicht gegen den Widerstand des Verpflichteten oder durch Brechung des Widerstandes exekutiert wird, im strengen Sinne also gar kein Erfüllungszwang herrscht 224. Weder die Ersatzvornahme noch die Vollstreckung eines sekundären Schadensersatzanspruchs stellt eine reale Durchsetzung des primären subjektiven Rechts dar. Im Gegenteil bedeutet die Geltendmachung von Schadensersatz wegen Nicht(!)erfüllung in solchen Fällen gerade den Verzicht auf die Durchsetzung des primären Rechts, wie etwa an der Regelung des § 893 ZPO i.V.m. § 283 Abs. 1 BGB deutlich wird, wenn der obsiegende Gläubiger auf die Vollstreckung des Leistungsurteils verzichtet und statt dessen Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordert. Denn nach fruchtlosem Ablauf der zur Erfüllung des Urteils gesetzten Frist ist der Anspruch auf Erfüllung „ausgeschlossen" (§ 283 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz BGB); er wandelt sich ipso iure in einen Schadensersatzanspruch um 2 2 5 . Auch das materielle Recht geht davon aus, daß mit der Geltendmachung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach fruchtloser Fristsetzung (anders natürlich bei Geltendmachung eines Verzugsschadensersatzanspruchs, der neben den bestehenbleibenden Leistungsanspruch

222 Nicht gemeint sind also Sanktionen rein gesellschaftlicher Natur im sozialen Bereich, wie etwa, daß man mit einem Rechtsbrecher eventuell keinen Umgang mehr pflegen möchte. Eine solche Reaktion ist so unsicher und unzuverlässig, zugleich aber oft so irrational und unverhältnismäßig, daß nicht emsthaft in Betracht gezogen werden kann, Sanktionen dieser Art als Kennzeichen staatlichen Rechts zu postulieren (s. hierzu näher nachfolgend D.II.3.c.ee [3]). 223 Vgl. Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 16; femer Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 182 f. 224 Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 245 f.; vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 36. 225 Emmerich., in MünchKomm BGB, § 283 Rn. 22; Palandt/Heinrichs, BGB, § 283 Rn. 5.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

397

tritt) der Anspruch auf Erfüllung des primär geschuldeten Anspruchs erlischt (vgl. § 286 Abs. 2 S. 1, § 326 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz BGB) 2 2 6 .

Gleichwohl kann mit Bezug auf die genannten Schadensersatz- und Sanktionsmöglichkeiten durchaus von einem mittelbaren Erfüllungszwang gesprochen werden, weil durch sie unverkennbar ein nicht unerheblicher psychischer Druck auf den Verpflichteten ausgeübt werden kann 227 , seine primäre Pflicht zu erfüllen, nämlich dann, wenn es aus seiner Sicht vernünftig erscheint 228, die unmittelbar an sich nicht erzwingbare Pflicht zu erfüllen, um die sonst drohenden Nachteile zu vermeiden. In der Tat war dies eine der Erwägungen des Gesetzgebers, weswegen er im heutigen § 888 Abs. 3 ZPO die Vollstreckung bestimmter Urteile ausschloß229, ohne aber deswegen gleich die zugrundeliegenden Ansprüche materiellrechtlich aufzuheben: „die Versagung des direkten Zwanges ... zerstört auch nicht die Wirkung des voraufgegangenen Urtheils, welches durch Liquidation des Interesses wenigstens mittelbar ausgeführt werden kann" 230 . Für ein solches Postulat einer (mindestens) mittelbaren Erzwingbarkeit subjektiver Rechte sprechen gute Gründe, da man allerdings fragen kann, ob nicht dann, wenn ein Rechtsverstoß für den Rechtsverletzer gänzlich folgenlos bleibt, also nicht nur keine direkte Erzwingung, sondern auch weder Schadensersatzansprüche noch sonstige Rechtsnachteile vorgesehen sind, der „Mangel an Rechtsgarantie" in einen „Mangel an Rechtsqualität" umschlägt, so daß eine nur noch unvollkommene Verbindlichkeit im Sinne einer Naturalobligation vorliegt. Deshalb wird teilweise die Existenz eines subjektiven Rechts verneint, wenn ein Verstoß dagegen gänzlich folgenlos bleibt. Obgleich dieser Ansicht eine gewisse Plausibilität nicht abgesprochen werden kann - es mag allerdings wenig ratsam erscheinen, wenn der Gesetzgeber subjektive Rechte einräumt, deren Verletzung dann aber folgenlos bleiben läßt 231 - , kann ihr dennoch letztlich nicht beigepflichtet werden. Das Bestehen eines wenn schon nicht direkten, so doch wenigstens indirekten Erfüllungszwanges in Gestalt der Auferlegung von Schadensersatzpflichten oder sonstigen Rechtsnachteilen ist keine notwendige Be-

226 Zum Erlöschen des Erfüllungsanspruchs vgl. BGH, NJW 1994, 3351; Emmerich, in MünchKomm BGB, § 326 Rn. 120; Palandt/Heinrichs, BGB, § 286 Rn. 12, § 326 Rn. 26; Thode, in MünchKomm BGB, § 286 Rn. 13. 227 Thon, GrünhutsZ 7 ( 1880), 246. 228 Zum Vernünftigkeitskriterium als Maßstab der Selbstbehauptung in solchen Situationen ausgeübter Pressionen näher unten G.I.l.b.cc (3). 229 Hierzu oben D.II.3.c.aa. 230 Begründung des 3. Entwurfes einer Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, Berlin 1874, S. 443 f. (zitiert nach Struckmann/Koch, CPO, § 774 Anm. 7). 231 S. dazu unten D.II.3.d.

D. Das subjektive Recht

398 dingung 232

für das Vorliegen eines subjektiven Rechts 2 3 3 . Gegen eine solche

Annahme lassen sich sowohl positivrechtliche Gegenbeispiele als auch grundsätzliche Erwägungen anfuhren.

(1)

Gegenbeispiele

Hinzuweisen ist zunächst auf den positivrechtlichen Befund, daß die Rechtsordnung subjektive Rechte kennt, deren Durchsetzung nicht erzwingbar ist und deren Nichterfüllung gleichwohl keinen Schadensersatzanspruch nach sich zieht. So begründet etwa der Bruch des Verlöbnisversprechens keine Schadensersatzpflicht. Dem Gesetz liegt zwar die Vorstellung eines Verlöbnisses als familienrechtlicher Vertrag mit der hauptsächlichen Rechtspflicht, die Ehe einzugehen, zugrunde 2 3 4 . Dennoch hat der Gesetzgeber diese Verpflichtung nicht 232 Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist darauf hinzuweisen, daß ein Verständnis von Schadensersatzansprüchen gar als hinreichende Bedingung subjektiver Rechte auf keinen Fall in Betracht kommt: Erstens erlegt die Rechtsordnung jemandem mitunter Rechtsnachteile für rechtmäßiges Handeln auf, insbesondere also ohne daß eine subjektive Rechtsverletzung vorliegen müßte; solchenfalls aber kann keineswegs die Rede davon sein, hierdurch solle der Belastete wenigstens mittelbar zu einer anderen Handlungsweise „gezwungen" werden. So kann etwa die Nichterfüllung von Obliegenheiten schmerzliche Nachteile nach sich ziehen (vgl. hierzu Larenz, BGB AT, S. 205 f.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 216 ff.; femer v. Tuhr, BGB AT I, S. 99 ff.). Gleichwohl wäre hier eine Vorstellung unzutreffend, der Betreffende solle „gezwungen" werden, seine Obliegenheiten zu erfüllen. Dies steht ihm völlig frei, nur muß er dann eben die nachteiligen Konsequenzen seiner Entscheidung tragen, insofern er nämlich seine diesbezügliche Freiheit nicht auf Kosten anderer soll ausüben können. Im Unterschied zu den echten Rechtspflichten fordert die Rechtsordnung die Erfüllung einer Obliegenheit nicht kategorisch, sondern hypothetisch (Larenz, BGB AT, S. 205; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 208 ff), also nicht unbedingt, sondern nur für den Fall, daß der Betreffende den Rechtsnachteil vermeiden will. - Zweitens sind die Fälle zu nennen, in denen jemand sogar Schadensersatz fur rechtmäßiges Handeln leisten muß (z.B. in den Fällen der § 867 S. 2, §§ 904, 962, 1005 BGB), was selbstverständlich nicht dahin verstanden werden kann, der Gesetzgeber wolle hiermit Druck in Richtung auf einen Verzicht auf die Ausübung der die Schadensersatzpflicht auslösenden Rechte ausüben. - Drittens gibt es sogar Fälle, in denen die Rechtsordnung Schadensersatzansprüche für rechtswidriges Handeln vorsieht, ohne aber einen Anspruch auf rechtmäßiges Handeln einzuräumen (vgl. BGHZ 139, 259, 268 f.: die Aufhebung eines Ausschreibungsverfahrens aus anderen als den in § 26 Nr. 1 VOB/A genannten Gründen verpflichte den öffentlichen Auftraggeber zum Schadensersatz, dennoch sei nach Systematik und Entstehungsgeschichte der Regelung nicht abzuleiten, daß er bei Fehlen eines solchen Grundes zur Auftragserteilung verpflichtet wäre). - Das Bestehen etwaiger mittelbarer Sanktionen und Nachteile ist angesichts dieser Beispiele kein Beleg dafür, daß die Rechtsordnung die Handlung, für deren Nichtvornahme der Nachteil auferlegt wird, erzwingen will. 233 234

Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 245 ff. S. oben D.II.3.c.bb (1).

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

399

nur als unklagbar (§ 1297 Abs. 1 BGB) und unvollstreckbar (§ 888 Abs. 3 ZPO) ausgestaltet, er hat bezeichnenderweise auch keine Schadensersatzpflicht fur ihre Verletzung vorgesehen. Zwar muß der vom Verlöbnis Zurücktretende unter bestimmten Umständen den Vertrauensschaden der anderen Seite ersetzen (§§ 1298 f. BGB). Dies bezweckt aber nur einen gerechten Nachteilsausgleich und stellt keinen Schadensersatz ftir den Verlöbnisbruch als solchen dar 235 . Keineswegs ist dies vom Gesetzgeber als quasi mittelbarer Zwang in Richtung auf die Erfüllung des Verlöbnisversprechens gedacht236. Dem Gesetzgeber ist nämlich, wie schon aus § 1297 Abs. 2 BGB erhellt, der Strafversprechen für den Fall der Nichteingehung der Ehe ausdrücklich für nichtig erklärt, die wirkliche Freiheit bei der Eheschließung (vgl. ferner § 1310 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz i.V.m. § 1314 Abs. 2 Nrn. 3, 4 BGB) ein so hohes Gut, daß die Interpretation des Vertrauensschadensersatzes nach §§ 1298 f. BGB als gesetzlich gewollter mittelbarer Eheschließungszwang ausscheidet.

Besonders aufschlußreich ist ferner, daß die Verletzung der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 S. 2 BGB) nicht zum Schadensersatz verpflichtet 237 , obgleich es sich bei dem Anspruch auf eheliche Lebensgemeinschaft, wie gezeigt 238 , um ein subjektives Recht handelt. Wenn aber jeder Ehegatte ein subjektives Recht gegen den anderen auf Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft besitzt - und daß dies so ist, beweist schon der Umstand, daß er mit Erfolg eine Herstellungsklage erheben kann - , seinen Herstellungstitel aber weder vollstrecken (§ 888 Abs. 3 ZPO) noch infolge der Rechtsverletzung Schadensersatz verlangen kann, dann kann die Annahme, das Bestehen eines subjektiven Rechts setze unmittelbaren oder wenigstens mittelbaren Erfüllungszwang voraus, nicht zutreffen. Es ist nun zwar gewiß kein Zufall, daß es sich bei den angeführten Beispielen um familienrechtliche handelt. Denn hier liegt es sowohl von den Grundrechten als auch mit Blick auf das Wesen der Ehe nahe, weshalb sich der Gesetzgeber jedes unmittelbaren oder mittelbaren Zwanges enthalten wollte, derart in das Höchstpersönliche eingreifende Pflichten zwangsweise durchzusetzen 239. Wenn man nun aber deswegen nicht gleich die Vorstellung des Verlöbnisses oder der Ehe als rechtsfreie Privaträume verfechten will, sondern in Einklang mit den Vorstellungen des Gesetzgebers echte subjektive Rechte und Rechtspflichten der Verlobten bzw. Ehegatten annimmt, so zeigt sich, daß eine auch nur mittelbare Erzwingbarkeit nicht Wesensmerkmal subjektiver Rechte sein kann.

235

Wacke, in MünchKomm BGB, § 1298 Rn. 1; ferner Soergel/Lange,

BGB, § 1298

Rn. 2. 236

Vgl. Erman/Heckelmann, BGB, § 1298 Rn. 11. BGB, § 1353 Rn. 16; BGHZ 48, 82, 85; 57, 229, 231 ff.; Palandt/Brudermüller, Soergel/Lange, BGB, § 1353 Rn. 39 ff. 238 S. oben D.II.3.c.aa. 239 Zu den diesbezüglichen Motiven des Gesetzgebers oben D.II.3.c.aa. 237

400

D. Das subjektive Recht

(2) Grundsätzliche Bedenken Von den positivrechtlichen Belegen abgesehen, sprechen eine Reihe grundsätzlicher Bedenken dagegen, die mittelbare Erzwingbarkeit als Wesensmerkmal subjektiver Rechte zu postulieren; auch wenn - wie nicht näher begründet werden muß - die Sanktionierung von Rechtsverstößen die Regel ist, ist sie dennoch für subjektive Rechte nicht unabdingbar. Zunächst ist zu bemerken, daß die Überlegung, die Befolgung eines subjektiven Rechts durch Vorsehung von Sanktionen wie z.B. Schadensersatzpflichten mittelbar zu erzwingen, nur vordergründig plausibel ist, tatsächlich aber in die von der je individuellen Disposition des Verpflichteten abhängenden Zufälligkeit mündet, ob ihn die drohenden Sanktionen überhaupt zur Erfüllung seiner Rechtspflichten bewegen können oder nicht. Damit wäre aber die Durchsetzbarkeit des fraglichen Rechts keine Eigenschaft dieses Rechts mehr, sondern sie hinge von der Sanktionsempfindlichkeit des jeweiligen Verpflichteten ab, hinsichtlich welcher natürlich beträchtliche Unterschiede bestehen. Es kann aber nicht überzeugen, die Definition des subjektiven Rechts von solchen Unwägbarkeiten abhängig zu machen. Ob ein subjektives Recht besteht oder nicht, muß für alle gleichgelagerten Sachverhalte in derselben Weise beantwortet werden können, und darf daher nicht von zufälligen individuellen Eigenschaften des Verpflichteten abhängig gemacht werden. Zwar wäre es logisch möglich, die Existenz eines subjektiven Rechts von dem generellen Bestehen mittelbarer Zwangsmöglichkeiten und deren regelmäßigen Eignung zur Erzwingung pflichtgemäßen Verhaltens abhängig zu machen, um so ihre konkrete Ungeeignetheit als irrelevant übergehen zu können. Wenn indessen die Annahme, z.B. daß A dem Β gegenüber ein subjektives Recht auf eine bestimmte Handlung hat, nicht daran scheitern kann, daß Β durch keine Sanktionsdrohung oder Sanktion zu dieser Handlung zu bewegen ist, so fragt sich, weshalb dann das rechtliche Bestehen des subjektiven Rechts überhaupt von dem Bestehen einer in concreto ineffektiv sein dürfenden Sanktionsmöglichkeit abhängen sollte. Denn was im Verhältnis zwischen A und Β gilt - nämlich daß das Bestehen des subjektiven Rechts des A nicht von der Sanktionsempfindlichkeit des Β abhängen kann - , muß auch im Verhältnis von C und D, E und F, und immer so fort gelten, doch damit erweist sich das Postulat der mittelbaren Erzwingbarkeit letztlich als eine Fiktion, von dem, sobald es im konkreten Fall darauf ankommt, abgesehen und das daher eigentlich überhaupt nicht ernst genommen wird. Dann schiene es jedoch allemal konsequenter, jenes Postulat überhaupt aufzugeben und das Bestehen subjektiver Rechte nicht davon abhängig machen zu wollen, ob es in Gestalt von Schadensersatzansprüchen oder sonstigen Sanktionen mittelbar „erzwingbar" ist, was ja doch immer allenfalls bedeuten könnte: sich nach der Lebenserfahrung in den meisten Fällen

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

401

als erzwingbar erwiesen hat, ohne aber gerade im konkreten Fall solchermaßen erzwingbar sein zu müssen. Davon abgesehen ist es ohnehin eine bloße, von der Natur des subjektiven Rechts gänzlich unabhängige Zufälligkeit, ob dem Rechtsinhaber durch die Rechtsverletzung überhaupt ein Schaden entsteht, so daß es nicht einleuchtet, wie dann die Anerkennung des subjektiven Rechts vom Bestehen eines Schadensersatzanspruchs abhängig gemacht werden soll. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Verletzung einer vertraglichen Pflicht dem Gläubiger keinen Schaden verursacht, so daß ihm auch kein Schadensersatzanspruch zuwächst240. Ja, es mag sogar Situationen geben, in denen die Nichterfüllung der geschuldeten Hauptleistung für den Gläubiger von Vorteil und ihm höchst willkommen sein mag, weil ihm dies einen Grund zum Rücktritt von einem ihm ungünstigen Vertrag gibt (§ 325 Abs. 1 S. 1, § 326 Abs. 1 S. 2 BGB) - und doch läßt sich nicht bestreiten, daß ihm bis dahin ein echter Rechtsanspruch auf die geschuldete Leistung zusteht. Ferner ist leicht gesagt, der Gläubiger einer unvertretbaren Dienstleistung könne zwar das Leistungsurteil nicht vollstrecken (§ 888 Abs. 3 ZPO), wohl aber Schadensersatz geltend machen (§ 893 ZPO). Doch ob er das wirklich kann, hängt davon ab, ob er überhaupt einen Schaden hat; wenn nicht, so liegt ersichtlich nicht einmal ein mittelbarer wirtschaftlicher Druck auf den Dienstschuldner vor, das Urteil freiwillig zu befolgen, und dennoch wäre es abwegig, zu behaupten, er sei deshalb rechtlich nicht zur Leistung verpflichtet und der Gläubiger habe - mangels Vollstreckbarkeit des Urteils und in Ermangelung wirtschaftlicher Druckmöglichkeiten - keinen Anspruch auf die vereinbarte Dienstleistung. Das Gesetz schließt in § 888 Abs. 3 ZPO die Vollstreckbarkeit bestimmter Leistungsurteile ohne Rücksicht darauf aus, ob dem Gläubiger ein liquidierbarer Schaden entsteht; § 893 ZPO behält ihm lediglich die Möglichkeit vor, einen etwaigen Schaden nach materiellem Recht geltend zu machen, begründet aber nicht selbst einen Schadensersatzanspruch 241. Der gesetzliche Vollstreckbarkeitsausschluß ist auch nicht etwa in dem Sinne bedingt, daß im Falle des Fehlens eines ersatzfähigen Schadens das Urteil doch vollstreckbar wäre. Damit gibt der Gesetzgeber der Wertentscheidung Ausdruck, daß die Möglichkeit der Geltendmachung eines Schadens keine Voraussetzung des Vollstreckungsausschlusses ist. Vielmehr stellen der Vollstreckungsausschluß und der etwaige Schadensersatz gesonderte Kategorien dar, und dies ließe sich wertungsmäßig nicht mit der Annahme vereinbaren, die Einräumung eines 240 Zur Unverzichtbarkeit eines Vermögensschadens als tatbestandliche Voraussetzung jedes Schadensersatzanspruchs vgl. nur BGH, JZ 1998, 1173, 1174 f. mit Anm. Wiedemann. 241 Hartmann, in Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 893 Rn. 1; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 893 Rn. 1.

28 Roth

402

D. Das subjektive Recht

Schadensersatzanspruchs - als mittelbare Erzwingungsmöglichkeit - sei Vorausbedingung eines - nicht unmittelbar durchsetzbaren - subjektiven Rechts. Zwar könnte man daran denken, das Bestehen eines subjektiven Rechts davon abhängig zu machen, daß wenigstens potentiell ein Schadensersatzanspruch gegeben sein muß, nämlich für den Fall, daß ein Schaden entsteht, während ein subjektives Recht danach zu verneinen wäre, wenn ein Schadensersatzanspruch nicht einmal potentiell gegeben ist. Doch eine solche Unterscheidung erschiene nicht überzeugend. Denn das Vorliegen eines subjektiven Rechts muß im konkreten Fall dargetan werden können, und es kann ja beispielsweise schon bei Abschluß eines Vertrages offenkundig sein, daß dem Berechtigten kein Schaden entsteht, wenn der Vertrag nicht erfüllt wird. Es wäre nun aber wenig einsichtig, dem einen ein subjektives Recht unter Hinweis auf seinen potentiellen Schadensersatzanspruch zuzuerkennen, obgleich er mit Sicherheit keinen Schaden erleiden wird, und gleichzeitig einem anderen das subjektive Recht mit dem Argument abzusprechen, daß er ja schließlich nicht einmal einen potentiellen Schadensersatzanspruch habe. Im Ergebnis stehen sich beide nämlich völlig gleich, da sie beide ihr Recht weder direkt noch mittelbar wirtschaftlich erzwingen können. Hiernach ist es nicht überzeugend, die Existenz eines primären subjektiven Rechts davon abhängig zu machen, ob an seine Stelle Schadensersatzansprüche treten oder sonstige Sanktionen verhängt werden können, wenn das primäre Recht verletzt wird. Das Entstehen sekundärer und tertiärer Hilfsansprüche (wie z.B. Schadensersatzansprüche) und das Greifen sonstiger Sanktionen mag wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind - regelmäßige Folge der Verletzung primärer subjektiver Rechte sein, definitionsmäßige Voraussetzung schon des Bestehens eines subjektiven Rechts sind sie nach alledem nicht 242 .

ee) Irrelevanz außergerichtlichen Zwanges Manche Autoren versuchen, die Erkenntnis, daß es gerichtlich nicht durchsetzbare subjektive Rechte gibt (unklagbare Ansprüche, Vollstreckungsausschlüsse), dadurch mit ihrem Postulat einer notwendigen Erzwingbarkeit eines jeden subjektiven Rechts zu vereinbaren, daß sie auf die Möglichkeit außergerichtlichen Zwanges verweisen: Zwar müsse jeder Anspruch notwendigerweise durchsetzbar sein, doch der gewährte „Rechtszwang" brauche nicht notwendig gerichtlicher, sondern könne außergerichtlicher Art sein 243 , insbesondere auch in Gestalt behördlichen Zwanges auftreten 244. 242 243 244

Ablehnend auch Larenz, BGB AT, S. 203; Larenz/Wolf, BGB AT, § 13 Rn. 38. Reichel, JherJb 59 (1911), 413 ff.; Stech, ZZP 77 (1964), 163. Vgl. Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 290.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

403

(1) Behördliche Zwangsmaßnahmen Daß sich die Forderung nach einer zwangsweisen Durchsetzbarkeit aller subjektiver Rechte in gerichtsformigen Verfahren nicht mit der bestehenden Rechtslage vereinbaren läßt, schließt logisch nicht aus, das fur erforderlich gehaltene Rechtsmachtmoment in einem verwaltungsmäßigen Zwang zu sehen245. Indessen ist hier zu bemerken, daß ein solches Postulat nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht. Gesetzlich vorgesehene Klagbarkeitsausschlüsse fuhren gerade nicht dazu, daß nunmehr eine verwaltungsmäßige Erzwingung möglich würde. Insbesondere ist solchenfalls auch nicht etwa die Polizei zur Durchsetzung der betreffenden Rechte befugt. So soll beispielsweise die subsidiäre polizeiliche Zuständigkeit zum Schutz privater Rechte lediglich verhindern, daß die Verwirklichung dieser Rechte allein dadurch vereitelt wird, daß „gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist" (vgl. § 2 Abs. 2 PolG BW); die Polizei soll aber nicht etwa dort einschreiten, wo dies selbst dem Zivilrichter verwehrt wäre, und deshalb darf die Polizei unklagbare Ansprüche in keinem Fall durchsetzen. Dasselbe gilt in Ansehung gesetzlicher Vollstrekkungsausschlüsse. Der Ausschluß beispielsweise der Zwangsvollstreckung zur Erzwingung von Dienstleistungspflichten durch § 888 Abs. 3 ZPO war seinerzeit ohne Rücksicht darauf normiert worden, ob polizeiliche Möglichkeiten gegeben waren, den Dienstpflichtigen zur Dienstleistung anzuhalten246. Diese Beispiele belegen, daß nach der Vorstellung des Gesetzgebers subjektive Rechte existieren können, die weder gerichtlich noch behördlich erzwingbar sind 247 .

(2) Gesetzlich sanktionierter

außergerichtlicher

Zwang

Unter außergerichtlichem Zwang kann ferner die dem Berechtigten gesetzlich gewährte Möglichkeit verstanden werden, durch eigenes Unternehmen ohne Mitwirkung des Gerichts gegen den Willen des Verpflichteten sein Recht durchzusetzen 248. Als solche außergerichtlichen Zwangsmittel werden genannt249 die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB), Pfandrechte, das Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB). Konsequenterweise müßten hier außerdem die verschiedenen gesetzlich gewährten Selbsthilferechte angeführt werden, also sowohl das allgemeine Selbsthilferecht des § 229 BGB 2 5 0 als auch die spezielleren Selbsthilfe245

Vgl. Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 290. S. oben D.II.3.c.aa. 247 Wolf, WissR 1970,202. 248 Stech, ZZP 77 (1964), 164; vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 185. 249 Reichel, JherJb 59 (1911), 414; Stech, ZZP 77 (1964), 164. 250 Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 16. - Wenn demgegenüber gesagt wird, das Selbsthilferecht des § 229 BGB sei kein solches außergerichtliches Zwangsmittel „im Rechtssinne", weil es „kein Recht" sei, sondern „auf der physischen Überlegenheit 246

404

D. Das subjektive Recht

rechte z.B. des Vermieters zur Verhinderung von Pfandkehr (§ 561 Abs. 1 BGB), des Besitzers und Besitzdieners gegen verbotene Eigenmacht (§§ 859, 860 BGB), des Nachbarn gegen Überhang (§910 BGB), des Verfolgungsrechts des Eigentümers eines Bienenschwarmes (§ 962 BGB) usw. Mit dem Postulat, ein Anspruch müsse, wenn er nicht gerichtlich durchsetzbar ist, wenigstens außergerichtlich durchsetzbar sein, gibt man indessen den oben dargelegten 251 - echten Anspruchscharakter unklagbarer Ansprüche weitestgehend preis. Denn es verhält sich gerade nicht so, daß der Gesetzgeber, indem er die Klagbarkeit eines Anspruchs oder die Vollstreckbarkeit eines Leistungsurteils ausschließt, dadurch dem Gläubiger den Weg freigäbe, außergerichtlich selbst Befriedigung zu suchen. Wenn Klagbarkeit oder Vollstreckbarkeit ausgeschlossen sind, so bedeutet dies mitnichten, daß sich nur der Staat aus der Erzwingung heraushielte und den Berechtigten auf die Selbsthilfe verwiese. Im Gegenteil schließt der staatliche Verzicht auf die zwangsweise Durchsetzung subjektiver Rechte in aller Regel zugleich das Verbot an den Berechtigten ein, selbst eine solche zwangsweise Durchsetzung zu unternehmen 252. Das gilt insbesondere für das Selbsthilferecht nach § 229 BGB, das schon deshalb nur zur Sicherung eines im Klagewege durchsetzbaren Anspruchs ausgeübt werden darf 5 3 , weil die Voraussetzung des § 229 BGB - nämlich die Unerlangbarkeit obrigkeitlicher Hilfe - nicht erfüllt ist, wenn diese z.B. mangels Klagbarkeit des betreffenden Rechts zu Recht verweigert wird 2 5 4 . Besonders deutliche Beispiele hierfür geben § 1297 Abs. 1 BGB und § 888 Abs. 3 ZPO. Die Unklagbarkeit des Anspruchs auf Eingehung der Ehe implides Handelnden" beruhe und „nur die Rechtswidrigkeit des Handelns beseitigt" (Stech, ZZP 77 [1964], 164 f. im Anschluß an Reichel, JherJb 59 [1911], 414 f.), so ist diese Charakterisierung nicht nachvollziehbar. Denn natürlich „beruht" das Selbsthilferec/tf mitnichten auf physischer Überlegenheit, sondern auf der Einräumung durch die Rechtsordnung. Die physische Überlegenheit des Selbsthilfeberechtigten ist bestenfalls Voraussetzung dafür, die Selbsthilfe tatsächlich ausüben zu können (wobei übrigens insofern noch zu bedenken ist, daß sich der Berechtigte legalerweise auch der Hilfe Dritter bedienen und so seine physische Überlegenheit herstellen kann). 251 S. oben D.II.3.c.bb. 252 Reichel, JherJb 60 (1912), 57. 253 v. Feldmann, in MünchKomm BGB, § 229 Rn. 2; Ρ alandt/Heinrichs, BGB, § 229 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB, § 229 Rn. 7; Staudinger/Werner, BGB, § 229 Rn. 6. 254 v. Feldmann, in MünchKomm BGB, § 229 Rn. 3; Palandt/Heinrichs, BGB, § 229 Rn. 4; Soergel/Fahse, BGB, § 229 Rn. 11; Staudinger/Werner, BGB, § 229 Rn. 11. Dies gilt übrigens auch dann, wenn sich die Unklagbarkeit aus der diplomatischen Immunität des Verpflichteten ergibt; eine teleologische Reduktion des § 229 BGB kommt hier entgegen Bongartz, MDR 1995, 782 nicht in Betracht, weil die völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands zur Respektierung diplomatischer Immunität nicht dadurch unterlaufen werden darf, daß das deutsche Recht insofern die ansonsten aus guten Gründen ausgeschlossene private Selbsthilfe wieder eröffnet.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

405

ziert notwendig ein Verbot, die Eheschließung selbst durch Gewalt oder mittels Maßnahmen zu erzwingen, die wie ein nach § 1297 Abs. 2 BGB unwirksames Vertragsstrafeversprechen einen wirtschaftlichen Druck zur Eheschließung entfalten können 255 . Desgleichen gibt der von § 888 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 1353 Abs. 1 BGB verordnete Ausschluß der Zwangsvollstreckung des Herstellungsurteils nicht etwa dem obsiegenden Ehegatten das Recht, die von dem anderen geschuldete Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft anderweit selbst zu erzwingen. Schließlich versteht sich von selbst, daß der Gläubiger einer unvertretbaren persönlichen Dienstleistung den Dienstverpflichteten nicht deswegen selbst zur Leistung der geschuldeten Dienste zwingen darf, nur weil und gerade weil der Staat sich diesen Zwang nach § 888 Abs. 3 ZPO versagt. Es wäre nun aber eine unsinnige Annahme, daß persönliche Dienstleistungen nie geschuldet werden könnten, weil sie weder gerichtlich noch außergerichtlich erzwungen werden dürfen. Wenn es, wie die vorstehende Untersuchung gezeigt hat, subjektive Rechte gibt, die nicht gerichtlich durchsetzbar sind, und wenn das Verbot gerichtlicher Durchsetzung in den meisten Fällen geradezu ein Verbot außergerichtlicher Durchsetzung impliziert, dann ist es ausgeschlossen, das von der herrschenden Meinung für subjektive Rechte postulierte Rechtsmachtmoment durch einen Rückgriff auf außergerichtliche Durchsetzungsmöglichkeiten zu retten. Entweder man beharrt auf dem Rechtsmachtmoment, muß dann aber notwendigerweise „unklagbare Ansprüche" als contradictio in adiecto ansehen, weil ein Anspruch definitionsgemäß (vgl. § 194 Abs. 1 BGB) ein subjektives Recht ist, aber ein subjektives Recht ohne Klagbarkeit oder Vollstreckbarkeit gerichtlich und damit in der Regel auch außergerichtlich undurchsetzbar ist, oder aber man läßt die Rechtsmacht als Kriterium subjektiver Rechte fallen und erkennt an, daß es - wiewohl es sich hierbei freilich um seltene Ausnahmen handelt - subjektive Rechte gibt, deren Befolgung nicht erzwingbar ist, weder staatlichernoch privaterseits. Da nun der Gesetzgeber, wie gezeigt, von der Existenz unklagbarer oder sonst gerichtlich nicht durchsetzbarer subjektiver Rechte ausgeht, der Verzicht auf hoheitliche Durchsetzung zugleich jedoch allenfalls ausnahmsweise durch private Durchsetzungsmaßnahmen zu kompensieren ist, zwingt dies zu dem Schluß, daß die Durchsetzbarkeit nach der positiven Rechtslage nicht Tatbestands Voraussetzung eines subjektiven Rechts sein kann.

(3) Sozialzwang Das Postulat der notwendigen Durchsetzbarkeit allen Rechts ist schließlich mit dem Hinweis auf „soziale Mächte" außer dem Staat verfochten worden,

255

Vgl. Stech,, ZZP 77 (1964), 181 f.

406

D. Das subjektive Recht

welche die Einhaltung des Rechts selbst dann garantierten, wenn dieses rechtlich nicht erzwingbar ist: „Der nichtorganisierte Druck, den die allgemeine Sitte, die besonderen Anstandsregeln bestimmter Gesellschaftsklassen und Berufe, die kirchlichen Verbände, Presse und Literatur auf das Individuum und die Gesamtheit ausüben, ist viel stärker als aller bewußte vom Staat ausgeübte Zwang" 256 . In der Tat ist nicht zu verkennen, daß die Sorge um den guten Ruf oder die Scham, als Rechtsverletzer angeprangert zu werden, gewichtige Motive sein können, sich selbst dann an das Recht zu halten, wenn es im eigentlichen Sinne nicht erzwingbar ist. Kein Rechtssubjekt lebt nur in einer einzigen rechtlichen Beziehung und auch nicht nur in der Gegenwart. Jeder muß vielmehr in Rechnung stellen, künftig mit anderen in rechtliche Beziehungen treten zu müssen, und hierbei müßte der Ruf der Unzuverlässigkeit insbesondere in Gestalt mangelnder Rechtstreue sich sehr nachteilig auswirken. Da nun solche real durchaus präsente Entscheidungsfaktoren auch gegenüber unklagbaren oder sonst gerichtlich nicht durchsetzbaren Rechten Gewicht besitzen und eine mitunter beträchtliche Wirkmächtigkeit hinsichtlich der Durchsetzung solcher Rechte entfalten können, könnten sie als eine Art nicht auf Gesetz beruhenden sozialen Zwanges gelten. Indessen sprechen prinzipielle Gründe dagegen, das Bestehen von Recht gerade von derartigen Faktoren abhängig zu machen. Die Funktionsweise solchen Sozialzwanges ist in mehrfacher Hinsicht nicht mit der Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit in einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung vereinbar, so daß es nicht erträglich wäre, gerade hierauf abzustellen, um das Recht zu definieren. Insbesondere wenn derartiger Sozialzwang gut funktioniert, entfaltet er sehr leicht freiheits- und rechtsstaatsgefährdende Tendenzen: Im gesellschaftlichen wie im politischen Bereich gibt es keinen unbefangenen und unabhängigen Richter, kein rechtliches Gehör, keine anwaltliche Vertretung, kein faires Verfahren. Vielmehr klagen gerade die an, verurteilen und vollstrecken in einer Person die, die sich am meisten von der Angelegenheit betroffen fühlen und die daher eigentlich am voreingenommensten und befangensten sind. Zudem impliziert eine solche Sozialkontrolle notwendig ein massives und nicht lösbares Gleichheitsproblem, da sie keinesfalls die gleiche Behandlung aller Betroffenen sicherstellen kann. Soziale Kontrolle funktioniert stets gleichheitswidrig und niemals ohne Ansehen der Person. Zudem lehrt die Erfahrung, daß nur zu oft Dreistigkeit und Frechheit belohnt werden, während die Anständigen und Schwachen außerstande sind, sozialem Druck entgegenzuwirken und ihre Position zur Geltung zu bringen. Schließlich darf noch darauf verwiesen werden, daß die sozialen Reaktionen und Sanktionen oft völlig unverhältnismäßig sind, der eine sich für ein vergleichsweise geringfügiges rechts- oder so256

G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 335 f.; vgl. ders., System, S. 350 ff.; femer Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 185 f.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

407

zialwidriges Verhalten ausgestoßen und stigmatisiert sieht, während gleichzeitig manch größerer Gauner und Verbrecher hofiert und umschmeichelt wird. Angesichts der skizzierten Defekte des Sozialzwanges wäre es einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung unwürdig, das begriffliche Bestehen von Recht nachgerade vom Wirken rechtlich ungebundener „sozialer Mächte" abhängig machen zu wollen. Rein tatsächliche soziale Sanktionen sind also nicht nur viel zu unsicher und unzuverlässig, sondern vor allem oft zu arbiträr und zufällig, um sie in einem rechtlichen Sinn als Mittel der Erzwingbarkeit von Recht verstehen zu können. Das Bestehen oder Nichtbestehen eines etwa wirksamen Sozialzwanges ist daher bei juristischer Betrachtungsweise 257 ftir die Beantwortung der Frage nach dem Wesen des Rechts außer Betracht zu lassen.

ff) Ergebnis: Imperfekte subjektive Rechte Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß Erzwingbarkeit jedenfalls in der heutigen deutschen Rechtsordnung kein Begriffsmerkmal und keine notwendige Bedingung des (subjektiven) Rechts ist 258 , mag man sie rechtstheoretisch auch immer fordern. Zwar „verbindet die Rechtsordnung mit ihrer Normanforderung meistens", aber eben „nicht notwendig und immer, die Androhung irgendeiner Sanktion, sei es einer Schadensersatzpflicht oder unmittelbaren Zwangs" 259 . Unmittelbare oder mittelbare Erzwingbarkeit subjektiver Rechte stellt also zwar den gesetzlichen Regelfall dar und ihre fehlende Durchsetzbarkeit bleibt die Ausnahme260. Dem positiven Recht sind aber Fälle nicht erzwingbaren Rechts geläufig, namentlich in Gestalt einredebehafteter, unklagbarer oder zumindest nicht im Wege der Vollstreckung realisierbarer subjektiver Rechte. Damit hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er das Bestehen eines subjektiven Rechts nicht als von seiner Erzwingbarkeit bedingt versteht. Dabei hat er diese Erzwingbarkeitsausschlüsse im vollen Bewußtsein der Problematik 257

Anders mag es sich für eine soziologische Betrachtung verhalten, vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 181 ff. 258 BVerfGE 79, 69, 76; Bachof Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 65; Larenz, Schuldrecht I, S. 20; Larenz/Wolf BGB AT, § 13 Rn. 38; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 225 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 92 III 2; Roth, Faktische Eingriffe, S. 181; Staudinger/1 Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 141; Wolf WissR 1970, 202 f.; ebenso zur früheren Rechtslage Bernatzik, AöR 5 (1890), 262 f.; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 11 ; v. Gierke , Labands Staatsrecht, S. 79 Fn. 1; Regelsberger, Pandektenrecht I, § 10 III; Rosin, HirthsA 1883, 287; Thoma, HdbDStR II, S. 617; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 37, S. 164. 259 Larenz, BGB AT, S. 203; Larenz/Wolf BGB AT, § 13 Rn. 38. 260 Larenz, Schuldrecht I, S. 20; Larenz/Wolf BGB AT, § 13 Rn. 38; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §92 II; Staudinger/1 Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 141 („statistischerNormalfall").

D. Das subjektive Recht

408

getroffen, ohne damit die subjektive Rechtsnatur der in Frage stehenden Rechte verneinen zu wollen 261 . Somit hat der Gesetzgeber, obwohl er keine Legaldefinition des subjektiven Rechts gegeben hat, doch jedenfalls der Ansicht positivrechtlich eine Absage erteilt, wonach die Erzwingbarkeit Wesensmerkmal des subjektiven Rechts sein soll. Eine Rechtsnorm bleibt demnach auch dann eine Rechtsnorm, das subjektive Recht auch dann ein subjektives Recht und die korrespondierende Rechtspflicht eine /tectepflicht, wenn das subjektive Recht imperfekt ausgestaltet ist und ihm die Erzwingbarkeit fehlt 262 , sei es aufgrund der konkreten Gegebenheiten des Sachverhalts, sei es generell aufgrund einer dahin gehenden Beschränkung der Rechtsordnung. Die Erfüllung nicht klagbarer oder nicht vollstreckbarer Rechtspflichten ist daher nicht allein eine Frage der Tugendhaftigkeit, sondern sehr wohl auch ein Gebot der Rechtstreue.

d) Die Durchsetzbarkeit

des Rechts als Frage seiner Glaubwürdigkeit

Die vorstehend nachgewiesene Unhaltbarkeit der These von der notwendigen Erzwingbarkeit als Wesensmerkmal des Rechts heißt nicht, daß die Durchsetzbarkeit oder Erzwingbarkeit des Rechts überhaupt irrelevant wäre; sie ist aber nur eine Frage seiner Glaubwürdigkeit, nicht seiner Wesensnatur. Dies erhellt, wenn man sich die Funktionsweise des Rechts vergegenwärtigt. Das Recht entfaltet seine Wirkung nahezu ausschließlich im Wege der Einflußnahme auf den Willensbildungsprozeß der angesprochenen Rechtssubjekte263, und ist effektiv auf eine freiwillige Befolgung nicht nur angelegt, sondern nachgerade angewiesen 264 . Es wäre verfehlt, die Wirkung des Rechts primär in seiner zwangsweisen Durchsetzung oder der tatsächlichen Sanktionierung von Rechtsverstößen zu sehen.

261

Vgl. oben D.II.3.c.aa und bb. Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 37, S. 164 Fn. 4 („unvollkommenes Recht, aber deswegen nicht weniger ein Recht"); ebenso Bernatzik, AöR 5 (1890), 262 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 123 („leges imperfectae"); desgleichen Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 13 („dagegen wohl nichts Stichhaltiges einzuwenden, dass man auch diese weniger starke Position ... mit dem Namen subjektives Recht belegt"); femer Thoma, HdbDStR II, S. 616 f., der zwar als subjektive Rechte im „engsten Sinne des Begriffes" nur gerichtlich durchsetzbare Rechte verstand, gleichzeitig aber anerkannte, daß nach einem „weitesten, rein materiellrechtlichen Begriff 4 auch subjektive Rechte ohne formellrechtliche (prozessuale) Durchsetzbarkeit bestehen können. 263 Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 36 f., 65; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 217 („motivirende Kraft 44); Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 36; Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 247; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 1 I. 264 Vgl. BayObLG, BayVBl. 1999, 285, 286 (mit Bezug auf die StVO); G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 333 f. 262

I Kritik der herkömmlichen Kriterien

409

Jede Willensentschließung über die Vornahme oder Nichtvornahme einer bestimmten Handlung zwecks Verfolgung bestimmter Ziele stellt den Schlußpunkt eines komplexen Willensbildungsprozesses dar, in den zahlreiche Faktoren eingehen, insbesondere die gehabten Wünsche und Interessen, aber eben auch die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten sowie sonstige rechtliche Vorgaben beispielsweise in Gestalt von Ge- und Verboten 265 . Die Wirkungsweise einer Rechtsnorm kann daher nicht anders verstanden werden, als daß sie in einer Weise auf die Willensbildung eines Rechtssubjektes einwirken muß, daß sich dieses fur normkonformes Handeln entscheidet. Wirkungsvoll ist eine Rechtsnorm dann, wenn sie den Ausschlag im Willensbildungsprozeß zu geben vermag 266 , wobei man diesbezüglich zwischen absoluter und relativer Wirkmächtigkeit unterscheiden kann, je nachdem ob die Rechtsnorm fur sich alleine die Entscheidung sogar gegen starke gegenläufige Anreize motivieren kann, oder ob sie dies nur im Zusammenwirken mit anderen, die Entscheidung in dieselbe Richtung drängenden Überlegungen vermag. Rein empirisch werden die meisten Rechtspflichten freiwillig 267 befolgt, und dies muß auch so sein, da das gesamte Rechtssystem sonst unter der Durchsetzungslast kollabieren würde 268 . Wodurch jemand zu einer freiwilligen Normbefolgung bestimmt wird, läßt sich nicht einheitlich beantworten, sondern kann von Person zu Person, aber auch von Rechtsnorm zu Rechtsnorm, ja sogar von Situation zu Situation variieren. Welches Motiv aus dem Strauß möglicher Gründe sowohl rechtlicher als auch nichtrechtlicher Art (Rechtstreue und Einsicht, Furcht vor Zwang oder Sanktion, Erziehung und Gewohnheit, religiöse oder sittliche Vorstellungen, Bequemlichkeit, Eigennutz usw.), oder welche diffuse Kombination derartiger Motive, letztlich den Ausschlag für ein normkonformes Handeln gibt, kann und wird von Fall zu Fall unterschiedlich sein 269 . Bemerkenswert ist, daß es aus rechtlicher Sicht überhaupt nicht darauf ankommt, weshalb jemand eine konkrete Rechtsnorm befolgt. Die Frage nach der „richtigen" Erklärung für die freiwillige Einhaltung des Rechts und nach den individuellen oder den in der Gesellschaft diagnostizierbaren oder gar vorherrschenden Gründen für die Normbefolgung ist eine soziologische Fragestellung, 265

Roth, Faktische Eingriffe, S. 185 f. Ähnlich G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334; Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, in: Recht und Gerechtigkeit, S. 27; ferner Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 184. 267 Zur Unterscheidung der Freiwilligkeit der Normbefolgung von der Freiheit s. oben D.II.3. 268 S. oben D.II.3.a. 269 Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 80, 549; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 36; ferner Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 134 f.; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 182, 183; Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, in: Recht und Gerechtigkeit, S. 28. 266

410

D. Das subjektive Recht

die als solche zwar gleichermaßen höchst interessant wie legitim, für die juristische Betrachtung des Wesens des Rechts indessen nicht oder jedenfalls nicht unmittelbar relevant ist 2 7 0 . Die Rechtsordnung interessiert sich grundsätzlich nicht dafür, warum jemand eine Rechtsnorm einhält; sie stellt allein auf die äußere Normkonformität des Handelns ab und ignoriert die innere Haltung des äußerlich normkonform Handelnden 2 7 1 . Erst bei normwidrigem Handeln nimmt sie unter Umständen diese innere Haltung in den Blick. Da es hier um die Bestimmung des juristischen Rechtsbegriffs geht, der unserer Rechtsordnung zugrunde liegt, und nicht um die Bestimmung eines soziologischen Rechtsbegriffs, wäre eine soziologische Betrachtung der Gründe für die Normbefolgung unangebracht. Das heißt nicht, daß für die Rechtsordnung soziologische Erkenntnisse über die Rechtspraxis unerheblich wären. Im Gegenteil ist es insbesondere für den Gesetzgeber von beträchtlicher Bedeutung, welche Rechtsnormen in welchem Umfang beachtet oder mißachtet werden, und wenn beachtet, ob aus Rechtstreue und Einsicht oder nur aus Furcht vor Sanktionen usw. Denn es muß gewiß ein gesetzgeberisches Anliegen sein, Rechtsnormen so zu gestalten, daß ein möglichst hoher Befolgungsgrad bei möglichst geringem tatsächlichen Erzwingungsbedarf zu erreichen ist. Auch kann es grundsätzlich nicht im Sinne des Rechts sein, an den gesellschaftlich feststellbaren Fakten und Gegebenheiten vorbeizugehen, unbeschadet natürlich der Rückwirkungen, die von den Gesetzen auf das Rechts- und Unrechtsbewußtsein in der Bevölkerung ausgehen können. Das Recht soll nach dem Willen der Rechtsgemeinschaft keine Fiktion oder Phantasie sein, sondern eine tatsächlich meßbare Wirkkraft entfalten. Dies wiederum ist nur möglich, wenn es auf die soziologischen Grundtatsachen eingeht, darauf angemessen reagiert und sich diese zu seinen eigenen Zwecken zunutze macht 272 , ohne dabei freilich seine notwendig normative Natur und Ausrichtung zu vergessen. Infolgedessen läßt sich das Recht nicht über eine soziologische Fragestellung definieren. Aus juristischer Perspektive genügt daher die Feststellung, daß Rechtsnormen aus welchen Gründen auch immer meistenteils freiwillig befolgt werden 273. Auch hieraus ergibt sich wiederum, daß es ein grundsätzlich abzulehnender Ansatz ist, das Recht stets aus der Warte des Rechtsverletzers 270

zu sehen oder es

Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 181. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 80; Hoffmeister, Wörterbuch, Stichwort „Recht", S. 513; Larenz/Wolf BGB AT, §13 Rn. 38; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 225; vgl. auch Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 134 f. 272 Vgl. Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, in: Recht und Gerechtigkeit, S. 28 f. 273 Es würde übrigens einen falschen Eindruck vom tatsächlichen Ausmaß an Rechtstreue vermitteln, schlicht alle Normverstöße zu addieren. Vielmehr ist eine Betrachtung je in Ansehung einer konkreten Norm oder gegebenenfalls eines thematisch zusammenhängenden Normenkomplexes vorzunehmen. Denn auch wer eine Norm oder sogar mehrere Normen verletzt hat, ist doch in aller Regel weit davon entfernt, deswegen gleich alle Normen mißachten zu wollen, sondern hat doch in bezug auf die ganz überwiegende Zahl aller Normen an der diesbezüglichen gemeinschaftlichen Erwartung der Normbefolgung teil. Die Gesamtzahl aller Normverstöße gäbe daher ein unzutreffendes Bild von dem tatsächlich großen Ausmaß an Normbefolgung und insoweit auch Erwartungssicherheit in bezug auf jede einzelne Norm. 271

I Kritik der herkömmlichen Kriterien

411

gar in bezug auf diesen zu definieren, und dann - von dieser Basis aus freilich recht naheliegender Weise - nach Sanktionen zur Stabilisierung des Rechts zu rufen. Das Recht hat indes zunächst einmal entscheidende Bedeutung fur die Rechtstreuen, die eben nicht fragen: „Wozu kann ich gezwungen werden?", sondern wissen wollen: „Was muß oder soll ich tun?", und die das Recht ohne Zwang und sogar ohne Sanktionsdrohung achten, allein aus innerer Überzeugung von der Richtigkeit und Notwendigkeit der Beachtung des Rechts274 sowie um der Rechtstreue der anderen willen, ungeachtet der Rechtsverletzung durch einzelne. Das Recht sollte nicht von den Ausnahmefällen der Rechtsverletzung her definiert werden, sondern vom Normalfall der Rechtstreue her. Gewiß leisten Ausnahmefälle stets gute Dienste bei der Entwicklung oder Analyse eines Rechtsinstitutes, nicht zuletzt indem sie seine Grenzen konturieren. Aber die Ausnahmen konstituieren nicht das Institut, machen dieses nicht nachgerade aus. So wie es völlig verfehlt wäre, das Eigentum etwa vom Diebstahl her verstehen zu wollen, so läßt sich das Recht insgesamt nicht vom Rechtsbruch her begreifen, obgleich damit gewiß ein bedeutsamer Aspekt benannt ist. Wenn das Recht bestimmendes Motiv für das eigene Handeln wird, wenn man also gerade um dessentwillen handelt, weil die Gemeinschaft dies erwartet, und wenn somit das Recht zu einer wirkmächtigen Kraft wird, liegt ein rechtlich geregelter Zustand vor 2 7 5 . Recht ist daher vor allem in seiner Funktion als Motivation zu erkennen, und es hört erst auf, Recht zu sein, wenn es nicht mehr als Motiv wirkt 2 7 6 . Deswegen ist nicht entscheidend, ob das Recht notfalls zwangsweise durchsetzbar oder strafbewehrt ist. Gewiß erhöht eine solche Zwangsbewehrung in vielen Fällen die Aussicht auf eine Befolgung und Achtung des Rechts und mindert die Gefahr einer Rechtsverletzung 277. Solange aber auch ohne eine solche Zwangsbewehrung das Recht als Handlungsmotivation effektiv wirksam ist, wäre es nicht gerechtfertigt, seine Rechtseigenschaft zu verneinen 278 . Denn wenn eine Norm gerade deswegen beachtet und befolgt wird, weil sie als Wille des Gesetzgebers Ausdruck der gemeinschaftlichen Erwartung ist 279 , ohne zwangsweise durchgesetzt werden zu müssen, so kommt ihr sogar größere normative Kraft zu als einer nur zwangsweise befolgten Norm; um so weniger Grund besteht dann aber, ihr die Rechtsqualität abzusprechen 280.

274

S. hierzu schon oben D.II.3.b.aa. Vgl. Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 240, der die Erwartung allerdings nur im zweigliedrigen Gegenseitigkeitsverhältnis sieht, damit jedoch den eigentlichen Stabilisierungsfaktor der Gemeinschaftlichkeit der Erwartungen nicht hinreichend berücksichtigt. 276 Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 247; vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 2. 277 Thon, GrünhutsZ 7 ( 1880), 247 f. 278 Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 248. 279 Zum Recht als Ausdruck gemeinschaftlicher Erwartungen näher unten F.I. 1 .a. 280 Thon, GrünhutsZ 7 ( 1880), 248 f. 275

412

D. Das subjektive Recht

Selbst wenn nicht zwangsbewehrtes Recht gelegentlich seine Motivationswirkung verfehlen und nicht freiwillig befolgt werden sollte, würde dies nicht gegen seine Natur als Recht sprechen. Schließlich w i r d auch an sich zwangsweise durchsetzbares bzw. sanktions-, j a sogar strafbewehrtes Recht vielfach verletzt, ohne daß ihm deswegen die Rechtseigenschaft aberkannt w ü r d e 2 8 1 ; tatsächlich finden j a die in der Praxis zu konstatierenden Rechtsbrüche ohnehin fast alle in Bereichen statt, in denen nach der heutigen Rechtslage Erzwingbarkeit die Regel ist, so daß insofern offenbar weder Rechtstreue noch Sanktionsgefahr die Normbefolgung motivieren. U m so weniger besteht daher Grund, die Rechtsnatur allein an der Erzwingbarkeit festzumachen und eine womöglich gleich effektive anderweit gespeiste Motivationswirkung als unbeachtlich zu übergehen. Erforderlich ist nur, daß dem Recht ein gewisses Mindestmaß an motivationsbestimmender Kraft innewohnt. Gründe, weshalb die Motivationswirkung des Rechts in Gefahr geraten kann, gibt es viele. Denkbar ist erstens eine Kollision mit als bedeutsamer empfundenen religiösen und ethischen oder sonst als unbedingt verpflichtend angesehenen Normen 282 . Solche Kollisionen sind freilich jedenfalls in freiheitlichen Rechtsordnungen selten, zumal wenn der Glaubens- und Gewissensfreiheit ein so hoher Stellenwert eingeräumt ist, daß hierin eingreifende Maßnahmen einer strengen Prüfung standhalten müssen, und zudem im Interesse der Toleranz so weit als möglich Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, welche derartige Konflikte ausräumen können. Die Motivationswirkung des Rechts kann zweitens durch die Unverständlichkeit oder gar Unsinnigkeit einzelner Vorschriften in Gefahr geraten, desgleichen, wenn diese als bloße Förmelei erscheinen. Soweit derartige Gründe nicht - wie es freilich praktisch zumeist der Fall ist - bloß als Ausrede von denen vorgeschoben werden, die den Sinn der Norm bloß nicht einsehen wollen, sollte der Gesetzgeber die betreffenden Normen ändern. In den meisten Situationen werden Rechtsnormen freilich drittens aus schlichtem Egoismus nicht beachtet, weil die Norm - gerade weil sie ja die Gemeinschaftserwartungen ausdrückt - der Verfolgung eigensüchtiger Ziele im Wege steht; die angemessene Reaktion hierauf stellen zweifellos Zwang und Sanktionen dar. Schließlich ist noch ein vierter Grund nicht zu übersehen: Die Erfahrung häufiger und zumal folgenloser Verletzungen einer Rechtsnorm durch andere unterminiert notwendig den Respekt vor derselben, wenn nicht gar auf Dauer vor dem Recht überhaupt 283. Verhältnisse dieser Art liegen beispielsweise im Bereich der 281

Dementsprechend wird etwa bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines grundrechtseingreifenden Gesetzes unter dem Gesichtspunkt seiner Geeignetheit keineswegs die Unfehlbarkeit des gesetzlichen Mittels gefordert. Vielmehr wird das Gesetz bereits dann als geeignet angesehen, wenn mit seiner Hilfe der den Eingriff legitimierende verfolgte Zweck gefördert werden kann (BVerfGE 63, 88, 115; 96, 10, 23); nicht erforderlich ist, daß der Erfolg in jedem Einzelfall tatsächlich erreicht wird oder erreichbar ist, die Möglichkeit der Zweckerreichung im konkreten Fall genügt (BVerfGE 67, 157, 175; 96, 10, 23). 282 Vgl. Roellecke, JZ 1997, 579; Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 184 f. 283 Roellecke, JZ 1997, 581. - Zur Klarstellung sei daraufhingewiesen, daß sich diese Problematik nicht auf jenen Kembereich von Fundamentalnormen bezieht, deren Einhaltung für die meisten Menschen zur Essentiale der Unterscheidung von Recht und Unrecht gehört. In diesem Bereich bedarf es keiner besonderen Erklärung, weshalb die

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

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Steuerhinterziehung und der Schwarzarbeit vor, wo das Unrechtsbewußtsein in der Bevölkerung angesichts massenweiser und meist folgenloser Verstöße mittlerweile bald ganz verschwunden sein dürfte. Vergleichbare Erosionserscheinungen finden sich etwa im Bereich der Drogendelikte sowie bei Verkehrsstraftaten und -ordnungswidrigkeiten.

Das Ausmaß an Rechtsbruch ist aus den eben genannten Gründen keine derartige quantité négligeable, daß es schlicht ignoriert werden dürfte. Das Recht verträgt zwar insgesamt ein erhebliches Maß an Verletzungen. Doch um deren Ausmaß nicht eine kritische Masse überschreiten zu lassen, welche zum Verlust der bisher geübten Rechtstreue führen kann, muß es Mechanismen geben, das Recht gegenüber Rechtsverletzungen zumindest teilweise wiederherstellen zu können. An dieser Stelle ist deshalb die von der herrschenden Meinung geforderte Durchsetzbarkeit und Erzwingbarkeit des Rechts zutreffenderweise zu verorten: nicht als begriffliche oder wesensmäßige Voraussetzung des Rechts, um sondern als Mittel zur Bewahrung seiner dauerhaften Glaubwürdigkeit, nicht durch ein Überhandnehmen folgenloser Rechtsverletzungen die Basis der Rechtstreue wegbrechen zu lassen, indem die Rechtsgenossen ihr Vertrauen in die Rechtsordnung einbüßen. Denn wenn Rechtsverletzungen nicht mehr als Ausnahme, sondern als häufige Erscheinung, wenn nicht gar als Regelfall erfahren werden, gibt es früher oder später keinen vernünftigen Grund mehr, die Erwartung rechtmäßigen Verhaltens weiter aufrechtzuerhalten. Die Wirkmächtigkeit des Rechts kann hieran faktisch zerbrechen, auch wenn es de iure noch weiter gilt 2 8 4 . Von daher sind Zwangsbefugnisse im Recht unverzichtbar, gerade um die Rechtstreuen gegenüber drohenden oder schon eingetretenen Rechtsverletzungen nicht schutzlos zu lassen, sondern um ihnen notfalls mittels Zwang zu ihrem Recht zu verhelfen 285. Es wird in diesem Sinne vollkommen zu Recht angenommen, daß ohne Zwangsbefugnisse eine Rechtsordnung nicht existieren könnte. Jedoch ist dies nicht dahin zu verstehen, daß alles Recht und jede einmeisten Menschen eine solche Normverletzung nicht ernstlich in Betracht ziehen würden, was auch immer andere tun. So würden beispielsweise die weitaus meisten Menschen nie in Erwägung ziehen, ein Verbrechen zu begehen, nur weil es Verbrecher gibt, die das betreffende Verbot mißachten. Die Herstellung von „Gleichheit" im Normverstoß würde hier auf einem für die meisten Menschen so inakzeptabel niedrigen Niveau stattfinden - auf der Ebene des Verbrechers nämlich - , daß diese Option von vornherein ohne weiteres ausscheidet. Jenseits eines solchen, hier nicht näher zu bestimmenden, Kernbereiches aber kann sich sehr wohl ernsthaft die Frage nach der eigenen Normtreue trotz Erwartungsenttäuschung durch Normbruch anderer stellen. Beispielsweise im Bereich der Steuerhinterziehung muß der sich verfestigende Eindruck, nur Dumme zahlten ihre Steuern korrekt, die Bereitschaft zur Steuerehrlichkeit untergraben. Die Rechtstreue erodiert zwar nur allmählich, dafür aber um so nachhaltiger, weshalb es erheblicher Anstrengungen bedarf, die Glaubwürdigkeit des Rechts wiederherzustellen, wenn sie erst einmal verlorengegangen ist. 284 Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 17. 285 Zu dieser Funktion der Zwangsvollstreckung als Mittel zur Rechtsverwirklichung instruktiv Gaul, ZZP 112 (1999), 135 ff.

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D. Das subjektive Recht

zelne Rechtsnorm erzwingbar sein müßte, sondern es genügt ein solches Maß an Erzwingbarkeit, daß die kontrafaktische Beibehaltung normativer Erwartungen als (noch) vernünftig angesehen werden kann 286 . Es muß also dafür Sorge getragen werden, daß das Recht seine Glaubwürdigkeit nicht verliert. Dies ist aber nur möglich, wenn Rechtsverletzungen nachteilige Folgen nach sich ziehen können. Der aus einem Rechtsbruch zu ziehende Vorteil muß durch Sanktionen kompensiert und dem Rechtsbrecher wieder entzogen werden, indem entweder direkter Befolgungs- und Durchsetzungszwang ausgeübt oder Sanktionen verhängt werden. Es besteht ein komplexes Wechselspiel zwischen der rein auf der Furcht vor möglichen Sanktionen und der auf Rechtstreue basierenden Normbefolgung. Letztlich sind beide Faktoren unverzichtbar, wenn ihnen auch bei verschiedenen Menschen ein je unterschiedliches Gewicht zukommen mag, und diese psychologische Tatsache ist auch für das Selbstverständnis und das Wesen des Rechts von Belang. Eine sich primär oder gar allein auf Sanktionsdrohungen gründende Rechtsordnung bliebe stets instabil. Denn Personen, die ihren rechtlichen Pflichten ausschließlich aus Furcht vor Sanktionen nachkommen, werden das Recht brechen, sobald sie sich entsprechende Vorteile davon versprechen und kein unannehmbares Risiko vermuten. Infolgedessen ist sowohl tatsächlich als auch aus der normativen Sicht der Rechtsordnung ein erhebliches Maß an Rechtstreue unter den Rechtsgenossen erforderlich, weil es weder möglich noch wünschenswert wäre, ein so dichtes Sanktionsnetz zu knüpfen, daß die Rechtsordnung ohne Rechtstreue auskäme. Freilich kann selbst ein an sich rechtstreuer Mensch in Versuchung geraten, zum eigenen Vorteil das Recht zu verletzen. Es ist dann nicht von Nachteil, wenn ihn die Gefahr etwaiger Sanktionen daran erinnert, daß es durchaus rational ist, dieser Versuchung nicht nachzugeben, sondern sich weiterhin in Rechtstreue zu üben. Bei aller grundsätzlichen Rechtstreue sind daher in Anbetracht menschlicher Schwäche und Unvollkommenheit Sanktionen unverzichtbar. Doch freilich ist die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung geringer, wenn nicht nur die Sanktionsdrohung in Richtung auf normgemäßes Handeln wirkt. Je mehr Gründe eine Rechtsbefolgung motivieren, desto sicherer wird das Recht beachtet, und desto stabiler ist die Rechtsordnung. Das Recht geht in seinem normativen Selbstverständnis also nicht davon aus, daß seine Normen allein wegen der vorgesehenen Zwangs- und Sanktionsmöglichkeiten eingehalten werden. Vielmehr setzt es normativ die nicht zuletzt aus dem Bewußtsein der allgemeinen Befolgungserwartung erwachsende Rechtstreue als wesentliche Motivation der Normbefolgung voraus. Wenn der 286

Hierzu grundlegend Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff, 114 f.; ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 131 ff., 153; vgl. femer Henkel, Rechtsphilosophie, S. 48 f., 117 f.; Roellecke, JZ 1997, 581 f , 583; Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 522 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 1 II, S. 6.

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

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Gesetzgeber zu Zwang oder Sanktion greift, dann nicht deshalb, weil Rechtstreue als soziologisches Faktum besteht oder nicht, sondern weil die Rechtstreue normativ gewollt und gesollt ist, dieses Sollen jedoch dauerhaft nur dann (glaubhaft) aufrecht erhalten werden kann, wenn die Divergenz zwischen dem normativen Rechtstreuepostulat und dem soziologischen Rechtstreuebefund nicht unerträglich groß wird. Erforderlich ist somit nur ein solches Maß an Erzwingbarkeit, daß die Normativität der Erwartungshaltung hinreichend stabilisiert bleibt. Infolgedessen kann zwar die Erzwingbarkeit weder das Recht ausmachen noch auch nur als Wesensmerkmal allen Rechts begriffen werden; eine unverzichtbare Rolle spielt sie bei der Absicherung der Glaubwürdigkeit des Rechts aber allemal. In diesem Kontext muß auch die durch Art. 19 Abs. 4 GG gegebene verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt 287 gesehen werden. Der Verfassungsgeber hat hiermit die Entscheidung getroffen, daß Grundrechtsträgern gegenüber allen Rechtsverletzungen durch Träger öffentlicher Gewalt gerichtlicher Rechtsschutz gewährt werden muß, ein Rechtsschutz, der sowohl die Klagbarkeit als auch die Vollstreckbarkeit eines entsprechenden Urteils einschließt, da die Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht mit dem Erkenntnisverfahren endet, sondern auch das Vollstreckungsstadium einbezieht288. Damit ist die verfassungsgesetzlich autoritative Festlegung getroffen, daß subjektive Rechte von Grundrechtsträgem gegenüber der öffentlichen Gewalt nicht imperfekt ausgestaltet sein dürfen. Art. 19 Abs. 4 GG verwehrt es dem Staat, subjektive Rechte zu schaffen, die er selbst folgenlos verletzen kann. Soweit die Subjektivierung des Rechts nicht schon grundrechtlich vorgeschrieben ist 289 , steht es dem Gesetzgeber zwar frei, subjektive Rechte zu schaffen. Entscheidet er sich aber dafür, dann darf die Verletzung eines solchen Rechtes durch einen Träger öffentlicher Gewalt nicht folgenlos bleiben, weil sonst das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat untergraben zu werden drohte. Deshalb läßt sich nicht argumentieren, der Ausschluß des gerichtlichen Rechtsschutzes sei als minus von der Möglichkeit umfaßt, auch gleich das ganze subjektive Recht abzuschaffen. Art. 19 Abs. 4 GG zwingt den Staat in der Tat dazu, sich gegenüber Verletzungen der von ihm geschaffenen subjektiven Rechte von Grundrechtsträgern gerichtlichen Rechtsschutz gefallen lassen zu müssen. Nur wohnt eben diese Garantie eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Rechtsverletzungen nicht den verletzten ein287

Zu Art. 19 Abs. 4 GG oben B.I.2.a. und C.IV.3.b. BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), NVwZ 1999, 1330, 1331; BVerwGE 33, 230, 231; Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 164; Bank, Zwangsvollstreckung, S. 65 f.; Pietzner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 167 (Lfg. 1996) Rn. 9; Roth, VerwArch 2000, 12 f.; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 166. 289 S. hierzu unten F.I.3.a. 288

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D. Das subjektive Recht

fachgesetzlichen Rechten inne, sondern ergibt es sich erst aus dem prozessualen Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG, der als eine verfassungsrechtliche Generalklausel den Rechtsweg gegen hoheitliche Verletzungen subjektiver Rechte eröffnet.

4. Die Untauglichkeit der gängigen Definitionen des subjektiven Rechts Die Erörterung der auf die Pandektenwissenschaft zurückgehenden vorgeschlagenen Begriffsmerkmale des subjektiven Rechts - des Machtmomentes, des Willensmomentes und des Interessenschutzes - hat gezeigt, daß alle diese Kriterien das Phänomen des subjektiven Rechts nicht befriedigend erklären können. Die Kritik betrifft dabei die verschiedenen Kriterien nicht nur je einzeln, sondern auch in ihrer Kombination. Auszuscheiden ist zunächst die schlichte Kumulation dieser Kriterien. Denn die Kritik an den einzelnen Merkmalen lautet ja nicht, daß sie das subjektive Recht nur unzureichend beschreiben würden und es daher der Hinzufugung weiterer präzisierender Merkmale bedürfte, sondern vielmehr sind sie als unzutreffend im Sinne von überschießend zu erachten, da es erstens subjektive Rechte ohne Rechtsmacht gibt, zweitens die Innehabung subjektiver Rechte nicht die rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit der Willensbetätigung voraussetzt, und ein subjektives Recht drittens auch keineswegs immer den Interessen gerade des Rechtsinhabers dienen muß. Die Kumulierung solcher je einzeln überschießender Merkmale aber kann keine zutreffende Beschreibung des subjektiven Rechts ergeben, sondern nur eine ihrerseits notwendig überschießende. Dies ließe immerhin logisch die Möglichkeit offen, die einzelnen Merkmale alternativ als Beschreibung des subjektiven Rechts zu verstehen, basierend auf der Überlegung, daß etwas kein subjektives Recht sein könne, wenn es nicht wenigstens eines dieser Merkmale enthalte; ein undurchsetzbares, nicht den Interessen des willensunfähigen Rechtsinhabers dienendes subjektives Recht wird sich in der Tat in der Rechtsordnung nicht leicht finden lassen. Immerhin aber ist selbst ein solches denkbar: So kann etwa ein noch nicht 7 Jahre altes Kind (vertreten durch seine Eltern, § 1626 Abs. 1, § 1629 BGB) einen Dienstvertrag über unvertretbare Dienste zugunsten eines anderen schließen; das Kind hat dann fraglos einen Anspruch auf Erbringung dieser Dienste (§ 335 BGB), kann ihn aber weder selbst geltend machen (§ 104 Nr. 1, § 105 Abs. 1 BGB), noch dient er seinen Interessen, noch wäre ein diesbezügliches Leistungsurteil vollstreckbar (§ 888 Abs. 3 ZPO), noch bestünde notwendigerweise ein Schadensersatzanspruch. Von solchen - zugegebenermaßen konstruierten, rechtlich gleichwohl möglichen und daher nach dogmatischer Erfassung und Erklärung verlangenden - Fällen abgesehen, spricht gegen eine alternative Heranziehung der besagten Merkmale aber die Erkenntnis - und insoweit bleiben die Er-

II. Kritik der herkömmlichen Kriterien

417

kenntnisse der Pandektendiskussion ohne weiteres gültig - , daß mit einer Beschränkung auf je einzelne dieser Aspekte Natur und Wesen subjektiver Rechte nicht richtig begriffen und verstanden werden könnten. Das Interessen-, Willens- bzw. Erzwingbarkeitskriterium gibt zwar Auskunft über den Regelfall subjektiver Rechte, doch keines dieser Merkmale läßt sich konsequent durchhalten und mit den dogmatischen Vorstellungen der heutigen Rechtsordnung in vollem Umfang vereinbaren, weder jedes für sich noch in Kombination mit den anderen. Daß diese schon von den Pandektenlehrern entwickelten Kriterien den Regelfall subjektiver Rechte richtig erfassen und seine regelmäßig anzutreffenden Facetten über das bloß Intuitive hinaus auf einen rechtlichen Begriff zu bringen unternommen haben, ändert nichts an dem Manko, daß der Versuch, die regelmäßige Erscheinungsform subjektiver Rechte zum Begriff des subjektiven Rechts zu überhöhen, daran scheitern muß, daß auf diese Weise die in der Rechtsordnung eben auch vorzufindenden Ausnahmen nicht befriedigend zu erfassen sind. Wenn die traditionellen Beschreibungen des subjektiven Rechtsbegriffs aus den dargelegten Gründen als unzulänglich aufzugeben sind, so erscheint die Frage, die Anlaß und Ausgang dieses Teils der Untersuchung war 290 , nämlich ob die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts subjektive Rechte innehaben können, deren geltend gemachte Verletzung ihnen die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO verleiht, in einem nochmals unklareren Licht. Denn es zeigt sich, daß die Problematik der subjektiven Organrechte nicht ausschließlich, ja nicht einmal primär darin besteht, die Kompetenzen der Organe unter einen feststehenden Begriff des subjektiven Rechts zu subsumieren. Vielmehr erweist sich der Begriff des subjektiven Rechts selbst als ungeklärt, und von daher überrascht es denn auch nicht, daß über die subjektive Rechtsnatur von Organkompetenzen Unklarheiten bestehen. In der Tat werden je nach dem zugrunde gelegten Begriffsverständnis mehr oder weniger große Bedenken bestehen, Organkompetenzen als echte subjektive Rechte anzuerkennen, und nicht zuletzt von daher dürften sich jedenfalls teilweise die verschiedenen Ansichten erklären, die von einer problemlosen Akzeptanz bis hin zur kategorischen Negierung subjektiver Organrechte reichen, mitsamt den verschiedenen Zwischenstufen zumeist unbestimmt gebrauchter Kategorien wie z.B. „wehrfähiger Rechtspositionen". Die Frage nach der dogmatisch präzisen Begründung der Klagebefugnis im Organstreitverfahren führt somit unweigerlich zu der Frage, was ein subjektives Recht eigentlich ist, und zwar nicht in einem rechtsphilosophischen oder rechtstheoretischen Sinne, sondern rechtsdogmatisch, so wie der Begriff des subjektiven Rechts in der bestehenden Rechtsordnung zwar nicht explizit definiert, wohl aber vom Gesetzgeber vorausgesetzt

290

29 Roth

S. oben C.IV.4.

418

D. Das subjektive Recht

und gebraucht wird. Die Aufgabe der nachfolgenden Untersuchung muß es daher sein, einen Begriff des subjektiven Rechts herauszuarbeiten (nachfolgend III.), der einerseits abstrakt genug ist, die vielfältigen Erscheinungsformen subjektiver Rechte zu erfassen, gleichzeitig aber konkret genug, um erstens eine dogmatisch begründete Aussage darüber machen zu können, ob sich subjektive Rechte von Organen und Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts bruchlos in das System der Rechtsordnung einfügen lassen und also vom Wesen des subjektiven Rechts keine Bedenken gegen deren Bejahung bestehen (Teil E.), und um zweitens einen Zugang zu der Entscheidung zu eröffnen, wann im konkreten Fall eine Organkompetenz als subjektives Recht anzusehen ist (Teil F.).

I I I . Der Begriff des subjektiven Rechts Spricht man von subjektivem Recht, so ist ungeachtet aller Begriffsstreitigkeiten im Detail jedenfalls so viel unstreitig und klar, daß es sich hierbei um Recht handelt, das in besonderer Weise auf einzelne Rechtssubjekte bezogen ist und das diese dadurch in spezifischer Weise aus der Gesamtheit aller Rechtssubjekte hervorhebt, die die Rechtsgemeinschaft konstituieren 1. Durch das subjektive Recht wird also der Berechtigte nicht nur dem Verpflichteten gegenübergestellt, sondern zugleich in eine rechtliche Position versetzt, die von derjenigen aller anderen Rechtssubjekte, welchen das betreffende subjektive Recht nicht zukommt, in signifikanter Weise unterschieden ist. Diese besondere Stellung des subjektiv Berechtigten besteht in seiner grundsätzlich ausschließlichen Zuständigkeit zur Ausübung sowie - erforderlichenfalls - Geltendmachung seines Rechts.

1. Formal-abstrakte Betrachtung des subjektiven Rechts Nachdem alle Versuche, den subjektiven Rechtsbegriff unter Heranziehung von Interessen-, Willens- oder Erzwingbarkeitskriterien materiell anzureichern, gescheitert sind2, drängt sich eine rein formale Betrachtung desselben auf, die allein auf Zweck und Funktion des subjektiven Rechts rekurriert und auf weitergehende materielle Beschreibungen verzichtet 3. Denn durch welche Merkmale sich der Begriff des subjektiven Rechts auszeichnen muß, kann sich letztlich ohnehin nur aus dem Zweck der subjektiven Rechte ergeben: er muß einerseits mindestens alle die Merkmale einschließen, die unabdingbar sind, diesen Zweck zu verwirklichen, darf aber andererseits nicht mit einem Mehr an Merkmalen belastet werden, die ja doch immer nur Probleme hinsichtlich ihrer vollständigen Vereinbarkeit mit der geltenden Rechtsordnung aufwerfen. Natürlich ist ein Begriff an sich um so aussagekräftiger, je mehr Merkmale er in sich vereinigt. Dies darf aber nie um den Preis angestrebt werden, daß er sachlich unrichtig 1

Vgl. Aicher, Das Eigentum, S. 20 f. S. vorstehend D.II. 3 Ähnlich plädiert Larenz, BGB AT, S. 210, 213 sowie ders., in FG Sontis, S. 147 f. für die Beschränkung auf einen offenen „Rahmenbegriff 4 des subjektiven Rechts; Larenz/Wolf BGB AT, § 14 Rn. 20; zust. H Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 174; Scherzberg, DVB1. 1988, 130, 132; Stern, Staatsrecht III/l, § 65 III 2. 2

420

D. Das subjektive Recht

wird, namentlich außerstande gerät, bestimmte Erscheinungen zu erfassen, die der Sache nach unter denselben Begriff gerechnet werden müssen und deren Ausklammerung den Vorstellungen der Rechtsordnung widerspricht. Ein auf seinen Kern zurückgeführter subjektiver Rechtsbegriff muß verhältnismäßig inhaltsarm sein, um das subjektive Recht richtig erfassen zu können4. Dies ist kein dogmatisches Versagen, sondern die notwendige Konsequenz daraus, daß nun einmal alle Versuche seiner inhaltlichen Anreicherung fehlgeschlagen sind. Die angezeigte formale Betrachtung impliziert allerdings keineswegs, dem subjektiven Recht jeden materiellen Gehalt abzusprechen. Sie verzichtet lediglich auf eine apriorische Postulierung eines bestimmten, bei allen subjektiven Rechten gleichermaßen vorzufindenden materiellen Gehalts, und stellt in Rechnung, daß subjektive Rechte unterschiedliche Gehalte haben können5, je nach dem Inhalt des Rechtsaktes, dem sie entstammen6, so daß der zu entwickelnde „Rahmenbegriff 4 des subjektiven Rechts notwendig der „Ausfüllung im Blick auf die verschiedenen Arten oder Typen 'subjektiver Rechte' bedarf, die wir im geltenden Recht erkennen" 7. Diese Variabilität liegt schon daher nahe, weil der Gesetzgeber nicht auf einen bestimmten Rechtsinhalt festgelegt ist; er muß ein subjektives Recht weder zur Ermöglichung eines bestimmten Genusses des Berechtigten gewähren - auch wenn dies gewiß der Regelfall ist - , noch das subjektive Recht als Mittel zur Verwirklichung eines individuellen Willens oder überhaupt der Selbstverwirklichung verstehen - obwohl dies vielfach so ist - , noch das subjektive Recht erzwingbar ausgestalten - obschon er auch das für den Normalfall getan hat. Seinen materiellen Gehalt und seine materielle Bedeutung für den Rechtsinhaber bezieht das subjektive Recht daher nicht aus dem Begriff des subjektiven Rechts, sondern aus dem jeweiligen Regelungsgehalt der Rechtssätze und Rechtsakte, denen es entstammt. Es wird sich zeigen, daß unter Zugrundelegung eines solchen formalen, auf seinen eigentlichen Kern reduzierten subjektiven Rechtsbegriffs keine Bedenken bestehen, auch Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte anzuerkennen. Allerdings erfordert dies den Nachweis, daß es sich hierbei nicht bloß um ein rechtstheoretisch 4 Ebenso Stern, Staatsrecht III/l, § 65 III 3 für seinen Begriff des subjektiven Grundrechts: „weitgehend inhaltsleer"; femer Masing, Mobilisierung, S. 186: „inhaltslose Rechtstechnik". 5 Vgl. Larenz, in FG Sontis, S. 146: „Worin aber die Berechtigung besteht, ... das ist verschieden. Ein Einheitsbegriff, der diese Frage für alle Arten subjektiver Rechte gleich beantwortet, ist fehl am Platz"; vgl. auch Wolf, WissR 1970, 207. 6 Bernatzik, AöR 5 (1890), 178 f.: für den Begriff des Rechtes im objektiven wie im subjektiven Sinn ist „ganz gleichgiltig ..., welchen Inhaltes dieses Recht ist, weil ja eben dieser 'Inhalt' die wechselnden zufälligen Merkmale einer concreten Rechtsgestaltung enthält" (Hervorhebung im Original). 7 Larenz, BGB AT, S. 210; Larenz/Wolf BGB AT, § 14 Rn. 10.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

421

mögliches Verständnis des subjektiven Rechts handelt, sondern daß sich dasselbe kohärent in die bestehende Rechtsordnung einfügt, ohne den gegen materiell angereicherte subjektive Rechtsbegriffe erhobenen Einwänden ausgesetzt zu sein. Dieser Nachweis wiederum setzt voraus, zuerst den formalen Rechtsbegriff zu entwickeln, seine Komponenten und die Entstehung subjektiver Rechte zu erörtern. Betrachtet man das subjektive Recht in der gebotenen abstrakten Weise, so lassen sich einige allgemeine Feststellungen über sein Wesen treffen: Erstens hat jedes subjektive Recht einen bestimmten sachlichen Gehalt (z.B. eine absolute oder relative Herrschaftsbefugnis, eine Erlaubnis), welcher durch den das subjektive Recht konstituierenden Rechtssatz, gegebenenfalls zusammen mit weiteren (Rechts)Akten bestimmt wird 8 , und der sich durch seine Ausübbarkeit auszeichnet. Zweitens ist dieser in dem subjektiven Recht verkörperte sachliche Rechtsinhalt in spezifischer Weise einem individuellen Rechtssubjekt zugewiesen, nämlich so, daß diesem die grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeit und Befugnis zur Ausübung der durch das subjektive Recht gewährten Möglichkeiten zukommt. Wer das subjektive Recht kraft der rechtlichen Zuweisung ausüben kann, ist der Berechtigte. Drittens schließlich weist das subjektive Recht dem Berechtigten stets auch die Zuständigkeit zu seiner Geltendmachung zu. Als subjektives Recht ist somit alles Recht aufzufassen, das einen ausübbaren Inhalt hat und kraft eines Rechtssatzes einem Rechtssubjekt zur grundsätzlich alleinigen und alle anderen ausschließenden Ausübung sowie erforderlichenfalls Geltendmachung zugewiesen ist. Daß diese Definition den Begriff des subjektiven Rechts rein formal versteht und ihn auf einen abstrakten Kern zurückführt, dürfte kaum in Abrede gestellt werden. Daß es sich bei diesem Verständnis aber nicht um eine inhaltsleere Floskel, sondern trotz seines Abstraktionsgrades um eine sinnvolle Beschreibung handelt, und daß dieses Verständnis in dem geltenden Recht seine Stütze findet, bedarf der Erläuterung. Hierzu sind die einzelnen Elemente der gegebenen Definition zu untersuchen, beginnend mit der Betrachtung, wie ein subjektives Recht entsteht und welchen Inhalt es haben kann, bevor sodann zu klären ist, was unter seiner Ausübung respektive Geltendmachung zu verstehen und weshalb darin zutreffenderweise der Kern des subjektiven Rechts zu sehen ist.

2. Entstehungsgrund und Geltungsgrund subjektiver Rechte Subjektive (öffentliche) Rechte können durch Rechtssatz, Verwaltungsakt, (öffentlich-rechtliches) Rechtsgeschäft, insbesondere Vertrag, sowie durch je8 Vgl. Larenz, BGB AT, S. 213: „das 'etwas', das jemand zukommt, kann von sehr unterschiedlicher Art sein"; Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 20 f.

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D. Das subjektive Recht

des sonstige nach einer Rechtsvorschrift relevante Verhalten, also auch durch Realakt begründet werden 9. Soweit mit Bezug auf die Begründung subjektiver Rechte durch Rechtssatz betont wird, sie könnten „unmittelbar" durch Gesetz begründet werden 10, so ist diese Differenzierung unter den verschiedenen Entstehungsgründen nicht kategorisch, sondern eher als eine graduelle Kennzeichnung zu verstehen. Denn auch Gesetze, die ein subjektives Recht „unmittelbar" begründen, müssen doch notwendig tatbestandlich an einen bestimmten Sachverhalt anknüpfen, sei es ein rechtlicher Status oder irgendein Verhalten, ohne dessen vorherige Herbeiführung oder Verwirklichung sie ins Leere liefen, und umgekehrt können die sonstigen Entstehungsgründe allein dadurch subjektive Rechte begründen, daß sie einen Tatbestand darstellen, an den das Gesetz eben diese Folge knüpft 11 . Dies erhellt bei näherer Betrachtung der Aussage, ein subjektive Recht werde „durch" einen bestimmten Akt begründet. Hinsichtlich der Gewährung subjektiver Rechte ist nämlich zwischen ihrem Entstehungsund ihrem Geltungsgrund 12 zu unterscheiden.

a) Die Unterscheidung von Entstehungsgrund und Geltungsgrund subjektiver Rechte Die Notwendigkeit einer dogmatischen Unterscheidung von Geltungs- und Entstehungsgrund subjektiver Rechte erhellt besonders deutlich, wenn man von der Aussage ausgeht, subjektive Rechte könnten „durch" einen Realakt „begründet" werden 13. Auf den ersten Blick erscheint die These, daß ein Realakt ein Recht „begründen" könne, überraschend, und doch trifft diese Aussage bei rechtem Verständnis zu. Hiervon überzeugt man sich am leichtesten durch ein geläufiges und klares Beispiel aus dem Deliktsrecht: Nach § 823 Abs. 1 BGB muß Schadensersatz leisten, wer den Körper eines anderen verletzt - also entsteht „durch" die Körperverletzung ein Schadensersatzanspruch, „durch" einen Realakt somit ein subjektives Recht. Der rechtliche Geltungsgrund des Schadensersatzanspruchs ist aber zweifellos § 823 Abs. 1 BGB: der deliktische Schädiger muß zahlen, weil das in dieser Rechtsnorm so angeordnet ist, und 9 Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 15, 224; Henke, in FS Weber, S. 504; G. Jellinek, System, S. 203 f., 329, 331 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 393. 10 BVerfGE 51, 193, 211; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 15; Fleiner, Institutionen, S. 180; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 393. 11 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 15; vgl. auch Henke, in FS Weber, S. 504; G. Jellinek, System, S. 331 f. 12 Zur Frage nach dem Geltungsgrund der Rechtsordnung allgemein Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 196 ff. 13 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 393; femer Motive II, S. 1 („aus unerlaubten Handlungen"); Henke, in FS Weber, S. 504, 507 („ex delicto").

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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entsprechend erwächst dem Geschädigten sein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB und nicht etwa aus dem Faktum seiner Verletzung 14. Die Körperverletzung als solche ist Tatbestandsmerkmal, an welches § 823 Abs. 1 BGB anknüpft, um im Falle seiner Verwirklichung die Rechtsfolge anzuordnen. Damit aber ist der Realakt der Körperverletzung Entstehungsgrund des Schadensersatzanspruchs, und zwar sogar unmittelbarer, weil es keines zusätzlichen Aktes bedarf. Im Sinne der Körperverletzung als Entstehungsgrund des Schadensersatzanspruchs, läßt sich also durchaus zutreffend sagen, „durch" die Körperverletzung entstehe der Schadensersatzanspruch; Rechtsgrund desselben bleibt aber allemal das Gesetz, und insofern entsteht der Schadensersatzanspruch „durch" Gesetz, d.h. kraft Gesetzes. Diese Differenzierung von Geltungs- und Entstehungsgrund subjektiver Rechte gilt nicht allein in Ansehung der Realakte, sondern als allgemeine Erscheinung für alle Rechtstatsachen, an welche die Rechtsordnung anknüpft, um Rechtswirkungen wie insbesondere das Entstehen subjektiver Rechte hervorzubringen 15, namentlich auch für (öffentlich-rechtliche) Verträge und Verwaltungsakte. Diese können zwar allerdings Entstehungsgrund von Rechten und Rechtspflichten sein, diese aber nicht aus sich heraus kreieren: Rechtlicher Geltungsgrund der durch Vertrag oder Verwaltungsakt zu begründenden Rechte und Rechtspflichten ist wiederum die gesetzliche Vorschrift, welche dem Vertrag bzw. dem Verwaltungsakt überhaupt erst rechtliche Bindungswirkung verleiht und damit in tatbestandlicher Anknüpfung an die vertragliche Vereinbarung bzw. die im Verwaltungsakt einseitig getroffene Anordnung rechtsverbindliche Rechte und Verpflichtungen entstehen läßt. Dies läßt sich zunächst am Vertrag zeigen. Vertragliche Ansprüche entstehen nie aus dem Vertrag heraus, sondern bestehen immer nur kraft Gesetzes 16. Dies gilt dabei nicht nur für vertragliche Schadensersatzansprüche z.B. wegen Nichtoder Schlechterfüllung, bezüglich welcher die Annahme einer rein vertraglichen Entstehung schon stets als gekünstelte Fiktion erscheinen mußte, sondern bemerkenswerter Weise nicht minder für die vertraglichen Hauptleistungspflichten, indem nämlich das Gesetz an die Willenserklärung eines Vertragschließenden, eine bestimmte Verpflichtung übernehmen zu wollen, die rechtliche Konsequenz knüpft, diese Verpflichtung eben darum erfüllen zu sollen 11. Dement14

Vgl. Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 235. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 206 f., 230 f.; Regelsberger, Pandektenrecht I, § 1181, II. 16 Hierzu näher Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 233 ff.; ferner Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 299 f.; Larenz, BGB AT, S. 41 f., 515; Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 32, §29 Rn. 1, 5; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1038; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 213; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 3; a.A. Avenarius, JR 1996, 492, 496. 17 Looschelders/Roth, JZ 1995, 1038; Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 233. 15

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D. Das subjektive Recht

sprechend wird der Käufer nicht etwa aus dem Kaufvertrag zur Zahlung des Kaufpreises verurteilt, sondern aus § 433 BGB 1 8 . Entstehungsgrund einer vertraglichen Rechtspflicht ist der Vertragsschluß, Geltungsgrund jedes Vertrages und jeder vertraglichen Rechtspflicht dagegen der (gewohnheitsrechtliche und heute in §§241, 305 BGB generalklauselmäßig positivierte) Satz des pacta sunt servanda 19, und dieser Satz ist ein Rechtssatz 20. Diese Unterscheidung von Entstehungs- und Geltungsgrund der Verträge hat schon von Savigny sehr deutlich herausgestellt: „ W i l l man z.B. die Bedingungen irgend eines Rechtsverhältnisses vollständig aufzählen, so gehört dazu unzweifelhaft sowohl das Daseyn einer Rechtsregel, als eine dieser Regel entsprechende Thatsache, also z.B. ein Gesetz, welches die Verträge anerkennt, und ein geschlossener Vertrag selbst. Dennoch sind diese beiden Bedingungen specifisch verschieden, und es fuhrt auf Verwirrung der Begriffe, wenn man Verträge und Gesetze auf eine Linie als Rechtsquellen stellt" 21 . Damit ist festzuhalten, daß vertragliche Ansprüche immer nur kraft Gesetzes bestehen, doch knüpft eben das Gesetz tatbestandlich an den Vertragsschluß an 22 , so daß in diesem Sinne „durch" Vertrag subjektive Rechte begründet werden. Das für Realakte und Verträge Gesagte gilt, mutatis mutandis, auch für Verwaltungsakte. Mit Recht wird gesagt, daß durch Verwaltungsakte subjektive Rechte begründet werden können23. Dies bezieht sich aber ebenso wie bei Realakten und Verträgen richtigerweise allein auf den Verwaltungsakt als Entstehungsgrund dieser Rechte und Pflichten. Rechtlicher Geltungsgrund aller Verwaltungsakte sind wiederum Rechtssätze, nämlich diejenigen, die tatbestandlich an das Vorliegen eines wirksamen Verwaltungsakts anknüpfen und als Rechtsfolge die inhaltlich im Verwaltungsakt festgesetzte Verpflichtung bzw. Berechtigung rechtsverbindlich anordnen 24. In praxi ist diese Voraussetzung freilich 18

BGH, NJW 1999, 210; Henke, in FS Weber, S. 501; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 3; Rüthers, BGB AT, Rn. 58. 19 Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 235. 20 Engisch, Einführung, S. 32; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 222 f., 324; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 214, 230 f.; Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 235; vgl. ferner Böckenförde, Gesetz, S. 285. 21 v. Savigny, System I, S. 12; desgleichen etwa Regelsberger, Pandektenrecht I, § 118 II; Thibaut, Pandektenrecht, § 113, S. 93; Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 63. S. 296. § 68 Fn. 1, S. 308 f. 22 Haenel, Das Gesetz, S. 122; Henke, in FS Weber, S. 509; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 214, 231; Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 235. 23 Vgl. Fleiner, Institutionen, S. 182; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 32; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 23; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 278. 24 Zutreffend Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, 66, 69; ferner Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 187 f.; vgl. bereits PrOVGE 83, 88, 92; zu dieser Bedeutung der Tatbestandswirkung auch Fluck, VerwArch 1988, 411; Peine, AllgVerwR, Rn. 249; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 48 Rn. 8; a.A. BVerwGE 60, 111,

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

425

deshalb nicht spürbar und sie w i r d deshalb auch in der Dogmatik nicht besonders hervorgehoben, weil für Verwaltungsakte nicht anders als bei Verträgen quasi generalklauselartige gesetzliche Anknüpfungen bestehen und daher durch jeden wirksamen Verwaltungsakt mit entsprechendem Regelungsgehalt Rechte bzw. Rechtspflichten begründet werden können, ohne daß es spezialgesetzlicher Anordnung bedürfte. Während die Rechtsverbindlichkeit von Verwaltungsakten früher teilweise gewohnheitsrechtlich bestimmt war, kann heute diesbezüglich auf gesetzliche Regelungen rekurriert werden, insbesondere auf § 35 V w V f G , wonach das Vorliegen einer Regelung m i t Außenwirkung Definitionsmerkmal des Verwaltungsakts ist, sowie auf § 43 Abs. 1 S. 2 V w V f G , nach dem ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekanntgegeben wird; es ist diese gesetzliche Anordnung, durch welche die i m Verwaltungsakt getroffene und bekanntgegebene Regelung rechtsverbindlich in Geltung gesetzt wird. Das Bestehen einer solchen generalklauselmäßigen gesetzlichen Geltungsanordnung in bezug auf Verwaltungsakte hat übrigens die Notwendigkeit gesetzlicher Eingriffsermächtigungen zur Folge: Wenn der Gesetzgeber aus naheliegenden Gründen davon absehen muß, für jeden einzelnen Verwaltungsakt eine gesetzliche Geltungsanordnung auszusprechen, und deshalb auch grundrechtseingreifenden Verwaltungsakten notwendigerweise eine generelle Verbindlichkeit zukommt, so muß der Gesetzgeber schon die Befugnis zum Erlaß von Verwaltungsakten einschränken und bestimmen, wer und zu welchem Zweck eingreifende Verwaltungsakte erlassen darf. Könnte der Gesetzgeber ex post bei jedem erlassenen Verwaltungsakt bestimmen, ob ihm überhaupt rechtliche Verbindlichkeit zukommen solle, so bedürfte der Erlaß von Verwaltungsakten nie einer gesetzlichen Ermächtigung, weil ihnen ohnehin noch keine rechtliche Verbindlichkeit zukäme, sie vielmehr erst noch der nachträglichen gesetzlichen Verbindlicherklärung bedürften, ehe sie eine grundrechtseingreifende Wirkung entfalten könnten. Weil nun aber das Gesetz nicht umhin kommt, (wirksamen) Verwaltungsakten generell rechtliche Bindungswirkung zuzusprechen, muß die Verwaltung für den Fall des Eingriffs in die Rechte der Bürger schon vor deren Erlaß notwendigerweise eine besondere gesetzliche Ermächtigung bedürfen 25. Die an die Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zu stellenden Anforderungen hängen von der Art des betroffenen Rechts, der Intensität des Eingriffs und der Vorherbestimmbarkeit der Eingriffslage ab 26 , schließlich auch dem Ausmaß eigener demokratischer Legitimation des betreffenden Verwaltungsorgans, sei es unmittelbarer (z.B. bei Gemeinderäten) oder mittelbarer Art, so daß jedenfalls bei weniger gewichtigen Eingriffen die Anforderungen an die Eingriffsermächtigung mit zunehmendem demokratischen Legitimationsniveau deutlich sinken.

117. - Die Differenzierung von Kopp, VwVfG, vor § 35 Rn. 29, 31 ff., daß die normale Tatbestandswirkung bei Verwaltungsakten keiner besonderen Anordnung durch Rechtsvorschriften bedürfe, wohingegen erweiterte besondere Tatbestands- und Feststellungswirkungen nur aufgrund besonderer Rechtsvorschriften denkbar seien, ist nicht nachvollziehbar, denn auch die „normale" Tatbestandswirkung kommt nicht aus dem Verwaltungsakt für sich, sondern nur kraft Gesetzes zustande. 25 Nachdrücklich Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 18 f. 26 Zur gebotenen Regelungsdichte bei Eingriffsermächtigungen vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 600 ff., 613 f.

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D. Das subjektive Recht

Daß „sich alle Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes aus dem Gesetz ergeben"27, impliziert übrigens keinen Abschied28 von der traditionellen Vorstellung, die gerade im Instrument des Verwaltungsakts ein Merkmal der Überordnung der exekutiven Staatsgewalt über den Bürger sieht. Gewiß ist die Verwaltung, da sie Rechte und Rechtspflichten nicht aus eigener Machtvollkommenheit erzeugen kann, sondern hierzu auf Rechtssätze angewiesen ist, die ihren Verwaltungsakten erst die gewünschte Wirkung zuweisen, dem Gesetz untergeordnet. Die Unterordnung der Verwaltung unter die Gesetzgebung entspricht der im Gewaltenteilungsprinzip enthaltenen Machtverteilung zwischen den staatlichen Gewalten. Daß aber die Verwaltung aus diesem Grunde „dem Bürger rechtlich gleichgeordnet" wäre 29 , folgt daraus mitnichten, da trotz ihrer beider Unterordnung unter das Gesetz immer noch ein Machtgefälle besteht, nachdem nun einmal das Gesetz allein die Verwaltung befähigt, gegenüber dem Bürger Verwaltungsakte zu erlassen, während eine vergleichbare Befugnis in umgekehrter Richtung nicht vorgesehen ist. Subjektive Rechte können - eine Feststellung, die ersichtlich gerade i m Kontext verwaltungsgerichtlicher Organstreitigkeiten von Belang ist durch die Geschäftsordnung

fernerhin

von Kollegialorganen begründet werden 3 0 . Soweit

eine Geschäftsordnung Rechtsnormen enthält 3 1 , versteht sich dies von selbst 32 . I m übrigen braucht die Geschäftsordnung aber nicht notwendig selbst Geltungsgrund subjektiver Rechte zu sein, sondern kommt sie ebenso wie z.B. Verwaltungsakte und Rechtsgeschäfte als bloßer Entstehungsgrund in Betracht. Nach Gesetz (z.B. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG, § 36 Abs. 2 GemO B W ) und Gewohnheitsrecht kommt Kollegialorganen seit jeher die Befugnis zu, ihre inneren Angelegenheiten, insbesondere den Gang ihrer Verhandlungen, i m Rahmen der Gesetze durch ihre Geschäftsordnung zu regeln. Darin ist eine generalklauselartige Ermächtigung eingeschlossen, durch Geschäftsordnung auch subjektive Rechte der Organmitglieder zu begründen. Ob die Geschäftsordnung derartige Rechte begründen w i l l , ist - nicht anders als bei Verwaltungsakten oder

27

Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, 69. So aber Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, 69. 29 Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, 69. 30 Vgl. OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1289; OVG Münster, OVGE 28, 208, 212; NWVB1. 1995, 251; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 199 f.; Gänßle, SächsVBl. 1999, 3; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 791; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 424; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 123 ff.; Schneider, NWVB1. 1996, 91 f., 93 f.; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 134; a.A. VGH München, NVwZ 1988, 83, 84; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 112 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 118; Seeger, BWVPr 1978, 51; wohl auch VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304, 305; z.T. a.A. VGH Mannheim, VGH n.F. 13, 24, 26; 40, 16, 18: nur wenn in der Gemeindeordnung ausdrücklich vorgesehen. 31 Zu dieser Möglichkeit vgl. OVG Münster, DÖV 1997, 344 f.; Schneider, NWVB1. 1996, 92 f.; femer Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 18; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 882; a.A. Schnapp, VerwArch 1987, 441 Fn. 150. - Zu den Kriterien fur die Ermittlung der Rechtsnatur von Geschäftsordnungsbestimmungen oben C.III.4.e. 32 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 200 f. 28

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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Verträgen - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln 33 , und entscheidet sich danach, ob es sich um eine eher technische und Ordnungsbestimmung handelt, welche als solche im allgemeinen kein subjektives Recht begründen wollen 34 , oder ob die Bestimmung dem Organmitglied die Befugnis zur eigenständigen Ausübung und Geltendmachung der darin enthaltenen Regelung verleihen soll 35 . Schließlich ist noch in Betracht zu ziehen, daß subjektive Rechte auch durch Beschlüsse eines Organs begründet werden können, beispielsweise innerorganschaftliche Rechte36 von Gemeinderatsausschüssen, -fraktionen und -mitgliedern durch einen Gemeinderatsbeschluß37. Wenn nämlich das Gesetz ein Organ ermächtigt, durch seine Geschäftsordnung subjektive Rechte zu begründen, dann schließt dies auch die Möglichkeit ein, durch einen diese Geschäftsordnung abändernden oder ergänzenden Beschluß subjektive Rechte zur Entstehung zu bringen. Denn ein überzeugender Grund, die durch Beschluß erlassene Geschäftsordnung in dieser Hinsicht anders zu behandeln als einen konkreten Geschäfisordnungsbeschluß, ist nicht zu erkennen. Natürlich sind solcherart begründete subjektive Rechte besonders leicht wieder entziehbar, nämlich durch einen entsprechenden Änderungsbeschluß. Solange dieser aber nicht ergangen ist, kann das begünstigte Organteil darauf vertrauen, daß das Organ seinem Beschluß gemäß verfahren wird. Faßt etwa der Gemeinderat zur Ausfüllung der gesetzlichen Vorschriften über die Zusammensetzung seiner Ausschüsse einen Geschäfisordnungsbeschluß, in welcher Weise die in § 40 Abs. 2 S. 1 GemO BW anvisierte „Einigung" befordert werden soll (z.B. Vorschlags-, Benennungs-, Widerspruchs-, Entsendungsrechte etc.), dann ist der Gemeinderat hieran gebunden, bis ein abweichender Geschäfisordnungsbeschluß gefaßt wird, und nach den noch darzulegenden Kriterien ist durchaus denkbar, daß den begünstigten Fraktionen auch ein subjektives Recht auf Einhaltung dieses Prozedere zusteht38. Im Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß subjektive Rechte durch zahlreiche Akte sowohl rechtlicher (Verwaltungsakte, Verträge, Geschäftsordnungen) als auch faktischer Natur (Realakte) entstehen können, daß sie aber stets nur kraft Gesetzes bestehen. Daß alle subjektiven Rechte kraft Gesetzes bestehen, 33

Hierbei sind bei Fehlen sonstiger konkreter Anhaltspunkte ähnliche Erwägungen anzustellen wie bei der Auslegung, ob eine Rechtsnorm ein subjektives Recht verleiht (dazu näher unten F.I.). 34 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 200. 35 Vgl. BVerwG, SächsVBl. 1999, 32. 36 Zu den subjektiven Rechten von Organen eingehend unten Teile E. und F. 37 Vgl. VG Schwerin, LKV 1998, 74 (fur einen Gemeinderatsausschuß); femer VG Minden, NVwZ-RR 1999, 603, 604; zweifelnd VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304, 305. 38 A.A. VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304, 305.

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D. Das subjektive Recht

heißt also nicht, sie könnten unmittelbar nur durch Gesetz entstehen, sondern vielmehr schließt dies eben die selbstverständliche Möglichkeit ein, daß die das subjektive Recht begründende Rechtsnorm tatbestandlich an bestimmte Vorgänge anknüpft und damit in dem beschriebenen Sinn durch die Verwirklichung jenes Tatbestandsmerkmals das subjektive Recht begründet wird. Bedeutsam ist dies insofern, als dadurch jener andere Akt, auch ohne das subjektive Recht selbst rechtlich zu begründen, doch immerhin dessen Inhalt mitbestimmt, soweit nämlich der diesem Entstehungsakt rechtliche Verbindlichkeit verleihende Rechtssatz einen Spielraum gewährt. Insbesondere Verträge, Verwaltungsakte und Geschäftsordnungen können daher subjektive Rechte mit jeweils höchst unterschiedlichem Inhalt zur Entstehung bringen. Subjektive Rechte können nach dem Vorstehenden unmittelbar durch Rechtssatz oder aufgrund eines Rechtssatzes durch sonstige (Rechts)Akte zur Entstehung kommen. In diesem Sinne hat das BVerfG sehr treffend gesagt, die Begründung eines subjektiven Rechts setze „eine Norm des objektiven Rechts voraus, die geeignet ist, entweder unmittelbar oder durch Vermittlung eines von der Norm mit Rechtswirkungen ausgestatteten Aktes eine Rechtsposition des Einzelnen zu begründen" 39. Hierin spiegelt sich die dargelegte Differenzierung von Geltungs- und Entstehungsgrund wider: Als Geltungsgrund aller subjektiven Rechte ist zwar in jedem Falle ein der objektiven Rechtsordnung zugehöriger Rechtssatz Voraussetzung, durch den das subjektive Recht geschaffen und anerkannt wird 40 . Als Entstehungsgrund subjektiver Rechte kommen jedoch auch alle anderen rechtlichen oder tatsächlichen Akte in Betracht, vorausgesetzt, der Rechtssatz knüpft zu diesem Zweck und mit dieser Wirkung an dieselben an.

b) Arten von Rechtssätzen als Geltungsgrund subjektiver Rechte Wenn gesagt wird, Geltungsgrund subjektiver Rechte könnten nur Rechtssätze sein, so ist zu präzisieren, daß nicht jeder Rechtssatz seinem Inhalt nach geeignet ist, ein subjektives Recht zu begründen, nämlich nicht die befehlenden sowie die nicht ausübbaren statusbegründenden Rechtssätze. Diese These wird freilich von der Imperativentheorie bestritten, die alle subjektiven Rechte auf befehlende Rechtssätze zurückführen will.

39 40

BVerfGE 51, 193,211. Zu diesem Verhältnis näher unten F.I. 1 .b.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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aa) Befehlende und gewährende Rechtssätze Ein Rechtssatz 41 ist eine das Rechtsleben gestaltende und ordnende Rechtsreget 2 zumeist, aber nicht begrifflich notwendig 43 , abstrakt-genereller Natur. Der Rechtssatz hat nur eine gedankliche Existenz, ist also nicht mit der Gesetzesbestimmung zu verwechseln 44, welche die im Gesetzblatt stehende sprachliche Formulierung eines Rechtssatzes darstellt. Diese Unterscheidung ist insofern erforderlich, als eine Gesetzesbestimmung mehrere Rechtssätze ausdrücken kann, vor allem aber weil sich Rechtssätze umgekehrt vielfach erst aus der Zusammenschau mehrerer Gesetzesbestimmungen ergeben 45; überdies kann ein Rechtssatz, wenn er nämlich gewohnheitsrechtlicher Natur ist, der schriftlichen Fixierung überhaupt entbehren 46. Schließlich gibt es Gesetzesbestimmungen, die gar keinen Rechtssatz formulieren, sondern Belehrungen enthalten, Tatsachen behaupten, politische Programme verkünden etc., und insofern keinen rechtlich relevanten Inhalt haben47. Rechtssätze hingegen machen keine Aussagen über die (äußere oder innere) Wirklichkeit, die nach den Kategorien von „wahr" oder „falsch" zu beurteilen wären 48, sondern treffen Bestimmungen darüber, was auf der Ebene des Rechts, in der Rechtsaktswirklichkeit 49 gelten soll.

41

Zur logischen Struktur der Rechtssätze vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 90 f. Fn. 3; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 87 ff.; femer etwa Engisch, Einfuhrung, S. 13 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 250 ff; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 71 ff. 42 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 197 Fn. 4; Larenz, Methodenlehre, S. 250 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 71 f. 43 Vgl. hierzu bereits G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 236 ff; Laband, Staatsrecht II, S. 2 f. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG, der grundrechtsbeschränkende Einzelfallgesetze verbietet, und nicht etwa davon ausgeht, es könne sie begrifflich gar nicht geben. 44 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 197 Fn. 4; Roth, Faktische Eingriffe, S. 66. 45 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 197 Fn. 4. 46 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 197 Fn. 4. 47 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 232; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 53 f. 48 Engisch, Einfuhrung, S. 10 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 75 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 251; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 72. 49 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 91, daß die Rechtsordnung nicht nur die äußere, raum-zeitliche, sinnlich wahrnehmbare, und die innere, psychische Wirklichkeit kennt, sondern vielmehr für sie die Gesamtheit aller Rechtsakte eine nicht minder existente Realität ausmacht, deren Bestandteile fur die einzelnen Rechtssubjekte ebenso existent sind wie alle Fakten der äußeren und der inneren Welt; ferner G. Jellinek, System, S. 17 (Juristische Welt ist eine reine Gedankenwelt ... der Abstraktionen"); Larenz, Methodenlehre, S. 256 („Welt des rechtlich Geltenden"); Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 77.

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D. Das subjektive Recht

Sie sind in diesem Sinne „Bestimmungssätze", die aussprechen, was normativ „als sein-sollend gesetzt" wird 50 . Die normative Bestimmungsanordnung kann auf zwei verschiedene Inhalte gerichtet sein, nämlich einen Befehl oder eine Gewährung aussprechen51. Die befehlenden Rechtssätze nehmen unumstritten einen zentralen Platz in der Rechtsordnung ein, denn indem sie Gebote oder Verbote aussprechen und dadurch die entsprechenden Handlungsweisen (Tun oder Unterlassen) zur Rechtspflicht erheben, sind sie die wirkungsvollsten Instrumente zur Ordnung der Beziehungen der Rechtssubjekte untereinander 52. Befehlende Rechtssätze gebieten oder verbieten kategorisch, mit unbedingtem Geltungs- und Befolgungsanspruch 53. Freilich haben sie nicht die faktisch unwiderstehliche Wirkung von Naturgesetzen, sondern können tatsächlich sehr wohl mißachtet werden 54. Indem sie aber Handlungsgebote oder -verböte aufstellen, ermöglichen sie eine rechtliche Bewertung menschlichen Verhaltens, in dem Sinne nämlich, daß sich nach ihrer Befolgung oder Nichtbefolgung das Rechtmäßigkeits- oder Rechtswidrigkeitsurteil über das fragliche Verhalten bemißt 55 , und an diese Bewertung knüpft die Rechtsordnung in der Regel wiederum zahlreiche Folgen, die unter Umständen auch die reale Erzwingung befehlskonformen Handelns einschließen können56. Keinen Unterschied macht es, ob das Ge- oder Verbot auf gesetztem Recht beruht oder auf Gewohnheitsrecht, ebensowenig, ob es, wenn positiviert, ausdrücklich formuliert ist oder - was häufig der Fall ist - dem Gesetz implizit zugrunde liegt, indem das Gesetz nur angibt, was im Falle eines Verstoßes zu geschehen habe57. Neben den befehlenden Rechtssätzen stehen die gewährenden Rechtssätze 5%. Die recht amorphe Gruppe der gewährenden Rechtssätze bereitet schon auf50 Reinach, Phänomenologie des Rechts, S. 167 ff.; ferner Aicher, Das Eigentum, S. 17 ff.; Engisch, Einfuhrung, S. 18 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 44; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 233; Larenz, Methoden lehre, S. 256 f.; ders., in FG Sontis, S. 137; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 77 f. 51 Vgl. hierzu (mit z.T. unterschiedlicher Kategorisierung) Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 196 f.; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 196 ff.; G. Jellinek, System, S. 52; Larenz, Methodenlehre, S. 253 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 74 ff.; v. Tuhr, BGB AT I, S. 21 ff; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 24 Rn. 11. 52 Vgl. v. Tuhr, BGB AT I, S. 21 f.; ferner Engisch, Einführung, S. 15 f. 53 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT MX, S. 203. 54 BVerfGE 87, 209, 233; G. Jellinek, System, S. 46; Roth, Faktische Eingriffe, S. 181; Thon, Rechtsnorm, S. 2. 55 Thon, Rechtsnorm, S. 2. 56 Die Erzwingbarkeit rechtskonformen Handelns ist in der heutigen Rechtsordnung zwar die Regel, aber nicht durchgängig vorgesehen (vgl. oben D.II.3.). 57 v. Tuhr, BGB AT I, S. 21; vgl. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 56. 58 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 200; v. Tuhr, BGB AT I, S. 22.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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grund ihrer Vielgestaltigkeit wesentlich größere Schwierigkeiten als die befehlenden Rechtssätze. Die gewährenden Rechtssätze lassen sich je nach dem Inhalt der Gewährung in statusbegründende, rechtsmachtbegründende und erlaubende Rechtssätze einteilen. Statusbegründende Rechtssätze bestimmen den rechtlichen Status von Menschen und Organisationen 59, beispielsweise den Erwerb der Rechtsfähigkeit, der Geschäftsfähigkeit, der Staatsangehörigkeit, der Beamtenstellung. Hierzu zählen also vor allem auch diejenigen Rechtssätze, die ein Subjekt überhaupt zum Rechtssubjekt machen, einen Menschen also zur natürlichen und eine Organisation zur juristischen Person, indem sie diesen generelle Rechtsfähigkeit zuweisen60. Auch rechtsmachtbegründenden und erlaubenden Rechtssätzen kommt eine gewisse statusbegründende Wirkung zu, weil sie dem betreffenden Subjekt eine immerhin partielle Rechtsfähigkeit zuweisen und es dadurch zu einem Rechtssubjekt machen61. Sie werden dennoch nicht als eigentlich statusbegründende Rechtssätze bezeichnet, weil sie nur partiell wirken und daher keine generelle Aussage über den rechtlichen Status des betreffenden Rechtssubjekts gestatten. Von besonderer Bedeutung sind die rechtsmachtbegründenden Rechtssätze62, die einem Rechtssubjekt ein rechtliches Können und damit eine rechtliche Handlungsfähigkeit verleihen, die über seine natürliche Handlungsfähigkeit hinausgeht63. In Betracht kommen einmal Gestaltungsrechte, die dem Subjekt die Macht verleihen, die rechtliche Lage durch einseitige Willenserklärung zu ändern 64. Bei der verliehenen Rechtsmacht kann es sich ferner um ein Herrschaftsrecht handeln65, mittels welchem ein Subjekt eine rechtliche Herrschaft über einen Teil der Außenwelt auszuüben vermag, sei es in Gestalt eines absoluten Rechts, sei es in Gestalt eines relativen Rechts gegenüber einem bestimmten anderen Rechtssubjekt (z.B. Forderung 66). Gegenstand der Gewährung kann 59

Larenz, Methodenlehre, S. 255; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 76. S. hierzu näher unten E.II.4.b. 61 S. unten E.II.4.a. 62 Vgl. hierzu Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 200; v. Tuhr, BGB AT I, S. 22 (die den Begriff der gewährenden Rechtssätze allerdings auf diese rechtsmachtbegründenden beschränken). 63 Zu den Begriffen des natürlichen bzw. rechtlichen Könnens näher G. Jellinek, System, S. 45 ff; Roth, Faktische Eingriffe, S. 162 ff; femer Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 212 ff.; Thon, Rechtsnorm, S. 338 ff. 64 Vgl. dazu Larenz,, in FG Sontis, S. 143; ders., BGB AT, S. 220ff.; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 7. 65 Vgl. Larenz, BGB AT, S. 216 ff.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 5 f. 66 Die gegen die Klassifizierung von Forderungen als Herrschaftsrechte erhobenen Bedenken (z.B. Larenz, Schuldrecht I, S. 15 ff.; ders., in FG Sontis, S. 142; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 11 f.) beruhen auf einem einseitig am Modell des Eigentums orientierten Verständnis von Herrschaft als unmittelbare Einwirkungs-, ja Gewalt60

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D. Das subjektive Recht

insbesondere auch ein Befehl sein, d.h. das gewährte Herrschaftsrecht kann gerade in der Fähigkeit bestehen, dem Verpflichteten gegenüber in Gestalt eines Anspruchs ein Ge- oder Verbot ausüben zu können. Schließlich sind die erlaubenden Rechtssätze anzuführen, die einem Rechtssubjekt eine Erlaubnis gewähren, d.h. ein Dürfen einräumen. Indem die Rechtsordnung einem Rechtssubjekt ein Dürfen einräumt, verleiht es ihm eine rechtlich anerkannte Befugnis zur ungehinderten Selbstbeherrschung und Selbstbestimmung über das eigene Sein und Tun 67 und schafft so einen Freiraum, innerhalb dessen dieses nach eigenen Wünschen agieren und somit nach seinen Vorstellungen Freiheit verwirklichen darf; das Dürfen verleiht damit eine Chance zur Verwirklichung selbstgesetzter (autonomer) Ziele 68 . Das Dürfen ist von dem rechtlichen Können zu unterscheiden, auch wenn allerdings beide durch die Rechtsordnung gewährt und begründet werden 69, und obwohl das Dürfen, insofern es als ein „Gegenrecht" 70 etwaigen gegen den Berechtigten gerichteten rechtlichen und faktischen Beeinträchtigungen entgegengehalten werden kann, unverkennbar auch Momente einer Rechtsmacht enthält: Denn beim rechtlichen Können geht es darum, ob man in einer bestimmten Weise rechtlich handeln kann, beim Dürfen hingegen darum, ob man es auch darf Zudem greift das Dürfen insofern weiter aus, als es ja immer die Erlaubnis zum selbstbestimmten Gebrauch der natürlichen Handlungsfähigkeit umfaßt, während sich die Frage, inwieweit eine rechtliche Handlungsmöglichkeit in den Bereich des Erlaubten einbezogen ist, überhaupt nur stellt, wenn und soweit die Rechtsordnung eine solche vorab geschaffen hat. Gewiß ist die Einräumung eines rechtlichen Könnens in aller Regel mit einer (zumeist konkludent ausgesprochenen) Erlaubnis verbunden, von diesem rechtlichen Können Gebrauch zu machen. Denn der Gesetzgeber wird normalerweise keinen Anlaß sehen, ein rechtliches Können einzuräumen, das nicht ausgeübt werden darf. Doch das ist nicht zwingend. Daß befugnis, als Ausübung von vis absoluta, und als willkürliche Machtausübung. Dies alles beinhaltet das Forderungsrecht allerdings nicht. Indessen ist es eine im Rechtsstaat nicht überzeugende Verengung des Herrschaftsbegriffs, diesen auf ein solches Verständnis zu reduzieren. Wie beispielsweise an dem übergreifenden Prinzip der Herrschaft des Gesetzes bzw. des Rechts ersichtlich, kann „Herrschaft" durchaus als rechtliche Herrschaft über den Willen des Verpflichteten verstanden werden, in der Art nämlich, daß ihm das Recht bindende Entscheidungsvorgaben macht. Die Forderung stellt daher ein relatives Herrschaftsrecht in dem Sinne dar, daß kraft des Forderungsrechts die Willensfreiheit des Schuldners beschränkt, er nämlich zur Erfüllung der Forderung des Gläubigers rechtlich verpflichtet ist. 67 RGSt 48, 346, 348. 68 Zum juristischen (namentlich grundrechtlichen) Freiheitsbegriff vgl. BVerfGE 5, 85, 204; 12, 1, 3; 45, 187, 227; Roth, Faktische Eingriffe, S. 67 ff. m.w.N. 69 Vgl. hierzu Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 200; G. Jellinek, System, S. 46 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 181 ff. 70 Vgl. Larenz, BGB AT, S. 227.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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das rechtliche Können und das Dürfen auseinanderfallen können, ist nicht nur im Zivilrecht geläufig, so wenn beispielsweise der Vertreter im Außenverhältnis eine wirksame Vollmacht hat, die er aufgrund der im Innenverhältnis bestehenden Abreden nicht oder nur in bestimmter Weise ausnutzen darf, sondern auch im öffentlichen Recht anzutreffen. So kann etwa der Bürgermeister die Gemeinde im Außenverhältnis auch dann wirksam vertreten, wenn er im Innenverhältnis gegenüber dem Gemeinderat zu einem solchen Verhalten nicht befugt war. Sowohl das rechtliche Können als auch das Dürfen sind als Gewährung deutlich von den befehlenden Rechtssätzen zu unterscheiden. Ein befehlender Rechtssatz als solcher begründet lediglich eine rechtliche Verpflichtung; eine korrespondierende Rechtsmacht kommt nur zustande, wenn eine entsprechende Gewährung ausgesprochen wird 71 . Ebenso brauchen auch Befehl und Dürfen nicht notwendig Hand in Hand zu gehen. Insbesondere muß einem an die eine Person gerichteten Verbot nicht unbedingt eine reziproke Erlaubnis auf Seiten dessen entsprechen, der von dem Verbot profitiert. Das zeigt sich z.B. daran, daß das Gesetz dem A verbieten kann, den Β bei einer bestimmten Tätigkeit zu stören, ohne daß daraus folgen müßte, daß dem Β die fragliche Tätigkeit überhaupt erlaubt wäre. Ja, das Gesetz kann sogar dem Β einen Anspruch verleihen, daß ihn A nicht störe, ohne daß deshalb Β gegenüber A erlaubterweise zu handeln brauchte 72. Bei den genannten statusbegründenden, rechtsmachtbegründenden und erlaubenden Rechtssätzen handelt es sich um die Grundkategorien gewährender Rechtssätze, aus denen sich alle gesetzlichen Gewährungen ableiten lassen. Soweit beispielsweise neben den Gestaltungsrechten auch „Mitwirkungsrechte d.h. Rechte auf Mitwirkung an einer Versammlung oder Beschlußfassung" als subjektive Rechte genannt werden 73, ist zu beachten, daß derartige Mitwirkungsrechte nicht auf derselben gedanklichen Ebene wie die Gestaltungsrechte liegen. Bei letzteren handelt es sich um eine juristische Grundkategorie, die nicht auf andere Rechtstypen zurückfuhrbar ist. Dagegen lassen sich die - praktisch übrigens gerade auch im Kontext von Organstreitigkeiten überaus bedeutsamen - Mitwirkungsrechte als Kombination verschiedener Rechtstypen konstruieren: Das aus einem bestimmten rechtlichen Status (z.B. Mitgliedschaft in

71

S. unten D.III.2.b.cc (2). Z.B. kann der unberechtigt Besitzende (also selbst der Dieb!) sich einer verbotenen Eigenmacht des Eigentümers der Sache erwehren (§ 858 Abs. 1, § 859 Abs. 1 BGB), weil dieser seine Ansprüche grundsätzlich nicht eigenmächtig durchsetzen darf, vgl. dazu BGH, W M 1966, 774; Palandt/Bassenge, BGB, § 858 Rn. 1; Soergel/Mühl, BGB, § 858 Rn. 2. 73 Larenz, in FG Sontis, S. 136 f., 144; ferner ders., BGB AT, S. 219; v. Tuhr, BGB AT I, § 38 Fn. 49. 72

30 Roth

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D. Das subjektive Recht

einer Organisation oder einem Organ) fließende Mitwirkungsrecht kombiniert Elemente eines Dürfens (z.B. Recht auf Teilnahme an der Versammlung) und eines Herrschaftsrechts (z.B. Befugnis zur Stellung wirksamer Anträge) mit einem Gestaltungsrecht (z.B. Herbeiführung eines rechtsgültigen Beschlusses im Wege der Abstimmung). Dementsprechend bedarf es keiner Ergänzung des hier genannten Kataloges gewährender Rechtssätze um eine Gruppe „mitwirkungsrechtsbegründender" Rechtssätze. Die befehlenden Rechtssätze werden nicht selten terminologisch dadurch von den sonstigen Rechtssätzen abgegrenzt, daß für sie die Bezeichnung „Rechtsnorm" reserviert wird 74 . Andererseits werden aber vielfach die Begriffe Rechtssatz und Rechtsnorm synonym verwendet 75. Eine logisch zwingende Entscheidung dieser Frage ist nicht möglich, vielmehr ist es eine Sache terminologischer Zweckmäßigkeit und systematischer Klarheit, ob der Rechtsnormbegriff inhaltlich „aufgeladen" und von dem des Rechtssatzes abgehoben werden soll. In Einklang mit der etymologischen Herkunft des Wortes „Norm" 7 6 sollen hier als Rechtsnormen alle Rechtssätze angesehen werden, die als Maßstab für die Beurteilung des Verhaltens von Rechtssubjekten dienen können. Da befehlende Rechtssätze unzweifelhaft Maßstäbe für rechtmäßiges Handeln setzen, indem sie den Rechtssubjekten durch Ge- oder Verbote vorgeben, was sie zu tun oder zu unterlassen haben, damit ihr Handeln als rechtmäßig bewertet werden kann, werden sie zutreffend allgemein als Rechtsnormen verstanden 77. Es sprechen aber keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, auch gewährende Rechtssätze als in diesem Sinne maßstäbliche Rechtsnormen aufzufassen. Anders als befehlende Rechtssätze gebieten sie zwar nicht kategorisch, aber sie können doch immerhin hypothetische Maßstäbe abgeben78, insofern nämlich der Berechtigte, wenn er einen bestimmten Status erlangen bzw. eine Rechtsmacht oder Erlaubnis ausüben will, die in dem gewährenden Rechtssatz statuierten Vorgaben erfüllen und einhalten muß, so daß insoweit eine wenngleich gewiß beschränkte Beurteilung von Handlungen möglich wird. Im übrigen gibt es keinen Grund, als Handlungsmaßstab ausschließlich Rechtmäßigkeits- bzw. Rechtswidrigkeitsbewertungen gelten zu lassen; auch die Kategorie der Rechtswirksamkeit bzw. -Unwirksamkeit einer Rechtshandlung oder einer Statusbegründung ermöglicht schließlich eine wertende Beurteilung von Verhalten. Der Rechtsnormbegriff kann daher auf gewährende Rechtssätze erstreckt und die Begriffe

74

Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 199; v. Tuhr, BGB AT I, S. 21. Larenz, Methodenlehre, S. 250; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 71. 76 Norm, von lat. „norma", wörtlich Winkelmaß, Richtschnur, Maßstab. 77 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 199; v. Tuhr, BGB AT I, S. 21 („normae agendi"); Wolff/ Bachof/St ober, Verwaltungsrecht 1, § 24 Rn. 10. 78 Vgl. hierzu Engisch, Einführung, S. 28 f., 32 f.; Larenz, BGB AT, S. 205; Larenz/ Wolf BGB AT, § 13 Rn. 48; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 208 f. 75

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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Rechtssatz und Rechtsnorm können als synonym gebraucht werden 79, sofern man sich den dargestellten Hintergrund vergegenwärtigt. Der Begriff des Rechtssatzes soll in dieser Arbeit verwendet werden, wenn es mehr um den formalen Aspekt als Instrument der Rechtssetzung geht; der Rechtssatz (einschließlich seiner unselbständigen Bestandteile) erscheint insoweit als das kleinste sinnvolle Einzelelement der Rechtsordnung. Von Rechtsnorm soll hingegen gesprochen werden, wenn mehr die materiale Seite des Rechtssatzes als Maßstab für das Verhalten der Rechtssubjekte im Vordergrund steht80.

bb) Rechtsmachtbegründende und erlaubende Rechtssätze als Entstehungsgründe für subjektive Rechte Von den vorstehend dargestellten befehlenden und gewährenden (d.h. statusund rechtsmachtbegründenden sowie erlaubenden) Rechtssätzen sind alleine die rechtsmachtbegründenden und die erlaubenden Rechtssätze geeignet, subjektive Rechte zu begründen. Denn ein befehlender Rechtssatz begründet einzig und allein ein Ge- oder Verbot, verpflichtet also den Adressaten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen, kann aber nicht selbst einem individuellen Rechtssubjekt ein Recht gegen den Verpflichteten auf Befolgung eben dieses Ge- oder Verbotes verleihen. Deshalb kann ein subjektives Recht rechtssatzmäßig nur durch gewährende Rechtssätze zustande kommen. Von dieser Feststellung ist allerdings hinsichtlich der statusbegründenden Rechtssätze eine Ausnahme zu machen. Diese eignen sich nicht zur Begründung subjektiver Rechte, da ein rechtlicher Status immer nur Voraussetzung für das Entstehen subjektiver Rechte sein kann, selbst aber kein subjektives Recht darstellt 81 . Der nähere Grund für diese Einschränkung ist darin zu sehen, daß ein statusbegründender Rechtssatz keinen ausübbaren Inhalt hat, subjektive Rechte aber ihrem Wesen nach auf Ausübung angelegt sind. Es ist nicht möglich, von der „Ausübung" eines statusbegründenden Rechtssatzes zu sprechen: Man kann seine Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Staatsangehörigkeit, Beamtenstellung etc. nicht „ausüben", man kann sich allenfalls so verhalten, wie es diesem Status 79

Ebenso Larenz, Methodenlehre, S. 250 Fn. 1; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 71 Fn. 1. - Deren Begründung, der gleichbedeutende Gebrauch rechtfertige sich daraus, „daß die Rechtsnorm sprachlich nur als ein Satz (...) ausgedrückt werden kann", ist freilich unzureichend, da hieraus nur folgt, daß jede Rechtsnorm ein Rechtssatz ist, nicht aber auch, daß jeder Rechtssatz eine Rechtsnorm sein müsse. Letzteres ist, wenn man den Begriff der Rechtsnorm überhaupt inhaltlich mit der Idee der Maßstabseignung aufladen will, nur durch eine inhaltliche Betrachtung der verschiedenen Kategorien von Rechtssätzen zu demonstrieren. 80 Ähnlich Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 24 Rn. 10. 81 Vgl. G. Jellinek, System, S. 83 f.; Larenz, in FG Sontis, S. 143 f.; ders., BGB AT, S. 213.

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D. Das subjektive Recht

entspricht, d.h. man kann die mit diesem Status verbundenen und aus diesem Status folgenden subjektiven Rechte ausüben. Subjektive Rechte entstehen daher allesamt nur aus rechtsmachtbegründenden 82 oder erlaubenden Rechtssätzen.

cc) Zur Kritik der Imperativentheorie (1) Das Recht als bloßer Komplex von Imperativen? Allerdings wird nun, in direktem Gegensatz zu der Aussage, subjektive Rechte könnten nur aus rechtsmachtbegründenden und erlaubenden Rechtssätzen entstehen, vielfach vertreten, subjektive Rechte könnten nur aus befehlenden Rechtssätzen stammen, während den gewährenden Rechtssätzen der vorstehend beschriebenen Art die rechtssatzmäßige Eigenständigkeit abgesprochen wird, sie also als bloße unselbständige Rechtssätze angesehen werden, die nur in Verbindung mit befehlenden Rechtssätzen stehen könnten83. Als unselbständig sind im Unterschied zu den selbständigen Rechtssätzen diejenigen Rechtssätze anzusehen, die für sich alleine keine Anwendung finden können, sondern die andere (selbständige oder wiederum unselbständige) Rechtssätze ergänzen, modifizieren oder näher ausgestalten und daher nur in Verbindung mit diesen einen Sinn ergeben 84. Als unselbständige Rechtssätze zu nennen sind namentlich die der Verdeutlichung von Rechtssätzen dienenden Legaldefinitionen oder sonstige erläuternde Rechtssätze diese Gesetzestechnik vermeidet schwerfällige Wiederholungen der immer gleichen Begriffserklärung in einer Vielzahl von Gesetzesbestimmungen - , femer jene Rechtssätze, welche den Inhalt anderer Rechtssätze für gewisse Fälle einschränken, ausdehnen, abändern oder aufheben - solche unselbständigen Rechtssätze sind logische Bestandteile des Hauptrechtssatzes und nur aus stilistischen Gründen, insbesondere zur Vermeidung unlesbarer Gesetzesbestimmungen in eigenen Gesetzesbestimmungen formuliert 5 - , schließlich Rechtssätze, die Fiktionen oder Verweisungen beinhalten und dadurch für

82 Zum Gestaltungsrecht als subjektivem Recht vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 441; Larenz, BGB AT, S. 220; ders., in FG Sontis, S. 136 f., 144; Larenz/Wolf, BGB AT, § 15 Rn. 78; Pawlowski, BGB AT, Rn. 322; a.A. Aicher, Das Eigentum, S. 57 ff. 83 Vgl. Aicher, Das Eigentum, S. 17 Fn. 2; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 161. 84 Vgl. hierzu Engisch, Einführung, S. 20 f.; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 197 ff.; Haenel, Das Gesetz, S. 122 f.; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 55 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 257 ff; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 78 ff; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 118, 134; v. Tuhr, BGB AT I, S. 23 f. 85 v. Tuhr, BGB AT I, S. 23.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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die Anwendung von Rechtssätzen auf Sachverhalte sorgen, die diese sonst tatbestandlich nicht erfassen würden 86.

Die Einordnung eines Rechtssatzes als unselbständig ist nicht im Sinne einer geringen Bedeutung zu verstehen. Im Gegenteil können etwa modifizierende oder aufhebende Rechtssätze von größter Wichtigkeit sein. Der Unterschied zu den selbständigen Rechtssätzen besteht vielmehr darin, daß diese für sich alleine stehen können und auch dann noch einen - wenngleich möglicherweisen anderen - Sinn behalten, wenn ein darauf bezüglicher unselbständiger Rechtssatz wegfiele, während ein unselbständiger Rechtssatz nicht für sich alleine bestehen kann, sondern jeglichen Sinn verlöre, wenn der selbständige Rechtssatz, auf den er sich bezieht, aufgehoben würde. Ob ein Rechtssatz in diesem Sinne selbständig oder unselbständig ist, läßt sich oft nicht rein logisch entscheiden. Gewiß ist ein Rechtssatz, der für sich allein schon logisch keinen Sinn hat, notwendig als unselbständig anzusehen. Indessen gibt es Fälle, in denen beide Verständnisweisen möglich sind. Ob einem Rechtssatz solchenfalls für sich alleine ein juristisch eigenständiger Sinn zugeschrieben wird, ist keine Frage der Logik, sondern eine normative Wertungsfrage, deren Entscheidung davon abhängt, was man als eine normative Aussage von eigenständigem Gewicht ansehen will. Dementsprechend steht, wie sich vor allem bei der Debatte um die Imperativentheorie zeigt, hinter der Auseinandersetzung um die Selbständigkeit eines Rechtssatzes in aller Regel kein logischer, sondern ein wertungsmäßiger Dissens über die Natur des Rechts. Nach der Imperativentheorie 87 soll nun „das gesammte Recht einer Gemeinschaft ... nichts als ein Complex von Imperativen" 88 und die staatliche Rechtsordnung allein „eine Summe von Befehlen" 89 sein. Hiernach kann überhaupt nur befehlenden Rechtssätzen eigenständige Bedeutung zukommen, während Gewährungen - und zwar nicht nur in Gestalt von Erlaubnissen oder der Verleihung eines bestimmten Status, sondern selbst in Form der Einräumung von Herrschaftsrechten - nur als unselbständige Anknüpfungsmomente für Befehle verstanden werden. Nach dieser Sichtweise sind im Verkehr der Rechtssubjekte untereinander allein die befehlenden Rechtssätze von Bedeutung, da diese vorgeben, was man zu tun oder zu lassen hat. Gewährende Rechtssätze haben danach vor allem gesetzestechnische Gründe, indem sie entweder bloß als Abkür86

Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 198; Larenz, Methodenlehre, S. 262; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 83; v. Tuhr, BGB AT I, S. 23 f. 87 Begründet vor allem durch Thon, Rechtsnorm, S. 2 ff., 345 ff.; ferner etwa Achterberg, AllgVerwR, § 1 Rn. 5; Aicher, Das Eigentum, S. 51 ff.; Engisch, Einfuhrung, S. 19 ff.; G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 215; v. Jhering, Der Zweck im Recht I, S. 330, 334 ff.; Nawiawsky, Allgemeine Rechtslehre, S. 8 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 115 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 1. 88 Thon, Rechtsnorm, S. 8. 89 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 217.

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D. Das subjektive Recht

zung oder Sammelbegriff für ein ganzes Bündel ge- oder verbietender Rechtssätze stehen bzw. überhaupt nur die rechtsdogmatische Grundlage der letztlich allein relevanten Befehle darstellen. Die Imperativentheorie berührt mit ihrer These, daß alles Recht letztlich nur Befehl sei, eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung für das gesamte Rechtsverständnis sowie für die Sichtweise der Beziehung der Rechtssubjekte zur Rechtsordnung. Obgleich der Imperativentheorie kein logischer Fehler vorzuwerfen ist 90 und sie auch praktisch zu keinen inakzeptablen Ergebnissen führt, kann ihre Sicht des Rechts dennoch nicht unwidersprochen bleiben.

(2) Unhaltbarkeit einer strengen Imperativentheorie Gegen die Imperativentheorie ist zunächst anzumerken, daß sich die Verneinung der eigenständigen Bedeutung von Gewährungen in einem strengen Sinne gar nicht durchführen läßt: Enthielte die Rechtsordnung wirklich nur Ge- und Verbote, so gäbe es zwar sehr wohl Verpflichtete, und man könnte auch noch einen Normbefolgungsanspruch der Rechtsgemeinschaft annehmen, es könnte dann aber keine subjektiven Rechte geben. Ein Recht auf Erfüllung eines Geoder Verbotes kann nämlich für ein Subjekt nur durch Gewährung dieses Rechts an ihn entstehen91. Das pacta sunt servanda würde, verstanden nur als Imperativ, zwar sehr wohl die Rechtspflicht des Schuldners begründen, die vertragliche Leistung zu erbringen; ein Recht des Gläubigers kann aber erst dadurch entstehen, daß ihm die Rechtsordnung darüber hinaus das Recht gewährt, die Leistung zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB) oder - gleichbedeutend - zu fordern (§ 241 S. 1 BGB). Entsprechendes gilt für Verwaltungsakte. Das Gesetz ermächtigt die Verwaltung nicht nur, durch Verwaltungsakte Befehle auszusprechen; vielmehr sieht es explizit vor, daß ein Verwaltungsakt auch Rechte begründen oder bestätigen (§ 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG), mit anderen Worten: subjektive Rechte gewähren kann (§ 48 Abs. 2 S. 1, § 49 Abs. 3 VwVfG). Zwar versuchte Thon 92, sämtliche Ansprüche in lauter Imperative aufzulösen, nämlich erstens einen Befehl an den Verpflichteten, und zweitens einen Befehl an den Richter, den Verpflichteten gegebenenfalls zu verurteilen. Da aber dieser letztere Befehl durch die Klageerhebung bedingt ist, und zwar eben nicht die Klage jedes Beliebigen, sondern nur des Berechtigten, kommt Thon zu einer 90 Das wird allgemein auch von ihren Kritikern konzediert, vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 193, 198; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 43; Larenz, Methodenlehre, S. 255; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 76; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 214 f.; v. Tuhr, BGB AT I, S. 22 f. 91 Avenarius, JR 1996, 495; Engisch, Einführung, S. 22 f.; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 200; Haenel, Das Gesetz, S. 211 f.; Larenz, in FG Sontis, S. 146; Schmidt, Rechtstheorie 1979, 77. 92 Thon, Rechtsnorm, S. 226 ff.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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Definition des Anspruchs als „die von der Rechtsordnung verliehene Macht, die Vorbedingung für den Eintritt der Imperative zu setzen, welche bestimmten staatlichen Organen ... die Gewähr von Rechtshülfe befehlen" 93. Mit der Annahme einer von der Rechtsordnung „verliehenen Macht" konzediert er aber (unfreiwillig), daß es rechtliche Gewährungen geben muß, und diese können nicht durch befehlende Rechtssätze allein begründet sein. Eine vollständige Reduktion allen Rechts auf bloße Imperative ist daher nicht möglich, wenn man nicht die unhaltbare Behauptung aufstellen will, daß es keine subjektiven Rechte, sondern ausschließlich objektives Recht gibt. Deshalb ist die Imperativentheorie wohl auch nie konsequent in ihrer strengen Form verfochten, sondern ist zur Ermöglichung subjektiver Rechte bei dem befehlenden Rechtssatz eine korrespondierende Gewährung hinzugedacht worden. Zumindest dieser Gewährung kann nun aber schwerlich die eigenständige Bedeutung abgesprochen werden, da sie den Befehl nicht lediglich ergänzt oder modifiziert, sondern in grundlegender Weise transformiert, nämlich von der Ebene des objektiven Rechts quasi auf die Ebene des berechtigten Rechtssubjektes hochhebt und für dieses verfügbar macht. Freilich verbietet sich aufgrund dieser Konzession jegliche kategorische Verneinung gewährender Rechtssätze. Die Imperativentheorie ließe sich danach allenfalls noch in der eingeschränkten Form verfechten, daß die eigenständige Existenz gewährender Rechtssätze nur verneint würde, soweit diese nicht unmittelbar die Gewährung einer Befugnis zu befehlen betreffen. Die Rechtfertigung dieser Unterscheidung wäre nach der Imperativentheorie darin zu sehen, daß „ohne alle diese Imperative ... jede noch so ausdrückliche und feierliche Gewährung [subjektiver Rechte] sinn- und substanzlos [wäre]" 94 , weil sich niemand für eine solche Gewährung interessierte oder zu interessieren bräuchte. Auch in dieser abgeschwächten Form verdient die Imperativentheorie keine Zustimmung. (3) Unzulängliche Erfassung von Freiheits- und Herrschaftsrechten Indem sie bloß gewährenden primären Rechten keine eigenständige Bedeutung zuzumessen vermag und ihr Augenmerk allein auf die eigentlich befehlenden sekundären Unterlassungs- und (Folgen)Beseitigungsansprüche sowie die tertiären Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche 95 legt, ist die Imperativentheorie konsequenterweise zu einer Negierung selbständiger Freiheits- oder Herrschaftsrechte gezwungen. Nach ihr dienen Abwehransprüche nicht dem Schutz eines vorausbestehenden Freiheits- oder Herrschaftsbereiches, sondern

93 94 95

Thon, Rechtsnorm, S. 228; zust. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 13 f. Engisch, Einführung, S. 25. Zum primären Recht und seinen Hilfsansprüchen näher unten G.IV.l.

440

D. Das subjektive Recht

sie konstituieren ihn dergestalt, daß er sich nur als mittelbare Folge gebündelter Abwehransprüche ergäbe 96. Dieses Modell von allein in der Bündelung sekundärer Abwehransprüche existierenden Freiheits- oder Herrschaftsrechten erscheint wenig plausibel. Denn da solche Abwehransprüche nicht aus dem Nichts entstehen können, müssen sie entweder einem vorher existierenden primären Recht entspringen - dessen Existenz die Imperativentheorie aber gerade bestreitet - oder kraft Gesetzes bereits latent existieren und lediglich aus konkretem Anlaß aktuell werden. Somit aber müßte jeder Freiheits- oder Herrschaftsbereich als Konglomerat einer unüberschaubaren Zahl latenter Sekundäransprüche erscheinen 97. Diese Vorstellung ist zwar nicht logisch unmöglich, wohl aber unnötig kompliziert, erschwert zudem das Verständnis und die Anwendung der Gesetze, und ist daher als systematisch unzweckmäßig abzulehnen98. Denn die rechtswissenschaftliche Systembildung soll das Verstehen des Rechts erleichtern und dessen Wesen transparent machen, und es ist daher vorzugswürdig, angesichts der offenkundigen Vielgestaltigkeit des Rechts davon auszugehen, daß es dementsprechend auch mehrere Kategorien von Rechtssätzen gibt, als alles Recht auf eine einzige Rechtssatzform zurückfuhren zu wollen, und dies dann an anderer Stelle mit dogmatisch komplizierten Konstruktionen zu bezahlen, die weder den Vorstellungen der einzelnen Rechtsgenossen noch denen der Rechtsgemeinschaft insgesamt gerecht werden 99. Vor allem aber spricht gegen die Imperativentheorie, daß sie den „Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses an die Peripherie verlegt" 100 und damit die Betrachtungsperspektive entgegen dem sozialen Verständnis von Freiheits- und Herrschaftsrechten verkehrt. Diesbezüglich ist in ironischer Weise recht passend bemerkt worden, es sei eine unnatürliche und „weltschmerzliche", ja geradezu „feindselige" Vorstellung, „daß die ganze Welt eigentlich mein Feind sei und auf mein Eigentum zustürzen wolle und daß die Rechtsordnung mich nur mit tausend und abertausend Ansprüchen von Weh und Ach befreie" 101 . Die 96 Vgl. Thon., Rechtsnorm, S. 253 f.; femer Aicher, Das Eigentum, S. 46, 63; Engisch, Einfuhrung, S. 24 f., 30; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 135 f.; Rupp, Grundfragen, S. 161 ff., 169, 224 f. 97 So etwa Aicher, Das Eigentum, S. 63 Fn. 11, der von einer unbegrenzten Zahl „abstrakter" Unterlassungsansprüche des Eigentümers ausgeht. 98 Henkel, Rechtsphilosophie, S. 43 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 255; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 76; v. Tuhr, BGB AT I, S. 22 f. - Zum Gedanken der größtmöglichen dogmatischen Klarheit und Einfachheit vgl. unten E.II.3.a. 99 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 198 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 255; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 76. 100 Treffend v. Tuhr, BGB AT I, S. 22. 101 Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, S. 175; zust. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 65.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

441

Imperativentheorie stellt ausschließlich auf die Auseinandersetzung ab, in der allerdings befehlende Abwehransprüche vonnöten sind, und vermag daher den störungsfreien Genuß von Freiheits- oder Herrschaftsrechten nur unzulänglich zu erfassen. In der Tat ist sie sogar konsequenterweise gezwungen, den Genuß des Rechts als nicht zum Inhalt des Rechts gehörend, ja gar als völlig außerhalb der Rechtsordnung stattfindend anzusehen102 und das Gebrauchmachen von einem Recht als rechtlich irrelevanten Vorgang zu verstehen, der sich gänzlich im rechtsfreien, vom Staat und seiner Rechtsordnung abgesonderten Gesellschaftsbereich abspielt 103 : „Der Genuss des rechtlich geschützten Guts gehört niemals zu dem Inhalte des Rechts" 104 . Dies entspricht indes weder der offenkundigen Vorstellung der Rechtsinhaber noch auch der Rechtsordnung, nach welcher gerade die Möglichkeit des Genusses die regelmäßig im Vordergrund stehende Qualität der Freiheits- und Herrschaftsrechte ausmacht. Wenn die Rechtsordnung ein primäres Recht um der Möglichkeit willen einräumt, dieses genießen zu können, so ist nicht recht ersichtlich, wieso dann dieser Genuß außerhalb der Rechtsordnung angesiedelt sein soll, anstatt richtigerweise als Ausübung dieses Rechts auch in seinem rechtlichen Sinnbezug verstanden zu werden. Im Unterschied hierzu hat die Vorstellung primärer Freiheits- oder Herrschaftsrechte keine Schwierigkeiten, den störungsfreien Rechtsgenuß zu begreifen, während sekundäre oder tertiäre Ansprüche eben erst im Falle einer Beeinträchtigung oder zumindest Gefährdung jenes primären Rechts ins Leben gerufen werden. Diesem Einwand kann die Imperativentheorie auch nicht dadurch entgehen, daß sie Befehl und Gewährung in ein Verhältnis von Mittel und Zweck setzt: „Gewährung eines Thuns, Habens oder Geniessens ist der Zweck der gesamten Rechtsordnung. Die Mittel, durch welche sie dies Thun, Haben oder Geniessen sichert, sind Gebot und Verbot... Man kann daher zusammenfassend sagen: Die Rechtsordnung gebietet und verbietet, um zu gewähren" 105 . Damit wird der Genuß einer Gewährung zwar immerhin zu einem in bezug auf das Recht zweckhaften Akt, doch auch diese Vorstellung vermag den Genuß nicht als tatsächliche Ausübung eines Rechtes und damit als rechtlichen Akt zu begreifen. Vielmehr bleibt auch nach dieser Vorstellung der Genuß einer Gewährung, selbst wenn sich darin der Zweck derselben verwirklichen mag, immer noch außerhalb des Rechts. Indessen hat doch die Handlung, mit der ein Rechtssubjekt von einem ihm gewährten Freiheits- oder Herrschaftsrecht Gebrauch macht, nicht nur 102

Thon, Rechtsnorm, S. 288 ff; Wolff/Bachof/Stober,

Verwaltungsrecht 1, §43

Rn. 2. 103

Zu diesem Hintergrund der Imperativentheorie vgl. Schmidt, Rechtstheorie 1979,

79. 104 Thon, Rechtsnorm, S. 288; ferner Aicher, Das Eigentum, S. 53; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 252 f.; Rupp, Grundfragen, S. 166; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 1 II, S. 5. 105 G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 215.

442

D. Das subjektive Recht

einen Zweck innerhalb der Rechtsordnung, sondern ist diese Handlung selbst ein rechtlich relevanter Akt. Der Eigentümer beispielsweise, der seine Sachen nutzt, verwirklicht damit nicht nur den Zweck seines Eigentums, sondern er übt sein Eigentumsrecht aus. Die Gewährung freiheitssichernder oder -erweiternder Positionen ist nicht lediglich Zweck der Rechtsordnung, sondern gewährende Rechtssätze sind ein Mittel der Rechtsordnung, dem Begünstigten ein Handeln zu ermöglichen, von dem nicht bloß gesagt werden kann, es verstoße nicht gegen ein Ge- oder Verbot, sondern von dem in wahrsten Sinne des Wortes gesagt werden muß, es erfolge mit Recht. Aus Sicht der Rechtsgenossen wie auch der Rechtsordnung ist sehr wohl von Bedeutung, ob sich jemand im Rahmen seiner gewährten Ermächtigung hält; daß etwa der Eigentümer seine Sache im Rahmen der ihm durch § 903 BGB eingeräumten Befugnisse gebraucht, ist nicht nur eine Frage tatsächlichen Genusses, sondern schon deshalb von rechtlicher Bedeutung, weil hiervon die Bewertung als rechtmäßig oder rechtswidrig abhängt. Die Aussage, die Rechtsordnung kümmere sich „weder um das Ob noch um das Wie des Genusses"106, verdient hiernach keine Zustimmung, soweit es um das „Ob" des Genusses eines Rechts geht. Zutreffend ist indessen die Aussage, die Rechtsordnung interessiere sich nicht fur das „Wie" der Ausübung eines Rechts. Solange der Berechtigte sich im Rahmen der rechtlichen Gewährung hält, darf er nach Belieben verfahren, ohne daß ihm die Rechtsordnung diesbezüglich Vorgaben machte oder sich fur die Art der Rechtsausübung interessierte. Es bedarf also einer differenzierenden Betrachtung: Gewährt die Rechtsordnung ein Freiheits- oder Herrschaftsrecht, so stellt dessen Ausübung zwar einen rechtlich relevanten Akt dar, der nicht außer-, sondern innerhalb der Rechtsordnung seinen Platz hat. Das Interesse der Rechtsordnung an der Ausübung eines Rechts beschränkt sich indessen auf die Prüfung, ob die - mehr oder weniger weit oder eng gezogenen - Grenzen dieses Rechts eingehalten sind. Mit der Bejahung dieser Frage erschöpft sich bereits das Interesse der Rechtsordnung. Was der Berechtigte innerhalb dieses Rahmens konkret tut, ist nicht mehr Gegenstand rechtlicher Bewertung, vielmehr darf er hierin von dem gewährten Freiheits- oder Herrschaftsrecht nach seiner freien Entscheidung so Gebrauch machen, wie es ihm gut dünkt. Dabei handelt es sich freilich um keine Besonderheit gerade der gewährenden Rechtssätze. Gleiches gilt für die befehlenden, denn solange sich ein Rechtssubjekt innerhalb des ihm durch ein Ge- oder Verbot gezogenen Rahmens hält, kann er einen etwa verbleibenden Spielraum nach Belieben nutzen, ohne daß das Recht ihm diesbezügliche Vorgaben machte.

106

Thon,, Rechtsnorm, S. 293.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts (4) Das normative Selbstverständnis

443

der Rechtsordnung

Es entspricht schließlich keineswegs der Vorstellung jedenfalls der heutigen Rechtsordnung, alles Recht nur als Komplex von Imperativen anzusehen. Dem Bild einer freiheitlichen Rechtsordnung wird es nicht gerecht, den dogmatischen Schwerpunkt auf die Ge- und Verbote zu legen, und die Gewährung primärer Freiheits- und Herrschaftsrechte zu einem rechtsdogmatischen Kunstgriff zu erklären, hinter dem sich alleine gebündelte Ge- und Verbote verbergen. Zutreffenderweise ist vielmehr die normativ wertende Betonung auf die Freiräume zu legen, in denen sich der einzelne nach seinen Vorstellungen selbst verwirklichen kann; diesem Leitbild widerspricht es, alles Recht auf Ge- und Verbote zurückfuhren zu wollen 107 . Repräsentativ für dieses Zukurzgreifen der Imperativentheorie dürfte etwa die Äußerung Engischs sein, „das Eigentum, das als Prototyp eines subjektiven Rechts gelten kann, [werde] dadurch und nur dadurch 'gewährt', daß jedermann verboten wird, den Eigentümer im Genuß der ihm gehörigen Sache zu beeinträchtigen" 108 . In § 903 S. 1 BGB liest sich dies freilich in einem bedeutsamen Punkt anders: „Der Eigentümer einer Sache kann ... mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen". Das Gesetz setzt also bei der Definition des Eigentumsrechts die Befugnis zum Gebrauch der Sache an die erste Stelle und stellt dem die Ausschließungsbefugnis nur unterstützend an die Seite 109 . Es stellt daher eine unzulässige und dem Selbstverständnis der Rechtsordnung nicht gerecht werdende Verkürzung dar, das Eigentum auf seine Imperativenaspekte zu beschränken 110.

107

Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 197 ff.; Larenz,, Methodenlehre, S. 254; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 75, Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 215; Scherzberg, DVB1. 1988, 130. 108 Engisch, Einführung, S. 24 f.; ferner Aicher, Das Eigentum, S. 77. 109 Die Behauptung von Aicher, Das Eigentum, S. 54, dem Gesetzgeber sei es hierbei „nicht auf eine rechtstheoretisch einwandfreie Formulierung" angekommen, „sondern vielmehr um eine erschöpfende Bestimmung der Bedingungen [gegangen], unter denen ein bestimmter Sozialsachverhalt von ihm gewünscht ist", stellt eine krasse petitio principii dar. Denn sie leitet den subjektiven Rechtsbegriff nicht vom Gesetz ab, sondern geht mit einem vorgefaßten Begriffsverständnis an das Gesetz heran, und versucht, anhand dessen das Gesetz „umzuinterpretieren". Es ist jedoch keinesfalls statthaft, zur Aufrechterhaltung eines vorgefaßten Begriffsverständnisses einfach eine Gesetzesbestimmung als falsch formuliert abzutun und für eine bloße Deklaration gesetzgeberischer Wünsche ohne normative Relevanz auszugeben. Ein solches Vorgehen widerspricht außerdem dem methodischen Gebot, Gesetze nach Möglichkeit so auszulegen, daß alle ihre Teile einen normativen Sinn und Anwendungsbereich haben. 110 Ähnlich Larenz, Methodenlehre, S. 254; ders., in FG Sontis, S. 134 f.; Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 75.

444

D. Das subjektive Recht

Aus demselben Grund ist es, obschon konstruktiv möglich, nicht angemessen, alle Erlaubnisse nur als Ausnahme zu einem Ge- oder Verbot zu sehen111. Denn hiernach erschiene die Rechtsordnung ihrem Wesen nach als Netz von Ge- und Verboten, welches nur punktuell durch Erlaubnisse durchbrochen wäre. Dies verkehrte indessen grundlegend das Selbstverständnis der freiheitlichen Rechtsordnung, in der eben nicht verboten, was nicht erlaubt, sondern vielmehr erlaubt, was nicht verboten ist 112 . Gerade die erlaubenden Rechtssätze stellen somit in gewisser Weise Strukturprinzipien der gesamten Rechtsordnung auf und definieren diese in weitem Umfang; die Ge- und Verbote hingegen stellen hierzu die Ausnahme dar. Dann aber überzeugt es nicht, den Erlaubnissen ihren eigenständigen normativen Sinn abzusprechen. Es ist nicht richtig, wenn gesagt wird, jede Erlaubnis setze „begrifflich" die Einschränkung eines Gebots oder Verbots voraus 113 . Richtig ist vielmehr, daß jede (sinnvolle) Erlaubnis gedanklich die Möglichkeit eines Ge- oder Verbotes voraussetzt, gegen das der Begünstigte zu schützen ist. Dieser denkbare Befehl braucht indes keineswegs ein schon ergangener und gegenwärtiger zu sein. Es ist sehr wohl möglich und oft auch sinnvoll, bereits gegenwärtig Erlaubnisse auszusprechen, um etwaigen künftigen Ge- oder Verboten zu begegnen. Beispielsweise kann die Verfassung ein bestimmtes Verhalten erlauben, um zu verhindern, daß der Gesetzgeber eine dasselbe verbietende Rechtsnorm überhaupt erst erläßt, oder ein Gesetz kann etwas erlauben, damit die Verwaltung erst gar nicht auf den Gedanken kommt, es verbieten zu wollen, etc. Derartige quasi prophylaktisch ausgesprochene Erlaubnisse sind zumal dann sinnvoll, wenn die Erfahrung zeigt, daß mit entsprechenden Verboten ernstlich zu rechnen sein könnte. Zahlreichen Erlaubnissätzen gehen daher bei historischer Sichtweise allerdings Verbote voraus, jedoch ist diese historische Abfolge lediglich Motiv fur die Gewährung einer Erlaubnis, und nicht im Sinne einer rechtsdogmatischen Kondition zu verstehen, daß eine Erlaubnis nur möglich sei, wenn ein Verbot gegenwärtig bereits ausgesprochen ist. Als verfassungsrechtlicher Beleg für das Vorstehende genügt der Hinweis auf die in Art. 2 Abs. 1 GG statuierte allgemeine Handlungsfreiheit, welche als erlaubender Rechtssatz eben nicht eine Ausnahme von einem vorherliegenden grundsätzlichen Verbot macht, sondern vielmehr selbst den Grundsatz aufstellt, gegenüber welchem jedes Ge- oder Verbot die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme darstellt. Es ist infolgedessen nicht überzeugend, die eigenständige 111 So aber v. Savigny, System I, § 16, S. 59; Thon, Rechtsnorm, S. 292 f.; femer Engisch, Einführung, S. 26; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 35, 56 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 109. 112 Vgl. dazu Engisch,, Einführung, S. 20 f. Fn. 15. 113 So aber Aicher, Das Eigentum, S. 54; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/1, S. 200 f.; ähnlich Engisch, Einführung, S. 20 f., 26.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

445

rechtliche Bedeutung erlaubender Rechtssätze zu verneinen 114. Vielmehr sind angesichts ihrer Bedeutung als Grundprinzipien der freiheitlichen Rechtsordnung 115 jedenfalls die grundlegenden Erlaubnissätze als selbständige Rechtssätze zu qualifizieren. (5) Selbständigkeit der rechtsmachtbegründenden

und erlaubenden Rechtssätze

Nach alledem ist es bei normativ wertender Betrachtung angemessen, auch die rechtsmachtbegründenden und erlaubenden Rechtssätze als selbständige zu begreifen 116. Sie stellen entgegen der Imperativentheorie nicht bloße Bündelungen befehlender Rechtssätze dar, sondern geben wesentlichen Wertentscheidungen der Rechtsordnung Ausdruck, die unabhängig von etwaigen begleitenden Ge- und Verboten die rechtliche Einschätzung des Verhaltens der Rechtssubjekte bestimmen.

c) Resümee: Die Gewährung subjektiver Rechte Im Ergebnis ist festzuhalten, daß subjektive Rechte nur durch rechtsmachtbegründende sowie erlaubende Rechtssätze begründet werden können. Dies gilt sowohl für die Fälle, in denen ein subjektives Recht „unmittelbar" durch Gesetz zugewiesen wird 1 1 7 (z.B. Wahlrecht als Folge der Staatsangehörigkeit), als auch in den Fällen, in denen das subjektive Recht kraft eines tatbestandlich an einen 114

Aus diesem Grund ist auch der Ansicht von G. Jellinek, System, S. 52, auf erlaubenden Rechtssätzen könnten keine subjektiven öffentlichen Rechte beruhen, nicht zuzustimmen. 115 Vgl. Henke, in FS Weber, S. 501: die Freiheit als absolutes Recht ist die „Basis bürgerlichen Lebens in der Gesellschaft". 116 Ob statusbegründende Rechtssätze ebenso als selbständige zu begreifen sind, braucht, da sie jedenfalls keine subjektiven Rechte begründen (s. oben D.III.2.b.bb), hier nicht entschieden zu werden. Immerhin ist zu bemerken, daß Statusrechte, obschon sie ihre volle Bedeutung meist erst in Verbindung mit anderen Rechtssätzen entfalten, Grundlage für eine so große Zahl rechtlicher Vorgänge und zugleich zumeist von so großer Bedeutung für die Statusinhaber sind, daß statusbegründende Rechtssätze auch aus Sicht des Gesetzgebers kaum als bloßer Annex zu anderen Rechtssätzen anzusehen, sondern in der Tat grundsätzlich zu den selbständigen Rechtssätzen zu zählen sein dürften (vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 255; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 76). Statusbegründende Rechtssätze dienen im Unterschied zu bloß definierenden Rechtssätzen nicht lediglich der Abkürzung des Tatbestandes anderer Rechtssätze, vielmehr gründen letztere sachlich in dem Statusrecht. Nach ihrer normativen Bedeutung sind oftmals die Statusrechte die Hauptsache, während etwaige daran anknüpfende Rechtssätze nur der Umsetzung des Statusrechts und der Verwirklichung dessen dienen, was in dem verliehenen Statusrecht bereits mitgedacht ist. 117 S. hierzu oben D.III.2.a.

D. Das subjektive Recht

446

Vertrag, Verwaltungsakt, Realakt usw. anknüpfenden Rechtssatzes begründet wird. Zur Begründung eines subjektiven Rechts ist also stets ein gewährender Rechtssatz erforderlich, und zwar entweder ein rechtsmachtbegründender oder ein erlaubender, welcher als Geltungsgrund des zu gewährenden subjektiven Rechts dient und gegebenenfalls tatbestandlich an einen dann als Entstehungsgrund des subjektiven Rechts fungierenden Rechts- oder Realakt anknüpft.

3. Die Ausübung subjektiver Rechte Wenn ein subjektives Recht begründet wird, so wird es notwendig zugleich mit einem bestimmten Inhalt begründet. Dieser Inhalt kann zum anderen durch Rechtssatz selbst bestimmt werden; dies ist zumal darin regelmäßig der Fall, wenn der rechtsmachtbegründende oder erlaubende Rechtssatz an einen rechtlichen Status anknüpft, beispielsweise aus der Staatsangehörigkeit ohne weiteres bestimmte Bürgerrechte folgen läßt. Zahlenmäßig bedeutsamer sind allerdings die Fälle, in denen der Inhalt des subjektiven Rechts durch Verwaltungsakt, Vertrag oder einen sonstigen nicht rechtssatzformigen Rechtsakt bestimmt wird, indem der hieran tatbestandlich anknüpfende Rechtssatz rechtsverbindlich macht, was diese inhaltlich festgelegt haben 118 . Inhaltlich zeichnet sich jedes subjektive Recht durch seine Ausübbarkeit aus. Denn wie das Recht insgesamt als Regelungsgefuge zu verstehen ist, welches das äußere Verhältnis der Personen zum Gegenstand hat, sofern deren Handlungen aufeinander Einfluß haben können, in den Worten Kants also als „der Inbegriff jener Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 119 , so muß auch das „subjektive Recht" als Teil dieser Beziehungsbedingungen auf eine Außenwirkung gerichtet sein. Diese Wirkung beruht darauf, daß mit der Innehabung eines subjektiven Rechts als Hauptzweck stets zugleich die ausschließliche Befugnis zur Ausübung desselben verbunden ist, wobei mit „Ausübung" eines Rechts Jedes Verhalten des Berechtigten, das dem Inhalt seines Rechts entspricht", gemeint ist 120 . Da „die Art der Ausübungshandlung je nach der Art der Beschaffenheit des Rechts verschieden" ist 121 , könnte die Aussage, die Ausübung eines subjektiven Rechts stelle dessen Hauptzweck dar, und die Befugnis zur Ausübung desselben komme seinem Inhaber (dem Berechtigten) zu, auf den ersten Blick als glei118 119

Vgl. vorstehend D.III.2. Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, AB 33 = Akad.

S. 230. 120 121

Enneccerus/Nipperdey, Enneccerus/Nipperdey,

BGB AT 1/2, S. 1437; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 545. BGB AT 1/2, S. 1437; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 545.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

447

chermaßen selbstverständlich wie inhaltsleer erscheinen, um als eine dogmatische Erkenntnis gelten zu können, aus der sich irgendein Gewinn ziehen läßt. Es ist aber zu erinnern, daß der Inhalt des subjektiven Rechts und damit der Gegenstand seiner Ausübung von seinem Entstehungsgrund sowie dem darauf bezogenen Rechtssatz bestimmt wird. Daß der Zweck des subjektiven Rechts in seiner Ausübung besteht, erscheint daher nur in dieser allgemeinen Formulierung abstrakt, doch nimmt man seinen Inhalt hinzu, so ergibt sich, daß die Rechtsausübung durchaus auf einen sinnvollen konkreten Gehalt gerichtet ist; nur haben eben nicht alle subjektiven Rechte denselben materiellen Gehalt und von daher läßt sich dieser nicht in allgemeiner Weise näher bezeichnen. Da das subjektive Recht nur aus einer Gewährung stammen kann, bestimmt sich sein Inhalt danach, was gewährt wurde: Stammt das subjektive Recht aus einem rechtsmachtbegründenden Rechtssatz oder einem sonstigen (Rechts)Akt, an den das Gesetz mit rechtsmachtbegründender Wirkung anknüpft, so bedeutet die Ausübung dieses subjektiven Rechts das Gebrauchmachen von der verliehenen Rechtsmacht. Die Ausübung eines Gestaltungsrechts besteht in der Herbeiführung der Rechtsgestaltung durch Abgabe einer entsprechenden Gestaltungserklärung 122 . Die Ausübung eines Herrschaftsrechts besteht in der Wahrnehmung der durch das Recht verliehenen oder geschützten Handlungsmöglichkeiten, die je nach dem Inhalt des Rechts übrigens sowohl ein Tun als auch ein Unterlassen einschließen können. So besteht beispielsweise die Ausübung des Eigentumsrechts als eines absoluten Herrschaftsrechts darin, daß der Eigentümer seine Sachen zu den ihm gefallenden Zwecken gebraucht 123 oder sonst mit ihnen nach seinem Belieben verfährt (vgl. § 903 S. 1 BGB); die Ausübung eines Forderungsrechts als eines relativen Herrschaftsrechts 124 besteht darin, daß der Gläubiger die vom Schuldner zu erbringende Leistung entgegennimmt (vgl. §§ 293, 294, 362 Abs. 1 BGB) 1 2 5 . Eine subjektivrechtliche Erlaubnis dagegen wird ausgeübt, indem der Berechtigte den gewährten Freiraum nach seinen Vorstellungen und Fähigkeiten ausgestaltet. Die beschriebene Ausübung des Rechts ist dessen primärer und eigentlicher Zweck, auch wenn die konkrete Art des Ausübungshandelns vom jeweiligen Inhalt des Rechts abhängt; gerade hierin erweist sich die Verkürzung der Imperativentheorie, daß sie diesen eigentlichen Zweck des Rechts aus seinem Begriff ausblendet, indem sie ausschließlich den Störungsfall betont 126 .

122

Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 546. Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 545. 124 Zu dieser Klassifizierung oben D.III.2.b.aa Fn. 66. 125 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 131 f.; ähnlich ferner//ewte, JZ 1992, 543. 126 S. vorstehend D.III.2.b.cc (3). 123

448

D. Das subjektive Recht

Die Gewährung eines subjektiven Rechts ist immer eine exklusive. Als Grundsatz gilt, daß die Ausübung eines subjektiven Rechts immer dem Berechtigten, und nur ihm, zusteht127. Hiervon bestehen in zwei Richtungen Ausnahmen: Zum einen kann durch Gesetz einem anderen als dem Berechtigten die Befugnis zur Ausübung des Rechts zugewiesen sein, und zwar sogar unter Verdrängung der Ausübungsbefugnis des Berechtigten 128. Zum anderen kann ein anderer ermächtigt sein, das fremde Recht im eigenen Namen auszuüben; die Ermächtigung muß vom Gesetz ausgesprochen oder aufgrund gesetzlicher Gestattung durch den Berechtigten erteilt werden 129 . Keine Ausnahme von dem genannten Grundsatz stellt übrigens die Stellvertretung dar, da der gesetzliche oder bevollmächtigte Stellvertreter das fremde Recht im fremden Namen ausübt und sein Handeln kraft seiner Vertretungsmacht als Rechtsausübung durch den Berechtigten selbst fingiert wird.

4. Die Geltendmachung subjektiver Rechte Daß jedes gewährte subjektive Recht - gleich ob (absolutes oder relatives) Herrschaftsrecht, Gestaltungsrecht oder Erlaubnis - auf seine Ausübung hin angelegt ist, impliziert nicht im Umkehrschluß, daß alles, was ausgeübt werden kann, ein subjektives Recht des Ausübenden sein müßte. Dieser Unterschied ist nicht zuletzt in bezug auf die Ausübung von Kompetenzen durch Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu beachten. Zweifellos würde aus der Innehabung eines (angenommenen) Kompetenzrechts ohne weiteres die Befugnis zur Ausübung der Kompetenz folgen, also z.B. einer Aufgabenzuständigkeit oder einer Mitwirkungsbefugnis im organisationsinternen Verfahrensablauf. Allein aus der Befugnis zur Ausübung einer Kompetenz folgt jedoch aufgrund der transitorischen Natur des organschaftlichen Wirkens 130 nicht, daß das betreffende Organ tatsächlich Inhaber eines subjektiven Kompetenzrechts sein müßte, wie ja Organe generell zwar die Rechte der sie tragenden juristischen Personen für diese wahrnehmen, nicht aber selbst diese Rechte besitzen. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, einem Organ eine Kompetenz mit der Maßgabe zuzuweisen, daß es bei etwaigen Schwierigkeiten wie namentlich einer Mißachtung dieser Kompetenz durch ein anderes Organ entweder gar nichts tun oder daß es allenfalls die Aufsichtsbehörde um ein Einschreiten bitten könne, ohne aber ein 127

Vgl. Aicher, Das Eigentum, S. 48 f.; Larenz, in FG Sontis, S. 138 f.; Scherzberg, DVB1. 1988, 130. 128 Zu solchen Fällen der Übertragung der Verfügungsgewalt vom Rechtsinhaber auf einen anderen vgl. Larenz/Wolf, BGB AT, § 13 Rn. 40 f. 129 Zur Ermächtigung vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1232 ff.; Larenz/ Wolf BGB AT, § 23 Rn. 44; Palandt/Heinrichs, BGB, § 185 Rn. 13. 130 S. oben A.I.2.b.aa.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

449

Recht auf ein solches Einschreiten zu besitzen. Solchenfalls wäre diesem Organ zwar die Ausübung der Kompetenz übertragen, aber die Kompetenz wäre kein subjektives Recht. Deshalb griffe ein Schluß von der intendierten Ausübung einer Kompetenz auf die subjektive Rechtsnatur der Kompetenznorm zu kurz. Vielmehr ist genau zu unterscheiden zwischen der allerdings selbstverständlichen Ausübung einer Kompetenz und der keineswegs zwingend damit verbundenen Befugnis zur Ausübung eines Kompetenzrechtes. Die Ausübung eines subjektiven Rechts ist zwar dessen Hauptzweck und notwendiges Merkmal desselben, die Ausübbarkeit ist aber keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines subjektiven Rechts. So entspricht es denn auch allgemeiner Ansicht, daß allein der Umstand, daß die Einhaltung einer Norm des objektiven Rechts einem bestimmten Rechtssubjekt Vorteile verschafft oder zu verschaffen geeignet ist, nicht die Annahme rechtfertigt, daß diesem Rechtssubjekt durch die betreffende Vorschrift tatsächlich ein subjektives Recht zugewiesen werden solle. Man spricht in solchen Fällen von bloß „faktischen" im Gegensatz zu rechtlichen Begünstigungen, d.h. von bloßen „Reflexrechten" 131 oder - besser - Rechtsreflexen 132, weil der Betreffende durch die dem objektiven Recht zugehörige Vorschrift zwar begünstigt wird, dies aber nur als tatsächliche Wirkung angesehen werden kann, deren Herbeiführung zwar Folge, nicht aber Inhalt der betreffenden Rechtsnorm ist. Selbst wenn diese begünstigende Wirkung nachgerade der Intention des Gesetzgebers entspräche, rechtfertigte dies allein nicht die Annahme, daß ein subjektives Recht auf die Erfüllung der Verpflichtung bestehen solle. Es ist - wie schon bei der Widerlegung der Interessentheorie gezeigt 133 - durchaus möglich, daß der Gesetzgeber eine Begünstigung lediglich objektivrechtlicher Natur vorsieht, ohne daß der Begünstigte ein eigenes Recht auf die Einhaltung der Rechtsnorm haben soll. Deshalb muß als zweites Merkmal des subjektiven Rechts zusätzlich zu der Ausübungsbefugnis die Befugnis zur eigenständigen Geltendmachung des Rechts hinzukommen.

a) Die Geltendmachung subjektiver Rechte als Verlangen ihrer Beachtung Rechtssätze, die einem Rechtssubjekt ein subjektives Recht zuweisen, um ihm die Ausübung der in dem Rechtssatz normierten Erlaubnisse, Herrschafts- oder Gestaltungsmöglichkeiten zu ermöglichen, verleihen dem Berechtigten immer 131

G. Jellinek, System, S. 67 ff.; Koehler, VwGO, § 42 Anm. C IV 6 c. Achterberg, AllgVerwR, § 20 Rn. 71; Bachof, in GS W. Jellinek, S. 291; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 228 („Reflexwirkungen des objektiven Rechts"); ders., in GS W. Jellinek, S. 279; Bull, AllgVerwR, Rn. 230; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 190. 133 S. oben D.II.2. 132

31 Roth

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D. Das subjektive Recht

auch die Befugnis zur Geltendmachung seines Rechts134. Das heißt, er ist über die selbstverständliche Befugnis zur Ausübung des Rechts hinaus befugt, an alle Rechtssubjekte, die durch das subjektive Recht zu irgendeinem Tun oder Unterlassen verpflichtet werden, heranzutreten, um die Erfüllung dieser Verpflichtung einzufordern 135. Die Ausübung eines subjektiven Rechts stellt in den weitaus meisten Fällen weder ein praktisches noch ein rechtliches Problem dar: Der Eigentümer, der seine Sache in Besitz hat, verfährt mit ihr nach seinem Gutdünken, der Gläubiger, dem der Schuldner freiwillig die Leistung erbringt, nimmt diese zu welchen weiteren Zwecken auch immer entgegen, der Bürger nutzt die erteilte Baugenehmigung zur Errichtung des Bauwerkes, usw. Einer irgendwie gearteten Geltendmachung des Rechts bedarf es in all diesen Fällen nicht 136 . Erst wenn die Rechtsausübung auf Probleme stößt, z.B. der Eigentümer in der Ausübung seines Eigentumsrechts durch Entzug des Sachbesitzes oder durch sonstige Beeinträchtigungen gestört wird, der Schuldner seine Leistung nicht oder nur unzulänglich erbringt, die Baugenehmigungsbehörde die beantragte Genehmigung versagt, gewinnt es Bedeutung, daß dem Rechtsinhaber die Befugnis zusteht, sein Recht dem jeweiligen Verpflichteten gegenüber geltend zu machen. Diese Geltendmachung ist zwar nicht wie die Ausübung des Rechts Hauptzweck desselben, wohl aber unverzichtbarer Bestandteil der Rechtswahrnehmung. Insofern liegt der Imperativentheorie 137 in der Tat ein berechtigter Gedanke zugrunde: Immer wenn die Ausübung eines subjektiven Rechts gefährdet oder gestört wird, wachsen dem Berechtigten Abwehransprüche gegen den Störer zu 1 3 8 , die sich aus dessen Sicht als Befehle (Ge- oder Verbote) darstellen. Indessen treten diese Imperative eben nur unterstützend und erst auf der Stufe der Geltendmachung des subjektiven Rechts auf den Plan, sind aber keinesfalls mit dem eigentlichen Inhalt des Rechts bzw. seiner Ausübung gleichzusetzen. Das subjek134 Vgl. BVerwGE 98, 118, 121; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 40 („Wahrnehmung"); Scherzberg, DVB1. 1988, 130. 135 Ähnlich v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 547: „Geltendmachung des Rechtes" als „die zur Erreichung eines rechtlichen Erfolges vorgebrachte Behauptung des Bestehens eines Rechtes"; zust. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438 Fn. 3. - Allerdings ist deren Verständnis insofern etwas enger als das hier vertretene, da für sie die „Geltendmachung" auf einen „rechtlichen Erfolg" statt auf die möglicherweise nur tatsächliche Ausübung des Rechtes zielen muß und sie dementsprechend das Erfüllungsverlangen bei der Forderung als deren „Ausübung" einordnen (Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 546), während ein solches Verlangen nach hier vertretener Auffassung als Grundkategorie der Geltendmachung eines Rechts einzuordnen ist, und nicht als „Ausübung" desselben. 136 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438 Fn. 3; v. Tuhr, BGB AT II/2, S. 547. 137 S. oben D.III.2.b.cc (1). 138 Hierzu näher unten G.IV. 1.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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tive Recht umfaßt zwar als notwendigen Bestandteil Imperative, welche seine Geltendmachung ermöglichen, es erschöpft sich aber weder in derartigen Imperativen noch wäre es gerechtfertigt, in diesen Imperativen auch nur den Hauptzweck des subjektiven Rechts zu sehen. Welche Formen die Geltendmachung eines subjektiven Rechts annehmen kann, hängt vom jeweiligen Inhalt desselben, der materiellen Rechtslage im übrigen sowie der hierauf abgestimmten Ausgestaltung der Prozeß- und Verfahrensordnungen ab. Geltendmachung eines subjektiven Rechts meint jedenfalls nicht notwendig seine gerichtliche Geltendmachung und zwangsweise Durchsetzung. Eine solche ist zwar nach der Ausgestaltung der Prozeßordnungen regelmäßig vorgesehen, doch dem subjektiven Recht nicht als solches begriffsoder wesensmäßig eigen 139 . Ob und inwieweit das Gesetz eine Befugnis zur (Veranlassung einer gerichtlichen) zwangsweisen Durchsetzung des betreffenden subjektiven Rechts vorsieht, hängt von gesetzgeberischen Erwägungen darüber ab, ob der Rechtsgemeinschaft die Ausübung des Rechts so wichtig erscheint, daß sie es nicht bei einem nicht erzwingbaren subjektiven Recht belassen will 1 4 0 . In der Regel schließt die Geltendmachung subjektiver Rechte heute zwar die gerichtliche Klage mit anschließender Zwangsvollstreckung ein. Daß es gleichwohl irrig wäre, die Geltendmachung eines subjektiven Rechts auf derartige Schritte zu reduzieren, sondern daß unter der Geltendmachung eines Rechts noch weiteres zu verstehen ist, zeigt sich schon daran, daß auch dort, wo seine zwangsweise Durchsetzung vorgesehen ist, diese doch immer nur die Endstufe eines in aller Regel mehrstufigen Geltendmachungsprozesses darstellt, welcher zahlreiche Schritte im Vorfeld vorausgehen. Zu nennen sind hier beispielsweise die einfache Aufforderung, das Recht zu beachten (also z.B. die Aufforderung, eine Forderung zu erfüllen bzw. ein absolutes Herrschaftsrecht oder eine Erlaubnis zu respektieren) 141, die Abmahnung 142 , die verzugsbegründende Mahnung (§ 284 Abs. 1 S. 1 BGB), die Drohung z.B. mit einem Rücktritt vom Vertrag, mit einem Ausschluß aus einer Organisation oder anderen Sanktionen, die Drohung mit gerichtlichen Schritten, etc. Alle diese Vorgehensweisen sind nun selbstverständlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil am Ende eine Klage ste139

S. oben D.II.3. Vgl. näher unten F.I.l.b., daß hinter jedem subjektiven Recht eine gemeinschaftliche Erfüllungserwartung steht und sich die Entscheidung über seine notfalls zwangsweise Durchsetzung nach der Wichtigkeit dieser Erfüllungserwartung richtet. 141 Diese Form der Geltendmachung betont auch Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 253. 142 Zur Abmahnung bei Wettbewerbsverstößen mit dem Ziel, durch Erlangung einer vertragsstrafebewehrten Unterlassungserklärung ein gerichtliches Verfahren vermeiden zu können, vgl. Köhler/Piper, UWG, vor § 13 Rn. 125; femer Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Einl. UWG Rn. 529; Graf Lambsdorff Handbuch, Rn. 2. 140

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D. Das subjektive Recht

hen kann, ja teilweise können einzelne dieser Schritte sogar Voraussetzung für den Erfolg der Klage oder zumindest für die Vermeidung von Kostennachteilen sein (vgl. § 93 ZPO, § 156 VwGO). Für eine Beschränkung der Geltendmachung eines Rechts allein auf die Klageerhebung besteht angesichts dessen jedenfalls kein Grund, zumal oftmals ohnehin schon die weniger drastischen Maßnahmen Erfolg haben. Die Vorstellung, daß die Geltendmachung eines Rechts nicht notwendig in Form einer Klageerhebung erfolgen muß, läßt sich auch im BGB nachweisen: Nach § 434 BGB ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer den verkauften Gegenstand „frei von Rechten zu verschaffen, die von Dritten gegen den Käufer geltend gemacht werden können". Im hiesigen Zusammenhang ist bemerkenswert, daß hierbei keine Rolle spielt, ob der Dritte sein Recht im Wege der Klage geltend machen oder sonst zwangsweise durchsetzen kann 143 ; denn dem Käufer ist die rechtswidrige Innehabung des gekauften Gegenstandes auch dann nicht von Rechts wegen zuzumuten, wenn der Dritte sein Recht nicht durchsetzen könnte. Entsprechend setzt eine erfolgreiche Geltendmachung dieses Rechts nicht notwendig ein erstrittenes Urteil voraus, vielmehr genügt es, „daß der Dritte sich bei dem Erwerber gemeldet und die Anerkennung seines (begründeten) Rechtes von Seiten des Erwerbers erwirkt" 144 . Eine sinnvolle und rechtlich bedeutsame Geltendmachung eines Rechts kann daher in Einklang mit der Terminologie des BGB darin gesehen werden, daß sich der Berechtigte an den Verpflichteten wendet, um von ihm die (freiwillige) Erfüllung seiner Rechtspflicht zu erwirken, und zwar unabhängig davon, ob der Berechtigte dabei mehr oder weniger offen mit der Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung seines Rechts drohen kann oder nicht 145 . Die hier vertretene These lautet daher, daß der für die Annahme eines subjektiven Rechts erforderliche, aber eben auch genügende Mindestinhalt an Geltendmachungsbefugnis in der Befugnis des Berechtigten besteht, vom Verpflichteten die Beachtung des subjektiven Rechts und damit des diesem Geltung verleihenden Rechtssatzes zu verlangen. „Wenn Klagbarkeit und noch mehr Vollstreckbarkeit nicht als Merkmale des subjektiven öffentlichen Rechts be-

143

Staudinger/Köhler, BGB, § 434 Rn. 5. Motive II, S. 219. 145 Vgl. insoweit Henke, DÖV 1980, 626 f. (nicht zuzustimmen ist ihm aber in der Unterscheidung, das rein im privaten Lebensbereich geäußerte Verlangen als „materiellen Anspruch" einzuordnen, dem erst durch das „formale Element" staatlicher Setzung rechtliche Verbindlichkeit zukomme; tatsächlich entsteht nämlich alles Recht nur infolge entsprechender Geltungsanordnung der Rechtsordnung, und ohne rechtliche Verbindlicherklärung verbleibt alles im außerrechtlichen Bereich, so daß insofern nicht einmal „materielles Recht" vorliegt). 144

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

453

trachtet werden können, so hat es mit dem subjektiven Privatrecht gemeinsam nur das 'verlangen können'" 146 . Daß das Verlangen das Minimum sinnvoller Geltendmachung eines subjektiven Rechts darstellt und nicht notwendig die Gestalt gerichtlicher Geltendmachung annehmen muß, stellt ebensowenig eine neue Erkenntnis dar wie es sich diesbezüglich um eine neue Terminologie oder um eine neue Begrifflichkeit handelt. Vielmehr findet dieser Sprachgebrauch schon im BGB Verwendung, das den Begriff des Verlangens im hier verwendeten Sinn gebraucht. Als positivrechtlicher Beleg dafür, daß für die Geltendmachung eines Rechts die Einforderung desselben als ausreichend anzusehen ist, ist in erster Linie auf die anerkanntermaßen nicht nur für das Zivilrecht, sondern für alle Gebiete des Rechts geltende147 Legaldefinition des Anspruchs als des Prototypes eines subjektiven Forderungsrechts zu verweisen. Gemäß § 194 Abs. 1 BGB ist Anspruch das „Recht, von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen". Das ist nicht dahin zu verstehen, als entstünde der Anspruch erst mit dem Verlangen; vielmehr entsteht er mit Erfüllung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen, unabhängig davon, ob er geltend gemacht oder dem Gläubiger überhaupt bekannt ist 148 . Aber es ist gleichermaßen bemerkenswert wie bezeichnend, daß das Gesetz den Anspruch inhaltlich als eine rechtliche Befugnis zu verlangen definiert, als ein „Recht zu fordern" 149 , und nicht etwa als ein Recht zu klagen oder gar als Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung. In der Tat ist aber allein dies nach der Abkehr vom aktionenrechtlichen Denken 150 folgerichtig, weil hiernach „die Möglichkeit, mit Erfolg zu klagen, die Forderung als materielle Be-

146

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 12. - Indem Bühler an späterer Stelle definiert, subjektives öffentliches Recht sei „diejenige Stellung des Untertanen zum Staat, in der er ... vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf 4 (Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 224; ders., in GS W. Jellinek, S. 274; ebenso Henke, DÖV 1980, 622, 625; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 53), macht er freilich deutlich, daß sich seine Vorstellung des Verlangenkönnens unter Übergehung der absoluten Herrschaftsrechte auf Forderungsrechte bezieht. Diese Einschränkung wird vorliegend nicht gemacht, da eben auch das Verlangen der Achtung eines absoluten Herrschaftsrechts eine sinnvolle Geltendmachung desselben darstellen kann. Bleibende Gültigkeit behält aber jedenfalls die Erkenntnis Bühlers, daß die Geltendmachung subjektiver Rechte nicht notwendig deren Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit einschließt oder auch nur voraussetzt, sondern sich im Verlangen erschöpfen kann. 147 Vgl. BSG, NZS 2000, 38, 39; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 226 f.; Staudinger/Peters, BGB, § 194 Rn. 1. 148 Medicus, BGB AT, Rn. 74. 149 Thon, Rechtsnorm, S. 226 Fn. 1. 150 Hierzu oben D.I. 1.

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D. Das subjektive Recht

rechtigung bereits voraussetzt, diese mit der Klagebefugnis daher nicht zusammenfallen kann" 151 . In entsprechender Weise wird von § 241 S. 1 BGB das Schuldverhältnis dahin charakterisiert, daß kraft des Schuldverhältnisses der Gläubiger berechtigt ist, „von dem Schuldner eine Leistung zu fordern" 152 . Gewiß umfaßt dies auch die Befugnis, die Leistung gegebenenfalls vor Gericht einzufordern 153; §241 S. 1 BGB darf natürlich nicht etwa dahin verstanden werden, den Gläubiger auf ein bloßes Verlangen dem Schuldner gegenüber zu beschränken. Das heißt aber nur, daß, wenn nach dem Gesetz eine Klagemöglichkeit gegeben ist, § 241 S. 1 BGB diese mit einschließt; nicht aber setzt § 241 S. 1 BGB eine solche Klagemöglichkeit voraus, und noch weniger wird eine solche durch § 241 S. 1 BGB begründet. Da es nun, wie gesehen, zwar nicht sonderlich viele, aber doch immerhin einige bedeutsame Fälle nicht einklagbarer bzw. nicht vollstreckbarer Ansprüche gibt 1 5 4 , entspricht es offenbar der Vorstellung des Gesetzgebers 155, daß das Verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB) oder Fordern (§ 241 S. 1 BGB) eben nicht zwingend Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit implizieren, sondern in der Tat nicht mehr als das beinhalten, was der Wortlaut dieser Vorschriften nach dem allgemeinen Sprachgebrauch besagt. Entsprechend ist, wieder das Eigentumsrecht als Prototyp des absoluten subjektiven Herrschaftsrechts heranziehend, auf die Bestimmung des § 903 S. 1 BGB zu verweisen. Danach kann der Eigentümer andere von jeder Einwirkung auf seine Sache „ausschließen", d.h. er kann durch seine Erklärung bestimmen, wer in welcher Weise auf die Sache einwirken darf, und er kann von anderen verlangen, eine von ihm nicht gebilligte Einwirkung zu unterlassen. Dieses Verlangen ist zwar durch die Rechtsordnung als regelmäßig zwangsweise durchsetzbar ausgestaltet (vgl. §§ 985, 1004 BGB), jedoch zum eigentlichen Inhalt des Eigentumsrechts zählt dies nach der Formulierung des § 903 S. 1 BGB nicht.

151

Larenz/Wolf, BGB AT, § 14 Rn. 16. Das BGB verwendet die Begriffe „Anspruch" und „Forderung" ohne sachlichen Unterschied, auch wenn von „Forderung" hauptsächlich in bezug auf primäre vertragliche Ansprüche gesprochen wird, während im übrigen vornehmlich der allgemeinere Begriff „Anspruch" verwendet wird, vgl. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1365; Hübner, BGB AT, Rn. 420; Larenz, BGB AT, S. 243; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 53 f.; Medicus, BGB AT, Rn. 75; Rüthers, BGB AT, Rn. 60; abweichend Pawlowski, BGB AT, Rn. 328 f. 153 Larenz, Schuldrecht I, S. 19. 154 S. oben D.II.3.C. 155 Vgl. Motive II, S. 3 f. (zum heutigen § 241 BGB): „Unter Schuldverhältniß ist grundsätzlich die klagbare Obligation, ein Schuldverhältniß, bei welchem die Erfüllung der Verbindlichkeit erzwingbar ist, verstanden. Nur in wenigen Fällen erkennt der Entwurf das Bestehen einer unvollkommenen Obligation an, indem ... an die Verjährung die nicht vollkommene Aufhebung des Schuldverhältnisses geknüpft ist", nämlich das Fortbestehen der Forderung trotz ihrer Undurchsetzbarkeit (vgl. Motive I, S. 342 f.; s. oben D.II.3.C.CC). 152

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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Als weiterer Beleg fur das hier Gesagte ist schließlich noch auf § 1353 Abs. 2 BGB zu verweisen: „Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Mißbrauch seines Rechtes darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist". Diese Klausel ist deswegen bemerkenswert, weil ja die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 BGB) ohnehin nicht zwangsweise durchsetzbar ist, nachdem § 888 Abs. 3 ZPO die Vollstreckung des Herstellungsurteils ausschließt156. Für den Gesetzgeber ist also offenbar das obgleich zwangsweise nicht durchsetzbare Verlangen, der Verpflichtete möge seine Rechtspflicht erfüllen, rechtlich so gewichtig, daß er diesbezüglich sogar einen eigenen Ausschlußgrund vorgesehen hat. Erst mit diesem Ausschluß des Verlangenkönnens, nicht schon mit dem Ausschluß der Klagemöglichkeit, entfällt dann natürlich das Recht überhaupt. Auch dies legitimiert den Schluß, das Verlangen als Kern der Geltendmachung eines subjektiven Rechts anzusehen.

Die genannten Beispiele mögen als positivrechtliche Belege dafür genügen, daß dem Gesetzgeber nicht die Vorstellung vorschwebt, die Möglichkeit der Geltendmachung subjektiver Rechte müsse stets und notwendig bis zur Klage reichen, sondern daß er lediglich das Verlangen- und Fordernkönnen als unverzichtbares Minimum ansieht. In der Tat kann man in diesem Fordern-Dürfen die schwachen Überreste des ursprünglichen allgemeinen Selbsthilferechts sehen, wonach es jedem überlassen war, seine Rechte selbst durchzusetzen 157. Denn obschon dieses umfassende Selbsthilferecht im Interesse des inneren Friedens weitestgehend ausgeschlossen und die zwangsweise Durchsetzung des Rechts für den Regelfall beim Staat monopolisiert wurde 158 - Selbsthilferechte bestehen heute nur noch in einer Art Notzuständigkeit des einzelnen, wenn hoheitliches Einschreiten nicht rechtzeitig zu erlangen ist (vgl. § 229 BGB) - , so blieb doch die (gewaltlose) Geltendmachung stets dem Rechtsinhaber vorbehalten. An dieser Geltendmachung als dem notwendigen Kerngehalt, und nicht in der mehr oder weniger zufälligen Durchsetzbarkeit, ist das Wesen subjektiver Rechte zu erkennen, und anhand dieses Kriteriums ist das subjektive Recht zu identifizieren. Der Gesetzgeber braucht ein subjektives Recht nicht klagbar auszugestalten, ein entsprechendes Leistungsurteil nicht vollstreckbar zu machen, und er hat, wie gesehen, in einzelnen Fällen eben hiervon auch abgesehen. Nirgends aber findet sich eine Bestimmung, der Rechtsinhaber könne nicht die Befolgung der ihm das Recht verleihenden Rechtsnorm verlangen: denn in der Tat läge dann kein subjektives Recht mehr vor. Diese zugegebenermaßen weitreichende Zurücknahme des Rechtsinhalts provoziert natürlich den Einwand, ob damit das subjektive Recht nicht zu sehr sinnentleert werde und als eine zwecklose, ja lächerliche Hülle zurückbleibe. Eben diese Befürchtung scheint bereits in den Worten Kants durch, mit denen er die Zwangsmöglichkeit proklamierte: „Wenn also gesagt wird: ein Gläubiger 156 157 158

Hierzu oben D.II.3.c.aa. Thon, Rechtsnorm, S. 226. Vgl. oben D.II.3.c.ee (2).

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D. Das subjektive Recht

hat ein Recht, von dem Schuldner die Bezahlung seiner Schuld zu fordern, so bedeutet das nicht, er kann ihm zu Gemüthe fuhren, daß ihn seine Vernunft selbst zu dieser Leistung verbinde" 159 . Indessen geht es bei der Geltendmachung eines Rechts in Gestalt eines Erfüllungsverlangens nicht darum, dem Verpflichteten nur etwas zu Gemüte zu fuhren oder einen Appell an seine Vernunft zu machen. Vielmehr wird diesem der ihn treffende Rechtsbefehl konkret vor Augen gestellt, so daß er sich nunmehr in offenkundiger und damit regelmäßig besonders gravierender Weise ins Unrecht setzt, wenn er diesem jetzt immer noch die Befolgung verweigert. Die meisten Rechtsverletzungen werden nicht aus Böswilligkeit und mit Absicht begangen, sondern aus Vergeßlichkeit, Unkenntnis und Unachtsamkeit, und schon deshalb ist es durchaus sinnvoll, den Verpflichteten konkret mit seiner Rechtspflicht zu konfrontieren. Das an den Verpflichteten gerichtete Verlangen, seine Rechtspflicht zu erfüllen, appelliert also weder an sein Gemüt noch an seine Vernunft, sondern an seine Rechtstreue, mithin an dasjenige, auf dem letzten Endes die gesamte Rechtsordnung basiert 160 . Wenn nun aber die Rechtsordnung ohnehin letztlich auf der (überwiegend geübten) Rechtstreue der Rechtsgenossen beruht, so ist es durchaus folgerichtig und wertungsmäßig stimmig, als Geltendmachung eines subjektiven Rechts jede Äußerung genügen zu lassen, mit der der Berechtigte die der (ihn subjektiv berechtigenden) Rechtsnorm geschuldete Rechtstreue des Verpflichteten in Anspruch nimmt. Allein durch die hier vertretene Beschränkung der Geltendmachungsbefugnis auf ihren notwendigen und unabdingbaren Kern des Erfüllungsverlangens lassen sich die Einwände vermeiden, die gegen die weitergehende These von der notwendigen Erzwingbarkeit aller subjektiver Rechte vorzubringen sind 161 . Denn auch wenn die Klag- oder Vollstreckbarkeit eines subjektiven Rechts ausgeschlossen ist, so bleibt doch allemal die Befugnis erhalten, seine Beachtung zu verlangen, und dies genügt zur Bejahung der für die Existenz eines subjektiven Rechts unverzichtbaren Geltendmachungsbefugnis.

b) Die Beschränkung der Geltendmachungsbefugnis auf den subjektiv Berechtigten Die konkrete Bedeutung und Auswirkung einer Zuständigkeit zur Geltendmachung subjektiver Rechte zeigt sich am besten, wenn ein Nichtberechtigter eine den Verpflichteten treffende Rechtspflicht geltend machen wollte. Ein solcher Fall kann in zwei Konstellationen vorkommen, nämlich als Geltendmachung 159 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § E, AB 36 = Akad. S. 232; ablehnend auch Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 25. 160 Vgl. oben D.II.3.a. 161 S. oben D.II.3.

III. Der Begriff des subjektiven Rechts

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objektiven Rechts oder als Geltendmachung eines einem anderen zustehenden subjektiven Rechts. Im ersteren Fall, bei einer bloß objektivrechtlichen Verpflichtung, kann der Verpflichtete jeden, der an ihn die Aufforderung richtet, er möge doch seinen Rechtspflichten nachkommen, schlicht mit der Bemerkung wegschicken, die Sache gehe jenen überhaupt nichts an, er brauche sich allenfalls mit den hierzu berufenen zuständigen staatlichen Organen auseinanderzusetzen. Ob man die Aufforderung zur Einhaltung des objektiven Rechts seitens eines Nichtberechtigten nachgerade als verboten bezeichnen kann 162 , mag hier dahinstehen; ein Recht zu einem solchen Auftreten steht jedenfalls außer den zuständigen mit dem Gesetzesvollzug befaßten staatlichen Organen niemandem zu, und notfalls wird sich der solcherart Angegangene dem Ansinnen im Wege einer Unterlassungsklage gegen den selbsternannten Anwalt des objektiven Rechts erwehren können. Daß jemand die Einhaltung objektiven Rechts einfordert, und zwar nicht in abstracto als allgemeinen Appell an die Rechtstreue, sondern in concreto angesichts eines stattfindenden Rechtsbruchs, wird - wenn nicht nachgerade ein Fall der Nothilfe vorliegt oder ähnliche Notrechte eingreifen, doch dann macht man ja wiederum von einem subjektiven Recht Gebrauch 163 - seitens der übrigen Rechtsgenossen keine Billigung erfahren, weil er hierzu nach allgemeinem Rechtsverständnis nicht zuständig ist. Allenfalls wird noch akzeptiert, daß man sich an die zuständigen Behörden wendet, um diese zu einer Geltendmachung des objektiven Rechts zu veranlassen; hierin spiegelt sich der Umstand wider, daß jeder Bürger als Glied der Rechtsgemeinschaft an deren Erwartung partizipiert, daß auch das objektive Recht eingehalten werde, nur ist dies eben eine rein objektivrechtliche Erwartung, welche subjektivrechtlich nicht abgestützt ist. Henke fragt daher zur Abgrenzung objektiven und subjektiven Rechts treffend, „ob die Behörde dem ... Bürger sagen kann: 'Das ist nicht deine Sache; das machen wir schon', oder ob umgekehrt der Bürger sagen kann: 'das ist auch meine Sache'" 164 . Die spezifische Bedeutung der Zuständigkeit zur Geltendmachung des Rechts zeigt sich noch deutlicher in dem zweiten Fall, wenn also ein anderer als der Berechtigte an den durch ein subjektives Recht Verpflichteten mit der Aufforderung herantritt, er möge doch an den Berechtigten die geschuldete Leistung erbringen. Obgleich dieser unberufene Dritte damit nichts anderes als die Einhaltung des Rechts reklamiert 165 , braucht dennoch der Verpflichtete ein solches 162

So Thon, Rechtsnorm, S. 226 Fn. 7. S. oben D.II.3.c.ee (2). 164 Henke, in FS Weber, S. 512. 165 Die Anmaßung der Befugnis zur Geltendmachung des Rechts ist durchaus von der Anmaßung der Befugnis zur Ausübung des Rechts verschieden, weil im ersteren Fall nur das verlangt wird, was das Recht inhaltlich vorgibt. Daß die Anmaßung der Rechtsausübung rechtswidrig ist, also der Dritte nicht beispielsweise Leistung an sich verlangen darf, versteht sich von selbst, Staudinger/J Schmidt, BGB, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 123. 163

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D. Das subjektive Recht

Ansinnen ebensowenig hinzunehmen wie wenn ein Privater von ihm die Einhaltung objektiven Rechts verlangen, eben weil diesem im einen wie im anderen Fall an der Zuständigkeit zur Geltendmachung des Rechts fehlt. Bezeichnenderweise wird in einer solchen Situation aber nicht nur der Verpflichtete das ungefragte Auftreten des Dritten als Anmaßung empfinden. Auch der Berechtigte wird ein solches Unterfangen als unstatthaften Übergriff in sein subjektives Recht betrachten, und zwar ungeachtet dessen, daß ihm durch die bloße Aufforderung, der Verpflichtete möge seine Rechtspflicht erfüllen, ja sonst kein Nachteil entsteht. Denn es ist allein Sache des Berechtigten, zu entscheiden, ob, wann und wie er gegebenenfalls sein Recht gegenüber dem Verpflichteten geltend macht 166 , und er muß es nicht hinnehmen, daß ein anderer sich unberufen in seine Angelegenheiten einmischt und ihn hierdurch in Zugzwang bringt, sich nun selbst dem Schuldner gegenüber erklären und festlegen zu müssen. Der Grund für die Beeinträchtigung des Berechtigten kann nunmehr präziser gefaßt werden: Jener unbefugt sich einmischende Dritte usurpiert zwar nicht die Ausübung des Rechts, wenn er den Schuldner ersucht, an den Gläubiger zu zahlen, wohl aber betreibt er solchenfalls die Geltendmachung der Forderung, und schon diese Anmaßung verletzt das subjektive Recht. Keine Rolle spielt, ob jener Dritte das subjektive Recht klageweise geltend macht; bereits die bloße außergerichtliche Leistungsaufforderung des Dritten an den Schuldner verletzt das Recht des Gläubigers, was wiederum bestätigt, daß die Geltendmachung subjektiver Rechte eben nicht allein in der Klageerhebung zu sehen ist, sondern schon sehr viel früher beginnt. Umgekehrt verhält es sich, wenn der Berechtigte selbst sein subjektives Recht geltend macht. Der Berechtigte kann nämlich zu Recht die Pflichterfüllung verlangen und greift mit diesem Verlangen nicht in die Rechte des Verpflichteten ein 167 . Er braucht sich daher, wenn er den Verpflichteten zur Einhaltung des Rechts auffordert, nicht wegschicken zu lassen, weil ihn die Sache nichts angehe. Im Gegenteil: wenn jemand aus Sorge um sein subjektives Recht handelt, mag er es nun erzwingen können oder nicht, dann geht ihn die Angelegenheit sehr wohl etwas an, und dies berechtigt ihn - bis zur weiten Grenze des Rechtsmißbrauchs, der freilich vom subjektiven Recht gerade nicht gedeckt wird - zu einem dementsprechenden Auftreten zwecks Geltendmachung seines Rechts, und dieses Bemühen des Berechtigten um die Geltendmachung seines subjektiven Rechts wird auf allgemeine Billigung stoßen.

166

Vgl. Pawlowski, BGB AT, Rn. 326, 329. Larenz, Schuldrecht I, S. 15; ders., in FG Sontis, S. 141 f.; Staudinger/J. BGB, Einl zu §§ 241 ff. Rn. 122. 167

Schmidt,

III. Der Begriff des subjektiven Rechts c) Die (prozeß)standschaftliche

459

Geltendmachung fremder subjektiver Rechte

Mit der vorstehend dargelegten Aufgliederung der subjektiven Berechtigung in ihre Komponenten Ausübung und Geltendmachung läßt sich auch die (Prozeßstandschaft, d.h. die (gerichtliche) Geltendmachung fremder subjektiver Rechte im eigenen Namen 168 , dogmatisch leicht in den Griff bekommen, wodurch zugleich die vorgeschlagene Konzeption weiter erläutert und bestätigt wird. Die (Prozeß)Standschaft zeichnet sich darin aus, daß sie zwar die Geltendmachung eines fremden subjektiven Rechts erlaubt, nicht aber die Ausübung desselben. Denn die (Prozeß)Standschaft umfaßt weder eine Ermächtigung zur Ausübung des fremden Rechts im eigenen Namen noch eine Bevollmächtigung zur Ausübung desselben im Namen des Berechtigten noch gar eine Übertragung des Rechts auf den (Prozeß)Standschafter; sie beschränkt sich allein auf die Geltendmachung des fremden Rechts. Dieser Unterschied läßt sich an der bereits skizzierten Prozeßstandschaft im Verfassungsorganstreitverfahren 169 demonstrieren: Wenn nach § 64 Abs. 1 BVerfGG ein Verfassungsorganteil eine Verletzung der Rechte des Verfassungsorgans, dem es angehört, rügen kann, so ist ihm damit ausschließlich die Befugnis zur Geltendmachung der betreffenden Rechte zuerkannt, keineswegs aber die Befugnis zur Ausübung derselben. So kann beispielsweise die nach § 64 Abs. 1 BVerfGG zulässig als Prozeßstandschafter auftretende Bundestagsfraktion zwar die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages gegenüber der Bundesregierung vor dem BVerfG klageweise geltend machen, mitnichten aber etwa selbst statt des Bundestages ein Gesetz erlassen; letzteres wäre eine Ausübung der fremden Gesetzgebungskompetenz und eine solche wird durch eine Prozeßstandschaft nicht abgedeckt. Zwar kann die Prozeßstandschaft nicht als rein prozessuales Institut verstanden werden, sondern müssen auch ihre vorprozessualen Implikationen gesehen werden: Das zur prozeßstandschaftlichen Geltendmachung der Rechte seines Organs befugte Organteil kann nicht verpflichtet sein, sehenden Auges die Verletzung dieser Rechte abzuwarten und dann erst gerichtlich dagegen vorzugehen. Die Einräumung einer gesetzlichen Prozeßstandschaft legitimiert das betreffende Organteil deshalb auch schon vorprozessual zu Maßnahmen, die die Kompetenzverletzung abwenden sollen, z.B. die Kundgabe der entsprechenden Rechtsmeinung, Mahnungen und die Drohung mit gerichtlichen Schritten. Dennoch darf auch hierbei nie der wesentliche Unterschied zwischen der Ausübung einer Kompetenz und ihrer Verteidigung übersehen werden. Daß ein Organteil die Kompetenzen seines Organs

168

Zur Prozeßstandschaft vgl. etwa Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 22 II; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 24; Redeker/v. Oertzen,, VwGO, § 42 Rn. 26; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 46. 169 S. oben B.II.l.d.

460

D. Das subjektive Recht

verteidigen darf, bedeutet also nicht etwa, daß es diese Kompetenz selbst ausüben könnte. Gerade an der (Prozeß)Standschafi zeigt sich daher, daß die Ausübung und die Geltendmachung zusammen die unverzichtbaren Merkmale jedes subjektiven Rechts sind. Die Befugnis zur Geltendmachung allein kann das subjektive Recht nicht erschöpfen, weil dann der Standschafier notwendig immer das Recht selbst ausüben können müßte, was aber offensichtlich nicht der Fall sein kann. Umgekehrt erschöpft sich das subjektive Recht aber auch nicht in der Befugnis zur Ausübung desselben; denn sonst dürfte jedermann das Recht geltend machen und Erfüllung zugunsten des Berechtigten einfordern, obgleich das ersichtlich nur dem Berechtigten oder dessen Standschafier gestattet ist. Letzterer jedoch muß eben - sei es rechtsgeschäftlich, sei es kraft Gesetzes - zu seinem standschafilichen Auftreten ermächtigt sein, damit er sich keines Übergriffs in die an sich allein dem Berechtigten vorbehaltene Geltendmachung des subjektiven Rechts schuldig macht. Gerade die an die Zulässigkeit einer Standschaft zu stellenden zusätzlichen Anforderungen bestätigen damit die grundsätzlich ausschließliche Geltendmachungszuständigkeit des subjektiven Rechtsinhabers. Entsprechend kann zwar der Gesetzgeber objektive Rechtsbeanstandungsverfahren vorsehen, in denen einem Rechtssubjekt die (gerichtliche) Geltendmachung objektiven Rechts gestattet wird 1 7 0 . Dies bedarf aber, eben weil sich eine derartige Befugnis nicht von selbst versteht, ebenso der besonderen Zulassung wie eine (Prozeß)Standschafi. Demgegenüber stellt die Befugnis des Rechtsinhabers zur Geltendmachung seines Rechts eine aus dem Wesen des subjektiven Rechts folgende Selbstverständlichkeit dar, die keiner ausdrücklichen gesetzlichen Erwähnung bedarf, sondern sich aus dem Wesen des subjektiven Rechts ergibt. In diesem Sinne hat daher Thoma das „Verlangendürfen" zutreffend als „Grundelement jedes subjektiven Rechts" bezeichnet171. Nur ist zu betonen, daß sich das subjektive Recht nicht in diesem Aspekt erschöpft. Die Befugnis zu seiner Geltendmachung „ist" nicht das Recht, sondern soll dem Berechtigten lediglich gegebenenfalls die Möglichkeit verschaffen, sein Recht auch tatsächlich auszuüben. Der Hauptzweck des subjektiven Rechts besteht in seiner Ausübung, und die Befugnis zur Geltendmachung des Rechts ist dem zwar notwendig, aber nur unterstützend beigesellt.

170 171

S. oben C.IV.I.e. Thoma, HdbDStR II, S. 616; zust. Friesenhahn., in FS Thoma, S. 40.

E. Organe juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte Nach der in Teil D. dieser Arbeit erfolgten Klärung des Begriffs des subjektiven Rechts kann nunmehr die Beantwortung der am Ende von Teil C. aufgeworfenen Frage unternommen werden, ob die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte in Betracht kommen, so daß sie namentlich zur Darlegung ihrer Klagebefugnis im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren die Verletzung ihrer Kompetenzen als subjektive Rechtsverletzung geltend machen könnten. Die gegen die Bejahung dieser Frage seit jeher und bis heute vorgebrachten Einwände liegen auf zwei Ebenen. Teilweise wird schon grundsätzlich in Abrede gestellt, daß öffentlichrechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen als solche subjektive Rechte haben könnten; hieraus folgt dann a fortiori, daß ihre Organe und Organteile erst recht keine subjektiven Rechte haben könnten. Die zweite Kategorie von Einwänden akzeptiert zwar subjektive Rechte von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, verneint diese Möglichkeit aber für ihre Organe und Organteile. Dogmengeschichtlich dürften sich diese Bedenken daraus ergeben, daß ja der subjektive Rechtsbegriff seinen Ursprung vor allem dem Zivilrecht verdankt, und dort naturgemäß zur dogmatischen Erfassung von Rechtsverhältnissen natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts entwickelt worden ist. Erschien das subjektive Recht ursprünglich als ein Instrument in der Hand eines Privaten gegenüber einem anderen, so war der nächste Schritt, das subjektive Recht als subjektives öffentliches Recht des Privaten auch gegen den Staat anzuerkennen, zwar gewissermaßen folgerichtig, und er wurde daher, wenngleich unter Mühen und nicht ohne Widerstände, schon recht früh vollzogen1. Indessen nunmehr den staatlichen Hoheitsträger nicht als verpflichteten Adressaten, sondern als Inhaber subjektiver Rechte zu verstehen2, ja selbst das Verhältnis staatlicher Organe zueinander in den Kategorien des subjektiven Rechts zu beschreiben, geht hierüber hinaus, und setzt eine nochmalige doppelte Abstraktion 1

Vgl. insbesondere Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 9 ff.; G. Jellinek, System, S. 54 ff.; zu dieser Entwicklung ferner H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 70 ff.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 14 ff., 26 ff., 154 ff.; Masing, Mobilisierung, S. 63 ff. 2 Vgl. G. Jellinek, System, S. 193 ff.

462

E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

voraus. Erstens muß hierzu aus einem wesensmäßigen Instrument zur Regelung der Rechtsverhältnisse Privater eine generell anwendbare Rechtsfigur werden, die es ermöglicht, den Staat zugleich als Schöpfer subjektiver Rechte wie als möglichen Inhaber der von ihm geschaffenen subjektiven Rechte anzusehen, eine Vorstellung, die vielen nicht nachvollziehbar erschien und zur generellen Negierung subjektiver Rechte des Staates führte 3. Zweitens muß das subjektive Recht von einem Instrument zur Regelung der Rechtsverhältnisse „selbständiger, voneinander unabhängiger Rechtspersonen, die miteinander in Beziehung treten" 4, zu einem Instrument auch der Regelung intrapersonaler Beziehungen werden. Indessen sind gerade in bezug auf letzteren Punkt vielfach Bedenken erhoben worden, das subjektive Recht sei von seinem dogmatischen Ursprung her „nicht geeignet, die Eigenart organisatorischer und organschaftlicher Befugnisse und Berechtigungen zu erfassen und zum Ausdruck zu bringen" 5. Die Ausräumung dieser Vorbehalte erfolgt zweckmäßigerweise in zwei Schritten. Zunächst ist zu zeigen, daß weder vom Begriff des subjektiven Rechts noch von der Wesensnatur der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Einwände durchgreifen, weshalb sie nicht Inhaber subjektiver Rechte sein können sollten (nachfolgend I.). Sodann ist der nämliche Nachweis für ihre Organe und Organteile zu führen (unten II.).

I. Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte Als unumstrittener und hier nicht weiter begründungsbedürftiger Ausgangspunkt der nachfolgenden Argumentation ist zugrunde zu legen, daß juristische Personen des Privatrechts Inhaber subjektiver Rechte sein können. Für die subjektiven privaten Rechte versteht sich dies ohnehin von selbst, weil deren mögliche Innehabung der wesentliche Zweck der gesetzlichen Zuerkennung genereller Rechtsfähigkeit an solche juristischen Personen ist (vgl. nur §§21 f., 80 BGB, § 1 Abs. 1 S. 1 AktG, § 13 Abs. 1 GmbHG, § 17 Abs. 1 GenG), doch ist gleiches auch für die subjektiven öffentlichen Rechte dieser juristischen Personen allgemein anerkannt, einfachgesetzlich beispielsweise in § 47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO und für Grundrechte in Art. 19 Abs. 3 GG ausdrücklich ausgesprochen6. Wenn demgegenüber verschiedentlich bezweifelt wird 7 , daß juri-

3

Vgl. oben C.II .4.e. Böckenförde, in FS Wolff, S. 302 f. 5 Böckenförde, in FS Wolff, S. 303; zustimmend Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 25 Fn. 60 (anders aber S. 38 f. für das Teilnahmerecht des Gemeinderatsmitglieds). 6 Vgl. hierzu Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen, S. 25 ff. 4

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts

463

stische Personen des öffentlichen Rechts gleichfalls subjektive Rechte innehaben können, dann kann dies folglich nicht an dem Faktor ihrer juristischen Personalität liegen. Denn mit dieser ist, wie die juristischen Personen des Privatrechts zeigen, die Innehabung subjektiver privater oder öffentlicher Rechte sehr wohl vereinbar. Auch an dem Wesen oder den Merkmalen der subjektiven Rechte kann es schwerlich liegen, weshalb juristische Personen des öffentlichen anders als solche des Privatrechts keine subjektiven Rechte haben können sollten. Das subjektive Recht zeichnet sich durch die ausschließliche Zuständigkeit zur Ausübung eines bestimmten rechtlichen Gehaltes und die Befugnis zu seiner Geltendmachung aus8, und das Gesetz ist nicht gehindert, auch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts derartige Ausübungs- und Geltendmachungszuständigkeiten und damit subjektive Rechte zuzuweisen. Diese besitzen in ihren Organen und Organwaltern dieselbe Willens- und Handlungsfähigkeit wie juristische Personen des Privatrechts, und können ihre Rechte daher durch ihre jeweils zuständigen Organe - diese wiederum handelnd durch die berufenen Organwalter 9 - ebenso gut realisieren wie jene, d.h. ihre subjektiven Rechte gemäß ihrem jeweiligen Inhalt ausüben und dem Verpflichteten gegenüber erforderlichenfalls geltend machen. Wenn den juristischen Personen des öffentlichen Rechts gleichwohl die Fähigkeit abgesprochen wird, Träger subjektiver Rechte sein zu können, und wenn dies weder an ihrer juristischen Personalität als solcher noch an der Natur des subjektiven Rechts liegen kann, so müßte dies mit Besonderheiten gerechtfertigt werden, die sich gerade aus ihrer spezifischen Rolle als Träger öffentlicher Gewalt und ihrer Einbindung in das Staatsganze ergeben. Das heißt, es müßten sich aus bestimmten Rechtssätzen oder aus allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts sachliche Gründe ableiten lassen, die aufgrund der Entstehung und spezifischen Funktion juristischer Personen des öffentlichen Rechts einer Zuerkennung subjektiver Rechte entgegenstehen. Logisch sind zwar beliebige definitorische Abgrenzungen zulässig. Indessen darf doch der Rechtsanwender keine willkürlichen Differenzierungen einführen, im vorliegenden Zusammenhang etwa subjektive Rechte von juristischen Personen des Privatrechts anstandslos bejahen und bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ohne hinreichenden Grund pauschal verneinen. Dies widerspräche einer korrekten 7 Z.B. Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 3; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 117, 148; ders., in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, Einl. (Lfg. 1996) Rn. 18; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 120; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 103. 8 Eingehend oben D.III.3. und 4. 9 Vgl. hierzu oben A.I.2.

464

E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

methodischen Vorgehensweise, da erstens das Postulat möglichster dogmatischer Klarheit und Einfachheit 10 unnötige Differenzierungen verbietet und es zweitens Aufgabe der Dogmatik ist, Parallelen aufzuzeigen statt zu verwischen, gleiche Phänomene zu identifizieren und soweit möglich gleich statt unterschiedlich zu behandeln, Systematik und Kohärenz zu schaffen statt Unordnung und Inkohärenz, terminologische Klarheit statt Sprachverwirrung 11. Und sofern an sachlich nicht begründbare Differenzierungen gar noch rechtliche Folgen geknüpft würden - hier namentlich hinsichtlich der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO oder der Fähigkeit, in ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO zu treten - verletzten solche Unterscheidungen sogar das Gesetz. Hiervon gehen selbstverständlich auch die Autoren aus, die gegen die Annahme subjektiver Rechte von juristischen Personen des öffentlichen Rechts votieren. Entscheidend ist, ob die insoweit vorgebrachten Einwände sachlich zu überzeugen vermögen. Am weitesten geht hierbei der Interesseneinwand, wonach Träger öffentlicher Gewalt (und damit erst recht ihre Organe) keine eigenen Interessen haben können und damit - nach der Interessentheorie - auch keine subjektiven Rechte (nachfolgend 1.). Der hiermit verwandte Gemeinwohleinwand konzediert demgegenüber zwar die begriffliche Möglichkeit derartiger Interessen und subjektiver Rechte, nimmt jedoch aus Gründen des Gemeinwohles an, daß sie keine subjektiven Rechte haben dürfen (unten 2.). Zu erwähnen sind ferner der Verzichtbarkeits- (unten 3.) und der Willküreinwand (unten 4.), die auf der Basis bestimmter Vorstellungen vom subjektiven Recht Trägern öffentlicher Gewalt deren Innehabung absprechen wollen.

1. Der Interessenein wand Der Haupteinwand gegen die Anerkennung subjektiver Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts besteht - ausgehend von dem Verständnis des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztes Interesse12 - darin, daß Träger öffentlicher Gewalt gar keine Interessen haben könnten, die einem rechtlichen Schutz in Gestalt subjektiver Rechte zugänglich wären. Und zwar wird dieser Einwand in zwei Varianten erhoben. Zum einen kann die grundsätzliche Fähigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts bestritten werden, überhaupt Interessen zu haben13. Viel häufiger findet sich freilich die weniger weit gehende Ansicht, die nicht ihre grundsätzliche Fähigkeit, Interessen zu haben,

10

Vgl. hierzu unten E.II.3.a. Vgl. Roth,, Faktische Eingriffe, S. 4. 12 S. dazu oben D.I.2. 13 Vgl. Kelsen,, Reine Rechtslehre, S. 311; Wolff schaft II, S. 254. 11

Organschaft I, S. 155 ff., Organ-

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts

465

sondern deren subjektivrechtliche Relevanz in Zweifel zieht, indem ihnen die Fähigkeit abgesprochen wird, subjektive Interessen zu haben14.

a) Irrelevanz des Interessenkriteriums

für das Bestehen subjektiver Rechte

Angesichts nicht zuletzt von Einwänden dieser Art rechtfertigt sich erneut die nähere Befassung mit dem Begriff des subjektiven Rechts: Nachdem gezeigt werden konnte, daß das Interesse kein Definiens des subjektiven Rechts ist 15 , erweist sich nämlich, daß der Interesseneinwand auf einer grundsätzlich unzutreffenden Vorstellung vom subjektiven Recht basiert und daher schon im Ansatz verfehlt ist. Für die Frage, ob Träger öffentlicher Gewalt (bzw. ihre Organe) Inhaber subjektiver Rechte sein können, kommt es überhaupt nicht darauf an, ob und in welcher Weise sie „Interessen" haben können, seien diese subjektiver oder sonstiger Natur. Die Irrelevanz von Interessen als Definitionsmerkmal subjektiver Rechte soll übrigens nicht bedeuten, daß Träger öffentlicher Gewalt keine Interessen hätten. Tatsächlich ist es durchaus möglich und mitunter sinnvoll, von Interessen juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu sprechen 16, so wie ja auch von dem Interesse der Allgemeinheit oder von Interessen juristischer Personen des Privatrechts gesprochen wird. Die Denkfigur des Interesses von Trägern öffentlicher Gewalt (bzw. ihrer Organe) bezweckt jedoch im hiesigen Rahmen nur eine Beschreibung der im Staatsaufbau gegebenen Interessenlagen17, und diese wiederum können zwar für die Gesetzgebung respektive Gesetzesinterpretation relevant werden, wann ein subjektives Recht zu begründen respektive anzunehmen ist 18 , sind aber nicht dafür maßgeblich, ob überhaupt ein subjektives Recht vorliegen kann.

14

OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1289; SächsVBl. 1999, 35, 36; Böckenförde, in FS Wolff, S. 302 f.; Erichsen, in FS Menger, S. 228; ders., in Erichsen, AllgVerwR, §11 Rn. 47; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 159 Fn. 33; Kingreen, DVB1. 1995, 1338 f.; Krebs, Jura 1981, 574 f.; Ruffert, DÖV 1998, 898 f.; vgl. auch Herbert, DÖV 1994, 110. 15 S. oben D.II.2. 16 Vgl. etwa BVerwG, ZfBR 2000, 204; Kisker, JuS 1975, 705 ff.; Krebs, Jura 1981, 576 f.; Lorenz, AöR 93 (1968), 320 ff.; Schnapp, VerwArch 1987, 424 ff.; Tsatsos, Organstreit, S. 18 ff. 17 S. nachfolgend E.I.2. 18 S. unten F.LI. 32 Roth

466

E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte b) Unzulässigkeit einer psychologis ierenden Betrachtungsweise

Unbeschadet der hier vertretenen Irrelevanz des Interessenkriteriums verdient zum Zwecke weiterer Klarstellung und Vertiefung festgehalten zu werden, daß der Interesseneinwand immanent verfehlt ist und daher selbst auf der Basis der Interessentheorie nicht durchgreift. Dies erweist sich schon an der Begründung, mit der der Vater der Interessentheorie die Fähigkeit juristischer Personen, Inhaber von Interessen zu sein, grundsätzlich negierte. Von Jhering hatte seine Interessentheorie mit Blick auf natürliche Personen entwickelt, und machte deren Interesse am Genuß ihrer Güter so sehr zum Dreh- und Angelpunkt seiner Lehre 19, daß er juristische Personen nicht als wahre Rechtssubjekte anerkennen wollte: „Die juristische Person als solche ist völlig genußunfähig, sie hat keine Interessen und Zwecke, kann also auch keine Rechte haben, denn Rechte sind nur da möglich, wo sie ihre Bestimmung erreichen, d.h. einem berechtigten Subjekt dienen können - ein Recht, das in der Person des Berechtigten nie diesen seinen Zweck zu erfüllen vermag, ist ein Unding, ein Widerspruch gegen die Grundidee des Rechtsbegriffs" 20. Dieser Einwand ist nicht schlüssig. Er trägt nämlich der doppelten Anrechnung erst des Verhaltens der Organwalter zum Organ und dann des Verhaltens des Organs zur Organisation 21 nicht Rechnung, aufgrund welcher es - selbst wenn man davon ausgeht, daß das Interesse in natura bei Körperschaften die Mitglieder, bei Anstalten die Errichter und Benutzer, sowie bei Stiftungen die Stifter und Destinatare besitzen22 2 3 - eben nicht unmöglich erschiene, auch bei juristischen Personen einen Genuß der durch von Jhering geforderten Art anzunehmen: Da Organisationen ohnehin nur durch ihre Organe, und diese wiederum durch ihre Organwalter, wollen und handeln können, würde nichts dagegen sprechen, ihnen die in ihren Organwaltern - insofern als Repräsentanten der, je nach Sachlage, Mitglieder, Errichter, Benutzer, Stifter bzw. Destinatare 24 - gehabten Genußvorstellungen als ihre eigenen anzurechnen25. Denn es wäre ungereimt, das gesamte tatsächliche und rechtsgeschäftliche Verhalten und alles Wissen und Wollen der Organwalter der juristischen Person anzurechnen, und einzig bei der Interessenfrage eine Ausnahme zu machen26, nur um der juristi-

19

Vgl. v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 331 ff. v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 356. 21 Zu dieser Anrechnung oben A.I.2.a. 22 Wolff Organschaft I, S. 155 ff., Organschaft II, S. 254 f. 23 Zu Struktur, Zusammensetzung und Merkmalen der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen oben A.I.l.b. 24 Vgl. Wolff Organschaft II, S. 255, 257. 25 Vgl. Wolff Organschaft II, S. 258. 26 Vgl. Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, §74 V; nicht überzeugend deshalb Schnapp, VerwArch 1987, 423. 20

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen R e c h t s 4 6 7 sehen Person die Innehabung subjektiver Rechte absprechen zu können. Da es sich hierbei auch nicht etwa um höchstpersönliche Genußvorstellungen der Organwalter handelte - diese ziehen ja keinen persönlichen Nutzen aus der Ausübung der Rechte ihrer Organisation - , ist die Annahme einer der Organisation selbst anzurechnenden Genußidee gerade unter Berücksichtigung der transitorischen Wesensnatur ihrer Organe sehr gut begründbar. Es spricht daher nichts dagegen, auch Organisationen als Träger von Interessen zu verstehen 27. Ohnehin läßt sich das radikale Verständnis der Interessentheorie von Jherings nicht mit dem positiven Recht vereinbaren. Danach wäre ja nicht nur juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Innehabung subjektiver Rechte abzusprechen, sondern notwendig ebenso juristischen Personen des Privatrechts. Da diesen jedoch nach unserer Rechtsordnung unzweifelhaft subjektive Rechte zustehen können28, muß der so formulierte Interesseneinwand auf einer dogmatischen Fehlkonstruktion beruhen. Und zwar besteht diese darin, daß hierbei das Interesse und die Genußfähigkeit stillschweigend in einem psychologisierenden Sinn als das durch die rechtlich gesicherte Nutzung des Gutes ermöglichte menschliche Gefühl der Wunschbefriedigung verstanden wird. Daß ein solches Verständnis nicht überzeugt 29, ergibt sich schon aus dem Grundeinwand gegen die Interessentheorie, nämlich daß es subjektive Rechte gibt, die nicht dem Berechtigten zugute kommen 30 und diesem also ohnehin kein psychisches Genußgefühl bereiten oder ermöglichen können. Von einem „Genuß" des Berechtigten läßt sich bei rein fremdnützigen Rechten nur in einem sehr abstrakten Sinne sprechen, nämlich nicht bezogen auf den Genuß der Gegenstände oder der Leistungen, auf die das betreffende Recht gerichtet ist, sondern der Genuß müßte allein in der Ausübung dieses Rechts liegen. Ein solches abstraktes, man könnte auch sagen: inhaltsleeres Genußverständnis ließe sich aber ohne weiteres auf juristische Personen übertragen (wenn es denn darauf ankäme), weil es sich bei subjektiven Rechten von Trägern öffentlicher Gewalt dann eben um ein weiteres Beispiel fremdnütziger subjektiver Rechte handelte, nämlich solcher, die dem betreffenden Hoheitsträger die Durchsetzung des subjektiven Rechts im 27

Seeger, BWVPr 1978, 50; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 29 Rn. 5. S. vorstehend E.I. 29 Vgl. Ehlers,, NVwZ 1990, 111. - Krit. auch Schnapp, VerwArch 1987, 422 f., 424 ff., dessen Ansatz, das Interessenkriterium zwar beizubehalten, es dafür aber zu einem inhaltsleeren Begriff umzugestalten, freilich auf halbem Wege stehenbleibt, und außerdem in eine Zirkeldefinition mündet: Wenn nämlich das subjektive Recht als rechtlich geschütztes Interesse definiert wird, und wenn das somit „im Mittelpunkt der individuellen ... Berechtigung stehende 'Interesse'" eine vom Gesetzgeber geschaffene Rechtsposition sein soll, die in dem „vom Gesetzgeber bewirkte[n] Begünstigungseffekt in der Regelung" besteht (ebd., S. 425, Hervorhebung im Original), dann definiert dies im Effekt das subjektive Recht als das individuelle Interesse an der Ausübung des subjektiven Rechts! 30 S. oben D.II.2.b. 28

468

E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Interesse der Mitglieder, Benutzer oder Destinatare bzw. der Allgemeinheit ermöglichte. Unabhängig hiervon ist es selbst auf der Basis der Interessentheorie nicht überzeugend, die „Bestimmung" eines Rechts mit einer Möglichkeit des Genusses in einem psychisch-sensualistischen Sinne gleichzusetzen31. Gewiß muß letzten Endes alles Recht den Menschen zugute kommen. Daraus folgt jedoch nicht, daß dies von jedem einzelnen Recht gelten müßte32. Entsprechend soll zwar die Tätigkeit einer Organisation insgesamt letztlich ihren Mitgliedern, Benutzern oder Destinataren zugute kommen bzw. den perpetuierten Stifterwillen realisieren 33. Keineswegs gilt dies aber ftir jede einzelne Handlung dieser Organisation. In ihrem womöglich sehr komplexen Funktionsablauf ist es völlig unmöglich, daß jede einzelne Handlung als solche ihren Mitgliedern oder Destinataren etc. einen „Genuß" bereitet, und entsprechend kann eine juristische Person vielfach subjektive Rechte auszuüben haben, die keinen oder einen nur entfernten Bezug zu dem letztlich angestrebten Nutzen hat. Es entspricht nicht der Vorstellung der Rechtsordnung, bei jedem einzelnen von der juristischen Person ausgeübten subjektiven Recht nach dem hieraus für die Dahinterstehenden erwachsenden Nutzen oder gar nach dem diesen dadurch ermöglichten Genuß zu fragen. Dies gilt zumal deswegen, weil die Definition, was als ein solcher Nutzen verstanden werden soll, in weitem Maße der Festlegung durch die zuständigen Organe bzw. der Beschlußfassung durch die Mitglieder bedarf 34, der Bestand eines subjektiven Rechts aber nicht davon abhängen kann, ob und inwieweit die juristische Person ihre subjektiven Rechte in Konformität mit solchen Nutzenvorstellungen ausübt. Infolgedessen ließe sich eine Interessentheorie allenfalls mit einem normativen Interessenbegriff aufrechterhalten, der von etwaigen inneren psychischen Vorstellungen über den durch das Recht zu ermöglichenden Genuß abstrahierte und von einem normativ typisierten Genußverständnis ausginge. Eine Genußmöglichkeit in diesem Sinne könnte aber auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts zukommen.

c) Subjektive Interessen von Trägern öffentlicher

Gewalt

Der Haupteinwand gegen die Zuerkennung subjektiver Rechte an juristische Personen des öffentlichen Rechts besteht denn auch nicht in der Schwierigkeit der Vorstellung, daß diese überhaupt Interessen haben können, sondern vielmehr in der Leugnung des möglichen subjektiven Charakters eines etwaigen 31

Das betonen auch Barth, Subjektive Rechte, S. 115; Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 66; a.A. Schnapp, Amtsrecht, S. 100 Fn. 93. 32 So aber v. Jhering, Geist des römischen Rechts III, S. 340. 33 Vgl. obenA.I.l.b. 34 S. unten E.I.2.b.aa.

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts

469

Interesses: Während der einzelne als Inhaber subjektiver Rechte auch im Bereich des öffentlichen Rechts nicht Sachwalter des Gemeinwohls ist, sondern nach seinem Belieben seine Interessen verfolgen könne, seien alle Träger öffentlicher Gewalt stets auf das Gemeinwohl als öffentliches Interesse verpflichtet und müßten ihre Kompetenzen und Befugnisse somit im Allgemeininteresse ausüben; deshalb fehle ihrer Rechtsposition das in der Befugnis zur Verfolgung persönlicher Interessen bestehende und echte subjektive Rechte auszeichnende „personale Element" 35 , und da Träger öffentlicher Gewalt keine subjektiven Interessen haben könnten, hätten sie auch keine subjektiven Rechte36. Der Ausrichtung am Allgemeinwohl entspricht nach dieser Sicht allein die Wahrnehmung des objektiven Rechts. Diese Argumentation beruht außer auf der (ohnehin abzulehnenden) Interessentheorie zunächst vor allem auf einer stillschweigenden Gleichsetzung der Begriffe des privaten und des subjektiven Interesses. Denn aus dieser Gleichsetzung folgt unter Einbeziehung der beiden Begriffspaare privates - öffentliches und subjektives - objektives Interesse notwendig eine Gleichsetzung des öffentlichen mit dem objektiven Interesse. Da nun unter der Prämisse subjektives Interesse und subjektives Recht einerseits und objektives Interesse und objektives Recht andererseits korrespondieren, ergibt sich aus der Gleichsetzung von öffentlichem und objektivem Interesse, daß das öffentliche Interesse nur durch Sätze des objektiven Rechts geschützt sein kann, so daß Träger öffentlicher Gewalt mithin allein objektives Recht wahrzunehmen und niemals subjektive Rechte innehaben können. Indessen zeigt nähere Überlegung, daß die Gleichsetzung von subjektivem und privatem Interesse und damit auch die Gleichsetzung von objektivem und öffentlichem Interesse verfehlt ist, und daß daher die Folgerung, öffentliche Interessen könnten nur durch objektive Rechtssätze umgesetzt werden, ebensowenig trägt. Die vorbezeichnete Argumentation beruht mit anderen Worten auf einer selbst auf der Basis der Interessentheorie unstatthaften Gegenüberstellung des subjektiven und des öffentlichen Interesses, auf einer unzutreffenden Vermengung der Begriffspaare privates - öffentliches sowie subjektives - objektives Interesse, und auf einer daraus folgenden unrichtigen Gleichsetzung des öffentlichen mit dem objektiven Interesse. Diese Kritik ist näher zu erläutern. 35

Deutlich etwa Krebs, Jura 1981, 575, der subjektive Rechte von Organen ablehnt, weil deren etwaige „'Interessen' keinesfalls personale Interessen im Sinne der Individualinteressen des klassischen subjektiven öffentlichen Rechts" seien; ebenso OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1289; SächsVBl. 1999, 35, 36; Wahl, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 120. 36 OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1289; SächsVBl. 1999, 35, 36; Fuß, WissR 1972, 111 f.; Krebs, Jura 1981, 575; Schmidt-Aßmann, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Einl. (Lfg. 1996) Rn. 18; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 47, 120; vgl. auch Herbert, DÖV 1994, 110.

470

E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Unstreitig gibt es subjektive private Rechte von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, subjektive Rechte also, die im Privatrecht gründen. Denn wenn juristische Personen des öffentlichen Rechts wie Private am Rechtsverkehr teilnehmen, stehen ihnen grundsätzlich wie diesen alle Rechte und Pflichten zu. Der Streit um die subjektiven Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt geht also allein um die Frage, ob ihnen subjektive öffentliche Rechte zustehen können. Zur Beantwortung dieser Streitfrage soll von der Rechtslage in bezug auf die Privaten ausgegangen werden. In Ansehung von Privaten, seien es natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, ist zunächst daran zu erinnern, daß subjektive Rechte Privater in zwei Formen vorkommen, als subjektive private und als subjektive öffentliche Rechte. Die subjektiven privaten Rechte Privater 37 und die subjektiven öffentlichen Rechte Privater sind ihrem Wesen nach gleichermaßen subjektive Rechte des Privaten, nur gründen erstere auf Rechtsnormen des Privatrechts und letztere auf Rechtsnormen des öffentlichen Rechts38. In beiden Fällen geht es also - in der Diktion der Interessentheorie - um den Schutz privater Interessen, nur daß diese eben einmal im Zivilrecht und das andere Mal im öffentlichen Recht umgesetzt sind. Daß es sich hier um private Interessen handelt, ergibt sich also nicht daraus, daß das subjektive Recht ein privates ist - das bedeutet ja nur, daß es im Privatrecht wurzelt, doch auch subjektive öffentliche Rechte können private Interessen schützen - , sondern daß es ein Interesse Privater ist. Mit anderen Worten: Dem subjektiven (privaten oder öffentlichen) Recht Privater korrespondiert ein privates Interesse. Überträgt man dieses Verhältnis auf Träger öffentlicher Gewalt, so ergibt sich, daß einem subjektiven privaten Recht eines Trägers öffentlicher Gewalt ein öffentliches Interesse korrespondiert, auch wenn dieses eben in den Formen des Privatrechts wahrgenommen wird 39 . Um ein privates Interesse kann es sich hierbei nicht handeln, weil private Interessen nur Private haben. Alleine der Umstand, daß es durch Sätze des Privatrechts geschützt wird, macht es ebensowenig zum privaten Interesse. Denn die Verortung eines Rechtssatzes im Ziviloder im öffentlichen Recht hat keinerlei Einfluß auf die Einordnung des betreffenden Interesses, wie das subjektive öffentliche Recht Privater zeigt, das ja trotz seiner Verankerung im öffentlichen Recht durchaus ein privates Interesse schützt. Die öffentliche, d.h. Gemeinwohlausrichtung subjektiver privater Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt wird durch die grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Bindungen bestätigt, welche dem Staat in strikter Form im Bereich 37

Der Ausdruck „subjektive private Rechte Privater" beinhaltet keine Tautologie: das Adjektiv „privat" bezieht sich auf die Verankerung des subjektiven Rechts im Privatrecht, das Substantiv „Privater" bezeichnet die Stellung des Rechtsinhabers. 38 Vgl. Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 2. 39 Vgl. Schenke, Rechtsschutz, S. 234.

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen R e c h t s 4 7 1 des Verwaltungsprivatrechts 40 auferlegt sind 41 , die aber nach vordringendem Verständnis auch beifiskalischem Handeln über die Geltung des Willkür- und Diskriminierungsverbotes hinaus eine gegenüber der im Privatrecht - und zwar selbst gegenüber Privaten - ohnehin immer zu beachtenden Grundrechtswirkung 42 nochmals deutlich verstärkte Grundrechtsprüfung gebieten43. Entspricht hiernach dem subjektiven privaten Recht einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ein öffentliches Interesse, so muß die Annahme falsch sein, daß aus der öffentlichen Natur des Interesses die Unmöglichkeit der Innehabung subjektiver Rechte folgt. Sonst dürften juristische Personen des öffentlichen Rechts nämlich keine subjektiven privaten Rechte haben können. Können sie das aber nach allgemeiner Ansicht, so ist nicht ersichtlich, weshalb sie dann nicht auch subjektive öffentliche Rechte haben können sollten, denn dies betrifft nur die bereichsmäßige Zugehörigkeit des das Recht begründenden Rechtssatzes und nicht die subjektive Natur des Rechts. Infolgedessen ist es nicht möglich, den Gemeinwohlbezug des von der juristischen Person des öffentlichen Rechts wahrgenommenen Interesses als Argument gegen die Subjektivität des einschlägigen Rechts vorzubringen. Eine derartige Ansicht ließe sich übrigens auch nicht unter Berufung auf einen vorgeblich unterschiedlichen Grad an Gemeinwohlnähe begründen, etwa dergestalt, daß bei subjektiven privaten Rechten von Hoheitsträgern zwar ein Bezug zu öffentlichen Interessen bestehe, dieser jedoch schwach sei und das öffentliche Interesse insofern eher einem privaten Interesse gleiche, während bei subjektiven öffentlichen Rechten von Trägern öffentlicher Gewalt der Öffentlichkeitsbezug zu stark wäre, um hier noch ein subjektives Recht annehmen zu können. Abgesehen davon, daß die These, daß sich ein hohes Maß an Allgemeinwohlbezug mit der Annahme subjektiver Rechte nicht vertrüge, eine bloße unbewiesene und auch durchaus unrichtige 44 Behauptung darstellte, wäre überdies schon die Prämisse einer solchen Argumentation unzutreffend. Denn auch 40 Zum Begriff des Verwaltungsprivatrechts etwa Ehlers, in Erichsen, AllgVerwR, § 2 Rn. 70 ff.; Maurer, AllgVerwR, § 3 Rn. 9, § 17 Rn. 1; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 23 Rn. 29 ff. 41 Vgl. BGHZ 91, 84, 96 f.; Ehlers., in Erichsen, AllgVerwR, § 2 Rn. 78; v. Münch, in v. Münch/Kunig, GG, Vorb Rn. 35; Roth, Faktische Eingriffe, S. 105; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 191; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 23 Rn. 32 ff; ausfuhrlich Stern, Staatsrecht III/l, § 74 IV, S. 1394 ff. 42 Zur Diskussion um die dogmatische Einordnung dieser Grundrechtswirkung als „Ausstrahlungswirkung" oder „mittelbare" Geltung der Grundrechte im Privatrecht bzw. als Folge unmittelbarer Grundrechtsgeltung eingehend Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 230 ff, 242 ff. 43 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 105; weitergehend für eine generelle Grundrechtsbindung im Fiskalbereich etwa Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 347 f.; Höfling, in Sachs, GG, Art. 1 Rn. 95; Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 18. 44 Zur Unrichtigkeit des Gemeinwohleinwandes nachfolgend E.I.2.

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ein subjektives privates Recht in der Hand eines Trägers öffentlicher Gewalt kann einen überaus wichtigen Gemeinwohlbezug haben, so etwa, wenn sich der Staat der Mittel des Privatrechts zur Erfüllung wesentlicher staatlicher Aufgaben bedient. Im übrigen leuchtete auch keineswegs ein, wieso das Vorliegen des subjektiven Rechts ausgerechnet mit zunehmender Wichtigkeit des damit für die Allgemeinheit verfolgten Belanges entfallen sollte. Subjektive private Rechte lassen sich daher nicht nach dem Kriterium der Wichtigkeit für die Allgemeinheit von den subjektiven öffentlichen Rechten von Hoheitsträgern abgrenzen. Wie es zu dem vorstehend aufgezeigten Fehlschluß kommen konnte, erhellt, wenn man die auf der Basis der Interessentheorie anzunehmenden begrifflichen Gegensatzpaare in das richtige Verhältnis setzt und sie sodann korrekt miteinander verknüpft. Dann zeigt sich nämlich, daß es eine bestimmte Kombination bei Privaten nicht zu geben scheint, und dies dürfte der Grund sein, weshalb eine das subjektive Recht vom privaten Rechtssubjekt aus entwickelnde Dogmatik der beschriebenen Verwechslung anheimfallen kann. Unter Einbeziehung der beiden Begriffspaare privates - öffentliches Interesse sowie subjektives objektives Interesse ergeben sich vier theoretisch denkbare Konstellationen, nämlich subjektive private Interessen, objektive private Interessen, subjektive öffentliche Interessen und objektive öffentliche Interessen. Hier kann nun festgestellt werden, daß im System der Interessentheorie subjektive private Interessen durch subjektive Rechte Privater geschützt werden, während objektive öffentliche Interessen dem Reich des objektiven Rechts zugehören. Da es nun objektive private Interessen prima facie nicht zu geben scheint - das Interesse Privater ist stets auf ihre subjektiven Ziele gerichtet und keinem „objektiven" Zweck verpflichtet - , lag das Mißverständnis der Gleichsetzung „subjektives Recht = subjektives privates Interesse" und „subjektives = privates Interesse" 45, folglich „subjektives Recht = privates Interesse", und hierzu komplementär „objektives Recht = objektives öffentliches Interesse" sowie „objektives = öffentliches Interesse", somit also „objektives Recht = öffentliches Interesse", gewissermaßen nahe46. Subjektive öffentliche Interessen haben in einem solchen System keinen Platz, fallen aus dem Raster heraus, müssen als begriffsunmögliche Widersprüche ausgeschieden werden.

45

Vgl. G. Jellinek, System, S. 78 f.: „Das Dasein formeller subjektiver öffentlicher Rechte, die nicht bloss Reflexrechte sind, rechtfertigt sich ... aus dem allgemeinen Gesichtspunkte, dass nicht alle Rechtssätze ausschliesslich im Gemeininteresse gegeben sind. Es gibt vielmehr ein sehr ausgedehntes Gebiet von Rechtsnormen, die den überwiegenden Zweck haben, individuellen Interessen zu dienen". 46 Die Gleichsetzung öffentliches Interesse mit objektivem Recht findet sich deutlich etwa bei G. Jellinek, System, S. 69 f.: „Von jedem Satze des objektiven Rechts ist es nun selbstverständlich, dass er staatlichen Zwecken dienen muß, also im Gemeininteresse gegeben ist".

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen R e c h t s 4 7 3 Alle diese Schwierigkeiten lösen sich auf, wenn man die unzutreffenden Gleichsetzungen „subjektiv = privat" und „objektiv = öffentlich" aufgibt, die Begriffspaare subjektives - objektives Interesse und privates - öffentliches Interesse also nicht mehr identifiziert, sondern als das nimmt, was sie tatsächlich sind, nämlich Klassifizierungen unterschiedlicher Betrachtungsgegenstände. Die Frage nach der subjektiven bzw. objektiven Natur des Interesses betrifft etwas anderes als die nach nach dem privaten bzw. öffentlichen Interesse. Im ersteren Fall geht es um die Art des Schutzes: Ob ein Interesse als subjektives oder als objektives anzusehen ist, kann lediglich danach beurteilt werden, ob es durch subjektives oder objektives Recht geschützt wird. Im zweiten Fall hingegen bezeichnet das Begiffspaar die Art des Geschützten, je nachdem ob es sich um private oder öffentliche Interessen handelt. Somit entpuppt sich die Aussage, das subjektive öffentliche Recht sei „substantiell privatnützig" 47 , als unzutreffend: Jedes subjektive öffentliche Recht kommt zwar notwendig einem individuellen Berechtigten zugute, ist in diesem Sinne individualnützig 4*; doch ob das berechtigte Individuum ein Privater oder ein Hoheitsträger ist, ob das subjektive Recht also im Privatinteresse oder zur Verfolgung des Allgemeininteresses besteht, ist damit nicht vorweggenommen. Bleibt die Frage, welche Rechtssätze dem objektiven privaten Interesse entsprechen. Als Antwort ist auf diejenigen Rechtsnormen des objektiven Rechts zu verweisen, die Private lediglich reflexmäßig schützen, ohne daß diesen ein subjektives Recht darauf eingeräumt wäre 49. Denn durch solche Normen werden zwar private Interessen geschützt, dies aber in lediglich objektivrechtlicher Weise. Gibt es hiernach aber Rechtssätze, die subjektive private, objektive private und objektive öffentliche Interessen schützen, so läßt sich selbst auf der Grundlage der Interessentheorie mit ihrem Verständnis des subjektiven Rechts als rechtlich geschütztes Interesse nicht mehr begründen, weshalb die Existenz der vierten Kategorie, nämlich der subjektiven öffentlichen Interessen und damit subjektive Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt logisch ausgeschlossen sein sollte. Diese lassen sich vielmehr durchaus harmonisch in das gedankliche System einordnen, welches durch die Verknüpfung der Begriffspaare subjektiv/ objektiv bzw. privat/öffentlich gebildet wird, so daß es selbst unter Zugrundelegung der Interessentheorie nicht möglich ist, mittels einer Leugnung subjektiver Interessen von Trägern öffentlicher Gewalt diesen die Innehabung subjektiver Rechte aus begrifflichen oder logischen Gründen abzusprechen. 47

Masing, Mobilisierung, S. 107. Das heißt wohlgemerkt nicht, daß der Kreis der Berechtigten individualisierbar sein müßte (vgl. oben D.II.2.a). Individualnützigkeit in dem hier gemeinten Sinne ist gegeben, wenn das Recht je einzelnen Rechtssubjekten und nicht bloß der Allgemeinheit in abstracto zugute kommt, gleich welche Interessen die betreffenden Rechtssubjekte mit ihrem Recht verfolgen mögen. 49 Vgl. hierzu oben D.II.2.a und c. 48

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2. Der Gemeinwohleinwand Daß Träger öffentlicher Gewalt sowohl von ihrer Struktur und Konstitution als auch vom Begriff des subjektiven Rechts her derartige Rechte innehaben können, besagt fur sich allein noch nicht, daß sie dies ohne Gefahr fur das Gemeinwohl dürfen. Es bleibt vielmehr zu zeigen, daß die begriffliche und logische Möglichkeit subjektiver (öffentlicher) Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts auch einer normativ wertenden Betrachtung standhält und nicht dem normativen Verständnis der hoheitlichen Gewalt zuwiderläuft. Denn in der Tat bewirken subjektive Rechte in der Hand einzelner Träger öffentlicher Gewalt - und noch mehr natürlich ihrer Organe - eine gewisse Parzellierung des Allgemeininteresses, weil sich das subjektive Recht, soweit es inhaltlich reicht, auch gegen Mehrheitsentscheidungen durchzusetzen vermag. Während das (insbesondere grundrechtlich abgesicherte) subjektive öffentliche Recht des Privaten diesem gerade die Chance geben soll, seine Individualinteressen vorbehaltlich rechtmäßiger Eingriffe in sein Recht auch gegenüber den Allgemeininteressen durchzusetzen 50, könnte es seltsam anmuten, auch einzelnen Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts (bzw. gar ihren Organen) subjektive Rechte zuzuerkennen, scheint sie dies doch in die Lage zu versetzen, durch deren Ausübung eigene, dem Allgemeininteresse zuwiderlaufende Vorstellungen verfolgen zu können. Daß ein auf das Allgemeininteresse verpflichteter Träger öffentlicher Gewalt ein ihm die Verfolgung eines Partikularinteresses sogar gegen die Mehrheit ermöglichendes subjektives Recht innehaben kann, ist indes bei näherer Betrachtung aus zwei Gründen nur eine scheinbare Schwierigkeit.

a) Keine Antinomie von Partikular-

und Allgemeininteresse

Selbst wenn man konzediert, daß subjektive Rechte dem Berechtigten die Verfolgung seiner unter Umständen von der Mehrheitssicht divergierenden Partikularinteressen ermöglichen oder zumindest erleichtern, stellt der Gemeinwohleinwand mit seiner starken Betonung des Allgemeininteresses kein durchgreifendes Argument gegen subjektive Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt dar, weil überhaupt kein antinomischer Gegensatz zwischen dem Allgemeininteresse und derartigen Partikularinteressen bestehen muß. So wie objektives Recht reflexartig subjektive Interessen schützen kann, so kann nämlich umgekehrt die Ausübung eines subjektiven Rechts sehr wohl dem Gemeinwohl dienen, und in der Tat sieht der Gesetzgeber vielfach subjektive Rechte nicht zu50 Zu dem hier nicht näher zu erörternden Problem des Verhältnisses privater Individual· und öffentlicher Allgemeininteressen vgl. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 165 ff, 190 ff; Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 57 Rn. 53 ff, 78 ff.

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen R e c h t s 4 7 5 letzt deswegen vor, weil nicht selten „das Gemeininteresse gerade dadurch geschützt und befördert wird", daß einzelne Rechtssubjekte die betreffende Rechtsposition zugewiesen erhalten 51. Schon deshalb besteht kein „EntwederOder" von subjektivem Recht und öffentlichem Interesse52 und muß die Zuerkennung subjektiver Wahrnehmungszuständigkeiten an einzelne Träger öffentlicher Gewalt keine Abweichung vom objektiven Interesse der Allgemeinheit beinhalten53. Juristische Personen des öffentlichen Rechts brauchen „nicht nur Träger öffentlicher Interessen" zu sein, sondern „können vielmehr in dieser Eigenschaft auch Träger eigener Rechte sein", nämlich gerade um hierdurch „das Wohl der Allgemeinheit verteidigen" zu können, soweit dies in ihren Aufgabenund Kompetenzbereich gegenüber anderen Trägern öffentlicher Gewalt fallt 54 . Die Hinordnung aller Träger öffentlicher Gewalt auf das Gemeinwohl und die Sorge um das Allgemeininteresse erfordern nicht, ihnen generell subjektive Rechte abzusprechen. Nötig sind lediglich gewisse materiellrechtliche Bindungen der betreffenden Hoheitsträger bei der Ausübung und gegebenenfalls Geltendmachung ihrer subjektiven Rechte. Diesbezüglich ist zum einen auf ihre ohnehin bestehende und von der Rechtsaufsicht zu überwachende objektive Pflichtenbindung zu verweisen, die ihnen ganz generell ein gemeinwohlschädliches Handeln verbietet - dies gilt selbstverständlich auch hinsichtlich der Ausübung etwaiger subjektiver Rechte55. Zum anderen hängen die denkbaren Auswirkungen subjektiver Rechte sowieso primär von deren inhaltlichen Ausgestaltung und Reichweite ab, bei der allerdings Fragen des Gemeinwohles eine maßgebliche Rolle spielen56. Eine grundsätzliche Antinomie von subjektiver Rechtsausübung durch Träger öffentlicher Gewalt und Allgemeininteresse besteht aber jedenfalls nicht, und wenn das subjektive Recht entsprechend ausgestaltet ist, so kann seine Ausübung geradezu dem allgemeinen Wohle dienen. 51 G. Jellinek, System, S. 116; zustimmend Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 44; femer BVerwGE 87, 62, 72 f.; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 131; Κ Bauer, AöR 113 (1988), 595; vgl. BVerwGE 52, 122, 125 f.; Blankenagel, Die Verwaltung 1993, 6, 18. 52 BVerwGE 98, 118, 121; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 152; Ruthig, BayVBl. 1997, 294; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 531b; Schmidt, JuS 1999, 1110; Triantafyllou, DÖV 1997, 200; Tsatsos, Organstreit, S. 43 f.; vgl. auch Steiger, in FS Wolff, S. 400 f. - Die Betonung der beiden „Pole" des Einzel- und des öffentlichen Interesses, ja gar einer „Dichotomie zwischen einem drittgeschützten einzelnen einerseits und der Allgemeinheit andererseits" (Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 193, 197 f.), überzeichnet demgegenüber die Lage, da zwar ein solcher Interessengegensatz bestehen kann, aber nicht muß. 53 Vgl. BVerwG, ZfBR 2000, 204. 54 Vgl. BVerwG, DÖV 2000, 422, 423 in bezug auf die Gemeinden (Hervorhebung durch Verfasser). 55 Vgl. Lorenz,, AöR 93 (1968), 319 f.; Wolff Organschaft II, S. 247. 56 S. unten F.I.l.

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b) Das Allgemeininteresse als Resultante öffentlicher

Ρ artikular inter essen

Dem Gemeinwohleinwand liegt letztlich eine Vorstellung zugrunde, nach der alle mittels subjektiver Rechte realisierbaren Partikularinteressen notwendig privater Natur sein müssen und daher nur Privaten zustehen können, während auf der Seite der öffentlichen Hand das Allgemeininteresse walte, dem nur das objektive Recht gemäß sei und neben welchem die Annahme durch einzelne Träger öffentlicher Gewalt wahrnehmbarer öffentlicher Partikularinteressen ausscheide. Es überzeugt jedoch nicht, das Allgemeininteresse pauschal im Sinne eines objektiven Interesses zu verstehen, welches quasi losgelöst über den Trägern öffentlicher Gewalt schwebt, so daß die Verpflichtung auf dieses Allgemeininteresse keinen Raum mehr fur die Annahme subjektiver Interessen ließe. Zwar müssen alle Träger öffentlicher Gewalt stets das öffentliche Interesse verfolgen, aber dieses kann nicht als ein ungeteiltes und unteilbares allgemeines Interesse verstanden werden, mit dem sich die Akzeptanz öffentlicher Partikularinteressen nicht vertrüge 57. So wie der Staat als die übergeordnete verfaßte Rechtsgemeinschaft selber keine monolithische Einheit darstellt, sondern in zahlreiche selbständige und unselbständige Entitäten untergliedert ist, muß sich diese Parzellierung in einer (beschränkten) Partikularisierung öffentlicher Interessen widerspiegeln.

aa) Definitionsbedürftigkeit des Allgemeininteresses Das Allgemeininteresse, verstanden als das Interesse der Allgemeinheit und damit als das in einer Organisation zur Herrschaft gelangende Interesse, ist nur in eng begrenztem Rahmen a priori vorgegeben. Zweifellos gibt es in allen Organisationen gewisse fundamentale, sich aus der Natur der Sache ergebende Allgemeininteressen, deren Verwirklichung Voraussetzung und Bedingung für die Verfolgung aller übrigen Allgemeininteressen ist und insofern Vorrang beansprucht 58. Beispielsweise ist in aller Regel ein Interesse der Organisation an ihrem Fortbestand anzunehmen, obschon selbst dieses keineswegs absolut gilt, insofern es nämlich unter Umständen Gründe für eine Organisation geben mag, sich aufzulösen oder jedenfalls ihren Untergang hinzunehmen. Auch Zielvorgaben wie die Funktionsfähigkeit der Organisation lassen sich nur in sehr begrenz57 Zum Bestehen öffentlicher Partikularinteressen Bethge, Die Verwaltung 1975, 463; ders., DVB1. 1980, 313; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 40 Rn. 31; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 64; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 97; Tsatsos, Organstreit, S. 29; eingehend Puffert, DÖV 1998, 899 ff.; ähnlich Kisker, Insichprozeß, S. 39 („verselbständigte Gemeinwohlperspektive" anstelle eines „legitimen Partikularinteresses"); a.A. Hoppe, NJW 1980, 1021. 58 Steiger, in FS Wolff, S. 402 f.; vgl. Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 57 Rn. 44 ff.

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts

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tem Maße als apriorisch fixes Allgemeininteresse verstehen, da es gewisser anderer Ziele willen (z.B. gegenseitige Kontrolle, Verhinderung von Machtmißbrauch) sehr wohl rational sein kann, auf die ausschließliche Optimierung der Verfahrensabläufe zu verzichten 59. Schon der Umstand, daß Organisationen wie insbesondere der Staat eine solche Vielzahl von Zielen verfolgen, daß einzelne davon nachgerade zwangsläufig miteinander kollidieren müssen und es daher diesbezüglich erst noch konkreter Abwägung und Festlegung bedarf 0 , welche der konfligierenden Interessen und Ziele wie weit, mit welchen Mitteln und zu welchem Preis verfolgt werden sollen 61 , ist Grund zur Skepsis, sich nicht leichthin auf „das" Allgemeininteresse zu berufen 62. Allgemeininteressen sind jedenfalls ganz überwiegend nicht apriorisch vorgegeben. Statt dessen konkurrieren verschiedene Gemeinwohlkonzeptionen miteinander 63, und solchenfalls bedarf es der Festlegung, was als das Allgemeininteresse einer bestimmten Organisation angesehen werden soll 64 . Als Allgemeininteresse wird in der repräsentativen Demokratie dasjenige anerkannt, was die jeweils zuständigen Organe (im Mehrheitswege) als Allgemeininteresse definieren 65. An oberster Stelle stehen hierbei die vom Verfassungs(gesetz)geber in der Verfassung, sodann die vom Parlament qua Mehrheitsbeschluß in Gesetzesform formulierten Gemeinwohlbelange, weiter die von der Regierung festgelegten Politikziele, und so fort. Solange sie nicht einem auf höherer Ebene verbindlich festgesetzten Gemeinwohlinteresse widersprechen, können daher alle öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen durch ihre Organe im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen entscheiden, was für sie und ihren Bereich als Allgemeininteresse gelten soll 66 . Eine inhaltliche Kontrolle rechtlicher Art, ob das hiernach bestimmte Allgemeininteresse „objektiv" oder a 59 Vgl. in diesem Zusammanhang die bereits oben A.I.3.a. erwähnten Vorteile eines Organpluralismus. 60 Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 183 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 471 ff; Steiger, in FS Wolff, S. 403; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 29 Rn. 8 f. 61 Roth, Faktische Eingriffe, S. 471. 62 Bleckmann, Staatsrecht 1, Rn. 186. 63 Kisker, Insichprozeß, S. 21. 64 Vgl. Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 131; Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 57 Rn. 53; Roth, Faktische Eingriffe, S. 470 f.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 72. 65 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 471 f.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 203 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 29 Rn. 9. Bei der Festlegung des Allgemeininteresses müssen die zuständigen Körperschaftsorgane natürlich auch dieförderungswürdigen Interessen der Körperschaftsangehörigen berücksichtigen. Gleichwohl bleibt das so definierte öffentliche Interesse immer wesensverschieden von jenen privaten Individualinteressen. Deshalb können z.B. Gemeinden als Sachwalter des öffentlichen Interesses nicht subjektive Rechte ihrer Bürger geltend machen, BVerwGE 84, 209, 213; OVG Koblenz, NVwZ 1987, 71; VGH Mannheim, GewArch 1999, 412 f.; VGH München, NVwZ 1986, 679.

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priori „richtig" ist, findet nicht statt; es handelt sich hierbei in den Grenzen der Verfassung um eine politische Entscheidung 61, und es obliegt letztlich allein dem Volk als Souverän, die in Gesetzen manifestierten und politisch definierten Gemeinwohlkonzepte in Wahlen und Abstimmungen gutzuheißen oder zu verwerfen. Insofern ist daher schon das Allgemeininteresse selbst gewissermaßen subjektiver Natur, formuliert nämlich durch die jeweils zuständigen Organe der betreffenden Organisationen.

bb) Öffentliche Partikularinteressen Daß das Allgemeininteresse nicht apriorisch vorgegeben ist, sondern jeweils der Festlegung bedarf, hat besondere Bedeutung für untergliederte Gemeinwesen, wie namentlich die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Untergliederung in Bund, Länder, Gemeinden und sonstige Körperschaften sowie Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Die erforderliche Festlegung des Allgemeininteresses ist nämlich nur innerhalb und für jeden dieser Träger öffentlicher Gewalt möglich und von daher notwendig partikular. Je nach der Stufung und Untergliederung der jeweiligen Hoheitsträger gibt es daher Stufungen und Untergliederungen des Allgemeininteresses. Insofern gibt es nicht „das" Allgemeininteresse, sondern je nach Blickwinkel und Organisationsstufe unterschiedliche, je demokratisch legitimierte und legitime Allgemeininteressen 68. So legen etwa die Bundesorgane das Gemeinwohl auf Bundesebene fest. In diesem Rahmen jedoch legen die Landesorgane für ihre jeweiligen Länder fest, was dort als dem Gemeinwohl dienend angesehen werden soll, so daß verschiedene Länder legitimerweise divergierende Gemeinwohlvorstellungen vertreten können. Dasselbe gilt nun für sämtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen: Im Rahmen etwaiger verbindlicher Vorgaben sind sie sowohl befugt als auch verpflichtet, ihre je eigenen, für ihren jeweiligen Bereich und ihre Angehörigen geltenden Gemeinwohlvorstellungen zu entwickeln und zu realisieren. Gewiß gibt es in diesem Geflecht von Allgemeininteressen und Gemeinwohlvorstellungen wechselseitige Treue- und Rücksichtnahmepflichten. Beispielsweise sind die Länder untereinander sowie gegenüber dem Bund dem Gedanken der Bundestreue verpflichtet 69, Gemeinden müssen sich sowohl ihrem Land als auch dem Bund gegenüber

67 Roth, Faktische Eingriffe, S. 471, 473; vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 320; ferner BVerfGE 59, 231,263. 68 Vgl. Böckenförde, in FS Wolff, S. 302; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 133 f., 150; Groß, Kollegialprinzip, S. 172 f.; Ruffert, DÖV 1998, 900; Steiger, in FS Wolff, S. 398 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 29 Rn. 10. 69 Zur Bundestreue vgl. BVerfGE 1, 117, 131; 1, 299, 315; 8, 122, 128 ff.; 81, 310, 337; 86, 148, 211 f.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 268 ff.; Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 29 ff.

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen R e c h t s 4 7 9 loyal verhalten 70, ferner Rücksicht auf die (Planungs)Belange ihrer Nachbargemeinden nehmen71, usw. Hierdurch wird aber nur ein sehr weiter (verfassungs)rechtlicher Rahmen gezogen, und innerhalb desselben obliegt es der Entscheidung der jeweils berufenen Organe, was sie für ihre Organisation als deren Gemeinwohl ansehen wollen. Dies kann mit den Ansichten anderer koinzidieren, muß es aber nicht. Ob beispielsweise ein Land eine die Wirtschaftspolitik des Bundes unterstützende oder eine von dieser abweichende, wenn nicht gar eine diese konterkarierende Wirtschaftspolitik betreibt, ist keine Frage eines irgendwie übergeordneten Allgemeininteresses, sondern der jeweils für richtig erachteten und mehrheitsfahigen Politik.

Die Entscheidung, welche von mehreren miteinander konkurrierenden, womöglich gar konfligierenden Gemeinwohlvorstellungen durchzusetzen ist, ist deshalb keine Frage der Allgemeinheit des angenommenen Interesses, sondern allein der Kompetenz72. Von daher läßt sich sagen, daß es nicht das eine Allgemeininteresse gibt, sondern daß dieses als Resultante der vielen von den zahlreichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (und für diese von ihren je zuständigen Organen) jeweils für ihren Bereich festgelegten Allgemeininteressen entsteht 73. Was aus der Sicht einer Untergliederung aufgrund des engeren Bezugsrahmens für diese als Allgemeininteresse erscheint, ist aus der Sicht des übergeordneten Ganzen infolge des weiteren Bezugsrahmens ein bloßes Partikularinteresse. Es ist aber wichtig zu sehen, daß es sich hierbei, sofern nur die untergeordnete Einheit ihr Eingegliedertsein nicht vergißt und das Mindestmaß geschuldeter Treue gegenüber den anderen Untergliederungen sowie der Gesamtheit übt, um ein völlig legitimes öffentliches Partikularinteresse handelt, das auch aus Sicht der Gesamtheit nicht im Gegensatz zu seinem Allgemeininteresse steht, sondern in dieses einfließt und dasselbe mit konstituiert. Die verschiedenen legitimen öffentlichen Partikularinteressen sind nichts dem Allgemeininteresse Entgegengesetztes, sondern vielmehr sind sie ein unverzichtbares Element bei der Konzipierung der Gemeinwohlvorstellung insgesamt. Das Allgemeininteresse als das Interesse einer horizontal und vertikal ge- und untergliederten Gemeinschaft ist kein allgemeines Interesse, das neben sich keine partikularen Interessen zuließe, sondern vielmehr letztlich ausschließlich die Resultante öffentlicher Partikularinteressen.

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Vgl. BVerfGE 8, 122, 137. Vgl. BVerwG, NVwZ 1990, 464, 465; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 170. 72 Vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 169 f.; Bleckmann, DVB1. 1986, 667; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 136; Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 57 Rn. 88. 73 Vgl. Bernatzik, AöR 5 (1890), 270; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 134 ff; Wolff, Organschaft II, S. 247. 71

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte c) Gemeinwohlabsicherung durch subjektive Rechte

Die Annahme subjektiver Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt verträgt sich nach dem Vorstehenden nicht nur sehr wohl mit der Leitidee des Gemeinwohles, vielmehr kann das subjektive Recht geradezu das beste Instrument sein, das der Gesetzgeber einzusetzen vermag, jenes Allgemeininteresse zu realisieren. Denn das subjektive Recht gibt den Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ein wirkungsvolles Mittel in die Hand, das von ihnen im Rahmen ihrer Kompetenz für ihren Bereich definierte öffentliche Partikularinteresse selbständig ausüben sowie (sofern vorgesehen auch gerichtlich) geltend machen und dadurch bei der Herausbildung des Allgemeininteresses effektiv mitwirken zu können. Auf diese Weise wird eine interne Machtbalance solcher Partikularinteressen gewährleistet 74, da die Durchsetzung legitimer Partikularinteressen im Konfliktsfall nicht mehr (nur) von den politischen Kräfieund Mehrheitsverhältnissen abhängt, sondern rechtlich - und das heißt im Regelfall gerichtlich - abgesichert ist. Im Ergebnis ist hiernach festzuhalten, daß die Zuerkennung subjektiver Rechte an einzelne Träger öffentlicher Gewalt keinen Widerspruch zu der Idee ihrer Gemeinwohlverpflichtung darstellt. Im Gegenteil kann die Gewährung derartiger Rechte ein Mittel des Gesetzgebers sein, öffentliche Partikularinteressen der verschiedenen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen rechtlich zu sanktionieren und ihnen die Möglichkeit einer eigenständigen Ausübung und Geltendmachung ihrer Partikularinteressen zuzuweisen75, um auf diese Weise die kompetenzordnungsgemäße Herausbildung des Gemeinwohles des übergeordneten Ganzen abzusichern.

3. Der Verzichtbarkeitseinwand Ein weiterer Einwand gegen die Zuerkennung subjektiver Rechte an Träger öffentlicher Gewalt besteht in der fehlenden Verzichtbarkeit hoheitlicher Kompetenzen76. In der Tat können Träger öffentlicher Gewalt auf die ihnen gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen nicht verzichten 77, und zwar weder in einer 74

Vgl. dazu näher unten F.II. 1 .a.dd. Vgl. BVerwG, DÖV 2000, 422, 423; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 137; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 97; Wahl/Schütz, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 96. 76 So Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 909; Böckenförde, in FS Wolff, S. 302 f.; Lower , in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 9. 77 Vgl. VGH Kassel, DÖV 1998, 1019 f.: eine nach der Gemeindeordnung dem Magistrat übertragene Befugnis, Personen in den Aufsichtsrat einer Gesellschaft zu entsenden, kann nicht durch den Gesellschaftsvertrag an einen Vorschlag des Gemeinderats 75

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen R e c h t s 4 8 1 zum rechtlichen Verlust der Kompetenz führenden, sozusagen derilinquierenden Art, noch auch nur i m Sinne eines Verzichts auf die Ausübung ihrer K o m petenzen. Insofern erscheinen diese Kompetenzen wie objektives Recht, auf das natürlich niemals „verzichtet" werden kann, weil dieses ausschließlich der Verfügungsgewalt der Rechtsgemeinschaft unterliegt und daher der Verfügbarkeit seitens einzelner Rechtssubjekte entzogen ist. Indessen ist die Verzichtbarkeit kein Wesensmerkmal des subjektiven Rechts 7 8 , j a es kann sogar eine Rechtspflicht zur Ausübung eines innegehabten Rechts bestehen 79 . Zwar kann über subjektive Rechte zumeist in Gestalt eines Verzichts verfügt werden, zumindest in der schwächeren Form eines Ausübungsverzichts. Dennoch sind keineswegs alle subjektiven Rechte verzichtbar. Als Gegenbeispiel ist zunächst auf die Grundrechte zu verweisen, die unstreitig subjektive Rechte sind, auf die aber gleichwohl niemand verzichten kann, und selbst ein (teilweiser) Verzicht auf ihre Ausübung scheidet bei den Grundrechten auf Achtung und Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), auf das Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) und die Freiheit von Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) aus niemand kann den Staat ermächtigen, ihn menschenunwürdiger Behandlung zu unterziehen, seines Lebens zu berauben, willkürlich zu benachteiligen; ein solcher „Verzicht" wäre wirkungslos und unbeachtlich80. Unverzichtbar sind femer die staatsbürgerlichen Rechte. Zwar kann von der Ausübung z.B. des Wahlrechts abgesehen werden; denkt man jedoch an die Möglichkeit einer gesetzlichen Wahlpflicht, so wäre selbst der Verzicht auf die Ausübung des Wahlrechts ausgeschlossen und doch bliebe das Wahlrecht immer noch ein subjektives Recht81. Unverzichtbar sind femer etwa der Anspruch des Abgeordneten auf seine Diäten 82 (§31 S. 1 AbgG) und des Beamten auf seine Besoldung (§ 2 Abs. 3 BBesG). Schließlich sind selbst dem Zivilrecht Fälle unverzichtbarer subjektiver Rechte bekannt, wobei hier als das Standardbeispiel nur das Sorgerecht der Eltern genannt sei, welches zugleich Pflicht und damit unverzichtbar ist (vgl. Art. 6 Abs. 2 GG, § 1626 Abs. 1 BGB) 83 .

gebunden werden; femer Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72 IV a 2; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1, § 41 Rn. 11. 78 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 96; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 42; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 55; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 159 f., 163; Pietzcker, Der Staat 1978, 533; v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 421; Schenke, Rechtsschutz, S. 234 f.; Wolf, WissR 1970, 203; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1, §43 Rn. 81 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 47 f.; a.A. Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 47. 79 Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438 f.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 80. Zu den Bedingungen und der Reichweite eines etwa zulässigen Verzichts auf (die Ausübung der) Grundrechte vgl. Pietzcker, Der Staat 1978, 527 ff.; Robbers, JuS 1985, 926 ff.; Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 239 ff; Stern, Staatsrecht III/2, § 86 II 6; Sturm, in FS Geiger, S. 183 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 82. 81 Vgl. Fleiner, Institutionen, S. 179 Fn. 46; G. Jellinek, System, S. 184. 82 Vgl. G. Jellinek, System, S. 171. 33 Roth

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Bei genauer Betrachtung vermengt der Verzichtbarkeitseinwand zwei Ebenen: Die Innehabung eines subjektiven Rechts bedeutet lediglich, daß der Berechtigte eine anerkannte Ausübungs- und Geltendmachungszuständigkeit vis-àvis dem durch dieses subjektive Recht Verpflichteten besitzt. In einer ausschließlichen Relation Berechtigter - Verpflichteter wäre es allerdings regelmäßig nicht begründbar, weshalb der Berechtigte nicht auf sein Recht verzichten können sollte. Indessen kann der Berechtigte sehr wohl, ohne dadurch seine subjektive Rechtsposition gegenüber dem Verpflichteten einzubüßen, seinerseits subjektivrechtlich einem Dritten, in besonderen Fällen gar dem Verpflichteten selbst84 oder objektivrechtlich der Rechtsgemeinschaft verpflichtet sein, sein subjektives Recht gegenüber dem Verpflichteten auszuüben85. Deshalb kann ihm die Befugnis oder gar die Fähigkeit ermangeln, auf sein Recht zu verzichten, ohne daß dieses dadurch seinen subjektivrechtlichen Charakter verlöre. Daß einen Träger öffentlicher Gewalt eine (objektive) Rechtspflicht trifft, seine Kompetenzen auszuüben, rechtfertigt daher nicht den Schluß, diese könnten keine subjektiven Rechte darstellen 86.

4. Der Willküreinwand Ausgesprochen oder unausgesprochen ergibt sich die Verneinung subjektiver Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts mitunter aus dem Unbehagen, das sich aus der Assoziation des subjektiven Rechts mit einer Vorstellung von Willkürlichkeit ergibt. Wer beim subjektiven Recht die Vorstellung mit-

83 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 96; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT 1/2, S. 1438 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 160; darauf wies schon v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 421 hin. 84 Beispielsweise hat ein minderjähriges Kind einen Anspruch gegen seine Eltern auf Ausübung der elterlichen Sorge (§ 1626 Abs. 1 BGB), und zwar unbeschadet dessen, daß die Eltern dann in Ausübung dieser Sorge auch Rechte gegenüber dem Kind haben (z.B. Erziehungs- und Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1631 Abs. 1 BGB). Ein Widerspruch ist in derartigen wechselseitigen Verpflichtungen ebensowenig wie bei synallagmatischen Verträgen zu sehen, da die jeweiligen Pflichten auf unterschiedliche Gegenstände gerichtet sind. Vgl. Fleiner, Institutionen, S. 179; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 215; Schenke, Rechtsschutz, S. 235; ferner BVerfGE 8, 122, 138. 86 So bereits BayVGH a.F. 36 (1915), 233, 235 f.: Die Teilnahme des Magistratsmitglieds an den Beratungen und Abstimmungen ist zwar „dienstliche Pflicht" desselben. „Daraus darf aber nicht gefolgert werden, daß der Gesetzgeber die Abstimmungsbefugnis der Magistratsmitglieder nur im öffentlichen Interesse einfuhren wollte". Vielmehr ist „deren Befugnis zur Stimmabgabe als einer wesentlichen und besonders wichtigen Äußerung ihres amtlichen Lebens zum eigenen Rechte der Amtsträger" erhoben.

I. Subjektive Rechte juristischer Personen des öffentlichen Rechts

483

denkt, der Inhaber dürfe mit seinem Recht nach freiem Belieben verfahren 87, muß angesichts der „Pflichtenpriorität" der Kompetenzausübung allerdings vor der Annahme zurückschrecken, eine solche Befugnis solle auch Trägern öffentlicher Gewalt in Gestalt subjektiver Rechte eingeräumt werden 88. Indessen geht eine solche Vorstellung fehl. Denn dem Begriff des subjektiven Rechts ist dessen willkürliche Ausübbarkeit nicht wesenseigen89. Selbst in bezug auf die subjektiven Rechte Privater gibt es zahlreiche Beispiele rechtlicher Pflichtenbindungen, die dem Berechtigten eine willkürliche Ausübung seiner Rechte verwehren. So versteht sich etwa, daß das elterliche Erziehungsrecht nicht willkürlich, sondern als „Pflichtrecht" 90 in Ausrichtung auf das Kindeswohl auszuüben ist (vgl. § 1626 Abs. 2 und 3, § 1627 BGB). Und wem ein Leistungsinhaltsbestimmungsrecht zusteht, muß dies im Zweifel nach billigem Ermessen ausüben (§315 Abs. 1 BGB), was nicht zuletzt dem Direktionsrecht des Arbeitgebers eine Willkürgrenze zieht91. Schließlich ist noch ganz allgemein auf das Schikaneverbot (§ 226 BGB) und den übergreifenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verweisen, welche auch im Verhältnis zwischen Privaten gewisse Grenzen willkürlicher Rechtsausübung ziehen. Noch mehr gilt ein solches Willkürverbot in Ansehung subjektiver privater Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt, die auch dort, wo sie privatrechtlich handeln, jedenfalls nicht willkürlich agieren dürfen, und zudem je nach Tätigkeitsfeld mehr oder minder strengen Bindungen an die Grundrechte unterliegen92.

Hiernach mag es zwar Unterschiede hinsichtlich der Art und Weise geben, wie Private respektive Träger öffentlicher Gewalt ihre subjektiven Rechte ausüben dürfen oder müssen. Diese Unterschiede liegen jedoch nicht im Wesen des subjektiven Rechts begründet, sondern ergeben sich aus der Stellung des Rechtsinhabers, namentlich der spezifischen öffentlich-rechtlichen Pflichtenstellung der Träger öffentlicher Gewalt. Trägerbezogene Pflichtigkeiten in den Begriff des subjektiven Rechts hineinzuziehen, wäre deshalb nicht nur unangemessen und unzweckmäßig, sondern würde eine Vermengung der Begriffsebenen darstellen. Der Gesichtspunkt einer willkürlichen Handhabbarkeit ist deshalb kein Argument gegen die Annahme, daß Träger öffentlicher Gewalt Inhaber subjektiver Rechte sein können. Vielmehr steht der Umstand, daß sich aus der

87

Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 138; Wahl, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 120. 88 So Krebs, Jura 1981, 575; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 120; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 92; vgl. C. Arndt, AöR 87 (1962), 209. In diese Richtung auch Bethge, DVB1. 1980, 314, 825, der zwar Organen subjektive Rechte zuerkennt, diesen aber im Hinblick auf ihre Pflichtigkeit und fehlende Beliebigkeit eine „andere Natur" zuspricht als subjektiven Rechten des Außenrechtskreises. 89 Vgl. Henke, JZ 1992, 543; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 387; ders., Rechtsschutz, S. 234. 90 BGH, NJW 1974, 1947, 1949. 91 S. hierzu bereits oben C.III.5.b. 92 S. oben E.I.I.e.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

besonderen Pflichtenstellung aller Träger öffentlicher Gewalt zahlreiche Einschränkungen hinsichtlich der Art und Weise der Ausübung ihrer Rechte ergeben 93 , der Annahme, daß sie subjektive Rechte haben können, ebensowenig entgegen wie deren Unverzichtbarkeit 94.

5. Ergebnis Als Zwischenergebnis auf dem Weg zur Anerkennung subjektiver Organrechte kann festgehalten werden, daß nach dem in dieser Arbeit geklärten subjektiven Rechtsbegriff und in Einklang mit der herrschenden Meinung 95 keine Bedenken bestehen, auch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver öffentlicher Rechte anzuerkennen. Die gegen diese These erhobenen Bedenken haben sich demgegenüber als unbegründet erwiesen. Wann und in welchem Umfang einem Träger öffentlicher Gewalt tatsächlich ein subjektives Recht zusteht, kann hier nicht näher untersucht werden 96 , da es im Zusammenhang mit den Organstreitigkeiten allein um die subjektiven Rechte ihrer Organe und Organteile geht, was gänzlich verschiedene Probleme aufwirft wie die Frage, wann einem Träger öffentlicher Gewalt in seinem Verhältnis zu anderen Trägern öffentlicher Gewalt bzw. zu den Bürgern subjektive Rechte zustehen97.

93

Vgl. Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 138 f. Vgl. VGH München, VRspr 1, 198, 201. 95 Vgl. etwa H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 173; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 65; Bleckmann, DVB1. 1986, 666; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 46; Henke, JZ 1992, 543; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 11; Peine, AllgVerwR, Rn. 79; Schenke, Rechtsschutz, S. 232 ff; ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 387; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 97; Scherzberg, DVB1. 1988, 131; Thoma, HdbDStR II, S. 623; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 203 f. 96 Vgl. hierzu etwa Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 387 ff; ders., Rechtsschutz, S. 238 ff. 97 Zu den Kriterien, nach denen sich die Subjektivierung von Recht allgemein richtet, und die insofern auch für die subjektiven Rechte von Trägem öffentlicher Gewalt von Bedeutung sind, allgemein unten F.I. 94

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte Mit der vorstehenden Feststellung, daß Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Inhaber subjektiver Rechte sein können, ist eine wichtige Hürde genommen, dieselbe Fähigkeit auch ihren Organen bzw. Organteilen zuschreiben zu können. Denn wäre juristischen Personen des öffentlichen Rechts jede Innehabung subjektiver Rechte abzusprechen, so hätte sich ohne weiteres der Schluß aufgenötigt, daß ihre Organe erst recht keine subjektiven Rechte innehaben können. Die Umkehrung gilt indessen nicht: Daß eine juristische Person subjektive Rechte haben kann, beweist nicht, daß ihre Organe oder gar Organteile dieselbe Fähigkeit besäßen. Nachdem gegen die Annahme objektivrechtlicher Beziehungen zwischen Organen bzw. Organteilen derselben juristischen Person keine Bedenken zu erheben sind1, bleibt nachzuweisen, daß ebensowenig Einwände gegen die Annahme swfy'etóvrechtlicher Beziehungen bestehen. Auch hier verdient zunächst festgehalten zu werden, daß die Annahme einer solchen subjektivem Berechtigung nicht an Wesen und Merkmalen des subjektiven Rechts scheitern würde: Das subjektive Recht wurde als die durch eine Rechtsnorm zugewiesene subjektive Zuständigkeit zur grundsätzlich ausschließlichen Ausübung und Geltendmachung des betreffenden Rechts beschrieben, wobei sich der ausübungsfähige Gehalt des Rechts nach der ihm zugrunde liegenden Rechtsnorm und seinen etwaigen weiteren Entstehungsgründen bestimmt2. Es weist damit keine Charakteristika auf, die es als ausgeschlossen erscheinen ließen, auch Organe und sogar Organteile als Inhaber subjektiver Rechte anzuerkennen. Durch Rechtssatz kann der Gesetzgeber jedem Rechtssubjekt die ausschließliche Zuständigkeit zur Ausübung und Geltendmachung eines Rechts zuweisen, sofern nur das betreffende Rechtssubjekt dieses Recht in sinnvoller Weise selbst oder durch (gesetzliche) Vertreter wahrnehmen kann. Das ist bei Organen und Organteilen der Fall. Sie verfügen über Organwalter und sind daher qua Anrechnung des Verhaltens ihrer Organwalter sowohl willens- als auch handlungsfähig, so daß eine zugewiesene Ausübungs- und Geltendmachungszuständigkeit nicht bloß theoretisch bliebe, sondern praktisch realisiert werden kann, indem nämlich die Organwalter die subjektiven Rechte

1 2

S. oben C.II.l.b und C.II.4. S. oben D.III.3. und 4.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

des Organs bzw. Organteils für dasselbe ausüben und erforderlichenfalls geltend machen würden. Die gegen die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen erhobenen Einwände beruhen denn auch im allgemeinen weniger auf einer damit per se unverträglichen Vorstellung vom subjektiven Recht. Vielmehr wird ihre vermeintliche Unmöglichkeit aus der spezifischen Stellung des Organs bzw. Organteils abgeleitet. Nachdem der Interesseneinwand bereits in bezug auf Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts widerlegt und ferner gezeigt wurde, daß weder die Ausrichtung aller Tätigkeit der öffentlichen Gewalt am Gemeinwohl noch die Unverzichtbarkeit oder das Verbot willkürlicher Ausübung der Annahme subjektiver Rechte entgegenstehen3, läßt sich immerhin festhalten, daß jedenfalls diese topoi nicht taugen, Organen oder Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts subjektive Rechte abzusprechen. Eine solche These läßt sich an dieser Stelle nur noch mit spezifisch auf Organe und Organteile gemünzten Bedenken verfechten, und die Aufgabe besteht darin, auch diese Bedenken auszuräumen.

1. Keine Aufspaltung der Staatsgewalt Ein vor allem in der älteren Literatur erhobener Einwand gegen die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen beruhte auf der Perhorreszierung einer dadurch bewirkten „Aufspaltung" der Staatsgewalt: „Staatliche Kompetenzen als eigenes Recht ... bedeutet entweder eine Zerreißung des Staates oder Behauptung einer Rechtsordnung über dem Staate"4. Deshalb wurde gegen die Annahme subjektiver Rechte von Behörden vorgebracht, die Staatsgewalt sei „nicht geteilt unter die Behörden, so daß jeder der letzteren ein ihrer Kompetenz entsprechender Anteil an der Staatsgewalt zustünde, sondern die Behörden sind nur Apparate des Staates, mittelst deren er seine Staatsgewalt ausübt"5. Bei rechter Betrachtung widerspricht indessen das eine dem anderen nicht. Der Aufspaltungseinwand beruht auf einer überschießenden Vorstellung von dem Inhalt dessen, worauf subjektive Rechte von Organen überhaupt gerichtet sein können; als Einwand gegen eine zu weit reichende Zubilligung subjektiver Rechte an Organe läßt er sich zwar hören, bei der angezeigten Begrenzung entfällt dagegen seine Basis.

3

S. oben E.I. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561. 5 Laband, Staatsrecht I, S. 366; ferner Anschütz, Kritische Studien, S. 74 f.; Bernatzik, AöR 5 (1890), 205 ff.; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 447 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561. 4

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als Inhaber subjektiver Rechte

a) Das subjektive Recht des Organs an seinen Kompetenzen Organe und Organteile bleiben ihrem Wesen nach stets transitorische Wahrnehmungseinheiten ihrer Organisation 6. Ihre subjektive Berechtigung kann daher allenfalls eine spezifisch organ- und organisationsbezogene sein, welche von vornherein keine potentiell umfassende Befähigung meint, Inhaber sämtlicher subjektiver Rechte sein zu können. Als subjektive Rechte eines Organs kommen nur ganz spezifische Rechtspositionen in Betracht, die sich aus der wesensmäßigen Bezogenheit des Organs oder Organteils auf seine Kompetenzen ergeben, jenseits welcher das Organ als Organ gar nicht existiert. Der sachliche Gegenstand etwaiger subjektiver Rechte von Organen und Organteilen ist aus diesem Grund von vornherein dahin beschränkt, daß ihnen ausschließlich subjektive Rechte an ihren Kompetenzen zustehen können, sich also ihre subjektiven Rechte inhaltlich mit den ihnen durch Organisationsakt eingeräumten Kompetenzen decken. Als Kompetenz eines Organs wurde in einem weiten Sinn die Gesamtheit seiner funktionellen Merkmale bezeichnet7, d.h. seine sämtlichen internen Entscheidungszuständigkeiten und Verfahrensbefugnisse. Für die Untersuchung, inwieweit Kompetenzen subjektive Rechte der betreffenden Organe darstellen können, muß nun genau unterschieden werden, worauf sich das subjektive Recht in seinem Verhältnis zur Kompetenz beziehen soll. Diesbezüglich lassen sich drei Ansatzpunkte unterscheiden, nämlich die Frage erstens nach einem Recht aus der Kompetenz, zweitens nach einem Recht auf die Kompetenz, drittens nach einem Recht an der Kompetenz8; es wird sich zeigen, daß nur letzteres als Gegenstand subjektiver Rechte eines Organs in Betracht kommt.

aa) Keine Rechte aus der Kompetenz Bei der Frage nach einem Recht aus der Kompetenz geht es darum, ob ein Organ ein subjektives Recht auf diejenigen Wirkungen besitzt, die es aufgrund der ihm zugewiesenen Kompetenzen herbeizufuhren vermag. So fragt sich beispielsweise bei Rechtssätzen oder Verwaltungsakten, ob das Organ, das kompetenzordnungsgemäß für deren Erlaß zuständig war, hinterher ein subjektives Recht gegenüber dem Adressaten hat, daß dieser die ihm damit auferlegte Rechtspflicht erfülle. Von einem Recht aus der Kompetenz könnte dieserhalb gesprochen werden, weil das betreffende Recht dem fraglichen Organ solchen-

6

S. oben A.I.2.b.aa. S. oben A.I.3.b. 8 Im Ansatz ähnliche, in der konkreten Klassifizierung allerdings deutlich abweichende Differenzierungen finden sich bei Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 173 ff.; Stern/ Bethge, Rechtsstellung, S. 95; Wolff, Organschaft II, S. 272 ff. 7

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

falls als Folge seiner Kompetenzausübung zuwüchse und in diesem Sinne „aus" der Kompetenz entspränge. In Einklang mit dem ganz herrschenden Verständnis sind subjektive Rechte aus der Kompetenz abzulehnen9. Dies folgt aus dem Wesen der den Organen zugedachten lediglich transitorischen Wahrnehmungszuständigkeit. Diese kombiniert die Beziehungen der juristischen Person zu Außenstehenden einerseits mit dem funktionellen Verhältnis der Organe zur juristischen Person andererseits, und in diesem Dreiecksverhältnis tritt allein die juristische Person mit eigenen Befugnissen und Pflichten dem Bürger gegenüber auf. So handeln Behörden für den Staat, ohne dem Bürger gegenüber eigene Rechte in Anspruch zu nehmen: „Subjektive Rechte und Pflichten bestehen nur zwischen dem Staat und dem Einzelnen, nicht aber zwischen einer Behörde und dem Einzelnen" 10 . Mißachtet letzterer also geltende Rechtsvorschriften oder in Gestalt von Verwaltungsakten erlassene Anordnungen einer Behörde, so verletzt er nicht die Behörde, sondern vielmehr deren Rechtsträger in dessen hoheitlichem Gehorsams» und Befolgungsanspruch 11, also den Staat oder die sonstige öffentlichrechtliche Körperschaft, Anstalt oder Stiftung. Das in der konkreten Situation möglicherweise gegebene faktische Interesse der Behörde an der Beachtung der von ihr erlassenen Anordnungen oder materiellen Gesetze ist rechtlich identisch mit dem Interesse des Hoheitsträgers an der Befolgung des Verwaltungsakts bzw. der Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen12, und kommt daher nicht gesondert in Anschlag. Ob man bei diesem allgemeinen Gehorsams- und Normbefolgungsanspruch von einem subjektiven Recht sprechen kann, ist strittig 13 ; soweit man dies bejahte, stünde es jedenfalls der jeweiligen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu, und nicht deren Organen. Selbst wenn die Behörde gesetzlich zu Zwangsmaßnahmen ermächtigt ist, rechtmäßiges Handeln zu erzwingen, dann nicht, um ihr Recht zu verwirklichen, sondern um das Recht des Staates willen, nimmt damit also kein Recht aus der Kompetenz in Anspruch.

9

Vgl. Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 452. Anschütz, Kritische Studien, S. 74; vgl. BVerwGE 31, 263, 267; 45, 207, 209; a.A. Haenel, Das Gesetz, S. 232. 11 Zur allgemeinen Gehorsamspflicht im allgemeinen Gewaltverhältnis sowie der Rechtsnatur hoheitlicher Weisungen oben C.III.4. 12 BVerwGE 19,269,271. 13 Verneinend BVerwGE 19, 269, 271; differenzierend Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 387 ff. 10

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bb) Keine Rechte auf die Kompetenz Die Frage nach einem Recht auf die Kompetenz betrifft demgegenüber die Problematik, ob ein Organ ein subjektives Recht auf Verleihung oder Beibehaltung einer Kompetenz oder eines bestimmten Kompetenzumfanges haben kann. Auch das Bestehen von Rechten auf die Kompetenz ist zu verneinen 14. Ein solches Recht könnte sich nur gegen den Träger der Organisationsgewalt richten, weil nur dieser Organe einrichten und ihnen bestimmte Kompetenzen zuweisen, wie auch nur er den actus contrarius vornehmen und Organe auflösen bzw. ihre Kompetenzen zurücknehmen kann 15 . Der Inhaber der Organisationsgewalt ist nun aber frei, wie er die Organisation im einzelnen ausgestalten will, und da es seine freie Entscheidung ist, welche Organe er schaffen will, und mit welchen Kompetenzen, kann es kein diesbezügliches subjektives Recht geben. Zudem ist zu bedenken, daß ein Organ vor seiner rechtlichen Kreation nicht existiert und als Nichtexistentes keine Rechte haben kann, nach seiner Errichtung jedoch mit bestimmten Kompetenzen besteht, zu denen nicht das Recht gehört, noch weitere Kompetenzen zugewiesen zu bekommen. Ein Recht auf eine bestimmte Kompetenz hätte nur Sinn, wenn das betreffende Organ diese Kompetenz noch nicht besäße oder wenn ihm eine bestehende Kompetenz genommen werden soll. Ersteres aber käme einem Recht auf eine Erweiterung seiner Kompetenzen gleich, und ein solches Recht ist, wiewohl logisch denkbar, doch bei den staatlichen Organen nicht nachweisbar. Auch ein Recht auf ungeschmälerte Beibehaltung einmal eingeräumter Kompetenzen ist schließlich nicht anzuerkennen. Ein solches liefe auf einen partiellen Verzicht des Trägers der Organisationsgewalt auf eben diese Organisationsgewalt hinaus, den zu erklären er keinen Grund hätte, selbst wenn man ihn theoretisch für möglich hielte. Von der Unverfügbarkeit der Organisationsgewalt und dem damit korrespondierenden Ausschluß eines Rechtes auf Kompetenz zu unterscheiden ist die selbstverständliche Befugnis des Trägers der Organisationsgewalt, Bestimmungen darüber zu treffen, wie die Verleihung und vor allem wie die Zurücknahme von Kompetenzen vonstatten gehen soll. Verfassungsrechtlich verankerte Kompetenzen können nur durch eine Verfassungsänderung zurückgenommen werden, gesetzlich begründete Kompetenzen nur durch ein Gesetz von mindestens

14

Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 74; Bernatzik, AöR 5 (1890), 316; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 494; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 183; ders., Labands Staatsrecht, S. 48; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561; Laband, Staatsrecht I, S. 366; Schulze, Staatsrecht I, S. 281; aus der neueren Literatur etwa Hoppe, OrAsganstreitigkeiten, S. 174 f.; Lorenz, AöR 93 (1968), 324; Pietzner/Ronellenfitsch, sessorexamen, § 14 Rn. 3 Fn. 10; Wolff, Organschaft II, S. 275; vgl. auch V G H München, BayVBl. 1981, 719, 720. 15 S. oben A.I.2.C.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

gleichem Rang16. Sofern keine gesetzlichen Vorschriften bestehen oder von Verfassungs wegen erforderlich sind, können Kompetenzen auch per hierarchischer Weisung eingeräumt werden, indem das übergeordnete Organ einen Teil seiner eigenen Kompetenzen an das untergeordnete Organ delegiert 17; derartige Kompetenzen können dann freilich besonders leicht zurückgenommen werden, nämlich sowohl im Wege hierarchischer Weisung als auch durch Gesetz. Selbst wenn jedoch eine Kompetenz verfassungsrechtlich oder zumindest einfachgesetzlich abgesichert und daher nur unter erschwerten Bedingungen zurückzunehmen ist, stellt dies kein Recht auf die Kompetenz dar, sondern liegt darin lediglich eine Selbstbeschränkung des Trägers der Organisationsgewalt, der im übrigen frei bleibt, die betreffende Kompetenz jederzeit auf dem vorgesehenen Wege, gegebenenfalls eben durch Verfassungsänderung wieder zu entziehen. Kompetenzen sind daher zwar möglicherweise für einzelne Organe und Behörden unentziehbar, nie jedoch für die Organisation als solche18. Fließend erscheinen die Übergänge freilich, insoweit gewisse Mindestkompetenzen von Organen sogar verfassungsänderungsfest garantiert sind (Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), was namentlich für die Gesetzgebungsund Budgetzuständigkeit des Parlamentes, den Kern exekutiver Eigenverantwortung der Regierung sowie die Letztentscheidungsbefugnis der Gerichte über konkrete Einzelfälle anzunehmen sein dürfte, weil ohne dies von einem gewaltenteiligen System nicht mehr die Rede sein könnte19. Insofern diese Kompetenzen jedenfalls in ihrem Kern nicht einmal im Wege einer Verfassungsänderung legal zu entziehen sind, könnte man erwägen, hinter ihnen Rechte auf die betreffenden Kompetenzen anzunehmen. Gegen eine solche Einstufung spricht jedoch, daß sogar diese Kompetenzen durch den Bestand der Verfassung selbst bedingt sind und mit dieser zur Disposition des verfassungsgebenden Souveräns stünden (Art. 146 GG). Daß eine Verfassungsersetzung, wenn in der neuen Verfassung jene die Gewaltenteilung ausmachenden Mindestbefugnisse der verschiedenen Staatsorgane fehlten, einen völlig anderen, und zwar einen nicht wünschenswerten Staatscharakter ergäbe, steht zwar außer Frage, läßt aber dennoch nicht den Schluß zu, daß die grundgesetzlich konstituierten Verfassungsorgane subjektive Rechte auf ihre Kompetenzen gegen die Bundesrepublik Deutschland hätten. Dieser Punkt braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Praktisch geht es ohnehin stets darum, daß die Kompetenzen eines Organs 16

Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 78 II d. Vgl. hierzu oben A.I.2.C. 18 Vgl. Bernatzik, AöR 5 (1890), 303 f. (soweit er in diesem Zusammenhang dem Kommunen ein „Recht auf ihre Competenz" zuspricht, insoweit diese verfassungsrechtlich statuiert und daher „für die Regierungsbehörden unentziehbar" sind, handelt es sich richtigerweise um Rechte an den betreffenden Kompetenzen, vgl. hierzu sogleich im Text); ferner Wolff, Organschaft II, S. 275 f. 19 Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 510 m.w.N. 17

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durch andere Organe derselben Organisation ohne Beachtung etwaiger von der Organisation gesetzter, ihre Organisationsgewalt selbstbeschränkender Bestimmungen beschnitten werden, doch dies betrifft eben nicht mehr die Problematik eines gegen den Träger der Organisationsgewalt gerichteten Rechtes auf die Kompetenz, sondern vielmehr die des Rechtes an der Kompetenz.

cc) Das Recht an der Kompetenz Das Recht an der Kompetenz setzt die Einräumung und das Bestehen einer bestimmten Kompetenz voraus und betrifft die Frage, ob und inwieweit das mit dieser Kompetenz ausgestattete Organ „ein subjektives Recht auf Ausübung" der fraglichen Kompetenz hat 20 , also ein Recht des Inhalts, nicht von anderen Organen in und bei der - der transitorischen Wahrnehmung von Aufgaben fur die Organisation dienenden - Ausübung dieser Kompetenz behindert oder sonst gestört zu werden. Ein solches Recht an der Kompetenz ist ein Recht eigener Art, das sich sowohl von einem Recht aus der Kompetenz als auch von einem Recht auf die Kompetenz unterscheidet. Denn das Recht an der Kompetenz richtet sich gegen Störungen in und bei der Kompetenzausübung; anders als bei einem Recht aus der Kompetenz geht es nicht etwa darum, daß das Organ eine Mißachtung seiner kompetenzordnungsgemäß getroffenen Maßnahme durch ein anderes Organ geltend machen wollte, und im Unterschied zu einem Recht auf die Kompetenz geht es nicht darum, einer Entziehung der betreffenden Kompetenz durch den Träger der Organisationsgewalt entgegenzutreten. Selbst wenn man annimmt, „daß niemals eine Behörde dem Staate gegenüber ein subjektives Recht hat" 21 , so daß also kein subjektives Recht gegen den Träger der Organisationsgewalt auf eine bestimmte Kompetenz bestehen kann, so folgt daraus doch mitnichten, daß ein Organ nicht einem anderen Organ gegenüber ein subjektives Recht an seiner Kompetenz haben22 und diesem die streitige Kompetenz als subjektives Recht entgegenhalten könnte. Diese Differenzierungen lassen sich gut beispielsweise an der Gesetzgebungskompetenz veranschaulichen. Das Parlament übt, wenn es Gesetze verabschiedet, kein eigenes Gesetzgebungsrecht aus, sondern nimmt als das für die Gesetzgebung zuständige Organ die Gesetzgebungsbefugnis des Staates für diesen transitorisch wahr. Aus der Gesetzgebungskompetenz folgt also kein Gesetzgebungsrecht in dem Sinne, daß der Bundestag die Gesetze als eigene verabschieden könnte. Infolgedessen verletzen die Regierung oder nachgeordnete 20 v. Gierke , Labands Staatsrecht, S. 44; vgl. Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 3 Fn. 10. 21 Laband, Staatsrecht I, S. 366 (Hervorhebung im Original). 22 So aber Anschütz, Kritische Studien, S. 74; G. Jellinek, System, S. 227 f.; Wolff Organschaft II, S. 276.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Verwaltungsstellen, wenn sie ein Gesetz mißachten, nicht das Parlament, sondern die staatlich verfaßte Rechtsgemeinschaft in dem in ihrer Souveränität wurzelnden Normbefolgungsanspruch 23. Das Parlament hat auch kein Recht auf eine bestimmte Gesetzgebungskompetenz, da ihm die betreffende Materie durch Grundgesetzänderung entzogen werden und abweichend zwischen Bund und Ländern verteilt oder auf die Europäische Union übertragen werden kann. Das ändert aber nichts daran, daß dem Parlament zugewiesene Gesetzgebungs£o/wpetenzen diesem als eigene zustehen, es also ein Recht an diesen Kompetenzen hat, das es im Falle einer Verletzung durch andere Verfassungsorgane als sein eigenes Recht verfassungsgerichtlich verteidigen kann. Dasselbe gilt beispielsweise in Ansehung des Satzungsgebungsrechts des Gemeinderats. Dieser erläßt gemeindliche Satzungen in transitorischer Zuständigkeit für die Gemeinde, hat daher kein Recht aus der Satzung, so daß deren Verletzung durch die Gemeindeverwaltung oder die Gemeindebürger den Normbefolgungsanspruch der Gemeinde, nicht des Gemeinderats verletzt. Der Gemeinderat hat auch kein Recht auf Satzungsgebung, insoweit nämlich der Gesetzgeber - soweit nicht die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie oder das Demokratieprinzip eine Kompetenzentziehung zu Lasten des Gemeinderats verbieten - ihm diese Befugnis entziehen und z.B. auf den Bürgermeister oder die Rechtsaufsichtsbehörde übertragen könnte. Aber der Gemeinderat hat sehr wohl ein Recht an seiner Satzungskompetenz, und dieses wird z.B. verletzt, wenn der Bürgermeister ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen an Stelle des Gemeinderats eine Satzung erläßt. Daraus erhellt zugleich, daß das Recht an der Kompetenz, weil es weder nach außen noch gegenüber der Organisation wirkt, nicht als absolutes Recht betrachtet werden kann, sondern, weil es allein zwischen den Organen und Organteilen der betreffenden Organisation besteht, relativer Natur ist 24 . Das schadet aber nicht. Subjektive Rechte müssen nicht in Gestalt absoluter Rechte erscheinen, sondern können sehr wohl als relative Rechte bestehen, die sich eben nur an

23

Vgl. oben C.III.4.a. Abweichend hiervon spricht Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 82 f. von einem absoluten Recht eines Organs bereits dann, wenn alle anderen Organe derselben Organisation verpflichtet sind, dessen Kompetenzen zu achten. In der Tat ist die Abgrenzung zwischen relativen und absoluten Rechten fließend, da die Zahl der Verpflichteten je nach dem betrachteten Rechtskreis verhältnismäßig klein oder groß erscheinen kann. Nimmt man als Unterscheidungskriterium, ob nur bestimmte Rechtssubjekte oder aber unbestimmt viele verpflichtet sind ( Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 40 Rn. 9), so wird man vorliegend eher in Richtung der relativen Natur des Rechts an der Kompetenz neigen, weil die (wenigen) diesbezüglich verpflichteten Organe und Organteile kraft der Organisationsstruktur genau bestimmt und nicht beliebig vermehrbar sind. 24

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bestimmte Verpflichtete richten, während andere dadurch nicht gebunden werden.

b) Kein Recht auf eine rechtmäßige Entscheidung Zur Klarstellung ist hier anzumerken, daß das Recht an der Kompetenz weder ein Recht von Organen auf in jeder Hinsicht formell und materiell rechtmäßige Entscheidungen und Handlungsweisen der anderen Organe bzw. der Organisation noch ein Recht von Organteilen auf rechtmäßiges Handeln der Organe, denen sie jeweils angehören, einschließen kann 25 . Ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch besteht nämlich nicht 26 , weder für einen Bürger noch für Organe oder Organteile von Hoheitsträgern in ihrem Verhältnis zueinander, da sie sich keine Befugnis anmaßen dürfen, wie sie allein der zuständigen staatlichen Rechtsaufsichtsbehörde zusteht27. Dies ergibt sich aus der Wesensnatur der Organe, die Entscheidungen oder Maßnahmen gegenüber Dritten nicht aus eigenem Recht, sondern transitorisch für ihre Organisation treffen. Deshalb ist der Inhalt ihres organschaftlichen Handelns immer auf die Organisation bezogen, und damit mag die Organisation rechtmäßig oder rechtswidrig, zweckmäßig oder unzweckmäßig handeln, die beteiligten Organe geht dies aus eigenem Recht nichts an, sie haben kein Recht auf einen bestimmten Entscheidungsinhalt 28 .

25 Vgl. BVerfGE 100, 266, 270; StGH BW, VB1BW 2000, 314, 317; VerfGH Berlin, NVwZ-RR 2000, 314; OVG Koblenz, NVwZ 1985, 283; VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284, 285; NVwZ-RR 1989, 153, 154; VB1BW 1999, 304, 305; OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446; G. Arndt, DÖV 1963, 572 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 195 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 26 ff.; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 183 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 108; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 190 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 128; Martensen, JuS 1995, 990; Püttner, Organstreitverfahren, S. 136; Schneider, NWVB1. 1996, 93; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 682; a.A. offenbar Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 144 ff. 26 Vgl. etwa Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 57; Menger, System, S. 119, 165; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Rn. 2/58; ders., in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 122; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 10; ebenso bereits PrOVGE 3, 6, 10. 27 BVerwG, DÖV 1972, 350; Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 129; OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178; VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284, 285; OVG Münster, OVGE 13, 350, 352 ff.; 17, 261, 265 f.; DVB1. 1992, 444, 447; Schnapp, VerwArch 1987, 420, 437; ebenso bereits SächsOVG, JbSächsOVG 6 (1905), 317, 318 f. 28 Es mag hier vermerkt sein, daß diese Frage für den Bereich des Gesellschaftsrechts abweichend beurteilt wird. Nach Auffassung des BGH können nämlich Aufsichtsratsmitglieder von Aktiengesellschaften zur Wahrung der Gesetzmäßigkeit Klage auf Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO) der Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen erheben:

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Natürlich kann die Entscheidung des zuständigen Organs an ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung anderer Organe gebunden sein, und jedes Organ und Organteil kann dann erwarten, bei der Vorbereitung und Fällung dieser Entscheidung in der nach der rechtlichen Kompetenzordnung vorgesehenen Weise beteiligt zu werden. Die Mißachtung dieser Beteiligungsbefugnisse würde deshalb allerdings das Recht an dieser Kompetenz verletzen. Ist das Entscheidungsverfahren aber eingehalten und die darin bestehenden Beteiligungsbefugnisse beachtet worden, so hat das betreffende Organ seine Kompetenz in vollem Umfange ausgeübt und sind damit bereits alle berechtigten Erwartungen erfüllt. Welchen konkreten Inhalt die Entscheidung dann hat, ist für die Kompe„Das Aufsichtsratsmitglied hat nicht nur das Recht - und die Pflicht - , die ihm im Rahmen seiner Organtätigkeit zugewiesenen Aufgaben in Übereinstimmung mit den Anforderungen, die Gesetz und Satzung an die Erfüllung stellen, wahrzunehmen; aus seiner organschaftlichen Stellung ergibt sich zumindest auch das Recht, darauf hinzuwirken, daß das Organ, dem es angehört, seine Entscheidungen nicht in Widerspruch zu Gesetzes· und Satzungsrecht trifft. Kann es dieses Ziel im Rahmen der Diskussion und Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat nicht erreichen, ist es berechtigt, eine Klärung auf dem Klagewege anzustreben" (BGHZ 135, 244, 248; vgl. BGHZ 83, 144, 146; Hoffmann-Becking, in MünchHdbGesR IV, § 33 Rn. 54; Mertens, in KölnKomm AktG, § 108 Rn. 89). Diese Sicht beruht indes weniger auf präzisen dogmatischen Ableitungen aus der Organstellung der klageberechtigten Aufsichtsratsmitglieder als vielmehr auf Besonderheiten des Gesellschaftsrechts, und ist daher nicht auf die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts übertragbar. Im Vordergrund dürften hierbei Überlegungen bezüglich der besonderen Schutzbedürftigkeit der Aktiengesellschaft und der Aktionäre stehen, denen zwar aus rechtswidrigen Beschlüssen unter Umständen großer Schaden erwachsen kann, denen aber gleichwohl nicht ohne weiteres ein eigenständiges Klagerecht gegen rechtswidrige Aufsichtsratsbeschlüsse zukommen muß; gegenüber rechtswidrigen Beschlüssen der Organe von Trägern öffentlicher Gewalt hingegen ist, wenn sie in subjektive Rechte Dritter eingreifen, stets dessen Klagemöglichkeit gegeben, und außerdem gibt es hier jedenfalls, anders als im Falle einer Aktiengesellschaft, eine jederzeit auch gegen bloß objektivrechtlich rechtswidrige Beschlüsse zum Einschreiten befugte Rechtsaufsicht. Vor allem aber kennt das Aktienrecht - wohl auch gerade wegen des Fehlens einer „aktienrechtlichen Rechtsaufsicht" - in Gestalt der Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung „wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung" (§ 243 Abs. 1 AktG) ohnehin bereits eine objektivrechtlich ausgerichtete Beschlußkontrolle (vgl. Hüffer, AktG, § 243 Rn. 3, § 245 Rn. 3; ferner K. Schmidt, in GroßKomm AktG, § 245 [6. Lfg. 1996] Rn. 4, 10), die bezeichnenderweise nicht an die Verteidigung eigener Rechte des Klägers gebunden ist (RGZ 77, 255, 257; BGHZ 43, 261, 265 f.; 70, 117, 118; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 IV 5 d, S. 869). Diese gesetzliche Ermöglichung einer objektivrechtlichen Rechtskontrolle der Hauptversammlungsbeschlüsse legt nun aber in der Tat - auch wenn die h.M. eine analoge Anwendung der §§ 241 ff. AktG auf Aufsichtsratsbeschlüsse ablehnt (BGHZ 122, 342, 346 ff.; Hüffer, AktG, § 108 Rn. 19; Mertens, in KölnKomm AktG, § 108 Rn. 95; a.A. OLG Hamburg, DB 1992, 774 f.; K. Schmidt, in GroßKomm AktG, § 241 Rn. 35) doch jedenfalls aufgrund der vergleichbaren Gefährdungslage eine großzügige Handhabung der Klagemöglichkeit gegen Aufsichtsratsbeschlüsse seitens der Aufsichtsratsmitglieder nahe.

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tenzordnung unerheblich. Infolgedessen besteht weder eine berechtigte Erwartung, daß die gefällte Entscheidung oder sonst getroffene Maßnahme zweckmäßig oder politisch klug sei, noch auch nur die berechtigte Erwartung ihrer Rechtmäßigkeit. So wie sich die Erwartung eines Organs oder Organteils auf die Beachtung der eigenen Kompetenzen durch andere erstreckt, so ist umgekehrt die Erwartung durch die eigene Kompetenz begrenzt. Was in die Entscheidungskompetenz eines bestimmten Organs fällt, ist deshalb allein dessen Sache, gegebenenfalls noch derjenigen Außenstehenden, die von dieser Entscheidung betroffen sind, nicht aber das Problem der übrigen Organe. Beispielsweise kann, wenn eine Entscheidung nach der Kompetenzordnung dem Gemeinderat zugewiesen ist, dieser über den Entscheidungsinhalt nach seinem Dafürhalten bestimmen29, und zwar mit der gesetzlich festgelegten Mehrheit. Alles, worüber der Gemeinderat verfügen darf, obliegt indes seiner Ausübung, nicht der seiner Teile, und deshalb ist es schon nach dem Wesen des subjektiven Rechts ausgeschlossen, ein subjektives Recht einzelner Gemeinderatsmitglieder oder einer Gemeinderatsfraktion auf einen bestimmten Inhalt einer - ihre Kompetenzen achtenden - Gemeinderatsentscheidung anzunehmen. Das einzelne Gemeinderatsmitglied ist lediglich berufen und befugt, an der Beschlußfassung des Gemeinderats mitzuwirken; ein Anspruch auf ein bestimmtes Ergebnis steht ihm grundsätzlich nicht zu 30 . Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen können deshalb zwar ein subjektives Recht auf eine ihre Kompetenzen achtende, nicht aber ein subjektives Recht auf eine auch im übrigen rechtmäßige Entscheidung des Gemeinderats haben, und folglich berechtigt eine etwaige sonstige formelle oder materielle Rechtswidrigkeit eines Beschlusses die überstimmten Gemeinderatsmitglieder oder -fraktionen nicht zur Klage 31 . Ein anderes gilt freilich dann, wenn ein Gemeinderatsmitglied zur Wahrnehmung seiner Kompetenzen ausnahmsweise einen Anspruch hat, daß der Gemeinderat in bestimmter Weise entscheidet32; im Falle der Mißachtung dieses 29

Vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 102. OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 102; ebenso bereits SächsOVG, JbSächsOVG 6 (1905), 317, 318 f. 31 Vgl. BVerwG, DÖV 1972, 350; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 153; 1990, 369, 370; VB1BW 1999, 304, 305; VGH München, BayVBl. 1970, 222 f.; OVG Münster, OVGE 13, 350, 352; 17, 261, 265; 30, 196, 199; OVG Saarlouis, AS 10, 82, 85; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 195 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 191; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 128; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 127 ff., 135; Müller, NVwZ 1994, 123; ebenso bereits SächsOVG, JbSächsOVG 6 (1905), 317, 318 f.; desgleichen in bezug auf Bundestagsfraktionen BVerfGE 100, 266, 270; a.A. Henrichs, DVB1. 1959, 549; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 43 Anm. I 2 b, S. 174. 32 OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 102 zu einem ausnahmsweise gegebenen Anspruch auf Annahme des durch ein Gemeinderatsmitglied gestellten Antrags auf Akteneinsicht. 30

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Anspruchs würde es aber nicht eine beliebige materielle Rechtswidrigkeit des Beschlusses rügen, sondern die Verletzung seiner Kompetenzen. Von dem Fehlen eines Rechts auf eine rechtmäßige Entscheidung unberührt bleibt die Möglichkeit des Gesetzgebers, bestimmten Organen Veto- oder Einspruchsmöglichkeiten gegen Entscheidungen beschließender Organe einzuräumen. Als Beispiel ist auf das schon genannte Widerspruchsrecht des Bürgermeisters gegen Beschlüsse des Gemeinderates zu verweisen33. Darin liegt jedoch lediglich die Begründung einer zusätzlichen Kompetenz des Bürgermeisters, die nicht im Sinne eines eigenen Rechts des Bürgermeisters auf einen bestimmten Entscheidungsinhalt zu verstehen ist. Der Bürgermeister legt seinen Widerspruch nicht ein, weil der von ihm beanstandete Beschluß sein Recht auf eine bestimmte Entscheidung verletzte - der Bürgermeister hat weder ein subjektives Recht auf eine zweckmäßige noch auf eine rechtmäßige Entscheidung. Vielmehr will der Gesetzgeber damit eine gemeindeinterne Kontrollinstanz vorsehen, und hierzu hat er dem Bürgermeister die fragliche Kompetenz zugewiesen. Es handelt sich hierbei also um eine gesetzlich eigenständig begründete, der Rechtsaufsicht ähnliche Kompetenz eigener Art, und nicht etwa um ein sich aus einer anderen Kompetenz des Bürgermeisters ableitendes Recht desselben auf einen bestimmten Entscheidungsinhalt, welches er durch den Einspruch quasi im Wege der Selbsthilfe vorläufig zu sichern vermöchte.

Im Unterschied zu einem - abzulehnenden - Recht auf einen bestimmten Entscheidungsinhalt ist das hier ins Auge gefaßte Recht an der Kompetenz rein formeller Natur und unabhängig von dem Entscheidungsinhalt. Wenn ein Organ einem anderen einen Übergriff in seine Kompetenzen vorwirft, so kann dies daher nie mit einer inhaltlichen Unrichtigkeit der betreffenden Entscheidung oder einer Fehlerhaftigkeit der betreffenden Maßnahme begründet werden. Bei der Rüge einer Kompetenzverletzung macht das betreffende Organ keine inhaltlichen Mängel geltend, rügt also nicht das Ergebnis des Handelns des anderen Organs, sondern vielmehr dessen Handeln selbst34, also beispielsweise nicht den Inhalt eines erlassenen Rechtssatzes, sondern dessen Erlaß als solches35. Die Rüge der Kompetenzwidrigkeit ist daher stets als Rüge der Verletzung des Rechtes an der beanspruchten Kompetenz aufzufassen. Ob mit dieser Kompetenzverletzung auch eine Rechtswidrigkeit im Außenverhältnis verbunden ist, ist unerheblich. Dies mag sein, wäre aber eine bloße Koinzidenz, die gedanklich von der gerügten Kompetenzverletzung genau zu unterscheiden ist 36 .

c) Keine Verletzung der staatlichen Einheit durch Rechte an der Kompetenz Da aus den vorstehend dargelegten Gründen Rechte aus der Kompetenz und Rechte auf die Kompetenz ebensowenig als subjektive Rechte von Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts in Betracht kommen wie ein Recht 33 34 35 36

S. oben A.I.3.c.cc. Zu dieser Unterscheidung BVerfGE 2, 143, 177. BVerfGE 1, 208, 219 f.; Spanner, in FS Jahrreiß, S. 416 f. S. hierzu näher unten G.IV.3.a.bb (3).

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auf eine richtige Entscheidung, beschränkt sich der sachliche Anwendungsbereich möglicher subjektiver Rechte von Organen auf das Recht an der Kompetenz. Damit entfallen alle Einwände, die - berechtigterweise - gegen die hier ausgeschiedenen Alternativen eines Rechts aus einer bzw. auf eine Kompetenz vorzubringen wären. Insbesondere zeigt sich, daß in dem verbleibenden Bereich eines Rechts an der Kompetenz der Aufspaltungseinwand nicht durchgreift. Zu einer Aufspaltung des Staates in mehrere selbständige Hoheitsträger kommt es nur, soweit man ein Recht auf Kompetenz anerkennt. Denn ein solches Recht bedeutete in der Tat, daß es dann eine Einheit neben dem Staat gäbe, der eine eigenständige, ihr vom Staat nicht zulässig entziehbare Kompetenz zukäme, innerhalb derer sie nach ihrem Gutdünken agieren könnte. Soweit mit einer solchen Kompetenz zugleich auch Machtbefugnisse gegenüber dem Bürger verbunden wären, träte bei Anerkennung eines Rechtes auf Kompetenz ein Hoheitsträger selbständig neben den Staat, wäre die staatliche Einheit partiell durchbrochen. Einen solchen Fall eines Rechtes auf Kompetenz kennt die Rechtsordnung im Verhältnis von Bund und Ländern, da das - sogar verfassungsänderungsfeste (Art. 79 Abs. 3 GG) - Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) den Ländern ein gewisses Mindestmaß eigenständiger Hoheitsrechte garantiert, womit auch in der Tat die Hoheitsgewalt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland auf mehrere innerhalb ihrer jeweiligen Zuständigkeiten souveräne Staaten aufgeteilt ist 37 . Zu beachten ist dabei, daß sich zwar die konkrete Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern nach dem Grundgesetz bestimmt, die jeweilige staatliche Souveränität derselben jedoch eine originäre ist, keine voneinander abgeleitete. Deshalb läßt sich in bezug auf Bund und Länder anders als in bezug auf deren Verfassungsorgane 38 zutreffend von einem Recht auf Kompetenz sprechen.

Um einen derartigen Fall eines Rechtes auf eine Kompetenz handelt es sich bei der Anerkennung eines Rechtes an der Kompetenz jedoch gerade nicht, weil hier das Recht nicht auf Einräumung einer Kompetenz gerichtet ist, sondern lediglich auf die Beachtung einer bereits eingeräumten Kompetenz durch die anderen Organe zielt. Daß Behörden als unselbständige Organe des Staates erscheinen, die in ihrer Gesamtheit die gesamte Staatsgewalt wahrnehmen - kein einzelnes Organ vereinigt nach Überwindung des Absolutismus in sich die Summe aller hoheitlichen Machtbefugnisse - , schließt eine innere, kompetenzmäßige Ordnung dieser Staatsgewalt und ihrer Wahrnehmung nicht aus. So wie eine Trennung der Staatsgewalt nach den verschiedenen Funktionen möglich ist, ohne daß dadurch die staatliche Einheit aufgehoben würde, so ist auch eine 37

Vgl. BVerfGE 1, 14, 34; 64, 301, 317; 83, 60, 74 f.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 84; Herzog, in Maunz/Dürig, GG, Art. 20 (18. Lfg. 1980) Rn. IV 8 ff.; Kimminich, in Isensee/Kirchhof, HStR I, § 26 Rn. 40 ff, 48; Stern, Staatsrecht I, § 19 III 2; krit. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 217 Rn. 1; Schnapp, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 8. Vgl. zum Deutschen Reich entsprechend Laband, Staatsrecht I, S. 82, 364. 38 Vgl. oben E.II.l.a.bb. 34 Roth

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

sonstige kompetentielle Untergliederung möglich. Wie also etwa die Staatsgewalt unter den gesetzgebenden, verwaltenden und rechtsprechenden Organen aufgeteilt ist, ohne daß deshalb die staatliche Einheit Schaden litte, so können auch innerhalb von Legislative, Exekutive und Judikative weitere Kompetenzaufteilungen zwischen Organen und Organteilen vorgenommen werden. In dem Postulat staatlicher Einheit einerseits und einer subjektiven Berechtigung der Organe und Organteile an ihren Kompetenzen andererseits liegt sonach kein Widerspruch.

2. Der Organisationswohleinwand In einer Variation des bereits behandelten Gemeinwohleinwandes39 findet sich der speziell gegen die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen zielende Organisationswohleinwand: während ersterer darauf abstellt, die Zubilligung subjektiver Rechte an Träger öffentlicher Gewalt oder ihre Organe könne dem Allgemeinwohl zuwiderlaufen, besagt der Organisationswohleinwand, die Zuerkennung subjektiver Rechte an einzelne Organe oder Organteile einer Organisation könne den Organen und Organteilen entgegen der ihnen innerhalb der Organisation eigentlich zukommenden Rolle die Verfechtung eigener Organinteressen40 ermöglichen und dadurch die Verwirklichung der Organisationsziele behindern 41. Georg Jellinek beschrieb das Phänomen, daß sich „psychologisch notwendig ... der pflichtgetreue Beamte so mit seinem Amte verwachsen [fühle], daß er dessen Befugnisse auch als sein Recht erachtet. Kompetenzstreitigkeiten aller Art sind häufig in letzter Linie aus diesen Gefühlen zu erklären", und monierte „die bösen Folgen jenes Ressortpartikularismus" selbst auf Regierungsebene, „der beim Minister das Gefühl solidarischer Verantwortlichkeit für die Gesamtpolitik untergräbt" 42. Nimmt man diese zutreffende Beobachtung und ergänzt man sie noch um die Tatsache, daß zumal gewählte Organwalter nicht selten ganz spezifische (politische) Interessen in ihrem Organ vertreten bzw. gar das betreffende Organ politisch zu instrumentalisieren suchen werden 43, so ist es ein naheliegendes Bedenken, ob das Wohl der betroffenen Organisation leiden könnte, wenn durch die Zubilligung subjektiver Rechte an

39

S. obenE.1.2. Verwaltungsrecht II, § 74 V b. Zu den Organinteressen Wolff/Bachof, 41 Vgl. Alberts , WissR 1974, 54; Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 172; Böckenförde, in FS Wolff, S. 302 f.; Dolde, in FS Menger, S. 438; Fehrmann, NWVB1. 1989, 306; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 94 f., 108, 175 f., 180, 185; ders., NJW 1980, 1021; Stettner, Kompetenzlehre, S. 69, 71; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72 I c 5, § 74 V e. 42 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 564. 43 Zur Interessenvertretung innerhalb von Organen näher unten F.II.l.a.dd (1). 40

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einzelne Organe und Organteile die Durchsetzung partikularer Ressortinteressen oder sonst spezifischer Organinteressen auch noch rechtlich abgesichert wird 44 , wodurch sich Tendenzen in Richtung eines organisationswohlwidrigen Ressortpartikularismus, wenn nicht gar Ressortegoismus verstärken könnten. Solchen Bedenken ist letztlich dasselbe entgegenzuhalten wie dem Gemeinwohleinwand: So wie sich das Gemeinwohl immer nur als Resultante sämtlicher öffentlicher Partikularinteressen ergibt 45 , so ist auch das Organisationswohl kein a priori vorgegebenes Fixum, sondern es muß sich aus dem kompetenzordnungsmäßig arbeitsteiligen Zusammenwirken aller Organe und Organteile eben dieser Organisation herausschälen46. Gewiß soll keinem selbstsüchtigen „Ressortpartikularismus" das Wort geredet und sollen Organe und Organteile nicht in eifersüchtige Kompetenzrangeleien verfallen, gar einen „Behördenkrieg" 47 vom Zaun brechen. Jedes Organ und Organteil ist, auch soweit es Inhaber subjektiver Rechte ist, doch seiner Funktion nach stets auf das Wohl seiner Organisation verpflichtet 48, und dies bewirkt eine besondere Bindung bei der Ausübung aller Kompetenzen49. Es wäre aber ein Irrglaube, anzunehmen, es gäbe ein apriorisch feststehendes Organisationswohl, welches mit etwas gutem Willen von allen Organen und Organteilen erkannt werden könnte. Vielmehr bedarf das Organisationswohl nicht anders als das Allgemeinwohl erst der Herausbildung und letzten Endes der autoritativen Festlegung durch die berufenen Organe der Organisation. In diesem Rahmen aber kann die Subjektivierung der Organkompetenzen gerade sicherstellen helfen, daß die zuständigen Organe in dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren festlegen, was als Wohl ihrer Organisation anzusehen sein soll. Das Organisationswohl steht deshalb der Bejahung subjektiver Organrechte nicht nur nicht entgegen, vielmehr wird es sich als gewichtiger Faktor bei der Entscheidung über die Subjektivierung von Organkompetenzen erweisen 50.

44

Vgl. Fuß, WissR 1972, 113. S. oben E.I.2.b. 46 Vgl. Ewald, WissR 1970, 39 f.; Tsatsos, Organstreit, S. 29 f. 47 Alberts , WissR 1974, 54; Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 172; Dolde, in FS Menger, S. 438; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 42; vgl. auch Kisker, Insichprozeß, S. 26. 48 S. oben A.I.2.b.aa. 49 Einem etwaigen Mißbrauch subjektiver Organrechte können sowohl unter Umständen die anderen Organe, insoweit diese nämlich durch einen solchen Mißbrauch ihrerseits in ihren Rechten verletzt werden können, als auch jedenfalls die Rechtsaufsichtsbehörde (Lorenz, AöR 93 [1968], 338) und die Gerichte im Rahmen der prozessualen Möglichkeiten (zur Frage rechtsmißbräuchlicher Geltendmachung subjektiver Organrechte vgl. unten H.III.3.) entgegenwirken. 50 S. unten F.II. La. 45

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3. Der Einwand der ausschließlich transitorischen Berechtigung Ein weiterer Haupteinwand gegen die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen ergibt sich aus ihrem Wesen als für ihre Organisation agierende transitorische Wahrnehmungseinheiten. Die Organisation ist Zurechnungsendsubjekt aller Rechte und Pflichten im Rechtsverkehr des Außenrechtskreises, während ihren Organen insoweit lediglich transitorische Wahrnehmungszuständigkeiten zukommen51. Organe und Organteile nehmen die subjektiven Rechte der juristischen Person im Außenverhältnis ausschließlich vermittelnd wahr, nicht also als eigene Rechte, sondern lediglich organschaftlich als die Rechte der Organisation. „Die formelle Behandlung der Behörden, als wären sie Inhaber von staatlichen Hoheitsrechten, beruht nur auf Gründen technischer Art, auf Gründen der Zweckmäßigkeit. Sie fungieren äußerlich so, als wären sie Subjekte von Befugnissen, welche in der Staatsgewalt enthalten sind; in Wirklichkeit sind sie aber nicht berechtigte Subjekte, sondern nur der Staat selbst ist das alleinige Subjekt der gesamten und ungeteilten Staatsgewalt"52. Aus dieser zutreffenden Charakterisierung wird nun zum Teil als Wesensmerkmal von Organen und Organteilen abgeleitet, sie könnten überhaupt nur transitorische Befugnisse haben, niemals aber eigene Rechte53. Diese Charakterisierung ist, sofern sie als logischer Schluß ausgegeben würde, falsch (unten b), sofern sie als normative Wertung verstanden wird, unplausibel und angesichts ihrer unnötigen Kompliziertheit auch methodisch fragwürdig (nachfolgend a).

a) Unnötige Kompliziertheit des Modelles ausschließlich transitorischer Wahrnehmungszuständigkeiten Auch die Autoren, die die Annahme subjektiver Organrechte aufgrund einer vermeinten ausschließlich transitorischen Wahrnehmungszuständigkeit prinzipiell ablehnen, verkennen nicht das praktische Bedürfnis einer gerichtlichen Entscheidbarkeit von Organstreitigkeiten. Da indes verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz auch in diesem Kontext nicht ohne subjektivrechtlichen Bezug zu erlangen ist 54 , hat der Wunsch, dieses praktische Bedürfnis bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Transitoritätsdogmas befriedigen zu können, zu einer dogmatisch sehr komplizierten Erklärung geführt, welche die (vermeintliche) Unmöglichkeit subjektiver Rechte von Organen durch eine Zuweisung der in 51

S. oben A.I.2.b.aa. Laband, Staatsrecht I, S. 366; vgl. ferner Anschütz, Kritische Studien, S. 74; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 493 f.; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561 Fn. 1; a.A. Haenel, Das Gesetz, S. 232. 53 Vgl. PrOVGE 19, 111, 115 f.; OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 445; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 181 ff.; ders., DVB1. 1970, 847; G. Jellinek, System, S. 227 f., 231. 54 S. oben D.IV.2. 52

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Frage stehenden subjektiven Rechte an die das Organ tragende juristische Person kompensiert: Unter Hinweis auf das in der transitorischen Wahrnehmung von Aufgaben für die Organisation bestehende Wesen der Organe will diese Theorie auch das subjektive Recht nur in einem transitorischen Sinne verstehen: Träger aller subjektiven Rechte, und zwar auch der Rechte an der Kompetenz im hier 55 gebrauchten Sinn, sei die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, während das Organ (nur) zur transitorischen Wahrnehmung dieses Rechts befugt sei, soweit dies zur Erledigung seiner eigentlichen Aufgaben erforderlich ist 56 . Gegen diese Konstruktion sind jedoch mehrere Einwände zu erheben. Erstens impliziert die Zuschreibung des subjektiven Rechts an die Organisation statt an das betreffende Organ eine in der rechtswissenschaftlichen Dogmatik sonst allgemein abgelehnte57 echte Rechtspflicht gegen sich selbst. Denn wenn das eine Organ das subjektive Recht der Organisation an der Kompetenz transitorisch wahrnähme, so müßte konsequenterweise die dem subjektiven Recht entsprechende Pflicht von den anderen Organen auch nur transitorisch wahrgenommen werden, damit aber die Rechtspflicht als solche die Organisation treffen; daß aber die Organisation gleichzeitig Berechtigte und Verpflichtete desselben subjektiven Rechts sein soll, widerspricht sonstigen dogmatischen Vorstellungen. Nimmt man den Transitoritätsgedanken ernst und behandelt man nicht die transitorische Wahrnehmung von Rechten und Pflichten stillschweigend doch als echte Rechtszuweisung an die verschiedenen Organe, so hilft es auch nicht, daß nach diesem Modell das Recht durch das eine, die Pflicht aber durch das andere Organ transitorisch wahrgenommen wird. Denn die Bedeutung der Transitorität liegt ja gerade in der unmittelbaren Zuschreibung aller Rechte und Pflichten an die Organisation, und daher führt eine konsequente Anwendung des Transitoritätsdogmas infolge der Vereinigung von Rechten und Pflichten in demselben Rechtssubjekt nach Konfusionsgedanken 58 zum Erlöschen des Rechts 59,60 , so daß es innerhalb einer juristischen Person überhaupt keine sub55

S. oben E.II.l.a.cc. Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 184, 196 ff.; ders., DVB1. 1970, 847 f.; zustimmend Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 123 Fn. 4; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 41 Rn. 14; ähnlich bereits PrOVGE 19, 111, 115 f. 57 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 570; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 180 ff. 58 Allgemein zur Konfusion (Vereinigung von Recht und Pflicht) Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 299; Larenz, Schuldrecht I, S. 270; Ρalandt/Heinrichs, BGB, vor § 362 Rn. 4; Staudinger/Olzen, BGB, Einl. zu §§ 362 ff. Rn. 21 ff. 59 Vgl. Wolff, Organschaft II, S. 278 f. 60 Von der Konfusion als Erlöschensgrund eines Rechts gibt es zwar Ausnahmen (Larenz, Schuldrecht I, S. 270; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 180 f.; Staudinger/Olzen, BGB, Einl. vor §§ 362 ff. Rn. 25), doch beruhen diese jeweils auf besonderer gesetzlicher Anordnung und ändern im vorliegenden Zusammenhang an dem Grundsatz nichts. 56

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

jektiven Rechte gäbe und damit verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten entgegen dem erklärten Ziel dieser Konstruktion - doch unmöglich wären. Dem Konfusionsargument ließe sich nur entgehen, wenn man allein das subjektive Recht auf Einhaltung der Kompetenzordnung bei der Organisation verortet, die korrespondierende Rechtspflicht zur Beachtung der Kompetenzvorschriften indessen bei dem kompetenzordnungsmäßig (ein)gebundenen Organ 6\ Indessen provozierte das den Vorwurf der Inkonsequenz: Wenn ein Organ selbst Rechtspflichten treffen können und es diese Pflichten nicht nur transitorisch für die eigentlich verpflichtete Organisation wahrzunehmen hat, so ist nicht ersichtlich, wieso dies in bezug auf das dieser Pflicht gegenüberstehende Recht anders sein und hier allein eine transitorische und keine eigene Berechtigung bestehen können sollte. Natürlich folgt aus der Innehabung von Rechtspflichten nicht die Innehabung von Rechten. Aber wenn der transitorische Charakter eines Organs nicht hindert, diesem wahrhaftige Rechtspflichten aufzuerlegen, dann kann die Transitorität logisch auch nicht hindern, ihm subjektive Rechte zuzuerkennen 62. Schließlich spricht gegen dieses Modell seine von Hoppe selbst konzedierte 63 Kompliziertheit 64 . Kompliziertheit begründet zwar keinen logischen Fehler und ist für sich betrachtet noch kein dogmatischer Einwand. Denn auch in der Jurisprudenz dürfen und müssen Theorien so komplex sein wie es zur richtigen und möglichst vollständigen Erfassung des untersuchten Gegenstandes erforderlich ist. Deshalb ist die nicht selten gehörte Klage, diese oder jene Theorie sei zu kompliziert, durchaus unberechtigt, wenn sie letztlich auf nichts anderes zurückgeht, als auf die Bequemlichkeit dessen, der sich lieber mit einfachen, wenngleich falschen Formeln begnügt, statt sich der Mühe der Befassung mit einer besseren, weil erklärungsstärkeren Theorie zu unterziehen 65. Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, Gebiete, die es mit einer so komplexen Materie wie den (rechtlichen) Beziehungen von Menschen und Organisationen zu tun haben, könnten stets mit „einfachen" Theorien auskommen. Die Gerechtigkeit kann nachgerade Gefahr laufen, wenn die nun einmal bestehende Komplexität durch die Heranziehung holzschnittartiger Modelle, simplifizierender Schlagworte oder vager Leerformeln formal reduziert wird; einfach erscheinende Lösungs61

So Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 181, 183 f. Der Bewertung, Hoppes Konstruktion weise eine „bestechende Schlüssigkeit" auf As(Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 52; Pietzner/Ronellenfitsch, sessorexamen, § 14 Rn. 6), kann deshalb nicht gefolgt werden. 63 Hoppe, NJW 1980, 1020: „überaus komplizierte Konstruktion". 64 Bethge, HKWP II, S. 190 f.; Böckenförde, in FS Wolff, S. 279 Fn. 34; Fuß, WissR 1972, 114; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 55; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 6. 65 Zur wissenschaftstheoretisch gebotenen Bevorzugung gehaltvollerer Theorien vgl. Popper, Lesebuch, S. 97, 146; ders., Logik der Forschung, S. 15, 77 f. 62

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muster erkaufen ihre Einfachheit oft um den zu teuren Preis der Ungerechtigkeit im Einzelfall, während bloße Leerformeln letztlich nicht nur nichts erklären, sondern die Problematik gar noch verwischen und so die Entscheidung dem Einfluß rational nicht nachvollziehbarer und argumentativ nicht verteidigbarer Faktoren öffnen. Andererseits aber sollte die Rechtsdogmatik doch nach Möglichkeit Klarheit und Einfachheit der dogmatischen Modelle anstreben66 und unnötige Verkomplizierungen vermeiden. Das Modell ausschließlich transitorisch wahrnehmbarer subjektiver Rechte der Organisation gegen sich selbst dürfte schon aus diesem Grunde nur dann herangezogen werden, wenn die Annahme subjektiver Organrechte tatsächlich dogmatisch ausgeschlossen sein oder noch größere Komplikationen verursachen sollte. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Die Behandlung von Kompetenzen als subjektive Rechte von Organen ist mit der transitorischen Funktion von Organen sehr wohl vereinbar, und daher ist es nicht erforderlich, ein so kompliziertes Modell heranzuziehen, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen.

b) Logische und begriffliche Vereinbarkeit trans itorischer AufgabenWahrnehmung mit der Innehabung subjektiver Rechte Wenn aus der dargelegten Funktion und Stellung der Organe als transitorische Wahrnehmungseinheiten für die Rechte ihrer Organisation abgeleitet wird, Organe könnten immer nur und ausschließlich transitorisch berechtigt oder verpflichtet sein, so stellt dies einen Fehlschluß dar. Denn daß ein Organ in dem einen Rechtsverhältnis ZurechnungsrfwrcAgartgssubjekt ist, schließt nicht aus, daß es in einem anderen Rechtsverhältnis Zurechnungsewrfsubjekt sein kann 67 . Daß die Organe einer Organisation deren Rechte und Pflichten transitorisch wahrnehmen, steht daher zwar der Bejahung von Rechten aus der Kompetenz entgegen68, hindert aber nicht, subjektive Rechte an der eingeräumten Kompetenz im Verhältnis der Organe untereinander zu bejahen. Durch die subjektivrechtliche Absicherung derjenigen Kompetenzen, die der Erfüllung eben ihrer transitorischen Aufgaben dienen, wird der grundsätzliche Charakter der Organe als transitorische Wahrnehmungseinheiten bezüglich der Rechte und Pflichten ihrer Trägerorganisation nicht in Frage gestellt. Daß ein Organ transitorisch auf die Zwecke und Interessen seiner Organisation ausgerichtet ist, schließt es nur aus, ihm die Verfolgung nachgerade konträrer Ziele zuzubilligen. Indessen steht die Anerkennung eines subjektiven Rechts an der Kompetenz keineswegs im Widerspruch zu den Zwecken der Organisation. Im Gegen66 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 317 ff. Zum Einfachheitsbegriff aus erkenntnistheoretischer Sicht Popper, Logik der Forschung, S. 97 ff. 67 Achterberg, AllgVerwR, § 13 Rn. 15. 68 S. oben E.II.l.a.aa.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

teil muß die Organisation, wenn sie von ihrer Organisationsgewalt in bestimmter Weise Gebrauch gemacht und ihren Organen je bestimmte Kompetenzen zugewiesen hat, ein Interesse an deren kompetenzgemäßen Arbeit haben69. Mit dem Versuch eines Organs oder Organteils, seine Kompetenzen auszuüben und gegebenenfalls gegen Beeinträchtigungen zu verteidigen, verfolgt es somit keine organisationsfremden oder gar organisationswidrigen Zwecke, weil schließlich die Durchsetzung der Kompetenzordnung der Organisation zugute kommt. Die transitorische Wesensnatur des Organhandelns wird daher nicht dadurch beeinträchtigt, daß man dem Organ die Durchsetzung seiner Kompetenz als subjektives Recht zugesteht. Aus der nach außen gerichteten transitorischen Wahrnehmungszuständigkeit jedes Organs und dem insoweitigen Fehlen einer subjektiven Berechtigung folgt hiernach nicht, daß dieses nicht in einem anderen Verhältnis sehr wohl subjektive Rechte besitzen kann, nämlich im Verhältnis zu anderen Organen. Daß zwei Organe im Außenverhältnis zum Bürger jeweils transitorisch wahrnehmungsbefugt sind, schließt nicht aus, daß sie im Innenverhältnis untereinander in Ansehung ihrer Kompetenzen subjektiv berechtigt sein können, denn in dieser Relation treten sie überhaupt nicht als transitorische Wahrnehmungseinheiten auf 0 .

4. Der Einwand fehlender Rechtspersönlichkeit Ein grundsätzlicher Einwand gegen die Annahme subjektiver Rechte von Organen und Organteilen beruht auf ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit 71 und läuft im Ergebnis auf die Behauptung hinaus, nur natürliche oder juristische Personen könnten Träger subjektiver Rechte sein 72 : „Der Staat kann durch objektives Recht die Kompetenzen seiner Organe normieren, das subjektive Recht zur Ausübung der Kompetenz kommt nicht dem unpersönlichen Organ, sondern nur der Staatspersönlichkeit selbst zu" 73 . Daß natürliche und juristische Perso-

69

S. oben F.II.l.a. Vgl. VGH Mannheim, DÖV 1983, 862; OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 103; Erichsen, in FS Menger, S. 216; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 51 f., 194; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 49, 51; Schnapp, Amtsrecht, S. 97 f.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 74 I f 8, S. 51. 71 Vgl. Anschütz, Kritische Studien, S. 74 f.; Bernatzik, AöR 5 (1890), 215; Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 452; G. Jellinek, System, S. 224 ff.; Spanner, in FS Jahrreiß, S. 414. 72 So Bernatzik, AöR 5 (1890), 213 ff.; Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 452; v. Gerber, Über öffentliche Rechte, S. 73; G. Jellinek, System, S. 28, 231 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 96 f.; Stettner, Kompetenzlehre, S. 69. 73 G. Jellinek, System, S. 227 (Hervorhebungen durch Verfasser); ferner ders., Allgemeine Staatslehre, S. 560 f. 70

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nen subjektive Rechte haben können, bedarf hier keiner Begründung mehr 74 . Nun sind aber Organe und Organteile offensichtlich weder natürliche Personen 75 noch - was allein ernsthaft in Betracht käme - juristische Personen76. Juristische Personalität kommt lediglich den öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen zu, für die sie ihre organschaftlichen Funktionen ausüben, nicht aber den Organen und Organteilen selbst.

a) Unterscheidung von Rechtspersönlichkeit

und Rechtssubjektivität

Daß Organe und Organteile in Ermangelung juristischer Persönlichkeit keine subjektiven Rechte besitzen könnten, beruht auf einer irrigen Gleichsetzung der Begriffe der Rechtspersonalität und der Rechtssubjektivität. Symptomatisch für diese Vermengung der Begriffe ist etwa die Begründung, die Anschütz für seine Ablehnung von subjektiven Rechten staatlicher Organe gegeben hat: Aus „der Erkenntnis des Staates als einer Rechtspersönlichkeit ... ergiebt sich zunächst, daß die Organe des Staates ... keine Rechtssubjekte sind. Nur ihr Inbegriff, der Staat, ist ein solches"77. Indessen setzt die Innehabung subjektiver Rechte keineswegs Rechtspersonalität voraus, sondern geht lediglich mit dem Vorliegen von Rechtssubjektivität einher, die nicht an die generelle Rechtsfähigkeit gekoppelt ist, sondern auch als bloß partielle Rechtsfähigkeit erscheinen kann.

74

Dazu oben E.I. Die einzelnen Organwalter sind natürliche Personen, doch diese sind eben bei rechtlicher Betrachtung nicht identisch mit dem Organ bzw. Organteil, für das sie agieren und dem ihr Verhalten angerechnet wird (vgl. hierzu näher die Erörterung unten H.I.l.a, daß deshalb Ein-Person-Organe auch keine Beteiligungsfähigkeit nach §61 Nr. 1 VwGO besitzen können). Infolgedessen kann die subjektive Rechtsfähigkeit von Organen und Organteilen nicht über die subjektive Rechtsfähigkeit ihrer Organwalter begründet werden. Unabhängig davon, ob Organkompetenzen als subjektive Rechte des Organs anzuerkennen oder als bloß objektivrechtlich anzusehen sind, haben jedenfalls die Organwalter auf keinen Fall diese Kompetenzen als subjektive Rechte inne, vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 561 f. 76 Vgl. bereits RGZ 8, 226, 227; Fülster, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 493; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 172; G. Jellinek, System, S. 205; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 560. 77 Anschütz, Kritische Studien, S. 74; desgleichen Bernatzik, AöR 5 (1890), 214; G. Jellinek, System, S. 28, 231, 240; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 559 ff.; Laband, Staatsrecht I, S. 84; Rosin, HirthsA 1883, 286. Unscharf insofern auch Bühler, der als Voraussetzung subjektiver Rechte einmal „Verschiedenheit der Rechtssubjekte" fordert (Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 145 Fn. 239), ein andermal trotz ausdrücklichen Verweises auf diese frühere Stelle darauf abstellt, ob „verschiedene Rechtspersönlichkeiten" vorliegen (ebd., S. 254). 75

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Rechtspersonen sind besonders qualifizierte Rechtssubjekte, doch gibt es durchaus Rechtssubjekte ohne Rechtspersönlichkeit 78. Rechtssubjekt ist, wer Inhaber (Zurechnungsendsubjekt) eines subjektiven Rechts ist 79 . Die Zuweisung einer Berechtigung zur ausschließlich transitorischen Wahrnehmung begründet die Rechtssubjektivität nicht 80 ; Rechtssubjektivität besitzt nur, wer Zurechnungsem/subjekt, nicht auch, wer bloß Zurechmngsdurchgangssubjçkt eines Rechts ist. Keine Zustimmung verdient die These, daß auch die Trägerschaft rechtlicher Pflichten die Rechtssubjektivität begründe, ja daß gar „die Pflichtfähigkeit eigentlich die primäre Erscheinung der Rechtsfähigkeit sei" 81 . Denn selbst wenn die betreffende Rechtspflicht einem subjektiven Recht auf der anderen Seite korrespondierte und der Verpflichtete deshalb in einem konkreten Rechtsverhältnis zum Berechtigten stünde82, so begründete doch die alleinige Innehabung rechtlicher Pflichten eine bloße Pflichtensubjektivität. Ein reines Pflichtensubjekt nimmt aber einen im Vergleich zu Rechtssubjekten qualitativ minderen Status ein, der mit der Vorstellung von Rechtssubjektivität unvereinbar ist. Erst wer Inhaber auch nur eines einzigen subjektiven Rechts sein kann, wird von der Rechtsordnung nicht mehr bloß als ein Pflichtensubjekt oder gar als Objekt betrachtet, welches ausschließlich Gegenstand der Bestimmung und Beherrschung durch andere ist, sondern wird, 78 Zur notwendigen Unterscheidung von Rechtsperson und Rechtssubjekt grundlegend Wolff Organschaft II, S. 248 ff.; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, § 32 III a; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 4; zustimmend U. Bauer, Organklagen, S. 34; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 34; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 65; Böckenförde, in FS Wolff, S. 282, 304 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 40 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 167; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 47 f.; Menger, System, S. 38, 147; ferner Rupp, Grundfragen, S. 85 ff.; Schnapp, Amtsrecht, S. 80 f., 140 f. 79 Bachof AöR 83 (1958), 260; U. Bauer, Organklagen, S. 34; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 65; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 58; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 13; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 39; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 41; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 44; Menger, System, S. 38; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, § 32 III a; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 4; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 21. 80 Unzutreffend Becker-Birck, Insichprozeß, S. 34 f. 81 Rupp, Grundfragen, S. 82 f. 82 Allein durch Pflichten werden Rechtsverhältnisse nicht begründet (Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 382; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 93 Fn. 55; ungenau Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 63; Eyermann/Happ, VwGO, § 43 Rn 13; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 48; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 166; Rupp, Grundfragen, S. 81). Denn objektivrechtliche Pflichten stellen den Verpflichteten lediglich in eine unspezifische Beziehung zur Rechtsgemeinschaft als Trägerin des Rechts (zum Normbefolgungsanspruch der Rechtsgemeinschaft im allgemeinen Gewaltverhältnis vgl. oben C.III.4.a); nur wenn der Rechtspflicht auch ein subjektives Recht eines konkreten anderen Rechtssubjektes gegenübersteht, besteht eine rechtliche Beziehung zwischen dem Verpflichteten und einem konkreten Berechtigten.

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zumindest soweit das innegehabte subjektive Recht reicht, als in der Rechtsordnung handelndes Subjekt betrachtet, das jedenfalls in Ansehung dieses subjektiven Rechts mit anderen Rechtssubjekten in Interaktion treten kann und ihnen inbedeutet also weder Rechtsfäsofern gleichgestellt ist. Die PflichtenfShig^eit higkeit noch verleiht sie dem Betroffenen die Stellung eines Rechtssubjektes83. Ein Rechtssubjekt muß daher notwendigerweise Träger wenigstens eines subjektiven Rechtes sein, also in diesem Sinne Rechts- und nicht bloß Pflichtenfähigkeit besitzen. Hinsichtlich der Rechtssubjektivität kann es sich um eine generelle Rechtsfähigkeit („Vollrechtsfähigkeit" 84 ) handeln; generell rechtsfähige Rechtssubjekte heißen auch Rechtspersonen, sie begegnen in Gestalt der natürlichen sowie der juristischen Personen85. Es wäre jedoch eine unzulässige* Verengung, anzunehmen, alle Rechtssubjekte müßten Rechtspersonen mit genereller Rechtsfähigkeit sein 86 ; vielmehr ist die Rechtsordnung nicht an der Anerkennung partiell rechtsfähiger Rechtssubjekte gehindert, „welche der vollen Rechtsfähigkeit einer juristischen Person entbehren, gleichwohl aber zu Subjekten von Rechten und Pflichten einer bestimmten Gattung berufen sind" 87 . Der Ausdruck „Rechtssubjektivität" stellt also einen „Oberbegriff' für die generelle und die partielle Rechtsfähigkeit dar 88 .

b) Die rechtliche Bedingtheit aller Rechtssubjektivität Das Mißverständnis, wonach alle Rechtssubjekte generell rechtsfähig sein müßten und dementsprechend nur in Gestalt natürlicher oder juristischer Personen auftreten könnten, dürfte durch die Terminologie „natürliche Person" sowie die gängige Gegenüberstellung natürlicher Personen und juristischer Personen gefordert worden sein. Der Ausdruck „natürliche Person" erweckt nämlich den unzutreffenden Eindruck, der Mensch sei quasi von seiner Natur her Rechtsperson mit genereller Rechtsfähigkeit, und die Gegenüberstellung der natürlichen und der juristischen Person erweckt sodann den ebenfalls irreführenden Ein83

G. Jellinek, System, S. 82. Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 6. 85 Vgl. Menger, System, S. 39; Raiser , AcP 199 (1999), 137; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 9. 86 Vgl. bereits Bernatzik, AöR 5 (1890), 192; v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 141, 150 f. („ungleiche Rechtsfähigkeit"). 87 v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 169, der diese Rechtssubjekte in Abgrenzung zu den „Vollpersonen" als „unvollkommene oder relative Personen" bezeichnet; femer Bachof AöR 83 (1958), 259 ff.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 64 f., 133; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 40 f.; Groß, Kollegialprinzip, S. 316 f.; Lorenz, AöR 93 (1968), 316; Menger, System, S. 38 f. 88 Bachof AöR 83 (1958), 263. 84

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druck, die Rechtsordnung kenne außer den natürlichen Personen nur noch juristische Personen als Rechtssubjekte, und diesen komme ebenso wie jenen generelle Rechtsfähigkeit zu. Auf dieser Basis erschiene allerdings die Figur eines Organs als partiell rechtsfähiges Rechtssubjekt als Fremdkörper innerhalb der Rechtsordnung. Indessen sind beide Prämissen, aus denen sich dieses Bedenken speist, unrichtig. Rechtssubjektivität ist kein a priori, außerhalb und unabhängig von der Rechtsordnung vorgegebener oder bestehender Status, welcher als Voraussetzung bereits vorliegen müßte, ehe die Rechtsordnung einem Subjekt subjektive Rechte zuweisen könnte, sondern vielmehr umgekehrt notwendige Folge der Zuweisung eines subjektiven Rechts an ein Subjekt. Rechtssubjektivität ist mit anderen Worten ein erst und allein durch Zuweisung subjektiver Rechte entstehendes Produkt der Rechtsordnung, so wie Rechtsfähigkeit keine an und für sich, quasi naturgegebene Eigenschaft ist, sondern dadurch begründet wird, daß Rechtssätze dem betreffenden Individuum oder der betreffenden Organisation die Fähigkeit zur Innehabung subjektiver Rechte zuweisen89. Dies ergibt sich schon daraus, daß allein die Rechtsordnung bestimmen kann, wer Subjekt der durch ihre Rechtssätze begründeten Rechte sein (können) soll, und sich niemand aus eigener Macht zum Inhaber eines Rechts aufschwingen kann. Deshalb ist die Rechtsfähigkeit eine normativ begründete und keine apriorische Eigenschaft. Für die Zuweisung von Rechtsfähigkeit kommen zwei Formen in Betracht. Zum einen kann ein Rechtssatz einem Menschen oder einer Organisation die generelle Rechtsfähigkeit verleihen, zum anderen ist die Zuschreibung einer bloß partiellen Rechtsfähigkeit denkbar 90. Denn so wie es der Entscheidung der Rechtsordnung obliegt, Rechtssubjektivität durch Verleihung genereller Rechtsfähigkeit zu begründen, so kann sie hinter dieser Vollform auch zurückbleiben und sich auf die Verleihung bloß partieller Rechtsfähigkeit beschränken.

aa) Die natürliche Person als Kreation der Rechtsordnung Die These von der normativen Bedingtheit aller Rechtssubjektivität muß befremden, solange man einer Vorstellung verhaftet bleibt, welche die generelle Rechtsfähigkeit von Menschen als logische oder begriffliche Notwendigkeit, als zwingende Folge seiner Wesensnatur versteht. Die Aussage, jeder Mensch sei eine natürliche Person mit genereller Rechtsfähigkeit 91, beschreibt zwar im wesentlichen zutreffend die Rechtslage gemäß der heutigen deutschen Rechtsord89 Vgl. Bachof AöR 83 (1958), 260 f.; Erichsen,, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 9, Krebs, Jura 1981, 573 f.; Schnapp, Amtsrecht, S. 80; Wolff, Organschaft I, S. 150. 90 Vgl. Wolff Organschaft I, S. 150, 199, 202. 91 Rupp, Grundfragen, S. 81 f.

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nung, ist aber als Behauptung einer begrifflichen, logischen oder sachgesetzlichen Übereinstimmung beider Kategorien - also des Menschseins und der Rechtspersönlichkeit - unzutreffend. In der Tat entspricht es einer althergebrachten Erkenntnis, daß erst „das Recht ... den Menschen zur Person [macht]" 92 , oder, in der klassischen Definition von Teil I Titel 1 § 1 des PrALR: „Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt". Nur indem die Rechtsordnung dem Menschen Rechtsfähigkeit verleiht, macht sie ihn also zur natürlichen Person im Rechtssinne93. Zwar können sinnvollerweise nur Menschen zu natürlichen Personen erklärt werden, weshalb jede natürliche Person ein Mensch sein muß, aber keineswegs muß begriffs- oder rechtsnotwendig jeder Mensch eine natürliche Person sein und generelle Rechtsfähigkeit besitzen. Selbst nach der heutigen Rechtslage wäre eine derartige pauschale Annahme dogmatisch unhaltbar. So beginnt nämlich die Rechtsfähigkeit des Menschen gemäß § 1 BGB erst „mit der Vollendung der Geburt", d.h. mit dem vollständigen Austritt des Kindes aus dem Mutterleib 94 , obgleich nach keiner vertretbaren Ansicht das Menschsein erst in diesem Augenblick beginnt. Aus biologischer Sicht beginnt menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung einer menschlichen Eizelle mit einer menschlichen Samenzelle95, und dementsprechend setzt der strafrechtliche Schutz menschlichen Lebens - in freilich abgestufter Weise bereits vor dem in § 1 BGB genannten Zeitpunkt ein: strafrechtlicher Schutz gegen bestimmte Manipulationen am menschlichen Embryo besteht von der Kernverschmelzung an (§ 8 Abs. 1 ESchG 96 ), sodann der (sehr lückenhafte) Schutz der Leibesfrucht gegen vorsätzliche vorgeburtliche Tötung97 ab dem Zeitpunkt der Nidation (§218 Abs. 1 S. 2 StGB), sowie schließlich der volle strafrechtliche Schutz gegen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte von dem Beginn der Geburt an 98 . Auch der grundrechtliche Schutz als Mensch kommt bereits dem nasciturus zu 99 . Geht hiernach aber die Rechtsordnung 92

Puchta, Cursus der Institutionen, § 28, S. 78. G. Jellinek, System, S. 28, 82; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 176 ff; Ο: Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 322 f.; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 172 f., 178; Puchta, Cursus der Institutionen, § 28, S. 78; Wolff Organschaft I, S. 128. 94 Ρ alandt/Heinrichs, BGB, § 1 Rn. 2; Soergel/Fahse, BGB, § 1 Rn. 10. 95 Soergel/Fahse, BGB, § 1 Rn. 10; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 17 f.; Stern, Staatsrecht III/l, § 70 IV 5 d ß, S. 1061; vgl. BVerfGE 39, 1, 37; 88, 203, 251. 96 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746). 97 Vgl. hierzu BVerfGE 39, 1, 46; 88, 203, 256; Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 218 Rn. 19; Tröndle/Fischer, StGB, § 218 Rn. 2. 98 Zu dieser Grenzziehung vgl. BGHSt 10, 5; 31, 348, 351, 355 f.; 32, 194; Eser, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 211 Rn. 13; Tröndle/Fischer, StGB, vor § 211 Rn. 2. 99 BVerfGE 39, 1, 36 ff; 88, 203, 251 f.; v. Münch, in v. Münch/Kunig, GG, vor Art. 1 Rn. 8; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Rn. 18, Art. 2 Rn. 187; 93

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selbst an zahlreichen Stellen davon aus, daß das Menschsein schon vor der Vollendung der Geburt zu bejahen ist, so würde § 1 BGB auf der Basis einer angenommenen Identität von Mensch- und Rechtspersonsein etwas Unmögliches statuieren, indem er die Rechtsfähigkeit erst ab einem späteren Zeitpunkt verleiht und dadurch nichtrechtsfähige Menschen schafft. Schon daraus ergibt sich, daß die These von der notwendigen Identität von Mensch und natürlicher Person unzutreffend sein muß. Zwar erkennt die Rechtsordnung der Leibesfrucht eine partielle Rechtsfähigkeit zu 1 0 0 . Beispielsweise wird dem bereits Gezeugten im Wege einer gesetzlich fingierten Vorverlagerung des Geburtszeitpunktes die Erbfähigkeit verliehen (§ 1923 Abs. 2 BGB), werden ihm Ersatzansprüche im Falle der Tötung Unterhaltspflichtiger gewährt (§ 844 Abs. 2 S. 2 BGB), besitzt er Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB im Falle vorgeburtlicher Verletzung, etc. 101 Aber durch solche punktuell zugewiesenen Rechte erlangt der nasciturus keine generelle Rechtsfähigkeit, wird er nicht zur Rechtsperson102. Selbst partielle Rechtsfähigkeit ist kein logisch oder begrifflich notwendiges Attribut von Menschen, da es eben sehr w o h l (historische) Beispiele von Menschen ohne irgendeine Rechtssubjektivität gibt. Jedenfalls die Figur des Sklaven zeigt, daß einem Menschen sein Leben lang v o m Gesetz die Rechtsfähigkeit und damit der Status einer natürlichen Person vorenthalten werden k a n n 1 0 3 . Sklaven konnten zwar sehr w o h l rechtliche Pflichten

haben, waren also Pflicht-

subjekte. Als reine Pflichtsubjekte ohne Rechte waren sie zwar als Menschen anerkannt und von den Sachen unterschieden, hatten aber nicht den Status von Rechtssubj ekten 1 0 4 . Wenn gegen die begriffliche Unterscheidung von „Mensch" und „natürlicher Person" eingewandt wird, dadurch sei „nicht einmal die Sklaverei theoretisch überwunden" 105, so verkennt dieser Einwand, daß die Überwindung der Sklaverei weder praktisch noch theoretisch davon abhängen kann, zwei Begriffe, die seit jeder mit gutem Grund unterschiedlich verstanden wurden und die auch in der Rechtssprache überlicherweise unterschiedlich verwendet werden 106 , gleichzusetzen. Die Behauptung, der „Gesetzgeber verStern, Staatsrecht III/l, § 70 IV 5 e, S. 1063; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, §33 Rn. 1. 100 OLG Schleswig, MDR 2000, 397 f. mit zust. Anm. Born; Gitter, in MünchKomm BGB, § 1 Rn. 26; Ρalandt/Heinrichs, BGB, § 1 Rn. 7. 101 Zu weiteren Rechten des nasciturus vgl. Born, MDR 2000, 398; Coester-Waltjen, Jura 2000, 107 Fn. 7; Gitter, in MünchKomm BGB, § 1 Rn. 23 ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, § 1 Rn. 6; Soergel/Fahse, BGB, § 1 Rn. 17 ff.; Staudinger/Habermann/Weick, BGB, § 1 Rn. 12 ff. 102 Born, MDR 2000, 398; Coester-Waltjen, Jura 2000, 107; Fabricius, Relativität, S. 111 ff.; Gitter, in MünchKomm BGB, § 1 Rn. 23; Staudinger/Habermann/Weick, BGB, vor § 1 Rn. 3, § 1 Rn. 11. 103 G. Jellinek, System, S. 28; Staudinger/Habermann/Weick, BGB, vor § 1 Rn. 5; Wesel, Geschichte des Rechts, Rn. 144. 104 G. Jellinek, System, S. 82; vgl. v. Savigny, System II, § 65, S. 30 ff.; a.A. Rupp, Grundfragen, S. 83 Fn. 179 unter irriger Berufung auf G. Jellinek, ebd. 105 v. Lübtow, in FS Emst Wolf, S. 447; zustimmend Soergel/Hadding, BGB, vor §21 Rn. 7. 106 Das konzediert auch Soergel/Hadding, BGB, vor § 21 Rn. 7.

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mag dem einzelnen Menschen nichts von seiner Rechtsfähigkeit zu nehmen, die ihm krafi seines Menschseins ... zukommt" 107 , ist, wie die historische Erfahrung schmerzvoll gelehrt hat, leider durchaus unzutreffend. Im Gegenteil: der Gesetzgeber kann dem Menschen sehr wohl die Rechtsfähigkeit vorenthalten, er darf es nur nach zutreffender sittlich-religiöser, naturrechtlicher und (modem formuliert) menschenrechtlicher Erkenntnis nicht 108 . Deshalb sprechen die einschlägigen Menschenrechtserklärungen und -pakte übrigens völlig zutreffend davon, daß jeder Mensch „Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson" (Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) bzw. das Recht hat, „überall als rechtsfähig anerkannt zu werden" (Art. 16 IPbpR 109 ), formulieren also einen gegen den Staat gerichteten Anspruch des Menschen auf Anerkennung als Rechtsperson und tun nicht fälschlich so, als sei jeder Mensch begrifflich ohnehin Rechtssubjekt. Die Überwindung der Sklaverei und anderer Formen empörender Rechtlosstellung von Menschen beruht auf der rechtlichen Anerkennung und praktischen Durchsetzung dieses essentiellen Anspruchs, nicht auf der Leugnung der begrifflichen Differenz zwischen dem „Menschen" als biologischem Wesen und der „natürlichen Person" als Rechtssubjekt. Wann das Menschsein in religiöser und ethischer oder biologischer Betrachtungsweise beginnt, und ob, wann und in welcher Weise die Rechtsordnung hieran anknüpft, sind somit zwei gedanklich zu unterscheidende Fragestellungen110, unbeschadet dessen, daß die Rechtsordnung allerdings Unrechtscharakter annimmt, wenn ihre Regelungen über die Rechtspersönlichkeit die ethisch-religiösen und biologischen Vorgaben mißachten. Der Mensch stellt zwar für jede Rechtsordnung ein ihr vorgegebenes Faktum dar, auf dessen Existenz sie eine Antwort geben muß. Ob diese Antwort jedoch in der Zuerkennung genereller Rechtsfähigkeit und damit der Anerkennung des Menschen als natürliche Person bzw. wenigstens in der Zuerkennung partieller Rechtsfähigkeit besteht, oder ob der Mensch womöglich gar nicht als Rechtssubjekt behandelt wird, ist nicht begrifflich oder logisch vorgegeben, sondern vielmehr abhängig von der jeweiligen Rechtsordnung und ihrer Anerkennung des diesbezüglichen Menschenrechts. Damit ist festzuhalten, daß auch die sogenannte natürliche Personalität eine rechtliche, normative Personalität ist, die erst durch die Rechtsordnung begründet wird. In diesem Sinne könnte man auch den als natürliche Person rechtlich anerkannten Menschen eine Juristische Person" nennen 1 1 1 , wäre nicht letzterer Begriff als „dogmengeschichtlich" zu erklärender Hinweis darauf, daß das betreffende Rechtssubjekt kein Mensch ist 1 1 2 , bereits so

107

So Soergel/Hadding, BGB, vor § 21 Rn. 7. Vgl. Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 10; G. Jellinek, System, S. 28; O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht II, S. 323; Wolff, Organschaft I, S. 133. 109 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl. 1973 II S. 1534). 110 Vgl. BGHSt31,348, 351. 111 Anschütz, Kritische Studien, S. 73; Bernatzik, AöR 5 (1890), 192 f.; Beuthien, NJW 1999, 1143 Fn. 11; Jachmann, Die Fiktion, S. 1102; G. Jellinek, System, S. 28, 82; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 176, 178; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 179; Schnapp, VerwArch 1987, 424; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 32 III c 1. 112 Bernatzik, AöR 5 (1890), 192 f. 108

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

fest eingeführt und besetzt, daß eine Neudefinition außer Betracht bleiben muß. Sachlich muß man sich aber vergegenwärtigen, daß /tec/tfspersönlichkeit immer nur auf dem normativen Wege der diesbezüglichen Anerkennung durch die Rechtsordnung entstehen kann. Deshalb wäre es unzutreffend, rechtliche Personalität auf juristische Personen zu beschränken und anzunehmen, Personen im Rechtssinne seien nur die juristischen Personen.

bb) Die juristische Person als Kreation der Rechtsordnung Ist nach dem Vorstehenden bereits die Rechtssubjektivität von Menschen allein ein Produkt der Rechtsordnung, so gilt diese rechtliche Bedingtheit und Relativität der Rechtssubjektivität erst recht für juristische Personen 113, die erst und allein durch ihre Konstituierung seitens der Rechtsordnung Existenz erlangen. Zwar wäre es unzutreffend, Organisationen im Gegensatz zu Menschen in der äußeren Seinswelt als reine Fiktionen zu verstehen. Wie eingangs gezeigt 114 , kommt Organisationen in den involvierten Menschen sowie den zwischen ihnen vonstatten gehenden Funktionsabläufen durchaus ein reales Substrat zu, welches nicht erst durch die Rechtsordnung geschaffen wird, sondern vielmehr unabhängig von dieser als soziales Phänomen existiert. Aber freilich sind Organisationen „ungriffiger" als Menschen, erfordert ihre Beobachtung und Beschreibung, ihre soziologische Erfassung als tatsächlich wirkmächtige Einheiten ein nicht unerhebliches gedankliches Abstraktionsvermögen. Denn organisatorische Funktionsabläufe sind zwar wirksam sowie in ihren Resultaten beobachtbar und in diesem Sinne existent, aber nicht unmittelbar sichtbar, sondern nur im Wege gedanklichen Schließens identifizierbar. Infolgedessen bedarf die rechtliche Kreation juristischer Personen ein deutlich höheres Maß juristischen und gesetzlichen Abstraktionsvermögens als die Transformation von Menschen in natürliche Personen 115. Dies ändert aber nichts daran, daß in beiden Fällen der Sache nach dasselbe geschieht: Derselbe Prozeß, der aus einem Menschen eine natürliche Person werden läßt, nämlich die in einem Rechtssatz ausgesprochene Zuweisung von Rechtsfähigkeit, macht aus einer Organisation eine juristische Person. Juristische Personen sind also Geschöpfe der Rechtsordnung, die ohne Rechtsordnung und außerhalb derselben keine Existenz hätten. 113

Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 10; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 179; Wolff, Organschaft I, S. 202 f. 114 S. oben A.I.l.a. 115 Deshalb war der Hinweis v. Jherings, Geist des römischen Rechts III, S. 357 f., daß die klassischen römischen Juristen nicht in Kategorien juristischer Personen dachten, sondern unmittelbar auf die dahinterstehenden Menschen durchgriffen (vgl. dazu auch v. Lübtow, in FS Ernst Wolf, S. 448 f.), kein überzeugendes Argument, diese Rechtsfigur nicht mit fortschreitender rechtswissenschaftlicher Durchdringung einzuführen.

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Mit dieser Aussage soll nicht die Seite der Fiktionstheorie eingenommen werden, nach der juristische Personen lediglich rechtliche Fiktionen sind. Es ist hier zwar nicht der Raum, näher auf den seit langem geführten Streit um das Wesen der juristischen Person einzugehen, der im wesentlichen zwischen den Positionen der juristischen Person als rechtliche Fiktion 116 , als personifiziertes Zweckvermögen 117 bzw. als reale Verbandspersönlichkeit 118 geführt wird 1 1 9 . Immerhin ist zu bemerken, daß der Begriff der „Fiktion" mehrdeutig ist 120 , und daß sich ein Gutteil des Streites um die Fiktionstheorie aus dieser Mehrdeutigkeit erklären dürfte. Obschon teilweise erbittert um die Fiktivität juristischer Personen gestritten wird, hat man sich dabei selten die Mühe gemacht, diesen Begriff vorab zu definieren, und hat denn auch meistenteils aneinander vorbei gestritten. Um eine Fiktion im Sinne einer bewußt wahrheits- oder tatsachenwidrigen Annahme handelt es sich bei der juristischen Person allerdings in keinem Falle, schon deshalb nicht, weil die Rechtsordnung mit der Anerkennung juristischer Personen keine Aussage über Tatsachen machen, sondern allein eine Festlegung vornehmen will, was sie als ihre eigenen Subjekte anerkennt 121. Insofern könnte allenfalls von einer „Fiktion" in dem Sinne gesprochen werden, daß mit der juristischen Person ein Sachverhalt normativ angenommen wird, der in Wirklichkeit so nicht besteht. Doch auch eine solche Verwendung des Fiktionsbegriffs würde in bezug auf das Wesen juristischer Personen unzutreffende Assoziationen hervorrufen und wäre daher unglücklich gewählt. Damit würde nämlich impliziert, daß juristische Personen im Unterschied zu natürlichen nicht existieren, sondern nur zu juristischen Zwecken fingiert werden. Eine solche Sichtweise ginge jedoch an dem vorstehend dargelegten Umstand vorbei, daß auch der Mensch Rechtspersönlichkeit als natürliche Person nur durch Verleihung der Rechtsfähigkeit durch die Rechtsordnung erlangen kann, und daß juristische Personen daher nicht anders Kreationen der Rechtsordnung und rechtliche Figuren sind wie die natürlichen Personen auch 122 . Überhaupt muß man feststellen, daß für die Rechtsordnung ohnehin nur existiert, sei es als Subjekt, sei es als Objekt, was sie als rechtlich relevant selbst anerkannt hat. In diesem Sinne schafft sich die Rechtsordnung ihre (normative) 116

Grundlegend v. Savigny, System II, § 85, S. 235 ff. Grundlegend Brinz, Pandekten I, §§ 59 ff., S. 194 ff., 208. 118 Grundlegend v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 5 ff; ders., Das Wesen, S. 13 ff. 119 Zu dieser Diskussion Flume, BGB AT 1/2, S. 1 ff.; Jachmann, Die Fiktion, S. 1099 ff.; Raiser, AcP 199 (1999), 111 ff.; Soergel/Hadding, BGB, vor § 21 Rn. 8 ff.; Wolff, Organschaft I, S. 1 ff. 1 Zu den Bedeutungen des Fiktionsbegriffs Zippelius, Juristische Methoden lehre, § 6 c; eingehend nunmehr Jachmann, Die Fiktion, S. 41 ff., 46 ff., 131 ff. 121 Ähnlich Jachmann, Die Fiktion, S. 1104. 122 Vgl. Schnapp, Amtsrecht, S. 142 Fn. 72; Wolff, Organschaft I, S. 144 f., 208 f. 117

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Wirklichkeit selbst 123 ; das heißt, was die Rechtsordnung nicht anerkennt, was sie nicht zur Kenntnis nimmt, existiert für sie nicht. Insofern ist die Aussage der Fiktionstheorie letztlich trivial, zugleich aber auch irreführend, weil sie suggeriert, daß es sich dabei um eine Besonderheit juristischer Personen handelt, was, wie gesehen, nicht der Fall ist. Des weiteren nimmt die Fiktionstheorie nicht hinreichend zur Kenntnis, daß jede juristische Person als Organisation ein reales Substrat hat 124 und der durch ihre Organe zum Ausdruck gebrachte Gesamtwille der Mitglieder der Organisation sowie der Zweck derselben eine „eigentümliche soziale Realität" darstellt 125 , so daß die juristische Person keineswegs allein als bloße rechtliche Fiktion angesehen werden kann. Insoweit sich die juristische Person als rechtliche Anerkennung und zugleich rechtliche Formung sozial existenter Einheiten darstellt, ist der Fiktionsbegriff daher sachlich unzutreffend, weil das soziale Phänomen der Organisation durch seine rechtliche Transformation in ein Rechtssubjekt nicht etwa seine reale Existenz verliert, sondern im Gegenteil durch seine rechtliche Anerkennung sogar noch stabilisiert wird. Nur insoweit die Fiktionstheorie den Blick darauf lenken will, daß juristische Personen als Rechtssubjekte ihre Existenz ausschließlich rechtlicher Setzung verdanken, verdient sie Zustimmung.

cc) Notwendigkeit sachgerechter Regelung der Rechtssubjektivität Die rechtliche Bedingtheit aller Rechtssubjektivität darf nicht den falschen Eindruck erwecken, ihre Verleihung stehe im Belieben der Rechtsordnung und diese dürfe völlig frei, ja willkürlich befinden, wem sie welches Maß an Rechtsfähigkeit zuerkennt und wem nicht. Jedenfalls eine den Gedanken der Gerechtigkeit sowie der Praktikabilität verpflichtete Rechtsordnung muß den vorgefundenen sozialen Phänomenen in sinnvoller und zweckmäßiger Weise Rechnung tragen und danach streben, ihnen „eine ihrer Natur angemessene rechtliche Form zu geben" 126 . Daß sich die Rechtsordnung auf normativer Ebene ihre eigene Wirklichkeit schafft, heißt nicht, daß sie dies nach freiem Belieben ohne Rücksicht auf die natürliche Wirklichkeit tun dürfte und könnte. Im Gegenteil bezieht jede Rechtsordnung ihren Sinn gerade daher, daß sie auf die Lebenswirklichkeit einzuwirken sucht, indem sie auf die dortigen Akteure Einfluß nimmt, nämlich die Menschen, und zwar eben gerade auch in ihren organisationsmäßigen Zusammenschlüssen. Deshalb können Rechtsordnungen die natür123

Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 91 f. - Vgl. oben D.III.2.b.aa. S. oben A.I.l.a. 125 Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Stichwort „Person", S. 458; vgl. auch Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 200. 126 Puchta, Cursus der Institutionen, § 28, S. 79; ferner Jachmann, Die Fiktion, S. 1103; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 198. 124

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liehen Phänomene und Fakten vielleicht in gewissem Grade unterschiedlich bewerten und sie normativ unterschiedlich behandeln. Aber sie können sie nicht einfach ignorieren. Die durch die Rechtsordnung geschaffene normative Wirklichkeit steht zwar eigenständig neben der tatsächlichen, ist von dieser aber keineswegs losgelöst. Vielmehr müssen sich die wesentlichen Phänomene der Lebenswirklichkeit in der Rechtsordnung widerspiegeln, müssen sie dort ihre normative Entsprechung finden, weil andernfalls die Rechtsordnung ihre Ordnungs- und Gestaltungsaufgabe nicht erfüllen, ihren eigentlichen Sinn und Zweck nicht erreichen könnte. Der Mensch als biologisches Wesen geht jeder Rechtsordnung voraus, lebt und existiert unabhängig von einer wie auch immer gearteten rechtlichen „Anerkennung", so wie Organisationen als soziale Phänomene jeder Rechtsordnung vorausgehen und von dieser unabhängig bestehen und funktionieren können 127 . Menschen und ihre Organisationen sind daher der Rechtsordnung vorgegebene Faktoren, denen sie in angemessener Weise Rechnung tragen muß, um nicht ihre eigentliche Berufung zu verfehlen, eine gerechte Ordnung menschlichen Zusammenlebens zu schaffen. In bezug auf den einzelnen Menschen impliziert dies, wie bereits ausgeführt 128, die normative Notwendigkeit seiner Anerkennung als natürliche Person mit in aller Regel genereller Rechtsfähigkeit. Bei Organisationen verhält es sich differenzierter. Gewiß muß die Rechtsordnung jedenfalls für alle nicht nachgerade sozial unerwünschten und schädlichen Organisationen wie z.B. Verbrecherbanden, deren rechtliche Behandlung sich in ihrem Verbot beschränken kann 129 , positive Regelungen bereithalten. Aber zum einen ist es durchaus sinnvoll, die große Vielfalt denkbarer Organisationsstrukturen auf einen kleineren Kreis von Organisationstypen zu reduzieren, zwischen denen die Träger der Organisation zu wählen haben 130 . Und zum anderen ist die Rechtsordnung keineswegs genötigt, jeder Organisation die Qualifikation als juristische Person mit genereller Rechtsfähigkeit im Verhältnis zu anderen Rechtssubjekten zuteil werden zu lassen. Vielmehr gibt es durchaus Organisationen, bei denen sich die Rechtsordnung in sinnvoller Weise auf die Regelung einzelner Aspekte beschränken kann, beispielsweise hinsichtlich interner Funktionsabläufe oder sonstiger Angelegenheiten der inneren Ordnung. Als juristische Personen werden herkömmlicherweise ausschließlich Organisationen bezeichnet, denen generelle Rechtsfähigkeit zukommt 131 . Indessen steht die Rechtsordnung nicht vor der einzigen Alternative, generelle Rechtsfähigkeit zu verleihen oder überhaupt keine. Wie in bezug auf den nasciturus dar127 128 129 130 131

Vgl. Raiser , AcP 199 (1999), 132 f. S. vorstehend E.II.4.b.aa. Raiser, AcP 199(1999), 136. Raiser , AcP 199 (1999), 135 f. Vgl. Raiser , AcP 199 (1999), 137, 141.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

gelegt wurde, kennt die Rechtsordnung selbst bei Menschen durchaus eine partielle Rechtsfähigkeit 132. Es gibt keinen Grund, weshalb eine solche partielle Rechtsfähigkeit gerade bei Organisationen und deren Untergliederungen nicht in Betracht kommen sollte. Vielmehr kann gerade die Zuerkennung einer solchen partiellen Rechtsfähigkeit die adäquate Reaktion auf die Verschiedenartigkeit der möglichen Organisationsstrukturen sein, weil die Rechtsordnung dadurch ein abgestuftes und flexibles Instrumentarium schafft, den unterschiedlichen Regelungsbedürfnissen gerecht zu werden.

c) Die Relativität aller Rechtsfähigkeit Die Vorstellung partieller Rechtsfähigkeit sollte um so leichter anzuerkennen sein, als auch die generelle Rechtsfähigkeit keineswegs eine wirklich allumfassende ist, und daher zwischen partiell und generell rechtsfähigen Rechtssubjekten mehr ein gradueller als ein prinzipieller Unterschied besteht. Dieser Umstand wird zwar von der gebräuchlichen Terminologie etwas verdeckt, die von „Vollrechtsfähigkeit" im Gegensatz zur „Teilrechtsfähigkeit" spricht 133 , und dadurch den Eindruck erwecken könnte, einer Rechtsperson könnten grundsätzlich sämtliche Rechte in vollem Umfange zustehen. Dies ist indessen bereits bei natürlichen Personen nicht der Fall. So gibt es etwa im Zivilrecht Gruppen von Vorschriften, deren gleichzeitige Anwendung auf dieselbe Person ausgeschlossen ist, so daß von einer wahrhaft umfassenden Rechtsfähigkeit, wenn man diese als Fähigkeit zur Innehabung sämtlicher Rechte verstünde, nicht die Rede sein kann. So kann sich beispielsweise ein Kaufmann auf zahlreiche Verbraucherschutzrechte nicht berufen, während umgekehrt den Verbraucher die handelsrechtlichen Vorschriften nicht betreffen. Daß sich diese Unmöglichkeit aus der tatbestandlichen Fassung der betreffenden Rechtssätze und nicht aus einer gesonderten Rücknahme der zuvor verliehenen generellen Rechtsfähigkeit ergibt, ändert nichts an dem Befund, daß damit die Rechtsfähigkeit gleichwohl notwendig limitiert ist. Noch eindeutiger verhält es sich bei juristischen Personen. Hier ist anerkannt, daß es eine wirklich allumfassende Rechtsfähigkeit nicht geben kann. Denn es gibt zahlreiche Rechte, die ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen anwendbar sind und daher einer juristischen Person niemals zustehen können. So ist etwa der gesamte Bereich des Ehe- und Familienrechts komplett der Anwendung auf juristische Personen entzogen. Dasselbe gilt im Grundrechtsbereich etwa für die Grundrechte der Art. 1 Abs. 1, Art. 2

132

S. vorstehend E.II.4.b.aa. Vgl. Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 11; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 48; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 6; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 116; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 6 f. 133

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Abs. 2, Art. 6, 16a GG, da diese entgegen der Anforderung des Art. 19 Abs. 3 GG wesensmäßig nicht auf juristische Personen passen. Rechtsfähigkeit ist deshalb nie eine absolute, allumfassende 134. So wie schon natürlichen Personen Rechtsfähigkeit in durchaus unterschiedlichem Maße zukommen kann 135 , gilt dies auch und erst recht für Organisationen. Da sich Organisationen voneinander in gewiß noch größerem Maße unterscheiden können als Menschen untereinander, kann es insoweit sachgerecht erscheinen, verschiedene Grade der Rechtsfähigkeit zu bilden. Aufgrund dieser Relativität aller Rechtsfähigkeit 136 wird in dieser Arbeit nicht von „Vollrechtsfähigkeit", sondern von genereller Rechtsfähigkeit gesprochen. Dabei ist der Begriff „generell" durchaus in seiner doppelten Bedeutung der Allgemeinheit und Pauschalität als auch der Grundsätzlichkeit zu verstehen: Die generelle Rechtsfähigkeit ist „generell" zum einen dadurch, daß sie durch eine allgemeine, pauschale Zuweisung von Rechtsfähigkeit entsteht137, zum anderen in dem Sinne, daß es sich hierbei eben nur um eine grundsätzliche, nicht aber um eine umfassende Rechtsfähigkeit handelt. Im Unterschied hierzu verdankt eine partielle Rechtsfähigkeit ihre Entstehung nicht einer pauschalen Zuweisung von Rechten, sondern einer durch einzelne Vorschriften erfolgende 138. Diese können sehr spezifischen Inhalts sein und enumerativ nur ganz spezielle Rechte zuweisen, doch können sie auch ganze Rechtsbereiche abdecken. Je nachdem, wie viele Rechtsbereiche aus der ge134 Bachof AöR 83 (1958), 263 f.; U Bauer, Organklagen, S. 33; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 64; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 48; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 166 f.; Krebs, Jura 1981, 574; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 196 f.; Rupp, Grundfragen, S. 22 f., 82; Schnapp, Amtsrecht, S. 80; Wolff Organschaft II, S. 249; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 19. 135 Vgl. Puchta, Cursus der Institutionen, § 28, S. 79. 136 U. Bauer, Organklagen, S. 33; Bick, Die Ratsfraktion, S. 58 f.; Böckenförde, in FS Wolff, S. 281 f.; Bonk , Organstreitigkeiten, S. 56 f.; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, §11 Rn. 11; Fabricius, Relativität, S. 235 ff.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 167; Krebs, Jura 1981, 574; ders., in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 20; Lüders, Ratsausschüsse, S. 66 ff; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 196; Rudolf in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 6; Rupp, Grundfragen, S. 23, 82; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 116; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 92; Thoma, HdbDStR II, S. 611; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 18 ff; ferner Friesenhahn, in FS Thoma, S. 39. 137 Daß die generelle Rechtsfähigkeit im „Kern" die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit im Vermögens- und haftungsrechtlichen sowie zivilprozessualen Bereich sei (so Böckenförde, in FS Wolff, S. 304), findet im Gesetz keine Stütze, da dieses als selbstverständlich davon ausgeht, daß natürliche und juristische Personen auch sämtliche verwaltungsrechtlichen Rechte und Pflichten zukommen können. 138 Wolff Organschaft I, S. 150; femer Bachof, AöR 83 (1958), 264; Bick, Die Ratsfraktion, S. 58; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 57 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 48; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 6; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 71 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, §32 Rn. 6 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 20.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

nerell verliehenen Rechtsfähigkeit entprechend der Natur des betreffenden Rechtssubjektes auszunehmen sind, bzw. wie viele spezifische Zuweisungen subjektiver Rechte an ein Rechtssubjekt erfolgt sind und wie umfassend diese ausgestaltet sind, nähern sich generelle und partielle Rechtsfähigkeit mehr oder weniger weit an, so daß ihr Unterschied eher quantitativer denn qualitativer Natur ist 139 . Es griffe freilich zu kurz, das Vorliegen genereller bzw. partieller Rechtsfähigkeit allein als Frage der Gesetzestechnik zu betrachten. Zwar ist die Verleihung genereller Rechtsfähigkeit gesetzestechnisch einfacher, weil sich der Gesetzgeber auf einen pauschal zuweisenden Rechtssatz beschränken und die Ermittlung, welche subjektiven Rechte ihrer Natur nach der juristischen Person zustehen können, dem Rechtsanwender überlassen kann, während er bei partieller Rechtsfähigkeit diese Entscheidung für jeden einzelnen Rechtssatz selbst ausdrücklich oder konkludent treffen muß. Dennoch hat die Begründung juristischer Personalität durch die Zuweisung genereller Rechtsfähigkeit darüber hinausgehendes nicht zuletzt symbolisches Gewicht. Denn sie setzt grundlegende Signale für das Verhältnis der Rechtssubjekte untereinander und ist mit einer Aufwertung im Rechtsverkehr verbunden. Was jedoch das mögliche Ausmaß an konkret zustehender Rechtsfähigkeit betrifft, brauchen die Unterschiede unter Umständen nicht sonderlich groß zu sein. Auch deshalb wäre es nicht überzeugend, die Rechtssubjektivität an der (beweglichen) Scheidegrenze zwischen genereller und partieller Rechtsfähigkeit messen zu wollen. Diese Bedeutung kommt dem nicht zu, und deshalb ist festzuhalten, daß Rechtssubjekt jeder ist, dem die Rechtsordnung auch nur ein einziges subjektives Recht zuweist, wenngleich diese Rechtssubjektivität solchenfalls allerdings in ihrem Ausmaß eine nur sehr beschränkte, nämlich auf die Ausübung eben dieses Rechts begrenzte wäre.

d) Organe als partiell rechtsfähige Rechtssubjekte ohne Rechtspersönlichkeit Aus dem Vorgehenden folgt, daß das Fehlen juristischer Persönlichkeit kein Indiz für ein Fehlen von Rechtssubjektivität überhaupt, sondern vielmehr die Option partieller Rechtsfähigkeit in Betracht zu ziehen ist. Daß Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht selbst juristische Personen sind, ist daher kein Grund für die Annahme, sie könnten keine subjektiven Rechten innehaben140. Die Rechtsordnung ist weder logisch noch nach dem Begriff des subjektiven Rechts noch nach der Natur der Sache gehindert, 139 Eick, Die Ratsfraktion, S. 59; Erichsen,, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 11; Krebs, Jura 1981, 574; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 116; Schnapp, Amtsrecht, S. 81. 140 Vgl. Böckenförde, in FS Wolff, S. 304 f.; v. Gierke , Genossenschaftstheorie, S. 173; Wolff Organschaft II, S. 248 ff.

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als Inhaber subjektiver Rechte

Organe und Organteile im „innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis" 141 als „Zurechnungsendsubjekte" innerorganisatorischer Berechtigungen zu konstituieren 142 , ihnen mit anderen Worten inhaltlich auf die Organisationsstruktur und ihre jeweiligen Organkompetenzen bezogene subjektive Rechte zuzuweisen und sie dadurch als partiell rechtsfähige Rechtssubjekte anzuerkennen 143. Folglich läßt sich aus ihrer fehlenden juristischen Persönlichkeit kein Argument gewinnen, weshalb die ihnen zugewiesenen Kompetenzen keine subjektiven Rechte sein sollten. Mit der Zuerkennung einer in einer partiellen Rechtsfähigkeit bestehenden Rechtssubjektivität kommt es auch keineswegs zu der perhorreszierten Aufspaltung des Staates in mehrere Personen. Wenn also die Einheit des Staates betont und im Hinblick darauf ausgeschlossen wurde, die staatlichen Organe und Behörden als Rechtspersonen anzusehen144, so mag dies durchaus angehen. In der Tat können Rechtspersonen zueinander nur im Verhältnis der Stellvertretung stehen, während die Rechtsordnung keinen Fall der organschaftlichen Eingliederung einer Rechtsperson in eine andere kennt. Versteht man Organe jedoch als partiell rechtsfähige Rechtssubjekte ohne Rechtspersönlichkeit, so löst sich das scheinbare Dilemma, wie es innerhalb einer juristischen Person Organe mit eigenen Rechten geben können soll, ohne weiteres auf. Dann läßt sich nämlich die mit genereller Rechtsfähigkeit ausgestattete juristische Person als Rechtsperson verstehen, deren Organe und Organteile mit lediglich partieller Rechtsfähigkeit ausgestattete Rechtssubjekte sind, ohne selbst Rechtspersönlichkeit zu beanspruchen 145. Da die Innehabung subjektiver Rechte allein Rechtssubjektivität bedingt, nicht aber Rechtspersönlichkeit, bestehen sonach auch unter diesem Aspekt keine Bedenken gegen die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen und Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts.

141

Friesenhahn, in FS Thoma, S. 38. Wolff Organschaft II, S. 248, 250; femer Becker-Birck, Insichprozeß, S. 36 f.; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 14; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 44 f.; Naumann, Verhandlungen des 38. DJT, D 30. 143 VGH Mannheim, ESVGH 28, 7, 8; BWVPr 1977, 181, 182; DÖV 1983, 862; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 66; Friesenhahn, in FS Thoma, S. 38 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 42; v. Mutius, Kommunalrecht, Rn. 838; Seeger, BWVPr 1978, 50; Wolff Organschaft I, S. 198 f.; ders., Organschaft II, S. 248 ff., 279; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 74 I f 8; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 32 Rn. 4. 144 Vgl. Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 447 f. - S. hierzu oben E.II.l. 145 Ähnlich v. Gierke , Labands Staatsrecht, S. 44 („Denn die Stellung als Organ oder Organtheil ist ... ein Zustand von Theilpersönlichkeit in der Gesammtpersönlichkeit") sowie ders., Genossenschaftstheorie, S. 174; Thoma, HdbDStR II, S. 610 f., 613; femer OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140; Böckenförde, in FS Wolff, S. 282, 300 f.; Friauf Der Staat 1970, 233; Rupp, Grundfragen, S. 85 f. 142

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

5. Der Einwand unzulässiger Rechtsfortbildung Ausgehend von der Erkenntnis, daß eine „Vermengung begrifflich-konstruktiver Fragen mit sachlich-materiellen Problemstellungen und die Beantwortung rechtsdogmatischer Aufgaben mittels rechtstheoretischer Zuordnungen" unstatthaft ist 146 , hat Papier gegen die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen und Organteilen schließlich eingewandt, daß deren Annahme zwar rechtstheoretisch möglich sei, daß durch eine „Überhöhung von Kompetenzen zu subjektiven Rechten" jedoch der tradierte Begriff des subjektiven Rechts geändert werde und es deshalb eine „'apokryphe' Gesetzeswandlung durch (nachträgliche) Begriffsveränderung" darstelle, wenn der rechtsdogmatisch zu bestimmende Anwendungsbereich der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten durch eine bloß rechtstheoretische Begriffsverschiebung ausgeweitet werde 147 . Dieser bedenkenswerte Einwand basiert auf der Überlegung, daß dem Gesetzgeber bei der Normierung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten - von der Eröffnung des Rechtsweges über die Bestimmungen bezüglich der Klagebefugnis bzw. des erforderlichen Feststellungsinteresses bis hin zu den Klagearten und gerichtlichen Entscheidungsmöglichkeiten - bestimmte Falltypen vor Augen gestanden haben, denen er mit den statuierten rechtlichen Kategorien gerecht werden wollte. Mit der Voraussetzung einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit (§ 40 Abs. 1 VwGO) 1 4 8 und der Anknüpfung an subjektive Rechte (§ 42 Abs. 2, § 43 Abs. 1 VwGO) 1 4 9 insbesondere hat er bestimmte Vorstellungen darüber verbunden, was eine solche Streitigkeit und was ein subjektives Recht ist. Diese gesetzgeberische Vorstellungswelt umschloß nun aber, wie sich kaum bezweifeln läßt, in erster Linie Streitigkeiten im Bürger-Staat-Verhältnis, während ihr Organstreitigkeiten eher fern gelegen haben dürften 150 , und in der Tat ist einzuräumen, daß sich in den Materialien zur VwGO keine völlig eindeutigen Stellungnahmen zur Organstreitthematik fin-

146

Papier, DÖV 1980, 293. Papier, DÖV 1980, 293. 148 S. oben C.I. 149 S. oben C.IV. 1. 150 Vgl. Aulehner, JA 1989, 481; v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 435; Bauer/ Krause, JuS 1996, 411; Bethge, Die Verwaltung 1975, 466, 470; ders., DVB1. 1980, 309 f., 824; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 21; Dolde, in FS Menger, S. 436; Ehlers, NVwZ 1990, 105; Fink, WissR 1994, 127; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 784; Herbert, DÖV 1994, 110; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 33, 178; ders., NJW 1980, 1017; Kingreen, DVB1. 1995, 1338; Krebs, Jura 1981, 577; Martensen, JuS 1995, 989; Maurer, AllgVerwR, § 21 Rn. 1; Schmidt-De Caluwe, JA 1993, 115; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 91; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 193. 147

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den 151 . Von daher fragt sich, ob es der gesetzgeberischen Konzeption des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes noch gerecht wird, wenn durch eine wiewohl rechtstheoretisch und an sich auch rechtsdogmatisch gut begründete Erstreckung des subjektiven Rechtsbegriffs auf subjektive Rechte von Organen an ihrer Kompetenz der Rechtsschutz in dieser Weise ausgeweitet wird, oder ob ein solcher Schritt ein Tätigwerden des Gesetzgebers verlangte und im Wege bloßer Gesetzesinterpretation unstatthaft sein muß 152 . Gegen dieses Bedenken ist indes bereits in methodischer Hinsicht vorzubringen, daß es die Vorstellungen des Gesetzgebers in einer zu statischen Weise versteht und angesichts der allgemeinen Verrechtlichungstendenz selbst dann nicht durchgriffe, wenn der historische VwGO-Gesetzgeber nicht an Organstreitigkeiten gedacht haben sollte (nachfolgend a). Tatsächlich erweist sich freilich schon die Prämisse des Rechtsfortbildungseinwandes als unbegründet, da dem VwGO-Gesetzgeber nicht nur Organstreitigkeiten tatsächlich durchaus geläufig waren (unten b), sondern er in Gestalt des § 193 VwGO sogar selbst Vorkehrungen fur Verfassungsorganstreitigkeiten getroffen hat (unten c), so daß keineswegs gesagt werden kann, die Unterstellung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten unter die VwGO sprenge deren Rahmen.

a) Die allgemeine Verrechtlichungs-

und Subjektivierungstendenz

In methodischer Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, daß zwar im Ausgangspunkt allerdings der Wille des historischen Gesetzgebers für die Auslegung des Gesetzes maßgeblich ist 153 , daß dieser Wille jedoch nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen ist 154 . Die Rückanbindung der Auslegung eines Rechtssatzes an den Willen des Gesetzgebers, der diesen Rechtssatz erlassen hat, muß daher die Entwicklungstendenzen der Rechtsordnung berücksichtigen, wie sich diese in späteren Gesetzgebungsakten ausgedrückt hat. Denn es ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber selbst eine dynamisch fortentwickelte Auslegung und Anwendung seiner Gesetze will, solange nur diese nicht seinen Grundentscheidungen zuwiderläuft. Namentlich wenn der Gesetzgeber bewußt unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, ist daher im allgemeinen davon auszugehen, daß ihre dogmatische Weiterentwicklung durch Rechtsprechung und Rechtswissenschaft durch den dynamisch verstandenen Willen des Gesetzgebers gedeckt ist, solange dabei die dem betreffenden Rechtssatz zugrunde liegende gesetzgeberische Wertentscheidung beachtet wird. Die Frage lautete da151

Zur Frage der Beteiligungsfähigkeit von Behörden beachte aber unten H.I. 1 .a. Papier, DÖV 1980, 294 f. 153 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 28 ff; Roth, VerwArch 1997, 434 ff, jeweils m.w.N. 154 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 62 ff. 152

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

her richtigerweise nicht, ob subjektive Rechte von Organen genau der Vorstellung des historischen Gesetzgebers und seinem Bild vom subjektiven Recht entsprechen, sondern ob sie sich so weit von seinen Vorstellungen entfernen, daß sie einen qualitativen Sprung bedeuteten, den nur der Gesetzgeber vollziehen darf, nicht aber der Rechtsanwender im Wege der Interpretation. Für diese Bewertung ist es erforderlich, sich die Entwicklung zu vergegenwärtigen, die insgesamt in bezug auf den Begriff des subjektiven Rechts zu verzeichnen ist 155 . Denn eine Weiterentwicklung fand ja nicht allein im Umfeld von Organstreitigkeiten statt. Georg Jellinek konstatierte schon Ende des 19. Jahrhunderts einen „grossen geschichtlichen Zug in allen modernen Staaten ..., den Kreis der formellen Rechte fortwährend zu erweitern", eine Entwicklung, die vor allem der „Einführung einer geregelten Verwaltungsgerichtsbarkeit" zu verdanken, aber noch keineswegs abgeschlossen sei 156 . Galt diese Bemerkung schon vor dem Hintergrund des Enumerationsprinzips, so kann kaum ein Zweifel bestehen, daß der Übergang zur Generalklausel einen nochmaligen Verrechtlichungs- und Subjektivierungsschub mit sich brachte. Nicht minder gravierende Folgen für die Entwicklung des Rechtsschutzsystems hatte ferner die vor dem Hintergrund der Grundrechte seit 1949 erfolgte zunehmende Subjektivierung einer immer größeren Zahl von Rechtssätzen, die zuvor als lediglich objektiver Natur eingestuft wurden 157 . Papier selbst nennt zu Recht die Beispiele der Nachbarklage insbesondere bei umweltrelevanten Großvorhaben und der beamtenrechtlichen Konkurrentenklage 158, und weiter anzuführen wäre etwa die Entwicklung des öffentlichen Baunachbarrechts 159. Der durch die bezeichnete allgemeine Verrechtlichungs- und Subjektivierungstendenz 160 bewirkte Ausbau der Rechtsschutzmöglichkeiten übersteigt die durch die Subjektivierung von Organkompetenzen bewirkte Erweiterung bei weitem. In Relation zu diesem Gesamtkontext stellen sich die Folgen der Anerkennung verwaltungsgerichtlich austragbarer Organstreitigkeiten bescheidener dar, als ihre isolierte Betrachtung scheinen läßt, und entsprechend wäre auch eine - unterstellte - Abweichung von der ursprünglichen Konzeption des Gesetzgebers als merklich geringer einzustufen. Richtig ist zwar, daß all dies nicht den Unterschied zwischen dem Rechtsschutz im Bürger-Staat-Verhältnis und dem in den Beziehungen der Organe und Organteile untereinander aufhebt. Aber es würde eben doch einen unzutreffenden Eindruck vermitteln, die etwaigen dies155

Zu diesen Entwicklungslinien H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 12 ff.

m.w.N. 156 157 158 159 160

G. Jellinek, System, S. 71. Dazu näher unten F.I.3.a. Papier, DÖV 1980,296. Vgl. dazu BVerwG, ZfBR 1996, 328, 331. Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 86 ff.

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bezüglichen Änderungen im Rechtsschutzsystem allein auf das Konto der Organstreitigkeiten zu verbuchen, während ihnen tatsächlich nur eine vergleichsweise geringere zahlenmäßige Bedeutung fur die Gesamtentwicklung zukommt. Von besonderem Gewicht ist schließlich die gesamte Entwicklungstendenz der Rechtsordnung zu einem immer größeren Maß an Verrechtlichung. Die Anforderungen, die aus dem Rechtsstaatsprinzip für das Handeln des Staates abgeleitet werden, haben sich in beträchtlichem Maße erhöht. Das Rechtsstaatsprinzip gilt nun aber nicht nur für das Handeln der staatlichen Gewalt gegenüber dem Bürger, sondern als Fundamentalsatz für alles Handeln des Staates und seiner Organe. Infolgedessen wird vielfach vertreten, daß Organstreitigkeiten, auch wenn sie nicht in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG fallen 161 , doch zumindest aus rechtsstaatlichen Grundsätzen einer gerichtlichen Prüfung und Entscheidung unterworfen werden können müssen162. Denn immerhin sind auch normativ festgelegte Organkompetenzen Teil der Rechtsordnung, und nachdem sich die Impermeabilitätstheorie nicht allein als unhaltbar, sondern als in ihrer strengen Form ohnehin nie vertreten erwiesen hat 163 , wäre es wenig überzeugend, anzunehmen, es überstiege die vom Gesetzgeber 1960 in der VwGO angelegten Möglichkeiten, die prozessualen Folgerungen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Da nach der Konzeption des Grundgesetzes die autoritative Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten den Gerichten zugewiesen ist (Art. 92 GG), fügt sich die gerichtliche Entscheidung von Organstreitigkeiten zudem harmonisch in dieses Gesamtgefüge ein.

b) Organstreitigkeiten

in den Vorläufergesetzen

der VwGO

Für die Auslegung der VwGO wie für die Einschätzung der Rechtsentwicklung hin zu der Unterstellung von Organstreitigkeiten unter ihr Rechtsschutzsystem ist von Bedeutung, daß das Institut gerichtlich austragbarer Organstreitigkeiten keineswegs eine Erscheinung ist, die sich erst unter der Geltung der VwGO ergeben hat 164 , wenngleich allerdings die Bezeichnung beispielsweise als „Gemeindeverfassungsstreitigkeit" 165 bzw. „Kommunalverfassungsstreitigkeit" oder eben - in Anlehnung an die Verfassungsorganstreitigkeiten - „Kom-

161

S. oben B.I.2.a. S. oben B.I.2.b. 163 Hierzu eingehend oben C.II. 164 Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 29 ff.; Henrichs, DVB1. 1959, 549; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 6; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 3. 165 So wohl erstmals 1950 vom OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 228 gebraucht und 1954 von Menger, System, S. 224 Fn. 12 in die Literatur übernommen. 162

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

munalverfassungsorganstreitigkeit" neueren Datums ist 166 . Vielmehr sind derartige verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten bereits sowohl unter den der VwGO zeitlich unmittelbar vorausgegangenen Vorläufergesetzen (den VGG, der MRVO Nr. 141 und der MRVO Nr. 165 sowie dem BVerwGG) als auch nicht minder bemerkenswert - schon unter verschiedenen noch weiter zurückliegenden vorkonstitutionellen Verfahrensgesetzen gerichtlich ausgetragen worden. Da die VwGO wie alle Gesetze einer historischen Interpretation zugänglich ist 167 , ist diese frühere Rechtslage gleichermaßen für die Auslegung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel wie die aller anderen Vorschriften der VwGO von erheblicher Bedeutung, wobei vorliegend naturgemäß thematisch die Behandlung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten interessiert.

aa) Organstreitigkeiten in vorkonstitutionellen Verwaltungsgesetzen Das Institut der Kommunalverfassungsorganstreitigkeit ist keine Erfindung erst der nachkonstitutionellen Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Verwaltungsprozeßrechts 168, sondern war der Sache nach jedenfalls teilweise bereits im Deutschen Reich bekannt, nachdem auch unter der Herrschaft des Enumerationsprinzips sehr wohl Fälle verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen von Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten vorkamen 169 . Freilich ist angesichts der damaligen Zersplitterung des Verwaltungsrechtsschutzes nicht allein zwischen den Ländern, sondern selbst innerhalb bestimmter Länder, kein einheitliches Bild zu zeichnen 170 , doch ist dies für den Zweck der vorliegenden Darstellung auch nicht erforderlich. Rechtsordnungen wie die badische und die bayerische sahen keine Möglichkeit zur Austragung von Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten vor. In Bayern war immer die Gemeinde Partei des Verwaltungsstreitverfahrens, nie eines 166

Zur Entwicklung der Terminologie Knöppel, Kommunal verfassungsstreitverfahren, S. 3 ff. 167 Daß die Betrachtung dieser historischen Vorbilder „für die Problematik unter dem geltenden Verwaltungsprozeßrecht nicht ergiebig" sei, weil es allein auf die Auslegung der heutigen Generalklausel ankomme (Tsatsos, Organstreit, S. 12), verkennt, daß § 40 Abs. 1 VwGO als eine Gesetzesbestimmung wie jede andere auch sehr wohl einer historischen Interpretation (zu dieser Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 155 ff.; Zippelius, Juristische Methoden lehre, § 10 II) zugänglich ist. 168 Vgl. Becker-Birck, Insichprozeß, S. 20; Henrichs, DVB1. 1959, 549. 169 G. Arndt, DÖV 1963, 571; Becker-Birck., Insichprozeß, S. 22; Bonk,, Organstreitigkeiten, S. 19 ff.; Henrichs, DVB1. 1959, 550; Kiock., Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 6 ff. 170 Zu den verschiedenen Verwaltungsgerichtssystemen mit ihren jeweiligen Kombinationen von Enumeration und beschränkten Generalklauseln umfassend Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 261 ff., 489 ff.

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ihrer Organe 171 ; der Magistrat bzw. Gemeindeausschuß oder Gemeinderat konnten lediglich als gesetzliche Vertreter der Gemeinde im Prozeß auftreten bzw. den Bürgermeister zu einer Prozeßvertretung bevollmächtigen172. In diesem Sinne stellte der BayVGH fest, daß sich im bayerischen Recht „keinerlei Bestimmungen über eine etwaige Zuständigkeit des königlichen] Verwaltungsgerichtshofes in einem Konflikte zwischen Gemeindeausschuß und Gemeindeversammlung wegen Abgrenzung ihrer gegenseitigen Kompetenzen" fänden 173. Kompetenzstreitigkeiten mußten daher entweder gegen die Gemeinde selbst ausgetragen oder auf den Träger der Rechtsaufsicht übergeleitet werden. Erstere Möglichkeit war - als besondere Ausnahme und wohl eher zufällig - durch Art. 8 Ziff. 26 des BayVGG von 1878 eröffnet, wonach alle bestrittenen Rechtsansprüche aus dem Gebiete des „Stimmrechts in Gemeindeangelegenheiten" gerichtlich entscheidbare Verwaltungsrechtssachen waren. Der BayVGH legte diese Bestimmung extensiv dahin aus, nicht lediglich Streitigkeiten um das Stimmrecht der Gemeindebürger (wie es wohl der Intention des Gesetzgebers entsprochen hätte), sondern auch das Stimmrecht der Mitglieder der gemeindlichen Organe zu erfassen 174. Nach dieser weiten Auslegung war, „soferne das besagte Recht von einer Seite bestritten wird" 1 7 5 , der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, und so konnte etwa ein Mitglied des Magistrats oder ein Mitglied eines Gemeindeausschusses sein organschaftliches Stimmrecht gerichtlich verteidigen 176 , freilich, wie gesagt, nicht gegen den Magistrat oder den Gemeindeausschuß selbst, sondern gegen die Gemeinde. Von diesem Sonderfall abgesehen, war ein Gemeindeorgan, das sich durch ein anderes Gemeindeorgan in seinen Kompetenzen verletzt sah, auf die Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde beschränkt. Nur wenn diese eine Beanstandung aussprach, konnte es zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren kommen, indem nämlich das Organ, dessen Maßnahme beanstandet worden war, die zu seinen Ungunsten ergangene staatsaufsichtliche Verfugung unter dem Titel des Eingriffs in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht gerichtlich anfechten konnte 177 . Letzteres galt ebenso für Baden, wo die Staatsaufsichtsbehörde über die Einhaltung der den Gemeindeorganen gesetzten Befugnisgrenzen zu wachen hatte 178 (§ 9 Abs. 2 BadGemO), und gegen deren Anordnungen der Gemeinde

171

Dyroffl Bay VGG, Art. 19 Anm. 1, S. 541. Dyroff, Bay VGG, Art. 19 Anm. 2, S. 543. 173 BayVGH, VGH a.F. 13 (1892), 43, 44. 174 BayVGH, Das Recht 1911, Sp. 143; VGH a.F. 36 (1915), 233. 175 BayVGH, VGH a.F. 5 (1884), 80, 82. 176 BayVGH, VGH a.F. 36 (1915), 233; 38 (1917), 185. 177 BayVGH, VGH a.F. 13 (1892), 43, 45 f.; vgl. v. Seydel/Piloty, recht I, S. 526 Fn. 60. 178 Vgl. Gündert, Badische Gemeindeordnung, § 9 Anm. 7. 172

Bayerisches Staats-

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

die Beschwerde und letztlich die Klage beim BadVGH offenstand (§ 9 Abs. 5 BadGemO). Nach diesem süddeutschen Modell war es somit nicht vorgesehen, daß zwei Kommunalorgane gegeneinander prozessierten, sondern infolge der regelmäßig notwendigen Einschaltung der staatlichen Rechtsaufsicht wurden die Prozesse im allgemeinen zwischen der Gemeinde und dem Träger der Rechtsaufsichtsbehörde ausgetragen; die Frage der Verletzung von Organkompetenzen stellte sich in diesen Verfahren stets nur inzident als Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der aufsichtsbehördlichen Beanstandungsverfügung. Immerhin können jedoch auch die Prozeßordnungen, die die gerichtliche Austragung von Organstreitigkeiten als solche nicht vorsahen, sondern derartige Streitigkeiten in die Auseinandersetzung zwischen der betroffenen Selbstverwaltungskörperschaft und der Staatsaufsicht verlagerten 179, keinesfalls dahin verstanden werden, sie hätten dies aus grundsätzlichen dogmatischen Gründen fur unmöglich gehalten. In bezug auf die Verteidigung des Stimmrechts in Gemeindeorganen ist auf das Gesagte zu verweisen; und daß der BayVGH immerhin überhaupt ernsthaft prüfte, ob er zur Entscheidung „in einem Konflikte zwischen Gemeindeausschuß und Gemeindeversammlung" zuständig sei 180 , läßt sich trotz der schließlichen Verneinung seiner Zuständigkeit nur so verstehen, daß eine solche dogmatisch an sich in Betracht gekommen wäre. Das Fehlen einer einschlägigen rechtswegeröffnenden Klausel berechtigte nie zur Folgerung, daß die somit der gerichtlichen Entscheidung entzogenen Streitigkeiten keine justitiablen Rechtsfragen betrafen 181; daß sich in den gesetzlichen Zuständigkeitskatalogen keine Bestimmungen für Organstreitverfahren fanden, berührte demzufolge nicht deren prinzipielle Denkbarkeit. Sowohl in rechtlicher als auch in praktischer Hinsicht ganz anders verhielt es sich jedoch in Preußen, und diese Feststellung ist angesichts der Bedeutung der preußischen Verwaltungsrechtspflege für die nachfolgende Rechtsentwicklung im hiesigen Kontext von besonderer Bedeutung. In Preußen fanden sich nämlich in den Katalogen statthafter Klagen etliche Konstellationen gerichtlich austragbarer Organstreitigkeiten, die auf allen Ebenen der Selbstverwaltungskörperschaften - Städte, Landgemeinden, Kreise und Provinzen - nahezu durchgängige Möglichkeiten eröffneten, Streitigkeiten über die Befugnisse der jeweiligen Organe verwaltungsgerichtlicher Entscheidung, letztinstanzlich des PrOVG zuzuführen, und zwar ohne Einbeziehung des Trägers der jeweiligen Rechtsaufsichtsbehörde, sondern zwischen den Organen der jeweiligen Körperschaft selbst.

179 180 181

Vgl. BayVGH, VGH a.F. 13 (1892), 43, 44 f. BayVGH, VGH a.F. 13 (1892), 43, 44. BayVGH, VGH a.F. 24 (1903), 472, 473.

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Zunächst ist hier auf die Vorschriften über Streitigkeiten zwischen Mitgliedern kommunaler Vertretungsorgane und dem Vorsitzenden jener Organe bzw. dem Organ insgesamt wegen verhängter Ordnungsmaßnahmen zu verweisen 182. Da diese Vorschriften keineswegs eng verstanden wurden, konnten etwa nach § 10 Nrn. 2 und 3, § 11 Abs. 1 S. 2 PrZustG Streitigkeiten zwischen einzelnen Gemeinderatsmitgliedern (Stadtverordneten) und der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung) Gegenstand einer verwaltungsgerichtl ichen Klage sein, wenn etwa dem Gemeinderatsmitglied „das Recht, an den Sitzungen Theil zu nehmen, verkümmert würde" 183 . Wenn also ein Gemeinderatsmitglied gegen eine ihm auferlegte Ordnungsstrafe wegen ordnungswidrigen Benehmens vorging, dann hatte dementsprechend die Gemeindevertretung „ihren Beschluß in einem sich anschließenden Verwaltungsstreitverfahren für sich und nicht namens der Gemeinde zu vertreten" 184 . Damit war eine Intraorganstreitigkeit (Organteil-Organteil- oder Organ-Organteil-Streitigkeit 185) eröffnet, wenn das Gemeinderatsmitglied sich durch die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme in der Wahrnehmung seines Mandates beeinträchtigt sah. Entsprechendes galt für die verwaltungsgerichtliche Klage eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Gemeinderat wegen seiner Ausschließung186, ferner für die Klage eines Stadtverordneten gegen die Stadtverordnetenversammlung 187 bzw. eines Kreistagsmitglieds gegen den Kreistag wegen eines Beschlusses über die Ungültigkeit der Wahl des Klägers 188 . Ferner fanden sich eine Reihe von Bestimmungen, die ausdrücklich eine gerichtliche Austragung von Organstreitigkeiten wegen Kompetenzüberschreitung vorsahen. Von besonderer praktischer Bedeutung war dabei § 15 PrZustG, wonach in den Stadtgemeinden Beschlüsse der Gemeindevertretungen durch den Gemeindevorstand, Beschlüsse des Gemeindevorstandes durch den Bürgermeister zu beanstanden waren, wenn das betreffende Organ seine Befugnisse überschritt oder der Beschluß sonst die Gesetze verletzte. „Gegen die Verfügung des Gemeindevorstandes (Bürgermeisters) steht der Gemeindevertretung, beziehungsweise dem kollegialischen Gemeindevorstande, die Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu" (§15 S. 2 PrZustG). Nahezu wortgleiche Beanstandungs- mit nachfolgenden Klagemöglichkeiten bestanden nach § 140 LGO öst-

182

Vgl. BonK Organstreitigkeiten, S. 24 f.; Henrichs, DVB1. 1959, 549 Fn. 8; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 7 f. 183 PrOVG, PrVBl. 17 (1895/96), 222, 223 f. 184 PrOVGE 75, 94, 96. 185 Zu diesen Kategorien oben A.II.l. 186 PrOVGE 90, 127. 187 PrOVGE 14, 56, 58. 188 PrOVGE 3, 60 f.; 10, 24, 28.

528

E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

liehe Provinzen 1 8 9 sowie nach § 29 PrZustG für die nicht der L G O östliche Provinzen unterfallenden Landgemeinden, mit dem Unterschied lediglich, daß das in § 29 PrZustG vorgesehene Beanstandungsrecht des Bürgermeisters gegenüber Beschlüssen des kollegialischen Gemeindevorstandes nicht in § 140 L G O östliche Provinzen übernommen w a r 1 9 0 . Entsprechende Regelungen trafen die Kreisordnungen 1 9 1 für die auf Befugnisüberschreitung oder Gesetzesverletzung gestützte Beanstandung von Beschlüssen des Kreistages und der Kreiskommission sowie in Kommunalangelegenheiten gefaßter Beschlüsse des Kreisausschusses durch den Landrat, desgleichen die Provinzialordnungen 1 9 2 für die Beanstandung von Beschlüssen des Provinziallandtages, des Provinzialausschusses oder einer Provinzialkommission durch den Oberpräsidenten, jeweils verknüpft mit einer Klagemöglichkeit des Organs, dessen Beschluß beanstandet worden war, gegen den Landrat respektive Oberpräsidenten. Auf dieser gesetzlichen Grundlage wurden zahlreiche verwaltungsgerichtliche Verfahren wegen Befugnisüberschreitung ausgetragen, namentlich zwischen der Gemeindevertretung und dem Gemeindevorstand (Magistrat) 193, dem Gemeindevorstand (Magistrat) und dem Bürgermeister 194 bzw. der Gemeindevertretung und dem Bürgermeister 1 5 . Ferner entschieden die Gerichte über Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Landrat und dem Kreistag 196 bzw. dem Kreisausschuß197, sowie dem Oberpräsidenten und dem Provinziallandtag198 bzw. dem Provinzialausschuß199 oder beiden gleichzeitig200.

189

Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 3. Juli 1891 (PrGS S. 233). 190 Helfritz, in v. Brauchitsch, Die Peußischen Verwaltungsgesetze, 7. Band, § 140 LGO Anm. 3, S. 250; vgl. ferner Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 6 f. 191 § 178 Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872 i.d.F. vom 19. März 1881 (PrGS S. 155, Neubekanntmachung S. 179); § 107 Kreisordnung für die Provinz Hessen-Nassau vom 7. Juni 1885 (PrGS S. 193); § 94 Kreisordnung für die Provinz Westfalen vom 31. Juli 1886 (PrGS S. 217); §94 Kreisordnung für die Rheinprovinz vom 30. Mai 1887 (PrGS S. 209); § 142 Kreisordnung für die Provinz Schleswig-Holstein vom 26. Mai 1888 (PrGS S. 139). 192 § 118 Provinzialordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 29. Juni 1875 i.d.F. vom 22. März 1881 (PrGS S. 176, Neubekanntmachung S. 233); § 91 Provinzialordnung für die Provinz HessenNassau vom 8. Juni 1885 (PrGS S. 246); § 118 Provinzialordnung für die Provinz Westfalen vom 1. August 1886 (PrGS S. 256); § 118 Provinzialordnung für die Rheinprovinz vom 1. Juni 1887 (PrGS S. 251); § 118 Provinzialordnung für die Provinz Schleswig-Holstein vom 27. Mai 1888 (PrGS S. 194). 193 PrOVGE 13, 89, 91; 19, 111, 114; 45, 16, 20; 87, 102; PrOVG, PrVBl. 17 (1895/96), 222 f.; 24 (1902/03), 295. 194 PrOVGE 78, 67, 69; 82, 82, 89; 82, 99 f. 195 PrOVGE 68, 119 ff.; 87, 120 f. 196 PrOVGE 37, 3, 4; 77, 117, 118. 197 PrOVGE 72, 83, 84; 76, 25, 26. 198 PrOVGE 63, 1; 77, 108 ff.; 84, 106, 109.

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte

529

Bei der Bewertung der genannten Vorschriften in bezug auf die Problematik der Organstreitigkeiten ist zu beachten, daß diese über einen bloßen Schutz bestehender Organkompetenzen hinausgingen und dem Bürgermeister, Magistrat, Landrat oder Oberpräsidenten eine allgemeine Rechtskontrolle der Beschlüsse der ihm jeweils gegenüberstehenden Selbstverwaltungsorgane ermöglichten, einschließlich der Überwachung der Einhaltung der Körperschaftskompetenzen als solcher, z.B. daß Gemeindeorgane nur über Gemeindeangelegenheiten zu beschließen hatten und nicht in den staatlichen Bereich hinübergriffen 201. Insofern hat das PrOVG diese Beanstandungsmöglichkeiten mit nachfolgender Klagemöglichkeit schon deshalb zutreffend als „Mittel der Kommunalaufsicht" verstanden202, weil der Bürgermeister, Magistrat, Landrat oder Oberpräsident von der jeweils höheren Instanz angewiesen werden konnte, eine derartige Beanstandung auszusprechen. Gleichwohl ist aber bezeichnend und im vorliegenden Kontext von Interesse, daß der preußische Gesetzgeber derartige Streitigkeiten in einem bemerkenswerten Unterschied zur Rechtslage in Baden und Bayern nicht etwa in ein Verwaltungsstreitverfahren zwischen den jeweils betroffenen Körperschaften und dem Träger der Rechtsaufsichtsbehörde überleitete (d.h. als Prozeß zwischen der Gemeinde und dem Kreis, der Provinz oder dem Land, zwischen dem Kreis und der Provinz oder dem Land, bzw. zwischen der Provinz und dem Land führen ließ), sondern daß er keine Bedenken trug, ja im Gegenteil sorgsam darauf bedacht war, das Prozeßverfahren rein körperschaftsintern auszugestalten und die in Frage stehenden Streitigkeiten wegen Befugnisüberschreitung ebenso wie die wegen sonstiger Gesetzwidrigkeit als Organstreitigkeit organisationsintern gerichtlich austragen zu lassen. Ungeachtet ihrer Stellung als Organe ein und derselben Selbstverwaltungskörperschaft war also ihr Verhältnis „zu einem innerorganisatorischen wirklichen Rechtsverhältnis ausgestaltet"203 und standen sich die beteiligten Organe in echter Parteirolle als Kläger und Beklagter gegenüber 204. In diesem Sinne schlossen die genannten Vorschriften echte Organ199

PrOVGE 24, 11, 13. PrOVGE 64, 142, 144. 201 Grundlegend hierzu PrOVGE 13, 89, 104 ff.; vgl. ferner PrOVGE 90, 105; Kunze, Das Verwaltungsstreitverfahren, S. 483 f. 202 PrOVGE 89, 65, 67; vgl. v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 479 f. 203 Naumann, Verhandlungen des 38. DJT, D 31. 204 Vgl. hierzu PrOVGE 19, 111, 114, 116; 75, 94, 96 f.; 76, 25, 27 f.; 90, 127; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege, 2. Band, § 283, S. 574 ff; Kunze, Das Verwaltungsstreitverfahren, S. 482 f.; v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 479; ebenso Bonk, Organstreitigkeiten, S. 22. - Z.T. a.A. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 148 ff., der den Behörden zwar eine Parteirolle konzedierte, ihnen aber die Parteieigenschaft absprach und sie lediglich als Prozeßführer verstand - was freilich, weil er auch dem Staat selbst keine Parteieigenschaft zuerkannte, auf die seltsame Figur eines Prozeßführers ohne dahinterstehende Partei hinauslief (ebd., S. 147, 151). 200

36 Roth

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

Streitigkeiten im heutigen Verständnis als Zuständigkeits- und Befugnisstreitigkeiten zwischen Organen derselben Körperschaft ein 205 und ermöglichten deren Austragung vor Gericht. So wies das PrOVG die Klage des Magistrats gegen die wegen Befugnisüberschreitung ergangene Beanstandung durch den Bürgermeister ab und gab damit dem Bürgermeister recht, in dessen Recht auf Leitung und Beaufsichtigung der Kommunalverwaltung, spezieller dessen Geschäftsverteilungsrecht, der Magistrat eingegriffen hatte, indem er einem Gemeindebediensteten bestimmte Aufgaben zuwies 206 . Desgleichen erkannte das PrOVG einen unzulässigen Eingriff in die Befugnisse des Gemeindevorstehers, nachdem die Gemeindevertretung sich in ihrer Geschäftsordnung das Recht herausnehmen wollte, die vom Gemeindevorsteher erteilten Ordnungsrufe auf Einspruch hin zu überprüfen, obwohl das Gesetz eine solche Befugnis der Gemeindevertretung nicht vorsah ° 7 .

Selbst wenn der beanstandende Bürgermeister, Magistrat, Landrat oder Oberpräsident nicht zum Schutz seiner eigenen Befugnisse eingeschritten war, sondern zur Verteidigung der Kompetenzen eines anderen Organs - so konnte beispielsweise der Beanstandung eines Beschlusses des Kreisausschusses durch den Landrat in Wirklichkeit ein Kompetenzstreit zwischen dem Kreisausschuß und dem Kreistag zugrunde liegen 208 , über den infolge der Verfahrensgestaltung inzident im Rahmen der Klage des Kreisausschusses gegen den Landrat zu entscheiden war - , so behielt das verwaltungsgerichtliche Verfahren doch immer noch den Charakter eines Organstreitverfahrens zwischen Organen derselben Körperschaft. Richtig ist lediglich, daß infolge des Enumerationspinzips nicht jegliche Beteiligtenkonstellation möglich war, insofern nämlich auf Kreisebene immer der Landrat, auf Provinzebene immer der Oberpräsident Beklagter sein mußte, und nie ein anderes Organ des Landkreises bzw. der Provinz in diese Beklagtenrolle eintreten konnte. Dies darf aber nicht dahin verstanden werden, als hätte der Gesetzgeber etwa Prozesse zwischen dem Kreistag und dem Kreisausschuß oder zwischen dem Provinziallandtag und dem Provinzialausschuß für denknotwendig oder dogmatisch ausgeschlossen erachtet. Im Gegenteil belegt ja die von § 15 PrZustG ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit einer Klage der Gemeindevertretung gegen den Magistrat, daß Prozesse zwischen verschiedenen kollegialischen Organen derselben Körperschaft sehr wohl vorstellbar und dem Gesetz bekannt waren. Infolge der gewählten Verfahrensgestaltung - Beanstandung des Beschlusses, dann Klage gegen die Beanstandungsverfügung - rückte der beanstandende Bürgermeister, Magistrat, Landrat oder Oberpräsident notwendig in die Beklag205

Vgl. PrOVG, PrVBl. 11 (1889/90), 346; Thoma,, HdbDStR II, S. 614 Fn. 21. PrOVGE 78, 67, 69 f. 207 PrOVGE 68, 119, 122. 208 Vgl. PrOVGE 72, 83, 85: Kreisausschuß hat durch Verleihung einer Amtsbezeichnung die diesbezügliche Zuständigkeit des Kreistags verletzt. 206

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte

531

tenrolle. Mit dieser Konstruktion wollte der preußische Gesetzgeber einerseits sicherstellen, daß Kompetenzstreitigkeiten einer gerichtlichen Entscheidung zuzuführen waren, gleichzeitig aber verhindern, daß jedes sich in seinen Befugnissen verletzt sehende Organ ohne weiteres selbst Klage erheben konnte. Vielmehr sollte hier eine Vorprüfung durch Organe erfolgen, denen aufgrund ihrer Besetzung und Zusammensetzung größerer juristischer Sachverstand zukam als den direkt gewählten Vertretungsorganen. Durch die der Klage vorgeschaltete Beanstandung erreichte das Gesetz eine Inversion der Parteirollen: Klagen mußte nicht dasjenige Organ, das seine Befugnisse beeinträchtigt sah, vielmehr mußte dasjenige Organ, dessen Entscheidung als kompetenzwidrig beanstandet worden war, seine Befugnis zum Erlaß dieser Maßnahme nachweisen. Diese Verteilung der Lasten der Klageerhebung kann als sachlichen Grund für sich ins Feld führen, daß es in der Tat eher einleuchtet, daß derjenige, der durch eine Entscheidung oder Maßnahme die bestehende Lage ändern will, seine Befugnis hierzu dartun muß, als die Last der Klage demjenigen aufzubürden, der lediglich den status quo verteidigen will. Im übrigen muß hierbei auch gesehen werden, daß - für den heutigen Zeitgenossen nur noch schwer nachzuempfinden nach damaligem Ehrenkodex „die Rolle des Klägers als die weniger ehrenvolle" angesehen wurde 209 , und von daher nicht allein Mühe und Aufwand einer Klage abschreckend wirken konnte, sondern auch die Sorge, womöglich als rechthaberischer Störenfried in Verruf zu geraten. Jedenfalls verhinderte die gewählte Verfahrensgestaltung regelmäßig, daß der Bürgermeister, Landrat oder Oberpräsident als Kläger hätte auftreten müssen; dank ihres Beanstandungsrechts kam ihnen als Repräsentanten der Krone eine gewisse hoheitliche Prärogative zu, wodurch die vom Volk gewählten Vertretungsorgane in die Rolle des Klägers gezwungen waren, wenn sie ihre vermeinten Kompetenzen gegenüber der Beanstandung verteidigen wollten. Insgesamt war die preußische den süddeutschen Verfahrensgestaltungen insofern überlegen, als sie die gerichtliche Austragung eines originär zwischen zwei Organen derselben Körperschaft bestehenden Kompetenzstreites nicht künstlich in einen Streit dieser Körperschaft mit der Aufsichtsbehörde transformierte, in dem der eigentliche Konflikt nur noch inzidente Vorfrage ist, sondern vielmehr den Rechtsstreit in der Ebene austragen ließ, in der er wirklich angesiedelt war. Auch ist es durchaus sinnvoll, das Organ, welches eine umstrittene Befugnis für sich reklamiert, diese selbst gerichtlich geltend machen zu lassen, statt bei209 Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege, 2. Band, § 283, S. 576. - Dieses Verständnis dürfte (zumal in dem protestantischen Preußen) auf ein Pauluswort in 1 Kor 6, 7 zurückgegangen sein: „Ist es nicht überhaupt schon ein Versagen, daß ihr miteinander Prozesse führt? Warum leidet ihr nicht lieber Unrecht?". Bei einem wörtlichen Schriftverständnis konnte sich daraus die Haltung entwickeln, es sei grundsätzlich besser und christlich ehrenwerter, eine Rechtsverletzung hinzunehmen, als „sein Heil" bei weltlichen Gerichten zu suchen (vgl. 1 Kor 6, 1 ).

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

spielsweise den Bürgermeister zu zwingen, als gesetzlicher Vertreter der Gemeinde in einem Prozeß gegen die Aufsichtsbehörde eine Maßnahme des Gemeinderats zu verteidigen, die er womöglich selbst fur kompetenzwidrig hält. Die jeweiligen Vor- und Nachteile der verschiedenen Modelle können hier aber letztlich dahinstehen. Festzuhalten ist jedenfalls, daß im gesamten Gebiete Preußens auf sämtlichen Ebenen kommunaler Selbstverwaltung die verwaltungsgerichtliche Austragung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Organen derselben Körperschaft vorgesehen war und praktiziert wurde.

bb) Organstreitigkeiten unter den Verwaltungsgerichtsgesetzen der Nachkriegszeit Nachdem die gerichtliche Entscheidung kommunaler Organstreitigkeiten bei Erlaß der MRVO Nr. 141 bzw. Nr. 165 sowie der VGG bereits auf eine jahrzehntelange Tradition namentlich in Preußen zurückblicken konnte, von der abzurücken Gesetzgeber und Gerichte nach 1945 keinen Grund hatten 210 , nimmt es nicht wunder, daß alsbald nach Inkrafitreten dieser Gesetze die Gerichte wieder über Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten entschieden. So erachteten die Gerichte Klagen als zulässig beispielsweise nach Art. I MRVO Nr. 141 eines Gemeinderatsmitglieds gegen einen Sitzungsausschlußbeschluß der Ratsversammlung211, nach § 52 MRVO Nr. 165 von Mitgliedern der Gemeindevertretung gegen die Gemeindevertretung auf Feststellung der Ungültigkeit eines Nachrückmandates sowie einer Bürgermeisterwahl 212, einer Gemeinderatsfraktion gegen den Gemeinderat auf Feststellung der Ungültigkeit einer Wahl 213 , ferner nach § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165 eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Gemeinderat auf Zulassung als Zuhörer zu den Sitzungen aller Gemeinderatsausschüsse214, von Gemeinderatsmitgliedern gegen den Gemeinderat wegen

210

Der mit der Einführung der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (RGBl. I S. 49) verbundene Übergang zum „Führerprinzip" (so ausdrücklich Schattenfroh, DGO, § 6 Anm. 1; Surén/Loschelder , DGO, § 6 Anm. 2) - vgl. § 6 DGO - ließ natürlich keinen Raum mehr für die Austragung von Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten (vgl. Barth, Subjektive Rechte, S. 18 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 33; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 30 ff.). Der damit bewirkte rechtsstaatliche Rückschritt sollte mit den entsprechenden Gesetzen nach 1945 überwunden und zumindest der rechtsstaatliche Standard von vor 1933 wiederhergestellt werden. 211 LVG Lüneburg, VRspr 1, 197. 212 LVG Arnsberg, DV 1949, 246, 247 mit zust. Anm. Odenbreit; zustimmend auch Henrich,, DVB1. 1959, 552; a.A. VG Kassel, DV 1949, 244 ff. für eine entsprechende Anfechtungsklage. 213 OVG Münster, DVB1. 1950, 403, 404. 2,4 OVG Lüneburg, OVGE 3, 223 f.; 6, 437.

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte

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fehlerhafter Besetzung der Ausschüsse215, einer Gemeinderatsfraktion gegen den Gemeinderat wegen einer Bürgermeisterwahl 216, von Kreistagsmitgliedern gegen den Kreistag auf Aufhebung eines Kreistagsbeschlusses217 oder wegen des Beschlusses über die Landratswahl 218, von Kreistagsmitgliedern gegen eine Kreistagsfraktion wegen eines von dieser eingelegten Einspruchs gegen eine Landratswahl 219, einer Kreistagsfraktion gegen den Kreistag wegen fehlerhafter Besetzung des Kreistagspräsidiums 220, desgleichen nach § 22 Abs. 1 VGG Anfechtungsklagen eines Gemeinderats- bzw. Kreistagsmitglieds gegen einen in seiner Abwesenheit ohne ordnungsgemäße Ladung oder nach seiner unrechtmäßigen Ausschließung von der Beratung und Abstimmung gefaßten Beschluß des Gemeinderats bzw. Kreistags 221, eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Bürgermeister bzw. den Gemeinderat wegen Sitzungsausschlusses222, schließlich nach § 51 MRVO Nr. 165 den Antrag eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Gemeinderat auf einstweilige Aussetzung der Vollziehung eines Ausschlußbeschlusses223. Bei allen hier nicht näher zu betrachtenden Differenzen im Detail gab es sonach bereits vor Inkrafitreten der VwGO anerkanntermaßen beispielsweise „Fälle, in denen Mitglieder eines Rates gegen einen Beschluß dieser Körperschaft klagen können, nämlich dann, ... wenn ihre eigene Rechtsstellung als Mitglied des Rates beeinträchtigt wird" 2 2 4 . Das BVerwG führte zu der in bezug auf die Besetzung von Gemeinderatsausschüssen aufgeworfenen Frage der Zulässigkeit einer Geltendmachung „von Rechten der Minderheit gegen die Mehrheit des Rates" aus, „inwieweit einzelne Ratsmitglieder berechtigt sind, gegen einen von ihnen für rechtswidrig gehaltenen Beschluß des Rates das Verwaltungsgericht anzurufen", bedürfe in dieser allgemeinen Form keiner Klärung, „da die klagenden Ratsmitglieder geltend machen können, durch den mit der Klage angegriffenen Beschluß des Rates in ihren Rechten verletzt zu sein (Art. 19 Abs. 4 GG). Jedenfalls schließt die MRVO Nr. 165 solche Klagen un-

215 BVerwGE 3, 30 f., 33 ff. (als „andere Streitigkeit des öffentlichen Rechts" i.S.d. § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165); OVG Münster, OVGE 10, 143 f. 216 OVG Münster, VRspr 4, 389. 217 OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 227 ff.; 4, 240; Henrich, DVB1. 1959, 552 f.; Klinger, MRVO Nr. 165, § 22 Anm. Β 5 b. 218 OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 230 f.; vgl. hierzu VGH München, BayVBl. 1959, 353, 354. 219 OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 231; vgl. BVerwGE 5, 293, 303. 220 OVG Lüneburg, OVGE 16, 349. 221 VGH München, BayVBl. 1959, 353 f. 222 VGH München, BayVBl. 1960, 21. 223 OVG Münster, OVGE 3, 79 f. 224 LVG Düsseldorf, Der Städtetag 1954, 387; vgl. ferner OVG Münster, DÖV 1958, 787, 788.

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ter dem Gesichtspunkt 'der anderen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts' (§ 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165) nicht aus" 225 . Es mag schließlich noch darauf verwiesen werden, daß das BVerfG vor dem Hintergrund dieser verwaltungsgerichtlichen Judikatur noch 1958 erwogen hat, „daß der Beschluß der Gemeindevertretungen möglicherweise von den überstimmten Minderheiten zum Gegenstand eines Kommunalverfassungsstreites vor den Verwaltungsgerichten gemacht werden könnte" 226 . Es hat damit zwar nicht positiv zu dieser Thematik Stellung genommen, wohl aber die aufgezeigte diesbezügliche Rechtsprechung billigend zur Kenntnis genommen. Gewiß konnte auch seinerzeit mitunter Streit nicht ausbleiben, wann eine die Klagebefugnis nach den einschlägigen Bestimmungen der MRVO Nr. 165 bzw. VGG eröffnende Rechtsbeeinträchtigung anzunehmen ist, und man darf bezweifeln, ob die Gerichte in allen Fällen richtig entschieden haben. Das ändert aber nichts an dem Faktum, daß das Institut der verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeit namentlich in Gestalt der Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten schon vor Inkrafttreten der VwGO in Rechtsprechung und Literatur fest verankert war. Entsprach es sonach aber unter dem grundsätzlichen Beifall der Wissenschaft gängiger Rechtsprechungspraxis, „Parteistreitigkeiten, wie z.B. ... Verfassungsstreitigkeiten innerhalb einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes" über die Generalklauseln der VGG bzw. der MRVO Nr. 165 einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zufuhren zu können 227 , so ist kein Grund ersichtlich, weshalb die VwGO dahinter hätte zurückbleiben sollen. Nach alledem läßt sich die These nicht aufrechterhalten, dem VwGO-Gesetzgeber sei die Organstreitproblematik womöglich unbekannt gewesen228 und ihre Einbeziehung unter die VwGO übersteige daher die Grenzen zulässiger Auslegung oder Rechtsfortbildung. Die VGG enthielten ebensowenig wie die MRVO Nr. 165 spezifische Regelungen über verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten. Wenn unter diesen Prozeßordnungen dennoch unter höchst- und verfassungsgerichtlicher Billigung und bei allem Streit im Detail verwaltungsrechtliche wie insbesondere Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten ständige judikative Praxis waren, so darf und muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber diese Handhabung begrüßte und und sie jedenfalls im Grundsatz auch unter der Geltung der VwGO fortgelten lassen wollte. Nachdem die VwGO in den hier einschlägigen Vorschriften im wesentlichen an ihre Vorgängergesetze anknüpft und der Gesetzgeber weder bei der Formulierung der Generalklausel noch bei der Normierung der Klagebefugnis oder des Feststellungsinteresses in irgendei-

225 226 227 228

BVerwGE 3, 30, 34 f. BVerfGE 8, 122, 130. Klinger, MRVO Nr. 165, § 22 Anm. Β 5 b; vgl. Baring , Der Städtetag 1952, 108. Davon geht auch Sodan, in NKVwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 221 aus.

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ner Weise angedeutet hat, daß er mit der von BVerwG und BVerfG gutgeheißenen und insgesamt bewährten bisherigen Praxis verwaltungsgerichtlicher Organstreitverfahren brechen wolle, und nachdem auch ohnehin nicht ersichtlich ist, welchen Grund der Gesetzgeber gehabt haben sollte, dies zu tun, ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber eine diesbezügliche Kontinuität tatsächlich gewollt oder zumindest gebilligt hat.

cc) Von enumerierten Organstreitigkeiten zur Generalklausel Wenn gesagt wird, daß verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten wie z.B. die Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten „ohne unmittelbare Vorbilder" seien 229 , daß namentlich die diesbezüglichen Beispiele aus dem preußischen Verwaltungsrecht nicht als Vorbilder paßten, „da es sich bei ihnen im wesentlichen um das Beanstandungsverfahren handelt, das damals noch nicht wie heute mit einem Verwaltungsakt der Kommunalaufsichtsbehörde fortgesetzt wurde, bevor es zu den Verwaltungsgerichten gelangte" 230 , so ist dies nach dem Dargelegten sowohl richtig als auch irreführend. In der Tat wiesen die enumerierten Beanstandungsverfahren mit nachfolgender Klagemöglichkeit deutliche Züge eines objektiven Verfahrens auf 231 , in welchem es nicht in erster Linie darauf ankam, ob das beschwerte Organ in subjektiven Rechten verletzt war, sondern lediglich darauf, ob das handelnde Organ seine Befugnisse überhaupt oder eben auch zu Lasten eines anderen Organs überschritten hatte. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung unter der Geltung des Enumerationsprinzips ohnehin nicht dieselbe Bedeutung zukam wie nach den heutigen Generalklauseln. Ob etwaige Klagemöglichkeiten zum Schutze subjektiver Rechte oder in Verfolgung objektivrechtlicher Verwaltungszwecke eingeräumt werden sollten, war in erster Linie eine vom Gesetzgeber zu entscheidende rechtspolitische Frage 232 ohne dogmatischen Belang für den Rechtsanwender. Wenn die einschlägigen Verfahrens- oder Verwaltungsgesetze eine Klagemöglichkeit gegen eine wegen Befugnisüberschreitung ergangene Beanstandung ohne weitere Vorbedingungen gaben 233 , genügte dies für den Richter vollauf, ohne daß Überlegungen zum

229 OVG Münster, OVGE 17, 261 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 34; ders., NJW 1980, 1018. 230 OVG Münster, OVGE 17, 261 f. 231 Vgl. Kiock., Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 9. 232 Zu den hierbei angestellten Erwägungen vgl. Bonk, Organstreitigkeiten, S. 18 f., 26 f. 233 Nach Art. 8 und 10 Bay VGG von 1878 mußte freilich kumulativ sowohl ein subjektives Recht geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, VGH a.F. 11 [1890], 563, 564; 36 [1915], 233, 235) als auch ein enumerierter Katalogfall erfüllt sein. Bühler, Die sub-

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subjektiven Recht anzustellen oder sonst relevant gewesen wären 234 . Derartige Erwägungen haben erst dadurch Bedeutung erlangt, daß der Gesetzgeber bei der Einfuhrung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel eine Einschränkung über die Statuierung der subjektivrechtlichen Klagebefugnis vorgenommen hat, weil ja sonst die Abkehr vom Enumerationsprinzip eine praktisch unbeschränkte Popularklagemöglichkeit zur Folge gehabt hätte. In bezug auf ihre generalklauselartige Zulassung und subjektivrechtliche Anbindung besitzen verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten daher in der Tat keine unmittelbaren Vorbilder in den vorkonstitutionellen Prozeßordnungen. Doch das ist im hiesigen Kontext nicht von Belang. Bedeutsam ist vielmehr allein, daß nach der seinerzeitigen Prozeßrechtslage unabhängig von der materiellrechtlich-dogmatischen Konstruktion sowohl der Sache als auch den prozessualen Beteiligtenrollen nach sehr wohl Organstreitigkeiten um Kompetenzverletzungen gerichtlich ausgetragen werden konnten. Die Einfuhrung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel, auch wenn sie den Zugang zum Gericht dogmatisch auf neue Füße stellte, konnte nicht in dem Sinne verstanden werden, der Gesetzgeber hätte damit Organstreitigkeiten fortan ausschließen wollen. Natürlich hat sich die ausdrückliche Zulassung bestimmter Organstreitigkeiten mit der Abschaffung der Enumerationskataloge erledigt. Das darf aber nicht zu der Annahme verleiten, damit wären Organstreitigkeiten überhaupt unstatthaft geworden 235. Ein Wille des Gesetzgebers, einen Rückschritt hinter einen bereits erreichten rechtsstaatlichen Standard zu vollziehen, ist ohne eindeutige Anhaltspunkte nicht anzunehmen236, und es gibt denn auch keine Anhaltspunkte, daß der Gesetzgeber eine solche grundlegende Abkehr von früheren Rechtsschutzmöglichkeiten intendierte. Wenn also die Organe der Gemeinden, Kreise und Provinzen nach preußischem Recht Kompetenzstreitigkeiten um ihre jeweiligen Befugnisse gerichtlicher Klärung zufuhren konnten, so spricht nichts dafür, daß dies mit dem Übergang zur Generalklausel nunmehr ausgeschlossen sein sollte. Daß die Enumerationskataloge nicht sämtliche denkbaren Konstellationen von Organstreitigkeiten erfaßten, und aus den angeführten Gründen immer dem beanstandenden Bürgermeister, Magistrat, Landrat oder Oberpräsidenten die Beklagtenrolle zudachten, hindert diese Annahme nicht. Die (gewollte oder ungewollte) Lückenhaftigkeit der Enumerationskataloge sollte durch die General-

jektiven öffentlichen Rechte, S. 372 bemerkte dazu treffend, daß das Gesetz damit nicht die Vorzüge, sondern die Nachteile beider Systeme in sich vereinte. 234 Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 372; ferner Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 6 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 154 ff. 235 Henrichs, DVB1. 1959, 560. 236 Vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 156; Roth, Faktische Eingriffe, S. 246.

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klausel ja gerade überwunden werden. Deren erklärter Zweck war es, „zur Förderung der Rechtspflege und einer guten Verwaltung sowie zum Schutze des Einzelnen ... die Anfechtung von Akten und Entscheidungen der Verwaltungsbehörden vor Verwaltungsgerichten in weiterem Umfang als bisher zuzulassen" (Präambel Abs. 1 MRVO Nr. 141). Es sollte also der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz gegenüber der früheren Lage erweitert, nicht eingeschränkt werden 237 , und deshalb dürfen die Sachentscheidungsvoraussetzungen der VwGO keinesfalls unter Hinweis auf eine möglicherweise restriktivere frühere Rechtslage einschränkend gehandhabt werden. Freilich haben sich mit der Abkehr vom Enumerationsprinzip die prozessualen Verhältnisse und damit auch die dogmatische Einordnung von Organstreitigkeiten geändert 238. Daß aber die Möglichkeit einer gerichtlichen Austragung von Organstreitigkeiten überhaupt den Horizont des Gesetzgebers im Bereich des Verwaltungsprozesses übersteigen und alle vernünftigen Vorstellungen von der Rolle der Gerichte vis-à-vis organisationsinterner Kompetenzstreitigkeiten sprengen würde, läßt sich nach alledem jedenfalls nicht sagen. Vielmehr stellt die Zulassung derartiger Organstreitigkeiten unter der VwGO ungeachtet der unterschiedlichen prozeßrechtlichen Rahmenbedingungen eben gerade keine grundlegende Abkehr von früheren (prozessualen) Rechtsvorstellungen dar, sondern ist als deren konsequente Fortentwicklung in die Zeit der Generalklausel hinein anzusehen.

c) Gesetzliche Anhaltspunkte für eine Erstreckbarkeit der VwGO auf verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten Schließlich ist dem Einwand unzulässiger Rechtsfortbildung entgegenzuhalten, daß sich in der VwGO selbst Anhaltspunkte finden, daß verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht zuwiderlaufen können. Daß die VwGO primär auf den Rechtsschutz des Bürgers gegenüber dem Staat zugeschnitten ist, ist zwar nicht in Abrede zu stellen 239 . Es wäre indes falsch, diese primäre Zielrichtung zu verabsolutieren und ihr eine Ausschließlichkeit zuzumessen, welche ihr nach dem Willen des Gesetzgebers nie zukommen sollte. Dies gilt schon deshalb, weil es sehr wohl möglich ist, daß Hoheitsträger vor den Verwaltungsgerichten gegen einen Bürger klagen 240 . Folglich darf das verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzsystem ohnehin nicht 237

LVG Lüneburg, VRspr 1, 197. Henrichs, DVB1. 1959, 549. 239 S. oben E.II.5. 240 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1995, 314, 315; Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 40 (Lfg. 1996) Rn. 85; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 50; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 592. 238

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

eng im Sinne eines Rechtsschutzes Privater verstanden werden, sondern ist weit im Sinne eines Rechtsschutzes im Bereich des Verwaltungsrechts überhaupt zu verstehen 241. § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beweist zudem unmittelbar, daß es Verwaltungsrechtsstreitigkeiten gibt, an denen Private überhaupt nicht beteiligt sind. Noch bedeutsamer ist im hiesigen Zusammenhang das schon erwähnte Behördenantragsrecht bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle (§ 47 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. VwGO) 2 4 2 . Da der Gesetzgeber offensichtlich keine Bedenken trägt, Behörden als Antragsteller in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu akzeptieren, und zwar selbst in Verfahren gegen ihren eigenen Hoheitsträger - so daß Organ-Organisations-Streitigkeiten zulässig sind - , ist nicht zu sehen, weshalb er dann prinzipielle Einwände gegen Organstreitigkeiten haben sollte. Vor allem ist wieder auf die verfassungsgerichtlichen Organstreitigkeiten zu verweisen 243. Der Gesetzgeber hat sowohl im Grundgesetz und BVerfGG als auch, fur das Verständnis der VwGO besonders bedeutsam, in § 193 VwGO 2 4 4 explizite Vorschriften über die Austragung verfassungsrechtlicher Organstreitigkeiten normiert und dadurch erkennen lassen, daß fur ihn die gerichtliche Austragung solcher Streitigkeiten keinen Fremdkörper im Rechtsschutzsystem überhaupt sowie der VwGO insbesondere darstellt. Es ist daher davon auszugehen, daß die gesetzgeberische Wertentscheidung einer solchen Rechtsschutzmöglichkeit auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten nicht entgegensteht, zumal es nicht verständlich wäre, unterlägen zwar blindes- oder landesverfassungsrechtliche Organstreitigkeiten einer gerichtlichen Entscheidung, nicht jedoch die strukturell ganz vergleichbaren Streitigkeiten innerhalb der Gemeinden245 oder anderer Verwaltungsträger. Diesem Schluß läßt sich auch nicht mit der These entgehen, beim verfassungsgerichtlichen Organstreit um subjektive Rechte des betroffenen Verfassungsorgans handle es sich um „Besonderheiten der Verfassungsgerichtsbarkeit, die auf die Verwaltungsbehörden und ihre Rechtsbeziehungen untereinander nicht übertragen werden dürfen" 246 . Für eine derartige künstliche Differenzierung besteht kein Anlaß. Die Verfassungsorgane haben für den Staat funktionell und institutionell dieselbe Bedeutung wie die Organe sonstiger Körperschaften und der Anstalten oder Stiftungen für diese, und weshalb es zwar verfassungsrechtlich begründete subjektive Rechte der Verfassungsorgane, nicht aber einfachgesetzliche subjek241 242 243 244 245 246

So bereits OVG Münster, OVGE 6, 224, 226, 229 zu § 23 MRVO Nr. 165. S. hierzu oben B.I.l.b. S. oben B.II. S. hierzu oben B.I.l.a. Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 228. Forsthoff Verwaltungsrecht, S. 452 Fn. 1.

II. Organe und Organteile als Inhaber subjektiver Rechte

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tive Rechte von Organen sonstiger Träger öffentlicher Gewalt geben können soll, ist nicht ersichtlich. Hiernach läßt sich, nachdem die VwGO in ihrem § 193 selbst eine Vorschrift über Organstreitigkeiten enthält - obgleich solcher verfassungsrechtlicher Natur - nicht aufrechterhalten, daß es den statthaften Bereich der Auslegung überstiege, die VwGO dahin auszulegen, auch subjektive Rechte von Organen als verwaltungsgerichtlich durchsetzbar zu erfassen.

d) Resümee Nach alledem ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber keine prinzipiellen Einwände gegen verwaltungsgerichtlich auszutragende Organstreitigkeiten hat 247 . Daß sich deren praktische Bedeutung seit Inkrafitreten der VwGO merklich vergrößert hat, hält sich im Rahmen der gesamten rechtsstaatlichen Entwicklung und stellt keine qualitative Änderung dar, die nach einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung verlangte. Die allenfalls zu konstatierende Fortentwicklung der Organstreitigkeiten stellt somit kein Argument für die Verwerfung subjektiver Organrechte oder auch nur für eine restriktive Handhabung derselben und ihre Ausklammerung aus dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzsystem dar.

6. Ergebnis: Subjektive Organrechte Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß der Bejahung subjektiver Rechte von Organen an ihren Kompetenzen nichts im Wege steht. Diese sind nach den für das subjektive Recht entwickelten Kriterien dogmatisch als echte subjektive Rechte anzusehen, womit sich übrigens auch in bezug auf die Verfassungsorganstreitigkeiten diejenige Ansicht bestätigt, die die Bezeichnung als einen Streit um „Rechte und Pflichten" in Art. 93 Abs. 1 S. 1 GG und § 64 Abs. 1 BVerfGG im Sinne subjektiver Rechte versteht 248: der (Verfassungs)Gesetzgeber spricht hiernach in diesem Vorschriften mit Grund von „Rechten", und es ist nicht gerechtfertigt, dies als bloße Fiktion oder falsa demonstration abzutun, oder von einer bloßen „Versubjektivierung" auszugehen, die hinter einem vollen subjektiven Recht zurückbleibt. Das subjektive Recht eines Organs an seiner Kompetenz soll im folgenden als subjektives Organrecht bezeichnet werden. Dies stellt nicht allein eine sprachli247 Die „Offenheit" der Rechtsordnung gegenüber der „Entwicklung" innerorganisatorischer subjektiver Rechte betont auch Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 177 ff., beschränkt sich in der Begründung aber auf die Behauptung, es sei „kein zwingender Grund erkennbar", der diese Möglichkeit von vornherein ausschlösse. 248 Zu dieser Diskussion oben B.II.4.

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E. Organe juristischer Personen als Inhaber subjektiver Rechte

che Abkürzung dar, welche den schwerfälligen vollständigeren Ausdruck vermeiden hilft. Die Zusammenziehung des Ausdrucks „Recht eines Organs" zu „Organrecht" soll zugleich zum Ausdruck bringen, daß es sich hierbei inhaltlich, aber nicht strukturell oder wesensmäßig um eine besondere Sorte oder Unterart subjektiver Rechte handelt 249 . Das subjektive Organrecht ist zwar dogmatisch ein ebensolches subjektives Recht wie alle subjektiven Rechte und zeichnet sich durch dieselbe Wesensnatur aus, nämlich die Zuweisung einer ausschließlichen Befugnis zur Ausübung sowie zur gegebenenfalls erforderlichen selbständigen Geltendmachung des betreffenden Rechtsgehaltes. Es ist aber inhaltlich insofern etwas besonderes, als diese Art Recht ausschließlich Organen und Organteilen zukommen kann, weil nur diese organschaftliche Kompetenzen besitzen, welche den Gegenstand eines Organrechts ausmachen250.

249

Wie hier Schnapp, VerwArch 1987, 426. Entgegen der Darlegung von Krebs, Jura 1981, 577, der Ausdruck „subjektives Organrecht" kennzeichne „noch am ehesten die Unterschiedlichkeit dieser Rechtsstellung von der entsprechenden Rechtsfigur des Außenrechts", ist mit diesem Ausdruck eine Distanzierung vom subjektiven Recht im allgemeinen dogmatischen Sinne weder bezweckt noch sprachlich verbunden: So wie beispielsweise Begriffe wie Menschen-, Bürger-, Deutschenrechte nur die Inhaber der betreffenden Rechte benennen und insofern verschiedene Unterarten von Grundrechten beschreiben, ohne diesbezüglich irgendwelche Abstriche von ihrer Qualität als subjektive Rechte anzudeuten, so benennt auch der Begriff des Organrechts lediglich dessen Inhaber, ohne die volle subjektive Rechtsqualität des Organrechts in Abrede zu stellen.

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte Die Untersuchung im vorhergehenden Teil dieser Arbeit hat ergeben, daß keine prinzipiellen Bedenken bestehen, Organe und sogar Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts als Inhaber subjektiver Rechte anzuerkennen. Dies bedeutet zunächst zweierlei: Erstens, der Gesetzgeber ist weder rechtstheoretisch noch aus dogmatischen Gründen gehindert, Organkompetenzen nicht lediglich im Sinne einer bloß objektivrechtlichen Kompetenzordnung zu etablieren, sondern den betroffenen Organen und Organteilen aktuelle subjektive Rechte an ihren Kompetenzen zu verleihen; zweitens, es gibt keine prinzipiellen Hindernisse, die es dem Rechtsanwender verwehrten, im Wege der Auslegung zu dem Ergebnis kommen zu können, daß der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und tatsächlich subjektive Organrechte gewährt hat, die gemäß § 42 Abs. 2 bzw. § 43 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden können. Die dogmatische Akzeptabilität subjektiver Organrechte bedeutet nun allerdings nicht, daß sämtliche Organkompetenzen tatsächlich eine solche Subjektivierung erfuhren 1, und sie läßt des weiteren offen, ob und wann in concreto ein solches subjektives Organrecht anzunehmen ist. Bei der sowohl aus prozessualen als auch materiellrechtlichen Gründen entscheidenden Frage, ob eine konkrete Rechtsvorschrift lediglich eine objektivrechtliche Kompetenzordnung aufrichtet oder ob sie dem betreffenden Organ oder Organteil seine Kompetenz als subjektives Recht zuweist, handelt es sich um einen Ausschnitt aus der generellen Problematik, wann Recht objektiver oder subjektiver Natur ist. Diese Abgrenzung stellt, wie keiner näheren Darlegung bedarf, in allen Zusammenhängen eine der Hauptschwierigkeiten der subjektiven Rechte dar, und von daher ist nicht verwunderlich, daß diesbezüglich gerade auch bei Organrechten beträchtliche Unsicherheiten bestehen. Diese lassen sich allein anhand der bisherigen Erwägungen nicht klären. Ob subjektive Rechte gewährt werden sollen oder ob es bei der Statuierung bloß objektiven Rechts bleiben soll, bedarf zusätzlicher Überlegungen, welche zunächst in allgemeiner Form (nachfolgend I.) und dann speziell für den Bereich der Organrechte herauszuarbeiten sind (unten II.), bevor schließlich die im Kontext verwaltungsgerichtlicher Organstreitigkeiten besonders praxisrelevanten Anwendungsfälle erörtert werden (unten III.).

1

Schnapp, Amtsrecht, S. 144.

I. Die Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses 1. Maßgeblichkeit des gemeinschaftlichen Subjektivierungsinteresses Die Subjektivierung von Recht ist kein Vorgang bloß rechtstechnischer Art, bei dem der Gesetzgeber nach reinen Praktikabilitätsgesichtspunkten zwischen zwei gleichwertigen Alternativen wählen könnte. Ob eine Rechtsnorm objektives Recht statuiert oder ob sie ein subjektives Recht gewährt, hat vielmehr zahlreiche bedeutsame materiellrechtliche und prozessuale Implikationen für den (eventuell) Berechtigten, den Verpflichteten, unter Umständen für Dritte, und jedenfalls für die Rechtsgemeinschaft überhaupt. Die Bedeutung des subjektiven Rechts für die unmittelbar Betroffenen drängt sich ohne nähere Begründung auf. Von daher liegt auf den ersten Blick die Überlegung nahe, daß die Entscheidung über die Subjektivierung von Recht in erster Linie deren individuellen Belange in Rechnung stellen müsse. Nähere Überlegung zeigt jedoch, daß sich die Subjektivierung einer Rechtsnorm nicht anders als deren Erlaß an den Belangen der Rechtsgemeinschaft ausrichten muß, wobei freilich die individuellen Interessen des Verpflichteten und des Berechtigten als Glieder der Rechtsgemeinschaft ihre gebührende Berücksichtigung finden müssen, wenn sie nicht gar aus grundrechtlichen Gründen eine bestimmte Subjektivierungsentscheidung vorgeben.

a) Das Gemeinschaftsinteresse als Grund für die Schaffung objektiven Rechts Die Entscheidung über den Erlaß eines Rechtssatzes obliegt der Natur der Sache nach immer der sie tragenden Rechtsgemeinschaft, die in der Regel durch den Gesetzgeber handelt, ausnahmsweise - bei Gewohnheitsrecht - aber auch selbst Recht schaffen kann. Fraglich ist allein, an welchen Zielsetzungen sich die Rechtsgemeinschaft hierbei orientiert. Der Staat ist, einem anerkannten Diktum gemäß, um der Menschen willen dar, nicht der Mensch um des Staates willen. Daraus folgt notwendig, daß alles staatliche Recht letztlich dem Menschen zu dienen hat, d.h. unmittelbar oder mittelbar auf dessen Bedürfhisse und Interessen ausgerichtet sein muß2. In einem gleichermaßen allgemeinen wie fundamentalen Sinn muß das Recht daher zum Wohle aller eine Friedensordnung

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

543

errichten und das Leben innerhalb der Gemeinschaft durch einen an der Idee der Gerechtigkeit orientierten Ausgleich der zahlreichen widerstreitenden Bedürfnisse und Wünsche ordnen. Das menschliche Leben ist durch ein hohes Maß an Komplexität und Kontingenz gekennzeichnet3: Komplexität, weil es sowohl für den einzelnen Menschen als auch für Gruppen von Menschen und die Gesellschaft überhaupt jederzeit mehr Möglichkeiten gibt als aktualisiert werden können, Kontingenz, weil alle Entscheidungen und die darauf beruhenden Handlungen zu anderen als den vorgestellten und gewünschten Ergebnissen führen können. Letztere Unsicherheit wiederum wird nicht zuletzt durch die ihrerseits wesentliche Kontingenzfaktoren darstellenden anderen Menschen verursacht, weil deren Handlungen und zwar unabhängig davon, ob sie spontan erfolgen oder als Reaktion auf die vorhergehende Handlung eines anderen - womöglich ganz anders als erhofft ausfallen können. Die Komplexität des Lebens bewirkt einen permanenten Zwang zur Selektion unter den je zu Gebote stehenden Handlungsmöglichkeiten, und die Kontingenz impliziert praktisch Enttäuschungsgefahr. Das Recht spielt angesichts dieser Realität (neben Sitte, Moral, Konvention etc.) eine der Hauptrollen zur Reduzierung von Komplexität und Kontingenz auf ein erträgliches Maß. Indem es Verhaltensmaßstäbe normiert und Verhaltensmöglichkeiten kanalisiert, wird für jeden Entscheidungsträger eine mehr oder weniger große Zahl von Entscheidungsalternativen vorweggenommen eliminiert 4 . Zugleich wird dadurch signalisiert, erstens, was von den anderen erwartet werden darf, und zweitens, was die anderen wiederum von einem erwarten, was also zu tun ist, um nicht deren Erwartungen zu enttäuschen und dadurch eine Reaktion zu provozieren, die wiederum den eigenen Erwartungen zuwiderliefe 5. Freilich darf das Recht nicht ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt gesehen und der Anspruch erhoben werden, das Recht müsse Komplexität und Kontingenz in maximaler Weise reduzieren helfen. Je größer die Regelungsdichte und je spezifischer die normativen Verhaltens vorgaben, desto größer ist zwar

2

Vgl. Bachof in GS W. Jellinek, S. 290; G. Jellinek, System, S. 58 f. Hierzu grundlegend Luhmann, Rechtssoziologie, S. 31 ff.; vgl. ferner Wolf WissR 1970, 204 f. 4 Zur Selektionswirkung insbesondere von Strukturen vgl. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 f. 5 Die zur Reduzierung von Ungewißheit unerläßliche Prognose über die fremde Handlung beruht maßgeblich auf einer Erwartung von Erwartungen, nämlich auf einer Vorhersage, welche Erwartungen der andere haben wird; da hier zu der ohnehin stets gegebenen Enttäuschungsgefahr noch das Irrtumsrisiko hinzutritt, beinhaltet eine Erwartungserwartung eine doppelte Kontingenz; vgl. hierzu grundlegend Luhmann, Rechtssoziologie, S. 33; ferner ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 151 ff. 3

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

einerseits die Erwartungssicherheit, doch um so geringer ist umgekehrt die Entscheidungsfreiheit des Handelnden. Das Recht muß daher einen Ausgleich zwischen dem Bedürfnis nach Erwartungssicherheit einerseits und dem ebenso legitimen Wunsch nach Entscheidungsfreiheit andererseits anstreben. Eine maximale Reduzierung von Komplexität und Kontingenz kann von vornherein nicht das Ziel des Rechts sein, weil dies zu minimaler Freiheit führen müßte. Um seiner eigenen und der Freiheit anderer willen ist deshalb jedem ein geraumes Maß an Ungewißheit und Enttäuschungsgefahr zuzumuten. Allerdings kann es ebensowenig angehen, die Freiheit zu maximieren, weil dies zu minimaler Sicherheit und Gewißheit auf Seiten der anderen führte, mit anderen Worten maximale Ungewißheit nach sich zöge. Die inhaltliche Ausgestaltung des menschlichen Zusammenlebens muß daher von der Erfahrung und Einsicht ausgehen, daß ein gedeihliches Zusammenleben einer Vielzahl von Menschen in einer Gemeinschaft auf Dauer nur möglich ist, wenn jeder zu einem gerechten Kompromiß 6 und zu einem Verzicht auf den Versuch der vollen Durchsetzung seiner Wünsche auf Kosten der anderen und ohne Rücksicht auf deren Interessen bereit ist. Damit ist freilich ein grundsätzliches Problem angesprochen. Es genügt offenkundig nicht, daß die verschiedenen Individuen bestimmte Interessen tatsächlich haben. Sie würden nämlich gerade ihre eigenen Interessen immer als besonders wichtig und vordringlich verstehen und deren rechtlichen Schutz begehren. Ob und inwieweit etwaige individuelle Interessen rechtlich umgesetzt werden sollen, kann sich deshalb nur danach richten, welche Interessen die das Recht tragende Rechtsgemeinschaft als legitim und durch das Recht schützenswert anerkennt7. Deshalb „ist bei der Schöpfung aller Rechtsnormen notwendig auch das Gemeininteresse beteiligt" 8 . Wo die Rechtsgemeinschaft die betroffenen Individualinteressen als des Schutzes unwürdig oder nicht bedürftig bewertet, insbesondere etwaige Enttäuschungen der Individuen allein dem sozialen und privaten Bereich zuordnet, sieht sie von der Schaffung von Rechtsnormen ab und beläßt rechtsfreie Räume. Dies läßt sich beispielsweise an der Regelung des Maklervertrages demonstrieren: Während derjenige, der die Dienste z.B. eines Wohnungs- oder Grundstücksmaklers in Anspruch nimmt, nach Zustandekommen des Vertrages den vereinbarten Maklerlohn zahlen muß (§ 652 Abs. 1 BGB), begründet der Abschluß eines Heiratsvermittlungsvertrages lediglich eine Naturalobligation auf Seiten des Heiratswilligen, da dieser rechtlich nicht verpflichtet ist, dem Ehemakler den vereinbarten Ehemaklerlohn zu zahlen (§ 656 Abs. 1 BGB). Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Offensichtlich nicht durch eine unterschiedliche Interessenlage der am Maklervertrag Beteiligten: der Ehemakler hätte gewiß nicht minder geme ein Recht auf den Maklerlohn wie sein Kollege aus der Woh6

Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 240. Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 44; G. Jellinek, System, S. 52 f. 8 G. Jellinek, System, S. 69, 79. 7

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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nungs- und Grundstücksbranche, wie umgekehrt der Wohnungs- oder Grundstückssuchende ebenso zufrieden wäre wie der Partnersuchende, wenn er eine bloße Naturalobligation einginge. Unter ausschließlicher Betrachtung der natürlichen Interessen der Beteiligten ließe sich die Schlechterstellung des Ehemaklers weder erklären noch rechtfertigen. Dasselbe gilt für Spiel- und Wettverträge: Grundsätzlich wird durch derartige Verträge eine Verbindlichkeit nicht begründet (§ 762 Abs. 1 BGB). Ein anderes gilt bezeichnenderweise für staatlich genehmigte Lotterie- und Ausspielverträge (§ 763 BGB) sowie für Spiele in staatlich konzessionierten Spielbanken (§ 763 BGB analog)9. Auch hier kann der Unterschied nicht mit den Interessen der Spieler begründet werden: der Gewinner will den Gewinn einstreichen, der Verlierer wird nie gerne zahlen, und doch ist er im einen Fall rechtlich dazu verpflichtet, im anderen nicht. Der Grund für die vorgestellten Unterscheidungen muß offenbar in einer diesbezüglich differenzierenden Interessenbewertung seitens der Rechtsgemeinschaft liegen. Diese bewertet offenkundig das Interesse der Wohnungs- und Grundstücksmakler bzw. der Spielbanken sowie der in solchen Spielenden trotz sonst im übrigen gleichen Vorgangs aus vielerlei Gründen höher als das der Ehemakler bzw. privat Spielenden, und statuiert daher im ersten Fall eine Rechtspflicht, während es im zweiten Fall eben mit einer bloßen Naturalobligation sein Bewenden hat.

Für die Rechtsgemeinschaft gibt es zwei Motivationsquellen für die Schaffung objektiven Rechts: Individualinteressen sowie das Allgemeininteresse. Freilich können etwaige vorgefundene individuelle Interessen auf Seiten der Rechtssubjekte immer nur Anlaß für die Statuierung objektiven Rechts sein, niemals ausschlaggebender Grund dafür, weil immer vorausgesetzt ist, daß die Rechtsgemeinschaft den betreffenden Wunsch als berechtigt und billigenswert anerkennt. Dies wiederum wird um so eher der Fall sein, je weniger er auf konkret benennbare Personen beschränkt ist, sondern Situationen entstammt, in die grundsätzlich jeder kommen kann. Denn Wünsche, die in nachvollziehbarer Weise jeder haben kann, werden auf allgemeines Verständnis stoßen und insofern eher als Gegenstand rechtlicher Pflichten in Betracht gezogen werden. Da es freilich eine Unzahl von Wünschen gibt, die allgemein auf Verständnis stoßen und gebilligt werden, ohne daß ihre Befriedigung rechtlich vorgeschrieben würde - beispielsweise weil der betreffende Wunsch, wiewohl berechtigt, doch zu sehr dem rein privaten oder sozialen Bereich zugehört - , setzt die Umsetzung eines als berechtigt anerkannten Wunsches in einer Rechtsnorm zweitens voraus, daß die Rechtsgemeinschaft dessen Erfüllung als wichtig genug einstuft, um ihn rechtlich absichern zu wollen. Dies zeigt, daß individuelle Interessen jenseits etwaiger verfassungsrechtlicher Vorgaben 10 - zwar Anlaß, nie aber für sich Grund für die Schaffung objektiven Rechts sein können; dieser muß vielmehr stets in einer diesbezüglichen Bewertung der Rechtsgemeinschaft gesucht werden.

9 10

BGH, NJW 1974, 1821. S. hierzu näher unten F.I.3.a.

37 Roth

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Objektives Recht ist freilich nicht notwendig durch den Schutz vorgegebener tatsächlicher Interessen individueller Rechtssubjekte motiviert 11 . Vielfach beruht es schlicht auf dem Bestreben der Rechtsgemeinschaft, diejenigen Regelungen zu treffen, die sie selbst in direkter Verfolgung des Allgemeinwohls aufstellen muß, um ein ordnungsgemäßes und gedeihliches Funktionieren des Ganzen zu gewährleisten, ja nicht selten geht objektives Recht lediglich auf einen politischen Gestaltungswillen des Gesetzgebers zurück, die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen zu formen, oft auch auf Kosten präexistenter Individualinteressen. Entsprechend der Unterscheidung von befehlenden und gewährenden Rechtssätzen12 kann hinsichtlich der Motivation für die Schaffung objektiven Rechts weiter differenziert werden. Befehlende Rechtssätze drücken je nach dem materiellen Ge- oder Verbotsinhalt eine mehr oder weniger spezifische Verhaltenserwartung der Rechtsgemeinschaft aus. Unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Erwartung handelt, die die Rechtsgemeinschaft originär aus Gründen des Allgemeinwohles aufstellt oder ob sie auf individuelle Wünsche zurückgeht, die die Rechtsgemeinschaft als rechtlich schützenswert anerkennen will, enthält jeder befehlende Rechtssatz eine gemeinschaftliche Erwartung, eine Erwartung also, die die Rechtsgemeinschaft als solche an ihre Mitglieder stellt, ist mit anderen Worten Ausdruck einer gemeinschaftlichen Erwartung 13. Der einzelne erfüllt durch normgerechtes Verhalten daher nicht (allein) Erwartungen eines etwaigen konkreten Gegenüber, sondern die Erwartung der Gemeinschaft als die „Erwartung von jedermann" 14 . Bei gewährenden Rechtssätzen demgegenüber steht weniger die Normierung von Verhaltenserwartungen im Vordergrund auch wenn sie hypothetische Verhaltensmaßstäbe beinhalten und in diesem Sinne die Erwartung besteht, daß, wer Gebrauch von einer solchen Gewährung machen will, die diesbezüglich vorgesehenen Voraussetzungen einhält - , als vielmehr die Verhaltensermöglichung, welche regelmäßig mit einer Gewährung, sei es eines rechtlichen Könnens, eines Dürfens oder der Verleihung eines rechtlichen Status15, verbunden ist. Welche Verhaltensweisen die Rechtsgemeinschaft erwartet bzw. ermöglichen will und zu diesem Zweck objektivrechtlich in Befehle oder Gewährungen kleidet, hängt nach dem Gesagten davon ab, wie sie die involvierten individuellen und gemeinschaftlichen Interessen bewertet und gegeneinander abwägt. Von be11

Zur Ablehnung der Interessentheorie oben D.II.2. S. oben D.III.2.b.aa. 13 Vgl. hierzu eingehend Luhmann, Rechtssoziologie, S. 64 ff; femer ders., Das Recht der Gesellschaft, S. 124 ff.; vgl. femer Thon, GrünhutsZ 7 (1880), 240 f.; vgl. auch Wolf WissR 1970, 206. 14 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 78 f. 15 Vgl. hierzu oben D.III.2.b.aa. 12

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sonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß es zahlreiche Verhaltensweisen gibt, die aus Sicht der Rechtsgemeinschaft erwünscht sind, zu denen ein Individuum aber freiwillig nur bereit sein wird, wenn es die erwartete Gegenleistung mit hinreichender Sicherheit auch tatsächlich erhält. Wenn die Rechtsgemeinschaft derartige Verhaltensweisen ermutigen will, muß sie - wie z.B. in bezug auf Wohnungs- und Grundstücksmaklerverträge - die Erfüllung der betreffenden Gegenleistung rechtsverbindlich vorschreiben 16. Wo sie dagegen gewisse Verhaltensweisen zwar nicht geradezu verbieten, ihnen aber gleichwohl eher entgegenwirken will, wird sie - wie in bezug auf Ehemakler- und private Spiel- und Wettverträge dargelegt - davon absehen, deren Vornahme durch die Statuierung rechtlicher (Erfüllungs)Pflichten hinsichtlich der erhofften Gegenleistung noch zu unterstützen.

b) Das Interesse der Rechtsgemeinschaft als Grund für die Subjektivierung von Recht Erkennt man erst einmal an, daß sich die Statuierung von Recht nach den Interessen(bewertungen) der Rechtsgemeinschaft richtet, so ergibt sich unschwer, daß dies nicht nur für das objektive Recht, sondern ebenso bezüglich der Gewährung subjektiver Rechte gelten muß. Denn auch diejenigen Rechtssätze, durch die ein subjektives Recht begründet wird - sei es unmittelbar, sei es im Wege einer tatbestandlichen Anknüpfung an einen das subjektive Recht entstehenlassenden Akt 1 7 - , sind (wiewohl besonders qualifizierte) Bestandteile des objektiven Rechts, und der Grund für ihre Entstehung kann daher kein prinzipiell anderer sein. Die Vorstellung, die Rechtsordnung zerfalle in zwei überschneidungsfreie Teilmengen, in objektives Recht einerseits und subjektives Recht andererseits, so daß eine Rechtsnorm entweder objektiver oder subjektiver Natur sein müsse, wäre nämlich durchaus verfehlt. Der Begriff des „subjektiven Rechts" dient nicht der trennenden Abgrenzung von einem „objektiven Recht", neben welchem es isoliert stünde, sondern ist vielmehr Ausdruck einer besonderen Qualifikation des (objektiven) Rechts. Das subjektive Recht ist nicht ein anderes als das objektive Recht, nicht ein aliud, es ist sozusagen ein Mehr, ein plus, indem es alle Wesensmerkmale des objektiven Rechts in sich vereinigt und nur durch besondere zusätzliche Merkmale qualifiziert ist 18 . Das Verhältnis des subjektiven Rechts zum objektiven ist daher, daß ein Rechtssatz des objektiven Rechts

16

Zu diesem Zusammenhang RGZ 48, 84, 86. S. oben D.III.2.a. 18 Vgl. Aicher, Das Eigentum, S. 20; ferner Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 137 f., 140; C. Schmitt, HdbDStR II, S. 578. 17

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Voraussetzung des subjektiven Rechts ist und das subjektive Recht aus diesem Rechtssatz hervorgeht 1 9 . Ein subjektives Recht kann deshalb nur entstehen, wenn die Rechtsgemeinschaft vernünftige Gründe nicht nur für die Statuierung von Recht überhaupt sieht, sondern wenn aus ihrer Sicht dessen Subjektivierung sowie die Zuweisung der subjektiven Berechtigung gerade an ein bestimmtes Rechtssubjekt auch zur Verfolgung ihrer Ziele vernünftig erscheint 20 . Insofern greifen alle Versuche, den objektiven bzw. subjektiven Charakter von Recht unter alleinigem Rückgriff auf individuelle Belange, Interessen oder sonstige Merkmale der unmittelbar Betroffenen zu bestimmen, von vornherein zu kurz. Vielmehr muß gefragt werden, welches Interesse die Rechtsgemeinschaft

hat, einem ihr zuge-

hörigen Subjekt eine Begünstigung in Gestalt eines subjektiven Rechts einzuräumen, anstatt es darauf zu verweisen, sich m i t einer bloß reflexweisen Begünstigung durch objektive Rechtsnormen zufriedenzugeben 21 .

19 BVerfGE 51, 193, 211; Achterberg, AllgVerwR, § 1 Rn. 6; Böckenförde, Gesetz, S. 285; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 17 f.; Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 139 ff.; Haenel, Das Gesetz, S. 121 f.; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 4 f.; G. Jellinek, System, S. 8 f.; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 12; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 3, 6; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 161; Peine, AllgVerwR, Rn. 81; Puchta, Cursus der Institutionen I, § 6, S. 14; Renck, NJW 1980, 1024; Scherzberg, DVB1. 1988, 130; Stern, Staatsrecht III/l, § 69 II 2, S. 908 f.; Wolff, Organschaft I, S. 93 ff. 20 Vgl. Bachof, in GS W. Jellinek, S. 290; Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 44; Huber, AllgVerwR, S. 111, 117; G. Jellinek, System, S. 53; v. Sarwey, Das öffentliche Recht, S. 420; Schnapp, Amtsrecht, S. 100; Wiegand, BayVBl. 1994, 614 f.; femer Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 29; diesen „instrumentalen Charakter" des subjektiven Rechts betont auch Bethge, Die Verwaltung 1975, 465. A.A. Masing, Mobilisierung, S. 117, 178 f., nach dem im deutschen Recht subjektive Rechte stets „allein" im Blick auf private Belange des Bürgers gewährt oder anerkannt werden. 21 Die Verfügungsbefugnis der Rechtsgemeinschaft über die Subjektivierung von Recht leugnet Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 61. Nach ihm ist das subjektive Recht „unabhängig vom Willen des Gesetzgebers", ja, wie angesichts der gegebenen Begründung zu ergänzen ist: überhaupt unabhängig vom Willen der Rechtsgemeinschaft zu begründen; nicht diese nehme durch ihre Entscheidung die Subjektivierung des objektiven Rechts vor: „Es ist die natürliche und tatsächliche Individualität des Einzelnen, dessen individuelle Freiheit mit dem öffentlichen Wohl im Gesetz zur höheren Ordnung ausgeglichen und aufgehoben ist, in dessen eigenen Angelegenheiten aber die dafür im Gesetz vorgezeichnete höhere Ordnung verfehlt wird, und der darum der Verwaltung und dem Staat wieder als Einzelner gegenübersteht, die in seiner Person die entsprechenden subjektiven öffentlichen Rechte begründet". - Diese Sicht überzeugt nicht und ist mit Recht ohne Gefolgschaft geblieben (ablehnend etwa Friauf Der Staat 1970, 237). Zunächst ist die Ausgangsthese, daß die „natürliche und tatsächliche Individualität des Einzelnen" unabhängig vom Gesetz subjektive Rechte begründe, nicht nachvollziehbar: tatsächliche Zustände erzeugen aus sich heraus überhaupt keine Rechte.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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Zweifellos sind auch bei der Entscheidung über die Subjektivierung von Recht in erster Linie wiederum die Interessen derjenigen zu bedenken, die durch eine derartige Subjektivierung als Berechtigte oder Verpflichtete unmittelbar betroffen sind. Ebenso außer Zweifel steht, daß es nicht genügt, auf das dabei jeweils involvierte natürliche Interesse zu sehen. Der (potentiell) Berechtigte wird nämlich fast immer wünschen, daß die ihm gelegen kommende Rechtsnorm subjektiviert werde, während der Verpflichtete in aller Regel gerade das Gegenteil erhoffen wird 22 . Von den seltenen Fällen abgesehen, in denen die unmittelbar Betroffenen dieselbe Subjektivierungsentscheidung wünschen, muß die Rechtsgemeinschaft daher in diesem Punkt immer den einen zu Lasten des anderen bevorzugen. Infolgedessen kann die Rechtsgemeinschaft gar nicht anders, als sich die Entscheidung vorbehalten, welche individuellen Wünsche sie als hinreichend berechtigt und wichtig ansieht, durch Umsetzung in ein subjektives Recht unterstützt zu werden. Entweder muß es also um ein individuelles Interesse gehen, das schon aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Subjektivierung indiziert 23 , oder, wenn dies nicht der Fall ist, muß es für die Rechtsgemeinschaft einen sonstigen Grund geben, gleichwohl ein subjektives Recht vorzusehen. Denn von den Fällen der Grundrechte und sonstiger verfassungsrechtlicher Vorgaben abgesehen, befindet der Gesetzgeber, unter welchen Voraussetzungen einem Rechtssubjekt ein subjektives Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll 24 . Grundsätzlich kann die Rechtsordnung also auch bloß objektivrechtlich begünstigen; allein aus dem Zweck, ein bestimmtes Rechtssubjekt zu schützen, folgt daher nicht die subjektivrechtliche Natur des Rechts25. In die Subjektivierungsentscheidung müssen deshalb zusätzliche Überlegungen einfließen. Hierbei nun wird sich die Rechtsgemeinschaft im Rahmen der Verfassung naheliegender Weise ebenso an ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen orientieren, wie es schon bei der Schaffung objektiven Rechts anzunehmen ist. Eine solche Orientierung an den Gemeinwohlinteressen ist zumal deswegen angezeigt, als ja die Rechtsgemeinschaft jedes subjektive Recht durch eine gemeinschaftliche Erfüllungserwartung absichern muß. Infolgedessen involviert jede Subjektivierung von Recht notwendigerweise auch die Rechtsgemeinschaft Außerdem erscheint diese These in sich unschlüssig: Wenn nämlich auch nach Ansicht Henkes erst das Gesetz Individual- und Allgemeininteressen zu einer „höheren Ordnung" ausgleichen muß, so ist nicht ersichtlich, weshalb dies nur für den materiellen Inhalt des Gesetzes gelten und es jenseits der Bestimmungsmöglichkeit des Gesetzes liegen sollte, zugleich die Entscheidung zu treffen, ob dieser Ausgleich mittels objektiven oder subjektiven Rechts erfolgen soll. 22 S. hierzu näher unten F.I.4.b. 23 S. unten F.I.3.a. 24 BVerfGE 78, 214, 226; 83, 182, 195. 25 Vgl. die diesbezügliche Kritik an der Interessentheorie oben D.II.2.C.

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als solche, und es wäre unangebracht, subjektive Rechte zu statuieren, hinter denen die Rechtsgemeinschaft nicht stehen kann. Die Bedeutung dieser gemeinschaftlichen Erfüllungserwartung für das subjektive Recht und ihr Verhältnis zu diesem erhellt, wenn man die bei einem subjektiven Recht gegebenen Positionen des Berechtigten und der Rechtsgemeinschaft betrachtet. So kann nämlich A, wenn ihm ein subjektives Recht zusteht, sagen: Jch habe ein Recht auf...". Die Gemeinschaft hingegen sagt: ,>A hat ein Recht auf...", oder, was gleichbedeutend ist: „Wir erwarten, daß das Recht des A auf... erfüllt wird". Offenkundig kann die Gemeinschaft aber nicht sagen: „Wir haben ein Recht auf...". Dies kann man sich leicht verdeutlichen, wenn man sich den Anspruch des Käufers auf Übereignung der gekauften Sache (§ 433 Abs. 1 BGB) vor Augen führt: Hier hat ganz offensichtlich allein der Käufer einen Anspruch auf Übereignung der gekauften Sache, und selbstverständlich hat nicht die Gemeinschaft für sich selbst - wie auch? - diesen Übereignungsanspruch; aber sie hat als Trägerin allen staatlichen Rechts die Erwartung, daß der Verkäufer jenen Anspruch des Käufers erfülle. Entsprechendes gilt bei absoluten Herrschaftsrechten (der Eigentümer kann mit seiner Sache nach Belieben verfahren, nicht die Rechtsgemeinschaft; diese unterstützt und bestätigt den Eigentümer allerdings in dessen Verfügungs- und Gebrauchserwartung) und bei Erlaubnissen (der Berechtigte darf sich so verhalten, wie ihm die Erlaubnis gestattet, und die Rechtsgemeinschaft erwartet, daß dies respektiert werde). Das Bestehen eines subjektiven Rechts impliziert nicht, daß die Rechtsgemeinschaft als solches an dem interessiert zu sein bräuchte, worauf die Erwartung des Subjektes gerichtet ist. Aber da sie dessen subjektive Berechtigung durch den Erlaß entsprechender Rechtsnormen überhaupt erst ermöglicht hat, muß sie die Beachtung jenes subjektiven Rechts unabhängig von seinem konkreten Inhalt erwarten. Die Verletzung subjektiver Rechte ist für die Rechtsgemeinschaft nicht deshalb eine Herausforderung, weil sie dieses Recht selbst ausüben wollte (also etwa Gebrauch von der Sache machen wollte oder auf die geschuldete Leistung angewiesen wäre), sondern weil darin eine Mißachtung ihrer Souveränität liegt. Da jedes subjektive Recht seinen Geltungsgrund in einer Rechtsnorm hat 26 , wird durch die Mißachtung eines subjektiven Rechts eben nicht allein die subjektive Erwartung des Berechtigten enttäuscht, sondern notwendig zugleich die in Gestalt einer Erfüllungserwartung erscheinende gemeinschaftliche Erwartung. Infolgedessen hat die Gemeinschaft eine reine Erfüllungserwartung., nämlich die Erwartung, daß der Berechtigte sein Recht, gleich welchen Inhalt dieses hat, ausüben könne. Letzten Endes versteht sich das Bestehen einer gemeinschaftlichen Erfüllungserwartung in bezug auf subjektive Rechte schon deshalb von selbst, weil 26

S. oben D.III.2.a.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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jedermann Inhaber eines subjektiven Rechts sein und die Erfüllung der betreffenden Erwartung verlangen wollen kann und sich dann darauf verlassen können muß, daß die Gemeinschaft hinter diesem subjektiven Recht steht und dessen Erfüllung erwartet. Was aber jeder für den Fall erwartet, daß ihm ein subjektives Recht zusteht, das muß er nach dem Gegenseitigkeitsprinzip billigerweise auch allen anderen zugestehen; aus einem solchen Geflecht wechselseitiger Erfüllungserwartungen ergibt sich dann zwangsläufig eine gemeinschaftliche Erfüllungserwartung 27. Zugleich erscheint es als logische Konsequenz, daß und weshalb die Gemeinschaft gegebenenfalls auch die Durchsetzung jener Erwartung garantiert: das subjektive Recht ist eben nicht allein Sache des Berechtigten, sondern es wird von der gemeinschaftlichen Erfüllungserwartung getragen und flankiert. Gleichzeitig erhellt daraus, daß und weshalb es Sache der Rechtsgemeinschaft sein muß, welche subjektiven Erwartungen sie unter welchen Voraussetzungen zwangsweise durchzusetzen hilft: es obliegt ihrer Entscheidung, wie wichtig ihr ihre Erfüllungserwartung ist. Kann hiernach die Rechtsgemeinschaft widerspruchsfrei kein subjektives Recht gewähren, ohne diesbezüglich eine Erfüllungserwartung zu hegen, so muß notwendigerweise die Entscheidung über die Verleihung des subjektiven Rechts von den Interessen der Rechtsgemeinschaft abhängen. Wenn hier von den Interessen der Rechtsgemeinschaft gesprochen wird, so ist dies nicht in einem rein abstrakten Sinn als Interesse des Staates zu verstehen. Vielmehr hat ja jede Organisation Mitglieder (z.B. die Staats-, Gemeinde- oder Hochschulangehörigen), Errichter (z.B. die Länder bei den Rundfunkanstalten) und Benutzer (z.B. die Rundfunkteilnehmer), bzw. Stifter und Destinatare 28, und deren Interessen müssen für den jeweiligen Normgeber stets im Vordergrund stehen, soll nicht die Organisation ihren eigentlichen Zweck verfehlen. Daß es hierbei nicht ohne eine von dem einzelnen Individuum abstrahierende und nicht ohne eine wertend zusammenfassende, oft schlicht nach dem Mehrheitsprinzip politisch dezisionistische Setzung geht, was als Gemeinwohl gelten soll, versteht sich nach dem Gesagten29. Wichtig ist aber, daß hierbei nicht die Organisation verselbständigt und organisationstechnische Bedürfhisse verabsolutiert und über die Interessen jener gestellt werden, denen die Organisation eigentlich dienen soll. Infolgedessen müssen auch die Vor- bzw. Nachteile, die eine Subjektivierung von Recht für den Verpflichteten und den Berechtigten mit sich bringt, gewichtige Faktoren bei der Subjektivierungsentscheidung sein. Denn schließlich können diese direkt Betroffenen als Mitglieder der Rechtsgemeinschaft bei der Beurteilung des Gemeinwohls nicht einfach übergangen

27 28 29

S. vorstehend F.I. La. S. hierzu oben A.I.l.b. Vgl. oben E.I.2.b.aa.

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werden, sondern sind die sie treffenden Vorteile und Belastungen mit in die Gesamtbetrachtung einzustellen. Übrigens ist - auf den ersten Blick vielleicht paradoxerweise - auch aus der Sicht aller Rechtsgenossen letztlich eine Rechtsgemeinschaft eher akzeptabel, die über die Gewährung subjektiver Rechte danach entscheidet, was sie für sich selbst als erstrebenswert erachtet und wodurch sie am besten nicht das Wohl einzelner, sondern das allgemeine Wohl zu befördern meint. Denn hierdurch sind alle Mitglieder der Gemeinschaft demselben Maßstab unterworfen, ob sie ein subjektives Recht zugewiesen erhalten oder nicht, und kein Rechtssubjekt muß eine willkürliche Zurücksetzung gerade seiner Wünsche gegenüber anderen argwöhnen. Im Ergebnis bedeutet dies, daß die Verleihung eines subjektiven Rechts in dem Maße indiziert ist, in dem das Einzel- mit dem Allgemeinwohl koinzidiert 30 , und je besser das Allgemeinwohl dadurch zu verfolgen ist, daß dem einzelnen durch Verleihung eines subjektiven Rechts eine eigenständige Zuständigkeit zur Ausübung und Geltendmachung des Rechts verliehen wird.

2. Die Ermittlung subjektiven Rechts als Auslegungsaufgabe Ob eine Rechtsnorm dem Begünstigten eine subjektive Zuständigkeit zur eigenständigen Ausübung und Geltendmachung des Normgehaltes und damit ein subjektives Recht verleiht, oder ob sie ihn nur faktisch oder reflexartig begünstigt und er sich mit seiner Hoffnung auf Normbeachtung lediglich an den Normbefolgungsanspruch der Rechtsgemeinschaft „anhängen" kann 31 , ist allein durch Auslegung der in Frage stehenden Rechtssätze zu entscheiden32. Denn selbstverständlich kommt es nicht darauf an, ob jemand ein subjektives Recht haben will, sondern darauf, ob er es hat, d.h. ob es ihm nach der bestehenden Rechtslage tatsächlich zugewiesen ist 33 . In erster Linie maßgeblich sind etwaige ausdrückliche Bestimmungen im Gesetz, ob die betreffende Rechtsnorm subjektiver 34 oder nur objektiver Natur 35

30

Vgl. G. Jellinek, System, S. 203. Vgl. OVG Münster, DVB1. 1999, 1372, 1373: „nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit begünstigt". 32 Huber, AllgVerwR, S. 115. 33 Schnapp, VerwArch 1987, 425. 34 Beispiele für eine ausdrückliche Bestimmung des subjektivrechtlichen Charakters einer Norm: § 1 BAföG, § 4 Abs. 1 S. 1 BSHG, § 70 Abs. 1 GewO, § 97 Abs. 7 GWB, §§ 38, 39 Abs. 1 S. 2 SGB-AT, § 4 Abs. 1 UIG, § 10 Abs. 2 S. 2 GemO BW, § 5 Abs. 7 S. 3 LBO BW. 35 Beispiele für eine ausdrückliche Bestimmung des objektivrechtlichen Charakters einer Norm: § 2 Abs. 3, § 123 Abs. 3 BauGB, § 3 Abs. 2 HGrG, § 89 Abs. 6 des Zwei31

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sein soll. Findet sich eine solche ausdrückliche Bestimmung in der einen oder anderen Richtung, so bedarf es gegebenenfalls der Prüfling ihrer Verfassungsmäßigkeit. Namentlich die Anordnung, eine Rechtsnorm solle bloß objektivrechtlicher Natur sein und kein subjektives Recht verleihen, kann in grundrechtsrelevanten Bereichen jedenfalls dann gegen Grundrechte verstoßen, wenn der Gesetzgeber damit eine abschließende Regelung und einen Ausschluß der unmittelbaren Berufung auf Grundrechte intendiert oder sonst der Bedeutung der Grundrechte (z.B. in ihrer schutzrechtlichen Dimension) unzureichend Rechnung betragen hat 36 . Große Bedeutung kommt dieser Erwägung in bezug auf Organstreitigkeiten allerdings nicht zu, da die Organe von Trägern öffentlicher Gewalt nicht grundrechtsberechtigt sind 37 und dem Gesetzgeber daher ein nur durch das Rechtsstaatsprinzip begrenzter sehr weiter Spielraum über die Gewährung oder eben auch Versagung subjektiver Organrechte zukommt 38 . Immerhin ist aber an die Grundrechtsträgerschaft der Universitäten und Rundfunkanstalten sowie ihrer Organe zu erinnern 39, denn insofern läßt sich nicht a priori ausschließen, daß deren Grundrechte eben auch im organisationsinternen Bereich eine gewisse Subjektivierung der Kompetenzordnung vorschreiben, wenn anders ihre Grundrechtsberechtigung ineffektiv würde 40 . Ausdrückliche Bestimmungen über die subjektiv- bzw. objektivrechtliche Natur einer Rechtsnorm sind selten. Namentlich bezüglich der hier interessierenden Kompetenznormen fehlen sie vollständig, und von daher bereitet deren Auslegung keine geringen Probleme. Grammatische und systematische Überlegungen41 helfen in Abwesenheit ausdrücklicher Bestimmungen zumeist nicht weiter. Sofern dann nicht die historische und genetische Interpretation Auf-

ten Wohnungsbaugesetzes, § 2 Abs. 3 FwG BW, § 13 Abs. 2, § 15 Abs. 1 StrG BW, § 46 Abs. 1, § 53 S. 2, § 63 Abs. 1 S. 2, § 70 Abs. 1 WG BW. 36 Vgl. Rupp, Grundfragen, S. 246; zu diesem Problemkreis ferner LG Bonn, EuZW 1999, 732, 736; Schenke, in FS Egon Lorenz, S. 482 ff., 488 ff 37 S. oben B.I.2.a. 38 S. oben B.I.2.b. 39 S. oben B.I.2.a. 40 S. hierzu unten F.I.3.a. 41 Zu einem Beispiel systematischer Herleitung eines subjektiven Rechts vgl. BVerwGE 87, 62, 69 f.; VGH Kassel, NuR 1999, 159, 160 f.: das für Naturschutzverbände vorgesehene förmliche Anerkennungsverfahren des § 29 Abs. 2-5 BNatSchG ist mit seinen strengen Voraussetzungen und seinem Verwaltungsaufwand so zu verstehen, daß dem anerkannten Verband dann auch die von § 29 Abs. 1 BNatSchG vorgesehene Beteiligung als subjektives Recht zustehen soll. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 52.

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schluß gibt 42 , muß die Subjektivierungsfrage im Wege teleologischer Auslegung beantwortet werden 43. Ausgehend von der regelmäßig bestehenden Notwendigkeit, objektives und subjektives Recht nach dem Zweck der jeweiligen Rechtsnorm zu unterscheiden, wird hier oft von der Schutzzweck- oder Schutznormtheorie gesprochen, wonach es auf den Schutzzweck der in Frage stehenden Norm ankomme, ob sie nur objektives Recht setze oder auch ein subjektives Recht gewähre 44. Nun ist letzteres zweifellos richtig, und in der Tat hat auch der Gesetzgeber die Schutzzweckformel verschiedentlich aufgegriffen und beispielsweise gesetzliche Ansprüche davon abhängig gemacht, ob der Verpflichtete gegen ein „den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz" verstoßen hat (vgl. vor allem § 823 Abs. 2 BGB, ferner etwa § 33 S. 1 GWB). Indessen sollte man sich bewußt machen, daß mit dieser Formel nichts erklärt, sondern nur die zu lösende Auslegungsfrage benannt ist, nämlich daß sich die maßgebliche Auslegung eines Rechtssatzes letzten Endes nach seinem Zweck richten muß. Insofern aber ist die Bezeichnung als „Theorie", wenn man den Begriff der Theorie in seiner Bedeutung als auf Erkenntnis beruhendes Lehrgebäude zur Erklärung bestimmter Phänomene versteht 45, irreführend. Der Titel einer „Schutznormtheorie" könnte zu der Annahme verleiten, daß sie mehr sei als nur eine Problembezeichnung, nämlich schon einen Lösungsansatz beinhalte 42

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 45. Vgl. Schmidt,, JuS 1999, 1110; Schnapp, VerwArch 1987, 427 f. - Daß die Subjekti vierungsfrage ohne explizit erklärten Willen des Rechtssetzers „rechtswissenschaftlich unentscheidbar" und dem Rechtsanwender dann ein Entscheidungsspielraum zugewiesen sei (Schnapp, Amtsrecht, S. 217; ders., VerwArch 1987, 429), kann in dieser allgemeinen Form nicht zugegeben werden: Es ist gerade Aufgabe der Rechtswissenschaft, diejenigen Kriterien herauszuarbeiten, welche eine begründete Antwort darauf erlauben, ob die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck subjektivrechtlicher Natur ist, und das Fehlen ausdrücklicher gesetzgeberischer Vorgaben ermächtigt den Rechtsanwender im übrigen auch nicht zu einer eigenmächtigen Rechtsgestaltung, besteht doch das Wesen teleologischer Interpretation gerade in der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers (Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 160 ff). 44 Z.B. BVerwGE 98, 118, 120 f.; OVG Münster, BauR 1999, 237, 238; OVG Weimar, ThürVBl. 1999, 212, 214; Bull, AllgVerwR, Rn. 232; Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 53; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 443; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, §11 Rn. 31; Groß, Kollegialprinzip, S. 317; Hufen, Fehler, Rn. 539; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 372 f.; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 83; Masing, Mobilisierung, S. 107 f.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 14 Rn. 13; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 497; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 189; Stern, Staatsrecht III/l, § 65 II 3 und 4, S. 533 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 12; zur Entwicklung der Schutznormtheorie H Bauer, AöR 113 (1988), 587 ff. 45 Vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Stichwort „Theorie"; Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Stichwort „Theorie", S. 609. 43

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oder wenigstens den zu beschreitenden Lösungsweg aufzeige. In Wahrheit jedoch ist die „Schutznormtheorie" völlig unspezifisch 46. Selbst von ihren Vertretern ist sie offen als „eine Sammelbezeichnung für einen [entwicklungsoffenen] Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektiv-rechtliche Gehalt eines Rechtssatzes erschlossen werden muß", apostrophiert worden 47 . Freilich geht die „Schutznormtheorie" damit vollständig in der allgemeinen juristischen Methodenlehre auf 48 und verliert sich als eigenständige „Theorie" 49 . Im übrigen erweist sich die Berufung auf „Schutznormtheorien" auch deshalb regelmäßig als problematisch, weil sie dazu verleiten kann, schlicht etwas als „Normzweck" auszugeben, statt den Zweck der Norm durch eine genaue Analyse herauszuarbeiten; „Normzwecktheorien" stellen somit nicht selten Einfallstore dar, einfach das Rechtsempfinden des Interpreten als Normzweck auszugeben, in welchem Fall die Berufung auf den angeblichen Normzweck eine unzulässige petitio principii darstellt 50. Ob eine Rechtsnorm ein subjektives Recht verleiht, ist danach zwar allerdings nach ihrem Schutzzweck zu bestimmen; die nach allgemeinen methodischen Grundsätzen zutreffende Feststellung, daß sich der durch Auslegung zu ermittelnde Norminhalt nach dem Norm- oder Schutzzweck der betreffenden Rechtsnorm richten muß, sollte aber aus den genannten Gründen besser nicht als Schutznorm„theorie" bezeichnet werden. Die Aufgabe besteht immer in der Herausarbeitung der Kriterien, nach denen der Normzweck bestimmt werden kann und die eine begründete Entscheidung darüber ermöglichen, ob ein subjektives Recht anzunehmen ist oder ob sich der Betreffende mit einer bloß reflexweisen Begünstigung durch einen Rechtssatz objektivrechtlicher Natur begnügen muß. Die Suche nach dem Normzweck ist, weil eine Norm keinen Zweck an sich, sondern einzig den Zweck haben kann, den der Gesetzgeber mit ihr verfolgt 51 , gleichbedeutend mit der Suche nach dem wirklichen bzw. - wo dieser nicht sicher zu ermitteln ist - mutmaßlichen52 Wil-

46 Krit. auch H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 81 ff., 100 f., 141 ff.; ders., AöR 113 (1988), 592 ff., 604 ff.; Wiegand, BayVBl. 1994, 611 ff. 47 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Rn. 2/60; ders., in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 128; zustimmend Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 53; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 373; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 83; Schoch, NVwZ 1999, 465; krit. hierzu H. Bauer, AöR 113 (1988), 596 ff. 48 Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 83. 49 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 43. 50 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 82 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 43 f.; ferner H. Bauer, AöR 113 (1988), 598, 603. 51 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 38, 165; ferner Larenz, Methodenlehre, S. 316 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 137 f.; Roxin, Strafrecht AT I, §5 Rn. 32; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 4 II a. 52 Zum Verhältnis von tatsächlichem und mußmaßlichem Willen des Gesetzgebers Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 122 ff.

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len des Gesetzgebers53, und teleologische Interpretation besteht in ihrem Kern immer in der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers 54. Da nun der vom Gesetzgeber mit einer Rechtsnorm verfolgte Zweck - nach welchem sich ihre objektive bzw. subjektive Natur richten muß - in der Herbeiführung eines bestimmten Ausgleichs der verschiedenen von der Regelung betroffenen Interessen besteht55, setzt die zutreffende Ermittlung dieses Zwecks die korrekte Bestimmung der Faktoren voraus, welche der Gesetzgeber (mutmaßlich) berücksichtigen und mittels der betreffenden Norm zu einem gerechten Ausgleich bringen will. Da sich die Notwendigkeit der oft schwierigen Unterscheidung der Kategorien des objektiven und des subjektiven Rechts sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Rechtsanwender erübrigen ließe, würde diese Dichotomie überhaupt aufgegeben, indem entweder alles Recht als subjektives betrachtet oder aber auf jegliche Subjektivierung verzichtet und nur noch objektives Recht angenommen würde, gleichwohl jedoch in sämtlichen Rechtsgebieten stets an dieser Unterscheidung festgehalten wurde - auch wenn die jeweilige Zuordnung einzelner Rechtssätze mitunter einem Wandel unterworfen gewesen sein mag - , wird man annehmen dürfen, daß es für diese Unterscheidung einen Grund gibt. Man wird des weiteren in der Annahme nicht fehlgehen, daß die Kriterien zur Abgrenzung von objektivem und subjektivem Recht nicht zuletzt davon abhängen, weshalb es die Dichotomie von objektivem und subjektivem Recht überhaupt gibt oder gar sinnvollerweise geben muß. Die Gründe für die Subjektivierung einer Regelung können nicht identisch sein mit den Gründen für ihre Normierung. Denn sonst hätte ja der Gesetzgeber rational nur die Wahl, entweder vom Erlaß eines Rechtssatzes ganz abzusehen oder aber diesen gleich als subjektivrechtlichen Satz zu normieren. Die Existenz bloß objektiven Rechts beweist hingegen, daß es zahlreiche Konstellationen gibt, in denen der Gesetzgeber zwar hinreichenden Anlaß für den Erlaß objektiven Rechts sieht, nicht aber auch ausreichende Gründe für dessen Subjektivie53 Zur Vorzugswürdigkeit subjektiver Auslegungstheorien vor objektiven eingehend Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 28 ff.; Roth, VerwArch 1997, 434 ff, jeweils m.w.N. zum Streitstand; zu dieser Diskussion femer Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 4 II. - Von der Basis einer objektiven Auslegungstheorie aus hängt die subjektive Rechtsnatur eines Rechtssatzes nicht vom Willen des Gesetzgebers, sondern von der „objektiven Interpretation des Gesetzesinhalts" ab (Henke, in FS Weber, S. 510 ff; femer Huber, AllgVerwR, S. 113; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 83; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Rn. 2/60). 54 Zu dieser Funktion der teleologischen Auslegung vgl. Engisch, Einführung, S. 96 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 333, 347; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153, 167 f.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 160 ff.; Roth, VerwArch 1997, 437. 55 Engisch, Einführung, S. 96 f.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 165; Roth, VerwArch 1997, 436 f.

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rung. Dies schließt zwar nicht aus, den für den Erlaß einer Norm sprechenden Gründen zugleich Bedeutung bei der Subjektivierungsentscheidung beizumessen, weil in diese notwendig auch die Überlegung einfließt, weshalb es die betreffende Rechtsnorm überhaupt gibt. Das ändert aber nichts daran, daß die Entscheidung für oder gegen die subjektive Natur einer Rechtsnorm maßgeblich von Erwägungen abhängen muß, die über diejenigen hinausgehen, welche bereits zum Erlaß der Norm geführt haben56. Hierbei ist die Entscheidungssituation für den Gesetzgeber eine andere als für den Richter. Der Gesetzgeber kann und muß die jeweiligen Vor- und Nachteile einer erwogenen Subjektivierung von Recht vor allem rechtspolitisch bewerten, weil er (im Rahmen der Verfassung) in seiner Entscheidung frei ist, subjektive Rechte zu gewähren oder nicht. Der Interpret dagegen darf sich auch im Zuge teleologischer Auslegung nicht kraft eigener rechtspolitischer Bewertung und Dezision über die gesetzgeberische Entscheidung hinwegsetzen57; deshalb ist übrigens die oft gebrauchte Formulierung falsch, der Richter habe bei der teleologischen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung so zu entscheiden, wie er als Gesetzgeber entscheiden würde - das kann schon deswegen nicht richtig sein, weil der Gesetzgeber das bestehende Gesetz ändern kann, wenn er es für rechtspolitisch verfehlt erachtet, während dem Rechtsanwender ein solches Vorgehen verwehrt ist - , vielmehr muß der teleologisch interpretierende Richter das Gesetz so auslegen, wie er Grund zur Annahme hat, daß der Gesetzgeber die Handhabung der betreffenden Rechtsnorm gewollt hätte58. Da nun der Gesetzgeber im Zweifel eine vernünftige und sich kohärent in das übrige System der Rechtsordnung einfügende Entscheidung gewollt haben wird 59 , muß der Interpret in Ermangelung anderer konkreter Anhaltspunkte den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers aufgrund einer vernünftigen Abwägung der mit der Annahme eines subjektiven Rechts verbundenen Vor- und Nachteile ermitteln 60 . Während diese Abwägung freilich für den Gesetzgeber eine Frage rechtspolitischer Weisheit ist und er sich für den Rechtsanwender verbindlich auch für unzweckmäßige Subjektivierungen entscheiden könnte - wenn er sich denn zu einer ausdrücklichen Bestimmung durchringen würde - , gewinnt diese Abwägung in Abwesenheit ausdrücklicher gesetzgeberischer Vorgaben für den Interpreten gewissermaßen eine normative Verbindlichkeit, weil er im Rahmen der teleologischen Auslegung davon ausgehen muß, daß eine vernünftige Subjektivie56

Vgl. Bethge, DVB1. 1980, 312. Vgl. BVerfGE 10, 354, 371; 83, 111, 117; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 49; Roth, VerwArch 1997, 435. 58 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 65 f. 59 Vgl. hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 173 ff. 60 In diese Richtung auch Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 50, der die Subjektivierungsfrage bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte „vorwiegend aus praktischen Gesichtspunkten heraus" entscheiden will. 57

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rungsentscheidung gewollt ist 61 . Insofern wird die Subjektivierungsfrage mit Recht dahin formuliert, es komme darauf an, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Gesetzgeber ein bestimmtes Interesse eines Rechtssubjektes für so schutzwürdig halte, daß anzunehmen sei, daß diesem ein subjektives Recht verliehen sein soll 62 . Die gesetzgeberische, gegebenenfalls im Wege der Auslegung nachzuvollziehende Entscheidung für oder gegen die Subjektivierung eines bestimmten Rechtssatzes kann nun rational nicht anders getroffen werden, als indem die Vor- bzw. Nachteile abgewogen werden, die je nach der objektivbzw. subjektivrechtlichen Natur dieses Rechtssatzes zu erwarten sind.

3. Die Vorzüge einer Subjektivierung von Recht Die Vorzüge einer Subjektivierung von Recht sind im wesentlichen in zwei Punkten zu sehen. Für den Berechtigten bedeuten subjektive Rechte eine wesentliche Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten (nachfolgend a), aus Sicht der Rechtsgemeinschaft schlägt vor allem die dadurch garantierte bessere Rechtsdurchsetzung zu Buche (unten b).

a) Die Erweiterung

der Handlungsmöglichkeiten

des Berechtigten

Daß sich die Subjektivierung von Recht für den Berechtigten grundsätzlich vorteilhaft darstellt, bedarf keiner näheren Begründung. Denn hierdurch werden ihm Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die er sonst nicht hätte. Die in der Gewährung eines subjektiven Rechts liegende Zuweisung der grundsätzlich ausschließlichen Zuständigkeit zur Ausübung und Geltendmachung desselben ermöglicht ihm eine selbständige Wahrnehmung seiner Belange, sofern vorgesehen bis hin zur Anrufung der Gerichte. Diesen Vorzug genießen alle subjektivrechtlich Berechtigten unabhängig von ihrer Stellung, also sowohl Private wie eben auch subjektivrechtlich berechtigte Träger öffentlicher Gewalt bzw. ihre Organe. Indes gewinnt dieser Aspekt für Grundrechtsträger eine spezifische Bedeutung, insofern nämlich die Innehabung subjektiver Rechte verhindert, daß sie zu einem bloßen Objekt staatlich fürsorgender Rechtspflege werden 63 - 64 . Vor die61

Vgl. Bachof in GS W. Jellinek, S. 296 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 150 f. 62 Vgl. Aicher, Das Eigentum, S. 22. 63 Grundlegend BVerwGE 1, 159, 160 ff; Bachof in GS W. Jellinek, S. 301 ff; vgl. femer Barth, Subjektive Rechte, S. 26; Masing, Mobilisierung, S. 91 f., 128; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 4; Peine, AllgVerwR, Rn. 80; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 66; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 201 ff

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sem Hintergrund wird den Grundrechten ein besonderes Gewicht bei der Auslegung zugemessen, ob eine gegebene einfachgesetzliche Rechtsnorm subjektive Rechte gewährt 65. In der Tat können die Grundrechte nachgerade als „Katalysatoren" für die Subjektivierung der Rechtsordnung bezeichnet werden 66, insofern nämlich unter Berufung auf die Grundrechte zahlreiche früher als nur objektivrechtlich verstandene Rechtsnormen als subjektivrechtlich angesehen werden 67. Der Gesetzgeber kann also zwar grundsätzlich darüber entscheiden, ob und inwieweit er subjektive Rechte gewähren will, ist daber aber - soweit es sich um Grundrechtsträger handelt - an etwaige grundrechtliche Subjektivierungsvorgaben gebunden68. Das heißt andererseits mitnichten, daß alle einen Grundrechtsträger berührenden einfachgesetzlichen Normen subjektivrechtlicher Natur sein müßten. Eine derartige Annahme scheidet schon deshalb aus, weil angesichts der Weite grundrechtlichen Schutzes (Art. 2 Abs. 1 GG!) kaum eine Rechtsnorm nicht irgendwelche grundrechtlichen Bezüge aufweist, es aber offenkundig irrig wäre, die gesamte Rechtsordnung subjektivrechtlich verstehen zu wollen 69 . Vor allem aber darf die Subjektivierung des Rechts nicht nur mit Blick auf die Grundrechte des Berechtigungsaspiranten betrieben werden, sondern sind nicht minder die daraus resultierenden Belastungen für den Verpflichteten 70 sowie die Belange der Allgemeinheit 71 zu bedenken72. Auch Grundrechtsträger sind immer noch gemeinschaftsbedürftige und gemeinschaftsbezogene Wesen, die um der anderen Angehörigen dieser Gemeinschaft und um des Allgemein64 Diese Erkenntnis lag bereits der Entwicklung des als Instrument der Freiheitssicherung verstandenen subjektiven Rechts in der Pandektenwissenschaft zugrunde, vgl. oben D.I.l.b. 65 Vgl. BVerfGE 15, 273, 281 f.; Bachof, in GS W. Jellinek, S. 301 f.; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 40, 42; Huber, AllgVerwR, S. 116; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 83; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 10 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 246, 249, 268 ff.; Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Rn. 2/55; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 51, 98; Wiegand, BayVBl. 1994, 614 f. 66 Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 49 spricht hier (zu weit gehend) gar von einem „Subjekti vierungsauftrag"; zustimmend Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, Rn. 2/55. 67 Zu dieser Entwicklung vgl. BVerwGE 1, 159, 160 ff.; 9, 78, 80 f.; 37, 243, 246; BVerwG, ZfBR 1996, 328, 331; Bachof, in GS W. Jellinek, S. 301 ff.; Η Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 13 f. m.w.N.; ferner Roth, Faktische Eingriffe, S. 426 ff. 68 Bachof, in GS W. Jellinek, S. 303 ff.; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 11. 69 Vgl. Wiegand, BayVBl. 1994, 614. 70 Zu diesem Konflikt bereits Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 51 f. 71 Auch der Belastbarkeit des Staates ist eine Grenze gesetzt, weil hinter dem Staat die Gesamtheit der Bürger steht, die letztlich alle Lasten tragen müssen, vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 142. 72 Vgl. BVerwG, ZfBR 1996, 328, 330.

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wohles willen gewisse Einschränkungen hinnehmen müssen, weshalb auch ihre grundsätzliche Autonomie weder im Sinne einer unbeschränkten Freiheit verstanden noch als Grund für eine umfassende Subjektivierung allen Rechts herangezogen werden kann 73 . Die hiermit angesprochene Problematik bedarf vorliegend keiner Vertiefung, und zwar vornehmlich deshalb, weil die Organe von Trägern öffentlicher Gewalt ohnehin im allgemeinen keine Grundrechtsträger sind 74 und die Grundrechte schon deswegen nicht vorgeben können, daß ihre Kompetenzen subjektivrechtlicher Natur sein müssen75. Immerhin könnte man daran denken, weil ja die Organe öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten sowie der Universitäten/Fakultäten Träger der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 bzw. 3 GG sind 76 , ob dies nicht eine Subjektivierung ihrer sonstigen Kompetenzen nahelege. Schließlich hätte dies eine deutliche Stärkung ihrer Position zur Folge, da sie ihre Kompetenzen dann selbst geltend machen könnten, statt lediglich auf eine objektivrechtlich ausgestaltete Rechtsaufsicht hoffen zu müssen. Indessen greift insofern der Gedanke einer grundrechtlichen Katalysatorwirkung in Richtung auf die Subjektivierung der sie betreffenden Kompetenznormen nicht durch. Dieser besagt nämlich bei näherer Betrachtung nicht, daß jedem Grundrechtsträger wo immer möglich weitere subjektive Rechte auf einfachgesetzlicher Ebene zuerkannt werden müßten. Ihren Subjektivierungseffekt entfalten die Grundrechte nicht so sehr als subjektive Rechte, sondern vielmehr im Wege der interpretativen Umsetzung grundrechtlicher Wertgehalte77, d.h. aber in ihrer Eigenschaft als Ausdruck einer objektiven Wertordnung 78 und eines bestimmten grundgesetzlichen Menschenbildes 19. Die Subjektivierung einfachen Rechts ist nicht durch die Sorge motiviert, die betroffenen Grundrechtsträger wären ohne zusätzliche einfachgesetzliche subjektive Rechte weitgehend „rechtlos" im Sinne einer rechtlichen Schutzlosstellung. Denn auch das objektive Recht bietet jedenfalls bis zu einem gewissen Grad einen ausreichenden Schutz, und immerhin können sich Grundrechtsträger unmittelbar auf die Grundrechte berufen (Art. 1 Abs. 3 GG), gleich ob die in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen subjektivrechtlicher Natur sind oder nicht. Das 73

Vgl. Rupp, Grundfragen, S. 248. S. oben B.I.2.a. 75 Vgl. Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 27. 76 S. oben B.I.2.a. 77 Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 83. 78 Zur objektiven Wertordnung BVerfGE 7, 198, 205; 39, 1, 41; Dürig, in Maunz/ Dürig, GG, Art. 1 (Lfg. 1958) Rn. 1 ff.; Jarass/Pieroth, GG, vor Art. 1 Rn. 3 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 205, 412, 564 f.; ders., Vertragsinhaltskontrolle, S. 231; Stern, Staatsrecht III/l, § 69 II. 79 Zum Menschenbild des Grundgesetzes BVerfGE 4, 7, 15 f.; 50, 166, 175; Dürig, in Maunz/Dürig, GG, Art. 1 (Lfg. 1958) Rn. 46 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 68, 487; Stern, Staatsrecht III/l, § 58 II 7; Zippelius, in BK GG, Art. 1 Abs. 1 u. 2 (Drittb. 1989) Rn. 14. 74

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Problem besteht vielmehr darin, daß die Betroffenen ohne subjektive Rechte stets auf die Einschaltung behördlicher Stellen zwecks Realisierung jenes eben nur objektiven einfachen Rechts angewiesen blieben. Den Bürger in dieser Form zum Objekt staatlich fürsorgender Rechtspflege zu machen, also den Staat „für ihn, aber nicht seinetwegen handeln" zu lassen80, und ihn durch eine derart vorherrschende Rolle hoheitlicher Funktionsträger gewissermaßen zu marginalisieren, würde ihn in einer den grundrechtlichen Wertungen widersprechenden Weise bevormunden, wäre mit dem Menschenbild des Grundgesetzes unvereinbar 81 . Der Mensch soll grundsätzlich in freier Selbstbestimmung seine Ziele setzen und verfolgen können, ohne hierzu in größerem Maße als von der Natur der Sache her unumgänglich auf die Hilfe des Staates angewiesen zu sein. Gewiß muß sich der Staat, der eine innere Friedensordnung errichten will, grundsätzlich die zwangsweise Durchsetzung des Rechts im Einzelfall vorbehalten. Dem Bürger weitgehend die Zuständigkeit zur Ausübung und Geltendmachung des ihn betreffenden Rechts abzusprechen, wäre dagegen selbst dann unerträglich, wenn im Ergebnis sichergestellt wäre, daß jeder das bekäme, was ihm nach objektivem Recht zusteht. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, weshalb sich der grundrechtlich gespeiste Subjektivierungsgedanke nicht auf die Organe der Rundfunkanstalten und Universitäten/Fakultäten übertragen läßt. Zwar sind ihnen ihre Grundrechte letzten Endes im Interesse der Menschen verliehen, die von dem Wirken jener Organisationen profitieren sollen. Gleichwohl fehlt den betreffenden Organen als solchen die menschliche Würde und Personalität. Deshalb läßt sich nicht behaupten, daß es mit der grundrechtlichen Wertordnung unvereinbar wäre, wenn die Durchsetzung ihrer Kompetenzen in weitem Umfang von der staatlichen Rechtsaufsicht abhinge. Aus dem Umstand der Grundrechtsträgerschaft dieser Organe läßt sich daher keine weitergehende besondere Subjektivierungsneigung in bezug auf die sie betreffenden einfachgesetzlichen Vorschriften ableiten.

b) Die verbesserte Gewähr der Rechtsdurchsetzung Der entscheidende Vorzug einer Subjektivierung von Recht für die Rechtsgemeinschaft ergibt sich unmittelbar aus der Bedeutung des subjektiven Rechts als durch eine Rechtsnorm begründete subjektive Zuständigkeit zur Ausübung und Geltendmachung des Rechts. Er besteht darin, daß die Verleihung eines subjektiven Rechts die bestmögliche Gewähr dafür bietet, daß der rechtliche Gehalt desselben verwirklicht werden wird. Durch die Verleihung subjektiver

80 81

Treffend G. Jellinek, System, S. 115. Vgl. Bachof, in GS W. Jellinek, S. 302, 305.

38 Roth

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Rechte kann die Rechtsgemeinschaft somit die Effektivität des Rechts sichern 82, und dies bei einer gleichzeitigen weitestgehenden Entlastung von ihrer sonst in bezug auf das gesamte Recht auszuübenden umfassenden Wahrnehmungszuständigkeit. Sofern eine bestimmte Rechtsnorm überhaupt sinnvoll ist und nicht ohnehin besser aufgehoben werden sollte, ist die Alternative zur Annahme ihres subjektiven Rechtscharakters ja nicht das Fehlen von Recht, sondern das Vorliegen von bloß objektivem Recht. Ob ein Rechtssatz subjektiver Natur ist oder nicht, ändert nichts an dem Umstand, daß er doch jedenfalls objektives Recht statuiert. Nun kann aber die Rechtsgemeinschaft nicht pauschal von der Geltendmachung und gegebenenfalls zwangsweisen Durchsetzung des Rechts absehen, ohne ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Autorität zu verlieren und ihrem Normbefolgungsanspruch 83 (schleichend) die Grundlage zu entziehen84. Infolgedessen hat die Rechtsgemeinschaft in aller Regel ein beträchtliches Interesse an der Durchsetzung allen Rechts, und zu diesem Zweck muß sie notwendigerweise Mechanismen bereithalten, damit die Einhaltung des Rechts kontrolliert und sodann das Recht geltend gemacht und gegebenenfalls auch durchgesetzt werden kann. Da die Rechtsgemeinschaft allein zu einer effektiven Wahrnehmung allen Rechts außerstande wäre, bedarf es subjektiver Rechte, durch welche die Berechtigten zur Geltendmachung des Rechts befähigt werden, in der Regel bis hin zu seiner gerichtlichen Geltendmachung.

aa) Kapazitätsgrenzen für eine umfassende staatliche Rechtswahrnehmung Theoretisch wäre ein Rechtssystem vorstellbar, das nur objektives Recht kennt und in welchem die unabdingbare Wahrnehmung des gesamten (objektiven) Rechts allein staatlichen Organen obläge85. Ein solches System operiert in der Tat im Bereich des Strafrechts 86, wo - mit Ausnahme der eher unbedeutenden Privatklagedelikte (§§ 374 ff. StPO) - dem Verletzten nur die Anzeigeninitiative (§ 158 Abs. 1 StPO) sowie ein recht umständlich ausgestaltetes Beschwerde· und Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO) verbleibt, die Verfolgung (d.h. Ermittlung und Anklageerhebung) dann aber grundsätzlich allein Sache der Staatsanwaltschaft ist (§§ 152, 160 ff. StPO). Doch schon an diesem Beispiel wird ersichtlich, daß es aus Sicht der Rechtsgemeinschaft schlechterdings ausgeschlossen wäre, alles Recht auf diese Weise durch staatliche Be-

82

Vgl. BVerwG, N V w Z 1999, 1220 f.; femer BVerwGE 102, 358, 365; Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 63 f.; Bull, AllgVerwR, Rn. 235. - Zu der entsprechenden Überlegung im europäischen Gemeinschaftsrecht nachfolgend F.I.3.C. 83 Zu diesem oben C.III.4.a. 84 S. oben D.II.3.d. 85 Vgl. G. Jellinek, System, S. 115; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 161 f. 86 Vgl. G. Jellinek, System, S. 115.

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hörden und Organe geltend machen zu wollen 87 - von der sich aus dem grundgesetzlichen Menschenbild ergebenden offensichtlichen Unerwünschtheit und Grundrechtswidrigkeit eines solchen Systems staatlicher Alldurchsetzungszuständigkeit ganz abgesehen88. Ein solches Unterfangen seitens der Rechtsgemeinschaft würde notwendig an der Begrenztheit der staatlichen Kapazitäten scheitern. Tatsächlich vermag ja der Staat selbst auf dem vergleichsweise eng abgesteckten Bereich des Strafrechts seiner ureigensten Aufgabe wirksamer Strafrechtspflege nur in sehr ungenügender Weise nachzukommen, indem bei angeblich „geringfügigen" Straftaten überhaupt nicht mehr ernsthaft ermittelt und außerdem in einer überaus großen Zahl von Fällen das Verfahren mit der einen oder anderen Begründung, doch fast stets mit dem vorrangigen Blick auf die Entlastung der Strafverfolgungsbehörden, eingestellt wird. Dabei ist die Zahl der Straftaten im Vergleich zu der sämtlicher zivil- und öffentlich-rechtlicher Vorgänge gering. Erfordert nun aber schon die Strafverfolgung den Aufbau einer beachtlichen Bürokratie, so wäre deren Ausbau zu einer allzuständigen Rechtswahrnehmungsbehörde personell und finanziell unvorstellbar. Einer der wichtigsten Gründe für diese Unmöglichkeit ist schlicht darin zu sehen, daß dem einzelnen, der seine Rechte verfolgt, diese Mühe nicht entgolten wird 89 , wohingegen der Staat seine für die Wahrnehmung des (objektiven) Rechts eingesetzten Beamten alimentieren muß. Durch die Zuweisung subjektiver Rechte an einzelne Rechtssubjekte kann sich die Rechtsgemeinschaft mit anderen Worten deren Mühewaltung für die Geltendmachung des Rechts dienstbar machen und sich selbst von dem mit dieser Aufgabe verbundenen Aufwand entlasten. Wenn die Rechtsgemeinschaft nicht auf die effektive Wahrnehmung weiter Teile der Rechtsordnung verzichten will, kommt sie ohne ein Mindestmaß subjektiven Rechts schlechterdings nicht aus90. 87

Vgl. Masing, Mobilisierung, S. 231. S. vorstehend F.I.3.a. 89 Der allgemeine Zeitaufwand und die Mühewaltung als solche zählen nicht zu den erstattungsfähigen Verfahrenskosten, und zwar weder im Verwaltungsverfahren (vgl. Knack/Busch, VwVfG, § 80 Rn. 7.3.2.2; Obermayer, VwVfG, § 80 Rn. 21; Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 52; krit. Kopp, VwVfG, § 80 Rn. 19; a.A. Meyer/Borgs, VwVfG, § 80 Rn. 34) noch im Verwaltungsprozeß (vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1999, 213, 214; VGH München, BayVBl. 1975, 29; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 162 Rn. 4; Kopp/Schenke, VwGO, § 162 Rn. 4 f.; krit. Kopp, VwGO, § 162 Rn. 4) noch in sonstigen Gerichtsverfahren (ftir das Verfassungsbeschwerdeverfahren vgl. BVerfGE 71, 23, 24; BVerfG, NJW 1994, 1525; - zu § 91 ZPO vgl. BGHZ 66, 112, 114; Beiz, in MünchKomm ZPO, §91 Rn. 23; Hartmann, in Baumbach/Lauterbach, ZPO, §91 Rn. 209, 296; Musielak/Wolst, ZPO, § 91 Rn. 10). Der Zeitaufwand kann in aller Regel auch nicht als außerprozessualer Kostenerstattungsanspruch im Wege des Schadensersatzes geltend gemacht werden (BGHZ 66, 112, 114 ff.). 90 Diesen Zusammenhang von Subjektivierung und Durchsetzbarkeit des Rechts betont mit Blick auf das weitgehende Fehlen effektiver europäischer Exekutivmöglichkei88

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Bei der Subjektivierung von Recht geht es hiernach keineswegs allein u m eine beliebig vornehmbare Verlagerung

der Wahrnehmungszuständigkeit - staatli-

che Organe oder individuell Berechtigte? - , sondern sehr w o h l u m die effektive praktische Wahrnehmbarkeit

des Rechts überhaupt 9 1 .

Wenn gesagt wird, daß die Wahrnehmung subjektiven Rechts „reflektorisch auch der Durchsetzung des objektiven Rechts dient" 9 2 , so trifft dies zwar zu. Dennoch ist diese Formulierung aus zwei Gründen mißverständlich. Z u m einen könnte sie den unzutreffenden Eindruck erwecken, subjektives und objektives Recht stünden als unterschiedliche Teilrechtsordnungen nebeneinander. Hingegen ist das subjektive Recht eine besondere Qualifikation des objektiven Rechts, erwächst aus diesem 9 3 ; daher ist die Durchsetzung subjektiven Rechts seinem Wesen nach notwendigerweise und nicht lediglich als Reflex Durchsetten für das europäische Gemeinschaftsrecht auch Masing, Mobilisierung, S. 176 ff. Allerdings unterschätzt er dabei die Bedeutung, die diesem Aspekt ebenso im innerstaatlichen Bereich zukommt. Seine Annahme, innerstaatlich gebe es eine „handlungswillige und -fähige Verwaltung, die zur Umsetzung ... des im öffentlichen Interesse ergangenen Rechts ohne Ingerenz Dritter in der Lage ist, die zentral-steuemd die Anwendung und Durchsetzung des Rechts eigenständig gewährleistet" (ebd., S. 180), erscheint zu optimistisch. Tatsächlich ist die innerstaatliche Verwaltung nämlich alleine ebensowenig zur Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts in der Lage wie die Gemeinschaftsorgane alleine das Gemeinschaftsrecht durchzusetzen vermöchten. Angesichts der großen innerstaatlichen Verwaltungsapparate mag man ihnen zwar eine relativ größere Durchsetzungskraft zugestehen, das grundsätzliche Problem, daß sie unmöglich alles Recht durchsetzen können, bleibt aber auch hier bestehen. 91 Deshalb kann Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 54 f. insofern nicht gefolgt werden, als er „die Aufstellung besonderer staatlicher Organe für die Wahrnehmung der geschützten Interessen" als Grund für die Annahme heranzieht, der Gesetzgeber habe kein subjektives Recht gewähren wollen. Zum einen wird auch in derartigen Fällen die Durchsetzungschance des Rechts allemal beträchtlich erhöht, wenn diesem subjektiver Charakter beigelegt wird. Zudem kann die Errichtung solcher besonderer Organe schlicht auf dem Willen des Gesetzgebers beruhen, die Durchsetzung des Rechts auf jeden Fall und zwar selbst dann sicherstellen zu können, wenn die subjektiv Berechtigten von dessen Geltendmachung absehen. Gerade die von Bühler herangezogenen Beispiele der Arbeitszeit- und Arbeitsschutzbestimmungen demonstrieren das Problem des sozial unterlegenen Berechtigten: Es griffe manchmal zu kurz, einem Individuum subjektive Rechte zu gewähren und ihn dann sich selbst zu überlassen; denn es kann Gründe geben, weshalb er in seiner Lage vernünftigerweise von der Geltendmachung dieser Rechte absehen mag, und deshalb kann es angezeigt sein, für diese Fälle zusätzlich eine staatliche Durchsetzungsmöglichkeit zu schaffen. Da der Gesetzgeber kaum davon ausgehen kann, daß die Arbeitnehmer immer in der Lage sein würden, ihre Rechte geltend zu machen, hatten und haben die staatlichen Gewerbeaufsichtsbehörden allerdings ihren guten Sinn, ohne daß ihre Existenz ein Grund wäre, den Arbeitnehmern diesbezüglich subjektive Rechte abzusprechen. 92 Gebhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 (1. EL 1997) Rn. 3; Masing, Mobilisierung, S. 108, 116 f., 182; vgl. C. Arndt, AöR 87 (1962), 209. 93 S. oben F.I.l.b.

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zung objektiven Rechts94. Zum anderen ist diese Formulierung („auch") in gewisser Weise zu schwach. Zwar wird allerdings aus Sicht des Berechtigten die Durchsetzung des Rechtes um des Rechtes selbst willen, im Bereich des Verwaltungsprozesses also die Sicherung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns als solches stets nur ein vielleicht erwünschter Nebenzweck sein; vielmehr muß es ihm in einem System des Individualrechtsschutzes als Hauptzweck immer um die Durchsetzung seiner subjektiven Rechte gehen95. Aus Sicht der Rechtsgemeinschaft hingegen kann die Einräumung eines subjektiven Rechts mitunter nachgerade den Hauptzweck haben, eine effektivere Durchsetzung des (objektiven) Rechts zu garantieren 96. Es wäre ausgeschlossen, ein ausreichend gut ausgebautes, effizientes und schnelles staatliches System zur Handhabung allen objektiven Rechts einzurichten. Hingegen vermag sich der Staat durch die mit der Verleihung subjektiver Rechte verbundene Zuweisung subjektiver Zuständigkeiten zur Geltendmachung des Rechts in beachtlichem Maße organisatorisch und finanziell zu entlasten. Schon deshalb ist eine weitgehende, mit den entsprechenden Wahrnehmungszuständigkeiten verbundene und gegebenenfalls mit (gerichtlichen) Durchsetzungsmöglichkeiten versehene Einräumung subjektiver Rechte für die Rechtsgemeinschaft unverzichtbar. Der Gefahr, die der staatlichen Funktionsfähigkeit im Falle einer zu weit ausufernden Zuständigkeit zur Wahrnehmung des Rechts drohte, ist der Gesetzgeber übrigens verschiedentlich gerade dort entgegengetreten, wo an sich eine hoheitliche Wahrnehmungszuständigkeit vorherrscht, nämlich im Polizeirecht und im Strafverfahren. Ungeachtet eines diesbezüglichen Ersuchens des Berechtigten obliegt etwa nach der Subsidiaritätsklausel des § 2 Abs. 2 PolG B W 9 7 der Polizei nur dann der Schutz privater Rechte, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr einer Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Rechtsverwirklichung besteht. Dieser Einschränkung bedarf es deshalb, weil die Verletzung subjektiver privater Rechte eigentlich wie jeder Rechtsverstoß eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt, indessen jeder Versuch, solchen Störungen polizeilich zu begegnen, die Polizeibehörden hoffnungslos übeftnspruchen müßte. In dieselbe Richtung zielen die §§ 154d, 262 Abs. 2 StPO, nach denen Staatsanwaltschaft bzw. Strafgericht, wenn ihre

94 Masing, Mobilisierung, S. 181; Menger, System, S. 165; Scherzberg, DVB1. 1988, 134; Renck, NJW 1980, 1024; vgl. auch Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 213. 95 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 79 f.; Menger, System, S. 165; insoweit zutreffend Masing, Mobilisierung, S. 109, 116 f. 96 Vgl. Bachof in GS W. Jellinek, S. 292; G. Jellinek, System, S. 116; vgl. femer BVerfGE 2, 143, 152; Lorenz, in FG BVerfG I, S. 252; insoweit nicht überzeugend Halfmann, VerwArch 2000, 78; Masing, Mobilisierung, S. 108 f., 117, 133 f. 9 Entsprechende Bestimmungen enthalten in Einklang mit § 1 Abs. 2 MEPolG die meisten anderen Polizeigesetze, doch gilt dieser Subsidiaritätsgrundsatz auch ohne ausGefahrenabwehr, S. 237 ff.; drückliche Normierung, vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 31.

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Entscheidung von zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfragen abhängt98, ihre Verfahren aussetzen können, um die Entscheidung des Zivil- bzw. Verwaltungsgerichts abzuwarten. Diese Aussetzungsbefugnis dient der Prozeßökonomie, indem verhindert werden soll, daß die Beteiligten, anstatt in eigener Mühewaltung und auf eigenes Kostenrisiko einen Zivil- oder Verwaltungsprozeß anzustrengen, die Klärung zivil- oder verwaltungsrechtlicher Streitfragen auf Staatskosten durch den Staatsanwalt oder Strafrichter vornehmen lassen99. Der Gesetzgeber hat damit bezeichnenderweise gerade in Bereichen typischerweise hoheitlicher Wahrnehmungszuständigkeiten Vorkehrungen getroffen, die Rechtsdurchsetzung zwecks Entlastung der Allgemeinheit hinter eine mögliche Geltendmachung subjektiver Rechte durch die Berechtigten zurücktreten zu lassen. Dies belegt, daß er sich der tendenziellen Entlastungsfunktion subjektiver Rechte sehr wohl bewußt ist und diese entsprechend zu nutzen weiß.

Freilich ist hervorzuheben, daß dieser Gedanke der Entlastung des Staates durch Schaffung subjektiver Rechte im wesentlichen nur in Ansehung privater Berechtigter greift. Indem der Gesetzgeber Privaten subjektive Rechte verleiht, gleich ob im Bereich des Zivil- oder des öffentlichen Rechts, entlastet er die Rechtsgemeinschaft in beträchtlicher Weise von der Rechtswahrnehmung und Gewalt verlagert er deren Lasten auf die Privaten. Mit Trägern öffentlicher bzw. hoheitlichen Organen als subjektiv Berechtigten 100 ist eine solche Zielsetzung nur sehr bedingt zu verfolgen, da die Subjektivierung von Recht hier lediglich die Lasten von einem Hoheitsträger auf den anderen verlagert, was alleine keine signifikante Ersparnis für die Allgemeinheit insgesamt bewirkt. Schließlich müssen die Beamten gleichermaßen bezahlt werden, ohne daß sich hier die jeweilige konkrete Zuständigkeit nennenswert auswirkte. Infolgedessen kann es nicht verwundern, wenn sich im Bereich des Zivilrechts, in dem es ja typischerweise - obgleich nicht ausschließlich, da auch Hoheitsträger in privatrechtlichen Formen handeln können - um die Wahrnehmung des Rechts im Verhältnis zwischen Privaten geht, eine nahezu umfassende Subjektivierung des Rechts findet. Der Staat hat sich seit jeher jedes ihn überfordernden Unterfangens enthalten, das Privatrecht behördlich wahrnehmen zu wollen, und deshalb sind private Rechte eben typischerweise subjektiver Natur. Auch die schon vergleichsweise frühe Herausbildung und gesetzliche Anerkennung subjektiver öffentlicher Rechte Privater m erscheint vor diesem Hintergrund außer durch die fortentwickelte (grundrechtliche) Rechtsstellung der Bürger eben nicht zuletzt durch ein gemeinschaftliches Subjektivierungsinteresse indiziert, weil damit eine Entlastung der Allgemeinheit im Bereich des öffentlichen Rechts einhergeht, indem die Last der Durchsetzung des Rechts ge-

98

Vgl. hierzu Schenke/Roth, WiVerw 1997, 111 ff. Gollwitzer, in Löwe/Rosenberg, StPO, § 262 Rn. 25; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 154d Rn. 1; Schenke/Roth,, WiVerw 1997, 112 m.w.N. 100 Zur Möglichkeit subjektiver Organrechte oben E.II. 101 Vgl. oben E. vor I. 99

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genüber dem verpflichteten Hoheitsträger von der Rechtsaufsichtsbehörde auf den subjektiv berechtigten Privaten verlagert wird. Anders verhält es sich in bezug auf subjektive Rechte von Trägern öffentlicher Gewalt und ihrer Organe: Im Verhältnis hoheitlicher Organe zueinander ist der durch eine Subjektivierung des Rechts allenfalls zu erzielende Entlastungseffekt bedeutend geringer, und von daher erscheint die Subjektivierung des Rechts in diesem Bereich aus der Sicht der Rechtsgemeinschaft deutlich weniger dringlich. Ob beispielsweise die Geltendmachung einer kompetenzbegründenden Rechtsnorm der Aufsichtsbehörde oder unmittelbar dem Organ obliegen soll, dem durch die Rechtsnorm eine Kompetenz zugewiesen wird, läßt sich unter dem Gesichtspunkt der mittels einer Verlagerung der Rechtsdurchsetzungslast für die öffentliche Hand zu erwartenden Entlastung nicht entscheiden. Wenn gleichwohl durch eine (mit Bedacht erfolgende sinnvolle) Zuweisung subjektiver Rechte an Träger öffentlicher Gewalt bzw. hoheitliche Organe Einsparungen für die Allgemeinheit zu erreichen sind, so liegt das also nicht an einer Lastenverlagerung zugunsten der öffentlichen Hand als solches, vielmehr ergibt sich dies aus der von einer solchen Subjektivierung unter dem Strich zu erwartenden Lastenverringerung, nämlich dem Rationalisierungsgewinn, der durch die Nutzung des Engagements subjektiv Berechtigter und durch eine rationale Verfahrensgestaltung zu erzielen ist.

bb) Engagement der Berechtigten Unabhängig von den genannten Kapazitätsgrenzen, die schon für sich jeden ernsthaften Gedanken an eine umfassende Wahrnehmung allen Rechts durch den Staat verbieten, wäre zudem die Erwartung verfehlt, staatliche Organe könnten das Recht im allgemeinen mit demselben Engagement überwachen und verfolgen wie der einzelne Rechtsinhaber. Gerade dessen „Befangenheit" in eigener Sache garantiert einen zeitlichen, sachlichen und emotionalen Einsatz, den Beamte im allgemeinen (schon wegen der allenthalben bestehenden Ressourcenknappheit) weder erbringen können noch (aufgrund ihrer Pflicht zur Neutralität und Unbefangenheit) in der Regel erbringen sollen. Die Rechtsgemeinschaft muß also schon deshalb an einem hinreichenden Umfang subjektiven Rechts interessiert sein, weil sie sich damit das Engagement, das Rechtsinhaber normalerweise bei der Wahrnehmung ihrer Rechte an den Tag legen, zur Effektuierung des Rechts nutzbar macht. Von daher ist, wie Bühler treffend bemerkt hat, in der Tat auch aus Sicht der Rechtsgemeinschaft „das Nächstliegende ..., dass Wahrer der geschützten Interessen der Interessent selber sein soll, daß die Handhaben, die das Gesetz bietet, für ihn bestimmt sind" 102 . 102

Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 54 f.

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Es muß freilich bedacht werden, daß dieses Engagement nicht durch eine willkürliche Zuweisung subjektiver Rechte an Rechtssubjekte zu erreichen ist, die an der Sache in keiner Weise interessiert oder sonst zu einer entsprechenden Rechtsausübung und -geltendmachung zu motivieren sind. Eine Rechtszuweisung ist daher in aller Regel nur sinnvoll, wenn der Berechtigte entweder ohnedies aus beispielsweise persönlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Gründen an der Einhaltung der betreffenden Rechtsnorm interessiert ist 103 oder wenn er jedenfalls - etwa aufgrund einer privaten Verpflichtung, einer öffentlich-rechtlichen Dienststellung oder sonst kraft gesetzlicher Indienstnahme - hinsichtlich der Wahrnehmung des verliehenen Rechts in die Pflicht genommen werden kann. Aus diesem Grund kann sich die Rechtsgemeinschaft ihrer Verantwortung für die effektive Wahrnehmung des (objektiven) Rechts nicht dadurch entziehen, daß sie einzelnen Rechtssubjekten subjektive Rechte zubilligt, an denen diese kein Interesse haben, es sei denn, ihnen wird zugleich eine Rechtspflicht zur Wahrnehmung dieser Rechte auferlegt 104. Die Aussage, daß die Gewährung eines subjektiven Rechts in der Regel nur insoweit sinnvoll ist, als der Berechtigte ein eigenes Interesse an der Erfüllung der betreffenden Rechtspflicht durch den Verpflichteten hat, weil er nur dann das entsprechende Engagement zeigen wird, darf nicht mit der Interessentheorie 105 verwechselt werden. Denn was sinnvoll ist, ist nicht schon begrifflich notwendig, und wenn sich infolge vernünftiger und bewährter Rechtsentwicklung und Gesetzgebung subjektives Recht und Eigeninteresse weitgehend decken, so stellt dies gleichwohl nur eine akzidentielle und keine essentielle Eigenschaft des Rechts dar. Entgegen der Annahme der Interessentheorie hindert also das etwaige Fehlen eines solchen Eigeninteresses, welches schon aus Eigennutz die Wahrnehmung eines Rechtes indiziert, nicht etwa das Bestehen eines subjektiven Rechts 106 ; tatsächlich kann das subjektive Recht auch dann durchaus effektiv sein, da das Fehlen des Eigeninteresses, wie erwähnt, durch die Begründung einer diesbezüglichen Wahrnehmungspflicht kompensiert werden kann.

cc) Rationalität der Verfahrensgestaltung Schließlich können subjektive Rechte in erheblichem Maße die Entscheidungsverläufe und Verfahrensabläufe rationalisieren und hierdurch in der Summe spürbare Vorteile mit sich bringen. Der Grund für diese Rationalisierungsgewinne liegt darin, daß bestimmte rein tatsächlich in besonderer Weise an der 103

Vgl. Bull, AllgVerwR, Rn. 235; Masing Mobilisierung, S. 178, 184 f. Zu der Möglichkeit, die Ausübung eines subjektiven Rechts kraft Gesetzes zur Rechtspflicht zu machen, vgl. oben E.I.3. 105 Zu dieser oben D.I.I.e. 106 Zur Kritik der Interessentheorie oben D.II.2. 104

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Einhaltung einer Rechtsnorm Interessierte in vielen Fällen auch dann in irgendeiner Form an dem Verfahren zur Geltendmachung des Rechts beteiligt werden müßten, wenn sie diesbezüglich nicht über subjektive Rechte verfügten, und zwar nicht zur Befriedigung ihres Interesses am Verfahrensausgang, sondern um gewisser allgemeiner Vorteile willen, insbesondere zur Nutzbarmachung ihrer Sachkenntnisse, zur Optimierung der Verfügungsproblematik und schließlich nicht zuletzt im Interesse der Befriedungsfunktion des Rechts, die ohne Beteiligung der materiell Interessierten und Betroffenen nur schwer zu verwirklichen ist. Wenn aber aus solchen Gründen bestimmte Rechtssubjekte ohnehin auf jeden Fall sinnvollerweise zum Verfahren heranzuziehen wären, dann ist es oft sinnvoller, ihnen durch die Zuweisung subjektiver Rechte die Geltendmachung derselben gleich förmlich zu überlassen. (1) Kenntnisse Regelmäßig besitzen alleine die unmittelbar Betroffenen die erforderlichen Sachverhaltskenntnisse und den Sachverstand, die zu einer möglichst effektiven und im Ergebnis richtigen Rechtswahrnehmung befähigen. Solchenfalls ist es zumeist aus Sicht der Rechtsgemeinschaft rationeller, ihnen entsprechende subjektive Rechte zu verleihen, die sie zu einer unmittelbaren Mitwirkung befähigen, anstatt die Geltendmachung des objektiven Rechts nominell bei (besonderen) hoheitlichen Stellen zu belassen, und dann auf umständlichem Weg für die Einbeziehung dieser unentbehrlichen Sachkenntnisse sorgen zu müssen. Im Bereich des Privatrechts liegt dies auf der Hand: Es sind die Parteien, die über die Kenntnis der Umstände und Hintergründe ihres Streites verfügen, und es wäre deshalb höchst ineffizient, wenn nicht sie selbst das betreffende Recht geltend machen könnten, sondern dies eine andere Stelle zu tun hätte, die sich erst mühsam die nötigen Kenntnisse verschaffen müßte. Dasselbe gilt aber auch im Bereich des öffentlichen Rechts. Nicht zuletzt hierin dürfte nämlich die Überlegenheit des preußischen Systems der Organstreitigkeiten, den Organstreit organisationsintern zwischen den sich streitenden Organen austragen zu lassen, gegenüber dem badischen und bayerischen Ansatz bestanden haben, den Streit künstlich auf die Ebene der Rechtsaufsichtsbehörde zu verlagern 107. Denn da im Verfahren der Selbstverwaltungskörperschaft gegen den Träger der Rechtsaufsicht nun einmal der Streit zwischen den Organen Vorfrage der Rechtmäßigkeit des aufsichtsbehördlichen Einschreitens war, mußte sich die Rechtsaufsichtsbehörde erst einmal die Sachverhaltskenntnisse verschaffen und blieb ihr auch im Prozeß nichts anderes übrig, als sich jeweils intern mit den unmittelbar Betroffenen abzustimmen und deren Anregungen bei ihrer Prozeßführung aufzugreifen. Da eine solche Prozeßführung aus zweiter Hand wenig rationell ist, bietet 107

S. hierzu oben E.II.5.b.aa.

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es sich von selbst an, durch eine Subjektivierung des Rechts die Prozeßführung in die Hand der eigentlich Streitbeteiligten zu legen. (2) Entscheidung über die Geltendmachung oder Nichtgeltendmachung des Rechts Als ein weiterer Teilaspekt rationaler Verfahrensgestaltung ist die praktisch überaus bedeutsame Frage der Verfügungsbefugnis über die Geltendmachung des Rechts zu nennen. Nur ein sehr kleiner Teil der (erkannten oder gemutmaßten) Rechtsverstöße wird ja überhaupt dem Verpflichteten gegenüber gerügt, und ein noch kleinerer Teil wird gerichtlich geltend gemacht. Deshalb spielt es eine nicht unerhebliche Rolle, wem die Zuständigkeit zur Geltendmachung des Rechts zusteht, da damit in aller Regel eben auch die Befugnis verbunden ist, auf die Geltendmachung des betreffenden Rechts zu verzichten, insbesondere von seiner gerichtlichen Geltendmachung abzusehen. Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Recht geltend gemacht werden soll, stellt nicht unerhebliche Anforderungen an die Kapazitäten der Zuständigen. Im Angesicht einer vermeinten Rechtsverletzung bedarf es, bevor dieselbe (womöglich gar noch gerichtlich) geltend gemacht wird, eingehender Prüfung der Rechts- und Sachlage, einschließlich der Aussichten einer etwa erforderlichen Beweisführung, der Klärung der Ziele, der Abwägung von (voraussichtlichem) Aufwand und (möglichem) Ertrag etc. Wenn die Entscheidung über die Geltendmachung des Rechts nicht willkürlich und nach dem persönlichen Belieben zufällig beteiligter Amtswalter erfolgen, sondern einem Mindestmaß an Rationalität gehorchen soll, bedarf es daher sowohl verfahrensrechtlicher Absicherungen als auch inhaltlicher Maßstäbe. Beides ist aber nicht ohne erheblichen Aufwand zu verwirklichen. Allein die Subjektivierung von Recht ermöglicht eine sinnvolle Lösung dieser Problematik, weil dadurch gewährleistet wird, daß derjenige über die Geltendmachung zu befinden hat, dem das Recht zusteht, und der daher am besten die Vor- und Nachteile der zu Gebote stehenden Alternativen abzuwägen vermag. Dies muß auch keineswegs auf eine exzessive Inanspruchnahme etwaiger Rechtsschutzmöglichkeiten hinauslaufen. So ist es nämlich aus Sicht des Berechtigten nicht selten vernünftig, gewisse (kleinere) Rechtsverletzungen hinzunehmen, weil ihre Verfolgung unverhältnismäßige Mühe bereitete, eventuell auch ein Kostenrisiko mit sich brächte, welches außer Verhältnis zu dem zu erhoffenden Vorteil stünde. Dadurch wird zugleich eine gewisse Trennung von Wichtigem und Unwichtigem bewirkt, die, obgleich diese Bewertung im Einzelfall einen subjektiven Einschlag hat, über die große Zahl berechnet verläßlicher sein mag als wenn die Entscheidung einem persönlich desinteressierten Beamten überlassen ist, zumal schließlich auch bei der Wahrnehmung objektiven

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Rechts sachfremde oder jedenfalls Erwägungen einfließen mögen, die mit der wahren Bedeutung der konkreten Sache nichts zu tun haben. Ob der subjektiv Berechtigte etwas unternimmt, und welche Schritte er ergreift, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die mit der bloßen Verleihung eines subjektiven Rechts und der darin enthaltenen Geltendmachungszuständigkeit keineswegs vorgezeichnet sind. Daher kann die Einräumung subjektiver Rechte unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenshäufigkeit aus Sicht des Staates günstiger sein als die Vorenthaltung eines subjektiven Rechts, verbunden mit der Möglichkeit zur risikolosen und kostengünstigeren Anrufung staatlicher Organe, um diese zur Durchsetzung des objektiven Rechts zu veranlassen. Soweit es um subjektive Rechte staatlicher Organe geht, stellt sich zwar nicht das grundrechtliche Problem der Verfahrensbeteiligung als Ausfluß von Autonomie und Selbstbestimmung108. Wohl aber bedarf es auch hier einer Verfahrensgestaltung, die eine sachgerechte Entscheidung über die Geltendmachung des Rechts ermöglicht, und dies umfaßt die Einbeziehung der über die nötige Sachkenntnis verfügenden Stellen. Ermöglicht man diesen nicht die selbständige Geltendmachung eigener subjektiver Rechte, sondern verweist man sie statt dessen darauf, übergeordnete Organe einzuschalten, um sie betreffendes rein objektives Recht durchzusetzen, so läuft das Verfahren Gefahr, unnötig schwerfällig und langsam zu werden. Die Einräumung eigener subjektiver Rechte an die betroffenen Organe kann dagegen eine Verfahrensbeschleunigung und -Vereinfachung bewirken, weil hierdurch die ohnehin mit der Sache befaßten Organe in die Lage versetzt werden, unmittelbar selbst über etwa zu ergreifende (gerichtliche) Schritte zu befinden, ohne erst diesbezügliche Entscheidungen übergeordneter Instanzen erwirken zu müssen.

c) Die Begründung subjektiver Rechte in der Rechtsprechung des EuGH Überlegungen der vorstehenden Art haben übrigens auch den EuGH zu einer recht weit gehenden Subjektivierung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts bewogen. Diese Frage spielt zum einen eine Rolle, wenn eine natürliche oder juristische Person eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 Abs. 4 EGV gegen Entscheidungen oder Verordnungen der Gemeinschaftsorgane zum EuG bzw. EuGH erheben 109, vor allem aber dann, wenn sich ein Bürger vor den

108

Zu diesem Hintergrund der grundrechtlich indizierten Subjektivierung von Recht oben F.I.3.a. 109 Nichtigkeitsklagen Privater sind in erster Instanz dem EuG zugewiesen, gegen dessen Entscheidungen dann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel zum EuGH eingelegt werden kann (Art. 225 EGV), vgl. hierzu Oppermann, Europarecht, Rn. 377, 751.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

nationalen Gerichten auf gemeinschaftsrechtliche Rechtssätze berufen will 1 1 0 . Hierzu hat nun der EuGH in seiner richtungweisenden Grundsatzentscheidung van Gend & Loos betont, die europäische Gemeinschaft stelle eine neuartige Rechtsordnung des Völkerrechts dar, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die einzelnen sind, und die den einzelnen nicht nur Pflichten auferlege, sondern ihnen auch Rechte verleihen könne, und zwar entweder durch ausdrückliche Bestimmung oder - praktisch viel bedeutsamer - auf Grund inhaltlich unbedingter und hinreichend eindeutiger, damit also unmittelbar wirkender Verpflichtungen, welche das Gemeinschaftsrecht den einzelnen, den Mitgliedstaaten oder den Gemeinschaftsorganen auferlegt 111. Im Zusammenhang mit der Erörterung des Vorliegens solcher Rechte hielt der EuGH sodann fest, „die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten ... ausgeübte Kontrolle ergänzt" 112 . Die Erwägung, daß die Möglichkeit des einzelnen, sich kraft eigenen Rechts auf eine gemeinschaftsrechtliche Norm zu berufen, deren praktische Wirksamkeit 113 erhöhe, daß also die Wirksamkeit der gemeinschaftlichen Kontrolle „um so größer" sei, wenn beispielsweise eine Richtlinie „dahin ausgelegt wird, daß der Verstoß gegen die [auferlegte] Pflicht einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, der zur Unanwendbarkeit der fraglichen [nationalen] Vorschriften auf einzelne führen kann" 114 , ist in nachfolgenden Entscheidungen wiederholt und bekräftigt worden 115 und darf daher als ständige Rechtsprechung des EuGH betrachtet werden. Allerdings besteht in der europarechtlichen Literatur Streit über die genaue Bedeutung und Tragweite dieser Begründungslinie. Zahlreiche Autoren verstehen den EuGH dahin, daß für ihn das Ziel einer Effektuierung des Gemeinschaftsrechts und seiner Durchsetzung der maßgebliche Gedanke sei, Gemein110 Vgl. hierzu Classen, , VerwArch 1997, 646 f.; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 358, 410, 446; Masing,, Mobilisierung, S. 37 f. 111 EuGH, Slg. 1963, 1, 24 ff. - van Gend & Loos; EuGH, Slg. 1964, 1251, 1269 Costa/ENEL; EuGH, Slg. 1991,1-5357, 5413 Tz. 31 - Francovich; EuGH, EuZW 1999, 476, 477 Tz. 21 - Kortas; vgl. hierzu Classen , VerwArch 1997, 649; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 360 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 370; Ruffert, DVB1. 1998, 71; Stern, JuS 1998, 770 f.; Triantafyllou, DÖV 1997, 195; Zuleeg, NJW 1993, 37. 112 EuGH, Slg. 1963, 1, 26 - van Gend & Loos. 113 Zum Auslegungstopos des effet utile vgl. EuGH, Slg. 1982, 1035, 1050, Tz. 15 Levin; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 217 f.; Oppermann, Europarecht, Rn. 528 f. 114 EuGH, Slg. 1996, 1-2201, 2246 Tz. 48 = EuZW 1996, 379, 382 - CIA Security International. 115 Vgl. z.B. EuGH, Slg. 1977, 113, 126 Tz. 20/29 - Nederlandse Ondememingen; EuGH, EuZW 1998, 569, 571 Tz. 33 - Lemmens; vgl. Zuleeg, NJW 1993, 38.

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schafisnormen auch unabhängig von einer individualbezogenen Schutzrichtung in einer Weise zu subjekti vieren, daß sich der einzelne auf diese berufen könne 116 . Kurz: „Für die EG geht es bei der Zuerkennung von einklagbaren Rechten ... nicht in erster Linie um den Schutz des Individuums, sondern um die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts" 117, „der Sanktionsgedanke tritt an die Stelle der Individualbezogenheit des Rechtssatzes"118. In diesem Sinne ist von einer „Mobilisierung" 119 , „Aktivierung" 120 oder „Instrumentalisierung" 121 des Bürgers zur Durchsetzung des (Gemeinschafts)Rechts gesprochen worden. Gegen diese Sichtweise ist freilich einzuwenden, daß sich in der Judikatur des EuGH kein Beleg dafür findet, daß das Anliegen effektiver Rechtsdurchsetzung alleine die Subjektivierung von Rechtsnormen trägt 122 . Tatsächlich hat der EuGH diesen Gesichtspunkt immer nur unterstützend und bekräftigend herangezogen, nachdem er in der jeweiligen Entscheidung die subjektivrechtliche Relevanz der betreffenden Rechtsnorm bereits aus deren Regelungsgegenstand abgeleitet hatte, beispielsweise weil die betreffende Gemeinschaftsrechtsnorm den auch dem einzelnen zugute kommenden Schutz der gemeinschaftlichen Grundfreiheiten bezwecke123. Die hiernach entscheidende Frage, ob die betrachtete gemeinschaftsrechtliche Rechtsnorm „bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen" 124 , ist mit Hilfe der auch sonst vom EuGH herangezogenen Ausle-

116 Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 52; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 43; Halfmann., VerwArch 2000, 82 f.; Hansmann., NVwZ 1995, 321; Masing, Mobilisierung, S. 19 f., 35 ff.; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 15a; Rengeling/ Middeke/Gel 1er mann, Rechtsschutz in der EU, Rn. 1087; Wahl, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 127 f.; wohl auch Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme (Nachtrag), § 26 Rn. 9. 117 Hansmann, NVwZ 1995, 321; femer Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 448; Halfmann, VerwArch 2000, 83; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme (Nachtrag), § 26 Rn. 9. 118 Ruffert, DVB1. 1998, 71. 119 Hansmann, NVwZ 1995, 321; ebenso Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 448; Masing, Mobilisierung, S. 19 ff., 50 ff, 196 ff. 120 Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 52; Everling, NVwZ 1993, 215. 121 Halfmann, VerwArch 2000, 91, 95; Schoch, NVwZ 1999, 461. 122 Classen, VerwArch 1997, 650 ff, 658 ff, 677 mit zahlreichen Nachweisen aus der Judikatur des EuGH; ferner Huber, in v. Mangöldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 420; vgl. auch Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 54 f.; Ruthig, BayVBl. 1997, 294. 123 EuGH, Slg. 1996, 1-2201, 2246 Tz. 48 = EuZW 1996, 379, 382 - CIA Security International; EuGH, EuZW 1998, 569, 571 Tz. 32 - Lemmens; vgl. auch Frenz, DVB1. 1995, 412 f.; Zuleeg, NJW 1993, 37. 124 EuGH, NJW 1996, 1267, 1269 Tz. 51 - Brasserie du Pêcheur; EuGH, JZ 1997, 198, 199 Tz. 33 ff. - Reiserichtlinie; vgl. BGH, NJW 1997, 123, 125; Schoch, NVwZ 1999, 464.

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gungskriterien zu beantworten 125; unter diesen aber spielen Schutzzweckerwägungen eine wichtige Rolle, und daher ist es nicht gestattet, das Gemeinschaftsrecht allein um seiner höheren Effektivität willen zu subjektivieren. In seiner Entscheidung zur TA Luft beispielsweise führte der EuGH aus, die einschlägige Richtlinie sei „insbesondere zum Schutz der menschlichen Gesundheit" geschaffen worden; sie bedeute daher, „daß die Betroffenen in allen Fällen, in denen die Überschreitung der Grenzwerte die menschliche Gesundheit gefährden könnte, in der Lage sein müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können" 126 . Es ist nicht recht nachvollziehbar, wie dieser Begründung entnommen werden kann, sie sei „nicht vom Individualschutz" her begründet, sondern verfolge allein den Gesundheitsschutz der Allgemeinheit, so daß der klageberechtigte Bürger lediglich „als Hilfsperson für die effektive Umsetzung des Gemeinschaftsrechts und somit auch als Sachwalter von Rechten der Allgemeinheit" zu verstehen sei 127 . Vielmehr ist dem zu entnehmen, daß für den EuGH der Aspekt der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts allein nicht zur Annahme eines subjektiven Charakters des Gemeinschaftsrechts führt, sondern durchaus ein Bezug zu Individualrechtsgütern des Klägers bestehen muß 128 . Denn das europäische Gemeinschaftsrecht kennt weder selbst die Popularklage noch fordert es deren Zulassung oder Einführung durch die Mitgliedstaaten129. Bestätigt wird dies durch die neuere Entscheidung des EuGH im Falle Lemmens. Der wegen Trunkenheit im Straßenverkehr Angeklagte war unter Einsatz eines Alkoholmeters überführt worden, dessen technische Spezifika ebenso wie die bei seiner Anwendung zu beobachtenden Untersuchungs- und Bewertungsmethoden durch Rechtsverord125

Vgl. hierzu Lenz/Borchardt, EGV, Art. 220 Rn. 13 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 216 ff; Oppermann, Europarecht, Rn. 680 ff. m.w.N. 126 EuGH, Slg. 1991,1-2567, 2601 Tz. 16 = NVwZ 1991, 868. Entsprechend EuGH, Slg. 1991,1-5019, 5023 Tz. 14 - Oberflächenwasser-Richtlinie: Die Richtlinie bezwekke nach ihren Begründungserwägungen den „Schutz der Volksgesundheit" und deshalb müßten „immer dann, wenn die mangelnde Befolgung der ... Richtlinie ... die Gesundheit von Menschen gefährden könnte", die Betroffenen die Möglichkeit haben, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, „um ihre Rechte geltend machen zu können". 127 So aber Masing, Mobilisierung, S. 36 f.; hiergegen mit Recht Classen , VerwArch 1997, 659, 662. 128 Vgl. EuGH, EuZW 1995, 635, 636 Tz. 18 f.; LG Bonn, EuZW 1999, 732, 733; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 448 ff.; Frenz, DVB1. 1995, 410, 412; Grzeszick, EuR 1998, 427; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 370 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, § 42 Rn. 154; Ruthig, BayVBl. 1997, 294, 296 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 531c; Schmidt, JuS 1999, 1113; Triantqfyllou, DÖV 1997, 196; Zuleeg, NJW 1993, 37. 129 Schlußantrag des Generalanwalts Capotorti, EuGH, Slg, 1981, 1841, 1850; Ruffert, DVB1. 1998, 73; Ruthig, BayVBl. 1997, 295, 297; Schoch, NVwZ 1999, 463; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme (Nachtrag), § 26 Rn. 6; Zuleeg, NJW 1993, 37.

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nung festgelegt waren. Diese Rechtsverordnung war entgegen einer EG-Richtlinie über die Mitteilungspflichten bezüglich technischer Vorschriften vom Mitgliedstaat nicht der Kommission mitgeteilt worden. Der Angeklagte meinte nun, infolge dieses Verstoßes sei der Einsatz des betreffenden Gerätes ihm gegenüber unzulässig gewesen. Der EuGH befand, daß die fragliche Mitteilungspflicht gemäß der Richtlinie eine vorbeugende Kontrolle zum Schutz des freien Warenverkehrs bezwecke, insofern nämlich derartige technische Vorschriften eine Beschränkung des Warenaustausches zwischen den Mitgliedstaaten bewirken können. Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht führe aber nur dazu, daß die betreffenden technischen Vorschriften nicht anwendbar sind, „soweit sie die Verwendung oder den Vertrieb eines mit diesen Vorschriften nicht konformen Produkts behindern; aber diese Unterlassung hat nicht zur Folge, daß jede Verwendung eines Produkts rechtswidrig ist, das mit den nicht mitgeteilten Vorschriften konform ist", impliziere also nicht, „daß einem Angeklagten, dem Trunkenheit am Steuer vorgeworfen wird, der mit einem nach dieser Vorschrift zugelassenen Alkoholmeter gewonnene Beweis nicht entgegengehalten werden kann" . Dieses Urteil zeigt deutlich, daß der EuGH nicht ausschließlich auf die Maximierung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts bedacht ist, sondern sehr wohl danach fragt, welche Rechte in concreto betroffen sind und ob diese überhaupt von der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift geschützt werden sollen. Eine Vorschrift, die den freien Warenverkehr schützen soll und auf die sich daher natürlich beispielsweise Importeure berufen könnten131, wirkt sich danach nicht zum Schutz eines Angeklagten aus, der nicht etwa die Warenverkehrsfreiheit invozieren will, sondern lediglich seine Überführung unter Zuhilfenahme des betreffenden Gerätes angreift. Daß die Wirksamkeit der betroffenen Vorschrift damit abgeschwächt wird, steht außer Zweifel 132 , hat aber eben den EuGH bezeichnenderweise nicht zu einer so weit gehenden Subjektivierung veranlaßt, auch dem Angeklagten die Berufung auf dieselbe zu gestatten. Es muß daher unterschieden werden, welche Kriterien der E u G H bei der Auslegung von Gemeinschaftsrechtsnormen heranzieht - hier spielen Erwägungen individuellen Rechtsgüterschutzes sehr wohl eine maßgebliche Rolle - , und welche Erwägungen die gesetzgebenden Gemeinschaftsorgane antreiben kann, Gemeinschaftsrecht zu setzen. Letztere können vor dem Hintergrund der Judikatur des E u G H natürlich versuchen, ihre Politikziele wie insbesondere die Durchsetzung des gemeinsamen Marktes m i t Hilfe des wachsamen Auges der Betroffenen zu befördern 1 3 3 . In der Tat ist nicht an der Erkenntnis vorbeizukommen, daß in einem derart großen Rechtsraum und in einem derart komplexen Gefuge gemeinschaftlicher und nationaler Rechtsordnungen die ohnehin weitgehend ohne eigenen Verwaltungsunterbau operierenden und auf den V o l l zug des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten angewiesenen Gemeinschaftsorgane hoffnungslos überfordert wären, trügen sie alleine die Last, die

130

EuGH, EuZW 1998, 569, 571 Tz. 35, 37 - Lemmens. Vgl. z.B. EuGH, EuZW 1999, 476, 477 Tz. 16. 132 Überzogen indes Abele, EuZW 1998, 572, nach dem der „effet uti^"-Gesichtspunkt durch diese Einschränkung „geradezu in sein Gegenteil verkehrt" wird. 133 Vgl. Classen, VerwArch 1997, 647 f.; ferner Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 152. 131

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Einhaltung des Gemeinschaftsrechts kontrollieren und durchsetzen zu müssen 134 . Deshalb war der vom EuGH goutierte Schritt, die Gemeinschaftsziele nicht lediglich über gemeinschaftsrechtliche Vorgaben an die Mitgliedstaaten zu verfolgen, sondern ihnen durch Rechtssätze Nachdruck zu verleihen, auf welche sich die Bürger unmittelbar kraft eigenen Rechts berufen können, nur folgerichtig. Allerdings ist auch in bezug auf das Gemeinschaftsrecht das bereits zum deutschen Recht Gesagte135 zu beachten: Die mit einer Subjektivierung des Rechts verbundenen Vorteile einer besseren Rechtsdurchsetzung infolge einer Nutzbarmachung des Engagements der Berechtigten sind nur zu erwarten, wenn diese entweder ohnehin ein persönliches, wirtschaftliches, berufliches oder sonstiges Interesse an der Durchsetzung haben 136 oder wenn sie - in besonderen Fällen - durch die Auferlegung spezifischer Rechtspflichten in Anspruch genommen werden, von ihren Rechten auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Insofern sind die Formeln von der „Mobilisierung" oder „Aktivierung" der Bürger für die Durchsetzung des Rechts mißverständlich. Denn die Bürger lassen sich im allgemeinen nicht in abstracto zum Zweck der Rechtsdurchsetzung „mobilisieren" oder „aktivieren". Entweder sie besitzen bereits ein eigenes wirtschaftliches, persönliches oder ideelles Interesse an der Durchsetzung des Rechts; dann bedarf es keiner diesbezüglichen „Mobilisierung" oder „Aktivierung", sondern allein einer dahin gehenden Befähigung, indem eben die Rechtsordnung so ausgestaltet wird, daß sie diese Durchsetzung bewirken können, und das verlangt in einem subjektiven Rechtsschutzsystem die Subjektivierung des Rechts137. Oder aber sie besitzen ein derartiges Interesse nicht; dann läßt sich - von der Ausnahme einer rechtlichen Inpflichtnahme durch Aufstellen diesbezüglicher Gebote abgesehen - der Bürger auch durch noch so viel subjektives Recht nicht für die Durchsetzung des Rechts „mobilisieren" oder „aktivieren". Tatsächlich verhält es sich daher im Bereich des Gemeinschaftsrechts ähnlich wie im deutschen Recht. Hier wie dort entscheidet der Gesetzgeber nicht nur über den Erlaß objektiven Rechts, sondern auch über dessen Subjektivierung, und hinsichtlich beider Entscheidungen läßt er sich sowohl von den aus Sicht der Allgemeinheit anerkennenswerten Belangen der einzelnen als auch unmittelbar von Gemeinwohlüberlegungen leiten 138 . Unter den verschiedenen Aspekten hat bei der Subjektivierungsentscheidung vor allem die größere Durchset134

Vgl. Ever ling, NVwZ 1993, 215; Hansmann, NVwZ 1995, 321; Masing, Mobilisierung, S. 19 f., 44 ff.; Ruffert, DVB1. 1998, 71, 72; Schoch, NVwZ 1999, 461; Triantafyllou, DÖV 1997, 197. 135 S. oben F.I.3.b.bb. 136 Vgl. EuG, NVwZ 1998, 493 Tz. 59 - WWF-UK. 137 Vgl. in diesem Zusammenhang EuG, NVwZ 1998, 493 Tz. 55 - WWF-UK. 138 Vgl. oben F.I.l.b.

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zungschance Bedeutung. Welchem Faktor bei der anzustellenden Abwägung welches Gewicht zukommt, hängt freilich stark von der jeweiligen Regelungsmaterie ab. Wenn persönliche Rechtsgüter oder gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten betroffen sind 139 , rückt - nicht anders als bei den Grundrechten im innerstaatlichen Bereich - der begünstigte Rechtsinhaber in den Vordergrund, wodurch die beschriebene „Katalysatorwirkung" zustande kommt 140 , welche dann ihrerseits eine Subjektivierung der betreffenden Vorschriften indiziert 141 . Daß die durch den Berechtigten betriebene Rechtsverfolgung im Bereich der Marktfreiheiten zugleich den wesentlichen „Politiken der Gemeinschaft" (so die Überschrift des Dritten Teils des EGV) zu effektiver Durchsetzung verhilft, ist hierbei zwar notwendig mitgedacht und insofern politisch nutzbar zu machen, normativ aber eher nachgeordnet. In dem Maße dagegen, in dem eine bestimmte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift nicht mehr den Kernbereich der eindeutig (auch) auf eine Begünstigung Privater zielenden Normen betrifft, gewinnen bei ihrer Auslegung gemeinschaftliche Durchsetzungsinteressen Gewicht 142 . Aber daß eine gemeinschaftsrechtliche Norm noch weitere Ziele wie beispielsweise die Verwirklichung der Politiken der Gemeinschaft gewährleisten soll, schließt eben nicht aus, daß ihre Bestimmungen auch auf den Schutz der einzelnen abzielen und diesen deshalb Rechte verleihen sollen 143 . Daß die Subjektivierung des Gemeinschaftsrechts nie allein dem Individualrechtsschutz dient, sondern immer auch im Dienst seiner Wirksamkeit überhaupt steht 144 , ist daher richtig, nur stellt dies eben keine Besonderheit in der Rechtsprechung des EuGH dar, sondern eine auch für die deutsche Rechtsordnung geltende Selbstverständlichkeit 145 . Vor diesem Hintergrund ist die oft diskutierte Frage, ob die vom EuGH vertretene Konzeption subjektiver Rechte mit dem deutschen Verständnis kompa-

139

Gemeinschaftsrechtliche Grundrechte (vgl. Art. 6 EUV, Art. 17 ff. EGV) sowie die Grundfreiheiten verleihen fraglos subjektive Rechte (vgl. Dörr, in NKVwGO, EVR [1. EL 1998] Rn. 449; Frenz, DVB1. 1995, 412 f.; Huber, AllgVerwR, S. 90; Triantafyllou, DÖV 1997, 193), auch wenn letztere nur in Einzelfällen (Art. 39 Abs. 3 EGV) explizit als Rechte formuliert und überwiegend als gemeinschaftsvertragliche Verbote und Verpflichtungen an die Mitgliedstaaten adressiert sind. 140 Vgl. oben F.I.3.a. 141 Vgl. Triantafyllou, DÖV 1997, 197 f. 142 Vgl. Ruffert,, DVB1. 1998, 72. 143 EuGH, JZ 1997, 198, 199 Tz. 39 - Reiserichtlinie. 144 Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 52; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 448; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 43; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 386; Masing, Mobilisierung, S. 40; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme (Nachtrag), § 26 Rn. 9. 145 Vgl. BVerwGE 87, 62, 72 f.; BVerwG, DVB1. 1999, 1134, 1136; Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 419. 39 Roth

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tibel ist 146 - nach einem Verständnis beinhaltete van Gend & Loos „nicht mehr und nicht weniger ... als die Übernahme der Jellinekschen Konzeption 'subjektiver öffentlicher Rechte' in das Gemeinschaftsrecht" 147 - , oder ob es sich hierbei um grundsätzlich divergierende Rechtskonzeptionen handelt 148 , in ersterem Sinne zu beantworten 149. Die Annahme, der subjektive Rechtsbegriff nach dem

146 Hierfür Classen. , NJW 1995, 2461 ff.; ders., VerwArch 1997, 667 f.; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 453; Frenz, DVB1. 1995, 411 f.; Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Rn. 419; Reich, EuZW 1996, 710; Ruthig, BayVBl. 1997, 294; Schmidt, JuS 1999, 1113; Schoch, NVwZ 1999, 465; Stern, JuS 1998, 771; ders., Verwaltungsprozessuale Probleme (Nachtrag), § 26 Rn. 10; Triantafyllou, DÖV 1997, 196 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, §43 Rn. 26b; vgl. BVerwG, DVB1. 1999, 1134, 1135 f.; femer Zuleeg, NJW 1993, 37; in diese Richtung auch Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 381 ff, 391 f.; Sachs, in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 40 Rn. 145 f.; nur mit Einschränkungen Ruffert, DVB1. 1998, 72, 74. 147

Reich, EuZW 1996, 710; femer Triantajyllou, DÖV 1990, 1044; ders., DÖV 1997, 196 f., 200; davon geht nun auch Stern, JuS 1998, 771 aus („Somit scheint sich der EuGH der Schutznormtheorie deutscher Prägung anzuschließen"); zustimmend Schmidt, JuS 1999, 1113; in diese Richtung auch Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 43 Rn. 26c („gemeinschaftsrechtlich modifizierte Schutznormtheorie"). 148 Hierfür Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 53; v. Danwitz, DÖV 1996, 484 („scheinbare Kompatibilität"); Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, §11 Rn. 43; Halfmann, VerwArch 2000, 82 f., 87, 95; Masing, Mobilisierung, S. 176 ff., 187 ff., 195; Wahl, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 127; wohl auch OVG Münster, NWVB1. 2000, 263, 264. 149 Die Kompatibilität des subjektiven Rechtsbegriffs nach deutschem und nach europäischem Verständnis kann übrigens nicht grundsätzlich mit der Erwägung in Zweifel gezogen werden, das Gemeinschaftsrecht sei gemeinschaftsweit einheitlich auszulegen Rechtsschutz in und zu schützen, und „demgemäß" (Rengeling/Middeke/Gellermann, der EU, Rn. 1082) oder „konsequenterweise" (Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme [Nachtrag], § 26 Rn. 8) sei ein Rückgriff auf das deutsche dogmatische Verständnis „von vornherein" (Burgi, Verwaltungsprozeß und Europarecht, S. 53) ausgeschlossen. Zwar ist der Hinweis auf das Gebot gleichermaßen effektiver wie einheitlicher Umsetzung und Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten berechtigt. Daraus mag auch folgen, daß gemeinschaftsrechtliche subjektive Rechte nach spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Kriterien zu bestimmen sind (Burgi, ebd., S. 52; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 153; Rengeling/Middeke/Gellermann, ebd., Rn. 1083). Es stellte aber offenkundig einen krassen Fehlschluß dar, hieraus abzuleiten, daß der gemeinschaftsrechtliche subjektive Rechtsbegriff notwendig von dem sämtlicher Mitgliedstaaten verschieden sein müsse. Deshalb folgt aus dem Einheitlichkeitsgedanken mitnichten, daß das deutsche subjektive Rechtsverständnis nicht passe. Gewiß läßt sich daraus auch nicht der Umkehrschluß ziehen, daß der in der deutschen Dogmatik entwickelte subjektive Rechtsbegriff dem Gemeinschaftsrecht gemäß wäre. Indessen bedürfte es doch, bevor man gleich für eine gänzliche Abkehr vom deutschen subjektiven Rechtsverständnis plädiert, erst des konkreten Nachweises, daß bei richtiger Handhabung desselben das Gemeinschaftsrecht nicht hinlänglich umzusetzen wäre, und dieser Nachweis ist bezeichnenderweise noch nie unternommen oder erbracht worden.

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Gemeinschaftsrecht gehe von grundsätzlich anderen Kriterien aus als der im deutschen Recht vertretene, beruht gleichermaßen auf einer verzerrten Interpretation der Rechtsprechung des EuGH wie auf einer unzutreffenden Vorstellung vom subjektiven Rechtsbegriff der deutschen Rechtsordnung. Daß der EuGH nicht alleine auf die Effektuierung des Gemeinschaftsrechts abstellt, sondern sehr wohl die Grundrechte, gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten sowie persönlichen Rechtsgüter (z.B. Gesundheit) der betroffenen Bürger berücksichtigt, wurde bereits gesagt. Richtig ist allerdings, daß der EuGH in diesem Rahmen bei der Beurteilung der materiellen Berechtigung keine weitergehende Einschränkung des zu schützenden Personenkreises macht 150 . Zwar muß der Personenkreis, dem die gemeinschaftsrechtliche Garantie zugute kommen soll, in der einschlägigen Rechtsvorschrift genau festgelegt sein, um ein subjektives Recht der Begünstigten annehmen zu können 151 . Hierbei handelt es sich aber nur um die fur jede Rechtsanwendung selbstverständliche Forderung, daß der Tatbestand der anzuwendenden Norm nicht nur dem sachlichen Gehalt der aufzuerlegenden Verpflichtung nach 152 , sondern auch in Beziehung auf ihren persönlichen Anwendungsbereich hinreichend präzise bestimmt oder zumindest im Wege der Auslegung bestimmbar sein muß, weil sonst das Gericht nicht prüfen kann, wer zu dem geschützten Personenkreis gehört und ob sich der Kläger auf die betreffende Norm berufen können soll 153 ; eine darüber hinausgehende Individualisierbarkeit oder besondere Abgegrenztheit von der Allgemeinheit ist nicht vorausgesetzt 154,155 . Allein in diesem Punkt könnte man einen Unterschied zur in Deutschland herrschenden Schutznormtheorie sehen156, insofern diese ge-

150 Vgl. Frenz, DVB1. 1995, 409 f.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 385; Masing, Mobilisierung, S. 37; Schoch, NVwZ 1999, 464. 151 EuGH, Slg. 1991, 1-5357, 5408 Tz. 12 - Francovich; EuGH, JZ 1997, 198, 200 Tz. 44 - Reiserichtlinie; Grzeszick, EuR 1998, 428; Ruthig, BayVBl. 1997, 295. 152 Vgl. Everling, NVwZ 1993, 215; Ruthig, BayVBl. 1997, 295. 153 EuGH, Slg. 1991, 1-5357, 5408 Tz. 14 - Francovich; EuGH, NJW 1994, 2473 Tz. 14 - Faccini Dori. 154 Classen , VerwArch 1997, 667, 669 f.; Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 452; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 44; Ruffert, DVB1. 1998, 71; Ruthig, BayVBl. 1997, 294. 155 Dementsprechend stellte der EuGH in bezug auf die Staatshaftung fur legislatives Unrecht dezidiert fest, daß „die nach deutschem Recht im Fall des Verstoßes gegen höherrangiges innerstaatliches Recht geltende Voraussetzung, die die Entschädigung davon abhängig macht, daß sich die Handlung ... auf eine individuelle Situation bezieht", für die Haftung nach Gemeinschaftsrecht nicht gelten könne, weil Gesetze regelmäßig „nicht auf bestimmte Personen oder Personenkreise" abstellen und deshalb ein derartiges zusätzliches Individualisierungs- oder Abgrenzungskriterium der effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts entgegenstünde (EuGH, NJW 1996, 1267, 1271 Tz. 71 Brasserie du Pêcheur). 156 Dies wird deutlich etwa bei Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, Rn. 1091 f., die zunächst entschieden die Übertragbarkeit selbst einer relativierten

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

rade eine derartige besondere Individualisierbarkeit und Abgrenzbarkeit des geschützten Personenkreises als Voraussetzung für die Annahme subjektiver Rechte fordert. Indessen ist eine derartige Einschränkung in Gestalt eines Individualisierbarkeitskriteriums auch nach deutschem Recht weder überzeugend zu begründen noch konsequent durchzuhalten 157. Wird der Begriff des subjektiven Rechts hingegen zutreffend bestimmt, so zeigt sich, daß die nach deutschem Recht richtigerweise maßgeblichen Erwägungen von denen des EuGH wesensmäßig nicht abweichen. Der Begriff des subjektiven Rechts nach deutschem Recht bedarf daher keiner Erweiterung oder gar grundlegenden Uminterpretation im Hinblick auf das europäische Gemeinschaftsrecht 158, sondern allein einer unabhängig hiervon schon von der deutschen Rechtsordnung selbst vorgegebenen dogmatischen Richtigstellung 159 .

4. Die Nachteile einer Subjektivierung von Recht Angesichts der geschilderten Vorzüge subjektiven Rechts wirft sich die Frage auf, weshalb nicht - innerhalb etwaiger sich aus den Belastungen für den Verpflichteten ergebender verfassungsrechtlicher Grenzen - alles Recht als (auch) subjektiv verstanden werden soll, zumindest sobald es einen sinnvollen Bezug zu einzelnen Rechtssubjekten aufweist. Dementsprechend ist vertreten worden, daß es für die Annahme emes subjektiven Rechts genügen müsse, wenn eine Rechtsnorm von ihren tatbestandlichen Voraussetzungen oder der angeordneten Schutznormtheorie auf das Gemeinschaftsrecht verneinen, dann aber das subjektive Recht nach Gemeinschaftsrecht danach definieren, ob ein zwingender und eine Rechtsmacht zur Durchsetzung einräumender Rechtssatz vorliegt, welcher der Regelung von Interessen dient, „die nicht ausschließlich solche der Gemeinschaft, sondern auch solche der einzelnen Marktbürger sind"; ähnlich Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme (Nachtrag), § 26 Rn. 9 f. - Sofern hierin überhaupt irgendein Unterschied zu den in der deutschen Dogmatik gebräuchlichen Formeln (vgl. oben D.I.2.) erkennbar sein soll (verneinend Triantafyllou, DÖV 1997, 196), kann dieser nur im (vermeintlich) unterschiedlichen Individualisierungsgrad zu sehen sein. 157 S. oben D.II.2.a. 158 Vgl. Classen, VerwArch 1997, 667 f.; Frenz, DVB1. 1995, 411 f.; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 153 f.; Reich, EuZW 1996, 710; Ruthig, BayVBl. 1997, 294, 298; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 531b; Triantafyllou, DÖV 1997, 198 ff., 200; im Ergebnis auch Dörr, in NKVwGO, EVR (1. EL 1998) Rn. 453; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 391 ff.; Masing, Mobilisierung, S. 184 ff; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 15a; Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, Rn. 1093; - z.T. a.A. Halfmann, VerwArch 2000, 87; Ruffert, DVB1. 1998, 74; Winter, NVwZ 1999, 472 f.; - a.A. Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 37, 216, die es für nötig erachten, in solchen Fällen auf die Ausnahmeklausel des § 42 Abs. 2, 1. Halbsatz VwGO zurückzugreifen. 159 Vgl. dazu eingehend oben D.III.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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Rechtsfolge her für die Belange eines bestimmten Rechtssubjekts relevant ist, daß also jedem von der Gesetzesanwendung „in eigenen Angelegenheiten Betroffenen" ein entsprechendes subjektives Recht zustehe160, so daß im „Idealfall" jeder Norm des Verwaltungsrechts, die einen Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet, ein subjektives Recht des dadurch begünstigten Bürgers entsprechen müßte 161 . Zwingende Bedenken gegen die Praktikabilität eines solchen Systems, das jede Rechtsnorm als subjektivrechtlich verstünde, die einen Vorteil zu verschaffen geeignet ist, bestünden nicht. Immerhin kann in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, daß ein solches Kriterium jahrzehntelang Verwendung fand, um die Antragsbefugnis im oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren zu bestimmen, indem nämlich der Antragsteller nur darzutun hatte, daß ihm durch die Anwendung der angegriffenen Rechtsvorschrift ein „Nachteil" drohte (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a.F.). Zwar handelte es sich hierbei lediglich um einen prozeßrechtlichen Begriff 162 , doch wenn der Nachteilsbegriff (prozessual) zu handhaben war, wäre es der Gegensatzbegriff des Vorteils 163 auch, und zwar sowohl prozeß- als auch materiellrechtlich. Eine solche Überlegung muß nun aber zur Kenntnis nehmen, daß der Gesetzgeber diese weite Antragsbefugnis durch das 6. VwGOÄndG gerade eingeschränkt und nunmehr die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung zur Voraussetzung gemacht hat. Zwar läßt sich den Gesetzesmaterialien nicht klar entnehmen, was den Gesetzgeber zu dieser Einschränkung bewogen hat. Denn die Begründung, die Antragsbefugnis solle an die Regelung der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) angepaßt werden, um der Gewährleistung des Individualrechtsschutzes als Zulassungsvoraussetzung ein stärkeres Gewicht zu geben 164 , kann schwerlich überzeugen 165, nachdem die Normenkontrolle j a ihren Charakter als (auch) objektives Rechtsbeanstandungsverfahren insoweit keineswegs verloren hat 166 , als es für den Erfolg der Normenkontrolle nicht auf eine Verletzung subjektiver Rechte ankommt, sondern jeder objektive Rechtsverstoß zur Nichtigerklärung der Norm führt 167 ; von daher war es durchaus sachgerecht, die Antragsbefugnis 160

Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 54, 57 ff. Barth, Subjektive Rechte, S. 26. 162 BVerwGE 59, 87, 95 f. 163 BVerwGE 59, 87, 96. 164 Begründung des Regierungsentwurfs eines 6. VwGOÄndG, BT-Drucks. 13/3993, S. 10; ebenso Begründung des Bundesratsentwurfs, BT-Drucks. 13/1433, S. 9. 165 Vgl. Schenke, NJW 1997, 81, 82. 166 Vgl. hierzu BVerwGE 82, 225, 230; Eyermann/J. Schmitt, VwGO, § 47 Rn. 5; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §47 (1. EL 1997) Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 3; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn. 1; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 873; Ziekow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 36. 167 Vgl. BVerwGE 82, 225, 233; Eyermann/J. Schmitt, VwGO, § 47 Rn. 6; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 (1. EL 1997) Rn. 88; Hufen, Ver161

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

nicht an Bedingungen zu knüpfen, die nur bei echten Rechtsschutzverfahren ihren Sinn haben. Hinter dem eher vorgeschobenen Argument einer stärkeren Gewichtung des Individualrechtsschutzmomentes steckt daher wohl in Wahrheit die gesetzgeberische Einschätzung, daß jedenfalls die weite und „nicht 'engherzige'" Auslegung und Handhabung des Nachteilsbegriffs 168 zu einem „Ausufern der Antragsbefugnis in Richtung auf die Popularklage" 169 führte: „Gründe, im Normenkontrollverfahren eine über die Rechtsverletzungsbehauptung hinausgehende Antragsbefugnis zuzulassen, wiegen die damit verbundenen Nachteile nicht auf 4 1 7 0 . Welches die vom Gesetzgeber gesehenen Nachteile einer weitreichenden Antragsbefugnis sind, hat er zwar nicht mitgeteilt, doch dürften ihm im wesentlichen die nachfolgenden Bedenken vor Augen gestanden haben.

a) Nachteile für den Berechtigten Daß die Verleihung subjektiver Rechte dem Berechtigten in aller Regel als vorteilhaft willkommen ist und daß eine solche subjektive Berechtigung gegebenen Falles auch durch die grundrechtliche Wertordnung indiziert ist, wurde bereits ausgeführt 171. Ob die Verleihung subjektiver Rechte Nachteile für den Berechtigten mit sich bringen kann, ist demgegenüber eine auf den ersten Blick überraschende Fragestellung. Tatsächlich aber kann sich die Gewährung subjektiver Rechte mitunter nachteilig auswirken. Denn mit der im subjektiven Recht ausgesprochenen Zuweisung der Zuständigkeit zur Geltendmachung des Rechts ist in aller Regel eine diesbezügliche Last verbunden, besonders dann, wenn der Gesetzgeber im Gegenzug die staatliche Zuständigkeit zur Durchsetzung der betreffenden Rechtsnorm weitgehend zurücknimmt. So ist etwa auf die bereits erwähnte polizeiliche Subsidiaritätsklausel hinzuweisen172, wonach polizeilicher Schutz privater Rechte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zu beanspruchen ist, nämlich grundsätzlich nicht, wenn der Berechtigte in der Lage ist, gerichtlichen Schutz zu erlangen. Nur wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizeiliche Hilfe die Rechtsverwirklichung daher vereitelt oder wesentlich erschwert würde (vgl. § 2 Abs. 2 PolG BW, § 1 Abs. 2 MEPolG), entfällt ausnahmsweise die subjektive Geltendmachungslast und tritt die polizeiliche Zuständigkeit

waltungsprozeßrecht, § 30 Rn. 1; Kopp/Schenke, VwGO, 47 Rn. 110; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn. 21; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 873, 914; Ziekow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 36. 168 So BVerwG, NVwZ 1994, 683, 684; vgl. auch BVerwG, NVwZ-RR 1996, 141. 169 Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn. 30. 170 Begründung des Regierungsentwurfs eines 6. VwGOÄndG, BT-Drs. 13/3993, S. 10; ebenso Begründung des Bundesratsentwurfs, BT-Drs. 13/1433, S. 9. 171 S. vorstehend F.I.3.a. 172 S. oben F.I.3.b.aa.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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zur Durchsetzung des Rechts wieder ein 173 . In ähnlicher Weise stellt es beispielsweise bei Nachbarklagen einen beachtlichen Gesichtspunkt bei der Ermessensentscheidung über ein hoheitliches Einschreiten dar, ob der Nachbar selbst zivilrechtlich gegen das störende Bauvorhaben vorgehen kann 174 ; die Bauaufsichtsbehörde kann ein Einschreiten um so eher verweigern, je eher der Nachbar seine Rechte selbst (zivilgerichtlich) geltend zu machen vermag.

In derartigen Fällen ist dem Berechtigten infolge der Zuweisung eines subjektiven Rechts der für ihn bequemere, risikolose und kostengünstigere Weg verschlossen, die zuständige Behörde um ein Einschreiten gegen die vermeinte Rechtsverletzung zu ersuchen. Wer sich sicher im Recht glaubt, wer sich das Risiko der eigenen Rechtsverfolgung zumuten kann oder wer ausreichend risikofreudig ist, wird die Innehabung subjektiver Rechte gewiß begrüßen und die hierdurch ermöglichten Schritte zu ihrer Geltendmachung ergreifen. Gerade in den häufigen Zweifelsfällen indes, in denen die Verletzung einer Rechtsnorm eben nicht evident und daher die gerichtliche Geltendmachung mit einem signifikanten (Kosten)Risiko verbunden ist, ferner in den Fällen, in denen die Realisierbarkeit des Kostenerstattungsanspruchs gegen den unterliegenden Beklagten ungewiß ist, würde vielleicht mancher Rechtsinhaber das Danaergeschenk des subjektiven Rechts gerne wieder gegen die (lediglich in einem formellen subjektiven Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung bestehende) Hoffnung auf ein hoheitliches Einschreiten gegen den vermeintlichen Rechtsverletzer eintauschen. Ein Verzicht auf ein subjektives Recht mit der Folge eines Wiederauflebens der gemeinschaftlichen Wahrnehmungszuständigkeit ist indessen nicht möglich.

b) Nachteile der Subjektivierung

von Recht für den Verpflichteten

Daß die Subjektivierung von Recht zahlreiche Nachteile für den Verpflichteten impliziert, liegt weniger auf der Hand als es auf den ersten Blick scheint. Man kann nämlich durchaus fragen, ob es dem Verpflichteten nicht eigentlich gleichgültig sein müsse, ob er das subjektive Recht eines subjektiv Berechtigten oder ein Gebot des objektiven Rechts erfüllen muß. Wer das Recht beachte, so könnte man einwenden, brauche sich vor dessen Subjektivierung nicht zu sorgen, weil er - die Möglichkeit gerichtlicher Fehlurteile einmal außer Betracht lassend - hierdurch nicht zusätzlich beschwert werde. Und umgekehrt könnte man vorbringen, daß derjenige, der das Recht mißachte, keinen Schutz davor verdiene, durch einen größeren Kreis mit der Forderung nach Einhaltung des Rechts konfrontiert werden zu können. Tatsächlich bedarf es jedoch einer diffe173

Zu den Grenzen der polizeilichen Subsidiaritätsklausel vgl. Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, S. 238 f.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 31. 174 BVerwG, DVB1. 1969, 586; ZfBR 1998, 106, 107; NVwZ 1998, 395.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

renzierten Betrachtung. Mit der Statuierung subjektiver Rechte sind für den Verpflichteten zusätzliche, unter Umständen gravierende Nachteile verbunden, die deutlich über die Lasten hinausgehen, die sich bei bloß objektivem Recht ergäben 175.

aa) Belastungen durch das Verfahren Die Bedeutung der möglichen prozessualen Auswirkungen subjektiver Rechte dürfte sich ohne nähere Erläuterung verstehen. Die Innehabung eines subjektiven Rechts schließt stets die Befugnis zu dessen Geltendmachung ein 176 , und diese wiederum geht nach den heutigen Verfahrens- und Prozeßordnungen regelmäßig bis zur Anrufung der Gerichte 177 . Während das Bestehen objektiven Rechts im Regelfall bedeutet, daß die Überwachung seiner Einhaltung und gegebenenfalls das Ergreifen von Schritten zu seiner Durchsetzung allein den zuständigen Behörden oder sonstigen staatlichen Organen obliegt, führt die Subjektivierung von Recht zu einer Einbeziehung weiterer Rechtssubjekte in die Rechtsdurchsetzung, die dann das Recht möglicherweise nicht nur geltend machen wollen, sondern dies als Berechtigte nach der Ausgestaltung der (Prozeß-) Rechtsordnung auch können, namentlich in der stärksten Form der gerichtlichen Geltendmachung. Es stellt für den Verpflichteten einen großen Unterschied dar, ob er sich betreffs der Einhaltung des Rechts lediglich mit einer zur Durchsetzung des objektiven Rechts berufenen Behörde auseinandersetzen muß oder ob er sich infolge einer weitgehenden Subjektivierung der betreffenden Materie mit unter Umständen zahlreichen in ihren subjektiven Rechten Verletzten konfrontiert sieht. Während sich nämlich das im Bereich des Verwaltungsrechts den Behörden in weitem Umfang zukommende Opportunitätsermessen 178, Rechtsverstöße auf sich beruhen zu lassen, um den Verpflichteten von einer unbilligen Inanspruchnahme zu verschonen, tendenziell zugunsten des Verpflichteten auswirkt, hat dieser regelmäßig keine vergleichbare Nachsicht und Schonung seitens privater Rechtsinhaber zu erwarten. Daß ein Privater auf die Geltendmachung ihm zustehender Rechte verzichtet, ist zwar rechtlich möglich und auch gelegentlich - vor allem bei bestehenden persönlichen Beziehungen oder im Falle der Unverhältnismäßigkeit des eigenen Aufwands der Rechtsverfolgung - tatsächlich zu beobachten. Daß aber ein Privater auf die Geltendmachung eines Rechts aus Rücksichtnahme auf den Verpflichteten verzichtet, ist doch selten zu erwarten,

175 176 177 178

Vgl. BVerwGE 32, 173, 175. S. oben D.III.4. Vgl. hierzu oben D.II.3. Zu diesem näher unten F.I.4.c.bb.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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und jedenfalls besteht jenseits einer etwaigen Schikane oder eines sonstigen Rechtsmißbrauchs kein dahin gehender Anspruch. Zwar wirkt der Umstand, daß den entscheidenden Beamten im Gegensatz zu einem Privaten kein persönliches Kostenrisiko trifft, manchmal umgekehrt in Richtung auf eine exzessive Geltendmachung des objektiven Rechts. (Nicht selten handelt es sich freilich nur deshalb um einen scheinbar unverhältnismäßigen Aufwand, weil man nur den einzelnen Fall betrachtet und dessen Signalwirkung fur die Allgemeinheit ignoriert. Aus generalpräventiven Gründen kann es für eine die Gesamtheit aller Folgen im Auge habende Behörde rational sein, einen bei isolierter Betrachtung des einzelnen Falles unverhältnismäßigen Aufwand zu betreiben, wo ein einzelner Berechtigter die Sache aufgrund seines notwendigerweise rein individuellen Kosten/Nutzen-Kalküls auf sich beruhen lassen mag.) Das ändert aber nichts daran, daß das in weiten Teilen bestehende behördliche Ermessen und das Opportunitätsprinzip insgesamt eher zugunsten des Verpflichteten wirken, und sich eine Subjektivierung von Recht zugunsten Privater daher für ihn tendenziell belastend auswirkt.

Die Berücksichtigung der prozessualen Folgen, die sich aus der Annahme subjektiver Rechte und der mit diesen regelmäßig verbundenen Klagbarkeit ergeben, stellt übrigens keinen Widerspruch dazu dar, daß die Klagbarkeit nicht Wesensmerkmal des subjektiven Rechts ist 179 . Denn letzteres betrifft die Voraussetzungen des subjektiven Rechts, während es hier nur um die nach der positiven Ausgestaltung der heutigen Rechtsordnung regelmäßig an das Vorliegen subjektiver Rechte geknüpften Folgen geht. Daß es dem Gesetzgeber freisteht, nicht durchsetzbare subjektive Rechte zu normieren, und daß er dies auch mehrfach getan hat, ändert nichts an der im Regelfall zu konstatierenden Klag- und Durchsetzbarkeit aller subjektiven Rechte. Diese regelmäßige Folge des Vorliegens subjektiver Rechte ist ein gewichtiger Faktor, der bei der Gesetzesauslegung maßgeblich berücksichtigt werden muß. Es dürfte ohne weiteres einleuchten, daß sich die Subjektivierungsfrage ganz anders stellen würde, wenn an die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung keine Klagebefugnis geknüpft wäre. Denn mit einem solchen weitgehend „zahnlosen" subjektiven Recht könnten Gesetzgeber und Rechtsanwender recht großzügig verfahren. So aber muß die Subjektivierungsfrage eben auch unter Berücksichtigung ihrer prozessualen Implikationen beantwortet werden. Daß jedes gerichtliche Verfahren zur Erzwingung rechtlicher Pflichten für den Verpflichteten mit erheblichen Belastungen verbunden sein kann, bedarf keiner näheren Erläuterung. Für die Fälle mit offenem und zweifelhaftem Verfahrensausgang, in denen auch einem um die Einhaltung des Rechts Bemühten die Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung seines Verhaltens bewußt ist, versteht sich dies von selbst. Denn hier wird der Betroffene schon durch die bloße Verfahrenseinleitung in Ungewißheit darüber versetzt, ob sein Handeln und seine Planung Bestand haben oder ob er womöglich sogar Sanktionen aus179

S. oben D.II.3.c.bb.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

gesetzt sein wird. Nicht zu vernachlässigen sind aber auch solche Belastungen, die nicht aus der subjektiven Ungewißheit des Betroffenen über den Verfahrensausgang erwachsen. Selbst wenn sich dieser gewiß ist, alle einschlägigen Vorschriften eingehalten zu haben, kann doch bereits der Umstand eines (zulässigerweise) eingeleiteten Verfahrens einen negativen Eindruck auf Dritte machen, die einen solchen Schritt als Ausweis einer rechtlich ungeklärten und ungewissen Lage verstehen und ihre dem Verpflichteten nachteiligen Folgerungen daraus ziehen können.

bb) Materiellrechtliche Nachteile für den Verpflichteten Die Frage nach materiellrechtlichen Nachteilen aus der Subjektivierung einer Rechtsnorm für den Verpflichteten mag überraschen, scheint doch eine solche Subjektivierung den Verpflichteten im Vergleich zu einer bloß objektivrechtlichen Pflicht nicht zusätzlich zu belasten180. In der Tat erhöhen sich die materiellen Anforderungen des Rechts mit seiner Subjektivierung nicht: Der Verpflichtete muß nicht mehr und nichts anderes tun, gleich ob es ihm nur objektiv- oder subjektivrechtlich aufgegeben ist; auch darf niemand eine Rechtspflicht deshalb weniger ernst nehmen, weil sie nur objektivrechtlichen Charakter besitzt und nicht einem subjektiven Recht entspringt. Daß es für den Verpflichteten keinen Unterschied macht, ob er durch objektives oder subjektives Recht zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wird, gilt indessen nur auf der primären Ebene der Verhaltenspflicht. Auf der sekundären Ebene etwaiger Unterlassungs- oder (Folgen)Beseitigungsansprüche gilt diese vermeintliche Unterschiedslosigkeit nicht mehr, und noch weniger auf der tertiären Ebene etwaiger Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche 181. Noch am ehesten vergleichbar sind die sekundären Folgen eines Rechtsverstoßes. Im Falle der Verletzung eines subjektiven Rechts stehen dem Berechtigten regelmäßig Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zu 1 8 2 , während im Falle einer Verletzung objektiven Rechts die zuständige Behörde regelmäßig aufgrund besonderer Ermächtigung oder aufgrund der polizeilichen Generalklausel gegen die eingetretene Störung der öffentlichen Sicherheit vorgehen kann. Beides läuft zwar im Ergebnis auf dasselbe hinaus. Indes spielt es bereits hier für den Verpflichteten eine nicht unerhebliche Rolle, ob er sich einem subjektivrechtlich Berechtigten oder einer das objektive Recht wahrenden Behörde gegenübersieht. Denn der Rechtsgemeinschaft können dank des Übermaßverbotes deutlich engere Grenzen bei der Geltendmachung und Durchsetzung des

180 181 182

So etwa Ruthig, BayVBl. 1997, 296. Zu diesen unterschiedlichen Ebenen näher unten G.IV. 1. S. näher unten G.IV.2.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

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Rechts gezogen sein als einem Privaten, der die Integrität seiner subjektivrechtlich geschützten Rechtsgüter zu wahren oder wiederherzustellen sucht. Ganz signifikante Unterschiede zeigen sich jedenfalls auf der tertiären Ebene. Ohne an dieser Stelle die materiellen Rechtsfolgen von Rechtsverstößen näher untersuchen zu können, kann doch immerhin festgestellt werden, daß dem Berechtigten als Konsequenz einer Verletzung subjektiver Rechte in der Regel Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche zuwachsen, die dem Verpflichteten bei einer Verletzung bloß objektiven Rechts nicht auferlegt werden. Die Rechtsgemeinschaft ahndet Rechtsverstöße in Gestalt von Geldbußen oder Kriminalstrafen, unter Umständen auch im Wege verwaltungsrechtlicher Sanktionen (z.B. Entzug einer Gewerbeerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit), macht aber weder Schadensersatz geltend noch verlangt sie Entschädigung, und zwar selbst dann nicht, wenn es durchaus zu einem wirtschaftlichen bzw. finanziell meß- und bezifferbaren Schaden an Gemeingütern gekommen ist. Da die materiellrechtlichen Korrektive - wie z.B. ein Verschuldenserfordernis oder die Vorschriften über (unvermeidbare) Verbotsirrtümer - auch einen sich gutgläubig Irrenden keineswegs immer entlasten, vor allem bei einer vorgesehenen Verantwortlichkeit schon für (leichte) Fahrlässigkeit 183, und da zumal im Bereich des Verwaltungsrechts der Verpflichtete die verwaltungsrechtlichen Folgen seines Tuns in weitem Umfang ohne Rücksicht auf subjektive Tatbestände tragen muß, kann es von entscheidender Bedeutung sein, ob er sich nur mit einer Behörde auseinandersetzen muß, die bei manchen Verstößen von ihrem Ermessen dahin Gebrauch machen mag, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Rechtsverletzungen brauchen nicht auf Bösgläubigkeit zu beruhen, und deshalb kann auch dem Rechtsverletzer nicht ein gewisser Anspruch auf Rücksichtnahme abgesprochen werden. Der Einwand, wer gegen das Recht verstoße, verdiene keinen Schutz vor den materiellrechtlichen Folgen, verfinge uneingeschränkt allenfalls bei absichtlichen oder wissentlichen Rechtsverletzungen. Bei bloß bedingt vorsätzlichen oder gar nur fahrlässigen Verstößen gilt dies nicht ohne weiteres, und schon gar nicht bei schuldlosen.

cc) Nachteile der Subjektivierung von Recht für den materiell Begünstigten in dreipoligen Verhältnissen Die materiellen Konsequenzen einer Subjektivierung von Recht dürfen nicht auf Zwei-Personen-Verhältnisse beschränkt, vielmehr müssen die komplexeren Konstellationen gesehen werden, so wenn beispielsweise ein Träger öffentlicher Gewalt einem Bürger eine Begünstigung zukommen lassen will und ein anderer (z.B. ein Konkurrent, Mitbewerber, Nachbar) der Ansicht ist, diese Begünsti183

Vgl. in diesem Zusammenhang Schenke/Roth, WiVerw 1997, 162 ff.

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gung sei rechtswidrig. Während er bei bloß objektivem Recht nicht dagegen vorgehen kann, könnte er es als in subjektiven Rechten Verletzter sehr wohl, wodurch sich die Rechtsstellung des Begünstigten merklich verschlechtert 184. Gerade im Bereich des Verwaltungsrechts sollte zudem bedacht werden, daß es nicht selten überhaupt nicht in der Macht des Begünstigten liegt, ob ein Rechtsverstoß vorkommt. Verletzt beispielsweise die Behörde bei Erteilung einer Baugenehmigung bestimmte Vorschriften, wäre es für den Bauherrn von größtem Nachteil, wenn seine Nachbarn jedweden Rechtsverstoß geltend machen könnten, um sein Vorhaben zu Fall zu bringen 185 . Immerhin könnte man dieses Ergebnis unter Hinweis auf den in einem solchen Fall nun einmal vorliegenden Rechtsverstoß zu legitimieren suchen. Denn obschon der rechtswidrig Begünstigte durch den Rechtsverstoß nicht jegliche Schutzwürdigkeit einbüßt, ist doch nicht zu bezweifeln, daß das Vertrauen in eine rechtswidrige Begünstigung vermindert und es deshalb eher hinzunehmen ist, wenn ein Dritter diese zu Fall bringen kann. Dies kann aber nicht unbeschränkt gelten, vielmehr bedarf es einer differenzierten Interessenabwägung. So wie selbst der Rechtsverletzer zumindest das Übermaßverbot zu seinem Schutz anführen kann, hat erst recht der ohne sein Zutun rechtswidrig Begünstigte ein Recht darauf, daß seine berechtigten Interessen gewahrt bleiben, und hierzu zählt eben nicht zuletzt die Frage, wer die Rechtsverletzung geltend machen darf. Deshalb muß es der Begünstigte nicht unter einfacher Berufung auf die Rechtswidrigkeit ohne weiteres hinnehmen, daß jedem beliebigen Dritten ein subjektives Recht zum Einschreiten verliehen wird 1 8 6 . Schließlich sind bei der Entscheidung über die Einräumung subjektiver Rechte noch jene prozessual vermittelten materiell nachteiligen Auswirkungen zu bedenken, die sich alleine aus dem Ergreifen prozessual zulässiger Verfahrensschritte ergeben können, ohne daß der Betroffene rechtswidrig gehandelt haben oder sonst ein Rechtsverstoß im Räume stehen müßte. Je großzügiger der Gesetzgeber mit der Verleihung subjektiver Rechte verfährt, desto eher können die Zulässigkeitshürden bei Rechtsbehelfen übersprungen und damit unter Umständen Nachteile für den Begünstigten unabhängig davon verursacht werden, ob die von dem Berechtigten als verletzt gerügten subjektiven Rechte im Ergebnis wirklich verletzt sind.

184 Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 119; vgl. BVerwG, NJW 1968, 2393, 2394; ferner Masing, Mobilisierung, S. 223 f., 233 f.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 209. 185 Vgl. BVerwGE 32, 173, 175. 186 Zu den mit der Subjektivierung von Recht verbundenen besonderen Problemen in dreipoligen Verhältnissen vgl. Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 3, 144; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 205 ff.; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 168.

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Als praktisch bedeutsames Beispiel für diesen Sachverhalt sind erstens die Fälle von Verwaltungsakten mit „Doppelwirkung" (§ 80 Abs. 1 S. 2 VwGO) anzuführen. Eine zu großzügige Gewährung subjektiver Rechte an den Dritten kann hier eine emstliche Gefährdung auch des rechtm^ig Begünstigten bedeuten, weil der Dritte mit der Einräumung subjektiver Rechte Rechtsschutzmöglichkeiten erlangt, die den Begünstigten selbst dann erheblich belasten können, wenn sie im Ergebnis unbegründet sind. Für den Eintritt der gesetzlich auch für Verwaltungsakte mit Doppelwirkung vorgesehenen aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 VwGO) ist nämlich lediglich die Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Widerspruchsführers oder Klägers vorauszusetzen, d.h. er muß eine Verletzung subjektiver Rechte geltend machen können187, nicht jedoch hängt der Eintritt des Suspensiveffekts von der Begründetheit des Rechtsbehelfs ab 188 . Infolgedessen führt die Annahme subjektiver Rechte dazu, daß Dritte durch im Ergebnis unbegründete Rechtsbehelfe Vorhaben jedenfalls dann effektiv blockieren können, wenn deren Unbegründetheit nicht offensichtlich ist - denn solchenfalls kommt immerhin eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts durch Behörde oder Gericht (§ 80a Abs. 1 und 3 VwGO) in Betracht 189. Dies kann, weil der im Ergebnis unterliegende Rechtsbehelfsführer zwar die Verfahrenskosten tragen muß (§ 80 Abs. 1 S. 3 VwVfG, § 154 Abs. 1 VwGO), nicht aber die dem Begünstigten durch die Verzögerung entstehenden Schäden zu ersetzen hat - insbesondere ist § 945 ZPO nicht analog anzuwenden190 - , zumal bei oftmals langer Verfahrensdauer zu einer letztlich nicht befriedigenden Risikoverteilung führen 191. So muß davon ausgegangen werden, daß in nicht wenigen Fällen bewußt unbegründete Widersprüche und Klagen allein zu dem Zweck erhoben werden, sich diese anschließend im Vergleichswege von dem Vorhabenträger abkaufen zu lassen, den die zeitliche Verzögerung bis zu einem Obsiegen im Prozeß zu teuer zu stehen käme 1 9 2 , 1 9 3 . Das soll nun

187

BVerwG, NJW 1993, 1610, 1611; Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 50; Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 80 Rn. 11; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 959; Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 (Lfg. 1996) Rn. 68. 188 Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 50; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 956; Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 (Lfg. 1996) Rn. 62. 189 Vgl. hierzu VGH München, NVwZ-RR 1995, 430, 431; Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 100; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 956, 1002; Schoch, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80a (Lfg. 1996) Rn. 27, 65. 190 BGH, NJW 1981, 349, 350 f.; Eyermann/Fröhler, VwGO, §80 Rn. 62; Kopp/ Schenke, VwGO, § 80 Rn. 233; Redeker/v. Oertzen,, VwGO, § 80 Rn. 71; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1742 ff; ders., in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 (Lfg. 1996) Rn. 410; vgl. allgemein BVerwG, DVB1. 1964, 761, 763 f.; NVwZ 1991, 270; a.A. Kopp, VwGO, § 80 Rn. 121. 191 Vgl. hierzu Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1740 ff., 1746 m.w.N. 192 Die Problematik der (mißbräuchlichen) Ausnutzung des Suspensiveffektes beklagte (allerdings ohne nähere Spezifizierung) auch der Gesetzgeber des 6. VwGOÄndG, vgl. BT-Drucks. 13/1433, S. 11; 13/3993, S. 11. 193 Gemildert, nicht aber ganz beseitigt, sind diese Probleme durch die Vorschrift des § 80b Abs. 1 S. 1 VwGO, wonach die aufschiebende Wirkung jedenfalls drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die die Anfechtungsklage abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels endet, wenn nicht das Rechtsmittelgericht auf Antrag das Fortdauern der aufschiebenden Wirkung anordnet (§ 80b Abs. 2 VwGO).

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

nicht heißen, daß die Möglichkeit solcher Drittanfechtungsklagen generell auszuschließen sei 194 . Jedoch ist der hier skizzierten Problematik nicht durch eine unangemessene Subjektivierung des Rechts Vorschub zu leisten, sondern muß bei der Subjektivierungsentscheidung auch auf diesbezüglich sachgerechte Ergebnisse Bedacht genommen werden. Als weiterer Beispielsfall ist darauf zu verweisen, daß Drittanfechtungen den Vertrauensschutz des durch den Verwaltungsakt Begünstigten auch dann beeinträchtigen können, wenn sich der gegen den Verwaltungsakt mit Doppelwirkung eingelegte Widerspruch bzw. die dagegen erhobene Klage im Ergebnis als unbegründet erweisen, weil der Verwaltungsakt rechtmäßig war. Denn nach § 50 VwVfG richtet sich die Rücknahme bzw. der Widerruf eines von einem Dritten angefochtenen Verwaltungsakts, „wenn dadurch dem Widerspruch oder der Klage abgeholfen wird", stets nach den für Rücknahme oder Widerruf belastender Verwaltungsakte geltenden Vorschriften (d.h. § 48 Abs. 1 S. 1, § 49 Abs. 1 VwVfG), wohingegen die für begünstigende Verwaltungsakte geltenden besonderen Vertrauensschutzbestimmungen (§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4 und 6, sowie § 49 Abs. 2 bis 4 und 6 VwVfG) keine Anwendung finden 195. Durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs verschlechtert sich also die Rechtsposition des Begünstigten merklich, und zwar ohne daß es darauf ankäme, ob der Widerspruch oder Klage erhebende Dritte tatsächlich in seinen subjektiven Rechten verletzt ist 196 , weil die Anwendbarkeit des § 50 VwVfG lediglich die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs und damit eine Widerspruchs- bzw. Klagebefügnis des Dritten voraussetzt197. Der bloße Umstand eines zulässig eingelegten Rechtsbehelfs gestattet somit der Behörde einen erleichterten Widerruf selbst eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, weil infolge der Anfechtung der Eintritt seiner Bestandskraft verhindert und deshalb das Vertrauen des Begünstigten in seinen Bestand unabhängig von der Begründetheit des Rechtsbehelfs geschmälert wird 198 . Hängt aber die Einbuße an Vertrauen nicht von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ab, sondern allein von der Zulässigkeit des durch den Dritten eingelegten Rechtsbehelfs, so ist es überaus bedeutsam, ob insoweit objektivrechtliche oder aber subjektivrechtliche und drittschützende Rechtsnormen in Frage stehen. 194

Im Baurecht hat der (tatsächliche oder vermeintliche) Mißstand „prophylaktisch erhobener Nachbarwidersprüche" (Battis, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 212a Rn. 2; vgl. zu dieser Problematik BGH, BauR 2000, 252, 253) den Gesetzgeber bewogen, durch §212a Abs. 1 BauGB die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung von Vorhaben auszuschließen (vgl. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO). 195 Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 Rn. 10. 196 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1989, 72, 73; VGH München, NVwZ 1997, 701, 702; Meyer/Borgs, VwVfG, § 50 Rn. 13; Obermayer, VwVfG, § 50 Rn. 14; Schenke, DÖV 1983, 328; a.A. Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 19 Rn. 13; Maurer, AllgVerwR, § 11 Rn. 70 f.; Knack/Klappstein, VwVfG, § 50 Rn. 4.1; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 64 Rn. 9; wohl auch BVerwG, NVwZ 1990, 857. 197 Vgl. BVerwG, BayVBl. 1998, 540; OVG Münster, NVwZ 1989, 72; OVG Bautzen, LKV 1993, 97; VGH München, NVwZ 1997, 701, 702; Knack/Klappstein, VwVfG, § 50 Rn. 4.1; Kopp, VwVfG, § 50 Rn. 14; Meyer/Borgs, VwVfG, § 50 Rn. 11; Obermayer, VwVfG, §50 Rn. 13; Schenke, DÖV 1983, 324; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 50 Rn. 59. 198 Zu weitgehend allerdings VGH München, NVwZ 1997, 701, 702: „Vertrauensschutz ... suspendiert".

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c) Verwischung der Grenze zur Popularklage Ein besonders gravierender Nachteil einer zu weit gehenden Subjektivierung von Recht besteht darin, daß sie der Sache nach die Grenze zu einer - wie jüngst erst wieder durch die Verschärfung der Voraussetzungen der Antragsbefugnis bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle bezeugt199 - vom Gesetzgeber nicht gewünschten Popularklage verwischte 200 . Denn da an die Innehabung subjektiver Rechte in aller Regel eine Klagebefugnis geknüpft ist, werden um so mehr Verfahren ermöglicht, je mehr subjektive Rechte eingeräumt werden. Formal würden die betreffenden Verfahren zwar ihren subjektiven Rechtsschutzcharakter beibehalten, weil nach wie vor nur subjektiv Berechtigte klagen könnten. Sachlich würde eine unangemessene Ausweitung subjektiver Rechte jedoch zwangsläufig die Wirkung des prozessualen Filters des Individualrechtsschutzbezuges 201 vermindern, wenn nicht gar aufheben, bis angesichts einer „Fülle der materiell Berechtigten" durchaus in einem „übertragenen, untechnischen Sinne von einer Popularklage gesprochen werden" könnte 202 . Bei all dem ist zu beachten, daß die Limitierung der Klagebefugnis kein Selbstzweck ist, sondern daß der Gesetzgeber damit berechtigte und gewichtige Anliegen verfolgt. Daß der Gesetzgeber nahezu durchgängig die Ingangsetzung gerichtlicher Verfahren an ein subjektives Rechtsschutzbegehren knüpft, bezweckt zum einen natürlich den Schutz des Beklagten vor den geschilderten mit einem Verfahren verbundenen Lasten; diese sollen ihm erspart bleiben, wenn ihnen kein ein solches Verfahren legitimierendes Anliegen auf Seiten des Klägers gegenübersteht. Es gibt darüber hinaus aber auch eine Reihe unmittelbar auf das Gemeinwohl bezogener Anliegen, welche durch eine „Ausuferung subjektiver Rechte" 203 in Gefahr gerieten.

aa) Überlastung der Gerichte Der Gesetzgeber benutzt die am subjektiven Recht ausgerichtete Klagebefugnis zunächst zur Entlastung der Gerichte von Verfahren, denen er in Abwesenheit eines subjektiven Rechtsschutzbegehrens keine oder nur untergeordnete Bedeutung zumißt, und um insgesamt eine übermäßige Zahl von Gerichtsverfahren nebst des damit einhergehenden Aufwandes und der damit verbundenen Lasten zu verhindern. Mit der Ausweitung subjektiver Rechte müßte notwendig 199 200 201 202 203

S. oben F.I.4. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 119. Hierzu oben C.IV.l. BVerwG, NJW 1968, 2393, 2394. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 119.

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die Belastung der Rechtsprechungsorgane steigen204, was wiederum eine überlange Verfahrensdauer produzieren und schließlich die Frage provozieren kann, was ein subjektives Recht am Ende nutzt, wenn es praktisch nicht mehr oder nur noch mit großer Verspätung durchsetzbar ist 205 . Gewährte man in zu großzügiger Weise subjektive Rechte, so müßte der Gesetzgeber bald einen neuen Filter erfinden, um der Gefahr einer Überlastung der Gerichte zu begegnen. Diesem Überlastungsproblem ließe sich nicht sinnvoll dadurch begegnen, daß zwar weithin subjektive Rechte gewährt, dann aber dennoch der Zugang zu Gericht verschlossen wird. Zwar sind unklagbare subjektive Rechte sowohl logisch denkbar als auch mitunter praktisch sinnvoll 206 . Gleichwohl muß dies doch die Ausnahme bleiben, weil ein derart schwach umgesetztes subjektives Recht im Ergebnis eine effektive Durchsetzung des Rechts oft unmöglich macht und damit die Autorität der Rechtsgemeinschaft und die Glaubwürdigkeit ihrer Rechtsordnung zu untergraben droht 207 . Jedenfalls muß man sich auch hier wieder vergegenwärtigen, daß die Auslegung, ob eine konkrete Rechtsnorm ein subjektives Recht verleiht oder nicht, unter den Bedingungen der heute geltenden Rechtsordnung zu erfolgen hat. Es geht also nicht darum, rechtstheoretisch nach dem subjektiven Rechtscharakter eines bestimmten Rechtssatzes zu fragen, wenn an das Vorliegen eines subjektiven Rechts keine oder nur sehr eingeschränkte Folgen geknüpft wären - gewiß ließen sich solchenfalls subjektive Rechte sehr großzügig einräumen. Vielmehr muß die Subjektivierungsentscheidung unter der Voraussetzung getroffen werden, daß sich aus einem subjektiven Recht nun einmal - jedenfalls solange es an einer ausdrücklich abweichenden gesetzlichen Bestimmung fehlt - die Klagbarkeit ergibt. Dementsprechend sind die Folgen einer Subjektivierung des Rechts für das Rechtsschutzsystem zu bedenken. Insbesondere im Hinblick auf die etwaigen Belastungen für das Gerichtswesen muß der Gesetzgeber subjektive 204

Vgl. Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 50. Vor diesem Hintergrund überzeugt die kategorische Ablehnung Wiegands, BayVBl. 1994, 614, „daß die Erweiterung von Rechtsschutz nicht mit dem Argument der Überlastung der Gerichte zurückgewiesen werden darf', nicht. Allerdings besteht kraft des grundgesetzlich fundierten rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs (vgl. BVerfGE 14, 156, 164 f.; 36, 264, 274 f.; 80, 103, 107; 85, 337, 345; BGHZ 95, 22, 26; Kopp/Schenke, VwGO, § 1 Rn. 11 f.) sowie aufgrund von Art. 1, 6 Abs. 1 EMRK ein Anspruch des Bürgers auf eine genügende personelle und materielle Ausstattung der Gerichte, damit diese auch wirklich effektiven Rechtsschutz gewähren können (vgl. Roth, EuGRZ 1998, 499 f.). Gerade darum aber muß es (im Rahmen grund- und menschenrechtlicher Vorgaben) statthaft sein, bei der Entscheidung, ob überhaupt ein subjektives Recht gewährt werden soll, die Belastungen für die Gerichte und die öffentliche Hand zu berücksichtigen, welche die Gewährung eines subjektiven Rechts nach den bestehenden Prozeßordnungen mit sich brächte. 205

206 207

S. hierzu oben D.II.3.C. Vgl. hierzu oben D.II.3.d.

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Rechte „wohldosiert" einsetzen, um sie nicht durch inflationäre Verleihung im Ergebnis wieder zu entwerten und dadurch die mit der Verleihung verfolgten Zwecke letzten Endes zu konterkarieren.

bb) Verlust der Opportunitätskontrolle Eine aus Sicht der Rechtsgemeinschaft besonders einschneidende Wirkung subjektiver Rechte ist der durch sie verursachte Verlust der Opportunitätskontrolle. Bei objektivem Recht können die zuständigen Organe der Rechtsgemeinschaft nicht nur über das Wie, sondern noch grundsätzlicher über das Ob seiner Geltendmachung, einschließlich seiner zwangsweisen Durchsetzung, nach eigenem Ermessen und gerichtlich nicht oder kaum kontrollierbar weitestgehend frei entscheiden208. Ohne ein einschlägiges grundrechtliches oder einfachgesetzliches subjektives Recht hat kein Bürger einen Rechtsanspruch auf rechtmäßiges Handeln der Hoheitsträger 209, und deshalb obliegt es solchenfalls dem Opportunitätsermessen der zuständigen Behörden und ihrer Aufsichtsorgane, ob sie das objektive Recht durchsetzen wollen oder nicht 210 . Und selbst sofern man im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) annähme, diese dürfe jedenfalls schwerwiegende Gesetzesverstöße nicht gänzlich folgenlos hinnehmen211, so gäbe doch auch dies niemandem ein subjektives Recht auf ein solches behördliches Einschreiten. Demgegenüber steht bei subjektiven Rechten die Zuständigkeit für ihre Geltendmachung den Berechtigten zu, die hierüber nach ihren individuellen Vorstellungen ohne Rücksicht auf die Interessen der Allgemeinheit befinden können 212 . Damit aber büßt die Rechtsgemeinschaft die Entscheidungsmacht ein, ob und wie sie gegen eine Rechtsverletzung einschreiten will. Diese Entscheidung geht statt dessen auf die einzelnen Rechtsinhaber über. Mit der Zuweisung subjektiver Rechte ist also eine „Verteilung der Verfügungsgewalt" 213 über die Geltendmachung des Rechts verbunden, und es leuchtet ohne weiteres ein, daß es einen ganz entscheidenden Ab208 Zum Opportunitätsprinzip krit. Vultejus, ZRP 1999, 136 f.; zurückhaltend auch Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 522 ff. 209 BVerwG, BRS 56 Nr. 163; OVG Münster, NWVB1. 1999, 141, 142. 210 Vgl. etwa OVG Münster, NWVB1. 1999, 141, 142: liegt lediglich ein Verstoß gegen objektive, nicht nachbarschützende bauordnungsrechtliche Vorschriften (Stellplatzpflicht) vor, dann kann der Nachbar selbst dann nicht gegen das Bauvorhaben vorgehen, wenn die Stadt als Baugenehmigungsbehörde sich eine Baugenehmigung in eigener Sache unter bewußter Verletzung des geltenden Rechts erteilt; „insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte bewußt gegen die Stellplatzpflicht verstoßen und sich damit bei der Genehmigung des eigenen Vorhabens von Vorschriften freigestellt hat, deren Beachtung er von den Bürgern verlangt". 211 Vgl. Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 530. 212 Vgl. Masing, Mobilisierung, S. 221 f. 213 Bleckmann, DVB1. 1986, 667.

40 Roth

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wägungs- und Auslegungsfaktor bezüglich der Subjektivierung von Recht darstellen muß, ob sich die Rechtsgemeinschaft diese Verfügungsgewalt reservieren oder ob sie dieselbe durch Verleihung subjektiver Rechte an andere Rechtssubjekte übertragen will. Der Verlust der Opportunitätskontrolle stellte nun freilich dann keinen Nachteil dar, wenn es aus Sicht der Rechtsgemeinschaft immer vorteilhaft wäre; wenn das Recht geltend gemacht und etwaigen Rechtsverstößen entgegengetreten wird. Dem ist aber nicht so. Vielmehr kann es für die Rechtsgemeinschaft mitunter opportun sein, Rechtsverletzungen hinzunehmen214. Es gibt Situationen, in denen die strikte Beachtung und Durchsetzung des Rechts gewichtigen Gemeinwohlinteressen beispielsweise politischer oder wirtschaftlicher Art zuwiderlaufen oder die Verfolgung solcher Gemeinwohlinteressen zumindest sehr erschweren kann, indem sie zu einer schwerfälligen und ineffektiven Vorgehensweise zwingen würde. Solchenfalls kann aus Sicht der Allgemeinheit ein politisch-demokratisch verantworteter Verzicht auf die Geltendmachung bestimmter Rechtsvorschriften vorzugswürdig und der Versuch einzelner Rechtssubjekte, diese durchzusetzen, als unerwünschte Einmischung zu Lasten des Gemeinwohles erscheinen. Für das scheinbar paradoxe Phänomen, daß die Rechtsgemeinschaft zuerst Rechtssätze aufstellt, dann aber deren Geltendmachung durch einzelne als Nachteil und deren Nichtbefolgung als gemeinwohlforderlich verstehen kann, gibt es eine Reihe von Ursachen. Erstens ist es aufgrund der notwendigen Allgemeinheit von Rechtsnormen regelmäßig unmöglich, allen Konstellationen gerecht zu werden, und deshalb mag es Situationen geben, in denen es dem Gemeinwohl abträglich wäre, könnte ein einzelner die Befolgung einer bestimmten Rechtsnorm gerichtlich durchsetzen. Der Lösung, solchen besonderen Fällen materiellrechtlich Rechnung zu tragen 215 , sind demgegenüber Grenzen gesetzt, nicht zuletzt deshalb, weil sich auf solche gesetzliche Ausnahmebestimmungen ja auch der Verpflichtete berufen könnte, was ebensowenig im Sinne der Rechtsgemeinschaft sein muß, wenn sie sich allein die Kontrolle vorbehalten will. Eine sinnvolle Möglichkeit zur Umgehung ausnahmsweiser Konflikte zwischen der strikten Rechtsbefolgung und -durchsetzung und dem Gemeinwohl besteht in der gesetzlichen Zulassung von Ausnahmegenehmigungen und Dispensen. Deshalb bestehen aus Sicht der Rechtsgemeinschaft um so weniger Bedenken gegen die Annahme der subjektiven Rechtsqualität einer Norm, je eher die Behörden etwa durch die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen oder Dispensen im öffentlichen Interesse den Verpflichteten von der Beachtung der Norm befreien können. Denn dann ist si214

Damit sollen freilich nicht die in der Tat beachtlichen Gefahren einer zu leichthin bejahten „brauchbaren Illegalität" übersehen werden, vor denen Bull, AllgVerwR, Rn. 242 f. mit Recht warnt; vgl. femer Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 522 ff. 2,5 Vgl. Vultejus, ZRP 1999, 136 f.

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chergestellt, daß die Subjektivierung der Rechtsnorm nicht dazu führt, daß sich der individuelle Berechtigte gegen Gemeinwohlanliegen durchzusetzen vermag. Andererseits sind solche Ausnahmegenehmigungen und Dispense regelmäßig ex ante zu erteilen, und deshalb muß die Behörde eine unter Umständen schwierige Prognose über die zu erwartenden Auswirkungen einer Befreiung von gesetzlichen Vorschriften treffen. Außerdem begibt sie sich durch eine einmal getroffene Entscheidung zugleich der weiteren Kontrolle. Diese Schwierigkeiten bestehen nicht, wenn die gesetzliche Verpflichtung aufrechterhalten und erst im Falle ihrer Verletzung aus der Sicht ex post entschieden wird, ob und gegebenenfalls wie auf den Verstoß reagiert werden soll. Daher mag es eine sinnvolle dadurch Abhilfe zu schaffen, daß die zustänLösung sein, verfahrensrechtlich dige Behörde den Fall trotz an sich gegebenen Rechtsverstoßes auf sich beruhen lassen kann. Bei subjektiven Rechten scheidet diese einfache Möglichkeit aus, weil dann den Berechtigten die Zuständigkeit zur Geltendmachung des Rechts zusteht. Zweitens gibt es Fälle materiellrechtlicher Hypertrophie 216, in denen Verstöße gegen das Recht aufgrund seiner großen Komplexität praktisch nicht mehr oder kaum noch zu vermeiden sind. So ist beispielsweise im Bauplanungsrecht schon von einer „Planungsagonie" und „Planungsmüdigkeit" gesprochen worden 217 , weil kaum eine Gemeinde in der Lage ist, sämtlichen einschlägigen Anforderungen an die Bauleitplanung zu genügen218. Auch den daraus erwachsenden Problemen kann dadurch begegnet werden, daß es den Fach- oder Rechtsaufsichtsbehörden vorbehalten wird, ob eingeschritten werden soll. Bei subjektiven Rechten besteht eine solche Opportunitätskontrolle nicht mehr, und dann bleibt zur Vermeidung praktisch unerträglicher Konsequenzen nur noch die Statuierung von nicht minder problematischen Heilungs- und Präklusionsvorschriften. Demgegenüber läßt sich nicht einwenden, es sei inkonsequent, zuerst hohe materielle Anforderungen aufzustellen, und dann durch eine Verneinung subjektiver Rechte dafür zu sorgen, daß die materiell Interessierten etwaige Rechtsverstöße nicht geltend machen können. Denn eine Rücknahme schon der materiellen Anforderungen hätte notwendig eine Reduzierung der objektivrechtlichen Standards zur Folge. Darin liegt auch der Unterschied eines rein verfahrensmäßigen Opportunitätsermessens zu den in jüngerer Zeit in mehreren Ländern eingeführten sogenannte Experimentier- und Öffnungsklauseln 219, die einer Überforderung der öffentlichen Verwaltung zumal im Bereich der Kommunalverwaltung und kommunaler Einrichtungen dadurch entgegenwirken sollen, daß auf Antrag der Gemeinde das Innenministerium befristete, der Erprobung neuer oder Wei216 217 218

519.

Dehner, GewArch 1997, 229. Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 214 (26. Lfg. 1994) Rn. 1. Vgl. Püttner, Kommunalrecht, Rn. 107, 233; Voßkuhle, Die Verwaltung 1996,

219 Vgl. hierzu Brüning, DÖV 1997, 278 ff.; Grzeszick, Die Verwaltung 1997, 545 ff.; Lange, DÖV 1995, 770 ff.; krit. Siedentopf DÖV 1995, 193.

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terentwicklung bekannter kommunaler Selbstverwaltungsmodelle dienende Abweichungen von personal-, sach-, Verfahrens- oder haushaltsrechtlichen Vorschriften zulassen kann. Der Vorteil solcher Regelungen ist, daß hier keine rechtswidrigen Zustände aus Gründen der Opportunität geduldet werden müssen, sondern daß durch eine vorherige Rücknahme der generell vorgesehenen materiellen Standards rechtswidrige Zustände vermieden werden können. Die offenkundige Schwäche einer solchen Regelungstechnik ist freilich - außer den hinsichtlich der Bestimmtheit aufgeworfenen Bedenken, die sich in Anfragen nach der Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip und dem Vorrang des Gesetzes fortsetzen - , daß es zu einer völligen Zersplitterung der materiellen Rechtslage kommen muß. Während dies zur Erprobung neuer Modelle zeitweise noch hinnehmbar sein mag, ist auf jedem Fall der Gefahr vorzubeugen, daß großzügige Öffnungsklauseln als Instrumente zur Befreiung von lästigen Verpflichtungen unter dem Vorwand innovativer Verwaltung eingesetzt werden und so zu verminderten Anstrengungen zur Gesetzesbefolgung einladen. Eine bloß verfahrensmäßig ausgeübte Opportunitätskontrolle vermeidet hingegen eine solche materielle Rechtszersplitterung und schafft fur den Verpflichteten keine Versuchung, in seinen Anstrengungen zur Einhaltung des materiellen Rechts nachzulassen, beläßt vielmehr der Aufsichtsbehörde die volle Kontrolle und Steuerungsmöglichkeit, welche sie bei der Genehmigung eines „Experimentes" in erheblichem Maße einbüßt220.

Eine verfahrensmäßig umgesetzte Opportunitätskontrolle bietet dem Staat die Möglichkeit, hohe materielle Standards aufzustellen, ohne durch deren vollständige Subjektivierung praktisch unhaltbare Zustände zu schaffen. Daß sich die Rechtsgemeinschaft die Rechtswahrnehmung nach Opportunitätsgesichtspunkten vorbehält, kann daher keineswegs dahin verstanden werden, als nehme sie ihr eigenes Recht nicht ernst. Vielmehr handelt es sich bei einer solchen „Strategie des begrenzten Regelverstoßes" 221 quasi um einen Kompromiß zwischen dem Bestreben einerseits, durch die Aufstellung hoher, in praxi vielleicht nahezu unerfüllbarer materieller Anforderungen möglichst hohe Standards im Rechtsleben zu erreichen, und der Einsicht andererseits, daß die tatsächliche Einforderung sämtlicher dieser Standards eine praktisch unerträgliche Überforderung bedeuten könnte. Drittens mag es aus politischen Gründen für die Rechtsgemeinschaft vorzugswürdig sein, sich die Opportunitätskontrolle über die Geltendmachung von Recht vorzubehalten, anstatt sich dieser Kontrolle durch die Einräumung subjektiver Rechte an einzelne zu begeben, die vielleicht wenig geneigt sein werden, solche politisch motivierten Rücksichten zu üben. Die Vorstellung politischen Opportunitätsermessens bezüglich der Rechtsdurchsetzung mag auf den ersten Blick befremden, und es wäre in der Tat völlig inakzeptabel, alles Recht unter einen solchen Politikvorbehalt zu stellen. Gleichwohl hat dieser Aspekt seinen legitimen Platz innerhalb der Rechtsordnung, und es ist daher nicht unzulässig, ihn auch bei der Subjektivierungsentscheidung zu berücksichtigen.

220 221

Vgl. Siedentopf DÖV 1995, 193. Siedentopf DÖV 1995, 193.

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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf § 153c Abs. 2 und 3, § 153d StPO, wonach die Staatsanwaltschaft bzw. der Generalbundesanwalt von der Verfolgung bestimmter Auslandstaten sowie der meisten Staatsschutzdelikte absehen bzw. eine bereits erhobene Klage zurücknehmen und das Verfahren einstellen kann, „wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen". Einer Mitwirkung des Gerichts bedarf es hierbei nicht, gerade weil es hierbei vielfach um politische Gesichtspunkte geht 222 . Hiermit wird bei zahlreichen schweren und schwersten Straftaten - einige der erfaßten Tatbestände sehen lebenslange Freiheitsstrafe vor - das Legalitätsprinzip durchbrochen und das politische Ermessen der Staatsanwaltschaft - d.h. letztlich der nach § 147 GVG weisungsbefugten zuständigen Justizminister, die ihrerseits wiederum bei politisch brisanten Angelegenheiten, die die Zuständigkeitsbereiche mehrerer Ministerien berühren, an Kabinettsbeschlüsse gebunden sind - aus Gründen politischer Rücksichtnahme (z.B. im Interesse des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landes, des wirtschaftlichen Wohles, des inneren politischen Friedens, des Arbeitsfriedens 223) über das StrafVerfolgungsinteresse gestellt. Eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung ist nicht möglich, das Klageerzwingungsverfahren durch § 172 Abs. 2 S. 3 StPO ausgeschlossen. Ähnlich kann sich die Regelung des § 96 StPO auswirken, wonach die Herausgabe von Schriftstücken durch Behörden, öffentliche Beamte, Abgeordnete und Fraktionsangestellte an die StrafVerfolgungsorgane verweigert werden kann, wenn die oberste Dienstbehörde bzw. das für die Erteilung von Aussagegenehmigungen zuständige Parlamentsorgan erklärt, „daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde". Entsprechendes gilt hinsichtlich der Geheimhaltung der Identität eines Verdeckten Ermittlers im Strafverfahren (vgl. § 110b Abs. 3 S. 3 StPO). Vergleichbare Regelungen finden sich noch in zahlreichen weiteren Vorschriften (z.B. § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO, § 39 Abs. 3 BRRG, § 62 BBG, § 44c Abs. 3 AbgG, § 7 Abs. 1 BMinG, § 28 Abs. 2 BVerfGG 224 ), denen allen der Gedanke gemeinsam ist, daß die Durchsetzung des Rechts unter bestimmten Umständen hinter anderen gewichtigen Gemeinwohlinteressen zurückstehen muß 2 2 5 ' 2 2 6 .

222

Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 153c Rn. 1. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 153c Rn. 1, 14; Krehl, in HK StPO, § 153c Rn. 7; Schoreit, in KK StPO, § 153c Rn. 15. 224 Bei § 28 Abs. 2 BVerfGG findet sich die Besonderheit, daß das BVerfG die Verweigerung einer Aussagegenehmigung mit Zwei-Drittel-Mehrheit für unbegründet erklären und solchenfalls die Aussage erzwingen kann. 225 Vgl. BVerfG, DVB1. 2000, 346, 349; BVerwG, DÖV 1999, 1045, 1047. 226 An diesem Gedanken einer möglichen Priorität wichtiger Gemeinwohlbelange vor der Rechtsdurchsetzung ändert auch die jüngst zu § 99 VwGO ergangene (übrigens mutatis mutandis auch für einige weitere hier genannten Vorschriften Geltung beanspruchende) Entscheidung des BVerfG nichts, daß die behördliche Geheimhaltungsentscheidung im Interesse effektiven (Grund)Rechtsschutzes in einem in camera-Verfahren durch das Gericht überprüft werden können muß (vgl. hierzu im einzelnen BVerfG, DVB1. 2000, 346, 349 f.). Diese Kontrolle betrifft nämlich nur die Frage, wer im Verhältnis von Behörde und Gericht verbindlich über die Geheimhaltungsbedürftigkeit zu entscheiden hat, und ändert nichts an dem Befund, daß die Rechtsdurchsetzung angesichts wirklich geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen ausgeschlossen sein kann. 223

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Ohne daß es eines näheren Eingehens auf diese Bestimmungen bedürfte, erscheint somit doch der Gedanke der Opportunitätskontrolle in der Hand der Rechtsgemeinschaft als ein Faktor, der zwar gewiß nicht ohne weiteres zur Verneinung subjektiver Rechte fuhren kann, dem aber in Abwesenheit einer ausdrücklichen Regelung durchaus gewisses Gewicht bei der Auslegung von Rechtsnormen zukommen kann. Den genannten Vorschriften ist freilich gleichfalls zu entnehmen daß es gewichtiger Gründe bedarf, um dem staatlichen Opportunitätsinteresse ausnahmsweise den Vorrang vor dem fundamentalen Anliegen der Durchsetzung des Rechts einzuräumen 227. Von daher wäre es unzulässig, das Vorliegen subjektiver Rechte leichthin zwecks Sicherung eines politischen Opportunitätsermessens zu verneinen und einem Rechtssatz den subjektivrechtlichen Charakter unter pauschaler Berufung darauf absprechen zu wollen, dem Staat müsse die Opportunitätskontrolle erhalten bleiben. Vielmehr bedürfte es der konkreten Darlegung, weshalb die Subjektivierung gerade des betrachteten Rechtssatzes der Rechtsgemeinschaft die Opportunitätskontrolle auf einem Gebiet entzöge, das für die politische Gestaltungsfreiheit von solcher Wichtigkeit ist, daß nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe durch diesen Rechtssatz subjektive Rechte begründen und damit einzelnen Rechtssubjekten die Macht verleihen wollen, die Erfüllung der betroffenen Rechtspflicht einfordern und gegebenenfalls klageweise durchsetzen zu können.

5. Die Subjektivierungsentscheidung als Resultat vernünftiger Abwägung Vergegenwärtigt man sich die vorstehend dargelegten Vor- und Nachteile, die aus Sicht der unmittelbar Betroffenen, d.h. des Verpflichteten, des (eventuell) Berechtigten sowie eines materiell Begünstigten, ferner der Rechtsgemeinschaft insgesamt mit einer Subjektivierung von Recht verbunden sein können, so erhellt unmittelbar, daß die Subjektivierungsentscheidung stets Ergebnis einer Abwägung sein muß. Während aber der Gesetzgeber eine rechtspolitische Entscheidung treffen und hierzu die Vor- und Nachteile rechtspolitisch bewerten muß, steht der Normanwender vor einer Abwägungsentscheidung interpretatorischer Art, die nicht auf eine eigene rechtspolitische Bewertung gerichtet sein kann, sondern möglichst auf einen Nachvollzug der (mutmaßlichen) gesetzgeberischen Wertung zielen muß 228 . In Ermangelung ausdrücklicher gesetzlicher Anordnungen über die (nur) objektiv- bzw. (auch) subjektivrechtliche Natur eines Rechtssatzes wird die Ermittlung seines diesbezüglichen Bedeutungsgehal227

Zum grundsätzlichen Vorrang des Interesses an der Wahrheitsfindung und der Rechtsdurchsetzung etwa gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse vgl. BVerwGE 66, 39, 42; BVerwG, DÖV 1999, 1045, 1047. 228 S. hierzu oben F.I.2.

I. Begründung subjektiver Rechte als Frage des Gemeinschaftsinteresses

599

tes letztlich immer eine teleologische Interpretation erfordern. In deren Rahmen muß sich der Interpret die denkbaren Auslegungsalternativen vergegenwärtigen - im hier interessierenden Fall also die beiden Möglichkeiten der objektiv- bzw. subjektivrechtlichen Natur des betrachteten Rechtssatzes - und dann diejenige Auslegungsmöglichkeit wählen, für die es die besten Gründe zur Annahme gibt, daß sie dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers entspricht 229. Um diese Auswahlentscheidung rational treffen zu können, bedarf es zunächst einer Folgenanalyse, die die Auswirkungen für die betroffenen Rechtssubjekte und das Staatsganze einschließlich der Justiz bedenkt. Es ist also nach den Folgen zu fragen, die es voraussichtlich hätte, wenn der betreffende Rechtssatz rein objektivrechtlich verstanden würde, desgleichen nach den entsprechenden Folgen, würde er subjektivrechtlich verstanden; diese jeweiligen Folgen sind sodann nach den damit verbundenen Vor- und Nachteilen zu bewerten. Die Aufgabe des Interpreten bei der teleologischen Auslegung ist hier also eine zweifache. Auf der ersten Stufe muß er eine mehr im Tatsächlichen liegende Folgenprognose anstellen, und auf der zweiten Stufe bedarf es dann einer normativen Folgen bewertung. Bewertungsfaktoren, die eine Beurteilung der jeweils prognostizierten Folgen ermöglichen, sind insbesondere die erörterten Vor- und Nachteile, welche mit einer Subjektivierung von Recht einhergehen 230. Der Interpret muß also ganz konkret die Vor- und Nachteile, die sich aus der Annahme bloß objektiven Rechts ergäben, mit den Vor- und Nachteilen vergleichen, die die subjektivrechtliche Variante hätte. Da der Wille des Gesetzgebers mutmaßlich auf eine Optimierung der Vor- und Nachteile gerichtet ist, ist dann diejenige Auslegungsalternative zu wählen, bei der der positive Effekt wertungsmäßig am größten ist. Zu berücksichtigen ist dabei, daß bei der Bewertung etwaiger Vor- und Nachteile nicht einfach die denkbaren Extremfälle zugrunde gelegt werden dürfen, sondern vielmehr unter Einbeziehung eines Wahrscheinlichkeitsfaktors eine realistische Prognose anzustellen ist, mit welcher Wahrscheinlichkeit die jeweilige Folge eintreten wird. Es besteht insbesondere Anlaß für den Hinweis, daß bei der Bewertung der durch eine Subjektivierung von Recht möglicherweise bewirkten nachteiligen Folgen für die Verpflichteten sowie hinsichtlich der Arbeitsbelastung der Behörden und Gerichte nicht unterstellt werden darf, daß es in allen Fällen zu einer gerichtlichen Geltendmachung des subjektiven Rechts kommen werde. Selbst von materiell tatsächlich Verletzten verfolgt nur ein mehr oder minder kleiner Teil seine Rechte bis zur letzten Stufe gerichtlicher Geltendmachung. Die bloß theoretische Möglichkeit einer totalen Blockierung 229

Zur teleologischen Auslegung als Auswahlentscheidung zwischen den möglichen Auslegungsalternativen eingehend Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 170 ff. 230 Eingehend vorstehend F. 1.3. und 4.

600

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

der Gerichte darf deshalb nicht schon als Gewißheit ausgegeben und dementsprechend als gravierender Nachteil für die Gesamtheit unterstellt werden; der diesbezügliche in die Abwägung einzustellende Nachteil wiegt deshalb in Wirklichkeit sehr viel weniger schwer als es bei oberflächlicher Betrachtungsweise scheinen könnte. Leicht fällt die Abwägungsentscheidung dann, wenn die eine Auslegungsalternative große Vorteile mit geringen Nachteilen verbindet, während die andere Alternative geringe Vorteile und große Nachteile erwarten läßt. Dies muß jedoch nicht immer so sein. Insbesondere kann es nämlich der Fall sein, daß die Annahme objektiven Rechts zwar wenige Vorteile (geringe Durchsetzungschance), dafür aber auch nur wenige Nachteile hat (geringe Belastung der Gerichte, ungestörter Verwaltungsablauf), während umgekehrt die Subjektivierung des Rechts zwar viele Vorteile brächte (hohe Durchsetzungswahrscheinlichkeit), dafür aber auch mit großen Nachteilen verbunden sein kann (hohe Belastung der Gerichte, effizienzbeeinträchtigende Verzögerungen aufgrund von Rechtsschutzmöglichkeiten). Solchenfalls muß das Interpretationsergebnis keineswegs notwendig auf eine Minimierung der Nachteile hinauslaufen, vielmehr kann die Maximierung der Vorteile näherliegen; denn je größer der bei Zugrundelegung einer bestimmten Auslegungsmöglichkeit zu erwartende Vorteil ist, desto größere Nachteile können hierfür in Kauf genommen werden. In solchen Fällen wird die Auswahlentscheidung notwendig schwerfallen und mit einem erheblichen Irrtumsrisiko behaftet sein. Deshalb muß sich der Interpret um eine möglichst kohärente Einfügung des auszulegenden Rechtssatzes in das durch die Verfassung und die Rechtsordnung im übrigen ausgedrückte Gefüge gesetzgeberischer Wertungen bemühen231. Dies wird oftmals bedeuten, einen Rechtssatz als rein objektivrechtlich zu verstehen, wenn er Bestandteil eines Komplexes objektivrechtlicher Normen ist, hingegen subjektivrechtlich, wenn er im Zusammenhang mit eindeutig subjektivrechtlichen Normen steht. Sofern nach alledem, also nach gebührender Ermittlung und Bewertung aller Vor- und Nachteile einer Subjektivierung des fraglichen Rechtssatzes sowie deren Abwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Kohärenzgesichtspunkte immer noch Unklarheiten über den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers verbleiben, muß die Subjektivierungsfrage letztlich kraft richterlicher Dezision 232 entschieden werden 233 .

231

Zum Kohärenzgedanken bei der teleologischen Interpretation vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 410; Larenz, Methodenlehre, S. 437 ff; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 263 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 173 ff. 232 Zu deren methodischer Zulässigkeit als ultima ratio der Rechtsprechung vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 416 f.; Engisch, Einführung, S. 171 ff, 175; Looschelders/ Roth, Juristische Methodik, S. 186; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 3 II d. 233 Vgl. Schnapp, Amtsrecht, S. 217.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten Die im Vorstehenden dargelegte und näher erläuterte Abhängigkeit der Subjektivierungsentscheidung - und zwar rechtspolitisch des Gesetzgebers1, dessen (bei der teleologischen Interpretation mutmaßlichen) Willen interpretatorisch nachvollziehend des Rechtsanwenders - von einer aus Sicht der Rechtsgemeinschaft vorzunehmenden Abwägung der für die einzelnen Betroffenen sowie für die Rechtsgemeinschaft zu erwartenden Vor- und Nachteile, welche sich im Falle einer objektiven bzw. subjektiven Rechtsnatur der betreffenden Norm ergäben, gilt für alle Rechtssätze und damit auch für solche, die Kompetenzen von Organen und Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts festlegen. Ob ein Kompetenzrechtssatz lediglich objektivrechtliche Pflichten gegenüber der Rechtsgemeinschaft zur Achtung der Kompetenzordnung oder ob sie ein subjektives Recht des Organs an seiner Kompetenz begründet, ist deshalb nach demselben Ansatz zu entscheiden. Obgleich sich in Anbetracht der Vielgestaltigkeit von Kompetenznormen keine allgemeingültigen Subjektivierungsformeln aufstellen lassen, erscheint es sinnvoll, noch vor der Betrachtung konkreter Beispiele subjektiver Organrechte eine Klärung der bei der anzustellenden Abwägung zu berücksichtigenden Faktoren zu versuchen. Denn wie bei jeder Abwägung müßte auch diese fehlgehen, wenn wesentliche in sie einzustellende Gesichtspunkte übersehen würden. Bei diesen Faktoren handelt es sich im Grunde um diejenigen, die bereits bei der Schilderung der mit der Subjektivierung von Recht typischerweise verbundenen Vor- und Nachteile skizziert wurden 2. Allerdings wurden diese bislang in allgemeiner Weise behandelt, weil es darum ging, die Vorgehensweise bei der Subjektivierungsentscheidung überhaupt zu bestimmen, insbesondere auch mit Bezug auf subjektive private Rechte. Fokussiert man die Betrachtung nun jedoch auf die speziellere Thematik der subjektiven Rechtsnatur öffentlich-rechtlicher Kompetenznormen, so bietet sich der Versuch einer näheren Präzisierung an, indem speziell die gerade aus der Subjektivierung des Rechts in diesem Bereich typischerweise erwachsenden Vor- und Nachteile betrachtet werden. Es 1

Den hier bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betonte Friesenhahn, in FS Thoma, S. 52 f., zugleich aber ftir eine eher restriktive Verleihung subjektiver Rechte im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis plädierend. 2 S. oben F.I.3. und 4.

602

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

sind mit anderen Worten nunmehr diejenigen Gründe zu untersuchen, die über die bloße Rechtfertigung des Erlasses einer öffentlich-rechtlichen Kompetenzvorschrift hinaus für und wider ihre Statuierung als subjektivrechtlichen Rechtssatz sprechen. Hierzu sind die Vor- und Nachteile zu betrachten, welche eine Subjektivierung derartiger Vorschriften erwarten läßt.

1. Die Durchsetzung der Kompetenzordnung als entscheidender Vorteil subjektiver Organrechte Wichtigster und letztlich ausschlaggebender Vorteil der Subjektivierung von Kompetenznormen ist die sich daraus ergebende signifikante Erhöhung der Chance der tatsächlichen Durchsetzung der Kompetenzordnung. Indem Kompetenzen als subjektive Rechte verliehen werden, bekommen die berechtigten Organe bzw. Organteile nach der gegenwärtigen Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems der VwGO 3 ein Mittel an die Hand, ihre Kompetenzen selbst gerichtlich geltend zu machen und durchzusetzen. Dies ist ein Vorteil, der dank des hohen Ranges der mit der Kompetenzordnung ihrerseits verfolgten Zwecke gar nicht hoch genug zu veranschlagen ist (nachfolgend a). Zwar wäre auch eine rein objektivrechtliche Kompetenzordnung nicht gänzlich ohne Durchsetzungschance. Aber die in bezug auf bloß objektivrechtliche Kompetenznormen gegebenen Durchsetzungsmechanismen sind deutlich weniger effektiv (unten b), und deshalb wird allein durch eine Subjektivierung der Kompetenznormen in der erforderlichen Weise bestmöglich gewährleistet, daß Kompetenzverletzungen wo noch möglich - beseitigt und jedenfalls - wo erforderlich - künftig unterbunden werden können.

a) Das Gemeinwohlinteresse an der Subjektivierung

der Kompetenzordnung

Die als Hauptvorteil jeder Subjektivierung von Recht anzusehende Gewährleistung einer bestmöglichen Durchsetzung des Rechts4 ist zunächst einmal lediglich formeller Art und für sich alleine nicht sinnvoll zu bewerten. Denn es besteht immer ein gewisses Mindestmaß an gemeinschaftlichem Interesse, daß das Recht geltend gemacht werden und, wo möglich und nötig, durchgesetzt werden kann. Indessen dient die Durchsetzung des Rechts nicht einem bloßen Selbstzweck, ist keine Durchsetzung allein um der Durchsetzung willen. Welcher Wert der Durchsetzbarkeit einer Kompetenzvorschrift beizumessen ist, hängt vielmehr von dem Grund ab, weshalb sie überhaupt erlassen wurde. Je bedeutsamere und wichtigere Ziele der Gesetzgeber mit dem Erlaß einer Kompe3 4

Hierzu oben C.IV. S. oben F.I.3.b.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

603

tenznorm verfolgt, desto wichtiger ist ihre Durchsetzung und desto größer ist der mittels ihrer Subjektivierung zu gewinnende Vorteil. Insofern müssen sich die Überlegungen, die den Normgeber überhaupt dazu bewogen, die Kompetenzen rechtlich festzulegen, in ihrem Gewicht auch in der Entscheidung über ihre subjektivrechtliche Natur widerspiegeln 5. Diese Rückbezüglichkeit des formellen Aspektes der Durchsetzbarkeit von Kompetenznormen auf den materiellen Sinn und Zweck eben dieser Normen macht es erforderlich, sich die Gründe zu vergegenwärtigen, die hinter der Kompetenzordnung im allgemeinen sowie hinter einzelnen Kompetenzvorschriften im besonderen stehen. Die Kompetenzordnung ist ebensowenig wie die Rechtsordnung überhaupt um ihrer selbst willen geschaffen, und deshalb soll sie auch nicht um ihrer selbst willen durchgesetzt werden. Vielmehr haben sich Kompetenznormen im Laufe der Entwicklung jeweils mit Blick auf bestimmte grundlegende Verfassungsprinzipien herausgebildet, und sie sollen diese ausfüllen und konkretisieren. Dadurch erlangen die einfachgesetzlichen Kompetenzvorschriften zwar nicht selbst Verfassungsrang. Wohl aber partizipieren sie ihrer Wertigkeit nach an dem hohen Rang jener Ziele und begründen damit ein herausgehobenes gemeinschaftliches Interesse an einer effektiven Möglichkeit der Geltendmachung und gegebenenfalls Durchsetzung der betreffenden Vorschriften, damit aber folglich ein diesbezügliches Subjektivierungsinteresse. Hier zu nennen sind namentlich das Demokratie- und das Gewaltenteilungsprinzip, das Prinzip funktioneller Richtigkeit sowie die Sicherung eines Interessenpluralismus. Daß sich diese Prinzipien vielfach berühren und sogar überschneiden, kann aufgrund ihres Facettenreichtums nicht überraschen. Das schadet auch nicht. Sie wirken sämtlich in dieselbe Richtung als Gründe für das Bestehen eines starken Subjektivierungsinteresses der Rechtsgemeinschaft, ohne eine trennscharfe Abgrenzung zu erfordern, welche deshalb auch nachfolgend nicht versucht werden soll.

aa) Funktionelle Richtigkeit Als ein wesentlicher Vorzug jedes Organpluralismus wurde bereits eingangs erwähnt 6, daß er eine am Gedanken funktioneller Richtigkeit orientierte Kompetenzaufteilung ermöglicht. Aufgaben sind also durch diejenigen Organe und Organteile wahrzunehmen, die nach ihrer Struktur und Zusammensetzung dafür am besten geeignet erscheinen. Hierdurch gewährleistet jede (sinnvolle) Kompetenzordnung nicht nur das Funktionieren der Organisation in irgendeiner vielleicht mehr schlechten als rechten Weise, sondern sichert vielmehr deren gutes, sinnvolles und effizientes Funktionieren. Es unterliegt deshalb keinem 5 6

Zu diesem Zusammenhang oben F.I.2. S. oben A.I.3.a.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Zweifel, daß die Rechtsgemeinschaft ein „eminentes Interesse" an der Einhaltung der diesen arbeitsteiligen Organisationsablauf regelnden Normen besitzt7, woraus sich ein starkes Subjektivierungsinteresse bezüglich derartiger Kompetenzvorschriften ergibt 8.

bb) Gewaltenteilungsprinzip Mit dem Gedanken funktioneller Richtigkeit verwandt, das Gewicht aber weniger auf die Eignung zur Wahrnehmung konkreter Aufgaben legend, sondern auf die Notwendigkeit wechselseitiger Machtbeschränkung und -kontrolle, stellt die Gewaltenteilung eines der wichtigsten Ziele dar, das mit Kompetenzaufteilungen verfolgt werden kann. Allerdings spielt das Gewaltenteilungsprinzip im Rahmen der hier nicht näher zu untersuchenden Verfassungsorganstreitigkeiten9 eine wesentlich größere Rolle als im Kontext der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten. Denn jedenfalls bei Streitigkeiten zwischen Regierung und Parlament bzw. Regierung und Parlamentsfraktion um die ihnen jeweils zustehenden Kompetenzen ist der Kernbereich der Gewaltenteilung angesprochen. Dies läßt sich für die verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten nicht sagen. Denn die davon betroffenen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gehören aus Sicht des Verfassungsrechts allesamt dem Verwaltungsbereich an 10 , so daß es sich um verwaltungsinterne Streitigkeiten handelt, und auch dann nicht um einen Konflikt zwischen Exekutiv- und Legislativorganen, wenn kollegialische Repräsentationsorgane involviert sind 11 . So sind namentlich Gemeinderat, Kreistag, Rundfunkrat, Universitätssenat und Fakultätsrat etc. Verwaltungsorgane ihrer jeweiligen Körperschaft oder Anstalt 12 , so daß ein Kompetenzstreit zwischen diesen und dem Bürgermeister, Landrat, In7

Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 186; ders., NJW 1980, 1021 f.; femer OVG Münster, OVGE 27, 258, 263; 28, 208, 212; vgl. auch OVG Koblenz, AS 9, 335, 342. 8 Vgl. VGH Mannheim, NJW 1982, 902. - A.A. insofern Bethge, DVB1. 1980, 313; ders., HKWP II, S. 179; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 93; Dolde, in FS Menger, S. 439; Krebs, VerwArch 1977, 193; Lüders, Ratsausschüsse, S. 100; Martensen, JuS 1995, 989 f.; Rupp, Grundfragen, S. 100; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 410, die die Gewährleistung des arbeitsteiligen Funktionsablaufs „nur" als Interesse der Organisation ansehen, dabei aber nicht hinreichend würdigen, daß eben auch aus deren Sicht die Kompetenzen ihrer Organe und Organteile subjektiviert sein müssen, soll der ordnungsgemäße Funktionsablauf bestmöglich garantiert sein. 9 Zu diesen oben B.II. 10 BVerfGE 65, 283, 289; BVerwGE 90, 359, 362. 11 Vgl. Bethge, HKWP II, S. 179 Fn. 28; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 101; Lüders, Ratsausschüsse, S. 103. 12 Vgl. BVerfGE 78, 344, 348; BayVerfGH, BayVBl. 1984, 621, 623; BVerwGE 90, 359, 362; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 103; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 15 f., 42 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 314.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

605

tendanten, Universitätspräsidenten bzw. Rektor oder Dekan keine Gewaltenteilungsfrage im verfassungsrechtlichen Sinn aufwirft 13 . Diese Einordnung in den Bereich der Exekutive steht der Geltung des Gewaltenteilungsprinzips zumal für die Gemeinde und die innergemeindlichen Kompetenzzuordnungen jedoch nicht zwingend entgegen14. Denn zum einen stellt die Grobaufteilung nach den drei Staatsgewalten nur ein erstes Raster dar, welches die weiteren Kompetenzaufteilungen innerhalb dieser Gewalten - also zwischen verschiedenen Gesetzgebungsorganen (Bundestag, Bundesrat), Exekutivorganen (Regierung, einzelne Minister, staatliche Behörden, aus dem Staat ausgegliederte Verwaltungsträger), Judikativorganen (Verfassungsgerichte, die Gerichte der Fachgerichtsbarkeit) - mitdenkt und es nicht ausschließt, auch diesen wahre Gewaltenteilungsfunktion zuzuschreiben 15. Zum anderen ändert die Klassifizierung des Gemeinderats als Verwaltungsorgan nichts daran, daß dieser auf Gemeindeebene die „Vertretung der Bürger" ist (§ 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW, vgl. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG): „Hiernach verkörpert der Gemeinderat auf der kommunalen Ebene in gleicher Weise das System der repräsentativen Demokratie" wie die Landtage auf Landes- und der Bundestag auf Bundesebene16. Der Gemeinderat ist eine Volksvertretung 17 und besitzt deshalb trotz seiner staatsrechtlichen Einordnung in die Verwaltung sowohl demokratierechtlich als auch funktional sehr wohl demokratisch-repräsentative Bedeutung18, die ihn in ein gewisses gewaltenteilungsmäßiges Gegenüber zum Bürgermeister und der Gemeindeverwaltung bringt 19 . Das für den Gemeinderat Gesagte gilt entsprechend für den Kreistag sowie die Repräsentationsorgane anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen; auch soweit diese nicht unmittelbarer Volkswahl entspringen, weisen sie doch hinreichende demokratische Fundierung und Legitimierung auf 20 , um in ihnen das Gewaltenteilungsprinzip involviert zu sehen. 13 BVerwG, Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 105; OVG Münster, MDR 1957, 635, 637; Rehn/Cronauge, GemO NW, § 27 (16. EL 1997) Anm. I 3; eingehend Reinhart, Gewaltenteilung, S. 34 ff., 47 ff.; Schröder, Grundlagen, S. 435 ff. 14 Vgl. BVerfGE 18, 172, 183; 48, 64, 82 f.; 57, 43, 62. 15 Vgl. Krebs, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 78: „Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten". 16 Bay VerfGH, BayVBl. 1984, 621, 622; ferner BVerwGE 90, 104, 105; BVerwG, NVwZ-RR 1993, 209; OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1196; OVG Koblenz, NVwZRR 1996, 460, 461; vgl. BVerfGE 47, 253, 271 f.; 83, 37, 53. 17 BVerwGE 87, 228, 231 f. 18 Vgl. hierzu Bay VerfGH, BayVBl. 1984, 621, 622; VGH Kassel, ESVGH 16, 197, 200; VGH Mannheim, BWVPr 1978, 88, 89; Ladeur, BayVBl. 1992, 388; Reinhart, Gewaltenteilung, S. 108 ff.; Schwerdtner, DÖV 1990, 15 f.; ders., VB1BW 1993, 328 f. 19 Vgl. BVerfGE 18, 172, 183; 48, 64, 82 f.; 57, 43, 62; ferner Ladeur, BayVBl. 1992, 388 f.; Reinhart, Gewaltenteilung, S. 96 ff., 142 ff.; Schwerdtner, VB1BW 1993, 329; a.A. Schröder, Grundlagen, S. 441. 20 S. hierzu sogleich nachfolgend F.II.l.axc.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Im übrigen darf das Gewaltenteilungsprinzip ohnehin nicht formalistisch eng auf seinen staatsrechtlichen Sinn beschränkt verstanden werden, sondern ist das ihm seinerseits vorausliegende eigentliche Ziel der Verhinderung rechtsstaatsund freiheitsgefährdender Machtkonzentration zu beachten. Letzteres aber ist fraglos auf der unterstaatlichen Ebene kein minder dringendes Anliegen, und deshalb kommt der verwaltungsinternen Gewaltenteilung in Gestalt einer Machtverteilung zwischen den verschieden konstituierten und legitimierten Organen erhebliches Gewicht zu 21 , welches im Interesse einer bestmöglichen Durchsetzungsgewähr eine subjektivrechtliche Absicherung indiziert 22 .

cc) Demokratieprinzip Das Demokratieprinzip 23 kommt als Grund verwaltungsinterner Kompetenzabgrenzungen vor allem dort ins Spiel, wo es um Organe mit unterschiedlichem demokratischem Legitimationsniveau geht. Im Staat des Grundgesetzes muß zwar alle hoheitliche Gewalt demokratisch legitimiert sein (Art. 20 Abs. 2 S. 1, Art. 28 Abs. 1 GG), und dies erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk als dem Souverän zu allen staatliche Aufgaben wahrnehmenden Organen24. Jedoch das Ausmaß an demokratischer Legitimation ist je nach der Länge dieser Legitimationskette und der Art der diese Legitimation transportierenden Akte (unmittelbare Volkswahl, Wahl durch das Vertretungsorgan, Delegation, Ernennung) durchaus unterschiedlich und insbesondere dort hervorgehoben, wo es - unabhängig von der verfassungsrechtlichen Klassifizierung - um echte Repräsentationsorgane geht, die entweder (wie namentlich die Gemeinderäte, Senate und Fakultätsräte) unmittelbar oder (wie z.B. der Rundfunkrat im Verhältnis zum Intendanten) doch immerhin auf einer höheren Stufe mittelbar demokratisch legitimiert sind. Ist nun eine gegebene Kompetenz gerade dadurch motiviert, bestimmte als besonders wichtig eingeschätzte Aufgaben und Entscheidungen einem demokratisch höher legitimierten Organ vorzubehalten, so 21

Vgl. Bethge, Die Verwaltung 1975, 463; ders., DVB1. 1980, 313; ders., HKWP II, S. 179; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 100, 103 ff.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 44; Heimlich, DÖV 1999, 1032; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 66 f.; Kisker, Insichprozeß, S. 39; Krebs, Jura 1981, 576 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 100, 102; Schoch, JuS 1987, 786; Schröder, Grundlagen, S. 439; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 97 f.; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 196 f. 22 Ewald, DVB1. 1970, 242; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 40 Rn. 31; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 28; Löer, Kontrolle, S. 27; Lüders, Ratsausschüsse, S. 107 f.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 57 f., 67 f., 78, 99; vgl. Löwer, VerwArch 1977, 334; Schoch, JuS 1987, 786; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 410. 23 Zu den Anforderungen des Demokratieprinzips an die demokratische Legitimation der Tätigkeit funktionaler Selbstverwaltungskörperschaften VGH Mannheim, GewArch 1998, 65, 68 (fur die Handwerkskammern). 24 Vgl. oben A.II.3.b.cc.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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besitzt diese Kompetenzzuweisung daher zugleich demokratierechtliche Implikationen, die im Zuge der Auslegung bei der Frage nach der subjektiven Rechtsnatur der Kompetenzvorschriften zu beachten sind 25 . Je bedeutsamer eine bestimmte Aufgabe, desto eher wird man folglich anzunehmen haben, daß die Kompetenz dem demokratisch besser legitimierten Organ als subjektives Recht zugewiesen sein soll. Daraus folgt allerdings nicht im Umkehrschluß, daß es aus Sicht des Demokratieprinzips unbedenklich wäre, wenn demokratisch besser legitimierte Organe in gesetzwidriger Weise Aufgaben der anderen Organe an sich zögen. Im Wahlakt wird keine allumfassende demokratische Legitimation verliehen, alles und jedes an sich ziehen zu dürfen. Im Gegenteil legitimiert der Wähler immer nur ein Handeln im Rahmen der verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Kompetenzordnung 26, und ein Organ, das hierüber hinausgreift, verletzt nicht nur das eigentlich zuständige Organ in seinen Kompetenzen, sondern überschreitet notwendig auch seinen demokratisch legitimierten Auftrag. Es kann auch nicht behauptet werden, daß sämtliche für das Gemeinwesen bedeutsamen Entscheidungen den unmittelbar gewählten Repräsentationsorganen des Volkes vorbehalten wären. Denn da in die Kompetenzabgrenzung auch Aspekte der Gewaltenteilung sowie namentlich auch der funktionellen Richtigkeit 27 einfließen, kann es selbst für wesentliche Angelegenheiten keinen parlamentarischen Totalvorbehalt geben28. Gleichwohl bleibt die Bedeutung einer Materie allemal ein gewichtiger Faktor bei der Auslegung umstrittener Kompetenznormen, und zwar auch mit Blick auf ihre subjektivrechtliche Natur.

dd) Interessenpluralismus Ein wesentlicher Grund für eine Kompetenzaufteilung kann schließlich darin bestehen, einen organisationsinternen Interessenpluralismus sicherzustellen 29. 25

Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 106 f.; ferner Bracher, NWVB1. 1994, 412. - Daß für die Kompetenzaufteilungen zwischen den Hochschulorganen allein „am Sachprinzip orientierte" Zweckmäßigkeitserwägungen maßgeblich seien und das Prinzip repräsentativer Demokratie überhaupt keine Rolle spiele, kann Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 61 f. nicht zugegeben werden, auch wenn dieser Grundsatz bei Hochschulen vielleicht weniger tragend ist als etwa bei den Kommunen. 26 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 596; ders., BayVBl. 1999, 261; vgl. ferner O V G Münster, NJW 1979, 1057, 1058. 27 Vgl. hierzu oben A.I.3.a. 28 S. oben A.I.2.C. 29 Vgl. V G H Kassel, ESVGH 44, 291, 294 f.; V G H Mannheim, NJW 1982, 902; Bethge, Die Verwaltung 1975, 462 f.; ders., DVB1. 1980, 313; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 99; Bracher, NWVB1. 1994, 412; Deng, Gemeindeverfassungsstreitig-

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Zumal Körperschaften mit größerem und nicht auf freiwilligem Beitritt beruhendem Mitgliederbestand vereinigen in sich regelmäßig zahlreiche divergierende politische, wirtschaftliche und soziale Interessen 30, doch auch in bezug auf Anstalten und Stiftungen kann es leicht zu unterschiedlichen Vorstellungen über deren konkrete Zielsetzung oder die Art der Ziel Verwirklichung kommen 31 , und es dient normalerweise der langfristigen Stabilität und dem gedeihlichen Funktionieren der betreffenden Organisation, wenn solchenfalls nicht einzelne Vorstellungen radikal zu Lasten anderer durchgesetzt werden, sondern wenn ein sinnvoller und gerechter Ausgleich wenigstens angestrebt wird. Die Verhinderung einer rücksichtslosen Durchsetzung einzelner Partikular- und Gruppeninteressen setzt mindestens voraus, daß möglichst viele Interessen Gehör erhalten. So sind eine Reihe von Mechanismen denkbar, in je abgestufter Weise derartige Interessen abzusichern. Dies beginnt mit Mitwirkungsbefugnissen, mit denen schlicht die Kenntnisnahme abweichender Ansichten erzwungen werden kann, über Mitbestimmungsmöglichkeiten, die eine formale Einflußnahme bei der Entscheidungsfindung ermöglichen, bis hin zu Vetomöglichkeiten und Zustimmungsbefugnissen, welche einseitige Interessendurchsetzungen ganz verhindern. Nicht selten korrespondiert nun dieser Interessenpluralismus mit dem Organpluralismus. Erstens können bei Bestehen mehrerer Organe diese infolge der unterschiedlichen Art ihrer Bestellung verschiedene Interessengruppen repräsentieren. Zweitens können sich innerhalb von Kollegialorganen gerade an der Scheidegrenze unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher Interessen Organteile herausbilden, deren Zusammenwirken in dem betreffenden Organ sodann das Obwalten eines Interessenpluralismus besonders anschaulich verkörpert. Insofern gründet die Kompetenzverteilung also nicht auf der Überlegung funktioneller Richtigkeit, daß bestimmte Organe gewisse Aufgaben ihrer Struktur nach besser wahrnehmen können, sondern vielmehr auf der Überzeugung, daß sie im Hinblick auf ihre durch Wahl oder Bestellung erlangte persönliche Zusammensetzung als Ausdruck der Legitimität des Interessenpluralismus zu einem wenigstens partiellen Abbild legitimer Interessen werden 32, und so zu einer insgesamt ausgewogeneren Tätigkeit der Organisation beitragen. Die Möglichkeit, derartige Interessen in den Gesamtwillensbildungsprozeß einbringen zu können, keiten, S. 63; Dolde, in FS Menger, S. 439 f.; Ewald, WissR 1970, 39 f.; Herbert, DÖV 1994, 111; Kisker, Insichprozeß, S. 38 ff.; Löer, Kontrolle, S. 27; Löwer, VerwArch 1977, 334; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 96 ff; Tsatsos, Organstreit, S. 21 f., 27; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 95 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 44; ferner Friesenhahn, in FS Thoma, S. 53. 30 Tsatsos, Organstreit, S. 20 ff. 31 Vgl. Tsatsos, Organstreit, S. 25 f. 32 Vgl. Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 125.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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entfaltet beträchtliche integrative Wirkung zugunsten der Organisation; die Rechtsgemeinschaft hat daher nicht zuletzt zur Absicherung der fortdauernden Stabilität ihrer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen ein großes Interesse daran, daß alle Organe ihre ihnen die Einbringung derartiger Interessen und Ansichten ermöglichenden Kompetenzen selbst ausüben und geltend machen können33. Gerade dieser wichtige Gesichtspunkt des Interessenpluralismus ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur stark betont und von einigen Autoren als entscheidendes Argument nicht nur zugunsten der Befürwortung verwaltungsgerichtlicher Organstreitigkeiten vorgebracht 34, sondern als Definitionsmerkmai für subjektive Organrechte postuliert worden. So wichtig dieser Gesichtspunkt ist, so sehr handelt es sich bei letzterem Ansatz um eine einseitige Zuspitzung, weil sie leicht übersehen läßt, daß Organstreitigkeiten keineswegs notwendig und immer Folge eines (politischen, sozialen etc.) Interessenkonfliktes sind, sondern daß mitunter trotz sachlicher Übereinstimmung allein um die Kompetenzwahrung gestritten wird. Die Kritik derartiger einseitiger Betrachtungsweisen soll also nicht in Abrede stellen, daß sie einen wesentlichen Aspekt der Subjektivierung von Recht zutreffend erkannt haben. Jedoch muß man sich vergegenwärtigen, daß der Schutz konfligierender Interessen nicht Definitionsmerkmal des subjektiven Rechts ist, sondern nur ein wenngleich gewichtiger teleologischer Grund unter mehreren für die Gewährung eines subjektiven Rechts.

(1) Kontrastorgane Eine sehr starke Betonung des Gedankens des Interessenpluralismus, freilich in einer gewissen Verengung auf Interessengegensätze, enthält die von Kisker entwickelte Theorie, daß lediglich Kontrastorgane in ihrem Verhältnis zueinander Inhaber subjektiver Rechte seien35: Ausgehend von der Annahme, die Funk33

Vgl. Böckenförde, in FS Wolff, S. 301 f. Vgl. Groß, Kollegialprinzip, S. 317 f.; Kisker, Insichprozeß, S. 35 ff.; ders., JuS 1975, 705 ff.; Löwer, VerwArch 1977, 334; Tsatsos, Organstreit, S. 18 ff., 27 ff., 42 f. 35 Grundlegend Kisker, Insichprozeß, S. 38 ff.; ders., JuS 1975, 708 ff.; zust. OVG Berlin, LKV 2000, 453; OVG Saarlouis, NVwZ 1990, 174, 175; Bethge, Die Verwaltung 1975, 463; ders., DVB1. 1980, 313; ders., HKWP II, S. 179; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 37; Dolde, in FS Menger, S. 439; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 159; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 784; Grämlich, BayVBl. 1989, 10; Groß, Kollegialprinzip, S. 317; Heimlich, DÖV 1999, 1032; Herbert, DÖV 1994, 111; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 28; Kingreen, DVB1. 1995, 1339; Rudolf, in Erichsen, AllgVerwR, § 52 Rn. 46; Ruffert, DÖV 1998, 906 f.; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 94; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 2; Tsatsos, Organstreit, S. 31; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 410, 411b; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt34

41 Roth

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tion subjektiver Rechte sei die „rechtliche Sicherung von Interessen gegenüber der von einer anderen Willens- und Interessensphäre her kommenden Beeinträchtigung" 36, gelangt Kisker zu dem Schluß, die Einweisung von Organen in die Rolle von Trägern subjektiver Rechte stehe nur dort zur Diskussion, „wo die Rechtsordnung Organ und Organ bzw. Organ und Organisation in ein Spannungsverhältnis hineinstellt, das Interessenkonflikte als akzeptierte Möglichkeit einschließt t37. Derartige Kontrastorgane, die „von der Rechtsordnung in ein Spannungsverhältnis hereingestellt worden sind, das durch die Legitimität von Interessengegensätzen geprägt ist", bei denen also der Gesetzgeber gerade darauf aus sei, unterschiedliche oder gar gegenläufige Gruppeninteressen „als Stimulans und Moment der Balance in die Organisation einzubringen und dort gegeneinander zu stellen" 38 , sieht Kisker „in ganz ausgeprägter Form dort, wo Organe (etwa die Fraktionen in Parlament, Gemeinderat oder Universitätskonvent) unterschiedliche Gruppen und Gruppeninteressen repräsentieren", ferner im Verhältnis zwischen Bürgermeister und Beigeordneten, zwischen Universitätspräsident und Universitätskonvent, etc.: „Auch hier stehen sich gewählte Repräsentanten verschiedener Interessengruppen gegenüber", und in allen derartigen Konstellationen „fällt es auch bei Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht schwer, aus der Einweisung der Organe in eine interessenorientierte Rolle darauf zu schließen, daß die Rechtsordnung sie als Träger klagbarer subjektiver Rechte versteht" 39 - 40 . Hingegen bei Organen, die in ihrem Verhältnis zueinander nicht in diesem Sinne als Repräsentanten konfligierender Interessen anzusehen sind, verneint die Kontrastorgan-Theorie das Bestehen subjektiver Rechte. So sei beispielsweise der Stadtrechtsausschuß nach seiner Zusammensetzung „nicht als Repräsentant irgendeines mit den Interessen der Stadt kollidierenden Fre/wcflnteresses konzipiert", und da die Stadt und ihr Rechtsausschuß „nicht in einem aus legitiAßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 96; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72 IV c 3; Ziekow, NWVB1. 1998, 301; ähnlich VGH Kassel, ESVGH 44, 291,294. 36 Kisker, JuS 1975,708. 37 Kisker, JuS 1975, 708 (Hervorhebung im Original). 38 Kisker, JuS 1975, 709. 39 Kisker, JuS 1975, 709; femer ders., Insichprozeß, S. 38; vgl. auch Bracher, NWVB1. 1994,412. 40 Die Kritik von Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 56 ff. an Kisker, die Verwaltungsgerichte seien nicht zur Schlichtung politischer Meinungsverschiedenheiten da, beruht übrigens auf einem Mißverständnis seiner Konzeption. Denn Kisker leitet aus der Konfliktträchtigkeit der den Organen und Organteilen zugedachten Kontrastrollen lediglich die Innehabung derjenigen subjektiven Rechte an ihren Kompetenzen ab, welche gerichtlich verteidigt werden können; damit ist selbstverständlich nicht impliziert, daß etwa der politische Konflikt als solcher vom Gericht zu entscheiden sei.

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men Interessengegensätzen resultierenden Spannungsverhältnis zueinander stehen", sei nicht davon auszugehen, „daß der Gesetzgeber sie im Rahmen eines solchen Spannungsverhältnisses mit subjektiven (= der rechtlichen Bewehrung von Interessen dienenden) Rechten ausstatten wollte" 41 . Mit der in dem letzten Satz enthaltenen Definition des subjektiven Rechts ist bereits der erste entscheidende Einwand benannt, der gegen die Lehre von den Kontrastorganen vorzubringen ist. Diese basiert nämlich ersichtlich auf der Interessentheorie, und da sich diese als zur Erfassung des Begriffs des subjektiven Rechts unzulänglich erwiesen hat 42 , kann der Kontrastorgan-Theorie schon von ihrem Ausgangspunkt her nicht gefolgt werden. Davon abgesehen, überzeugt sie jedoch auch in sich nicht. Zur näheren Begründung ihrer Ablehnung ist es erforderlich, die verschiedenen Ebenen und Kategorien von Interessen und Interessenkonflikten zu unterscheiden. Zur Klarstellung ist vorweg zu bemerken, daß die Kontrastorgan-Lehre den von ihr geforderten Interessenkonflikt zu Recht nicht etwa auf das Interesse an der Ausübung einer bestimmten Kompetenz bezieht, sondern auf ein der Einräumung dieser Kompetenz vorausgehendes Individual- oder Gruppeninteresse. Andernfalls liefe sie nämlich von vornherein ins Leere, weil ja, indem die Rechtsordnung Kompetenzen verteilt, sie notwendig immer zugleich einen Interessenkonflikt in bezug auf jede dieser Kompetenzen herbeifuhrt. Denn jedes Organ muß, sobald ihm eine bestimmte Kompetenz zugewiesen ist, ein Interesse an der Ausübung dieser Kompetenz und an der Abwehr jeder Verletzung derselben entwickeln 43 , und zwar unabhängig davon, wie die beteiligten Organe und Organteile sonst zueinander stehen, wie ihre Organwalter rekrutiert werden und welche politischen Interessen diese verfolgen. Überhaupt bezieht ja die Interessentheorie ihre Formel von dem rechtlich geschützten Interesse nicht etwa auf das selbstverständliche Interesse, das jeder Berechtigte an der Ausübung seiner subjektiven Rechte entwickelt, das aber als nachfolgendes Rechtsausübungsinteresse offenkundig nicht Grund für die Einräumung des subjektiven Rechts sein kann, sondern begreift hierunter stets ein schon vor der Schaffung der Norm, um deren subjektive Rechtsnatur es geht, existierendes Interesse, das durch die Rechtsordnung eben nur noch anerkannt und rechtlich abgesichert wird 44 . Die Argumentation mit präexistierenden Interessen wirft bei Organen freilich insofern Schwierigkeiten auf, als diese, weil sie vor und außerhalb ihrer rechtlichen Kreation überhaupt nicht existieren, auch keine rechtlich bloß noch

41 42 43 44

Kisker, JuS 1975, 709 (Hervorhebung im Original). S. oben D.II.2. Vgl. Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 65. S. oben D.I.l.c.bb und D.II.2.

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anzuerkennenden und bewehrbaren Interessen haben können 45 . Davon geht ersichtlich auch Kisker aus, und gerade deshalb legt er solchen Wert auf die Funktion der Organe, Gruppen und Gruppeninteressen zu repräsentieren. Das für seine Lehre unabdingbare Interesse ist also kein originäres Interesse des Organs, sondern ein lediglich als Repräsentant erworbenes und quasi stellvertretend für die dahinter stehende Gruppe wahrgenommenes. Hieraus ergibt sich nun aber das erste entscheidende immanente Bedenken gegen die Kontrastorgan-Konzeption. Kann schon die von der Interessentheorie allgemein vorgenommene Verknüpfung von Interesse und subjektivem Recht nicht überzeugen - zumal im Hinblick auf fremdnützige Rechte, denen eben kein eigenes Interesse des Berechtigten vorausgeht 46 - , so befriedigt noch weniger das Unterfangen, subjektive Rechte eines Organs mit den etwaigen externen Interessen irgendwelcher einzelner oder Gruppen von Menschen zu begründen. Ob und inwieweit ein Organ als Repräsentant bestimmter Individual- oder Gruppeninteressen agiert, ist eine rein politische Frage, die sich rechtlicher Fassung entzieht. Gewiß mögen beispielsweise Wähler, wenn sie ihren favorisierten Kandidaten in ein bestimmtes Organ hineinwählen, die Repräsentation ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen erhoffen, und auf der anderen Seite werden die Gewählten schon als Folge der Prozeduren der Kandidatenauswahl sowie im Blick auf eine angestrebte Wiederwahl Rücksicht auf die Erwartungen ihrer Wähler und des Volkes insgesamt nehmen47. Indessen handelt es sich diesbezüglich um rein politische Hoffhungen auf der einen und Rücksichtnahmen auf der anderen Seite, die rechtlich nicht nur in keiner Weise abgesichert, sondern sogar ausdrücklich verboten sind. So beweist etwa Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, wonach die Abgeordneten an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind 48 , daß der Verfassungsgeber gerade eine rechtliche Trennung zwischen den Gewählten und ihren Wählern sicherstellen will. Dieselbe Unverbindlichkeit von Verpflichtungen, Weisungen und Aufträgen gilt nach den Kommunalgesetzen für die Gemeinderäte (vgl. z.B. § 32 Abs. 3 S. 2 GemO BW) und die Kreisräte (vgl. z.B. § 26 Abs. 3 S. 2 LKrO BW). Dieses freie Mandat der Mitglieder der Kommunalvertretungen ist dabei übrigens nicht nur landes-, sondern auch bundesrechtlich abgesichert 49. Denn zwar ist Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auf die gewählten Gemeindevertreter nicht an-

45

Vgl. Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 63; Lüders, Ratsausschüsse, S. 97. 46 Vgl. oben D.II.2.b. 47 Vgl. Kisker, Insichprozeß, S. 21 Fn. 45. 48 Entsprechende Bestimmungen sehen die Landesverfassungen für die Abgeordneten der Landtage vor, z.B. Art. 27 Abs. 3 S. 2 Verf. BW. 49 BVerwGE 90, 104 f.

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wendbar 50. Durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG werden jedoch die Prinzipien der Volkssouveränität und der Demokratie auch auf kommunaler Ebene garantiert 51, und das heißt, daß die Mitglieder kommunaler Vertretungsorgane als Vertreter der Gesamtheit der Gemeindebürger anzusehen sind. Damit wäre aber die Annahme einer Weisungs- oder Auftragsgebundenheit unvereinbar, weil das betreffende Gemeinderatsmitglied dann nicht mehr die Gemeindebürger verträte, sondern seinen individuellen Auftraggeber oder allenfalls noch einen Teilausschnitt aus der Gemeindebürgerschaft. Daraus ergibt sich, daß dem Prinzip der repräsentativen Demokratie notwendig ein freies Mandat korrespondieren muß 52 . Bestehen hiernach aber keine rechtlichen Bindungen zwischen Mandatgeber und Mandatsinhaber, sondern eben allenfalls gewisse ungesicherte politische Hoffnungen, so erscheint es unplausibel, daß gerade diese rechtlich unfaßbare und nicht abgesicherte sowie ganz im Vagen bleibende politische Repräsentationshoffhung das entscheidende Kriterium bei der Bestimmung der subjektiven Rechtsnatur der Kompetenzen des Repräsentationsorgans sein soll. Ob ein Organ oder Organteil überhaupt irgendwelche soziologisch identifizierbaren Gruppeninteressen vertritt, und wenn ja, welche und bis zu welchem Grad, verbleibt ausschließlich im politischen Bereich und taugt somit nicht als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Zuschreibung subjektiver Rechte53. Da jedes Organ und Organteil rechtlich völlig ungebunden ist, zu welchen politischen Zwecken es seine Kompetenzen nutzen will, kann es schon im Ausgangspunkt nicht überzeugen, gerade aus den (konträr) verfolgten politischen (Gruppen)Interessen das entscheidende Argument für die Subjektivierung jener Kompetenzen gewinnen zu wollen. Deshalb spricht auch der Umstand, daß das eine Organ aus dem anderen hervorgeht (z.B. bei Wahl aus der Mitte des einen Organs) oder daß sonst eine enge personelle Verbindung zwischen beiden Organen besteht (z.B. aufgrund ex officio-Zugehörigkeit von Organwaltern des einen Organs im anderen Organ), nicht gegen die Annahme subjektiver Rechte im Verhältnis dieser Organe. Inwieweit mit einer solchen organisatorischen Verschränkung die Hoffnung einer mehr oder weniger ausgeprägten Interessenkonformität und interessengleichen Betätigung verbunden sein mag, ist eine politische Frage. Rechtlich jedenfalls hat jedes dieser Organe kompetentiell bestimmte Wahrnehmungszuständigkeiten und das einzige rechtlich anerkennenswerte Interesse eines Organs ist es, seine Aufgaben zum Wohle seiner Organisation nach Recht und Gesetz wahrzunehmen. Eine etwaige personelle Teilidentität 50

BVerfGE 78, 344, 348. Vgl. BVerfGE 47, 253, 272; 83, 37, 53. 52 BVerwGE 90, 104, 105; BVerwG, Buchholz 415.1 Allgemeines Kommunalrecht Nr. 105, S. 76. 53 Vgl. Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 109. 51

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steht dem nicht entgegen. Rechtssubjekte spielen auch in rechtlicher Sicht nicht selten mehrere Rollen, und die Rechtsordnung erwartet solchenfalls sehr wohl, daß sich jeder bei seinen Handlungen bewußt macht, was von ihm in einen bestimmten Moment erwartet wird, was auch immer in einem anderen rechtlichen Kontext seine dortige Aufgabe sein mag. Das heißt zwar wohlgemerkt nicht, daß der Gedanke eines Interessenpluralismus bei der Subjektivierungsentscheidung ohne Bedeutung wäre. Angesichts seiner rechtlichen Ungriffigkeit kann er jedoch nicht zum allein ausschlaggebenden Kriterium gemacht werden. Der zweite entscheidende Einwand gegen die Lehre von den Kontrastorganen betrifft das für diese Theorie unverzichtbare zusätzliche Merkmal der „Akzeptiertheit" oder „Legitimität" des Interessenkonfliktes. Die Notwendigkeit dieser darin liegenden Einschränkung folgt aus der potentiellen Ubiquität aller Interessenkonflikte: Sobald nämlich einem Organ oder Organteil eine bestimmte Kompetenz in Abgrenzung zu anderen Organen oder Organteilen zugewiesen ist, kann es diese tatsächlich immer zur Durchsetzung irgendwelcher Interessen irgendwelcher Individuen oder Gruppen einsetzen, und wenn nun nicht jeder (potentiell) mögliche Interessenkonflikt die Annahme subjektiver Rechte an den fraglichen Kompetenzen tragen, damit aber die ganze Lehre unbrauchbar machen soll, dann bedarf es einer weiteren Einschränkung. Das Kriterium der „Legitimität" eines Interessenkonfliktes vermengt jedoch verschiedene Ebenen und kann noch weniger gerechtfertigt werden als das Merkmal des Interessenkonflikts selbst. Ob ein Interessenkonflikt „legitim" und „akzeptiert" ist oder nicht, ist eine rein politische Frage, die mit der rechtlichen Frage einer Subjektivierung der Kompetenzordnung nichts zu tun hat. Die Verletzung einer Kompetenz ist rechtlich immer illegitim und inakzeptabel, und es ist nicht ersichtlich, wieso die Entscheidung über die subjektive Rechtsnatur dieser Kompetenzvorschrift davon abhängen soll, ob ihrer Verletzung ein politisch „legitimer" Konflikt zugrunde liegt. Denn schließlich dürfen im Rechtsstaat auch politisch legitime Konflikte ausschließlich innerhalb der Grenzen des Rechts ausgetragen werden, und die Austragung eines politisch „akzeptierten" Interessenkonfliktes in Form von Rechtsverletzungen ist keinesfalls akzeptabel, weder politisch noch rechtlich. Abgesehen davon, daß die Verknüpfung der nur politisch zu bewertenden Frage der „Legitimität" eines Interessenwiderstreites mit der Rechtsfrage der objektiven oder subjektiven Rechtsnatur einer Kompetenzvorschrift nicht überzeugt, stellt es auch einen gravierenden Wertungswiderspruch dar, subjektive Organrechte nur dort anerkennen zu wollen, wo der Kompetenzverletzung ein „legitimer", nicht hingegen auch dort, wo ihm ein „illegitimer" Interessenkonflikt zugrunde liegt. Im Gegenteil erscheint doch ein Kompetenzverstoß, dem sogar ein politisch illegitimer, weil der dem Organ zugedachten Rolle wider-

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sprechender Konflikt zugrunde liegt, noch gravierender, müßte daher erst recht nach notfalls auch gerichtlich durchsetzbaren Abhilfemöglichkeiten rufen. Wenn die Kompetenzordnung verschiedene Organe und Organteile vorsieht, die namentlich infolge der Modi der Organwalterauswahl von vornherein politische Konfrontationen erwarten lassen, aus denen sich gewisse Versuchungen ergeben mögen, die jeweiligen politischen Ziele mitunter im Wege von Kompetenzverletzungen zu verfolgen, so tut die Rechtsordnung allerdings gut daran, rechtliche Mechanismen bereitzuhalten, derartigen Übergriffen begegnen zu können. Wenn hingegen die Rechtsordnung Organe kreiert, bei denen eine solche Spannungslage nicht schon quasi von Hause aus besteht, so heißt dies lediglich, daß die Wahrscheinlichkeit geringer sein mag, daß es zu einer Kompetenzverletzung kommen wird. Ausgeschlossen ist dies indessen auch hier nicht, zumal es ja ohnehin keinerlei rechtliche Garantie gibt, daß ein Organ nicht aus der ihm politisch vielleicht zugedachten Rolle herausfällt. Tatsächlich erscheint eine solcherart motivierte Kompetenzverletzung in mancher Hinsicht als besonders schlimm, weil dadurch zugleich das Vertrauen des Inhabers der Organisationsgewalt enttäuscht wird, die beteiligten Organe möchten einvernehmlich und gleichen Sinnes kooperieren. Gerade wo eine derartige Störung nicht zu erwarten ist, wird das Funktionieren der Organisation in besonderem Maße beeinträchtigt. Daran ändert sich auch nichts, wenn man statt auf die „Legitimität" des Interessenkonfliktes auf dessen „Angelegtsein" abstellt, d.h. das Bestehen von subjektiven Organrechten davon abhängig macht, ob „Interessenkonflikte nicht nur möglich, sondern im Gesetz angelegt sind" 54 . Auch dies vermengt in nicht überzeugender Weise die politische und die rechtliche Ebene. Im Gesetz „angelegt" sein können allenfalls politische Differenzen zwischen Organen oder innerhalb kollegialischer Organe, und unverkennbar variiert die Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit, mit der politische Streitigkeiten auftreten, je nach der Organkonstellation. Doch damit sind Rechtsstreitigkeiten um die Kompetenzordnung noch lange nicht im Gesetz „angelegt". Kompetenzverletzungen sind aus rechtlicher Sicht immer unerwünscht, und ihnen ist daher nach Möglichkeit immer zu begegnen, gleich wie sehr der politische Dissens „angelegt" sein oder wie unverhofft ein solcher auftreten mag, ja sogar unabhängig davon, ob dem konkreten Rechtsstreit überhaupt ein politischer Konflikt zugrunde liegt. Demgegenüber meint Kisker, vom Gesetzgeber nicht akzeptierte, etwa funktionswidrige oder sonst illegitime Interessenkonflikte seien durch Dienst- und Fachaufsicht zu bereinigen, nicht aber Sache der Gerichte 55. Dafür aber, weshalb ein solcher Verweis auf bestehende Aufsichtsmöglichkeiten bei „akzeptier54 VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 294; Schoch, JuS 1987, 786; vgl. v. Mutius, Kommunalrecht, Rn. 845. 55 Kisker, JuS 1975, 708 Fn. 26.

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ten" Interessenkonflikten nicht Platz greifen soll, gibt er keine Begründung. Selbst soweit man erwägen mag, bei bestehenden aufsichtsbehördlichen Einschreitensmöglichkeiten eventuell das Rechtsschutzbedürfnis für eine klageweise Durchsetzung von Kompetenzen im Verhältnis von Organen und Organteilen untereinander entfallen zu lassen56 - der Annahme subjektiver Organrechte stünde dies nicht entgegen57 - , so müßte das doch jedenfalls unabhängig davon gelten, ob ein „legitimer" oder ein „illegitimer" Konflikt vorliegt. Es stellt einen Wertungswiderspruch dar, als Abhilfe gegen eine auf „illegitime" Interessenkonflikte zurückgehende Kompetenzverletzung ausschließlich auf Aufsichtsmöglichkeiten zu verweisen und jede Subjektivierung der verletzten Kompetenznorm auszuschließen, während auf (angeblich) politisch „legitime" Konflikte zurückgehende Kompetenzverletzungen mit dem gesamten sich aus der subjektivrechtlichen Natur einer Kompetenznorm ergebenden Instrumentarium reagiert werden kann. Kompetenzverletzung ist Kompetenzverletzung, und weshalb sie rechtlich unterschiedlich behandelt werden sollte, je nachdem ob sie durch einen politisch mehr oder weniger verständlichen und „akzeptierten" Interessenkonflikt motiviert ist, ist nicht einzusehen. Eine etwaige verschiedene Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit einer solchen Verletzung alleine kann diese unterschiedliche Behandlung jedenfalls nicht begründen, vielmehr müssen auch Schwere und Gewicht derartiger Verletzungen und ihre potentiellen Auswirkungen auf den Organisationsablauf in Rechnung gestellt werden. Hiernach aber erscheint ein auf einer funktionswidrigen oder sonst illegitimen Interessenkollision beruhender Kompetenzverstoß schlimmer als ein aus einem „akzeptierten" Interessenkonflikt hervorgehender, und mithin muß ihm wenn nicht mit mehr, so doch zumindest nicht mit weniger rechtlicher Macht entgegenzutreten sein. Folglich muß eine durch einen „illegitimen" Interessenkonflikt veranlaßte Kompetenzverletzung erst recht klageweise unter Berufung auf subjektive Rechte abgewehrt werden können. Das Merkmal des „legitimen" oder „akzeptierten" Interessenkonfliktes ist nach alledem kein taugliches Kriterium zur Bestimmung, wann eine Kompetenz als subjektives Recht zugewiesen ist. Wenn die Rechtsordnung zwei Organen oder Organteilen bestimmte Kompetenzen als in ihrem Verhältnis zueinander ausschließliche zuweist, so spricht nichts gegen die Anerkennung einer jeweils exklusiven Ausübungszuständigkeit, ohne daß es auf die politische Interessenlage ankäme. Entscheidend für das Vorliegen subjektiver Rechte ist die von der gemeinschaftlichen Erfüllungserwartung getragene Ausübungszuständigkeit58, nicht der mehr oder weniger legitime oder illegitime Gebrauch dieses Rechts zur Verfolgung konfligierender politischer Interessen. Die Sicherung des durch 56 57 58

S. hierzu unten H.III. 1. Hierzu unten F.II.l.b.aa. S. oben D.III.3.

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den Organpluralismus ermöglichten Interessenpluralismus ist zwar ein wichtiger Faktor bei der Subjektivierungsentscheidung, nicht aber das allein ausschlaggebende Kriterium, und jedenfalls ist über die subjektivrechtliche Natur einer Kompetenznorm nicht nach den Maßstäben der (politischen) „Akzeptiertheit" von Interessenkonflikten zu befinden. (2) Spezielle Sachwalterschaft Einen etwas anderen, wenngleich auch auf Interessengedanken zurückgehenden Ansatz vertritt Dieter Lorenz, der zur Bestimmung, wann eine Organkompetenz als subjektives Recht des betreffenden Organs anzusehen ist, auf etwaige damit verfolgte materielle Verwaltungszwecke Bezug nehmen will. Nach ihm „kommt es darauf an, ob eine Behörde durch die Übertragung der Kompetenz zur speziellen Sachwalterin eines bestimmten eigenen Sachbereichs eingesetzt wurde. Immer dann also, wenn einer Behörde im Verhältnis zu einer anderen die Wahrnehmung speziellerer Zwecke obliegt, hat sie dieser gegenüber ein subjektives Recht auf Wahrung ihrer Kompetenz... Eine (Kompetenz)Norm gibt der Behörde dann ein subjektives Recht, wenn sie im Interesse des von dieser wahrzunehmenden Sachbereichs erlassen wurde, wenn sie dem Schutz gerade dieses Bereichs dienen soll. Das ist dann der Fall, wenn die Kompetenznorm nicht bloß formal-organisatorische, sondern auch materielle Verwaltungszwecke verfolgt, wenn aus der Ermächtigung gerade dieser oder jener Behörde zum Handeln zu entnehmen ist, daß dies um des Schutzes des betreffenden Sachbereichs willen geschehen ist" 59 . Letzteres sei bei Fachbehörden und weisungsfreien Ausschüssen anzunehmen, denen ein jeweils speziell geschützter Sachbereich zugewiesen sei und denen deshalb ein subjektives Recht gegenüber den allgemeinen Verwaltungsbehörden auf Achtung ihrer diesbezüglichen Kompetenzen zustehe60. Nicht berechtigt ist hierbei zunächst bereits Lorenz ' Berufung 61 auf eine „ähnliche Differenzierung" des OVG Münster. Dieses wollte zwar die Entscheidung, ob behördliche Mitwirkungs-, insbesondere Zustimmungsbefugnisse beim Erlaß von Verwaltungsakten subjektivrechtlicher Natur sind, wesentlich davon abhängig machen, „ob die Regelung über die Zustimmungsbedürftigkeit erfolgt, um lediglich Verwaltungsinteressen wahrzunehmen oder um (auch) materiell-

59

Lorenz, AöR 93 (1968), 320 f.; zust. Dolde, in FS Menger, S. 439 f.; Martensen, JuS 1995, 990; Scholz, DÖV 1973, 846. 60 Lorenz, AöR 93 (1968), 321 f.; zust. OVG Koblenz, VRspr. 21, 632, 635 fur die Landesstraßenverwaltung, die ihre fiskalischen Interessen gegenüber der Flurbereinigungsbehörde „wie ein Quasi-Bürger zu vertreten" habe. 61 Lorenz, AöR 93 (1968), 321 Fn. 79.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

rechtliche Berechtigungen zu wahren" 62 . Doch unter diesen materiellrechtlichen Berechtigungen verstand das Gericht alleine subjektive Rechte wie beispielsweise Eigentums-, Selbstverwaltungs- und Planungsrechte der die betreffende Behörde tragenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung. Das OVG Münster hatte allein den Fall vor Augen, daß Zustimmungsvorbehalte gerade deshalb vorgesehen sind, damit die Behörde derartige subjektive Rechte ihres Trägers wahrnehmen kann, während es die Verfolgung anderer Zwecke als bloße Verwaltungsinteressen von der Zuerkennung subjektiver Rechte ausnahm. Ob diese Differenzierung überzeugt und ob es nicht vielmehr zu eng ist, Kompetenzen zur Verfolgung von Verwaltungsinteressen generell aus dem Bereich subjektiver Rechte auszuklammern, mag hier dahinstehen. Jedenfalls hat aber das OVG Münster damit keineswegs zwischen formal-organisatorischen und (auch) materiellen Verwaltungszwecken unterschieden; denn die Wahrung eigener Berechtigungen des Organträgers im Sinne beispielsweise von Planungs- und Eigentumsrechten ist überhaupt kein Verwaltungsmitresst, und folglich ist die Entscheidung kein Beleg für die von Lorenz unternommene Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Verwaltungsinteressen. Gegen das von Lorenz vorgeschlagene Abgrenzungskriterium sind vor allem aber zwei inhaltliche Einwände zu erheben. Erstens ist schon nicht ersichtlich, wieso gerade die Klassifizierung einer Behörde als „Fachbehörde" die Bedeutung haben soll, daß ihre gegenüber den allgemeinen Verwaltungsbehörden bestehenden Zuständigkeiten die Qualität subjektiver Rechte besitzen sollen, während allgemeinen Verwaltungsbehörden in ihrem Verhältnis untereinander bzw. gegenüber „Fachbehörden" keine derartigen subjektivrechtlichen Kompetenzen haben sollen, obwohl sie ja nach ihrer internen Kompetenzordnung doch auch nur durch ihre Fachabteilung handeln. Durch die Ausgliederung von Fachbehörden wird zwar die Kompetenzverteilung von einer behördeninternen Angelegenheit zu einer zwischenbehördlichen, doch sie bleibt allemal eine verwaltungsinterne, und es überzeugt nicht, hiervon die Rechtsnatur der Kompetenznorm abhängig zu machen. Gewiß mag der Gesetzgeber, der einen bestimmten Sachbereich für so wichtig erachtet, daß er für diesen eigens eine Behörde einrichtet, die sich überwiegend mit derartigen Aufgaben befaßt, dies (auch) um des Schutzes der involvierten Belange tun, indem er sich dadurch ein höheres Maß an Sachkunde und möglicherweise persönlichem Einsatz der beteiligten Organwalter verspricht 63. Deren Schutz kann aber ebensogut dadurch erreicht werden, daß innerhalb der allgemeinen Verwaltungsbehörden Fachabteilungen und -referate gebildet werden 64. Schließlich dienen Kompetenzabgrenzungen 62

OVG Münster, NJW 1964, 1739. Vgl. SachsAnhVerfG, NVwZ 1999, 760 (in bezug auf die Stelle einer Frauenbeauftragten); Ruffert, DÖV 1998, 897 f., 902 f. 64 Ruffert, DÖV 1998,901. 63

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immer (auch) der Pflege der betroffenen Sachbereiche. Die Zuweisung an Fachbehörden und weisungsfreie Ausschüsse mag ein besonders augenfälliges Beispiel hierfür sein, doch besteht der Sache nach kein greifbarer Unterschied zu der Kompetenzzuweisung etwa an eine Fachabteilung innerhalb einer allgemeinen Verwaltungsbehörde. Jedenfalls für das von Lorenz vorgeschlagene Kriterium, ob ein bestimmter materiell zu verwaltender Sachbereich betroffen ist, läßt sich diesbezüglich kein Unterschied ausmachen, und deshalb trägt dieses Kriterium schon vom Ergebnis her nicht als Unterscheidungsmerkmal für subjektive Rechte. Die Ausgliederung besonderer Fachbehörden aus dem allgemeinen Verwaltungsaufbau hängt zudem allenfalls teilweise davon ab, ob ein bestimmter Sachbereich als besonders „schutzwürdig" angesehen wird. Regelmäßig spielen hier eine Vielzahl von (oft auch nur traditionellen) Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise die Gesetzgebungszuständigkeit, politische Einschätzungen und Prioritätensetzungen, die Finanzierbarkeit und politische Durchsetzbarkeit von Verwaltungsreformen, die organisatorische Praktikabilität, und nicht zuletzt natürlich, ob der Geschäftsanfall überhaupt einen Umfang einnimmt, der die Einrichtung besonderer Behörden rechtfertigen könnte. Alle diese für den Gesetzgeber normalerweise im Vordergrund stehenden Aspekte haben mit der Frage der objektiven oder subjektiven Natur der betreffenden Kompetenzvorschrifien überhaupt nichts zu tun, und es ist deshalb doch eigentlich ziemlich fernliegend, daß der Gesetzgeber bei der Erwägung über die Errichtung von Fachbehörden überhaupt irgendwie die Frage im Blick haben sollte, gerade hierdurch nun eine Organstreitigkeiten ermöglichende Subjektivierung von Kompetenzen zu bewirken. Da es nicht sachgerecht ist, die Subjektivierung von Kompetenznormen von solchen für die Subjektivierungsproblematik gänzlich irrelevanten Zufälligkeiten abhängig machen zu wollen, läßt sich aus der Errichtung von „Fachbehörden" keineswegs ein gesetzgeberischer Wille herauslesen, gerade und ausschließlich diesen subjektivrechtliche Kompetenzen zuzuweisen und allen anderen Verwaltungsorganen nicht, so wie umgekehrt die Nichterrichtung einer „Fachbehörde" bei unbefangener Betrachtung primär die Annahme nahelegt, der Gesetzgeber habe schlicht keinen diesbezüglichen verwaltungsorganisatorischen Handlungsbedarf gesehen, nicht aber den Schluß, er habe damit eine negative Aussage über subjektive Organrechte machen wollen. Zweitens kann die Anknüpfung des subjektivrechtlichen Charakters einer Kompetenznorm an den etwa verfolgten materiellen Verwaltungszweck auch sachlich nicht überzeugen. Letztlich dient alle Tätigkeit der Verwaltung einem materiellen Verwaltungszweck, und insofern wirkt sich jede interne Kompetenzabgrenzung, wenn auch vielleicht nur mittelbar, auf die Art und Weise der Verfolgung derartiger Zwecke aus. Wieso dann aber gerade dem von vielen Faktoren abhängigen Umstand der Zuweisung der Kompetenz an eine eigen-

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ständige Fachbehörde bzw. einer Fachabteilung innerhalb der allgemeinen Verwaltungsbehörde die ausschlaggebende Bedeutung für die Subjektivierungsentscheidung zukommen soll, ist nicht zu sehen. Tatsächlich liegt hierin eine unzulässige Verknüpfung der organisationsinternen Frage der subjektiven Rechtsnatur einer Kompetenznorm mit der organisationsexternen Frage nach den von den kompetenzordnungsmäßig zuständigen Organen zu verfolgenden materiellen Verwaltungszwecken. Natürlich muß zur Bestimmung der Natur einer Kompetenznorm nach dem Zweck der Kompetenz gefragt werden. Dabei kommt es aber auf den Grund der Kompetenzaufteilung an, nicht auf den materiellen Verwaltungszweck, den die so in ihre Kompetenzen eingewiesenen Organe und Organteile wahrzunehmen haben. Bei Kompetenzstreitigkeiten geht es nicht darum, ob das betreffende Organ oder Organteil „spezieller Sachwalter" eines Sachbereiches ist, sondern nur darum, ob es Sachwalter seiner Kompetenzen ist. Zu welchem materiellen Verwaltungszweck es seine Kompetenzen hat, ist für die Subjektivierungsfrage irrelevant.

ee) Resümee Die vorstehende Betrachtung hat in Erinnerung gerufen, daß es sich bei der konkreten Ausgestaltung einer Kompetenzordnung nicht um eine eher zufällige oder bloß technische Regelung der Organisationsstruktur handelt, sondern daß damit vielfältige sehr grundsätzliche Zwecke verfolgt werden, von denen hier namentlich die Gewährleistung funktioneller Richtigkeit, die Umsetzung gewaltenteilerischer und demokratischer Vorstellungen sowie die Sicherung eines Interessenpluralismus genannt worden sind. Dem Rang dieser Ziele entsprechend besteht ein eminentes gemeinschaftliches Subjektivierungsinteresse bezüglich der einschlägigen Kompetenznormen, weil nur auf diese Weise bestmöglich zu gewährleisten ist, daß einer etwaigen Kompetenzverletzung möglichst effektiv durch das unmittelbar betroffene Organ bzw. Organteil entgegengetreten werden kann 65 . Hieraus erklärt sich, daß und weshalb die Rechtsgemeinschaft in bezug auf ihre Kompetenzordnung ein entsprechend hohes Subjektivierungsinteresse besitzt, um den betroffenen Organen und Organteilen die selbständige

65 Dabei spielt auch das Phänomen eine Rolle, daß Organ waiter sich nicht selten mit ihrem Organ persönlich identifizieren und auf diese Weise dessen subjektive Rechte nicht weniger engagiert verteidigen wie sie ihre persönlichen Rechte verteidigen würden, vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 564; femer Kisker, Insichprozeß, S. 38; Lorenz, AöR 93 (1968), 318 f.; Tsatsos, Organstreit, S. 55. Nur am Rande ist anzumerken, daß die Umkehrung dieser Beobachtung nicht gilt, d.h. daß nicht jedes eifersüchtige Festhalten an einer Zuständigkeit Beleg für ein diesbezügliches subjektives Recht ist - Streitigkeiten um verwaltungsinterne Umsetzungen oder Änderungen von Geschäftsverteilungsplänen zeugen hiervon.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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Geltendmachung ihrer Kompetenzen zu ermöglichen, und dies eben notfalls bis zur Stufe gerichtlicher Geltendmachung.

b) Keine andere adäquate Durchsetzungsgewähr Die aufgezeigten hinter jeder Kompetenzordnung stehenden gewichtigen Zielsetzungen legen den Schluß nahe, daß die Rechtsgemeinschaft ein starkes Interesse besitzen muß, Kompetenznormen jedenfalls insoweit nicht bloß als objektivrechtliche, sondern als subjektivrechtliche zu statuieren, als damit diese Grundanliegen effektiver verfolgt werden können. Freilich könnte dieser entscheidende Grund für eine Subjektivierung von Kompetenznormen - nämlich die gesteigerte Durchsetzungsgewähr - in dem Maße entfallen, in dem die Kompetenzordnung (auch) anderweit durchgesetzt werden kann. Es ist eine ernst zu nehmende Anfrage, ob möglicherweise das gemeinschaftliche Subjektivierungsinteresse deshalb weicht, weil andere Durchsetzungsmechanismen zur Verfügung stehen.

aa) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch übergeordnete Organe? Unverkennbar fällt der durch die Subjektivierung einer Kompetenznorm zu erzielende Vorteil der Durchsetzbarkeit der Kompetenzordnung geringer aus, insoweit schon gegenüber einer objektivrechtlichen Kompetenzverletzung ein Einschreiten eines Vorgesetzten oder eines übergeordneten Organs (z.B. einer Aufsichtsbehörde) möglich ist. Da es solchenfalls nicht notwendig einer subjektivrechtlichen Natur der Kompetenznorm bedürfte, um deren Durchsetzung sicherstellen zu können66, wird vertreten, daß die Annahme subjektiver Organrechte generell ausgeschlossen sei, wenn die um ihre Kompetenzen streitenden Organe oder Organteile eine gemeinsame vorgesetzte Stelle haben, die die Kompetenzstreitigkeit verbindlich durch Weisung entscheiden kann 67 , bzw. daß das Vorhandensein einer „gemeinsamen Spitze ... mit letztverbindlichen Entscheidungsbefugnissen" zumindest ein „Indiz" dafür sei, daß die Rechtsordnung die betreffenden Organe nicht mit subjektiven Rechten ausstatten wolle 68 . So wurde beispielsweise Gemeinderatsmitgliedern und Gemeinderatsfraktionen die Klagebefugnis (auch) unter Hinweis auf die Möglichkeit aufsichtsbehördlichen Einschreitens gegen den inkriminierten Gemeinderatsbeschluß abgesprochen, 66

Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 22. Rechts- und Fachaufsicht sind am Maßstab des objektiven Rechts ausgerichtet und daher unabhängig von einer Verletzung subjektiver Rechte auszuüben, vgl. Hufen, Fehler, Rn. 525. 67 Bonk, Organstreitigkeiten, S. 94; Herbert, DÖV 1994, 111; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 169. 68 OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

weil die aufsichtliche Beseitigung ungesetzlicher Ratsbeschlüsse andere Angriffsmöglichkeiten ausschließe69. Nach dieser Sicht bestünde also allenfalls dann „ein rechtliches Bedürfnis, Kompetenzen im Verhältnis der gemeindeverfassungsrechtlichen Organe zueinander als deren eigene Rechte ... auszugestalten, ... wenn die betreffenden Organe entweder keinem gemeinsamen Aufsichtsorgan unterstünden oder diesem eine Weisungsbefugnis fehlte" 70 . Zur Bekräftigung dieser These ließe sich auf die Verfassungsorganstreitigkeiten verweisen, wo zwar richtigerweise in weitestem Umfang subjektive Rechte anzunehmen sind 71 , dies aber möglicherweise gerade deshalb der Fall sein könnte, weil gegenüber Verfassungsorganen eben keine Aufsichtsmöglichkeiten bestehen 72 . Ferner ließe sich das Zivilrecht anfuhren, das durch eine fast durchgängige Subjektivierung aller Rechtssätze geprägt ist, das sich aber eben auch durch ein durchgängiges Fehlen staatlicher Aufsichtsbefugnisse auszeichnet73. Indessen basiert die Ansicht, das Bestehen einer gemeinsamen Spitze mit „letztverbindlichen" Entscheidungsbefugnissen über die Kompetenzstreitigkeit stehe der Annahme subjektiver Rechte der untergeordneten Organe entgegen, genau besehen auf einer petitio principii. Denn ob das übergeordnete Organ „letztverbindlich" entscheiden kann, hängt unter anderem gerade davon ab, ob die betreffenden Organe subjektive Rechte haben - denn kann könnten sie zu deren Verteidigung die Gerichte anrufen, und die Aufsichtsbehörde hätte diesbezüglich nicht das letzte Wort. Es ist daher nicht überzeugend, die gemeinsame Spitze als alleiniges Auslegungskriterium heranzuziehen. Richtig ist aber durchaus, das Bestehen einer solchen Aufsichtsmöglichkeit als „Indiz", genauer: als einen Faktor in die anzustellende Abwägung einzustellen. Denn in der Tat ist derartigen Überlegungen zuzugeben, daß die (gerichtliche) Geltendmachung einer Kompetenz als subjektives Recht dort nicht zur Wahrung der Kompetenzordnung unabdingbar ist, wo eine gemeinsame vorgesetzte Stelle einen etwaigen Kompetenzstreit entscheiden kann. Infolgedessen ist in solchen Fällen das Ausmaß des durch eine Subjektivierung der Kompetenznormen zu gewinnenden Vorteils geringer, als wenn keine solche Aufsichtsmöglichkeit besteht. Abzulehnen ist aber die dieser Ansicht immanente stillschweigende Annahme, daß es überhaupt keinen beachtlichen Vorteil bedeute, subjektive Rechte auch dort anzunehmen, wo eine Aufsichtsmöglichkeit besteht. Tatsächlich wird dadurch nämlich die Chance einer Durchsetzung der 69

OVG Münster, DÖV 1958, 787; vgl. auch LVG Düsseldorf, Der Städtetag 1954, 387; ähnlich bereits PrOVGE 3, 6, 10. 70 Bonk, Organstreitigkeiten, S. 93. 71 S. oben B.II.4. 72 So Bonk, Organstreitigkeiten, S. 93 Fn. 3. 73 Zu der dem zugrunde liegenden Unmöglichkeit einer hoheitlichen Wahrnehmung des Zivilrechts vgl. oben F.I.3.b.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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Kompetenzordnung signifikant erhöht. Somit ist zwar einerseits der durch die Subjektivierung zu erlangende Vorteil nicht so groß, wie er ohne Aufsichtsmöglichkeit wäre, andererseits aber ist er doch immerhin vorhanden und nicht als eine quantité négligeable aus der Abwägung der Vor- und Nachteile auszuklammern. Daß bestehende Aufsichtsmöglichkeiten kein Argument für die Bedeutungslosigkeit subjektiver Organrechte sind, zeigt sich schon daran, daß ein nachgeordnetes Organ keinen Rechtsanspruch gegen das vorgesetzte Organ auf ein Einschreiten gegen das kompetenzverletzende Organ hat 74 , es vielmehr nach dem Opportunitätsprinzip dem Dafürhalten des übergeordneten Organs obliegt, was es im Falle einer angezeigten Kompetenzverletzung tun will. Selbst wenn man unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine grundsätzliche Pflicht bejahte, Rechtsverstöße und damit auch Kompetenzverletzungen nicht einfach untätig zu dulden, sondern zumindest nach pflichtgemäßem Ermessen über ein Einschreiten zu befinden, so wäre doch auch diese Pflicht der Aufsichtsbehörde lediglich objektivrechtlicher Natur; ein untergeordnetes Organ könnte deshalb ein solches pflichtgemäßes Handeln des übergeordneten Organs nicht erzwingen, und folglich verlöre die Innehabung subjektiver Organrechte im Verhältnis mehrerer untergeordneter Organe zueinander unter dem Durchsetzungsaspekt mitnichten seine praktische Bedeutung. Im übrigen wird der häufigste Grund für ein Nichteinschreiten der Rechtsaufsicht schlicht darin liegen, daß diese entgegen dem Vorbringen des beschwerten Organs oder Organteils keine Gesetzesverletzung zu entdecken vermag und deshalb keinen Anlaß zu einem Einschreiten sieht75. Eine solche Überzeugung der Rechtsaufsichtsbehörde läßt nun aber die Notwendigkeit gerichtlicher Streitaustragung nicht entfallen 76. Denn nach den grundgesetzlichen Gewaltenteilungsvorstellungen ist die Rechtsprechung den Gerichten anvertraut (Art. 92 GG), und das heißt unter anderem, daß die letztverbindliche Auslegung des Rechts den Gerichten als originäre Aufgabe obliegt und nicht der Rechtsmei74

Vgl. hierzu OVG Koblenz, AS 9, 335, 339 f.; OVG Münster, OVGE 7, 62, 64; DVB1. 1992, 444, 447; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 128 f., 203; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 50 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 804; Groß, Kollegialprinzip, S. 317; Henrichs, DVB1. 1959, 555, 561; Kisker, Insichprozeß, S. 44; Lüders, Ratsausschüsse, S. 109; Neyses, Rundfiinkverfassungsstreitverfahren, S. 81; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 45. - Allgemein zum Fehlen eines Anspruchs auf ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde BVerfGE 31, 33, 40; BVerwG, DÖV 1972, 723; VGH Mannheim, Z U M 1999, 588, 589 ff.; Hufen, Fehler, Rn. 526; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 80; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 502d; Seewald, Kommunalrecht, Rn. 371; Stober, Kommunalrecht, § 9 III 1 e; restriktiver Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 535 ff. Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 362; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 1. 76 Vgl. Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 362; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 1.

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nung der Rechtsaufsichtsbehörde unterworfen werden darf. Rechtsstreitigkeiten sollen also durch die Gerichte entschieden werden, und deshalb ist es nicht überzeugend, einer Kompetenznorm mit dem Argument den subjektivrechtlichen Charakter abzusprechen, daß über ihre Auslegung und Anwendung auch eine Behörde entscheiden könne 7 7 , 7 8 . Über das Fehlen eines Anspruchs der in ihren Kompetenzen verletzten Organe auf ein aufsichtsbehördliches Einschreiten könnte man unter Durchsetzungsgesichtspunkten vielleicht hinwegsehen, wenn dessenungeachtet doch in praxi ein solches Einschreiten in aller Regel zu erwarten wäre. Eben dies ist aber durchaus nicht der Fall, und zwar teils aus (verfassungsrechtlichen, teils aus politischen Gründen. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist zunächst zu beachten, daß sich aufsichtsbehördliche Maßnahmen vielfach als Eingriff in Rechte der beaufsichtigten Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, welcher die um ihre Kompetenzen streitenden Organe angehören, darstellen. Gerade bei den praktisch besonders bedeutsamen Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten läßt sich dies unschwer erkennen. Entscheidet die Aufsichtsbehörde per rechtsaufsichtlicher Weisung einen Kompetenzstreit z.B. zwischen Bürgermeister und Gemeinderat, so greift sie dadurch notwendig in die verfassungsrechtlich geschützte gemeindliche Selbstverwaltung ein. Unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieses Eingriffs ist nun aber die staatliche Kommunalaufsicht als Folge der Erstarkung der kommunalen Selbstverwaltung im Zuge des staatlichen Neuaufbaus nach 1945 schon von Verfassungs wegen mit Zurückhaltung auszuüben79. Zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden soll „nur in extremen Fällen" mit den Mitteln der Beanstandung, Ersatzvornahme etc. eingeschritten werden 80. Dieselbe Zurückhaltung ist in bezug auf die Staatsaufsicht über die Rundfunkanstalten und die Hochschulen angebracht, da insoweit sogar grund77 Eine vergleichbare Überlegung findet sich in der Argumentation des EuGH, mit der er die eigenständige Klagebefugnis des Europäischen Parlaments begründet hat: Zwar obliege es der EG-Kommission auch, über die Beachtung der Befugnisse des Parlaments zu wachen, „doch kann dieser Auftrag nicht so weit gehen, daß sie gezwungen wäre, sich den Standpunkt des Parlaments zu eigen zu machen" und zu dessen Schutz eine Klage vor dem EuGH zu erheben, die sie selbst für unbegründet hält (EuGH, Slg. 1990,1-2041, 2072 Tz. 19 - Tschernobyl I). 78 Der Gedanke der Einheitlichkeit der Handhabung der Kompetenzordnung (Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 22) spielt demgegenüber im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten eine untergeordnete Rolle, weil es hier fast durchgängig um Landesrecht geht und von daher die ministerielle Rechtsaufsicht ebenso auf eine landeseinheitliche Verwaltungspraxis hinwirken könnte wie die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung. 79 Vgl. hierzu OVG Münster, OVGE 19, 192, 198 f. (Grundsatz des gemeindefreundlichen Verhaltens); Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 804; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 435; Knemeyer, BayVBl. 1999, 193 ff. 80 BVerfGE 6, 104, 118; vgl. auch Kisker, Insichprozeß, S. 44.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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rechtlich geschützte Positionen in Frage stehen81 und eine zu rigide ausgeübte Staatsaufsicht in eine Grundrechtsverletzung umzuschlagen Gefahr liefe. Schon aus diesen verfassungsrechtlichen Gründen muß die Staatsaufsicht gegenüber den Gemeinden sowie Rundfunkanstalten und Hochschulen gewissermaßen „farblos" bleiben 82 , weshalb es nicht möglich ist, die staatlichen Aufsichtsbefugnisse als einen adäquaten Ersatz anzusehen, der eigene subjektive Rechte der betroffenen Organe entbehrlich werden ließe. Doch auch jenseits dieser schon verfassungsrechtlich vorgegebenen Schwächung der Staatsaufsicht ist vielfach eine Tendenz zu beobachten, daß sich Aufsichtsbehörden, sofern sie nicht gerade ein eigenes Interesse an der Sache haben83, „heute Dinge bieten lassen, die ein preußischer Landrat alten Stils kaum hingenommen hätte" 84 . Hierfür dürften zum einen aus Sicht der Rechtsaufsichtsbehörde ganz pragmatisch die Sorge vor einer arbeitsmäßigen Überlastung sowie der Unwille verantwortlich sein, sich durch ihr Einschreiten in einen Rechtsstreit mit der beaufsichtigten Körperschaft, Anstalt oder Stiftung hineinziehen zu lassen, beispielsweise in Gestalt einer Klage der Gemeinde gegen das Land im Falle einer kommunalaufsichtlichen Weisung zur Behebung einer Organstreitigkeit zwischen einer Gemeinderatsfraktion und dem Bürgermeister. Und in der Tat erscheint es regelmäßig weder sachgerecht noch stellte es eine Ersparnis dar, im Falle der Anfechtung der kommunalaufsichtlichen Weisung z.B. einen Kompetenzstreit zwischen Gemeinderatsfraktion und Bürgermeister als Vorfrage eines Prozesses zwischen der Gemeinde und dem Land behandeln zu müssen. Auch von Sinn und Zweck der Rechtsaufsicht her dürfte es daher oftmals sinnvoller sein, den Rechtsstreit unmittelbar zwischen den sich eigentlich streitenden Organen und Organteilen austragen zu lassen, und man kann hier der Aufsichtsbehörde kein Versagen vorwerfen, wenn sie hier von einem Eingreifen absieht. Schließlich ist nicht zu verkennen, daß die Durchdringung der gesamten Verwaltung durch politische Parteien, die gleichermaßen auf Landes- wie Gemeindeebene agieren 85, die Wahrnehmung der Kommunalaufsicht in einer früher 81

S. oben B.I.2.a. Ney ses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 81 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 104. 83 Vgl. als Beispiel VG Sigmaringen, VB1BW 1998, 391 ff.: das Landratsamt nahm den Bürgermeister für Anwaltskosten in Regreß, weil dieser ohne die erforderliche Zustimmung des Gemeinderats einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung der Gemeinde gegenüber einer Verfügung des Landratsamtes (!) beauftragt hatte. 84 Henrichs, DVB1. 1959, 555; vgl. in diesem Zusammenhang die berechtigte Mahnung von Knemeyer, BayVBl. 1999, 195 f., daß Kommunalaufsicht nach dem Opportunitätsprinzip nicht Beliebigkeit meine. 85 Vgl. hierzu BVerfGE 6, 104, 114 f.; 7, 155, 167 f. 82

42 Roth

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nicht gekannten Weise politisiert und die Gefahr heraufbeschworen hat, daß die Aufsicht aus politischen Gründen überhaupt nicht, nicht richtig, nur unzulänglich oder verspätet, oder sonst in einer Art und Weise ausgeübt wird, die keine effektive Wahrung der Kompetenzordnung gewährleistet 86. Insoweit nämlich die Leitung der Aufsichtsbehörde, sei es der Landrat, sei es der Regierungspräsident, sei es gar der Minister, politisch mit einem der an der Organstreitigkeit Beteiligten übereinstimmt, beispielsweise mit der Gemeinderatsmehrheit gegen die Gemeinderatsminderheit oder - denkbar zumal in Ländern, in denen die Bürgermeister von der Gemeindeeinwohnerschaft direkt gewählt werden - mit dem Bürgermeister gegen die Mehrheit des Gemeinderats, so ist nicht nur aus subjektiver Sicht verständlicherweise das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Aufsichtsbehörde eher gering, sondern vielmehr kann solchenfalls auch bei objektiver Betrachtung vielfach nicht ohne weiteres von einer unbefangenen und neutralen Ausübung der Staatsaufsicht ausgegangen werden. Insbesondere wenn es sich um brisante und politisch umstrittene Angelegenheiten handelt, mag die verantwortliche Aufsichtsbehörde hier von einem Vorgehen gegen ihr politisch nahestehende Bürgermeister oder Gemeinderatsmehrheiten absehen87 oder sich überhaupt aus der Angelegenheit heraushalten wollen. In derartigen Konstellationen ist es daher aus Sicht der Rechtsgemeinschaft für die Rechtsdurchsetzung ersichtlich von großem Wert, wenn die direkt betroffenen Organe ihre Kompetenzen als subjektive Rechte ohne Einschaltung der Aufsichtsbehörde erforderlichenfalls auch selbst gerichtlich geltend machen können88, um so die Entscheidung einer neutralen und unabhängigen Instanz herbeiführen zu können, die auch in politisch heiklen Fällen eine ausreichend friedensstiftende Wirkung zu entfalten geeignet ist. Übrigens stellen die dargelegten Schwächen der staatlichen Rechtsaufsicht von der Warte der beaufsichtigten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts keinen Nachteil dar. Tatsächlich dürften sie diese im Interesse ihrer Autonomie sogar begrüßen. Gerade die für Organstreitigkeiten besonders anfälligen Gemeinden, aber auch etwa die Hochschulen, Rundfunkanstalten und Kammern besitzen keineswegs ein Interesse an staatlichen Aufsichtsmaßnahmen. So kann man etwa davon ausgehen, daß die landespolitisch keineswegs einflußlosen Kommunalpolitiker quer durch alle politischen Lager eifersüchtig darüber wachen, daß die staatlichen Behörden die Kommunalaufsicht mit der gebotenen Zurückhaltung ausüben89. Gleiches gilt für die - freilich 86

Vgl. Groß, Kollegialprinzip, S. 317; Kingreen, DVB1. 1995, 1341 f. Henrichs, DVB1. 1959, 561; Kingreen, DVB1. 1995, 1342. Ähnliche Probleme bestehen in Ansehung des Beanstandungsrechts des Bürgermeisters (vgl. Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 79 ff.) bzw. des Universitätspräsidenten/-rektors (vgl. Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 45). 88 Vgl. Henrichs, DVB1. 1959, 558, 561. 89 Vgl. Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 154. 87

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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weniger einflußreichen - um die Freiheit von Forschung und Lehre besorgten Hochschulverantwortlichen, und noch mehr für die Rundfunkanstalten, die sich durch die ihnen jederzeit auch im Eigeninteresse mögliche Mobilisierung der Öffentlichkeit recht wirksam jeder von außen kommenden unerwünschten Kritik und Kontrolle zu entziehen verstehen. Der Erhaltung und Stärkung der Autonomie der betroffenen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen ist jedenfalls mehr gedient, wenn sie ihre Organstreitigkeiten vor Gericht austragen können, als wenn jedesmal, wenn ein Organ oder Organteil seine Rechte verletzt sieht, diesem als einzige Möglichkeit die Anrufung der Rechtsaufsicht bliebe, und diese dann womöglich einschritte 90. Da die betreffenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen demgegenüber in dem Maße von staatlichen Rechtsaufsichtsmaßnahmen verschont bleiben dürften, in dem etwaige Organstreitigkeiten gerichtlich ausgetragen werden können, besteht aus ihrer Sicht durchaus ein Interesse an subjektiven Organrechten, damit eben diese gerichtliche Streitaustragung auch möglich ist. Gegen die Annahme, daß bestehende Aufsichtsmöglichkeiten der Bejahung subjektiver Rechte der Organe der beaufsichtigten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen entgegenstünden, spricht außer der Unerzwingbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen schließlich noch grundsätzlich, daß die staatliche Aufsicht durchaus wesensverschieden ist von dem durch subjektive Rechte in aller Regel ermöglichten gerichtlichen Rechtsschutz91. Im ersteren Fall geht es um eine vorrangig im Allgemeininteresse auszuübende - und eben darum dem Opportunitätsprinzip unterliegende und nicht erzwingbare - objektive Rechtskontrolle, im zweiten Fall um eine dem betroffenen Rechtssubjekt selbst in die Hand gegebene Möglichkeit der Geltendmachung seiner Kompetenzen. Schon aufgrund dieser ganz unterschiedlichen Stoßrichtung wäre es nicht überzeugend, subjektive Rechte im Hinblick auf bestehende Aufsichtsmöglichkeiten zu verneinen. In der Tat ist aus diesen Gründen schon das PrOVG in einem Grundsatzurteil der Ansicht entgegengetreten, daß eine aufsichtsbehördliche Kontrollmöglichkeit der gerichtlichen Entscheidung entgegenstehe oder daß die aufsichtsbehördliche Bestätigung einer Entscheidung eines Organs die nachherige gerichtliche Aufhebung derselben ausschließe. Das PrOVG betonte zwar den Vorzug aufsichtsbehördlicher Kontrolle, nicht nur die Gesetz-, sondern eben auch die 90

Vgl. Fuß, WissR 1972, 100. BVerwGE 104, 170, 180; VGH München, Z U M 1995, 423, 424; 1996, 326, 331; OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 447; Bethge, HKWP II, S. 180; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 124 ff; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 150; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 51 f.; Groß, Kollegialprinzip, S. 317; Henrichs, DVB1. 1959, 556; Kingreen, DVB1. 1995, 1340; Kiock,, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 138 f.; Kisker, Insichprozeß, S. 41 f.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 81; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 103 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 76; a.A. Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 365. 91

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Zweckmäßigkeit des betreffenden Aktes überprüfen zu können, und „in der Regel auch einen einfacheren und schnelleren Weg darzustellen]" 92 . Zugleich aber bejahte es die Frage, „ob neben dieser Aufsichtsprüfung noch ein die Herbeiführung einer höchstrichterlichen Entscheidung über streitige Rechtsfragen ermöglichendes Beanstandungsrecht der in § 15 des [PrZustG] 93 bezeichneten Behörden bestehen kann": „Es ist aus den gesetzlichen Vorschriften nichts dafür zu entnehmen, daß nicht neben der Kontrolle der Verwaltungsaufsichtsbehörde ... eine solche im Beanstandungsverfahren zulässig sein sollte. Die Aufgaben in beiden Fällen sind nicht die gleichen, insofern im Genehmigungs- und Bestätigungsverfahren auch Zweckmäßigkeitserwägungen eine Rolle spielen, im Beanstandungs- (und Anfechtungs-)verfahren nur eine Rechtskontrolle zulässig ist"; die vom Gesetzgeber gewollte „Nachprüfung durch den unabhängigen Richter" werde deshalb weder durch bestehende Aufsichtsmöglichkeiten noch selbst durch vorgesehene aufsichtsbehördliche Bestätigungsverfahren ausgeschlossen94. Diese Erwägungen gelten entsprechend noch heute: Aufsichtsbehördliches Einschreiten mag in der Regel einen einfacheren und schnelleren Weg darstellen, und wenn er mit Erfolg beschritten wird, so entfällt natürlich auch die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Anrufung des Gerichts. In Abwesenheit ausdrücklicher dahin gehender gesetzlicher Bestimmungen ist jedoch kein Organ verpflichtet, sich zuerst an die Aufsichtsbehörde zu wenden, ehe das gerichtliche Verfahren eingeleitet wird, und jedenfalls besteht kein allgemeiner Grundsatz, daß Organstreitigkeiten angesichts bestehender Aufsichtsmöglichkeiten keiner gerichtlichen Entscheidung unterliegen könnten. So bedeutsam etwaige Aufsichtsmöglichkeiten insbesondere im Hinblick auf eine Zweckmäßigkeitskontrolle auch sein mögen, so können sie doch nie die Bedeutung der verbindlichen Entscheidung von Rechtsfragen durch unabhängige Gerichte bis hin zu einer höchstrichterlichen Entscheidung erreichen oder das Interesse an einer solchen entfallen lassen. Das Bestehen von Aufsichtsmöglichkeiten ist nach alledem kein Grund, jene Voraussetzungen wie etwa das Bestehen subjektiver Rechte zu negieren, welche die Anrufung des Gerichtes statthaft machen. Erwägenswert wäre allenfalls, inwiefern die Möglichkeit etwaigen aufsichtsausbehördlichen Einschreitens unter Umständen das Rechtsschutzbedürfnis schließen kann, wenn die Kompetenzordnung auf diesem Wege schneller und einfacher durchzusetzen ist. Befürwortete man eine derartige Bedingung des Rechtsschutzinteresses, so könnte dies zwar im Einzelfall ebenso zur Unzulässigkeit einer Klage des betroffenen Organs führen wie die Verneinung schon des subjektiven Rechts und damit der Klagebefugnis. Dennoch machte dies 92

PrOVGE 87, 102, 104. Zu dem Beanstandungs- und nachfolgenden Klageverfahren nach § 15 PrZustG oben E.II.5.b.aa. 94 PrOVGE 87, 102, 106 f. 93

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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nicht nur dogmatisch, sondern auch praktisch einen großen Unterschied. Denn das Rechtsschutzinteresse ist ein vom Gericht flexibel zu handhabender Faktor, der eine Berücksichtigung verschiedener Aspekte (z.B. Neutralität der Aufsichtsbehörde, Akzeptanz der Entscheidung, Schwierigkeit und Ungeklärtheit einer Rechts- oder auch Tatfrage) erlaubt und so einen unangemessenen pauschalen Ausschluß von Rechtsschutz allein im Hinblick auf bestehende Aufsichtsmöglichkeiten vermeidet. Würden dagegen schon subjektive Organrechte verneint, so wäre der Weg zu einer gerichtlichen Entscheidung dauerhaft verbaut, und zwar selbst noch nachdem die Aufsichtsbehörde - möglicherweise sogar pflichtwidrig - ein Einschreiten abgelehnt hätte. Verortet man die Frage einer Aufsichtsmöglichkeit hingegen richtigerweise auf der Ebene des Rechtsschutzbedürfnisses, so ergäbe sich allenfalls eine Obliegenheit des betroffenen Organs, vor Anrufung der Gerichte zu versuchen, die Aufsichtsbehörde zu einem Einschreiten zu bewegen. Scheitert dieser Versuch jedoch, so kann das sich in seinen Kompetenzen verletzt sehende Organ oder Organteil ohne weiteres das Gericht anrufen und somit den Rechtsstreit dorthin bringen, wo er nach dem Gewaltenteilungsprinzip hingehört. Ob bestehende Aufsichtsmöglichkeiten tatsächlich geeignet sind, das Rechtsschutzinteresse auszuschließen, ist an passender Stelle zu untersuchen 95.

bb) Mittelbare Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Klagen Dritter? In eine ähnliche Richtung wie die Frage nach Aufsichtsmöglichkeiten geht die Überlegung, ob die Notwendigkeit eigener Rechtsschutzmöglichkeiten von Organen und Organteilen nicht zumindest dann entfällt, wenn etwaige Kompetenzverletzungen im Rahmen von Klagen Dritter geltend gemacht werden können96. So ist etwa darauf verwiesen worden, die überstimmte Gemeinderatsminderheit müsse das Ergebnis gegen sich gelten „und es dem durch die Entscheidung Betroffenen überlassen, gegen den etwa rechtswidrigen Beschluß vorzugehen" 97, so daß „dieser innerorganisatorische Rechtsschutz ... dort nicht existieren [kann], wo der Bürger sich selbst unter Zuhilfenahme der Gerichte zu schützen in der Lage ist" 98 . Das Bestehen etwaiger Klagemöglichkeiten Dritter gegen unter Kompetenzverletzungen ergangene Maßnahmen läßt indessen das Eigeninteresse der Rechtsgemeinschaft an einer Subjektivierung der Kompetenzvorschriften zu95

S. unten H.III. 1. Bejahend Lüders, Ratsausschüsse, S. 111, 113 ff. 97 Vgl. LVG Düsseldorf, Der Städtetag 1954, 387; vgl. auch Schnapp, VerwArch 1987, 457: bei Klagemöglichkeit des Bürgers „in rechtspolitischer Hinsicht kein zwingender Grund" für Subjektivierung einer internen Verfahrensbestimmung. 98 Lüders, Ratsausschüsse, S. 156. 96

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

gunsten der beteiligten Organe und Organteile aus mehreren Gründen nicht entfallen. Zum einen gibt es Fälle, in denen dem Dritten ungeachtet der Kompetenzverletzung überhaupt keine Klagebefugnis zusteht. Denn eine Kompetenzverletzung impliziert infolge der Relativität jeder Rechtswidrigkeif 9 keineswegs immer auch eine Rechtswidrigkeit im Außenverhältnis. Es gibt Kompetenzverletzungen, die sich auf das Außenverhältnis nicht auswirken, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme dem Dritten gegenüber also unberührt lassen und von diesem daher überhaupt nicht gerügt werden können 100 . Es ist evident, daß in bezug auf derartige Kompetenzvorschriften der Verweis auf die Klage eines Dritten als mittelbare Durchsetzungsmöglichkeit von vornherein untauglich ist. Doch selbst soweit Kompetenzvorschriften - wie regelmäßig - in dem Sinne (auch) den Schutz des Dritten bezwecken, daß sie bei der Vorbereitung oder Vornahme von Maßnahmen im Außenverhältnis zu beachten sind, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme im Außenverhältnis also die Einhaltung der internen Kompetenzen voraussetzt 101 und sich der von einer solchen Maßnahme Betroffene deshalb zur Abwehr einer Rechtsverletzung an sich auf einen Verstoß gegen die Kompetenzordnung berufen könnte, fehlt ihm doch in dem praktisch wichtigen Fall die Klagebefugnis, daß er durch die rechtswidrige Maßnahme gar nicht beschwert, sondern (ungerechtfertigt) begünstigt wird 1 0 2 . Da der Dritte in diesen keineswegs hypothetischen Fällen einer fehlenden Außenwirkung von Kompetenzvorschriften und einer fehlenden Beschwer den Kompetenzverstoß noch nicht einmal theoretisch in seiner Klage gegen die ergangene Maßnahme rügen kann, läßt sich die Kompetenzordnung schon deshalb nicht hinlänglich durch einen Verweis auf etwaige Klagen Dritter schützen. Doch selbst in den Fällen, in denen es immerhin denkbar wäre, die organisationsinterne Kompetenzordnung im Rahmen der Klage eines Dritten zu klären und - mittelbar - durchzusetzen, läßt sich diese Möglichkeit bei rechter Betrachtung noch weniger als Grund für die Verneinung subjektiver Organrechte anerkennen wie das Bestehen hierarchischer Aufsichtsmöglichkeiten. Entweder ein Organ hat ein subjektives Recht an einer bestimmten Kompetenz oder es hat dieses nicht. Es ist ausgeschlossen, diese Frage davon abhängig zu machen, ob ein Dritter durch die unter Verletzung dieser Kompetenz ergehende Maßnahme beschwert wird oder nicht. Muß aber über die Subjektivierung einer Kompetenz unabhängig von den potentiellen Außenwirkungen der kompetenzwidrigen Maßnahme entschieden werden, dann scheitert schon daran jeder Versuch, die

99

Vgl. hierzu näher Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 11 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 558 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 46 ff. 100 Vgl. näher unten G.IV.3.a.bb (3). 101 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 563, 595 ff. 102 Henrichs, DVB1. 1959,556.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

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Subjektivierung mit Blick auf die mögliche mittelbare Durchsetzung der Kompetenzordnung im Wege einer Klage Dritter zu verneinen. Jedenfalls wäre es sachwidrig und rechtsstaatlich fragwürdig, die Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Kompetenzordnung von einer zwar theoretisch möglich, praktisch jedoch völlig ungewissen Klage eines Dritten abhängig zu machen103. Das Vertrauen auf eine eventuelle Klage eines Dritten ist viel zu ungesichert, um solch einen weitreichenden Ausschluß subjektiver Organrechte zu rechtfertigen 104. Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb eine Klageerhebung durch den Dritten unterbleiben kann. So mag dieser gar nicht um die Kompetenzverletzung wissen bzw. deren rechtliche Bedeutung nicht erkennen, und deshalb überhaupt nicht realisieren, daß sich die Erhebung einer Klage lohnen könnte. Oder er mag das (Kosten)Risiko eines Prozesses scheuen, insbesondere wenn ihm die eigene Rechtsverletzung zu unbedeutend erscheint, um sie zu verfolgen. Ist der Dritte nicht bereit, Klage zu erheben, so bliebe es bei der Kompetenzverletzung, falls deren Durchsetzung tatsächlich allein von solchen Drittklagen abhinge. Dieser Umstand ist um so mißlicher, als die mittelbare Durchsetzung von Organkompetenzen durch Klagen Dritter diejenigen begünstigt, die über Parteien und Verbände derartige Klagen initiieren lassen können, während die Rechte derjenigen, die nicht auf diese Weise Kläger rekrutieren können, sehr prekär wären. Selbst wenn aber ein solcher Dritte die Klage erheben sollte, besteht immer noch keine Garantie für eine sachgemäße Prozeßführung. Beispielsweise angesichts der stetig verschärften gesetzlichen Anforderungen z.B. bei Präklusionsvorschriften und im Bereich der Rechtsmittelzulassung können leicht Fehler unterlaufen, die den Erfolg der Klage kosten können. Aus allen diesen Gründen wäre es nicht sachgerecht, die Durchsetzung der gesetzlichen Kompetenzordnung von Zufälligkeiten wie der Klagebefugnis, der Klagewilligkeit und dem prozessualen Geschick privater Dritter abhängig zu machen. Schon deshalb kann es nicht überzeugen, für die Durchsetzung von Organkompetenzen auf ein Modell mittelbarer Durchsetzung mittels Drittklagen zu bauen. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß es für die Entscheidung, ob Kompetenzen als subjektive Rechte eines Organs oder Organteils anzusehen sind, ohne Relevanz ist, ob eventuell Dritte im Rahmen einer Klage gegen die

103

Vgl. Baring , Der Städtetag 1952, 108; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 204; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 164; Fromm, Kommunal verfassungsstreitverfahren, S. 68 f. 104 Vgl. die entsprechende Argumentation des EuGH, mit der er die Notwendigkeit einer eigenständigen Klagebefugnis des Europäischen Parlamentes begründet hat: Die Anrufung des EuGH durch einen Mitgliedstaat oder einen einzelnen Bürger seien „bloße Eventualitäten, auf deren Eintritt das Parlament nicht zählen kann" (EuGH, Slg. 1990, 1-2041, 2072 Tz. 18 - Tschernobyl I; vgl. femer Triantajyllou., DÖV 1990, 1043).

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

auf einer Kompetenzverletzung beruhende Entscheidung oder Maßnahme die Kompetenzverletzung inzident mit Erfolg geltend machen können.

cc) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Auswechslung der Organwalter des gegnerischen Organs? Zu erwägen ist ferner, ob subjektive Rechte an einer Kompetenz womöglich dort entbehrlich sind, wo das sich in seinen Kompetenzen verletzt sehende Organ die Macht hat, die für die Kompetenzverletzung verantwortlichen Organwalter des anderen Organs abzuwählen oder abzuberufen 105. In der Tat könnte ein solches Vorgehen eine Durchsetzung der Kompetenzordnung gewährleisten, und deshalb könnte man meinen, wer abberufen kann, brauche keine subjektiven Rechte, um klagen zu können. Indessen läßt diese Möglichkeit allenfalls auf den ersten Blick das Bedürfnis für eine Subjektivierung der Kompetenz entfallen. Denn eine derartige Abberufung kommt als „Alles-oder-Nichts-Konzeption" 1 0 6 nur als ultima ratio ernsthaft in Betracht, also nur, wenn das Vertrauen in den Abzuberufenden vollständig verloren oder zumindest schwer beeinträchtigt ist 107 . Ein solcher Vertrauensverlust wird jedoch regelmäßig nur bei grundsätzlichen politischen Streitigkeiten vorliegen, für welche derartige Abberufungsmöglichkeiten denn auch in erster Linie gedacht sind, nachdem ja die (vorzeitige) Abberufung einzelner oder gar sämtlicher Organwalter eines Organs zumeist Störungen im Organisationsablauf impliziert, welche die etwaigen aufgrund eines Organstreitverfahrens zu erwartenden Beeinträchtigungen weit übersteigen. Freilich können auch schwerwiegende Rechtsverstöße unter Umständen das (politische) Vertrauen zerstören, doch wird eine solche Situation bei einem Streit um einzelne Kompetenzen in aller Regel nicht eintreten. Schon aus diesem Grund kann daher das Bedürfnis nach einer gerichtlichen Durchsetzbarkeit einzelner Kompetenzen nicht unter Berufung auf die nur theoretische Möglichkeit einer in praxi indiskutablen Abberufung verneint werden 108 . Überdies wäre durch einen solchen Akt ohnehin keine definitive (gerichtliche) Klärung der streitigen Rechtsfrage zu erreichen und daher nicht auszuschließen, daß es bei entsprechender Gelegenheit erneut zu einem solchen Konflikt kommen wird. Denn während die Ersetzung des Streitgegners einen politischen Streit beenden kann, ist sie nicht notwendig zur Beendigung eines rechtlichen Streites in der Lage. Gewiß mag der neu Berufene eine andere Rechtsmei105 Vgl. Mertens, in KölnKomm AktG, vor § 76 Rn. 5 zur aktienrechtlichen Organklage: Abberufung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat gemäß § 84 Abs. 3 AktG. 106 Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 84. 107 Vgl. Löer, Kontrolle, S. 127 f. 108 Vgl. Mertens, in KölnKomm AktG, vor § 76 Rn. 5; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 84.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

633

nung vertreten oder auch womöglich zur Vermeidung seiner eigenen Abberufung entgegen seiner Rechtsüberzeugung nachgeben. Ersteres wäre freilich eine bloße Hoffnung, die sich demnächst als trügerisch erweisen mag, letzteres eine pflichtwidrige Mauschelei zu Lasten der Kompetenzordnung und ein Verstoß gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung. Dementsprechend ist auch zu Recht noch nie vertreten worden, ein Verfassungsorganstreitverfahren des Bundestages gegen die Bundesregierung sei im Hinblick auf die Möglichkeit eines konstruktiven Mißtrauensvotums (Art. 67 GG) ausgeschlossen, und es ist nicht ersichtlich, wieso im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten etwas anderes gelten sollte 109 .

dd) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Rechtssetzung? In eine ähnliche Richtung ginge und gleichermaßen abzulehnen wäre auch der Vorschlag, Kompetenzstreitigkeiten durch Verfassungs- oder Gesetzesänderung zu bereinigen und subjektive Organrechte jedenfalls dann nicht anzuerkennen, wenn der Streit durch die beteiligten Organe zusammen - bzw. erst recht durch eines von ihnen alleine - im Wege der Rechtssetzung beigelegt werden könnte. In der Tat kann man zwar zumal angesichts politisch brisanter Kompetenzstreitigkeiten immer wieder die medienwirksam vorgetragene Forderung vernehmen, die streitenden Organe sollten ihre Streitigkeit nicht auf die Gerichte abwälzen, sondern besser im Wege der Gesetzgebung politisch verantwortlich selbst regeln. Ein solches Postulat beruht indessen auf mehreren Mißverständnissen. Unübersehbar gehen Kompetenzstreitigkeiten in praxi häufig mit politischen Meinungsverschiedenheiten einher, und wenn die Kompetenzstreitigkeit vor Gericht gebracht wird, mag es bei oberflächlicher Betrachtung unter Umständen so scheinen, als werde das Gericht zur Entscheidung eines politischen Streites mißbraucht. Das ist freilich keineswegs der Fall. Das Gericht hat sich durchweg auf die Entscheidung der Rechtsfrage zu beschränken und darf gerade nicht selbst die politische Entscheidung fallen. Natürlich hat die gerichtliche Entscheidung zwangsläufig Konsequenzen für den Ausgang des politischen Konfliktes. Denn je nachdem, welchem Organ das Gericht die Kompetenz zuerkennt, vermag sich die eine oder andere politische Sicht durchzusetzen 110. Das ist aber nur die Folge der rechtlichen Klärung der Kompetenzordnung, und nicht Inhalt der Gerichtsentscheidung. Vielmehr bleibt die politische Verantwortung stets bei dem Organ, das gemäß der Gerichtsentscheidung die diesbe109

Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 84 betonen mit Recht, daß auch ein Rücktritt der betroffenen Organwalter von ihrem Amt als Lösung von Organstreitigkeiten ausscheidet. 110 Zur Kompetenz als Zuweisung der (politischen) Sachentscheidungsbefugnis oben A.I.3.C und C.I.l.d.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

zügliche Kompetenz besitzt, was sich schon daran zeigt, daß das obsiegende Organ selbstverständlich nicht gehindert ist, sich anschließend doch noch mit dem unterlegenen Streitgegner zu verständigen oder eine Änderung seiner Politik zu vollziehen. Die Ansicht aber, echte Rechtsstreitigkeiten vorrangig durch Rechtssetzung zu entscheiden und deshalb dem rechtssetzungsbefugten Organ subjektive Rechte an seinen Kompetenzen abzusprechen, kann ernsthaft nicht vertreten werden. Nach Art. 92 GG ist die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten den Gerichten übertragen, und nirgendwo in der Verfassung ist ein Grundsatz zu erkennen, daß der Gesetzgebung zur Bereinigung von Rechtsstreitigkeiten der Vorzug gebühre. Dies gilt schon deshalb, weil eine Gesetzesänderung regelmäßig allenfalls für die Zukunft Klarheit über die Kompetenzverteilung schaffen kann, während ja der Rechtsstreit um die Kompetenzordnung für einen gegenwärtigen Streit entschieden werden muß. Außerdem kann das Gesetzgebungsverfahren unter Umständen viel zu lange dauern und gerade bei politisch sensiblen Kompetenzfragen mit zu vielen Unwägbarkeiten behaftet sein. Zudem ist zu bedenken, daß in der Politik nicht selten Koppelungsgeschäfte vorgenommen werden, und es kann schon deshalb kein verfassungsrechtliches Gebot geben, eine Rechtsstreitigkeit statt durch die Gerichte entscheiden zu lassen politisch im Rechtssetzungswege auf Kosten anderer Interessen lösen zu müssen. Vor allem ist auch ganz unklar, welchen Inhalt ein solches Gesetz haben sollte. Eine inhaltliche Änderung der Kompetenzordnung, nur weil im Einzelfall und womöglich gar noch in einer ganz besonderen Konstellation Streit über ihre wirkliche Bedeutung besteht, erschiene unsinnig. Also käme ernsthaft nur der Erlaß eines lediglich klarstellenden Gesetzes in Betracht. Das aber setzte Einigkeit darüber voraus, was in welcher Weise klarzustellen sei, doch diese Einigkeit fehlt im Streitfalle ja gerade und wird ohne Gerichtsentscheidung nicht mehr zu erlangen sein. Selbst wenn aber die Richtung, in welcher die Klarstellung vorzunehmen wäre, mehrheitlich konsentiert sein sollte, so bestünde angesichts der Schwierigkeit, präzise Gesetze zu formulieren, noch nicht einmal die Gewähr, daß eine derartige Gesetzesänderung den aktuellen Streitfall erledigt und nicht auch noch diese Änderung Streit verursacht. Generell ist keineswegs gewiß, ob und inwieweit Gesetzesänderungen wirklich Rechtssicherheit schaffen. Nicht selten produziert nämlich eine Gesetzesänderung mehr neue Zweifelsfälle als sie allenfalls alte lösen könnte, und so kommt es dann nur zu neuen Streitigkeiten, die es unter dem bisherigen Recht nicht gab oder die hier schon als gelöst galten. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß selbst die Möglichkeit einer durch ein am Organstreit beteiligtes Organ einseitig herbeizuführenden Gesetzesänderung zur Klarstellung oder Änderung der Kompetenzordnung kein Grund dafür wäre, diesem Organ ein subjektives Recht an der streitigen Kompetenz abzusprechen.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

635

Ob es unter Umständen den Schritt der Rechtssetzung beschreiten will, ist eine ausschließlich rechtspolitische Frage ohne Bedeutung für die Auslegung und Anwendung des bestehenden Rechts. Deshalb ist es übrigens auch ausgeschlossen, im Hinblick auf eine Gesetzgebungsmöglichkeit das Rechtsschutzbedürfhis für ein Organstreitverfahren zu verneinen: Gesetzgebung ist keine Durchsetzung bestehender Rechte in einfacherer Weise, sondern beinhaltet eine auf ganz anderer Ebene angesiedelte Maßnahme der Änderung der Rechtslage. Eine andere und selbstverständlich zu bejahende Frage ist, daß, falls aus welchen Gründen auch immer die Kompetenzordnung geändert werden sollte, sich ein anhängiges Organstreitverfahren erledigen kann; ob dann noch ein Interesse an der Feststellung der Organrechte gemäß der früheren Kompetenzordnung besteht, richtet sich nach allgemeinen Grundsätzen 111.

ee) Durchsetzung der Kompetenzordnung durch Sanktionsmaßnahmen gegen die verantwortlichen Organwalter? Verstöße gegen die Kompetenzordnung können sich als Verletzung der Dienstpflichten der beteiligten Organwalter darstellen und gegebenenfalls die entsprechenden disziplinarischen Folgen nach sich ziehen 112 . Es wäre gleichwohl fragwürdig, hierauf die Durchsetzung der Kompetenzordnung bauen zu wollen. Abgesehen davon, daß es wenig sinnvoll erscheint, die vielleicht schwierige und umstrittene Kompetenzabgrenzung als Vorfrage in einem Sanktionsverfahren gegen einzelne Organwalter entscheiden zu wollen 113 , setzen derartige Sanktionen im allgemeinen vorsätzliche oder wenigstens (grob) fahrlässige und schuldhafte Kompetenzverletzungen voraus, so daß Fälle rechtlicher Zweifel über die Kompetenzverteilung von vornherein nicht erfaßt sind. Zudem richten sich solche Sanktionen stets gegen den Organwalter persönlich, ohne damit schon notwendig die Kompetenzverletzung als solche bereinigen zu können 114 . Das Ergreifen derartiger Schritte gegen den für eine Kompetenzverletzung verantwortlichen Organwalter ist daher von vornherein kein taugliches Mittel zur Austragung oder Bereinigung von Organstreitigkeiten.

111

S. hierzu unten H.II.4. Schnapp, Amtsrecht, S. 217 f. 113 Zu den Nachteilen einer solchen Streitverlagerung auf andere Ebenen vgl. oben F.I.3.b.cc. 114 S. oben A.II.4.d. 112

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

2. Mögliche Nachteile einer Subjektivierung von Kompetenznormen Die vorstehende Betrachtung hat ergeben, daß die Rechtsgemeinschaft ein sehr großes Interesse an der Subjektivierung ihrer Kompetenznormen haben muß, nachdem sie mit der konkreten Ausgestaltung der Kompetenzordnung höchst gewichtige Verfassungsprinzipien umsetzt und die effektive Durchsetzung der Kompetenzordnung, insbesondere ihre Geltendmachung im Falle ihrer Verletzung auf anderem Wege nicht in ähnlicher Weise zu gewährleisten ist. Dieses erhebliche Subjektivierungsinteresse muß dazu führen, gesetzliche Kompetenznormen in sehr weitem Umfang als subjektivrechtlich anzusehen, es sei denn natürlich, einer solchen Subjektivierung stünden gewichtige Nachteile für die Rechtsgemeinschaft entgegen. Problematisch könnte insofern erscheinen, inwieweit damit die Funktionsfähigkeit und Effizienz der betreffenden Organisationen beeinträchtigt werden könnte, ob die Gefahr einer Überlastung der Gerichte besteht, und ob es zu einer inakzeptablen Einbuße an Opportunitätskontrolle kommen kann 115 .

a) Funktionsfähigkeit

und Effizienz

der Organisation

Die Funktionsfahigkeit aller Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts116 sowie ihrer Organe 117 ist ein Verfassungsprinzip, und folglich muß die Subjektivierungsentscheidung darauf Bedacht nehmen, daß diese Funktionsfähigkeit erhalten bleibt, ja nicht nur die Funktionsfähigkeit überhaupt, sondern vielmehr zugleich die Effizienz der Organisation und ihrer internen Abläufe 118 . Obgleich juristische Personen und ihre Organe und Organteile als Rechtssubjekte Kreationen der Rechtsordnung sind 119 , und dieser daher ein erheblicher Gestaltungsspielraum zukommt, wie Organstreitigkeiten ausgetragen werden sollen, ist dieser Spielraum doch nicht unbegrenzt. So wie die

115 Zu den möglichen Nachteilen einer Subjektivierung von Recht allgemein näher oben F.I.4. 116 Zur Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen und Organe als Verfassungsprinzip vgl. BVerfGE 14, 121, 135; 33, 23, 32; 33, 303, 339; 48, 127, 159 ff.; 96, 19, 32; 99, 264, 281; Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR I, § 13 Rn. 173; Schwarz, BayVBl. 1998, 711 f.; Stern, Staatsrecht III/2, § 79 IV 3 a ß. - Vgl. auch unten G.II.l.a. 117 Speziell zur verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gehört auch die Garantie der Funktionsfähigkeit der Kommunalorgane, BayVerfGH 33, 87, 95; 46, 43, 44 (vom Demokratieprinzip erfordert); BayVerfGH, BayVBl. 1997, 622, 625. 118 Zur Verwaltungseffizienz als Rechtsprinzip vgl. etwa Schenke, VB1BW 1982, 316; Schwarze, DÖV 1980, 588 ff. 119 S. oben E.II.4.b.bb.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

637

Rechtsordnung nicht an der Notwendigkeit von Organisationen vorbeigehen kann 120 , sondern diese sinnvollerweise rechtlich anerkennen und Regeln über ihre Bildung, Zusammensetzung und Funktionsweise aufstellen und bereithalten muß, so muß sie auch Regeln kennen, wie bei Organisationen mit mehreren Organen bzw. bei pluralistischen Organen im Falle einer Funktionsstörung oder bei Auftauchen sonstiger Probleme zu verfahren ist, damit ihre Funktionsfähigkeit gesichert und ihr Auseinanderbrechen, Funktionsblockaden oder andere Beeinträchtigungen verhindert werden können 121 . Insofern könnte man Bedenken tragen, inwieweit die Subjektivierung von Kompetenzvorschriften zu Lasten der Funktionsfähigkeit der Organisation oder deren Organe gehen kann: Subjektive Organrechte ermöglichen die Anrufung der Gerichte, und diese könnten dann womöglich durch Entscheidungen - gegebenenfalls auch im Wege einstweiliger Anordnungen 122 - empfindlich in den organisationsinternen Funktionsablauf eingreifen. Zumal angesichts oftmals langer Verfahrensdauern könnten hieraus erhebliche Einbußen bei der Schnelligkeit der Verwaltungsabläufe resultieren. Derartige Bedenken sind indessen nicht geeignet, das für Kompetenzvorschriften bestehende starke Subjektivierungsinteresse der Rechtsgemeinschaft auszuschließen oder auch nur nennenswert zu mindern. Zunächst darf der Effizienzgedanke keinesfalls verabsolutiert werden. Obgleich der Leitgedanke der Funktionsfähigkeit und Effizienz der Verwaltung unzweifelhaft eine gewichtige Rolle bei der Entscheidung spielen muß, ob und welche Kompetenzen als subjektivrechtliche statuiert werden sollen, so beansprucht doch andererseits das Effizienzprinzip mitnichten den höchsten Rang innerhalb der Rechtsordnung. Die „Effizienz" der Tätigkeit hoheitlicher Organe ist kein Ziel an sich, kann nicht isoliert für sich, sondern immer nur als Forderung nach einer effizienten Erfüllung anderweit vorgegebener Ziele sinnvoll gefordert werden 123 . Deshalb dürfen, ja müssen sogar um anderer wichtiger Ziele willen mitunter minder „effiziente" Lösungen und Entscheidungsabläufe gewählt werden, die vielleicht langsamer und aufwendiger sind, dafür aber ein bei normativ wertender Betrachtung besseres Ergebnis hervorbringen. Dies gilt auch bei der Beurteilung 120

S. oben E.II.4.b.cc. Keine Rolle spielt für das Gesagte übrigens, ob es sich bei der Organisation um einen freiwilligen oder um einen gesetzlich erzwungenen Zusammenschluß handelt. Bei Zwangsvereinigungen haben die Mitglieder, eben weil sie nicht ausscheiden können, wenn ihnen Ineffizienz oder Untätigkeit der Organisation nicht behagen, eine eher noch größere und legitimere Erwartungshaltung, daß die Rechtsordnung für ein erträgliches Funktionieren sorge. 122 Zum einstweiligen Rechtsschutz in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren unten H.IV. 123 Vgl. Hufen,, Fehler, Rn. 56, 591; Roth,, Faktische Eingriffe, S. 453 f.; Schenke, VB1BW 1982, 316; Schwarze, DÖV 1980, 591. 121

638

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

von Kompetenzvorschriften. Selbst wenn die Annahme subjektiver Organrechte gewisse Einbußen an der Verwaltungseffizienz implizierte, wäre dies daher kein zwingendes Argument gegen die Subjektivierung der Kompetenznormen. Es ist nötig, das Interesse an einem effizienten Funktionieren der Organisation und das Interesse an einer Subjektivierung der Kompetenznormen zwecks Erhöhung der Effizienz und Durchsetzungsgewähr des Rechts in das richtige Verhältnis zueinander zu setzen. Ob ein eine Kompetenz einräumender Rechtssatz ein subjektives Recht an der Kompetenz begründet, hängt nach den zum subjektiven Recht dargelegten allgemeinen Grundsätzen nicht von dem diesbezüglichen Interesse des etwa Berechtigten ab, sondern vielmehr von dem Subjektivierungsinteresse der normsetzenden Körperschaft 124. Es wäre deshalb schon im Ansatz verfehlt, das Subjektivierungsinteresse aus der Sicht der Organisation und der betroffenen Organe zu betrachten und nach deren Effizienzvorstellungen zu fragen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Körperschaft, die den fraglichen Rechtssatz erlassen hat, diesen als subjektiv- oder nur als objektivrechtlich verstehen will. Bei staatlichen Rechtssätzen kommt es also auf die Sicht des Staates an, bei sonstigen Rechtssätzen auf die Sicht ihres jeweiligen Trägers, z.B. bei kommunalen Satzungen auf das Subjektivierungsinteresse der Gemeinde. Daß die Subjektivierungsfrage aus Sicht des Trägers der Kompetenznormen und nicht aus Sicht der von der Kompetenzregelung betroffenen Organisation zu beantworten ist, leuchtet unmittelbar ein, wenn beide nicht identisch sind, was in bezug auf die Gemeinden, Hochschulen, Rundfunkanstalten usw. praktisch höchst bedeutsam ist: Soweit die Kompetenzen der Gemeinde-, Hochschul- bzw. Rundfunkanstaltsorgane auf staatlichen Rechtssätzen beruhen, kommt es fur die Subjekti vierungsfrage daher allein auf die staatliche Sicht, nicht auf die der Gemeinde, Hochschule oder Rundfunkanstalt an. Analytisch gilt dieser Unterschied aber auch, wenn die betreffende Organisation selbst Trägerin der Kompetenznormen ist, z.B. soweit es um staatliche Organe und Organteile geht, deren Kompetenzen auf staatlichen Rechtssätzen beruhen. Zwar könnte man meinen, das Subjektivierungsinteresse des normsetzenden Staates und das Subjektivierungsinteresse des Staates als Träger seiner Organe und Organteile fielen gewissermaßen zusammen. Indessen weicht das - normativ allein maßgebliche - Subjektivierungsinteresse des Staates als Träger der Gesetze durchaus von dem Interesse des Staates als Organisation ab 125 . Aus Sicht des Staates als Organisation müßte über die Subjektivierung in der Tat allein mit Blick auf die Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit und Effizienz entschieden werden, weil das oberste Interesse jeder Organisation die Gewährlei124

S. oben F.I.l. In entsprechender Weise richtet sich bei auf kommunaler Satzung beruhenden Kompetenzen die Frage der Subjektivierung nach der Sicht der Gemeinde als Trägerin der Satzung, nicht der Gemeinde als Organisation. 125

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

639

stung ihres eigenen Funktionierens in möglichst störungsfreier Weise sein muß. Das Blickfeld des Staates als Träger von Rechtsnormen dagegen ist sehr viel weiter. Der Staat als Träger der staatlichen Gesetze ist nämlich auf eine umfassende Berücksichtigung aller Interessen verpflichtet und unter diesem Blickwinkel mag sich die Subjektivierungsfrage anders darstellen, als wenn über die Subjektivierung einer Kompetenz ausschließlich unter organisatorischen Gesichtspunkten zu entscheiden wäre. Politik und Verwaltung folgen unterschiedlichen „Rationalitäten" 126 , zumal die demokratisch gewählten Repräsentationsorgane (Parlament, Gemeinderat) in ganz anderer Weise auf die Zustimmung und Billigung der Bürger angewiesen sind als die Verwaltung und daher bei ihren Normsetzungsentscheidungen ein weiter abgestecktes Interessenfeld bedienen müssen und werden. Selbstverständlich ist das gute Funktionieren der staatlichen Organisation für den Gesetzgeber ein zentrales Anliegen. Indessen gibt es zahlreiche weitere Erwägungen, die in die Subjektivierungsentscheidung einfließen müssen. Aus Gründen des Gemeinwohls kann deshalb die Entscheidung über die subjektivrechtliche Natur einer Kompetenznorm anders ausfallen, als es sich bei einer Betrachtung unter rein organisationsbezogenen Effizienzgesichtspunkten darstellte. Es wäre somit verfehlt, den als Gesetzgeber agierenden Staat auf die staatliche Organisation zu reduzieren und so zu tun, als erließe er Rechtssätze vornehmlich zur Befriedigung organisatorischer Bedürfhisse. Dies führte bei der Auslegung zwangsläufig in die Irre, weil dann die Subjektivierungsproblematik einseitig unter organisationsspezifischen Effizienzgesichtspunkten gesehen würde, während alle anderen Interessen, die der gesetzgebende Staat nicht minder zu berücksichtigen hat und regelmäßig auch berücksichtigen will, unbeachtet unter den Tisch zu fallen drohten. Vor diesem Hintergrund griffe es zu kurz, die Subjektivierungsfrage vorrangig unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob das reibungslose Funktionieren der betreffenden Organisation und ihrer Organe möglicherweise unter einem verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren leiden könnte. Diese Fragestellung verengte den Blickwinkel unzulässig auf organisationsbezogene Bedürfhisse und ließe außer acht, daß das Gemeinwohl zunächst vor allem darauf gerichtet sein muß, daß die Organisation richtig, und das heißt: entsprechend der gesetzlichen Kompetenzordnung funktioniert. Andernfalls verselbständigte sich das Effizienzdenken zu Lasten der Gesetzmäßigkeit der Arbeit der Organisation. Ferner müssen auch die für die Verwaltungstätigkeit insgesamt negativen Folgen des Fehlens einer gerichtlichen Entscheidbarkeit von Kompetenzkonflikten bedacht werden. Versteht man eine Kompetenznorm rein objektivrechtlich, so kann zwar das sich in seinen Kompetenzen verletzt wähnende Organ oder Or-

126

Schulenburg, NWVB1. 1999, 131 f.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

ganteil dies nicht (gerichtlich) geltend machen, und damit setzt sich im konkreten Fall das kompetenzverletzende Organ durch. Damit ist der Konflikt aber natürlich nicht beigelegt. Zum einen wird so ein Grund für das Mißtrauen geschaffen, ob nicht bei nächster Gelegenheit wieder ein vergleichbarer Kompetenzübergriff erfolgen wird. Zum anderen wird so ein Anreiz für Vergeltungsakte geschaffen, welche die erlittene Kompetenzverletzung anderweit zu kompensieren suchen. Beides beschädigt indessen die Basis des für ein effizientes Arbeiten erforderlichen wechselseitigen Vertrauens. Es greift zu kurz, die Effizienz der Verwaltungstätigkeit jeweils isoliert anhand einzelner Fälle zu beurteilen, in denen die gerichtliche Geltendmachung einer Kompetenz möglicherweise in der Tat Komplikationen und Verzögerungen bewirken kann. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung wird sich nämlich zeigen, daß es in aller Regel besser ist, einzelne Streitfälle, wenn schon eine einvernehmliche Beilegung nicht möglich ist, durch unabhängige Gerichte definitiv entscheiden zu lassen, als das Risiko einzugehen, daß solche zunächst vereinzelten Streitigkeiten nach und nach das ganze Verhältnis infizieren. Die Vorteile, die durch die gerichtliche Entscheidung eines Kompetenzstreites zu erlangen sind - nämlich die Schaffung von Rechtsklarheit, die Vermeidung der Wiederholung derselben Streitigkeit, sowie die Chance eines im übrigen unbelasteten Kooperierens - überwiegen in ihrer effizienzfordernden Gesamtheit in aller Regel die etwaigen im konkreten Einzelfall allenfalls denkbaren Effizienzeinbußen bei weitem. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß die durch eine Beschneidung gerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten zu erzielende Kostenersparnis und Entlastung der Gerichtsbarkeit oft nur eine vordergründige ist. Gerichtsentscheidungen zumal höherer Instanzen entfalten eine beträchtliche friedensstiftende Wirkung, und deshalb kann die gerichtliche Entscheidung eines einzigen Falles nicht selten einer Vielzahl künftiger Streitigkeiten vorbeugen, welche sowohl die Kapazitäten der sich streitenden Organe als auch der Aufsichtsbehörden sowie wiederum der Gerichte erheblich in Anspruch nehmen könnten - von den möglichen negativen Folgen fortdauernder Kompetenzstreitigkeiten für Außenstehende in Gestalt kompetenzwidriger Maßnahmen einmal ganz abgesehen. Stellt man eine Gesamtbilanz der personellen und sachlichen Belastungen der öffentlichen Hand auf und betrachtet man nicht isoliert allein die Kosten des Gerichtsverfahrens in einem konkreten Fall, so ist keineswegs ausgemacht, daß sich durch einen Ausschluß subjektiver Organrechte überhaupt nennenswerte Ersparnisse erzielen ließen, und es dürfte sich sogar erweisen, daß eine solche Ansicht insgesamt und über längere Zeit betrachtet infolge des Mangels gerichtlicher Präjudizien und der damit verbundenen größeren Rechtsungewißheit deutlich höhere Kosten verursachte. Schließlich dürften sich etwaige Effizienzeinbußen als Folge der Subjektivierung von Kompetenznormen ohnehin in engen Grenzen halten. Es wurde bereits

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

641

hervorgehoben, daß Organe und Organteile infolge ihrer funktionellen Hinordnung auf die Organisation in einer besonderen Verantwortung stehen, deren effektives Funktionieren zu befördern statt zu behindern 127. Diese Verantwortung besteht auch dann fort - ja sie wird nicht zuletzt gerade dann aktuell - , wenn es zu einer organisationsinternen Streitigkeit gekommen ist. Die daran beteiligten Organe und Organteile sind daher verpflichtet, ihren Konflikt nicht zum Schaden der Organisation auszutragen, sondern auf diese in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen. Dies betrifft indes allein die Art und Weise der gerichtlichen Austragung der Organstreitigkeit, einschließlich des Stils der Prozeßführung, nötigt aber keineswegs zu der Annahme, eine gerichtliche Konfliktaustragung müsse im Funktionsinteresse grundsätzlich ausscheiden. Die besondere Rücksichtnahmepflicht streitender Organe und Organteile wirkt sich auch im Rahmen der Gerichtsentscheidung über einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen aus 128 . Das antragstellende Organ muß hier gegebenenfalls sehr weitreichende Einschränkungen seiner Möglichkeit hinnehmen, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen, und notfalls sogar ganz darauf verzichten und irreversible Nachteile hinnehmen, wenn anders erhebliche Beeinträchtigungen der Organisation drohten: Da Handlungen von Organen oder Organteilen in ihrem Verhältnis zueinander mangels intendierter Außenwirkung in der Regel keine Verwaltungsakte sind 129 und deshalb weder Widerspruch noch Anfechtungsklage mit Suspensiveffekt unterliegen, kommt einstweiliger Rechtsschutz allein über § 123 VwGO in Betracht. Bei seiner Abwägung über den Erlaß einstweiliger Anordnungen aber hat das Gericht die Auswirkungen derselben auf die Funktionsfähigkeit sowohl der Organisation als auch ihrer Organe in Rechnung zu stellen. Auf diese Weise ist deren Funktionsfähigkeit wirksam geschützt, so daß es auch von daher unnötig ist, gerichtlichen Rechtsschutz bei Organstreitigkeiten generell auszuschließen.

b) Belastung der Gerichte und des Gegners Bei jeder Subjektivierung von Recht ist die Gefahr erstens einer Überlastung der Gerichte durch eine Vielzahl dadurch ermöglichter Prozesse sowie zweitens einer unangemessenen Belastung des Streitgegners in Erwägung zu ziehen 130 . Nun zeigt sich indes, daß diese Gefahren bei Organstreitigkeiten in deutlich geringerem Maße drohen als bei der Subjektivierung von Recht allgemein. Dies liegt an der Natur der durch subjektive Organrechte Berechtigten. Die Organe 127

S. oben A.I.2.b.aa. Zum vorläufigen Rechtsschutz in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren unten H.IV. 129 Hierzu näher unten G.III.2.a. 130 Zu diesem Aspekt oben F.I.4. 128

43 Roth

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sind mit Organwaltern besetzt, die in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis stehen, das ihnen besondere Treuepflichten auferlegt und daher in der Regel ein verantwortungsvolles Handeln erwarten läßt. Zumal die entscheidungsbefugten Beamten stehen in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, das einen Mißbrauch der Möglichkeit zur Führung eines gerichtlichen Organstreitverfahrens weitestgehend ausschließen wird. Dazu kommt die Besetzung der Behörden mit rechtskundigen Beamten, von denen ein juristisch zumindest vertretbares Handeln zu erwarten ist, so daß die Gerichte in der Regel nur mit wirklich entscheidungsbedürftigen Fällen befaßt und die gegnerischen Organe nur mit echten Rechtsstreitigkeiten überzogen werden dürften. Diese Streitigkeiten werden ihrer Zahl nach kaum zu einer Überlastung der Gerichte führen, und die damit allerdings fraglos verbundene Belastung kann aus Sicht der Rechtsgemeinschaft schwerlich als ein gegen die Subjektivierung von Recht sprechender Nachteil verstanden werden, nachdem die Entscheidung solcher Fälle nun einmal gerade die spezifische Aufgabe der Gerichte ist. Zwar mögen insbesondere einzelne Gemeinderatsmitglieder in Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten nicht durchweg eine vergleichbare Gewähr juristisch verantwortlichen Handelns bieten, und insofern kann die Gefahr zu rein politischen Zwecken betriebener Verfahren nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Andererseits darf diese Gefahr nicht überbewertet werden. Da nämlich verlorene Prozesse, die nur die Unrichtigkeit des eigenen Standpunktes bezeugen, zumeist nicht als politische Erfolge zu verkaufen sind, dürfte sich die Versuchung, politischen Mißbrauch mit einer etwa eingeräumten Klagemöglichkeit zu betreiben, auch bei politischen Mandatsträgern in Grenzen halten. Aus diesen Gründen kommt der Überlastungsgefahr bei der Entscheidung über die Subjektivierung von Kompetenznormen ein wesentlich geringeres Gewicht zu als bei der Entscheidung über die Subjektivierung von Rechtssätzen, auf die sich tendenziell jedermann berufen könnte.

c) Verlust der Opportunitätskontrolle? Als ein aus Sicht der Rechtsgemeinschaft wesentlicher Nachteil jeder Subjektivierung von Recht wurde der damit verbundene Verlust der Opportunitätskontrolle bezeichnet, der als Folge davon eintritt, daß die Geltendmachung des Rechts nun nicht mehr alleinige Sache der zuständigen Behörde, sondern eben (auch) der unter Umständen zahlreichen Berechtigten ist 131 . Dieser Gesichtspunkt spielt jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht dieselbe Rolle wie 131

S. oben F.IAc.bb.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

643

bei der Subjektivierung von Rechtsnormen, auf die sich Private berufen können: Die Subjektivierung von Kompetenznormen führt zwar dazu, daß die begünstigten Organe selbst über die Geltendmachung ihrer Kompetenzen befinden können, statt auf die Hoffnung eines rechtsaufsichtsbehördlichen Einschreitens beschränkt zu sein, beläßt jedoch das Opportunitätsermessen sehr wohl innerhalb des hoheitlichen Bereiches. Jedes Organ behält nämlich die Entscheidungsmacht, ob und inwieweit es eine erfahrene Kompetenzverletzung aus übergeordneten Allgemeinwohlgründen auf sich beruhen lassen will. Allerdings wird diese Opportunitätsentscheidung hierdurch auf das von der Kompetenzverletzung jeweils betroffene Organ übertragen und büßt die Rechtsaufsicht folglich die alleinige Entscheidungsbefugnis ein. Indessen erscheint diese Verlagerung des Opportunitätsermessens durchaus als sachgerecht. Einerseits wird dadurch die Berücksichtigung des Allgemeininteresses nicht ausgeschlossen, gleichzeitig aber verhindert, daß die Rechtsaufsichtsorgane unter gefälliger Berufung auf das Allgemeinwohl von der Ahndung von Kompetenzverletzungen absehen, obschon in Wahrheit vielleicht nur kurzsichtige parteipolitische Rücksichtnahmen geübt werden 132 . Indem alle von der Kompetenzverletzung betroffenen Organe in diese Beurteilung einwilligen müssen, wird eine Sicherung geschaffen, daß eine aus Opportunitätsgründen hinzunehmende Kompetenzverletzung tatsächlich übergeordneten Gemeinwohlinteressen dient; hierin spiegelt sich der Umstand wider, daß sich das übergreifende Gemeinwohl ebenso wie das Wohl einer bestimmten Organisation ohnehin nur als Resultante der berührten legitimen öffentlichen Partikularinteressen und als Ergebnis des kompetenzordnungsgemäßen Zusammenspiels der betroffenen Organe verstehen läßt 133 . Auch dieser Aspekt kann daher nicht als Nachteil betrachtet werden, der im Kontext verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten das gemeinschaftliche Subjektivierungsinteresse ausschließen oder auch nur mindern könnte.

3. Ergebnis: Kompetenzen als subjektive Organrechte Die vorstehende Betrachtung läßt sich in dem vielleicht auf den ersten Blick überraschenden Ergebnis zusammenfassen, daß Kompetenznormen grundsätzlich durchgängig subjektivrechtlicher Natur sein müssen134. Angesichts der mit 132

Zu dieser Problematik oben F.II. 1 .b.aa. Vgl. hierzu oben E.I.2.b.bb und E.II.2. 134 So im Ergebnis auch Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 107, 198; ferner Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 71 (die allerdings die Kompetenzen nicht als subjektive Rechte einordnet, sondern lediglich die „grundsätzliche Klagbarkeit jeder Kompetenz" bejaht; vgl. hiergegen oben C.IV.4.); krit. Friesenhahn, in FS Thoma, S. 52, der subjektive Rechte im Verhältnis zwischen Verwaltungsbehörden zwar für möglich hielt, aber als „der Organisation eines Staates nicht gemäß" einschätzte. 133

644

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Kompetenznormen verfolgten wichtigen Ziele muß ein äußerst großes Interesse der Rechtsgemeinschaft an der möglichsten Durchsetzbarkeit der Kompetenzordnung bestehen, und dieses wiederum bedingt ein entsprechend hohes Subjektivierungsinteresse 135. Den großen durch eine Subjektivierung zu erzielenden Vorteilen stehen nur geringe zu befürchtende Nachteile gegenüber 136, so daß die Abwägung der Vor- und Nachteile eindeutig zugunsten einer weitgehenden Subjektivierung der Kompetenznormen ausfällt 137 . Der wesentliche Unterschied zu der parallelen Abwägungsentscheidung bei Rechtssätzen, die Private begünstigen können, besteht vor allem auf der Nachteilsseite dieser Abwägung: Wenn Private als Begünstigte in Betracht kommen, können die aus einer Subjektivierung des Rechtes entspringenden Nachteile für die Allgemeinheit wie für den Verpflichteten sehr viel größer sein, weil die privaten Berechtigten nicht auf das Allgemeinwohl verpflichtet sind, sondern ausschließlich Eigeninteressen verfolgen (dürfen), und zudem hier viel eher die Gefahr eines Mißbrauchs besteht, der die Lasten für den Verpflichteten ebenso wie die Belastung der Gerichte beträchtlich steigern kann. Da vergleichbare Nachteile bei einer Berechtigung der Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht bestehen, und jedenfalls gegenüber den Vorteilen kaum ins Gewicht fallen, ist sehr viel eher anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei vernünftiger Abwägung einem Organ subjektive Rechte an seinen Kompetenzen verleihen will, als es dort der Fall ist, wo es um die Berechtigung Privater geht. Im Ergebnis ist deshalb davon auszugehen, daß Kompetenznormen in sehr weitgehendem Umfang subjektiviert sind und von den betreffenden Organen und Organteilen als subjektive Rechte ausgeübt und - bei Gefährdung oder Beeinträchtigung - geltend gemacht werden können. Als subjektive Rechte kann diese ihre Geltendmachung unter den Gegebenheiten der heutigen Rechtsordnung bis zur verwaltungsgerichtlichen Klage gehen. Die konkrete Bedeutung dieser Subjektivierungsthese ist im nachfolgenden Abschnitt anhand konkreter Kompetenzen zu untersuchen. Anders verhält es in bezug auf die Subjektivierung der Kompetenzen untergeordneter Organe gegenüber den ihnen hierarchisch übergeordneten Organen: Ein solches Hierarchieverhältnis dient weder der Gewalten- oder Machtteilung noch hat es einen demokratierechtlichen Einschlag (im Gegenteil ist die Regierung als oberstes Verwaltungsorgan sogar besser demokratisch legitimiert als die ihr untergeordneten Organe, die allesamt ihre demokratische Legitimation von oben her erhalten). Ferner soll die Organhierarchie keinen Interessenpluralismus fördern oder wahren, sondern vielmehr soll die Weisungsbefugnis gerade sicherstellen, daß nicht der Weisungsunterworfene, sondern der Weisungsbefug135 136 137

S. oben F.II. 1. S. vorstehend F.II.2. Zu diesem Abwägungsvorgang näher oben F. 1.5.

II. Das Interesse der Rechtsgemeinschaft an subjektiven Organrechten

645

te seine Vorstellungen realisieren kann 138 . Eine Subjektivierung der Organkompetenzen untergeordneter Organe gegenüber ihren übergeordneten Organen hätte somit keine oder bestenfalls marginale Vorteile, denen jedenfalls deutlich überwiegende Nachteile gegenüberstünden. Zu befürchten wäre insbesondere eine Beeinträchtigung der Verwaltungseffizienz und - besonders gravierend ein Verlust der Opportunitätskontrolle der übergeordneten Organe: Wenn hinsichtlich der Einhaltung der hierarchischen Kompetenzordnung ein Opportunitätsermessen besteht und ausgeübt werden soll, daß muß dies dem besser legitimierten übergeordneten Organ zustehen. Wenn daher allgemein angenommen wird, daß in Hierarchieverhältnissen dem untergeordneten Organ keine subjektiven Rechte an seinen Kompetenzen gegenüber dem übergeordneten Organ zustehen139, so ist dies somit nach dem Gesagten berechtigt: die Abwägung der durch eine solche Subjektivierung zu erwartenden Vor- und Nachteile läßt keinen anderen Schluß zu, als in dieser Beziehung subjektive Rechte der untergeordneten Organe an ihren Kompetenzen zu verneinen.

138

Vgl. VGH München, BayVBl. 1998, 242, 244; ferner VGH Mannheim, Die Justiz 1998, 134. 139 Vgl. OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 35, 36; OVG Münster, OVGE 6, 224, 227; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 86 ff.; Herbert, DÖV 1994, 111; Kisker, Insichprozeß, S. 41 f.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 69 f.; vgl. ferner Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 76, 78 f.

III. Subjektive Organrechte im Bereich öffentlich-rechtlicher Verwaltungsträger Nach den geleisteten Vorarbeiten ist es nunmehr möglich, einzelne Kompetenzvorschriften daraufhin zu betrachten, ob sie den betreffenden Organen und Organteilen lediglich objektivrechtlich Kompetenzen zuweisen oder ob sie ihnen subjektive Organrechte verleihen. Angesichts der Vielzahl von Organen und Organteilen der verschiedenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann kein Anspruch erhoben werden, sämtliche in Betracht kommenden Organrechte zu behandeln. Vielmehr muß sich diese Arbeit exemplarisch auf die praktisch bedeutsamsten Organrechte beschränken. Dies genügt indes, um die maßgeblichen Erwägungen zu veranschaulichen, die auch in anderen Fällen anzustellen sind. Soll sich die Darstellung nicht in einer bloßen Auflistung der denkbaren und praxisrelevanten Organrechte erschöpfen, so muß das Ziel auch eine gewisse Systematisierung derselben sein. Denn in der Tat zeigt schon ein kursorischer Überblick über die einschlägigen Gesetze sowie das Fallmaterial, daß die Organrechte nicht alle auf derselben Ebene angesiedelt sind, sondern sich deutlich nach ihren Zielrichtungen und nach ihrer Wertigkeit unterscheiden. Um nicht angesichts der Vielfalt subjektiver Organrechte den Überblick zu verlieren, empfiehlt es sich, vorab die zu beobachtenden typologischen Unterschiede zu systematisieren (nachfolgend 1.), bevor sodann in die Betrachtung einzelner Organrechte eingestiegen werden soll. Organstreitigkeiten haben sich in der Praxis vornehmlich anhand der Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten entwickelt; diese bieten daher nicht nur das reichhaltigste Anschauungsmaterial, sondern sollen auch ob ihrer unveränderten praktischen Bedeutung im Mittelpunkt der hiesigen Betrachtung stehen (unten 2.), während die Organrechte im Bereich staatlicher Hochschulen und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts nur knapp zu skizzieren sind (unten 3.).

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

647

1. Systematik der Organrechte Organrechte können abwehrrechtlichen oder leistungsrechtlichen Charakter haben1, je nachdem auf welches materielle Ziel gerichtet sind. Abwehrrechtliche Organrechte schützen das berechtigte Organ gegen Beeinträchtigungen seitens anderer Organe2 bei der Ausübung seiner Kompetenzen. Sie sind auf der primären Ebene gegen ein Tun gerichtet, nämlich gegen Handlungen, welche die Kompetenzausübung gefährden oder beeinträchtigen, verlangen vom verpflichteten Organ somit ein Unterlassen. Leistungsrechtliche Organrechte demgegenüber verlangen auf der primärrechtlichen Ebene vom verpflichteten Organ ein positives Tun. Sie kommen vor allem dort in Betracht, wo das berechtigte Organ zur sinnvollen Ausübung seiner Kompetenzen auf ein bestimmtes Tun angewiesen ist. Als Beispiel für ein solches Leistungsrecht sei hier zur Illustration nur das Unterrichtungsrecht des Gemeinderats genannt3. Wenn hier von primären Abwehr- und Leistungsrechten gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die notwendige Differenzierung verschiedener Gewährleistungsebenen*: Wie allen subjektiven Rechten, so ist auch jedem subjektiven Organrecht ein Bündel von Hilfsansprüchen beigegeben, mittels derer etwaigen Verletzungen zu begegnen ist, und zwar auf sekundärer Ebene Unterlassungs-, Beseitigungs- und Folgenbeseitigungsansprüche, auf tertiärer Ebene möglicherweise Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche 5. Abwehr- und Leistungsrechte unterscheiden sich ihrem Inhalt nach lediglich auf ihrer primären Ebene, nicht aber notwendig auch bezüglich ihrer Sekundäroder gar Tertiäransprüche 6. Denn wenngleich ein primäres Abwehrrecht stets auf ein Unterlassen gerichtet ist, so kann doch der abwehrrechtliche Sekundäranspruch in Gestalt etwa eines (Folgen)Beseitigungsanspruchs durchaus auf ein positives Tun zielen, während umgekehrt ein leistungsrechtlicher Sekundäranspruch auf ein Unterlassen gerichtet sein (z.B. Handlungen zu unterlassen, welche der zu erfüllenden Leistungspflicht zuwiderliefen), obschon eben das Leistungsrecht auf primärer Ebene ein Tun zum Gegenstand hat. Tertiäransprüche schließlich sind - da auf einen wertmäßigen Ausgleich für eine erlittene Rechtsverletzung gerichtet - ohnehin immer durch positives Tun zu erfüllen, gleich ob 1

Zur Unterscheidung von Abwehr- und Leistungsrechten vgl. - mit Bezug auf die Grundrechte - Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 111 Rn. 1 ff; Roth, Faktische Eingriffe, S. 73 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 153 ff, 262 ff.; Stern, Staatsrecht III/l, § 67 V, S. 728 ff.; ders., in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 109 Rn. 41 ff. 2 Zur relativen Natur der Organrechte oben E.II. 1 .a.cc. 3 S. hierzu unten F.III.2.a. 4 Vgl. dazu Roth, Faktische Eingriffe, S. 71 f. 5 Zu sekundären und tertiären Hilfsansprüchen bei subjektiven Organrechten näher unten G.IV.2. 6 Roth, Faktische Eingriffe, S. 77 f.

648

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

sie einem Abwehr- oder einem Leistungsrecht entspringen. Daß abwehrrechtliche Sekundäransprüche Handlungspflichten und leistungsrechtliche Sekundäransprüche Unterlassungspflichten beinhalten können, läßt den dogmatischen Unterschied zwischen Abwehr- und Leistungsrechten nicht entfallen. Denn alle Sekundäransprüche setzen eine rechtswidrige Beeinträchtigung oder Gefährdung des primären Rechts voraus, gegen welche der Sekundäranspruch eingesetzt werden soll, wohingegen die primären Rechte für sich bestehen, also gerade ohne die Verletzung eines (anderen) Rechts vorauszusetzen7. Jedenfalls ist aber die Unterscheidung zwischen Abwehr- und Leistungsrechten aus diesem Grund nicht auf der Ebene ihrer Sekundär- oder Tertiäransprüche möglich, sondern nur nach dem Inhalt der primären Rechtspflicht. Dieser fundamentale Unterschied zwischen primären und sekundären Rechten stellt übrigens den Hintergrund für eine weitere auf primärer Ebene mögliche Unterscheidung dar. Bei Betrachtung der verschiedenen gesetzlich ausdrücklich bestimmten oder sonst anerkannten Organrechten fällt auf, daß diese nicht sämtlich dasselbe Gewicht für das betreffende Organ und die diesem zukommenden Aufgaben haben, sondern daß zwischen ihnen Rangunterschiede bestehen, aufgrund welcher sie sich nicht schlicht in eine Reihe stellen lassen. Hinsichtlich der Wertigkeit subjektiver Organrechte lassen sich in Anlehnung an eine im Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse gebräuchliche Differenzierung 8 Haupt- und Nebenrechte unterscheiden9: Die Hauptrechte eines Organs oder Organteils sind diejenigen, die seinen Status wesentlich mitbestimmen10 und gerade auch in Abgrenzung zu anderen Organen bzw. Organteilen festlegen, seine Eigenart und das Wesen seiner Tätigkeit ausmachen. Nebenrechte sind dagegen diejenigen primären Organrechte, welche die Ausübung der

7

Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 77. Zur Unterscheidung der die Eigenart des jeweiligen Schuldverhältnisses prägenden Hauptleistungspflichten von den der Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Hauptleistung dienenden Nebenleistungspflichten, die bestimmungsgemäß auf die Hauptleistungspflicht bezogen sind und diese ergänzen, selbst aber nur akzidenteller, nicht vertragstypusbestimmender Natur sind, vgl. Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 31; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 2 III 4; Kramer, in MünchKomm BGB, §241 Rn. 14 ff.; Larenz, Schuldrecht AT, S. 8 ff.; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 46 ff.; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 205 ff.; Ρ alandt/Heinrichs, BGB, vor § 241 Rn. 6 f.; Staudinger AJ. Schmidt, BGB, Einl zu § 241 Rn. 310 f. 9 Vgl. Stober, Kommunalrecht, § 15 II 3 b ee, der (allerdings mit einem engeren Begriffsverständnis) von einem „Hauptrecht auf freie Mandatsausübung" spricht, welches verschiedene einzelne Rechte einschließe; vgl. femer Waechter, Kommunalrecht, Rn. 343: „Hilfsrechte" zur Sicherung der Ausübung des freien Mandates. Eine ähnliche Differenzierung zwischen Rechten, die den „unmittelbaren Zuständigkeitsbereich" eines Gesellschaftsorgans festlegen, und „funktionellen Hilfsbefugnissen" trifft U. Bauer, Organklagen, S. 15 f. 10 Vgl. BayVerfGH, NVwZ-RR 1998, 409 für das Rederecht der Abgeordneten. 8

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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Hauptorganrechte vorbereiten, erleichtern und absichern sollen; sie können sowohl abwehr- als auch leistungsrechtlicher Natur sein. Die Unterscheidung von Haupt- und Nebenrechten hat zunächst einmal den analytischen Wert, die offensichtlich verschiedenen Wertigkeiten der Organrechte systematisch erfassen zu können. Sie ist aber auch von dogmatischem Interesse, weil sie gleichzeitig eine Grenze zulässiger Rechtsfortbildung markiert: Die Hauptrechte eines Organs müssen durch den Inhaber der Organisationsgewalt ausdrücklich begründet werden. Das schließt zwar nicht eine etwa erforderliche Auslegung der betreffenden Organisationsakte aus, eine Auslegung, bei der insbesondere auch das sich nach der historischen Entwicklung abzeichnende Funktionsbild des betreffenden Organs (z.B. des Gemeinderats, des Kreistags) und seiner Mitglieder zu berücksichtigen ist 11 . Aber die wesentlichen, das Organ und seine Funktionen typisierenden Merkmale müssen in der Verfassung der Organisation festgelegt werden; der Rechtsanwender darf hieran nichts ändern, insbesondere keine neuen, das Organisationsgefüge grundlegend ändernden Hauptrechte rechtsfortbildend kreieren. Nebenrechte von Organen können demgegenüber auch im Wege der Rechtsfortbildung ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage entwickelt werden. Die hiernach denkbaren ungeschriebenen Organrechte 12 sind aber als Annexrechte zu den (gesetzlichen) Hauptrechten notwendig inhaltlich begrenzt, nämlich auf die effektive Ausübung der Hauptrechte gerichtet, und können keine grundlegenden Weiterungen der Kompetenzen bringen. Es ist deshalb ausgeschlossen, durch die Zuerkennung von Nebenrechten das gesetzliche Funktions- und Aufgabenbild des betreffenden Organs oder Organteils zu ändern oder zu erweitern. Wenn sich die primären Nebenrechte dadurch auszeichnen, daß sie unterstützend und effektuierend auf die Hauptrechte hingeordnet sind, so fragt sich, worin sie sich von den sekundären Hilfsansprüchen unterscheiden, welche ja ihrem Wesen nach gleichfalls auf die Sicherung und Durchsetzung des primären (Haupt- oder Neben)Rechts abzielen. Diese Differenzierung 13 läßt sich an der Parallelproblematik schuldrechtlicher Nebenleistungspflichten erklären: Der Gläubiger soll, wenn die Erfüllung der Hauptleistungspflicht durch unsachgemäßes Verhalten des Schuldners in Gefahr gerät (Standardbeispiel: ungenügende Verpackung der verkauften Ware), nicht erst den Schadenseintritt abwarten müssen, sondern schon vorab die Einhaltung gewisser Sicherungsmaßnahmen

11

Vgl. BVerfGE 78, 344, 348; BayVerfGH, BayVBl. 1984, 621, 623. VGH München, NVwZ 1990, 1197. 13 In entsprechender Weise unterscheidet Stern, Staatsrecht III/l, § 65 V 2, S. 588 ff. in bezug auf die Grundrechte „Realisierungshilfsrechte" (nämlich „ermöglichende" und „Entstehungshilfsrechte") und „schützende Hilfsrechte" (Unterlassungs-, Beseitigungs-, Entschädigungsansprüche). 12

650

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

verlangen können14. Ihn hier auf sekundäre Leistungs- oder Unterlassungsansprüche zu verweisen 15, könnte eine zu große Hürde darstellen, weil diese stets eine vom Berechtigten nachzuweisende oder - im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - zumindest glaubhaft zu machende konkrete Gefahr für seine primären Rechte voraussetzen. Die Gewährung primärer Nebenrechte entbindet ihn von dieser Notwendigkeit. Ähnliches gilt in bezug auf Organrechte. Gewiß mag ein Organ oder Organteil sekundäre Unterlassungs- oder Abwehransprüche schon gegen konkret drohende Verletzungen seiner Hauptrechte geltend machen können16. Abstrakten Gefahren indes ist auf diese Weise nicht zu begegnen. Deshalb ist dort, wo den Hauptrechten eines Organs abstrakte Gefahren drohen und die effektive Sicherung des Hauptrechts nicht einem unter Umständen erst viel später eingreifenden sekundären Hilfsanspruch überlassen werden kann, die Gewährung eines entsprechenden Nebenrechts in Betracht zu ziehen, sei es durch den Gesetzgeber in rechtspolitischer Entscheidung, sei es bei diesbezüglicher Offenheit des Gesetzes durch den Rechtsanwender im Wege der Rechtsfortbildung. Diese Bedeutung, dem berechtigten Organ den Nachweis einer konkreten Rechtsbeeinträchtigung oder -gefährdung zu ersparen, kommt den Nebenrechten in besonderer Weise in ihrer Gestalt als primäre Leistungsrechte zu. Denn zwar können sich positive Handlungspflichten im Verhältnis von Organen zueinander auch aus dem übergreifenden allgemeinen Prinzip der Organtreue ergeben17; ein Organ, welches in treuwidriger Weise Handlungen unterläßt, die es einem anderen Organ gegenüber vorzunehmen verpflichtet ist, handelt rechtswidrig und kann sich einem (Folgen)Beseitigungsanspruch ausgesetzt sehen. Die Bejahung einer Treuwidrigkeit hat indessen recht hohe Voraussetzungen, da sich ja aus dem allgemeinen Rechtsprinzip der Organtreue keine umfassenden Handlungspflichten ableiten lassen. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Organtreue liegt deshalb nur vor, wenn sich in der konkreten Situation die Angewiesenheit des einen Organs auf ein bestimmtes Handeln eines anderen so verdichtet hatte und sich dem anderen in einer Weise aufdrängen mußte, daß das Unterlassen als treuwidrig aufzufassen ist. Diese hohen Maßstäbe werden nicht

14

Vgl. Kramer, in MünchKonlm BGB, § 241 Rn. 16; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 208. 15 Daß auch die Verletzung von in Schuldverhältnissen bestehenden Nebenleistungspflichten durch sekundäre Leistungs- bzw. Unterlassungsklagen sanktioniert sein kann, betont zutreffend Kramer, in MünchKomm BGB, § 241 Rn. 17; vgl. auch Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 31. 16 Eingehend unten G.IV.l. und 2. 17 Zum verfassungsrechtlichen Prinzip der Verfassungsorgantreue eingehend Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 19 ff.; femer Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 396, 459; Nierhaus, in Sachs, GG, Art. 58 Rn. 6; Stern, Staatsrecht I, § 4 III 8 c . - Zum vergleichbaren Grundsatz der Bundestreue oben E.I.2.b.bb.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

651

oft erfUllt und eine konkrete Handlungspflicht daher oftmals nicht nachzuweisen sein. Hier gewinnen daher Nebenleistungsrechte erhebliche Bedeutung. Es ist nicht zu verkennen, daß die Abgrenzung und Entscheidung, ob ein bestimmtes Recht als primäres Nebenrecht per se besteht oder ob es lediglich als sekundärer Hilfsanspruch aus der Verletzung oder Gefährdung eines primären Hauptrechts entsteht, Zweifelsfragen aufwerfen kann. Deshalb kommt es nicht selten vor, daß ein und derselbe Anspruch von verschiedenen Autoren unterschiedlich gesehen wird. Diese Schwierigkeit ist im vorliegenden Kontext indessen ebenso unausweichlich wie beispielsweise im Vertragsrecht. Im Bereich der Organrechte gibt es zwar einen abgeschlossenen Katalog von Hauptrechten, so daß sich durch Rechtsfortbildung keine zusätzlichen typusverändernden Hauptrechte entwickeln lassen. In bezug auf die primären Nebenrechte besteht eine solche Abschließlichkeit dagegen nicht. Die Entscheidung, ob ein primäres Nebenrecht oder ein sekundärer Hilfsanspruch zu einem primären (Haupt- oder Neben)Recht vorliegt, ist deshalb danach zu treffen, ob schon einer bloß abstrakten Gefahr begegnet werden soll oder ob der betreffende Anspruch erst als Reaktion auf eine zumindest konkrete rechtswidrige Gefährdung eines bestehenden Rechts entstehen soll. Dieser abstrakt dargestellte Unterschied wird anhand der konkreten Beispiele klarer werden. Die Bedeutung von Nebenrechten soll hier zunächst lediglich am Beispiel des Rechts des Gemeinderats auf Unterrichtung durch den Bürgermeister 18 verdeutlicht werden: Es ist offensichtlich, daß der Gemeinderat die ihm obliegenden Aufgaben nicht oder nur unvollkommen wahrnehmen könnte, wenn er nicht alle hierfür relevanten Informationen erhielte. Zwar steht es den einzelnen Gemeinderäten frei, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Eine adäquate Kontrolle der Gemeindeverwaltung ist damit allein jedoch nicht möglich, da diese über Insider-Wissen verfügt, das extern so nicht verfügbar sein mag. Nun könnte man erwägen, ob nicht in der unzulänglichen Unterrichtung des Gemeinderats durch den Bürgermeister bereits eine faktische Beeinträchtigung der Kontrollrechte des Gemeinderats liegen kann, insofern nämlich ohne Unterrichtung diese Rechte auf unzulänglicher Grundlage auszuüben und daher in ihrer Effektivität sichtlich beeinträchtigt wären; in diesem Sinne ließe sich ein Unterrichtungsanspruch als sekundärer Hilfsanspruch des Gemeinderats gegen den Bürgermeister konstruieren. Indessen wäre bei einer solchen Konstruktion der Unterrichtungsanspruch nur gegeben, wenn eine dem Bürgermeister zurechenbare Beeinträchtigung eines bestimmten Rechts des Gemeinderats vorläge, insbesondere der Bürgermeister kraft seiner Organtreuepflicht zur Mitteilung bestimmter Tatsachen verpflichtet wäre. Das wird in besonderen Fällen zwar anzunehmen sein, wenn die Information so essentiell ist, daß ihre Vorenthaltung

18

S. dazu nachfolgend F.III.2.a.

652

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

als treuwidrig eingestuft werden muß. Die hinsichtlich der Annahme eines Treueverstoßes angezeigte Zurückhaltung fuhrt indessen dazu, daß jenseits krasser Fälle damit allein keine Unterrichtungspflicht begründet werden kann. Ließe sich ein Unterrichtungsanspruch nur als Sekundäranspruch begründen, so wären daher zwar vielleicht Extremfälle abgedeckt, insgesamt aber müßte die effektive Wahrnehmung der Aufgaben des Gemeinderats prekär werden. Dies zwingt dazu, dem Gemeinderat ein primäres Nebenrecht auf Unterrichtung zu geben, welches er geltend machen kann, ohne konkrete Beeinträchtigungen seiner Arbeit nachweisen zu müssen19.

2. Subjektive Organrechte im Bereich der Gemeinden Bei den Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten stehen in der Praxis die Rechte des Gemeinderats bzw. der Gemeinderatsausschüsse, ferner insbesondere der einzelnen Gemeinderatsmitglieder, der Gemeinderatsfraktionen und der initiativberechtigten Gemeinderatsminderheiten, sowie schließlich des Bürgermeisters im Vordergrund, und hieran soll sich auch die nachfolgende Darstellung orientieren. Näherer Untersuchung bedürfen dabei naturgemäß allein die in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Rechte.

a) Subjektive Organrechte des Gemeinderats Als die zentralen Kompetenzen des Gemeinderats bestimmt das Gesetz die Festlegung der Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde sowie die Entscheidung über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit diese nicht dem Bürgermeister kraft Gesetzes oder aufgrund Übertragung durch den Gemeinderat zugewiesen sind (§ 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW) 2 0 . Die Grundsatzfestlegung und die grundsätzlich umfassende Entscheidungszuständigkeit sind dem Gemeinderat durch das Gesetz nicht lediglich objektivrechtlich zugewiesen, vielmehr handelt es sich hier um subjektive Organrechte gegenüber dem Bürgermeister als dem zweiten gemeindlichen Verwaltungsorgan. Die subjektive Rechtsnatur dieser Hauptbefugnisse ergibt sich aus ihrer wesentlichen Bedeutung und damit der unbedingten Notwendigkeit einer möglichst hohen Wahrnehmungs- und Durchsetzungsgewähr. Der Gemeinderat ist die „Vertretung der Bürger" und das „Hauptorgan" der Gemeinde (§ 24 Abs. 1 S. 1 GemO BW). Damit wird die sowohl im Hinblick auf das Demokratieprinzip als auch hinsichtlich einer gemeindeinternen Gewaltenteilung essentielle Bedeutung des Gemeinderats betont, mit welcher es nicht vereinbar wäre, könnte dieser seine 19 20

Vgl. hierzu nachfolgend F.III.2.a. Zu den Kompetenzen des Bürgermeisters unten F.III.2.f.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

653

Kompetenzen nicht als eigene Rechte ausüben und geltend machen, gegebenenfalls gerichtlich verteidigen 21. Deshalb wird auch - ungeachtet des dogmatischen Streites um die Wesensnatur dieser dem Gemeinderat zustehenden Kompetenzen - ganz überwiegend davon ausgegangen, daß der Gemeinderat ihre Verletzung etwa durch den Bürgermeister gerichtlich geltend zu machen vermag 22 ; bei richtiger dogmatischer Einordnung erklärt sich dies aus den genannten Gründen damit, daß es sich hierbei eben um subjektive Organrechte des Gemeinderats handelt. Hinsichtlich der Frage, ob eine bestimmte Angelegenheit als Geschäft der laufenden Verwaltung in die Zuständigkeit des Bürgermeisters gehört 23 oder dank ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Gemeinde in die Kompetenz des Gemeinderats fällt, steht dem Gemeinderat nach § 44 Abs. 2 S. 1 GemO BW keine Kompetenzkompetenz zu 24 . Der Gemeinderat hat also keine Befugnis, seine Zuständigkeit nach freier Entscheidung selbst verbindlich erweiternd festzulegen 25. Zweifellos stellt es einen gewissen tatsächlichen Anhaltspunkt dar, sollte der Gemeinderat der Ansicht sein, einer bestimmten Entscheidung komme grundsätzliche Bedeutung zu. Mehr als ein Indiz, welchem der Bürgermeister gebührende Beachtung zollen sollte, begründet eine solche Ansicht jedoch nicht. Ob eine Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung besitzt oder zur laufenden Verwaltung gehört, ist als Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs voll justitiabel 26 und von daher tauglicher Gegenstand einer Organstreitigkeit 27. Die genannten Rechte des Gemeinderats werden von den Gemeindeordnungen in zahlreichen Vorschriften näher ausgeführt, wodurch dem Gemeinderat weitere subjektive Organrechte zuwachsen. Im einzelnen handelt es sich hierbei um die von den Gemeindeordnungen jeweils aufgeführten sogenannten Vorbehaltsaufgaben 1*, welche der Gesetzgeber als für die Rechtsstellung des Gemeinderats so wesentlich ansieht, daß er sogar eine fakultative Delegation dieser Aufgaben an beschließende Ausschüsse untersagt (vgl. § 39 Abs. 2 GemO 21

Zu diesen Aspekten näher bereits oben F.II. 1 .a. Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1994, 352; OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990; Stober, Kommunalrecht, § 15 II 2. 23 S. unten F.III.2.f. 24 Vgl. Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 206; Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 44 (2. Lfg. 1984) Rn. 20; ferner Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 378 (auch mit Nachweisen zu abweichenden Regelungen in einzelnen anderen Bundesländern); entsprechend Neese, WissR 1999, 28 f.: keine Kompetenzkompetenz des Rektorats im Verhältnis zum Kanzler. 25 Zum Begriff der Kompetenzkompetenz Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, § 72 IV b l . 26 Neese, WissR 1999, 29 f. 27 Neese, WissR 1999, 30. 28 Vgl. hierzu Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 315; Stober, Kommunalrecht, § 15 114 b. 22

654

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

BW), woraus folgt, daß sie erst recht nicht unter dem Titel der laufenden Verwaltung in die Kompetenz des Bürgermeisters fallen. Zu nennen sind hier beispielhaft die gesetzlich näher festgelegten Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderats betreffend die Ernennung, Einstellung und Entlassung der Gemeindebediensteten, sofern es sich dabei nicht um Angelegenheiten der laufenden Verwaltung handelt (vgl. § 24 Abs. 2 GemO BW), ferner natürlich die Wahl des Bürgermeisters - soweit noch nicht die direkte Volkswahl des Bürgermeisters vorgesehen ist 29 - sowie die Bestellung der Beigeordneten (vgl. § 50 Abs. 2 GemO BW), schließlich Befugnisse wie die Bestellung der Mitglieder von Ausschüssen (§ 40 Abs. 1 S. 2, § 41 Abs. 1 S. 2, 3 GemO BW), der Erlaß von Satzungen und anderem Ortsrecht (vgl. § 4 GemO BW), die Änderung des Gemeindegebietes (§ 8 Abs. 2 S. 2 GemO BW), der Erlaß der Haushaltssatzung (§ 79 GemO BW) usw. Bei den soeben genannten Rechten des Gemeinderats handelt es sich um dessen Hauptrechte, die seinen Status gerade auch in Abgrenzung zum Bürgermeister und den Gemeinderatsausschüssen festlegen, d.h. seine Eigenart und das Wesen seiner Aufgaben ausmachen. Zusätzlich besitzt der Gemeinderat noch eine Reihe von Nebenrechten, welche zwar nicht seine wesensmäßige Funktion definieren, wohl aber die effektive Ausübung seiner Hauptrechte vorbereiten und absichern sollen 30 . Infolge ihrer Ausrichtung auf die Hauptrechte ist auch den jeweiligen Nebenrechten subjektivrechtlicher Charakter zuzuerkennen. Anders als die sekundären Hilfsansprüche, die im Falle einer rechtswidrigen Beeinträchtigung oder Gefährdung primärer Organrechte greifen 31, setzen die Nebenrechte zwar keine konkrete Gefährdung der Hauptrechte voraus, auf die sie sich beziehen, sondern sollen ihrem Zweck nach bereits etwaigen abstrakten Gefahren begegnen, denen die effektive Ausübung des Hauptrechts ausgesetzt sein kann, damit das Organ zum Schutz seiner Hauptrechte nicht auf einen unter Umständen erst viel später greifenden und schwer nachzuweisenden Sekundäranspruch gegen eine bereits eingetretene konkrete Gefährdung oder gar Beeinträchtigung angewiesen bleibt. Um aber als Mittel zur Abwehr abstrakter Gefahren für die Hauptrechte überhaupt zu taugen, müssen auch derartige Nebenrechte subjektivrechtlicher Natur sein.

29 Die unmittelbare Wahl des Bürgermeisters durch die Gemeindeeinwohner setzt sich zunehmend durch; zum Stand dieser Entwicklung vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 40 ff. 30 Zu dieser Differenzierung oben F.III. 1. 31 Vgl. unten G.IV.2.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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Als ein solches Nebenrecht des Gemeinderats ist sein Recht auf Unterrichtung durch den Bürgermeister 32 über alle wichtigen die Gemeinde und ihre Verwaltung betreffenden Angelegenheiten sowie über Planungsvorhaben anzusehen. Das Gesetz formuliert diesbezüglich zwar lediglich eine Unterrichtungspflicht des Bürgermeisters (vgl. § 43 Abs. 5 GemO BW), doch daß dieser Pflicht auch ein subjektives Recht des Gemeinderats gegenübersteht33, ergibt sich aus der Bedeutung dieser Unterrichtung für die Ausübbarkeit seiner Kontrollfunktion (§ 24 Abs. 1 S. 3 GemO BW); der Gemeinderat kann seine Funktion als Hauptorgan der Gemeinde nur effektiv wahrnehmen, wenn er vom Bürgermeister rechtzeitig über alle bedeutsamen Angelegenheiten informiert wird, und die Absicherung dieses Anliegens legt es nahe, insoweit von einem subjektiven Recht des Gemeinderats auszugehen. Dieser Annahme steht übrigens nicht entgegen, daß nach § 24 Abs. 3 GemO BW ein Viertel der Gemeinderäte in allen Angelegenheiten der Gemeinde verlangen kann, daß der Bürgermeister den Gemeinderat unterrichtet und diesem Akteneinsicht gewährt 34. Denn letzteres Unterrichtungs- und Akteneinsichtsrecht bezieht sich auf alle, also auch auf die nicht im Sinne des § 43 Abs. 5 GemO BW „wichtigen" Gemeindeangelegenheiten, und schließt deshalb nicht aus, daß der vom Bürgermeister unaufgefordert aus eigenem Antrieb zu erfüllenden Unterrichtungspflicht in allen wichtigen Angelegenheiten ein subjektives Recht des Gemeinderats entspricht. Zu nennen ist weiter das Recht des Gemeinderats auf Vollzug seiner Beschlüsse durch den Bürgermeister 35: § 43 Abs. 1 GemO BW spricht zwar von dieser Vollziehung ausdrücklich nur als Recht und Pflicht des Bürgermeisters. Da jedoch der Gemeinderat keine eigenen Vollzugskompetenzen besitzt, liefe seine gesamte Tätigkeit als Hauptorgan der Gemeinde ins Leere, wenn er nicht im Gegenzug die Vollziehungspflicht selbst geltend machen könnte. Deshalb muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber ihm einen subjektiven Vollziehungsanspruch zuweisen wollte. Den genannten (Haupt- und Neben)Rechten des Gemeinderats kommt ausweislich der veröffentlichten Gerichtsentscheidungen in der forensischen Praxis keine große Bedeutung zu; daß der Gemeinderat gegen den Bürgermeister 32

Vgl. hierzu Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 316; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 165; Reichert/Baumann, Kommunalrecht, Rn. 156. - Vgl. zu dieser Einordnung bereits vorstehend F.III. 1. 33 So auch Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 112. 34 Hierzu unten F.III.2.e. 35 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 188; Fromm, Kommunal verfassungsstreitverfahren, S. 126; desgleichen Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 109 ff., der jedoch zu Unrecht diesen Vollziehungsanspruch nur deshalb bejaht, weil der Gemeinderat nach § 24 Abs. 1 S. 3 GemO BW die Ausführung seiner Beschlüsse überwachen kann - richtigerweise bestünde ein Vollziehungsanspruch des Gemeinderats aber auch ohne eine solche Überwachungsbefiignis.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

klagt, ist eher selten36. Das dürfte sich zum einen daraus erklären, daß die Professionalität und das Fachwissen auf der Seite des rechtskundigen oder rechtlich beratenen Bürgermeisters ein großes Maß an Richtigkeit des Verfahrens und der Entscheidungen im und auch gegenüber dem Gemeinderat gewährleisten 37, und er daher zumal bei einiger Verwaltungserfahrung vergleichsweise selten Gefahr laufen wird, die Rechte des Gemeinderats zu verletzen. Außerdem hat der Gemeinderat, insofern er beispielsweise die Befugnis besitzt, Eilentscheidungen des Bürgermeisters abzuändern, weniger Anlaß, gerichtliche Schritte gegen (vermeintlich) unzulässige Eilentscheidungen zu ergreifen. Schließlich muß bedacht werden, daß sehr häufig eine politische Übereinstimmung von Bürgermeister und Gemeinderatsmehrheit besteht - und zwar je nach den politischen Verhältnissen in der Gemeinde zumeist auch bei unmittelbarer Volkswahl des Bürgermeisters (z.B. § 45 GemO BW) - , aufgrund welcher politischen Lage es in der Regel nicht zu einer in einen Prozeß einmündenden Konfrontation kommt. Deshalb ist es für die gerichtliche Praxis sehr viel bedeutsamer, welche subjektiven Organrechte einzelnen Gemeinderatsmitgliedern oder einer (oppositionellen) Gemeinderatsfraktion gegenüber dem Bürgermeister oder dem (mehrheitsbestimmten) Gemeinderat zustehen.

b) Subjektive Organrechte von Gemeinderatsausschüssen Inwieweit Gemeinderatsausschüssen38 subjektive Organrechte zustehen können, ist umstritten. Teilweise wird dies unter Hinweis darauf verneint, daß die Gemeinderatsausschüsse nur an die Stelle des Gemeinderats träten und keine eigenständige Tätigkeit ausübten39. Hiergegen ist aber zu bemerken, daß allein der Umstand, daß der Gemeinderat in weitem Umfang über seine Ausschüsse verfügen kann, nicht ausschließt, daß diesen, solange sie eben bestehen und ihnen bestimmte Aufgaben zugewiesen sind, auch als Organteile des Gemeinderats sowohl diesem als auch insbesondere dem Bürgermeister gegenüber subjektive Organrechte zustehen können40. Soweit beschließende Ausschüsse durch die Hauptsatzung gebildet und ihnen bestimmte Aufgabengebiete übertragen worden sind (§ 39 Abs. 1 S. 1 GemO BW), kann nicht einmal der Gemeinderat selbst ohne weiteres über den Ausschuß verfügen oder ihm Aufgaben entziehen. Dieser entscheidet „selbständig an Stelle des Gemeinderats" (§ 39 Abs. 3 S. 1 36

S. oben A.II.l.a. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 45. 38 Zu den (beschließenden) Gemeinderatsausschüssen als Organen der Gemeinde und Organteilen des Gemeinderats vgl. oben A.I.2.b.bb. 39 Bonk, Organstreitigkeiten, S. 73 ff. (anders nur für den Hauptausschuß). 40 Vgl. OVG Münster, NWVB1. 1992, 17, 18; VG Schwerin, LKV 1998, 74; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 161; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 408; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 211. 37

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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GemO BW), hat also ein entsprechendes Recht auf diese Entscheidung, solange sie nicht in gesetzlich vorgesehener Weise wieder auf den Gemeinderat zurückübertragen wurde (§ 39 Abs. 3 S. 2, 3 GemO BW). Zwar kann in der Hauptsatzung bestimmt werden, daß der Gemeinderat Weisungen erteilen, Ausschußangelegenheiten an sich ziehen und Ausschußbeschlüsse ändern oder aufheben kann (§ 39 Abs. 1 S. 5 GemO BW). Wurden derartige Vorbehalte jedoch nicht normiert, dann verletzte selbst der Gemeinderat die Kompetenz des beschließenden Ausschusses, wenn er ihm gleichwohl Weisungen erteilen oder ihm die Angelegenheit entziehen wollte. Deutlich schwächer ist demgegenüber freilich die Stellung der beschließenden Ausschüsse, soweit ihnen einzelne Angelegenheiten lediglich durch Beschluß des Gemeinderats zugewiesen wurden, oder die überhaupt nur durch einfachen Beschluß zur Erledigung solcher Aufgaben gebildet wurden (§ 39 Abs. 1 S. 2 GemO BW), desgleichen die Stellung der nur beratenden Ausschüsse (§ 41 GemO BW). Denn derartige Gemeinderatsausschüsse kann der Gemeinderat auch durch einfachen Beschluß wieder auflösen, und ebenso kann er ihnen einzelne Angelegenheiten entziehen. Gleichwohl gibt es, solange dies eben nicht erfolgt ist, keinen Grund 41 , weshalb nicht der Gemeinderatsausschuß (und nicht nur der Gemeinderat) subjektive Organrechte insbesondere gegen den Bürgermeister haben sollte, die Ausschußzuständigkeiten zu achten, den Ausschuß ordnungsgemäß einzuladen, zu unterrichten etc. 42

c) Subjektive Organrechte einzelner Gemeinderatsmitglieder aa) Organrechte der Gemeinderatsmitglieder als „Mitgliedschaftsrechte" Da sämtliche subjektiven Organrechte der einzelnen Gemeinderäte aus ihrem Amt als Mitglied des Gemeinderats folgen, werden sie vielfach als Mitgliedschaftsrechte bezeichnet43, und wird folglich die Aufgabe des zur Entscheidung einer Kommunalverfassungsorganstreitigkeit aufgerufenen Gerichts dahin formuliert, zu prüfen, ob derartige Mitgliedschaftsrechte verletzt seien. Gegen diese Terminologie ist nichts einzuwenden, solange man sich dabei einschränkend 41 Zur Möglichkeit, subjektive Rechte durch Beschluß zu begründen, vgl. oben D.III.2.a. 42 Vgl. VG Schwerin, LKV 1998, 74. 43 Vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1998, 773; OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178; VGH Mannheim, ESVGH 28, 7, 8; NVwZ-RR 1989, 153; 1990, 369; VB1BW 1999, 304; VGH München, VGH n.F. 29, 37, 40; NVwZ 1990, 1197; OVG Münster, OVGE 17, 261, 265; 30, 196, 197 ff; VG Stuttgart, NVwZ 1990, 190; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 30; W. Rauball, in Rauball, GemO NW, §112 Rn. 6; Schnapp, VerwArch 1987, 426; Schröder, NVwZ 1985, 246; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 87.

44 Roth

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

vergegenwärtigt, daß es hier allein um die aus der Mitgliedschaft folgenden organschaftlichen Rechte des einzelnen Gemeinderatsmitglieds, nicht aber auch um die sich aus dieser Mitgliedschaft ergebenden persönlichen Rechte geht 44 . Insofern ist es allerdings mißverständlich, wenn der Ausdruck „Mitgliedschaftsrecht" gelegentlich unterschiedslos sowohl fur die aus der Mitgliedschaft fließenden persönlichen 45 wie für die organschaftlichen Rechte gebraucht wird 46 . In diesem Sinne könnte es vorzuziehen sein, von Mitwirkungsrechten zu sprechen, wenn die organschaftlichen Rechte gemeint sind 47 , doch steht dem wiederum entgegen, daß damit zu sehr die Mitwirkung bei der Tätigkeit des Gemeinderats betont wird und die eigenständige Natur des betreffenden Organrechts aus dem Blick zu geraten droht. Im übrigen dürfen die Begriffe Mitgliedschafts- oder Mitwirkungsrecht nicht zu der Fehlvorstellung verleiten, es gebe ein einheitliches umfassendes subjektives Mitgliedschafts- oder Mitwirkungsrecht, und die Frage sei allein, ob und wie dieses beeinträchtigt werde. Die Gemeinderatsmitglieder besitzen nicht ein einzelnes übergreifendes „Mitgliedschaftsrecht", sondern eine Reihe disjunkter Organrechte, die zwar in ihrer Summe sehr vieles erfassen, gleichwohl aber je für sich begründet werden müssen. In der Tat ergibt sich, wenn man die verschiedenen nachfolgend aufzuzeigenden Haupt- und unterstützenden Nebenrechte zusammennimmt, ein recht umfängliches subjektivrechtlich gewährleistetes Betätigungsfeld für die einzelnen Gemeinderatsmitglieder. Aus Gründen der sprachlichen Vereinfachung mag es insofern mitunter sinnvoll sein, dieses durch einen gemeinsamen Ober- oder Sammelbegriff zu erfassen. Diese Terminologie entbindet aber keinesfalls von der Notwendigkeit der näheren Spezifizierung, welches konkrete einzelne Mitgliedschafts- oder Mitwirkungsrecht jeweils betrachtet wird 48 . Das ist deswegen von Bedeutung, weil aufgrund der Vagheit dieser Ausdrücke sonst die Gefahr besteht, unspezifische Behauptungen aufzustellen, was die Mitgliedschaft oder Mitwirkung eines Gemeinderatsmitglieds beeinträchtige, ohne daß genau untersucht wird, ob und inwieweit diesbezüglich wirklich ein subjektives Organrecht besteht49. Richtig ist allerdings, daß die verschiedenen anzuerkennenden Organrechte von Gemeinderatsmitgliedern nicht notwendig ausdrücklich im Gesetz erwähnt sein müssen, sondern auch konkludent oder sogar nur im Wege einer Annex-

44 Zu der Unterscheidung zwischen den aus einem Amt folgenden persönlichen bzw. organschaftlichen Rechten s. oben A.II.4.C. 45 Vgl. V G H München, N V w Z 1989, 494. 46 Vgl. V G H München, BayVBl. 1988, 83. 47 VGH München, V G H n.F. 29, 37, 41; OVG Münster, N V w Z 1989, 989, 990; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 20 f.; Müller, N V w Z 1994, 120. 48 Vgl. OVG Münster, DÖV 1958, 787, 788: „spezielle Mitgliedsrechte". 49 Krit. auch Schnapp, VerwArch 1987, 437.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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kompetenz verliehen sein können 50 , und daß es ferner keinen Grund für eine besonders restriktive Behandlung derartiger Organrechte gibt. Insofern verdient der hinter dem Begriff des Mitgliedschaftsrechts stehende Gedanke, daß sich allein aus dem Wesen und der Funktion der Mitgliedschaft im Gemeinderat gewisse Organrechte ergeben müssen, die zur effektiven Ausübung dieser Funktion erforderlich sind, durchaus Zustimmung. Im nachfolgenden wird der Begriff „Mitgliedschaftsrecht" gleichwohl nicht gebraucht, weil er sich nur mit Bezug auf einzelne Gemeinderatsmitglieder verwenden läßt, nicht aber auch für den Gemeinderat, die Gemeinderatsausschüsse, den Bürgermeister etc., und es deshalb vorzugswürdig ist, auch bei den Gemeinderatsmitgliedern neutral von Organrechten zu sprechen 51, um erst gar nicht das Mißverständnis aufkommen zu lassen, hier könne es sich um eine abweichende Problemlage oder um Organrechte anderer Art handeln52.

bb) Unstrittige Organrechte der Gemeinderatsmitglieder Über die Hauptrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder besteht im wesentlichen Einigkeit 53 , so daß sie hier keiner detaillierten Erörterung bedürfen: Jedem Gemeinderatsmitglied erwächst aufgrund seiner Mitgliedschaft im Gemeinderat 54 ein organschaftliches Recht auf Zutritt zum Sitzungssaal und auf Teilnahme an den Sitzungen des Gemeinderats 55, sofern es nicht nach den gesetzlichen Befangenheitsvorschriften von der Mitwirkung ausgeschlossen ist (z.B. § 18 GemO BW). Dieses Teilnahmerecht ist nicht auf eine rein passive Anwesenheit gerichtet, sondern umfaßt selbstverständlich das Recht auf Teilnahme an den Beratungen (§ 36 Abs. 1 GemO BW: „Verhandlungen") des Ge50

Zu dieser Möglichkeit oben F.III. 1. Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 130. 52 So aber Schnapp, VerwArch 1987, 426 f. 53 Vgl. hierzu OVG Greifswald, DÖV 1998, 1014; OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178; NVwZ 1987, 1105; VGH München, NVwZ 1990, 1197; Barth,, Subjektive Rechte, S. 65 ff., 129 ff.; Bock,, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 32 (4. Lfg. 1986) Rn. 3; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 316, 348, 793; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 425; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 100 ff; Seewald, Kommunalrecht, Rn. 200 ff.; Stober, Kommunalrecht, § 15 II 3 b ee; Streinz, BayVBl. 1983, 744 ff.; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 337 ff.; Wengenroth,, Rechtsstellung, S. 87 ff.; femer bereits BayVGH, VGH a.F. 36 (1915), 233, 235; SächsOVG, JbSächsOVG 6 (1905), 317, 318; für die Abgeordneten des Bundestages entsprechend BVerfGE 80, 188, 218; Morlok, in Dreier, GG, Art. 38 Rn. 153; für Landtagsabgeordnete vgl. BayVerfGH 29, 62, 89 f.; BayVBl. 1998, 365, 366; VerfGH NW, NVwZ 1994, 678 f. Zum subjektiven Recht auf die Mitgliedschaft als nicht organschaftliches persönliches Recht der Gewählten vgl. oben A.II.4.a. 55 Vgl. Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 148 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 154 f. 51

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

meinderats 56. Entsprechende Rechte stehen dem Gemeinderatsmitglied zu, wenn 57 es zum Mitglied eines Gemeinderatsausschusses gewählt ist; dann kommt ihm ein „subjektives öffentliches Recht auf Teilnahme mit Sitz und Stimme an den Sitzungen" des betreffenden Ausschusses zu 58 . Zum Recht auf Teilnahme an den Beratungen gehört insbesondere das Recht, zu allen Tagesordnungspunkten der Gemeinderatssitzung zu sprechen, um seine Vorstellungen den übrigen Anwesenden nahezubringen 59. Wie aber überhaupt alle subjektiven Organrechte von Gemeinderatsmitgliedern nicht grundrechtlicher Natur sind 60 , so unterfällt auch dieses Rederecht als das in gewisser Hinsicht „vornehmste organschaftliche Recht" 61 nicht dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG 62 . Denn auf seine Meinungsäußerungsfreiheit kann sich ein Gemeinderat nur als Privatperson berufen, d.h. wenn und soweit er außerhalb seines organschaftlichen Wirkungskreises agiert, nicht aber, wenn er in einer Gemeinderatssitzung das Wort ergreift; denn dort zu sprechen ist einem Privaten als solchem gerade nicht gestattet, sondern kommt dem einzelnen Gemeinderatsmitglied allein kraft seiner Organstellung zu 6 3 , 6 4 . Als Organteil ist das einzelne Gemeinderatsmitglied aber ebensowenig Grundrechtsträger wie juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der Gemeinden und ihre Organe

56

Vgl. VGH München, VGH n.F. 13, 24, 27. Zum Bestehen eines Rechts auf Mitgliedschaft in einem Gemeinderatsausschuß nachfolgend F.III.2.c.cc. 58 VGH München, NVwZ 1989, 494. 59 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229, 230; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 101 f.; zum Rederecht der Abgeordneten BVerfGE 10, 4, 12; 80, 188, 218; BayVerfGH, NVwZ-RR 1998, 409. 60 Vgl. BVerfG (3. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1994, 56, 57; VerfG Bbg, LVerfGE 7, 73 f.; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 349. 61 VG Stuttgart, NVwZ 1990, 190. 62 BVerfGE 60, 374, 380 (ftir das Rederecht der Bundestagsabgeordneten); VerfG M V , LKV 1997, 94, 96; BVerwG, JZ 1991, 304, 305 mit zust. Anm. Bethge; Erichsen/ Biermann, Jura 1997, 160; Martensen, JuS 1995, 1080; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 101; vgl. femer BVerfGE 28, 314, 322 f. - A.A. BVerwG, NVwZ 1988, 837; VGH München, DVB1. 1980, 63, 64; Barth, Subjektive Rechte, S. 51 f., 142. 63 Vgl. BVerfGE 60, 374, 380; OVG Koblenz, NVwZ 1987, 1105; Stober, Kommunalrecht, § 15 II 3 b ee. Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1989, 975 zur kommunalrechtlichen Verschwiegenheitspflicht ehrenamtlicher Gemeinderatsmitglieder. 64 Da Redebeiträge im Gemeinderat schon gar nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen, kommt es nicht darauf an (so aber BayVerfGH, BayVBl. 1984, 621, 623; BVerwG, NVwZ 1988, 837; VGH München, DVB1. 1980, 63, 64; Barth, Subjektive Rechte, S. 142; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 164; Grämlich, BayVBl. 1989, 10), inwieweit die einschlägigen kommunalrechtlichen Vorschriften als „allgemeine Gesetze" i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG eine Einschränkung der „Meinungsäußerung" des Gemeinderatsmitglieds trügen. 57

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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generell 65. Deshalb können Gemeinderatsmitglieder ihr Rederecht ausschließlich in den Grenzen der gemeindlichen Zuständigkeit66 und nach den einschlägigen Verfahrens- und Geschäftsordnungsbestimmungen des Gemeinderats ausüben67. Das Rederecht deckt allerdings auch scharfe, unter Umständen sogar überspitzte Kritik beispielsweise an der Amtsführung des Bürgermeisters, sofern diese zumindest im Kern von den Tatsachen gedeckt wird und nicht die Grenze zu einer böswilligen Kritik, die keinen Zusammenhang mehr mit dem Anlaß erkennen läßt, überschreitet 68. Weiter hat jedes Gemeinderatsmitglied das Recht, Anträge zu stellen69. Dieses Antrags- oder Initiativrecht ist ein eigenständiges Organrecht, das nicht als „Folge und notwendiger Bestandteil des Rederechts" 70 verstanden werden kann; denn Rede- und Antragsrecht sind nicht notwendig gekoppelt, wie sich beispielsweise an den gemäß § 40 Abs. 1 S. 4 GemO BW in beschließende Gemeinderatsausschüsse berufenen sachkundigen Einwohnern demonstrieren läßt, die zwar Rede-, aber kein Antragsrecht besitzen71. Das Antragsrecht schließt das Recht ein, die gestellten Anträge sachangemessen begründen zu können72, und begründet ferner einen Anspruch darauf, daß über den gestellten Antrag beraten und abgestimmt wird 73 . Das Gemeinderatsmitglied hat schließlich das wichtige Recht, an den im Gemeinderat durchzuführenden Abstimmungen und Wahlen teilzunehmen74, bei durchzuführenden Wahlen auch für den zu vergebenden Posten zu kandidieren 75. Auch letztere Rechte sind allein organschaftlicher Natur und deshalb stellt etwa das Verhalten bei der Stimmabgabe im Ge-

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Zur fehlenden Grundrechtsfähigkeit der Träger öffentlicher Gewalt sowie zu der die Gemeinden nicht einschließenden Ausnahmetrias s. oben B.I.2.a. 66 Vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1998, 272, 273. 67 BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367; BVerwG, NVwZ 1988, 837; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 102; vgl. BVerfGE 10, 4, 13 ff. 68 OVG Koblenz, NJW 1992, 1844, 1845 f. 69 Vgl. OVG Bautzen, DVB1. 1997, 1287, 1289; VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 297; VGH Mannheim, DÖV 1989, 31, 33; VGH München, VGH n.F. 40, 16, 18. - Zum Initiativrecht der Parlamentsabgeordneten vgl. BVerfGE 1, 144, 153 f.; VerfG Bbg., DVB1. 1999, 708, 709. 70 So aber VerfGH NW, NWVB1. 1999, 411,412. 71 Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 214. 72 VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 297; ebenso OVG Weimar, DVB1. 2000, 935, 936 f. für das entsprechende Recht der Fraktionen. 73 Vgl. hierzu VerfGH NW, NWVB1. 1999, 411, 412 ff; femer VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 153, 154. 74 Vgl. VGH München, VGH a.F. 36 (1915), 233, 236; VGH n.F. 29, 37, 40; OVG Münster, OVGE 17, 261, 267. 75 Vgl. hierzu VerfGH Berlin, JR 1996, 496, 497.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

meinderat kein Gebrauchmachen von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG dar 76 . Alle genannten Befugnisse werden zwar in den Gemeindeordnungen nicht ausdrücklich als subjektive Rechte bezeichnet, doch nach den in dieser Arbeit entwickelten Maßstäben ist es nicht zweifelhaft, daß den Gemeinderatsmitgliedern insofern keine bloß objektivrechtlichen Kompetenzen zugewiesen, sondern ihnen diese als subjektive Rechte verliehen sind. Es handelt sich dabei nämlich um die elementaren Befugnisse, die das Wesen der Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied ausmachen, und ohne die weder das einzelne Gemeinderatsmitglied seine Aufgabe als Repräsentant der Bürger noch der Gemeinderat insgesamt seine Funktion als Repräsentations- und Hauptverwaltungsorgan erfüllen könnten, weil sie für die offene demokratische Willensbildung und Entscheidungsfindung im Gemeinderat schlechthin unverzichtbar sind 77 . Infolgedessen besteht diesbezüglich ein derart dominierendes Durchsetzungsbedürfnis der Rechtsgemeinschaft, daß eine bloß objektivrechtliche, nur durch die Staatsaufsicht gewährleistete Garantie zur effektiven Absicherung von Demokratie und Gewaltenteilung auf kommunaler Ebene nicht hinreichte. Die aus einer Subjektivierung der betreffenden Kompetenznormen fließenden Vorteile sind so groß, die etwa denkbaren Nachteile hingegen so vernachlässigenswert 78, daß mangels entgegenstehender Anhaltspunkte die Annahme geboten ist, daß der Gesetzgeber diese Befugnisse trotz insoweit offener Formulierung als subjektive Rechte konstituieren will 7 9 . Die angeführten Hauptrechte der Gemeinderäte werden durch eine Reihe von Nebenrechten ergänzt, welche zwar nicht nachgerade den Typus des Gemeinderatsmitglieds festlegen, wohl aber zur effektiven Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegeben sein müssen, weil sonst die zumindest abstrakte Gefahr bestünde, daß die Ausübung der verschiedenen Hauptrechte erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werden könnte. Auch diese Nebenrechte sind subjektivrechtlicher Natur, da sie von jedem einzelnen Gemeinderat ausgeübt und gegebenenfalls geltend gemacht werden können müssen, wenn nicht die subjektiven Hauptrechte, auf die sie sich unterstützend beziehen, in Gefahr geraten sollen.

76 Nicht überzeugend deshalb BayVerfGH, BayVBl. 1984, 621, 623, wenn dieser das gesetzliche Gebot ftir Gemeinderatsmitglieder, bei Abstimmungen nur mit „Ja" oder „Nein" zu stimmen, als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 110 Abs. 1 S. 1 BayVerf. (entspricht Art. 5 Abs. 1 GG) ansieht; ein gesetzliches Verbot der Stimmenthaltung betrifft die Gemeinderäte in verfassungsmäßig nicht zu beanstandender Weise (ebd., S. 622 f.) ausschließlich in ihrer Organstellung, nicht aber in ihren Grundrechten. 77 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53 in bezug auf das Rederecht. 78 Zu dieser Abwägung oben F.II. 79 Zum Stimmrecht vgl. OVG Münster, NVwZ 1992, 286.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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Zunächst zu nennen ist hier das Recht auf Ladung unter Einhaltung einer angemessenen Ladungsfrist 80, Mitteilung der Verhandlungsgegenstände sowie Beifügung der für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen 81 (§ 34 Abs. 1 S. 1 GemO BW), ferner das Recht, sich umfassend über die Gemeindeangelegenheiten zu informieren 82. Es kann zwar nicht gut gesagt werden, daß diese Rechte nachgerade das Wesen der Tätigkeit als Gemeinderatsmitglied ausmachen. Aber die Möglichkeit, sich auf die Sitzungen sachgerecht vorzubereiten und sich gegebenenfalls weitere Informationen zu beschaffen, ist unabdingbare Voraussetzung für die effektive und wohlüberlegte Ausübung fast aller organschaftlichen Hauptrechte eines Gemeinderatsmitglieds. Zum Informationsrecht gehört namentlich das Recht, im Rahmen des Gesetzes und der Geschäftsordnung des Gemeinderats schriftliche oder in einer Gemeinderatssitzung mündliche Anfragen bezüglich einzelner Angelegenheiten der Gemeinde an den Bürgermeister zu richten 83 , welchem Recht ein Anspruch auf eine Beantwortung dieser Anfragen binnen angemessener Frist entspricht (vgl. § 24 Abs. 4 GemO BW). Das Unterrichtungsrecht kann ebenso als subjektives Recht im Kommunalverfassungsorganstreitverfahren geltend gemacht werden 84 wie das Recht auf rechtzeitige Mitteilung der Verhandlungsgegenstände und Beifügung der für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen 85. Als eine weitere Ausprägung dieses Informationsgedankens ist das gesetzlich zumeist nicht ausdrücklich benannte Nebenrecht jedes Gemeinderatsmitglieds anzuführen, zu seiner Information an den Sitzungen sämtlicher Gemeinderatsausschüsse, in denen es nicht ohnehin selbst Mitglied ist, als Zuhörer teilzunehmen86, und zwar einschließlich der nichtöffentlichen Ausschußsitzungen87. Wären die Gemeinderatsmitglieder nämlich auf die Teilnahme an den Sitzungen derjenigen Ausschüsse beschränkt, denen sie selbst angehören, und als Zuhörer 80

Hierzu Wengenroth, Rechtsstellung, S. 88 ff. VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304; VG Schwerin, LKV 2000, 167, 168; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 92 ff; vgl. auch BGH, MDR 2000, 1141 f. 82 OVG Lüneburg, OVGE 3, 223, 225; Schwerdtner, DÖV 1990, 17. 83 Vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1998, 773; VGH Mannheim, DÖV 1989, 31, 32. Zum Fragerecht der Bundestagsabgeordneten vgl. BVerfGE 13, 123, 125; 57, 1, 5; 67, 100, 129; 80, 188, 218; der Landtagsabgeordneten vgl. VerfGH NW, NVwZ 1994, 678 f.; SächsVerfGH, SächsVBl. 1998, 210, 211 und 211 f. mit Anm. Eckardt. 84 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 316; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 165. 85 OVG Greifswald, DÖV 1998, 1014; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1989, 153, 154; VB1BW 1999, 304; VG Schwerin, LKV 1998, 74, 75; 1998, 76 f.; Erlenkümper, NVwZ 1999, 1304. 86 OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242, 246; OVG Lüneburg, OVGE 6, 437; VGH Mannheim, NVwZ 1990, 893, 894; VGH München, VGH n.F. 35, 148, 149 f.; Streinz, BayVBl. 1983, 744 f. 87 VGH Mannheim, NVwZ 1990, 893, 894; VGH München, VGH n.F. 35, 148, 149. 81

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

bei anderen Ausschußsitzungen ausgeschlossen, so hätte dies zur Folge, „daß denjenigen Mitgliedern des Gemeinderates, die ... als unabhängige Kandidaten gewählt worden sind oder kleineren Fraktionen angehören, praktisch die Möglichkeit einer umfassenden Unterrichtung genommen würde; sie wären lediglich auf die summarischen Ergebnisse der Ausschußniederschriften beschränkt. Unter diesen Umständen wären sie außerstande, ihre Stimme zu Beschlüssen des Gemeinderates nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben"88. Sofern es nicht durch die einschlägige Gemeindeordnung besonders vorgesehen ist 89 , steht dem zu seiner Information an Ausschußsitzungen teilnehmenden Gemeinderatsmitglied jedoch kein Rede- und Antragsrecht zu 90 ; die Geschäftsordnung kann ihm ein solches Recht nicht verleihen 91. Ein nicht ausschußangehöriges Gemeinderatsmitglied kann deshalb auf eine schriftliche Antragstellung in Gemeinderatsausschüssen beschränkt werden 92. Sofern ein Gemeinderatsmitglied von seinem Recht Gebrauch macht, einen schriftlichen Antrag zu stellen, erwächst ihm „als Folge und Bestandteil" hiervon das Nebenrecht, die Aufnahme des Beratungsgegenstandes seines Antrags in die schriftliche Tagesordnung 93 zu verlangen: „Das Recht, die Aufnahme eines Antragsgegenstandes in die schriftliche Tagesordnung zu verlangen, liegt im Vorfeld des Antragsrechts und sichert dieses ab. Ohne diese verfahrensrechtliche Absicherung könnte das Antragsrecht nicht stets wirksam genug ausgeübt werden", weil der Gemeinderat - sofern nicht ein nach der Geschäftsordnung zulässiger Dringlichkeitsantrag gestellt und angenommen wird - nicht über Anträge abstimmen darf, die sich auf nicht in der Tagesordnung bezeichnete Gegenstände beziehen94; ohne das Nebenrecht auf Aufnahme des Antrags in die Tagesordnung liefe also das Antragsrecht „als eines der bedeutendsten Mitwirkungsrechte des Gemeinderatsmitglieds" 95 selbst Gefahr, unterlaufen zu werden. Der Annahme eines solchen Nebenrechts eines einzelnen antragstellenden Gemeinderatsmitglieds steht nicht entgegen96, daß nach manchen Gemein88

OVG Lüneburg, OVGE 3, 223, 225 f.; vgl. auch OVG Lüneburg, OVGE 6, 437,

438 f. 89

Vgl. z.B. OVG Saarlouis, NVwZ 1992, 289. Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1990, 893 f.; VGH München, VGH n.F. 35, 148, 151; NVwZ 1990, 1197, 1198. 91 Vgl. VGH München, VGH n.F. 13, 24, 28; Streinz, BayVBl. 1983, 744; a.A. wohl OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242, 246 f. 92 BVerwG, Buchholz 415.1 AllgKommRNr. 105. 93 Zu den Anforderungen an die thematische Bestimmtheit der Tagesordnung vgl. VGH München, VGH n.F. 40, 16, 21 f. 94 VGH München, VGH n.F. 40, 16, 18 f.; zust. Barth, Subjektive Rechte, S. 132 f. 95 VGH München, VGH n.F. 40, 16, 18. 96 So aber die Annahme von VGH Kassel, DVB1. 1986, 247, 248 f.; VGH München, VGH n.F. 40, 16, 19 f. (mit Nachweisen zu den diesbezüglichen Bestimmungen der Kommunalgesetze der Länder). 90

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

665

deordnungen an sich nur ein gewisses Quorum der Gemeinderäte die Aufnahme eines bestimmten Verhandlungsgegenstands in die Tagesordnung verlangen kann (vgl. § 34 Abs. 1 S. 4 GemO BW) 9 7 . Denn dieses Verlangen kann ganz unabhängig von der gleichzeitigen Stellung eines inhaltlichen Beschlußantrags vorgebracht werden, beispielsweise allein um die Diskussion einer bestimmten Angelegenheit in öffentlicher Ratssitzung zu erzwingen. Diese Möglichkeit schließt aber nicht aus, daß einem einzelnen Gemeinderatsmitglied mit der Stellung eines zulässigen Antrags 98 auch allein das Nebenrecht auf eine Gestaltung der Tagesordnung zuwächst, welche die sachliche Behandlung seines Antrags überhaupt erst gestattet. Unabhängig von der Stellung eines Sachantrags steht dem einzelnen Gemeinderatsmitglied dagegen, wie sich im Umkehrschluß aus § 34 Abs. 1 S. 4 GemO BW ergibt, kein Anspruch auf Aufnahme eines bestimmten Gegenstandes in die Tagesordnung zu 99 ; allerdings muß der Bürgermeister ermessensfehlerfrei über einen solchen Antrag entscheiden100. Jedes Gemeinderatsmitglied hat weiter ein subjektives Recht, sich mit anderen Gemeinderatsmitgliedern zu Fraktionen zusammenzuschließen oder einer bestehenden Fraktion beizutreten 101 ' 102 , umgekehrt freilich auch - und zwar ohne Verlust des Mandates - ein Recht zum Fraktionsaustritt 103.

97

S. unten F.III.2.e. Dem Bürgermeister kommt unbestritten ein Prüfungsrecht hinsichtlich der formalen Merkmale des Antrags zu, femer auch dahin, ob er ernst gemeint (§118 BGB) ist und überhaupt einen verständlichen Sinn hat. Streitig ist, ob ihm die Prüflingskompetenz zukommt, ob der Antrag in die Verbandskompetenz der Gemeinde fällt (vgl. § 34 Abs. 1 S. 5 GemO BW): bejahend VGH Mannheim, DVB1. 1984, 729, 730 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 456; verneinend OVG Koblenz, DVB1. 1985, 906, 909 mit krit. Anm. v. Unruh; OVG Lüneburg, DVB1. 1984, 734, 735; VGH München, VGH n.F. 40, 16, 20 ff.; OVG Münster, DVBl. 1984, 155 ff. - Dem Landtagspräsidenten bzw. Landtagspräsidium steht kein materielles (inhaltliches) Prüfungsrecht zu, das es ihm erlaubte, einen formell ordnungsgemäß gestellten Antrag wegen fehlender Befassungskompetenz des Landtags nicht in die Tagesordnung aufzunehmen, VerfG Bbg., DVBl. 1999, 708, 709 f. 99 VGH Kassel, NVwZ 1986, 328, 329; VGH Mannheim, NVwZ 1984, 664; OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 460. 100 Vgl. OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 460 f.; Gänßle, SächsVBl. 1999, 5 ff.; a.A. VGH Kassel, NVwZ 1986, 328, 329; VGH Mannheim, NVwZ 1984, 664 f. 101 Vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1985, 177, 178; VGH Mannheim, BWVPr 1978, 88, 89; Wengenroth,, Rechtsstellung, S. 122; für Bundestagsabgeordnete BVerfGE 70, 324, 354; 80, 188, 218; 84, 304, 322; 96, 264, 278; zur großen Bedeutung einer Fraktionsmitgliedschaft für die Arbeit des Mandatsinhabers vgl. VerfG Bbg., NVwZ-RR 1997, 577, 578; VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 580; Schmidt-,Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 118; Ziekow, NWVB1. 1998, 297, 303. 102 Zum Anspruch auf Aufnahme in eine Fraktion bei Fehlen sachlich gerechtfertigter Ablehnungsgründe vgl. VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 580, 581 f. - Zu den formellen 98

666

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Schließlich haben die Gemeinderatsmitglieder einen Anspruch gegen den Bürgermeister auf Schutz vor und Beseitigung von Störungen bei der Ausübung ihrer Rechte, gleich ob diese von anderen Gemeinderatsmitgliedern oder von Zuschauern ausgehen 104 : Der Bürgermeister

leitet die

Gemeinderatssitzung

(§ 36 Abs. 1 S. 1 GemO B W ) und übt dabei die Ordnungsgewalt und das Hausrecht aus (§ 36 Abs. 1 S. 2 GemO B W ) . Diese Befugnisse sind ihm nicht (nur) zu seinem Selbstschutz übertragen, sondern er muß sie nach pflichtgemäßem Ermessen auch zum Schutz der Gemeinderatsmitglieder ausüben. Hierunter gehört auch der Anspruch des Gemeinderatsmitglieds gegen den Bürgermeister auf Verhängung eines Rauchverbotes während der Gemeinderats- und Ausschußsitzungen: Sofern ein Gemeinderatsmitglied rügt, durch den Tabakrauch so in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt zu sein, daß seine K o n zentrationsfähigkeit leidet, muß der Bürgermeister zur Sicherung der vollen A r beitsfähigkeit des Gemeinderats ein Rauchverbot erlassen 105 . Die nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis gesundheitsgefährdenden wenn nicht gar -schädlichen Folgen auch des Passivrauchens als solche kann das einzelne Gemeinderatsmitglied übrigens, weil nicht für seine organschaftliche Tätigkeit konkret hinderlich, nicht auf einen organschaftlichen Störungsbeseitigungsanspruch stützen und nicht in einem Organstreitverfahren gegen den Bürgermeister durchsetzen. Insofern besteht zwar ein grundrechtlicher Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 1 0 7 ; denn der zu ehrenamtlicher Tätigkeit rechtlich verpflichtete Bürger (§ 15 Abs. 1 GemO BW) hat einen Anspruch, bei der Ausübung dieser Tätigkeit in seinen Grundrechtsgütern geschützt zu werden. Dieser Schutzanspruch stellt aber dank seiner grundrechtlichen Herleitung und Fundierung kein organschaftliches Recht dar und besteht deshalb nicht gegenüber dem Bürgermeister, sondern gegenüber der Gemeinde 10*, auch wenn natürlich der Bürgermeister als Sitzungsleiter das in concreto zur Erfüllung dieser Pflicht berufe-

und inhaltlichen Voraussetzungen eines Fraktionsausschlusses eingehend Schmidt-Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 118 ff.; Ziekow, NWVB1. 1998, 302 ff. 103 Rothe, DVB1. 1988, 385. 104 Vgl. BVerwG, JZ 1991, 304, 305; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1990, 98; OVG Lüneburg, DVB1. 1989, 935; OVG Münster, JZ 1983, 25 f.; NWVB1. 1991, 16; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 160; Fehrmann, DÖV 1983, 315; Martensen, JuS 1995, 1079; Schröder, NVwZ 1985, 247; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 347; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 109 f., 114 f. 105 Vgl. hierzu OVG Koblenz, NVwZ-RR 1990, 98; OVG Lüneburg, DVB1. 1989, 935 f.; OVG Münster, JZ 1983, 25, 26; Fehrmann, DÖV 1983, 315; Martensen, JuS 1995, 1079 f.; Schröder, NVwZ 1985, 247; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 113 f.; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 101. 106 Vgl. hierzu BVerfGE 95, 173, 184 f.; BVerwG, NVwZ 1990, 165; femer BayVerfGH, BayVBl. 1999, 690. 107 Vgl. BVerwG, NVwZ 1990, 165. Zu grundrechtlichen Schutzansprüchen näher Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 34 ff., 70 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 417 f. 108 Vgl. Martensen, JuS 1995, 1079 f.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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ne Organ der Gemeinde ist. Ein grundrechtlicher Schutzanspruch ist wie jedes persönliche Recht der Gemeinderatsmitglieder nötigenfalls gegen die Gemeinde geltend zu machen und nicht in einem Organstreitverfahren zu verfolgen 109.

cc) Zum Recht auf Mitgliedschaft in Gemeinderatsausschüssen Heftig umstritten ist, ob dem einzelnen Gemeinderatsmitglied grundsätzlich ein organschaftliches Recht auf Mitgliedschaft in Gemeinderatsausschüssen zukommt. Zwar besteht nach dem Kommunalrecht kein Recht auf Errichtung oder Erhaltung eines Ausschusses110. Wenn jedoch der Gemeinderat mehrere beratende (vgl. § 41 GemO BW) oder beschließende Ausschüsse (vgl. § 39 GemO BW) in solcher Anzahl und in solcher Größe 111 eingerichtet hat, daß die Zahl der vom Gemeinderat insgesamt zu bestellenden (§ 40 Abs. 1 S. 2 GemO BW) Ausschußmitglieder gleich oder gar größer ist als die Zahl der Gemeinderatsmitglieder, so hat jedes Gemeinderatsmitglied entgegen der herrschenden Meinung 112 ein Organrecht auf Berücksichtigung bei der Ausschußbesetzung und auf einen Sitz in wenigstens einem Ausschuß113. Die herrschende Meinung begründet ihre ablehnende Haltung damit, daß zwar jeder Ausschuß ein verkleinertes Abbild des Plenums sein soll und in seiner Zusammensetzung daher grundsätzlich die Zusammensetzung des Plenums und die darin bestehenden durch demokratische Wahl legitimierten Meinungsund Mehrheitsverhältnisse widerspiegeln muß 114 , daß jedoch eine exakt proporzgetreue Repräsentation der Kräfte des Gemeinderats in seinen Ausschüssen unmöglich und deshalb auch nicht gefordert ist 115 . Es können nicht alle in gleicher Weise beteiligt werden, weil sonst der Gemeinderat zumal im Falle einer Zersplitterung der politischen Verhältnisse in eine Vielzahl von Fraktionen, 109

S. oben A.II.4.C. V G H München, V G H n.F. 21, 74, 76; OVG Münster, OVGE 27, 258, 266 ff. 111 Zum Organrecht der Gemeinderatsfraktionen auf eine nicht willkürliche Festlegung der Ausschußgröße vgl. unten F.III.2.d. 112 BVerwG, NVwZ-RR 1994, 109; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460 f.; V G H Mannheim, ESVGH 28, 7, 12 ff.; N V w Z 1990, 893, 894; V G H München, N V w Z 1990, 1197; OVG Saarlouis, N V w Z 1992, 289 f.; OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 460; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 160; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 216; ders., Deutsches Kommunalrecht, Rn. 416. 113 Vgl. OVG Bremen, N V w Z 1990, 1195, 1196; Ladeur, BayVBl. 1992, 390 ff.; Schwerdtner, VB1BW 1993, 328; ebenso BVerfGE 80, 188, 223 f. fur den Anspruch jedes Abgeordneten, in einem Bundestagsausschuß mitzuwirken. 114 Vgl. BVerfGE 80, 188, 222; BVerwGE 90, 104, 109; BVerwG, NVwZ-RR 1993, 209; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460; V G H München, V G H n.F. 8, 97, 101; N V w Z 1989, 494; 1990, 1197 f.; OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 460. 115 Vgl. BayVerfGH, NJW 1989, 1918 f.; BVerwG, DÖV 1978, 415; V G H Mannheim, ESVGH 28, 7, 13. 110

668

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Gruppen und fraktionslosen Mitgliedern möglicherweise überhaupt keine kleinen Ausschüsse mehr bilden könnte oder eben nur um den Preis, daß die Gemeinderatsminderheit in einem kleinen Ausschuß in der Mehrheit wäre 116 . Folglich bestehen zwangsläufig Einschränkungen hinsichtlich der Repräsentanz aller Fraktionen, Gruppen und einzelnen Mitglieder im Ausschuß. Aus diesen Vorgaben ergibt sich indessen nur, daß ein Gemeinderatsmitglied keinen Anspruch haben kann, einen Sitz in sämtlichen Gemeinderatsausschüssen zu erhalten; der gänzliche Ausschluß eines Gemeinderatsmitglieds von jeder Ausschußarbeit trotz Vorhandensein einer ausreichend großen Zahl von Sitzen läßt sich damit nicht rechtfertigen. Die herrschende Meinung wird vielmehr weder der grundsätzlich gleichen Rechtsstellung aller Gemeinderatsmitglieder (Art. 28 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) 1 1 7 noch der großen Bedeutung der Ausschußarbeit für die Tätigkeit der Gemeinderatsmitglieder 118 gerecht. Bei beschließenden Ausschüssen ist die Wichtigkeit der Teilhabe an der Ausschußarbeit evident, da diese ja selbständig an Stelle des Gemeinderats entscheiden (§ 39 Abs. 3 S. 1 GemO BW), und damit durch die Übertragung von Aufgaben an beschließende Ausschüsse den darin nicht vertretenen Gemeinderatsmitgliedern jede Mitwirkung an der den Gemeinderat vertretenden Willensbildung versagt wird 119 . In abgeschwächter Weise gilt dies aber auch für die beratenden Ausschüsse, da diese auf die endgültige Beschlußfassung durch das Plenum hinarbeiten und damit èinen Teil des Entscheidungsprozesses vorwegnehmen, im übrigen nicht selten sogar faktisch die Entscheidung präjudizieren 120. Das BVerfG hat aus diesem Grunde mit Blick auf die Bundestagsausschüsse festgestellt, daß die prinzipielle Möglichkeit, in einem Ausschuß mitzuwirken, „für den einzelnen Abgeordneten angesichts des Umstandes, daß ein Großteil der eigentlichen Sacharbeit des Bundestages von den Ausschüssen bewältigt wird, eine der Mitwirkung im Plenum vergleichbare Bedeutung" hat 121 . Bedenkt man weiter, daß „Richtmaß für die Ausgestaltung der Organisation und des Ge116

BayVerfGH, NJW 1989, 1918; Schwerdtner, DÖV 1990, 16. Ladeur, BayVBl. 1992, 388; Schwerdtner, VB1BW 1993, 329. Zum Prinzip der formalisierten Gleichbehandlung bei Bundestagsabgeordneten vgl. BVerfGE 80, 188, 218; 84, 304, 321; 93, 195, 204; 96, 264, 278; Morlok, in Dreier, GG, Art. 38 Rn. 152; bei Landtagsabgeordneten VerfGH Berlin, JR 1996, 496, 497; VerfG Hamburg, NJW 1998, 1054. 118 Vgl. hierzu Ladeur, BayVBl. 1992, 391; Schwerdtner, VB1BW 1993, 329. 119 Daß beschließende Ausschüsse lediglich Angelegenheiten von minderer Bedeutung übertragen sind, ändert hieran entgegen OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460, 461 nichts. 120 Vgl. BVerfGE 80, 188, 221 (für die Bundestagsausschüsse); das konzediert auch OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460, 461. 121 BVerfGE 80, 188, 222; zur Bedeutung der Ausschußarbeit femer BVerfGE 44, 308, 317 ff.; 84, 304, 323; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367; Ladeur, BayVBl. 1992, 390; Schwerdtner, VB1BW 1993, 329 f. 117

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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schäftsgangs ... das Prinzip der Beteiligung aller Abgeordneten bleiben [muß]" 122 , so muß, wenn nun einmal die Sacharbeit zu großen Teilen in den Ausschüssen erfolgt, jeder Abgeordnete die Chance besitzen, hier seine politischen Vorstellungen in die parlamentarische Willensbildung einzubringen 123. Diese Überlegung gilt ebenso in Ansehung der Gemeinderatsausschüsse. Auch diese sind vielfach der Ort, an dem die einzelnen Gemeinderatsmitglieder ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und politischen Interessen einbringen und damit die Arbeit des Gemeinderats sachlich-inhaltlich in entscheidender Weise mitgestalten können. Angesichts dieser Bedeutung der Ausschußarbeit darf ein Gemeinderatsmitglied nicht ohne gewichtige, an der Funktionstüchtigkeit des Gemeinderats orientierte Gründe von jeder Mitarbeit in den Ausschüssen ausgeschlossen werden 124 . Solche Gründe liegen, wenn es ausreichend viele Ausschußsitze gibt, in aller Regel nicht vor, und es geht jedenfalls nicht an, unter unspezifizierter und unbelegter Bezugnahme auf die „Effektivität" der Ausschußarbeit 125 einzelnen (namentlich fraktionslosen) Gemeinderatsmitgliedern jede Mitarbeit in den Gemeinderatsausschüssen zu versagen 126. Die herrschende Meinung verneint zwar die Übertragbarkeit der vom BVerfG fur die Bundestagsabgeordneten und ihre Ausschußmitgliedschaft aufgestellten Grundsätze auf Gemeinderatsmitglieder 127, jedoch zu Unrecht. Zunächst läßt sich einer solchen Übertragung nicht mit dem Argument entgegentreten, Gemeinderatsmitglieder seien keine Abgeordneten, die sich auf Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG berufen könnten 128 . Letzteres trifft zwar zu, doch immerhin ist auch der Gemeinderat eine Volksvertretung 129, und in seiner Repräsentationsfunktion und demokratischen Legitimität in bezug auf das Gemeindevolk unterscheidet sich das Gemeinderatsmitglied nicht so grundsätzlich vom Abgeordneten, als daß nicht für die Frage der Ausschußmitgliedschaft sehr wohl vergleichbare Grundsätze gelten können 130 .

122

BVerfGE 80, 188, 218 f.; vgl. BVerfGE 84, 304, 321. Vgl. BVerfGE 44, 308, 316; 80, 188, 222; desgleichen BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367; femer Morlok, in Dreier, GG, Art. 38 Rn. 153. 124 BVerfGE 80, 188, 222 (fur Bundestagsabgeordnete); Schwerdtner, VB1BW 1993, 329. 125 So etwa VGH München, NVwZ 1990, 1197, 1198. 126 Ladeur, BayVBl. 1992, 391 f. 127 Ausdrücklich OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460, 461; VGH Mannheim, NVwZ 1990, 893, 894; VGH München, NVwZ 1990, 1197 f. 128 In diese Richtung aber VGH München, NVwZ 1990, 1197. 129 S. oben F.II.l.a.bb und cc. 130 Vgl. Ladeur, BayVBl. 1992, 388 f., 390, 393; Schwerdtner, VB1BW 1993, 328 f.; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 327; das betont zutreffend auch OVG Koblenz, NVwZRR 1996, 460, 461. 123

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Eine unterschiedliche Behandlung ließe sich allenfalls mit unterschiedlichen Funktionsbedingungen begründen, die in beiden Organen herrschen. So wird gesagt, Gemeinderäte seien sehr viel kleiner als der Bundestag und die Mitwirkungsrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder im Plenum seien sehr viel umfassender als die Möglichkeiten einzelner Abgeordneter, im Bundestagsplenum Einfluß zu nehmen; deshalb sei die Bedeutung der Ausschußarbeit für den Mandatsinhaber beim Gemeinderat deutlich geringer als im Falle des Bundestages 131 . Freilich ist bereits die tatsächliche Prämisse dieses Einwands wenig überzeugend. Wenn ein Ausschuß eine inhaltliche Vorentscheidung getroffen hat, so dürfte es für das einzelne Gemeinderatsmitglied nicht leichter sein, die Sachfrage in das Plenum zurückzuholen und dort eine Änderung zu erreichen als für den einzelnen Abgeordneten. Das mag aber dahinstehen. Denn das BVerfG hat die grundsätzliche Berechtigung zur Mitwirkung in wenigstens einem Bundestagsausschuß gerade nicht daraus hergeleitet, daß eine Einflußnahme alleine im Plenum ineffektiv wäre; in der Tat wäre ein solcher Begründungsstrang auch wenig überzeugend gewesen, da die Mitgliedschaft in nur einem von vielen Ausschüssen ohnehin keine hinlängliche Kompensation für die weitgehende Machtlosigkeit im Plenum bezüglich der durch die anderen Ausschüsse vorbereiteten Angelegenheiten sein könnte. Die Ausschußmitgliedschaft ist keine Kompensation für eine ineffektive Rechtsstellung im Plenum, sondern hat eine der „Mitwirkung im Plenum vergleichbare Bedeutung" 132 , steht mit anderen Worten selbständig und nahezu gleichberechtigt neben der Mitwirkung im Plenum. An keiner Stelle argumentiert das BVerfG von der Frage der Beteiligungsmöglichkeit im Parlamentsplenum her. Ihm geht es vielmehr, ausgehend von der grundsätzlich gleichen Rechtsstellung aller Abgeordneten, um deren Fähigkeit zur sachlich-politischen Mitgestaltung, die Möglichkeit, sich mit seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Interessen in die Arbeit der Volksvertretung an der Stelle einbringen zu können, wo sie sachlich vorbereitet oder gar vorweggenommen wird, und die Frage der Rechtsstellung im Plenum spielt hierfür keine Rolle. Methodisch handelt es sich hier um ein Konkordanzproblem 133: Auf der einen Seite ist von der grundsätzlichen Rechtsgleichheit aller Mandatsträger und ihrem damit verbundenen gleichen Anspruch auf Teilhabe an der Sacharbeit auszugehen, auf der anderen Seite ist zu beachten, daß die Ausschüsse verkleinertes Abbild der Mehrheitsverhältnisse im Plenum sein müssen und zugleich im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit nicht zu groß werden dürfen 134 . Diese kolli131

OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460, 461. BVerfGE 80, 188,222. 133 Zum Prinzip praktischer Konkordanz vgl. BVerfGE 83, 130, 143; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72, 318; Lerche, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 122 Rn. 3 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 457 f. 134 Zu diesem Spannungsverhältnis vgl. Ladeur, BayVBl. 1992, 389 f. 132

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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dierenden Vorgaben sind zu einem gerechten und schonenden Ausgleich zu bringen. Daß bei einer die Zahl der Gemeinderatsmitglieder übersteigenden Zahl von Ausschußsitzen einigen Gemeinderatsmitgliedern in zwei oder noch mehr Ausschüssen politische Mitgestaltung ermöglicht, anderen hingegen überhaupt kein Ausschußsitz zuteil wird, stellt einen solchen konkordanzgerechten Ausgleich jedenfalls nicht dar, sondern schafft ohne Not Mandatsträger zweiter Klasse 135 . Deshalb ist bei einer hinreichend großen Zahl von Ausschußsitzen jedem dies wünschenden Gemeinderatsmitglied die Mitwirkung in einem Gemeinderatsausschuß zu ermöglichen, wobei freilich kein Anspruch auf Mitgliedschaft in einem bestimmten Ausschuß besteht. Fraglich ist, ob mit einer nach diesen Grundsätzen zu beanspruchenden Mitgliedschaft in einem Gemeinderatsausschuß nur Rede- und Antragsrecht verbunden zu sein brauchen oder ob auch das Stimmrecht in dem betreffenden Ausschuß gewährt werden muß. Das BVerfG hat für die Parallelproblematik bei Bundestagsausschüssen die Gewährung eines Stimmrechts an den fraktionslosen Abgeordneten im Ausschuß für verfassungsrechtlich nicht geboten erachtet, zumal er im Gesetzgebungsverfahren wie jedes Mitglied des Bundestags mitwirken könne. Da nämlich die fraktionsangehörigen Abgeordneten in den Ausschüssen zugleich auch für ihre Fraktionen sprechen, erwüchse dem fraktionslosen Abgeordneten ein vergleichsweise überproportional wirkendes Stimmgewicht, könnte er im Ausschuß wie die fraktionsangehörigen Abgeordneten abstimmen; außerdem könnten sich hierdurch die Mehrheitsverhältnisse im Ausschuß anders als im Plenum darstellen 136. Jedenfalls für Gemeinderatsausschüsse kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden 137 . Gemeinderatsausschüsse sind nämlich im Verhältnis zum Gemeinderat deutlich größer als Bundestagsausschüsse im Verhältnis zum Bundestag: In Baden-Württemberg etwa haben die Gemeinderäte neben dem Bürgermeister nur 8 bis 60 Mitglieder (vgl. § 25 Abs. 2 GemO BW), während die Gemeinderatsausschüsse zusätzlich zum Bürgermeister mindestens 4 (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 GemO BW) bis höchstens 20 Mitglieder zählen 138 , was in der Praxis auf ein Verhältnis von 1 zu 2 bis 1 zu 8 hinausläuft. Demgegenüber wiesen Bundestagsausschüsse zum Zeitpunkt der maßgeblichen Entscheidung des BVerfG vom 13. Juni 1989 mit 13 bis 37 135

Ladeur, BayVBl. 1992, 391. BVerfGE 80, 188, 224 f.; krit. hiergegen mit Recht BVerfGE 80, 188, 235 ff. diss. op. Mahrenholz; Ladeur, BayVBl. 1992, 393 f.; Morlok, in Dreier, GG, Art. 38 Rn. 153 Fn. 466. 137 OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1196; Ladeur, BayVBl. 1992, 394; a.A. OVG Saarlouis, NVwZ 1992, 289, 290; wohl auch Schwerdtner, VB1BW 1993, 329. 138 Beispielsweise bestehen nach § 3 Abs. 2 der Hauptsatzung der Stadt Mannheim vom 29. November 1994 bei 48 Stadträten acht der zehn Gemeinderatsausschüsse (neben dem Bürgermeister als Vorsitzendem) aus 12 Mitgliedern, einer aus 6 und der letzte aus 14 Mitgliedern. 136

672

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Mitgliedern 139 bei einer Zahl von 518 Bundestagsabgeordneten140 ein Größenverhältnis von lediglich 1 zu 14 bis 1 zu 40 auf 141 . Infolgedessen führt die Zubilligung eines Stimmrechts für ein fraktionsloses Gemeinderatsmitglied in einem Gemeinderatsausschuß zu einer deutlich geringeren Stimmgewichtsverzerrung als es bei fraktionslosen Abgeordneten in Bundestagsausschüssen der Fall ist. Von daher haben die Bedenken des BVerfG in bezug auf Gemeinderatsausschüsse von vornherein ein erheblich geringeres Gewicht. Im übrigen ist es dem Gemeinderat unbenommen, fraktionslosen Abgeordneten Sitz und Stimme in Ausschüssen zu verschaffen, die groß genug sind, daß sich durch ein solches Mitglied nicht die Mehrheitsverhältnisse im Vergleich zum Plenum ändern 142. Jedenfalls aber ist der im Effekt zu verzeichnende Stimmgewichtszuwachs fraktionsloser Gemeinderäte angesichts der Bedeutung der Ausschußarbeit für ihre Tätigkeit als gewählte Volksvertreter schon deshalb eher hinzunehmen, weil dem (beschließenden) Ausschuß ohnehin wesentliche Aufgaben vorenthalten sind - dies stellt also keinen Grund für die Nichtzulassung von fraktionslosen Gemeinderatsmitgliedern zur Ausschußarbeit dar, sondern viel eher einen Grund, weshalb sie unbedenklich zugelassen werden können - , und weil der Gemeinderat (aufgrund einer entsprechenden Bestimmung in der Hauptsatzung) jede Angelegenheit an sich ziehen sowie Ausschußbeschlüsse ändern kann (vgl. § 39 Abs. 3 S. 5 GemO BW). Da alle Gemeinderatsmitglieder grundsätzlich die gleiche Rechts- und Pflichtenstellung haben und dem Gesetz die Unterscheidung zwischen vollberechtigten und nur beratungsberechtigten Ausschußmitgliedern unbekannt ist 143 , läßt sich hiernach keine um das Stimmrecht verkürzte Ausschußmitgliedschaft konstruieren 144.

dd) Recht auf Verschonung mit gemeindefremden Angelegenheiten? Zweifelhaft und umstritten ist, ob ein Recht der einzelnen Gemeinderatsmitglieder anzuerkennen ist, von einer Befassung mit Angelegenheiten verschont 139

Vgl. die Angaben bei Versteyl, in v. Münch, GG, Art. 43 Anhang. § 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. September 1975 (BGBl. I S. 2325). 141 Beim im Zuge der deutschen Wiedervereinigung auf 656 Abgeordnete vergrößerten Deutschen Bundestag (§ 1 Abs. 1 S. 1 BWahlG i.d.F. der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993, BGBl. I S. 1288) betrug die Ausschußgröße 17 bis 41 (vgl. die Angaben im Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages für die 13. Wahlperiode, Stand: 1995, Teil III, A1-A22; Versteyl, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 43 Anhang), woraus sich ein ähnliches Größenverhältnis von 1 zu 16 bis 1 zu 38 errechnet. 142 Zu weiteren Vorschlägen, eine Verzerrung der Mehrheitsverhältnisse zu verhindern, vgl. Ladeur, BayVBl. 1992, 391: Abstimmung nach Stimmbruchteilen, Stichentscheid des Ausschußvorsitzenden. 143 Vgl. VGH München, VGH n.F. 13, 24, 28 f. 144 OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1196. 140

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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zu bleiben, die nicht in die Kompetenzen des Gemeinderats fallen, mit denen dieser sich jedoch gleichwohl befassen will 1 4 5 . Praktisch bedeutsam wird diese Frage weniger im Verhältnis des Gemeinderats zum Bürgermeister, weil aufgrund der gemeindeinternen Kompetenzverteilung der Gemeinderat ohnehin ein sehr weites Kontrollrecht hat und sich deshalb in weitem Umfang mit der Amtsführung des Bürgermeisters befassen darf, sondern vielmehr dann, wenn sich die Gemeinderatsmehrheit (gegebenenfalls sogar in Übereinstimmung mit dem Bürgermeister) mit Angelegenheiten befassen will, die überhaupt keine Gemeindeangelegenheiten sind und deshalb nicht in die kommunale Verbandskompetenz fallen (z.B. Rüstungs-, Verteidigungsfragen). Nun wird teilweise dem einzelnen Gemeinderatsmitglied unter Hinweis auf die hiermit verbundene Arbeitsbelastung ein organschaftliches Recht zugesprochen, sich dagegen wehren zu können, daß sich der Gemeinderat mit derartigen Themen befaßt: „Jedes der durch das Prinzip der Allzuständigkeit des Rats sowieso schon über Gebühr belasteten Ratsmitglieder hat einen Anspruch darauf, vor der Belästigung mit Angelegenheiten bewahrt zu werden, die nicht in der Kompetenz der Körperschaft liegen, deren Vertretungsorgan er angehört" 146 . Dieser Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als es in der Tat die Rechte der Gemeinderäte verletzen müßte, wenn sich der Gemeinderat in einem solchen Ausmaß mit gemeindefremden Angelegenheiten befaßte, daß die Belastung der Gemeinderatsmitglieder einen übermäßigen, von ehrenamtlich tätigen Bürgern (vgl. § 15 Abs. 1 GemO BW) nicht zu erwartenden Umfang annähme, oder wenn hierunter die Erledigung ihrer eigentlichen Aufgaben litte. Allerdings wird dieser Zustand kaum jemals dadurch erreicht werden, daß sich der Gemeinderat in einer einzelnen Sache über die Zuständigkeitsgrenzen der Gemeinde hinwegsetzt, indem er beispielsweise eine Stellungnahme zu einer aktuellen und politisch umstrittenen Frage der Verteidigungspolitik abgibt. Die zusätzliche Belastung der einzelnen Gemeinderäte und die Beeinträchtigung ihrer eigentlichen Tätigkeit dürfte hier so gering bleiben, daß die Argumentation mit einer unzumutbaren Arbeitsbelastung nicht durchgreift. Unabhängig von der Arbeitsbelastung, d.h. rechtsgrundsätzlich läßt sich jedoch ein Recht des Organmitglieds auf Verschonung mit organisationsfremden Angelegenheiten nicht nachweisen. Das einzelne Organmitglied hat kein Recht auf ein rechtmäßiges Handeln des Organs, dem er angehört 147, und er wird deshalb allein dadurch, daß das Organ die Organ- oder gar die Verbandskompetenzen überschreitet,

145 Bejahend Fuß, WissR 1972, 123 f.: „die Überschreitung der einem Universitätsorgan zugewiesenen Kompetenzen beeinträchtigt den Funktionsstatus der Organmitglieder". 146 Henrichs, DVBl. 1959, 554. 147 S. oben E.II.l.b.

45 Roth

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

nicht in eigenen Rechten verletzt 148 , solange sich diese Überschreitung nicht konkret nachteilig auf seine eigentliche Tätigkeit auswirkt.

ee) Die Erfolgswertbezogenheit des Stimmrechts der Gemeinderatsmitglieder Eine der auch praktisch höchst bedeutsamen Hauptstreitpunkte in bezug auf die Rechte einzelner Gemeinderatsmitglieder betrifft die Frage, ob deren Stimmrecht lediglich dem Zählwert nach oder ob auch der Erfolgswert der Stimme subjektivrechtlich geschützt ist. (1) Zählwert und Erfolgswert Unumstritten ist, daß das subjektivrechtlich gewährleistete Stimmrecht des einzelnen Gemeinderatsmitglieds den Zählwert der Stimme umfaßt 149 , jedes Gemeinderatsmitglied also ein „Recht auf ordnungsgemäße Auswertung seiner eigenen Stimme" hat 150 . Subjektivrechtlich abgesichert ist danach zumindest, daß jede bei der Beschlußfassung des Gemeinderats wirksam abgegebene Stimme gezählt werden und in die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses eingehen muß. Demgegenüber geht die herrschende Meinung davon aus, daß sich das subjektivrechtlich geschützte Stimmrecht der Gemeinderatsmitglieder nicht auch auf den Erfolgswert der Stimme erstrecke 151. Praktische Bedeutung hat diese Unterscheidung insbesondere für die Frage, ob einzelne Gemeinderatsmitglieder gegen Abstimmungen vorgehen können, an denen Gemeinderatsmitglieder teilgenommen haben, die wegen Befangenheit eigentlich kraft Gesetzes von der Mitwirkung bei der Abstimmung ausgeschlossen sind oder deren Mitgliedschaft im Gemeinderat überhaupt gesetzwidrig ist 152 . Da die Stimmabgabe Ausgeschlossener nicht den Zählwert der zulässig abgegebenen Stimmen tangiert, läßt sich eine Beeinträchtigung des subjektiven Stimmrechts eines Gemeinderatsmitglieds durch die unberechtigte Beteiligung anderer an der Abstimmung nur begründen, wenn das Stimmrecht auch seinem Erfolgswert nach ge148

Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 24; Tsatsos, Organstreit, S. 49. OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178. 150 OVG Münster, NVwZ 1992, 286, 287. 151 OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 113 Stichwort „Kommunalverfassungsstreit"; Schröder, NVwZ 1985, 247; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 99; Wansleben, in Held, GemO NW, § 56 (Lfg. 10/94), S. 7; Widtmann/Grasser/Glaser, BayGemO, Art. 49(8. EL 1998) Anm. 10c. 152 Vgl. VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182: Klage eines Kreistagsmitglieds gegen den Kreistag wegen fehlerhafter Zusammensetzung des Kreistags, weil nach Ansicht des Klägers ein Nachrückkandidat in gesetzwidriger Weise in den Kreistag gelangt war. 149

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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währleistet ist. Ansatzpunkt für die Rüge der generell oder jedenfalls im Moment der Abstimmung fehlerhaften Zusammensetzung des Gemeinderats durch ein Gemeinderatsmitglied müßte also sein, daß damit „seiner Stimme bei der Beschlußfassung ... nicht der Wert zukommen würde, die sie bei ordnungsmäßiger Besetzung hätte" 153 . Hierdurch macht das klagende Gemeinderatsmitglied übrigens keineswegs ein fremdes Rechtsverhältnis geltend - insbesondere nicht etwa das zwischen dem (angeblich) befangenen Kollegen und dem Gemeinderat - , sondern es rügt damit eine Beeinträchtigung seines eigenen organschaftlichen Stimmrechts 154. Die herrschende Meinung verneint einen derartigen Schutz des Erfolgswertes des Stimmrechts und geht deshalb konsequenterweise davon aus, daß ein Gemeinderatsmitglied einen Gemeinderatsbeschluß nicht mit der Begründung angreifen kann, es hätten auch Unberechtigte dabei mitgestimmt 155 . Gegen die Möglichkeit sozusagen einer abstimmungs- oder „wahlrechtlichen Konkurrentenklage" 156 wird vorgebracht, daß die kommunalrechtlichen Befangenheitsvorschriften lediglich objektivrechtlich das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sauberkeit der Kommunalverwaltung schützen157, nicht aber den einzelnen Ratsmitgliedern zugute kommen sollen 158 . Dieser restriktiven Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Vielmehr ist das Stimmrecht der einzelnen Gemeinderatsmitglieder auch in einem erfolgswertbezogenen Sinn subjektivrechtlich abgesichert, und es wird daher durch die Beteiligung nicht Stimmberechtigter an der Abstimmung faktisch beeinträchtigt 159.

153

VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182. VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182. 155 OVG Koblenz, DVBl. 1985, 177, 178; VGH München, VRspr 28, 460, 462 f.; OVG Münster, NWVB1. 1998, 110; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 80; Martensen, JuS 1995, 992; Schröder, NVwZ 1985, 247; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 99; Widtmann/Grasser/Glaser, BayGemO, Art. 49 (8. EL 1998) Anm. 10c; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 681. 156 BVerfGE 89, 155, 180. 157 Zum Zweck der Befangenheitsvorschriften vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1985, 177, 179. 158 Vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1985, 177, 178 f.; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 113 Stichwort „Kommunalverfassungsstreit"; Martensen, JuS 1995, 992; Schröder, NVwZ 1985, 247; Widtmann/Grasser/Glaser, BayGemO, Art. 49 (8. EL 1998) Anm. 10c. 159 VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182; OVG Münster, NWVB1. 1996, 191; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 197; Erichsen/Bier mann, Jura 1997, 160; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 121 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 151; Schoch, JuS 1987, 791 f.; Seeger, BWVPr 1978, 52; Stahl, DVBl. 1970, 771 f.; Suerbaum, JuS 1994, 329 f.; Widtmann, BayGemO, Art. 51 Anm. 11; vgl. VerfGH Berlin, LKV 1999, 503. 154

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

(2) Inkonsistenzen der herrschenden Meinung Gegen die herrschende Meinung spricht bereits ihre Unvereinbarkeit mit einer Reihe anderer Entscheidungen160. Diese Inkonsistenzen beweisen zwar nicht, welche der widerstreitenden Positionen die richtige ist, deuten aber bereits darauf hin, daß die herrschende Ansicht keineswegs so überzeugend sein kann, wie sie auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag. So hatte das OVG Münster einen Fall zu entscheiden, in dem der Bürgermeister die Gemeinderäte vor der Wahl eines Beigeordneten fehlerhaft dahin belehrte, daß weder mit ,ja" noch mit „nein" gestimmt werden dürfe, sondern daß allein Stimmzettel mit dem Namen des einzigen Kandidaten gültig seien; dieser unsinnige Wahlmodus bedeutete, daß die Abstimmenden nur die Wahl hatten, für den Kandidaten zu stimmen oder aber einen ungültigen Stimmzettel abzugeben, so daß niemand wirksam gegen den Vorgeschlagenen hätte stimmen können, und führte zum protestweisen Auszug mehrerer Ratsmitglieder aus dem Sitzungssaal. Bei der sodann dennoch durchgeführten Wahl wurde eine Nein-Stimme abgegeben, die ankündigungsgemäß als ungültig gewertet wurde. Ein Gemeinderatsmitglied begehrte die Wiederholung der Wahl und das Gericht gab dem statt: „Der danach vorliegende Verfahrensfehler hatte nicht nur die Ungültigerklärung der einen Nein-Stimme zur Folge, die nach seinem glaubwürdigen Vortrag vom Antragsteller stammte. Er führte überdies dazu, daß 13 weitere Ratsmitglieder daran gehindert wurden, ihre Ablehnung des vorgeschlagenen Kandidaten durch gültige Nein-Stimmen zu verdeutlichen, und es deshalb vorzogen, sich an der Wahl nicht zu beteiligen. Dementsprechend ist nicht allein das Recht des Antragstellers auf ordnungsgemäße Auswertung seiner eigenen Stimme, sondern zugleich sein Anspruch auf Mitwirkung an einer den Regeln entsprechenden Wahl verkürzt worden. Deswegen steht dem Antragsteller ein Reaktionsrecht zu, das sich nach Lage der Dinge nur auf die Wiederholung der Wahl richten kann" 161 . Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Werden Ratsmitglieder daran gehindert, an einer Abstimmung teilzunehmen, sei es durch Gewalt, sei es durch förmliche Ausschließung, sei es durch die Zugrundelegung eines unsinnigen Abstimmungsmodus, so wird nicht nur deren Stimmrecht verletzt. Auch die verbleibenden Mitglieder werden in ihren Rechten verletzt, weil durch eine solche Manipulation der Abstimmung und damit des Abstimmungsergebnisses die Aussicht auf ein Resultat in ihrem Sinne beeinträchtigt wird. Wenn nun aber der Anspruch eines Gemeinderatsmitglieds auf Mitwirkung an einer ordnungsgemäßen Abstimmung bzw. Wahl schon dadurch verletzt wird, daß andere un-

160 161

Auf diese Widersprüchlichkeit weist auch Müller, NVwZ 1994, 122, 123 f. hin. OVG Münster, NVwZ 1992, 286, 287 (Hervorhebung durch Verfasser).

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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rechtmäßig gehindert werden, daran teilzunehmen162, obschon hierdurch immerhin das relative Stimmgewicht der eigenen Stimme zunimmt, so muß dies erst recht gelten, wenn andere zu Unrecht teilnehmen dürfen, weil in diesem Fall sogar noch das Gewicht der abgegebenen eigenen Stimme reduziert ist. Des weiteren erscheint die herrschende Meinung kaum damit vereinbar, daß einzelne Gemeinderatsmitglieder bzw. -fraktionen Beschlüsse eines nicht beschlußfähigen Gemeinderats angreifen können 163 , und zwar auch dann, wenn die Beschlußunfähigkeit sich in concreto gerade aus der Befangenheit und damit dem gesetzlichen Ausschluß anwesender Gemeinderatsmitglieder ergibt 164 . Wäre die These richtig, daß die BefangenheitsVorschriften in einer Weise objektiviert sind, daß sich Gemeinderatsmitglieder nicht darauf berufen können, so müßten sie eigentlich auch bei der Ermittlung der Beschlußunfähigkeit außer Betracht gelassen werden, selbst wenn ein Gemeinderatsmitglied die Beschlußunfähigkeit rügt. Letzteres wird jedoch bezeichnenderweise auch von der Rechtsprechung keineswegs befürwortet, und dies beweist, daß es eben doch zu kurz greift, aus der objektivrechtlichen Natur der Befangenheits Vorschriften abzuleiten, daß man sich in Verfolgung subjektiver Rechte nicht auf deren Mißachtung berufen können soll. (3) Invokation objektivrechtlicher subjektiver Rechte

Vorschriften

in Verfolgung

Die objektivrechtliche Natur der Befangenheitsvorschriften als solche ist zwar nicht zu bestreiten. Diese Feststellung trägt indessen nicht die von der herrschenden Meinung gezogene Folgerung. So zweifelt nämlich niemand daran, daß etwa ein von einem Beschluß des Gemeinderats betroffener Bürger diesen selbstverständlich mit der Begründung angreifen kann, er sei unter Beteiligung befangener Gemeinderäte zustande gekommen. Steht aber einer solchen Rüge die „objektivrechtliche" Natur der Befangenheitsvorschriften nicht entgegen, so ist nicht ersichtlich, wieso sie ein zwingendes Hindernis für die Rüge eines Gemeinderatsmitglieds sein soll, sein Stimmrecht sei durch Beteiligung Befangener entwertet worden. Daß objektivrechtliche Vorschriften, auch ohne durch einzelne Rechtssubjekte unmittelbar invoziert werden zu können, quasi mittelbar geltend zu machen sind, wenn sie nämlich inhaltlich auf subjektive Rechte durchgreifen, ist eine allgemein geläufige Erscheinung. So kann etwa ein Bürger die bei der Gesetzgebung zu beachtenden Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften allerdings 162 163

Ebenso Thiele, NdsGemO, § 26 Anm. 10. OVG Münster, OVGE 17, 261, 266 ff; 30, 196, 200; a.A. Seeger, BWVPr 1978,

52. 164

OVG Münster, OVGE 30, 196, 201.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

nicht als solche geltend machen, da diese für ihn objektivrechtlicher Natur sind. Soll aber das betreffende Gesetz beispielsweise Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen, so kann der Eigentümer, weil sein Eigentum subjektiven Rechtscharakter hat, zum Schutze desselben selbstverständlich auch die Verletzung eben dieser objektivrechtlichen Bestimmungen geltend machen. Sein subjektives Eigentumsrecht erstreckt sich darauf, daß es nur unter Einhaltung der einschlägigen objektivrechtlichen Vorschriften inhaltlich verändert werden darf 6 5 . Es gibt daher keinen Grund, weshalb nicht ein Gemeinderatsmitglied die Einhaltung der, isoliert betrachtet, objektivrechtlichen Befangenheitsvorschriften verlangen können soll, insoweit dies auf Inhalt und Tragweite seines gesetzlich festgelegten subjektivrechtlichen Stimmrechts durchschlägt. Es greift hiernach zu kurz, die Befangenheitsvorschriften isoliert für sich zu betrachten, weil es im vorliegenden Zusammenhang gar nicht darum geht, ihre Verletzung als solches geltend zu machen, vielmehr das einzelne Gemeinderatsmitglied lediglich sein subjektivrechtliches Stimmrecht effektiv ausüben können will, und die Befangenheitsvorschriften zählen nun einmal zu den objektivrechtlich normierten Bedingungen, deren Einhaltung Voraussetzung der ordnungsmäßigen Ausübbarkeit dieses subjektiven Organrechts ist. (4) Effektiver

Schutz des Stimmrechts

Für ein erfolgswertbezogenes Verständnis des Stimmrechts durch Einbeziehung auch der objektivrechtlichen Bedingungen der Stimmabgabe sprechen im Interesse der Effektivierung des Stimmrechts eine Reihe von Überlegungen. Hinzuweisen ist zunächst auf die Mißbrauchsmöglichkeiten, die sich aus dem Verständnis der herrschenden Meinung ergeben. Käme es wirklich ausschließlich auf den Zählwert einer Stimme an und nicht auch auf deren Erfolgswert, so könnte jede Stimmabgabe dadurch entwertet werden, daß bei der Abstimmung beliebige Personen zugelassen werden, obschon sie dem Gemeinderat gar nicht angehören, oder indem bestimmte Simmen doppelt gezählt werden, oder indem aufgrund eines sonstigen Auszählungsfehlers das Abstimmungsergebnis fehlerhaft festgestellt wird 1 6 6 . Solange nur die Stimme des Betroffenen mitgezählt wird, könnte er nach der herrschenden Meinung nie eine Verletzung seines Stimmrechtes geltend machen, so sinnlos seine Stimmabgabe durch diesen Fehler auch immer geworden sein mag. Denn durch derartige Manipulationen wird nie der Zählwert, sondern immer nur der Erfolgswert der zulässig abgegebenen Stimmen beeinträchtigt. Indessen erscheint es evident, daß damit die 165 Zu den kompetentiellen Rechtfertigungsvoraussetzungen bei Grundrechtseingriffen und der in diesem Rahmen rügbaren Verletzung objektiver Kompetenz- und Verfahrensvorschriften vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 565 ff., 573. 166 VerfGH Berlin, LKV 1999, 503.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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Funktion der stimmberechtigten Gemeinderatsmitglieder in einer unannehmbaren Weise beeinträchtigt wäre. Sowohl im Interesse der einzelnen Gemeinderatsmitglieder als auch zum Schutz des Gemeinderats selbst und damit letztlich der Gemeinde und des Gemeindevolkes ist deshalb davon auszugehen, daß jedes Gemeinderatsmitglied eine solche Verletzung seines Anspruchs „auf Mitwirkung an einer den Regeln entsprechenden Wahl" oder Abstimmung geltend machen kann 167 . Es entspricht einem allgemeinen Interpretationsgrundsatz, Rechtssätze so auszulegen, daß die durch sie gewährten Rechte effektiv ausgeübt und nicht faktisch ihrer Bedeutung beraubt werden können. Das gilt auch für das Stimmrecht der Gemeinderatsmitglieder, welches faktisch seiner Bedeutung entleert werden könnte, dürften sie sich nicht gegen das Mitstimmen unter Umständen zahlreicher gesetzlich von der Mitwirkung Ausgeschlossener zur Wehr setzen. Auch sonst erkennt ja die herrschende Meinung durchaus an, daß Mitwirkungsrechte so auszulegen sind, daß sie effektiv wirken. Beispielsweise hat das OVG Münster zutreffend erkannt, daß das Wahlvorschlagsrecht der Ratsfraktionen über die tatsächliche Unterbreitung eines Wahlvorschlags und dessen Entgegennahme durch den Gemeinderat bzw. dessen Vorsitzenden hinausgeht, daß vielmehr „im Interesse einer wirksamen Teilhabe" an der Wahl auch ein „Anspruch auf Einhaltung der für den Erfolg des Wahlvorschlags maßgeblichen Vorschriften über das Verfahren bei der Stimmabgabe und bei der Feststellung des Stimmergebnisses" bestehen muß 168 . Das überzeugt, nur gilt dies eben in gleicher Weise für das Stimmrecht einzelner Gemeinderatsmitglieder, deren wirksame Teilhabe gleichfalls die Einhaltung der für den Erfolg ihrer Mitwirkung maßgeblichen Bestimmungen voraussetzt. Muß sich hiernach aber ein Gemeinderatsmitglied etwa gegen die doppelte Zählung der Stimme eines anderen wehren können, so nötigt schon dies zur Anerkennung eines Erfolgswertschutzes seines Stimmrechts. Dann aber steht auch nichts der Annahme entgegen, daß er die diesen Erfolgswert in derselben Weise beeinträchtigende Mitabstimmung Befangener ebenso geltend machen kann. Aus Sicht des Erfolgswertes seiner Stimme ist nämlich unerheblich, ob eine zulässig abgegebene andere Stimme zu Unrecht doppelt oder ob eine unzulässig abgegebene Stimme zu Unrecht überhaupt gezählt wird; in beiden Fällen geht eine Stimme unrechtmäßigerweise in das Gesamtergebnis ein und wird die Stimme des Stimmberechtigten um denselben Faktor entwertet. Dem betroffenen Gemeinderatsmitglied müssen daher dieselben Abwehrmöglichkeiten zustehen.

167 168

OVG Münster, NVwZ 1992, 286, 287; vgl. VerfGH Berlin, LKV 1999, 503. OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 991.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

(5) Das Demokratieprinzip

und der Grundsatz der Erfolgswertgleichheit

Die Verneinung eines subjektiven Rechts der Gemeinderatsmitglieder auf Schutz des Erfolgswertes ihrer im Gemeinderat abgegebenen Stimme ist ferner nicht damit vereinbar, daß bei Wahlen sehr wohl ein Grundsatz der Erfolgswertgleichheit anerkannt ist 169 . So verlangt der Grundsatz der gleichen Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG), „daß die Stimme eines jeden Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und - im Rahmen des vom Gesetzgeber ... festzulegenden Wahlsystems - die gleiche rechtliche Erfolgschance hat" 170 . Zwar bezieht sich diese Feststellung auf die Ausgestaltung des Wahlsystems und die darin zu gewährleistende Stellung der Wahlberechtigten zueinander, ohne eine unmittelbare Aussage zur Stellung der Mandatsinhaber im jeweiligen Repräsentationsorgan zu machen171. Außerdem betrifft sie lediglich die Problematik der Beeinträchtigung durch Ungleichbehandlung, verhält sich aber nicht dazu, ob es noch andere Formen der Beeinträchtigung gibt. Insbesondere enthalten diese Ausführungen natürlich keine Stellungnahme zu der Befangenheitsproblematik, weil es auf der Ebene des Volkes als dem Souverän keine Befangenheit gibt und kein Wähler rechtlich zu hindern ist, rein selbstsüchtige Wahlentscheidungen zu treffen. Aus diesem Grunde ist näher erklärungsbedürftig, wie und inwiefern diese Rechtsprechung auf die vorliegend betrachtete Befangenheitsproblematik zu übertragen ist. Immerhin hat es ja den Anschein, als käme auch im Falle der Mitwirkung befangener Gemeinderäte immer noch allen Stimmen der gleiche, wenn auch prozentual geringere Erfolgswert zu. Dennoch sind die Erkenntnisse des BVerfG auch im hiesigen Zusammenhang von Belang 172 , wenn man auf ihre demokratierechtliche Fundierung zurückgreift und diese Grundgedanken für die Behandlung des Befangenheitsproblems fruchtbar macht. Zunächst läßt sich dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit jedenfalls entnehmen, daß es bei demokratischen Abstimmungs- und Wahlakten nicht möglich ist, das Stimmrecht auf einen bloßen Zählwert zu reduzieren, sondern daß ihm ein Erfolgswert zukommt, der bei der gesetzlichen Verfahrensausgestaltung Beachtung finden muß. Schon deshalb wäre verfehlt, es sozusagen als allgemeines Rechtsprinzip ausgeben zu wollen, daß das Stimmrecht stets nur den Zählwert der Stimme schützen könnte. Vielmehr geht die Aussage des BVerfG dahin, daß dem Stimmrecht eine bestimmte Wirkmächtigkeit innewohnen muß,

169

BVerfGE 1, 208, 244 f.; 24, 300, 340; 34, 81, 99 f.; 79, 169, 170; 95, 408, 417. BVerfGE 95, 408, 417. 171 Vgl. BVerfGE 96, 264, 279. 172 Vgl. in allgemeiner Weise dazu, daß die für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts entwickelten Grundsätze - namentlich auch der Gleichheitsgrundsatz ebenso für die Ausübung des Mandats gelten, BVerfGE 40, 296, 317; BayVerfGH 29, 62, 94. 170

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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die nicht durch ungleichmäßige Behandlung im Wahlverfahren beeinträchtigt werden darf. Positiv ist der vom BVerfG betonte Zusammenhang des Grundsatzes der gleichen Wahl mit dem Demokratieprinzip 173 zu beachten. Die Gleichheit in der Demokratie erfordert auch die Gleichheit in der demokratischen Mitbestimmung 174 , und diese darf nicht nur eine rein formale Zählwertgleichheit sein, sondern muß auch eine materielle Erfolgswertgleichheit beinhalten, damit jeder Wahlberechtigte dasselbe Maß an Einfluß auf den Wahlausgang und mithin dieselbe Teilhabe an der den Abgeordneten durch die Wahl verliehenen demokratischen Legitimation besitzt. Nun erschöpft sich das Demokratieprinzip nicht in seiner Geltung für Wahlen und Abstimmungen unmittelbar auf der Ebene des Souveräns. Es erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette von diesem ersten Legitimationsakt bis hin zu der letztlich zu legitimierenden hoheitlichen Maßnahme175. Konsequenterweise müssen dann aber auch die aus dem Demokratieprinzip fließenden weiteren Grundsätze nebst seinen näheren Ausprägungen über die gesamte Legitimationskette hinweg Geltung beanspruchen, müssen sich also die für die vorhergehende Legitimationsstufe geltenden demokratierechtlichen Gebote auf der nächsten Legitimationsstufe soweit fortsetzen wie es nach der Natur des Legitimationsschrittes möglich ist. Insbesondere muß jeder einzelne Legitimationsschritt vor der im Demokratieprinzip verwurzelten Wahlrechtsgleichheit Bestand haben 176 . Diese Überlegung gebietet es, eine Erfolgswertgleichheit der Stimme nicht lediglich am Anfang der demokratischen Legitimationskette anzunehmen, also im Verhältnis der Wahlberechtigten untereinander in Ansehung der von ihnen vorgenommenen Wahlakte. Vielmehr ist dieses Prinzip auf die nächsten Stufen der Legitimationskette zu übertragen, namentlich also auf die Rechtsstellung der Abgeordneten bzw., auf kommunaler Ebene, der Gemeinderatsmitglieder in ihren Beziehungen zueinander, weil diese ja durch ihre Abstimmungs- und Wahlakte die unmittelbar selbst erfahrene demokratische Legitimation weiterreichen müssen. So wie das erste Glied in der Legitimationskette dem Erfolgswert der abgegebenen Stimmen nach unverfälscht sein muß, so muß dies auch für alle weiteren Kettenglieder gelten, weil sich etwaige im weiteren Verlauf der Weitergabe demokratischer Legitimation ergebende Erfolgswertungleichheiten 173

BVerfGE 1, 208, 245; 82, 322, 337; 95, 408, 417. Zur Wahlrechtsgleichheit als besonderem Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes vgl. BVerfGE 1, 208, 242; 24, 300, 340; 34, 81, 98; 78, 350, 357; 85, 148, 157; BVerfG, ThürVBl. 2000, 229, 231; a.A. BVerfGE 99, 1, 8 ff. 175 Vgl. hierzu oben A.II.3.b.cc. 176 Vgl. BVerfG, ThürVBl. 2000, 229, 231: Die Gleichheit der Wahl „setzt sich ... in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort 44. 174

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

ebenso schädlich für die demokratische Legitimation auswirken müssen wie Ungleichheiten schon auf der ersten Stufe. Freilich kann die gebotene „Weitergabe der Repräsentation" 177 keine proporzgenaue sein. Denn in der Abfolge der Legitimationskette sind mit abnehmender Größe der zu besetzenden Organe und dem insoweit gesetzlich vorgeschriebenen Wahlverfahren (Mehrheits- oder Verhältniswahl) gewisse Konzentrationen und damit auch Reduktionen des ursprünglichen Wählerwillens unumgänglich 178 . Wählt also ein unmittelbar demokratisch gewähltes Organ ein kleineres Gremium oder gar nur einzelne Personen, oder faßt es einen Beschluß, so ist es zumal deshalb, weil die notwendige demokratische Legitimation bei allen Wahlen und Abstimmungen auch durch eine einfache Mehrheit ausreichend vermittelt wird 1 7 9 , unvermeidbar, daß sich in dem Ergebnis nicht das ganze in dem betreffenden Organ selbst repräsentierte politische Meinungsspektrum wiederfinden kann; alles andere wäre auch mit dem Mehrheitsprinzip unvereinbar. Hierbei muß es sich jedoch immer um eine sich aus dem Wesen des die Legitimation vermittelnden Aktes ergebende Reduktion der ursprünglichen Vielfalt handeln; eine gesetzwidrige Verfälschung des Legitimationsaktes indes ist weder vom Mehrheitsgedanken noch sonst von der Natur der Sache her vorgegeben, sondern widerspricht dem Demokratieprinzip, und zwar gleich bei welchem Glied der Legitimationskette dieser Fehler vorkommt. Zur unverzichtbaren demokratischen Legitimation jeder hoheitlichen Maßnahme genügt also nicht, daß überhaupt irgendeine Legitimationslinie zu erkennen ist, sondern vielmehr muß diese auch in gesetzmäßiger Weise konstituiert sein. Sind bestimmte Gemeinderatsmitglieder z.B. aufgrund ihres persönlichen Bezuges zu dem Entscheidungsgegenstand kraft Gesetzes von der Abstimmung ausgeschlossen, so können sie der zu beschließenden Maßnahme die demokratische Legitimation nicht vermitteln. Gesetzliche Befangenheits- und Ausschlußgründe implizieren, daß einzig die nicht befangenen Gemeinderatsmitglieder noch verbindende Glieder in der Legitimationskette sein können. In genau diesem Punkt, daß sie und niemand anders den Beschluß des Gemeinderats gegenüber dem Gemeindevolk zu legitimieren vermögen, liegt aber der Kern ihres Status als gewählte Repräsentanten des Gemeindevolkes. Eine Beeinträchtigung dieser Funktion trifft jedes nicht befangene Gemeinderatsmitglied in seiner Wesensbestimmung und darf deshalb nicht als unbedeutende Angelegenheit abgetan und folgenlos hingenommen werden.

177

BVerwG, VRspr 25, 599, 603. Zu diesem Phänomen im Verhältnis von Gemeinderat und Gemeinderatsausschüssen vgl. vorstehend F.III.2.c.cc. 179 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), BayVBl. 1999, 16, 17. - Vgl. bereits oben D.II.3.b.aa. 178

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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Ähnlich wie beim Wahlrecht der Erfolgswert der Stimmen nicht in abstracto zu bestimmen ist und es auch keinen verfassungsrechtlich vorgegebenen Erfolgswert gibt, sondern der geschützte Erfolgswert erst auf der Basis der jeweiligen gesetzgeberischen Systementscheidung für ein bestimmtes Wahlrechtsmodell - z.B. Mehrheits- oder Verhältniswahl, sowie bei Verhältniswahl für eine bestimmte Berechnungsmethode 180 - zu ermitteln ist 181 , so hängt auch der Erfolgswert des Stimmrechts der Gemeinderatsmitglieder von der gesetzlichen Ausgestaltung der Abstimmungsmodalitäten und -bedingungen ab. Der Betroffene mag zwar keinen Anspruch auf eine bestimmte Ausgestaltung haben, aber indem sich der Gesetzgeber für ein konkretes System entscheidet, definiert er zugleich den Inhalt des subjektiven Stimmrechts. So hat der Wahlberechtigte kein subjektives Recht auf Einführung eines Verhältniswahlsystems 182; aber wenn der Gesetzgeber ein solches einführt, dann muß darin die Erfolgswertgleichheit gewährleistet sein 183 . Entsprechend hat das einzelne Gemeinderatsmitglied keinen Anspruch auf Statuierung von Befangenheits- und Ausschlußregelungen. Aber wenn diese gesetzlich normiert sind, dann hat er ein subjektives Recht darauf, daß der durch diese Vorschriften gesetzlich definierte Erfolgswert seiner Stimme im Gemeinderat nicht durch die Verletzung dieser Vorschriften in Gestalt der unzulässigen Mitwirkung Ausgeschlossener beeinträchtigt wird 1 8 4 . Infolgedessen ist die von der herrschenden Meinung in den Mittelpunkt ihrer Argumentation gestellte Frage, ob die Befangenheitsvorschriften als solche subjektive Rechte verleihen, falsch gestellt, und ihre Verneinung ist deshalb im hiesigen Kontext irrelevant. Richtig muß stattdessen gefragt werden, ob das subjektivrechtliche Stimmrecht eines Gemeinderatsmitglieds die Möglichkeit einer Invokation der Befangenheit anderer Gemeinderäte einschließt. Das ist aufgrund der erörterten demokratierechtlichen Fundierung und Absicherung des Erfolgswertes der als Glied der demokratischen Legitimationskette zu sehenden Stimmabgabe zu bejahen.

180

Zur verfassungsrechtlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in bezug auf die Methode der Mandatsverteilung bei Verhältniswahl vgl. BVerfGE 79, 169, 170 f. 181 Zur Abhängigkeit der Erfolgswertgarantie von der Systementscheidung des Gesetzeebers für eine Verhältniswahl vgl. BVerfGE 1, 208, 244 f.; BayVerfGH 29, 62, 94. 182 Vgl. BVerfGE 1, 208, 246; 34, 81, 99; 95, 408, 417. 183 BVerfGE 1, 208, 246 f.; 34, 81, 100; 95, 408, 417. 184 Vgl. OVG Münster, NWVB1. 1996, 191. - Die spätere Unterscheidung von OVG Münster, NWVB1. 1998, 110, das Stimmrecht der Ratsmitglieder sei zwar dagegen geschützt, daß ein „grundsätzlich nicht Stimmberechtigter" an der Abstimmung teilnimmt, nicht aber davor, daß ein „grundsätzlich Stimmberechtigter", der nur im Einzelfall wegen Befangenheit ausgeschlossen ist, mitstimmt, ist nicht überzeugend, da in beiden Fällen gleichermaßen das relative Gewicht der rechtmäßig abgegebenen Stimmen verfälscht und ihr Erfolgswert in derselben Weise beeinträchtigt wird.

684

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Der Annahme eines subjektivrechtlich abgesicherten Erfolgswertschutzes des Stimmrechts von Gemeinderatsmitgliedern steht übrigens nicht entgegen, daß zur Rüge von Wahlrechtsverstößen bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen jeweils besondere Wahlprüfungs- und Wahlanfechtungsverfahren vorgesehen sind 185 , während der Gesetzgeber keine vergleichbaren Vorschriften zur Anfechtung von Beschlüssen des Gemeinderats durch einzelne seiner Mitglieder erlassen hat. Die Normierung besonderer Wahlprüfungsverfahren beruht nämlich darauf, daß es zu kaum erträglichen Unsicherheiten führte, wenn Bundestags- oder Landtagswahlen oder selbst Gemeinderatswahlen mit den gewöhnlichen Rechtsbehelfen angefochten werden könnten. Bundesverfassungsrechtlich etwa ist die Wahlprüfung gemäß Art. 41 Abs. 1 GG allein „Sache des Bundestages", gegen dessen Entscheidung die Wahlprüfungsbeschwerde an das BVerfG statthaft ist; „damit wird die Korrektur etwaiger Wahlfehler einschließlich solcher, die Verletzungen subjektiver Rechte enthalten, dem Rechtsweg des Art. 19 Abs. 4 GG entzogen" 186 . Es handelt sich hierbei also um eine sich aus der besonderen Natur des Wahlverfahrens erklärende Sonderregelung, die auch die Verfassungsbeschwerde ausschließt187. Damit erlangt die bundesrechtliche Wahlprüfung zwar verfahrensrechtlich gewissermaßen objektiven Beanstandungscharakter 188, doch bleibt hiervon unberührt, durchaus gerade Verletzungen des subjektiven Rechts auf daß ihr materiellrechtlich Zähl- oder Erfolgswertgleichheit zugrunde liegen können 189 und derartige Rechtsverletzungen, sofern sie sich auf die Mandatsverteilung ausgewirkt haben können, selbstverständlich bei der Wahlprüfungsentscheidung zu beachten sind 190 . Entsprechendes gilt für die Wahlanfechtung nach § 31 Abs. 1 KomWG BW, der schon seinem Wortlaut nach vor allem die Geltendmachung subjektiver Rechte des einsprucherhebenden Wahlberechtigten im Auge hat. Die besonderen Wahlprüfungsverfahren setzen demnach ein subjektives Recht des Wahlberechtigten auf Zähl- und Erfolgswertgleichheit seiner Stimme voraus, begründen es aber nicht erst. Umgekehrt bedeutet deshalb das Fehlen entsprechender Anfechtungsbestimmungen bei Gemeinderatsbeschlüssen lediglich, daß die Gemeinderatsmitglieder ihr Stimmrecht nach allgemeinen Verfahrensregeln zu verteidigen haben, nicht jedoch, daß ihr subjektivrechtliches Stimmrecht nicht auch den Erfolgswert umfaßte.

(6) Die Subjektivierung

des erfolgswertbezogenen

Stimmrechts

Das Stimmrecht des einzelnen Gemeinderatsmitglieds darf nach dem Vorstehenden also nicht nur aus seiner individuellen Perspektive und isoliert bloß in seiner Bedeutung für diesen gesehen werden, sondern ist im Kontext jener durch das Demokratieprinzip gebotenen Legitimationskette zu begreifen, als deren Kettenglied der durch seine nicht gesetzlich ausgeschlossenen Mitglieder 185

Vgl. für Bundestagswahlen Art. 41 GG, §§ 1 ff. WahlprüfG, § 48 BVerfGG; für Landtagswahlen z.B. Art. 31 LVerf. BW, §§ 1 ff. WahlprüfG BW, § 52 StGHG BW; für Kommunalwahlen z.B. §§ 30 ff. KomWG BW. 186 BVerfGE 22, 277, 281; 66, 232, 234. 187 BVerfGE 14, 154, 155; 28, 214, 218 ff.; 34, 81, 94; 66, 232, 234. 188 Vgl. BVerfGE 1, 430, 433; 28, 214, 219; 79, 47, 48; Lechner/Zuck,, BVerfGG, vor § 48 Rn. 2. 189 Vgl. BVerfGE 1, 208, 237 f.; 22, 277, 281; 66, 232, 234. 190 Vgl. BVerfGE 34, 81, 94 f.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

685

wirkende Gemeinderat tätig ist. Zur Beantwortung der Frage einer subjektivrechtlichen Erfolgswertbezogenheit des Stimmrechts eines Gemeinderatsmitglieds müssen vielmehr die gesamten damit verbundenen demokratierechtlichen Implikationen berücksichtigt werden. Diese besitzen nun aber ein solches Gewicht, daß es zum möglichst effektiven Schutz der demokratischen Legitimität des hoheitlichen Handelns des Gemeinderats gerechtfertigt und geboten erscheint, das organschaftliche Stimmrecht der Gemeinderatsmitglieder auf den Erfolgswert der zulässig abgegebenen Stimmen zu erstrecken und diesen ebenso wie den Zählwert als subjektivrechtlich abgesichert zu verstehen. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur kommen, wenn dieses aufgrund der eminenten demokratischen Bedeutung der Unverfälschtheit der Legitimationskette überaus hohe gemeinschaftliche Durchsetzungsinteresse anderweit ausreichend befriedigt wäre oder wenn es durch gravierende Nachteile zurückgedrängt würde. Beides ist nicht der Fall. Zwar wird darauf hingewiesen, daß es Sache der Rechtsaufsichtsbehörde sei, die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Gemeinderats auch mit Blick auf die Einhaltung der Befangenheitsvorschriften zu kontrollieren 191 . Gegen eine derartige Aufsicht ist nichts einzuwenden, doch wird sie offenkundig nicht dadurch ausgeschlossen oder auch nur erschwert, daß dem einzelnen Gemeinderatsmitglied ein diesbezügliches subjektives Recht nebst einer daraus folgenden eigenen Geltendmachungs- und Klagebefugnis eingeräumt wird. Weshalb aber diese Kontrolle ausschließlich Sache der Aufsichtsbehörde sein sollte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt um so mehr, als ja die Rechtsaufsichtsbehörde aus den bereits erörterten verschiedensten Gründen von einem Einschreiten absehen kann 192 und das Vertrauen auf die Rechtsaufsicht daher keineswegs eine hinreichend verläßliche Sicherung des Stimmrechts des Gemeinderatsmitglieds darstellt. Dem sich aus dem Demokratieprinzip ergebenden sehr starken gemeinschaftlichen Durchsetzungsinteresse ließe sich selbst durch die Annahme einer Pflicht der Aufsichtsbehörde zum Einschreiten nur äußerst unvollkommen Genüge tun. Nicht selten ist nämlich die Beurteilung zweifelhaft, ob ein Gemeinderatsmitglied wirklich befangen ist, und die Rechtsaufsichtsbehörde mag dies solchenfalls guten Glaubens verneinen und deshalb von einem Einschreiten Abstand nehmen - nur gibt es eben keinen Grund, der verneinenden Auffassung der Aufsichtsbehörde definitiven Vorrang einzuräumen und den die Befangenheit bejahenden Gemeinderatsmitgliedern die Anrufung des Gerichts zu verwehren, obschon die Anwendung der Befangenheitsbestimmungen voller richterlicher Kontrolle unterliegt. Nicht ausreichend wäre es auch, auf die mittelbare Durchsetzung der Befangenheitsvorschriften durch Klagen von Bürgern zu vertrauen 193. Zum einen ist 191 192 193

OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 178. Hierzu näher oben F.II. 1 .b.aa. Vgl. hierzu näher oben F.II. 1 .b.bb.

686

F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

nicht gesagt, daß der unter Verstoß gegen Befangenheitsbestimmungen zustande gekommene Beschluß überhaupt in einen Eingriff in Rechte von Bürgern mündet. Insbesondere gegen begünstigende Beschlüsse besteht mangels Beschwer keine Klagebefugnis, doch gerade hier liegt ein dringendes Allgemeininteresse vor, den überstimmten Gemeinderatsmitgliedern, wenn ein solcher begünstigender Beschluß nur durch Mitwirkung Befangener zustande gekommen ist, ein eigenes subjektives Recht am Erfolgswert ihrer Stimme einzuräumen, das ihnen die selbständige Verteidigung desselben ermöglicht. Außerdem ist nicht zu verkennen, daß es auf bloßem Zufall beruht, ob ein durch einen Beschluß des Gemeinderats betroffener Bürger weiß, daß daran ein befangenes Gemeinderatsmitglied mitgewirkt hat. Denn die persönlichen Verhältnisse und etwaigen Sonderinteressen der Gemeinderatsmitglieder sind der überwiegenden Zahl aller Bürger im allgemeinen unbekannt und werden dementsprechend auch dem von einem Eingriff Betroffenen allenfalls in Ausnahmefällen bekannt sein. Damit aber würde es nicht nur dem Zufall überlassen bleiben, ob der wegen Mitwirkung Befangener rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß überhaupt angegriffen werden kann, sondern vielmehr resultierte daraus noch zusätzlich eine willkürliche Ungleichbehandlung der Bürger, weil ihre Rechtswahrung von zufälligen Kenntnissen über die persönlichen Verhältnisse der Gemeinderatsmitglieder abhängig wird. Die Chance, daß den Gemeinderatskollegen derartige Sonderinteressen bekannt werden, ist demgegenüber deutlich größer, und es dient daher der effektiveren Durchsetzung des mit den Befangenheitsvorschriften verfolgten Interesses, wenn sie die dadurch bewirkte Minderung des Erfolgswertes ihrer Stimme selbst geltend machen können. Nennenswerte Nachteile stehen einer solchen Subjektivierung des Stimmrechtserfolgswertes nicht entgegen. Zunächst läßt sich diesbezüglich kein berechtigtes Opportunitätskontrollinteresse der staatlichen Rechtsaufsichtsinstanzen anerkennen. Es mag zwar mitunter dem Gemeinwohl dienen, wenn die zuständigen, demokratisch legitimierten Instanzen in bestimmten Situationen von der Durchsetzung gewisser Rechtsnormen absehen können 194 . Ein solches Interesse kann aber nicht für alle Rechtsnormen anerkannt werden. Insbesondere diejenigen Normen, die die demokratische Legitimation bestimmter Organe begründen oder vermitteln, sind so essentiell, ja ihm wahrsten Sinne des Wortes grundlegend - denn von ihrer Beachtung hängt die demokratische Legitimität allen nachfolgenden hoheitlichen Handelns ab - , daß auf ihre Einhaltung nicht aus Opportunitätsgründen verzichtet werden darf. Infolgedessen lassen sich subjektive Rechte hier von vornherein nicht zu dem Zweck verneinen, der Rechtsaufsichtsbehörde ein Opportunitätsermessen zu reservieren.

194

S. oben F.IAc.bb.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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Auch eine unangemessene Belastung der Gerichte bei Bejahung eines solchen Rechtes ist nicht zu befürchten. Ein massenhafter Mißbrauch ist nicht zu erwarten, wenn Gemeinderatsmitgliedern zur Verteidigung des Erfolgswertes ihres Stimmrechts die Anfechtung unter Mitabstimmung Befangener ergangener Gemeinderatsbeschlüsse zugestanden wird. Demgegenüber kann es sogar eine Entlastung bringen, ihnen eine solche Befugnis einzuräumen. Denn erstens kann eine derartige Anfechtung aus der Mitte des Gemeinderats heraus aufsichtsbehördliche Beanstandungen entbehrlich machen, die ja dann durch die Gemeinde angefochten werden könnten. Und zweitens können dadurch unter Umständen Klagen von Bürgern, die zufällig vom Vorliegen von Befangenheitsgründen Kenntnis haben, vermieden werden, die eine Verletzung ihrer Rechte aus einer vom Gericht dann ohnehin inzident zu prüfenden Verletzung von Befangenheitsvorschriften herleiten können. Schließlich ist bei alledem zu beachten, daß ein zum Zwecke der Verteidigung subjektiver Organrechte geführter 195 Angriff auf einen unter Verstoß gegen Befangenheitsvorschriften zustande gekommenen Gemeinderatsbeschluß ohnehin nur erfolgreich sein kann, wenn sich dieser Verstoß auf das Ergebnis auswirken konnte 196 , d.h. wenn nicht auszuschließen ist, daß die Abstimmung ohne Mitwirkung des Befangenen anders ausgegangen wäre 197 . Wurde der Beschluß mit einer hinreichend deutlichen Mehrheit gefaßt, so führt die Beteiligung befangener Gemeinderäte deshalb nicht zu seiner Aufhebung. Schon aus diesem Grunde dürfen die praktischen Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht weder überbewertet noch dramatisiert werden. Lag aber ein erheblicher, d.h. möglicherweise für das Ergebnis relevanter Verstoß vor, so muß es einen möglichst effektiven Weg geben, den Beschluß alsbald gerichtlich aus der Welt schaffen zu können, und dieser ist nach Lage der Dinge vor allem darin zu sehen, den berechtigterweise an der Abstimmung mitwirkenden Gemeinderatsmitgliedern die Geltendmachung des Erfolgswertes ihres Stimmrechtes zu ermöglichen. Fraglich ist, ob ein vergleichbares Recht auch einem wegen Befangenheit gesetzlich ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglied zusteht, einen Beschluß des Gemeinderats mit der Begründung anzufechten, daß ein anderer, gleichfalls Befangener an der Beratung oder Abstimmung teilgenommen habe. Zunächst ver195 Der Gesetzgeber hat zwar nach § 18 Abs. 6 GemO BW die Nichtigkeit eines unter Mitwirkung eines befangenen Gemeinderatsmitglieds zustande gekommenen Beschlusses nicht von der Kausalität dieses Verstoßes abhängig gemacht (s. unten G.III.2.b.bb). Das ändert jedoch nichts daran, daß es auf eine solche Kausalität ankäme, wenn ein Gemeinderatsmitglied den Beschluß zur Verteidigung seiner eigenen Rechte anfechten will. 196 S. hierzu näher unten G.IV.3.a.cc. 197 Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 151; Widtmann, BayGO, Art. 51 Anm. 11; vgl. Seeger, BWVPr 1978, 53.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

steht sich, daß ein Gemeinderatsmitglied, dessen Befangenheit der Gemeinderat zu Recht festgestellt hat, aus der gesetzwidrigen Teilnahme eines anderen für sich nicht das Recht herleiten kann, entgegen dem Gesetz doch mitwirken zu dürfen 198 . Das müßte aber noch nicht notwendig sein Anfechtungsrecht ausschließen. Zweifelhaft erscheint ein solches aber deswegen, weil ja hier im Unterschied zu der vorstehend diskutierten Konstellation dem Ausgeschlossenen überhaupt kein Stimmrecht zukommt, und daher ein solches weder dem Zählnoch dem Erfolgswert nach beeinträchtigt werden kann. Auch im übrigen ist nicht zu sehen, welches subjektive Organrecht beeinträchtigt sein könnte. Wenn ein Gemeinderatsmitglied von Gesetzes wegen von der Mitwirkung an einer Entscheidung ausgeschlossen ist, dann kann er nicht vorbringen, durch deren Zustandekommen unter Beteiligung eines anderen Befangenen in seinem Stimmrecht oder seinem demokratischen Repräsentationsstatus beeinträchtigt zu sein. Es stellt zwar eine unzulässige Ungleichbehandlung durch den Gemeinderat dar, den einen auszuschließen und einen ebenso befangenen anderen an der Abstimmung teilnehmen zu lassen. Diese Ungleichbehandlung mag auch einer gerichtlichen Feststellung zugänglich sein - immerhin haben alle Gemeinderatsmitglieder ein Recht auf willkürfreie Gleichbehandlung - , dem zu Recht Ausgeschlossenen verleiht sie aber kein Recht, den so zustande gekommenen Beschluß anzugreifen.

d) Subjektive Organrechte einzelner Gemeinderatsfraktionen Konsens besteht, daß Gemeinderatsfraktionen zahlreiche (freilich je nach Gemeindeordnung teilweise unterschiedlich ausgeformte) eigenständige Rechte besitzen199, die nicht als bloße Zusammenfassung der Rechte ihrer Mitglieder zu verstehen sind, ihnen daher übrigens auch nicht die Geltendmachung der Rechte der einzelnen Fraktionsmitglieder erlauben 200. Als ein bedeutsames Hauptrecht der Gemeinderatsfraktionen ist zunächst das Recht auf eine dem Gesetz entsprechende verhältnismäßige Vertretung in den Ausschüssen zu nennen201. Falls sich die Gemeinderatsfraktionen nicht über die Zusammensetzung der Ausschüsse einigen 202 , dann sind die Ausschußmitglieder vom Gemeinderat auf Grund von Wahlvorschlägen der Fraktionen nach den Grundsätzen der Ver198

VGH München, BayVBl. 1960,21. Vgl. dazu etwa VGH Kassel, ESVGH 45, 161, 162 f. sowie den Überblick bei Bick, Die Ratsfraktion, S. 23 ff.; Rothe, DVBl. 1988, 386 ff; Seewald, Kommunalrecht, Rn. 197; entsprechend für die „Gruppenvertretungen" in Hochschulorganen Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 148 ff. 200 VGH Kassel, ESVGH 45, 161, 162; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 134. 201 Vgl. hierzu VGH München, VGH n.F. 8, 5, 8; 8, 97, 100 f.; NVwZ-RR 1989, 90 f.; OVG Münster, OVGE 10, 143, 145 f. 202 Vgl. hierzu Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 40 (4. Lfg. 1986) Rn. 5. 199

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

689

hältniswahl unter Bindung an die Wahlvorschläge zu wählen (vgl. § 40 Abs. 2 GemO BW). Anders als es richtigerweise für die einzelnen Gemeinderatsmitglieder anzuerkennen ist 203 , kommt den Gemeinderatsfraktionen jedoch kein Recht zu, in einzelnen Ausschüssen vertreten zu sein; mangels rechtlicher Garantie eines sogenannten Grundmandates können also kleinere Fraktionen oder Gruppen bei der Ausschußbesetzung unter Umständen ganz leer ausgehen204. Diese unterschiedliche Behandlung erklärt sich daraus, daß die Fraktionen anders als die einzelnen Gemeinderäte bzw. Abgeordneten nicht die demokratisch legitimierten Vertreter des Volkes sind und deshalb kein Mandat besitzen, als Repräsentanten des Volkes aus eigenem Recht an der Sacharbeit des Gemeinderats mitzuwirken und ihre jeweiligen Vorstellungen und Ideen einzubringen 205. Voraussetzung für ein solches Übergehen einer Fraktion oder Gruppe ist im Hinblick auf ihren Anspruch auf Gleichbehandlung206 jedoch, daß es einen hinreichenden sachlichen Grund dafür gibt, die Zahl der Ausschußmitglieder so niedrig anzusetzen, daß dies zu ihrer Nichtrepräsentanz führt 207 ; der Gemeinderat darf die Ausschußstärke also nicht willkürlich niedrig festsetzen und auf diese Weise sogar „ansehnlich große Fraktionen" von einer Vertretung in den Ausschüssen ausschließen208. Das mit diesen Vorgaben verfolgte Ziel, daß der jeweilige Ausschuß „soweit als möglich ein verkleinertes Abbild des Plenums sein muß" 209 , ist von solcher Bedeutung für die möglichst durchgängige Verwirklichung der repräsentativen Demokratie sowie die Betätigung der Fraktionen, daß insofern von einem subjektiven Organrecht der Fraktionen auszugehen ist. Bei welchem Größenverhältnis hier die Grenze zu ziehen ist, ist abstrakt schwer anzugeben, da dies auch von der Natur und der Bedeutung der in dem Gemeinderatsausschuß zu behandelnden Angelegenheiten abhängt210. Von besonderen Umständen abgesehen, wird jedoch eine Gemeinderatsfraktion, die mehr als 10% der Gemeinderatssitze inne203

S. oben F.III.2.c.cc. Vgl. BVerwG, DÖV 1978, 415; DVB1. 1986, 240, 241; NVwZ-RR 1993, 209; OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242 ff.; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 460; OVG Lüneburg, OVGE 22, 508, 511; NdsVBl. 1998, 140, 141; VGH Mannheim, ES VGH 28, 7, 13; VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76 ff.; OVG Saarlouis, NVwZ 1992, 289. - Zur entsprechenden Ablehnung eines „Grundmandates" für Fraktionen in Bundestagsausschüssen BVerfGE 70, 324, 363 f.; 84, 304, 332 f.; 96, 264, 281 f.; bei Landtagsausschüssen BayVerfGH, NJW 1989, 1918 f.; a.A. Morlok., in Dreier, GG, Art. 38 Rn. 154. 205 Vgl. OVG Hamburg, DVB1. 1986, 242, 244. 206 Vgl. BVerfGE 70, 324, 362 f. 207 Vgl. BayVerfGH, NJW 1989, 1918, 1919 f.; ferner BVerfGE 96, 264, 281 f. 208 VGH München, VGH n.F. 8, 5, 8; 21, 74, 78. 209 VGH München, VGH n.F. 8, 97, 101; ferner VGH München, NVwZ 1989, 494: „verkleinertes Spiegelbild der Zusammensetzung des Gemeinderats". 210 Beispielsweise kann die Notwendigkeit eines besonderen Geheimschutzes (vgl. noch unten G.II.l.a) rechtfertigen, die Zahl der Ausschußmitglieder sehr niedrig festzusetzen, vgl. BVerfGE 70, 324, 363 f. 204

46 Roth

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

hat, in ihren Rechten verletzt, wenn ein 37 Sitze umfassender Gemeinderat die Zahl der Sitze in einem Ausschuß auf 7 festlegt und die betreffende Fraktion deshalb keinen (stimmberechtigten) Vertreter in den Ausschuß entsenden kann; denn ein sachlicher Grund, weshalb der Ausschuß nicht auch mit 8 oder 9 Mitgliedern effizient arbeiten können sollte, ist nicht erkennbar 211. Dagegen kann bei einem 42 Mitglieder zählenden Gemeinderat eine Gemeinderatsfraktion nicht verlangen, daß die Ausschußstärke von 10 auf 13 erhöht werde, um noch einen Sitz zu erhalten 212.

Als weiteres Hauptrecht der Gemeinderatsfraktionen ist ihr Wahlvorschlagsrecht für die Wahl des Bürgermeisters zu nennen, sofern dieser noch durch den Gemeinderat gewählt wird 2 1 3 , sowie ihr Vorschlagsrecht für die Wahl der Beigeordneten (vgl. § 50 Abs. 2 S. 3 GemO BW). Ferner verleihen manche Gemeindeordnungen auch den Fraktionen bestimmte subjektivrechtliche Antragsbefugnisse, etwa hinsichtlich der Aufnahme von Verhandlungsgegenständen in die Tagesordnung oder hinsichtlich der Stellung von Sachanträgen 214 - ein solches Antragsrecht schließt dann auch das Recht ein, den Antrag in angemessener Weise mündlich zu begründen 215 - , sowie im Interesse einer besseren Kontrolle der Verwaltung Akteneinsichtsrechte 216. Nach manchen Gemeindeordnungen ist es dem Gemeinderat gestattet, den Gemeinderatsfraktionen pauschale Zuschüsse für die durch die Fraktionsgeschäftsführung anfallenden Personal- und Sachkosten zu gewähren. Solchenfalls besteht zwar kein Rechtsanspruch darauf, daß der Gemeinderat von dieser Ermächtigung Gebrauch mache 217 ; wenn er dies jedoch tut, erwächst den Fraktionen ein Rechtsanspruch auf Auszahlung der zustehenden Mittel 2 1 8 . Dabei muß die satzungs- oder geschäftsordnungsmäßige Regelung der Fraktionszuschüsse alle Fraktionen gleich behandeln219 - wobei übrigens auch Gruppen im Gemeinderat, die nicht die vorgesehene Fraktionsstärke erreichen, nicht von solchen Zuschüssen ausgeschlossen werden dürfen 220 - , was freilich eine Staffelung der Höhe der Zuschüsse entsprechend der Gruppen- bzw. Fraktionsstärke nicht ausschließt221.

211

Nicht überzeugend daher OVG Lüneburg, NdsVBl. 1998, 140, 141. VGH München, VGH n.F. 21, 74, 78; vgl. auch BVerfGE 96, 264, 281 f. 213 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 991. 214 Z.B. OVG Koblenz, DVBl. 1985, 906; OVG Lüneburg, DVBl. 1984, 734, 735; OVG Weimar, DVBl. 2000, 935, 936 f. - Zum Initiativrecht der Parlamentsfraktionen vgl. VerfG Bbg., DVBl. 1999, 708, 709. 215 OVG Lüneburg, NVwZ 1984, 460, 461; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 380; OVG Weimar, DVBl. 2000, 935, 936 f. 216 Z.B. OVG Greifswald, LKV 1999, 106, 107. 217 VGH Kassel, DVBl. 1995, 932, 933; 1998, 781, 782. 218 Vgl. OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 447. 219 VGH Kassel, DVBl. 1998, 781, 782. 220 Vgl. VGH München, BayVBl. 2000, 467, 468. 221 VGH München, BayVBl. 2000, 467, 468. 212

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

e) Subjektive Organrechte von initiativberechtigten

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Gemeinderatsminderheiten

Die Gemeindeordnungen sehen im Interesse des Minderheitenschutzes verschiedene durch jeweils quotenmäßig bestimmte Gemeinderatsminderheiten auszuübende Rechte vor. So kann nach § 24 Abs. 3 GemO BW ein Viertel der Gemeinderäte in allen Angelegenheiten der Gemeinde und ihrer Verwaltung verlangen, daß der Bürgermeister den Gemeinderat unterrichtet und daß diesem oder einem von diesem bestellten Ausschuß Akteneinsicht gewährt wird 2 2 2 ; letzterenfalls müssen die Antragsteller in dem Akteneinsichtsausschuß vertreten sein 223 . Dasselbe Quorum von einem Viertel der Gemeinderäte kann nach § 34 Abs. 1 S. 3 GemO BW unter Angabe des Verhandlungsgegenstandes die Einberufung des Gemeinderats und nach § 34 Abs. 1 S. 4 GemO BW die Aufnahme eines bestimmten Verhandlungsgegenstandes in die Tagesordnung verlangen; daß dieses Viertel zugleich einen bestimmten Antrag in bezug auf diesen Gegenstand stellen müßte, schreibt das Gesetz nicht vor 2 2 4 . In allen diesen Fällen fragt sich, ob die Antragsminderheit ein subjektives Organrecht auf die Erfüllung ihres Verlangens besitzt oder ob dieses Recht, nachdem der Antrag einmal gestellt worden ist, nur noch dem Gemeinderat in seiner Gesamtheit zukommt. Das Problem liegt dabei nicht in der nach allem bisher Gesagten unzweifelhaften Bejahung der subjektiven Rechtsnatur des Anspruchs auf Unterrichtung, Akteneinsicht, Einberufung und Verhandlungsanberaumung 225 , sondern vielmehr darin, ob die Antragsminderheit überhaupt als Organteil anzusehen ist, dem derartige subjektive Rechte zustehen können. Hier ist nun an die Rechtsprechung des BVerfG zur Parallelproblematik bei den Verfassungsorganstreitigkeiten zu erinnern 226 : Antragsminderheiten werden danach zwar als „mit eigenen Rechten ausgestattete Beteiligte" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG angesehen, so daß sie im Verfassungsorganstreitverfahren die Verletzung grundgesetzlicher oder geschäftsordnungsmäßiger Antragsrechte geltend machen können, sie werden dagegen mangels hinreichend dauerhafter Formierung nicht als Verfassungsorganteile im Sinne der §§63, 64 Abs. 1 BVerfGG betrachtet, um so zu verhindern, daß je beliebig zusammengesetzte und ad hoc konstituierte Minderheiten als Prozeßstandschafter für das jeweilige

222 Vgl. entsprechend OVG Münster, NVwZ 1999, 1252, 1254: Verlangen der Akteneinsicht durch ein Fünftel der Ratsmitglieder. 223 Zum Akteneinsichtsausschuß näher Eiermann, VB1BW 1999, 449 ff. 224 Vgl. hierzu oben F.III.2.c.bb. 225 Vgl. VGH Kassel, DVB1. 1986, 247, 248; VGH Mannheim, DÖV 1989, 31, 33; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, §32 (4. Lfg. 1986) Rn. 3; Eiermann, VB1BW 1999, 448; Gänßle, SächsVBl. 1999, 5; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 133; Schwerdtner, DÖV 1990, 17. 226 S. oben B.II.l.d.cc.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

Verfassungsorgan auftreten können. Diese Differenzierung erscheint auch im Zusammenhang verwaltungsgerichtlicher Organstreitigkeiten sinnvoll. Sofern die Gemeindeordnung bzw. eine kommunale Satzung oder eine Geschäftsordnung Minderheitsrechte geschaffen, z.B. einem Viertel der Gemeinderäte eine Antragsbefugnis zugestanden hat, besteht kein Hindernis, diese Antragsminderheit als ein Rechtssubjekt mit einem subjektiven Organrecht auf Beachtung des gestellten Antrags zu begreifen 227. Denn der Gesetzgeber ist nicht darauf beschränkt, nur dauerhaft formierten Rechtssubjekten Rechte zuzuweisen, sondern er kann auch eine ad hoc gebildete, auf einen singulären Zweck gerichtete Einheit durch Verleihung subjektiver Rechte zu einem (freilich nur punktuell) rechtsfähigen Rechtssubjekt erheben 228 und als Beteiligten an einem Organstreitverfahren zulassen229. So bestimmt etwa § 24 Abs. 3 S. 2 GemO BW, daß, wenn die begehrte Akteneinsicht nicht dem Gemeinderat als Plenum, sondern einem von ihm bestellten Ausschuß gewährt wird, in diesem Ausschuß „die Antragsteller vertreten sein" müssen. Dies ist nun nicht so zu verstehen, daß sämtliche für den Antrag stimmenden Gemeinderäte in diesem Ausschuß vertreten sein müßten; denn daß die Akteneinsicht lediglich einem Ausschuß gewährt wird, bezweckt ja gerade eine Erleichterung und Beschleunigung des Verfahrens, und dieser Zweck würde konterkariert, wenn der Ausschuß zu groß würde, zumal wenn mehr als nur das mindest erforderliche Viertel für diesen Antrag gestimmt haben. Vielmehr genügt es, wenn ein Vertreter dieser Antragsminderheit Mitglied jenes Ausschusses ist 230 , wobei jener Vertreter durch Wahl oder auf sonstige Weise formlos bestellt werden kann, bei antragstellenden Fraktionen etwa durch schlichte Ernennung seitens der Fraktion oder ihrer Führung. Das Gesetz geht also offenkundig selbst davon aus, daß sich die Existenz des Antragsviertels nicht im Antragsakt erschöpft und mit der Antragstellung endet, sondern daß diese zumindest bis zum Abschluß der Akteneinsicht und der sich daran anschließenden Unterrichtung der Antragsteller durch ihren Vertreter in besagtem Ausschuß fortbesteht. Das Antragsviertel besteht aber nicht nur für eine gewisse Dauer, sondern ist auch zumindest rudimentär organisatorisch verfaßt, wie sich in der gesetzlichen Erwartung spiegelt, daß sie einen Vertreter bestimmen möge, der sie anschließend über den Akteninhalt unterrichtet. Dieses wenn auch geringe organisatorische Mindestmaß genügt, um das antragstellende Viertel der Gemeinderäte als Organteil des Gemeinderats zu betrachten, das die ihm zugewiesenen organschaftlichen Antragsrechte als subjektive Organrechte im Kommunalverfassungsorganstreitverfahren geltend machen 227 Vgl. Eiermann, VB1BW 1999, 448; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 793; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 425; Groß, Kollegialprinzip, S. 320; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 133. 228 A.A. Tsatsos, Organstreit, S. 39. 229 Zur Beteiligungsfähigkeit näher unten H.I. 1 .a. 230 Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 24 (10. Lfg. 1995) Rn. 25.

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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kann. Hingegen wären derartige Antragsminderheiten, sofern im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren eine Prozeßstandschaft zuzulassen sein sollte 231 , entsprechend den vom BVerfG dargelegten Gründen nicht als Prozeßstandschafter anzuerkennen.

fi Subjektive Organrechte des Bürgermeisters Dem Bürgermeister als dem zweiten Verwaltungsorgan der Gemeinde (§ 23 GemO BW) kommen zahlreiche - hier nicht näher darzustellende - Organrechte im Verhältnis zum Gemeinderat zu 2 3 2 , welche ihm auch durch Beschluß des Gemeinderats nicht entzogen werden können 233 . Der Gemeinderat legt zwar die Grundsätze fur die Verwaltung der Gemeinde fest (§ 24 Abs. 1 S. 2 GemO BW), jedoch für die Leitung der Verwaltung als solches, insbesondere der Festlegung ihrer inneren Organisationsstruktur sowie für die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung 234 ist allein der Bürgermeister zuständig (vgl. § 24 Abs. 2 S. 3, § 42 Abs. 1 S. 1, § 44 Abs. 1 und 2 GemO BW). Er ist Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Gemeindebediensteten (§ 44 Abs. 4 GemO BW). Er vertritt die Gemeinde nach außen (§ 42 Abs. 1 S. 2 GemO BW), welche Vertretungsmacht ihm auch durch Beschluß des Gemeinderats nicht entzogen werden kann 235 . Ferner vollzieht alleine der Bürgermeister die Beschlüsse des Gemeinderats (§ 43 Abs. 1 GemO BW); der Gemeinderat hat zwar einen Anspruch gegen den Bürgermeister auf Vollziehung seiner Beschlüsse236, überwacht auch diese Ausführung (§ 24 Abs. 1 S. 3 GemO BW), darf sie aber nicht an sich ziehen oder sich auf andere Weise in diese einmischen237. Außerdem steht dem Bürgermeister ein Eilentscheidungsrecht zu (vgl. § 43 Abs. 4 GemO BW). Als Vorsitzender des Gemeinderats (§ 42 Abs. 1 S. 1 GemO BW) hat der Bürgermeister ferner nicht nur die Pflicht zur Vorbereitung und Einberufung der Sitzung und zur Aufstellung der Tagesordnung, son-

231

Zu dieser Problematik unten H.I.3.b. Vgl. hierzu Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 368 ff. mit Nachweisen zu den verschiedenen Gemeindeordnungen; femer ders., Kommunalrecht BW, Rn. 202 IT.; Reichert/Baumann, Kommunalrecht, Rn. 170 ff. 233 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 204 f.; Reichert/Baumann, Kommunalrecht, Rn. 171. 234 Zur Abgrenzung der Geschäfte der laufenden Verwaltung und der Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung vgl. BGH, NJW 1980, 117; OVG Koblenz, NVwZRR 1999, 524 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 378 f.; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 74; entsprechend im Bereich der Hochschulen Neese, WissR 1999, 22 f. 235 VGH Mannheim, VB1BW 1982, 49, 50. 236 S. oben F.III.2.a. 237 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 385; Löer, Kontrolle, S. 70 ff., 189 f. 232

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

dem auch das unentziehbare Organrecht dazu 238 , ferner kommt ihm das Recht zur Sitzungsleitung und zur Ausübung der Ordnungsgewalt zu. Große praktische Bedeutung besitzt die Frage der Subjektivierung der Kompetenzen des Bürgermeisters freilich nicht; Klagen des Bürgermeisters gegen den Gemeinderat oder dessen Teile sind sehr selten 239 . Dies erklärt sich zum einen schon aus der Position des Bürgermeisters als Vorsitzender des Gemeinderats, die es ihm in der Regel gestatten dürfte, Übergriffe in seine Kompetenzen abzuwehren. Außerdem kommt dem Bürgermeister ein Widerspruchsrecht gegen gesetzwidrige Beschlüsse des Gemeinderats zu (§ 43 Abs. 2 S. 1 GemO BW) 2 4 0 , welche Voraussetzung eben auch dann vorliegt, wenn diese die gesetzlichen Organrechte des Bürgermeisters verletzen 241. Ganz ausgeschlossen sind kommunalverfassungsrechtliche Klagen des Bürgermeisters gegen andere Gemeindeorgan(teil)e dennoch nicht 242 , nur sind eben, weil die Initiative für konkrete Maßnahmen ohnehin meist von der Verwaltung ausgeht, in der Praxis gewöhnlich die umgekehrten Prozeßkonstellationen anzutreffen.

3. Subjektive Organrechte im Bereich sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Organstreitigkeiten treten nicht nur bei den Gemeinden auf, sondern ebenso bei allen anderen Körperschaften sowie den Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit pluralistischer Organ- bzw. Organteilstruktur 243. Es ist im Rahmen dieser Arbeit weder möglich noch nötig, die bei den verschiedenen Organen der zahlreichen in Betracht kommenden Organisationen anzunehmenden subjektiven Organrechte auch nur überblicksmäßig darzustellen. Im konkreten Streitfall bedarf es erstens einer Auslegung der jeweiligen einschlägigen Rechtsgrundlagen, in welchem Ausmaße sie den beteiligten Organen und Organteilen Kompetenzen zuweisen, und sodann ist anhand der entwickelten und in bezug auf die Gemeindeorgane exemplifizierten Kriterien zweitens zu prüfen, ob und inwieweit es sich hierbei um subjektive Organrechte handelt. Insofern 238

VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 204 f. S. oben A.II.l.a. 240 S. oben A.I.3.c.aa. 241 Zur Frage, ob deshalb für eine Klage des Bürgermeisters gegen den Gemeinderat das Rechtsschutzbedürfnis fehlte, unten H.III.2. 242 Z.B. VGH Mannheim, ESVGH 28, 210: Feststellungsklage des Bürgermeisters, er sei als Gemeinderatsmitglied vom Gemeinderat zu Unrecht wegen Befangenheit ausgeschlossen worden. Zweifelhaft allerdings Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 384; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 210: Klage des Bürgermeisters im Kommunalverfassungsstreitverfahren auf Rückgängigmachung rechtswidriger Gemeinderatsbeschlüsse. 243 S. oben A.I.3.a. 239

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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können aber die Ausführungen zu den Gemeinden als repräsentativ gelten und als dogmatisches „Muster" dienen; sie vermitteln einen hinreichend präzisen Eindruck von den bei sonstigen Organisationen anzutreffenden Organrechten 244 und sind ohne methodische Schwierigkeiten sinngemäß auf andere Organkonstellationen zu übertragen. Insbesondere die sich im Verhältnis des Gemeinderats zum Bürgermeister widerspiegelnde Konstellation eines für die grundlegenden Entscheidungen verantwortlichen kollegialisch zusammengesetzten Hauptorgans und eines für die Außenvertretung, Leitung und Geschäftsführung verantwortlichen monokratischen Verwaltungsorgans ist typisch und bei allen vergleichbaren Organisationen vorzufinden. Dementsprechend sind auch die jeweiligen Organrechte in grundsätzlich ähnlicher Weise verteilt. Dasselbe gilt in bezug auf die Organrechte der Mitglieder kollegialer Organe 245 , initiativberechtigter Minderheiten 246 sowie etwaiger Ausschüsse. Lediglich die in den kommunalen Repräsentationsorganen Gemeinderat und Kreistag so wichtige förmliche Fraktionsbildung ist in den kollegialisch besetzten Organen anderer Verwaltungsträger normalerweise nicht vorgesehen - soweit sie faktisch zu beobachten sein sollte, spielte sie doch mangels Anerkennung in den betreffenden Organisationsgesetzen und Geschäftsordnungen rechtlich keine Rolle - , so daß die um die Organrechte von Fraktionen kreisenden Streitigkeiten dort nicht auftreten. Es ist davon auszugehen, daß die normativ statuierten Kompetenzen der Organe anderer Träger öffentlicher Gewalt in ebenso weit gehender Weise subjektiviert sind wie bei den Gemeinden. Denn aus Sicht der die Kompetenznormen tragenden Rechtsgemeinschaft besteht ein gewichtiges Interesse daran, daß die jeweilige Kompetenzordnung auch bei Rundfunkanstalten, Universitäten/Fakultäten, Sparkassen, Kammern etc. eingehalten und im Störungsfall bestmöglich geltend gemacht werden. Dies spricht für die Subjektivierung der einschlägigen Kompetenzvorschriften, und da dem ebensowenig wie bei den Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten nennenswerte Nachteile gegenüberstehen, ist von einem regelmäßig durchgreifenden Subjektivierungsinteresse auszugehen. Dieses Durchsetzungsinteresse speist sich gleichermaßen aus Effizienz- und Gewaltenteilungs- wie aus Demokratieerwägungen 247. Der Organpluralismus wird vom Inhaber der Organisationsgewalt regelmäßig zur Installation eines arbeitsteiligen Systems genutzt. Wenn dieses System sinnvoll konstruiert ist, dann nimmt grundsätzlich jedes Organ und Organteil eine 244

Das betont auch Groß, Kollegialprinzip, S. 283; vgl. femer Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 40; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 100 f. 245 Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 100 f. (für die Mitglieder kollegialer Rundfünkorgane). 246 Neyses, Rundfünkverfassungsstreitverfahren, S. 114 ff. 247 Zu diesen Faktoren näher oben F.II. 1 .a.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

seiner Struktur und Besetzung gemäße Aufgabe wahr, und das heißt wiederum, daß jede Abweichung von der vorgesehenen Kompetenzordnung Einbußen an der Effizienz bzw. der ergebnismäßigen Richtigkeitsgewähr der Aufgabenerfüllung nach sich zieht, und daher schon im Interesse der Organisationseffektivität möglichst verhindert werden sollte. Dazu kommt der Gedanke der Gewaltenteilung, wenngleich, weil es sich hier um Verwaltungsträger handelt, die insgesamt der Exekutive zugehören, nicht in dem staatsrechtlichen Sinne einer Teilung der Staatsgewalten zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, sondern vielmehr in seinem ursprünglichen Sinn der Machtteilung: Ein Organpluralismus ermöglicht ein System der checks and balances, und deshalb beinhaltet jede Abweichung von der vorgesehenen Kompetenzordnung jedenfalls tendenziell die Gefahr eines Machtmißbrauchs, so daß ihr möglichst wirkungsvoll entgegengetreten werden muß. Schließlich streitet auch der Demokratiegedanke für die Subjektivierung der hier in Frage stehenden Kompetenzordnungen. Denn auch soweit die betreffenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen kein dem Gemeinderat vergleichbares aus unmittelbarer Volkswahl hervorgehendes demokratisches Repräsentationsorgan besitzen, verfügen sie doch alle über Hauptorgane, die dem Gedanken demokratischer Partizipation in besonderer Weise verpflichtet sind. Bei Selbstverwaltungskörperschaften wie den Universitäten und Kammern, bei denen die Körperschaftsangehörigen die Mitglieder des Hauptorgans wählen 248 , scheint dieser Gedanke unmittelbar durch 249 . Immerhin in mittelbarer Weise gilt dies dort, wo die Mitglieder des betreffenden Hauptorgans durch eine Volksvertretung bestellt werden, um eben (auch) die verfassungsrechtlich gebotene demokratische Legitimation des Handelns dieser Organisation zu gewährleisten 250. Ein etwas anderes, seiner Funktion nach jedoch vergleichbares Modell greift dort, wo das Hauptorgan als Repräsentationsorgan für gesellschaftlich relevante Gruppen konzipiert ist (wie z.B. der Rundfunkrat); derartige Organe leiten nämlich ihre Legitimation nicht aus einer Wahl ab, sondern eben gerade aus der Bestimmung ihrer Mitglieder durch die gesetzlich hierzu ermächtigten gesellschaftlich relevanten Gruppen 251 . Es versteht sich, daß diese demokratischen oder gruppenbezogenen Repräsentations- und Legi248

S. oben F.II.l.a.cc. Vgl. Maurer, AllgVerwR, § 23 Rn. 40. 250 So setzt sich z.B. der Verwaltungsrat von Sparkassen aus dem Vorsitzenden, weiteren Mitgliedern und zu einem Drittel aus Vertretern der Beschäftigten zusammen (§12 Abs. 2 SparkG BW); Vorsitzender ist in der Regel der Bürgermeister bzw. Landrat oder der Vorsitzende der Zweckverbandsversammlung (vgl. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 1 SparkG BW), während die „weiteren Mitglieder" vom Gemeinderat, Kreistag bzw. der Verbandsversammlung bestellt werden, wobei mindestens ein Drittel dem Gemeinderat oder Kreistag angehören müssen (vgl. § 14 Abs. 1 SparkG BW). 251 Löer, Kontrolle, S. 203; vgl. Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 10 ff. 249

III. Subjektive Organrechte bei öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern

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timationsfunktionen in Gefahr gerieten, wenn die betreffenden Organe ihre Kompetenzen nicht als subjektive Rechte selbst geltend machen könnten.

4. Subjektive Organrechte und die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO Mit dem Zwischenergebnis, daß Organe und Organteile von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach den dargestellten Kriterien subjektive Rechte an ihren Kompetenzen innehaben, ist eine entscheidende und in der Diskussion stets besonders intensiv erörterte Hürde bei der rechtlichen Behandlung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten genommen: Sofern ein Organ oder Organteil die Verletzung eines solchen Organrechtes geltend macht, sind ohne weiteres alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt, so daß ihm die Klagebefugnis zukommt. Der zusätzlichen Konstruktion irgendwelcher „wehrfähiger Positionen" oder einer nur analogen Heranziehung des § 42 Abs. 2 VwGO bedarf es zur Begründung dieses Ergebnisses nicht. Damit ist die schwierigste Zulässigkeitshürde genommen, denn im Verein mit der generalklauselartigen Rechtswegeröffnung nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO bedeutet § 42 Abs. 2 VwGO, daß jede öffentlich-rechtliche Rechtsstreitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor die Verwaltungsgerichte gebracht werden kann, wenn dies der Verteidigung subjektiver Rechte dient. Diese Aussage gilt unabhängig davon, daß sich Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG berufen können 252 . Denn der Gesetzgeber hat jedenfalls einfachgesetzlich seine Entscheidung für die verwaltungsgerichtliche Generalklausel getroffen, und davon profitieren - wenn sie nur die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen - auch alle Träger öffentlicher Gewalt samt ihren Organen und Organteilen. Deshalb kann in dieser Arbeit dahinstehen, ob und inwieweit zum einen das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip, vor allem aber das Rechtsstaatsprinzip schon auf Verfassungsebene zumindest gewisse Rechtsschutzmöglichkeiten auch zugunsten von staatlichen Organen garantieren 253. So wie sich mit der Bejahung subjektiver Organrechte das Problem der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO löst, so hat dies entsprechende Konsequenzen für die Statthaftigkeit von Feststellungsklagen. Denn auch wenn man richtigerweise nicht über das vom Gesetz ohnehin geforderte Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO) hinaus noch zusätzlich eine besondere Klagebefugnis für die Zulässigkeit der Feststellungsklage verlangt, so hat doch auch die Feststellungsklage einen notwendigen subjektiven Rechtsschutzbezug254, und dieser läßt 252 253 254

S. oben B.I.2.a. Vgl. zu dieser Problematik oben B.I.2.b. S. oben C.IV.I.e.

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F. Organkompetenzen als subjektive Organrechte

sich aufgrund der Anerkennung subjektiver Organrechte unschwer herstellen: Ein subjektives Organrecht an einer bestimmten Kompetenz begründet nämlich notwendig eine korrespondierende Rechtspflicht der anderen Organe und Organteile auf Achtung der subjektivrechtlich gewährleisteten Kompetenz des berechtigten Organs, und dieses damit konstituierte Rechtsverhältnis ist nach § 43 Abs. 1 VwGO tauglicher Gegenstand einer Feststellungsklage. Nach der Überwindung dieser zentralen prozessualen Hürden liegt die Versuchung nahe, die Untersuchung an dieser Stelle mit den weiteren Sachentscheidungsvoraussetzungen einer verwaltungsgerichtlichen Klage oder mit der Untersuchung der geeigneten Klagearten fortzusetzen, und erst im Anschluß hieran, sozusagen als Begründetheitsprüfung eines Organstreitverfahrens, die materiellrechtliche Seite verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten zu betrachten. Dennoch erscheint es aus zwei Gründen vorzugswürdig, die Untersuchung hier zunächst mit der materiellrechtlichen Seite der Organstreitigkeiten fortzusetzen. Erstens erfordert die konkrete Bejahung der Klagebefugnis nicht nur den nach den vorstehend erörterten Grundsätzen zu erbringenden Nachweis des Vorliegens eines subjektiven Rechtes, sondern darüber hinaus die Geltendmachung einer Verletzung desselben. Damit stellt sie eine Verknüpfimg des Prozeßrechts mit dem materiellen Recht her. Diese Verknüpfung ist zwar gewissermaßen abgeschwächt, weil § 42 Abs. 2 VwGO allein die Möglichkeit, nicht aber das tatsächliche Vorliegen einer solchen Rechtsverletzung verlangt. Doch schon die Beurteilung dieser Möglichkeit setzt materiellrechtliche Überlegungen voraus. Denn man muß wissen, was eine Verletzung subjektiver Organrechte ist und wann sie materiell vorliegt, um auch nur deren Möglichkeit dartun zu können. Gewiß könnten alle damit aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen inzident im Rahmen der Klagebefugnis erörtert werden. Dies wäre ein zwar logisch unanfechtbarer, angesichts der Komplexität der Eingriffsproblematik freilich darstellungsmäßig wenig glücklicher Aufbau. Außerdem ist bislang nur dargelegt, daß Organe und Organteile einen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zugunsten ihrer subjektiven Rechte genießen können. In welcher konkreten Form, d.h. wie dies zu bewerkstelligen ist, ist damit noch völlig offen. Insbesondere die geeignete und zulässige Klageart Anfechtungs- oder sonstige (allgemeine) Gestaltungsklage?, Verpflichtungsoder allgemeine Leistungsklage etwa in Gestalt einer Unterlassungs-, Beseitigungs- respektive Folgenbeseitigungsklage?, Feststellungsklage?, oder gar eine Klageart sui generis? - läßt sich aufgrund des bisher Gesagten nicht angeben, und tatsächlich läßt sich diese Frage rein prozeßrechtlich überhaupt nicht beantworten: Welches die richtige Klageart ist, ergibt sich nämlich aus dem verfolgten Klageziel; welches Klageziel aber sinnvollerweise zu verfolgen ist, hängt von der materiellen Rechtslage ab. In aller Regel wird jeder Kläger so viel an Rechten durchsetzen wollen, wie er hat, und nicht etwa weniger; umge-

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kehrt wäre er aber auch schlecht beraten, mehr einzuklagen, als ihm materiellrechtlich zusteht, weil dies eine zumindest unter Kostengesichtspunkten tunlichst zu vermeidende teilweise Unbegründetheit seiner Klage implizierte. Hieraus ergibt sich ohne weiteres, daß die richtige Klageart davon abhängen muß, welches Recht - und das heißt hier insbesondere welcher Anspruch - geltend zu machen ist. Infolge der dienenden Funktion des Prozeßrechts und der Offenheit der Klageformen geht es also nicht darum, vorgegebenen Klagearten bestimmte materielle Rechte zuzuordnen. Vielmehr muß zuerst nach der materiellen Rechtslage gefragt und untersucht werden, was das klagebefugte Organ oder Organteil materiell zu beanspruchen hat; erst im Anschluß hieran ist dann zu betrachten, wie dieses Recht prozessual zu verfolgen ist. Nicht zuletzt die Nichteinhaltung dieser sachgedanklich vorgegebenen Reihenfolge dürfte übrigens einigen Anteil an der gelegentlich verwirrenden Diskussion um die richtige Klageart bei Organstreitigkeiten 255 besitzen: Ohne vorherige Klärung der materiellrechtlich bestehenden und daher überhaupt nur zu verfolgenden Rechte läßt sich die prozessuale Frage nach der Klageart nicht schlüssig beantworten, jedoch die - logisch allerdings denkbare - Inzidentprüfung der materiellen Rechtslage im Rahmen der prozessualen Klageartdiskussion muß die Erörterung zwangsläufig unübersichtlich werden lassen. Aus diesen Gründen - Bezug der Klagebefugnis zum materiellen Recht, Ermittlung des besten erfolgversprechenden Klagezieles als Voraussetzung für die Bestimmung der richtigen Klageart - soll sich die Arbeit nunmehr zunächst der materiellrechtlichen Seite verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten zuwenden (Teil G.). Erst im Anschluß daran wird sodann die Betrachtung der prozessualen Seite wieder aufgegriffen und abgeschlossen werden (Teil H.).

255

Hierzu ausführlich unten H.II.

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Bei den nunmehr zu behandelnden materiellrechtlichen Aspekten verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten steht die Untersuchung an erster Stelle, wann eine Verletzung von Organrechten anzunehmen ist. Dieser Frage kommt unabhängig von der in concreto zu wählenden Klageart 1 wesentliche Bedeutung sowohl fur die Zulässigkeit als auch meist für die Begründetheit einer Klage im Organstreitverfahren zu. Dies versteht sich für alle verwaltungsgerichtlichen Klagen von selbst, deren Zulässigkeit vom Vorliegen der Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO (analog) abhängt2, da diese definitionsgemäß nur dann besteht, wenn das klagende Organ oder Organteil eine Verletzung seiner subjektiven Organrechte geltend machen kann; und begründet sind derartige Klagen nur, wenn eine solche Verletzung tatsächlich vorliegt. Doch auch bei den Feststellungsklagen spielt die Frage der Rechtsverletzung eine nicht zu übergehende Rolle, und zwar selbst dann, wenn man richtigerweise auf die Feststellungsklage nicht ohnehin § 42 Abs. 2 VwGO analog anwendet3. Denn zwar ist die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO stricto sensu nicht auf die Feststellung einer Rechtsverletzung gerichtet, sondern auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, und das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses setzt zwar das Bestehen wenigstens eines subjektiven Rechts voraus 4, nicht aber dessen Verletzung. Indessen leitet sich doch das erforderliche Feststellungsinteresse fast immer aus einer drohenden oder gar bereits eingetretenen Beeinträchtigung dieses Rechtes ab, wird also die Feststellung gerade zu dem Zweck begehrt, einer drohenden Verletzung eines Rechtes zuvorzukommen, um die Wiederholung einer Rechtsverletzung auszuschließen oder um bei diskriminierenden rechtswidrigen Eingriffen seine Reputation wiederherzustellen 5; insofern kann für alle praktischen Zwecke gesagt werden, daß auch für die Feststellungsklage nicht lediglich die Frage des Bestehens eines Rechts, sondern die seiner Verletzung von Relevanz ist.

1

Zur Frage der richtigen Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren näher unten H.II. 2 S. oben C.IV. 1.a und b. 3 Zu dieser Problematik vgl. oben C.IV. 1 .c. 4 S. oben C.IV.I.e. 5 Zum Feststellungsinteresse unten H.II.4.

I. Der Organrechtseingriff

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Da eine Rechtsverletzung nach allgemeinen Grundsätzen, von denen abzuweichen im hiesigen Kontext kein Grund ersichtlich ist, gleichbedeutend mit dem Vorliegen eines rechtswidrigen Eingriffs in ein subjektives Recht ist, spaltet sich die Untersuchung in die Teilfragen auf, wann ein Eingriff in Organrechte vorliegt (nachfolgend I.) und wann dieser als rechtmäßig bzw. rechtswidrig zu erachten ist (unten II.). Im Anschluß hieran sind die materiellrechtlichen Folgen einer Verletzung von Organrechten zu untersuchen (unten III.), insbesondere im Hinblick darauf, welche Abwehrrechte dem verletzten Organ oder Organteil hieraus erwachsen (unten IV.).

I. Der Organrechtseingriff Bei den Organrechtseingriffen handelt es sich um einen Unterfall der allgemeinen, in jedem Rechtsgebiet auftretenden Eingriffsproblematik. Während aber im Zivil- und Strafrecht Kausalitäts- und Zurechnungsfragen seit Jahrhunderten intensiv untersucht worden sind, beschränkt sich die diesbezügliche Diskussion im Bereich des öffentlichen Rechts neben einigen Ansätzen im Polizeirecht 6 seit nunmehr drei Jahrzehnten vor allem auf die Grundrechtseingriffe 7. Eine systematische Behandlung der Organrechtseingriffe hingegen steht bislang noch vollständig aus. Ob ein Organrechtseingriff vorliegt, wird statt dessen ad hoc von Fall zu Fall beurteilt, wobei man sich, mehr oder weniger stillschweigend, aber durchaus mit Recht an den aus den anderen Gebieten bekannten Eingriffsvorstellungen orientiert, und damit auch im wesentlichen zu zutreffenden Ergebnissen kommt. Dies liegt freilich nicht daran, daß die gängigen Eingriffskriterien zutreffend wären - tatsächlich unterliegen diese zahlreichen Einwänden - ; vielmehr sind die praktisch häufigsten Eingriffskonstellationen auch bei Organrechtseingriffen so evident, daß hier ohnehin alle vertretbaren Theorien zum selben Ergebnis gelangen müssen. Die wirkliche Problematik zeigt sich deshalb nur in den nicht evidenten Fällen. Und hier wirkt sich nun aus, daß durch den nicht reflektierten Rückgriff auf die gängigen Eingriffs- und insbesondere Zurechnungslehren zugleich deren Schwächen und Fehler in die Behandlung der Organrechtseingriffe importiert werden. Deshalb überrascht es 6 Zu der hier insbesondere zu nennenden Figur des polizeilichen Zweckveranlassers vgl. die Nachweise unten G.I.3.b. 7 Grundlegend hierzu Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 10 ff; aus dem monographischen Schrifttum ferner Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 173 ff.; LübbeWolff Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 69 ff; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 33 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 34 ff., 129 ff.; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, § 78, S. 76 ff.; s. femer die Beiträge von Bethge, VVDStRL 57 (1998), 10 ff.; Bleckmann/Eckhoff DVBl. 1988, 373 ff.; Ramsauer, VerwArch 1981, 89 ff.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 59 ff.

702

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

nicht, daß sich zumal bei der Untersuchung der sogenannten mittelbaren Organrechtseingriffe zeigen wird, daß die herrschende Meinung zu teilweise nicht überzeugenden Ergebnissen kommt. Aus diesem Grund, und angesichts des bereits erwähnten bisherigen Fehlens jeder systematischen Erfassung der Organrechtseingriffe ist diese Thematik näher zu behandeln. Zunächst empfiehlt sich, ebenso wie bei den Grundrechten, auch im hiesigen Kontext, die Eingriffsproblematik unter Beachtung des Unterschieds zwischen Organrechten abwehrrechtlicher und den Organrechten leistungsrechtlicher Natur 8 zu untersuchen. Dies ergibt sich schon daraus, daß „Eingriffe" in leistungsrechtliche Organrechte - terminologisch soll diesbezüglich von einer Vernachlässigung des Rechts gesprochen werden 9 - so gut wie keine Zurechnungsprobleme aufwerfen und dementsprechend knapp behandelt werden können: Tut der Verpflichtete weniger als leistungsrechtlich gefordert, so vernachlässigt er ohne weiteres das Leistungsrecht, und - sofern keine besonderen Rechtfertigungsgründe dafür vorhanden sind - verletzt es damit notwendig 10 . Zurechnungsprobleme stellen sich daher vor allem bei Eingriffen in abwehrrechtliche Organrechte, wenn ein bestimmter Beeinträchtigungserfolg einer bestimmten Handlung (einem positiven Tun oder einem pflichtwidrigen Unterlassen) zugerechnet werden muß. Bei der Erörterung der aus diesem Grund notwendig den weitaus größeren Raum beanspruchenden Problematik der Eingriffe in Abwehrrechte empfiehlt sich angesichts ihrer Komplexität ein schrittweises Vorgehen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollen die maßgeblichen allgemeinen Eingriffskriterien vorangestellt werden (nachfolgend 1.), ehe sodann auf die verschiedenen Eingriffskonstellationen einzugehen ist. Deren Erörterung hat sich zunächst an der Grundkonstellation des zweipoligen Verhältnisses 11 zu orientieren, bei dem also nur zwei Organe respektive Organteile beteiligt sind (unten 2.), bevor dann auf die schwierigeren Verhältnisse unter Beteiligung dreier Organe bzw. Organteile eingegangen werden kann (unten 3.). Abschließend ist dann die bereits angesprochene Problematik der Vernachlässigung organschaftlicher Leistungsrechte zu behandeln (unten 4.).

1. Die Elemente des Eingriffsbegriffs Nach dem allgemeinen Eingriffsverständnis setzt ein (vollendeter) Eingriff in ein subjektives Recht stets eine Handlung (Tun oder pflichtwidriges Unterlas8

Zu dieser Unterscheidung oben F.III. 1. Vgl. BVerfGE 79, 174, 201 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 126, 397 f. 10 S. näher unten G.I.4. 11 Zum Begriff des zwei- bzw. mehrpoligen Verhältnisses BVerwGE 60, 297, 307; Roth, Faktische Eingriffe, S. 280 f.; entsprechend Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 66: bi- bzw. tripolar. 9

I. Der Organrechtseingriff

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sen) sowie einen in der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts bestehenden Erfolg voraus, wobei Handlung und Erfolg in spezifischer Weise miteinander verbunden sein müssen. Gemäß dieser auch im vorliegenden Kontext heranzuziehenden Definition liegt also ein Eingriff in ein subjektives Organrecht dann vor, wenn durch die Handlung eines Organs oder Organteils das Organrecht eines anderen in kausaler und zurechenbarer Weise beeinträchtigt wird. In den meisten Fällen bereitet die Bejahung eines Organrechtseingriffs, sobald einmal die beeinträchtigende Handlung erkannt und der Eintritt der Organrechtsbeeinträchtigung festgestellt wurde, keine Schwierigkeiten. Zumal die in der Diskussion der Eingriffskriterien stets im Mittelpunkt stehende Zurechnungsfrage ist keineswegs regelmäßig wirklich problematisch. Vielmehr ist die Bejahung bzw. Verneinung der Zurechenbarkeit in den meisten Situationen so evident, daß sämtliche Zurechnungstheorien zu demselben Ergebnis kommen. Die Zurechnungsdiskussion spiegelt daher weniger die zahlenmäßige Häufigkeit problematischer Fälle wider, sondern deren dogmatische Schwierigkeit. Denn in einigen praktisch keineswegs unbedeutenden Konstellationen können sich Zurechnungszweifel auftun, die eine nähere Befassung mit dieser Thematik unumgänglich werden lassen.

a) Kausalität Unabdingbare Mindestvoraussetzung für die Bejahung eines Eingriffs ist die Kausalität der infrage stehenden Handlung für den Beeinträchtigungserfolg. Dieser erforderliche Ursachenzusammenhang wird traditionell gerade auch im Verwaltungsrecht vielfach im Sinne einer äquivalenten Kausalität definiert 12 , wonach jede Handlung kausal ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, die also conditio sine qua non für den Erfolg ist 13 . Allerdings unterliegt die Äquivalenzformel zwei Einwänden14. Erstens setzt sie voraus, daß man die Kausalbeziehungen bereits kennt, da man sonst überhaupt nicht beurteilen könnte, was geschehen wäre, wenn man die Handlung hinwegdenkt; infolgedessen bringt diese Formel zur Bestimmung der Kausalität keinen 12 Vgl. BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981; VGH Kassel, NJW 1999, 3650, 3652; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694, 695; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 17. 13 Vgl. BGHZ 3, 261, 265; BGH, VersR 1998, 1410, 1411; OVG Hamburg, NJW 2000, 2600, 2601; VGH Kassel, NJW 1999, 3650, 3652; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 17. Vgl. Engisch, Kausalität, S. 16; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 522 f.; Jescheck, in LK StGB, vor § 13 Rn. 55; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 281 f.; Lenckner, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 74; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 142 ff; Puppe, in NKStGB, vor § 13 (5. Lfg. 1998) Rn. 87 f., 112; Roth, Faktische Eingriffe, S. 115 f.; Roxin, Strafrecht AT I, 11 Rn. 11 ff; Rudolphi, in SK StGB, vor § 1 (Lfg. 1990) Rn. 40; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 156 f.

7 0 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Gewinn. Zweitens ist die conditio sine qua non-Formel in gewissen Konstellationen nachgerade irreführend. Wenn nämlich bestimmte Reserveursachen bereitstanden, die den Erfolg auch ohne die betrachtete Handlung herbeigeführt hätten, dann könnte sie den falschen Eindruck erwecken, die tatsächlich durchaus wirkmächtig gewesene Handlung habe den Erfolg überhaupt nicht verursacht. Vorzuziehen ist deshalb die Formel von der gesetzmäßigen Bedingung. Kausalität ist danach zu bejahen, wenn sich an die Handlung zeitlich nachfolgende Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit der Handlung nach naturwissenschaftlichem Erkenntnisstand gesetzmäßig verbunden waren und die schließlich in den Erfolg mündeten15. Selbstverständlich beantwortet auch diese Formel nicht eigentlich die Kausalitätsfrage, aber sie lenkt den Blick auf die entscheidungsrelevanten Punkte, indem sie die Bedeutung der Feststellung naturgesetzlicher Kausalität16 betont und gar nicht erst Gefahr läuft, den irrigen Eindruck zu erwecken, Kausalität ließe sich durch ein rein gedanklichhypothetisches Eliminationsverfahren ermitteln. Bei dieser Beurteilung sind sämtliche, auch die möglicherweise erst ex post bekannt gewordenen Umstände zugrunde zu legen17, da es im Bereich des objektiven Tatbestandes keinen Grund gibt, hinter dem jeweils verfügbaren besten Wissen zurückzubleiben.

b) Zurechenbarkeit Es besteht Einigkeit, daß die bloße Kausalität aufgrund ihrer „Uferlosigkeit" 18 es nicht rechtfertigen könnte, das handelnde Rechtssubjekt als für sämtliche kausal verursachten Folgen seiner Handlung verantwortlich zu erachten, sondern daß die Kausalität zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die rechtliche Zuschreibung eines Erfolges ist 19 . Die Unbilligkeit, bloße 15

Grundlegend Engisch, Kausalität, S. 21 ff.; vgl. femer RGZ 13, 60, 65 f. („wirkliche Folge"); BVerfGE 66, 39, 61 f.; Jescheck, in LK StGB, vor § 13 Rn. 56; Jescheck/ Weigend, Strafrecht AT, S. 283; Lenckner, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 75; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 321; Roth, Faktische Eingriffe, S. 116; Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 14. Für eine kombinierte Verwendung beider Kausalitätsformeln Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 522 f. 16 Zur Notwendigkeit der Erklärung auch von individuellen Ergebnissen unter Rückgriff auf generelle erklärende Regeln Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 162 ff. 17 Engisch, Kausalität, S. 22; Roth, Faktische Eingriffe, S. 135 ff. 18 Vgl. hierzu Engisch, Kausalität, S. 35 ff.; femer etwa Puppe, in NKStGB, vor § 13 (5. Lfg. 1998) Rn. 83 („Unendlichkeit"); Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 178 („uferlose Weite"). 19 Vgl. BGHZ 3, 261, 265; Roth, Faktische Eingriffe, S. 117; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 154; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 36 III c 1; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 17; femer VerfG M V , LVerfGE 7, 199, 209;

I. Der Organrechtseingriff

705

Kausalität genügen zu lassen, würde zumal in einem Rechtsgebiet wie dem öffentlichen Recht empfindlich zu Buche schlagen, da dieses anders als das Zivilund Strafrecht in weiten Teilen weder subjektive Tatbestände noch Verschuldenserfordernisse kennt, so daß sich die inakzeptablen Ergebnisse zu weit gefaßter objektiver Tatbestände weder über eine Verneinung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit noch über die Verneinung des Verschuldens korrigieren und vermeiden lassen. Selbst wo es aber solche im Subjektiven angesiedelten Korrekturmöglichkeiten gäbe, würden diese doch allenfalls ein richtiges Ergebnis ermöglichen, aber noch keine dogmatisch befriedigende Vorstellung ergeben. Es ist nämlich durchaus unangemessen, eine im objektiven Tatbestand angesiedelte unsinnig weite Kausaldoktrin durch Erwägungen zum subjektiven Bereich zurücknehmen und reparieren zu müssen. Bei Erfolgstatbeständen bedarf es daher schon in deren objektiven Tatbestand einer auf einer normativ wertenden Betrachtung beruhenden einschränkenden Zurechenbarkeit.

aa) Das Problem psychisch vermittelter Kausalität Die Bejahung der Zurechenbarkeit bereitet im allgemeinen keine Probleme, wenn eine bestimmte Handlung aufgrund gesetzmäßiger Kausalbedingung die Beeinträchtigung bewirkt, ohne daß es noch irgendeiner weiteren Entscheidung oder Handlung eines Rechtssubjektes bedürfte, wenn also die fragliche Handlung der letzte kausale Akt eines Rechtssubjektes vor Eintritt der Beeinträchtigung ist. Zurechnungszweifel entstehen vornehmlich in den Fällen psychisch vermittelter Kausalität 20. In zweipoligen Verhältnissen liegt eine solche Situation immer dann vor, wenn der schließlichen Beeinträchtigung noch eine Entscheidung oder eine Handlung des Beeinträchtigten selbst vorhergehen muß, damit es überhaupt zu dem betreffenden Erfolg kommen kann. Hierbei wird es sich häufig um ein bloßes Unterlassen handeln, wenn nämlich der Verletzte durch eine geeignete Gegenmaßnahme den drohenden Erfolg hätte abwenden können; bei dieser zwischengeschalteten Handlung kann es sich aber auch um ein positives Tun handeln, durch welches sich der Betroffene quasi selbst schädigt, indem er in einer letztlich selbstschädigenden Weise auf eine ihm widerfahrene Einwirkung reagiert. Psychische Kausalvermittlung ist besonders bedeutsam bei den sogenannten dreipoligen Verhältnissen, wo die Handlung des einen die Beeinträchtigung des anderen nicht unmittelbar selbst bewirkt, son-

BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981; NJW 1999, 1567; OVG Bautzen, NJW 1997, 2253, 2254; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694, 695; aus der strafrechtlichen Literatur etwa Jescheck, in LK StGB, vor § 13 Rn. 53; Jescheck/Weigend,, Strafrecht AT, S. 277 f., 284. 20 Vgl. hierzu etwa Puppe, in NKStGB, vor § 13 (5. Lfg. 1998) Rn. 111 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 299; Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 30 f.; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn. 47 ff. 47 Roth

7 0 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten dem nur weil ein Dritter in bestimmter Weise in diesen in Gang gesetzten Kausalverlauf eingeschaltet war, d.h. entweder durch positives Tun eingegriffen oder es trotz seiner Abwendungsmöglichkeit unterlassen hat, zur Abwendung des Beeinträchtigungserfolgs in den Kausalverlauf einzugreifen. Die besondere Schwierigkeit aller Fälle psychisch vermittelter Kausalität, in denen erst eine weitere Entscheidung oder Handlung des Beeinträchtigten selbst oder eines Dritten hinzukommen muß, ehe der Beeinträchtigungserfolg eintreten kann, erweist sich schon vom Ergebnis her daran, daß es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz geben kann, eine Handlung aus dem Grund nicht vornehmen zu dürfen, weil sie eine Reaktion eines anderen hervorzurufen geeignet ist, die sich dann ihrerseits in einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter jenes anderen oder eines Dritten auswirkt. Die meisten Handlungen wirken nämlich in der einen oder anderen Weise auf andere Rechtssubjekte ein und können bei diesen irgendwelche Reaktionen hervorrufen, die möglicherweise zu irgendwelchen Beeinträchtigungen von Rechtsgütern führen. Derartige Reaktionen können zwangsläufig oder zufällig, vernünftig oder unvernünftig, voraussehbar oder unvorhersehbar, normal oder ungewöhnlich, steuerbar oder reflexartig sein21, und bei wertender Betrachtung kann nicht angenommen werden, der zuerst Handelnde müsse für alles und jedes daraus Resultierende einstehen, und sich jeden Erfolg zurechnen lassen, den ein anderer als Reaktion auf sein Handeln herbeiführt, wie unwahrscheinlich, unvernünftig, ungewöhnlich oder unvorhersehbar diese Reaktion auch immer gewesen sein mag. Zwar ist, wenn die Einwirkung auf den Beeinträchtigten oder einen Dritten sich nun einmal tatsächlich auf dessen Entscheidungsfindung ausgewirkt hat, dieser die Einwirkung also „zum Grunde seines Entschlusses genommen hat" 22 , sich sein Verhalten mit anderen Worten als Reaktion auf die ihm begegnete psychische Einwirkung darstellt, an der Kausalität jener ersten Einwirkungshandlung für den Beeinträchtigungserfolg richtigerweise nicht zu zweifeln 23 . Gerade deshalb aber muß hier eine Grenze der Zurechenbarkeit gezogen werden. Wo jedoch diese Grenze zu ziehen und nach welchen Kriterien diese Abgrenzung vorzunehmen ist, macht den Kern des Streites um die Zurechnung aus.

21

Zu diesen Kontingenzfaktoren menschlichen Lebens vgl. oben F.I.l.a. Puppe, in NKStGB, vor § 13 (5. Lfg. 1998) Rn. 116. 23 Vgl. BGHSt 13, 13, 14 f.; 39, 322, 324; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 281; Lenckner, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 77; Puppe, in NKStGB, vor § 13 (5. Lfg. 1998) Rn. 116 ff.; Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 30 f. 22

I. Der Organrechtseingriff

707

bb) Untaugliche Zurechnungskriterien In Rechtsprechung und Literatur sind zur Lösung des Zurechnungsproblems insbesondere in den Fällen psychisch vermittelter Kausalität verschiedene letztlich nicht befriedigende Zurechnungskriterien gebräuchlich 24. (1) Finalität Besondere Bedeutung wird von namhaften Autoren dem Aspekt der Finalität des Eingriffs zugemessen, d.h. dem Umstand, ob die Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsgutes gezielt, absichtlich oder zweckgerichtet herbeigeführt worden ist. Allerdings wird die These, daß die Finalität notwendige Bedingung für die Annahme eines Eingriffs sei 25 , heute zu Recht nicht mehr vertreten. Denn sie führte zu einer unangemessenen Einschränkung des Schutzes subjektiver Rechte26: Es ist nicht ersichtlich, weshalb es zu Lasten des in seinen Rechten Beeinträchtigten gehen und er insbesondere um die ihm bei Bejahung eines Eingriffs gegebenenfalls zustehenden Abwehransprüche gebracht werden soll, nur weil der Handelnde die Konsequenzen seiner Handlung nicht gesehen oder nicht bezweckt hat. Eine etwaige Verkennung oder Fehleinschätzung der Situation muß zu Lasten des Handelnden gehen, nicht zu Lasten des in seinen Rechten Beeinträchtigten. Oftmals wird jedoch noch die Finalität als eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen eines Eingriffs verstanden 27. Dem steht indessen entgegen, daß alleine die im Subjektiven angesiedelte Finalität die auf der objektiven Tatbestandsebene zu verortende Zurechenbarkeit weder begründen noch ersetzen kann. Die psychische Haltung, die der Handelnde dem Beeinträchtigungserfolg gegenüber einnimmt, ob dieser erwünscht, gewollt oder bezweckt ist bzw. sonst final herbeigeführt werden soll, spielt auf der objektiven Ebene keine Rolle und vermag zur Beantwortung der objektiven Zurechnungsfrage nichts beizutragen. Ist die Zurechenbarkeit nach objektiven Maßstäben gegeben, so darf er sich seiner daraus ergebenden Verantwortung nicht deshalb entziehen können, weil der Eingriff subjektiv vielleicht nicht gewollt war. Fehlt hingegen aus objektiver Sicht die Zurechenbarkeit, so kann sie nicht durch eine subjektive Finalität er24

Vgl. hierzu Roth., Faktische Eingriffe, S. 34 ff. Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 347, 359; Friauf DVBl. 1971, 681. 26 Vgl. Gusy, NJW 2000, 983; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1036; Ramsauer, VerwArch 1981, 98; Roth, Faktische Eingriffe, S. 39; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 181 f.; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, § 78 III 3 b, S. 179; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 90. 27 Vgl. BVerwGE 69, 366, 372; 75, 109, 115; Bleckmann/Eckhoff DVBl. 1988, 377; Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 196, 231; Gusy, NJW 2000, 983; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, § 78 III 3 e, S. 189 f. 25

7 0 8 G .

Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

setzt werden. Denn Erfolge, die objektiv keinen Eingriff darstellen, dürfen auch gezielt herbeigeführt werden, ohne daß sie allein durch diese Finalität zum Eing r i f f würden. So ist etwa im Strafrecht anerkannt, daß selbst ein Handeln mit dolus directus (Absicht) den Handelnden nicht zu einem strafrechtlich wegen eines vollendeten Erfolgsdeliktes verantwortlichen Täter macht, wenn der von ihm angestrebte Erfolg zwar eintritt, ihm aber objektiv nicht zurechenbar ist 28 . Die Verknüpfung des tatsächlichen Erfolgseintritts mit dem Willen des Handelnden ist solchenfalls nämlich mangels objektiver Zurechenbarkeit rein zufällig 29; es fehlt zwar nicht an der Erfüllung des subjektiven, wohl aber an der des objektiven Tatbestandes zur Bejahung einer Tatvollendung30. Zwar wird in derartigen Fällen vielfach ein untauglicher Versuch vorliegen 31, der dann nach §§ 22, 23 Abs. 3 StGB strafbar ist 32 . Diese Strafbarkeit beruht indes gerade nicht auf einer Art fingierter Zurechenbarkeit des nun einmal objektiv nicht zurechenbaren Erfolges, sondern auf dem strafrechtlichen Unwerturteil über den betätigten rechtsfeindlichen Willen 33 . I m Bereich des öffentlichen Rechts könnte dementsprechend die auf die Herbeiführung eines Beeinträchtigungserfolges gerichtete „Finalität" des (hoheitlichen) Handelns nur dann für sich allein die Verantwortlichkeit des Handelnden begründen, wenn man hier quasi einen „untauglichen Versuch" annehmen und schon gegen einen solchen Abwehransprüche geben wollte. D a „untaugliche Versuche" jedoch primär in einem i m Subjektiven verankerten Unwerturteil über den betätigten rechtsfeindlichen W i l l e n fundiert und nicht in erster Linie mit der ex post bewerteten objektiven Gefährlichkeit der Handlung zu begründen sind, bräche ein solcher Ansatz mit der das öffentliche Recht sonst kennzeichnenden Irrelevanz subjektiver Tatbestände 34 . Außerhalb des Strafrechts soll das öffentliche Recht nicht einen bösen W i l l e n der Handelnden sanktionieren 3 5 , sondern die Rechtssphären verschiedener Rechtssubjekte zueinander ord28 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 604 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 517; Rudolphe in SK StGB, § 22 (20. Lfg. 1993) Rn. 22; Schroeder, in LK StGB, § 16 Rn. 27, 29; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 196. 29 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 605; femer Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 196. 30 Rudolphi, in SK StGB, § 22 (20. Lfg. 1993) Rn. 22. 31 Schroeder, in LK StGB, § 16 Rn. 27. 32 Zum untauglichen Versuch etwa Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 22 Rn. 60 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 22 Rn. 12 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 619 f. 33 Zum Strafgrund des untauglichen Versuch vgl. etwa Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 22 Rn. 62 ff.; Lackner/Kühl, StGB, § 22 Rn. 11 f.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 594, 620. 34 Vgl. zum Grundrechtsbereich Roth, Faktische Eingriffe, S. 199 ff. m.w.N.; zum Polizeirecht Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 307, 311; Schenke, Polizei· und Ordnungsrecht, Rn. 146, 154, 157: Polizeipflichtigkeit ist unabhängig von Vorsatz und Fahrlässigkeit oder Verschulden des Störers. 35 Dies gilt übrigens auch für die Ansicht, die für den sogenannten Zweckveranlasser eine Ausnahme von der grundsätzlichen Irrelevanz subjektiver Tatbestände im Polizei-

I. Der Organrechtseingriff

709

nen und abgrenzen. Außerdem sind Inhaber subjektiver Rechte gegen objektiv untaugliche Versuche einer Beeinträchtigung nicht (polizeilich) schutzbedürft i g 3 6 , mag das Strafrecht auch unter Umständen ein kriminalpolitisches Bedürfnis zur Ahndung eines - wenngleich in objektiv ungefährlicher Weise betätigten - rechtsfeindlichen Willens bejahen. Namentlich Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts haben kein schutzwürdiges Interesse daran, andere Organe und Organteile allein wegen deren Intentionen rechtlich belangen zu können, wenn diese Absichten infolge fehlender Zurechenbarkeit objektiv ins Leere gehen. Sofern Finalität vorliegt, mag ihr eine gewisse Indizwirkung zukommen und allerdings die besonders sorgfältige Prüfung des Vorliegens eines Eingriffs nahelegen. Führt diese Prüfung jedoch zum Ergebnis, daß nach den objektiven Maßstäben kein zurechenbarer Erfolg verursacht worden ist, so hat es damit sein Bewenden.

(2) Unmittelbarkeit Vielfach w i r d als Zurechnungskriterium die Unmittelbarkeit

des Eingriffs

herangezogen 37 . Hiergegen spricht jedoch schon die Unbestimmtheit dieses Kriteriums 3 8 . Da nämlich Handlungen nicht selten erst über zahlreiche Z w i -

recht annimmt, nämlich auf dessen Absicht bzw. die subjektive Erkennbarkeit auf seiner Seite abstellen will (Friauf in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 2. Abschn. Rn. 80b; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 157 m.w.N.). Die vermeintliche Notwendigkeit, auf solche subjektive Kriterien zurückzugreifen, obschon „das Abheben auf subjektive Merkmale im Polizeirecht einen Fremdkörper darstellt" (Schenke, ebd., Rn. 157), beruht indessen einzig auf der Unsicherheit hinsichtlich der genauen Bestimmung der Figur der Zweckveranlassung und würde entfallen, wenn man auch hier mit dem Kriterium der Gefahrschaffungsgefahr (dazu unten G.I.3.c.bb und ausführlich Roth, Faktische Eingriffe, S. 304 ff.) arbeitete. Jedenfalls aber wird bezeichnenderweise auch von diesem subjektiven Zweckveranlassungsansatz keineswegs behauptet, alleine seine Absicht könne jemanden zum Zweckveranlasser machen; vielmehr wird dieses subjektive Element als einschränkende Voraussetzung verstanden, die im Interesse eines Schutzes vor einer zu weit ausgreifenden Polizeipflichtigkeit zusätzlich zu der objektiven Gefahrveranlassung hinzukommen muß. Folglich lassen sich aber diese subjektiven Theorien der Zweckveranlassung nicht als Beleg dafür anführen, daß im öffentlichen Recht möglicherweise allein die Finalität eines Verhaltens die Zurechenbarkeit der erwünschten Folgen begründen könne. 36 Roth, Faktische Eingriffe, S. 199 ff. 37 Vgl. Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 13, § 26 Rn. 93; Papier, in Maunz/Dürig, GG, Art. 34 (34. Lfg. 1998) Rn. 37; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 61 II. 38 Vgl. Bleckmann/Eckhoff DVBl. 1988, 375; Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 211 f.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 24, 89 Fn. 145; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 249 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 35 f.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 181; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, § 78 III 1 b γ, S. 146 ff.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 88.

7 1 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten schenursachen zum Erfolg führen, kommt keine Zurechnungstheorie ohne eine Wertung aus, welche dieser Zwischenglieder als relevant oder irrelevant anzusehen sein sollen, eine Wertung, die das Unmittelbarkeitskriterium nicht nur nicht leistet39, sondern geradezu verbaut, indem es die Gefahr fruchtloser begriffsjuristischer Debatten über die Bedeutung der „Unmittelbarkeit" heraufbeschwört. Das BVerwG hat daher sehr treffend festgestellt, daß „das Begriffspaar 'unmittelbar - mittelbar' ... kaum geeignet [ist], zu einer praktikablen und ... berechenbaren Abgrenzung beizutragen" 40. Dazu kommt, daß das Unmittelbarkeitskriterium, wenn es denn ernst genommen würde, dogmatisch nicht zu begründen ist 41 . Es würde nämlich implizieren, daß bei sämtlichen psychisch vermittelten Kausalverläufen die Bejahung eines Eingriffs notwendig ausgeschlossen wäre, weil es ja angesichts des zwischengeschalteten Kausalmittlers immer an der Unmittelbarkeit der Kausalbeziehung fehlt. Indessen läßt sich nicht nachweisen, daß der Schutz der subjektiven Rechte durch ein formales Kriterium der Unmittelbarkeit begrenzt sein und zwingend enden sollte, sobald am Kausalverlauf noch weitere Personen beteiligt sind. Tatsächlich wird ein solches Ergebnis auch von den Befürwortern des Unmittelbarkeitskriteriums keineswegs gutgeheißen, was jedoch lediglich dessen Leerformelhafiigkeit belegt.

(3) Adäquanztheorie Ursprünglich für den Bereich des Strafrechts entwickelt 42 , hat die Adäquanztheorie vor allem im Zivilrecht Fuß gefaßt 43, und in Anlehnung an diese zivilrechtlichen Vorbilder wiederum werden auch im Bereich des öffentlichen Rechts Zurechnungsfragen verschiedentlich nach der Adäquanzformel beurteilt 44 . Als adäquat kausal und damit zurechenbar werden danach diejenigen Abläufe verstanden, die, „gemäß den allgemeinen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft, generell geeignet" sind, den betreffenden Erfolg herbeizufüh39

Den Unmittelbarkeitsbegriff als „rechtlichen Wertungsbegriff 4 zu benutzen (so VerfG MV, DÖV 1999, 643; vgl. Maurer, AllgVerwR, § 26 Rn. 93), offenbart daher nur die Untauglichkeit dieses Begriffs. 40 BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981. 41 Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 209, 213; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 89 f. Fn. 145; Ramsauer, VerwArch 1981, 95 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 36 f. 42 Grundlegend v. Kries, ZStW 9 (1889), 532. 43 BGHZ 3, 261, 267; 7, 198, 205 f.; 57, 137, 141; BGH, VersR 1998, 1410, 1411; Ρ alandt/Heinrichs, BGB, vor §249 Rn. 59; Staudinger/Schiemann, BGB, §249 Rn. 12 ff. 44 Vgl. Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 105; Papier, in Maunz/Dürig, GG, Art. 34 (34. Lfg. 1998) Rn. 212; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 171.

I. Der Organrechtseingriff

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ren 45 . Ein adäquater Zusammenhang liegt mit anderen Worten vor, „wenn eine Handlung oder Unterlassung im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des eingetretenen Erfolgs geeignet gewesen ist" 46 . Die Adäquanztheorie greift indessen einerseits zu weit, andererseits aber auch zu kurz. Zu weit ist die Adäquanzformel zunächst deshalb, weil es zahlreiche Kausalabläufe gibt, die erfahrungsgemäß durchaus zu bestimmten Ergebnissen führen können, ohne daß man deshalb schon den Handelnden dafür verantwortlich machen könnte47. Die Typizität des Kausalverlaufs kann als solches nicht genügen, erforderlich ist vielmehr eine besondere Qualität der Handlung, die nicht in einem bloßen Wahrscheinlichkeitsmaßstab liegen kann, sondern eine rechtlich wertende Mißbilligung beinhalten muß. Insofern besteht heute Konsens, daß die Adäquanztheorie allenfalls eine erste objektive Zurechnungsschranke sein kann, die durch weitere Kriterien zu ergänzen ist 48 . Vom Ergebnis her noch problematischer ist aber vor allem die von der Adäquanztheorie vollzogene Beschränkung auf typische, und die damit verbundene generelle Ausklammerung atypischer Kausalverläufe. Zunächst bleibt das Maß an Wahrscheinlichkeit, welches für die Annahme eines „typischen" Geschehensablaufs vorauszusetzen ist, ganz dunkel, und von daher ist die Adäquanztheorie von vornherein gerade in dem für sie zentralen Merkmal mit einer großen Unsicherheit verbunden 49. Zudem hängt das nach der Adäquanztheorie maßgebliche Wahrscheinlichkeitsurteil logisch notwendig davon ab, auf der Basis welcher Sachverhaltsumstände dasselbe abgegeben wird 50 : Die Erfolgswahrscheinlichkeit, die man einer Handlung beimißt, ist nämlich stets ein auf einen bestimmten Satz von Sachverhaltsumständen bezogen, d.h. man fragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit die betreffende Handlung unter den und jenen Umständen den relevanten Erfolg herbeizuführen geeignet war. Das logische Dilemma ist nun, daß, wenn man zur Beurteilung der Adäquanz des Erfolgsein45

v. Kries, ZStW 9 (1889), 532. RGZ 133, 126, 127 (st. Rspr.); BGHZ 3, 261, 267; 57, 137, 141 (st. Rspr.); Palandt/Heinrichs, BGB, vor § 249 Rn. 59. 47 Vgl. Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 155 f. 48 Vgl. BGHZ 57, 137, 142; 100, 335, 338; Palandt/Heinrichs, BGB, vor §249 Rn. 61 ; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn. 19. 49 Vgl. Engisch, Kausalität, S. 44. Das konzedierte auch v. Kries, ZStW 9 (1889), 533, der selbst darauf hinwies, daß die Adäquanzformel keine eindeutige Abgrenzung zwischen zuzurechnenden und nicht zuzurechnenden Erfolgen ermögliche, sondern daß in dem Kontinuum der Wahrscheinlichkeitsgrade eine „einigermaßen willkürliche und auch begrifflich nicht scharf zu definierende Grenzziehung" unter Rückgriff auf das Rechtsgefühl erforderlich sei. 50 Vgl. hierzu Engisch, Kausalität, S. 42 f. 46

7 1 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten tritts in einem konkreten Fall in exakt derselben Weise sämtliche Sachverhaltsumstände dieses Falles zugrunde legt, die Wahrscheinlichkeit 100% betragen muß, weil sich unter der Gesamtheit aller identischen Bedingungen stets derselbe Erfolg einstellen muß. Ein anderes Ergebnis läßt sich überhaupt nur denken, wenn man aus dem realen Geschehen bestimmte Einzelheiten ausblendet. Denn allein dadurch läßt sich jene Offenheit des Kausalverlaufes erzeugen, unter der die Frage nach der „Wahrscheinlichkeit" des Erfolgseintritts überhaupt sinnvoll gestellt werden kann. Je nachdem aber, welche Details hierbei in die Betrachtung eingestellt bzw. aus ihr eliminiert werden, muß sich indes das Wahrscheinlichkeitsurteil ändern 51. Da nun die Adäquanztheorie keine Maßstäbe für diese ergebnisbestimmende Sachverhaltsauswahl und -elimination zur Verfügung stellt, beruht das von ihr für maßgeblich deklarierte Wahrscheinlichkeitsurteil letztlich auf einer völlig willkürlichen Beurteilungsbasis. Schließlich geht es auch fehl, die Zurechnungsfrage überhaupt im Wege der Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten beantworten zu wollen 52 . Es ist nämlich normativ keineswegs einsichtig, weshalb der Handelnde sein Ziel eigentlich nicht auch auf ungewöhnliche Weise erreichen und trotzdem dafür verantwortlich sein können soll. Daß ein Kausalverlauf atypisch ist, bedeutet lediglich, daß im Zeitpunkt der Handlung angesichts einer ex ante beschränkten Sachverhaltskenntnis nur eine mehr oder minder geringe Wahrscheinlichkeit bestand, daß der Erfolg eintreten wird. Ausgeschlossen war der Erfolgseintritt aber eben nicht, und wenn der Erfolg trotz ex ante gering erscheinender Wahrscheinlichkeit eintritt, so gibt es keinen Grund, den Handelnden durch Verneinung der Zurechenbarkeit pauschal aus jeder Verantwortlichkeit zu entlassen53.

(4) Relevanz- und Normzwecktheorien Angesichts der gegen die gängigen Formeln zu erhebenden Einwände sowie der ohnehin unvermeidlichen Notwendigkeit normativer Wertungen bei der Zurechenbarkeit wurden die in unterschiedlichen Formulierungen vertretenen Relevanz· bzw. Normzwecktheorien entwickelt. Diese wollen die erforderliche Einschränkung der Zurechnung nach dem Sinn der als verletzt in Frage stehenden Rechtsnorm und die Eingrenzung innerhalb der sämtlichen Kausalbedingungen danach vornehmen, welche Handlungen gemäß dem Schutzzweck der Rechtsnorm erfaßt sein müssen54. Zwar weisen diese Theorien die Schwäche 51

Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 157 f. Vgl. Rudolphe in SK StGB, vor § 1 (Lfg. 1990) Rn. 55. 53 Vgl. RGZ 13, 60, 66; Engisch, Kausalität, S. 45; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 154 f.; Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 42; Roth, Faktische Eingriffe, S. 150 ff. 54 Vgl. Huber, JZ 1969, 677 ff.; Ramsauer, VerwArch 1981, 102; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn. 27 ff. 52

I. Der Organrechtseingriff

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auf, daß das bloße unspezifizierte Abstellen auf den Normzweck immer die Gefahr beinhaltet, daß der Interpret ohne nähere Begründung einfach sein rechtspolitisches Dafürhalten als Gesetzeszweck ausgeben kann 55 . Dies stellt freilich eine bei der teleologischen Auslegung generell bestehende Schwäche dar und ist deshalb als solches noch kein Einwand gegen Normzwecktheorien. Sie sind auch nicht als per se unrichtig abzulehnen. Im Gegenteil sprechen sie nachgerade eine Selbstverständlichkeit aus, da jede Gesetzesanwendung letztlich immer den Normzweck verwirklichen muß 56 . In eben dieser Selbstverständlichkeit liegt aber das Problem. Normzweck,,theorien" weisen lediglich auf die selbstverständliche Fragestellung hin, erklären aber nichts und geben aufgrund ihres unspezifischen Inhalts weder selbst auch nur ansatzweise eine Antwort auf die Frage noch erleichtern sie wenigstens die Rechtsanwendung. Bei den sogenannten Normzweck,,theorien" handelt es sich daher bei richtiger Betrachtung überhaupt nicht um „Theorien", sondern um eine zwar zutreffende, jedoch auf recht allgemeiner Stufe stehenbleibende Problembenennung 57. Die richtige Erkenntnis der Bedeutung des Normzwecks entbindet daher nicht von der Pflicht, nach spezifischeren Kriterien zu suchen58, die, wenn sie auch gewiß nie gleichsam automatisch eine Lösung liefern können, doch zumindest den Untersuchungsweg strukturieren und das Augenmerk auf die wesentlichen zu beachtenden Punkte lenken können. Die Notwendigkeit, letztlich immer auf den Normzweck zu rekurrieren, befreit nicht von der Verpflichtung, die Auslegungszweifel durch ein klares Herausarbeiten der relevanten Gesichtspunkte nach Möglichkeit zu reduzieren. Deshalb ist jede Präzisierung der Fragestellung, welche die Untersuchung auf spezifischere relevante Zurechnungsgesichtspunkte zu lenken geeignet ist, ein methodischer Fortschritt, auch wenn es gewiß vermessen und falsch wäre, anzunehmen, damit seien die zahlreichen schwierigen Auslegungsund Wertungsprobleme bereits gelöst.

55 Vgl. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 82 ff; Roth, Faktische Eingriffe, S. 43 f. 56 Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn. 27. Zum Rang der teleologischen Auslegung allgemein Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 553 ff; Engisch, Einführung, S. 98 ff; Larenz, Methodenlehre, S. 343 ff; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 160 ff, 192 ff; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 II, VI. 57 Zu dieser Schwäche aller „Schutzzwecklehren" oben F.1.2. 58 Vgl. Frisch,, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 84; Jescheck, in LK StGB, vor § 13 Rn. 63; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 286.

714

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten cc) Die Lehre von der objektiven Zurechnung

In Einklang mit der im Strafrecht bei allen unvermeidlichen Differenzen im Detail mittlerweile nahezu allgemein anerkannten 59 und auch im Zivilrecht zusehends Raum gewinnenden Lehre 60 sind auch im öffentlichen Recht Zurechnungsfragen grundsätzlich nach der Lehre von der objektiven Zurechnung zu beurteilen 61. Diese entstand aus einer Verknüpfung und Fortentwicklung von Adäquanz- und Relevanz- sowie Normzwecktheorien 62, indem sie den zutreffenden Grundgedanken der Adäquanztheorie, daß im Kern der Zurechnung immer die Schaffung oder Vermehrung der Möglichkeit eines Beeinträchtigungserfolges liegt 63 , mit dem von der Adäquanztheorie nicht scharf erfaßten Gedanken der schutzzweckbezogenen rechtlichen Relevanz der Handlung verbindet.

(1) Gefahrschaffung und Gefahrverwirklichung als die zentralen Zurechnungskriterien Nach der Lehre von der objektiven Zurechnung ist ein Beeinträchtigungserfolg einer Handlung genau dann zuzurechnen, wenn diese Handlung eine rechtlich relevante Gefahr für das von der Rechtsnorm geschützte Rechtsgut geschaffen und sich eben diese Gefahr in dem konkreten Erfolg verwirklicht hat 64 . Die Gefahrschaffung als Handlungselement und - bei vollendeten Eingriffen 65 die Gefahrverwirklichung als Erfolgselement sind, bildhaft gesprochen, die beiden Brückenköpfe, zwischen denen sich die Zurechnungsbrücke von der Hand59

Umfassend Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 ff, 518 ff; ders., Straftat und Straftatsystem, S. 167 ff; femer Burkhardt, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 99 ff; Jescheck, in LK StGB, vor § 13 Rn. 64; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 286 f.; Lackner/Kühl, StGB, vor § 13 Rn. 14; Lenckner, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 92; Puppe, in NKStGB, vor § 13 (5. Lfg. 1998) Rn. 142 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 42 ff; Rudolphi, in SK StGB, vor § 1 (Lfg. 1990) Rn. 57; Tröndle/ Fischer, StGB, vor § 13 Rn. 17; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 179; vgl. auch BGHSt 36, 1, 11; BGHR, StGB vor § 1/Kausalität, Zurechenbarkeit 2 („Gefahrverwirklichungszusammenhang"). 60 Eingehend Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 233 ff; femer Soergel/Mertens, BGB, vor § 249 Rn. 125; Soergel/Wolf BGB, § 276 Rn. 23; Wolf, WissR 1970, 207 f.; BGHZ 100, 335, 338; 101, 215, 218 ff; OLG Köln, NJW-RR 1990, 669. 61 Eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 129 ff. 62 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 286. 63 Vgl. v. Kries, ZStW 9 (1889), 532; femer Engisch, Kausalität, S. 46 f , 63; Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 31 f.; Rudolphi, in SK StGB, vor § 1 (Lfg. 1990) Rn. 54. Zu den Kriterien der Gefahrschaffiing und Gefahrverwirklichung näher Engisch, Kausalität, S. 63 ff; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 233 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 129 ff; Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rn. 47 ff. 65 Zu den nicht vollendeten Eingriffen näher Roth, Faktische Eingriffe, S. 206 ff.

I. Der Organrechtseingriff

71

lung zum Erfolg spannt. Diese Zurechnungslehre ist deshalb auf alle Erfolgstatbestände anwendbar - bei reinen Handlungstatbeständen, bei denen alleine die Handlung schon die Rechtsfolge auslöst, stellt sich die Problematik einer Erfolgszurechnung von vornherein nicht - , weil alle Rechtssubjekte ohnehin immer nur das ihnen Mögliche tun können, damit in Konsequenz des Getanen aufgrund des damit angestoßenen Kausalverlaufs das Ergebnis eintrete 66: Eine völlige Sicherheit des Erfolgseintritts besteht nie, da niemand einen einmal begonnenen Kausalverlauf vollkommen beherrschen kann 67 . Das heißt aber mit anderen Worten, daß die Herbeiführung eines Erfolges immer nur so verstanden werden kann, daß Handlungen vorgenommen werden, die eine mehr oder minder große Wahrscheinlichkeit in sich tragen, daß der Erfolg eintreten werde. Aus der Sicht des betroffenen Rechtes stellt sich diese Wahrscheinlichkeit als eine Gefahr (ein Risiko) dar. Das Handlungselement bei Erfolgstatbeständen im Sinne einer solchen Gefahrschaffung zu verstehen, wird deshalb durch den Schutzzweck der betroffenen Rechtsnorm indiziert. Denn da, wie gesagt, menschliche wie staatliche Macht ohnehin keinen jenseits der Handlung an sich liegenden Erfolg mit absoluter Sicherheit herbeizuführen vermag, ist es sinnvoll, wenn Rechtsnormen bereits die diesbezügliche Gefahrschaffung tatbestandlich erfassen und sie als Eingriff betrachten, der sich einer Rechtfertigungsprüfung unterziehen lassen muß und im Falle seiner Rechtswidrigkeit etwaige Abwehransprüche auszulösen vermag.

(2) Die rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung Nun wurde gesagt, die Gefahrschaffung müsse rechtlich relevant sein. Dieser Einschränkung bedarf es gerade im Hinblick auf die bereits erwähnte Problematik psychisch vermittelter Kausalität bei in den Kausal verlauf eingeschalteten Entscheidungen und Handlungen des Beeinträchtigten oder eines Dritten. Jede Handlung, die überhaupt eine Reaktion anderer hervorzurufen geeignet ist, schafft eine - wenn auch vielleicht kleine - Gefahr in Richtung auf eine derartige Reaktion68, und wenn nicht alles daraus Entstehende dem zuerst Handelnden zugerechnet werden soll, dann bedarf es einer wertenden Einschränkung, indem nach der rechtlichen Relevanz der Gefahrschaffung gefragt wird. Die Bestimmung der rechtlichen Relevanz einer Gefahrschaffung beinhaltet das zentrale Wertungselement bei der Lehre von der objektiven Zurechnung. Denn während Gefahrschaffung und Gefahrverwirklichung im wesentlichen nur eine Betrach66

Roth, Faktische Eingriffe, S. 130; vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 234; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1036; Zippelius, Erfolgsunrecht und Handlungsunrecht, in: Recht und Gerechtigkeit, S. 356 f.; ders., Die Rechtswidrigkeit von Handlung und Erfolg, ebd., S. 362 ff. 67 Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 153 f.; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1036. 68 Vgl. Wolf JuS 1968, 80; ders., WissR 1970, 207 f.

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

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tung des Sachverhaltes erfordern, läßt sich über deren rechtliche Relevanz nicht durch Betrachtung, sondern nur durch normativ wertende Dezision urteilen. Dementsprechend stellt die Angabe, was als solchermaßen rechtlich relevant anzusehen ist, die eigentliche Aufgabe dar. Daß die rechtliche Relevanz einer Gefahrschafifung nicht ohne Rücksicht auf den Schutzzweck der betreffenden Rechtsnorm bestimmt werden kann, versteht sich. Fraglich ist nur, worin dieser Schutzzweck besteht und ob es möglich ist, diesbezüglich präzisere Grundsätze anzugeben als eine i m Allgemeinen verbleibende Normzwecktheorie. Zunächst liegt wiederum ein Blick auf das Strafrecht nahe, wo die rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung im Sinne einer Rechtsnormwidrigkeit 69 herausgearbeitet worden ist: „Objektiv rechtsnormwidrig kann sich ein Mensch nur verhalten durch Unterlassung einer Handlung, deren Vornahme, oder durch Vornahme einer Handlung, deren Unterlassung zu dem ihm in einer Rechtsnorm gesetzten Zweck (einen Erfolg gewisser Art zu verursachen oder nicht zu verursachen) gleichzeitig vom Standpunkt abstrakt menschlicher Erkenntnis erforderlich erscheint . Dies basiert auf der Überlegung, daß Strafrechtsnormen den potentiellen Täter abhalten sollen, strafrechtlich relevante Handlungsweisen an den Tag zu legen, die zu einer Verletzung des Opfers führen können. Da aber eben diese intendierte Verhaltenssteuerung ins Leere läuft, wenn die Gefährdung ex ante nicht erkennbar ist 71 , läßt sich hören, die rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung im Interesse der Einwirkung auf die Motivationslage der Adressaten der Strafrechtsnormen verhaltensbezogen zu definieren und in den objektiven Tatbestand hineinzuziehen, statt sie erst im Rahmen des subjektiven Tatbestandes bei der Vorsatz- bzw. Fahrlässigkeitsprüfung zu erörtern. Die Fragestellung lautet dann präzise, ob dem Täter unter den gegebenen Umständen durch das strafrechtliche Verbot untersagt war, die betreffende Gefahr zu schaffen 72, oder, anders formuliert, ob er rechtlich verpflichtet war, die durch sein Handeln eröffnete Möglichkeit des Erfolgseintritts in Rechnung zu stellen und um der Vermeidung dieses Erfolges willen seine Handlungsweise notfalls zu ändern73. Eine vergleichbare Erwägung würde sich auch bei Schadensersatzbestimmungen anbieten, weil es gleichfalls unbillig erschiene, Schadensersatzpflichten für ein Handeln aufzuerlegen, dessen Gefährlichkeit ex ante nicht zu erkennen war. Man muß sich dabei freilich vergegenwärtigen, daß die ohnehin schon wertende Zurechnungsprüfung um ein weiteres normatives Element angereichert wird, wenn zusätzlich gefragt wird, ob die Handlung auch gegen ex ante postulierte Verhaltensge- oder -verböte verstoßen hat. Jedenfalls läßt sich dieser Ansatz ebenso wenig auf die hier interessierenden Organrechtseingriffe übertragen wie auf die Grundrechtseingriffe. Der B G H hat sehr treffend herausgestellt, daß alle Zurechnungsformeln eine Grenze bestimmen sollen, „bis zu der dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden k a n n " 7 4 . Die Zurechnungs69

Grundlegend Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 22 ff. Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 28; zustimmend Engisch, Kausalität, S. 52. 71 Vgl. Engisch, Kausalität, S. 55; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 74 ff, 358 ff; Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 23 f. 72 Müller, Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges, S. 37. 73 Rudolph^ in SK StGB, vor § 1 (Lfg. 1990) Rn. 55. 74 BGHZ 3, 261, 267. 70

I. Der Organrechtseingriff

71

frage ist also keine ausschließliche Frage der Logik, sondern vor allem auch eine Frage wertender Billigkeit. Daraus ergibt sich aber, daß die Zurechnungsbewertung (auch) davon abhängen muß, welche Folgen den Urheber im Falle der Bejahung der Zurechenbarkeit treffen können. Denn je nach Art und Ausmaß dieser Folgen muß die Frage, was ihm „billigerweise" - oder besser: gerechterweise - aufgebürdet werden kann, differenzierend beantwortet werden. Der Zurechnungsbegriff kann daher nicht ohne Rücksicht auf den jeweiligen Kontext und die darin vorherrschenden Interessen entwickelt werden 75. Infolge der notwendigen Schutzzweckbezogenheit der rechtlichen Relevanz der Gefahrschaffung ist es also durchaus denkbar, daß die Relevanzkriterien nicht fur alle Rechtsgebiete und Handlungskontexte identisch sind. Nun ist es gewiß richtig, niemanden zu bestrafen, und es ist auch im allgemeinen überzeugend, niemandem Schadensersatzpflichten aufzuerlegen, der die Gefahrschaffung ex ante nicht erkennen und deshalb dem normativen Verhaltensbefehl nicht gehorchen konnte 76 . Indes zeigt schon das Institut der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung, daß selbst bei Schadensersatzansprüchen die ex ante-Vermeidbarkeit nicht zwingend Voraussetzung der Zurechenbarkeit sein, sondern der Aspekt der Verhaltenssteuerung durch das Anliegen einer gerechten Schadenszuweisung überlagert werden kann 77 . Denn die Schadensersatzpflicht bei der Gefährdungshaftung wird nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen Verhaltenspflichten auferlegt, sondern im Interesse eines durch die Gerechtigkeit gebotenen Schadensausgleichs, und obschon hier keine verhaltensbezogen-mißbilligte Gefahrschaffung vorliegt, ist doch die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges zur Handlung offenkundig gegeben. Deshalb ist es im Interesse der Einheitlichkeit der dogmatischen Konstruktion selbst für die Verschuldenshaftungstatbestände überzeugender, die Gefahrschaffung ex post zu beurteilen, und deren ex ante möglicherweise fehlende Erkennbarkeit im subjektiven Tatbestand bzw. auf der Schuldebene zu berücksichtigen 78. Jedenfalls bei Integritätsrechten, denen es weder um eine Bestrafung des Täters noch um die Belastung des Verletzers mit Schadensersatzpflichten geht, sondern lediglich um die Bewahrung der Integrität von Rechtsgütern 79, wäre eine Beschränkung der Zurechenbarkeit durch das zusätzliche Erfordernis einer ex ante-Erkennbarkeit der Verhaltenspflicht unangebracht. Allerdings kommt auch Integritätsrechten eine Verhaltenssteuerungsfunktion zu, insoweit sie durch das glaubhafte Inaussichtstellen sekundärer Abwehransprüche gewiß in 75

Vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 18. Vgl. Huber, JZ 1969, 678 ff. 77 Vgl. BGHZ 3, 261, 266; Roth, Faktische Eingriffe, S. 140. 78 Burkhardt, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 139; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 239; Roth,, Faktische Eingriffe, S. 139 ff. 79 Zum Begriff der Integritätsrechte näher Roth, Faktische Eingriffe, S. 79 ff. 76

7 1 G .

Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

erster Linie darauf abzielen, daß die Integrität des geschützten Rechtes erst gar nicht beeinträchtigt werde. Aber sie erschöpfen sich nicht darin, und sie gewinnen daher nicht nur Bedeutung, wenn die Verhaltenssteuerung aufgrund der individuellen Disposition des handelnden Rechtssubjektes fehlschlug, sondern auch dann, wenn sie aufgrund ex ante nicht erkennbarer Umstände ins Leere laufen mußte. Es gibt nämlich keinen Grund, fortdauernde Integritätseinbußen hinzunehmen, nur weil die Gefahr für das Rechtsgut ex ante nicht erkannt wurde oder erkannt werden konnte 80 . Bei Integritätsrechten besteht für einen solchen Schutz des Verpflichteten kein Grund. Dieser wird hier nur in die Schranken seiner Rechte verwiesen, nicht obendrein mit Strafe oder Schadensersatzpflichten belastet, und deshalb kann er nicht erwarten, daß zu seinen Gunsten lediglich der Kenntnisstand ex ante berücksichtigt werde. Vielmehr ist zum Zwecke des Schutzes des Beeinträchtigten gegen Integritätseinbußen ein weitestmögliches Verständnis der Gefahrrelevanz angezeigt. Die Sicherung und gegebenenfalls Wiederherstellung der Rechtsintegrität tritt hier als selbständiger Faktor neben die Verhaltenssteuerung, und deshalb verbietet sich bei Rechtsnormen, die ihrem Wesen nach Integritätsrechte gewähren, jede Einschränkung der Gefahrrelevanz unter dem Gesichtspunkt der ex ante-Tauglichkeit zur Verhaltenssteuerung. Daß die rechtliche Relevanz einer Gefahrschaflfung nicht mit dem Argument verneint werden kann, sie sei ex ante nicht erkennbar oder, mit anderen Worten, die Rechtsbeeinträchtigung sei nicht vorhersehbar gewesen, nimmt zwar die Tragweite des Relevanzkriteriums bei Organrechtseingriffen merklich zurück. Das bedeutet aber nicht, daß das Relevanzkriterium damit seine Bedeutung verlöre und aufgegeben werden könnte. Tatsächlich verbleibt eine auch praktisch durchaus bedeutsame Einschränkung, die sich in allgemeiner Form aus dem Schutzzweck aller Integritätsrechte ableiten läßt. Allgemein kann nämlich gesagt werden, daß Rechtsgüter immer nur gegen zwangsweise und unfreie Beeinträchtigungen geschützt werden müssen, weil der Rechtsinhaber sich gegen frei erlittene Einbußen an seinen Rechtsgütern selbst schützen kann. Subjektive Rechte abwehrrechtlichen Charakters sollen keinen Schutz des Berechtigten gegen sich selbst begründen, vorliegend also keinen Schutz der Kompetenzen gegen das Organ selbst. Deshalb ist alles, was ein Rechtsinhaber freiwillig selbst zu seinem Nachteil tut, insbesondere also auch - soweit rechtlich überhaupt zulässig81 - ein freiwilliger Verzicht auf die Ausübung und Geltendmachung seiner Rechte, vom Schutzzweck der subjektivrechtlichen Normen von vornherein nicht erfaßt. Das heißt wohlgemerkt nicht, daß umgekehrt stets ein durchgreifender Schutz gegen unfreie Beeinträchtigungen bestünde: denn der 80 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 85, 141 ff., 203 f.; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, §78 III 1,S. 152 f. 81 Zum Problem verfügbarer und unverfügbarer Organrechte vgl. unten H.III.3.

I. Der Organrechtseingriff

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Eingriff mag ja im Endergebnis gerechtfertigt sein. Wohl aber führt dies dazu, alle Gefahrschaffungen als rechtlich relevant zu erachten, die die Gefahr unfreier Einbußen an geschützten Rechtsgütern beinhalten. Liegt eine derartige Gefahrschaffung vor, so ist sie einer Rechtfertigungsprüfung zu unterziehen 82. Hat sie davor Bestand, so muß der Betroffene die Gefahr und die sich daraus etwa verwirklichende Beeinträchtigung als einen rechtmäßigen Eingriff hinnehmen. Erweist sich die Gefahrschaffung aber als rechtswidrig, so muß der in seinen Rechten Gefährdete oder gar schon Verletzte sie nicht hinnehmen; es liegt ein rechtswidriger Eingriff vor, dem der Rechtsinhaber mit den ihm zu Gebote stehenden sekundären respektive tertiären Hilfsansprüchen entgegentreten kann 83 . Die danach entscheidende Frage, wann eine bei normativer Betrachtung relevante Gefahr geschaffen ist, eine Beeinträchtigung eines subjektiven Organrechts zu erleiden, soll an dieser Stelle nicht in allgemeiner Form vertieft werden. Vielmehr ist diesbezüglich auf die Erörterung der verschiedenen Eingriffskonstellationen zu verweisen, da sich das Gesagte an konkreten Fällen besser veranschaulichen läßt. Nur auf ein Problem soll schon an dieser Stelle eingegangen werden, weil es sich um das Hauptproblem und den Prüfstein jeder Zurechnungslehre handelt: die psychisch vermittelte Kausalität. (3) Der Vernünftigkeitsmaßstab

als Relevanzkriterium

der Gefahrschaffung

Zumindest theoretisch kann jeder jedweder psychischen Einwirkung widerstehen. Deshalb könnte man bei radikaler Betrachtung den Standpunkt einnehmen, daß eine Gefahrschaffung, die sich nicht ohne eigenes Zutun des Beeinträchtigten verwirklichen kann, rechtlich nie relevant sei. Ein derartig restriktives Freiheitsverständnis, welches die Freiheit einer Handlung mit der Abwesenheit unwiderstehlichen, absolut wirkenden rechtlichen bzw. physischen Zwanges gleichsetzte und eine Beeinträchtigung der Freiheit nur im Falle unwiderstehlicher Gewalt annähme, griffe indessen zu kurz. Gewiß sind rechtliche Geund Verbote ebenso wie vis absoluta und vergleichbar unwiderstehliche Einwirkungen immer für die Ausübung eines Rechtes relevante Gefahrschaffungen 84, und wer mittels solcher Art Zwang einen Erfolg herbeiführt, dem ist dieser fraglos zuzurechnen. Rechtssubjekte werden aber nicht nur mit derartigen durchgreifenden Zwängen konfrontiert. Ihre und damit auch der Organwalter Entscheidungsfreiheit kann auch durch niederstufigere Einflußnahmen beeinträchtigt oder aufgehoben werden. Zur freien Ausübung eines Rechtes gehört stets die rationale Abwägung des Für und Wider der bestehenden Handlungsalternativen nebst der Möglichkeit, 82 83 84

Roth, Faktische Eingriffe, S. 127 ff. Zu diesen Hilfsansprüchen näher unten G.IV.2. Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 179 ff.

7

G

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

sich sodann für die aus Sicht des betreffenden Rechtssubjekts als die beste erscheinende Alternative zu entscheiden85. Der freie Gebrauch eines Rechtes wird deshalb nicht nur dadurch beeinträchtigt, daß die Willensentschließung überhaupt aufgehoben, das Ergebnis der Willensentschließung durch normative Geund Verbote diktiert oder durch sonstige Umstände in seiner Sinnhaftigkeit beeinträchtigt wird. Die Willensentschließungsfreiheit kann vielmehr auch dadurch beeinträchtigt werden, daß in glaubhafter Weise an bestimmte Entscheidungsalternativen Folgen insbesondere nachteiliger Art geknüpft werden, so daß das betreffende Rechtssubjekt nicht umhin kommt, diese Folgen bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen 86. Deshalb ist es grundsätzlich als eine rechtlich relevante Gefahrschaffting anzusehen, wenn durch das Inaussichtstellen derartiger Konsequenzen ein Rechtssubjekt dazu gebracht wird, anders zu handeln als es sonst aus freiem Entschluß gehandelt hätte. Allerdings ist nicht jedwede Einwirkung auf einen Entscheidungsprozeß bereits als relevante Gefahrschaffting anzusehen. Die Rechtsordnung geht, und dies gilt sowohl für den Bürger wie für Träger öffentlicher Gewalt und ihre Organe, davon aus, daß jedem Rechtssubjekt eine gewisse Selbstverantwortlichkeit zuzumuten ist, nicht allen irgendwie gearteten Einflußnahmen leichthin nachzugeben und sich von der an sich gewünschten Verhaltensweise abbringen zu lassen87. Der Grund für dieses einschränkende Postulat liegt in der andernfalls drohenden übermäßigen und inakzeptablen Beschneidung der Handlungsmöglichkeiten aller: Wer es mit einem anderen zu tun hat, braucht grundsätzlich nicht als dessen Schützer und Garant zu agieren, sondern muß davon ausgehen dürfen, daß dieser selbst seine Interessen und Angelegenheiten wahrnimmt. Rechtlich relevant wird die Einflußnahme auf einen anderen deshalb erst dann, wenn dessen dadurch verursachter Verzicht auf die an sich gewünschte Entscheidung als vernünftig zu erachten ist. Das Vernünftigkeitsprinzip ist Ausdruck eines allgemeingültigen normativ wertenden Zurechnungskriteriums 88'89, 85

Keine Rolle spielt hier, ob und in welchem Maße sich das betreffende Rechtssubjekt dabei mehr von zweck- oder mehr von wertrationalen Erwägungen (vgl. zu diesen Kategorien Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 12 f.) leiten läßt. 86 Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 185 ff. 87 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 189 ff 88 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 194 ff; femer Gehrlein,, VersR 1998, 1333; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 436; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1036. 89 Zwar nicht der Formulierung, durchaus aber der Sache nach wird das Vernünftigkeitskriterium namentlich in den Herausforderungs- und Verfolgungsfällen zugrunde gelegt, in denen dem Täter eine Verletzung oder ein Schaden dann zugerechnet wird, wenn der zu einer Selbstgefahrdung Herausgeforderte ein „einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen" hatte (BGHSt 39, 321, 325 f. m.w.N.), d.h. wenn „der Schädiger verantwortlich einen Gefahrenzustand geschaffen hat, der von einem solchen Gewicht und von einem solchen Aufforderungscharakter an den Retter und Nothelfer ist, daß das von diesem auf sich genommene ... Risiko bei einer wertenden Betrachtung

I. Der Organrechtseingriff

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welches darin seine Basis hat, daß jedes Rechtssubjekt, soll es nicht in seinen Handlungsentscheidungen übermäßig und auch sinnwidrig eingeschränkt werden, davon ausgehen können muß, daß sich die anderen Beteiligten so verhalten, wie man es normalerweise tut, und das heißt eben: daß diese ihre Entscheidungen vernünftig treffen 90. Das Potential an Unvernunft ist groß, und wenn man sein eigenes Verhalten im Blick auf die Gefahr einrichten müßte, daß ein anderer in unvernünftiger Weise daran anknüpfen könnte, weil man für das Resultat solcher unvernünftiger Entscheidungen des anderen womöglich einstehen müßte, dann wäre sinnvolle und gedeihliche soziale und rechtliche Interaktion nicht mehr möglich. Das Recht muß es daher jedem gestatten, unter der Prämisse zu handeln, daß die anderen in vernünftiger Weise reagieren werden 91. Für die im Kontext der Zurechnungsfrage bei Organrechtseingriffen hiernach maßgebliche Beurteilung, ob die Entscheidung eines Organs oder Organteils als (noch) vernünftig anzusehen ist, ist auf die konkrete Entscheidungssituation abzustellen, so wie sie sich aus dessen Sicht (realiter also aus der Sicht des für dieses entscheidenden Organwalters) darstellt 92. In kognitiver Hinsicht muß der Entscheidende dabei erfassen, welche Organrechte von seiner Entscheidung berührt werden und welches Gewicht ihnen zukommt, welche tatsächlichen Umstände vorliegen, welche Konsequenzen seine Entscheidung haben kann, und welche Alternativen bestehen93. Denn ohne diese Kenntnis ist eine rationale Abwägung der Vor- und Nachteile einer Entscheidung nicht möglich. Die in anderen Kontexten, beispielsweise bei Grundrechtseingriffen sowie der Einwilligungsproblematik im Zivil- oder Strafrecht, geführte Diskussion, ob die Vernünftigkeit subjektiv (d.h. entsprechend der Sicht des konkret Betroffenen) oder objektiv (d.h. aus der Sicht eines kompetenten und unbeteiligten Dritten) zu be-

dem Schädiger zuzuordnen ist, weil er den zu Rettenden in eine Lage gebracht hat, die das Eingreifen des Retters und Nothelfers wenn nicht gebietet, so doch mindestens verständlich und billigenswert macht" (BGHZ 101, 215, 220; femer BGHZ 132, 164, 166 ff; BGH, NJW 1993, 2234). Vgl. hierzu femer Gehrlein, VersR 1998, 1331 ff; Lenckner, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 100 ff; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 334 ff, 432 ff; Roth, Faktische Eingriffe, S. 194 f.; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn. 48 ff. 90 Vgl. Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, S. 163. 91 Anders mag es sich verhalten, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der andere z.B. wegen Minderjährigkeit oder Geisteskrankheit etc. unvernünftig reagieren könnte. Das ist dann aber keine Frage der Zurechenbarkeit unvernünftig herbeigeführter Erfolge, sondern ein Problem besonderer Schutz- und Fürsorgepflichten (vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 193). Dem braucht aber im vorliegenden Zusammenhang nicht näher nachgegangen zu werden. 92 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 191 f. 93 Amelung, JR 1999,47. 48 Roth

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

urteilen ist 9 4 , ist vorliegend i m Sinne einer objektiven Betrachtungsweise zu entscheiden. Denn hoheitliche Organe werden durch das Recht konstituiert, und ihre Tätigkeit w i r d durch das Recht bestimmt und nicht durch das subjektive Dafürhalten der zufällig gerade amtierenden Organwalter. Deshalb können deren etwaige persönliche Einschätzungen keine Rolle spielen, sondern müssen sich die Organe die Anlegung eines objektiven Maßstabs gefallen lassen. Die Vernünftigkeit der Entscheidung des Organs ist sonach zwar in Ansehung der konkreten

Situation,

aber anhand eines objektiven

Vernünftigkeitsmaßstabs

zu

beurteilen, wobei freilich die Anwendung dieses eben auch normativen Maßstabs i m Einzelfall unsicher sein kann und insofern eine wertende richterliche Dezision erforderlich werden mag 9 5 . Es ist zum Vergleich darauf zu verweisen, daß ganz ähnliche Maßstäbe bei dem den strafrechtlichen Schutz der Freiheit der demokratischen Willensbildung und Willensäußerung bezweckenden96 Tatbestand der Nötigung des Bundespräsidenten oder von Mitgliedern eines Verfassungsorgans herangezogen werden: Nach § 106 StGB wird bestraft, wer den Bundespräsidenten oder ein Mitglied eines Gesetzgebungsorgans, der Regierung oder des Verfassungsgerichts des Bundes bzw. eines Landes oder der Bundesversammlung „rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, seine Befugnisse nicht oder in einem bestimmten Sinne auszuüben", wobei als Täter auch Mitglieder der genannten Organe in Betracht kommen97. Die Nötigungsmittel entsprechen den in § 240 StGB genannten98. Bei § 240 StGB ist ein „empfindliches Übel" dann anzunehmen, wenn der angedrohte Verlust oder der zu befürchtende Nachteil geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen; nicht empfindlich ist das Übel dann, wenn von dem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält99. Freilich muß bei der Anwendung des § 106 StGB und noch mehr des § 105 StGB - die Nötigung eines Verfassungsorgans als solches und nicht nur ihrer Mitglieder setzt hiemach nämlich eine Drohung mit Gewalt voraus 100 - bedacht werden, „daß die Eignung des Nötigungsmittels, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren, nicht nur faktische, sondern normative Tatbestandsvoraussetzung ist" 101 . 94 Vgl. hierzu etwa BGH, NJW 1978, 1206; Amelung, JR 1999, 45 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 192 f.; Roxin, Strafrecht AT I, § 13 Rn. 51 ff. 95 Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 193 f. 96 Laufhütte, in LK StGB, vor § 105 Rn. 1; Rudolphi, in SK StGB, vor § 105 (Lfg. 1996) Rn. 1. 97 RGSt 47, 270, 276; Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 105 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB, § 105 Rn. 2. 98 Vgl. Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 106 Rn. 2; Laufhütte, in LK StGB, § 106 StGB, § 106 Rn. 2. Rn. 5 f.; Tröndle/Fischer, 99 BGHSt 31, 195, 201; 32, 165, 174; BGH, NStZ 1992, 278; Eser, in Schönke/ Schröder, StGB, § 240 Rn. 9; Tröndle/Fischer, StGB, § 240 Rn. 17. 100 Grund für diese Differenzierung ist, daß Einzelpersonen in höherem Maße als ein Kollektiv gegen nötigenden Druck anfallig und deshalb erhöht schutzbedürftig sind, Laufhütte, in LK StGB, § 106 Rn. 5. 101 BGHSt 32, 165, 174; vgl. BGHSt 31, 195, 201; Tröndle/Fischer, StGB, § 105 Rn. 3.

I. Der Organrechtseingriff

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Der Tatbestand der §§ 105, 106 StGB ist daher nicht erfüllt, wenn und soweit von den genannten Verfassungsorganen bzw. ihrem Mitgliedern „aufgrund ihrer besonderen Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit erwartet werden kann und muß", daß sie dem Druck standhalten; hingegen ist der Tatbestand erfüllt, wenn der ausgeübte Druck einen solchen Grad erreicht, daß sich ein verantwortungsbewußtes Verfassungsorgan zu einer Kapitulation vor den gestellten Forderungen gezwungen sehen kann 102 . In der Gesamtschau der §§ 105, 106 StGB läßt sich sonach als Grundgedanke herauskristallisieren, daß Verfassungsorgane bzw. einzelne Mitglieder derselben nicht nur gegen Gewalt, sondern auch gegen Drohungen strafrechtlich geschützt sind, wenn diese nach Art und Ausmaß geeignet sind, das bedrohte Organ oder Organteil bei „besonnener", oder besser: „vernünftiger" Überlegung von einem Gebrauch seiner Befugnisse abzuhalten oder diesen in einem bestimmten Sinne zu dirigieren.

Die vorstehend skizzierten Grundsätze bezüglich des Schutzes der Willensbildung von Verfassungsorganen sind sinngemäß auf die Problematik der durch Drohung erreichten Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit von Organen und Organteilen im Kontext verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten zu übertragen. Denn die Organe und Organteile sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts werden gegen Nötigung durch § 240 StGB geschützt103, und angesichts der zwischen §§ 105, 106 StGB und § 240 StGB bestehenden Parallelität sind die in ersteren Vorschriften zum Ausdruck kommenden Wertungen auch für den Schutz hoheitlicher Organe und Organteile unterhalb der Verfassungsebene bedeutsam, und zwar um so mehr, als ja anerkanntermaßen selbst die StrafVorschriften der §§ 105, 106 StGB auch im Verhältnis der betroffenen Verfassungsorgane zu ihren Mitgliedern gelten 104 . Die Entscheidungsbefugnisse eines Organs oder Organteils werden sonach dann in relevanter Weise beeinträchtigt, wenn durch ein anderes Organ oder Organteil in einer Weise durch Drohung mit einem Übel auf den Entscheidungsprozeß eingewirkt wird, das so empfindlich ist, daß es auch ein pflichtgemäß handelndes Organ bei besonnener, vernünftiger Abwägung zu einem eigentlich wunschwidrigen Tun oder Unterlassen zu bestimmen geeignet ist. Zur Vermeidung etwaiger Mißverständnisse sei hier noch betont, daß mit der Feststellung der Zurechenbarkeit des Erfolges zur Handlung keine Aussage über deren Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit getroffen ist. So wie die unter §§ 105, 106 StGB fallenden tatbestandsmäßigen Handlungen gerechtfertigt sein können, z.B. aufgrund der Ordnungsgewalt und des Hausrechts des Parlamentspräsidenten oder aufgrund sonstiger verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher

102

BGHSt 32, 165, 174 f.; vgl. femer BGH, NStZ 1992, 278; Tröndle/Fischer, StGB, § 105 Rn. 3. 103 Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 105 Rn. 2; Laufhütte, in LK StGB, § 105 Rn. 2. 104 Vgl. RGSt 47, 270, 276; Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 105 Rn. 11; Laufhütte, in LK StGB, § 106 Rn. 6.

7 4 G .

Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Eingriffsbefugnisse 105, so sind natürlich zahlreiche Einwirkungen auf die Willensbildung im hier interessierenden Umfeld rechtmäßig, weil sie gesetzlich sanktionierte Ziele verfolgen 106 . Die Bejahung der Zurechenbarkeit bedeutet daher nicht, ein Organ oder Organteil für alles verantwortlich zu machen, was ein anderes in vernünftiger Reaktion auf die erfahrene Einwirkung tut. Sie impliziert zunächst lediglich eine Rechtfertigungsbedürftigkeit, welche sich eben auf alle zurechenbaren Folgen bezieht. Denn in der Tat hat niemand einen schützenswerten Anspruch darauf, sich von jeglicher Rechtfertigungslast für Folgen freizeichnen zu können, die als vernünftige Reaktion auf seine Handlungsweisen resultieren. Es ist also stets zu prüfen, ob ein bestimmtes Handeln auch im Hinblick auf die nach dem Vernünftigkeitsmaßstab psychisch vermittelten Folgen rechtmäßig ist. Ist das zu bejahen, so wird der Handelnde durch die Zurechenbarkeit der Folgen im Endergebnis nicht beschwert. Ist das aber zu verneinen, so ist es nur recht und billig, ihn für jene Folgen einstehen zu lassen.

2. Organrechtseingriffe bei zweipoligen Organstreitigkeiten Zweipolige Organstreitkonstellationen sind solche, an denen lediglich zwei Organe oder Organteile in der Art beteiligt sind, daß das eine durch seine Handeln oder pflichtwidriges Unterlassen die Beeinträchtigung eines Organrechts des anderen verursacht 107. Sie stellen damit die einfachsten Konstellationen dar, in denen ein Eingriff in Organrechte denkbar ist. Das heißt aber nicht, daß alle Organrechtseingriffe in zweipoligen Verhältnissen rechtlich gleich strukturiert wären. Tatsächlich lassen sich nämlich unter den Eingriffen in abwehrrechtliche Organrechte unterschiedliche Kategorien ausmachen. Deren Unterscheidung und systematische Darstellung erscheint nicht nur zu Zwecken einer geordneten Darstellung ohnehin sinnvoll, sondern erleichtert zugleich das sachliche Verständnis der Organrechtseingriffe und ihrer je spezifischen Problematik. Vorwegzuschicken ist freilich, daß die Eingriffsart als solche keine Bedeutung für die materiell- oder prozeßrechtlichen Folgen hat. Eine Organrechtsverletzung ist eine Organrechtsverletzung, gleich auf welche Art und Weise es zu der Beeinträchtigung gekommen ist. Die nachfolgende Darstellung dient daher primär analytischen Zwecken: Durch eine Betrachtung der Eingriffsmöglichkeiten soll der Blick für die jeweilige Problematik geschärft und das Augenmerk auf die jeweils näher erörterungsbedürftigen Punkte gelenkt werden.

105 Vgl. RGSt 47, 270, 276; Laufliütte, in LK StGB, § 106 Rn. 6; Tröndle/Fischer, StGB, § 105 Rn. 3, § 106 Rn. 2. 106 Zur Rechtfertigung von Organrechtseingriffen näher unten G.II. 107 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 280 f.

I. Der Organrechtseingriff

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Die Ausübung eines jeden Rechts hat mehrere Voraussetzungen, nämlich erstens die rechtliche Innehabung des betreffenden Rechts (das rechtliche Können), zweitens die rechtliche Zulässigkeit seiner Ausübung (das Dürfen), drittens die Fähigkeit zur tatsächlichen Ausübung des Rechts (das natürliche Können), und viertens die Willensentschließungsfreiheit bei der Rechtsausübung108. Dieser Komplexität der Voraussetzungen der Rechtsausübung korrespondiert eine Vielfalt von Möglichkeiten der Rechtsbeeinträchtigung, und indem man die spezifischen Mittel betrachtet, wie jede dieser Rechtsausübungsvoraussetzungen beeinträchtigt werden kann 109 , ergibt sich eine Typologie von Eingriffsarten 110. Da ein subjektives Recht bei der erforderlichen formalen Betrachtung 111 im Kern in der Zuständigkeit zur Ausübung des in dem subjektiven Recht verkörperten Inhalts besteht112, läßt sich die Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts gleichsetzen mit der Be- oder Verhinderung seiner Ausübung. Die Ausübbarkeit eines subjektiven Rechts überhaupt oder zumindest seine freie, unbehinderte Ausübung kann sowohl auf der rechtlichen als auch der tatsächlichen Ebene beeinträchtigt werden. Als rechtlicher Eingriff in ein subjektives Recht können alle in Gestalt eines Rechtsaktes ergehenden Maßnahmen bezeichnet werden, die ihrem Regelungsgehalt nach die Ausübung des Rechts rechtlich beeinträchtigen (nachfolgend a), während als faktische Eingriffe diejenigen zu verstehen sind, bei denen die Rechtsausübung faktisch beeinträchtigt wird (unten b).

a) Rechtliche Organrechtseingriffe Unter den rechtlichen Organrechtseingriffen sind zwei Arten zu unterscheiden, je nachdem in welcher rechtlichen Form das Recht beeinträchtigt wird, ob durch die Beeinträchtigung der Innehabung des Rechts (nachfolgend aa) oder durch einen die Rechtsausübung dirigierenden Befehl (unten bb).

aa) Deprivative Organrechtseingriffe Am einschneidendsten wirken sich Rechtsakte aus, durch die dem Rechtsinhaber entweder das Recht als solches entzogen oder die rechtliche Fähigkeit aberkannt wird, das - rechtlich nach wie vor innegehabte - Organrecht überhaupt noch auszuüben. Durch solche deprivative Organrechtseingriffe verliert der Be108

Vgl. zu diesen Elementen jeder Rechtsausübung G. Jellinek, System, S. 45 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 161 ff. 109 Eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 166 ff., 179 ff. 110 Roth, Faktische Eingriffe, S. 225 ff. 111 S. oben D.III. 1. 112 S. oben D.III.3.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

troffene die rechtliche Fähigkeit zur Ausübung des bis dahin innegehabten ausübbaren Rechts. Deprivative Eingriffe zeichnen sich dadurch aus, daß ein gleichwohl unternommener Versuch der Ausübung des betroffenen Rechts keine rechtliche Wirkung nach sich zieht. Denn gegen Maßnahmen, die ein Recht wirksam entziehen, kann man auch dann nicht verstoßen, wenn sie rechtswidrig sind, weil niemand rechtlich mehr tun kann, als ihm rechtliches Können zukommt 113 . Sofern ein deprivativer Rechtsakt wirksam und nicht etwa infolge eines (gravierenden) Gesetzesverstoßes nichtig ist 114 , bewirkt er daher ohne Rücksicht auf seine Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit die rechtliche Unmöglichkeit, das betreffende Recht auszuüben. Einen solchen deprivativen Eingriff stellt z.B. die Entscheidung des Gemeinderats dar, daß ein bestimmtes Gemeinderatsmitglied in einer Angelegenheit befangen und deshalb von der diesbezüglichen Abstimmung ausgeschlossen sei (vgl. § 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW) 1 1 5 . Diese Entscheidung entzieht dem Betroffenen das Stimmrecht; seine entgegen dieser Feststellung abgegebene Stimme wäre ungültig, woran sich die deprivative Natur dieser Maßnahme erweist. Deprivative Eingriffe werfen weder auf der Kausalitäts- noch auf der Zurechnungsebene Probleme auf, weil sie durch das Merkmal der „Regelungsidentität" 116 gekennzeichnet sind: Sie können nur in Gestalt von rechtsentziehenden Rechtsakten vorgenommen werden, und die in diesen Rechtsakten enthaltene Regelung ist identisch mit dem Beeinträchtigungserfolg 117. Nach keinem vertretenen Eingriffsbegriff wird hier die Zurechenbarkeit verneint. Erörterungsbedürftig ist daher, wenn ein deprivativer Organrechtseingriff in Frage steht, allein, ob auf der Erfolgsseite des Tatbestandes wirklich eine Beeinträchtigung des betreffenden Organrechts vorliegt oder ob es sich nicht vielleicht statt dessen lediglich um eine ordnungsgemäße Zurücknahme desselben handelt. Die Kompetenzen eines Organs sind nämlich - vergleichbar etwa mit dem gesetzlich festzulegenden Inhalt des Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) - nicht von Natur aus vorgegeben, sondern beruhen allein auf rechtlicher Setzung und Zuweisung 118 . Die Organrechte sind mit anderen Worten - ähnlich wie das Eigentum 119 - normgeprägt. Als normgeprägte Rechtspositionen unterliegen sie aber der Disposition des Normgebers, der sie auch wieder einschrän113

Vgl. G. Jellinek, System, S. 47 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 163 f. S. hierzu unten G.III.4.C. 1,5 Zur Bedeutung dieser Entscheidung vgl. V G H Mannheim, N V w Z 1987, 1103, 1104; OVG Münster, OVGE 27, 60, 62. 116 Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 12; femer Eckhoff, Der Grundrechtseineriff, S. 178 ff; Roth, Faktische Eingriffe, S. 226. 117 Vgl. Ramsauer, VerwArch 1981, 89; Roth, Faktische Eingriffe, S. 228. 118 S. oben A.I.2.C. 119 Zur Normgeprägtheit des Eigentums vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 170 f. m.w.N. 114

I. Der Organrechtseingriff

7

ken oder aufheben kann: Organe haben kein Recht auf ihre Kompetenz 1 2 0 , d.h. kein Recht auf unverminderte Beibehaltung des Umfangs ihrer Befugnisse. Hebt daher der zuständige Gesetzgeber durch eine Rechtsnorm, die mindestens denselben Rang besitzt wie die das Organrecht begründende, das Organrecht wieder auf, so liegt hierin keine Beeinträchtigung besagter Kompetenz und damit auch kein E i n g r i f f in das Organrecht, sondern lediglich eine Rücknahme desselben. Dabei ist anzumerken, daß eine solche Rücknahme - i m Unterschied zum Eigentumsrecht 1 2 1 - nie durch Erwägungen der Erdientheit beschränkt sein kann, w e i l j a die Kompetenzen von Organen und Organteilen juristischer Personen nie auf einer Eigenleistung basieren, sondern stets alleine auf staatlicher Verleihung. Außerdem können Organe und Organteile keinen Vertrauensschutz bezüglich ihrer Kompetenzen beanspruchen. Angenommen beispielsweise, die Gemeindeordnung verleiht einem Gemeinderatsmitglied das Recht, die Aufnahme eines Verhandlungsgegenstandes in die Tagesordnung des Gemeinderats zu verlangen. Ändert nun der Gesetzgeber die Gemeindeordnung dahin, daß künftig nur noch ein bestimmtes Quorum wie z.B. ein Viertel der Gemeinderäte diesen Antrag stellen kann, so liegt hierin schon keine Beeinträchtigung des ursprünglichen Antragsrechts des einzelnen Gemeinderatsmitglieds. Denn das den Gemeinderäten zukommende organschaftliche Antragsrecht ist wie alle Organrechte ausschließlich normgeprägt, d.h. jenseits der gesetzlichen und im Rahmen des Gesetzes gegebenenfalls noch satzungs- oder geschäftsordnungsmäßigen Zuweisung besteht ein solches Antragsrecht nicht, und deshalb kann der Gesetzgeber durch eine Rechtsnorm mindestens gleichen Ranges das Antragsrecht auch wieder zurücknehmen. Keine solche Zurücknahme, sondern eine Beeinträchtigung läge hingegen vor, wenn etwa der Gemeinderat durch seine Geschäftsordnung ein gesetzlich begründetes Antragsrecht einschränken, beispielsweise gesetzlich weder vorgesehenen noch gestatteten einschränkenden Voraussetzungen wie einem höheren als dem gesetzlichen Quorum unterwerfen wollte. Da die Geschäftsordnung unter dem Gesetz steht, läge in einem solchen Unterfangen ein (natürlich rechtswidriger) deprivativer Eingriff in das Antragsrecht der Gemeinderatsmitglieder. Desgleichen liegt ein deprivativer Eingriff vor, wenn durch Geschäftsordnung einzelnen Mitgliedern eines Kollegialorgans ein gesetzlich nicht vorgesehenes Veto-Recht eingeräumt wird 122 ; dadurch wird nämlich den anderen Organmitgliedern das Recht entzogen, durch Mehrheitsbeschluß zu entscheiden. Soweit eine solche Einschränkung des Mehrheitsprinzips gesetzlich nicht vorgesehen ist, wäre eine derartige Bestimmung rechtswidrig.

120

S. oben E.II.l.a.bb. Zu den Grenzen einer Neubestimmung des Inhalts des Eigentumsrechts vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 171 ff. 122 Vgl. Neese, WissR 1999, 32 ftir ein geschäftsordnungsmäßiges Veto-Recht des Hochschulkanzlers im Rektorat. 121

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

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bb) Imperative Organrechtseingriffe Die zweite Möglichkeit eines rechtlichen Eingriffs setzt i m Unterschied zu den deprivativen Eingriffen nicht bei dem rechtlichen Können, sondern bei dem Dürfen an. Das heißt, sie nimmt dem Rechtsinhaber nicht die rechtliche Fähigkeit zur Ausübung seines Rechts, sondern beschränkt durch die Aufstellung von Ge- oder Verboten die Zulässigkeit der Ausübung desselben. Während deprivative Eingriffe unwiderstehliche W i r k u n g entfalten, weil es schlechterdings unmöglich ist, sein rechtliches Können zu überschreiten, wirken derartige imperative Eingriffe

lediglich über die Beeinträchtigung der Willensentschließungs-

freiheit; das betroffene Organ kann deshalb rein tatsächlich gegen das ausgesprochene Ge- oder Verbot verstoßen 1 2 3 , w i r d dies aber nicht tun, so es sich rechtstreu verhalten w i l l 1 2 4 , zumal es als hoheitliches Organ ohnehin kraft seiner Bindung an Gesetz und Recht zur Beachtung wirksamer Ge- und Verbote verpflichtet ist. Erläutern läßt sich dieser Unterschied etwa am Sitzungsausschluß. Der Feststellung der Befangenheit eines Gemeinderatsmitglieds kommt deprivative Wirkung zu, weil es damit sein Stimmrecht verliert und seine dennoch abgegebene Stimme ungültig wäre 125 . Im Gegensatz hierzu entfaltet z.B. ein wegen ungebührlichen Verhaltens verhängter Sitzungsausschluß (§ 36 Abs. 3 GemO BW) lediglich imperative, aber keine deprivative Wirkung. Der Sitzungsausschluß enthält das Verbot, sich an der weiteren Beratung zu beteiligen, und das Gebot, den Sitzungsraum zu verlassen126. Kommt der Betroffene diesem Befehl nicht nach, so handelt er rechtswidrig; er verstößt gegen seine organschaftlichen Pflichten und macht sich persönlich des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) strafbar 127 . Wenn jedoch der Bürgermeister auf die Vollstreckung des Sitzungsausschlusses verzichtet, also etwa davon absieht, den sich nicht aus freien Stücken entfernenden Ausgeschlossenen von der Polizei abfuhren zu lassen128, oder wenn - praktisch vielleicht naheliegender - ein Gemeinderatsmitglied wegen wiederholter Ordnungsverstöße gemäß § 39 Abs. 3 S. 2 GemO BW vom Gemeinderat fur mehrere Sitzungen ausgeschlossen wurde, dann jedoch vorzeitig wieder an einer Sitzung teilnimmt, ohne daß dieser Verstoß bemerkt wird, und dann unzulässigerweise an einer Abstimmung mitwirkt, so wäre seine Stimme als gültig zu erachten. Im Unterschied zum Ausschluß wegen Befangenheit richtet sich der als Ordnungsmaßnahme verhängte Sitzungsausschluß nämlich nicht gegen das Stimmrecht als solches, bezweckt nicht die Freihaltung der Abstimmung von Stimmen Befangener, sondern verfolgt nur die Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung, und deshalb gibt es hier keinen Grund, die (in einer als solches störungsfrei verlaufenen Abstimmung) abgegebene Stimme als ungültig zu erachten.

123

G Jellinek, System, S. 46. Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 181 f. 125 S. vorstehend G.I.2.a.aa. 126 Vgl. OVG Koblenz, AS 10, 55, 60. 127 Vgl. RGSt 47, 270, 277 ff.; OLG Karlsruhe, DÖV 1980, 99, 101. 128 Zur Möglichkeit eines polizeilichen Abfuhrenlassens zur Verhinderung der Fortsetzung des strafbaren Verweilens im Sitzungssaal vgl. RGSt 47, 270, 278 f.; OLG Karlsruhe, DÖV 1980, 99, 100. 124

I. Der Organrechtseingriff

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Imperative Eingriffe zeichnen sich ebenso wie die deprivativen durch das Merkmal der Regelungsidentität aus, da der Beeinträchtigungserfolg, nämlich daß dem betroffenen Organ die freie Ausübung seiner Organrechte versagt wird, identisch mit dem an das Organ adressierte Ge- oder Verbot ist. Da auch insoweit keine Zurechnungszweifel bestehen können - fraglich ist in derartigen Fällen lediglich, ob das Ge- oder Verbot rechtmäßig ist, und was die Folgen einer etwaigen Rechtsverletzung sind - , bedarf auch diese Fallgruppe hier keiner näheren Erörterung.

cc) Folgebeeinträchtigungen Erwähnenswert ist, daß rechtliche Organrechtseingriffe oftmals faktische Folgewirkungen in bezug auf andere Organrechte nach sich ziehen und diese als sogenannte Folgebeeinträchtigungen ebenfalls Organrechtseingriffe darstellen 129 . Beispielsweise beeinträchtigt ein Sitzungsausschluß wegen ungebührlichen Verhaltens nicht nur in imperativer Weise das Recht des Ausgeschlossenen auf Teilnahme an der Sitzung, sondern, wenn auf der Sitzung anschließend noch ein Beschluß gefaßt wird, außerdem noch sein Recht zur Mitwirkung bei der diesbezüglichen Beratung sowie sein Stimmrecht 130. Das ist von erheblicher Bedeutung, wenn der Sitzungsausschluß rechtswidrig war. Denn dann ist der Betroffene eben nicht nur in seinem Teilnahmerecht verletzt, sondern auch in seinem Beratungs- und Stimmrecht. Infolgedessen ist er nicht darauf beschränkt, den Ausschließungsbeschluß anzugreifen bzw. (infolge seiner regelmäßig anzunehmenden Erledigung) dessen Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen. Vielmehr kann er in einem solchen Fall, gestützt auf seine diesbezüglichen sekundären Hilfsansprüche 131, unter gewissen Voraussetzungen auch den als Folge der Verletzung seines Beratungs- und Stimmrechts gefaßten Beschluß selbst angreifen 132, was offensichtlich von größter Bedeutung ist.

b) Faktische Organrechtseingriffe Die Ausübung eines Organrechts kann nicht nur auf die vorstehend beschriebene Weise rechtlich be- oder verhindert werden, durch rechtliche Entziehung 129

Zur Parallelproblematik bei Grundrechtseingriffen vgl. BVerfGE 9, 83, 88; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 13; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 33; Roth, Faktische Eingriffe, S. 284. 130 Vgl. VGH München, VRspr 1, 198, 201. 131 Zu den Bedingungen und Grenzen eines solchen Folgenbeseitigungsanspruchs näher unten G.IV.3. 132 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304; a.A. OVG Koblenz, AS 10, 55, 57; VG Karlsruhe, WissR 1973, 91, 92. - Hierzu eingehend unten G.IV.3.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

oder durch Ge- und Verbot, sondern in vielfältiger Weise faktisch beeinträchtigt werden. Die rechtliche Innehabung eines Rechts und die rechtliche Befugnis, dasselbe auszuüben, nutzen für sich alleine dem Berechtigten wenig, stellen jedenfalls noch keine Rechtsausübung dar. Die tatsächliche Ausübung eines Rechts setzt vielmehr die tatsächliche Handlungsfähigkeit voraus, von dem Recht Gebrauch zu machen, ferner die Freiheit der Willensentschließung, ob und wie das Recht auszuüben sei. Da nun die faktischen Organrechtseingriffe gerade bei diesen weitgespannten tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsausübung ansetzen, überrascht es nicht, daß sie eine recht amorphe Gruppe darstellen, die eine große Bandbreite faktischer Beeinträchtigungsmöglichkeiten umfaßt. Bei allen Berührungspunkten lassen sich im wesentlichen zwei Typen faktischer Eingriffe unterscheiden, je nachdem, ob die natürliche Fähigkeit beeinträchtigt wird, das Recht überhaupt ausüben zu können (nachfolgend aa), oder ob in einer Weise Einfluß auf die Willensentschließung genommen wird, daß von einer freien Ausübung des Rechts nicht mehr gesprochen werden kann (unten bb).

aa) Absolute und usurpative Organrechtseingriffe Eingriffe, die die natürliche Fähigkeit eines Organs, von einem ihm zustehenden Recht überhaupt oder jedenfalls in sinnvoller Weise Gebrauch zu machen, ganz oder teilweise ausschließen, kommen praktisch in zwei Formen vor. Eine eher geringe Rolle spielt dabei die Möglichkeit, daß ein Organ (in Realität also der für dasselbe agierende Organwalter) durch vis absoluta in seiner natürlichen Handlungsfähigkeit oder in seiner Willensentschließungsfähigkeit beeinträchtigt 1 3 3 , d.h. mit unwiderstehlicher Gewalt an der Ausübung des Organrechts gehindert oder mit unwiderstehlicher Gewalt zu einer bestimmten Ausübung desselben gezwungen wird. Nach dieser ihrer Eingriffsmodalität lassen sich derartige Eingriffe als absolute Organrechtseingriffe verstehen. Als Beispiel für einen derartigen absoluten Eingriff ist das durch den Bürgermeister veranlaßte polizeiliche Abführen eines Gemeinderatsmitglieds aus dem Sitzungssaal zu nennen134. Denn hierdurch wird diesem mit unwiderstehlicher Gewalt die weitere Teilnahme an der Sitzung unmöglich gemacht. Freilich wird einer solchen Maßnahme in der Regel keine eigenständige rechtliche Bedeutung zukommen. Denn um rechtmäßig zu sein, muß der gewaltsamen Entfernung ein vorheriger Sitzungsausschluß vorausgehen, und schon dieser Sitzungsausschluß beinhaltet als Befehl, den Sitzungsraum zu verlassen, widrigenfalls sich der Ausgeschlossene des Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB) strafbar macht, einen imperativen Eingriff in das Teilnahmerecht.

133

Vgl. dazu Roth, Faktische Eingriffe, S. 179. Vgl. VGH München, BayVBl. 1988, 16; RGSt 47, 270, 278 (zur polizeilichen Entfernung eines Abgeordneten aus dem Sitzungssaal). 134

I. Der Organrechtseingriff

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Freilich müssen faktische Organrechtseingriffe nicht immer die Qualität einer vis absoluta erreichen, um mit unentrinnbarer Macht und in diesem Sinne als absolute Eingriffe einzustufen zu sein. Beispielsweise kann auch eine überhaupt unterlassene 135 oder eine zu kurzfristig erfolgte Ladung es einem Gemeinderatsmitglied schlicht unmöglich machen, zur Sitzung zu erscheinen oder sich in gebotenem Maße vorzubereiten, und damit sein Teilnahmerecht in unwiderstehlicher Weise beeinträchtigen 136 - mitsamt den bereits erwähnten Folgewirkungen in bezug auf sein Beratungs- und Stimmrecht 137. Als ein weiterer Beispielsfall eines absoluten Organrechtseingriffs ist die Ansehensminderung einzuordnen: Wenn ein Organ über einzelne seiner Mitglieder Mitteilungen an die Öffentlichkeit macht, die diese im öffentlichen Ansehen herabsetzen, so ist zu erwägen, inwieweit darin ein - möglicherweise rechtmäßiger - Eingriff in deren Organrechte liegen kann. Hierbei ist freilich danach zu unterscheiden, in welchen Rechtsgütern sich die Angeprangerten verletzt sehen. Wollen sie eine Verletzung ihres persönlichen Rechts auf Ehre geltend machen, so müssen sie Rechtsschutz im gewöhnlichen Verfahren gegen den Rechtsträger des verantwortlichen Organs oder Organteils begehren, wie es ja allgemein z.B. bei Widerrufsklagen gegen ehrkränkende dienstliche Äußerungen von Amtsträgem anerkannt ist. Dies dürfte der Normalfall sein. Sofern durch die umstrittenen Äußerungen das Ansehen und die Wahlchancen des belasteten Organmitglieds bzw. seiner Partei beeinträchtigt werden, können und müssen diese ihre Rechte im regulären Verwaltungsstreitverfahren verteidigen, notfalls Verfassungsbeschwerde erheben. Das gleiche gilt, wenn derartige Äußerungen das Recht des Betroffenen auf Respektierung seiner „Würdigkeit" zu dem Amt verletzen 138. Werden aus derartigen Erklärungen jedoch Folgerungen für seine Arbeitsmöglichkeiten als Organmitglied gezogen und die Ausübung der Organrechte konkret erschwert, beispielsweise indem dem für nicht vertrauenswürdig Gehaltenen Informationen vorenthalten werden, läge ein im Organstreitverfahren geltend zu machender faktisch-absoluter Organrechtseingriff vor.

Zweitens - und diese Möglichkeit spielt unschwer erkennbar gerade im Bereich der Organrechtseingriffe eine besondere Rolle - kann die Ausübung eines Organrechts durch seine faktische Usurpation beeinträchtigt werden, indem sich ein anderes Organ das Organrecht anmaßt und die betreffenden Befugnisse ausübt. Wenn sich beispielsweise der Bürgermeister in gesetzlich nicht vorgesehener Weise Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderats anmaßt und an dessen Stelle oder ohne dessen erforderliche Zustimmung handelt, so wird hierdurch die Entscheidungszuständigkeit des Gemeinderats rechtlich nicht tangiert, wohl aber wird sie faktisch beeinträchtigt, was besonders dann als irreparable Beeinträchtigung gravierend zu Buche schlägt, wenn die betreffende Maßnahme nach außen wirksam geworden ist und nicht rückgängig zu machen sein sollte 139 . In 135 136

Vgl. OVG Koblenz, AS 10, 55, 58 ff. Vgl. VG Karlsruhe, WissR 1973, 91, 92 f.; Zimmerling,

S. 156. 137 138 139

S. vorstehend G.I.2.a.cc. Vgl. hierzu oben A.II.4.b und c. Zu dieser Problematik eingehend unten G.IV.3.a.bb.

Organstreitigkeiten,

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G

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Übereinstimmung mit seiner Bedeutung als faktische Inanspruchnahme fremder Organrechte kann man hier von einem usurpativen Organrechtseingriff sprechen. Dieser ist mit den eben genannten absoluten Eingriffen darin verwandt, daß er das Organrecht nicht in seinem rechtlichen Bestand oder in seiner rechtlichen Ausübbarkeit beeinträchtigt, sondern auf eine unwiderstehliche Weise in seiner faktischen Ausübbarkeit. Beispielsweise liegt ein usurpativer Eingriff in das Stimmrecht der Gemeinderatsmitglieder vor, wenn ein beschlußunföhiger Gemeinderat (vgl. § 37 Abs. 2 GemO BW) einen Beschluß faßt. Denn jedes Gemeinderatsmitglied ist davor geschützt, daß eine Minderheit der Gemeinderäte einen Beschluß faßt, und wenn sie dies dennoch in gesetzlich nicht vorgesehener Weise tut, beeinträchtigt dies die Mitwirkungsrechte seiner Mitglieder 140 , und zwar nicht nur der abwesenden Mitglieder, sondern auch der überstimmten anwesenden, da sich diese nur einer beschlußfähigen Mehrheit beugen müssen. Ein praktisch besonders wichtiger Fall eines usurpativen Eingriffs liegt in der fehlerhaften Inanspruchnahme des Eilentscheidungsrechts durch den Bürgermeister, weil er hierdurch die Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderats usurpiert 141.

bb) Kompulsive Organrechtseingriffe Schwierige Fragen werfen in den zweipoligen Konstellationen vor allem die Maßnahmen auf, die weder den Bestand des Organrechts noch die rechtliche Möglichkeit oder Befugnis seiner Ausübung noch die tatsächliche Möglichkeit seiner Ausübung beeinträchtigen, insbesondere also nicht die Fähigkeit, überhaupt noch eine (sinnvolle) Entscheidung zu treffen, sondern die in einer solchen Weise auf die Willensentschließung einwirken, daß von einer freien Willensentschließung nicht mehr die Rede sein kann. Es handelt sich hierbei um Fälle psychischen Zwanges142, insbesondere der Androhung von Nachteilen, durch die ein solcher Druck auf die Willensentschließung ausgeübt wird, daß das Organrecht nicht mehr frei ausgeübt werden kann. Terminologisch kann man diese Fallgruppe in Anlehnung an die Figur der vis compulsiva, des „kompulsiven Zwanges" 143 , als kompulsive Organrechtseingriffe bezeichnen144. In dieser Eingriffsmöglichkeit spiegelt sich der Umstand wider, daß jeder Ausübung eines Rechts ein Willensbildungs- und Willensentschließungsprozeß in der Person des Rechtsinhabers - bei Organen real also in der Person ihrer 140

OVG Münster, OVGE 30, 196, 200 f. Zu der praktisch überaus wichtigen Frage, ob einzelne Gemeinderatsmitglieder diesen Eingriff geltend machen können, eingehend unten G.I.3.e. 142 Zur Zurechnungsproblematik bei psychisch vermittelter Kausalität allgemein bereits oben G.I.l.b.cc (3). 143 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 334 f. 144 Zur Parallelfigur der kompulsiven Grundrechtseingriffe eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 183 ff., 227. 141

I. Der Organrechtseingriff

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Organwalter - vorausgehen muß, und daß sich daher Eingriffe in diesen Prozeß als Eingriffe in die Rechtsausübung niederschlagen müssen145. Wem ein subjektives Recht gewährt ist, der soll dieses im Rahmen der Gesetze, insbesondere also vorbehaltlich rechtmäßiger Ge- und Verbote, immer nach seinem freien Willen ausüben können. Wird in diesen Entscheidungsprozeß durch Drohung, Täuschung oder Manipulation etc. in einer Weise eingegriffen, daß die resultierende Entscheidung keine freie mehr ist, dann ist das Recht in wiewohl vielleicht subtilerer Weise ebenso effektiv beeinträchtigt wie wenn physische Gewaltmaßnahmen ergriffen worden wären 146 . Schon von dieser Ausgangslage her erhellt freilich, daß kompulsive Eingriffe oft schwieriger zu beurteilen sind als die deprivativen, imperativen oder absoluten. Denn die Entscheidung über die Ausübung eines Rechtes hängt immer von einer Vielzahl von Faktoren und Erwägungen ab, und deshalb kann die rechtliche Bewertung, ob eine bestimmte Einflußnahme auf diesen Entscheidungsprozeß als rechtlich relevante Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit und damit als Eingriff in das Organrecht anzusehen ist, mitunter unsicher erscheinen. Vor allem zur Bewältigung dieser Problemfälle psychisch vermittelter Kausalität wurde freilich oben das Gefahrschaffungs- und das Vernünftigkeitskriterium im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung herausgearbeitet 147, und es wird sich zeigen, daß hiermit auch die schwierigen Fälle überzeugend zu lösen sind. Als praktisch bedeutsames Standardbeispiel für einen kompulsiven Eingriff, und zwar in das Rederecht eines Gemeinderatsmitglieds, ist der förmliche Ordnungsruf des Sitzungsleiters zu nennen148. Einem formlichen Ordnungsruf kommt nämlich sowohl Feststellungs- als auch Warnfunktion zu 1 4 9 : er stellt fest, daß der zur Ordnung Gerufene einen Ordnungsverstoß begangen hat, welche Feststellung Voraussetzung für einen Sitzungsausschluß im Wiederholensfalle ist (vgl. § 36 Abs. 3 S. 1 GemO BW); zugleich wird das betroffene Gemeinderatsmitglied hiermit gewarnt, bei Vermeidung seines Ausschlusses fortan in der Sitzung sich keines weiteren Ordnungsverstoßes schuldig zu machen. Es ist damit gezwungen, sich auf die Rechtsauffassung des Vorsitzenden einzustellen, um nicht seine weitere Teilnahme an der Sitzung zu gefährden, muß mit anderen Worten sein Rederecht (jedenfalls zum Teil) preisgeben, nämlich entweder seine Wortwahl und Ausdrucksweise entsprechend anpassen150 oder gar von

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Vgl. oben G.I.l.b.cc (3). Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 185 ff. 147 S. oben G.I.l.b.cc. 148 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; a.A. Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 118. 149 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53. 150 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53. 146

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

dem beabsichtigten Redebeitrag ganz absehen151; damit stellt ein solcher förmlicher Ordnungsruf einen kompulsiven Eingriff in das organschaftliche Rederecht dar 152 . Freilich könnte der Betroffene seinen Ausschluß von der Sitzung als imperativen Eingriff 153 angreifen. Aber damit ließe sich natürlich der mit dem Sitzungsausschluß verbundene Verlust an Mit- und Einwirkungsmöglichkeiten nicht reparieren. Da der gegen den Sitzungsausschluß gerichtete Rechtsschutz zu spät käme, muß sich der Redner notgedrungen auch einem fur unberechtigt erachteten formlichen Ordnungsruf unterwerfen. Es ist mit anderen Worten vernünftig, daß sich ein Gemeinderatsmitglied zur Vermeidung noch größerer und möglicherweise irreparabler Nachteile einem förmlichen Ordnungsruf beugt, auch wenn es diesen für unberechtigt hält; damit erweist sich, daß ein solcher förmlicher Ordnungsruf eine rechtlich relevante Gefahr für das organschaftliche Rederecht schafft und damit einen Eingriff in dasselbe darstellt 154 . Zweifelhaft ist demgegenüber, ob auch ein formloser Ordnungsruf (Hinweis, Belehrung, Erinnerung, Ermahnung, Rüge, Mißbilligung) als kompulsiver Eingriff in das Rederecht verstanden werden kann. Dies wird von der herrschenden Meinung 155 mit dem Argument verneint, daß das betroffene Gemeinderatsmitglied bei bloß formlosen Ordnungsrufen in seinem Verhalten frei bleibe, weil diese bei der Feststellung wiederholter Ordnungsrufe nicht mitzählen. Dem ist im Ansatz beizupflichten. Da als Folge eines solchen formlosen Ordnungsrufs kein Sitzungsausschluß droht, ist es einem Gemeinderatsmitglied in der Tat anzusinnen, einem zu Unrecht ergangenen formlosen Ordnungsruf zu widerstehen und sich in seiner Rede hierdurch in besonnener Selbstbehauptung nicht beeindrucken zu lassen, sondern es eben notfalls auf einen förmlichen Ordnungsruf ankommen zu lassen. Anders kann es sich aber verhalten, wenn dem betroffenen Gemeinderatsmitglied in derselben Sitzung bereits ein förmlicher Ordnungsruf erteilt worden ist. In dieser Situation kann nämlich einem formlosen Ordnungsruf quasi die Funktion einer allerletzten Warnung vor Erteilung des wiederholten förmlichen Ordnungsrufes zukommen, was jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn der Sitzungsleiter eine solche Warnung ausspricht oder dieser Umstand sonst nach Lage der Dinge vorliegt. In derartigen Situationen ist es für den Betroffenen vernünftig, sich auch einem formlosen Ordnungsruf zu beugen und es nicht auf einen - infolge des Wiederholungsfalles zum Sitzungsaus151

Vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1987, 147: Ordnungsruf zur Unterbindung eines in öffentlicher Sitzung unzulässigen Vortrags zu persönlichen Angelegenheiten von Einwohnern. 152 Vgl. oben F.III.2.c.aa, daß hier kein Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) vorliegt. 153 S. oben G.I.2.a.bb. 154 Zu diesem Zurechnungskriterium bei psychisch vermittelter Kausalität oben G.I.l.b.cc. 155 Vgl. BVerfGE 60, 374, 380 ff; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53.

I. Der Organrechtseingriff

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schluß führenden - zweiten förmlichen Ordnungsruf ankommen zu lassen. Ein im Anschluß an einen förmlichen Ordnungsruf ergehender formloser Ordnungsruf ist deshalb als kompulsiver Eingriff in das Rederecht anzusehen, dessen Rechtswidrigkeit bei berechtigtem Interesse, insbesondere zur Sicherung des Rederechts bei künftigen Gelegenheiten156 auch der gerichtlichen Feststellung zugänglich ist. Ein kompulsiver Eingriff in das Stimmrecht ist anzunehmen, wenn entgegen einer vorgeschriebenen geheimen Abstimmung offen abgestimmt wird 1 5 7 . Denn die geheime Abstimmung soll ja gerade sicherstellen, daß jeder Stimmberechtigte ohne Furcht vor Repressalien seiner Fraktion oder Partei bzw. seitens der Öffentlichkeit allein nach seinem Gewissen abstimmen kann. Indem das Gesetz selbst diesen Druck vorausgesehen hat und ihn bewußt ausschließen will, hat es die Vernünftigkeitsbewertung geradezu autoritativ vorweggenommen, nämlich daß es bei offener Abstimmung für den Abstimmenden vernünftig sein kann, sich den befürchteten Repressalien zu beugen; infolgedessen muß die Verletzung der Geheimheit der Abstimmung als faktische Beeinträchtigung des freien Stimmrechts angesehen werden. Heftig umstritten ist, ob die Gemeinderatsmitglieder die Beachtung der gesetzlichen oder geschäftsordnungsmäßigen Bestimmungen über die Sitzungsöffentlichkeit (§ 35 Abs. 1 GemO BW) beanspruchen können und deren Mißachtung folglich ihre Rechte verletzt 158 . Richtigerweise dürfte hier zu differenzieren sein. Grundsätzlich dienen die Vorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit dem Allgemeininteresse, indem hierdurch der Allgemeinheit eine Kontrolle der Tätigkeit des Gemeinderats ermöglicht werden soll 159 . Deshalb dürfte es, insoweit der herrschenden Meinung folgend, zu weit gehen, dem einzelnen Gemeinderatsmitglied ein primäres Nebenrecht auf Sitzungsöffentlichkeit zuzubilligen, welches ihm ohne weitere Voraussetzungen die Macht gäbe, die Einhaltung der 156

Vgl. hierzu OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53. Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1988, 81; OVG Münster, OVGE 35, 83, 84; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 114 f.; Fehrmann, DÖV 1983, 316; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 156. 158 Bejahend OVG Münster, OVGE 35, 8, 9, 12; NVwZ 1990, 186; Fehrmann, DÖV 1983, 316; Wansleben, in Held, GemO NW, § 56 (Lfg. 10/94), S. 7. - Verneinend VGH Mannheim, VB1BW 1992, 375; NVwZ-RR 1994, 229, 230; VGH München, BayVBl. 2000, 695; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 160; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 258; Martensen, JuS 1995, 1078; Schröder, NVwZ 1985, 247; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 99; eingehend Lüders, Ratsausschüsse, S. 111 ff; Schnapp, VerwArch 1987, 429 ff, 438 ff. 159 Zur essentiellen Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips für die demokratische Kontrolle von Gesetzgebung und Verwaltung vgl. etwa OVG Münster, OVGE 35, 8, 9 ff; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 561 ff; Groß, Kollegialprinzip, S. 303 ff. - Zur entsprechenden Bedeutung der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK vgl. BVerwG, DVB1. 2000, 807, 808; Roth, EuGRZ 1998, 497 m.w.N. 157

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Vorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit zu fordern 160 . Das bedeutet aber nicht, daß das einzelne Gemeinderatsmitglied jeden diesbezüglichen Verstoß hinnehmen müßte 161 . Zwar wird er nicht dadurch beschwert, daß die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen wird; denn es ist nicht zu erkennen, wie er dadurch in seinen verschiedenen Rechten beeinträchtigt werden könnte. Sein Rede-, Antrags- und Stimmrecht wird durch die fehlende Öffentlichkeit nicht tangiert, und ein Recht auf einen möglichst publikumswirksamen Auftritt gibt es nicht 162 . Anders verhält es sich, wenn die Öffentlichkeit unzulässigerweise hergestellt wird, obschon nach den einschlägigen Bestimmungen deren Ausschluß geboten gewesen wäre. Dies kann nämlich das Rederecht des Gemeinderatsmitglieds beeinträchtigen, wenn er sich durch die bestehende Öffentlichkeit in der offenen Erörterung bestimmter sensibler Angelegenheiten gehindert sieht. Die unzulässige Öffentlichkeit stellt in derartigen Fällen einen kompulsiven Eingriff in das Rederecht dar, wenn er konkret belegen kann, weshalb diese ihn in seiner freien Rede beeinträchtigte. Noch problematischer erscheint die Beurteilung des Falles einer durch den Bürgermeister vor einer Abstimmung oder Wahl im Gemeinderat gegebenen falschen Belehrung eines Gemeinderatsmitglieds über sein Stimmrecht: Wird ein Gemeinderatsmitglied vom Bürgermeister unrichtig dahin belehrt, daß es unter den gegebenen Umständen nach der Gesetzeslage als befangen gelte oder aus sonstigen Gründen von der Abstimmung ausgeschlossen sei, und verzichtet dieses daraufhin von sich aus, ohne einen förmlichen Ausschlußbeschluß nach § 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW abzuwarten, auf die Beteiligung an der Beratung und Abstimmung über den betreffenden Gegenstand, weil es aufgrund dieser Belehrung irrig meint, gesetzlich von der Abstimmung ausgeschlossen zu sein, so fragt sich, ob hierin eine Beeinträchtigung seines Stimmrechts zu sehen ist 163 . Denn zwar wird-es in einem solchen Fall nicht förmlich ausgeschlossen, so daß kein normativer Eingriff vorliegt, und es wird auch nicht mit Gewalt aus dem Sitzungssaal verbracht, so daß kein faktisch-absoluter Eingriff vorliegt. Dennoch aber wird durch diese falsche Belehrung seine Entscheidung über die Teilnahme an der Abstimmung in eine falsche Richtung gedrängt, weil sich der Betroffene aufgrund dieser Belehrung vor der Alternative sieht, auf sein Stimmrecht zu verzichten oder aber gleichwohl mit abzustimmen und dadurch womöglich die Rechtmäßigkeit des Beschlusses in Frage zu stellen. Fraglich ist jedoch, ob ein solcher auf einer falschen Information basierender freiwilliger Abstimmungsverzicht dem Bürgermeister, der ja zweifellos den Irrtum verur160 Zu dieser Bedeutung primärer Nebenrechte und ihrer Abgrenzung von den als Reaktion auf die rechtswidrige Beeinträchtigung primärer Rechte erwachsenden sekundären Abwehransprüchen oben F.III. 1. 161 Vgl. Bonk, Organstreitigkeiten, S. 110 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 156. 162 Nicht überzeugend daher OVG Münster, OVGE 38, 8, 12. 163 Verneinend OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 363; Meder, LKV 1998, 345.

I. Der Organrechtseingriff

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sacht hat 164 , als Eingriff zuzurechnen ist, oder ob hier die Zurechnung mit dem Argument ausscheiden muß, der Betroffene trage selbst die Verantwortung fur seine Entscheidung; denn wenn er davon absehe, einen förmlichen Beschluß des Bürgermeisters oder des Gemeinderats über seinen Ausschluß herbeizufuhren, so müsse das zu seinen Lasten gehen und könne nicht dem Bürgermeister als Eingriff zugerechnet werden. Damit ist zugleich die besondere Schwierigkeit dieser Fallgruppe aufgezeigt. Zwar wird in derartigen Fällen unverkennbar eine Pression auf den Rechtsinhaber ausgeübt, doch tatsächlich liegt ja die Entscheidung, wie er darauf reagieren soll, immer noch bei ihm selbst. Hier kann man ein unvernünftiges Verhalten des Gemeinderatsmitglieds nicht bereits darin erblicken, daß er nicht auf die Herbeiführung eines förmlichen Beschlusses drängte. Denn § 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW sieht ausdrücklich vor, daß ein solcher Beschluß über das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes nur „in Zweifelsfallen" herbeizuführen ist, daß also jenseits solcher Zweifelsfälle sich der Betroffene aus freien Stücken absentiert. Bestehen nun für alle Beteiligten aufgrund der vom Bürgermeister vorgetragenen Auffassung keine Zweifel, so haben sie keinen Anlaß, einen förmlichen Beschluß herbeizuführen 165. Umgekehrt wäre das Verhalten des Gemeinderatsmitglieds gewiß als unvernünftig einzustufen, wenn der Bürgermeister die Befangenheit lediglich als Möglichkeit andeutet, dabei aber selbst gewisse Zweifel zu erkennen gibt, oder wenn zwar der Bürgermeister mit Bestimmtheit auftritt, aber der Betroffene selbst Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung hat bzw. wenn ein anderes Gemeinderatsmitglied derartige Zweifel äußert. Denn in Zweifelsfällen soll der Gemeinderat entscheiden, und deshalb genügt es solchenfalls nicht, sich allein auf die Belehrung und Auffassung des Bürgermeisters zu verlassen. Wenn aber der juristisch vorgebildete oder beratene Bürgermeister die bestimmte Auffassung äußert, ein Gemeinderatsmitglied sei befangen, diese Möglichkeit plausibel erscheint und von niemandem angezweifelt wird, dann wird man dem betroffenen Gemeinderatsmitglied kein unvernünftiges Verhalten vorwerfen können, wenn er nicht auf einem förmlichen Beschluß des Gemeinderats besteht, sondern von sich aus auf die weitere Beteiligung verzichtet, zumal ja in der beschriebenen Situation ohnehin kein Zweifel daran besteht, daß der Ausschließungsbeschluß eine Mehrheit fände und seine Herbeiführung insofern eine sinnlose Förmelei

164 Hierdurch unterscheidet sich dieser Fall von dem, daß ein Gemeinderatsmitglied in der selbst gefaßten irrigen Meinung, befangen zu sein, von sich aus die Sitzung verläßt; hierdurch wird sein Teilnahme- und Stimmrecht nicht verletzt und ein Gemeinderatsbeschluß nicht rechtswidrig, vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1987, 1103, 1104; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 283; Groß, Kollegialprinzip, S. 313; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 12 Rn. 18; a.A. Kopp, VwVfG, § 20 Rn. 52. 165 Vgl. Thiele, NdsGemO, §26 Anm. 10; Widtmann/Grasser/Glaser, BayGemO, Art. 49 (8. EL 1998) Anm. 10a.

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und Zeitverschwendung wäre 166 . Damit aber liegt in der bezeichneten falschen Belehrung durch den Bürgermeister dank deren irrtumsverursachenden Wirkung ein kompulsiver Eingriff in das Teilnahme- und Stimmrecht des betroffenen Gemeinderatsmitglieds, der materiell nicht anders zu behandeln ist wie ein rechtsirriger förmlicher Ausschließungsbeschluß.

3. Organrechtseingriffe in dreipoligen Organstreitkonstellationen Ungeachtet der zuletzt behandelten Problemfälle, in denen auch in rein zweipoligen Organstreitkonstellationen das Vorliegen eines faktischen Eingriffs mitunter zweifelhaft erscheinen kann, treten doch die eigentlich schwierigen Probleme meistens in dreipoligen Verhältnissen auf, bei denen also zu den beiden am Streit beteiligten Organen oder Organteilen noch ein drittes Rechtssubjekt tritt, entweder ein weiteres Organ oder Organteil oder auch ein Bürger.

a) Personell und strukturell

mittelbare Eingriffe

Entsprechend der größeren Zahl Beteiligter lassen sich in dreipoligen Verhältnissen verschiedene Beeinträchtigungskonstellationen ausmachen167. Als eine der Grundformen sind zunächst die sequentiellen (personell mittelbaren) Konstellationen zu nennen, die sich durch folgenden Eingriffsverlauf auszeichnen: Ein Rechtssubjekt (A) nimmt eine Handlung vor, die sich - in vorteilhafter, nachteiliger oder neutraler Weise - auf ein zweites Rechtssubjekt (K) auswirkt, wodurch dieses seinerseits zu einer Handlung veranlaßt wird, infolge welcher ein drittes Rechtssubjekt (B) eine Beeinträchtigung in einem rechtlich geschützten Gut erleidet. Hier ist also A das am Anfang der Kausalkette handelnde Rechtssubjekt, Β der am Ende Beeinträchtigte, und Κ ist der Kausalmittler, der, indem er auf die ihm widerfahrene Einwirkung seitens des A reagiert und sich durch diese seinerseits zu einer Beeinträchtigung des Β bestimmen läßt, den Kausalverlauf von der Handlung des A hin zu der Beeinträchtigung des Β vermittelt. Die entscheidende Frage läßt sich in solchen Konstellationen dahin 166 Soweit nach dem Kommunalrecht einzelner Bundesländer in jedem Fall ein Beschluß des Gemeinderats über das Vorliegen von Ausschließungsgründen vorgeschrieben ist (vgl. OVG Münster, OVGE 32, 192, 195 f.), verhält es sich allerdings anders: hier wäre es gleichermaßen rechts- und pflichtwidrig wie auch unvernünftig, entfernte sich ein Gemeinderatsmitglied allein auf die Belehrung des Bürgermeisters hin; täte er es doch, so müßte er sich die Beeinträchtigung seines Stimmrechtes selbst vorwerfen, ohne den Bürgermeister dafür verantwortlich machen zu können. Vielmehr müßte hier zwingend der Ausschließungsbeschluß des Gemeinderats abgewartet werden, der sich dann unproblematisch als deprivativer Eingriff darstellt (s. oben G.I.2.a.aa). 167 Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 298 ff.

I. Der Organrechtseingriff formulieren, wann Κ auch Zurechnungsmittler des Β dem A zugerechnet werden kann.

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ist, so daß die Beeinträchtigung

Unter den personell mittelbaren Eingriffskonstellationen lassen sich im hier interessierenden Kontext zwei Typen unterscheiden, je nachdem ob der Kausalmittler ein Privater oder selbst ein Organ der vom Streit betroffenen Organisation ist. Im ersteren Fall besteht das Problem darin, ob ein Organrechtseingriff anzunehmen ist, wenn ein Organ so auf einen Privaten einwirkt, daß dieser ein anderes Organ bei dessen Kompetenzausübung behindert. Angenommen etwa um zur Veranschaulichung ein krasses Beispiel zu nehmen - der Bürgermeister heuerte einen privaten Schlägertrupp an, mißliebige Gemeinderatsmitglieder am Betreten des Sitzungssaales zu hindern: hier würde sich natürlich (zusätzlich zu der Strafbarkeit der Schläger nach § 240 StGB 168 und der persönlichen Strafbarkeit des Bürgermeisters wegen Anstiftung hierzu) die Frage der in einem Organstreitverfahren geltend zu machenden personell mittelbaren Beeinträchtigung der Organrechte der betroffenen Gemeinderatsmitglieder durch den Bürgermeister stellen. Die Bejahung eines personell mittelbaren Organrechtseingriffs drängt sich hier zwar nachgerade auf, doch weshalb dies so ist und weshalb nicht das Dazwischentreten eigenverantwortlich handelnder Privater der Zurechenbarkeit entgegensteht, ist weniger evident. Nun liegt freilich, wie schon die notwendigerweise etwas gekünstelte Konstruktion dieses Beispiels erkennen läßt, der Schwerpunkt der Problematik personell mittelbarer Organrechtseingriffe nicht bei den Fällen privater Kausalmittler. Praktisch viel bedeutsamer sind vielmehr die sequentiellen Beeinträchtigungen, in denen Kausalmittler nicht ein Privater, sondern ebenso wie der zuerst Handelnde ein Träger öffentlicher Gewalt bzw. ein Organ eines solchen ist. Bei Grundrechtseingriffen liegt eine solche Konstellation vor, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt einen anderen Träger öffentlicher Gewalt veranlaßt, in die Grundrechte eines Bürgers einzugreifen 169 (z.B. Weisung der Rechtsaufsichtsbehörde an die Gemeinde oder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung des Bundes an ein Land, einem Bürger gegenüber einen eingreifenden Bescheid zu erlassen). Im hiesigen Kontext könnte man an Fälle denken, in denen ein Organ oder Organteil ein anderes veranlaßt, in die Rechte eines dritten Organs oder Organteils einzugreifen. Derartige Abläufe kommen in der Praxis sehr häufig vor, z.B. wenn der Bürgermeister den Gemeinderat zu einem eines seiner Mitglieder verletzenden Beschluß veranlaßt, oder wenn eine Gemeinderats- oder Kreistagsfraktion einen Antrag einbringt, durch dessen Annahme eine andere Fraktion in ihren Rechten verletzt wird 1 7 0 . In solchen Fällen fragt sich, ob hier

168 169 170

Vgl. hierzuobenG.I.l.b.cc (3). Vgl. hierzu Roth,, Faktische Eingriffe, S. 321 ff. Vgl. VG Minden, NVwZ-RR 1998, 407.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

ein personell mittelbarer Organrechtseingriff mit einem Organ oder Organteil als Kausal- und Zurechnungsmittler anzunehmen ist. Als weitere eigenständige Grundform neben den personell mittelbaren sind die strukturell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen zu nennen, bei denen die Kausalität der Beeinträchtigung nicht durch das Handeln eines Rechtssubjektes vermittelt wird, sondern durch die Struktur der von der Handlung unmittelbar betroffenen Rechtssubjekte: Wenn jemand eine Organisation in ihren Rechten beeinträchtigt, so kann sich dies beeinträchtigend für die dieser Organisation strukturell eingegliederten Organe auswirken, und wenn ein pluralistisches Organ beeinträchtigt wird, so hat dies unter Umständen nachteilige Auswirkungen auch für dessen Teile. Während den personell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen bei Grundrechtseingriffen die praktisch sehr viel wichtigere Bedeutung zukommt, wohingegen derartige sequentielle Beeinträchtigungen bei Organrechtseingriffen keine große Rolle spielen, verhält es sich in bezug auf die strukturell mittelbaren Eingriffe gerade umgekehrt. Strukturell mittelbare Eingriffe kommen zwar auch im Grundrechtsbereich vor. Wenn beispielsweise eine Behörde durch ein Vereinsverbot oder eine Gewerbeuntersagung in die Rechte einer juristischen Person des Privatrechts eingreift, so trifft dies auch die dahinter stehenden Geschäftsführer, Anteilseigner oder Mitglieder 171 . Praktisch spielt diese Frage jedoch keine große Rolle, weil die Interessen der unmittelbar betroffenen juristischen Person und der strukturell mittelbar Betroffenen hier in aller Regel in einem Maße gleichgerichtet sind, daß die Möglichkeit der Hinnahme der Beeinträchtigung durch die juristische Person zu Lasten der strukturell mittelbar Betroffenen überwiegend rein theoretischer Natur ist. Im Privat- oder Wirtschaftsleben nimmt normalerweise niemand eine Rechtsverletzung hin, nur weil sie auch einen anderen, und zwar möglicherweise härter, trifft. Anders kann es sich im Bereich der Organstreitigkeiten verhalten. Die ein Organ oder Organteil treffende Rechtsverletzung muß den beteiligten Organwaltern nämlich persönlich keineswegs immer unwillkommen sein, und deshalb mag gelegentlich für eine Mehrheit in einem Organ die Hinnahme éiner solchen Rechtsbeeinträchtigung im Ergebnis durchaus attraktiv erscheinen. Aufgrund dieser in praxi anzutreffenden Disparität spielen strukturell mittelbare Beeinträchtigungskonstellationen im organisationsinternen Bereich eine bedeutsame Rolle. Die Relevanz der strukturell mittelbaren Beeinträchtigungen im Kontext der Organstreitigkeiten erhellt, wenn man sich einige der praktisch bedeutsamen Beispielsfälle vor Augen fuhrt. Angenommen, der Bürgermeister trifft und vollzieht eine Entscheidung, die in die Kompetenz des Gemeinderats gehört hätte, weil es sich weder um eine Angelegenheit der Auftragsverwaltung noch um ein 171

Vgl. Roth,, Faktische Eingriffe, S. 301.

I. Der Organrechtseingriff

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Geschäft der laufenden Verwaltung handelte, und ohne daß ihm die Sache vom Gemeinderat übertragen worden noch die Voraussetzungen einer Eilentscheidung vorlagen. Damit ist die Entscheidungskompetenz des Gemeinderats verletzt, und zwar nicht im Sinn eines normativen Eingriffs, weil ja seine Entscheidungsbefugnisse rechtlich ungeschmälert fortbestehen, sondern rein faktischusurpativ, weil ihm die tatsächliche Möglichkeit genommen wurde, sein an sich bestehendes Recht noch sinnvoll auszuüben172. Mit der Übergehung des Gemeinderats sind freilich notwendig zugleich die Beteiligungsrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder entwertet, weil ihr Antrags-, Rede- und Stimmrecht, ja eigentlich fast sämtliche ihrer verschiedenen Mitwirkungsrechte davon abhängen, daß der Gemeinderat überhaupt mit der Sache befaßt ist 173 . Dasselbe gilt für den Fall, daß ein Gemeinderatsausschuß unzulässigerweise über eine Angelegenheit beschließt, die dem Gemeinderat vorbehalten gewesen wäre 174 . Eine vergleichbare Konstellation liegt bei Klagen von Gemeinderatsfraktionen vor, mit denen diese die Beeinträchtigung der ihnen nach Gemeindeordnung bzw. gemeindlicher Hauptsatzung und Geschäftsordnung zustehenden Kompetenzen als Folge der Umgehung oder Ausschaltung des Gemeinderats rügen 175 . Allgemein finden sich derartige Situationen immer, wenn die Kompetenzen eines pluralistisch zusammengesetzten Organs durch ein anderes Organ beeinträchtigt werden, weil damit die Kompetenzen auch der Organteile (z.B. Fraktionen, einzelne Mitglieder) des beeinträchtigten Organs leerlaufen. Die strukturelle Mittelbarkeit der Beeinträchtigung der einzelnen Gemeinderatsmitglieder oder -fraktionen ergibt sich daraus, daß die Organrechte dieser Teile des Gemeinderats zwar rechtlich eigenständig gegenüber den Organrechten des Gemeinderats existieren, daß ihre Ausübung jedoch faktisch weitgehend durch die Befassung des Gemeinderats mit einer Angelegenheit bedingt ist. Wenn der Bürgermeister die Kompetenzen des Gemeinderats mißachtet, dann verletzt er deshalb nicht lediglich dessen Organrechte, sondern entwertet er zugleich notwendig auch faktisch die Rechte der in denselben eingegliederten Teile. Ähnliche Fragen wirft der strukturell genau umgekehrte Fall auf, daß nicht die kleinere Einheit ihre Rechte als Folge der Verletzung der größeren, sondern wenn ein Organ oder Organteil seine Rechte als Folge der Verletzung seiner Angehörigen verletzt sieht. So kann etwa eine Fraktion als Zusammenschluß von Abgeordneten bzw. Gemeinderäten dadurch Nachteile erleiden, daß die Rechte der Fraktionsangehörigen verletzt werden. Beispielsweise berühren Be172

S. oben G.I.2.b.aa. Zu solchen Konstellationen vgl. z.B. VGH Mannheim, NVwZ 1993, 396; OVG Münster, NWVB1. 1989, 21 (Konflikt zwischen Gemeindedirektor und einzelnem Ratsmitglied). 174 Vgl. VG Schwerin, LKV 1998, 74, 76. 175 Z.B. OVG Münster, NVwZ 1989, 989 f. 173

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

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schränkungen der Redezeit der Fraktionsmitglieder auch die Rechtsstellung der Fraktion selbst, weil diese dadurch behindert wird, ihren Standpunkt in den Beratungen voll zur Geltung zu bringen 176 . Es fragt sich in all diesen Fällen personell bzw. strukturell mittelbarer Beeinträchtigungen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein zurechenbarer Organrechtseingriff anzunehmen ist.

b) Keine generelle Unzurechenbarkeit

mittelbarer Beeinträchtigungen

Die ganz herrschende Meinung ist mit der Annahme von Eingriffen in Organrechte bei mittelbaren Kausalverläufen äußerst zurückhaltend und verhält sich überwiegend ablehnend. Insbesondere geht sie davon aus, daß eine lediglich mittelbare Betroffenheit, wie sie beispielsweise den einzelnen Gemeinderatsmitgliedern oder Gemeinderatsfraktionen als Folge einer gesetzwidrigen Übergehung des Gemeinderats durch den Bürgermeister oder einen Gemeinderatsausschuß widerfährt, grundsätzlich nicht geeignet sei, die Klagebefugnis im kommunalverfassungsrechtlichen Organstreitverfahren zu begründen 177. Dieser restriktiven Sichtweise ist nicht beizupflichten 178 . Die pauschale Verneinung der Zurechenbarkeit mittelbarer Organrechtsbeeinträchtigungen steht in einem dogmatisch nicht zu erklärenden krassen Widerspruch zu dem ansonsten allgemein anerkannten Umstand - im Bereich des öffentlichen Rechts ist hier insbesondere an die mittelbaren Grundrechtseingriffe 179 sowie an die Figur des Zweckveranlassers im Polizeirecht 180 zu erinnern, ferner im Zivilrecht 181 und im 176

BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 366. Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1994, 352; OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665 f.; OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 179; VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284, 285; 1993, 396; NVwZ-RR 1994, 229; VB1BW 1999, 304; 2000, 321, 322; OVG Münster, NWVB1. 1989, 21; NVwZ 1989, 989, 990; VG Schwerin, LKV 1998, 74, 76; Bauer/ Krause, JuS 1996, 515; Bosch/Schmidt, Praktische Einfuhrung, § 30 I 3; Erlenkämper, NVwZ 1998, 362; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 113 Stichwort „Kommunalverfassungsstreit"; Groß, Kollegialprinzip, S. 319; Martensen, JuS 1995, 992; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 260; Rehn/Cronauge, GemO NW, § 27 (16. EL 1994) Anm. II 4; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 135; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 100; ebenso VerfGH Berlin, JR 1999, 18, 20: Parlamentsfraktion kann nicht Verletzung ihrer eigenen Mitwirkungsbefugnisse infolge Übergehens des Parlaments durch die Regierung rügen. 178 Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 170; Fuß, WissR 1972, 123 f.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 22; Müller, NVwZ 1994, 122 f.; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 214 ff. 179 Vgl. eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 301 ff., 329 ff. m.w.N. 180 Zum polizeilichen Zweckveranlasser vgl. etwa OVG Hamburg, NJW 2000, 2600, 2601; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 315 f.; Friauf in SchmidtAßmann, BesVerwR, 2. Abschn. Rn. 80 ff.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 157 f. 177

I. Der Organrechtseingriff

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Strafrecht 182 etwa an die Herausforderungs- und Verfolgungsfälle - , daß der Zurechnungszusammenhang weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht notwendig daran scheitert, daß die Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts erst aufgrund weiterer Ursachen eintritt, die ihrerseits auf die zuerst vorgenommene Handlung zurückzuführen sind 183 , daß also jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbar herbeigeführte Erfolge zuzurechnen und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit gerichtlich abzuwehren sein können. Gewiß besteht mancher Streit, wann genau ein mittelbarer Eingriff vorliegt. Aber daß es etwa sequentielle Grundrechtseingriffe gibt und die Grundrechte hiergegen auch abwehrrechtlichen Schutz gewähren, ist gesicherte Erkenntnis 184. Und im Polizeirecht ist noch nie in Abrede gestellt worden, daß „auch ein in einem früheren Stadium Beteiligter ... als Störer in Betracht kommen [kann], wenn und soweit er durch sein Verhalten die Grenze zu genau derjenigen konkreten Gefahr überschritten hat, die Anlaß für polizeiliches Einschreiten bietet" 185 . Da ein Grund für eine in Ansehung solcher mittelbarer Eingriffe prinzipiell abweichende Behandlung subjektiver Organrechte nicht ersichtlich ist, erscheint es inkonsistent und nicht haltbar, die Zurechenbarkeit mittelbarer Organrechtseingriffe grundsätzlich ausschließen zu wollen. Zunächst ist zu betonen, daß sich ein solcher Zurechnungsausschluß jedenfalls nicht unter Berufung auf die fehlende „Unmittelbarkeit" begründen läßt. Die mangelnde Bestimmtheit dieses Begriffs wurde bereits aufgezeigt 186. Nähme man das Unmittelbarkeits-Kriterium ernst, so müßte bei allen personell oder strukturell mittelbaren Eingriffen die Zurechenbarkeit verneint werden. Das wird natürlich mit Recht von niemandem vertreten und ließe sich wohl auch vom Ergebnis her kaum durchhalten. Wenn etwa in der Beschränkung der Redezeiten und Redemöglichkeiten einzelner Fraktionsmitglieder durchaus auch eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung der Fraktionen gesehen wird, insoweit diese dadurch gehindert werden, ihre Standpunkte zu den Beratungsgegenständen umfassend darzulegen 187, obgleich doch hier die Beeinträchtigung der Frak181 Vgl. etwa BGHZ 101, 215, 220; 132, 164, 166 ff.; BGH, NJW 1993, 2234; 2000, 2901, 2902; Gehrlein, VersR 1998, 1331 ff.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 334 ff., 432 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 194 f.; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn. 48 ff. 182 Vgl. etwa BGHSt 39, 321, 325 f.; Lenckner, in Schönke/Schröder, StGB, vor § 13 Rn. 100 ff. 183 Vgl. BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981; 1993, 470, 471; 1997, 682; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694, 695. 184 Vgl. hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 301 ff., 329 ff. m.w.N. 185 OVG Hamburg, NJW 2000, 2600, 2601; Drew s/ Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 315; femer OVG Bautzen, NJW 1997, 2253, 2254 f.; vgl. bereits PrOVG, PrVBl. 52 (1931), 330, 331. 186 S. oben G.I.l.b.bb (2). 187 BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 366.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

tion lediglich mittelbare Folge des Eingriffs in das Rederecht ihrer Mitglieder ist, so läßt sich nicht der umgekehrte Fall unter Berufung auf die fehlende „Unmittelbarkeit" pauschal von den Organrechtseingriffen ausnehmen. Deshalb entpuppt sich die „Unmittelbarkeit" als das, was sie in diesem Zusammenhang immer ist: eine von ihrem Wortsinn her irreführende und schon allein deswegen falsch gewählte Leerformel, in die nach dem Belieben des Interpreten nicht offengelegte Wertungen einfließen können. Das Kriterium der „Unmittelbarkeit" entbindet den Rechtsanwender dank seiner Leerformelhaftigkeit jeder inhaltlichen Begründungspflicht und ersetzt juristisches Argumentieren durch das bloße Behaupten, etwas sei „unmittelbar" oder nicht. Das Begriffspaar „unmittelbar - mittelbar" ist daher nicht geeignet, zu einer praktikablen und für die Betroffenen berechenbaren Abgrenzung beizutragen 188. Dieser Einwand gegen das Unmittelbarkeitskriterium bezieht sich dabei wohlgemerkt nicht auf die analytische Unterscheidung unmittelbarer und mittelbarer Eingriffe. Zum besseren Verständnis der Vorgänge kann es durchaus angebracht sein, die mittelbaren Eingriffe besonders herauszustellen und sich ihre phänomenologischen Unterschiede zu unmittelbaren Eingriffen bewußtzumachen. Abzulehnen ist hingegen jeder Versuch, die Unmittelbarkeit zum ausschlaggebenden Zurechnungskriterium zu erheben und mittelbare Eingriffe generell als irrelevant auszuklammern. Da letzteres jedenfalls in allgemeiner Form nicht sachgerecht ist und auch gar nicht ernsthaft konsequent vertreten wird, ist das Unmittelbarkeitsmerkmal als Zurechnungskriterium irreführend und deshalb zu verwerfen. Die Ausklammerung mittelbarer Organrechtseingriffe aus dem verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren läßt sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, daß das subjektive Rechtsschutzsystem der VwGO und namentlich die Sachentscheidungsvoraussetzungen des § 42 Abs. 2 bzw. § 43 Abs. 1 VwGO eine „unmittelbare Verletzung eigener Rechte" forderten 189. Diese Vorschriften setzen zwar allerdings einen subjektiven Rechtsschutzbezug voraus 190 . Sie verhalten sich jedoch nicht dazu, ob die inmitten stehende subjektive Rechtsverletzung 191 auf einem unmittelbaren oder einem (personell bzw. strukturell) mittelbaren Eingriff beruhen muß. Tatsächlich finden sich in der VwGO keine Anhaltspunkte, die eine generelle Ausklammerung mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen vom verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz rechtfertigen könnten. In der Tat widerspräche eine solche Annahme geradezu der dienenden Funktion der VwGO. Denn wenn nach materiellem Recht eine subjektive Rechtsverlet188 189

Treffend BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981; vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 36. So aber OVG Koblenz, DVB1. 1985, 177, 179; vgl. OVG Koblenz, AS 17, 211,

213 f.

190

191

S. oben C.IV. 1. Vgl. hierzu oben G. vor I.

I. Der Organrechtseingriff

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zung vorliegt, so spricht eine Vermutung dafür, daß diese auch gerichtlich geltend zu machen ist. Ob eine subjektive Rechtsverletzung vorliegt, bestimmt sich nach dem Schutzzweck der materiellen Rechtsnormen sowie den in Einklang mit deren telos zu entwickelnden Eingriffskriterien. Nach materiellen Maßstäben aber sind Rechtsverletzungen nicht nur durch unmittelbare Eingriffe möglich, sondern auch durch mittelbare; maßgeblich ist immer nur, ob sich die in Frage stehende Verletzung des betrachteten subjektiven Rechts der konkreten inkriminierten Handlung „tatsächlich und rechtlich zuordnen läßt" 192 . Ist aber letzteres - und das heißt mit anderen Worten: die Zurechenbarkeit - materiell zu bejahen und liegt hiernach ein möglicherweise rechtswidriger Eingriff in ein subjektives Recht vor, so ist auch die Klage- bzw. Antragsbefugnis gegeben193. Mittelbare Organrechtseingriffe lassen sich deshalb keinesfalls unter Berufung auf die Sachentscheidungsvoraussetzung der Klagebefugnis als irrelevant abtun. Wenn die ganz herrschende Meinung mittelbare Eingriffe in Organrechte entweder ganz ablehnt oder doch allenfalls sehr restriktiv handhabt, während gleichzeitig etwa mittelbare Grundrechtseingriffe bei allen Differenzen im Detail doch inzwischen allgemein anerkannt sind und auch zu Recht insgesamt recht großzügig gehandhabt werden, so dürfte es sich hierbei (auch) um eine (unbewußte) Auswirkung des Umstandes handeln, daß Organstreitigkeiten vielfach (noch) als eine rechtsdogmatische und verwaltungsprozessuale Ausnahmeerscheinung angesehen werden, welche möglichst eng zu handhaben seien, um nicht das vermeintliche System zu sprengen. Wenngleich bei rechter Betrachtung die bedeutenden Rechtslehrer des Konstitutionalismus nie eine (strenge) Impermeabilitätstheorie vertreten haben 194 , so ändert dies doch nichts daran, daß die Entwicklung der Organstreitigkeiten unter jenem Impermeabilitätseindruck stattgefunden hat, welcher jede Zulassung einer Organstreitigkeit als eine rechtfertigungsbedürftige Besonderheit erscheinen lassen mußte 195 . In noch stärkerem Maße gilt dies für das Vermögen bzw. eben oft auch Unvermögen, Organkompetenzen als subjektive Rechte anzuerkennen und sie in gleicher Weise zu schützen, wie es etwa für die subjektiven Rechte Privater gegenüber faktischen Beeinträchtigungen durch den Staat selbstverständlich geworden ist. Wer sich auf der unzutreffenden Basis der Interessentheorie 196 schwertut, überhaupt subjektive Organrechte anzuerkennen 197, und wer die Einordnung solcher nur mit Mühe und Bedenken akzeptierter subjektiver Organrechte unter das Rechtsschutzsystem der VwGO letztlich für einen nur aus praktischer Notwendigkeit 192

BVerwG, NJW 1999, 1567; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694, 695. Vgl. BVerwG, NJW 1999, 1567 für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. 194 S. oben C.II.3. und 4. 195 S. oben C.II.I.e. 196 Zu dieser oben D.I.I.e. 197 Vgl. zu dieser Diskussion oben C.IV.2. 193

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

hinzunehmenden Systembruch hält, der muß zwangsläufig eine restriktive Tendenz entfalten, jene Entwicklung in Grenzen zu halten. Nun hat zwar das praktische Bedürfnis an der gerichtlichen Entscheidbarkeit von Organstreitigkeiten auch in den Augen der nicht wenigen Bedenkenträger die Oberhand über die zahlreichen als gravierend empfundenen dogmatischen Einwände gewonnen. Gleichwohl dürfte aber die Vermutung nicht fehlgehen, daß eine Rechtsentwicklung, die unter dem Stigma steht, praeter oder gar contra legem zu erfolgen, wesentlich zurückhaltender und restriktiver verläuft, als wenn sie auf dogmatisch klarer Grundlage und im zutreffenden Bewußtsein erfolgt, es mit einem gewöhnlichen und nach gewöhnlichen Maßstäben zu lösenden Rechtsproblem zu tun zu haben. Aus dem Gesagten folgt freilich nicht, daß mittelbare Beeinträchtigungen, seien sie personell oder strukturell mittelbarer Natur, ohne weiteres stets zurechenbar wären. Selbstverständlich kann es nicht genügen, daß die Ausgangshandlung nur „ein - mehr oder weniger zufälliger - Auslöser" für denjenigen Akt ist, der die Beeinträchtigung letztlich herbeiführt 198. Vielmehr ist die Beeinträchtigung grundsätzlich allein denjenigen tatsächlich und rechtlich selbständigen Akten zuzurechnen, die als letztes Glied in der Kausalkette wirksam geworden sind, und in erster Linie sind diese Akte gegebenenfalls mit den insoweit bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten zu bekämpfen 199. Es bedarf daher schon einer besonderen Begründung, weshalb eine Zurechnung auch über einen solchen Zwischenakt hinweg möglich sein soll. Jedenfalls aber ist eine rein formale Betrachtung anhand des (nur scheinbar präzisen) Unmittelbarkeitskriteriums ganz ungenügend, sondern vielmehr bedarf es materieller Kriterien. Erforderlich ist also zweierlei: Erstens sind materielle Zurechnungskriterien herauszuarbeiten, und zweitens ist nachzuweisen, daß deren Zugrundelegung bei der Beurteilung von Organrechtseingriffen durch den Schutzzweck der Organrechte auch tatsächlich geboten ist.

c) Die Zurechenbarkeit

mittelbarer Beeinträchtigungen

aa) Problemstellung Auch wenn im allgemeinen nicht zwischen personell und strukturell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen unterschieden, sondern diese regelmäßig verallgemeinernd und nicht selten ungenau als einheitliche Kategorie behandelt werden, erfordert eine Lösung der sich hierbei aufwerfenden Zurechnungsprobleme doch ein genaueres Hinsehen. Bei personell mittelbaren (sequentiellen)

198 199

BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981. BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981.

I. Der Organrechtseingriff

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Kausal Verläufen geht es um die Zurechnung des erst durch den Kausalmittler verursachten Beeinträchtigungserfolges an den zuerst Handelnden und somit um die Zurechnung eines positiven Tuns oder pflichtwidrigen Unterlassens des Kausalmittlers. In derartigen Fällen geht es immer darum, ob der zuerst Handelnde, obgleich der Beeinträchtigungserfolg nicht eingetreten wäre, wenn der Kausalmittler anders gehandelt hätte, dennoch für denselben verantwortlich zu machen ist. Bei strukturell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen geht es demgegenüber nicht um die Zurechnung eines solchen Handelns eines Kausalmittlers, sondern um die Zurechnung der durch die innere Struktur eines Organs bedingten und vermittelten Beeinträchtigung. Wenn etwa der Bürgermeister den Gemeinderat bei einer Entscheidung übergeht, dann werden die Mitwirkungsrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder aufgrund der Organisationsstruktur ohne weiteres beeinträchtigt 200; einer wie auch immer gearteten Handlung des Gemeinderats bedarf es hierzu gar nicht. Von daher dürfte an der Zurechenbarkeit der strukturell mittelbaren Beeinträchtigung der Organrechte der Gemeinderatsmitglieder zu der eigenmächtigen Entscheidung des Bürgermeisters eigentlich nicht gezweifelt werden. Andererseits ist die Zurechnung keine Frage rein phänomenologischer Natur, sondern vor allem eine solche normativer Wertung. Deshalb ist es legitim, wenn die herrschende Meinung danach fragt, ob nicht ungeachtet dessen, daß die faktische Beeinträchtigung der Rechte von Organteilen notwendige Folge der Übergehung des Organs ist, die Zurechnung strukturell mittelbarer Beeinträchtigungen wertend ausgeschlossen werden muß. In der Tat ist zu erwägen, ob nicht beispielsweise dem Gemeinderat, eben weil eine ihn treffende Beeinträchtigung seitens des Bürgermeisters erst durch seine Struktur als Beeinträchtigung auch der Rechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder vermittelt wird und er damit sozusagen an der Eingriffshandlung „näher dran" ist, eine Prärogative zur Abwehr dieses Eingriffs des Bürgermeisters zukommen muß. Wenn der Gemeinderat seine Rechte gegenüber dem Bürgermeister verteidigt, so wäre damit fraglos zugleich auch allen Mitgliedern und Fraktionen des Gemeinderats gedient, wären ihre Rechte hinreichend geschützt. Was aber, wenn es der Gemeinderat aus welchen Gründen auch immer unterläßt, gegen den Bürgermeister vorzugehen? Haben dann diejenigen Mitglieder und Fraktionen, die mit dieser Untätigkeit nicht einverstanden sind, eine Möglichkeit, die drohende faktische Entwertung ihrer diversen Befugnisse abzuwehren? Hier zeigt sich nun, daß dem Gemeinderat zwar vielleicht eine gewisse Prärogative zukommen mag, gegen den eingreifenden Bürgermeister vorzugehen, daß diese jedoch keinen exklusiven Charakter besitzen und dem Gemeinderat keinen Ausschließlichkeitsanspruch verleihen kann, gegen dem Bürgermeister im Wege eines Organstreitverfahrens vorzugehen. Das „näher dran" 200

Vgl. oben G.I.3.a.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

mag in gewissen Situationen die Zurechenbarkeit ausschließen und den strukturell mittelbar Betroffenen an der eigenen Wahrnehmung seiner Rechte hindern. Ein genereller Zurechnungsausschluß läßt sich aus diesem Umstand hingegen nicht ableiten, wie schon ein Blick auf sequentielle Beeinträchtigungskonstellationen zeigt, wo ja der Kausalmittler auch „näher dran" und dennoch eine Zurechnung des Eingriffs durch diesen hindurch nicht ausgeschlossen ist. Letztlich geht es bei mittelbaren Eingriffen immer um die materielle Zurechenbarkeit des Handelns dessen, der an dieser Mittlungsstelle agiert und damit eigentlich „näher dran" ist. Doch so wie es bei personell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen erforderlich und möglich ist, materielle Kriterien zu entwickeln, wann das Ergebnis des Handelns des Kausalmittlers dem Ersten zuzurechnen ist - obschon doch der Kausalmittler gewiß am Erfolg „näher dran" ist als jener Erste - , so ist es bei strukturell mittelbaren Beeinträchtigungen erforderlich, materielle Kriterien zu finden, wann die Beeinträchtigung beispielsweise der Gemeinderatsmitglieder dem Bürgermeister zuzurechnen ist, obgleich der Gemeinderat als „Strukturmittler" an sich „näher dran" wäre, die ihm widerfahrene Beeinträchtigung abzuwehren.

bb) Gefahrschaffungsgefahr und Vernünftigkeitsmaßstab Bei der Beurteilung der Zurechenbarkeit mittelbarer Eingriffe ist zunächst auf das vom BVerwG gelegentlich benutzte Kriterium zu verweisen, ob die Entwicklung von der Ausgangshandlung über das dazwischentretende Handeln des Kausalmittlers bis zu der geltend gemachten Rechtsbeeinträchtigung eine „konkrete Wahrscheinlichkeit" für sich hatte 201 , weil die Ausgangsmaßnahme ihrer Art nach „erfahrungsgemäß" 202 die Handlung des Kausalmittlers und dann am Ende die Beeinträchtigung nach sich zieht. Dem dürfte zwar im Kern eine zutreffende Überlegung zugrunde liegen, doch treffen auch diese Kriterien die Sache noch nicht ganz exakt. Wie der von einer bestimmten Maßnahme unmittelbar Betroffene „erfahrungsgemäß" reagieren und welche mittelbaren Wirkungen diese deshalb „erfahrungsgemäß" letztendlich haben wird, kann nur gesagt werden, wenn diesbezügliches Erfahrungswissen besteht. Das aber setzt voraus, daß vergleichbare Situationen bereits mehrfach vorlagen und daß darin ein bestimmtes gleichbleibendes Handlungsmuster erkennbar wird. Nun kann die rechtliche Wertungsfrage der Zurechenbarkeit aber nicht davon abhängig sein, ob und inwieweit verläßliches Erfahrungswissen über typische Reaktionsweisen vorliegt. Denn schließlich ist die Zurechenbarkeit eine normative Wertungsentscheidung und kein empirisches Faktum, und bei wertender Betrachtung muß es möglich 201 BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981; 1993, 470, 471; 1997, 682; NJW 1999, 1567; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694, 695. 202 BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981; OVG Koblenz, DÖV 1998, 694, 695.

I. Der Organrechtseingriff

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sein, die Zurechenbarkeit zu bejahen, obschon überhaupt kein Erfahrungswissen besteht. Insofern ist die Formulierung der Erfahrungsgemäßheit etwas verunglückt. Daß es aber auch dem BVerwG der Sache nach nicht auf eine Erfahrungsmäßigkeit im eigentlichen Sinne ankommen dürfte, erhellt aus seiner Ausführung, es „müsse rückschauend die Prognose gerechtfertigt sein", daß eine Maßnahme der betreffenden Art „erfahrungsgemäß" die fragliche Beeinträchtigung bewirken wird 2 0 3 . Die zutreffende Ansicht, daß die Zurechenbarkeit stets aus einer Ex-post-Sicht („rückschauend") zu beurteilen ist 204 , bedeutet nichts anderes, als daß das fur die Zurechnungsentscheidung erforderliche Wissen eben nicht bereits vorher vorhanden sein muß, sondern auch erst anhand des konkreten Falles und der daraus gezogenen Lehren gewonnen werden kann. Damit aber kommt es nicht auf die Erfahrung als solches an, weil schwerlich eine einmalige Handlungsweise schon Erfahrungswissen über Entscheidungsverhalten begründet 205 . Wenn weiter gesagt wird, die Entwicklung müsse eine „konkrete Wahrscheinlichkeit" für sich gehabt haben, so ist diese schiefe Formulierung - eine Wahrscheinlichkeit kann mehr oder weniger hoch, nicht aber „konkret" sein dahin zu verstehen, ob in der gegebenen Situation der Eintritt des mittelbaren Beeinträchtigungserfolges zu erwarten war. Wann aber ist dies der Fall? Wie bei zweipoligen Verhältnissen, sofern die Handlung erst aufgrund einer Entscheidung des Verletzten die Beeinträchtigung herbeiführt, nach der Vernünftigkeit dieser Entscheidung gefragt werden muß 206 , so muß bei personell der mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen nach der Vernünftigkeit Handlungsweise des Kausalmittlers gefragt werden 207 , und so muß dann konsequenterweise bei strukturell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen (falls man überhaupt erwägt, die Zurechenbarkeit der die Organteile treffenden Beeinträchtigung an einer primären Verantwortung des Organs zur Abwehr seiner Beeinträchtigung scheitern zu lassen) nach der Vernünftigkeit des Unterlassens des Organs gefragt werden, die Verletzung seiner Rechte abzuwehren. Der Beeinträchtigungserfolg ist bei mittelbaren Eingriffen der Ausgangshandlung also dann zuzurechnen, wenn diese die Gefahr geschaffen hat, daß der von ihr unmittelbar Betroffene aufgrund einer vernünftigen Entscheidung in Reaktion auf die 203

BVerwG, NVwZ 1991, 980, 981. Vgl. hierzu eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 135 ff - Vgl. oben G.I.l.b.cc (2). 205 BVerwG, NJW 1999, 1567 definiert denn auch das Kriterium der „konkreten Wahrscheinlichkeit" nicht mehr von einer Erfahrungsmäßigkeit her, ohne freilich anzugeben, wie es die von ihm geforderte „konkrete Wahrscheinlichkeit" sonst bestimmen will. 206 S. oben G.I.l.b.cc (3). 207 Zur Anwendung des Vernünftigkeitsprinzips auf den Kausalmittler eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 312 ff. 204

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

ihn treffende Maßnahme seinerseits in das Recht des mittelbar Betroffenen eingreift, und letzteres heißt eben: eine Gefahr für dessen Rechtsgüter schafft. Auf eine kurze Formel gebracht ist also zu prüfen, ob die Ausgangshandlung eine Gefahrschaffungsgefahr geschaffen hat 208 . Die aus einem vernünftigen Handeln des Kausalmittlers erwachsenden Folgen sind danach dem zuerst Handelnden zuzurechnen, die Konsequenzen unvernünftigen Handelns dagegen nicht 209 . Legt man diesen Vernünftigkeitsmaßstab an, so erhellt die sachliche Übereinstimmung mit den vom BVerwG gebrauchten Kriterien der „Erfahrungsgemäßheit" und der „konkreten Wahrscheinlichkeit": „Konkret wahrscheinlich" und „erfahrungsgemäß" zu erwarten ist eine Handlung dann, wenn sie vernünftig ist, weil eben normalerweise davon auszugehen ist, daß Rechtssubjekte vernünftig handeln. Nur kommt es eben nicht auf tatsächliches Erfahrungswissen über die zu erwartende Reaktion an, sondern auf ein ex post wertendes Vernünftigkeitsurteil aus der Sicht des Kausalmittlers. Ganz unerheblich ist ein etwaiges Erfahrungswissen, sollte ein solches einmal vorliegen, freilich nicht, sondern es ist sehr wohl geeignet, die rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung zu belegen und damit die Zurechenbarkeit zu rechtfertigen: Wenn erfahrungsgemäß eine bestimmte Gefahrschaffung eine bestimmte Reaktion nach sich zu ziehen pflegt, so liegt das in aller Regel daran, daß eben diese Reaktion für die Betroffenen vernünftig erscheint; die parallele Verhaltensweise einer größeren Zahl von Rechtssubjekten stellt ein zumindest starkes Indiz dafür dar, daß die zugrunde liegende Entscheidung wenn auch vielleicht nicht in einem objektiven Sinn bei streng rationaler Betrachtung, aber doch jedenfalls gemäß den von der Rechtsordnung an das Verhalten anzulegenden normativen Maßstäben als vernünftig anzusehen ist 210 . Das eigentliche Zurechnungsproblem besteht aber immer in der Bestimmung, wann das Verhalten des Kausalmittlers als vernünftig zu erachten ist, und das materielle Problem besteht im Nachweis, daß eine solche Zurechenbarkeitslehre auch vom Schutzzweck der subjektiven Organrechte gefordert wird. Dies ist nunmehr anhand der verschiedenen Problemfälle zu erörtern und zu vertiefen.

d) Personell mittelbare Organrechtseingriffe Unter Zuhilfenahme des Kriteriums der Gefahrschaffungsgefahr lassen sich die personell mittelbaren (sequentiellen) Organrechtseingriffe dem Grundsatz nach einfach in den Griff bekommen. Die für die Zurechenbarkeit entscheidende Frage lautet, ob die Ausgangshandlung eine Gefahr geschaffen hat, daß der 208

Zum Kriterium der Gefahrschafftingsgefahr näher Roth, Faktische Eingriffe, S. 304 ff 209 Vgl. BGHZ 3, 261, 268: „ungewöhnliches und gröblich falsches Eingreifen". 210 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 194.

I. Der Organrechtseingriff

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davon unmittelbar betroffene Kausalmittler bei vernünftiger Entscheidung den mittelbaren Beeinträchtigungserfolg herbeiführen wird. Für die Anwendung des Vernünftigkeitsmaßstabs ist eine objektive Betrachtungsweise anzulegen, wobei freilich auf die konkrete Entscheidungssituation des handelnden Kausalmittlers abzustellen ist. Sofern es sich bei dem Kausalmittler um einen Privaten handelt, sind zur Beurteilung der Vernünftigkeit seines Verhaltens grundsätzlich dieselben Erwägungen maßgeblich wie bei der Parallelproblematik sequentieller Grundrechtseingriffe 211 . Danach läßt sich nunmehr etwa in dem obigen Beispiel, daß der Bürgermeister zur Fernhaltung mißliebiger Gemeinderatsmitglieder private Schläger anheuert, dogmatisch stimmig begründen, weshalb er sich die Beeinträchtigung der Organrechte der Gemeinderatsmitglieder zurechnen lassen muß, obschon doch die Privaten durchaus als eigenverantwortlich handelnde unmittelbare Täter dazwischengetreten sind: Wer durch die Inaussichtstellung oder Gewährung rechtlicher, finanzieller oder politischer Vorteile bzw. durch die glaubhafte Androhung von Nachteilen einen anderen dazu bringt, einen Dritten in der Ausübung seiner Rechte zu behindern, muß sich diesen Erfolg als Realisierung der von ihm geschaffenen Gefahrschaffungsgefahr zurechnen lassen. Fraglich ist, ob mit derselben Begründung die Zurechenbarkeit auch in den Fällen eines hoheitlichen Kausalmittlers zu bejahen ist. Hier ist nun daran zu erinnern, daß ein wesentlicher Grund für die Anerkennung sequentieller Grundrechtseingriffe darin besteht, daß sich ein Träger öffentlicher Gewalt nicht dadurch von seiner grundrechtlichen Verantwortlichkeit befreien können soll, daß er einen Privaten in die Kausalkette einschiebt: Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt nicht unmittelbar selbst in Grundrechte eingreift, sondern durch entsprechende Einflußnahme einen Privaten veranlaßt, diese Beeinträchtigung vorzunehmen, dann muß der Beeinträchtigte um der Effektivität seiner Grundrechte willen jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen eine Möglichkeit haben, den Träger öffentlicher Gewalt trotz seiner nur mittelbar zum Tragen kommenden Rolle zur Verantwortung zu ziehen; die Grundrechte büßten nämlich ihre Schutzwirkung zu einem erheblichen Teil ein, wäre der Beeinträchtigte allein auf eine zivilrechtliche Auseinandersetzung mit dem privaten Kausalmittler verwiesen und von einer grundrechtlichen Inanspruchnahme des Trägers öffentlicher Gewalt abgeschnitten212. Von diesem grundrechtlichen Schutzzweck her ist deshalb bei sequentiellen Grundrechtseingriffen dann eine gewisse Einschränkung zu machen, wenn der Kausalmittler selbst ein inländischer Träger öffentlicher Gewalt ist. Denn in solchen Fällen ist der hoheitliche Kausalmittler selbst an die Grundrechte gebunden, und voller Grundrechtsschutz ist durch 211

Hierzu ausführlich Roth, Faktische Eingriffe, S. 329 ff. Vgl. hierzu BVerwGE 75, 109, 115 f.; 90, 112, 124; Roth, Faktische Eingriffe, S. 309 ff. 212

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

seine Inanspruchnahme zu erlangen, ohne daß der zuerst handelnde Träger öffentlicher Gewalt in Anspruch genommen zu werden bräuchte 213. Entsprechendes gilt fur Organstreitigkeiten. Das in seinen Rechten beeinträchtigte Organ oder Organteil kann und muß sich an das Organ oder Organteil halten, dessen Handlung zuletzt wirksam geworden ist 214 ; ob hinter diesem noch ein anderes Organ oder Organteil gestanden hat, ist zur Gewährleistung eines effektiven Schutzes der subjektiven Organrechte in solchen Konstellationen regelmäßig unerheblich. Soweit die Organrechte des verletzten Organs durch die organstreitmäßige Inanspruchnahme des zuletzt handelnden Organs ausreichend geschützt sind, kann die dogmatische Frage der etwaigen Zurechenbarkeit unter Schutzzweckgesichtspunkten offenbleiben und braucht folglich nicht erörtert zu werden, ob die Handlungsweise des als Kausalmittler fungierenden Organs im Sinne des Vernünftigkeitsprinzips vernünftig war oder nicht. Aus diesem Grund fehlt beispielsweise einer Kreistagsfraktion die Klagebefugnis für eine Klage gegen eine andere Kreistagsfraktion, wenn sie nur geltend macht, letztere habe eine Abstimmung oder Wahl im Kreistag angeregt oder beantragt, durch welche sich die klagende Fraktion verletzt sieht: Die Abstimmung oder Wahl nimmt der Kreistag als solcher aus eigenem Recht und in eigener Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seines Handelns vor, nicht etwa als Gehilfe oder Beauftragter der antragstellenden Fraktion, und deshalb kann ein mit der Organrechtswidrigkeit des Abstimmungs- oder Wahlaktes begründetes Organstreitverfahren nur gegen den Kreistag gerichtet werden, nicht gegen die Fraktion, die den Antrag oder Wahlvorschlag einbrachte 215; insofern fehlt es mangels zurechenbaren sequentiellen Eingriffs schon an der Möglichkeit einer Organrechtsverletzung durch die beklagte Fraktion. Anders verhält es sich aber, wenn das als Kausalmittler agierende Organ oder Organteil selbst rechtmäßig gehandelt hat und deshalb dessen gerichtliche Inanspruchnahme erfolglos bleiben müßte; solchenfalls muß bei Vorliegen der Zurechnungsvoraussetzungen ein Rückgriff auf das zuerst handelnde Organ möglich sein. Angenommen beispielsweise, der Gemeinderat setzt die Größe eines Gemeinderatsausschusses unangemessen so niedrig fest 216 , daß bei der sodann im Wege der Wahl erfolgenden Ausschußbesetzung eine Fraktion trotz beachtlicher Stärke leer ausgeht217. Hier kann sich der Gemeinderat seiner Verantwortlichkeit für den Eingriff in die Rechte dieser Fraktion nicht durch einen Verweis auf das Wahlverhalten der größeren Fraktionen entledigen, welche alle Ausschußsitze unter sich aufgeteilt haben, statt auch der kleineren Fraktion zu 213 214 215 216 217

Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 321 ff. Vgl. VerfG M V , LVerfGE 7, 199, 209; LKV 1997, 94, 95. VG Minden, NVwZ-RR 1998, 407. Zu den Anforderungen an die Festsetzung der Ausschußgröße oben F.III.2.d. Vgl. BayVerfGH, NJW 1989, 1918, 1920.

I. Der Organrechtseingriff

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einem Sitz zu verhelfen. Gewiß stellt die Festsetzung einer geringen Ausschußgröße kein rechtliches Hindernis fur die kleine Fraktion auf, einen Ausschußsitz zu erhalten, weil kein Verbot besteht, ihren Ausschußkandidaten zu wählen. Indessen sind die größeren Fraktionen gesetzlich nicht verpflichtet, bei der im Wege der Verhältniswahl durchzuführenden Ausschußbesetzung eine kleinere Fraktion überproportional zu berücksichtigen, damit sie einen Sitz erhält; deshalb wäre eine Klage der kleinen Fraktion gegen die größeren auf jeden Fall unbegründet. Da es mangels entgegenstehender Vorschriften für die größeren Fraktionen im politischen Geschäft vernünftig ist, bei der Ausschußbesetzung ihr jeweiliges Stärkeverhältnis voll zur Geltung zu bringen (zugunsten einer kleineren Fraktion freiwillig auf erlangbare Ausschußsitze zu verzichten, wäre nur aufgrund diesbezüglicher Koalitionsabsprachen vernünftig), liegt der personell mittelbare Eingriff in das Recht der kleineren Fraktion auf Gleichbehandlung somit bereits in der Festsetzung der Ausschußgröße durch den Gemeinderat. Diesem ist der Beeinträchtigungserfolg zuzurechnen, obschon dieser sich erst durch die konkrete Wahlentscheidung der anderen Fraktionen realisiert, weil deren Entscheidungen vernünftig sind und daher die Zurechenbarkeit an den Gemeinderat begründen.

e) Strukturell

mittelbare Organrechtseingriffe

Bei den abschließend zu erörternden strukturell mittelbaren Organrechtseingriffen bedarf die These der herrschenden Meinung 218 , daß die Beeinträchtigung der Rechte des Organs (also z.B. die Übergehung des Gemeinderats durch den Bürgermeister) keinen Eingriff in die Rechte der Organteile (also der Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen) darstelle, eingehender Kritik. Immerhin ist positiv festzustellen, daß die herrschende Meinung in derartigen Fällen nicht die Beeinträchtigung als solche in Zweifel zieht (nachfolgend aa). Nicht überzeugend ist indes ihre generelle Ablehnung der Zurechenbarkeit dieser Beeinträchtigung (unten bb), vielmehr ist diese unter bestimmten Voraussetzungen durchaus zu bejahen (unten cc).

aa) Strukturell mittelbare Beeinträchtigungen der Rechte von Organteilen Zutreffend stellt die herrschende Meinung bei strukturell mittelbaren Eingriffen nicht schon die Beeinträchtigung der Organrechte der betroffenen Organteile in Abrede. Vielmehr wird ohne Bedenken angenommen, daß etwa ein rechtswidriger Dringlichkeitsbeschluß des Bürgermeisters „die Mitwirkungsmöglichkeiten der übrigen Ratsmitglieder und der Fraktionen einschränke" und in der 218

50 Roth

S. oben G.I.3.b.

7 4 G .

Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Beeinträchtigung der Befugnisse des Gemeinderats durchaus eine „Verkürzung" der Entscheidungsmöglichkeiten seiner Mitglieder liege 219 . Dieser Betrachtungsweise ist beizupflichten. Es entspricht, wie bereits bei der Erörterung faktischer Eingriffe in Organrechte dargelegt 220, mittlerweile allgemein akzeptierter Erkenntnis, daß Rechte nicht nur in rechtlicher, sondern auch in faktischer Weise beeinträchtigt werden können. Das schönste Recht nützt nichts, wenn die Voraussetzungen unterlaufen werden, an die seine Ausübung geknüpft ist. So hängen die Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder wie z.B. Rede-, Antrags· und Stimmrecht davon ab, daß eine Sitzung des Gemeinderats stattfindet, in der sie Redebeiträge liefern, Anträge stellen und darüber abstimmen können. Der „Normalfall" der Beeinträchtigung derartiger Mitwirkungsrechte ist zwar der, daß eine solche Sitzung stattfindet und ein Gemeinderatsmitglied hierbei in der Ausübung seiner Rechte behindert wird. Indessen wäre die Annahme verfehlt, die genannten Organrechte der Gemeinderatsmitglieder wären durch das Stattfinden einer Sitzung des Gemeinderats und durch die Befassung des Gemeinderats mit einer Angelegenheit rechtlich bedingt und würden deshalb ohne weiteres entfallen, wenn der Gemeinderat mit einer Sache nicht befaßt wird. Die Mitwirkungsbefugnisse der Gemeinderäte sind zwar (überwiegend) nur in Gemeinderatssitzungen auszuüben und in diesem Sinne faktisch durch deren Stattfinden bedingt. Aber es steht natürlich nicht im freien Belieben der Gemeindeorgane, wann eine Gemeinderatssitzung stattzufinden hat, und namentlich der Bürgermeister kann den Gemeinderat nicht nach seinem Belieben einberufen. Das Gesetz überträgt deshalb den einzelnen Gemeinderatsmitgliedern die diversen Mitwirkungsbefugnisse in Gemeinderatssitzungen unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß diese in angemessener Zahl und aus gehörigem Anlaß auch tatsächlich stattfinden. Infolgedessen ist die Befassung des Gemeinderats mit den ihm vorbehaltenen Entscheidungen keine rechtlich nicht gesicherte bloße tatsächliche Voraussetzung der Rechte der Gemeinderatsmitglieder, sondern es ist zugleich auch mitgedachter Inhalt dieser Organrechte, die durch die Übergehung des Gemeinderats verletzt werden. Es erscheint evident und würde wohl von niemandem bestritten werden, daß es das einzelne Gemeinderatsmitglied in seinen Organrechten verletzen würde, wenn überhaupt keine Sitzungen des Gemeinderats mehr stattfänden, sei es aufgrund Beschlusses des Gemeinderats selbst, sei es infolge der Weigerung des Bürgermeisters, denselben einzuberufen, sei es aufgrund gewaltsamer Blockade des Gemeinderats durch irgendwelche extremistischen Kräfte. Dabei hängt diese Vorstellung nicht von einer Mißachtung des Rechts eines Viertels der Gemeinderäte ab, die Einberufung einer Gemeinderatssitzung zu verlangen (§ 34 Abs. 1 S. 3 GemO BW). Denn auch ohne einen solchen Antrag ist der Gemein219 220

OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990; vgl. Groß, Kollegialprinzip, S. 319. S. oben G.I.2.b.

I. Der Organrechtseingriff

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derat immer einzuberufen, „wenn es die Geschäftslage erfordert" (§ 34 Abs. 1 S. 2 GemO BW). Deshalb hat auch das einzelne Gemeinderatsmitglied, das dieses Antragsquorum nicht zu initiieren vermag, ein eigenständiges Recht auf die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Gemeinderatssitzungen. Nun kommt allerdings einer einzelnen unterbliebenen Gemeinderatssitzung und das vereinzelte Übergehen der Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderats nicht dasselbe Gewicht zu wie seiner generellen Mißachtung. Während letzteres die Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder völlig zerstören würde, führt das rechtswidrige Übergehen des Gemeinderats in einem Einzelfall lediglich zu einer mehr oder weniger starken Entwertung der Mitwirkungsrechte seiner Mitglieder, je nach der Bedeutung der auf der Sitzung an sich zu behandelnden Angelegenheit oder des gar zu fassenden Beschlusses. Ein allgemeines Geringfügigkeitsprinzip ist indessen nicht anzuerkennen, d.h. die Annahme eines Eingriffs hängt nicht von der Beeinträchtigungsintensität ab, kann somit auch nicht an der „Geringfügigkeit" der Beeinträchtigung scheitern 221. Das erweist sich auch, wenn man die Bedeutung von Abstimmungs- und Wahlrechten in bezug auf die notwendige demokratische Legitimation aller Hoheitstätigkeit berücksichtigt 222 . Das BVerfG hat in seinem Maastricht-Urteil ausgeführt, daß das subjektive Recht des Wahlberechtigten, an BundestagsWahlen teilzunehmen (Art. 38 Abs. 2 GG), nicht allein den ordnungsgemäßen Ablauf und die Einhaltung der einschlägigen Verfahrensgrundsätze verbürgt, sondern sich auf den „grundlegenden demokratischen Gehalt" dieses Rechts erstreckt: Gewährleistet wird also - formal - das subjektive Recht, an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen und dadurch zugleich - materiell - an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk mitzuwirken. Dieses Recht nun würde in einer gegen das Demokratieprinzip verstoßenden Weise entwertet, wenn das Organ, für welches dem Abstimmungs- oder Wahlberechtigten diese Rechte gewährt sind, seine Entscheidungsbefugnisse in weitgehendem Maße an ein anderes Organ abträte 223. Diese Erkenntnis gilt nicht lediglich in Ansehung von Wahlen und Abstimmungen auf der Ebene des Volkes und für das subjektive Stimmrecht des einzelnen wahlberechtigten Bürgers. Bei Volkswahlen und -abstimmungen handelt es sich immer nur um das erste Glied in der vom Demokratieprinzip geforderten ununterbrochenen Legitimationskette für die Ausübung aller Staatsgewalt. Der „demokratische Gehalt" subjektiver Stimmrechte ist nicht allein in dieser ersten Stufe gegen eine materielle Entleerung zu schützen, sondern vielmehr bei jeder Wahl und Abstimmung im Zuge der demokrati-

221

Vgl. BVerwG, NJW 1999, 1567; Roth, Faktische Eingriffe, S. 267 ff.; Stern/ Sachs, Staatsrecht III/2, §78 III 1, S. 157 f., §78 IV 1, S. 205 ff.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 87. 222 Vgl. hierzu oben A.II.3.b.cc sowie F.III.2.c.ee (5). 223 Vgl. BVerfGE 89, 155, 171 f.

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sehen Legitimationskette, unabhängig davon, ob es sich um ein Anfangs-, Zwischen· oder Endglied derselben handelt. Deshalb genießt nicht allein der Wähler den vom BVerfG festgestellten materiellen Schutz seines Stimmrechts als eines „politischen Rechtes auf Einflußnahme" 224 , auch das subjektive Stimmrecht des gewählten Abgeordneten oder Gemeinderatsmitglieds muß in vergleichbarer Weise (wenn auch natürlich nicht grundrechtlich, sondern organrechtlich) gegen eine demokratiewidrige Sinnentleerung geschützt sein. Eine solche tritt nun aber nicht nur dann ein, wenn das Organ, in welchem sie ihr Stimmrecht ausüben sollen, seine Entscheidungsbefugnisse formell auf ein anderes überträgt, sondern auch, wenn es dieselben in gesetzwidriger Weise schlicht nicht ausübt225. Dabei spielt auch keine Rolle, ob es sich insoweit um einen freiwilligen Verzicht oder um eine von außen kommende Beeinträchtigung handelt. In beiden Fällen bestünde das Abstimmungs- bzw. Wahlrecht des Abgeordneten oder Gemeinderatsmitglieds zwar pro forma weiter, doch es wäre eine leere Hülle, fehlte ihm der eigentliche Wert, der ja gerade darin besteht, über die im Organ durchzuführenden Abstimmungen und Wahlen Einfluß auf dessen Tätigkeit nehmen zu können sowie an der Legitimation seiner Arbeit teilzuhaben. Hiernach ist davon auszugehen, daß die Beeinträchtigung der Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderats namentlich auch das Stimmrecht seiner Mitglieder sowie die auf die Vorbereitung solcher Entscheidungen bezogenen Rechte der Fraktionen faktisch beeinträchtigt.

bb) Kritik der herrschenden Meinung Von der Feststellung einer strukturell mittelbar verursachten faktischen Beeinträchtigung der Rechte eines Organteils zu unterscheiden ist die Frage, ob diese Beeinträchtigung demjenigen zuzurechnen ist, der das Organ in seinen Rechten beeinträchtigt hat. In der Tat ist die Zurechenbarkeit der Punkt, an dem die herrschende Meinung zur Begründung ihres negativen Ergebnisses ansetzt, indem sie die bloße Mittelbarkeit der Beeinträchtigung betont und daraus das NichtVorliegen eines Eingriffs ableitet. Sie stützt sich dabei vor allem auf die Erwägung, es sei, wenn ein Organ in seinen Rechten verletzt wird, ausschließlich dessen Aufgabe, nicht jedoch Sache der einzelnen Teile dieses Organs, die hiergegen zu Gebote stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten zu ergreifen 226. „Ebenso wie die Ratsmitglieder trotz einer mittelbaren Verkürzung auch der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten es der Gemeinde selbst überlassen müssen, in den gemeindlichen Aufgabenkreis eingreifende Rechtshandlungen ande224

Morlok, in Dreier, GG, Art. 38 Rn. 56. Bedenklich daher BVerfGE 88, 63, 68 f., doch dürfte diese Entscheidung durch BVerfGE 89, 155, 171 f. sachlich überholt sein. 226 BVerwG, NVwZ-RR 1994, 352; OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665, 666. 225

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rer Hoheitsträger vor die Verwaltungsgerichte zu tragen, ist es ihnen verwehrt, in vergleichbarer Situation die körperschaftsinternen Zuständigkeiten des Rates anderen Organen gegenüber mit den Mitteln des Verwaltungsprozesses zur Geltung zu bringen. Gleiches gilt fur die Fraktionen. Anderenfalls hätten die Ratsmitglieder und die Fraktionen es in der Hand, die Kompetenzen des Rates auch gegen dessen mehrheitlich gebildeten Willen anderen Organen gegenüber durchzusetzen. Das aber widerspräche dem durch das kommunale Organisationsrecht festgelegten Kompetenzgefuge und liefe überdies in der Tendenz auf einen körperschaftsinternen Gesetzesvollziehungsanspruch hinaus, der weder den Ratsmitgliedern noch den Fraktionen zusteht" 227 . Diese Argumentation kann weder in ihren einzelnen Begründungen noch in ihrem Ergebnis überzeugen. Schon das Argument, die Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen könnten nicht die Befugnis in Anspruch nehmen, die Kompetenzen des Gemeinderats anderen Organen gegenüber gerichtlich durchzusetzen, und dies zumal nicht gegen den mehrheitlichen Willen des Gemeinderats 228, beruht auf einer Verkennung des Rechtsschutzzieles. Dieser Einwand griffe nur dann, wenn die Gemeinderatsmitglieder bzw. Gemeinderatsfraktionen Organrechte des Gemeinderats als solche einklagen wollten; solchenfalls stellte sich die Frage nach der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer diesbezüglichen Prozeßstandschaft 229. Indessen machen sie in den vorliegenden Konstellationen ausschließlich eine - obschon mittelbare - faktische Beeinträchtigung ihrer eigenen Rechte geltend 230 . In diesem Rahmen mag die Verletzung von Kompetenzen des Gemeinderats vorfrageweise zu beurteilen sein, sie wird aber als solches weder Streitgegenstand noch ist die Beseitigung dieser Verletzung als solches Klageziel. Solange sich die klagenden Gemeinderatsmitglieder bzw. Gemeinderatsfraktionen auf die Geltendmachung ihrer Organrechte beschränken, greifen sie mitnichten in eine Kompetenz des Gemeinderats ein, und deshalb ist auch unerheblich, ob dieser (mehrheitlich) der Meinung ist, nicht gegen den (vermeinten) Kompetenzübergriff in seine Rechte vorgehen zu sollen. Der Gemeinderat kann zwar rein tatsächlich über die Geltendmachung seiner Rechte befinden. Ihm fehlt jedoch die Macht, einzelnen seiner Mitglieder oder den Fraktionen vorzuschreiben, eine Verletzung ihrer Organrechte untätig hinzunehmen. Gewiß käme der Erfolg einer solchen Klage rechtlich auch dem Gemeinderat zugute. Dieser Effekt ist aber ein allgemeines Phänomen aller Rechtsverhältnisse, an denen mehrere Rechtssubjekte in der Weise beteiligt 227 OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990; ebenso OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665, 666. 228 OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990. 229 Hierzu unten H.I.3.b. 230 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 22.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

sind, daß die Durchsetzung der Rechte des einen gegen den anderen rechtlich auch dem dritten nützt. Niemals muß ein Rechtssubjekt auf die Geltendmachung und, wo vorgesehen, gerichtliche Verteidigung seiner Rechte deshalb verzichten, weil von einem Erfolg auch jemand profitiert, der - aus welchen honorigen oder dubiosen Gründen auch immer - die Verletzung seiner Rechte hinzunehmen willens ist. Der Annahme eines in einer mittelbaren Beeinträchtigung liegenden Eingriffs, der das einzelne Gemeinderatsmitglied oder eine Gemeinderatsfraktion befähigt, einer den Gemeinderat in dessen Rechten verletzenden Maßnahme entgegenzutreten, ungeachtet dessen, daß der Gemeinderat selbst derartige Schritte nicht ergreifen will, läßt sich auch nicht mit dem Argument widerlegen, „darin läge nichts anderes als ein erneuter Eingriff in die Zuständigkeiten des Rates, der um so weniger hinnehmbar wäre, als dadurch das im Demokratiegedanken wurzelnde Mehrheitsprinzip verletzt würde" 231 . Daß sich die Minderheit der Mehrheit beugen muß, ist fraglos Grundgedanke jeder Demokratie. Dies gilt indessen nur in bezug auf Punkte, die überhaupt der Mehrheitsentscheidung unterliegen. Die Demokratie des Grundgesetzes ist keine Diktatur der Mehrheit, sondern eine freiheitliche und rechtsstaatliche. Mehrheitsentscheidungen besitzen daher keine unbeschränkte, sozusagen absolutistische Macht, sondern vielmehr sind die Befugnisse der Mehrheit durch Verfassung und Gesetz begrenzt. Rechtsverletzungen brauchen in einer rechtsstaatlichen Demokratie folglich auch dann nicht hingenommen zu werden, wenn sie dem Willen der Mehrheit entsprechen. Soweit hiernach aber ein Gegenstand der Verfügung seitens der Mehrheit entzogen ist, kann es niemals das Mehrheits- oder das Demokratieprinzip verletzen, wenn das verletzte Organteil auch gegenüber einer Mehrheitsentscheidung die ihm zu Gebote stehenden rechtlichen und insbesondere gerichtlichen Möglichkeiten ergreift 232 . Über die gesetzlich begründete Kompetenzordnung nun kann sich die Gemeinderatsmehrheit nicht durch Beschluß hinwegsetzen. Kein Organ kann auf seine gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen verzichten 233 , diese sind für es 231

OVG Münster, NVwZ-RR 1993, 157. Vgl. Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 136; Tsatsos, Organstreit, S. 47. - Unrichtig daher Schnapp, VerwArch 1987, 440, nach dem „prozedurale Rechtspositionen in Gremienverfahren der Demokratisierung durch die anderen Mitglieder ausgesetzt sind", so daß die der Minderheit angehörigen Gemeinderatsmitglieder „im Hinblick auf das vorangegangene Abstimmungsverfahren" generell keine Verfahrensverstöße der Gemeinderatsmehrheit rügen können sollen. Diese Sichtweise verdient keine Zustimmung, da sich die Mehrheit eben nicht beliebig über gesetzliche Rechte der Minderheit hinwegsetzen darf. Im übrigen erscheint es auch wenig passend, in bezug auf eine von der Gremienmehrheit zu verantwortende Mißachtung verfahrensmäßiger Rechte von „Demokratisierung" zu sprechen. 233 S. oben E.I.3. 232

I. Der Organrechtseingriff

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nicht verfügbar. Vielleicht mag die Mehrheit des Organs von der Ausübung jener Kompetenzen und ihrer notfalls gerichtlichen Verteidigung absehen können. Ein solcher Ausübungsverzicht ändert jedoch nichts an der Kompetenzordnung selbst, und er kann keineswegs die gesetzlich begründeten Kompetenzen des Organs oder seiner Angehörigen und Teile zum Wegfall bringen. Jedes einzelne Gemeinderatsmitglied übt seine jeweiligen Organrechte selbständig aus, und die Mehrheit des Gemeinderats kann die Rechte seiner Mitglieder und Fraktionen weder rechtlich aufheben noch darf sie diese faktisch entwerten 234. Deshalb mag es der Organmehrheit vielleicht unerwünscht sein und (politisch) ungelegen kommen, wenn seine Teile und Mitglieder ihre Organrechte gerichtlich verteidigen. Darin kann aber niemals ein „Eingriff 4 in die Zuständigkeiten des Organs liegen, eben weil die Organmehrheit die Kompetenzen des Organs überhaupt nicht aufgeben kann. Da ferner die demokratische Legitimation immer auf die Kompetenzen bezogen ist, welche den Gewählten gesetzlich zustehen, verletzt die Wiederherstellung der gesetzlichen Kompetenzordnung nie das Demokratieprinzip. Es kann deshalb nicht dem Demokratiegedanken widersprechen, wenn Gemeinderatsmitglieder oder Gemeinderatsfraktionen eine Verletzung ihrer und damit mittelbar auch der Kompetenzen des Gemeinderats abwehren - und dadurch den Gemeinderat zwingen, sich seiner demokratischen Verantwortung in der vollen Ausübung seiner Kompetenzen zu stellen. Unberechtigt ist ferner der Einwand, dies laufe auf einen „körperschaftsinternen Gesetzesvollziehungsanspruch" hinaus 235 . Denn zwar wird ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch zu Recht abgelehnt236. Um einen solchen handelt es sich aber nicht, wenn der Kläger die Beachtung des Gesetzes erreichen will, weil er durch dessen Mißachtung in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt wird. Da hinter jedem subjektiven Recht notwendig das objektive Recht steht 237 , macht jeder Kläger, der ein subjektives Recht verteidigt, einen „Gesetzesvollziehungsanspruch" geltend; unstatthaft ist das auch dann nicht, wenn sich die betreffenden Vorgänge im organisationsinternen Bereich abspielen. Das Argument, „ebenso wie die Ratsmitglieder trotz einer mittelbaren Verkürzung auch der eigenen Entscheidungsmöglichkeiten es der Gemeinde selbst überlassen müssen, in den gemeindlichen Aufgabenkreis eingreifende Rechtshandlungen anderer Hoheitsträger vor die Verwaltungsgerichte zu tragen, ist es ihnen verwehrt, in vergleichbarer Situation die körperschaftsinternen Zustän234

Ähnlich Müller, NVwZ 1994, 123. OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990. 236 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 195; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 11 Rn. 30; Maurer, AllgVerwR, § 8 Rn. 14; Menger, System, S. 119, 165; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 41 Rn. 13, § 43 Rn. 10. 237 Vgl. oben F.I.l.b. 235

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digkeiten des Rates anderen Organen gegenüber ... zur Geltung zu bringen" 238 , ist gleichfalls unzutreffend. Dieser Vergleich verkennt die Wesensnatur der Organrechte und übersieht, daß es sich keineswegs um eine „vergleichbare Situation" handelt: Im Außenverhältnis der Gemeinde zu anderen Hoheitsträgern kommen den Organen und Organteilen der Gemeinde keine subjektiven Organrechte zu; hier sind sie ausschließlich transitorische Wahrnehmungseinheiten, die allein die Rechte der Gemeinde gegenüber anderen Rechtssubjekten wahrzunehmen haben und allerdings keine eigenen subjektiven Recht ins Feld führen können 239 . Im Innenverhältnis der Organe und Organteile untereinander sind sie demgegenüber keine bloßen transitorischen Wahrnehmungseinheiten, sondern Inhaber subjektiver Organrechte gegenüber den anderen Organen und Organteilen 240 . Daß kommunale Organe und Organteile durch die Verletzung der Rechte der Gemeinde nicht in ihren Organrechten verletzt werden, verträgt sich infolgedessen sehr wohl mit der Annahme, daß die Übergehung eines Organs durch ein anderes Organ strukturell mittelbar auch die Teile des übergangenen Organs in ihren Organrechten verletzen kann. Keine Bestätigung der Sichtweise der herrschenden Meinung ergibt sich aus dem Hinweis 241 auf Vorschriften wie § 32 Abs. 2 S. 1 GemO BW, die inhaltsgleich 242 zu Art. 48 Abs. 2 S. 1 GG ein Verbot statuieren, die betreffenden Mandatsinhaber an der Ausübung ihres Mandates zu hindern. Diese Behinderungsverbote werden zwar einschränkend dahin verstanden, daß nicht alles verboten sei, was der Ausübung des Mandats irgendwie hinderlich ist, sondern daß nur ein Verhalten erfaßt werde, das von der Absicht bestimmt ist, die Mandatsausübung unmöglich zu machen oder zu erschwerden, so daß bloß mittelbare Erschwernisse als Folge von Handlungen mit anderer Zielrichtung der Verbotsnorm nicht unterfallen 243. Inwieweit diese restriktive Sichtweise der genannten Vorschriften überzeugt, mag hier dahinstehen. Für sie spricht immerhin der Umstand, daß diese Verbotsnormen - wie sich aus Art. 48 Abs. 2 S. 2 GG bzw. § 32 Abs. 2 S. 2 GemO BW ergibt - auch dem Bürger gegenüber unmittelbar wirken 244 , so daß es, um eine übermäßige Beschränkung seiner Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Mandatsinhabern zu vermeiden, angemessen erscheint, nur Handlungen mit entsprechender Behinderungsabsicht zu verbie-

238

OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990. S. oben A.I.2.b.aa. 240 S. oben E.II. 241 OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 990. 242 BVerwGE 73, 263, 282. 243 Vgl. BVerfGE 42, 312, 329; BGHZ 72, 70, 75; 94, 248, 251; BVerwGE 73, 253, 282; 86, 211, 216; BVerwG, NVwZ 1999, 424; OVG Münster, NWVB1. 1989, 21; NVwZ 1989, 989, 990. 244 BVerfGE 42, 312, 328. 239

I. Der Organrechtseingriff

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ten 245 , wohingegen „sozialadäquate Behinderungen" eben nicht erfaßt werden 246 . Jedenfalls werden die hier interessierenden Konstellationen von Organstreitigkeiten von diesen Vorschriften gar nicht erfaßt 247. Das Verbot, die Ausübung des Mandates zu behindern, zielt auf externe, von außen kommende Behinderungen, nicht auf organisationsinterne Kompetenzverletzungen, und infolgedessen implizieren diese Vorschriften selbst bei restriktiver Interpretation keineswegs, der Mandatsträger habe „mittelbare" oder „unbeabsichtigte" Kompetenzverletzungen durch andere Organe hinzunehmen. Die einschränkende Auslegung der Behinderungsverbote beruht, wie gesagt, auf dem Umstand, daß sie unmittelbare Geltung fur den Bürger besitzen und dessen Handlungsfreiheit nicht übermäßig eingeschränkt werden soll. Die Organe und Organteile von Trägern öffentlicher Gewalt können sich dagegen nicht auf eine grundrechtlich abgesicherte Handlungsfreiheit berufen. Sie müssen sich strikt an die gesetzliche Kompetenzordnung halten und sind nicht deshalb von dieser Pflicht entbunden, weil die resultierende Kompetenzverletzung nur „mittelbar" oder „unbeabsichtigt" gewesen sein mag. Die herrschende Auffassung produziert zudem eine unerträgliche Rechtsschutzlücke248 und ist daher auch im Hinblick auf ihre praktischen Konsequenzen abzulehnen. Nach ihr liegt es nämlich in der Hand der Mehrheit eines Organs, die Verletzung eigener Kompetenzen zum Nachteil der Ziele der Minderheit hinzunehmen, und zwar unter Umständen sogar in bewußter Weise, ohne daß die der Minderheit zugehörigen Gemeinderatsmitglieder oder -fraktionen hiergegen etwas unternehmen könnten 249 . In gewissen Situationen könnte gar

245 In vergleichbarer Weise ist auch die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nur gegen zielgerichtet behindernde Maßnahmen Privater geschützt, vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 238. 246 BVerfGE 42, 312, 329. 247 Müller, NVwZ 1994, 121 f.; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 210, 212; a.A. OVG Münster, NVwZ 1993, 989, 990. 248 Der VerfGH Berlin, JR 1999, 18, 20 weist mit Recht daraufhin, daß in Verfassungsorganstreitverfahren keine Rechtsschutzlücke droht, wenn eine Fraktion das Übergehen des Parlaments nicht als mittelbare Verletzung eigener Mitwirkungsbefugnisse rügen kann, weil und sofern die Fraktion dann eben die Verletzung von Rechten des Parlaments in Prozeßstandschaft geltend machen kann. In verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren lehnt die h.M. eine solche Prozeßstandschaft aber gerade ab, wodurch sie hier die bezeichnete Rechtsschutzlücke schafft. Soweit aber richtigerweise eine Prozeßstandschaft auch im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren zuzulassen ist, ist diese immer noch subsidiär zur möglichen Geltendmachung eines strukturell mittelbaren Organrechtseingriffs (zur Prozeßstandschaft und ihrer Subsidiarität unten H.I.3.b). 249 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 22; Müller, NVwZ 1994, 123; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 214 f.; das konzedieren auch Wahl/Schütz, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 100; offen VerfGH Berlin, JR

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

die Mehrheit des Gemeinderats mit dem Bürgermeister kollusiv zusammenwirken und diesem eine eigentlich dem Gemeinderat zustehende Entscheidung zuspielen, beispielsweise um die mit Gemeinderatsbeschlüssen regelmäßig verbundene Öffentlichkeit und öffentliche politische Debatte zu umgehen250. Die herrschende Meinung reduziert die verschiedenen Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder faktisch darauf, daß sie nur ausgeübt werden können, wenn die Gemeinderatsmehrheit die Zuständigkeit des Gemeinderats in Anspruch nehmen will. Eine solche Konditionierung namentlich des nicht zuletzt dem Minderheitenschutz und damit der Demokratie dienenden Rede- und Antragsrechts aller, einschließlich der sich in der Minderheit befindenden Gemeinderatsmitglieder durch den Willen der Mehrheit, die Rechte des Gemeinderats auszuüben, ist mit dem vor dem Demokratieprinzip zu sehenden Schutzzweck dieser Organrechte nicht zu vereinbaren. Es wäre „in sich widerspruchsvoll, die Frage, ob die Minderheit geschützt werden soll, vom Belieben der Mehrheit abhängig zu machen" 251 . Gewiß kann jedes Gemeinderatsmitglied den Antrag stellen, der Gemeinderat möge gegen eine seine Kompetenzen verletzende Maßnahme des Bürgermeisters vorgehen, und an der Entscheidung über diesen Antrag kann dann jedes Gemeinderatsmitglied mitwirken. Indessen ist doch die Teilhabe an der Entscheidung, ob z.B. gegen den Bürgermeister wegen dessen Befugnisüberschreitung vorzugehen sei, dann, wenn die Mehrheit beschließt, nichts zu unternehmen, kein adäquater Ersatz für eine Teilhabe an der vom Bürgermeister usurpierten Sachentscheidung selbst 252 .

cc) Zur Zurechenbarkeit strukturell mittelbarer Organrechtseingriffe Angesichts des Vorstehenden ließe sich die Zurechenbarkeit strukturell mittelbarer Beeinträchtigungen von Gemeinderatsmitgliedern und -fraktionen als Folge der Übergehung des Gemeinderats durch den Bürgermeister und damit die Möglichkeit einer (gerichtlichen) Geltendmachung dieses strukturell mittelbaren Organrechtseingriffs allenfalls noch unter Rückgriff auf den Gedanken begründen, der Gemeinderat sei näher an der Kompetenzverletzung „dran" und daher in erster Linie zu dessen Abwehr berufen. In der Tat ist es an sich ein Gebot vernünftiger Selbstbehauptung; 253 des Gemeinderats, sich mit allen zu Gebote stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Verletzung seiner Organrechte zur Wehr zu setzen, wenn er durch den Bürgermeister in seinen Kompe-

1999, 18, 20, ob bei einer bewußten Übergehung des Parlaments durch die Regierung doch eine Verletzung der Mitwirkungsrechte der Fraktionen anzunehmen sei. 250 Müller, NVwZ 1994, 123. 251 OVG Münster, OVGE 10, 143, 146. 252 Vgl. Müller, NVwZ 1994, 123; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 215. 253 Zu diesem Kriterium oben G.I. 1 .b.cc (3).

I. Der Organrechtseingriff

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tenzen verletzt wird, indem dieser z.B. Eilentscheidungen trifft, obschon deren gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind, die gebotene Einberufung einer Gemeinderatssitzung unterläßt oder verzögert, eine gebotene Unterrichtung ungenügend durchfuhrt usw. Mag man nun auch die Verantwortung des Gemeinderats zur Wahrung seiner Rechte als primär verstehen, so griffe es doch zu kurz, alleine deshalb den Gemeinderatsmitgliedern und -fraktionen die Geltendmachung ihrer Organrechte zu versagen, gleich aus welchem Grund der Gemeinderat von einem Vorgehen gegen den Bürgermeister absieht. Wenn es für den Gemeinderat unvernünftig wäre, eine erfahrene Rechtsverletzung hinzunehmen, obschon er mit Erfolg gegen dieselbe vorgehen könnte 254 , dann wird sich in der Regel eine Mehrheit finden lassen, gegen den Bürgermeister vorzugehen, und dann sind die einzelnen Mitglieder bzw. Fraktionen nicht auf eine eigene derartige Möglichkeit angewiesen. Vielmehr profitieren sie dann mittelbar von einem durch den Gemeinderat angestrengten Rechtsschutzverfahren, so wie sie zuvor mittelbar unter der Übergehung des Gemeinderats litten. Es mag jedoch mitunter aus Sicht der Mehrheit des Gemeinderats vernünftige Gründe geben, von einer Geltendmachung seiner Rechte abzusehen. Solchenfalls ist es aber nicht einsichtig, weshalb dies zur Schutzlosstellung seiner Mitglieder und Fraktionen führen sollte. Wie alle Rechtsnormen, so sind auch die die subjektiven Rechte der einzelnen Organteile begründenden so auszulegen, daß sie effektiv werden können. Deshalb verbietet sich, die Zurechenbarkeit strukturell mittelbarer Beeinträchtigungen pauschal mit dem Argument zu verneinen, der unmittelbar betroffene Gemeinderat sei „näher" an der Eingriffshandlung „dran", ohne nach den Gründen zu fragen, weshalb er nichts unternimmt. In der Tat lassen sich verschiedene Fallgruppen bilden 255 , in denen ein Absehen von einer Geltendmachung subjektiver Rechte durch den Gemeinderat als vernünftige Entscheidung desselben anzusehen ist, so daß es keinen Grund gibt, die daraufhin bei den einzelnen Gemeinderatsmitgliedern und den Gemeinderatsfraktionen eintretenden strukturell mittelbaren Beeinträchtigungen dem Bürgermeister nicht zuzurechnen. Denn als das entscheidende Kriterium der rechtlichen Relevanz einer Gefahrschaffungsgefahr wurde ja die Vernünftigkeit des Verhaltens des Kausalmittlers herausgearbeitet 256 .

254

Das Absehen von eigener Rechtsverteidigung ist selbstverständlich nur unvernünftig, wenn sie mit Aussicht auf Erfolg unternommen werden konnte, vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 366 ff. 255 Zu den entsprechenden Fallgruppen bei der Zurechnung mittelbarer Grundrechtseineriffe vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 366 ff. 2?6 S. oben G.I.3.c.bb.

7 4 G .

Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

(1) Zweifelhafte

Rechtslage

Die praktisch wohl bedeutsamste Fallgruppe, in der ein Nichtvorgehen des Gemeinderats gegen eine Maßnahme des Bürgermeisters vernünftig erscheinen kann, obwohl bei richtiger Sicht der Gemeinderat sehr wohl in seinen Rechten verletzt wurde, ergibt sich bei zweifelhafter Rechtslage. Ob der Bürgermeister tatsächlich die Rechte des Gemeinderats verletzt oder ob er sich doch gesetzmäßig verhalten hat, ist nicht selten schwierig zu beurteilen und nur aufgrund einer vielleicht mit vielen Zweifeln behafteten Auslegung der einschlägigen Vorschriften zu entscheiden. Daß einzelne Gemeinderatsmitglieder hier eine Verletzung der Rechte des Gemeinderats und damit mittelbar auch ihrer eigenen wähnen, heißt deshalb mitnichten, daß die Mehrheit des Gemeinderats dies ebenso einschätzen müßte. Geht diese aber aufgrund einer vertretbaren Rechtsauffassung davon aus, daß der Bürgermeister rechtmäßig gehandelt hat, so besteht für sie allerdings kein Anlaß, gerichtlich gegen diesen vorzugehen. Es ist dann für die Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder und damit auch fur den mehrheitlich beschließenden Gemeinderat sehr vernünftig, nichts gegen den Bürgermeister zu unternehmen, selbst wenn die Minderheit bei ihrer Ansicht bleibt, daß der Bürgermeister rechtswidrig gehandelt hat. Diese Rechtsansicht der Mehrheit ist freilich fur die Minderheit nicht bindend, da dem Gemeinderat keine einem Gericht gleich zu erachtende Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zukommt. Deshalb können diejenigen Gemeinderatsmitglieder, die die Rechtsauffassung der Mehrheit nicht teilen, gegen die aus der Maßnahme des Bürgermeisters ihnen entstehende Beeinträchtigung ihrer eigenen Rechte vorgehen. Die Zurechenbarkeit der sie treffenden strukturell mittelbaren Rechtsbeeinträchtigung ist gegeben, da der Gemeinderat hier aus seiner Sicht vernünftig handelt; der Bürgermeister kann daher nicht den Gemeinderat vorschieben, um sich seiner Verantwortung für die Verwirklichung der von ihm durch Übergehung des Gemeinderats geschaffenen Gefahr für die Organrechte der Gemeinderatsmitglieder und -fraktionen zu entziehen. (2) Politische Rücksichtnahme Gerade in Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten kann sich eine besondere Problematik ergeben, wenn der Bürgermeister und die Mehrheit des Gemeinderats derselben politischen Partei oder Koalition angehören. Hier ist nämlich nicht auszuschließen, daß die Mehrheit aus politischer Rücksichtnahme bewußt von der Verteidigung der Rechte des Gemeinderats absieht257, obwohl sie vielleicht insgeheim durchaus von einem rechtswidrigen Handeln des Bürgermeisters ausgehen mag. Derartige Fälle können zumal in Wahlkampfzeiten akut 257

Vgl. Müller, NVwZ 1994, 123.

I. Der Organrechtseingriff

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werden, wenn die Gemeinderatsmehrheit, um nicht das Ansehen der betreffenden Partei zu schädigen, sich genötigt sehen kann, ein zumal politisch brisantes Handeln des Bürgermeisters hinzunehmen, anstatt die Geschlossenheit der Partei und ihr Ansehen dadurch aufs Spiel zu setzen, daß sie den Bürgermeister wegen Kompetenzüberschreitung vor Gericht verklagt. Solange sich das betreffende Handeln im Bereich des juristisch Unklaren bewegt, würde sich die Zurechenbarkeit schon nach dem zuvor dargestellten Kriterium ergeben. Doch selbst wenn ein vernünftiger Zweifel an der Kompetenzüberschreitung durch den Bürgermeister eigentlich kaum möglich ist, kann die Hinnahme einer Rechtsverletzung aus Gründen politischer Rücksichtnahme vernünftig und deshalb die Zurechenbarkeit gleichwohl zu bejahen sein. Daß sich die juristische Argumentation mit einer Bezugnahme auf die politischen Absichten und Machtverhältnisse innerhalb von Organen auf heikles Terrain begibt, soll nicht verschwiegen werden, und ebensowenig, daß eine Feststellung dieser Verhältnisse unter Umständen schwierig sein mag und sich die Gerichte daher Zurückhaltung bei der Annahme auferlegen sollten, ein Organ habe aus politischen Gründen die Verletzung seiner Kompetenzen sehenden Auges hingenommen. Andererseits geht es hier nicht um eine politische Bewertung des Verhaltens der beteiligten Organe und Organteile, sondern allein darum, welche juristischen Folgerungen aus einem politisch oder wie auch immer motivierten Verhalten zu ziehen sind. Das Recht als solches muß zwar ohne Ansehen der (partei)politischen Überzeugungen der Beteiligten und in diesem Sinne (partei)politisch blind agieren, aber es darf sich nicht blind gegenüber dem Faktum stellen, daß zumal in politischen Repräsentationsorganen politisch agiert wird - die Repräsentation verschiedener politischer Interessen ist ja geradezu Sinn und Zweck derartiger Organe 258 - , und daß eben mitunter politische Erwägungen die Oberhand gegenüber rechtlichen Überzeugungen gewinnen können. Da dem nur durch die Gerichte zu begegnen ist, ist es unabdingbar, die Möglichkeit derartiger Vorgänge in Rechnung zu stellen und bei der Zurechnung mittelbarer Eingriffe zu bedenken. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß auch der Gesetzgeber die Möglichkeit der politisch motivierten Hinnahme einer Verletzung der Rechte eines Organs durch die Mehrheit seiner Mitglieder und die daraus resultierende Schutzbedürftigkeit der Minderheit gesehen und ihr in anderem Zusammenhang selbst Rechnung getragen hat: Der Zulassung der Prozeßstandschaft in Verfassungsorganstreitverfahren (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) liegt nämlich die Erkenntnis zugrunde, daß die Mehrheit eine Beeinträchtigung der Rechte des Organs zum Nachteil der Ziele der Minderheit hinzunehmen geneigt sein kann und daß eben deshalb auch Organteile die Rechte des Organs vor dem BVerfG verteidigen kön-

258

Vgl. diesbezüglich oben F.II.l.a.dd.

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G

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

nen müssen259. Zwar fragt das Gesetz hierbei nicht nach der Motivation, weshalb die Mehrheit in concreto nicht selbst Schritte zur Verteidigung ihrer Kompetenzen ergreift, sondern stellt die Möglichkeit der prozeßstandschaftlichen Geltendmachung der Organrechte durch die Organteile ohne weitere Voraussetzung generell zur Verfugung. Dies läßt indessen nur den Schluß zu, daß der Gesetzgeber diese Gefahr ftir zumindest so plausibel erachtet, daß er sie - um dem BVerfG diesbezügliche Nachforschungen im Einzelfall zu ersparen - pauschal unterstellt. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß der (Verfassungs)Gesetzgeber die Problematik politisch motivierter und politisch vernünftiger Hinnahme von Rechtsverletzungen eben nicht einfach ignoriert und so tut, als gäbe es dieses faktische Phänomen dank der rechtlichen Unabhängigkeit der Mandatsträger nicht. Hat damit aber der Gesetzgeber selbst bekundet, daß nicht allgemein darauf zu vertrauen ist, daß die Mehrheit des Organs immer dafür sorgen werde, dessen Rechte wahrzunehmen und notfalls (verfassungs)gerichtlich zu verteidigen, dann kann der Rechtsanwender nicht gehindert sein, dieser politischen Realität auch in anderen Zusammenhängen Rechnung zu tragen. Auf welche Weise dies zu erfolgen hat - ob durch Rückgriff auf das Institut der Prozeßstandschaft 260 oder durch eine entsprechend weite Handhabung des Eingriffsbegriffes - ist damit nicht vorgegeben. Der Zulassung der Prozeßstandschaft kann jedenfalls keine Absage an die Konzeption mittelbarer Eingriffe entnommen werden. Der Gesetzgeber hat die Prozeßstandschaft im Interesse einer bestmöglichen Sicherung der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung vorgesehen, nicht aber ausschließen wollen, inwieweit das als Prozeßstandschafter in Frage kommende Organteil seine Rechte auch als mittelbar selbst Betroffener verteidigen kann. Die Entscheidung, Teilen von Verfassungsorganen die Rüge der Verletzung der Rechte ihres Organs als Prozeßstandschafter unabhängig davon zu ermöglichen, ob ein Eingriff (auch) in die Rechte des betreffenden Organteils vorliegt, impliziert weder eine Verneinung eines solchen Eingriffs noch enthält sie eine Absage an eine sinnvolle dogmatische Herausarbeitung eines auch mittelbare Beeinträchtigungen erfassenden Eingriffsbegriffes. Ob und inwieweit ein mittelbarer Eingriff anzunehmen ist, entscheidet sich vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen nach den jeweils einschlägigen prozeßund materiellrechtlichen Vorschriften. Jedenfalls aber entspräche es nicht den Anforderungen an eine kohärente Rechtsanwendung261, bei der Untersuchung der Eingriffsproblematik ein Phänomen zu übergehen, das der Gesetzgeber andernorts als politisches Faktum anerkannt hat.

259

S. hierzu oben B.II.l.d. Zur Frage der Prozeßstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren unten H.I.3.b. 261 Zum Kohärenzgedanken bei der teleologischen Interpretation vgl. Looschelders/ Roth, Juristische Methodik, S. 174 ff. 260

I. Der Organrechtseingriff

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Deshalb sind Erwägungen zu der eine organschaftliche Handlungsweise tragenden politischen Motivationslage denn auch völlig zutreffend schon verschiedentlich von Gerichten angestellt und ihren Urteilen zugrunde gelegt worden. In einem Fall ging es um etwaige Verfahrensverstöße bei einer Beigeordnetenwahl, die das Wahlvorschlagsrecht einer Gemeinderatsfraktion beeinträchtigten. Das Gericht verneinte die Rechtsverletzung, weil der Verstoß auf das Wahlergebnis keine Auswirkungen haben konnte: „Wäre die Wahl eines 3. stellvertretenden Bürgermeisters unterblieben, so hätte der Wahlvorschlag der [klagenden Fraktion] nur dann zu einem weiterreichenden Erfolg fuhren können, wenn einzelne Ratsmitglieder dies zum Anlaß für eine andere, der Klägerin günstigere Stimmabgabe genommen hätten. Dafür fehlt es aber an jedem Anhaltspunkt. Nach dem tatsächlich erzielten Stimmergebnis, das mit den Stärkeverhältnissen der Fraktionen nahezu identisch war, muß ein günstigeres Wahlergebnis für den Vorschlag der Klägerin ausgeschlossen werden. Gegenteiliges wird auch von der Klägerin offenkundig nicht in Betracht gezogen"262. Eine besondere Rolle spielte die Bezugnahme auf die parteipolitischen Verhältnisse im Urteil über die Bundestags-Auflösung 1983 263 . Hier hatte das BVerfG zu prüfen, ob die Ablehnung der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG, welche der durch den Bundespräsidenten verfügten Auflösung des Bundestages vorausging, verfassungsmäßig oder als eine unzulässige Erschleichung eines vom Grundgesetz nicht vorgesehenen Selbstauflösungsrechts des Bundestages anzusehen war 264 . Besonders umstritten war dabei, inwieweit der von der F.D.P.-Fraktion im Deutschen Bundestag mehrheitlich versagte Ausspruch des Vertrauens verfassungsrechtlichen Wertungen standhielt. Das BVerfG untersuchte zur Beantwortung dieser Frage eingehend die politische Entwicklung, die die F.D.P. seit dem Regierungswechsel Oktober 1982 im Vorfeld der Abstimmung über die Vertrauensfrage genommen hatte - schwere Verluste bei Landtagswahlen, Partei- und Fraktionsaus- und -Übertritte, Rücktritte von Parteiämtern, Proteste in den Landesverbänden usw. - , und kam zu dem Schluß, daß es der F.D.P.-Bundestagsfraktion aus nachvollziehbaren politischen Gründen unmöglich war, dem Bundeskanzler für den Rest der Legislaturperiode bis 1984 ein Vertrauen im Sinne des Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG auszusprechen, so daß es nicht verfassungswidrig war, die Vertrauensfrage zu verneinen 265. Angesichts sowohl des öffentlichen wie auch des innerparteilichen Meinungsdrucks war es den Mitgliedern der F.D.P.-Fraktion nicht von Verfassungs wegen zuzumuten, ihre Partei vollends zu ruinieren und quasi politischen Selbstmord zu begehen, zumal auch der Bundesparteitag der F.D.P. einen eindeutigen Beschluß für vorgezogene Neuwahlen gefaßt hatte, wonach von der F.D.P.-Bundestagsfraktion und den F.D.P.-Ministern „erwartet" wurde, den ins Auge gefaßten Termin einzuhalten und durchzusetzen. Dazu stellte das BVerfG lapidar fest: „Anhaltspunkte dafür, daß die Mehrheit der Mitglieder der Fraktion der F.D.P. in der Folgezeit ihren

262

OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 991 (Hervorhebungen durch Verfasser); insofern zurückhaltender früher OVG Münster, OVGE 10, 143, 149 f. 263 BVerfGE 62, 1. 264 Zur Unzulässigkeit einer Umgehung des Ausschlusses einer Selbstauflösungsmöglichkeit des Bundestages vgl. BVerfGE 62, 1, 41 ff; Schenke, NJW 1982, 2522 ff; ders., in BK GG, Art. 68 (Zweitb. 1989) Rn. 67 ff. 265 BVerfGE 62, 1, 52 ff; krit. Schenke, in BK GG, Art. 68 (Zweitb. 1989) Rn. 112 ff.

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Sinn gewandelt und sich den in der Partei erhobenen Forderungen verschlossen hätten, sind nicht ersichtlich" 266.

Den angeführten Begründungen ist beizupflichten. Sie tragen in realistischer Weise den Gepflogenheiten Rechnung, die sich seit über einem Jahrhundert in den deutschen Parlamenten und - wenngleich in vielleicht etwas abgeschwächter Weise - jedenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg auch in den Kommunalvertretungen herausgebildet und etabliert haben: „Es ist ein soziologisches Faktum, daß die auf Landes- und Bundesebene bestehenden politischen Parteien nach 1945 in den Gemeinden stärker Fuß gefaßt haben, als dies vor 1933 der Fall war. ... Die 'Verfassungswirklichkeit' ist also so, daß auch die Kommunalpolitik von den politischen Parteien maßgeblich gesteuert wird" 2 6 7 . Dieser Rolle der Parteien korreliert nun aber notwendig der allgemein übliche Zusammenschluß zu Fraktionen 268, und zwar eben nicht nur in den Parlamenten, sondern auch den Kommunalvertretungen. Ob und inwieweit diese Entwicklung hin zu einer „Parteiendemokratie" in demokratietheoretischer Hinsicht wünschenswert oder ob sie vielmehr als ein eher unvermeidliches Übel zu betrachten ist, ist hier nicht zu beurteilen. Aber da sie nun einmal stattgefunden hat und in vielfachen Zusammenhängen nachhaltige praktische Wirkungen entfaltet, kann das Recht sie nicht einfach ignorieren. Daß es kein imperatives Mandat gibt und Gemeinderatsmitglieder ebenso wie Parlamentsabgeordnete in ihrem Abstimmungs- und Wahlverhalten rechtlich frei sind 269 , entbindet bei der rechtlichen Behandlung nicht von der Notwendigkeit, das tatsächlich gegebene und effektiv wirksame Phänomen der Parteidisziplin 170 und des Fraktionszwanges zu berücksichtigen 271. Parteien - und damit 266

BVerfGE 62, 1,59. BVerfGE 6, 104, 114; femer BVerfGE 7, 155, 167 f.; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 79 f. 268 Zur Definition der Fraktionen oben A.I.2.b.bb. 269 BVerwGE 90, 104, 105; VGH Kassel, DVB1. 1998, 783, 784. 270 OVG Lüneburg, OVGE 4, 139, 143; vgl. OVG Saarlouis, AS 10, 82, 89: „Mag das einzelne Gemeinderatsmitglied im Verhältnis zu seiner Partei nach seiner freien Gewi ssensüberzeugung handeln können, so bleibt es jedoch im Verhältnis zu den anderen Fraktionen immer der Vertreter der Partei, auf deren Vorschlag es in den Gemeinderat gewählt worden ist"; femer Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 126. 271 Vgl. VGH Kassel, DVB1. 1998, 783, 784: „Zwar üben die Stadtverordneten ihre Tätigkeit nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung aus... Dies bedeutet aber nicht, daß der Stadtverordnete im Innenverhältnis zu seinen Fraktionskolleginnen und -kollegen völlig frei wäre. Vielmehr hat er insoweit, also im Innenverhältnis zur Fraktion, gemeinsam erarbeitete zentrale Grundentscheidungen und Leitlinien zu beachten, die sich je nach der Bedeutung des Verhandlungsgegenstandes auch in einer durch die Mehrheit der Fraktion beschlossenen 'Marschroute' für das Abstimmungsverhalten in der Stadtverordnetenversammlung äußern können"; femer Widtmann/Grasser/Glaser, BayGemO, Art. 51 (7. EL 1997) Anm. 5a; vgl. auch BVerfGE 10, 4, 14. 267

I. Der Organrechtseingriff

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natürlich auch die Personen, die mit Hilfe ihrer Partei politische Ämter anstreben - können unter den heutigen Bedingungen nur reüssieren, wenn ihnen erstens der Versuch gelingt, „die divergierenden Meinungen der verschiedenen Interessentengruppen in ihren Reihen zu einer einheitlichen Meinung zusammenzuführen" 272, und wenn ihnen zweitens gelingt, diese Linie sodann in der praktischen Arbeit in den Parlamenten und Gemeindevertretungen durchzusetzen. Das aber setzt voraus, daß ihre Mandatsträger und Fraktionen die einmal festgelegte Parteilinie jedenfalls in aller Regel auch wirklich verfolgen. Umgekehrt sind die einzelnen Mandatsträger, schon zur möglichsten Sicherung einer angestrebten Wiederwahl, auf das Wohlwollen ihrer jeweiligen Partei angewiesen. Außerdem weiß jeder Mandatsinhaber, daß er seine Anliegen und politischen Vorstellungen nur mit Unterstützung seiner Fraktionskollegen durchsetzen kann, und deshalb muß und wird er im Gegenzug regelmäßig bereit sein, sich selbst der Fraktionsdisziplin zu unterwerfen und die mehrheitlich beschlossenen Fraktionsvorhaben zu unterstützen 273. Auch wenn Fraktionsbeschlüsse rechtlich nur den Charakter unverbindlicher Empfehlungen haben, kommt ihnen daher großes tatsächliches Gewicht zu, aufgrund dessen sie häufig das Abstimmungsverhalten der Fraktionszugehörigen faktisch determinieren 274. Daraus erklärt sich auch ohne rechtliche Verpflichtung die Erwartung, „daß die Ratsmitglieder im allgemeinen mit ihren politischen Freunden stimmen werden" 275 , und so wird denn in der Praxis Fraktionsdisziplin nicht nur erwartet, sondern zumeist auch geübt 276 , zumal ein Verstoß gegen die Fraktionsdisziplin aufgrund des dadurch bewirkten Vertrauensverlustes in schwerwiegenden Fällen zum Fraktionsausschluß führen kann 277 , der für den Betroffenen infolge der eingeschränkten Mitwirkungsmöglichkeiten Fraktionsloser erhebliche Nachteile mit sich bringt. Es lassen sich also nicht lediglich Beispielsfalle anführen, in denen die Entscheidung der Gerichte in tragender Weise von der politischen Motivationslage der beteiligten Akteure abhing. Aus den genannten Gründen ist dies auch aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, weil es in der Tat an der (Verfassungs-) Rechtswirklichkeit vorbeiginge, so zu tun, als gäbe es derartige politisch-faktische Zwänge und Notwendigkeiten nicht. Nicht nur Absprachen zwischen Parteien und Fraktionen über politische Vorhaben entfalten, wiewohl rechtlich unverbindlich, aufgrund des im Falle des Vertrauens- und Wortbruches drohenden Verlustes an Glaubwürdigkeit und der infolgedessen zu befürchtenden negati272

BVerfGE 6, 104, 115. ' Vgl. OVG Hamburg, DVBl. 1986, 242, 245. 274 Vgl. BVerwGE 90, 104, 106 f. 275 OVG Münster, OVGE 10, 143, 149. 276 BVerwGE 90, 104, 106. 277 VGH Kassel, NVwZ 1984, 55; DVBl. 1998, 783, 784 f.; OVG Lüneburg, OVGE 4, 139, 143; vgl. hierzu Ziekow, NWVB1. 1998, 304 ff. 273

51 Roth

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

ven Reaktion des Wählers faktisch-politische Bindungswirkung, deren Ignorierung durch die Rechtsordnung geradezu wirklichkeitsblind wäre 278 . Auch einseitigen Versprechen von Parteien und Fraktionen sowie Selbstverpflichtungen gegenüber den Parteimitgliedern und der Öffentlichkeit kann eine tatsächliche Bindungswirkung zukommen, die ein Andershandelnkönnen faktisch so gut wie ausschließt oder allenfalls zu politisch unzumutbaren Kosten gestattete. Infolgedessen können keine grundsätzlichen Bedenken dagegen bestehen, entsprechende Faktoren auch bei der Zurechnungsentscheidung bei Organrechtseingriffen zu berücksichtigen. Richtig ist zwar, daß infolge der rechtlichen Ungebundenheit der Mandatsträger nie mit letzter Sicherheit zu sagen ist, wie sie sich bei Abstimmungen in dem betreffenden Organ verhalten 279, und deshalb wäre es natürlich abwegig, gesetzlich vorgesehene Wahlen und Abstimmungen durch eine rechnerische Bezugnahme auf die Fraktionsstärken zu ersetzen 280. Dies hindert aber nicht, das Ergebnis einer tatsächlich stattgefundenen Abstimmung im nachhinein zu deuten und aus der hieraus sprechenden Motivationslage rechtliche Folgerungen zu ziehen. Es wäre gewiß unangebracht, wenn sich die Gerichte in Mutmaßungen ergingen, aus welcher Motivation heraus die politischen Akteure ihre Entscheidungen treffen. Indessen ist nicht zu übersehen: Spricht in der Tat manches dafür, daß der Bürgermeister Rechte des Gemeinderats verletzt hat, so wirft sich notwendig die Frage auf, weshalb der Gemeinderat nicht hiergegen vorgegangen ist, sondern seine Rechtsverletzung klaglos hingenommen hat. Besteht nun eine parteipolitische Affinität zwischen dem Bürgermeister und der Gemeinderatsmehrheit, so ist es in der Regel mehr als nur bloße Spekulation, daß politische Gründe für das Untätigbleiben des Gemeinderats ausschlaggebend oder doch zumindest mitbestimmend gewesen sein können. Liegt die entsprechende politische Konstellation vor, so ist, in prozessualen Kategorien formuliert, nach der politischen wie der Lebenserfahrung ein prima facie-Beweis als erbracht anzusehen, daß eine Rechtsverletzung aus politischen Gründen erduldet wird. Dieser prima facie-Beweis mag im Einzelfall erschüttert werden können, wenn konkrete Anhaltspunkte nachgewiesen werden, die eine andere Motivationslage nahelegen. Wenn aber ein Rechtsverstoß des Bürgermeisters zum Nachteil des Gemeinderats vorliegt, der von der Gemeinderatsmehrheit ohne konkrete Anhaltspunkte für eine andere Motivation nur deshalb nicht gerichtlich geltend gemacht wird, weil sie und der Bürgermeister derselben Partei oder Parteienkoalition zugehören, dann ist dieses politisch vernünftige Verhalten als relevante Gefahrschaffung anzusehen und die Zurechenbarkeit des bei den Gemeinde-

278 279 280

Schenke, NJW 1982,2527. Vgl. BVerfGE 2, 143, 162 f.; BVerwGE 90, 104, 106. OVG Münster, OVGE 10, 143, 149 f.

I. Der Organrechtseingriff

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ratsmitgliedern und -fraktionen strukturell mittelbar eintretenden Eingriffserfolges zu bejahen.

dd) Resümee Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß die Übergehung des Gemeinderats durch den Bürgermeister eine strukturell mittelbare Beeinträchtigung der Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen darstellt, die diese zu einem auch gerichtlichen Vorgehen gegen den Bürgermeister zur Verteidigung ihrer Organrechte befugt. Zwar läßt sich mit guten Gründen vertreten, daß der Gemeinderat näher dran sei, den ihn treffenden Eingriff abzuwehren, und wenn er dies tut, so erübrigt sich allerdings ein entsprechendes Vorgehen seiner Teile. Unterläßt der Gemeinderat einen solchen Schritt jedoch aus vernünftigen Erwägungen, namentlich angesichts einer zweifelhaften Rechtslage oder aus politischer Rücksichtnahme, dann gibt es keinen legitimen Grund, den strukturell mittelbar verletzten Organteilen zu verwehren, ihre Rechte gegenüber dem Bürgermeister geltend zu machen und gegebenenfalls in einem gerichtlichen Organstreitverfahren zu verteidigen. Anders verhält es sich, wenn der Gemeinderat durch einen ordnungsgemäß gefaßten Beschluß die unberechtigte Entscheidung des Bürgermeisters nachträglich genehmigi 281. Hierdurch wird nicht nur die dem Gemeinderat widerfahrene Rechtsverletzung als solche geheilt, vielmehr entfällt solchenfalls auch die mittelbare Beeinträchtigung der Gemeinderatsmitglieder 282. Denn eine solche Genehmigung kann nur in einem ordnungsgemäßen Beschlußverfahren ausgesprochen werden, und in dessen Rahmen besitzen die Mitglieder und Fraktionen alle Rechte zur Stellungnahme und Antragstellung, die sie gehabt hätten, wenn die Zustimmung vorab erteilt worden wäre. Auch die nachträgliche Genehmigung kann nur aufgrund öffentlicher Debatte der Angelegenheit erteilt werden; sie stellt damit etwas ganz anderes dar, als wenn der Gemeinderat beispielsweise eine unberechtigte Eilentscheidung des Bürgermeisters einfach mit Stillschweigen hinnimmt und so der öffentlichen Auseinandersetzung ausweicht. Aus Sicht der Minderheit kommt also einem ordnungsgemäß gefaßten Beschluß ein „Eigenwert" auch dann zu, wenn sie bei der Abstimmung unterliegt 283 . Daß der Gemeinderat durch seine Genehmigung die Rechtsverletzung in Wegfall bringen kann - insoweit kommt bei berechtigtem Interesse allerdings noch eine Feststellungsklage gegen den Bürgermeister in Betracht - , hindert sonach nicht, daß die einzelnen Gemeinderatsmitglieder, solange diese Genehmigung nicht

281 282 283

Zu dieser Möglichkeit vgl. unten G.III.2.b.dd. Vgl. Bauer/Krause, JuS 1996, 515. Vgl. VerfGH NW, NWVB1. 1999, 411,412.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

erteilt wurde, ihre strukturell mittelbare Verletzung gegen den Bürgermeister geltend machen können.

4. Die Vernachlässigung organschaftlicher Leistungsrechte Nach der Untersuchung der möglichen Eingriffe in abwehrrechtliche Organrechte bleibt abschließend noch auf die Beeinträchtigung leistungsrechtlicher Organrechte einzugehen. Daß auch diese Problematik in den Kontext der Organrechtseingriffe gehört, versteht sich ohne nähere Begründung, nachdem die Beeinträchtigung von Leistungsrechten ebenso wie die von Abwehrrechten Rechtfertigungszwänge auslöst und nachdem die Verletzung eines Leistungsrechts nicht anders als die Verletzung eines Abwehrrechts sekundäre und - jedenfalls dem Grunde nach - tertiäre Hilfsansprüche auslöst284. Aufgrund dieser funktionellen Gleichheit bestehen an sich keine Bedenken, von einem „Eingriff 4 in Leistungsrechte zu sprechen. Vorliegend soll jedoch zur Verdeutlichung des strukturellen Unterschiedes von der Vernachlässigung von Leistungsrechten gesprochen werden 285 ; damit wird schon terminologisch kenntlich gemacht, daß die Nichtbeachtung eines Leistungsrechts anders als bei Abwehrrechten in aller Regel nicht durch ein positives Tun, sondern in Gestalt eines Unterlassens stattfindet. Eine Vernachlässigung eines Leistungsrechts liegt immer dann vor, wenn der Verpflichtete hinter seiner Verpflichtung zurückbleibt, d.h. dasjenige, wozu er leistungsrechtlich verpflichtet ist, überhaupt nicht, verspätet oder nur unzureichend tut. Zurechnungsprobleme bestehen hier keine. So wird beispielsweise das leistungsrechtlich zu verstehende Unterrichtungsrecht des Gemeinderats beeinträchtigt, wenn der Bürgermeister mitzuteilende Informationen diesem ganz vorenthält oder unvollständig bzw. verfälscht zukommen läßt 286 . Eine ebensolche Vernachlässigung des Unterrichtungsrechts liegt vor, wenn die zur Sitzungsvorbereitung erforderlichen Unterlagen (§ 34 Abs. 1 S. 1 GemO BW) den Gemeinderatsmitgliedern nicht zugesandt, sondern lediglich während der üblichen Dienstzeiten zur Einsichtnahme im Rathaus bereitgehalten werden; dies erschwert die Kenntnisnahme unzumutbar und führt bei Berufstätigen faktisch zu einer Versagung der Einsicht 287 .

284

S. dazu unten G.IV.2. S. hierzu bereits oben G.I. 286 Vgl. entsprechend StGH BW, DÖV 2000, 729, 730 für die Vorenthaltung von Informationen für den Landtag durch die Regierung. 287 OVG Greifswald, DÖV 1998, 1014, 1015. 285

I. Der Organrechtseingriff

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Daß die Vernachlässigung einer Leistungspflicht das betreffende Leistungsrecht verletzt (falls nicht besondere Rechtfertigungsgründe dafür vorliegen 288 ), versteht sich nach dem Gesagten. Von Bedeutung ist, daß damit oftmals Folgebeeinträchtigungen verbunden sind 289 , welche weitere Organrechtseingriffe implizieren. Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß Leistungsrechte nicht selten als Nebenrechte gewährt werden, welche die Absicherung der effektiven Ausübbarkeit eines Hauptrechtes des berechtigten Organs bezwecken290. In einem derartigen Fall kann sich die Verletzung eines Leistungsrechts zugleich als eine durch pflichtwidriges Unterlassen bewirkte Beeinträchtigung eines abwehrrechtlichen Organrechts darstellen. Beispielsweise kann das Vorenthalten von Informationen, die für eine sinnvolle und verantwortliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung unabdingbar sind 291 , sowohl die Befugnis der einzelnen Gemeinderatsmitglieder, an den Beratungen und Abstimmungen im Gemeinderat teilzunehmen, in beachtlicher Weise ihres Sinnes entleeren, als auch die Entscheidungsbefugnisse des Gemeinderats in seiner Gesamtheit beeinträchtigen. Diese Folgewirkungen zeigen sich deutlich im Falle einer Verletzung der Pflicht des Bürgermeisters, bei der Einberufung des Gemeinderats „die für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen beizufügen" (§ 34 Abs. 1 S. 1 GemO BW). Damit soll nämlich die Voraussetzung geschaffen werden, daß sich die Gemeinderatsmitglieder, gegebenenfalls auch die Gemeinderatsfraktionen, rechtzeitig vor der Sitzung mit den Themen befassen und sich erforderlichenfalls zusätzliche Informationen besorgen können, um nicht etwa spontan zu schwierigen Fragen sich eine Meinung bilden und abstimmen zu müssen. Vernachlässigt der Bürgermeister diese Pflicht, oder gibt er auf in der Sitzung gestellte mündliche Fragen 292 unzureichende, fehlerhafte oder gar manipulierte Antworten, so wird deshalb nicht allein der leistungsrechtliche Unterrichtungsanspruch verletzt. Wenn die Information in einer Weise unvollständig ist, daß die Unvollständigkeit - anders als insbesondere bei völligem Fehlen derselben - von den Gemeinderatsmitgliedern nicht zu bemerken ist, diese also zwar irrig, aber vernünftigerweise davon ausgehen müssen, ihre Meinung auf korrekter Grundlage zu bilden, so ist dem Bürgermeister vielmehr auch ein faktischer Eingriff in das Entscheidungsrecht des Gemeinderats vorzuwerfen. Anders verhält es sich, wenn der Gemeinderat die Lückenhaftigkeit der Unterrichtung erkennt. Solchenfalls ist es in aller Regel unvernünftig, gleichwohl einen Sachbeschluß zu fassen, anstatt die Angelegenheit zu vertagen und dem Bürgermeister die Vervollständigung der Information aufzugeben. Faßt der Gemeinderat in einer Si288

Z.B. kann die Nichterfüllung einer Unterrichtungspflicht durch besondere Geheimhaltungsbedürfnisse gerechtfertigt sein, vgl. unten G.II. La. 289 Zu den Folgebeeinträchtigungen oben G.I.2.a.cc. 290 S. oben F.III. 1. 291 Vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 103. 292 Zum Fragerecht oben F.III.2.c.aa.

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

tuation erkannter Unwissenheit unvernünftigerweise einen Sachbeschluß, so bleibt zwar die Verletzung seines Unterrichtungsrechts durch den Bürgermeister bestehen (und kann auch gegebenenfalls gerichtlich festgestellt werden), eine Verletzung des Entscheidungsrechts des Gemeinderats liegt dann aber nicht mehr vor. Solche Folgewirkungen sind, wie bereits erwähnt, von erheblicher Bedeutung. Es stellt nämlich einen großen Unterschied dar, ob ein Leistungsrecht folgenlos verletzt wird oder ob diese Verletzung die Beeinträchtigung weiterer Organrechte nach sich zieht. Verletzt der Bürgermeister z.B. das Unterrichtungsrecht des Gemeinderats, und hat dies deswegen keine Folgen, weil keine Abstimmung anstand, bei der sich die unterlassene oder fehlerhafte Unterrichtung ausgewirkt hätte, so beschränken sich die Folgen auf sekundärer Ebene dahin, die Unterrichtung fehlerfrei nachzuholen, bei gegebenem Interesse kommt auch eine Feststellung der Verletzung in Betracht. Anders ist es aber, wenn sich die Vernachlässigung des Unterrichtungsrechts in einer damit fehlerhaft werdenden Abstimmung auswirkte. Dann stellt sich nämlich die Frage der Gültigkeit bzw. Angreifbarkeit der fehlerhaften Abstimmung, weil hier die Stimme irrtumsbedingt abgegeben wird und dieser Irrtum dem Bürgermeister zuzurechnen ist. Doch damit sind bereits Aspekte der Folgen nicht gerechtfertigter (dazu nachfolgend II.) Organrechtseingriffe angesprochen (dazu unten III. und IV.).

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen Liegt ein Eingriff in ein subjektives Organrecht vor, so ist als nächster Schritt zu prüfen, ob dieser Eingriff rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Rechtswidrig ist er genau dann, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. In der Zuweisung einer bestimmten Kompetenz an ein Organ oder Organteil als dessen subjektives Recht liegt nämlich die Überantwortung dieser Kompetenz zur ausschließlichen Ausübung1; wird die freie Ausübung eines subjektiven Organrechts in zurechenbarer Weise durch ein anderes Organ oder Organteil beeinträchtigt 2, so indiziert dies die Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs, die durch den Nachweis einer Eingriffsrechtfertigung ausgeräumt werden muß. Nachzuweisen ist also nicht die Rechtswidrigkeit, sondern die Rechtmäßigkeit eines Eingriffs, und wenn dieser Nachweis nicht gelingt, so ist der Eingriff als rechtswidrig zu erachten. Nicht anders als es auch bei allen anderen Eingriffen in subjektive Rechte der Fall ist, unterliegt auch die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen gewissen materiellen (nachfolgend 1.) sowie kompetentiellen und formellen Voraussetzungen (unten 2.).

1. Die materielle Rechtfertigung von Organrechtseingriffen Der Eingriff in ein subjektives Organrecht ist materiell rechtmäßig, wenn er ein legitimes Ziel verfolgt (nachfolgend a), durch Gesetz ausdrücklich zugelassen oder implizit aufgrund einer Kollision mit wenigstens gleichrangigen Rechtsgütern nach den Grundsätzen praktischer Konkordanz zu legitimieren (unten b) und wenn er schließlich verhältnismäßig ist (unten c).

a) Legitime Eingriffszwecke Indem sie einem Rechtssubjekt ein subjektives Recht gewährt, begründet die Rechtsordnung nicht lediglich auf dessen Seite die grundsätzlich schutzwürdige Erwartung, daß dieses Recht ungestört ausgeübt werden kann, sie muß vielmehr auch um ihrer selbst willen dafür Sorge tragen, daß dieses subjektive Recht nicht ohne hinreichenden Grund beeinträchtigt werden darf. Ein subjektives 1 2

Zu dieser Bedeutung subjektiver Rechte allgemein oben D.III.3. Zu den Organrechtseingriffen eingehend G.I.

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G

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Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Recht nämlich, in welches ohne einen solchen Grund eingegriffen werden dürfte, wäre offensichtlich wenig bis nichts wert und müßte seine Zwecke verfehlen, weil es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob man schon gar kein subjektives Recht besitzt oder eben ein solches, in das ohne Grund und somit letztlich beliebig eingegriffen werden dürfte. Erste und oberste Voraussetzung der Rechtmäßigkeit jeden Eingriffs in ein Recht muß daher sein, daß mit diesem Eingriff ein nach den materiellen Wertungen der Rechtsordnung legitimes Ziel verfolgt wird. Damit scheiden rein politisch motivierte oder politisch tendenziöse Zielsetzungen wie etwa der Ausschluß mißliebiger Mitglieder und Fraktionen von gesetzlich oder geschäftsordnungsmäßig vorgesehenen Einflußmöglichkeiten in einem Organ oder Organteil (z.B. einem Gemeinderatsausschuß) von vornherein als legitime Eingriffszwekke aus. Politische Differenzen und Meinungsverschiedenheiten sind in demokratisch verfaßten Organisationen im kompetenzordnungsmäßigen Verfahren zu behandeln und gegebenenfalls mit Mehrheit zu entscheiden, nicht hingegen durch Beeinträchtigung von Organrechten. Rein politische Ziele stellen also niemals legitime Eingriffsziele dar und rechtfertigen daher nie einen Eingriff in Organrechte 3. an erIm Bereich der Organrechtseingriffe sind als legitime Eingriffszwecke ster Stelle die Wahrung der Funktionsfähigkeit der Organisation und ihrer Organe4 sowie die Sicherung eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges zu nennen5, insbesondere die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung von Kollegialorganen. Daß sich subjektive Organrechte diesen Zielsetzungen nötigenfalls unterzuordnen haben, versteht sich ohne weiteres: Subjektive Organrechte verfolgen keine Selbstzwecke, sondern sind den Organen gewährt, um diesen eine rechtlich bestmöglich abgesicherte eigenverantwortliche Ausübung und erforderlichenfalls Geltendmachung ihrer Kompetenzen zu ermöglichen 6, und deshalb müssen die subjektiven Organrechte ebenso wie die Organe selbst in ihrer Bezogenheit auf die Organisation und deren Aufgaben und Funktionen verstanden werden 7.

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Vgl. BVerfGE 30, 1, 31; 70, 324, 365; BayVerfGH 29, 62, 88 f.; NJW 1989, 1918, 1920; VGH München, BayVBl. 2000, 467, 468. 4 BVerfGE 10, 4, 13; 96, 264, 281 („Arbeitsfähigkeit"); 99, 19, 32; BayVerfGH 29, 62, 89 ff.; BayVBl. 1998, 365, 367; VerfGH Berlin, JR 1996, 496, 497; VerfGH NW, NVwZ 1994, 678, 679 f.; BVerwG, Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 105; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 380. - S. oben F.II.2.a. 5 VGH Mannheim, DÖV 1989, 31, 32 f.; NVwZ-RR 1994, 229, 230; vgl. BVerfGE 44, 308, 314 f.; 80, 188, 218 f. 6 Zu dieser Zielsetzung ausführlich oben F.II. 7 Vgl. hierzu oben A.I.2.b.aa.

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen

III

Allerdings griffe es zu kurz, als legitimen Eingriffszweck nur die Wahrung des unabdingbaren Minimums an Ordnung anzuerkennen, welches überhaupt erst das Funktionieren der Organisation und ihrer Organe ermöglicht. Vielmehr ist auch das Streben nach einem effizienten und (auch aus Sicht des Bürgers) vertrauenswürdigen Funktionieren ein legitimes Ziel, so daß Anforderungen an ein Mindestmaß von Arbeitsökonomie und Effizienz 8 sowie Bedürfhisse des Geheimschutzes 9 - die Notwendigkeit vertraulicher Behandlung kann dabei sowohl staatliche Angelegenheiten als auch Daten Privater betreffen 10 - Organrechtseingriffe rechtfertigen können. Da das grundgesetzliche System repräsentativer Demokratie nicht ohne ein Mindestmaß an Vertrauen des Volkes in seine gewählten Repräsentanten auskommt, stellt ferner der Erhalt der Integrität und der politischen Vertrauenswürdigkeit der hoheitlichen, namentlich der Repräsentationsorgane und ihrer Mitglieder ein legitimes Eingriffsziel dar 11 . Dies rechtfertigt es, gegenüber den Organmitgliedern Regelungen zu treffen, die deren „Organwürdigkeit" gewährleisten12. Als legitimes Eingriffsziel ist ferner der Schutz der Würde und des Ansehens des betreffenden Organs nach außen anzusehen13, weil auch - und gerade - in einer Demokratie die Träger öffentlicher Gewalt und ihre Organe nur dann dauerhaft dem Gemeinwohl dienen können und werden, wenn sie sich nicht zum Gespött der Öffentlichkeit machen. Schließlich ist als legitimer Eingriffszweck die Verhinderung eines (nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unzulässigen) Mißbrauchs subjektiver Organrechte anzuerkennen14. Beispielsweise brauchen ungeeignete, überflüssige, in strafbarer Form vorgebrachte oder aus anderen Gründen mißbräuchliche Fragen eines Gemeinderatsmitglieds vom Bürgermeister nicht beantwortet zu werden 15, und wer sein Akteneinsichtsrecht belegbarer Weise zu sachfremden Zwecken verwenden will, verwirkt dasselbe16. Da jedem Organ die Pflicht obliegt, die Grenzen seiner eigenen Zuständigkeiten einzuhalten xl, und zwar sowohl im

8 Vgl. BVerfGE 44, 308, 316; 80, 188, 219, 222 („Funktionstüchtigkeit"); Bay VerfGH, NJW 1989, 1918, 1919. 9 BVerfGE 70, 324, 364; BayVerfGH, NJW 1989, 1918 f., 1919 f. 10 Vgl. SächsVerfGH, LKV 1998, 316, 317. 11 Vgl. in bezug auf den Bundestag BVerfGE 77, 1, 44; 94, 351, 367 f.; 99, 19, 32; ftir Landtage ThürVerfGH, LVerfGE 7, 337, 352; ThürVBl. 2000, 180, 182. 12 VerfG M V , LKV 1997, 94, 97 (fur Landtagsabgeordnete: „Parlamentswürdigkeit"). 13 Vgl. RGSt 47, 270, 275. 14 Vgl. BayVerfGH 42, 108, 115; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367; VerfG Bbg., DVBl. 1999, 708, 709; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 380 f. 15 VGH Kassel, NVwZ-RR 1998, 773. 16 OVG Greifswald, LKV 1999, 106, 107 f. 17 VerfG Bbg., DVBl. 1999, 708, 710.

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Verhältnis zu den anderen Organen seiner Organisation als auch in bezug auf die sich aus der begrenzten Verbandskompetenz der Organisation für deren gesamte Tätigkeit ergebenden Grenzen, hat ein Kollegialorgan wie z.B. der Gemeinderat oder ein Parlament sowohl das Recht als auch die Pflicht, Anträge seiner Mitglieder oder Fraktionen, deren Erörterung oder gar Annahme die Zuständigkeitsgrenzen verletzte, ohne inhaltliche Befassung anzulehnen18.

b) Übermaßverbot Unabhängig davon, ob der Gesetzgeber die Eingriffsvoraussetzungen selbst spezifiziert, deren nähere Ausformung der Geschäftsordnung überlassen hat, oder ob ein Organrechtseingriff gar nur auf der Basis einer Kollisionslage zum Schutz von Verfassungsgütern und Gemeinwohlinteressen erfolgt und es deshalb überhaupt keine geschriebenen Eingriffsvoraussetzungen gibt 19 , unterliegt jeder Organrechtseingriff als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips dem materielleines Orrechtlichen Übermaßverbot 20. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit ganrechtseingriffs muß konkret belegbar sein; bloße Behauptungen genügen insoweit ebensowenig21 wie die Berufung auf eine bisherige Praxis 22. Aus diesem Grund kann beispielsweise die Festsetzung einer so geringen Ausschußgröße, die dazu führt, daß eine Gemeinderatsfraktion nicht im Ausschuß vertreten ist 23 , in aller Regel nicht mit Bedürfhissen der Arbeitsökonomie gerechtfertigt werden, weil ein oder zwei zusätzliche Mitglieder die Arbeitsfähigkeit eines Ausschusses normalerweise nicht beeinträchtigen und deshalb der gänzliche Ausschluß einer Fraktion von der Vertretung in diesem Ausschuß nicht erforderlich sein kann 24 . Dagegen mag ein - bei Gemeinden freilich seltenes - Geheimschutzbedürfnis die Begrenzung der Mitgliederzahl eines Ausschusses rechtfertigen, weil die Geheimhaltung um so eher sicherzustellen ist, je weniger Ausschußmitglieder beteiligt sind 25 . Die Erforderlichkeit eines sich daraus ergebenden Eingriffs in die Rechte der nicht vertretenen Fraktionen bleibt solchenfalls jedoch nur gewahrt, wenn sich der betreffende Ausschuß dann tatsächlich aus-

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VerfG Bbg., DVB1. 1999, 708, 710. Vgl. hierzu unten G.II.2. 20 Vgl. BayVerfGH 29, 62, 91; VGH München, BayVBl. 2000, 467, 468; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 111. 21 Vgl. ThürVerfGH, ThürVBl. 2000, 180, 183. 22 Vgl. BayVerfGH, NJW 1989, 1918,1919. 23 Zu diesem Recht s. oben F.III.2.d. 24 BayVerfGH, NJW 1989, 1918, 1919: Landtagsausschuß mit 12 oder 13 Mitgliedern ebenso arbeitsfähig wie mit 11. - Vgl. oben F.III.2.d. 25 Vgl. BVerfGE 70, 324, 364; BayVerfGH, NJW 1989, 1918, 1919; a.A. BVerfGE 70, 324, 372 - diss. op. Mahrenholz; 70, 324, 383 f. - diss. op. Böckenförde. 19

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen schließlich mit geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten befaßt 26. Besonders streng zu prüfen ist die Erforderlichkeit eines Eingriffs, der zu einem gänzlichen Ausschluß eines Organrechts führt. Deshalb kann z.B. eine Antwort auf eine Anfrage oder das gesetzlich vorgesehene Akteneinsichtsrecht eines Gemeinderatsmitglieds nur dann unter Hinweis auf Geheimhaltungspflichten verweigert werden, wenn der Geheimnis- oder Datenschutz nicht auf andere Weise hinreichend gewährleistet werden kann 27 , beispielsweise durch Mitteilung in nichtöffentlicher Sitzung oder durch entsprechende Geheimhaltungsvermerke 28. Das Informationsrecht entfällt deshalb nur dann völlig, wenn die begründete Sorge eines Rechtsmißbrauchs in Gestalt einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht (§ 17 Abs. 2 S. 1 GemO BW) besteht, vorausgesetzt, zuvor sind gegen den Betreffenden bereits gesetzlich vorgesehene minder schwere Sanktionen (z.B. ein Ordnungsgeld) erfolglos verhängt worden 29 oder es liegen konkrete Anhaltspunkte für die voraussichtliche Untauglichkeit minder beeinträchtigender Maßnahmen vor. Schließlich gilt auch für Organrechtseingriffe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. auch ein geeigneter und erforderlicher Eingriff ist unstatthaft, wenn die Beeinträchtigung nach Art und Ausmaß außer Verhältnis zu dem damit verfolgten wiewohl legitimen Ziel stünde30. Beispielsweise muß bei weitreichenden Eingriffen wie etwa dem Ausschluß eines Gemeinderatsmitglieds von der Sitzung wegen grober Ungebühr oder wiederholten Verstößen gegen die Ordnung - zumal angesichts der damit möglicherweise verbundenen Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse - das Gewicht des zu rügenden Verhaltens der Schwere des Eingriffs entsprechen 31, nach der Geschäftsordnung mögliche zeitliche Beschränkungen des Rederechts dürfen nicht außer Verhältnis zur Bedeutung und Schwierigkeit des Verhandlungsgegenstandes stehen32 usw.

c) Diskriminierungsverbot Schließlich unterliegen alle Organrechtseingriffe als Ausfluß des Demokratieund Rechtsstaatsprinzips auch einem materiellrechtlichen Diskriminierungsverbot. Einzelne Gemeinderatsmitglieder oder -fraktionen beispielsweise dürfen 26

BayVerfGH, NJW 1989, 1918, 1920. Vgl. SächsVerfGH, LKV 1998, 316, 317. 28 Vgl. BVerfGE 67, 100, 134 ff.; OVG Münster, NVwZ 1999, 1252, 1254. 29 Vgl. OVG Greifswald, LKV 1999, 106, 107. 30 Vgl. BayVerfGH 29, 62, 92; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367 („Abwägung"); OVG Greifswald, LKV 1999, 106, 107; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229, 230; vgl. auch RGSt 47, 270, 274. 31 VGH München, BayVBl. 1988, 16, 17; Martensen, JuS 1995, 1078. 32 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229, 230. 27

7 8 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten hiernach nicht ohne sachlichen Grund schlechter als die anderen behandelt werden 33 . Deshalb dürfen Regelungen über das dem einzelnen Mitglied eingeräumte Rederecht nicht ohne sachlichen Grund Unterschiede machen34, und ebenso dürfen auch nicht einzelnen Mitgliedern bestimmte Informationen vorenthalten werden, über die andere Mitglieder verfügen 35, sonst wird das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der Willensbildung des Organs verletzt. Freilich gilt auch in bezug auf die ohnehin nicht grundrechtlich 36 und damit auch nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG abgesicherten Organrechte, daß grundsätzlich kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht besteht. Es verstößt daher zwar gegen den organschaftlichen Anspruch auf Gleichbehandlung, wenn von zwei Gemeinderatsmitgliedern, die gleichermaßen die Ordnung in der Sitzung stören, nur der eine ausgeschlossen wird; dieser kann jedoch nicht mit Erfolg gegen seinen Ausschluß unter Berufung darauf vorgehen, auch der andere habe sich ungebührlich verhalten 37. Ein anderes muß allerdings dann gelten, wenn die rechtswidrige Ungleichbehandlung nicht auf einem einfachen Versehen bei der Gesetzesauslegung und -anwendung beruht, sondern in unzulässiger Weise politisch motiviert war; hier wird man dem politisch Diskriminierten im Interesse eines wirksamen Minderheitenschutzes einen Abwehranspruch gegen die Ungleichbehandlung einräumen müssen. Solchenfalls es ist nämlich besser, wenn beispielsweise beide Störer weiter an der Sitzung teilnehmen dürfen, als wenn der Bürgermeister willkürlich lediglich den politisch unliebsamen ausschließen dürfte.

2. Kompetentielle und formelle Rechtfertigungsvoraussetzungen Die Verfolgung eines legitimen Zweckes alleine begründet noch nicht notwendig die Befugnis exekutivischer Organe - und um solche handelt es sich ja in den Fällen verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten 38 - , diesen Zweck (und zwar selbst unter Beachtung des Übermaßverbotes und der sonstigen materiellen Voraussetzungen) mittels eines Eingriffs in subjektive Rechte durchzusetzen. Vielmehr ist als kompetentielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung zu fragen, ob die Vornahme eines Organrechtseingriffs dem eingriffswilligen Verwaltungsorgan durch den Gesetzgeber erlaubt werden muß, ob und inwieweit mit

33 34

Vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229, 230. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229, 230; OVG Münster, NVwZ-RR 1990,

101, 102. 35

36 37 38

OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 102. S. oben B.I.2.a. Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342, 343. S. oben F.II.l.a.bb.

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen anderen Worten eine gesetzliche Eingriffsermächtigung erforderlich ist 39 . Zwar läßt sich die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Organrechtseingriffe nicht unter Berufung auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes begründen. Dieser Grundsatz dient nämlich entsprechend seiner dogmengeschichtlichen Entstehung als demokratisches und rechtsstaatliches Schutzinstrument zugunsten des Bürgers 40 lediglich der Gewährleistung der verfassungsrechtlich verbürgten Rechte Privater und besitzt keine Bedeutung für die Regelung körperschaftsinterner Organbeziehungen 41. Folglich ist es nicht möglich, Organrechtseingriffe einem Vorbehalt des Gesetzes zu unterwerfen. Andererseits gilt aber natürlich auch für organisationsinterne Rechtsbeziehungen der Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG). Deshalb können gesetzlich begründete subjektive Organrechte nicht ohne weiteres durch die Geschäftsordnung eines Kollegialorgans oder durch Beschluß anderer Organe entzogen oder eingeschränkt werden. Eingriffe in gesetzlich gewährte Organrechte bedürfen sonach schon aufgrund des Gesetzesvorrangs einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung42. Keine Bedenken im Hinblick auf den Vorrang des Gesetzes ergeben sich, soweit der Gesetzgeber in Verfolg legitimer Eingriffszwecke ausdrückliche Eingriffsermächtigungen geschaffen hat. So hat er beispielsweise im Interesse des Schutzes des Vertrauens der Allgemeinheit in die Lauterkeit der Kommunalverwaltung Befangenheitsvorschriften statuiert und die Ausschließung befangener Gemeinderatsmitglieder aus dem Gemeinderat vorgesehen (§ 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW), ferner zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung Sitzungsausschlüsse wegen „grober Ungebühr" oder „wiederholten Verstößen gegen die Ordnung" (§ 36 Abs. 3 GemO BW) zugelassen. Soweit der Gesetzgeber derartige spezifische Regelungen getroffen hat, versteht sich von selbst, daß ein auf diese Eingriffsermächtigungen gestützter Organrechtseingriff nur dann kompetentiell und materiell rechtmäßig ist, wenn die gesetzlich spezifizierten Voraussetzungen eingehalten sind. Die dabei normierten Tatbestandsmerkmale stellen im Organstreitverfahren gerichtlich voll über-

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Zu dieser Fragestellung kompetentieller Eingriffsrechtfertigung vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 596. 40 Zu Geltungsgrund und Grenzen des Vorbehalts des Gesetzes näher Dietlein, Nachfolge im Öffentlichen Recht, S. 166 ff., 173 ff; Isensee, in Isensee/Kirchhof, HStR V, § 111 Rn. 70; Roth, Faktische Eingriffe, S. 496 ff., 503 ff.; Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, § 80 I 3. 41 BVerwG, DVBl. 1986, 240, 241. 42 Vgl. den Hinweis von Thoma, HdbDStR II, S. 222, daß der Vorbehalt des Gesetzes mit zunehmender gesetzlicher Regelungsdichte „praktisch vor allem durch den Vorrang der schon vorhandenen förmlichen Gesetze umschrieben" wird.

7 8 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten prüfbare unbestimmte Rechtsbegriffe dar 43 . Ein diesbezüglicher Beurteilungsspielraum des eingreifenden Organs 44 ist nicht anzuerkennen. Denn dies könnte zu einer die Kompetenzordnung gefährdenden Gewichtsverlagerung zwischen den beteiligten Organen und Organteilen fuhren. Dies gilt auch für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung, die vom Sitzungsleiter spontan ergriffen werden müssen und dabei eine komplexe Bewertung der gegebenen Umstände und Äußerungen sowie der gesamten Atmosphäre erfordern 45. Diese Schwierigkeit teilen sie etwa mit polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen, die nicht selten selbst in unübersichtlichen Situationen sofort ergriffen werden müssen, und bei denen dem Polizeibeamten gleichwohl kein Beurteilungsspielraum zugebilligt wird. Hält das Gericht dafür, daß dem Sitzungsleiter eine Fehlbewertung der Lage unterlaufen ist, so ist kein Grund ersichtlich, wieso dies zu Lasten des des Sitzungssaales verwiesenen Gemeinderatsmitglieds gehen soll, indem dem Sitzungsleiter ein „Beurteilungsspielraum" zugebilligt wird, innerhalb welchem er folgenlos falsch entscheiden kann. Der Schwierigkeit der dem Sitzungsleiter gestellten Aufgabe, die Sitzungsordnung durch spontane Entscheidungen auch in aufgeheizter Atmosphäre aufrechtzuerhalten, ist vielmehr durch eine sinnvolle Auslegung des Begriffs der groben Ungebühr und des Ordnungsverstoßes Rechnung zu tragen, indem hier - ähnlich wie bei der polizeilichen Gefahr - auf die verständige Würdigung aus ex ante-Sicht des Sitzungsleiters abzustellen ist 46 . Inhaltlich darf hierbei einerseits der Sitzungsleiter keine Überempfindlichkeit an den Tag legen47, andererseits dürfen aber auch die einzelnen Gemeinderatsmitglieder nicht zu einem wechselseitigen Hochschaukeln interner Spannungen und einer Eskalation der Störung beitragen, sondern müssen sich

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Vgl. etwa VGH Kassel, DÖV 1990, 622; VGH Mannheim, VB1BW 1993, 259 f.; vgl. auch Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 101 f. 44 So nach früherem Recht für parlamentarische Ordnungsmaßnahmen RGSt 47, 270, 275 f. Heute wohl OLG Karlsruhe, DÖV 1980, 99, 100; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 36 (Lfg. 1986) Rn. 13 („Was im Einzelfall als Verstoß gegen die Ordnung zu betrachten ist, entscheidet der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen"); Schnapp, VerwArch 1987, 454 f.; offen OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53. Richtig ist demgegenüber, daß der Bürgermeister zwar nach pflichtgemäßem Ermessen über die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme zu entscheiden hat (Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 477; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 111, 115), doch ob ein Ordnungsverstoß vorliegt, ist keine Frage seines „Ermessens" oder seiner Beurteilung. Vgl. femer Bonk, Organstreitigkeiten, S. 40 ff. gegen die frühere Lehre von der Gerichtsfreiheit innerparlamentarischer Akte (der sogenannten interna corporis). 45 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; femer VGH München, BayVBl. 1998, 16, 17. 46 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; vgl. auch Schnapp, VerwArch 1987, 456. 47 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; vgl. auch OLG Karlsruhe, DÖV 1980, 99, 100; VGH Kassel, DÖV 1990, 622.

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen gegebenenfalls etwas zurücknehmen, um nicht den ordnungsgemäßen Fortgang der Sitzung zu beeinträchtigen. Freilich hat der Gesetzgeber nur vereinzelt spezifische Eingriffsregelungen getroffen. Besondere Bedeutung besitzt deshalb die in aller Regel bestehende generalklauselartige gesetzliche Ermächtigung von Kollegialorganen wie namentlich des Gemeinderats, „seine inneren Angelegenheiten, insbesondere den Gang der Verhandlungen, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durch eine Geschäftsordnung" zu regeln (§ 36 Abs. 2 GemO BW). Die Organrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder und Fraktionen können nur im Rahmen des Gemeinderats bestehen und verwirklicht werden. Sie sind mithin einander zugeordnet und müssen angesichts der allenthalben drohenden Kollisionen aufeinander abgestimmt und zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die Geschäftsordnung hat die verschiedenen Organrechte deshalb näher auszugestalten 48 , erforderlichenfalls auch einzuschränken, ohne diese freilich als solches in Frage zu stellen49. Bei der Entscheidung eines Kollegialorgans, welche Regeln es sich im Rahmen von Verfassung und Gesetz zu seiner Selbstorganisation und zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs gibt, kommt ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu 50 . Grundbedingung ist jedoch stets, daß diese Regeln die grundsätzlich gleiche Rechtsstellung aller Organmitglieder wahren und nicht diskriminierend wirken 51 . In Verfolg der genannten legitimen Ziele kann die Geschäftsordnung des Gemeinderats (§ 36 Abs. 2 GemO BW) beispielsweise Möglichkeiten zur Redezeitbegrenzung vorsehen 52, ein Gemeinderatsmitglied auf die schriftliche Begründung eines Antrags beschränken, die Modalität von Anfragen regeln 53, die für einen Fragesteller zulässige Höchstzahl von Fragen festsetzen 54, die Mindeststärke der Fraktionen festsetzen 55, bestimmen, welche Mitwirkungsbefugnisse im Gemeinderat der gemeinschaftlichen Wahrnehmung durch eine Fraktion oder Gruppe bzw. einem bestimmten Antragsquorum vorbehalten bleiben 48

Vgl. Wengenroth, Rechtsstellung, S. 102. BVerfGE 80, 188, 219; 84, 304, 321 f. (für die Geschäftsordnung des Bundestages); entsprechend BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367; VerfGH Berlin, JR 1996, 496, 497 f. 50 Vgl. BVerfGE 80, 188, 220; 84, 304, 322. 51 Vgl. BVerfGE 80, 188,220. 52 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 229, 230; Erlenkämper, NVwZ 1999, 1304; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 102 ff.; vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1998, 365, 367. 53 VGH Mannheim, DÖV 1989, 31, 32 f.; vgl. SächsVerfGH, SächsVBl. 1998, 211 f. 54 Wengenroth, Rechtsstellung, S. 106. 55 VGH München, BayVBl. 2000, 467; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 130 f.; entsprechend für die Geschäftsordnung des Bundestages BVerfGE 84, 304, 321; 96, 264, 278 f.; krit. Bick, Die Ratsfraktion, S. 71 f.: Mindeststärke der Gemeinderatsfraktion sollte wegen ihrer Bedeutung in der Hauptsatzung geregelt werden. 49

7 8 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten sollen 56 , um eine Beeinträchtigung oder gar Blockade der Plenararbeit durch von vornherein aussichtslose Anträge politisch isolierter einzelner Mitglieder zu verhindern. Fehlt es an einer spezifischen gesetzlichen Eingriffsregelung oder an einer generellen gesetzlichen Ermächtigung zu Eingriffen durch oder aufgrund einer Geschäftsordnung, so bedeutet dies noch nicht zwingend, daß jeglicher Eingriff in das betreffende Organrecht unstatthaft sein müßte. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsprinzip, daß auch äußerlich schrankenlos gewährte Rechte einem rechtmäßigen Eingriff unterliegen können, wenn ihre Ausübung mit dem gleichrangigen Recht eines anderen oder einem bedeutsamen Gemeinwohlbelang kollidiert. In derartigen Kollisionslagen bedarf es der Herbeiführung eines möglichst schonenden Ausgleichs nach den Grundsätzen praktischer Konkordanz57, und in diesem Rahmen kann auch ein Eingriff in das betreffende Organrecht gestattet sein 58 . Auf dieser Basis können es beispielsweise besondere Gründe der Geheimhaltung rechtfertigen, Gemeinderatsmitglieder als Zuhörer von einzelnen Sitzungen von Ausschüssen, denen sie nicht angehören, auszuschließen59 und damit in ihr Recht, sich umfassend über die Gemeindeangelegenheiten unterrichten zu können60, einzugreifen. Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, daß die Herstellung praktischer Konkordanz in derartigen Fällen nicht notwendig durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen muß. Daß es bei Kollisionen von Grundrechten mit Verfassungsgütern einer gesetzlichen Regelung bedarf 61, folgt nicht aus dem Konkordanzprinzip - die konkordanzgeleitete Auflösung von Grundrechtskollisionen unterliegt schließlich auch nicht dem Vorbehalt des Gesetzes62 - , sondern ist schlicht Folge des für Grundrechtseingriffe nach der historischen Entwicklung grundsätzlich geltenden Vorbehalts des Gesetzes, wonach Grundrechtseingriffe eben gerade auch dann der gesetzlichen Ermächtigung bedürfen, wenn sie zum Schutze wichtiger Gemeinwohlbelange erfolgen sollen. Wenn demgegenüber die organisationsinternen Rechtsbeziehungen keinem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, dann entsteht ein solcher Vorbehalt auch nicht allein deshalb, weil es um den Ausgleich kollidierender Organrechte oder Gemeinwohlbelange geht. Entscheidend ist in diesem Verhältnis allein der Vorrang des Gesetzes. Eben dieser steht aber einem Eingriff in Organrechte nicht entgegen,

56

Vgl. BVerfGE 84, 304, 321. Zum Prinzip praktischer Konkordanz vgl. oben F.III.2.c.cc. 58 Vgl. BayVerfGH 29, 62, 89; NJW 1989, 1918. 59 Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 3, 223, 226. 60 Zu diesem Recht s. oben F.III.2.c.aa. 61 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 600 ff. 62 Eingehend hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 512 ff.; femer Looschelders/Roth, JZ 1995, 1042 Fn. 83; Roth,, Vertragsinhaltskontrolle, S. 245 Fn. 109. 57

II. Die Rechtfertigung von Organrechtseingriffen wenn dasselbe, obschon gesetzlich statuiert, aufgrund einer Kollision mit einem anderen, gleichfalls gesetzlich normierten Organrecht zurücktritt. In kompetentieller Hinsicht bedeutsam ist ferner das selbstverständliche und deshalb nicht näher zu erläuternde Erfordernis, daß auch ein materiellrechtlich zulässiger und gesetzlich zugelassener Organrechtseingriff nur von dem nach der Kompetenzordnung zuständigen Organ oder Organteil vorgenommen werden darf 63 . Ist also beispielsweise nach der anwendbaren Gemeindeordnung der Gemeinderat zuständig, die Befangenheit eines seiner Mitglieder festzustellen (vgl. § 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW) oder eines seiner Mitglieder wegen wiederholter Verstöße gegen die Ordnung für künftige Sitzungen auszuschließen (§ 36 Abs. 3 S. 2 GemO BW), so wäre es rechtswidrig, wenn diese Entscheidungen vom Bürgermeister getroffen würden. Organrechtseingriffe müssen schließlich mitunter bestimmte Förmlichkeiten einhalten, um als rechtmäßig angesehen werden zu können. So setzt z.B. ein Sitzungsausschluß wegen wiederholter Ordnungsverstöße (§ 36 Abs. 3 S. 1 GemO BW) einen vorhergehenden formlichen Ordnungsruf voraus. Für diesen ist zwar keine spezifische Form vorgeschrieben, jedoch muß eine als förmlicher Ordnungsruf zu qualifizierende Maßnahme wegen der drohenden Konsequenzen für den Betroffenen klar erkennbar sein 64 ; in der Regel setzt dies voraus, daß in dem betreffenden Ordnungsruf der Sitzungsausschluß für den Wiederholungsfall angedroht wird 65 .

63 Zur kompetentiellen Rechtfertigungsvoraussetzung der Einhaltung der allgemeinen Kompetenzordnung vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 595 f. 64 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53. 65 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 36 (Lfg. 1986) Rn. 16.

52 Roth

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 1. Unmittelbare und mittelbare Fehlerfolgen bei Rechts- und Realakten a) Die Unterscheidung unmittelbarer

und mittelbarer Fehlerfolgen

Greift ein Organ oder Organteil in subjektive Organrechte eines anderen Organs oder Organteils ein 1 , ohne hierzu nach den vorstehend skizzierten Maßstäben berechtigt zu sein2, so ist die eingreifende Maßnahme fehlerhaft, rechtswidrig. Der Begriff der Fehlerhaftigkeit wird hier in Einklang mit dem verbreiteten Sprachgebrauch synonym zu dem der Rechtswidrigkeit gebraucht 3. Der Vorschlag, den Begriff der Fehlerhaftigkeit für die Verletzung von Verfahrensvorschriften vorzubehalten und bei materiellrechtlichen Verstößen von Unrichtigkeit zu sprechen4, hätte zwar den Vorteil einer terminologischen Differenzierung für sich. Er ließe sich aber nicht konsequent durchführen, da das Gesetz selbst in § 44 Abs. 1 VwVfG für Verwaltungsakte den Begriff des Fehlers sowohl in bezug auf Verfahrens- als auch in bezug auf materiellrechtliche Verstöße gebraucht 5. Die Feststellung, eine bestimmte Maßnahme sei rechtswidrig oder fehlerhaft, beinhaltet als solches allein eine rechtliche Bewertung und umfaßt noch keine Aussage über die Konsequenzen, welche die Rechtsordnung möglicherweise an diese Bewertung knüpft. Nach den Folgen einer Verletzung subjektiver Organrechte kann unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten gefragt werden 6, nämlich zum einen, welche unmittelbaren Konsequenzen dieser Verstoß für den verletzenden Akt selbst hat, zum anderen, in mittelbarer Hinsicht, über welche Reaktionsmöglichkeiten das in seinen Rechten verletzte Organ oder Organteil verfügt. Unmittelbare Folgen sind diejenigen, die ohne weiteren Umsetzungsakt kraft Gesetzes eintre1

Zu den Organrechtseingriffen oben G.I. Zur Rechtfertigung von Organrechtseingriffen vorstehend G.II. 3 Vgl. BVerwGE 18, 168, 169; Hufen., Fehler, Rn. 499; Sachs, in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 11; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 49 Rn. 47. 4 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 62 I 1 für Gerichtsentscheidungen. 5 Vgl. hierzu Knack/Klappstein, VwVfG, §44 Rn. 4.1.4; Kopp, VwVfG, §44 Rn. 20; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 100. 6 Vgl. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 425 ff.; Hufen, Fehler, Rn. 493 ff. 2

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 787 ten und deren Wirkungen somit nur noch festgestellt, aber nicht im eigentlichen Sinne hergestellt werden können7, mittelbare Folgen dagegen jene, die erst noch das Ergreifen bestimmter rechtlicher Schritte und eine korrigierende behördliche oder gerichtliche Entscheidung erfordern 8. Daß etwa der in seinen Rechten Verletzte regelmäßig und mit Aussicht auf Erfolg gerichtliche Schritte ergreifen kann, ist zwar als solches eine unmittelbare Folge der Rechtsverletzung, nur erlangt sie eben erst durch einen weiteren Akt Bedeutung, nämlich durch den Ausspruch des Gerichts über das weitere Schicksal des angegriffenen Aktes. Dieser gerichtliche Ausspruch aber ist eine mittelbare Folge der Rechtsverletzung, und weil die bloße Anrufbarkeit des Gerichtes keine Bedeutung hat, sind die damit verbundenen Folgen allesamt als mittelbare einzustufen. Freilich sind beide Fehlerfolgenaspekte miteinander verknüpft. Denn zum einen hängt das endgültige Schicksal des Verletzungsaktes letztlich immer auch von den Reaktionsmöglichkeiten des Verletzten ab, so wie zum anderen umgekehrt dessen Möglichkeiten dadurch bedingt sind, was aus dem verletzenden Akt ipso iure geworden ist. Zur Illustration dieser Unterscheidung mag auf die Verhältnisse beim Verwaltungsakt vorgegriffen werden9: Führt ein Rechtsverstoß zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts, so ist dies eine unmittelbare Folge seiner Fehlerhaftigkeit, die ohne vermittelnden Akt kraft Gesetzes eintritt (vgl. § 44 VwVfG). Bewirkt eine Rechtsverletzung dagegen zur Durchsetzung des Aufhebungsanspruchs des Verletzten eine bloße Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts, so kann zwar der Verwaltungsakt im Endergebnis auch beseitigt werden; hierbei handelt es sich aber lediglich um eine mittelbare Folge, weil ihre Herbeiführung die vorherige Erhebung einer Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) und einen Aufhebungsausspruch des Gerichts (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO) voraussetzt, ohne welche der Verwaltungsakt eben trotz seiner Rechtswidrigkeit Bestandskraft erlangt (vgl. § 43 VwVfG).

Da nun ersichtlich die etwa denkbaren mittelbaren Folgen einer Rechtsverletzung dadurch zumindest mitgeprägt werden müssen, welches rechtliche Schicksal der Verletzungsakt bereits ipso iure genommen hat, sind sinnvollerweise zunächst die unmittelbaren Folgen von Rechtsverstößen zu betrachten, bevor dann im nächsten Abschnitt dieser Arbeit die sich als mittelbare Folge ergebenden materiellen und prozessualen Reaktionsmöglichkeiten des Verletzten betrachtet werden können (unten IV.).

b) Realakte und Rechtsakte Welche unmittelbaren Folgen sich überhaupt aus der Verletzung eines subjektiven Rechts für die verletzende Maßmahme ergeben können, hängt in erster 7 8 9

Hufen, Fehler, Rn. 494. Vgl. Hufen, Fehler, Rn. 495; Schnapp/Cordewener, Näher unten G.III.3.b.

JuS 1999, 40.

7 8 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Linie von ihrer Wesensnatur ab, nämlich ob es sich um einen Real- oder um einen Rechtsakt handelt10. Realakte sind Handlungen rein tatsächlicher Natur, die unmittelbar lediglich einen tatsächlichen Erfolg in der äußeren, sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit herbeiführen 11, während Rechtsakte (z.B. Rechtssätze, Verwaltungsakte, Verträge und sonstige Rechtsgeschäfte, rechtsgeschäftliche Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnliche Willens- oder Wissensäußerungen 12) auf einen Rechtserfolg im Sinne der Bewirkung einer unmittelbaren Veränderung innerhalb der Rechtsaktswirklichkeit 13 gerichtet sind 14 . Diese Unterscheidung darf nicht zu dem Mißverständnis verleiten, daß Realakte keinen rechtlichen Bezug oder daß Rechtsakte kein reales Element aufwiesen. Auf der seinen Seite bringen zwar Realakte nicht selbst Rechtswirkungen hervor, doch sie können sehr wohl rechtliche Folgen auslösen, sofern die Rechtsordnung an die Vornahme eines Realaktes respektive dessen äußere Folgen anknüpft und z.B. Beseitigungs- oder Schadensersatzansprüche entstehen läßt 15 . Auf der anderen Seite weisen Rechtsakte notwendigerweise immer auch ein tatsächliches Element auf 16 . Das ist dasjenige Verhalten (also die gegebenenfalls von einer bestimmten inneren Haltung getragene äußere Handlung 17 ) des den Rechtsakt vornehmenden Rechtssubjektes, welches die Rechtsordnung als konstitutiven Vorgang der Setzung des Rechtsaktes begreift, und das sie dadurch quasi überhöht, daß sie jenes Verhalten nicht als bloßen Realakt behandelt, an den gewisse rechtliche Folgen geknüpft werden, sondern indem sie ihm einen rechtlichen Sinn beimißt, nämlich eine unmittelbare Wirkmacht innerhalb der Ebene der Rechtsaktswirklichkeit, so daß ein Rechtsakt einen unmittelbaren Rechtserfolg zeitigt. So werden beispielsweise das Handheben bei der Beschlußfassung, das Unterzeichnen einer Vertragsurkunde, die Kundgabe eines Verwaltungsakts usw. nicht als bloße äußere Vorgänge betrachtet, an die die Rechtsordnung die Rechtsfolge des Beschlusses, Vertrages, Verwaltungsakts usw. knüpft, sondern vielmehr werden sie als das äußerliche Element einer Rechtsaktssetzung verstanden, welche uno actu das Entstehen des Rechtsaktes 10

Zur Handlungsformorientiertheit des Verwaltungsrechts, insbesondere auch im Hinblick auf die Fehlerfolgen, vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 44 Rn. 7. 11 Zum Begriff des Realaktes vgl. Achterberg, AllgVerwR, § 21 Rn. 292 ff.; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, §30 Rn. 1; Hufen, Fehler, Rn. 476 ff.; Maurer, AllgVerwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 7. VerwR, § 15 Rn. 1; Wolff/Bachof/Stober, 12 Verwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 7 f. Zu letzteren Wolff/Bachof/Stober, 13 Zur Rechtsaktswirklichkeit vgl. bereits oben D.III.2.b.aa. 14 Zum Begriff des Rechtsaktes vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht 1, § 36 Rn. 7 f. 15 Maurer, AllgVerwR, § 15 Rn. 3, 6; Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, § 45 II a; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 57 Rn. 1. 16 Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 2. 17 Zu diesen beiden Komponenten menschlichen Verhaltens Roth, Faktische Eingriffe, S. 91 f.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 789 unmittelbar zum Gegenstand hat. Ein Rechtsakt erschöpft sich also anders als ein Realakt nicht in einem tatsächlichen Moment, sondern er weist stets ein zweites, normatives Element auf, durch welches er unmittelbar in die Rechtsaktswirklichkeit ändernd eingreift. Bei normativer Betrachtung liegt der Schwerpunkt eines Rechtsaktes nicht in dem tatsächlichen Vorgang seines Erlasses, sondern in eben der rechtlichen Bedeutung, welche die Rechtsordnung diesem tatsächlichen Vorgang beimißt, indem sie nämlich das äußere Geschehen zum Anknüpfungspunkt eines parallel dazu in der rechtlichen Ebene stattfindenden Ereignisses macht, also z.B. dem Zustandekommen eines Beschlusses, dem Abschluß des Vertrages, dem Wirksamwerden des Verwaltungsakts, etc. Das äußere Moment eines Rechtsaktes behält aber große Bedeutung für seine Abgrenzung von einem Nichtrechtsakt. Werden nämlich gewisse unabdingbare Mindestanforderungen im äußeren Geschehensablauf mißachtet, so führt dies nicht lediglich zu einer Rechtswidrigkeit des Rechtsaktes, ja nicht einmal nur zu seiner Nichtigkeit, sondern vielmehr zur Verneinung des Vorliegens eines Rechtsaktes überhaupt, mit anderen Worten zu einem Nichtrechtsakt (z.B. Nicht- oder Scheinurteil 18, Nichtverwaltungsakt 19 ), der als rechtliches nullum ohne alle rechtlichen Wirkungen bleibt. Insofern freilich auch ein Nichtrechtsakt unter Umständen den Schein eines Rechtsaktes zu erzeugen vermag, kommen zur Beseitigung dieses Rechtsscheines Rechtsbehelfe in Betracht 20.

c) Keine unmittelbaren Fehlerfolgen

bei Realakten

Die skizzierte unterschiedliche Wesensnatur von Real- und Rechtsakten wirkt sich nicht zuletzt bei den jeweils möglichen Fehlerfolgen aus, d.h. in bezug auf die von der Rechtsordnung vorgesehenen Folgen eines Rechtsverstoßes für den Bestand des betreffenden Aktes. Ist ein subjektives Recht durch einen Realakt verletzt worden, so hat dies auf der Ebene des Verletzungsaktes selbst keinerlei Auswirkungen. Im Unterschied zu Rechtsakten stellt sich bei Realakten ihrem Wesen nach nie die Frage ihrer „Wirksamkeit" 21 . Ein Realakt kann nicht „un-

18

Vgl. hierzu BGH, NJW 1999, 1192; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 60 II; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §62 III 1; Thomas/Putzo, ZPO, vor §300 Rn. 11 ff.; Zöller/Vollkommen ZPO, vor § 300 Rn. 13. 19 Vgl. hierzu Kopp, VwVfG, § 43 Rn. 28; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 4; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 49 Rn. 18 ff. 20 Vgl. BGH, NJW 1996, 1969, 1970; 1999, 1192; Kopp, VwVfG, §43 Rn. 29; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 124 Rn. 20; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 62 III 2; Thomas/Putzo, ZPO, vor § 300 Rn. 14; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 300 Rn. 14. 21 Maurer, AllgVerwR, § 15 Rn. 6.

7 9 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten wirksam", „nichtig" oder „aufhebbar" sein, vielmehr ist und bleibt auch ein rechtswidriger Realakt in der Welt. Ein Realakt kann auch nicht wieder ungeschehen oder als solcher rückgängig gemacht werden, sondern als in der äußeren Wirklichkeit stattgefundenes Ereignis bleibt er einschließlich seiner tatsächlichen Wirkungen ein für allemal existent. Deshalb kann bei Realakten immer nur gefragt werden, ob möglicherweise die durch ihn geschaffenen Fakten mit Wirkung ex tunc oder wenigstens ex nunc zu reparieren sind und ein rechtmäßiger Zustand (wieder)herzustellen ist 22 . Diese Reparation im Sinne einer Beseitigung oder Milderung der unrechtmäßigen Wirkungen eines Realaktes leitet aber bereits über zu der Frage nach den als Folge einer Verletzung primärer Rechte erwachsenden sekundären und tertiären Hilfsrechten 23, deren Geltendmachung indessen nur eine mittelbare Fehlerfolge und nicht mit einer unmittelbaren Fehlerfolge zu verwechseln ist. Das Gesagte gilt auch für organrechtsverletzende Realakte: Wenn ein Organ oder Organteil die subjektiven Organrechte eines anderen durch einen Realakt verletzt - namentlich also einen nicht gerechtfertigten faktischen Organrechtseingriff vornimmt 24 - , dann stellt sich diesbezüglich allein die Frage nach den mittelbaren Fehlerfolgen; unmittelbare Folgen für Bestand und Wirksamkeit des nun einmal vorgenommenen Realaktes kann es nicht geben.

d) Unmittelbare Fehlerfolgen

bei Rechtsakten

Ganz anders verhält es sich bei Rechtsakten. Zwar weisen auch diese notwendig ein reales Moment auf, ohne dessen Verwirklichung der Rechtsakt nie hätte in Existenz treten können, und dieses tatsächliche Element kann natürlich ebensowenig ungeschehen gemacht werden wie ein bloßer Realakt. Die Tatsache der Vornahme einer Rechtshandlung wie etwa des Erlasses eines Rechtsaktes ist und bleibt unveränderlich in der Welt. Ein anderes gilt jedoch hinsichtlich seines in rechtlicher Sicht entscheidenden normativen Elementes. Insofern ist nämlich anders als in bezug auf das faktische Element und im Unterschied zu bloßen Realakten durchaus denkbar, den Rechtsakt ex nunc oder gar ex tunc ungeschehen zu machen, indem ihm nämlich die rechtliche Wirkung, welche ihm als Rechtsakt an sich zukäme, als Folge seiner Fehlerhaftigkeit von vornherein versagt bleibt oder später (unter Umständen rückwirkend 25 ) entzogen wird. 22

Vgl. Hufen, Fehler, Rn. 484; Maurer, AllgVerwR, § 15 Rn. 6. S. hierzu unten G.IV.l. 24 Zu den faktischen Organrechtseingriffen oben G.I.2.b. 25 Die auf die „rechtliche Existenz des aufgehobenen Verwaltungsakts" bezogene Behauptung von Schmidt-De Caluwe, VerwArch 1999, 56, es sei „schlicht denkunmöglich, einmal Existentes im nachhinein rückwirkend zu beseitigen", ist schlicht falsch: 23

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 791 Es kann nicht überraschen, daß die Rechtsordnung sehr verschiedenartige Möglichkeiten kennt, auf die Rechtswidrigkeit von Rechtsakten zu reagieren. Denn zum einem gibt es Rechtsakte sehr unterschiedlicher Natur, zum anderen können sie sich nach Ursache und Gewicht ihrer Fehlerhaftigkeit deutlich unterscheiden. Daher wäre es von vornherein wenig überzeugend, wollte die Rechtsordnung ungeachtet dieser Divergenzen eine einheitliche unmittelbare Rechtsfolge für alle rechtswidrigen Rechtsakte vorsehen. Demgegenüber erscheint ein die bestehenden Unterschiede berücksichtigendes System von Fehlerfolgen sachgerechter. Der Nachteil eines solchen differenzierenden Systems ist freilich, daß es keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen über die Fehlerfolgen zuläßt und deshalb in einem Bereich, in dem ausdrückliche gesetzliche Fehlerfolgenregelungen fehlen, zur Rechtsunsicherheit beiträgt. Eben so verhält es sich nun ganz überwiegend in bezug auf Innenrechtsakte wie z.B. Beschlüsse und Entscheidungen, mit denen ein Organ oder Organteil in subjektive Organrechte eingreift. Ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen über die Fehlerfolgen bei solchen Innenrechtsakten finden sich nur sehr vereinzelt und punktuell 26 , fehlen aber zum größten Teil. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn diesbezüglich nicht unbeträchtliche Meinungsverschiedenheiten zu verzeichnen sind, welches rechtliche Schicksal rechtswidrige Innenrechtsakte erleiden. Namentlich streitig ist, ob sie (vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Anordnung) notwendig als nichtig anzusehen27 oder ob sie grundsätzlich bloß rechtswidrig und aufhebbar sind 28 , und unter welchen Voraussetzungen diese Folgen eintreten. Angesichts

Natürlich kann das Faktum des Erlasses eines Verwaltungsakts nicht rückwirkend ungeschehen gemacht werden. Seine Wirksamkeit jedoch als ein rein normatives Element und damit seine rechtliche Existenz können sehr wohl selbst rückwirkend entfallen. Denn alle rechtliche Existenz ist Produkt der Rechtsordnung und diese kann darüber verfügen, ohne durch Gründe der Logik gehindert zu sein, rechtliche Existenz auch rückwirkend zu- oder abzuerkennen. 26 S. unten G.III.2.b. 27 So VGH Mannheim, ESVGH 23, 203, 205; V G Greifswald, LKV 1999, 110; Bauer/Krause, JuS 1996, 413 f.; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 165; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 162; Ewald, WissR 1970, 44; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 42 Rn. 10; Fehrmann, DÖV 1983, 314; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 19 Fn. 2; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 391, 432, 501; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 272; Papier, DÖV 1980, 299; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 233; Renck-Laufke, BayVBl. 1982, 76; Schoch, JuS 1987, 789; Suerbaum, JuS 1994, 329; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 142 f., 205 f.; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 678. 28 So Ehlers, NVwZ 1990, 108; Erichsen, in FS Menger, S. 231 f.; Graf, BayVBl. 1982, 333; Grupp, in FS Lüke, S. 216 f.; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 134 f., 259 ff.; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 113 ff.; A. Lange, BayVBl. 1976, 756; K. Lange, JuS 1994, 298; Lerche, in FS Knöpfle, S. 179 f. Fn. 31; Schnapp, VerwArch 1987, 433 ff.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 44 ff.; Stumpf, BayVBl. 2000, 107.

7 9 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten der heftigen Umstrittenheit der Frage sowie der Spärlichkeit diesbezüglicher Vorschriften bedarf es einer näheren Betrachtung der vorhandenen gesetzlichen Fehlerfolgenregelungen. Zwar finden sich solche für Innenrechtsakte nur vereinzelt (dazu nachfolgend 2.). Indessen sind die Fehlerfolgen bei Außenrechtsakten sehr viel umfänglicher geregelt (unten 3.), und insoweit diesen ausdrücklichen Regelungen ein gesetzliches Fehlerfolgensystem zu entnehmen ist, läßt sich hierüber auch die Behandlung rechtswidriger Innenrechtsakte in den nicht eigens geregelten Fällen erschließen (unten 4.).

2. Gesetzliche Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten Als Innenrechtsakte sind alle Rechtsakte von Organen und Organteilen anzusehen, die diese in ihrem Verhältnis zueinander innerhalb derselben juristischen Person des öffentlichen Rechts29 erlassen oder vornehmen 30, namentlich etwa Geschäftsordnungen kollegialisch besetzter Organe, Beschlüsse über Geschäftsordnungs-, Verfahrens- oder Sachanträge31, Entscheidungen (wie z.B. bezüglich der Verhandlungsleitung, Ausspruch eines Sitzungsverweises wegen Ordnungsverstoßes), Wahlen (wie z.B. der Mitglieder beschließender Gemeinderatsausschüsse, der Stellvertreter des Bürgermeisters, der Beigeordneten), hierarchische Weisungen 32. Alle derartige Innenrechtsakte können Eingriffe in subjektive Organrechte konstituieren, und zwar sowohl solche rechtlicher (deprivativer oder imperativer) als auch faktischer Art, und wenn sie nicht gerechtfertigt sind, stellt sich die Frage nach der insoweit anzunehmenden unmittelbaren Fehlerfolge. Im Unterschied zu den recht umfassenden Regelungen über die Fehlerfolgen bei den verschiedenen Außenrechtsakten sind die unmittelbaren Folgen der Fehlerhaftigkeit von Innenrechtsakten nur punktuell und nicht in einem umfassenden System gesetzlich geregelt. Gleichwohl verdienen die vorhandenen Regelungen hier besondere Beachtung, weil jede zu entwickelnde Lösung jedenfalls mit diesen gesetzlichen Vorgaben zu vereinbaren sein muß. Bevor in die Erörterung dieser Sonderregelungen einzutreten ist (unten b), ist vorab auf die Frage einzugehen, ob es sich bei diesen Innenrechtsakten möglicherweise jedenfalls in bestimmten Fällen um Verwaltungsakte handelt (nachfolgend a); denn bejahendenfalls würden ohne weiteres die für Verwaltungsakte vorgesehenen

29

Zum Begriff des Innenrechts bereits oben C.I. 1 .c. Zu Beispielen für derartige Maßnahmen vgl. Martensen, JuS 1995, 991 f., 1077 ff.; P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 118. 31 Zum Gemeinderatsbeschluß als „innerorganisatorischem Rechtsakt" Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 84 ff. 32 Zu hierarchischen Weisungen im Verhältnis von Organen zueinander oben C.III. 1. 30

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 793 Fehlerfolgen Anwendung finden 33 , wodurch sich die Problematik der Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten in weitem Umfang entschärfte.

a) Innenrechtsakte sind keine Verwaltungsakte Bei der Prüfung, ob Innenrechtsakte der genannten Art als Verwaltungsakte im Sinne des § 35 VwVfG zu qualifizieren sind, ist zunächst zu konstatieren, daß eine solche Annahme aufgrund der weiten Fassung des Behördenbegriffs in § 1 Abs. 4 VwVfG jedenfalls nicht an der Behördeneigenschaft der zur Vornahme solcher Innenrechtsakte befähigten Organe oder Organteile scheitern würde 34 . Dies ergibt sich auch aus einem Umkehrschluß aus § 9 VwVfG: Gehörte es schon zum Begriff der Behörde, daß ihre Tätigkeit „nach außen wirken" muß, dann hätte der Gesetzgeber die Außengerichtetheit der Behördentätigkeit nicht erst zur Legaldefmition des Verwaltungsverfahrens in § 9 VwVfG heranziehen dürfen, sondern schon als Definitionsmerkmai der Behörde in § 1 Abs. 4 VwVfG aufnehmen müssen. Auch am Bestehen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses mangelt es nicht 35 , sofern eben ein Organ einseitig eine für seine Teile und Mitglieder oder für ein anderes Organ verbindliche Regelung treffen kann 36 , was etwa bei Akten wie Abstimmungen und Wahlen, einem 33

Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 178 f. Vgl. bereits OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 227 (für den Kreistag); OVG Münster, DVBl. 1950, 403 (für den Gemeinderat); femer Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 165 f.; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 78 ff.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 166 f.; Herbert, DÖV 1994, 113 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 60; Kopp, VwVfG, § 1 Rn. 40; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 86; Martensen, JuS 1995, 1077; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 228; Schnapp, VerwArch 1987, 444 f.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 31 f.; Streinz, BayVBl. 1983, 747. - A.A. VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342; G. Arndt, DÖV 1963, 571; Bauer/Krause, JuS 1996, 413; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, §36 (Lfg. 1986) Rn. 19; Ewald, WissR 1970, 42; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 15; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 86; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 98, 156 f., 160; Papier, DÖV 1980, 295; Stahl, DVBl. 1972, 770 f.; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 672, 680. 35 So aber VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342; G. Arndt, DÖV 1963, 571; Bauer/ Krause, JuS 1996, 413; Bethge, Die Verwaltung 1975, 478; Bock, in Kunze/Bronner/ Katz, GemO BW, § 36 (Lfg. 1986) Rn. 19; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 80; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 155; Ewald, WissR 1970, 42; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 15; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 119 ff.; Redeker/v. Oertzen, VwGO, §43 Rn. 12; Schmidt-Aßmann, in SchmidtAßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 84; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 114; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 413; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 96 f., 165 ff. 36 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 110 f., 161; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 48; Grämlich, BayVBl. 1989, 11; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 60 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 92; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 86; Mar34

794 förmlichen

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Ordnungsruf oder einem Sitzungsausschluß, dem Entzug der Wort-

meldung, der Festsetzung von Redezeitbeschränkungen etc. der Fall ist 3 7 . Die Entscheidung über die Verwaltungsaktsnatur derartiger Innenrechtsakte hängt deshalb davon ab, ob sie auf unmittelbare Rechtswirkung „nach außen" gerichtet sind. Die herrschende Meinung verneint die Außengerichtetheit innerorganisatorischer Regelungen und damit das Vorliegen eines Verwaltungsakts 3 8 . Dies beruht auf der Überlegung, daß das Tatbestandsmerkmal „außen" sich auf das Außenverhältnis

des Trägers öffentlicher Gewalt beziehe, für welchen das

betreffende Organ auftritt, und damit das Gegenteil eben derjenigen Vorgänge bezeichnet sei, welche innerhalb

der Organisation bleiben.

tensen, JuS 1995, 1077; Obermayer, VwVfG, § 35 Rn. 228; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 228; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 30 f.; Streinz, BayVBl. 1983, 747; zu pauschal insoweit OVG Saarlouis, AS 10, 82, 83 f. 37 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 61 ff. weist mit Recht darauf hin, daß keineswegs jedem internen Handeln Regelungscharakter zukommt und es sich dann schon deshalb nicht um einen Verwaltungsakt handeln kann; dies gilt vielfach vor allem bei faktischen Organrechtseingriffen. Das darf aber andererseits nicht die normativen Organrechtseingriffe übersehen lassen, welche nun einmal auf Regelungsakte zurückgehen, welche von ihrem Regelungsmerkmal her eben sehr wohl als Verwaltungsakte in Betracht kämen. Deshalb ist Hoppes Vorwurf (ebd., S. 97), man dürfe, weil der Beeinträchtigungserfolg nicht den Regelungscharakter begründen könne, nicht von dem rec/ztebeeinträchtigenden Erfolg einer Maßnahme auf deren Rechts- und dann Verwaltungsaktscharakter schließen, zwar sachlich richtig, nur wird eben dieser Fehlschluß auch keineswegs vertreten. 38 BVerwGE 98, 334, 335 f.; OVG Lüneburg, NdsVBl. 1999, 297, 298; VGH Mannheim, VB1BW 1983, 342 f.; VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76; 29, 37, 38; BayVBl. 1988, 16; OVG Münster, JZ 1983, 25; DVB1. 1991, 495 f.; OVG Saarlouis, AS 10, 82, 84; Achterberg,, AllgVerwR, § 20 Rn. 67; Bauer/Krause, JuS 1996, 413; Bethge, Die Verwaltung 1975, 477 f.; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 155; Bull, AllgVerwR, Rn. 564; Ehlers, NVwZ 1990, 106; Erichsen, in FS Menger, S. 230; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 161; Ewald, WissR 1970, 42; Fink, WissR 1994, 141; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 15; Fuß, WissR 1972, 117; Grupp, in FS Lüke, S. 214 f.; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 83; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 61 ff.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 96 f.; Knack/Henneke, VwVfG, §35 Rn. 4.5.2; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 156 ff.; Krebs, Jura 1981, 579 f.; Lerche, in FS Knöpfle, S. 178 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 126 ff.; v. Mutius, Kommunalrecht, Rn. 840; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 123; Papier, DÖV 1980, 294 f.; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 61; Preusche, NVwZ 1987, 856; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 259; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 123; Sodan, in NK VwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 223; Stahl, DVB1. 1972, 770; P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 119; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 48 Rn. 5 f.; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 200 f.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 45 Rn. 84; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 672, 680.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 795 Dem wird nun von einer beachtlichen Mindermeinung ein Verständnis entgegengesetzt, wonach sich das Begriffspaar innen/außen nicht auf den Bereich der Organisation beziehe, sondern auf die Rechtssphäre des von der Regelung Betroffenen, aus dessen Sicht sich die Regelung als von außen kommend darstelle. Außenwirkung wird also mit subjektivrechtlicher Relevanz gleichgesetzt und einer Regelung dann beigemessen, wenn sie ein Rechtssubjekt als Träger eigener subjektiver Rechte betrifft 39 . Begründet wird dies unter Hinweis auf die historische Herausbildung des Tatbestandsmerkmals der Außengerichtetheit, das erst dann in den Verwaltungsaktsbegriff aufgenommen wurde, als auch die rechtlichen Beziehungen im Innenbereich des Staates mehr und mehr ins Bewußtsein traten und demzufolge das Kriterium der unmittelbaren Regelungswirkung alleine nicht mehr ausreichen konnte, um den staatlichen Innenbereich von Verwaltungsakten freizuhalten; diese Entwicklung wird also dahin verstanden, daß das Merkmal der Außengerichtetheit lediglich innerorganisatorische Maßnahmen wie hierarchische Weisungen und andere Akte ohne subjektivrechtliche Relevanz vom Verwaltungsaktsbegriff ausnehmen solle 40 . Da auch Organrechte richtigerweise als subjektive Rechte anzusehen sind 41 , wäre nach diesem Verständnis von einer Außenwirkung und damit einem Verwaltungsakt immer dann auszugehen, wenn die betreffende Regelung in derartige subjektive Organrechte eingreift 42. Nun trifft zwar der Ausgangspunkt dieser Überlegung zu. Die Legaldefinition des Verwaltungsakts in § 25 Abs. 1 S. 1 MRVO Nr. 165 kannte das Merkmal der notwendigen Außengerichtetheit nicht, und auch die unter den süddeutschen VGG von Rechtsprechung und Literatur gebrauchte Definition enthielt kein solches Merkmal 43 . Dieser Umstand hat dazu gefuhrt, daß in der Rechtsprechung 39

VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 409; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 108; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §21 Rn. 12; Kopp, VwVfG, §35 Rn. 51; Martensen, JuS 1995, 1077; Püttner, Organstreitverfahren, S. 136 f.; Renck-Laufke, BayVBl. 1982, 75; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 212, 228; Schnapp, VerwArch 1987, 445 Fn. M \ , Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 34 ff. 40 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 212; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 33 f. 41 Hierzu eingehend oben E.II. 42 VGH Kassel, NVwZ-RR 1996, 409; Barth, Subjektive Rechte, S. 44 f.; Grämlich, BayVBl. 1989, 10; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 12; Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 56; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 87; Martensen, JuS 1995, 1077 f.; Obermayer, VwVfG, § 35 Rn. 228; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 228; Seewald, Kommunalrecht, Rn. 242; Streinz, BayVBl. 1983, 747; im Ergebnis auch Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 169 ff.; grundsätzlich femer Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 36 ff. (mit dem Hinweis, daß freilich auch nach dieser Ansicht die Annahme eines Verwaltungsakts vielfach mangels Außengerichtetheit ausscheiden wird). 43 Vgl. Eyermann/Fröhler, VGG, § 22 Anm. A l l a ; Hufnagl, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 110.

796

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

verschiedentlich auch organisationsinterne Vorgänge als Verwaltungsakte angesehen und konsequenterweise der Anfechtungsklage unterworfen wurden. Hinzuweisen ist hier vor allem auf die Judikatur des VGH München, derzufolge Beschlüsse kollegialer Gemeindeorgane (z.B. des Gemeinderats) unabhängig von ihrem Vollzug und unabhängig davon, ob Beschluß und Vollzug zusammen als Verwaltungsakte anzusehen waren, selbst Verwaltungsakte sein und von den Mitgliedern jener Organe mit der Anfechtungsklage zu bekämpfen sein konnten, insoweit „damit implicite über Individualrechte der Mitglieder entschieden wurde" 44 . Danach konnte beispielsweise ein Beschluß des Gemeinderats, „gleichgültig welchen Inhalt er hat, von einem Mitglied des betreffenden Kollegiums im Anfechtungsklageverfahren z.B. mit der Begründung bekämpft werden, der Beschluß sei in seiner Abwesenheit ohne ordnungsgemäße Ladung gefaßt worden" 45 . In dieser Rechtsprechung findet sich sonach in der Tat ein Schluß von der subjektivrechtlichen Wirkung einer Maßnahme auf ihre Verwaltungsaktseigenschaft. Fraglich ist aber, ob ein solcher Schluß auch unter der Legaldefinition des § 35 VwVfG und unter den Bedingungen der VwGO trägt. Zur richtigen Einordnung und Bewertung der angeführten Rechtsprechung ist zu beachten, daß diese Verknüpfung des Verwaltungsaktsbegriffes mit der Rechtsbeeinträchtigung rein ergebnisorientiert zustande kam. Nach § 22 Abs. 1 VGG war nämlich der Verwaltungsrechtsweg ausschließlich für „Anfechtungssachen" sowie für „Parteistreitigkeiten des öffentlichen Rechts" eröffnet. Da nun als „Parteistreitigkeiten" gemäß § 85 Abs. 1 VGG ausschließlich Streitigkeiten „zwischen gleichgeordneten Rechtsträgern" in Betracht kamen46, welche Gleichordnung wiederum dahin definiert war, daß keiner dieser Rechtsträger dem anderen gegenüber eine verbindliche Entscheidung über den Streitgegenstand treffen konnte, ließen sich Klagen eines Gemeinderatsmitglieds gegen den Gemeinderat bzw. die Gemeinde nach Auffassung des VGH München nicht als Parteistreitigkeiten einordnen 47. Daraus resultierte ein Dilemma. Einerseits waren nach überkommenem Verständnis Beschlüsse wie insbesondere Wahlakte kollegialer Organe Willensbildungsakte, die erst noch eines Vollzuges bedurften, und eben keine Verwaltungsakte 48. Andererseits ging der VGH München davon aus, daß das Kommunalrecht den Mitgliedern kollegialer Organe gewisse 44

VGH München, BayVBl. 1959, 353, 354; 1960, 21. VGH München, BayVBl. 1959, 353, 354. 46 VGH München, VGH n.F. 13, 85, 90; krit. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 149. 47 VGH München, BayVBl. 1959, 353, 354; vgl. hierzu auch Eyermann/Fröhler, VGG, § 22 Anm. A I 2, § 85 Anm. 1. 48 Vgl. hierzu BVerwGE 5, 293, 298; VGH Bebenhausen, DÖV 1953, 282; VGH Kassel, ESVGH 1, 21 f.; OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 227; OVG Münster, OVGE 1, 86, 95 f.; VGH Stuttgart, ESVGH 4, 169, 171; das anerkennt auch VGH München, BayVBl. 1959,353. 45

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 797 Individualrechte verleihe, welche, wenn man die eben genannte Auffassung „bis zur letzten Konsequenz verfolgt, gerichtlich überhaupt nicht geschützt" gewesen wären 49. Nachdem derartige Streitigkeiten nicht als Parteistreitigkeiten begriffen wurden, war der Verwaltungsrechtsweg nur eröffnet, wenn sie irgendwie unter die Anfechtungssachen zu subsumieren waren, doch hierzu mußte das Vorliegen eines Verwaltungsakts konstruiert werden: ,JMan muß also dazu gelangen, den von einem kollegialen Organ gefaßten Beschluß selbst... als Verwaltungsakt... anzusprechen" 50. Freilich sah der VGH München seine Aufgabe nicht in einer umfassenden Rechtskontrolle bezüglich aller internen Vorgänge. Vielmehr ging es ihm darum, subjektive Rechte dort zu schützen, wo sie beeinträchtigt werden konnten, gleich ob es sich um eine externe oder eine interne Maßnahme handelte. Daraus erwuchs die Verknüpfung, einen internen Akt „als Verwaltungsakt insoweit anzusprechen, als damit implicite über Individualrechte ... entschieden wurde" 51 . Der Schluß von der Beeinträchtigung subjektiver Rechte durch eine verwaltungsinterne Maßnahme auf die Verwaltungsaktseigenschaft derselben war hiernach auch aus Sicht des VGH München eindeutig ergebnisorientiert und durch die restriktive Fassung der seinerzeitigen Generalklausel (§ 22 Abs. 1, § 85 Abs. 1 VGG) motiviert. Deren Interpretation ließ dem VGH München, um überhaupt organisationsinternen Rechtsschutz gewähren zu können, keine andere Wahl, als auch im Innenverhältnis immer dann einen Verwaltungsakt anzunehmen, wenn es um den Schutz subjektiver Rechte ging. In bezug auf diese Lösung des VGH München sind zwei Dinge bemerkenswert. Erstens ging der Gerichtshof selbst davon aus, daß dieses aus Rechtsschutzgründen unter dem VGG für unvermeidlich gehaltene extensive Verständnis des Verwaltungsakts nicht auch unter der MRVO Nr. 165 gelten müsse; vielmehr könne man „mit Rücksicht auf die Definition des Verwaltungsakts in § 25 MRVO Nr. 165 bezweifeln, ob im Bereich dieses Gesetzes eine von einem kollegialen Kommunalorgan vorgenommene Wahl ein Verwaltungsakt ist" 52 . Der entscheidende Grund für dieses unterschiedliche Verständnis lag freilich nicht wirklich in der gesetzlichen Definition des Verwaltungsakts. Diese war durchaus offen genug, in VGG und MRVO Nr. 165 ein gleichartiges Begriffsverständnis zuzulassen. Der wesentliche Unterschied lag vielmehr in der unterschiedlichen Fassung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel·. § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165 eröffnete nämlich den Verwaltungsrechtsweg für Anfechtungssachen sowie für „andere Streitigkeiten des öffentlichen Rechts", ohne wie § 22 Abs. 1 VGG diesbezüglich eine Einschränkung auf „Parteistreitigkeiten" zu machen. Infolgedessen gab es im Anwendungsbereich der MRVO 49 50 51 52

VGH VGH VGH VGH

München, München, München, München,

BayVBl. BayVBl. BayVBl. BayVBl.

1959, 353, 1959, 353, 1959, 353, 1959, 353,

354. 354 (Hervorhebung durch Verfasser). 354. 354.

7 9 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Nr. 165 keinen Grund, im Interesse eines effektiven Individualrechtsschutzes den Verwaltungsaktsbegriff jedenfalls dann auf interne Beschlüsse auszuweiten, wenn sie in Rechte der Organmitglieder eingriffen. Vielmehr war insofern einfach eine „andere Streitigkeit" im Sinne des § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165 anzunehmen und auf diese Weise der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet 53. Zweitens ist zu betonen, daß das Rechtsschutzdilemma, mit dem sich der VGH München konfrontiert sah, nur aus seinem restriktiven Verständnis der als Parteistreitigkeiten definierten anderen Streitigkeiten des öffentlichen Rechts in § 22 Abs. 1 VGG ergab. Zwar spricht einiges dafür, daß er mit seiner diesbezüglichen Auffassung Recht hatte. Das bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Im hiesigen Zusammenhang genügt nämlich die Feststellung, daß die Gerichte, die ein weites Verständnis der „anderen Streitigkeiten" im Sinne des § 22 Abs. 1 VGG vertraten 54, bezeichnenderweise keinen Anlaß sahen, die vom VGH München befürwortete Ausweitung des Verwaltungsaktsbegriffs nachzuvollziehen und etwa interne Beschlüsse als Verwaltungsakte zu erachten, diese also nicht der Anfechtungsklage unterwarfen, sondern Rechtsschutz beispielsweise bei Meinungsverschiedenheiten über die Gültigkeit von Wahlen in anderer Gestalt gaben55. Auch dies belegt den Zusammenhang zwischen der Interpretation des Verwaltungsaktsbegriffs und der Ausgestaltung des Rechtsschutzes insbesondere mittels der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel. Der VGH München hat diesen Zusammenhang denn auch später selbst klargestellt und konsequenterweise nach Inkrafitreten der VwGO seine vorherige Rechtsprechung über die Verwaltungsaktseigenschaft interner Entscheidungen ausdrücklich aufgegeben: „An dieser Auffassung, die dem Bedürfnis nach einer gerichtlichen Überprüfung dieser Beschlüsse Rechnung tragen wollte und die von dem das frühere Verwaltungsgerichtsgesetz beherrschenden Grundsatz geprägt war, daß vor die Verwaltungsgerichte, abgesehen von Normenkontrollsachen, nur Anfechtungssachen oder Streitigkeiten gleichgeordneter Rechtsträger (Parteistreitigkeiten) gebracht werden konnten, hält der Senat nicht mehr fest. ... Da die Verwaltungsgerichtsordnung den Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht auf Verwaltungsakte und die dafür vorgesehene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) beschränkt, sieht der Senat keinen Anlaß mehr, die vorliegende kommunalverfas-

53 Vgl. BVerwGE 3, 30, 33; 5, 293, 299, 303; OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 227 f.; OVG Münster, OVGE 1, 86, 96; DVB1. 1950, 403. 54 Vgl. VGH Stuttgart, ESVGH 4, 169, 171 f.; zustimmend Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 149. 55 Vgl. VGH Stuttgart, ESVGH 4, 169, 171 f., 179: Feststellung der Ungültigkeit der Wahl; vgl. auch VGH Kassel, ESVGH 1, 21, 22 f.: Wahl des Landrats durch den Kreistag ist kein Verwaltungsakt, Rechtsschutz ist gemäß den speziellen Wahlprüfungsverfahren zu gewähren.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 799 sungsrechtliche Entscheidung dem Begriff des Verwaltungsakts unterzuordnen. Sie ist nicht eine nach außen hin einen Einzelfall regelnde Verwaltungstätigkeit der Gemeinde, sondern eine im Gemeindeverfassungsrecht wurzelnde organisationsrechtliche Entscheidung, die nach ihrem Wesen und Zweck eine eigenständige hoheitliche Maßnahme darstellt. Als solche bedarf sie nicht der ihr wesensfremden Qualifizierung als Verwaltungsakt" 56. Die für die vorliegende Thematik entscheidende Frage lautet, ob der Gesetzgeber durch Normierung des Tatbestandsmerkmals „nach außen" in § 35 VwVfG das weitere oder das engere Begriffsverständnis des Verwaltungsakts übernehmen wollte. Bei dieser Beurteilung ist zunächst zu beachten, daß mit dem Inkrafttreten der VwGO der vom VGH München klar betonte entscheidende Grund für ein weites Verwaltungsaktsverständnis entfallen ist, weil Verwaltungsrechtsschutz nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO nunmehr wirklich umfassend zu gewähren ist, und nicht, wie nach § 22 Abs. 1 VGG auf „Anfechtungssachen" und „Parteistreitigkeiten" beschränkt ist. Insofern hat sich der VwGO-Gesetzgeber ersichtlich mehr an die Generalklausel des § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165 als an die des § 22 Abs. 1 VGG angelehnt. Das aber spricht dafür, daß er damit auch den unter § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165 vertretenen engeren Verwaltungsaktsbegriff sanktionieren wollte. Wie erwähnt, wurden unter der Geltung letzterer Vorschrift die nicht auf Außenwirkung zielenden internen Maßnahmen selbst dann nicht als Verwaltungsakte verstanden, wenn sie Individualrechte berührten, und Rechtsschutz gegen sie wurde nicht mittels der Anfechtungsklage, sondern insbesondere über die Feststellungsklage gewährt. Aufgrund des geschilderten und auch vom VGH München betonten sozusagen reziproken Verhältnisses von Rechtswegeröffnung und Verwaltungsaktsbegriff - eine Rechtswegeröffnung nur für „Anfechtungssachen" verlangte zur Sicherung umfassenden Rechtsschutzes einen weiten Verwaltungsaktsbegriff, während eine wirkliche Generalklausel unter Rechtsschutzaspekten den traditionell engeren Verwaltungsaktsbegriff ertrug - impliziert die Statuierung einer umfassenden Generalklausel in § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO in Parallele zu § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165, daß der VwGO-Gesetzgeber, wenn er etwa in § 42 VwGO den Verwaltungsaktsbegriff verwendet, zugleich auch den unter § 22 Abs. 1 MRVO Nr. 165 gebräuchlichen engeren Verwaltungsaktsbegriff übernehmen wollte. Und da nun der Gesetzgeber später in § 35 VwVfG eine Kodifikation des in Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Verwaltungsaktsbegriffs vornehmen wollte und keine inhaltliche Änderung intendierte 57, läßt sich hiernach schon entwicklungsgeschichtlich nicht belegen, daß er sich der früheren, alsbald nach Inkrafttreten der VwGO aber ausdrücklich aufgegebenen Begrifflichkeit des 56

VGH München, VGH n.F. 21, 74, 75 f.; 29, 37, 38. Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Entwurf des VwVfG, BT-Drucks. 7/910, S. 57 (zu § 31 des Entwurfs); Kopp, VwVfG, § 35 Rn. 1. 57

8 0 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten VGH München anschließen und die Folgerung von der subjektivrechtlichen Relevanz auf die Verwaltungsaktseigenschaft einer internen Maßnahme gutheißen wollte. Gegen einen derartigen Schluß sprechen nicht nur die Entwicklungsgeschichte, sondern auch der Wortlaut der Verwaltungsaktsdefinition mit der Wahl des Tatbestandsmerkmals „nach außen". Hätte der Gesetzgeber den Verwaltungsaktsbegriff wirklich nach der subjektivrechtlichen Relevanz der Regelung abgrenzen wollen, so hätte er hierzu schwerlich das Tatbestandsmerkmal „nach außen" gewählt 58 . Dieser Ausdruck drückt nämlich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der umfänglichen Diskussion um die Impermeabilitätstheorie 59, eine Abgrenzung zu innerorganisatorischen Vorgängen aus. Hätte der Gesetzgeber die Grenze wirklich allgemein entlang subjektiver Rechtspositionen ziehen wollen statt nach der geläufigen Unterscheidung der Rechtssphären von Bürger und Verwaltung, so war der Begriff „nach außen" denkbar ungeeignet. Vielmehr hätten ihm unschwer andere Formulierungen zur Verfügung gestanden, um diesen Willen auszudrücken. Insbesondere hätte es für den Gesetzgeber dann nahe gelegen, die Betroffenheit in subjektiven Rechten als solche zum Tatbestandsmerkmal zu machen, anstatt das in diesem Sinne unverständliche „nach außen" zu benutzen. Kein Argument für die Annahme der Verwaltungsaktseigenschaft innerorganisatorischer Regelungen läßt sich aus der Parallelität der Fehlerfolgen gewinnen 60 . Allerdings trifft es zu, daß die fortdauernde Verletzung von Organrechten sekundäre (Folgen)Beseitigungsansprüche hervorruft 61, wie sie in gleicher Weise im Falle der Verletzung subjektiver Rechte durch Verwaltungsakte anerkannt sind; desgleichen wird man davon ausgehen müssen, daß fehlerhafte Organakte ebenso wie Verwaltungsakte grundsätzlich nicht nichtig, sondern aus Gründen der Rechtssicherheit wirksam sind 62 . Die Vergleichbarkeit hinsichtlich gewisser Fehlerfolgen zweier Maßnahmen rechtfertigt indessen nicht den Schluß, sie müßten dieselbe Rechtsnatur aufweisen. Einer solchen Folgerung stünden zudem gravierende Unterschiede entgegen. Vor allem das Institut der Bestandskraft von Verwaltungsakten kann nicht auf die organisationsinternen Beziehungen von Organen und Organteilen übertragen werden; die interne Kompetenzverteilung zwischen den Organen ist gesetzlich vorgegeben und darf nicht durch

58

Gegen die Vermengung der Kategorien der Außenwirkung und der Rechtsbetroffenheit auch Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 168; Rupp, Grundfragen, S. 30. 59 Vgl.hierzuobenC.il. 60 So Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 87; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 228; ders., JZ 1996, 1009. 61 S. unten G.IV.2. 62 Eingehend unten G.III.4.C.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 801 im Innenverhältnis bestandskräftig werdende „Verwaltungsakte" unterlaufen werden 63. Schließlich findet sich das Kriterium der Außengerichtetheit nicht nur als Definiens des Verwaltungsakts, sondern vielmehr beschreibt § 9 VwVfG das gesamte Verwaltungsverfahren als „die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden", die insbesondere auf den Erlaß eines Verwaltungsakts und den Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Die Bejahung der Außengerichtetheit wirkt sich deshalb nicht lediglich auf die Rechtsschutzform unter der VwGO aus, sondern hat zahlreiche verwaltungsverfahrensrechtliche Implikationen. Ergäbe sich aus der Berührung subjektiver Organrechte wirklich die Außengerichtetheit des fraglichen Aktes, dann müßten Organe in ihrem Verhältnis zueinander nach dem VwVfG verfahren. Das wäre aber weder vom Gesetzgeber intendiert noch sachgerecht. Das Institut des Verwaltungsakts mit seinen verfahrensrechtlichen Besonderheiten ist auf die Bedürfhisse des Außenverhältnisses der Verwaltung zum Bürger zugeschnitten und nicht auf das Innenverhältnis zwischen Organen bzw. Organteilen übertragbar 64. Deren Beziehungen werden durch die einschlägigen Organisationsverfassungs- sowie etwaige Geschäftsordnungsbestimmungen geregelt, aus denen sich die zu beachtenden Formen und Verfahrensweisen ergeben 65. Daneben und zusätzlich die Vorschriften des VwVfG anzuwenden, bedarf es nicht nur nicht, sondern müßte die organisationsinterne Arbeit unnötig erschweren und verkomplizieren. Die Aufnahme des Tatbestandsmerkmals der Außengerichtetheit in § 35 VwVfG ist nach alledem nicht als Übernahme der früheren Rechtsprechung des VGH München zu verstehen, wonach aus der subjektivrechtlichen Relevanz einer internen Maßnahme deren Verwaltungsaktscharakter folgten sollte, sondern im Gegenteil handelt es sich hierbei um eine Ausgrenzung: Selbst wenn ein Eingriff in subjektive Rechte vorliegt, sollen innerorganisatorische Akte nicht als Verwaltungsakte angesehen und den fur Verwaltungsakte geltenden Verfahrens» und prozeßrechtlichen Vorschriften unterworfen werden. Das Merkmal „nach außen" ist hiernach als Abgrenzung des organisationsinternen Bereichs der Verwaltung von den außerhalb derselben stehenden Rechtssubjekten zu verstehen, so daß Innenrechtsakte nicht als Verwaltungsakte anzusehen sind.

63

Ρ Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 35 Rn. 119. Fuß, WissR 1972, 118; Hufen, Fehler, Rn. 488; Lerche, in FS Knöpfle, S. 180 f.; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 18; a.A. Grämlich, BayVBl. 1989, 11 Fn. 24. 65 Vgl. OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 45. 64

53 Roth

802

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten b) Gesetzliche Fehlerfolgen

bei gewissen Innenrechtsakten

Nachdem sich erwiesen hat, daß die Fehlerfolgenproblematik bei Innenrechtsakten nicht unter direktem Rückgriff auf die Regelungen über Verwaltungsakte zu lösen ist, sind nunmehr die Vorschriften zu betrachten, die eine explizite Aussage zu dieser Thematik enthalten.

aa) Fehlerfolgen bei der hierarchischen Weisung Die möglichen Fehlerfolgen bei hierarchischen Weisungen im Beamtenrecht gestalten sich, wie bereits dargestellt 66 und hier daher nur noch zu rekapitulieren, differenzierend: Hierarchische Weisungen innerhalb des Betriebsverhältnisses sind grundsätzlich auch dann verbindlich, wenn sie eine Rechtsverletzung zum Gegenstand haben. Nichtig ist eine hierarchische Weisung im Beamtenrecht nur, wenn sie auf die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit oder auf eine Verletzung der Menschenwürde gerichtet ist, im Soldatenverhältnis ist ein Befehl sogar nur dann nichtig, wenn er die Begehung einer strafbaren oder menschenwürdewidrigen Handlung zum Gegenstand hat. Durch die Erhebung einer Remonstration kann der angewiesene Untergebene die Verbindlichkeit einer rechtswidrigen Weisung zwar nicht beseitigen, aber ihre Ausführung für gewisse Zeit aufschieben, sofern er nicht angewiesen wurde, sofort zu handeln. Wird eine rechtswidrige, aber nicht nichtige Weisung nach Remonstration sowohl vom unmittelbaren als auch vom nächsthöheren Vorgesetzten bestätigt, so muß sie ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit ausgeführt werden.

bb) Nichtigkeit von Gemeinderatsbeschlüssen unter Beteiligung Ausgeschlossener Eine spezielle Fehlerfolgenregelung findet sich in den Gemeindeordnungen in bezug auf die Mitwirkung Ausgeschlossener an Beschlüssen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse. Gemäß § 18 Abs. 6 S. 1 GemO BW ist ein Beschluß „rechtswidrig", wenn bei der Beratung oder Beschlußfassung die gesetzlichen Befangenheitsvorschriften verletzt wurden oder ein Gemeinderatsmitglied ohne Vorliegen eines Befangenheitsgrundes ausgeschlossen67 worden war; dabei 66

S. oben C.III.6. Der freiwillige Verzicht eines sich irrtümlich für befangen haltenden Gemeinderatsmitglieds auf die Beteiligung an einer Abstimmung mag unter Umständen pflichtwidrig sein (vgl. § 17 Abs. 1 GemO BW), begründet aber keine Rechtswidrigkeit des Beschlusses i.S.d. § 18 Abs. 6 S. 1 GemO BW (vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1987, 1103, 1104; Thiele, NdsGemO, § 26 Anm. 10). Anders aber, wenn der „freiwillige Verzicht" auf die Beteiligung durch eine unrichtige Belehrung seitens des Bürgermeisters 67

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 803 kommt es, wenn nicht wie in einigen Bundesländern ein anderes bestimmt ist 68 , nicht darauf an, ob der betreffende Verstoß für das Abstimmungsergebnis kausal war 69 . Gemäß § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW gilt jedoch der Beschluß ein Jahr nach der Beschlußfassung „als von Anfang an gültig zustande gekommen", es sei denn, der Bürgermeister oder die Rechtsaufsichtsbehörde hat den Beschluß rechtzeitig wegen Gesetzwidrigkeit beanstandet70. Auch ohne eine solche Beanstandung tritt die Heilung nicht gegenüber demjenigen ein, der vor Ablauf der Jahresfrist einen förmlichen Rechtsbehelf eingelegt hat, wenn in diesem Verfahren die Rechtsverletzung festgestellt wird (§ 18 Abs. 6 S. 3 GemO BW). Da die rückwirkende Fiktion eines „gültigen" Zustandekommens nur dann einen Sinn hat, wenn der betreffende Beschluß sonst eben ungültig wäre, geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, daß ein unter Verstoß gegen die Befangenheitsvorschriften zustande gekommener Beschluß nichtig wäre. Obwohl also das Gesetz nicht ausdrücklich sagt, daß ein wegen Verstoßes gegen die Befangenheitsvorschriften rechtswidriger Gemeinderatsbeschluß „ungültig" oder „nichtig" sei, § 18 Abs. 6 S. 1 GemO BW vielmehr unspezifisch von „rechtswidrig" spricht und § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW sich auf die Statuierung der für sinnvoll erachteten Heilungsmöglichkeit beschränkt, wird die Fehlerfolge der Nichtigkeit doch nach dem Zusammenhang der Sätze 1 und 2 vorausgesetzt71. Zu beachten ist, daß nach § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW nur die Nichtigkeit des Beschlusses, nicht seine Rechtswidrigkeit geheilt wird 72 . Für die Auslegung, daß in derartigen Fällen eine Heilung lediglich der Nichtigkeit eintritt, nicht aber auch der Rechtswidrigkeit als solcher, spricht außer dem Wortlaut, daß sonst sonderbarerweise Gemeinderatsbeschlüsse, die wegen Verstoßes gegen die Befangenheitsvorschriften zunächst sogar nichtig sind, später rückwirkend

verursacht wurde, aufgrund derer die Befangenheit aus Sicht aller Beteiligter unzweifelhaft erschien und deshalb kein förmlicher Beschluß nach § 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW herbeigeführt wurde (s. hierzu oben G.I.2.b.bb). 68 Vgl. z.B. VGH München, VGH n.F. 29, 37, 42; OVG Münster, NVwZ-RR 1992, 374 (anders nach früherem Recht OVG Münster, OVGE 27, 60, 63); Nachweise bei Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 520. 69 Vgl. Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 18 (9. Lfg. 1995) Rn. 25; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 283; Groß, Kollegialprinzip, S. 313; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 61; Stahl, DVB1. 1972, 765 f.; Stober, Kommunalrecht, § 15 II 3 c cc; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 358; für § 20 VwVfG entsprechend Kopp, VwVfG, § 20 Rn. 52, § 91 Rn. 8; a.A. Bonk, in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 20 Rn. 27. 70 Zu vergleichbaren Heilungsmöglichkeiten in anderen Gemeindeordnungen vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 521. 71 Ebenso Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 61; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 358; a.A. Seewald, Kommunalrecht, Rn. 206. 72 Vgl. Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 99; a.A. Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 18 (9. Lfg. 1995) Rn. 28.

804

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

als rechtmäßig fingiert würden, während Gemeinderatsbeschlüsse, die an einem minder schweren und lediglich zur Rechtswidrigkeit fuhrenden Fehler leiden, mangels einer diesbezüglichen Heilungsvorschrift eben dauerhaft rechtswidrig bleiben. Einer solchen Besserstellung der an einem schwereren Fehler leidenden Beschlüsse fehlt jede Plausibilität. Aufgrund der gleichgelagerten Fehlerhaftigkeit überträgt der Gesetzgeber diese Fehlerfolgenregelung auf die Mitwirkung eines Gemeinderatsmitglieds, das nachträglich 73 die Wählbarkeit (§ 28 GemO BW) verloren hat oder bei dem ein Hinderungsgrund (§ 29 GemO BW) nachträglich entstanden ist oder ein anfänglicher Hinderungsgrund später festgestellt wird: Auf einen unter solcher Mitwirkung zustande gekommener Gemeinderatsbeschluß ist gemäß § 31 Abs. 1 S. 5 GemO BW die Heilungsvorschrift des § 18 Abs. 6 GemO BW entsprechend anzuwenden74, so daß sich auch hier im Umkehrschluß aus der Heilungsvorschrift des § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW ergibt, daß der betreffende Beschluß nicht nur rechtswidrig, sondern - mit der besagten Heilungsmöglichkeit - nichtig ist.

cc) Keine generelle Nichtigkeit rechtswidriger Gemeinderatsbeschlüsse Fraglich ist, ob die vom Gesetz als Folge einer Mitwirkung Unwählbarer, Verhinderter oder Ausgeschlossener an Gemeinderatsbeschlüssen vorgesehene Nichtigkeitsfolge - wiewohl verknüpft mit einer Heilungsmöglichkeit - auch in anderen Fällen von Fehlerhaftigkeit anzunehmen ist, ob also rechtswidrige Gemeinderatsbeschlüsse grundsätzlich nichtig 75 oder ob sie, von den genannten Fällen abgesehen, grundsätzlich wirksam und allenfalls aufhebbar sind. Als Argument für Nichtigkeit als generelle Fehlerfolge bei Gemeinderatsbeschlüssen 73

Wenn die Wählbarkeit schon im Zeitpunkt der Wahl fehlte, so richten sich die Folgen nach den Vorschriften über die Wahlanfechtung. Wird die anfängliche Unwählbarkeit eines Gemeinderatsmitglieds erst später festgestellt und seine Wahl für ungültig erklärt, so berührt dies nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 30 Abs. 3 S. 2 GemO BW die Rechtswirksamkeit seiner bisherigen Tätigkeit nicht, vgl. Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 30 (2. Lfg. 1984) Rn. 8. Es stellt einen dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit entsprechenden allgemeinen organisationsrechtlichen Grundsatz dar, daß die Wirksamkeit staatlicher Rechtsakte nicht dadurch berührt ist, daß die Bestellung des handelnden Organs insgesamt oder einzelner seiner Mitglieder angezweifelt wird, solange diese Bestellung nicht in den hierfür vorgesehenen Verfahren widerrufen oder für ungültig erklärt worden ist, vgl. BVerfGE 1, 14, 38; 3, 41, 44 f.; 34, 81, 95 f.; BVerwGE 108, 169, 176 ff.; OVG Koblenz, AS 5, 412, 415; VGH Mannheim, VB1BW 1998, 234, 236. 74 Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, §31 (10. Lfg. 1995) Rn. 6; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 176. 75 Bejahend VG Greifswald, LKV 1999, 110; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 501; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 272.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 805 läßt sich nicht die vorstehend dargestellte Regelung der § 18 Abs. 6, §31 Abs. 1 S. 5 GemO BW anfuhren. Denn Verstöße gegen Wählbarkeits-, Hinderungs- und Befangenheitsvorschriften stellen besonders schwere Fehler dar, weil durch die gesetzwidrige Mitwirkung Ausgeschlossener bzw. den unberechtigten Ausschluß unbefangener Gemeinderatsmitglieder die demokratische Legitimation des gefaßten Beschlusses in Frage gestellt wird 76 . Deshalb läßt sich dieser gesetzlichen Sonderregelung nicht entnehmen, welche Folgen weniger gravierende Rechtsverstöße haben. Diesbezüglich finden sich zwar keine schlüssigen Regelungen in den Gemeindeordnungen, wohl aber immerhin gewisse Anhaltspunkte dafür, daß Gemeinderatsbeschlüsse keinem Nichtigkeitsdogma unterliegen. Hinzuweisen ist zunächst auf das schon erwähnte 77 von den Gemeindeordnungen vorgesehene Beanstandungsrecht des Bürgermeisters. So muß der Bürgermeister nach § 43 Abs. 2 S. 1 GemO BW Beschlüssen des Gemeinderates widersprechen, „wenn er der Auffassung ist, daß sie gesetzwidrig sind". „Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung" (§ 43 Abs. 2 S. 3 GemO BW). Diese gesetzliche Anordnung einer aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs soll verhindern, daß ein Beschluß des Gemeinderates vollzogen und ausgeführt werden muß, ehe seine Rechtmäßigkeit geklärt ist, sei es durch Verhandlung zwischen dem Bürgermeister und dem Gemeinderat, in denen vor der erneuten Beschlußfassung (§ 43 Abs. 2 S. 4 GemO BW) bestehende Bedenken ausgeräumt werden, sei es durch die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde, wenn der Bürgermeister auch den neuen Beschluß für gesetzwidrig hält (§ 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW). Das Gesetz geht jedenfalls bezeichnenderweise nicht davon aus, daß der Bürgermeister, der die Beschlüsse des Gemeinderates zu vollziehen hat (§ 43 Abs. 1 GemO BW), einen für rechtswidrig erachteten Beschluß einfach übergehen und von seiner Vollziehung absehen dürfte, wie es im Falle seiner Nichtigkeit eigentlich zu erwarten wäre. Vielmehr liegt dieser Gesetzeskonzeption ersichtlich die Vorstellung zugrunde, daß, wenn der Bürgermeister versäumt, Beschlüsse des Gemeinderats umgehend auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und ihnen dann gegebenenfalls unverzüglich, spätestens binnen einer Woche zu widersprechen (§ 43 Abs. 2 S. 2 GemO BW), sie für ihn verbindlich sind und er ihre Vollziehung später nicht mehr unter Berufung darauf verweigern kann, sie seien rechtswidrig 78 . Das heißt aber, daß die Gemeindeordnungen davon ausgehen, daß auch

76

Vgl. hierzu oben F.III.2.c.ee (5). S. oben A.I.3.c.cc. 78 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 384; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 210. 77

8 0 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten gesetzwidrige Beschlüsse des Gemeinderats für den Bürgermeister rechtsverbindlich sind 79 . Allerdings ist einzuräumen, daß dieses Resultat nicht lediglich durch die Annahme einer grundsätzlichen Gültigkeit rechtswidriger Gemeinderatsbeschlüsse nebst der Möglichkeit ihrer Vernichtbarkeit zu erzielen ist. Dasselbe Ergebnis ließe sich dogmatisch auch ganz anders erklären. Erstens wäre denkbar, daß ein rechtswidriger Gemeinderatsbeschluß zwar ipso iure ungültig ist, diese Ungültigkeit aber (rückwirkend) geheilt wird, wenn nicht binnen Wochenfrist der Bürgermeister seinen Widerspruch einlegt. Selbst die Konstruktion, daß ein rechtswidriger Gemeinderatsbeschluß zwar unheilbar nichtig sei, jedoch nach Ablauf der Widerspruchsfrist die Befugnis des Bürgermeisters entfalle, hiervon Kenntnis zu nehmen, könnte das gesetzlich gewollte Ergebnis erklären. Andererseits formuliert § 43 Abs. 2 GemO BW bezeichnenderweise und in deutlichem Unterschied zu § 4 Abs. 4 und § 18 Abs. 6 GemO BW gerade nicht, ein rechtswidriger Gemeinderatsbeschluß sei „als gültig" anzusehen, wenn der Bürgermeister nicht binnen einer bestimmten Frist widerspricht, sondern spricht von der „aufschiebenden Wirkung" des Widerspruchs. Diese aufschiebende Wirkung bezieht sich aber nach dem textlichen Kontext eindeutig auf den Gemeinderatsbeschluß. Denn da im gesamten § 43 Abs. 2 GemO BW nirgends von einer Heilung die Rede ist, läßt sich nicht behaupten, daß der Widerspruch etwa nur den Eintritt der Heilung des nichtigen Gemeinderatsbeschlusses aufschieben solle. Der Begriff der aufschiebenden Wirkung wird nun aber immer nur in bezug auf an sich wirksame Rechtsakte verwandt, wenn lediglich der Eintritt ihrer Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit - ob die aufschiebende Wirkung vorliegend eine Wirksamkeits- oder lediglich eine Vollziehbarkeitshemmung bewirkt, kann hier dahinstehen - hinausgeschoben werden soll; in bezug auf nichtige Rechtsakte jedenfalls hat der Begriff der aufschiebenden Wirkung keinen rechten Sinn. Deshalb legt § 43 Abs. 2 S. 3 GemO BW den Schluß nahe, daß dem Gesetzgeber als regelmäßige Fehlerfolge bei rechtswidrigen Gemeinderatsbeschlüssen lediglich die Möglichkeit der Aufhebbarkeit, nicht aber generell ihre Nichtigkeit vorschwebt - unbeschadet natürlich des Umstandes, daß besonders schwere Mängel allerdings eine ipso iure-Nichtigkeit bewirken können 80 und der Widerspruch des Bürgermeisters solchenfalls nicht lediglich aufschiebende Wirkung hat, sondern analog § 4 Abs. 4 S. 2 Nr. 2, § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW den Eintritt einer Heilung des nichtigen Beschlusses ausschließt. Bestätigt wird diese Auslegung durch § 121 Abs. 1 S. 1 GemO BW. Danach kann die Rechtsaufsichtsbehörde „Beschlüsse ... der Gemeinde, die das Gesetz 79 Ebenso Ehlers, N V w Z 1990, 108; Erichsen, in FS Menger, S. 231; Fink, WissR 1994, 143; Grupp, in FS Lüke, S. 217; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 116; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 83 f., 97 f.; Lange, JuS 1994, 298. 80 Vgl. hierzu unten G.III.4.C.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 807 verletzen, beanstanden und verlangen, daß sie von der Gemeinde binnen einer angemessen Frist aufgehoben werden". Da unter die genannten „Beschlüsse" der Gemeinde vor allem Beschlüsse gemeindlicher Kollegialorgane zählen, insbesondere solche des Gemeinderats und der Gemeinderatsausschüsse81, deutet dies daraufhin, daß nach der Vorstellung des Gesetzgebers derartige Beschlüsse im Falle ihrer Rechtswidrigkeit nicht nichtig zu sein brauchen. Denn sonst hätte der Gesetzgeber wohl nicht vom Verlangen gesprochen, den beanstandeten Beschluß „aufzuheben" 82. Freilich ist dieses Verständnis nicht zwingend. Denn wie sich aus § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO fur nichtige Verwaltungsakte ergibt, ist die Aufhebung nichtiger Rechtsakte der Rechtsordnung keineswegs fremd und weder sachgesetzlich noch nach der gesetzlichen Konstruktion dogmatisch ausgeschlossen83. Deshalb ist allein der Umstand, daß das Gesetz von „aufheben" spricht, kein zwingender Beweis dafür, daß der betreffende Rechtsakt unbedingt wirksam sein müßte und nicht auch nichtig sein könnte. Andererseits ist bei der Würdigung des § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO und der darin vorgesehenen Aufhebung von Verwaltungsakten zu bedenken, daß deren regelmäßige Fehlerfolge eben nicht die Nichtigkeit, sondern bloß die Rechtswidrigkeit und Aufhebbarkeit ist 84 . Daß das Gesetz die Aufhebung nichtiger Verwaltungsakte vorsieht, läßt sich damit erklären, daß es deren Behandlung gesetzessystematisch dem Regelfall der Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte gleichstellen wollte. Denn da im konkreten Fall durchaus zweifelhaft sein kann, welche Fehlerfolge vorliegt, wäre es nämlich höchst mißlich, könnte das Gericht einen nichtigen Verwaltungsakt nicht aufheben; dies zwänge sinnloserweise dazu, allein zur Klärung des Urteilstenors (Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, bloße Nichtigkeitsfeststellung bei nichtigen Verwaltungsakten) in lange Erörterungen eintreten zu müssen, ob der Verwaltungsakt womöglich nichtig ist, statt ihn wie jeden rechtsverletzenden Verwaltungsakt aufheben zu können. Wo hingegen wie bei Rechtssätzen die regelmäßige Fehlerfolge Nichtigkeit ist 85 , spricht das Gesetz vorzugsweise von Nichtigerklärung (z.B. §§ 78, 95 81 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 812; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 441; Kunze/v. Rotberg, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 121 (7. Lfg. 1989) Rn. 3. 82 Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 133; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 80 f. 83 Vgl. Bosch/Schmidt, Praktische Einfuhrung, § 20 IV; Erichsen, in FS Menger, S. 231; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 15; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 113 (1. EL 1997) Rn. 23; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 3; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 183; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 408; a.A. Bader/v. Albedyll, VwGO, §43 Rn. 17; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 18; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 139; Sodan, in NKVwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 23. 84 S. unten G.III.3.b. 85 Zum Nichtigkeitsdogma bei Rechtssätzen nachfolgend G.III.3.a.

8 0 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Abs. 3 S. 1 BVerfGG, § 47 Abs. 5 S. 2, § 183 S. 1 VwGO) oder Nichtigkeitsfeststellung (z.B. § 183 S. 1 VwGO), nicht von Aufhebung. Die Formulierung des § 121 Abs. 1 S. 1 GemO BW ist deshalb ein Indiz für das gesetzgeberische Verständnis, daß rechtswidrige Gemeinderatsbeschlüsse jedenfalls nicht als Regelfolge nichtig sind 86 .

dd) Keine generelle Nichtigkeit unzulässiger Eilentscheidungen des Bürgermeisters Ein weiterer Anhaltspunkt dafür, daß Nichtigkeit keine generelle Fehlerfolge rechtswidriger Innenrechtsakte ist, ergibt sich schließlich aus der Behandlung von Eilentscheidungen, die der Bürgermeister in dringenden Angelegenheiten anstelle des Gemeinderats treffen kann (§ 43 Abs. 4 S. 1 GemO BW) 8 7 . Über getroffene Eilentscheidungen muß der Bürgermeister den Gemeinderat unterrichten (§ 43 Abs. 4 S. 2 GemO BW), und dieser kann dann gegebenenfalls dieselben genehmigen. Zwar unterliegen Eilentscheidungen des Bürgermeisters in den meisten Bundesländern keinem Genehmigungserfordernis seitens des Gemeinderats, doch auch wenn das Kommunalrecht dies nicht vorschreibt, so spricht doch nichts dagegen, daß der Gemeinderat eine solche nachträgliche Genehmigung ausspricht 88. Der Sinn einer nachträglichen Genehmigung einer Eilentscheidung besteht darin, daß der Gemeinderat, wenn Zweifel über das tatsächliche Vorliegen einer Dringlichkeitslage bestehen, er aber sachlich mit der Eilentscheidung einverstanden ist, auf diese Weise verhindern kann, daß sie womöglich von dem Betroffenen mit der Begründung angegriffen wird, der Bürgermeister sei für ihren Erlaß mangels Dringlichkeit gar nicht zuständig gewesen. Genehmigt der Gemeinderat die Eilentscheidung, so bestätigt er dieselbe auch und gerade für den Fall, daß die Dringlichkeitsvoraussetzungen nicht vorlagen; nach Erteilung der Genehmigung ist die Rechtslage so zu beurteilen, wie wenn der Gemeinderat die betreffende Entscheidung selbst getroffen hätte89. Das heißt, daß nach Erteilung der Genehmigung das Gericht nicht mehr nachzuprüfen hat, ob die Voraussetzungen der Eilentscheidung vorlagen, und sich der Bürger nicht auf einen zunächst womöglich vorgelegenen Kompetenzverstoß berufen kann 90 . Dieses 86 Vgl. Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 133 f.; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 81. 87 Vergleichbare Eilentscheidungsbefugnisse bestehen in allen Bundesländern, auch wenn ihre konkrete Ausgestaltung im Detail abweichen kann, vgl. hierzu Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 376 f. 88 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1998, 458, 460. 89 OVG Münster, OVGE 38, 133, 135; DVB1. 1989, 166. 90 OVG Münster, OVGE 38, 133, 134 f.; DVB1. 1989, 166.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 809 Verständnis ist sinnvoll, da es bei der Frage der Dringlichkeit um die Abgrenzung der Kompetenzen von Gemeinderat und Bürgermeister geht und ein Dritter kein berechtigtes Interesse besitzt, einen Kompetenzverstoß rügen zu können, wenn die kompetenzwidrige Maßnahme genehmigt worden ist. Selbst wenn der Bürgermeister die hohen gesetzlichen Voraussetzungen einer Dringlichkeitsentscheidung irrig bejaht hat, so ist in derartigen Fällen ja doch die Zeit regelmäßig durchaus knapp gewesen, und wenn man dem Gemeinderat die Genehmigungsbefugnis abspräche, so könnte der Gemeinde oder anderen Betroffenen ein unter Umständen gravierender Nachteil erwachsen, der vom Schutzzweck der die Eilentscheidung einschränkenden Voraussetzungen nicht gedeckt wäre. Aus dieser Rechtslage läßt sich ersehen, daß eine Eilentscheidung des Bürgermeisters, die ohne Vorliegen der Dringlichkeit und damit unter Verletzung der Kompetenzen des Gemeinderats ergeht, nicht nichtig sein kann. Denn eine Genehmigung nichtiger Rechtsakte, welche diese mit rückwirkender Kraft heilte, ist der Rechtsordnung sonst nicht bekannt. Da die Eilentscheidung des Bürgermeisters auch ohne Genehmigung des Gemeinderats ebenso zu vollziehen ist, wie es die Gemeinderatsentscheidung wäre, an deren Stelle sie getreten ist, läßt sich auch nicht annehmen, daß eine unzulässige Eilentscheidung schwebend unwirksam wäre. Daher ist eine Verfugung des Bürgermeisters, die dieser unter irriger Inanspruchnahme seiner Eilentscheidungsbefugnis getroffen hat, zwar rechtswidrig, aber wirksam 9\ wobei sie freilich vom Gemeinderat geändert oder aufgehoben werden kann, und außerdem, solange sie nicht vom Gemeinderat genehmigt worden ist, auch gerichtlichen Angriffen ausgesetzt ist, gegebenenfalls auch inzident im Rahmen der Anfechtung von Außenrechtsakten, die diese Eilentscheidung umsetzen92.

3. Gesetzliche Fehlerfolgen bei Außenrechtsakten Die vorstehend erörterten ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen betreffend die Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten deuten zwar darauf hin, daß Innenrechtsakte keinem Nichtigkeitsdogma unterliegen, sind aber doch noch zu speziell und vereinzelt, um bereits eine Verallgemeinerung und eine hinreichend verläßliche Aussage über die in anderen Fällen anzunehmenden Fehlerfolgen zu erlauben93. Ein einigermaßen geschlossenes Fehlerfolgensystem läßt sich vor die-

91

Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1998, 458, 460 f. (fur eine im Wege der Eilentscheidung durch den Bürgermeister ausgesprochene Versagung des Einvernehmens im Baugenehmigungsverfahren); VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52. 92 Vgl. OVG Münster, DVBl. 1989, 166 f. 93 Vgl. Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 45.

8 1 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten sem Hintergrund auch für Innenrechtsakte nur durch Betrachtung der vom Gesetz bei Außenrechtsakten vorgesehenen unmittelbaren Fehlerfolgen herausarbeiten, im hier interessierenden Bereich des Verwaltungsrechts vor allem Rechtssätze, Verwaltungsakte einschließlich Planfeststellungsbeschlüsse, Gerichtsentscheidungen und öffentlich-rechtliche Verträge. Die für diese Außenrechtsakte vorgesehenen Fehlerfolgen sind nämlich aufgrund ihrer großen praktischen Bedeutung verhältnismäßig detailliert und vor allem nicht nur für spezifische Problemfälle, sondern in allgemeiner Weise für den jeweiligen Rechtsaktstypus geregelt worden. Obschon die Innenrechtsakte nicht direkt den für Außenrechtsakte geltenden Bestimmungen zu unterwerfen sind, sie insbesondere nicht den für Verwaltungsakte geltenden Vorschriften unterliegen 94, so müssen sich doch jedenfalls die für Innenrechtsakte angemessenen Fehlerfolgen kohärent in dieses System einfügen. Deshalb verspricht die Analyse der gesetzlichen Fehlerfolgen für Außenrechtsakte, einen Zugang zur Herausarbeitung eines dann auch für Innenrechtsakte fruchtbar zu machenden Systems zu eröffnen.

a) Gesetzliche Fehlerfolgen

bei Rechtssätzen

Für Rechtssätze gilt nach deutscher Rechtstradition 95 als Grundsatz, daß ihre Rechtswidrigkeit (also der Verstoß gegen höherrangige Rechtssätze) ihre Nichtigkeit impliziert (sogenanntes „Nichtigkeitsdogma") 96 , bei teilweiser Rechts94

S. oben G.III.2.a. Seit jeher haben die Gerichte für sich die Befugnis in Anspruch genommen, (polizei)behördliche Rechtsverordnungen sowie autonome Satzungen auf ihre formelle und materielle Vereinbarkeit mit formellen Gesetzen zu überprüfen und im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit als ungültig außer Anwendung zu lassen, jedenfalls sofern ihnen diese Prüfung nicht durch Gesetz ausdrücklich verboten war (vgl. RGZ 24, 1, 3; 45, 267, 270 f.; RGSt 56, 177, 181; Anschütz, Reichsverfassung, Art. 70 Anm. 5, Art. 102 Anm. 5 f.). - Lange umstritten war demgegenüber die Befugnis der Gerichte, formelle Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls inzident zu verwerfen (zu dieser Streitfrage vgl. ablehnend RGZ 9, 232, 235 f.; 77, 229, 231; Anschütz, Reichsverfassung, Art. 70 Anm. 3 ff., Art. 102 Anm. 3 f.; vorbehaltlich gesetzlichen Ausschlusses dieser Prüfungsbefugnis bejahend RGZ 45, 267, 270 f.). Unter der WRV schließlich setzte sich die Prüfungs- und Inzidentverwerfungsbefugnis bezüglich formeller Gesetze in der Rechtsprechung allgemein durch, vgl. RStGH, RGZ 122, 17*, 32* f. (Anhang Nr. 2); RFHE 5, 333, 334; RFH, DJZ 1927, Sp. 232, 233; RGZ 102, 161, 164; 104, 58, 59; 107, 377, 379; 111, 320, 322 f.; OLG Hamburg, JW 1927, 1288; vgl. femer PrOVG, PrVBl. 46 (1924/25), 559 f.; v. Hippel, HdbDStR II, S. 552 ff. 96 Vgl. Battis , in Batti s/Krautzberger/Löhr, BauGB, vor §214 Rn. 1; Eyermann/ J. Schmidt, VwGO, § 47 Rn. 90; Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 138; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 47 (1. EL 1997) Rn. 6; Hufen, Fehler, Rn. 474; J. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit, S. 161 ff; Maurer, AllgVerwR, § 4 Rn. 37; Ossenbühl, NJW 1986, 2806 f.; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 344 f.; Stern, in BK GG, Art. 100 (Zweitb. 1967) Rn. 141; ders., Staatsrecht 95

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 811 Widrigkeit und Teilbarkeit eines Rechtssatzes gegebenenfalls seine Teilnichtigkeit 97 . Nichtigkeit eines Rechtsaktes ist die stärkste denkbare Form eines Rechtsmangels, indem sie nämlich zu seiner gänzlichen Unwirksamkeit und Unbeachtlichkeit erga omnes fuhrt. Das heißt natürlich nicht etwa, daß so getan würde, als hätte der äußere Akt des Erlasses jenes Rechtsaktes nicht stattgefunden 98 - im Gegenteil können sich an denselben nämlich gewisse Rechtsfolgen knüpfen. Vielmehr wird diesem Rechtssatz lediglich jede Anerkennung und Wirksamkeit versagt. Die Nichtigkeit eines Rechtssatzes als rechtliche Nichtexistenz hat die Bedeutung, daß sich grundsätzlich jedermann ohne weitere Voraussetzung auf die Nichtigkeit des Rechtssatzes berufen kann, d.h. den Rechtssatz als rechtlich inexistent behandeln und ignorieren darf. Prinzipiell unerheblich ist, ob die Rechtswidrigkeit des betroffenen Rechtssatzes auf einem formellen oder einem inhaltlichen Verstoß gegen höherrangiges Recht beruht, ob also ein materiellrechtlicher Rechtsverstoß vorliegt oder ob Vorschriften über die Rechtssetzung verletzt wurden 99 . Inwieweit Verfahrensverstöße kausal sein müssen, um zur Nichtigkeit des betroffenen Rechtssatzes zu fuhren, d.h. inwieweit es wenigstens als möglich erscheinen muß, daß der Rechtssatz bei Beachtung der verletzten Verfahrensvorschrift nicht oder nicht mit demselben Inhalt erlassen worden wäre, ist nicht einheitlich zu beantworten. Beispielsweise sehen manche Gemeindeordnungen bei kommunalen Satzungsbeschlüssen für einige als besonders gravierend empfundene Verfahrensfehler (z.B. Verletzung der Befangenheitsvorschriften) von einem Kausalitätserfordernis ab und statuieren ohne besonderen Kausalitätsnachweis die Nichtigkeit des so zustande gekommenen Rechtssatzes100. In allen übrigen Fällen ist hingegen die Fehlerfolge der Nichtigkeit nur anzunehmen, wenn nicht auszuschließen ist, daß sich der Verfahrensfehler auf den Erlaß des Rechtssatzes oder seinen Inhalt

II, § 44 V 3 g γ, S. 1039 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 28 I b; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1, § 28 Rn. 16; a.A. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 280 f. 97 Vgl. hierzu BVerwG, NVwZ 1990, 159, 160; ZfBR 2000, 266 f.; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht 1, § 28 Rn. 18. 98 Zu dieser Unterscheidung oben G.III. 1 .b. 99 Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 110; Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, S. 28 ff.; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 47 Rn. 21. - A.A. BVerfGE 31, 47, 53: „Normen sind nur nichtig, wenn ein grober Mangel im Gesetzgebungsverfahren vorliegt, wenn sie inhaltlich mit übergeordnetem Recht unvereinbar sind oder wenn eine inkompetente Stelle sie erlassen hat"; desgleichen BVerfGE 34, 9, 25, wonach ein Mangel im Gesetzgebungsverfahren sogar „evident" sein muß, um zur Nichtigkeit des Gesetzes zu fuhren. 100 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 297; vgl. auch oben G.III.2.b.bb.

8 1 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten ausgewirkt haben kann 101 , wobei freilich keine hohen Anforderungen an diesen Nachweis zu stellen sind. Der Verstoß gegen Geschäftsordnungsbestimmungen genügt grundsätzlich nicht zur Begründung des Verdikts der Rechtswidrigkeit einer Satzung, sofern es sich bei der verletzten Geschäftsordnungsbestimmung nicht um eine Rechtsvorschrift handelt 102 , deren Verletzung einen Satzungsbeschluß allein rechtswidrig und nichtig machen könnte 103 . Eine andere Sichtweise wäre schon deshalb nicht überzeugend, weil Geschäftsordnungen zu ihrer Wirksamkeit nicht der an die Allgemeinheit gerichteten Verkündung bedürfen 104, und es nicht angehen kann, daß Satzungen und Rechtsverordnungen allein infolge eines Verstoßes gegen derartige im Innenbereich verbleibende Regelungen rechtswidrig und nichtig werden; die Gültigkeit von Rechtssätzen von der Einhaltung von nicht publizierten Regeln abhängig zu machen, hätte eine ganz unerträgliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Anders verhält es sich freilich, insoweit die Geschäftsordnung zwingende Gesetzesvorschriften wiederholt, weil dann eben im Geschäftsordnungsverstoß notwendig zugleich eine Gesetzesverletzung liegt 105 , ferner wenn die Geschäftsordnung kraft Gesetzes bestehende subjektive Organrechte näher ausgestaltet und ihre Ausübung geregelt hat und daher die Mißachtung der Geschäftsordnung zugleich als Verstoß gegen gesetzliche Organrechte anzusehen ist 106 . Letzteres wird im allgemeinen aber nicht schon der Fall sein, wenn gegen irgendwelche organrechtsausgestaltende oder -konkretisierende Detailregelungen der Geschäftsordnung verstoßen wird, sondern erst, wenn das dahinterstehende Organrecht als solches beeinträchtigt ist 107 . Mithin ist ein Gemeinderatsbeschluß nicht schon deshalb rechtswidrig, weil bei der Ladung bestimmte in der Geschäftsordnung enthaltene Bedingungen nicht eingehalten wurden, sondern erst dann, wenn die gesetzlichen Vorschriften über die Einberufung (§ 34 Abs. 1 S. 1 GemO BW) verletzt wurden 108 .

101 Vgl. VGH München, BayVBl. 2000, 531, 532; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 297; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 110; fur die formelle Gesetzgebung BVerfGE 44, 308,313. 102 Vgl. hierzu oben C.III.4.e. 103 Vgl. BVerwG, DVBl. 1988, 790; OVG Münster, DÖV 1997, 344; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 110; Schneider, NWVB1. 1996, 91 ff; fur Verstöße gegen parlamentarische Geschäftsordnungen ebenso BVerfGE 29, 221, 234; HessStGH, ESVGH 17, 18, 21; Ossenbühl, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 63 Rn. 3; a.A. OVG Frankfurt/O., LKV 1995, 42, 44. 104 BVerwG, NVwZ 1988, 1119, 1120. 105 OVG Münster, DÖV 1997, 344, 345; Kopp/Schenke, VwGO, §47 Rn. 110; Schneider, NWVB1. 1996, 93. 106 Vgl. Schneider, NWVB1. 1996, 93. 107 Schneider, NWVB1. 1996,93. 108 Schneider, NWVB1. 1996,93.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte

813

Das Nichtigkeitsdogma ist nicht von Verfassungs wegen geboten und der Gesetzgeber daher nicht gehindert, die Fehlerfolgen bei rechtswidrigen Rechtssätzen zu modifizieren 1 0 9 . Da der Gesetzgeber von dieser Möglichkeit insbesondere i m Interesse des Vertrauensschutzes (keine Berufung auf die Nichtigkeit nach Verstreichen einer gewissen Frist) sowie der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung (Überforderung insbesondere kleiner Gemeinden bei Satzungen 1 1 0 ) verschiedentlich Gebrauch gemacht hat, erfährt das Nichtigkeitsdogma zahlreiche nicht unbedeutende Einschränkungen, so daß die einfache

Gleichung

„Rechtswidrigkeit eines Rechtssatzes ist gleich Nichtigkeit" nicht allgemein aufrechtzuerhalten ist. Eine wichtige Einschränkung erfährt das Nichtigkeitsdogma erstens durch sog Unbeachtlichkeitsklauseln, nach denen bestimmte Rechtsverstöße für die Rechtswirksamkeit eines Rechtssatzes überhaupt oder unter bestimmten Bedingungen (z.B. keine fristgerechte Geltendmachung des Rechtsverstoßes) unbeachtlich sind oder werden (vgl. z.B. §§214, 215 BauGB 111 ). Derartige Unbeachtlichkeitsklauseln lassen zwar den Rechtsverstoß bestehen, entkoppeln jedoch die Wirksamkeit des Rechtssatzes von seiner Rechtmäßigkeit und fuhren so zum Fortbestand rechtswidriger Rechtssätze112. Eine vergleichbare Wirkung besitzen Heilungsvorschriften, nach denen die Nichtigkeit eines Rechtssatzes nach rügelosem Verstreichen einer bestimmten Frist rückwirkend geheilt und damit die Gültigkeit des Rechtssatzes trotz des Rechtsverstoßes erreicht wird (vgl. z.B. § 4 Abs. 4 GemO BW betreffend die Heilbarkeit von Verstößen gegen bestimmte kommunalrechtliche Verfahrens- oder Formvorschriften 113).

109

Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1159 ff.; Bielenberg, in Emst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, vor § 214 (42. Lfg. 1990) Rn. 44; Dürr, in Brügelmann, BauGB, §214 (26. Lfg. 1994) Rn. 16; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor §47 (1. EL 1997) Rn. 6; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 70; Ossenbühl, NJW 1986, 2807; Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, S. 27 f.; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20 Rn. 16; Ulsamer, in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 80 (8. Lfg. 1985) Rn. 19; a.A. J. Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit, S. 166 f.; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 344. 110 Die gesetzliche Einschränkung der Fehlerfolge bei Bebauungsplänen etc. soll die Gemeinden und Bürger vor den Folgen der Nichtigkeit angesichts hoher oder gar überzogener Anforderungen an die Planung schützen, vgl. Battis , in Battis/Krautzberger/ Lohr, BauGB, vor § 214 Rn. 1; Bielenberg, in Emst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, vor §214 (46. Lfg. 1992) Rn. 1 f.; Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 214 (26. Lfg. 1994) Rn. 1 f. - Zu der Problematik materiellrechtlicher Hypertrophie bereits oben F.I.4.c.bb. 111 Zu den Unbeachtlichkeitsklauseln des BauGB vgl. Battis , in Battis/Krautzberger/ Lohr, BauGB, vor § 214 Rn. 2; Maurer, DÖV 1993, 193. 112 Vgl. Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 214 (26. Lfg. 1994) Rn. 14; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 433; Lemmel, in Berliner Komm BauGB, § 214 Rn. 7; Maurer, DÖV 1993, 193; a.A. Ossenbühl, NJW 1986, 2810: Unbeachtlichkeit als lediglich verfahrensrechtliches „Diskussionsverbot". 113 Vgl. hierzu Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 152 f.; ders., Deutsches Kommunalrecht, Rn. 297 f.; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 99; Steger, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 4 (Lfg. 1984) Rn. 40 ff.

8 1 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Die bloße Heilung der Nichtigkeit ist von der Heilung des Rechtsverstoßes zu unterscheiden, wie sie beispielsweise bei der rückwirkenden 114 erneuten Inkraftsetzung des Bebauungsplans gemäß § 215a Abs. 2 BauGB vorgesehen ist 115 . Eine derartige, nur im Satzungsgebungsverfahren und nicht durch einfachen Ratsbeschluß zu bewirkende 116 Heilung des Rechtsverstoßes schließt nicht lediglich die Nichtigkeitsfolge aus, sondern beseitigt den Rechtsmangel als solchen117, sei es ex nunc oder ex tunc, und infolge der nunmehrigen Rechtmäßigkeit entfallen ohne weiteres (gegebenenfalls rückwirkend) die Nichtigkeit des Rechtssatzes ebenso wie alle weiteren sich aus der Rechtswidrigkeit etwa ergebenden Fehlerfolgen. Denkbar ist weiter, daß das Gesetz eine bloß schwebende Unwirksamkeit eines rechtswidrigen Rechtssatzes vorsieht, wenn der Rechtsverstoß noch durch die fehlerfreie Wiederholung oder Nachholung erforderlicher Verfahrensschritte bzw. durch die Korrektur materiellrechtlicher Fehler mit Wirkung ex nunc oder ex tunc geheilt werden kann. So sieht § 215a Abs. 1 BauGB in bestimmten Fällen die schwebende Unwirksamkeit bauplanungsrechtlicher Satzungen vor, deren Mängel durch ein ergänzendes Verfahren zu beheben sind 118 . Diese Regelung fuhrt nach § 47 Abs. 5 S. 4 VwGO im oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren dazu, daß das OVG lediglich die Rechtswidrigkeit der betreffenden Satzung feststellen kann und im übrigen die Satzung „bis zur Behebung der Mängel fur nicht wirksam" zu erklären hat 119 . Eine wieder andere Fehlerkonzeption ergibt sich nach europäischem Gemeinschaftsrecht im Falle eines Verstoßes einer nationalen Rechtsvorschrift gegen EG-Recht. Ein solcher Verstoß führt nicht zur (Teil)Nichtigkeit, sondern aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts lediglich zur Unanwendbarkeit des gemeinschaftsrechtswidrigen Rechtssatzes120. Dies bedeutet, daß der Rechtssatz, soweit Gemeinschaftsrecht nicht entgegensteht, eben weiter anwendbar bleibt. Bedeutung hat letzteres vor allem bei reinen Inlandsfällen sowie bei Fällen, die einen Bezug allein zu Nichtmitgliedstaaten aufweisen 121, da das Gemeinschaftsrecht insofern in aller Regel keine Anwendung findet. Praktisch kann es dadurch zu einer (nicht gemeinschaftsrechtswidrigen) Inländerdiskriminierung kommen, wenn nämlich ein belastender Rechtssatz zwar nicht auf EG-Ausländer angewendet werden darf, wohl aber für Inländer weiter Geltung beansprucht. Außerdem ermöglicht das Konzept einer die Rechtswirksamkeit unberührt lassenden bloßen Unanwendbarkeit eines Rechtssatzes dessen unmittelbares Wiederauf-

114

Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer rückwirkenden Heilung (verfahrens-)fehlerhaft zustande gekommener Rechtssätze vgl. BVerwGE 66, 116, 121 f.; 75, 262, 267 ff.; BVerwG, ZfBR 1998, 96, 97 f. 115 Vgl. BVerwG, ZfBR 1998, 96, 97 f.; OVG Lüneburg, NuR 1999, 288, 289: rückwirkende Inkraftsetzung mehr als 30 Jahre nach der fehlerhaften ersten Bekanntmachung des Bebauungsplans. 116 Vgl. OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 33, 34 f.; a.A. OVG Lüneburg, NuR 1999, 288, 289: Ratsbeschluß erforderlich, aber auch ausreichend. 117 Vgl. Lemmel, in Berliner Komm BauGB, § 214 Rn. 7. 118 Vgl. hierzu BVerwG, NVwZ 1999, 414 f.; ZfBR 2000, 266, 268; Battis , in Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, vor § 214 Rn. 1, § 214 Rn. 2. 119 Vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 414; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 115 f. 120 Vgl. EuGH, NJW 1999, 201, 202; 1999, 2355, 2356; EuR 1999, 237, 240; BVerwG, NVwZ 1998, 520, 523. 121 Vgl. EuGH, EuZW 1999, 20, 23.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 815 leben für den Fall der Aufhebung der entgegenstehenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift. Während eine nichtige Rechtsnorm erst wieder erneut erlassen werden müßte, ist dies bei bloß unanwendbar gewesenen Rechtssätzen nicht der Fall, da diese (obschon mit eingeschränktem oder womöglich gar ohne Anwendungsbereich) ununterbrochen wirksam geblieben sind. Eine überaus bedeutsame Einschränkung des Nichtigkeitsdogmas ergibt sich schließlich in bestimmten Konstellationen, in denen die Annahme der Nichtigkeit einer rechtswidrigen Rechtsnorm verfassungsrechtlich untragbarere Konsequenzen hätte als die Annahme ihrer Fortgeltung trotz Rechtswidrigkeit m. Derartige Situationen können namentlich bei Verstößen gegen den Gleichheitssatz entstehen, wenn es mehrere Möglichkeiten zur Behebung der Ungleichbehandlung gibt, unter denen der Gesetzgeber zu wählen hat, so daß dem Gericht die eigene Entscheidung verwehrt sein kann. Vor allem wäre die Annahme der Nichtigkeit einer gleichheitswidrig begünstigenden Rechtsnorm regelmäßig unangemessen, weil dies zum Fortfall von Begünstigungen führte, obschon ja nicht auszuschließen ist, daß der Gesetzgeber zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes die Begünstigung auf die bislang Benachteiligten erstrecken könnte. Ferner sind Situationen denkbar, in denen die Nichtigkeit einer rechtswidrigen Rechtsnorm eine unerträgliche Rechtsunsicherheit zur Folge hätte, was unmöglich eine (verfassungs)rechtlich gebotene Fehlerfolge sein kann. Die Nichtigkeit eines Rechtssatzes als dogmatische Regelfolge basiert auf der Annahme, daß durch diese Nichtigkeit ohne weiteres rechtmäßige Zustände erhalten bleiben oder geschaffen werden. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, so ist die Nichtigkeit nicht nur nicht geboten, unter Umständen kann hier die Verfassung der Annahme einer Nichtigkeit der betreffenden rechtswidrigen Norm sogar nachgerade entgegenstehen123. Angesichts der nicht wenigen Fälle, in denen die Rechtswidrigkeit eines Rechtssatzes nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres zu seiner Nichtigkeit führt, und zumal angesichts des zunehmenden Strebens des Gesetzgebers nach Normerhaltung könnte zweifelhaft erscheinen, ob das Nichtigkeitsdogma noch aufrechterhalten werden kann oder ob sich eine allgemeine Modifizierung der Fehlerfolgenlehre zumindest für untergesetzliche Normen abzeichnet 124 . Eine Betrachtung der einschlägigen Unbeachtlichkeitsklauseln und Heilungsvorschriften läßt indessen erkennen, daß der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem überkommenen Dogma selbst von der grundsätzlichen Nichtigkeit rechtswidriger Rechtssätze ausgeht; denn alle diese Vorschriften formulieren schon ihrem Wortlaut nach Ausnahmen von der sich aus dem Rechtsverstoß eigentlich ergebenden Nichtigkeit 125 . Zudem ist bezeichnend, daß der Gesetzgeber nicht etwa Positivlisten erstellt, welche Verstöße gegen welche Bestimmungen zur 122

Vgl. hierzu BVerfGE 87, 153, 177 ff.; 91, 186, 207; 93, 121, 131; Lower , in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 77 ff.; Roth, AöR 124 (1999), 473, 495 ff. 123 Vgl. Roth, AöR 124 (1999), 497 f. 124 So Battis, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, vor §214 Rn. 8; Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 70 Rn. 38; vgl. auch Hufen, Fehler, Rn. 474; femer VGH München, BayVBl. 2000, 531 f. 125 Vgl. Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor §47 (1. EL 1997) Rn. 6.

8 1 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Nichtigkeit des Rechtssatzes fuhren, sondern daß er vielmehr ohne weiteres von der Nichtigkeit ausgeht und in einer Negativliste bestimmt, wann ausnahmsweise keine Nichtigkeit eintreten soll. Deshalb dürfte es dem Willen des Gesetzgebers besser gerecht werden, das Nichtigkeitsdogma beizubehalten und die erwähnten Unbeachtlichkeits- und Heilungsvorschriften z.B. des Bauplanungsund Kommunalrechts als Ausnahmen ohne allgemeinen Vorbildcharakter zu verstehen 126. Dieser Ausnahmecharakter schließt freilich nicht aus, in besonderen Fällen beispielsweise im Wege einer Gesamtanalogie eine Übernahme von Unbeachtlichkeits- und Heilungsregeln in einen anderen Kontext in Betracht zu ziehen.

b) Fehlerfolgen

bei Verwaltungsakten

Im Gegensatz zur Lage bei Rechtssätzen besteht bei Verwaltungsakten kein Nichtigkeitsdogma, sondern vielmehr sind auch rechtswidrige Verwaltungsakte grundsätzlich wirksam. Lediglich gewisse besonders qualifizierte Rechtsverstößte fuhren zur Nichtigkeit und damit Unwirksamkeit (§ 43 Abs. 3 VwVfG) eines Verwaltungsakts. Ein Verwaltungsakt ist nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet - besonders schwerwiegend in diesem Sinne ist ein Fehler, wenn er den davon betroffenen Verwaltungsakt „als schlechterdings unerträglich erscheinen, d.h. mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar sein läßt" 127 - und wenn dieser Fehler bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich 128 ist 129 . Des weiteren sind Verwaltungsakte bei einer Reihe enumerierter, vom Gesetzgeber als generell besonders gravierend eingestufter Fehler nichtig (§ 44 Abs. 2 VwVfG). Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ist hiernach eine Ausnahme, die nur dann anzunehmen ist, „wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden, daß von

126

Vgl. Maurer,, DÖV 1993, 193; Ossenbühl, NJW 1986, 2812; femer Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 75. 127 BVerwG, NJW 1985, 2658, 2659; NVwZ 1998, 1061, 1062; vgl. hierzu Knack/ Klappstein, VwVfG, §44 Rn. 4.1; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §44 Rn. 101. 128 Nach der früheren Fassung des § 44 Abs. 1 VwVfG a.F. mußte der Fehler „offenkundig" sein. Der Gesetzgeber ersetzte dieses Tatbestandsmerkmal durch Art. 1 Nr. 4 des 2. VwVfÄndG vom 6. August 1998 (BGBl. I S. 2022) aus terminologischen Gründen durch „offensichtlich", ohne eine inhaltliche Änderung zu beabsichtigen. Vgl. hierzu und zu den dadurch aufgeworfenen Problemen Roth, NVwZ 1999, 388 f. 129 Zur Offensichtlichkeit vgl. BVerwG, NVwZ 1998, 1061, 1062 f.; Knack/Klappstein, VwVfG, § 44 Rn. 4.2; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 117 ff.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 817 niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen" 130 . Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht nichtig ist, ist wirksam und verbindlich, solange er nicht zurückgenommen oder aufgehoben ist (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts hat also, wenn diese nicht gerade zur Nichtigkeit fuhrt, keine Auswirkungen auf seine Wirksam- und damit auch Verbindlichkeit 131 . Die wichtigsten Fehlerfolgen bei rechtswidrigen Verwaltungsakten sind deshalb nicht unmittelbarer, sondern mittelbarer Art. Erstens kann nämlich ein rechtswidriger Verwaltungsakt, wenn die Rechtswidrigkeit sich in einer Verletzung subjektiver Rechte niederschlägt, auf Anfechtungsklage durch das Gericht aufgehoben werden (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO), was dann zu seiner Unwirksamkeit fuhrt; diese Fehlerfolge der Aufhebbarkeit wird allerdings durch § 46 VwVfG für nicht nichtige Verwaltungsakte bei bestimmten Verfahrens- und Formfehlern ausgeschlossen, wobei § 46 VwVfG übrigens weder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts noch die Rechtsverletzung entfallen läßt, sondern nur den materiellen Aufhebungsanspruch des Verletzten ausschließt132 und so die Unerheblichkeit 133 der betreffenden Verfahrens- und Formverstöße auf der Ebene der sekundären Abwehransprüche begründet. Zweitens kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, und zwar noch nach Eintritt der Bestandskraft, unter wesentlich leichteren Voraussetzungen von der Behörde zurückgenommen werden als der Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts stattfindet (vgl. §§ 48, 49 VwVfG). In Betracht kommt eine Heilung der Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten durch die Vornahme von Heilungshandlungen. Von besonderer Bedeutung ist hier die Vorschrift des § 45 VwVfG, wonach die Verletzung gewisser Verfahrens- und Formvorschriften, sofern sie nicht nach § 44 VwVfG zur Nichtigkeit 130

BVerwG, NVwZ 1998, 1061, 1062, im Anschluß an Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, § 51 I c 4; vgl. BFH, NVwZ 1982, 216; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §49 Rn. 10. 131 In besonders gelagerten Fällen kann freilich auch ein bestandskräftiger Verwaltungsakt seine Verbindlichkeit verlieren und insbesondere seine Vollstreckung oder die Verhängung von Sanktionen fur seine Mißachtung unzulässig werden, beispielsweise wenn die Norm, auf der der Verwaltungsakt basiert, später als verfassungswidrig für nichtig erklärt wird (§ 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG analog, § 183 S. 2, § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO analog), oder wenn nach Eintritt der Bestandskraft eine unmittelbar anwendbare gemeinschaftsrechtliche Bestimmung in Kraft tritt, mit deren Inhalt der betreffende Verwaltungsakt unvereinbar ist (vgl. EuGH, NJW 1999, 2355, 2356 = EuZW 1999, 405, 406 f. mit krit. Anm. Schilling). 132 Vgl. hierzu Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 436; Hufen,, Fehler, Rn. 630 f.; ders., JuS 1999, 319; Kopp, VwVfG, § 46 Rn. 14; Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rn. 10; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 46 Rn. 1,10; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 809; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 149, 151. 133 Vgl. Kopp, VwVfG, § 46 Rn. 1. 54 Roth

818

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

des Verwaltungsakts fuhrt, geheilt werden kann, wenn die unterlassene Handlung bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt w i r d 1 3 4 . Die Vornahme der erforderlichen Heilungshandlung führt dazu, daß der Verwaltungsakt mit W i r k u n g ex n u n c 1 3 5 tatsächlich rechtmäßig

w i r d 1 3 6 , weshalb

nicht lediglich der Aufhebungsanspruch ausgeschlossen wird, wie es bei bloßen Unerheblichkeitsklauseln (z.B. § 46 V w V f G ) der Fall ist. Ist ein Verwaltungsakt beispielsweise mangels ausreichender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig, so kommt seine Heilung durch nachträglichen Erlaß einer solchen in Betracht. Praktisch bedeutsam ist dies namentlich bei Erschließungsbeiträgen, wo angenommen wird, daß eine nichtige Erschließungsbeitragssatzung noch nachträglich fehlerfrei erneut erlassen werden kann und der Beitragsbescheid dadurch mit Wirkung ex nunc rechtmäßig wird 137 . Denkbar ist sogar eine rückwirkende Heilung des Verwaltungsakts, wenn nämlich die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (sofern verfassungsrechtlich zulässig) mit Rückwirkung in Kraft tritt 138 . So werden etwa rechtswidrige Abbruchgebote, Baugebote, Nutzungsgebote usw., die auf einem nur vermeintlich gültigen Bebauungsplan beruhen, geheilt, wenn dieser nach den für ihn geltenden Heilungsvorschriften rückwirkend in Kraft gesetzt wird 139 . Desgleichen wird ein Ausgleichsbescheid rechtmäßig, wenn die Sanierungssatzung, auf der er beruht, rückwirkend fehlerfrei in Kraft gesetzt wird 140 . Umstritten ist, ob rechtswidrige Verwaltungsakte nur entweder nichtig oder - wenngleich gegebenenfalls anfechtbar - wirksam sein können141, oder ob als Fehlerfolge auch eine schwebende Unwirksamkeit in Betracht kommt 142 . Letzteres wird insbesondere bei zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakten bejaht, die bis zur Nachholung der erforder-

134 Zu den grundsätzlichen Bedenken gegen zu weitreichende Heilungsmöglichkeiten vgl. Hufen, Fehler, Rn. 584 ff. 135 Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 98, 431; Hufen, Fehler, Rn.613; ders., JuS 1999, 318; Kopp, VwVfG, §45 Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, §113 Rn. 59; Meyer/Borgs, VwVfG, § 45 Rn. 12; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 804a. - Für eine Heilung ex tunc hingegen Maurer, AllgVerwR, § 10 Rn. 39; Sachs, in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 18. 136 OVG Münster, NVwZ 1988, 740, 741; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 429 ff.; Hufen, Fehler, Rn.613; Kopp, VwVfG, §45 Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, §113 Rn. 49; Meyer/Borgs, VwVfG, §45 Rn. 12; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 45 Rn. 18, Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 147. 137 Vgl. BVerwGE 64, 218, 220; VGH München, BayVBl. 1998, 593, 594. - Dies gilt jedoch nicht für sogenannte Stammsatzungen, VGH München, BayVBl. 1999, 119 f. (Entwässerungssatzung). 138 Zu dieser Möglichkeit vorstehend G.III.3.a. 139 BVerwGE 75, 262, 270. 140 BVerwG, NVwZ 1999, 419. 141 So Hufen, Fehler, Rn.271; Kopp, VwVfG, §43 Rn. 27, §44 Rn. 15; Knack/ Klappstein, VwVfG, § 43 Rn. 2.2. 142 So Meyer/Borgs, VwVfG, § 44 Rn. 12; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 173 f.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 48 Rn. 21, § 57 Rn. 13.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 819 liehen Mitwirkung als schwebend unwirksam angesehen werden 143. In dieser allgemeinen Form kann dem nicht beigepflichtet werden, da nach § 45 Abs. 1 S. 1 VwVfG das nachträgliche Stellen eines fur den Erlaß des Verwaltungsakts erforderlichen Antrags als Heilung seiner Rechtswidrigkeit verstanden und der Verwaltungsakt also offenkundig nur als rechtswidrig, nicht aber als schwebend unwirksam angesehen wird 144 . Andererseits scheidet die Annahme schwebender Unwirksamkeit von Verwaltungsakten nicht begriffsnotwendig aus, und es spricht daher nichts dagegen, daß das Gesetz bei besonders wichtigen Verwaltungsakten die Zustimmung des Betroffenen nicht lediglich als Rechtmäßigkeits-, sondern als Wirksamkeitsvoraussetzung festlegen kann. Insbesondere bei statusbegründenden145 Verwaltungsakten, bei denen mit der nicht gewollten Begünstigung äußerst weitreichende Verpflichtungen verbunden sein können, kann es zu weit gehen, sie mangels Anfechtung bestandskräftig werden zu lassen, obwohl nie ein diesbezüglicher Antrag gestellt worden ist 146 , wie es auch umgekehrt zu weit ginge, sie deshalb gleich als nichtig zu behandeln147 und dadurch dem Berechtigten die Chance zu nehmen, durch nachträgliche Antragstellung eine Heilung des Verwaltungsakts herbeizuführen. Dasselbe gilt fur statusbeendende Verwaltungsakte, die ohne den gesetzlich vorgeschriebenen Antrag ergehen 148. Insoweit handelt es sich letztlich um eine hier nicht näher zu vertiefende Auslegungsfrage in Ansehung der konkret involvierten Vorschriften.

c) Fehlerfolgen

bei Planfeststellungsbeschlüssen

Der Planfeststellungsbeschluß ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt 149, und zwar von der Art einer Allgemeinverfugung (§ 35 S. 2 VwVfG) 1 5 0 . Folglich 143

Vgl. Battis , BBG, § 6 Rn. 6; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §46 Rn. 34; femer BVerwGE 23, 237, 238; früher bereits PrOVGE 97, 95, 99. 144 Vgl. Kopp, VwVfG, § 44 Rn. 15. 145 Zu diesem Begriff vgl. das oben D.III.2.b.aa zu statusbegründenden Rechtssätzen Gesagte. 146 Vgl. Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 174; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 48 II, S. 403; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 46 Rn. 35. 147 So etwa Badura, in Erichsen, AllgVerwR, § 36 Rn. 8; Hufen, Fehler, Rn. 116; wohl auch BVerwGE 30, 185, 187. 148 Vgl. PrOVGE 78, 251, 253 ff. (fur die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis). 149 BVerwGE 29, 282, 285; 38, 152, 156; VGH Kassel, DVBl. 1992, 1446 f.; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 19; Kopp, VwVfG, § 74 Rn. 4; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 56; Meyer/Borgs, VwVfG, § 74 Rn. 9. 150 OVG Koblenz, DVBl. 1985, 408, 409; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 20; Kopp, VwVfG, § 74 Rn. 4; Meyer/Borgs, VwVfG, § 74 Rn. 9. - Der gegenteiligen Auffassung von Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 41 Rn. 41 ist entgegenzuhalten, daß die Planbetroffenen keineswegs individuell bestimmt sind; denn die Planfeststellung wirkt gegenüber allen objektiv Betroffenen, auch den am Verfahren nicht Beteiligten {Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 28), und insoweit liegt keine individuelle Bestimmtheit, sondern nur eine künftige Bestimmbarkeit nach dem allgemeinen Merkmal der Planbetroffenheit vor (zu dieser Abgrenzung vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 52; femer P. Stelkens/U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 35 Rn! 211).

820

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

bestimmen sich die Fehlerfolgen bei rechtswidrigen Planfeststellungsbeschlüssen grundsätzlich in derselben Weise wie bei allen Verwaltungsakten. Es gelten also die Fehlerfolgen der Nichtigkeit

bzw. der Wirksamkeit

trotz

Rechtswidrig-

keit, verbunden mit der möglichen Aufhebbarkeit, insbesondere auf Anfechtungsklage hin (vgl. § 74 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 70 V w V f G ) , aber eben gemäß § 72 Abs. 1 V w V f G auch die Heilungs- und Unbeachtlichkeitsvorschriften der §§45,46 VwVfG 151. Während freilich die Heilungsmöglichkeit nach § 45 VwVfG nur dann zur Unbegründetheit der Anfechtungsklage fuhrt, wenn die Heilungshandlung tatsächlich rechtzeitig nämlich bis zum gegebenenfalls durch Verfahrensaussetzung hinausgeschobenen (vgl. § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 7, § 94 S. 2 VwGO) Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (§ 45 Abs. 2 VwVfG) - nachgeholt worden ist und also die gerichtliche Aufhebung des fehlerhaften Verwaltungsakts nicht allein durch die bloße Heilungsmöglichkeit ausgeschlossen wird, geht das Gesetz bei Planfeststellungsbeschlüssen im Interesse der Planerhaltung teilweise weiter und schließt die gerichtliche Aufhebung schon allein wegen der bestehenden konkreten Möglichkeit einer Heilung aus 152 . Allgemein begründen gemäß § 75 Abs. la S. 2 VwVfG deshalb selbst erhebliche Mängel bei der Abwägung, nach einer Reihe von Fachplanungsgesetzen (z.B. § 20 Abs. 7 S. 2 AEG, § 17 Abs. 6c S. 2 FStrG, § 10 Abs. 8 S. 2 LuftVG, § 29 Abs. 8 S. 2 PBefG, § 19 Abs. 4 S. 2 WaStrG) außerdem auch Verletzungen gewisser Verfahrens- und Formvorschriften nur dann die gerichtliche Aufhebbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses, wenn die Mängel nicht durch Planergänzung153 oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können. In derartigen Fällen kommt als Fehlerfolge lediglich die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit sowie der Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses in Betracht 154. Das heißt, der Planfeststellungsbeschluß ist rechtswidrig, aber weder nichtig noch aufhebbar, darf jedoch bis zur Behebung des Mangels nicht vollzogen werden. M i t der sich aus der Rechtswidrigkeit ergebenden Unvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses ist einerseits dem Interesse des Klägers Genüge getan, einen rechtswidrigen Eingriff in seine Rechte durch ein fehlerhaft festgestelltes Vorhaben abzuwehren, andererseits aber muß die Verwaltung nicht trotz der Behebbarkeit des Mangels ein vollständig neues Verfahren durchführen. Stattdessen kann die Planfeststellungsbehörde selbst entscheiden, ob sie von der Möglichkeit des ergänzenden Verfahrens Gebrauch macht, von der Planung gänzlich Abstand nimmt oder ein neues Planfeststellungsverfahren

durch-

führt 1 5 5 . M i t diesem erhöhten Bestandsschutz von Planfeststellungsbeschlüssen 151

Meyer/Borgs, VwVfG, § 74 Rn. 50. Vgl. BVerwGE 102, 358, 365; OVG Münster, BauR 1999, 362, 364. 153 Zur Frage eines Planergänzungsanspruchs vgl. BVerwGE 56, 110, 133; 71, 150, 160; 91, 17, 20; 101, 73, 85; VGH München, BayVBl. 1998, 756; Bonk, in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 131. 154 BVerwGE 100, 370, 372; 102, 358, 359, 365 f.; BVerwG, UPR 1998, 311, 312; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 75, § 75 Rn. 42; Kopp/Ramsauer, VwVfG (Nachtrag), § 75 Rn. 112; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 32. 155 BVerwGE 100, 370, 372 f.; 102, 74, 76. 152

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte

821

w i r d nicht allein der VerwaltungsefFizienz Rechnung getragen. Vielmehr entspricht es auch einem materiellen Rechtsgedanken, daß Verwaltungsakte, die in einem förmlichen, in mancher Hinsicht gar prozeßähnlichen Verfahren zustande gekommen sind (vgl. §§ 63 ff., 72 ff. V w V f G ) , einen erhöhten Vertrauens- und damit eben Bestandsschutz verdienen, weil es gerade der Sinn derartiger Verfahrensgestaltungen ist, Rechtmäßigkeit und Beständigkeit des Verwaltungsakts in erhöhtem Maße zu gewährleisten 1 5 6 . Der Vorhabenträger und Planbegünstigte genießt deshalb auch dann einen verstärkten Vertrauensschutz, wenn das Verfahren trotz der eingebauten Sicherheiten in einen rechtswidrigen Planfeststellungsbeschluß mündete. Dies ist sozusagen der Vorteil, den er daraus zieht, daß er sich den Belastungen und dem Aufwand eines förmlichen Verfahrens unterzogen hat.

d) Fehlerfolgen

bei

Gerichtsentscheidungen

Wie soeben fur Planfeststellungsbeschlüsse dargelegt, genießen Entscheidungen, die in förmlichen, mit weitreichenden prozeduralen Sicherheiten und Garantien versehenen Verfahren ergangen sind, regelmäßig einen besonderen Vertrauens- und Bestandsschutz. In hervorgehobenem Maße gilt dies fur Gerichtsentscheidungen, bei denen die möglichen Fehlerfolgen dementsprechend noch stärker eingeschränkt sind. Nichtigkeit einer Gerichtsentscheidung157 kommt nur in sehr seltenen Ausnahmefallen in Betracht, nämlich wenn sie an so schweren Verfahrens- oder materiellrechtlichen Mängeln leidet (z.B. Urteile gegen nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfene Personen, Urteil außerhalb eines Verfahrens, Ausspruch einer der Rechtsordnung unbekannten Rechtsfolge), daß sie als wirkungslos angesehen werden muß 158 . Derartige nichtige Urteile können aber immerhin in formeller - nicht jedoch in materieller - Rechtskraft erwachsen und schon zur Beseitigung des materiellen Rechtsscheines mit Rechtsmitteln angegriffen werden, sind also aufhebbar, doch ist wahlweise auch eine Klage auf Feststellung ihrer Unwirksamkeit oder ein erneutes Anhängigmachen der Streitsache möglich 159 . Die regelmäßige Fehlerfolge bei Gerichtsentscheidungen, und zwar unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen Prozeß- oder gegen materielles Recht vorliegt, ist freilich allein die Aufhebbarkeit der Entscheidung im Rechtsmittel- oder sonstigen Rechtsbehelfsverfahren, bei einigen schwereren, aber nicht zur Nichtigkeit führenden Prozeßrechtsverstößen noch nach Ablauf der Rechtsmittelfristen im Wege der Nichtigkeits- oder der

156

Vgl. BVerfGE 2, 380, 393 f.; BVerwGE 13, 28, 32; VGH Kassel, DVBl. 1992, 1446, 1447; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 51 Rn. 81. 157 Zur Abgrenzung des nichtigen Urteils vom Nichturteil (Scheinurteil) vgl. oben G.III.l.b. 158 Vgl. hierzu BGHZ 124, 164, 170; BGH, NJW 1999, 2604 f.; Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 60 III; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 62 IV 2; Thomas/ Putzo, ZPO, vor § 300 Rn. 15 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 300 Rn. 15 ff. 159 Vgl. Jauernig, Zivilprozeßrecht, §60 III; Kopp/Schenke, VwGO, vor §124 Rn. 20; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 62 IV 1; Thomas/Putzo, ZPO, vor § 300 Rn. 19.

8 2 2 G .

Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Restitutionsklage (vgl. §§ 578 ff. ZPO) 1 6 0 . Besteht die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung darin, daß sie in inkorrekter oder zweifelhafter Form ergangen ist, so ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung jedes Rechtsmittel statthaft, das gegen eine der in Frage kommenden Entscheidungsformen gegeben ist 161 . Die Fehlerhaftigkeit einer Gerichtsentscheidung fuhrt indes nicht in allen Fällen ordnungsgemäßer Rechtsmitteleinlegung zu ihrer Aufhebung oder Änderung. Zum einen können auch im Gerichtsverfahren gewisse Mängel geheilt werden 162 , zum anderen gibt es auch unbeachtliche Fehler. Zu letzteren gehören diejenigen, die sich auf das Ergebnis nicht auswirken und daher nicht zur Aufhebung der Entscheidung fuhren (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO, § 563 ZPO), ferner die durch rügelosen Fristablauf unbeachtlich werdenden 163.

e) Fehlerfolgen

bei öffentlich-rechtlichen

Verträgen

Öffentlich-rechtliche Verträge unterliegen ebensowenig einem Nichtigkeitsdogma wie Verwaltungsakte einschließlich Planfeststellungsbeschlüssen oder wie Gerichtsentscheidungen. Der Gesetzgeber hat vielmehr i m Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unter den Vertragsparteien eine grundsätzliche

Wirksamkeit

von rechtswidrigen

öffentlich-rechtlichen

Verträ-

gen vorgesehen, während lediglich besondere, qualifizierte Rechtsverstöße zur Nichtigkeit fuhren 1 6 4 . Soweit ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nicht nichtig ist, ist und bleibt er wirksam; eine Anfechtbarkeit oder Aufhebbarkeit wegen Verletzung subjektiver Rechte oder eine einseitige Rücknehmbarkeit wegen Rechtswidrigkeit wie bei rechtswidrigen Verwaltungsakten sieht das Gesetz nicht

160

Vgl. Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 60 I; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 62 II 2. 161 Vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, vor § 124 Rn. 22; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 135 II; Thomas/Putzo, ZPO, vor § 511 Rn. 6 ff.; Zöller/Gummer, ZPO, vor §511 Rn. 28 ff. 162 Z.B. Heilung eines Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz durch Wiederholung des Teils der mündlichen Verhandlung, der zunächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden hatte (BVerwGE 104, 170, 174; BGH, MDR 2000, 968); Heilung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Gewährung desselben im Berufunesverfahren (BVerwGE 64, 356, 359 f.). 163 ZivilproVgl. hierzu Kopp, VwVfG, §46 Rn. 1; Rosenberg/Schwab/Gottwald, zeßrecht, § 62 II 3, § 67 III. 164 BVerwGE 95, 58, 63; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 59 Rn. 6 f.; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 1; Meyer/Borgs, VwVfG, § 59 Rn. 1 ff.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 70 Rn. 10; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 54 Rn. 41; krit. Maurer, AllgVerwR, § 14 Rn. 47 ff. 165 Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 135; Knack/Henneke, VwVfG, § 59 Rn. 1.1; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 1; Maurer, AllgVerwR, § 14 Rn. 37; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 70 Rn. 11 ; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 54 Rn. 43 f.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 823 Zur Nichtigkeit führende qualifizierte Rechtsverstöße sind zum einen in § 59 Abs. 2 VwVfG speziell für subordinationsrechtliche Verträge enumeriert, zum anderen kann sich die Nichtigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gemäß § 59 Abs. 1 VwVfG aus der entsprechenden Anwendung von Nichtigkeitsgründen des BGB ergeben 166. Von besonderer Bedeutung ist hier die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB). Als gesetzliche Verbote sind nicht sämtliche dem Vertrag formell oder materiell entgegenstehenden Rechtsvorschriften zu verstehen, sondern nur solche, die das betreffende Rechtsgeschäft wegen seines Inhalts, seiner Form oder den Umständen seines Zustandekommens untersagen und deren Sinn und Zweck zur Verhinderung des gesetzwidrigen Erfolges die Unwirksamkeit des Vertrages erfordert 167. Der objektive Verstoß gegen ein solches Verbot genügt, Offensichtlichkeit ist nicht erforderlich 168. Besondere Bedeutung besitzt bei öffentlich-rechtlichen Verträgen die Fehlerfolge der schwebenden Unwirksamkeit, die zunächst die Nichtigkeitsfolge vermeidet, aber durchaus noch zu einer endgültigen Unwirksamkeit führen kann. Das Gesetz unterscheidet zwei Fallgruppen. Gemäß § 58 Abs. 1 VwVfG wird ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in Rechte eines Dritten eingreift, erst wirksam, wenn dieser schriftlich zustimmt, also in den Vertragsschluß vorher einwilligt oder diesen nachträglich genehmigt. Grund für diese Regelung ist, daß auch ein rechtswidrig in die Rechte Dritter eingreifender öffentlich-rechtlicher Vertrag nicht notwendig nach § 59 VwVfG nichtig ist 169 , und da dem Dritten gegen diesen Vertrag nicht die Rechtsschutzmöglichkeiten zustehen, die er gegen einen in vergleichbarer Weise in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsakt hätte, muß verhindert werden, daß ohne seine Zustimmung ein solcher Vertrag überhaupt rechtsverbindlich zustande kommt 170 . Letztlich ist damit § 58 Abs. 1 VwVfG Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, daß niemand einen Vertrag zu Lasten Dritter schließen können darf 7 1 .

166 Vgl. zu diesen Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §59 Rn. 41 ff.; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 6 ff. 167 Vgl. BVerwGE 95, 58, 63 f.; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §59 Rn. 50 ff; Knack/Henneke, VwVfG, § 59 Rn. 3.1 ff.; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 7; Palandt/Heinrichs, BGB, §134 Rn. 1; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §54 Rn. 45. 168 BVerwG, NVwZ 1998, 1061, 1062. 169 Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 3; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 2. 170 Vgl. Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 69 Rn. 13. 171 OVG Lüneburg, BauR 2000, 879, 880; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §58 Rn. 2, 10; Knack/Henneke, VwVfG, §58 Rn. 4.3; Kopp, VwVfG, §58 Rn. 1; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 54 Rn. 40.

824

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Von diesem Schutzzweck her ist § 58 Abs. 1 VwVfG unstreitig auf Verträge anzuwenden, durch die über Rechtspositionen des Dritten unmittelbar verfügt wird 1 7 2 (z.B. vertragliche Erteilung eines Dispenses von nachbarschützenden Baurechtsvorschriften). Zweifelhaft ist dagegen, ob § 58 Abs. 1 VwVfG auch ftir Verträge Geltung beansprucht, durch die sich die Behörde lediglich zu einem Handeln verpflichtet, welches in die Rechte des Dritten eingreifen würde. Die herrschende Lehre bejaht dies 173 : derartige Verpflichtungsverträge beinhalteten zwar ebenso wie Zusicherungen (§38 VwVfG) auf Erlaß eines eingreifenden Verwaltungsakts selbst noch keinen Eingriff, stellten aber wie diese 174 eine selbständige Rechtsgrundlage ftir den späteren Erlaß des verpflichtungsgemäßen Verwaltungsakts dar, weshalb bereits die Verpflichtung als Eingriff behandelt und dem Zustimmungserfordernis des § 58 Abs. 1 VwVfG unterworfen werden müsse 175 ; während dies bei der Zusicherung des Erlasses eines drittbeeinträchtigenden Verwaltungsakts dazu führt, daß der Dritte schon die Zusicherung anfechten kann und muß 176 , nötige dies bei § 58 Abs. 1 VwVfG zum Schutz des Dritten dazu, auch öffentlich-rechtliche Verpflichtungsverträge in seinen Anwendungsbereich einzubeziehen. Diese Sichtweise verdient keine Zustimmung. In der Tat ist nämlich bereits die Prämisse der herrschenden Lehre, ein Verpflichtungsvertrag stelle eine eigenständige Rechtsgrundlage für den darin versprochenen Eingriff in die Rechte des Dritten dar, unzutreffend. Die Behauptung, das „zwischen den Vertragspartnern begründete und gestaltete Rechtsverhältnis [sei] als rechtliche Ordnung eines gegebenen Sachverhalts auch gegenüber Dritten verbindlich", entfalte „Tatbestandswirkung" und sei daher „Maßstab der Rechtmäßigkeit des Erfullungsaktes" 177, verkennt in grundsätzlicher Weise die bloß relative Wirkung von VerpflichtungsVerträgen. Verpflichtungsverträge begründen einen rechtlichen Maßstab allein fur das Verhalten von Gläubiger und Schuldner, geben aber keinen Rechtmäßigkeitsmaßstab im Verhältnis zu außenstehenden Dritten ab 1 7 8 . Wie im Zivilrecht niemand auf die Idee käme, daß ein Eingriff des A in die Rechte des Β allein deswegen rechtmäßig sein könnte, weil sich A gegenüber C zu diesem Eingriff verpflichtet hat, so ist auch bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungsverträgen die Vorstellung zu verwerfen, diese könnten Dritten gegenüber eine selbständige Eingriffsrechtfertigung darstellen. Die vertragliche Zusage der Behörde, gegenüber einem Dritten einen

172 Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 4.1; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 10, 17; Maurer, AllgVerwR, § 14 Rn. 30; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 7; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahren srecht, § 69 Rn. 14. 173 Bonk,, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §58 Rn. 15; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 26 Rn. 8; Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 4.3; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 10; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 10 f. 174 Vgl. hierzu Knack/Henneke, VwVfG, § 38 Rn. 3.4; Meyer/Borgs, VwVfG, § 38 Rn. 17, §54Rn. 77. 175 Vgl. Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 26 Rn. 8; Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 4.3; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 10 („latenter Eingriff 4); Wolff/Bachof/Stober·, Verwaltungsrecht I, § 54 Rn. 40. 176 Knack/Henneke, VwVfG, §38 Rn. 4.5.1; Meyer/Borgs, VwVfG, §38 Rn. 35; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 49 Rn. 10. 177 Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 26 Rn. 8; davon geht auch Maurer, AllgVerwR, § 14 Rn. 30 aus. 178 Zu der sich aus der notwendigen Rechtsverhältnisbezogenheit ergebenden Relativität von Rechtmäßigkeits- und Rechtswidrigkeitsbewertungen eingehend Roth, Faktische Eingriffe, S. 558 ff. - Vgl. dazu auch unten G.IV.3.a.bb (3).

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 825 belastenden Verwaltungsakt zu erlassen, läßt dessen Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber dem Eingriff völlig unberührt, und deshalb bedarf der betreffende öffentlichrechtliche Vertrag nicht nach § 58 Abs. 1 VwVfG der Zustimmung dieses Dritten 179 .

Zu beachten ist freilich, daß § 58 Abs. 1 VwVfG im Kontext von Organstreitigkeiten keine Bedeutung zukommt. Denn etwaige subjektivrechtliche Organrechte auf Mitwirkung bei Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages sind keine „Rechte eines Dritten" im Sinne dieser Vorschrift. Hierdurch würden allenfalls subjektive Rechte des Trägers der betreffenden Organe geschützt, so daß § 58 Abs. 1 VwVfG beispielsweise auf einen Vertrag anwendbar wäre, in dem eine Behörde Verfugungen zu Lasten subjektiver Eigentums- oder Planungsrechte einer Gemeinde träfe. Hat aber die Behörde nicht als Vertreterin ihres Trägers zur Verteidigung seiner subjektiven Rechte mitzuwirken, sondern stehen ihr ihre Kompetenzen lediglich als Sachwalterin des Allgemeininteresses zu, so ist eine Verletzung dieser Mitwirkungsbefugnisse ausschließlich nach § 58 Abs. 2 VwVfG zu beurteilen 180. Nach § 58 Abs. 2 VwVfG wird ein subordinationsrechtlicher Vertrag, der an die Stelle eines Verwaltungsakts tritt, bei dessen Erlaß die Genehmigung, die Zustimmung oder das Einvernehmen einer anderen Behörde rechtlich vorgeschrieben ist, erst wirksam, nachdem die andere Behörde in der vorgeschriebenen Form mitgewirkt hat. Diese auch auf Verpflichtungsverträge anwendbare 181 sowie, weil sie insofern einen allgemeinen Rechtsgrundsatz formuliert, analog auch auf sogenannte Normsetzungsverträge und auf koordinationsrechtliche Verträge anzuwendende182 Bestimmung dient der Sicherung der Kompetenzordnung, indem verhindert werden soll, daß unter Übergehung behördlicher Mitwirkungsbefugnisse rechtsverbindliche Verträge geschlossen werden können 183 . § 58 Abs. 2 VwVfG spricht ausdrücklich zwar nur von Genehmigung, Zustimmung oder Einvernehmen 184. Diesen Formen von Mitwirkungsbefugnissen ist gemein, daß sie dem mitwirkungsbefugten Organ einen rechtlichen Einfluß auf die Entscheidung ein179 OVG Lüneburg, BauR 2000, 879, 880; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 69 Rn. 15; mit allerdings nicht überzeugender Begründung auch Maurer, AllgVerwR, § 14 Rn. 30. 180 Vgl. BVerwG, NJW 1988, 662, 663; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 12; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 12. 181 Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 26; Erichsen, in Erichsen, AllgVerwR, § 26 Rn. 8; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 17; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 16; wohl auch BVerwG, NJW 1988, 662, 663. 182 Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 34; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 2, 25 f.; im Ergebnis ebenso Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 21: keine Analogie, sondern als allgemeiner Rechtsgrundsatz. 183 BVerwG, NJW 1988, 662, 663 f.; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 3, 26. 184 Zu Beispielen hierfür Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 5.1 ff.

826

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

räumen, der sich teilweise sogar auf deren Inhalt beziehen kann, und der bewirkt, daß die nach außen agierende Behörde in ihrer Willensentschließung nicht frei, sondern rechtlich abhängig ist 185 . Von ihrem Schutzzweck her ist diese Vorschrift daher auf alle Mitwirkungsrechte anderer Behörden anzuwenden, die mindestens den gleichen Grad an Mitwirkungsintensität aufweisen wie die genannten drei Arten 186 . Der Vorschlag, aus Gründen der Rechtssicherheit § 58 Abs. 2 VwVfG nur dort anzuwenden, wo das jeweils anwendbare Gesetz explizit die Ausdrücke „Genehmigung", „Zustimmung" oder „Einvernehmen" gebraucht , bleibt demgegenüber zu sehr am Wortlaut haften und betont den Aspekt der Rechtssicherheit über Gebühr zu Lasten des Schutzzweckes der Kompetenzsicherung. Immerhin spricht § 58 Abs. 2 VwVfG selbst in allgemeiner Weise davon, die Behörde müsse „in der vorgeschriebenen Form mitgewirkt" haben, und benutzt damit „Mitwirkung" als Oberbegriff zu Genehmigung, Zustimmung und Einvernehmen. Das gestattet auch vom Wortlaut her durchaus das Verständnis, daß es sich bei der in § 58 Abs. 2 VwVfG enthaltenen Aufzählung lediglich um nicht abschließend gedachte Beispiele besonders gewichtiger Mitwirkungsbefugnisse handelt. Daß es damit bei der Anwendung dieser Vorschrift unter Umständen zu Auslegungszweifeln kommen mag, teilt sie mit praktisch allen anderen Gesetzesbestimmungen, und es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Rechtssicherheit gerade bei § 58 Abs. 2 VwVfG ein striktes Haften am Wortlaut gebieten sollte. Mindere Mitwirkungsrechte dagegen (wie z.B. bloße Anhörungsrechte oder die Herstellung des Benehmens) fallen nach allgemeiner Ansicht nicht unter § 58 Abs. 2 VwVfG; ihre Verletzung ist daher für die Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages irrelevant 188. Da nämlich die derart abgeschwächt zu beteiligende Behörde auch den Erlaß eines entsprechenden Verwaltungsakts nicht verhindern könnte, besteht kein Grund, die Wirksamkeit des an dessen Stelle tretenden Vertrages von dieser Mitwirkung abhängig zu machen. Wenn ein öffentlich-rechtlicher Vertrag gemäß § 58 Abs. 1 VwVfG der Zustimmung des Dritten oder gemäß § 58 Abs. 2 VwVfG der Mitwirkung einer anderen Behörde bedarf, so ist ein ohne Beachtung dieser Voraussetzung geschlossener Vertrag schwebend unwirksam. Er wird dann mit Wirkung ex tunc wirksam (§ 62 S. 2 VwVfG i.V.m. § 184 Abs. 1 BGB), wenn der Dritte nachträglich zustimmt bzw. die Behörde nachträglich ihre Genehmigung oder Zustimmung oder ihr Einvernehmen erteilt 189 . Verweigert der Dritte bzw. die Behörde, gegebenenfalls nach entsprechender Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist, diese nachträgliche Genehmigung etc. oder verstreicht die ge-

185

Vgl. SachsAnhVerfG, NVwZ 1999, 760, 762; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 27; Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 6; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 18. 186 Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 18; femer Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 27. 187 Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 6. 188 Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 28; Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 6; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 19; Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 18. 189 Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 7, 19, 33; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 6, 27; z.T. a.A. Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 3: nur ex nunc wirksam.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 827 setzte Frist ohne Genehmigungserklärung, so ist der Vertrag im Zweifel endgültig unwirksam 190.

f) Systematik der gesetzlich geregelten Fehlerfolgen

bei Außenrechtsakten

Die Betrachtung der unmittelbaren gesetzlichen Fehlerfolgen zeigt, daß die Rechtsordnung sehr verschiedene Möglichkeiten kennt, auf rechtswidrige Außenrechtsakte zu reagieren, von der ipso iure eintretenden Nichtigkeit über die Vernichtbarkeit und Aufhebbarkeit des Rechtsaktes bis zu seiner Hinnahme ohne Abhilfemöglichkeit. Diese auf den ersten Blick vielleicht verwirrende Vielfalt gesetzlicher Fehlerfolgen beruht indes weder auf bloßen historischen Zufälligkeiten noch ist sie das Produkt gesetzgeberischer Willkür. Vielmehr ist dahinter ein gewisses, wenngleich vielleicht nicht vollkommenes System zu erkennen 191 , welches sich in einem (gewiß noch nicht abgeschlossenen) „Lernund Erprobungsprozeß" 192 im Verlauf der Rechtsentwicklung herausgebildet hat. Für welche Reaktion sich der Gesetzgeber jeweils entschieden hat, beruht auf einer Abwägung verschiedener und zum Teil gegenläufiger Prinzipien und fundamentaler Rechtsgrundsätze, und wenn man sich diese vergegenwärtigt, erhellt eine jedenfalls in ihren Grundzügen stimmige Konzeption, die es ermöglichen sollte, die Fehlerfolgen auch in gesetzlich nicht geregelten Fällen zutreffend bestimmen zu können. Von Bedeutung für die Bestimmung der Fehlerfolgen ist in erster Linie das Rechtsstaatsprinzip mit seinen Ausprägungen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Rechtssicherheit, der Einzelfallgerechtigkeit und des Vertrauensschutzes, ferner des Gebotes effektiven Rechtsschutzes, sowie (unter Beachtung rechtsstaatlicher Vorgaben) die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Verwaltungstätigkeit193, bei öffentlich-rechtlichen Verträgen auch des Grundsatzes unbedingter Vertragsbindung (pacta sunt servanda) 194, der freilich seinerseits eine besondere Ausformung des Vertrauensgrundsatzes ist. In diesem Rahmen müs190

VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 58 Rn. 23, 32; Knack/Henneke, VwVfG, § 58 Rn. 10; Kopp, VwVfG, § 58 Rn. 22. A.A. Meyer/Borgs, VwVfG, § 58 Rn. 33, die eine fortdauernde schwebende Unwirksamkeit annehmen, damit aber der Genehmigungsverweigerung zu Unrecht jede Bedeutung absprechen, und außerdem die Vertragsparteien in einer ständigen und namentlich für den Schuldner unerträglichen Ungewißheitslage belassen, weil dann die Genehmigung noch nach langer Zeit erteilt werden könnte. 1 Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33: „gewisse systematische Geschlossenheit". 192 Ossenbühl, NJW 1986, 2812. 193 Vgl. Bielenberg, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, vor § 214 (42. Lfg. 1990) Rn. 44; Lemmel, in Berliner Komm BauGB, § 214 Rn. 1; Ossenbühl, NJW 1986, 2812; Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 531 f. 194 Vgl. Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 1.

8 2 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten sen sodann die konkrete Handlungsform des fehlerhaften Rechtsaktes, sein Gegenstand und Regelungsgehalt, die Natur und Struktur des Verfahrens, Grund und Gewicht des Rechtsverstoßes sowie nicht zuletzt die Rechte und Interessen der Betroffenen und ihre anderweitigen Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in die Überlegung eingestellt werden 195 . Dem Gesetzgeber kommt bei der Abwägung dieser verschiedenen und zum Teil gegenläufigen Prinzipien ein weiter, wenngleich nicht unbegrenzter „Sanktionierungsspielraum" 196 zu. Denn zwar haben die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Verfassungsrang (Art. 20 Abs. 3 GG), so daß es ausgeschlossen wäre, durch eine Proliferation von Unbeachtlichkeits- oder Heilungsvorschriften Gesetzes- oder gar Verfassungsverstöße regelmäßig oder auch nur in weitem Umfange praktisch sanktionslos zu stellen. Auch Rechtssicherheits- und Verwaltungseffizienzgedanken könnten keine so weitgehende Sanktionslosigkeit von Rechtsverstößen legitimieren. Andererseits trifft Art. 20 Abs. 3 GG keine Bestimmung, welche unmittelbaren Auswirkungen ein Gesetzesverstoß für den rechtswidrigen Rechtsakt haben soll. Dies entscheidet sich nach dem einschlägigen (Verfahrens)Recht 197. Die Betrachtung der gesetzlichen Fehlerfolgen ist insoweit jedoch durchaus aufschlußreich. Nichtigkeit des Rechtsaktes ist dort die Regel, wo das Gesetzmäßigkeitsprinzip absoluten Vorrang beansprucht, weil die Rechtsordnung durch die Hinnahme der Existenz des rechtswidrigen Rechtsaktes besonders schwer beeinträchtigt oder gar in sich widersprüchlich würde. Eine solche Situation ist zum einen bei denjenigen gravierenden Rechtsverstößen gegeben, die so sehr gegen elementare Rechtsvorstellungen verstoßen, daß die Rechtsordnung nicht einmal die zeitweilige Wirksamkeit des solchermaßen fehlerhaften Rechtsaktes anerkennen kann. Zum anderen besteht, da die Rechtssätze das Fundament der Rechtsordnung sind, auf dem alles andere aufbaut, ein dringendes Interesse, auf dieser Ebene für eine strikte Durchsetzung rechtmäßiger Zustände zu sorgen und es nicht hinzunehmen, daß rechtswidrige Rechtssätze Geltung erlangen und Befolgung beanspruchen können. Da dieses Interesse der Allgemeinheit, ihre Rechtsordnung nicht mit rechtswidrigen Rechtssätzen zu belasten, grundsätzlich vorrangig ist, kommt ein die Nichtigkeitsfolge vermeidender Vertrauensschutz eines durch den Rechtssatz Begünstigten in der Regel nicht in Betracht. Daraus erklärt sich das Nichtigkeitsdogma bei Rechtssätzen. Bei weniger gravierenden 195 Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 70 Rn. 36; Voßkuhle, Die Verwaltung 1996, 527 ff.; vgl. auch Maurer, DÖV 1993, 193 f. 196 Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 70 Rn. 36. 197 Vgl. BVerwG, DVBl. 1984, 192, 193; NJW 1984, 2113, 2114; NVwZ 1984, 101, 102; 1998, 1061, 1062; Ossenbühl, NJW 1986, 2807; Schnapp, VerwArch 1987, 434; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 40.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 829 Rechts verstoßen vor allem untergesetzlicher Rechtssätze allerdings hat der Gesetzgeber verschiedentlich doch ein schutzwürdiges Vertrauen anerkannt und teils in dessen Interesse, teils auch zugunsten der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung das Nichtigkeitsdogma durchbrochen und Unbeachtlichkeitsklauseln sowie Heilungsmöglichkeiten geschaffen. Damit wird zugleich dem Umstand Rechnung getragen, daß Rechtssätze nicht alle dieselbe individual· und grundrechtsschützende Bedeutung besitzen198 und ihnen auch unter den Aspekten etwa des Demokratie- oder des Rechtsstaatsprinzips unterschiedliches Gewicht zukommen kann. Die Störung, die der Rechtsordnung durch rechtswidrige Rechtssätze widerfährt, hängt ihrem Ausmaße nach davon ab, welche Individual- oder Gemeinwohlinteressen in welchem Maße verletzt sind, und von daher ist es durchaus sachgerecht, wenn der Gesetzgeber auch für Rechtssätze ein differenzierendes Fehlerfolgensystem vorsieht 199 . Die besonders weitgehenden Heilungs- und Unbeachtlichkeitsklauseln der §§214 ff. BauGB betreffen bezeichnenderweise Rechtssätze, die, wie bereits die ergebnislos geführte frühere Debatte um die Rechtsnatur von Bebauungsplänen - Verwaltungsakt oder Satzung?200 - zeigt, ihrem Inhalt nach eine besondere Ähnlichkeit mit Allgemeinverfügungen und damit Verwaltungsakten aufweisen 201. Zwar hat sich der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 BauGB für die Klarstellung entschieden202, daß Bebauungspläne als Satzungen zu erlassen sind. Hierdurch ist jedoch ihre wesensmäßige Verwandtschaft zu Allgemeinverfügungen nicht entfallen, und von daher nimmt es nicht wunder, daß der Gesetzgeber gerade in bezug auf derartige Satzungen das Nichtigkeitsdogma in einer Weise eingeschränkt und relativiert hat, die in ihren Konsequenzen deutliche Parallelen zu den für Verwaltungsakte typischen Fehlerfolgen aufweist 203 . Diese Wesensverwandtschaft 204 schien gerade jüngst wieder auf, indem der Ge198

Lemmel, in Berliner Komm BauGB, § 214 Rn. 1; Ossenbühl, NJW 1986, 2811 f. Vgl. Bielenberg, in Emst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, vor § 214 (42. Lfg. 1990) Rn. 44; Lemmel, in Berliner Komm BauGB, § 214 Rn. 1. 200 Vgl. zu dieser Diskussion Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 309 ff. 201 Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 214 (26. Lfg. 1994) Rn. 16; Gaentzsch, in Berliner Komm BauGB, § 10 Rn. 1. Der von Ossenbühl, NJW 1986, 2812 betonte „Strukturunterschied zwischen Norm und Einzelakt" wird durch die in mancher Hinsicht dazwischen stehenden Allgemeinverfügungen relativiert. 202 Zur Definitionsbefugnis des Gesetzgebers im „Grenzbereich" von Verwaltungsakt und Rechtssatz vgl. BVerwGE 11, 14, 16; 70, 77, 82; VGH München, NVwZ-RR 1995, 114, 115; Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42 Rn. 58; Meyer/Borgs, VwVfG, § 35 Rn. 65; a.A. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 310. 203 Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 214 (26. Lfg. 1994) Rn. 16; Gaentzsch, in Berliner Komm BauGB, § 10 Rn. 1. 204 Zu dieser Parallele ausdrücklich Bericht der Expertenkommission zur Novellierung des BauGB, Rn. 114. Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 310 sah gar eine derartige Inhaltsgleichheit zwischen Bebauungsplänen und Planfeststellungsbeschlüssen, daß er 199

8 3 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten setzgeber in Übernahme der entsprechenden Fehlerfolgenregelung bei Planfeststellungsbeschlüssen durch § 215a Abs. 1 BauGB die für Rechtssätze untypische und neuartige Fehlerfolge der schwebenden Unwirksamkeit auch für bauplanungsrechtliche Satzungen eingeführt hat. Während solche Durchbrechungen des Nichtigkeitsdogmas bei Rechtssätzen gleichwohl die Ausnahme bleiben, verhält es sich anders bei Verwaltungsakten, Gerichtsentscheidungen und öffentlich-rechtlichen Verträgen. Bei diesen gewinnt der Gedanke der Rechtssicherheit im Einzelfall, bei Verträgen auch des Einverständnisses der Vertragspartner 205, ein deutlich größeres Gewicht gegenüber dem Anliegen, nur rechtmäßigen Rechtsakten Wirksamkeit zuzubilligen. Dementsprechend ist bei derartigen Rechtsakten die Nichtigkeitsfolge wiederum nur bei besonders qualifizierten Rechtsverstößen vorgesehen. Dabei variieren freilich die Voraussetzungen für die Annahme der Nichtigkeit in Abhängigkeit von dem vorausgegangenen Verfahren sowie dem in die Wirksamkeit des Rechtsaktes gesetzten Vertrauen. Dem Vertrauensgedanken kommt zunächst bei Verträgen ein besonders großes Gewicht zu, und deshalb ist die behördliche oder gerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen, aber nicht nichtigen öffentlich-rechtlichen Vertrages ausgeschlossen. Wer freiwillig einen Vertrag schließt, der begründet bei seinem Vertragspartner ein schutzwürdiges Vertrauen in die Einhaltung des Vertrages 206 , zumal dann, wenn der andere bereits Dispositionen im Hinblick auf den Vertrag getroffen haben sollte, und deshalb wäre es nicht angängig, wenn sich eine Partei wieder einseitig von dem Vertrag lösen könnte (das Recht, einvernehmlich einen Aufhebungsvertrag zu schließen, bleibt davon natürlich unberührt). Erfordernisse des Vertrauensschutzes auch auf Seiten der öffentlichen Hand und der Rechtssicherheit haben daher den Gesetzgeber abgehalten, einen Aufhebungsanspruch für rechtswidrige öffentlich-rechtliche Verträge vorzusehen. Vergleichbare Vertrauensschutzgedanken spielen bei Verwaltungsakten und Gerichtsentscheidungen keine Rolle. Diese stehen einem öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht gleich, da sie von der Behörde bzw. dem Gericht einseitig erlassen werden, ohne daß das Einverständnis des Betroffenen eine Rolle spielte. Daß der Adressat der Entscheidung oder ein Dritter in deren Bestand vertrauen mag, ist natürlich möglich, aber eine ganz andere Fragestellung. Auf der Seite der Behörde oder des Gerichts jedenfalls gibt es kein anerkennenswertes Verihre unterschiedliche Klassifizierung als Satzung einer- bzw. Verwaltungsakt andererseits als „widerspruchsvolle Regelung" des Gesetzes ablehnte. 205 Knack/Henneke, VwVfG, § 59 Rn. 1.1; Kopp, VwVfG, § 59 Rn. 2. 206 Zur Legitimation der gesetzlichen Auferlegung vertraglicher Rechtspflichten durch Vertrauens- und Rechtssicherheitserfordernisse Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 241 f.; vgl. hierzu auch oben C.III.ó.b.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 831 trauen in den Bestand ihrer Entscheidungen, und deshalb ist es stimmig, wenn bei Verwaltungsakten und (nicht letztinstanzlichen) Gerichtsentscheidungen im Unterschied zu öffentlich-rechtlichen Verträgen bei Fehlerhaftigkeit Aufhebungsmöglichkeiten gegeben sind. Freilich sind diese nicht generell bei jeder bloß objektivrechtlichen Rechtswidrigkeit vorgesehen, sondern als zusätzliche Voraussetzung durch eine subjektive Rechtsverletzung bedingt. Dies ist insofern berechtigt, als die Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit und der Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes nur greifen können, wenn ein konkreter Bezug der Rechtswidrigkeit des fraglichen Aktes gerade zu den Rechten des Betroffenen besteht, während es bei bloß objektiven Rechts Verstößen eben der Entscheidung der zur Wahrnehmung der Allgemeininteressen berufenen Stellen obliegen muß, was mit dem rechtswidrigen Akt geschehen soll, und es nicht angezeigt ist, ein einzelnes Rechtssubjekt sich zum Verteidiger des Allgemeinwohles aufschwingen zu lassen207. Für die Dauer der Anfechtungs- bzw. Rechtsmittelfrist wird so der Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns im Einzelfall Vorrang vor der Rechtssicherheit eingeräumt, wohingegen mit Eintritt der formellen Bestands- bzw. Rechtskraft die Rechtssicherheit sowie der Schutz des Vertrauens anderer Betroffener in den Vordergrund treten, so daß fortan kein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts oder der Gerichtsentscheidung mehr besteht. Immerhin kann aber bei Verwaltungsakten die Behörde, wenn dem Rechtssicherheitsaspekt und den Belangen Dritter in concreto kein überwiegendes Gewicht zukommt, nach ihrem Ermessen den rechtswidrigen Verwaltungsakt zurücknehmen. Eine Rücknahme gemäß § 48 VwVfG ist auch bei Planfeststellungsbeschlüssen möglich 208 ; die Aufhebungsvorschrift des § 77 VwVfG betrifft lediglich die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses infolge einer endgültigen Aufgabe eines Vorhabens, mit dessen Durchführung begonnen worden ist (sogenanntes steckengebliebenes Vorhaben 209 ), und schließt den Rückgriff auf die allgemeinen Aufhebungsbestimmungen nicht aus. Freilich wird das schutzwürdige Vertrauen des Vorhabenträgers die Rücknahme eines bestandskräftigen Planfest-

207 Zur Bedeutung der Abgrenzung von objektivem und subjektivem Recht für das Bestehen einer Opportunitätskontrolle näher oben F.I.4.c.bb. 208 BVerwG, DVB1. 1989, 509, 510; UPR 1997, 465, 466; VGH Mannheim, UPR 1988, 77, 78; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §72 Rn. 130; Knack/Busch, VwVfG, § 77 Rn. 2.3.2; Kopp, VwVfG, § 77 Rn. 2; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 43 Rn. 17 f.; a.A. VGH Kassel, DVB1. 1992, 1446; offen noch BVerwGE 91, 17, 22. 209 BVerwG, UPR 1997, 465, 466; Bonk, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 77 Rn. 2.

8 3 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Stellungsbeschlusses allenfalls in besonderen Ausnahmefällen gestatten, und einem Widerruf so gut wie immer entgegenstehen210. Für den Gesetzgeber ist nach alledem ersichtlich die Folgenabwägung entscheidend, welche Konsequenzen die Anordnung einer bestimmten Fehlerfolge in Ansehung eines bestimmten Rechtsaktes hätte 211 . Genauer geht es hier um die Abwägung der materiellen Rechtsrichtigkeit mit den Bedürfnissen der Rechtssicherheit. Jede ipso iure eintretende Nichtigkeit eines Rechtsaktes, auf die sich jeder jederzeit ohne vorherige Vernichtung des betreffenden Rechtsaktes durch behördlichen oder gerichtlichen Spruch berufen kann, trägt eine nicht unerhebliche Gefährdung der Rechtssicherheit in sich. Gleichwohl muß bei bestimmten besonders gravierenden Verstößen gegen das Recht eine Nichtigkeit ipso iure gegeben sein, insofern es rechtsstaatlich unerträglich wäre, solchen Rechtsakten irgendeine rechtliche Anerkennung und Wirkung zukommen zu lassen. Vielmehr muß sich hier jedermann zu jeder Zeit auf die Unwirksamkeit eines solchen Rechtsaktes berufen können. Hier scheint „der mit der Nichtigkeit verbundene Gedanke des unbefristeten Rechtsschutzes"212 durch: Gleich, ob der Betroffene nie eine Anfechtungsmöglichkeit hatte oder ob er diese ungenutzt verstreichen ließ, es gibt Rechtsverstöße, die so schwer wiegen, daß die Rechtsordnung nicht auf der Beachtung des rechtswidrigen Rechtsaktes insistieren kann. Bei minder gravierenden Rechtsverstößen verhält es sich anders. Hier muß es im Interesse der Rechtssicherheit genügen, daß durch staatliche Rechtsaufsichtsmöglichkeiten und - bei Verletzung subjektiver Rechte - auf gerichtlichem Wege eine hinreichend effektive Möglichkeit zur Beseitigung des Rechtsverstoßes gegeben ist. Eine ohne vorherigen behördlichen oder gerichtlichen Spruch von allen jederzeit anzuführende Nichtigkeit würde eine Unsicherheit schaffen, die einem geordneten Zusammenleben der Bürger und den Funktionieren des Staatswesens abträglich wäre 213 , ohne durch Erfordernisse der Rechtsrichtigkeit legitimiert zu sein. Bei nicht besonders schweren Rechtsverstößen kann und muß daher „der mit der Nichtigkeit verbundene Gedanke des unbefristeten Rechtsschutzes ... hinter das befristete Anfechtungsrecht zurücktreten" 214 . Jenseits besonders gravierender Rechtsverstöße ist es vielmehr jedem Rechtssubjekt grundsätzlich zuzumuten, zunächst einmal hoheitliche Rechtsakte zu respektieren und sich, falls er sie für rechtswidrig hält, auf die behördlichen und gerichtlichen Rechtsbehelfe verweisen zu lassen.

210

BVerwG, UPR 1997, 465, 467: nur als ultima ratio. Vgl. Bericht der Expertenkommission zur Novellierung des BauGB, Rn. 103. 212 BVerwGE 23, 237, 238. 213 Vgl. PrOVGE 97, 95, 99 f.: keine Ausdehnung der Nichtigkeitsgründe „wegen der Hochwertigkeit und allgemein öffentlichen Bedeutsamkeit von Hoheitsakten". 214 BVerwGE 23, 237, 238. 211

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 833 Der oftmals als Grundsatz angeführte Satz, daß ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trage 215 , drückt bei rechtem Verständnis keine normative oder gar empirische Vermutung aus 216 , daß der hoheitliche Rechtsakt mutmaßlich gültig sei, solange diese „Vermutung" nicht in einem entsprechenden Verfahren ausgeräumt oder widerlegt worden ist 217 . Basierend auf der Erkenntnis, daß es im Interesse sowohl des Staates als auch der Bürger notwendig ist, daß hoheitliche Rechtsakte grundsätzlich gültig und nur aus zwingenden Gründen nichtig sind, bedeutet er vielmehr, daß jeder hoheitliche Rechtsakt wirklich gültig ist, es sei denn, er litte an einem das Gültigkeitsinteresse überwiegenden besonders schweren Fehler. Keinen Beifall verdient es allerdings, wenn hierüber hinaus unter Hinweis auf Rechtsinstitute wie die Teilnichtigkeit von Gesetzen und Rechtsgeschäften, die verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung sowie die Umdeutung gar ein „Gedanke der Erhaltung von fehlerhaften Rechtsakten" als „leitender Gedanke unserer Rechtsordnung" behauptet wird 2 1 8 . Es mag zwar für bestimmte Arten planerischer Rechtsakte sinnvoll sein, einen Grundsatz der Planerhaltung zu postulieren 219. Ein „Rechtsgrundsatz der Rechtserhaltung auch bei Fehlerhaftigkeit eines Rechtsakts" in allgemeiner Form ist jedenfalls abzulehnen. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob ein Rechtsakt durch entsprechende Auslegung schon vor dem Verdikt der Rechtswidrigkeit überhaupt bewahrt bzw. ob ein rechtswidriger Rechtsakt durch Reduktion oder Teilnichtigkeit auf einen rechtmäßigen Kern zurückgeführt respektive durch Umdeutung in ein rechtmäßiges aliud übergeführt werden kann - denn in all diesen Fällen kommen gerade keine rechtswidrigen Rechtsakte zur Anwendung - , oder ob ein rechtswidriger Rechtsakt durch Präklusions- und Unbeachtlichkeitsvorschriften lediglich gegen seine Aufhebung oder Außerachtlassung immunisiert wird und infolgedessen 215 BVerwGE 1, 67, 69; 23, 237, 238; BVerwG, NVwZ 1998, 1061, 1062; BFH, NVwZ 1982, 216; ebenso bereits PrOVGE 81, 268, 273; 97, 95, 99; desgleichen EuGH, NJW 1987, 3074, 3075 für das Gemeinschaftsrecht; aus der Literatur etwa Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 131 f.; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 115 f.; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 41; Stumpf, BayVBl. 2000, 107. 216 Vgl. Bettermann, in GS W. Jellinek, S. 379. 217 Nicht überzeugend daher BVerwG, DVB1. 1999, 1034, 1036, soweit darin unter Anführung des Grundsatzes, das geschriebene Recht habe die Vermutung der Gültigkeit für sich, begründet wird, weshalb davon auszugehen sei, daß dem Kläger „in tatsächlicher Hinsicht" die „wahre Rechtslage nicht bewußt" gewesen sei - ob der Betroffene bezüglich der Rechtslage in einem (unverschuldeten) Irrtum war, hängt von deren Komplexität, Unüberschaubarkeit und Ungeklärtheit ab, der Vermutungssatz trägt hierzu nichts bei. Gegen ein Verständnis dieser Vermutung als „echte Beweisvermutung" auch Rupp, Grundfragen, S. 57 Rn. 119. 218 So Bericht der Expertenkommission zur Novellierung des BauGB, Rn. 103 ff. 219 Battis, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, vor § 214 Rn. 1; Bericht der Expertenkommission zur Novellierung des BauGB, Rn. 102.

55 Roth

8 3 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten mit seinem rechtswidrigen Regelungsgehalt zur Anwendung kommt. Bei korrekter Betrachtung geht es in diesen letzteren Fällen also gar nicht um „Rechtserhaltung", sondern vielmehr im Gegenteil um Unrechtserhaltung, nämlich um die Anwendung eines Rechtsaktes (z.B. einer Rechtsnorm oder eines Verwaltungsakts) trotz seiner Rechtswidrigkeit. Dies kann jedoch in einem Rechtsstaat ersichtlich nur aus besonderen Gründen ausnahmsweise in Betracht kommen, niemals aber einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellen. Von einem allgemeinen Gedanken oder Rechtsgrundsatz der „Erhaltung von fehlerhaften Rechtsakten" zu sprechen, ist außerdem insofern höchst mißverständlich, als dies den Eindruck zu erwecken geeignet ist, dieser Erhaltung komme eine Art Selbstzweckhafiigkeit zu. Tatsächlich sind aber lediglich Anliegen wie Einzelfallgerechtigkeit, Rechtssicherheit, Vertrauensschutz, Funktionsfähigkeit der Verwaltung etc. rechtsstaatlich valide Primärziele. Die „Erhaltung eines fehlerhaften Rechtsaktes" mag mitunter als Resultat der (gesetzgeberischen) Abwägung dieser Prinzipien angeordnet werden, kann aber nicht als eigenständiges Anliegen betrachtet und um seiner selbst willen akzeptiert werden. Tatsächlich stellt denn auch die „Erhaltung" fehlerhafter hoheitlicher Rechtsakte eher die Ausnahme dar. Fehlerhafte hoheitliche Rechtsakte sind zwar nach dem Gesagten, wenn sie nicht gerade an besonders schweren Mängeln leiden, zunächst in der Tat wirksam. „Erhalten" werden sie aber nur im Falle besonderer Unbeachtlichkeitsklauseln, grundsätzlich sind sie hingegen durch behördliche oder gerichtliche Entscheidung aufhebbar. Ob eine zur Nichtigkeit fuhrende besonders schwere Fehlerhaftigkeit vorliegt oder lediglich eine die Aufhebbarkeit begründende gewöhnliche Fehlerhaftigkeit, ist nun natürlich eine mitunter schwierige Abgrenzungsfrage, da das Kriterium der „besonderen Schwere" des Fehlers alles andere als präzise ist. Immerhin geben die vom Gesetzgeber explizit als Nichtigkeitsgründe spezifizierten respektive umgekehrt als Nichtigkeitsgründe ausgeschlossenen Fehler (vgl. § 44 Abs. 2 und 3, § 59 Abs. 2 VwVfG) wichtige Anhaltspunkte für seine diesbezüglichen Wertungen 220. Im übrigen ist auch die Erkenntnis einer gewissen Abhängigkeit der Nichtigkeit als Fehlerfolge von Rechtsakten von den jeweils gegebenen Möglichkeiten der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Fehlerhaftigkeit mitsamt der Möglichkeit ihrer nachträglichen Aufhebung bedeutsam221: Die Nichtigkeit eines fehlerhaften Rechtsaktes fungiert nämlich gewissermaßen (auch) als Ersatz für eine fehlende direkte gerichtliche Angreifbarkeit desselben 222 , weil sie jedem Betroffenen die sanktionslose Ignorierung des fraglichen Rechtsaktes erlaubt, und deshalb entfällt in dem Maße, in dem gerichtlicher 220

Vgl. BVerwG, NJW 1985, 2658, 2659; Kopp, VwVfG, § 44 Rn. 6; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 107. 221 OssenbühU NJW 1986, 2807; vgl. BGHZ 142, 51, 57 f. 222 Vgl. BVerwGE 23, 237, 238.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 835 Rechtsschutz eröffnet ist, das rechtsstaatliche Bedürfnis für die Annahme der Nichtigkeit des fehlerhaften Rechtsaktes, weil solchenfalls nicht mehr die Besorgnis greift, der Rechtsverstoß müsse für den fehlerhaften Rechtsakt gänzlich folgenlos bleiben.

4. Unmittelbare Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten Soweit gesetzliche Regelungen über die Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten fehlen, und dies ist, von den oben 223 erörterten Fällen abgesehen, ganz überwiegend der Fall, ist die Herausarbeitung sinnvoller Regeln Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen 224. Bei dieser in Abwesenheit gesetzlicher Regelungen vorzunehmenden Rechtsfortbildung ist der Rechtsanwender nicht freigestellt, nach seinem rechtspolitischen Dafürhalten eigene für sinnvoll erachtete Regeln zu entwerfen. Vielmehr muß sich die Rechtsfortbildung im Interesse der Kohärenz der Rechtsordnung nach Möglichkeit an den positivrechtlichen Vorgaben ausrichten 225. Dazu ist das für Außenrechtsakte normierte Fehlerfolgensystem soweit auf Innenrechtsakte zu übertragen, wie es unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten und spezifischen Bedürfhissen der Materie möglich ist 226 . Auf welche konkrete Art dies zu erfolgen hat, ist damit noch nicht gesagt. Naheliegend wäre ein funktioneller Ansatz, welcher die unmittelbaren Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten in Entsprechung zu denen desjenigen Außenrechtsaktes, dem er seiner Funktion nach vorausgeht, bestimmt (nachfolgend a), oder der darauf abstellt, welchem Typus eines Außenrechtsaktes der betreffende Innenrechtsakt entspricht (unten b). Nachdem jedoch derartige funktionelle Parallelen nicht greifen, bedarf es letztlich einer materiellen Betrachtungsweise, welche die materiellen Erwägungen des Gesetzgebers zu übertragen unternimmt (unten c).

a) Keine Rückbeziehung der für einen Außenrechtsakt geltenden Fehlerfolgen auf den vorausgehenden Innenrechtsakt Nicht selten stellen Innenrechtsakte interne Willensentschließungsakte dar, welche auf den Erlaß von Außenrechtsakten gerichtet sind. So kann es sich etwa bei einem Gemeinderatsbeschluß um die „Willensbildung zu einem Verwaltungsakt" oder die „Willensentschließung zu einer Rechtsvorschrift" usw. han-

223 224 225 226

S. oben G.III.2.b. Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33. Vgl. hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 298 ff., 317 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 31, 47, 52 f.

8 3 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten dein 227 , wenn nämlich der Gemeinderatsbeschluß auf den Erlaß eines Verwaltungsakts, einer Satzung bzw. einer anderen gemeindlichen Rechtsnorm oder eines sonstigen Außenrechtsaktes abzielt. Von daher könnte auf den ersten Blick naheliegen, die für den jeweils angestrebten oder gar schon erlassenen Außenrechtsakt geltenden Fehlerfolgen auf die vorbereitenden internen Willensentschließungsakte zu übertragen 228. Ein solcher Ansatz vermöchte jedoch nicht zu überzeugen. Denn die Fehlerfolgen eines Rechtsaktes müssen sich nach seiner Natur richten und nicht nach der Rechtsnatur jener Akte, die er seinem Inhalt nach vorbereiten soll. So müssen etwa Gemeinderatsbeschlüsse, die denselben Fehler aufweisen, derselben Fehlerfolge unterliegen, unabhängig davon, welchem Außenrechtsakt sie vorangehen sollen. Dies gilt zumal deswegen, weil die Umsetzungsakte in bezug auf derartige Beschlüsse in nicht unerheblichem Umfang variierbar sind (insbesondere öffentlich-rechtlicher Vertrag statt Verwaltungsakt, vgl. § 54 S. 2 VwVfG) und das rechtliche Schicksal des internen Beschlusses nicht von der Zufälligkeit abhängen darf, welcher Natur der ihm nachfolgende Vollzugsakt ist oder sein soll 229 . Deshalb müssen sich zwar die Auswirkungen, welche die Rechtswidrigkeit oder gar Unwirksamkeit etwa eines Gemeinderatsbeschlusses auf den durch diesen vorbereiteten Außenrechtsakt (z.B. Satzung, Verwaltungsakt, Vertrag) hat, nach der Natur jenes Außenrechtsaktes unterscheiden 230; die Fehlerfolgen des Gemeinderatsbeschlusses selbst sind hiervon aber unabhängig und richten sich allein nach der Natur des diesem selbst anhaftenden Fehlers 231. Tatsächlich liegt insofern gewissermaßen ein Scheinproblem vor. Gewiß greifen, wenn beispielsweise ein Gemeinderatsbeschluß ausnahmsweise unmittelbar selbst einen Außenrechtsakt darstellt, für ihn ohne weiteres die für einen solchen Außenrechtsakt vorgesehenen Fehlerfolgen. So obliegt etwa der Erlaß kommunaler Satzungen und Rechtsverordnungen grundsätzlich dem Gemeinderat (§ 44 Abs. 3 S. 1 GemO BW) - anders etwa Polizeiverordnungen, die durch den Bürgermeister erlassen werden (§ 13 S. 2 PolG BW) 2 3 2 - , und deshalb unterliegt der Satzungs- oder Verordnungsbeschluß als solcher den für Rechtssätze geltenden, durch § 4 Abs. 4, 5 GemO BW modifizierten Fehlerfolgen. Desgleichen unterliegt ein Gemeinderatsbeschluß, wenn er ausnahmsweise selbst ein Verwaltungsakt ist, den für Verwaltungsakte geltenden Fehlerfolgen.

227

VGH München, BayVBl. 1959, 353; Widtmann, BayGO, Art. 51 Anm. 10. Vgl. Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 135 f., 260; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 126 ff.; in diese Richtung auch Schnapp, VerwArch 1987, 435 f. 229 Vgl. VGH München, BayVBl. 1959, 353, 354. 230 Widtmann, BayGO, Art. 51 Anm. 10. 231 Vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 184, 185. 232 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1998, 174, 175; Gern,, Kommunalrecht BW, Rn. 124. 228

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 837 In aller Regel bereitet ein Gemeinderatsbeschluß jedoch nur einen Verwaltungsakt, einen Vertrag etc. vor 233 und ist erst noch vom Bürgermeister zu vollziehen (§ 43 Abs. 1 GemO BW). Solchenfalls liegen daher bei rechter Betrachtung zwei Rechtsakte vor, nämlich der interne Gemeinderatsbeschluß, der den Bürgermeister ermächtigt oder beauftragt, einen bestimmten Außenrechtsakt zu setzen, und sodann eben jener vom Bürgermeister erlassene Verwaltungsakt, geschlossene Vertrag usw. Unterscheidet man diese beiden Rechtsakte, so leuchtet ohne weiteres ein, daß auch deren Fehlerfolgen je für sich zu betrachten sind. Gewiß besteht zwischen ihnen zumeist ein Rechtswidrigkeitsiusammenhang, weil die Rechtswidrigkeit des rechtlich notwendigen internen Willensentschließungsaktes regelmäßig den darauf basierenden Vollzugs- und Umsetzungsakt im Außenrechtsverhältnis infiziert 234 . Daß aber auch ein Wirksam^/^Zusammenhang bestünde, läßt sich nicht sagen. So ist beispielsweise zwar ein unter Beteiligung Ausgeschlossener gefaßter Ratsbeschluß nichtig 235 ; deshalb braucht aber der Verwaltungsakt, den der Bürgermeister in Vollziehung dieses Beschlusses erläßt, durchaus nicht ebenfalls nichtig zu sein (vgl. § 44 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 VwVfG). Die etwaige Nichtigkeit des vorbereitenden Innenrechtsaktes muß also keineswegs die Nichtigkeit des nachfolgenden Außenrechtsaktes zur Folge haben, vielmehr ist dessen Wirksamkeit und sind dessen Fehlerfolgen entsprechend seiner Rechtsnatur eigenständig zu bestimmen. Folglich läßt sich aber auch nicht umgekehrt von den für Außenrechtsakte geltenden Fehlerfolgen auf die bei Innenrechtsakten schließen.

b) Kohärente Rechtsfortbildung

nach dem Gedanken der Funktionsäquivalenz?

Als ein interessanter, der Leitidee jeder ergänzenden Rechtsfortbildung, nämlich die Kohärenz der Rechtsordnung zu bewahren und die Lösung gesetzlich ungeregelter Fragen stimmig in das vorhandene System einzufügen, in besonderer Weise Rechnung tragender Gedanke bietet sich an, auf die Funktionsäquivalenz der Außen- und Innenrechtsakte abzustellen. Nach diesem Ansatz sind die für einen bestimmten Außenrechtsakt konzipierten gesetzlichen Regelungen insoweit auf einen Innenrechtsakt zu übertragen, als diese beiden Akte „funktionsidentisch" sind 236 : Wenn also einem Innenrechtsakt im Innenbereich eine identische oder zumindest äquivalente Funktion zukommt wie einem bestimmten Außenrechtsakt im Außenbereich, so wären die für letzteren geltenden Fehlerfolgen rechtsfortbildend auf ersteren zu übertragen, soweit jene Regelungen nicht gerade auf spezifisch außenrechtliche Problemstellungen zugeschnitten sind, 233 234 235 236

Vgl. BVerwGE 5, 293, 298 f.; VGH München, BayVBl. 1959, 353. Vgl. VGH München, BayVBl. 1959, 353, 354. S. oben G.III.2.b.bb. Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33.

838

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

wie insbesondere dort, wo es um einen nur vom Bürger zu beanspruchenden Vertrauensschutz geht. Dabei kann es freilich nur um eine analoge oder sonst rechtsfortbildende Heranziehung der materiellrechtlichen Bestimmungen gehen; die prozessuale Behandlung richtet sich allein nach der Rechtsnatur der in Frage stehenden Maßnahme237. Die praktisch bedeutsamsten Innenrechtsakte, nämlich die Sach- und Verfahrensbeschlüsse pluralistisch zusammengesetzter Organe sowie die Entscheidungen zuständiger Organe und Organteile im Verhältnis zueinander (z.B. Geschäftsordnungs- und Verfahrensentscheidungen), unterlägen nach dieser Vorstellung den für Verwaltungsakte gesetzlich vorgesehenen Fehlerfolgen. Zwar stellen derartige Beschlüsse und Entscheidungen keine Verwaltungsakte dar, weil sie nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind (vgl. § 35 S. 1 VwVfG) 2 3 8 . Wohl aber ist beispielsweise eine Beschlußfassung, Verfahrensentscheidung, Verhängung einer Ordnungsmaßnahme etc. als „Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme" zu begreifen, die durch ein Organ oder Organteil eines Trägers öffentlicher Gewalt - ob auch „Behörde" im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG mag hier dahinstehen - getroffen wird, und die auch der Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts dient. Derartige Innenrechtsakte unterscheiden sich von Verwaltungsakten also lediglich dadurch, daß sie nur auf unmittelbare Rechtswirkung nach innen statt nach außen gerichtet sind. Insofern entspräche es einer stimmigen, in sich kohärenten Rechtsfortbildung, auf solche Innenrechtsakte die gesetzlichen Vorschriften über Verwaltungsakte soweit anzuwenden, wie diese nicht gerade auf Besonderheiten des Außenverhältnisses, insbesondere die Rechtsstellung des betroffenen Bürgers, Rücksicht nehmen. Im Ergebnis bedeutete dies, daß rechtswidrige Innenrechtsakte der genannten Art grundsätzlich nicht nichtig, sondern wirksam wären, es sei denn, sie litten an einem Rechtsmangel, der so schwer ist, daß ein entsprechender Fehler zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führen würde 239 . Übertragungsfähig wären hiernach freilich lediglich einzelne materiellrechtliche Regeln über den Verwaltungsakt; prozessual kämen mangels Verwaltungsaktseigenschaft weder Widerspruch noch Anfechtungsklage, auch kein Suspensiveffekt und kein Vorgehen nach § 80 VwGO in Betracht 240 , doch gehört die Fragestellung des Vorgehens gegen derartige Innenrechtsakte bereits in das nächste Kapitel. So überzeugend dieses Ergebnis erscheint, so fraglich ist gleichwohl seine Begründung mit dem Gedanken der Funktionsäquivalenz. Diesem Äquivalenz237

Vgl. Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33. Zur Diskussion um die Verwaltungsaktsnatur derartiger Innenrechtsakte ausführlich oben G.III.2.a. 239 BVerfGE 31, 47, 52 f.; Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33. 240 Vgl. Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33. 238

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 839 gedanken entsprechend müßten dann nämlich konsequenterweise die für Rechtssätze geltenden Fehlerfolgen auf Verwaltungsverordnungen übertragen werden, weil Verwaltungsverordnungen als in der Regel abstrakt-generellen Verhaltensanweisungen im Innenbereich - bei allen dogmatischen Unterschieden - unverkennbar eine äquivalente Funktion zukommt wie Rechtssätzen im Außenbereich. Rechtswidrige Verwaltungsverordnungen müßten daher unter Heranziehung des Nichtigkeitsdogmas in aller Regel als nichtig erachtet werden 241 . Dem steht jedoch entgegen, daß Verwaltungsverordnungen ihrer Natur nach trotz ihres abstrakt-generellen Inhalts keine Rechtssätze, sondern hierarchische Weisungen sind 242 und daher deren Fehlerfolgen unterliegen müssen243. Wenn nun konkret-individuelle hierarchische Weisungen im Falle ihrer Rechtswidrigkeit grundsätzlich - d.h. von einigen besonders schweren Verstößen abgesehen - bindend sind 244 , so ist nicht ersichtlich, weshalb dann bei abstrakt-generellen hierarchischen Weisungen in Gestalt von Verwaltungsverordnungen Fehlerfolge grundsätzlich die Nichtigkeit sein soll. Demgegenüber geht etwa Jarass davon aus, daß alle rechtswidrigen Verwaltungsvorschriften nichtig seien und lediglich dem angewiesenen Amtswalter die diesbezügliche eigenständige Verwerfungskompetenz fehle, weshalb er zwar Remonstration zur vorgesetzten Stelle erheben könne, die Verwaltungsverordnung aber nach erfolgter Bestätigung befolgen müsse, es sei denn, die ihm aufgetragene Handlung sei erkennbar strafbar oder ordnungswidrig bzw. verstoße gegen die Menschenwürde 245. Nun ist zwar allerdings richtig, daß nicht jedem Organ stets eine umfassende Kompetenz zukommen muß, die Rechtswidrigkeit oder gar Nichtigkeit eines Aktes amtlich zur Kenntnis zu nehmen und selbst Folgerungen aus dieser Erkenntnis zu ziehen 246 . Im vorliegenden Zusammenhang erscheint diese Konstruktion jedoch nicht hilfreich, da sie der Sache nach eine der Rechtsordnung sonst nicht bekannte Differenzierung zwischen „einfacher" und „qualifizierter" Nichtigkeit einführt: eine „einfach" rechtswidrige Weisung ist danach zwar nichtig, muß aber nach Bestätigung befolgt werden, eine gegen Straf- und Ordnungswidrigkeitengesetze oder die Menschenwürde verstoßende Weisung ist ebenso nichtig, muß und darf aber auch nach Bestätigung nicht befolgt werden. Dieser Unterschied läßt sich nur begründen, wenn 241

Hierfür etwa Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 141; Hufen, Fehler, Rn. 491; Jarass, JuS 1999, 106, 107. 242 S. hierzu oben C.III.4.e. 243 Vgl. Jacobi, HdbDStR II, S. 263. 244 Vgl. hierzu oben C.III.6. und G.III.2.b.aa. 245 Jarass, JuS 1999, 106. 246 Zu der gebotenen Unterscheidung dogmatischer und kompetentieller Sichtweisen, namentlich den aus Kompetenzgründen beschränkten Prüfungs- und Verwerfungsbefugnissen bei Gerichten näher Roth, AöR 121 (1996), 561 ff.

8 4 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten man in letzterem Falle eine irgendwie qualifizierte Nichtigkeit annimmt und behauptet, die „Verwerfungskompetenz" des angewiesenen Beamten erfasse nur Fälle „qualifizierter Nichtigkeit", nicht jedoch Fälle „einfacher Nichtigkeit". Vor allem aber ist der Gleichklang von hierarchischer Weisung und Bestätigung derselben zu beachten: Wenn eine hierarchische Weisung rechtswidrig ist, dann muß auch ihre Bestätigung durch den Vorgesetzten rechtswidrig sein; und wenn eine hierarchische Weisung nichtig ist, dann ist auch ihre Bestätigung nichtig. Wenn nun nach Jarass jede rechtswidrige VerwaltungsVerordnung nichtig ist, dann müßte deshalb auch ihre Bestätigung notwendig nichtig sein. Das widerspricht aber seiner Annahme, der Beamte könne in bestimmten Fällen verpflichtet sein, die bestätigte Verwaltungsverordnung zu befolgen. Denn wie ein Beamter rechtlich verpflichtet sein soll, eine in nichtiger Weise bestätigte nichtige Anordnung zu befolgen, ist nicht nachvollziehbar und in der Rechtsordnung jedenfalls ohne Beispiel. Letztlich würde eine solche Konstruktion dem materiellen Anliegen der Rechtsfigur der Nichtigkeit nicht gerecht, welches gerade darin besteht, jedem jederzeit die Berufung auf die Unwirksamkeit des fraglichen Aktes zu gestatten247; dieser Grundsatz sollte nicht dadurch aufgeweicht werden, daß einem Akt zwar das Etikett „nichtig" angeheftet wird, dann jedoch die damit eigentlich verbundenen Konsequenzen verneint werden. Daher ist mit der herrschenden Meinung davon auszugehen, daß nur die genannten qualifizierten Rechtsverstöße eine hierarchische Weisung - samt ihrer Bestätigung überhaupt nichtig machen und diese deshalb nicht zu befolgen ist, während sonstige Rechtsverstöße die Gültigkeit der hierarchischen Weisung und damit auch ihrer Bestätigung unberührt lassen. Hiernach sind auch rechtswidrige Verwaltungs Verordnungen grundsätzlich gültig 248 . Nur wenn sie an einem besonders schweren Fehler leiden (Verstoß gegen Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften, Verletzung der Menschenwürde), sind sie unter denselben Voraussetzungen wie hierarchische Einzelweisungen nichtig und unverbindlich. Danach lassen sich aber Verwaltungsverordnungen trotz ihres den Rechtssätzen vergleichbaren abstrakt-generellen Inhalts nicht dem für diese geltenden Nichtigkeitsdogma unterwerfen. Daraus folgt jedoch, daß die Funktionsäquivalenz nicht das ausschlaggebende Kriterium für die Fehlerfolgenbestimmung sein kann, weil sie trotz eines interessanten Kernes letztlich doch zu schematisch wirkt.

247 248

Zu dieser Bedeutung der Nichtigkeit oben G.III.3.a. Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 881.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 841 c) Die gesetzgeberischen Wertungen bezüglich der Nichtigkeitsfolge Nachdem sich die unmittelbaren Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten weder durch ihre Rückbeziehung auf die etwaigen ihnen nachfolgenden Umsetzungsund Vollzugsakte noch nach dem Kriterium ihrer funktionellen Äquivalenz zu Außenrechtsakten bestimmen lassen, ist es nötig, sie aus dem Wesen und der Funktion der Innenrechtsakte selbst herauszuentwickeln. Der Vergleich mit den gesetzlich geregelten Fehlerfolgen namentlich bei Außenrechtsakten spielt dabei insofern eine maßgebliche Rolle, als - wie bei jeder Rechtsfortbildung - die hinter den gesetzlich statuierten Fehlerfolgen zu erkennenden gesetzgeberischen Wertungen zu beachten sind und die hinter jenen Regelungen stehende gesetzgeberische Prinzipienabwägung auf die Behandlung des jeweils in Frage stehenden rechtswidrigen Innenrechtsaktes zu übertragen ist. In der Tat haben ja die Analyse der gesetzlichen Fehlerfolgen bei Außenrechtsakten und die Betrachtung der wenngleich eher sporadischen gesetzlichen Regelung der Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten ein gleichermaßen umfassendes wie differenziertes Bild von den für die Fehlerfolge maßgeblichen gesetzgeberischen Wertungen ergeben, die nunmehr auf die Problematik der Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten rechtsfortbildend zu übertragen sind. Eben deshalb war es so wichtig, sich die Systematik der gesetzlichen Regelungen zu vergegenwärtigen und sich als Ausgangspunkt die verschiedenen Rechtsstaatsaspekte in Erinnerung zu rufen, die hinter den jeweiligen gesetzlichen Fehlerfolgen stehen249. Gewiß ist die nachzuvollziehende Abwägung der unterschiedlichen rechtsstaatlichen Anforderungen einigermaßen abstrakt und deshalb die Rechtsanwendung mit einer nicht unerheblichen Unsicherheit behaftet. Andererseits lassen sich doch eine Reihe von Gesichtspunkten herausarbeiten, die diese Unsicherheit reduzieren und so die Entwicklung eines praktikablen Systems ermöglichen. So sind namentlich Regelungen, die vornehmlich dem Vertrauensschutz des Bürgers in seinem Verhältnis zum Staat dienen, nicht auf Innenrechtsakte zu übertragen 250, weil staatliche Organe in ihrem Verhältnis zueinander grundsätzlich keinen Vertrauensschutz beanspruchen können 251 . Alle Träger öffentlicher Gewalt und ihre Organe sind nämlich nach dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verpflichtet, nach Möglichkeit rechtmäßige Zustände herbeizuführen und sich der Herbeiführung derartiger rechtmäßiger Zustände nicht zu

249

S. oben G.III.2. und 3. Meyer/Borgs, VwVfG, § 43 Rn. 33. 251 BVerwGE 23, 25, 30 f.; 27, 215, 217 f.; 60, 208, 211; OVG Münster, NVwZ VwVfG, §48 Rn. 8.2.3; Sachs, in Stelkens/Bonk/ 1985, 118, 119; Knack/Klappstein,, Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 142; für besondere Ausnahmefälle anders VGH Mannheim, NVwZ 1991, 79, 80; OVG Münster, DVBl. 1997, 1286, 1287; Kopp, VwVfG, §48 Rn. 51. 250

8 4 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten widersetzen, und sie können sich daher nicht auf ein Vertrauen in den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustandes berufen 252. Nun wird gelegentlich vertreten, interne Beschlüsse und Entscheidungen ohne Außenwirkung müßten im Falle ihrer Rechtswidrigkeit schon mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich nichtig sein, weil die „Rechtsrichtigkeit ... grundsätzlich Vorrang [habe] vor Erwägungen der Rechtssicherheit und der Verwaltungseffizienz, mit welchen die Wirksamkeit von Beschlüssen trotz Rechtswidrigkeit zu rechtfertigen wäre"; ein anderes gelte nur, wenn der Gesetzgeber dieses „Vorrangverhältnis" ändere 253. In dieser allgemeinen Form kann dieser Ansicht indessen nicht zugestimmt werden. Es ist unzutreffend, daß die Nichtigkeit die Regelfolge der Rechtswidrigkeit sein müsse, solange der Gesetzgeber nicht dieses „Vorrangverhältnis" geändert habe. Eine derartige rechtsstaatliche Vermutung oder Regelfolge gibt es nicht. Vielmehr ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, „einen solchen Widerstreit bald nach der Seite der Rechtssicherheit, bald nach der Seite der materiellen Gerechtigkeit hin zu entscheiden"254. In diesem Rahmen kann der Gesetzgeber die für sinnvoll erachteten Fehlerfolgen festlegen, und dies hat er ja, wie in der vorigen Kapiteln gesehen, in differenzierender Weise getan. Sofern er von einer solchen Bestimmung abgesehen hat, erwächst nicht etwa aus dem Rechtsstaatsprinzip eine Regelfolge der Nichtigkeit. Vielmehr bedarf es dann einer nach den Regeln der Auslegungs- und Rechtsfortbildungskunst vorzunehmenden Ermittlung der Fehlerfolgen, und hierbei sind zur Wahrung der Kohärenz der Rechtsordnung maßgeblich die aus den bestehenden gesetzlichen Regelungen hervorscheinenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen zugrunde zu legen. Die Annahme, jede Rechtswidrigkeit eines Innenrechtsaktes müsse grundsätzlich dessen Nichtigkeit zur Folge haben, basiert stillschweigend auf einem in dieser Weise überhaupt nicht bestehenden Entweder-Oder von Rechtsrichtigkeit und Rechtssicherheit, und übersieht, daß sich beide elementaren rechtsstaatlichen Erfordernisse 255 in weitestem Umfang gleichzeitig realisieren lassen. Es ist hier die bereits erwähnte Abhängigkeit der Nichtigkeit eines Rechtsaktes als Fehlerfolge von der Möglichkeit gerichtlicher Rechtskontrolle nebst nachträglicher Aufhebung des Rechtsaktes in Erinnerung zu rufen 256 . In Zeiten, in denen die gerichtliche Anfechtung interner Beschlüsse etc. infolge des Enumerationsprinzips ausschied oder in denen eine gerichtliche Überprüfung derselben infolge gewisser (wenngleich nicht selten auf Mißverständnissen beruhender) Imper252

BVerwGE 60, 208, 211. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 501; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 272; ebenso Papier, DÖV 1980, 299. 254 BVerfGE 3, 225, 237. 255 Vgl. BVerfGE 3, 225, 237. 256 S. oben G.III.3.f. 253

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 843 meabilitätsvorstellungen immerhin zweifelhaft sein mochte, konnte allerdings eine verhältnismäßig umfängliche Nichtigkeitsauffassung nicht ausbleiben. Hierin bestand die einzige Möglichkeit, Rechtsverstöße trotz Unanrufbarkeit der Gerichte nicht praktisch folgenlos sein zu lassen. Erkennt man aber nunmehr an, daß Organstreitigkeiten in weitesten Umfang gerichtlicher Entscheidung zugeführt werden können 257 , so entfällt dieser gewichtige rechtsstaatliche Antrieb für eine Nichtigkeitsdoktrin. Vielmehr wird es nunmehr möglich, die Frage der Nichtigkeit differenzierter zu beantworten und auf die konkrete Lage zu beziehen. Nichtigkeit als Fehlerfolge ist dann nicht mehr die einzige Möglichkeit zur Sicherung rechtsstaatlicher Zustände, sondern lediglich eine drastische Form bei besonders schweren Rechtsverstößen, während bei Fehlern geringeren Gewichtes andere Fehlerfolgen in Betracht zu ziehen sind. Zweifellos ist das Ziel der „Rechtsrichtigkeit" ein überaus hohes rechtsstaatliches Gut. Indessen lassen sich rechtmäßige Zustände eben nicht nur und oft nicht einmal am besten durch die Annahme einer ipso iure eintretenden Nichtigkeit rechtswidriger Rechtsakte verwirklichen oder erreichen. Die Annahme einer ipso iure-Nichtigkeit rechtswidriger Rechtsakte bedeutete ja mitnichten, daß es dann keine Ungewißheiten mehr über die Rechtslage geben würde. In den weitaus meisten Streitfällen streiten sich die Beteiligten ja nicht etwa um die Fehler/o/ge - Nichtigkeit oder Aufhebbarkeit - , sondern vielmehr darum, ob überhaupt ein rechtlich relevanter Fehler vorliegt, der zum Verdikt der Rechtswidrigkeit der umstrittenen Maßnahme führt. Selbst unter der Annahme von Nichtigkeit als regelmäßiger Fehlerfolge entfiele deshalb nicht die Notwendigkeit einer gerichtlichen Streitentscheidung, auch wenn diese solchenfalls regelmäßig lediglich auf die Feststellung entweder der Gültigkeit oder der Nichtigkeit hinausliefe. Es genügt nicht, einen rechtmäßigen Zustand allein de iure herbeizuführen, sondern er muß auch für die Beteiligten praktisch als ein solcher erkennbar sein, und dies ist nach unserer Rechtsordnung nur durch einen autoritativen Spruch der Gerichte möglich, denen die verbindliche Entscheidung aller Rechtsstreitigkeiten überantwortet ist (Art. 92 GG). „Rechtsrichtigkeit" ohne einen die wirkliche Rechtslage im Streitfall klärenden Spruch eines Gerichts bleibt de facto zunächst immer nur eine Behauptung, Recht zu haben. Bedarf es danach aber bei Streitigkeiten und Zweifeln ohnehin einer gerichtlichen Entscheidung,, so zeigt sich schon daran, daß die Annahme einer gerichtlichen Aufhebbarkeit als Fehlerfolge zur Garantie von Rechtsrichtigkeit nicht minder geeignet ist wie die Annahme einer ipso iure eintretenden Nichtigkeit, der zur Beendigung des Streites doch auch erst noch eine gerichtliche Feststellung nachfolgen muß.

257

S. oben E.III.4.

8 4 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Der Nichtigkeit deutlich überlegen ist die Fehlerfolge der Vernichtbarkeit jedenfalls in bezug auf die Rechtssicherheit und die Effektivität der Verwaltung 258 . Im Anwendungsbereich einer Nichtigkeitsdoktrin obläge es bis zum Ergehen einer die Nichtigkeit bzw. Wirksamkeit des Rechtsaktes aussprechenden Gerichtsentscheidung jedem Rechtssubjekt selbst, wie es zu verfahren gedenkt, denn nichtige Rechtsakte können von jedem einfach ignoriert werden. Wenn die Beteiligten aber schon über das Vorliegen eines Fehlers streiten und ein Beteiligter nicht nur die Fehlerhaftigkeit, sondern gar die Nichtigkeit des umstrittenen Rechtsaktes behauptet, so kann dies in der konkreten Situation zu einem unlösbaren Konflikt führen, in dem sich nicht notwendig derjenige durchsetzt, der Recht hat, sondern derjenige, der sich ungeachtet des Irrtumsrisikos nicht scheut, seine Rechtsauffassung notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Die Fehlerfolge der bloßen Vernichtbarkeit hat dagegen eine beachtliche ordnungsstiftende Wirkung, weil hier der Rechtsakt bis zu seiner Aufhebung gilt und beachtet werden muß, so daß sich nicht jeder nach seinem Dafürhalten über denselben hinwegsetzen kann. Es gibt zahlreiche situationsgebundene Entscheidungen, deren Befolgung und Vollziehung zur Vermeidung unerträglicher Störungen der (öffentlichen) Ordnung sofort möglich sein muß und nicht bis zu einer endgültigen oder auch nur vorläufigen gerichtlichen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit aufgeschoben werden kann; in derartigen Fällen muß es jeder hinnehmen, die betreffende Entscheidung zunächst beachten zu müssen und lediglich nachträglichen Rechtsschutz erlangen zu können 259 . Dies gilt nicht nur im Verhältnis der Vollzugsbehörden zum Bürger, sondern ebenso im Verhältnis von Organen und Organteilen juristischer Personen untereinander, wenn es um die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Organisationsablaufs und der Aufrechterhaltung z.B. der Sitzungsordnung geht. Deshalb steht die Herbeiführung rechtmäßiger Zustände durch gerichtlichen Spruch der ipso iure-Nichtigkeit nicht nach, sondern ist ihr jedenfalls in bezug auf die Wahrung des Rechtsfriedens und eines störungsfreien Organisationsablaufs regelmäßig sogar deutlich überlegen 260. Dies läßt sich auch unschwer namentlich an den verfahrensleitenden Entscheidungen des Vorsitzenden eines Organs einschließlich seinen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung sowie den Geschäftsordnungs- und Verfahrensbeschlüssen von Kollegialorganen als den wichtigsten Innenrechtsakten erkennen. Führte deren Rechtswidrigkeit ohne weiteres stets und notwendig zu ihrer Nichtigkeit, so hätte dies eine nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit zur Folge, was, auch ohne daß dies im Gesetz ausdrücklich Niederschlag gefunden haben 258 Vgl. Ehlers, NVwZ 1990, 108; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 79; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 45. 259 Vgl. BVerfGE 87, 399, 409 f.; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), NVwZ 1999, 290, 292. 260 Vgl. Grupp, in FS Lüke, S. 217; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 45 f.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 845 mtlßte, ersichtlich nicht den Wertungen der Rechtsordnung entsprechen kann. Insbesondere bei Maßnahmen wie dem Entzug des Wortes, dem Sitzungsausschluß, dem Verweis aus dem Sitzungssaal, der Feststellung der Befangenheit eines Mitglieds durch den Gemeinderat etc. erscheint dies evident. Selbst wenn eine solche Maßnahme rechtswidrig sein sollte, würde es zu unerträglichen Funktionsstörungen führen, wenn sich der Betroffene in rechtmäßiger Weise einfach darüber hinwegsetzen dürfte. Wenn schon der Bürger im Interesse der Rechtssicherheit sowie einer möglichst störungsfreien Verwaltungstätigkeit größtenteils auch rechtswidrige Hoheitsakte als wirksam hinnehmen muß, bis diese in den dafür vorgesehenen Verfahren außer Vollzug gesetzt oder aufgehoben worden sind, so müssen sich die Organe und Organteile von juristischen Personen des öffentlichen Rechts aufgrund ihrer ausschließlichen Verpflichtung auf deren Interessen 261 im Regelfall erst recht gefallen lassen, rechtswidrige Innenrechtsakte nicht unter Gefährdung des Funktionsinteresses eigenmächtig ignorieren zu dürfen, sondern diese lediglich im vorgesehenen Verfahren überprüfen lassen zu können. Deshalb muß beispielsweise jedes Gemeinderatsmitglied hinnehmen, sich zunächst einmal den bezeichneten verfahrensleitenden Entscheidungen und Beschlüssen beugen zu müssen und sie lediglich im nachhinein gerichtlich angreifen zu können. Gleiches gilt für alle sonstigen Entscheidungen und Beschlüsse im Innenverhältnis, die in subjektive Organrechte eingreifen. Selbstverständlich trägt aber der Gedanke der Rechtssicherheit nicht die Annahme, rechtswidrige Innenrechtsakte seien niemals nichtig. Tatsächlich zeigen ja die erörterten Beispiele, daß es als eine - insoweit wohl in der Tat vom Rechtsstaatsprinzip vorgegebene - Grundentscheidung der Rechtsordnung gelten kann, daß besonders schwere Rechtsverstöße zur Nichtigkeit führen müssen 262 . Es gibt Rechtsverstöße, angesichts derer es rechtsstaatlich unerträglich wäre, dem betreffenden Rechtsakt irgendeine rechtliche Geltung beizumessen, gegenüber welchen sich jedes Rechtssubjekt vielmehr zu jeder Zeit, sogar noch nach Verstreichen etwaiger Rechtsbehelfsfristen, auf dessen Nichtigkeit berufen können muß. Dieser Grundsatz gilt für Außen- wie für Innenrechtsakte gleichermaßen263. 261

Vgl. oben A.I.2.b.aa und E.II.2. So auch Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 261; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 81 \ Lange, BayVBl. 1976, 756. 263 A.A. Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20, nach dem es bei Innenrechtsakten „nicht wie beim Verwaltungsakt je nach Art und Schwere des Fehlers alternativ beide Rechtsfolgen" geben soll, also Aufhebbarkeit oder Nichtigkeit. - Eine Begründung für diese These gibt Pietzcker nicht, und eine solche ist auch sonst nicht ersichtlich, da es keinen Grund gibt, weshalb die Rechtsordnung gezwungen sein sollte, alle fehlerhaften Innenrechtsakte über einen Kamm zu scheren. 262

8 4 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Deutscher Rechtstradition entspricht es, eine solche rechtsstaatliche Unerträglichkeit bei Rechtssätzen anzunehmen, auch wenn zumal in jüngerer Zeit der Gesetzgeber das Nichtigkeitsdogma nicht unbeträchtlich modifiziert hat. Hierbei handelt es sich aber um punktuelle Ausnahmen, deren Übertragung auf andere Fälle ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung ausscheidet, weil ein diesbezüglicher Wille des Gesetzgebers nicht zu erkennen ist. Von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen, greift das Nichtigkeitsdogma unabhängig davon, ob die betreffende Rechtsnorm das Außenverhältnis zwischen Bürger und Staat oder allein im Innenverhältnis die Beziehungen zwischen Organen bzw. Organteilen von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts zum Gegenstand hat. Kommunale Satzungen und Rechtsverordnungen sind deshalb auch dann nichtig, wenn sie gesetzlich begründete subjektive Organrechte kommunaler Organe verletzen. Die an die Gemeindeverwaltung gerichteten Verwaltungsverordnungen des Bürgermeisters sind freilich keine Gesetze und enthalten keine Rechtsnormen. Sie unterliegen deshalb auch nicht dem für Gesetze geltenden Nichtigkeitsdogma. Sie sind ihrer Natur nach (abstrakt-generelle) hierarchische Weisungen264 und unterliegen als solche den für diese geltenden Fehlerfolgen 265 . Wann bei einem internen Rechtsakt ein zur Nichtigkeit führender besonders schwerer Fehler vorliegt, ist in abstracto allerdings schwer zu definieren und kann mitunter ähnliche Zweifel auslösen wie die Auslegung des diesbezüglichen Tatbestandsmerkmals in § 44 Abs. 1 VwVfG über die Nichtigkeit von Verwaltungsakten, dessen Gedanken als Ausdruck gesetzgeberischer Wertentscheidungen auch für Innenrechtsakte Bedeutung besitzen266. Immerhin lassen sich aus § 44 Abs. 2 und 3 VwVfG wichtige nähere Anhaltspunkte für die gesetzgeberische Wertung gewinnen, ob ein zur Nichtigkeit führender schwerer Fehler anzunehmen ist 267 . Hiernach wird man etwa annehmen können, daß Innenrechtsakte, die von einem absolut unzuständigen Organ oder Organteil erlassen werden, an einem besonders schweren Fehler leiden 268 . Ein besonders schwerer und zur Nichtigkeit einer Geschäftsordnungsbestimmung führender Fehler liegt beispielsweise vor, wenn diese ein dem Gesetz widersprechendes höheres oder

264

Vgl. oben C.III.4.e. S. vorstehend G.III.4.b. 266 Vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 230; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 88 f.; Kopp, VwVfG, § 44 Rn. 2, 74. 267 BVerwG, NVwZ 1987, 230. 268 Zur Nichtigkeit von Verwaltungsakten, die von einer absolut unzuständigen, d.h. unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zuständigen Behörde erlassen wurden, vgl. BVerwGE 1, 67, 70; BVerwG, NJW 1974, 1961, 1963; VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52; Knack/Klappstein, VwVfG, § 44 Rn. 4.1.1; Kopp, VwVfG, § 44 Rn. 11; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 108, 164. 265

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 847 niedrigeres Quorum für eine Abstimmung festsetzt 269, weil damit die vom Gesetz vorgesehene demokratische Legitimationsbasis des Abstimmungsergebnisses verlassen wird. Im übrigen stellt die Beurteilung der besonderen Schwere des Rechtsverstoßes eine Frage des Einzelfalles dar, in die die Bedeutung des verletzten Rechtssatzes sowie Anlaß und Ausmaß der Verletzung einzustellen sind. Fraglich ist, ob entsprechend der Regelung des § 44 Abs. 1 VwVfG zusätzlich zu dem Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers noch dessen Offensichtlichkeit als Voraussetzung der Nichtigkeit eines Innenrechtsaktes anzusehen ist. Immerhin ist festzustellen, daß die Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit keine allgemeingültige Nichtigkeitsbedingung darstellt. Dies ergibt sich erstens aus den in § 44 Abs. 2 VwVfG enumerierten Nichtigkeitsgründen 270 , zweitens aus den Nichtigkeitsgründen für öffentlich-rechtliche Verträge (§ 59 Abs. 1 und 2 VwVfG 2 7 1 ), und drittens aus dem für Rechtssätze geltenden Nichtigkeitsdogma, in welchen Fällen allesamt nicht nach der Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit gefragt wird. Ob ein Innenrechtsakt offensichtlich besonders schwer fehlerhaft sein muß, um als nichtig erachtet werden zu können, läßt sich nur unter Rückgriff auf den Sinn des Offensichtlichkeitserfordernisses bestimmen. Hier wird nun zu Recht darauf verwiesen, daß es aus Gründen der Rechtssicherheit nur bei einer ohne weiteres erkennbaren Fehlerhaftigkeit vertretbar erscheint, einem Hoheitsakt sämtliche mit ihm beabsichtigten Rechtswirkungen von Anfang an abzusprechen 272 . Sähe man von dem Offensichtlichkeitserfordernis ab, so würde es zu viele Fälle geben, in denen ein ernsthafter Streit über die Nichtigkeit bestünde, weil sich die Beteiligten über das Vorliegen eines besonders schweren Fehlers uneins sind. Das Offensichtlichkeitskriterium sorgt nun dafür, daß Fehler, die nur bei vertiefter Auseinandersetzung mit der Materie erkennbar sind 273 oder hinsichtlich deren Vorliegen ernstliche Zweifel bestehen können, keine Nichtigkeit bewirken und somit der betreffende Rechtsakt erst einmal wirksam ist, was im Interesse der Rechtssicherheit und des geordneten Funktionierens der öffentlichen Verwaltung unerläßlich ist. Dies zeigt sich exemplarisch am Verwaltungsakt und dem in § 44 Abs. 1 VwVfG statuierten Offensichtlichkeitsmerkmal. Der Verwaltungsakt soll für den einzelnen bestimmen, was für ihn in concreto Rechtens sein soll, und über diese Bestimmung soll er sich nur aus gleichermaßen schwerwiegenden wie 269

VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 300 f. Vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 411; DVBl. 1990, 701, 702; Kopp, VwVfG, §44 Rn. 27; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 44 Rn. 124. 271 Vgl. BVerwG, NVwZ 1998, 1061, 1062. 272 Knack/Klappstein, VwVfG, § 44 Rn. 4.2; vgl. EuGH, NJW 1987, 3074, 3075. 273 VGH München, BayVBl. 1998, 367, 369. 270

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

zweifelsfreien Gründen eigenmächtig hinwegsetzen können, während er eben ansonsten, wenn er den Verwaltungsakt für rechtswidrig hält, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann und muß. Das Offensichtlichkeitskriterium dient dabei nicht zuletzt dem Schutz des Bürgers. Führte nämlich jeder schwerwiegende Fehler zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts, selbst wenn er nicht offen zutage liegt, so könnte dies die Betroffenen dazu verleiten, zu leichtfertig Nichtigkeit anzunehmen und den Verwaltungsakt zu mißachten; da sie solchenfalls aber das volle Irrtumsrisiko tragen, ist es auch im wohlverstandenen Interesse des Bürgers, dieser Gefahr einen Riegel vorzuschieben, und ihn auf die Möglichkeit (einstweiligen) gerichtlichen Rechtsschutzes gegen den für rechtswidrig erachteten Verwaltungsakt zu verweisen, statt ihm zugleich mit der Befugnis auch das Risiko zuzuweisen, den Verwaltungsakt aus eigenem Entschluß zu ignorieren, wenn und weil er ihn für nichtig hält 274 . Die zuletzt angeführten Gesichtspunkte gelten in vollem Umfange auch für Innenrechtsakte. Diese sollen ein ordnungsgemäßes Funktionieren des internen Organisationsablaufs ermöglichen und sicherstellen. Diese Zielsetzung liefe in unannehmbarer Weise Gefahr, wenn Organe und Organteile die Entscheidungen und Beschlüsse anderer Organe schon deshalb als nichtig ignorieren dürften, weil sie diese für schwer fehlerhaft halten, obgleich bei verständiger Betrachtung hierüber durchaus Zweifel bestehen mögen. Daher ist ein Innenrechtsakt nur dann nichtig, wenn er an einem besondersschwer wiegenden Fehler leidet und dies nach den Umständen offensichtlich ist 275 . Jenseits dieser kumulativen Voraussetzungen sind rechtswidrige Innenrechtsakte nicht als nichtig zu erachten. Die Nichtigkeit als generelle Fehlerfolge würde nämlich unerträgliche Rechtsunsicherheit schaffen. Das aber widerspräche, wie sich aus den dargestellten gesetzlichen Regelungen ersehen läßt, dem Willen des Gesetzgebers. Auch ohne ausdrückliche Normierung eines „Vorranges" der Rechtssicherheit und Funktionsfähigkeit vor der sofortigen Durchsetzung der Rechtsrichtigkeit entspricht es eindeutig der gesetzgeberischen Wertentscheidung, der Rechtssicherheit und Funktionsfähigkeit im Zweifel - d.h. jenseits offensichtlicher Nichtigkeit - den Vorrang einzuräumen. Aber selbstverständlich handelt es sich hierbei um keinen - rechtsstaatlich ohnehin inakzeptablen - absoluten Vorrang, sondern lediglich um einen temporären. Rechtswidrige Innenrechtsakte sind danach zwar grundsätzlich wirksam und müssen deshalb befolgt werden. Diese Feststellung bezieht sich aber wohlgemerkt ausschließlich auf die unmittelbaren Fehlerfolgen und enthält in diesem Sinne nur 274

Vgl. Maurer, AllgVerwR, § 10 Rn. 37; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 41; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 49 Rn. 43. 275 BVerwG, NVwZ 1987, 230; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 89; Schnapp, VerwArch 1987, 436; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 46; Stumpf BayVBl. 2000, 107.

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 849 eine vorläufige Aussage über das Schicksal der fraglichen Akte. Was endgültig mit ihnen geschieht, entscheidet sich erst vor Gericht, doch hierbei handelt es sich bereits um eine Frage der mittelbaren Fehlerfolgen. Innenrechtsakte weisen damit, obwohl sie ihrem Wesen nach keine Verwaltungsakte sind 276 , dieselben Fehlerfolgen auf wie Verwaltungsakte. Das heißt, bei besonders schweren und offensichtlichen Fehlern sind sie nichtig, sonst sind sie trotz Rechtswidrigkeit gültig; ob und unter welchen Voraussetzungen sie letzterenfalls (gerichtlich) aufhebbar oder jedenfalls angreifbar sind, ist eine im nächsten Kapitel zu untersuchende Frage der materiellen Reaktionsansprüche des verletzten Organs sowie der gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse.

d) Zur Frage der Heilbarkeit nichtiger Innenrechtsakte Wenn ein Innenrechtsakt an einem besonders schweren und offensichtlichen Fehler leidet und deshalb nach dem Gesagten nichtig ist, so erhebt sich die Frage einer etwaigen Heilbarkeit dieser Nichtigkeit. Angesichts insbesondere von Vorschriften wie § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW und vergleichbarer Regelungen anderer Gemeindeordnungen 277, nach denen unter Verletzung von Befangenheitsvorschriften gefaßte Gemeinderatsbeschlüsse bei Ausbleiben vorheriger Beanstandung ein Jahr nach Beschlußfassung bzw. Bekanntmachung „als von Anfang an gültig zustande gekommen" gelten 278 , liegt nämlich die Erwägung einer analogen Anwendung derartiger Heilungsvorschriften und damit die Herbeiführung einer (rückwirkenden) Heilung auch in anderen Fällen der Nichtigkeit von Gemeinderatsbeschlüssen nicht fern. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Übertragung dieser Regelungen auf andere Fälle nichtiger Beschlüsse von Kollegialorganen in Betracht kommt, muß sich nach der gesetzgeberischen Wertung bestimmen, die hinter diesen Regelungen steht. Gegen eine derartige Analogie läßt sich jedenfalls nicht überzeugend einwenden, der Gesetzgeber habe die Heilbarkeit bewußt nur auf Verstöße gegen Befangenheitsvorschriften erstreckt, weil er diese für besonders fehleranfällig hielt, wohingegen er davon ausging, daß die Verletzung sonstiger Verfahrensund Formvorschriften bei genügender Sorgfalt vermeidbar sei 279 . Es trifft zwar zu, daß Befangenheit oft schwierig zu beurteilen ist und deshalb eine bedeutsame Fehlerquelle darstellt. Indessen ist etwa die Heilungsvorschrift des § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW gemäß § 31 Abs. 1 S. 5 GemO BW auch bei einer Verletzung der Vorschriften über die Wählbarkeit (§ 28 GemO BW) sowie die

276 277 278 279

56 Roth

S. oben G.III.2.a. Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 521. S. oben G.III.2.b.bb. So aber Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 18 (9. Lfg. 1995) Rn. 31.

8 5 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Hinderungsgründe (§ 29 GemO BW) anzuwenden280, und daß diese Vorschriften besondere Anwendungsschwierigkeiten bereiteten, läßt sich nicht sagen. Die gesetzlich vorgesehene Heilbarkeit nichtiger Beschlüsse hängt demzufolge nicht oder jedenfalls nicht entscheidend von ihrer Fehleranfälligkeit und der Fehlerhäufigkeit ab. Der eigentliche Grund für die in den Befangenheitsfällen statuierte Heilungsmöglichkeit dürfte vielmehr darin zu sehen sein, daß Nichtigkeitsursachen, die allein in den persönlichen Verhältnissen eines einzelnen Gemeinderatsmitglieds begründet sind und deshalb nicht jedem anderen Gemeinderatsmitglied oder dem Bürgermeister bekannt oder gegenwärtig sein mögen, nicht zu einer unheilbaren, selbst noch nach langer Zeit geltend zu machenden Nichtigkeit der Gemeinderatsbeschlüsse fuhren sollen. Insofern unterscheiden sich solche allein auf ein einzelnes Gemeinderatsmitglied bezogene Mängel grundlegend von Verfahrens- oder Formfehlern, deren Ursache im Handeln des Gemeinderats oder seines Vorsitzenden liegen. Derartige Fehler können und müssen sie in eigener Verantwortung vermeiden; ein Schutzbedürfnis, welches eine Vergünstigung in Gestalt möglicher Heilbarkeit nahelegte, ist insoweit nicht anzuerkennen, und deshalb scheidet insofern eine analoge Heranziehung der Heilungsvorschriften aus. Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, daß ein Beschluß, der aufgrund seines Inhalts oder aufgrund eines vom Vorsitzenden bzw. dem Kollegialorgan zu verantwortenden Verfahrensfehlers nichtig ist, keiner Heilung unterliegt und eine analoge Anwendung der Heilungsvorschriften angesichts der bewußten Beschränkung ihres Anwendungsbereiches insoweit ausscheidet281. Ein anderes gilt dagegen für Mängel, die in der Person eines Gemeinderatsmitglieds liegen, aber so schwer sind, daß sie die Nichtigkeit des Gemeinderatsbeschlusses zur Folge haben. In Betracht zu ziehen ist eine Heilung beispielsweise, wenn sich ein Gemeinderatsmitglied infolge einer - tatbestandlich auch auf Gemeinderäte anwendbaren - Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) oder von Bestechlichkeit (§ 332 StGB) 282 zu einer Stimmabgabe bestimmen 280

S. oben G.III.2.b.bb. Vgl. Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 18 (9. Lfg. 1995) Rn. 31; Sieger, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 4 (1. Lfg. 1984) Rn. 40. 282 Ob ein Gemeinderatsmitglied für den Verkauf seiner Stimme im Gemeinderat nach § 108e StGB oder nach § 332 StGB strafbar ist, richtet sich danach, ob die betroffene Entscheidung ihrem Gegenstand nach mehr als Akt materieller Gesetzgebung (z.B. Satzungsbeschluß) oder als Verwaltungstätigkeit erscheint, vgl. Eser, in Schönke/Schröder, StGB, § 11 Rn. 23, § 108e Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB, § 11 Rn. 11, § 108e Rn. 6; Tröndle/Fischer, StGB, § 11 Rn. 24, § 108e Rn. 15. Die gegenteilige Auffassung des LG Krefeld, NJW 1994, 2036, 2037 (immer § 332 StGB) widerspricht dem Umstand, daß Gemeinderäte explizit in den Anwendungsbereich des § 108e StGB einbezogen sind. 281

III. Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verletzung subjektiver Organrechte 851 läßt; wenn man hier nicht ohnehin aufgrund der erhaltenen oder versprochenen Belohnung Befangenheit im Sinne des § 18 Abs. 1 GemO BW annimmt und deshalb § 18 Abs. 6 GemO BW direkt anwendet, so ist § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW jedenfalls analog anzuwenden: Die aufgrund von Bestechlichkeit abgegebene Stimme ist als öffentlich-rechtliche Willenserklärung analog § 134 BGB i.V.m. § 108e StGB bzw. § 332 StGB 283 sowie analog § 138 Abs. 1 BGB nichtig 2 8 4 . Dieser Mangel infiziert ebenso wie die Stimme eines Befangenen die gesamte Abstimmung und fuhrt aufgrund der Schwere des Mangels zur Nichtigkeit des Gemeinderatsbeschlusses285, wobei es hierfür übrigens im Unterschied zu den sonst geltenden verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nicht auf die Offensichtlichkeit dieses Mangels ankommt, weil sich bei Mängeln dieser Art die gesetzliche Wertung der §§ 134, 138 BGB durchsetzt, nach denen Offensichtlichkeit der Gesetz- bzw. Sittenwidrigkeit keine Voraussetzung ist 286 . Da dieser Fehler aber nicht dem Gemeinderat als solchem oder der Verhandlungsleitung seines Vorsitzenden anzulasten ist, greift der genannte Gedanke zugunsten einer Heilungsmöglichkeit, und daher erscheint in solchen Fällen eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 6 S. 2 GemO BW bzw. - in anderen Bundesländern der entsprechenden Vorschriften anderer Gemeindeordnungen 287 überzeugend.

283 BGB, § 134 Zur Nichtigkeitsfolge bei Bestechung vgl. Soergel/Hefermehl, Rn. 25; Staudinger/Sack, BGB, § 134 Rn. 296; femer Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 292. 284 Zwar sind Willensmängel einzelner Gemeinderatsmitglieder bei ihrer Stimmabgabe grundsätzlich unbeachtlich und ohne Auswirkung auf die Gültigkeit ihrer Stimme und die Rechtmäßigkeit des Beschlusses, vgl. Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 37 (10. Lfg. 1995) Rn. 29; Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 271; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 179. Eine Ausnahme ist jedoch aufgrund der Schwere des Mangels bei strafbarem (Gern, ebd.) und sittenwidrigem Verhalten zu machen: die Rechtsordnung kann öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen, die unter so gravierenden Mängeln leiden, keine Wirksamkeit beimessen. 285 Gern, Kommunalrecht BW, Rn. 271; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 292. 286 Vgl. BVerwG, NVwZ 1998, 1061, 1062. 287 Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 521.

IV. Materiellrechtlìche Ansprüche des in seinen Rechten verletzten Organs Verletzt eine Entscheidung oder Maßnahme eines Organs oder Organteils subjektive Organrechte eines anderen Organs oder Organteils, so ist - wenn es sich um einen Rechts- und nicht lediglich um einen Realakt handelt - nach dem vorstehend Dargelegten auf der ersten Stufe nach den unmittelbaren Fehlerfolgen zu fragen 1, und hierunter in erster Linie, ob der betreffende Innenrechtsakt nichtig oder eben ungeachtet seiner Rechtswidrigkeit wirksam ist. Ist der betreffende Innenrechtsakt unwirksam und ist diese Unwirksamkeit weder geheilt worden noch unbeachtlich geworden, so kann ihn das verletzte Organ schlicht ignorieren. In der Tat sind solchenfalls alle Organe nach dem Gesetzmäßigkeitsprinzip sogar verpflichtet, diesen nichtigen Innenrechtsakt als rechtlich ganz und gar bedeutungslos weder zu befolgen noch sonst zu beachten. Die von der Rechtsordnung für besonders schwer wiegende Rechtsverletzungen verhängte Sanktion der ipso iure eintretenden Nichtigkeit trägt insofern dem Schutz des verletzten Rechts in materiellrechtlicher Hinsicht vollauf Rechnung, und von daher stellt sich die Frage mittelbarer Fehlerfolgen im Sinne materiellrechtlicher Reaktionsmöglichkeiten des verletzten Organs nicht. Im Falle eines freilich selbst unter Zugrundelegung des Offensichtlichkeitserfordernisses als Nichtigkeitsvoraussetzung 2 nie völlig auszuschließenden Streites um die Nichtigkeit kann sich immerhin als prozessuale Reaktion für das betroffene Organ bei berechtigtem Interesse eine Feststellungsklage auf Feststellung der erfahrenen Rechtsverletzung anbieten3. Nun ist jedoch die Nichtigkeit von Innenrechtsakten angesichts der Nichtigkeitsvoraussetzungen der besonderen Schwere und der Offensichtlichkeit des Fehlers als unmittelbare Fehlerfolge die seltene Ausnahme. Praktisch sehr viel häufiger und auch dogmatisch interessanter sind demgegenüber die Fälle, in denen Innenrechtsakte trotz ihrer Rechtswidrigkeit wirksam sind. Dazu treten noch alle im Innenbereich vorgenommenen Realakte, bei denen sich die Frage einer „Unwirksamkeit" ohnehin nicht stellt4. Für derartige Fälle bedarf der Klärung, wie das durch einen solchen Akt in seinen Rechten verletzte Organ reagie1 2 3 4

S. oben G.III.l.d. Vgl. oben G.IIL4.C. Vgl. dazu unten H.II.4. S. oben G.III.I.e.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

853

ren kann, um die erfahrene Verletzung abzuwehren. Damit ist die Frage nach den materiellrechtlichen Ansprüchen der in subjektiven Organrechten verletzten Organe aufgeworfen. Erst deren Beantwortung ermöglicht sodann die abschließende Entscheidung, in welchen Klageformen diese prozessual geltend zu machen sind.

I. Das primäre Recht und seine Hilfsansprüche Wird ein subjektives Recht durch einen rechtswidrigen hoheitlichen Realoder Rechtsakt verletzt, so hat dies auf der primären Ebene in den meisten Fällen keine Auswirkungen auf den Bestand des subjektiven Rechts. Ein subjektives Recht, sei es ein absolutes oder ein relatives Recht, geht nicht alleine aufgrund seiner Verletzung unter, sondern vielmehr besteht ein etwaiger darin verkörperter Achtungs- oder Erfullungsanspruch unvermindert weiter und kann in entsprechender Weise geltend gemacht werden. Freilich gibt es Verletzungshandlungen, die ihrer Art nach tatsächlich zum Untergang eines Rechtes fuhren können. So geht z.B. das Eigentum an einer Sache mit deren vollständigen Zerstörung unter, das Akteneinsichtsrecht erlischt mit der Vernichtung der einzusehenden Akten, das Rederecht in einer Versammlung endet mit dem Schluß der Sitzung, usw. Ob die Verletzung des Primärrechts zu dessen Untergang fuhrt oder nicht, jedenfalls ist die gewöhnliche materielle Reaktion auf eine solche Verletzung das Entstehen sekundärer und gegebenenfalls tertiärer Hilfsansprüche5. Als sekundärer Hilfsanspruch ist zuerst der Unterlassungsanspruch zu nennen, der sich sowohl gegen eine bevorstehende erstmalige als auch gegen die Wiederholung einer bereits stattgefundenen Verletzung des primären Rechts richten kann, und auf diese Weise die Beachtung des primären Rechts schützend flankiert. Nach erfolgter Verletzung des primären Rechts kommt ein Beseitigungsanspruch in Betracht, der sich gegen den fortdauernden rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff als solchen richtet und eine Beseitigung aller Eingriffswirkungen verlangt, die eine andauernde Beeinträchtigung der Rechtssphäre beinhalten. Schließlich steht dem Verletzten gegebenenfalls ein Folgenbeseitigungsanspruch zur Beseitigung der fortdauernden Folgen des rechtswidrigen Eingriffs zu. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist seinem materiellen Inhalt nach auf die Wiederherstellung des status quo ante gerichtet, d.h. der ver-

5 Vgl. hierzu Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 136 ff.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 287 ff.; Maurer, AllgVerwR, vor §25 Rn. 5; Menger, System, S. 118 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 78 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 171 ff., 253 ff.; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 298 f.; femer Henke, in FS Weber, S. 498 f., 502 f., der hier von „abhängigen Rechten" spricht.

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

pflichtete Träger öffentlicher Gewalt muß den durch sein hoheitliches Handeln zurechenbar hervorgerufenen andauernden rechtswidrigen Zustand beseitigen und den ursprünglichen, vor der beeinträchtigenden Handlung bestehenden Zustand wiederherstellen 6, soweit das tatsächlich und rechtlich möglich ist 7 und keinen gegenüber der Bedeutung der Rechtsverletzung so unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, daß die Geltendmachung des Folgenbeseitigungsanspruchs die Grenze des Rechtsmißbrauchs überschritte 8. Während Schadensersatzansprüche auf die Herstellung jenes Zustandes gerichtet sind, der unter Berückdes früheren Zustandes ohne sichtigung der hypothetischen Weiterentwicklung den rechtswidrigen Eingriff bestehen würde 9, soll mittels des Folgenbeseitigungsanspruchs allein Jener rechtmäßige Zustand hergestellt werden, der unverändert bestünde, wenn es zu dem rechtswidrigen Eingriff nicht gekommen wäre" 10 . Der Folgenbeseitigungsanspruch ist also kein auf vollständige Naturalrestitution einschließlich der Beseitigung sämtlicher auch hypothetischer Folgewirkungen gerichteter Schadensersatzanspruch 11, sondern seiner Natur nach ein Integritätsanspruch 12, der eine „restitutio in integrum" 13 fordert, die Wiederherstellung der Integrität des verletzten Rechts14, und dessen Reichweite von daher in bedeutsamer Weise begrenzt ist. Genügen die sekundären Hilfsansprüche nicht, um die Integrität des primären Rechts abzusichern oder wiederherzustellen, so kommen als Rechte tertiärer Natur unter Umständen Entschädigungsansprüche in Betracht 15, die in Gestalt 6 BVerwGE 69, 366, 371; 80, 178, 179; 82, 76, 95; 94, 100, 104; VGH München, BayVBl. 2000, 345; Roth, DVBl. 1996, 1401 m.w.N. I BVerwGE 94, 100, I I I ; BVerwG, NVwZ 1999, 424 f.; OVG Münster, NWVBl. 1999, 189, 190; Roth, DVBl. 1996, 1401. 8 Vgl. in diesem Zusammenhang BGH, NJW 1974, 1552, 1553; BVerwGE 94, 100, 113 f., 117; VGH München, BayVBl. 1990, 627, 628 f.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 289; Schenke, JuS 1990, 375; bedenklich weit VGH München, BayVBl. 1999, 561, 562; krit. Erbguth, JuS 2000, 338. 9 Zu diesem Verständnis der schadensersatzrechtlichen Naturalrestitution vgl. RGZ 143, 267, 274 f.; Grunsky, in MünchKomm BGB, §249 Rn. 3; Ρalandt/Heinrichs, BGB, § 249 Rn. 1; Roth, Faktische Eingriffe, S. 79. 10 BVerwGE 94, 100, 109 (Hervorhebung durch Verfasser). II BVerwGE 69, 366, 371; BVerwG, NVwZ 1999, 424, 425; insofern ungenau OVG Münster, NWVBl. 1999, 189, 190. 12 Roth, Faktische Eingriffe, S. 85. 13 BVerwG, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 4. 14 Rupp, Grundfragen, S. 261. 15 Der üblichen Einordnung derartiger Ansprüche unter die sekundären Ansprüche (z.B. Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 448) wird aufgrund der sogleich darzulegenden Subsidiarität dieser Ansprüche gegenüber den (Folgen)Beseitigungsansprüchen nicht gefolgt, vielmehr wird, um dieses Subsidiaritätsverhältnis auch terminologisch deutlich zu machen, die Bezeichnung als tertiäre Ansprüche bevorzugt, vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 72; desgleichen Maurer, AllgVerwR, vor § 25 Rn. 5: „dritte Stufe".

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

855

einer finanziellen Kompensation auf eine wenigstens wertmäßige Integritätswahrung zielen 16 . Ein derartiger tertiärer Entschädigungsanspruch besteht nicht, soweit der Betroffene den Schaden durch auf sekundäre Hilfsansprüche gestützte Rechtsbehelfe hätte erfolgreich abwehren können; dieser etwa in § 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. und § 839 Abs. 3 BGB positivierte Rechtsgedanke gilt als allgemeines Rechtsprinzip: ein freies Wahlrecht zwischen Schadensabwehr auf der einen oder aber Schadenshinnahme samt Entschädigung auf der anderen Seite besteht nicht 17 . Auf welche Weise primäre Rechte und ihre sekundären bzw. tertiären Hilfsansprüche durchzusetzen sind, ist eine an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefende prozessuale Frage 18. Leistungsrechtliche Ansprüche auf Erfüllung werden im Wege einer Leistungs-, bei Verwaltungsakten Verpflichtungsklage verfolgt, abwehrrechtliche Unterlassungsansprüche mittels Leistungsklage. Störungsbeseitigungsansprüche werden gegenüber Verwaltungsakten durch Anfechtungsklage durchgesetzt 19, im übrigen ebenso wie Folgenbeseitigungsansprüche mit einer allgemeinen Leistungsklage20 bzw., falls die Beseitigung im Erlaß eines Verwaltungsakts besteht, mittels einer Verpflichtungsklage. Entschädigungsansprüche schließlich werden mittels Leistungsklage verfolgt, unter Umständen mit einer Verpflichtungsklage, wenn die Gewährung der Entschädigung durch Verwaltungsakt auszusprechen ist. Im übrigen ist, freilich gegenüber all diesen Klagearten subsidiär (vgl. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO), immer an eine Feststellungsklage zu denken, mittels welcher streitige Rechtsverhältnisse klärend festgestellt und damit etwaige Streitigkeiten bereinigt werden können; unter Umständen ist eine Verletzung primärer Rechte hierdurch schon im Vorfeld zu verhindern, und jedenfalls läßt sich so eine Klärung herbeiführen, was die Beteiligten tun dürfen und was nicht.

16

Vgl. hierzu etwa VGH München, BayVBl. 1999, 561, 562; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 448 ff.; Roth,, Faktische Eingriffe, S. 87 f.; femer BVerwGE 94, 100, 117. 17 Vgl. hierzu BVerfGE 58, 300, 324; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), DVB1. 2000, 350 f.; BGHZ 90, 17,31; 110, 12, 14; 113, 17, 22; BVerwGE 107, 29,31 f.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 59 f.; Maurer, AllgVerwR, § 26 Rn. 95 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 72. 18 Zu den Klagearten bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten näher unten H.II. 19 Zur Anfechtungsklage als prozessuales Instrument zur Verfolgung eines materiellen Beseitigungsanspruchs vgl. BVerwGE 51, 15, 24; Eyermann/Rennert, VwGO, § 121 Rn. 25; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 139; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 2; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 178. 20 Zur Problematik einer allgemeinen Gestaltungsklage unten H.II.2.

8 5 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

2. Sekundäre Hilfsansprüche bei subjektiven Organrechten Die vorstehend skizzierten sekundären Hilfsansprüche - Unterlassungs-, Beseitigungs- und Folgenbeseitigungsansprüche - kommen grundsätzlich bei allen subjektiven Rechten in Betracht, auch bei subjektiven Organrechten 21. Hinsichtlich der dogmatischen Begründung 22 dieser sekundären Hilfsansprüche kann man sich übrigens entgegen einer verbreiteten Ansicht 23 nur schlecht auf die Grundrechte berufen. Könnte man zwar noch im Fall der Verletzung eines in den Schutzbereich eines Grundrechts fallenden einfachgesetzlichen subjektiven Rechts dessen Hilfsansprüche unter Bezugnahme auf das zugleich verletzte Grundrecht zu begründen versuchen 24, müßte eine vergleichbare Ableitung bei den Grundrechten selbst scheitern: Entstehen und Existenz der den Grundrechten beigesellten sekundären und tertiären Hilfsansprüche lassen sich nicht unter Berufung auf die Grundrechte erklären, ohne in eine petitio principii zu münden. Außerdem zeigen gerade die - grundrechtlich nicht abgesicherten25 - subjektiven Organrechte, daß die Herleitung sekundärer Hilfsansprüche aus den Grundrechten zu kurz greifen muß, will man sich nicht zu der These versteigen, außerhalb des Geltungsbereichs der Grundrechte gebe es keine sekundären Hilfsansprüche zum Schutz subjektiver Rechte26. 21 OVG Münster, NWVBl. 1990, 191; 1991, 16; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 193 f.; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 93 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 867. 22 Zu dieser Diskussion eingehend Brugger, JuS 1999, 627 ff; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 138 ff.; Schenke, JuS 1990, 371 ff. 23 Z.B. BVerwGE 82, 76, 95; Erbguth, JuS 2000, 337 f.; Hufen,, Fehler, Rn. 571; Maurer, AllgVerwR, § 29 Rn. 5. 24 Bedeutung hat dies insofern, als sich hieraus für den Gesetzgeber Grenzen für eine Relativierung der Fehlerfolgen ergeben, vgl. Hufen, Fehler, Rn. 588. 25 Zur grundsätzlich fehlenden Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts und ihrer Organe sowie zu den Ausnahmen oben B.I.2.a. 26 Ähnlichen Einwänden unterliegt der Begründungsversuch von Brugger, JuS 1999, 629 ff., wenn er zwar zunächst die Grundrechte als dritte Stufe (nach der Gerechtigkeit und dem Rechtsstaats-/Gesetzmäßigkeitsprinzip und vor der Analogie zu §§ 12, 862, 1004 BGB) einer „Vier-Stufen-Begründung des Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsanspruchs" heranzieht, dann jedoch (ebd., S. 631) bei Folgenbeseitigungsansprüchen im Verhältnis zwischen Trägem öffentlicher Gewalt bzw. deren Organen selbst betont, daß hier ein Rückgriff auf diese „dritte Stufe" der Grundrechte ausscheidet und deshalb „in diesem Fall die Analogie zu Rechtskonflikten auf der Ebene der Gleichordnung", sprich: die Analogie zu §§ 12, 862, 1004 BGB, „überzeugender erscheint". Entgegen seiner Darlegung greift hier indessen nicht „sozusagen die Ebene 4 der Begründung in die Ebene 3 zurück". Vielmehr wird hierdurch bei Folgenbeseitigungsansprüchen von Trägem öffentlicher Gewalt (mit Recht) die grundrechtliche „Ebene 3" eliminiert. Dies hat die unschöne Konsequenz, unterschiedliche dogmatische Begründungen für den Folgenbeseitigungsanspruch zu liefern, je nachdem wer ihn geltend macht. Tatsächlich aber beweist dies, daß die Grundrechte in Wirklichkeit überhaupt kein not-

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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Die Fundierung der bezeichneten Hilfsansprüche ist daher richtigerweise in dem zwar nirgends in allgemeiner Form gesetzlich positivierten, wohl aber in einer Vielzahl einzelner Vorschriften (insbesondere den §§ 12, 862, 1004 BGB) zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsprinzip 27 zu sehen, daß nicht nur jedem die Verletzung subjektiver Rechte untersagt, sondern auch dem Rechtsverletzer die Ausnutzung eines rechtswidrig herbeigeführten Zustands versagt und er für verpflichtet zu erachten ist, diesen Zustand zu beseitigen28. Dieser Grundsatz wiederum ergibt sich aus dem Wesen des subjektiven Rechts29. Dies erhellt, wenn man den in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Begriff des subjektiven Rechts als eine von einer gemeinschaftlichen Erfüllungserwartung getragene subjektive Ausübungszuständigkeit zugrunde legt 30 : Die hinter jedem subjektiven Recht stehende gemeinschaftliche Erfüllungserwartung bezieht sich zunächst auf das subjektive Primärrecht und bedeutet die Erwartung der Rechtsgemeinschaft, daß der Berechtigte sein Recht ausüben können soll, daß namentlich der Verpflichtete seine primären Rechtspflichten dem Berechtigten gegenüber erfülle. Diese Erfüllungserwartung endet nicht mit der Verletzung des Primärrechts. Im Gegenteil muß sich die gemeinschaftliche Erwartung vor allem dann bewähren, wenn das Primärrecht verletzt worden ist; gerade dann muß nämlich die Rechtsgemeinschaft dem Berechtigten signalisieren, daß sie hinter ihm steht. Es wurde gezeigt31, daß die Erzwingbarkeit kein unabdingbares Wesensmerkmal des subjektiven Rechts ist, daß es also sehr wohl nicht erzwingbare subjektive Rechte geben kann und gibt, denen dann natürlich konsequenterweise auch keine Hilfsansprüche beigesellt sind. Zugleich wurde freilich darauf hingewiesen32, daß die Nichterzwingbarkeit subjektiver Rechte die Ausnahme ist und bleiben muß, keinesfalls aber zum Regelfall werden darf, weil sonst die Autorität und Glaubwürdigkeit des Rechts auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten wäre und die in ihren berechtigten Erwartungen

wendiger Bestandteil der dogmatischen Herleitung von Unterlassungs- und Folgenbeseitigungsansprüchen sind. 27 Zur methodischen Figur des allgemeinen Rechtsprinzips und seinem Verhältnis zur Gesamtanalogie vgl. etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 481 ff.; Engisch, Einführung, S. 201 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 383 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 204 f., 232 ff.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 310 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 10 III c. 28 BAG, JZ 1998, 790, 792; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 149 ff., 192; ders., DVB1. 1970, 846; Rupp, Grundfragen, S. 249 f., 253 f.; vgl. femer BVerwGE 94, 100, 103; Henke, in FS Weber, S. 503 f. 29 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 508, 867; ders., N V w Z 1993, 721 f.; ders., in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 301; vgl. ferner Scherzberg, DVB1. 1988, 133. 30 Hierzu näher oben D.III.3. und F.I.l. 31 S. oben D.II.3.C. 32 S. oben D.II.3.d.

8 5 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten enttäuschten Rechtsinhaber dann eben nicht mehr auf der Basis dieses Vertrauens in das Recht agieren würden 33 . Die Rechtsordnung muß daher im Regelfall dafür sorgen, daß die Rechtsverletzung nicht das letzte Wort zu bleiben braucht. Nach der heutigen Rechtsordnung ist deshalb von der grundsätzlichen Erzwingbarkeit aller subjektiven Rechte auszugehen, sofern diese Erzwingbarkeit nicht durch Gesetz eingeschränkt oder ausgeschlossen wird. Außer in Ausnahmefällen, in denen subjektive Rechte kraft entsprechender Anordnung nicht erzwingbar, und das heißt praktisch: nicht gegen Mißachtung und Verletzung geschützt sein sollen, erwachsen daher aus dem subjektiven Primärrecht im Falle seiner Verletzung sekundäre Hilfsansprüche, mit denen der Rechtsverletzung effektiv entgegengetreten werden kann. Die das Primärrecht tragende gemeinschaftliche Erfullungserwartung setzt sich auf diese Weise in einer Erfüllungserwartung an dem sekundären Hilfsanspruch fort. Subjektive Rechte werden also nicht deshalb von sekundären Hilfsansprüchen flankiert, weil dies von den Grundrechten vorgegeben würde - sondern umgekehrt sind den Grundrechten sekundäre Hilfsansprüche beigegeben, weil sie subjektive Rechte sind 34 - , vielmehr entspricht es eben der regelmäßigen Entscheidung der Rechtsordnung, subjektive Rechtsverletzungen nicht folgen- und tatenlos einfach bloß zur Kenntnis zu nehmen. Diese sich aus der den subjektiven Rechten zugedachten Rolle ergebende Erstreckung der gemeinschaftlichen Erfüllungserwartung auf die sekundären Hilfsansprüche bedeutet im einzelnen: Wenn ein subjektives Recht klagbar ist - und das ist es immer, sofern nicht ausnahmsweise ein anderes bestimmt ist - , dann sind die sekundären Hilfsansprüche ebenfalls klagbar, und wenn ein zur Erfüllung eines subjektiven Rechts verpflichtendes Urteil vollstreckbar ist, dann sind, wiederum vorbehaltlich besonderer Bestimmungen, auch die Ansprüche sekundärer Natur vollstreckbar, namentlich also die Beseitigungs- und etwaige Folgenbeseitigungsansprüche. Dabei schließt die Zuständigkeit zur Geltendmachung des subjektiven Primärrechts immer auch die Zuständigkeit zur Geltendmachung etwaiger Sekundäransprüche ein, weil ja das gemeinschaftliche Interesse an der Durchsetzung des Rechts naturgemäß gerade dann besonders dringlich wird, wenn das primäre Recht mißachtet worden ist, und die Durchsetzung dann wenigstens der Sekundäransprüche eben durch nichts so gut zu gewährleisten ist wie durch die Zuweisung der Befugnis zu ihrer Geltendmachung an den Verletzten. Aus der dargelegten Fundierung der sekundären Unterlassungs-, Beseitigungs· und Folgenbeseitigungsansprüche im Wesen des subjektiven Rechts und in konsequenter Umsetzung der das Recht tragenden gemeinschaftlichen Erfül33

Zu dem Anliegen, einem Rechtssubjekt rechtlich Erwartungssicherheit zu verschaffen, wenn sein von der Rechtsgemeinschaft erwünschtes Verhalten von einer Gegenleistung abhängt, vgl. oben F.I.l.a. 34 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 508.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

859

lungserwartung ergibt sich vorbehaltlich eines etwaigen ausdrücklichen gesetzlichen Ausschlusses, daß derartige Hilfsansprüche allen primären subjektiven Rechten zur Seite gestellt sind, ohne daß es auf ihre grundrechtliche Absicherung ankäme. Deshalb gilt das Gesagte auch für subjektive Organrechte: Wenn die Rechtsordnung ein subjektives Organrecht statuiert, dann hegt die Rechtsgemeinschaft die Erwartung, daß das subjektivrechtlich berechtigte Organ oder Organteil dieses Recht tatsächlich ausüben kann, und deshalb wachsen diesem im Falle der Verletzung seiner subjektiven Organrechte sekundäre Unterlassungs· und (Folgen)Beseitigungsansprüche zu. Und wenn einem Organ gerade auch im Interesse der bestmöglichen Absicherung der Kompetenzordnung subjektive Rechte zugewiesen werden 35, dann liegt es auf der Hand, daß ihm zugleich die Zuständigkeit zur Geltendmachung der seinem primären Organrecht beigeordneten Hilfsansprüche zukommen muß. Das für die sekundären Hilfsansprüche Gesagte gilt dem Grunde nach auch für die tertiären, mit denen eine wenigstens wertmäßige Kompensation für den Fall des Ungenügens der sekundären Ansprüche versucht wird. Einer Vertiefung beispielsweise im Hinblick auf die Höhe eines etwaigen Entschädigungsanspruchs bedarf dies im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht. Denn finanzielle Entschädigungsansprüche im Verhältnis von Organen oder Organteilen derselben Organisation kommen von vornherein nicht in Betracht, weil ihre Kompetenzen selbst dann, wenn sie ihnen in Gestalt subjektiver Rechte verliehen worden sind, keine geldwerten Güter darstellen und keinen pekuniären Wert für das betreffende Organ besitzen36. Dreht sich der Streit dagegen etwa um Zahlungsansprüche (z.B. vorenthaltene Fraktionsmittel), so wäre die Leistung lediglich Erfüllung des primären Anspruchs, und keine Geltendmachung eines tertiären Hilfsanspruchs. Ein solcher käme allenfalls insofern in Betracht, als die rechtswidrige Vorenthaltung von Zahlungen konkrete Vermögensbeeinträchtigungen verursachte, z.B. Belastung mit Kreditkosten. Unberührt davon bleibt aber die grundsätzlich zu bejahende Möglichkeit von Amtshaftungsansprüchen. Im Beispiel amtspflichtwidrig vorenthaltener oder zu spät ausgezahlter Fraktionszuschüsse kann der berechtigten Fraktion, sofern ihr hierdurch ein Vermögensschaden erwachsen ist, unter Umständen ein Schadensersatzanspruch aus Art. 34 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB zukommen. Für die inhaltliche Reichweite der bei Verletzung subjektiver Organrechte entstehenden sekundären Hilfsansprüchen, namentlich die Unterlassungs-, Beseitigungs- und Folgenbeseitigungsansprüche, gelten keine grundsätzlichen Besonderheiten gegenüber ihren sonstigen Anwendungsfällen, und daher bedarf es im Rahmen dieser Arbeit keines näheren Eingehens auf sämtliche sich in die35

Vgl. oben F.II.l.a. Zu dem von einem tertiären Entschädigungsanspruch zu unterscheidenden prozessualen Kostenerstattungsanspruch unten H.V.2. 36

860

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

sem Zusammenhang stellenden Fragen. Bevorstehenden Organrechtsverletzungen kann das betroffene Organ mit einem vorbeugenden Unterlassungsanspruch zuvorkommen, gegen andauernde Organrechtsverletzungen steht ihm ein Unterlassungs· und Beseitigungsanspruch zu 37 , und die fortdauernden Folgen einer solchen Verletzung kann es unter Anführung eines Folgenbeseitigungsanspruchs beseitigt verlangen 38, sofern dies rechtlich und tatsächlich möglich ist. Beim Folgenbeseitigungsanspruch ist zu beachten, daß er inhaltlich nicht weiter gehen darf, als zur Beseitigung der Folgen der Organrechtsverletzung und zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes erforderlich. Diese Beschränkung gewinnt Bedeutung beispielsweise für die praktisch überaus bedeutsame und potentiell folgenreiche Frage, ob und inwieweit ein Gemeinderatsmitglied, dessen subjektives Stimmrecht bei einer Abstimmung im Gemeinderat verletzt wurde, gegen den resultierenden Beschluß vorgehen und dessen Aufhebung verlangen kann. Da der Folgenbeseitigungsanspruch nicht darauf gerichtet ist, alles ungeschehen zu machen, was überhaupt zeitlich der Rechtsverletzung nachfolgt und mit ihr in irgendeinem thematischen Zusammenhang steht, sondern nur die spezifischen Folgen gerade der Verletzung beseitigen soll, können Stimmrechtsverletzungen, die sich im Ergebnis nicht ausgewirkt haben (können), zwar ein berechtigtes Interesse für eine Klage auf Feststellung des Stimmrechtsumfanges begründen 39, nicht aber einen Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung des Beschlusses und Wiederholung der Beschlußfassung auslösen40. Folglich ist als allgemeiner Grundsatz zu formulieren, daß Fehler bei Abstimmungen und Wahlvorgängen, selbst wenn dadurch subjektive Organrechte verletzt wurden, dann nicht zur Aufhebung des Beschlusses führen, wenn in concreto ausgeschlossen ist, daß sie sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben41. So kann beispielsweise ein Gemeinderatsmitglied, selbst wenn der Erfolgswert seiner Stimme durch die unstatthafte Stimmabgabe eines wegen Befangenheit Ausgeschlossenen beeinträchtigt worden ist 42 , den betreffenden Beschluß nicht angreifen, wenn feststeht, daß sich jene unzulässige Mitwirkung auf das Ergeb-

37

Vgl. OVG Münster, OVGE 24, 82, 85. Vgl. VGH München, VGH n.F. 29, 37, 41 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche BayStreitigkeiten, S. 108; Streinz, BayVBl. 1983, 747 f.; Widtmann/Grasser/Glaser, GemO, Art. 51 (7. EL 1997) Anm. 5 f. 39 OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 103. Die gegenteilige Formulierung des OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 991, eine Rechtsverletzung sei „nicht feststellbar", wenn der Verstoß sich auf das Ergebnis nicht auswirken konnte, ist unrichtig, dürfte aber wohl eher auf eine sprachliche Ungenauigkeit zurückgehen. 40 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 991; NVwZ-RR 1990, 101, 103. 41 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1989, 989, 991; 1992, 286, 287; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 151 ; Widtmann, BayGemO, Art. 51 Anm. 11. 42 Zu dieser Streitfrage oben F.III.2.c.ee. 38

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

861

nis der Abstimmung nicht ausgewirkt hat 43 . Freilich bedarf es insoweit hinreichender und verläßlicher Feststellungen, zu welchem Ergebnis die Abstimmung oder Wahl bei Vermeidung des stimmrechtsverletzenden Verfahrensfehlers gefuhrt hätte. Sie muß deshalb bereits dann wiederholt werden, wenn auch nur die „reale Möglichkeit" besteht, daß eine ordnungsgemäße Abstimmung ein anderes Ergebnis erbringen konnte. Hieran fehlt es nur dann, „wenn nach der Lebenserfahrung und den konkreten Fallumständen Auswirkungen der Unregelmäßigkeit auf das [Ergebnis] praktisch so gut wie auszuschließen sind, ganz fernliegen, höchst unwahrscheinlich erscheinen oder sich gar als lebensfremd darstellen" 44. Schwieriger als die unberechtigte Teilnahme eines Ausgeschlossenen an der Abstimmung fällt die Beurteilung im umgekehrten Fall, wenn also das klagende Gemeinderatsmitglied zu Unrecht von der Mitwirkung ausgeschlossen wurde. Die Problematik besteht hier darin, daß sich die Ursächlichkeit einer Nichtmitwirkung fur das Abstimmungsergebnis wesentlich schwerer feststellen läßt als die einer unzulässigen Mitwirkung. Auf den ersten Blick scheint man einen Folgenbeseitigungsanspruch des unrechtmäßig Ausgeschlossenen ohne weiteres schon dann verneinen zu müssen, wenn die Entscheidung des Gemeinderats mit mehr als einer Stimme Mehrheit getroffen wurde, weil dann das Abstimmungsergebnis nicht allein infolge der Stimme des Ausgeschlossenen anders lauten konnte. Eine solche Sicht griffe indes zu kurz. Sofern der Sitzungsausschluß nämlich bereits die Mitberatungsmöglichkeit entfallen ließ, kann ja nicht ausgeschlossen werden, daß der zu Unrecht Ausgeschlossene weitere Gemeinderatsmitglieder von seiner Position überzeugen und hierdurch ein anderes Resultat bewirken hätte können45. Andererseits wiederum dürfte es zu weit gehen, in Fällen unrechtmäßigen Sitzungsausschlusses immer einen Folgenbeseitigungs43 Vgl. Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 151; Widtmann, BayGemO, Art. 51 Anm. 11. - Entgegen Suerbaum, JuS 1994, 330 kommt es hierfür allerdings nur auf das Stimmenverhältnis an, nicht darauf, ob der trotz Befangenheit Mitwirkende aktiv an der Beratung teilnahm und hierdurch die Willensbildung im Gemeinderat beeinflußte. Abgesehen davon, daß keineswegs einfach zu beurteilen ist, wann jemand (durch Redebeiträge? Zwischenrufe? Gestik? Mimik?) „aktiv" an einer Beratung teilnimmt, müssen nämlich die Gemeinderatsmitglieder als fähig angesehen werden, berechtigtes von unberechtigtem Vorbringen zu unterscheiden, gleich von wem dies kommt. In diesem Punkt unterscheidet sich dieser Fall signifikant von dem sogleich zu behandelnden Fall des unberechtigten Ausschlusses eines Gemeinderatsmitglieds. Ein solcher Ausschluß kann nämlich dazu führen, daß den übrigen Gemeinderatsmitgliedern bestimmte Gesichtspunkte überhaupt entgehen. Es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob eine Entscheidung auf der Basis aller Argumente getroffen wird - gleich ob der Redner befangen war oder nicht - , oder ob die Entscheidung infolge eines unberechtigten Ausschlusses auf minderer Grundlage ergeht. 44 OVG Münster, NWVB1. 1991, 234, 236; NVwZ 1992, 286, 287; vgl. BVerfGE 29, 154, 165; 48, 271, 281; VerfGH NW, OVGE 30, 288, 298. 45 Widtmann, BayGemO, Art. 51 Anm. 11; Widtmann/Gras se r/Glaser, BayGemO, Art. 49 (8. EL 1998) Anm. 1 lc; zustimmend Lange, BayVBl. 1976, 756.

862

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

anspruch zu bejahen, allein auf die theoretische Möglichkeit einer solchen Einflußnahme hin. Angesichts der faktischen politischen Verhältnisse 46 läßt sich ein Folgenbeseitigungsanspruch hier nur bei unklaren Mehrheitsverhältnissen begründen, nicht jedoch bei einer durch Fraktionszwang abgesicherten klaren Mehrheit fur den gefaßten Beschluß; in derartigen Fällen erscheint die Möglichkeit, durch Argumentation und Überzeugungsarbeit in der Sitzung zu einer spontanen Änderung einer vorgefaßten Position zu gelangen, zu hypothetisch, um eine Aufhebung des Beschlusses zu rechtfertigen 47. Dem verletzenden Organ ist daher der Nachweis zu gestatten, daß eine Organrechtsverletzung, die sich zwar theoretisch auf das Abstimmungsergebnis auswirken konnte, sich tatsächlich nicht in dieser Weise ausgewirkt hat. Die materielle Beweislast hierfür trägt freilich das verletzende Organ; gelingt dieser Nachweis nicht, muß die Abstimmung fehlerfrei wiederholt werden. Sekundäre Hilfsansprüche von in ihren subjektiven Organrechten verletzten Organen und Organteilen sind wie alle materiellen Rechte inhaltlich begrenzt. Insbesondere kann es keine Verpflichtung zur Erbringung einer tatsächlich oder rechtlich unmöglichen Leistung geben: impossibilium nulla est obligatio* 8. Dieser Satz gilt ebenso für Träger öffentlicher Gewalt 49 , weil sich die Rechtsordnung auch diesbezüglich nicht dadurch selbst in ihrem Geltungsanspruch beschädigen darf, daß sie etwas verlangt, was jedermanns Können übersteigt und daher von niemandem zu leisten ist (ultra posse nemo obligatur). Als rechtliche Unmöglichkeit ist es auch anzusehen, wenn die Erfüllung einer Verpflichtung nur unter Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder in sonst rechtlich unzulässiger Weise denkbar wäre 50. Von besonderer Bedeutung im Kontext von Organstreitigkeiten ist die rechtliche Unmöglichkeit. Es versteht sich insbesondere von selbst, daß das in seinen Rechten verletzte Organ von dem verletzenden Organ nicht mehr verlangen kann, als dieses nach der rechtlichen Kompetenzordnung zu erbringen befugt ist: Es ist ausgeschlossen, zur Beseitigung der einen Kompetenzverletzung eine neue zu begehen. Eine andere Frage ist, ob das verletzende Organ, wenn es die Folgen der Organrechtsverletzung nicht selbst beseitigen kann, sich zumindest bei dem zuständigen Organ hierfür verwenden muß. Dies ist unter Zugrundelegung des auch im öffentlichen Recht geltenden und auch das Verhältnis staatlicher Organe beherrschenden übergreifenden

46

Zu deren notwendigen Berücksichtigung oben G.I.3.e.cc (2). Schnapp, VerwArch 1987, 439. 48 Larenz, Schuldrecht I, S. 99; Ρalandt/Heinrichs, BGB, §306 Rn. 1; Thode, in MünchKomm BGB, § 306 Rn. 1; Soergel/Wolf, BGB, § 306 Rn. 1. 49 Vgl. OVG Münster, JZ 1959, 359, 360; Roth, Faktische Eingriffe, S. 144, 437, 488 f.; Stern, Staatsrecht III/l, § 67 III 2 c, S. 718 f. 50 Vgl. Emmerich, in MünchKomm BGB, § 275 Rn. 16; Palandt/Heinrichs, BGB, § 306 Rn. 4; Soergel/Wolf, BGB, § 306 Rn. 10. 47

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

863

Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben51 zu bejahen. Daß das verletzte Organ beispielsweise keinen Folgenbeseitigungsanspruch gegen das verletzende Organ haben kann, wenn dieses für die Folgenbeseitigung kompetentiell unzuständig ist, schließt nicht aus, daß dieses die Folgenbeseitigungslast trifft, die ihm zu Gebote stehenden Schritte zu ergreifen, um die Folgenbeseitigung durch das zuständige Organ zu erreichen.

3. Der Folgenbeseitigungsanspruch des verletzten Organs bei nach außen wirksam gewordenem kompetenzwidrigem Organhandeln Es wurde vorstehend erwähnt, daß die Sekundäransprüche von Organen in ihrem Verhältnis zueinander durch die rechtliche Zulässigkeit der Anspruchserfüllung bedingt und begrenzt sind. Diese Beschränkung wirkt sich insbesondere dann aus, wenn ein Organ unter Verletzung der Rechte eines anderen Organs d.h. usurpativ anstelle des eigentlich zuständigen Organs oder ohne dessen gesetzlich vorgeschriebene Einwilligung oder Mitwirkung - einem Dritten eine tatsächliche oder rechtliche Begünstigung gewährt hat, deren fortdauernder Bestand sich zwar einerseits als fortdauernde Folge der Rechtsverletzung darstellt, die aber andererseits nicht ohne weiteres rückgängig gemacht oder beseitigt werden kann. Als praktisch wichtige Beispiele hierfür sind etwa die Fälle zu nennen, in denen der Bürgermeister unter Überschreitung seines Eilentscheidungsrechts einen begünstigenden Verwaltungsakt erlassen oder einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen hat 52 , wenn der Bürgermeister überhaupt unter Verkennung der Zustimmungsbedürftigkeit seitens des Gemeinderats einen Verwaltungsakt (einschließlich einer Zusicherung, § 38 VwVfG) erläßt, oder wenn der Gemeinderat unter rechtswidrigem Ausschluß eines seiner Mitglieder einen Beschluß gefaßt hat und dieser bereits im Außenverhältnis umgesetzt worden ist 53 , usw. Die entscheidende Frage ist in all diesen Fällen, ob und unter welchen Voraussetzungen das durch derart eigenmächtiges Handeln in seinen Organrechten verletzte Organ oder Organteil im Wege eines Folgenbeseitigungsanspruchs die Beseitigung dieser Begünstigung des Dritten erreichen kann, bzw. inwieweit dieser Dritte trotz der internen Kompetenzverletzung bei (eingetretener) Begünstigung (Vertrauens)Schutz gegen deren Entziehung genießt. 51 Zur Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben in den Beziehungen von Hoheitsträgem bzw. ihrer Organe untereinander vgl. OVG Münster, NVwZ 1985, 118, 119; Knack/Klappstein, VwVfG, §48 Rn. 8.2.3; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 142. 52 Z.B. VGH München, BayVBl. 1994, 51: Wiedereinweisungsverfügung mit großzügig festgesetztem Nutzungsentgelt. 53 Z.B. VGH München, VGH n.F. 29, 37 ff.

8 6 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Größte praktische Relevanz besitzt in diesem Zusammenhang der Erlaß eines Verwaltungsakts unter Verletzung subjektiver Organrechte; deshalb, und weil sich hieran exemplarisch die besondere Problematik erörtern läßt, ist dieser Fall eingehender zu betrachten (nachfolgend a), bevor auf die weniger häufigen und auch in ihrer rechtlichen Behandlung weniger problematischen Fälle des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrages unter Verletzung subjektiver Organrechte (unten b), der kompetenzwidrigen Normsetzung (unten c) sowie schließlich auf die Behandlung sonstiger Maßnahmen eingegangen wird, die unter Verletzung subjektiver Organrechte ergangen sind (unten d). Von Bedeutung ist in allen Fällen, ob die Organrechtsverletzung auf dem Inhalt der verletzenden Maßnahme oder auf der Art ihres Zustandekommens beruht 54, ob also das Organrecht beispielsweise durch den Inhalt eines Beschlusses beeinträchtigt wird oder ob das bei der Beschlußfassung einzuhaltende Verfahren mißachtet wurde.

a) Der Erlaß eines Verwaltungsakts unter Verstoß gegen subjektive Organrechte Praktisch bedeutsam sind vor allem die Fälle, in denen ein Organ einen Verwaltungsakt erläßt, ohne die nach dem Gesetz erforderliche vorherige Zustimmung eines anderen Organs einzuholen oder ohne eine sonstige Mitwirkungsbefugnis zu beachten. Beispielsweise kann in Gemeinden, die selbst untere Baurechtsbehörde sind, der Bürgermeister eine Baugenehmigung unter Gewährung einer Ausnahme oder Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 BauGB) erteilt haben, ohne die hierzu nach der Bedeutung der Sache erforderliche vorherige Zustimmung des Gemeinderats eingeholt zu haben. Komplexer und komplizierter stellt sich die Lage etwa dar, wenn der Bürgermeister den Verwaltungsakt zwar mit Zustimmung des Gemeinderats erlassen hat, diese Zustimmung aber nur infolge des gesetzwidrigen Ausschlusses eines Gemeinderatsmitglieds zustande kam. In derartigen Fällen fragt sich, ob das in seinen Rechten verletzte Organ oder Organteil Möglichkeiten hat, gegen diesen kompetenzwidrig erlassenen Verwaltungsakt vorzugehen. Als materiellrechtliche Anspruchsgrundlage hierfür kommt einzig ein auch Organen im Falle einer Organrechtsverletzung zustehender Folgenbeseitigungsanspruch55 in Betracht. Wenn nämlich der betreffende Verwaltungsakt ohne die vorausgegangene Organrechtsverletzung nicht erlassen worden wäre, stellt sich das Bestehen des Verwaltungsakts als andauernde rechtswidrige Folge der Organrechtsverletzung

54

Zu dieser Unterscheidung VerfG M V , LKV 1997, 94, 95; OVG Münster, OVGE 27, 258, 264; Seeger, BWVPr 1978, 51. 55 S. vorstehend G.IV.2.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

865

dar 56 , so daß von dieser Voraussetzung her der Verwaltungsakt als Gegenstand eines Folgenbeseitigungsanspruchs in Betracht kommt. Fraglich ist, auf welche Weise das verletzte Organ diesen Folgenbeseitigungsanspruch durchsetzen kann, und welchen materiellrechtlichen Einschränkungen der Folgenbeseitigungsanspruch dabei gegebenenfalls unterliegt. Da sich der Folgenbeseitigungsanspruch vorliegend gegen einen Verwaltungsakt richtet, ist in erster Linie zu erwägen, ob er mittels einer Anfechtungsklage zu realisieren ist 57 (nachfolgend aa). Verneinendenfalls kommt nur ein (prozessual im Wege einer allgemeinen Leistungsklage58 durchzusetzender 59) Folgenbeseitigungsanspruch auf Rücknahme bzw. Widerruf des Verwaltungsakts in Betracht (unten bb).

aa) Keine Anfechtung eines unter Verstoß gegen subjektive Organrechte erlassenen Verwaltungsakts durch das verletzte Organ Ist ein Verwaltungsakt unter Verstoß gegen subjektive Organrechte erlassen worden, so drängt sich zuerst die Überlegung auf, ob das verletzte Organ oder Organteil diesen Verwaltungsakt anfechten (§42 VwGO) und nach §113 Abs. 1 S. 1 VwGO dessen gerichtliche Aufhebung erlangen kann 60 . Es ist nämlich allgemein anerkannt, daß nicht nur der Adressat eines Verwaltungsakts ein solcher ist das verletzte Organ unzweifelhaft nicht - , sondern jedes Rechtssubjekt, das durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten betroffen ist und die Voraussetzungen der § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO erfüllt, erfolgreich die Anfechtungsklage erheben kann 61 . Da nun die Möglichkeit einer solchen Anfechtungsklage nicht mehr mit dem ebenso einfachen wie unzutreffenden Argument verneint werden kann, Organe hätten Kompetenzen, aber keine eige-

56 Der gegenteiligen Annahme von Schneider, NWVB1. 1996, 94 f. ist entgegenzuhalten, daß ein Umsetzungsakt nicht dadurch aufhört, Folge eines organrechtsverletzenden Beschlusses zu sein, daß er den Innenbereich verläßt und in den Außenbereich eintritt. Auch die Beseitigung eines nach außen gelangten Aktes ist noch Folgenbeseitigung und entgegen dem Mißverständnis Schneiders keine Naturalrestitution. Sie versetzt nämlich die Beteiligten nur in den Zustand vor der erlittenen Organrechtsverletzung, also vor der Beschlußfassung, und stellt sie nicht etwa so, wie sie ohne die Verletzung gestanden hätten, insbesondere also nicht etwa so, als wäre seinerzeit ein fehlerfreier Beschluß gefaßt worden. 57 Zur Anfechtungsklage als prozessuales Instrument zur Durchsetzung materieller (Folgen)Beseitigungsansprüche vgl. oben G.IV.l. Fn. 19. 58 Zu den Klagearten in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren unten H.II. 59 Zur allgemeinen Leistungsklage als in derartigen Fällen zutreffender Klageart unten G.IV.3.a.cc (3). 60 So Becker-Birck, Insichprozeß, S. 106 f.; Herbert, DÖV 1994, 113; Preusche, NVwZ 1987, 856; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 12 Rn. 18. 61 Vgl. nur BVerwGE 104, 170, 177; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 69 ff.

57 Roth

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

nen Rechte62, sondern da eben richtigerweise Kompetenzen als subjektive Rechte der betreffenden Organe anzusehen sind 63 , scheint die Anfechtungsmöglichkeit des verletzten Organs bei oberflächlicher Betrachtung unproblematisch gegeben zu sein: Der Verwaltungsakt ist, wenn man Rechtswidrigkeit im Sinne eines Verstoßes gegen irgendeinen (objektivrechtlichen) Rechtssatz versteht 64, auch dann rechtswidrig, wenn er eine rechtssatzmäßige Kompetenznorm verletzt 65 , und gleichzeitig liegt auch eine Verletzung eines subjektiven Organrechts vor. Ein solcher Schluß mißachtete jedoch die Struktur des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und griffe daher zu kurz. Nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO hat die Anfechtungsklage Erfolg, soweit der Verwaltungsakt „rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist". Bei streng logischer Betrachtung enthält diese Gesetzesformulierung eine Tautologie: Da nämlich eine subjektive Rechtsverletzung ohnehin immer eine (objektive) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts einschließt, ist das Tatbestandsmerkmal „rechtswidrig" als besondere Voraussetzung logisch gesehen überflüssig 66. Das heißt aber nicht, daß diese Gesetzesformulierung sinnlos wäre 67 . Denn sie ist geeignet, eine Tatbestandsstruktur zu verdeutlichen, die zwar an sich bereits in dem Tatbestandsmerkmal der subjektiven Rechtsverletzung enthalten ist, die aber möglicherweise Gefahr liefe, übersehen zu werden, nämlich das Erfordernis eines spezifischen Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und der „dadurch" verursachten subjektiven Rechtsverletzung 68. Es genügt nicht, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger in seinen Rechten verletzt ist, sondern die mit der Anfechtungsklage bekämpfte objektive Rechtswidrigkeit muß sich „spiegelbildlich" als Verletzung eines subjektiven Rechtes des Klägers darstellen 69. Als eine 62

So aber BVerwGE 31, 263, 267. S. oben E.II.6. 64 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 369. 65 VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52: Rechtswidrigkeit eines vom Bürgermeister zu Unrecht als Eilentscheidung erlassenen Verwaltungsakts. 66 Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 5; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 730 Fn. 1; Weyreuther, in FS Menger, S. 687 f. 67 Weyreuther, in FS Menger, S. 688 Fn. 28 merkt sehr richtig an, daß es sich auch bei Rechtssätzen „gelegentlich empfehlen mag, ausdrücklich etwas zu sagen, was strenggenommen nicht gesagt zu werden brauchte". Namentlich der Klarstellung wegen oder als expliziter Hinweis an die Rechtsanwender, ihr Augenmerk besonders auf ein bestimmtes, mitunter problematisches Merkmal zu richten, können gewisse Redundanzen sinnvoll sein. 68 Vgl. hierzu BVerwGE 48, 56, 66; BVerwG, NVwZ-RR 1995, 305, 306 („Konnexität"); OVG Münster, OVGE 27, 258, 264; Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 11; Hufen, Fehler, Rn. 568; Weyreuther, in FS Menger, S. 688 ff 69 Weyreuther, in FS Menger, S. 691; zustimmend BVerwG, NVwZ-RR 1995, 305, 306. 63

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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praktisch bedeutsame Folgerung hieraus ist insbesondere anerkannt, daß ein Verfahrensbeteiligter die Befugnis zur Anfechtung des erlassenen Verwaltungsakts grundsätzlich nicht allein aus der Verletzung der ihn betreffenden Verfahrensvorschriften herleiten kann, sondern vielmehr darüber hinaus vorauszusetzen ist, daß sich dieser Verfahrensfehler möglicherweise auf seine materiellen Rechte selbst ausgewirkt hat, weil die ergangene Entscheidung ihrem Gegenstand nach Rechte des Betroffenen berührt 70. An dieser erforderlichen „Spiegelbildlichkeit" oder „Konnexität" 71 fehlt es hinsichtlich des übergangenen Organs im Falle des kompetenzordnungswidrigen Erlasses eines Verwaltungsakts. Ob und inwieweit der Adressat des Verwaltungsakts aus diesem Kompetenzverstoß eine Begründung für eine Anfechtungsklage herzuleiten vermag, ist hier nicht zu vertiefen; dies hängt davon ab, ob die verletzte Kompetenzvorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers allein das betreffende Organ oder (auch) den Dritten schützen soll: Kompetenzvorschriften begründen zwar nicht für sich subjektive Rechte des Bürgers - gäbe es ein subjektives Recht auf Kompetenzeinhaltung, dann könnte ja jeder Bürger gegen eine Kompetenzverletzung selbst dann vorgehen, wenn er von der Maßnahme sonst in keiner Weise berührt wird. Aber es gibt Kompetenzvorschriften, die nicht nur im Verhältnis der Organe zueinander gelten, sondern die als formelles Recht allen Bürgern dergestalt zugute kommen sollen, daß jeder Bürger einen Anspruch daraufhat, daß in seine Rechte nur von dem zuständigen Organ und unter Einhaltung der Kompetenzordnung eingegriffen wird 72 . Ein Bürger kann also zwar nie per se einen Kompetenzverstoß seitens eines hoheitlichen Organs geltend machen, aber er kann, wenn dieses Organ in seine Rechte eingegriffen hat, rügen, daß dieser Eingriff infolge des Kompetenzverstoßes durch das unzuständige Organ erfolgt und allein schon aus diesem Grunde rechtswidrig sei. Die Einhaltung der Kompetenzordnung ist mit anderen Worten zwar nie subjektives Recht der Bürger, aber sie kann Rechtmäßigkeitsbedingung für Eingriffe in ihre subjektiven Rechte sein. Die Möglichkeit eines Bürgers, einen kompetenzordnungswidrig erfolgten Eingriff gerichtlich anzugreifen, ergibt sich also aus der Verletzung seiner subjektiven Rechte; die Kompetenzverletzung ist kein selbständiger Klagegrund, sondern Vorfrage bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs.

70 Vgl. BVerwGE 61, 256, 275; 75, 285, 291; 85, 368, 373; BVerwG, NJW 1992, 256, 257; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 95; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 72. 71 BVerwG, NVwZ-RR 1995, 305, 306. 72 Vgl. hierzu BVerfGE 13, 181, 190; Groß, Kollegialprinzip, S. 309 f.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 563, 595 ff; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §44 Rn. 163 ff; Starck, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 26.

8 6 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Das in seinen Rechten verletzte Organ oder Organteil jedenfalls kann nicht vorbringen, durch den Inhalt und Regelungsgehalt des Verwaltungsakts und in diesem Sinne durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein73. Verletzt wird das übergangene Organ oder Organteil vielmehr durch die Art seines Zustandekommens und die Umstände seines Erlasses. Insofern der Verwaltungsakt bei ordnungsgemäßer Beteiligung des Organs nicht erlassen worden wäre, ist das Bestehen dieses Verwaltungsakts deshalb zwar Folge der von dem betroffenen Organ erlittenen Rechtsverletzung. Jedoch der Verwaltungsakt als solcher verletzt keine Organrechte, wie sich schon daran zeigt, daß für die Frage der Kompetenzverletzung der Inhalt des Verwaltungsakts völlig unerheblich ist. So ist etwa die Erteilung eines baurechtlichen Dispenses durch den Bürgermeister unter Übergehung des Gemeinderats rechtswidrig und verletzt die Rechte des Gemeinderats. Auch kann sich der gewährte Dispens als Folge dieser Organrechtsverletzung darstellen, wenn nämlich der Gemeinderat seine diesbezügliche Zustimmung versagt hätte. Hingegen wird der Gemeinderat weder durch den Dispens als solchen noch das in Übereinstimmung damit errichtete Bauwerk als solches in seinen Rechten verletzt, sondern eben allein durch die Tatsache der eigenmächtigen Erteilung des Dispenses.

Der Schutzzweck organisationsinterner Kompetenzvorschriften erschöpft sich aus der Warte der Organe im Schutz der innerorganisatorischen Funktionsabläufe und umfaßt nicht auch den erlassenen Verwaltungsakt als solchen74. Deshalb fehlt bei internen Kompetenzverstößen die erforderliche Konnexität, weil danach zwar der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, er aber nicht als solcher die subjektiven Organrechte des übergangenen Organs berührt. Infolgedessen ist zu Recht anerkannt, daß die Verletzung eines subjektiven Organrechts keine Anfechtungsklage des betroffenen Organs oder Organteils in bezug auf den daraus resultierenden Verwaltungsakt begründet 75. So kann beispielsweise der Gemeinderat nicht einen vom Bürgermeister ohne die erforderliche Zustimmung erlassenen Verwaltungsakt anfechten 76, und Gemeinderatsmitglieder, deren Stimmoder sonstige Organrechte bei der Beschlußfassung im Gemeinderat verletzt wurden, können nicht den vom Bürgermeister in Ausführung des organrechtsverletzenden Beschlusses erlassenen Verwaltungsakt anfechten 77. Zwar kennt die Rechtsordnung Ausnahmen vom Konnexitätserfordernis, in denen verfahrensmäßige Beteiligungsrechte derart verabsolutiert sind, daß ihre Verletzung die Anfechtung des resultierenden Verwaltungsakts unabhängig da73

Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 177. Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 94. 75 Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §113 (Lfg. 1996) Rn. 12; Lorenz, AöR 93 (1968), 335; Püttner, Organstreitverfahren, S. 137; Wahl/ Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 94. 76 OVG Saarlouis, NVwZ 1990, 174, 176. 77 Vgl. VGH München, BayVBl. 1959, 353, 355. 74

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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von ermöglicht, ob der Verwaltungsakt den Verletzten irgendwie inhaltlich betrifft 78 . Eine solche „absolute Verfahrensvorschrift" 79 wird jedoch nur in drei Fallgruppen angenommen80, nämlich für die Beteiligung der Gemeinden am luftverkehrsrechtlichen Plangenehmigungsverfahren 81 - eine Übertragung dieser Grundsätze auf andere Planfeststellungsverfahren wird ausdrücklich abgelehnt82 - , ferner für bestimmte enteignungsrechtliche Verfahrensvorschriften 83, sowie bei § 29 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG, wonach anerkannte Naturschutzverbände, wenn ihr Beteiligungsrecht mißachtet wird 84 , den Planfeststellungsbeschluß anfechten können, obschon sie von diesem inhaltlich nicht betroffen sind 85 , vorausgesetzt lediglich, der übergangene Verband hätte bei ordnungsgemäßer Beteiligung weitere, so von der Behörde nicht in ihre Überlegungen eingestellte abwägungsrelevante Belange vorbringen und dadurch möglicherweise die Entscheidung in der Sache beeinflussen können86. Bei derartigen „absoluten Verfahrensvorschriften" handelt es sich um Ausnahmen, die keiner Verallgemeinerung zugänglich, sondern nur anzunehmen sind, wenn die Auslegung der fraglichen Verfahrensvorschrift ergibt, daß dem Betroffenen „in spezifischer Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition" eingeräumt sein soll 87 . Hiervon aber ist nur auszugehen, wenn der Gesetzgeber, ohne deswegen gleich ein materielles Recht auf einen rechtmäßigen Entscheidungsinhalt einzuräumen, sondern quasi einen Schritt davor, dem Verfahrensbeteiligten die „Vertretung" der berührten öffentlichen Belange „in besonderer Weise anvertraut" hat, weil diese andernfalls überhaupt nicht oder nicht hinreichend geltend gemacht würden 88 . Zu beachten ist, daß in den anerkannten Fällen sämtlich eine gewissermaßen natürliche Interessenkonfliktslage zwischen der Planfeststellungsbehörde und 78

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 75, 92, 95; Wahl/Schütz, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 73. 79 Marings, NVwZ 1997, 542; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 95. 80 Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 75; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 73. 81 BVerwGE 56, 110, 137; 81, 95, 106; BVerwG, NJW 1992, 256, 257. 82 BVerwGE 64, 325, 332; BVerwG, NJW 1981, 239, 240; 1992, 256, 257; Kopp/ Schenke, VwGO, §42 Rn. 75; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 73. 83 BVerwG, Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 106. 84 Zur subjektivrechtlichen Natur dieses Beteiligungsrechts vgl. oben C.IV. 1 .e. 85 Vgl. BVerwGE 87, 62, 70 ff.; 98, 100, 102; 102, 358, 364 f.; BVerwG, NVwZ 1996, 389, 390; VGH Kassel, NuR 2000, 226 f.; Marings, NVwZ 1997, 539, 541 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 75, 95; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 73, 232. 86 Vgl. BVerwGE 87, 62, 71; Hörings, NVwZ 1997, 542. 87 BVerwGE 81, 95, 106; BVerwG, NJW 1992, 256, 257. 88 Vgl. BVerwGE 87, 62, 72 f.; femer BVerwGE 98, 100, 105; 102, 358, 361.

8 7 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten dem Vorhabenträger auf der einen und dem Dritten auf der anderen Seite besteht, der gerade deshalb am Verfahren zu beteiligen ist, damit er gegenüber der Planfeststellungsbehörde alle Einwände und Bedenken gegen das Vorhaben vorbringen kann, die der Planbegünstigte natürlich gerne unter den Tisch fallen ließe und die auch die Planfeststellungsbehörde um ihrer politischen oder wirtschaftlichen Zielsetzungen nicht selten herunterzuspielen geneigt sein kann. Eine vergleichbare, die Annahme einer „absoluten" Natur organschaftlicher Beteiligungsrechte rechtfertigende Interessenlage besteht im hiesigen Kontext nicht. So ist beispielsweise die Wahrnehmung öffentlicher Belange dem Gemeinderat als Gremium anvertraut, nicht „in besonderer Weise" gerade einzelnen Gemeinderatsmitgliedern und -fraktionen. Zudem fehlt es hier an der Konfliktsituation, welche die anerkannten Ausnahmefälle absoluter Verfahrensvorschriften auszeichnet. Gewiß sollen auch einzelne Gemeinderatsmitglieder und insbesondere die oppositionellen Gemeinderatsfraktionen etwaige Bedenken gegen gestellte Anträge vorbringen. Sie sind aber gleichwohl nicht etwa sozusagen geborene Kontrahenten des außenstehenden und durch den Verwaltungsakt begünstigten Bürgers, denen aufgrund dieser Stellung schneidige „absolute" Verfahrensbefugnisse zuzubilligen wären. Vor allem aber stellt es schließlich wertungsmäßig einen erheblichen Unterschied dar, ob etwa ein Vorhabenträger mit der Anfechtung eines ihn begünstigenden Verwaltungsakts durch einen bekanntermaßen und typischerweise kritisch eingestellten verfahrensbeteiligten Dritten rechnen muß, oder ob eine Anfechtungsklage aus dem Inneren gerade des Trägers öffentlicher Gewalt, der den Verwaltungsakt erlassen hat, erhoben wird. Auf dessen interne Vorgänge hat der Begünstigte keinen Einfluß, und es stellte für ihn eine inakzeptable Verkürzung des Vertrauensschutzes dar, könnte der den Verwaltungsakt erlassende Träger öffentlicher Gewalt selbst oder eines seiner Organe bzw. Organteile den Verwaltungsakt anfechten, statt ihn, wie richtigerweise anzunehmen89, eben nur nach den Vorschriften der §§ 48 ff. VwVfG aufheben zu können. Die Anfechtung eines Verwaltungsakts kommt immer nur durch einen außerhalb des erlassenden Trägers öffentlicher Gewalt stehenden Dritten in Betracht, nie aber durch diesen Träger öffentlicher Gewalt selbst; folglich ist auch dessen Organen und Organteilen diese Möglichkeit versperrt und sind sie darauf beschränkt, ein Vorgehen nach §§ 48 ff. VwVfG zu initiieren. Dementsprechend können einzelne Gemeinderatsmitglieder oder Gemeinderatsfraktionen nicht erwarten, daß ihre gesetzlichen Mitwirkungsrechte im Gemeinderat absolute Verfahrensrechte darstellen, die ihnen ein Recht zur Anfechtung des unter Verletzung dieser Mitwirkungsrechte erlassenen Verwaltungsakts gewährten, sondern vielmehr sind sie zur Reparatur einer ihnen widerfahrenen Organrechtsverletzung auf die Möglichkeiten beschränkt, die der Gemeinde im Verhältnis zum Bürger zu Gebote stehen. Da hiernach auch subjekti89

S. nachfolgend G.IV.3.a.bb.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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ve Organrechte im Rahmen der Anfechtungsklage dem Konnexitätserfordernis unterliegen, können Organe und Organteile Verwaltungsakte nicht anfechten, durch die sie nicht inhaltlich betroffen werden, sondern die nur verfahrensmäßig unter Verletzung ihrer Mitwirkungsrechte erlassen wurden. Zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, daß die Verneinung der Konnexität nicht gilt, wenn das zu beteiligende Organ zugleich subjektive Rechte seines Trägers wahrnimmt, die verletzten Kompetenzen also „für eigene Rechte des Rechtsträgers stehen"90 und zumindest auch dem Schutz eben dieser Rechte dienen. In derartigen Fällen beinhaltet die Kompetenzverletzung nämlich eine konnexe Rechtsverletzung des betreffenden Hoheitsträgers, und dieser (also nicht das Organ, das dessen Rechte wahrnehmen sollte) kann dann Anfechtungsklage erheben. Deshalb kann beispielsweise die Gemeinde - nicht der in der Sache für die Entscheidung zuständige Gemeinderat - eine Baugenehmigung anfechten, die von der Baugenehmigungsbehörde ohne gemeindliches Einvernehmen (§ 36 Abs. 1 S. 1 BauGB), d.h. ohne Beteiligung der Gemeinde oder trotz Versagung des Einvernehmens erteilt worden ist, weil sie dadurch in ihrer subjektivrechtlichen Planungshoheit verletzt wird 91 .

bb) Folgenbeseitigungsanspruch auf Rücknahme oder Widerruf des unter Verstoß gegen subjektive Organrechte erlassenen Verwaltungsakts Vorstehend wurde dargelegt, daß ein unter Mißachtung der internen Kompetenzordnung erlassener Verwaltungsakt nicht als solcher subjektive Organrechte verletzt und daher mangels Konnexität oder „Spiegelbildlichkeit" von Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung eine Anfechtung des betreffenden Verwaltungsakts durch das übergangene Organ ausscheidet. Diese Feststellung ändert aber andererseits nichts an dem Umstand, daß das Bestehen dieses Verwaltungsakts Folge der Rechtsverletzung ist, wenn er nämlich ohne diese vorausgegangene Organrechtsverletzung nicht erlassen worden wäre. Deshalb liegt die Überlegung nahe, ob das verletzende Organ aufgrund eines Folgenbeseitigungsanspruchs 92 verpflichtet sein kann, den Verwaltungsakt zur Wiederherstellung des status quo ante wieder aufzuheben, vorausgesetzt natürlich, daß dies nicht etwa infolge eines beachtlichen Vertrauensschutztatbestandes im Außenverhältnis unmöglich ist 93 .

90

BVerwGE 31,263, 267. BVerwGE 31, 263, 264 f.; Krautzberger, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 36 Rn. 17; Schrödter/Schmaltz, BauGB, § 36 Rn. 26. 92 Zu diesem oben G.IV. 1. 93 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 180; Lorenz, AöR 93 (1968), 335, 339; Widtmann., BayGO, Art. 51 Anm. 11; a.A. Schneider, NWVB1. 1996, 95. 91

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

(1) Folgenbeseitigungsanspruch

trotz ausgeschlossener Anfechtungsklage

Nun wird allerdings die Ansicht vertreten, die Verletzung subjektiver Organrechte führe überhaupt zu keinem „Aufhebungsanspruch" hinsichtlich des daraus resultierenden außenwirksamen Verwaltungshandelns 94, und zwar nicht nur in dem Sinne, daß eine Anfechtungsklage ausscheidet95, sondern dergestalt, daß auch kein Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts oder sonst Rückgängigmachung des fraglichen Verwaltungshandelns bestehe96. Insbesondere wird behauptet, die Verneinung der Anfechtungsmöglichkeit müsse „konsequenterweise" auch eine Verneinung des Folgenbeseitigungsanspruchs nach sich ziehen97. Diese restriktive Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Da nämlich die Anfechtungsklage strengere Begründetheitsvoraussetzungen als eine auf Durchsetzung des Folgenbeseitigungsanspruchs gerichtete Leistungsklage hat, stellt es keinen Widerspruch dar, erstere für unbegründet zu erachten und gleichwohl einen Folgenbeseitigungsanspruch zu bejahen. Zwar liegt auch der Anfechtungsklage ein materiellrechtlicher (Folgen)Beseitigungsanspruch auf Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts zugrunde 98. Indessen ist die Anfechtung und gerichtliche Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht die einzige Möglichkeit zur Realisierung eines solchen materiellen Anspruchs, und deshalb impliziert die Verneinung der Anfechtungsklage nicht das Fehlen eines Aufhebungsanspruchs. Die Anfechtung eines Verwaltungsakts ist ein besonders wirksamer Weg zur Durchsetzung eines materiellen Aufhebungsanspruchs, weil sie auf eine unmittelbare gerichtliche Rechtsgestaltung abzielt (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Eben diese Schneidigkeit der Anfechtungsklage bedingt nun aber gewisse restriktive Begründetheitsvoraussetzungen, welche bei einer anderweitigen Geltendmachung des (Folgen)Beseitigungsanspruchs auf Aufhebung des Verwaltungsakts so nicht bestehen. Dies ergibt sich aus einer genauen Betrachtung und einem Vergleich der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen. Der Erfolg der Anfechtungsklage eines Organs setzt nach dem Gesagten nicht nur voraus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, sondern dieser müßte als solcher subjektive Organrechte verletzen. Für die Begründetheit eines Folgenbeseitigungsanspruchs spielt hingegen keine Rolle, ob der Verwaltungsakt sei94

Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §113 (Lfg. 1996) Rn. 12; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 94. 95 S. vorstehend G.IV.3.a.aa. 96 Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 12 Fn. 45. 97 Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 12 Fn. 45. 98 S. obenG.IV.l.Fn. 19.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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nem Regelungsgehalt nach das Organ in seinen Rechten betrifft, solange sich nur der Verwaltungsakt als Folge einer solchen Rechtsverletzung darstellt. Während also fur den Erfolg einer Anfechtungsklage nicht ausreicht, daß der Erlaß des Verwaltungsakts das Organ in seinen Organrechten verletzt, knüpft der Folgenbeseitigungsanspruch in der Tat alleine an eine derartige Verletzung an und fragt nicht danach, ob auch das Resultat dieser Kompetenzverletzung eine Verletzung subjektiver Organrechte beinhaltet. Darin liegt kein Wertungswiderspruch. Denn immerhin sind die Rechtsfolgen in beiden Fällen durchaus verschieden. Die Anfechtungsklage hat strengere Begründetheitsvoraussetzungen, doch wenn sie begründet ist, dann führt sie ohne weiteres zur gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts. Insbesondere findet selbst im Rahmen einer Drittanfechtungsklage keinerlei Rücksichtnahme auf die Interessen des von der Aufhebung des Verwaltungsakts immerhin unmittelbar betroffenen Adressaten statt, und namentlich ist hier kein Raum für eine Berücksichtigung etwaiger Vertrauensschutzgesichtspunkte auf Seiten des durch den Verwaltungsakt Begünstigten. Verletzt ein Verwaltungsakt den Anfechtungskläger in subjektiven Rechten, so führt die ordnungsgemäße Erhebung der Anfechtungsklage nach der Gesetzeskonzeption zur gerichtlichen Aufhebung des Verwaltungsakts, ohne daß noch irgendwelche Interessenabwägungen erfolgten. Angesichts der damit verbundenen Ausblendung jeglichen Vertrauensschutzes zugunsten des durch den Verwaltungsakt Begünstigten ist es denn freilich angezeigt, das Konnexitätskriterium ernst zu nehmen. Ganz anders verhält es sich mit dem Folgenbeseitigungsanspruch außerhalb der Anfechtungsklage. Hier ist lediglich ein rechtsverletzender Akt vorausgesetzt, dessen rechtswidrigen Folgen zu beseitigen sind, nicht jedoch zusätzlich noch ein Rechtswidrigkeitszusammenhang dergestalt, daß auch diese Folgen für sich eine subjektive Rechtsverletzung darstellen müssen. Dafür aber ist der Folgenbeseitigungsanspruch nicht ohne Rücksicht auf die Interessen des durch den zu beseitigenden Verwaltungsakt begünstigten Dritten durchzusetzen. Der Folgenbeseitigungsanspruch gibt nämlich lediglich einen Anspruch auf Beseitigung der Folgen, stellt aber nicht selbst eine Ermächtigung für etwaige zwecks Folgenbeseitigung erforderlich werdende Eingriffe in die Rechte eines Dritten dar; hierzu bedarf es vielmehr einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung 99, und bei deren Anwendung ist je nach ihrer Ausgestaltung Raum für die Berücksichtigung der Interessen des Dritten.

99

Vgl. OVG Magdeburg, DVB1. 1996, 162; Achterberg,, AllgVerwR, § 25 Rn. 13; Drew s/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 340; Kopp, VwGO, § 113 Rn. 39; Masing, DÖV 1999, 576; Maurer, AllgVerwR, § 29 Rn. 12.

8 7 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten (2) §§ 48, 49 VwVfG als gesetzliche Ermächtigung für Rücknahme bzw. Widerruf organrechtsverletzend zustande gekommener Verwaltungsakte Allerdings wird die Ansicht vertreten, daß der Folgenbeseitigungsanspruch selbst eine hinreichende Rechtsgrundlage für die verwaltungsbehördliche Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts darstelle, neben dem es keiner besonderen Ermächtigung bedürfe 100 . Nun könnte man meinen, diese Streitfrage könne im vorliegenden Fall dahinstehen, weil als Rechtsgrundlage zur Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte jedenfalls §§ 48, 49 VwVfG zur Verfügung stehen101, nach denen unter den darin näher bezeichneten Voraussetzungen sogar bestandskräftige Verwaltungsakte zurückgenommen bzw. widerrufen werden können. Indessen macht es sehr wohl einen Unterschied, ob die Aufhebung eines Verwaltungsakts zur Erfüllung eines Folgenbeseitigungsanspruchs nur unter Beachtung der einschränkenden Vertrauensschutzbestimmungen der §§ 48, 49 VwVfG zulässig ist oder ob der Folgenbeseitigungsanspruch selbst als Grundlage des Eingriffs dienen kann und deshalb keine derartigen Voraussetzungen einzuhalten sind 102 . Das Verhältnis von Folgenbeseitigungsanspruch und Eingriffsermächtigung ist zunächst an dem Grundfall zu orientieren, daß der Rechtsverletzer allein mit dem Verletzten in einem Rechtsverhältnis steht. Hier ist es allerdings richtig, daß es neben dem Folgenbeseitigungsanspruch keiner Eingriffsermächtigung bedarf. Dies folgt jedoch nicht daraus, daß der Folgenbeseitigungsanspruch diese Eingriffsermächtigung darstellte, sondern vielmehr daraus, daß hier überhaupt kein Eingriff vorliegt, weil die vom Verletzten mit der Geltendmachung seines Folgenbeseitigungsanspruchs selbst angestrebte Wiederherstellung des status quo ante ihn von vornherein nicht in seinen Rechten beeinträchtigt. Problematisch sind deshalb allein die dreipoligen Verhältnisse, in denen die Erfüllung einer hoheitlichen Pflicht nur durch einen Eingriff in die Rechte eines Dritten möglich ist. Grundsätzlich gilt hier, daß es den Dritten nicht zu interessieren braucht, welche Pflichten den Staat in einer anderen, für ihn fremden Zweierre100 Schenke, DVBl. 1996, 390; ders., Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 198; SchmidtPreuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 215; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 52 Rn. 26. 101 Vgl. BVerwGE 92, 81, 82; Knack/Klappstein, VwVfG, §49 Rn. 2; Kopp, VwVfG, §48 Rn. 21; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §48 Rn. 2; Schenke, NVwZ 1993, 722 Fn. 30; Schnapp/Cordewener, JuS 1999, 42. 102 Die hiesige Lage weicht von der im Polizeirecht ab, weil es dort angesichts der keine zusätzlichen Anforderungen aufstellenden polizeilichen Generalklausel in der Tat praktisch unerheblich ist, ob ein Eingriff in die Rechte eines Dritten auf die Generalklausel gestützt oder mit einem Folgenbeseitigungsanspruch legitimiert wird. Sobald jedoch die allein vorhandene gesetzliche Eingriffsermächtigung eigenständig restriktive Voraussetzungen statuiert, zeigt sich auch praktisch der Unterschied zu der Lehre vom Folgenbeseitigungsanspruch als Eingriffsermächtigung.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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lation treffen. Folglich muß er nicht schon deswegen eine Einschränkung seiner Rechte hinnehmen, damit die Verwaltung eine anderweit bestehende Verpflichtung erfüllen kann. Einen solchen Eingriff muß er nur dann dulden, wenn der Gesetzgeber angeordnet hat, daß seine Rechte im Interesse der Pflichterfüllung zugunsten des anderen zurückstehen müssen. Als Ausgangspunkt ist allerdings festzuhalten, daß die Rechtsordnung in der Tat selbstwidersprüchlich wäre, würde sie einem Rechtssubjekt eine bestimmte Handlung zur Rechtspflicht machen und ihm diese gleichzeitig rechtlich untersagen103. Aus dieser Erkenntnis folgt indessen nicht, daß der Folgenbeseitigungsanspruch keiner gesonderten Ermächtigung bedürfte, um auch gegen den Willen eines Dritten durch Eingriff in dessen Rechte erfüllt werden zu können. Das wäre nur dann zwingend, wenn der Folgenbeseitigungsanspruch wirklich in vollem Umfange bestünde. Es ist aber gerade die Frage, ob ein Folgenbeseitigungsanspruch überhaupt gegeben ist, wenn er nur durch einen Eingriff in die Rechte Dritter zu erfüllen ist und eine gesetzliche Ermächtigung für diesen Eingriff fehlt. Diesbezüglich ist aber davon auszugehen, daß der Folgenbeseitigungsanspruch nach dem Grundsatz impossibilium nulla est obligatio 104 gar nicht erst entsteht bzw. wieder untergeht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen seiner Erfüllung fehlen bzw. (endgültig) entfallen. Tatsächlich stellt es auch sonst einen Unmöglichkeitsgrund dar, wenn der Verpflichtete einen Anspruch nur durch einen Eingriff in die Rechte eines Dritten zu erfüllen vermöchte und dieser Eingriff nicht in seiner Rechtsmacht liegt. Verkauft jemand beispielsweise eine Sache, die einem anderen gehört, dann hängt die Erfüllbarkeit des Kaufvertrages davon ab, ob es dem Verkäufer gelingt, die Sache selber zu erwerben bzw. den Eigentümer zur Übereignung an den Käufer zu bewegen; solange eine derartige Lösung auch nur möglich erscheint, besteht die unbedingte Verpflichtung des Verkäufers, dem Käufer das Eigentum zu verschaffen 105. Erst wenn der Versuch des Verkäufers, die Verfügungsmacht über die Sache zu erlangen, definitiv scheitert, weil der Eigentümer diese partout nicht hergeben will, entfällt die Pflicht zur Eigentumsverschaffung wegen subjektiver Unmöglichkeit106 (je nachdem, ob dieses Unvermögen ein anfängliches war oder nachträglich entstand und zu vertreten ist, kommen dann Schadensersatzansprüche des Käufers in Betracht). Niemals aber verleiht selbstverständlich der Umstand, daß der Verkäufer den Kaufvertrag nur durch einen Eingriff in die Rechte des wirklichen Eigentümers erfüllen könnte, dem Verkäufer etwa nach Notstands- oder ähn103

Roth, Faktische Eingriffe, S. 436; Schenke, DVB1. 1996, 390 („contradictio in ad-

iecto"). 104

S. oben G.IV.2. RGZ 80, 247, 249 f.; 99, 232, 234; BGHZ 131, 176, 183; BGH, NJW 1988, 699, 700; 1999, 2034, 2035; 2000, 504, 505; Emmerich, in MünchKomm BGB, § 275 Rn. 89, 95 f.; Larenz, Schuldrecht I, S. 98. 106 Zu diesen und vergleichbaren Fällen RGZ 80, 247, 250; 99, 232, 234; BGHZ 47, 266, 269; 85, 267, 270 f.; BGH, NJW 1988, 699, 700; 1999, 2034, 2035; Palandt/ Heinrichs, BGB, § 275 Rn. 15; Soergel/Wiedemann, BGB, § 275 Rn. 52 f.; Staudinger/ Löwisch, BGB, § 275 Rn. 50 f., 56. 105

8 7 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten liehen Grundsätzen eine diesbezügliche Eingriffsbefugnis. Die Rechtsordnung kennt also sehr wohl Fälle, in denen das Bestehen eines Anspruchs durch die rechtliche Möglichkeit seiner Erfüllung bedingt ist und in denen der Anspruch entfällt, wenn die Rechte eines Dritten seiner Erfüllung endgültig entgegenstehen. Das rechtliche Unvermögen, eine Rechtspflicht wider den Willen eines Dritten zu erfüllen, verleiht keine Eingriffsbefugnis gegenüber dem Dritten, sondern führt zur Unmöglichkeit der Leistung und damit zum Wegfall der Leistungspflicht (vgl. § 275 BGB), unbeschadet natürlich des etwaigen Entstehens von Schadensersatzansprüchen. Dasselbe gilt für den Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB: Da dieser nur dann untergeht, wenn der Verpflichtete ihn unter keinen Umständen zu erfüllen vermag, hindern entgegenstehende Rechte Dritter die Bejahung des Beseitigungsanspruchs jedenfalls solange nicht, wie es nicht ausgeschlossen erscheint, daß der Störer die Voraussetzungen zur Störungsbeseitigung im Wege der Verhandlung mit diesem Dritten noch schaffen kann 107 . Die Rechtsordnung geht hiemach also nicht davon aus, daß es bei jedem Rechtsanspruch möglich sein müsse, etwaige der Erfüllung entgegenstehende Rechte Dritter zu überwinden, sondern nimmt aus Rücksicht auf deren Rechte notfalls eher den Untergang des Anspruchs hin.

Vor diesem Hintergrund entgegenstehender Rechte Dritter als allgemein anerkanntem subjektivem Unmöglichkeitsgrund spricht nichts gegen die Annahme, daß Folgenbeseitigungsansprüche entstehen können, welche sich dann kraft eines entgegenstehenden Rechts eines Dritten letztlich nicht erfüllen lassen. Jedoch betreffen derartige zur Unmöglichkeit der Wiederherstellung des früheren Zustandes führenden Hindernisse eben allein die Grenzen des Folgenbeseitigungsanspruchs, nicht seine tatbestandlichen Voraussetzungen 108. Zunächst kann ein Folgenbeseitigungsanspruch als Folge einer Organrechtsverletzung unbedingt entstehen, weil es nicht auszuschließen ist, daß der Dritte zu einer Einwilligung zu bewegen ist, welche die Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs ermöglichen würde. Verweigert der Dritte diese Einwilligung aber definitiv und besteht keine gesetzliche Ermächtigung, ihn zur Duldung des Eingriffs zu zwingen, so geht der Folgenbeseitigungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit unter. Deshalb läßt sich für den Folgenbeseitigungsanspruch nicht postulieren, er müsse, um notwendig erfüllbar zu sein, die Eingriffsermächtigung in sich tragen. Vielmehr ist im Sinne einer kohärenten Rechtsordnung davon auszugehen, daß die Erfüllung eines Folgenbeseitigungsanspruchs aufgrund rechtlicher Unzulässigkeit unmöglich sein kann, wenn seine Erfüllung einen Eingriff in Rechte Dritter erforderte, der Gesetzgeber dafür aber keine Grundlage geschaffen hat. Richtig ist allerdings, daß es in bestimmten Konstellationen von Grundrechtskollisionen m in der Tat keiner besonderen Eingriffsermächtigung bedarf, um 107

BGH, NJW 2000, 2901, 2902. Treffend BVerwGE 94, 100, 111. 109 Zu den Grundrechtskollisionen näher Roth, Faktische Eingriffe, S. 461 ff; ders., Vertragsinhaltskontrolle, S. 242 ff; vgl. BVerfGE 89, 214, 232; 96, 56, 63 ff; 97, 169, 176; Looschelders/Roth, JZ 1995, 1040 ff. 108

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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einen Folgenbeseitigungsanspruch zu Lasten eines Dritten erfüllen zu können: Wenn zwei grundrechtlich fundierte Ansprüche derart miteinander kollidieren, daß der verpflichtete Träger öffentlicher Gewalt nicht beide zugleich erfüllen kann, so bewirkt diese Kollision aus teleologischen Gründen eine sich nach dem Maßstab praktischer Konkordanz bemessende Einschränkung der Schutzbereiche der betroffenen Grundrechte 110. Da nun hoheitliches Handeln jenseits des Schutzbereichs dem Schutz des Grundrechts gar nicht mehr unterfällt, bedarf der Träger öffentlicher Gewalt für ein Handeln in jenem ungeschützten Bereich folglich keiner gesetzlichen Ermächtigung; die Ausnutzung von Schutzbereichsschranken unterliegt mit anderen Worten keinem Vorbehalt des Gesetzes111. Der zur Erfüllung kollidierender grundrechtlicher Ansprüche berufene Träger öffentlicher Gewalt muß diese Kollision unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit möglichst schonend auflösen, bedarf hierzu aber keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung, mag eine gesetzliche Regelung mitunter auch im Interesse größerer Rechtssicherheit wünschenswert sein. Deshalb benötigt die Behörde, wenn sie zur Erfüllung eines grundrechtlichen Anspruchs lediglich von einer Schutzbereichsschranke Gebrauch macht, also in einem Bereich agiert, der infolge der kollisionsweisen Zurückdrängung des grundrechtlichen Schutzbereichs gar nicht mehr im Schutzbereich des weichenden Grundrechts liegt, keine gesetzliche Eingriffsermächtigung. So kann insbesondere in Konkurrentenfällen eine eigenständige Rechtsgrundlage zur Erfüllung eines Folgenbeseitigungsanspruchs verzichtbar sein 112 : Wird beispielsweise dem einen unter Verletzung der Berufsfreiheit eines anderen eine Genehmigung erteilt, so erwächst dem Übergangenen ein Folgenbeseitigungsanspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG; der zu Unrecht Begünstigte muß es dann nach Kollisionsgedanken hinnehmen, wenn ihm - selbstverständlich unter Beachtung des Übermaßverbotes und eines etwaigen schutzwürdigen Vertrauens - auch ohne gesonderte Rechtsgrundlage die Begünstigung zwecks Erfüllung des grundrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs des grundrechtswidrig Übergangenen wieder entzogen wird.

Anders verhält es sich, wenn der Folgenbeseitigungsanspruch nicht der Durchsetzung grundrechtlicher Ansprüche dient und somit nicht grundrechtlich fundiert ist, sondern sich aus sonstigem Verfassungsrecht ergibt oder gar nur einfachgesetzlichen Rang beansprucht. Dann nämlich liegt keine Grundrechts-, sondern allenfalls eine Verfassungskollision vor 113 , und diese läßt den Schutzbereich der Grundrechte unberührt, sondern eröffnet nur die Möglichkeit einer Rechtfertigung eines vorzunehmenden Grundrechtseingriffs; Verfassungskollisionen begründen mit anderen Worten Rechtfertigungsschranken 114. Will die 110

Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 456 ff. Ausführlich hierzu Roth, Faktische Eingriffe, S. 515 ff; vgl. Looschelders/Roth, JZ 1995, 1042 Fn. 83; Roth, Vertragsinhaltskontrolle, S. 245 Fn. 109. 112 Vgl. Schenke, DVBl. 1996, 388 ff 113 Zu den Verfassungskollisionen näher Roth, Faktische Eingriffe, S. 470 ff. 114 Roth, Faktische Eingriffe, S. 483. 111

8 7 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Verwaltung in Verfolgung derartiger Ziele in ein Grundrecht eingreifen, so benötigt sie deshalb eine gesetzliche Eingriffsermächtigung. Es ist von daher eine allgemeine Eigenschaft von Verfassungskollisionen, daß Verfassungsgüter, und mögen sie noch so bedeutsam sein, nicht zu Lasten von Grundrechten durchgesetzt werden können, wenn es der Gesetzgeber versäumt, in Gestalt einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung eine entsprechende Durchsetzungsanordnung zu geben 115 . Die materielle Eingriffslegitimation allein genügt also nie. Sie muß vielmehr kompetentiell durch eine Eingriffsermächtigung seitens des Gesetzgebers begleitet sein 116 . Eben so verhält es sich nun in den hier interessierenden Fällen. Die Verletzung eines subjektiven Organrechts zieht zwar einen Folgenbeseitigungsanspruch nach sich. Dieser ist aber ebensowenig grundrechtlicher Natur wie das primäre Organrecht selbst, da die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht grundrechtsfähig sind 117 . Gewiß stellt die Erfüllung eines Folgenbeseitigungsanspruchs eines in seinen Organrechten verletzten Organs einen gewichtigen Gemeinwohlbelang dar, der einen verhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte materiell durchaus zu rechtfertigen geeignet sein kann. Zusätzlich bedarf es aber eben noch der kompetentiellen Rechtfertigungsvoraussetzung einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung. Eine solche ist hier schon deshalb unverzichtbar, weil dem Gesetzgeber ein sehr weiter Gestaltungsspielraum zukommt, ob und inwieweit er hoheitlichen Organen in ihrem Verhältnis zueinander einen durchsetzbaren Folgenbeseitigungsanspruch geben will, wenn dieser nur mittels eines Eingriffs in subjektive Rechte Dritter zu erfüllen ist. Durch die Forderung einer zusätzlichen gesetzlichen Eingriffsermächtigung wird der Folgenbeseitigungsanspruch nicht unzulässig zur „Disposition" des einfachen Gesetzgebers gestellt 118 . Sofern ein konkreter Folgenbeseitigungsanspruch nicht ohnehin lediglich einfachgesetzlichen Rang hat und dann ganz zu Recht der Entscheidung des einfachen Gesetzgebers unterliegt, sondern verfassungsrechtlich verankert ist, steht es nämlich keineswegs im Belieben des Gesetzgebers, ob er die erforderliche Eingriffsermächtigung schaffen will, sondern vielmehr ist er hierzu verfassungsrechtlich verpflichtet, und wenn er die Schaffung der zur Erfüllung verfassungsrechtlicher Ansprüche erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen versäumt, verletzt er die Verfassung. Richtig ist zwar, daß der Folgenbeseitigungsanspruch dann unter Umständen solange nicht erfüllt werden könnte, solange der Gesetzgeber dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Daß die Erfüllung verfassungsmäßig gewährleisteter Rechte von einem vorheri115

Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 517 ff. Zu den kompetentiellen und substantiellen (materiellen und formellen) Aspekten jeder Eingriffsrechtfertigung vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 476 ff. 117 S. oben B.I.2.a. 118 So die Befürchtung von Schenke, DVB1. 1996, 390; ders., Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 198. 116

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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gen Handeln des Gesetzgebers abhängen kann, ist freilich weder ein neues noch ein nur den Folgenbeseitigungsanspruch betreffendes Phänomen, sondern im Verfassungsrecht auch sonst geläufig, und zwar selbst im grundrechtlichen Bereich; prozessual fuhren derartige Versäumnisse des Gesetzgebers zu einer entsprechenden Feststellung sowie einer Verfahrensaussetzung, bis der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Anspruch durch eine angemessene Normierung verwirklicht 119 . Im Ergebnis ist nach alledem daran festzuhalten, daß die behördliche Aufhebung eines einen Dritten begünstigenden Verwaltungsakts zwecks Erfüllung eines organschaftlichen Folgenbeseitigungsanspruchs einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Als solche kommen im vorliegenden Kontext im allgemeinen, d.h. sofern nicht nach der betroffenen Regelungsmaterie besondere Rücknahme- und Widerrufsermächtigungen einschlägig sind, die §§48, 49 VwVfG in Betracht, so daß der Folgenbeseitigungsanspruch nur unter Beachtung der in diesen Vorschriften statuierten Voraussetzungen erfüllbar ist 120 .

(3) Anwendbarkeit der Widerrufsvorschriften

trotz Kompetenzwidrigkeit

Nun mag es überraschen, wenn in vorliegendem Kontext auch § 49 VwVfG als in Betracht zu ziehende gesetzliche Grundlage für die zwecks Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs eines verletzten Organs etwa erforderliche Aufhebung eines drittbegünstigenden Verwaltungsakts angeführt wird. Denn diese Vorschrift bezieht sich auf rechtmäßige Verwaltungsakte, während ja ein unter Verstoß gegen Kompetenzvorschriften ergangener Verwaltungsakt rechtswidrig und daher ausschließlich nach § 48 VwVfG aufhebbar zu sein scheint. Eine solche Sichtweise wäre indes zu undifferenziert. Zum einen ist denkbar, daß dem Verwaltungsakt lediglich ein Verstoß gegen eine keinen Rechtssatz darstellende Geschäftsordnungsbestimmung vorausgegangen ist, welcher Verstoß zwar ebensowenig wie ein Verstoß gegen eine Verwaltungsverordnung 121 die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts im Außenverhältnis zu begründen vermag 122 , wohl aber, wenn durch die Geschäftsordnung einem Organteil Rechte einge119

Vgl. BVerfGE 39, 316, 333; 81, 363, 385 f.; BVerwGE 79, 154, 157; Roth, Faktische Eingriffe, S. 441. 120 Zur Parallelproblematik, daß bei vollzogenen gemeindlichen Beschlüssen auch die Rechtsaufsichtsbehörde nur dann von der Gemeinde verlangen kann, die getroffenen Maßnahmen rückgängig zu machen (vgl. § 121 Abs. 1 S. 2 GemO BW), wenn dies materiell- und verfahrensmäßig möglich ist, vgl. VGH München, VRspr 10, 594, 600; OVG Münster, NVwZ 1987, 155, 156; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 812; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 441; Kunze/v. Rotberg, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 121 (7. Lfg. 1989) Rn. 13. 121 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1999, 30, 31. 122 Vgl. OVG Münster, NWVBl. 1995, 251; DÖV 1997, 344 f.; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 112; Schneider, NWVBl. 1996, 92. Zur Irrelevanz bloßer Geschäftsordnungsverstöße für die Rechtmäßigkeit von Rechtssätzen oben G.III.3.a.

8 8 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten räumt sind 123 , organrechtswidrig sein mag 124 und damit einen Folgenbeseitigungsanspruch auslösen kann. Vor allem aber muß der Verwaltungsakt selbst dann nicht rechtswidrig im Sinne des § 48 VwVfG sein, wenn das verletzte Organrecht gesetzlich begründet war. Zwar ist in einem allgemeinen Sinne trivial, daß ein unter Verstoß gegen subjektive Organrechte erlassener Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Denn daß sich die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts nicht allein materiellrechtlich bemißt, sondern auch als formelle Rechtswidrigkeit bestehen kann, ergibt sich ohne weiteres unter anderem aus §§ 44 ff. VwVfG, die ausdrücklich die Folgen von Verfahrens- und Formfehlern regeln 125 . Indessen ist stets die Relativität jeder Rechtswidrigkeit zu bedenken126: Die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme ergibt sich aus dem Verstoß gegen eine Rechtsnorm, und insofern ist ein Akt immer rechtswidrig in bezug auf eine bestimmte Rechtsnorm. Sie mag dann zwar auch in einem übergreifenden Sinne als rechtswidrig bezeichnet werden, doch ein solches übergreifendes Rechtswidrigkeitsurteil ist wenig aussagekräftig. Von Bedeutung ist immer nur die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme in einem bestimmten Rechtsverhältnis, doch eben diese Bewertung hängt von den in diesem Rechtsverhältnis geltenden Rechtsnormen ab; daß eine Maßnahme in dem einen Rechtsverhältnis rechtswidrig ist, besagt deshalb nicht, daß sie auch in einem womöglich ganz anders ausgestalteten und von anderen Rechtsnormen beherrschten anderen Rechtsverhältnis als rechtswidrig anzusehen sein müßte 127 . Diese Relativität des Rechtmäßigkeits- bzw. Rechtswidrigkeitsurteils gilt auch im Hinblick auf die Bezugsebenen des Innen- respektive Außenrechts 128. Infolgedessen ist keineswegs gesagt, daß jeder Kompetenzverstoß auch eine Rechtswidrigkeit im Sinne des § 48 VwVfG begründet 129 und der Annahme einer Rechtmäßigkeit im Sinne des § 49 VwVfG entgegensteht. Bei §§ 48, 49 VwVfG geht es um die Frage der Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit des

123

Zu dieser Möglichkeit oben D.III.2.a. OVG Münster, NWVB1. 1995, 251; Schneider, NWVB1. 1996, 91 f., 93. 125 Vgl. Hufen, Fehler, Rn. 499; Kopp, VwVfG, § 48 Rn. 23; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 25; Meyer/Borgs, VwVfG, § 48 Rn. 9; Schneider, NWVB1. 1996, 89 f.; Ule/ Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 61 Rn. 16. 126 Vgl. hierzu Kirchhof Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten, S. 11 ff.; Roth, Faktische Eingriffe, S. 558 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 46 ff. 127 Vgl. BVerwG, NJW 1976, 303, 305; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 355; Roth, Faktische Eingriffe, S. 369; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 186 f. 128 Treffend Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 187 f. unter Bezugnahme auf die entsprechende Unterscheidung beider „Relationssysteme" bei Wolff Organschaft II, S. 249. 129 Zutreffend Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 12 Fn. 45. 124

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Verwaltungsakts im Außenverhältnis 130, und mitnichten jeder interne Kompetenzverstoß schlägt auf dieses Außenverhältnis zum Bürger durch. Daß es bei §§ 48, 49 VwVfG um die Außenrechtswidrigkeit geht, ergibt sich aus der Zielsetzung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, der Definition des Verwaltungsakts, der Gesetzessystematik und dem Schutzzweck des § 49 VwVfG. Nach § 9 VwVfG ist das Verwaltungsverfahren „die nach außen wirkende Tätigkeit" der Behörden, insbesondere soweit sie auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlaß eines Verwaltungsakts gerichtet ist, und nach § 35 S. 1 VwVfG muß ein Verwaltungsakt „auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet" sein. Schon diese Außenrechtsbezogenheit des Verwaltungsakts legt es nahe, auch die Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit desselben im Außenverhältnis zu beurteilen. So wie der Bürger keineswegs jeden Verstoß gegen interne Kompetenzvorschriften heranziehen kann, um seiner Anfechtungsklage zum Erfolg zu verhelfen, sondern eben akzeptieren muß, daß manche Kompetenzvorschriften nicht (auch) seinem Schutz dienen und ihre Verletzung somit keine subjektive Rechtsverletzung im Sinne der § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO begründet, so fuhrt - weil der Begriff der Rechtswidrigkeit in diesen Bestimmungen derselbe ist 131 - eben umgekehrt nicht jede Kompetenzverletzung zur Rechtswidrigkeit im Sinne des § 48 VwVfG, sondern kann die Rechtmäßigkeit im Sinne des § 49 VwVfG unberührt lassen. Nur dieses Verständnis ist schließlich auch mit dem Schutzzweck des § 49 VwVfG zu vereinbaren. Der Widerruf eines begünstigenden rechtmäßigen Verwaltungsakts ist nämlich, wie sich aus einem Vergleich des § 49 Abs. 2 und 3 VwVfG mit § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 bis 4 VwVfG ergibt, nur unter deutlich schwereren Voraussetzungen zulässig wie die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Dies basiert auf der korrekten Wertung des Gesetzgebers, daß das Vertrauen des Bürgers auf den Bestand eines rechtmäßigen Verwaltungsakts schutzwürdiger ist als das Vertrauen auf den Bestand eines rechtswidrigen 132. Nun haben aber offenbar nicht alle Rechtsnormen dieselbe Bedeutung für das Vertrauen. So wie es einerseits Rechtsnormen gibt, die die Rechtsstellung des Bürgers unmittelbar oder zumindest mittelbar berühren, so gibt es andererseits Rechtsnormen, die den Bürger überhaupt nicht zu interessieren brauchen. Muß er sich um diese aber nicht kümmern, so kann ihm egal sein, ob dagegen verstoßen wurde. Konsequenterweise kann dann jedoch ein Verstoß gegen derartige Rechtsvorschriften nicht als Argument für ein vermindertes Vertrauen des Bür130 Vgl. Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 12 Fn. 45; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 61; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 51 Rn. 23. 131 OVG Münster, DÖV 1989, 456, 457; Kopp, VwVfG, § 48 Rn. 23; Meyer/Borgs, VwVfG, § 46 Rn. 8. 132 Vgl. Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 2; femer BVerwGE 32, 12, 14.

58 Roth

8 8 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten gers angeführt werden; mithin ist auch teleologisch nicht begründbar, wie ein solcher Verstoß zur Anwendung des § 48 VwVfG mit seinem reduzierten Vertrauensschutz führen sollte. Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche der §§48 bzw. 49 VwVfG muß daher jeweils untersucht werden, ob die den Folgenbeseitigungsanspruch begründende Organrechtsverletzung von einer solchen Art war, daß sie sich auch im Außenverhältnis auswirkte. Davon ist immer dann auszugehen, wenn dem außerhalb der Organisation stehenden Rechtssubjekt, insbesondere also dem Bürger, ein Recht zusteht, daß seine Angelegenheiten nur durch das zuständige Organ und unter Einhaltung der internen Kompetenzordnung im übrigen erledigt werden 133, , 3 4 . Deshalb liegt eine Rechtswidrigkeit im Außenverhältnis insbesondere dann vor, wenn die unzuständige Behörde gehandelt hat, oder die zuständige Behörde ohne die nach dem Gesetz erforderliche Mitwirkung einer anderen (vgl. § 44 Abs. 3 Nr. 4, § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG). Ist dies der Fall, so ist der den Bürger begünstigende Verwaltungsakt gemäß § 48 VwVfG rücknehmbar 135. Eine unbillige Benachteiligung des Bürgers liegt hierin nicht. Besitzt der Kompetenzverstoß Außenwirkung, so hätte der Bürger, wenn der Verwaltungsakt in seine Rechte eingriffe, nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO dessen Aufhebung im Wege der Anfechtungsklage erlangen können. Wenn nun der Verwaltungsakt den Bürger begünstigt und nicht seine Rechte beeinträchtigt, so ändert dies doch nichts daran, daß der Verwaltungsakt bei einem Kompetenzverstoß der gleichen Art immer noch im Außenverhältnis rechtswidrig sein muß; der Fehler des Verwaltungsakts, der sich bei der Anfechtungsklage zugunsten des anfechtenden Adressaten ausgewirkt hätte, wirkt sich bei der Rücknahme zu seinen Lasten aus, weil die Begünstigung nach § 48 VwVfG weniger Schutz genießt. Problematisch erscheint, ob sich die zur Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs des in seinen Rechten verletzten Organs etwa erforderliche Aufhebung des drittbegünstigenden Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG oder nach § 49 VwVfG richtet, wenn zwar der verletzten Kompetenzvorschrift keine Außenwirksamkeit zukommt und der Kompetenzverstoß daher nicht selbst eine Rechtswidrigkeit im Sinne des § 48 VwVfG begründet, der betreffende Verwaltungsakt aber zusätzlich noch aus einem hiervon unabhängigen anderen Grund

133

Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 187. Zu beachten ist, daß sich der Anspruch des Bürgers auf das zuständige Organ immer nur auf die Behördenzuständigkeit bezieht, anders als beim Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) also nie auf den durch eine interne hierarchische Weisung bestimmten Beamten, und zwar auch dann nicht, wenn dessen weisungsmäßige Zuständigkeit auf einer durch generell-abstrakte Verwaltungsverordnung errichteten internen Kompetenzordnung beruht, vgl. Schnapp, Amtsrecht, S. 204 ff. 135 Vgl. VGH München, BayVBl. 1994, 51 f.; Lange, Innenrecht, S. 315 f. 134

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materiell oder formell rechtswidrig ist. Gegen einen Rückgriff auf § 48 VwVfG könnte solchenfalls sprechen, daß jene andere Rechtsnorm, deren Verletzung zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt, nicht das unabhängig davon in seinen Kompetenzen verletzte Organ schützen soll, und es daher zweifelhaft erscheinen könnte, ob dieses gleichwohl durch eine erleichterte Aufhebbarkeit von dieser anderweit begründeten Außenrechtswidrigkeit profitieren soll. Andererseits ist zu bedenken: Das den Folgenbeseitigungsanspruch geltend machende Organ leitet diesen allein aus der Verletzung seiner subjektiven Organrechte her und beruft sich hierzu keineswegs auf jenen anderen Rechtsverstoß. Die Frage ist allein, ob der Begünstigte nach § 49 VwVfG oder nur nach § 48 VwVfG in seinem Vertrauen auf den Bestand des ihn begünstigenden Verwaltungsakts geschützt werden soll. In dieser Hinsicht führt aber nun einmal jeder Verstoß gegen (auch) im Außenverhältnis geltendes Recht seiner Natur nach zu einer verminderten Schutzwürdigkeit des Begünstigten. Deshalb ist es gerechtfertigt, in einem solchen Fall die Rücknahme nach § 48 VwVfG zu gestatten. Jede andere Sicht mündete zudem in einen seltsamen Wertungswiderspruch: Wenn ein Verwaltungsakt wegen eines im Außenverhältnis wirkenden Rechtsverstoßes rechtswidrig ist, dann richtet sich seine Rücknahme unzweifelhaft nach § 48 VwVfG, wenn die zuständige Behörde ihn aus eigener Initiative aufheben will. Es ist nicht ersichtlich, wieso der Begünstigte besser geschützt sein soll, wenn die Behörde die Rücknahme nicht aus eigenem Antrieb, sondern zur Erfüllung eines diesbezüglichen Folgenbeseitigungsanspruchs eines durch den Erlaß dieses Verwaltungsakts in seinen Organrechten verletzten Organs verfügen will.

(4) Ausschluß des Rücknahme- und Widerrufsermessens durch den Folgenbeseitigungsanspruch und Fortbestehen des Vertrauensschutzes Daß zur Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs des in seinen Rechten verletzten Organs auf die Ermächtigung des § 48 bzw. § 49 VwVfG zurückzugreifen ist, um den einen Bürger begünstigenden Verwaltungsakt aufheben zu können, hat nun folgende Konsequenz innerhalb der Systematik dieser Vorschriften: Infolge der sich aus dem Folgenbeseitigungsanspruch ergebenden Pflicht zur Aufhebung ist zwar das Ermessen des verpflichteten Organs bei seiner Entscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf ausgeschlossen™ 6. Unbeschadet dessen setzen aber die Rücknahme bzw. der Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts voraus, daß die in § 48 Abs. 2 bis 4 bzw. § 49 Abs. 2 und 3 VwVfG genannten Rücknahme- bzw. Widerrufsgründe vorliegen 136

Zur ermessensausschließenden Wirkung von Rücknahme- und Widerrufspflichten vgl. BVerwGE 67, 305, 311; 74, 357, 361; 88, 278, 283; 92, 81, 87; 95, 213, 223; z.T. a.A. Masing, DÖV 1999, 576.

8 8 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten und die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind 137 . Denn der Folgenbeseitigungsanspruch verschiebt nicht etwaige den Schutz des Dritten bezweckende rechtliche Grenzen der zu treffenden Ermessensentscheidung138. Insbesondere bleiben von dem Ausschluß des Rücknahme- oder Widerrufsermessens die in den genannten Vorschriften enthaltenen Vertrauensschutzbestimmungen zugunsten des durch den Verwaltungsakt Begünstigten unberührt U9. Denn dieser Vertrauensschutz beruht nicht auf einer in das Ermessen der Behörde gestellten Billigkeitsabwägung, die zugleich mit dem Ausschluß des Ermessens entfiele, sondern er basiert auf einer gesetzgeberischen Abwägung des Interesses der Allgemeinheit an der Aufhebung und des Vertrauens des Begünstigten auf den Bestand des begünstigenden Verwaltungsakts 140. Das zuständige Organ hat daher bei der Anwendung dieser Vorschriften immer zuerst das Vorliegen schutzwürdigen Vertrauens zu prüfen und dieses gegebenenfalls gegen das öffentliche Interesse an der Rücknahme bzw. dem Widerruf abzuwägen141, eine Prüfung, hinsichtlich welcher ihm übrigens kein Ermessen zusteht. Überwiegt das Vertrauensinteresse auf Seiten des Bürgers, so scheiden Rücknahme oder Widerruf des begünstigenden Verwaltungsakts aus. Steht hingegen kein schutzwürdiges Vertrauen der Aufhebung des Verwaltungsakts entgegen, dann muß ihn das verpflichtete Organ ohne weiteren Ermessensspielraum aufheben, um seiner aus dem Folgenbeseitigungsanspruch fließenden Aufhebungspflicht nachzukommen142. Bei der Prüfung der Rücknehmbarkeit des Verwaltungsakts wird in der Praxis in erster Linie zu untersuchen sein, ob sich der Begünstigte schon deshalb nicht auf ein Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts berufen kann, weil er dessen Rechtswidrigkeit kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG). Sofern dies zu bejahen ist, steht der Rücknahme des Verwaltungsakts unter Vertrauensschutzgesichtspunkten nichts entgegen, und dann ergibt sich aus dem Folgenbeseitigungsanspruch ein Rechtsanspruch des verletzten Organs auf Rücknahme. Allerdings ist einschränkend zu beachten, daß grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG 137

BVerwGE 74, 357, 363; 92, 81, 82 ff.; 95, 213, 223. Masing, DÖV 1999, 576. 139 BVerwGE 74, 357, 360 ff.; 88, 278, 283; 92, 81, 87. - Dazu, daß dies auch für den Fall gilt, daß die Behörde nach EG-Recht zur Rücknahme eines rechtswidrigen Beihilfebescheids verpflichtet ist, wobei freilich derartige Vertrauensschutzbestimmungen nicht die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, vgl. EuGH, NJW 1984, 2024, 2025 f.; 1998, 47, 48; NVwZ 1990, 1161; EuZW 1998, 499, 500 f. mit Anm. Gündisck, BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), DVB1. 2000, 900, 901; BVerwGE 106, 328, 334. 140 BVerwGE 88,278, 283; 95, 213, 224 f. 141 Zu den verschiedenen Vertrauens- bzw. Rücknahmeinteressen und ihrer Abwägung näher Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 51 Rn. 66 ff. 142 Vgl. BVerwGE 92, 81, 87; 95, 213, 223; femer Masing, DÖV 1999, 576. 138

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entsprechend der in der im übrigen gleichlautenden Vorschrift des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X enthaltenen Legaldefinition nur gegeben ist, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat 143 . Dem Begünstigten steht hiernach nur dann kein diesbezüglicher Vertrauensschutz zu, wenn er die aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre zu erkennende Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts lediglich deshalb nicht erkannt hat, weil er die bei dessen Prüfung anzulegende Sorgfalt in besonders schwerer Weise hat vermissen lassen144. Da es bei der Anwendung dieses Maßstabs auf die (juristischen) Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen ankommt, sind namentlich bei Unternehmen mit eigenen Rechtsabteilungen sowie Personen mit einschlägiger Vorbildung strengere Anforderungen zu stellen 145 . Zumal wer auf dem betreffenden Gebiet über besondere Sachkunde verfügt oder in einer Weise gewerbsmäßig tätig werden will, die besondere Sachkunde erfordert, muß sich in der Regel die erforderlichen Kenntnisse und Informationen über die einschlägigen Bestimmungen verschaffen 146 und darf sich daher nicht ohne weiteres unbesehen auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts verlassen. Ist wegen dieser hohen Hürde der grobfahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Vertrauensausschlußtatbestand des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG nicht gegeben und liegt auch sonst kein benannter Grund für einen Ausschluß des Vertrauens vor, so folgt daraus nicht notwendig, daß das Vertrauen tatsächlich schutzwürdig wäre. Allerdings spricht nach § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG eine Regelvermutung für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig zu machen sind. Indessen besitzt das Vertrauen des Begünstigten weder in diesem Regelfall noch gar in Fällen, in denen er keine derartigen Dispositionen getroffen hat, einen absoluten Schutz. § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG enthält lediglich Beispiele, in denen der Vertrauensschutz entfallt, und schließt nicht aus, daß es weitere Konstellationen gibt, in denen sich der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen kann 147 . Nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG bedarf es stets einer

143

BVerwGE 92, 81, 84; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 62 Rn. 14. Vgl. hierzu Kopp, VwVfG, § 48 Rn. 72; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, §48 Rn. 166 f. 145 Vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1982, 219, 221; VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52; Knack/Klappstein, VwVfG, § 48 Rn. 8.4.3; Kopp, VwVfG, § 48 Rn. 72; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 167. 146 Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 48, 48, 57; 75, 329, 343; BVerfG (3. Kammer des 2. Senats), ZLR 1988, 631, 632; BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), ZLR 1989, 413, 415 mit krit. Anm. Hufen; BGHSt 42, 219, 221 f.; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 163. 147 BVerwGE 92, 81, 84 f.; Kopp, VwVfG, §48 Rn. 63; Sachs, in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 153 f. 144

8 8 6 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Abwägung des Vertrauens des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme, und diese Abwägung kann gegen den Schutz des Vertrauens sprechen, obschon dem Begünstigten keine Bösgläubigkeit im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG vorzuwerfen (oder nachzuweisen) ist 148 . Das ist in den Fällen bloß leicht fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts von erheblicher praktischer Bedeutung. Wenn also der Begünstigte aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse bzw. seiner umfangreichen Tätigkeit auf dem fraglichen Gebiet die rechtliche Bedenklichkeit wenn nicht erkennen mußte, so doch erkennen konnte 149, dann ist zwar sein Vertrauensschutz nicht schon nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG kraft Gesetzes völlig ausgeschlossen, aber doch seinem Ausmaß nach deutlich gemindert, und dieser Umstand ist bei der Abwägung zu beachten150. Trifft ein nach diesen Maßstäben reduziertes Vertrauen auf ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsakts 151, so steht dieser Rücknahme kein Vertrauensschutzeinwand entgegen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in die Bemessung des Rücknahmeinteresses auch der zu erfüllende Folgenbeseitigungsanspruch einfließt: Es ist also nicht allein das generelle Interesse an der Herstellung objektiv rechtmäßiger Zustände in die Abwägung einzustellen, hinsichtlich welchem dem zuständigen Organ ein mehr oder weniger großes Opportunitätsermessen zustehen mag 152 , vielmehr ist darüber hinaus in Rechnung zu stellen, daß es hier eben um die Behebung einer subjektiven Rechtsverletzung geht, welchem Ziel grundsätzlich ein hoher Rang zukommen muß. Sofern die Rücknahme in der bezeichneten Situation nach § 48 Abs. 2 VwVfG zulässig ist, wird sie daher aufgrund des Folgenbeseitigungsanspruchs Pflicht.

cc) Der Folgenbeseitigungsanspruch des verletzten Organs auf Aufhebung des Verwaltungsakts Im Ergebnis ist somit festzuhalten: Wird als Folge einer Verletzung subjektiver Organrechte ein Verwaltungsakt erlassen, so kann das verletzte Organ diesen Verwaltungsakt zwar mangels Konnexität der Rechtsverletzung nicht an148

BVerwGE 92, 81, 85. Vgl. BVerwGE 92, 81, 87; BVerwG, NVwZ 1995, 703, 706; vgl. auch EuGH, NVwZ 1990, 1161; NJW 1998, 47, 48: einem „sorgfältigen Gewerbetreibenden" ist regelmäßig möglich, sich von der Einhaltung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverfahrens zu vergewissem; ebenso BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), DVB1. 2000, 900, 901; BVerwGE 106, 328, 335, 336 f. 150 Knack/Klappstein, VwVfG, § 48 Rn. 8.4.5. 151 Vgl. BVerwGE 106, 328, 336; BVerwG, NVwZ 1995, 703, 706: gesteigertes öffentliches Rücknahmeinteresse bei gemeinschaftsrechtlicher Rücknahmepflicht; femer Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 176. 152 Vgl. hierzu oben F.I.4.c.bb. 149

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

887

fechten. Ihm steht jedoch grundsätzlich ein Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung dieses Verwaltungsakts zu. Die Erfüllung dieses Aufhebungsanspruchs ist auch nicht rechtlich unmöglich, soweit die §§ 48, 49 V w V f G als gesetzliche Grundlage für die Rücknahme oder den Widerruf des Verwaltungsakts herangezogen werden können. Allerdings sind insoweit die gesetzlichen Rücknahme- respektive Widerrufsvoraussetzungen zu beachten und hierunter ist namentlich ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts zu berücksichtigen, und dies kann j e nach Sachlage zum Untergang des Folgenbeseitigungsanspruchs wegen rechtlicher Unmöglichkeit seiner Erfüllung führen. Die praktische Bedeutung des hier entwickelten Ansatzes läßt sich gut an einem vom VGH München entschiedenen Fall 1 5 3 demonstrieren: Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde hatte zur Vermeidung von Obdachlosigkeit den Räumungspflichtigen in seine bisherige Wohnung eingewiesen und in der Einweisungsverfügung eine großzügig bemessene Nutzungsentschädigung zugunsten des Wohnungseigentümers (pikanterweise der zweite Bürgermeister) festgesetzt, ohne - nach der Größe der Gemeinde und der (finanziellen) Bedeutung der Angelegenheit handelte es sich um kein Geschäft der laufenden Verwaltung - die erforderliche Zustimmung des Gemeinderats einzuholen. Da der Gemeinderat auch die nachträgliche Genehmigung verweigerte, lag somit ein unter Verletzung der Organrechte des Gemeinderats ergangener Verwaltungsakt vor. Dessen Anfechtung durch den Gemeinderat schied nach dem Gesagten aus. Wohl aber hatte der Gemeinderat einen Folgenbeseitigungsanspruch gegen den Bürgermeister, die Einweisungsverfügung aufzuheben 154. Dabei handelte es sich um die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts, da sein Erlaß durch den Bürgermeister ohne Zustimmung des Gemeinderats eine Rechtswidrigkeit auch im Außenverhältnis begründete. Die Rücknahme des Verwaltungsakts scheiterte nicht an einem schutzwürdigen Vertrauen des Begünstigten, da dieser als zweiter Bürgermeister wußte oder jedenfalls wissen mußte, daß der Bürgermeister die Verfügung nicht ohne Zustimmung des Gemeinderats

153

VGH München, BayVBl. 1994, 51 f. Der Gemeinderat kann in derartigen Fällen direkt einen Folgenbeseitigungsanspruch gegen den Bürgermeister (gerichtlich) geltend machen. Er ist nicht darauf verwiesen, Befriedigung seines Folgenbeseitigungsanspruchs dadurch zu suchen, daß er einen Beschluß über die Rücknahme des Verwaltungsakts faßt und hofft, daß der Bürgermeister diesen Beschluß dann vollzieht (§ 43 Abs. 1 GemO BW). Denn wenn der Bürgermeister die Angelegenheit für ein Geschäft der laufenden Verwaltung hält, für die er ausschließlich zuständig war (§ 44 Abs. 2 S. 1 GemO BW), so müßte er diesem Rücknahmebeschluß mit aufschiebender Wirkung widersprechen (§ 43 Abs. 2 S. 1 GemO BW). Der Gemeinderat müßte dann den Rücknahmebeschluß erneut fassen, und der Bürgermeister würde wiederum widersprechen und dann die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen (§ 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW). Der Gemeinderat müßte sodann seine dem Bürgermeister gegenüber bestehenden Kompetenzen gegebenenfalls inzident in einem Verfahren gegen den Träger der Rechtsaufsichtsbehörde geltend machen. Ein derart langwieriges und den Organstreit auf eine andere Ebene verlagerndes Verfahren stellte keine Erfüllung des materiellrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs des Gemeinderats dar. 154

8 8 8 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten hätte erlassen dürfen, so daß sein Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG ausgeschlossen war 155 .

(1) Der innerorganisatorische

Adressat des Folgenbeseitigungsanspruchs

Die vorstehend herausgearbeitete Lösung des Problems organrechtsverletzend zustande gekommener Verwaltungsakte bedarf einer Präzisierung hinsichtlich des innerorganisatorischen Adressaten des Folgenbeseitigungsanspruchs. Daß in erster Linie dasjenige Organ oder Organteil folgenbeseitigungspflichtig ist, welches den rechtswidrigen Organrechtseingriff durch sein Handeln zurechenbar verursacht hat 156 und damit eben selbst für die Organrechtsverletzung verantwortlich ist, versteht sich nach der Natur des Folgenbeseitigungsanspruchs als gegen die Rechtsverletzung und damit notwendig den Rechtsverletzer gerichteter sekundärer Hilfsanspruch des zu schützenden primären Rechts 157 von selbst. Die korrekte Bestimmung des für eine Organrechtsverletzung verantwortlichen Organs oder Organteils wird in den meisten Fällen keine Schwierigkeiten bereiten, bedarf aber in den Konstellationen personell mittelbarer (sequentieller) Organrechtseingriffe 158 näherer Betrachtung. Die Problematik läßt sich exemplarisch an den praktisch bedeutsamen Fällen der Verletzung organschaftlicher Stimmrechte erörtern, wenn also beispielsweise ein Gemeinderatsmitglied durch den Gemeinderat (vgl. § 18 Abs. 4 S. 2 GemO BW) zu Unrecht wegen Befangenheit von der Mitwirkung an einer Entscheidung ausgeschlossen wird und der Bürgermeister in Ausführung dieses sonach rechtswidrigen (§ 18 Abs. 6 S. 1 GemO BW) Gemeinderatsbeschlusses einen Verwaltungsakt erläßt. Daß das in seinem Stimmrecht verletzte Gemeinderatsmitglied nicht unter Berufung auf seine Stimmrechtsverletzung den Verwaltungsakt anfechten kann, sondern sich auf die Geltendmachung eines Folgenbeseitigungsanspruchs auf Aufhebung jenes Verwaltungsakts beschränken muß, ist nach dem Gesagten klar 159 . Fraglich kann aber sein, gegen wen er diesen ihm zustehenden Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen kann. Es liegt auf den ersten Blick nahe, dem in seinem Stimmrecht verletzten Gemeinderatsmitglied einen Folgenbeseitigungsanspruch gegen den Gemeinderat selbst zu geben, da dieser ja immerhin durch seinen rechtswidrigen Ausschließungsbeschluß die erste Ursache für den in Konsequenz davon rechtswidrigen Erlaß des Verwaltungsakts gesetzt hat. Daß der Gemeinderat nicht selbst einen 155 156

VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52. Zur Frage der Zurechenbarkeit von Organrechtseingriffen ausführlich oben G.I.2.

und 3. 157 158 159

S. oben G.IV.l. und 2. S. hierzu oben G.I.3.a und d. S. oben G.IV.3.a.aa.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

889

Verwaltungsakt zurücknehmen oder widerrufen kann, stünde der Annahme eines gegen ihn gerichteten Folgenbeseitigungsanspruchs nicht entgegen. Denn da der Bürgermeister dem Gemeinderat gegenüber gesetzlich verpflichtet ist, dessen Beschlüsse zu vollziehen (vgl. § 43 Abs. 1 GemO BW), muß der Bürgermeister, wenn der Gemeinderat seinen rechtswidrigen Beschluß später aufhebt, auch diesen späteren Aufhebungsbeschluß vollziehen, vorausgesetzt, es ist nicht bereits eine Bindung der Gemeinde im Außenverhältnis gegenüber dem Bürger eingetreten. Bei näherer Betrachtung erscheint dieses Ergebnis aber nicht ganz so zwingend. Zwar verletzt der Gemeinderat das Teilnahme- und Stimmrecht eines Gemeinderatsmitglieds, wenn er dieses zu Unrecht wegen Befangenheit ausschließt, und deshalb wäre fraglos der Gemeinderat das richtige passiv legitimierte Organ 160 für eine diesbezügliche Unterlassungs- oder Feststellungsklage. Bei der hier erörterten Problematik geht es indes um einen auf Aufhebung des Verwaltungsakts gerichteten Folgenbeseitigungsanspruch, und insoweit ist zu bedenken, daß der Verwaltungsakt ja immerhin durch den Bürgermeister erlassen wurde. Dieser handelt hierbei zwar in Ausführung des Gemeinderatsbeschlusses, und insoweit der Bürgermeister gesetzlich zur Vollziehung der Gemeinderatsbeschlüsse verpflichtet ist, läßt sich grundsätzlich sagen, daß der Gemeinderat, indem er einen Beschluß faßt, allerdings die Gefahr schafft, daß dieser vom Bürgermeister auch vollzogen wird, so daß sich grundsätzlich der Gemeinderat die daraus resultierenden Folgen zurechnen lassen muß. Eine Besonderheit besteht nun jedoch dann, wenn der zu vollziehende Gemeinderatsbeschluß beispielsweise wegen eines ihm vorausgehenden rechtswidrigen Ausschließungsbeschlusses rechtswidrig ist, der Bürgermeister somit einen rechtswidrigen Gemeinderatsbeschluß vollzogen hat. Denn schließlich hätte der Bürgermeister dem wegen der vorangegangenen unzulässigen Ausschließung eines Mitglieds gesetzwidrigen Gemeinderatsbeschluß widersprechen müssen (§43 Abs. 2 S. 1 GemO BW) und ihn gar nicht erst ausführen dürfen. Der Erlaß des Verwaltungsakts wird in derartigen Fällen zwar allerdings durch den Beschluß des Gemeinderats angestoßen und initiiert, rechtlich hat ihn aber der Bürgermeister zu verantworten, der ihn rechtswidriger- und damit, weil er gesetzlich zur Einlegung eines Widerspruchs verpflichtet war, bei normativer Betrachtung unvernünftigerweise vollzogen hat 161 .

160 Zur Passivlegitimation sowie zur passiven Prozeßführungsbefugnis im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren näher unten H.I.3.a. 161 Vgl. Roth, Faktische Eingriffe, S. 366 ff zur Relevanz der Rechtmäßigkeit der den Kausalmittler treffenden Maßnahme für die Zurechenbarkeit des Enderfolges: Da sich der Kausalmittler gegen rechtmäßige Einwirkungen nicht zur Wehr setzen kann, muß sich der Ersthandelnde die vernünftigen Reaktionen auf diese Einwirkung als seine Gefahrschaffung zurechnen lassen. Anders verhält es sich aber grundsätzlich bei rechts-

8 9 0 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten Zwar dient das Widerspruchsrecht des Bürgermeisters der objektiven Rechtskontrolle, auf deren ordnungsgemäße Durchführung einzelne Gemeinderatsmitglieder ebensowenig einen Anspruch haben wie sie als solches ein Recht auf rechtmäßiges Handeln des Gemeinderats besitzen162. Doch hierum geht es vorliegend nicht. Der zu Unrecht Ausgeschlossene will hier nicht einen Verstoß des Bürgermeisters gegen dessen objektive Kontrollpflicht rügen, sondern er kann geltend machen, daß der Bürgermeister durch die rechtswidrige Ausführung des Beschlusses die Beeinträchtigung seiner subjektiven Organrechte noch zusätzlich erweitert und vertieft hat, indem dieser aus einer zunächst folgenlosen Verletzung seines Teilnahme- und Stimmrechts eine folgenreiche gemacht hat. Führt der Bürgermeister einen wegen unrechtmäßigen Ausschlusses eines Gemeinderatsmitglieds rechtswidrigen Gemeinderatsbeschluß aus, dann ist der zu beseitigende Verwaltungsakt nur mehr mittelbare Folge des Gemeinderatsbeschlusses und eben unmittelbare Folge der unzulässigen Ausführung dieses Beschlusses durch den Bürgermeister 163. Für diese mittelbare Folge muß der zuerst handelnde Gemeinderat nicht einstehen, weil er sich das rechtswidrige Handeln des Bürgermeisters nicht zurechnen lassen muß. Eines Durchgriffs auf den Gemeinderat bedarf es aber zum Schutze des Gemeinderatsmitglieds und zur Beseitigung der Folgen der Stimmrechtsverletzung auch gar nicht 164 . Das in seinen Rechten verletzte Gemeinderatsmitglied kann und muß sich, soweit es sich gerade gegen den Erlaß des Verwaltungsakts wendet, an das Organ halten, das diesen Verwaltungsakt erlassen hat, also an den Bürgermeister, was zugleich den Vorzug hat, daß eben der Bürgermeister auch das im Außenverhältnis handlungsbefugte Organ ist, welches den Verwaltungsakt aufheben kann. Der richtige innerorganisatorische Adressat des Folgenbeseitigungsanspruchs ist in dem genannten Fall daher der Bürgermeister; er hat zum Zweck der Folgenbeseitigung den von ihm erlassenen Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit dies im Außenverhältnis zum Bürger möglich ist. Ähnlich schwierige Zurechnungsfragen stellen sich übrigens in dem praktisch höchst bedeutsamen reziproken Fall, daß der Bürgermeister ein Gemeinderatsmitglied zu Unrecht wegen ordnungswidrigen Verhaltens von der Sitzung ausschließt (§ 36 Abs. 3 S. 1 GemO BW) und anschließend der Gemeinderat auf dieser Sitzung noch einen Beschluß faßt. Durch diese Beschlußfassung wird nämlich das zu Unrecht ausgeschlossene Mitglied in seinem Stimmrecht verwidrigen Einwirkungen auf den Kausalmittler, denen dieser mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten könnte. 162 S. oben E.II.l.b. 163 Das wird nicht bedacht von VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703; Fehrmflwi, NWVB1. 1989,310. 164 Vgl. hierzu oben G.I.3.d.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

891

letzt. Denn zwar hat der Gemeinderat, weil die Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung alleinige Aufgabe des Bürgermeisters in seiner Funktion als Vorsitzender des Gemeinderats ist (§ 42 Abs. 1 S. 1, § 36 Abs. 1 GemO BW), keine Möglichkeit, den unrechtmäßigen Sitzungsausschluß eines seiner Mitglieder zu verhindern; der Ausgeschlossene kann gegen die Entscheidung des Bürgermeisters auch nicht den Gemeinderat als Gremium anrufen, um diesen zu einer Aufhebung der Ausschließungsentscheidung zu veranlassen. Aber der Gemeinderat bleibt Herr über die Tagesordnung, und obwohl der Bürgermeister die Tagesordnung bei der Ladung aufstellt (§ 34 Abs. 1 S. 1 GemO BW) 1 6 5 , kann doch der Gemeinderat durch ad hoc gestellte Geschäftsordnungsanträge jederzeit die Beschlußfassung über einen Verhandlungsgegenstand vertagen oder von der Tagesordnung absetzen. Jedenfalls dann, wenn ein solcher Schritt nicht zu einer Eilzuständigkeit des Bürgermeisters (§ 43 Abs. 4 S. 1 GemO BW) führt, in welchem Fall dem Gemeinderat in der Tat nicht anzusinnen ist, die Beschlußfassung auszusetzen, hat der Gemeinderat im Falle des rechtswidrigen Sitzungsausschlusses eines seiner Mitglieder zum Schutze dessen Stimmrechts die organschaftliche Treuepflicht 166, die rechtswidrige Abstimmung zu unterlassen, um nicht der bereits erfolgten Verletzung des Teilnahmerechts auch noch eine Beeinträchtigung des Stimmrechts hinzuzufügen. Während Streitigkeiten um einen vom Bürgermeister verfügten Sitzungsausschluß als solchen (insbesondere diesbezügliche Unterlassungs- und Feststellungsklagen) zwischen dem ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglied und dem Bürgermeister auszutragen sind, stellt sich die Lage hinsichtlich eines Folgenbeseitigungsanspruchs wiederum differenziert dar. Grundsätzlich muß sich der Ausgeschlossene, wenn er die durch den rechtswidrigen Gemeinderatsbeschluß hervorgerufenen Folgen seiner Stimmrechtsverletzung beseitigt haben will, an den Gemeinderat halten, insofern dieser nämlich in bezug auf die Herbeiführung der Organrechtsverletzung das zuletzt handelnde Organ war. Eines Durchgriffs auf den die erste Ursache setzenden Bürgermeisters bedarf es insoweit zur Gewährleistung eines effektiven Schutzes der Organrechte nicht, und daher ist nach den bei personell mittelbaren Organrechtseingriffen mit einem hoheitlichen Kausalmittler (hier: der Gemeinderat) geltenden Grundsätzen keine Zurechnung des Enderfolges an den Bürgermeister als das die erste Ursache setzende hoheitliche Organ anzunehmen167.

165

S. oben F.III.2.f. Zum Grundsatz der (Verfassungs)Organtreue eingehend Schenke, Die Verfassungsorgantreue, S. 26 ff; femer BVerfGE 45, 1, 39; 89, 155, 191; 90, 286, 337; 97, 350, 374 f.; VerfGH NW, NVwZ 1994, 678, 679; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 68 f.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 459; Sommermann, in v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 20 Rn. 43, 215; Voßkuhle, NJW 1997, 2217 f. 167 Vgl. oben G.I.3.d. 166

8 9 2 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten In zwei Konstellationen freilich ist der Folgenbeseitigungsanspruch richtigerweise doch gegenüber dem Bürgermeister gegeben. Wie schon erwähnt, mag es Situationen geben, in denen dem Gemeinderat eine Absetzung der Beschlußfassung nicht zuzumuten, es also auch bei objektiver Betrachtung seiner Lage vernünftig ist, trotz der damit verbundenen Stimmrechtsverletzung seines vom Bürgermeister ausgeschlossenen Mitglieds abzustimmen. Da der zuerst Handelnde bei sequentiellen Kausalketten sich die vom Kausalmittler vernünftigerweise geschaffenen Gefahren zurechnen lassen muß 168 , hätte solchenfalls der Bürgermeister fur die Folgenbeseitigung einzustehen. Praktisch bedeutsamer sind freilich die Fälle, in denen der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß seinerseits erst noch vom Bürgermeister zu vollziehen war, und jetzt dieser Vollziehungsakt als Folge der Stimmrechtsverletzung zu beseitigen ist; in diesem Fall ist aus den vorstehend erörterten Gründen wiederum der Bürgermeister folgenbeseitigungspflichtig. Normalerweise hat es mit der Adressierung des Folgenbeseitigungsanspruchs gegen den Verletzer sein Bewenden, mag es auch, wie gerade gezeigt, mitunter näheren Hinsehens bedürfen, welchem Organ oder Organteil bei normativ wertender Betrachtung die Organrechtsverletzung zuzurechnen und welches damit folgenbeseitigungspflichtig ist. Sofern nun dieser Rechtsverletzer durch die Vornahme des actus contrarius zur Verletzungshandlung oder durch eine sonstige geeignete und ihm mögliche Maßnahme die geschuldete Folgenbeseitigung bewirken kann, kann und muß eben er den Folgenbeseitigungsanspruch erfüllen. Probleme ergeben sich, wenn dem Verletzer als dem eigentlich Verantwortlichen die (objektiv mögliche) Folgenbeseitigung subjektiv unmöglich ist. Dann wird man ihn zwar im Sinne einer Folgenbeseitigungslast für verpflichtet erachten müssen, sich bei dem vermögenden Dritten redlich um dessen Einverständnis zur oder gar Mitwirkung bei der Folgenbeseitigung bemühen zu müssen 169 . Mehr als ein solches redliches Bemühen ist im Falle subjektiven Unvermögens zur Folgenbeseitigung im allgemeinen nicht geschuldet, weil ja gewöhnlich weder der Verletzte noch der Verletzer einen Anspruch gegen einen Dritten haben, an der in ihrem Verhältnis geschuldeten Folgenbeseitigung mitzuwirken. Scheitert dieser Versuch, den Dritten zu einer solchen Mitwirkung zu bewegen, endgültig, so hat es damit im allgemeinen Rechtsverkehr sein Bewenden: da damit definitiv feststeht, daß der Folgenbeseitigungsanspruch nicht erfüllbar ist, geht er wegen rechtlicher Unmöglichkeit unter 170 . Aufgrund der besonderen Rechtsbeziehungen im innerorganisatorischen Rechtskreis gilt hier jedoch eine Besonderheit, die zu einer bemerkenswerten Erweiterung des Kreises der durch einen organschaftlichen Folgenbeseitigungsanspruch verpflichteten 168 169 170

Vgl. oben G.I.3.C. Zu diesem Gedanken vgl. oben G.IV.2. Hierzu näher oben G.IV.3.a.bb (2).

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

893

Organe und Organteile fuhrt. In der Tat ist dieser nämlich nicht auf solche Organe und Organteile beschränkt, die das betreffende Organrecht in zurechenbarer Weise selbst verletzt haben. Es griffe zu kurz, wenn man einen Folgenbeseitigungsanspruch des in seinen Organrechten verletzten Organs oder Organteils nur im Verhältnis zu denjenigen Organen oder Organteilen annähme, die durch ihr Handeln selbst zur Organrechtsverletzung oder zur Herbeiführung der zu beseitigenden Folge beigetragen haben. Tatsächlich besteht nämlich der Folgenbeseitigungsanspruch des verletzten Organs oder Organteils gegenüber allen Organen und Organteilen, die nach der Kompetenzordnung zur Beseitigung der Störung bzw. ihrer Folgen in der Lage sind, unabhängig davon, ob diese für die Organrechtsverletzung bzw. die Verwirklichung der Verletzungsfolgen (mit)verantwortlich zu machen sind 171 . Denn wenn das für die Organrechtsverletzung verantwortliche Organ oder Organteil aus Kompetenzgründen alleine nicht zur Folgenbeseitigung in der Lage ist, dann müssen sich alle Organe in die Pflicht nehmen lassen, die zu dieser Folgenbeseitigung fähig sind. Diese Pflicht ergibt sich zum einen aus dem erwähnten Grundsatz der Organtreue, wonach alle Organe und Organteile einer Organisation ihre Kompetenzen so ausüben müssen, daß auch die jeweils anderen ihre Kompetenzen ordnungsgemäß wahrnehmen können 172 ; wurde ein Organ oder Organteil in seinen Rechten verletzt und setzt die Realisierung seines daraus erwachsenen (Folgen)Beseitigungsanspruchs die Mitwirkung eines dritten Organs derselben öffentlich-rechtlichen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung voraus, so wäre es dem verletzten Organ oder Organteil gegenüber treuwidrig, diese Mitwirkung zu versagen. Außerdem sind alle Träger öffentlicher Gewalt einschließlich ihrer sämtlichen Organe und Organteile gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) zur Beachtung und Wahrung der gesetzmäßigen Kompetenzordnung verpflichtet. Sie müssen deshalb erstens alles unterlassen, was die gesetzmäßige Kompetenzordnung stört, und wenn diese verletzt worden ist, müssen sie zweitens alles tun, um die Störung und ihre Folgen zu beseitigen, unabhängig davon, ob sie für die Organrechtsverletzung als solche verantwortlich sind. Bei dieser so begründeten Pflicht auch der an der Organrechtsverletzung als solche nicht beteiligten Organe und Organteile, erforderlichenfalls nach ihren Möglichkeiten an der Folgenbeseitigung mitzuwirken, handelt es sich nicht um eine bloß objektivrechtliche Pflicht: Dieselben Erwägungen, die zur Subjektivierung des verletzten Organrechts und damit zum Entstehen des subjektivrechtlichen (Folgen)Beseitigungsanspruchs führen, indizieren vielmehr konsequenterweise auch die subjektive Rechtsnatur dieses Mitwirkungsanspruchs des verletzten Organs oder Organteils. Hierdurch ist gewährleistet, daß ein organ171 172

Zutreffend Schneider, NWVB1. 1996, 94. Schneider, NWVB1. 1996, 94.

8 9 4 G . Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten schaftlicher Folgenbeseitigungsanspruch nicht an organisationsinternen Kompetenzaufspaltungen scheitern kann. Daß das in seinen Rechten verletzte Organ oder Organteil hiernach immer einen nach der internen Kompetenzordnung für die Folgenbeseitigung zuständigen Verpflichteten hat, entbindet es freilich nicht davon, den Folgenbeseitigungsanspruch gegen das richtige Organ oder Organteil einzuklagen, will es nicht im Organstreitprozeß unterliegen. (2) Materiellrechtliche Einschränkungen des Folgenbeseitigungsanspruchs bei Stimmrechtsverletzungen Angesichts der dargelegten Weiterungen des Folgenbeseitigungsanspruchs ist es schon zur Ausräumung etwaiger Praktikabilitätsbedenken angezeigt, sich gerade für die in praxi ziemlich fehleranfälligen Stimmrechtsverletzungen gewisse materiellrechtliche Einschränkungen zu vergegenwärtigen, welche dazu führen, daß trotz des potentiell weiten Kreises Verpflichteter ein in seinem Stimmrecht verletztes Gemeinderatsmitglied eben doch nur ganz ausnahmsweise die Aufhebung des erlassenen Verwaltungsakts verlangen kann. Materiellrechtlich wird nämlich der Folgenbeseitigungsanspruch bei Stimmrechtsverletzungen durch drei Voraussetzungen bedingt und eingeschränkt. Erstens muß die Verletzung des Stimmrechts des betroffenen Gemeinderatsmitglieds für den Beschluß des Gemeinderats kausal gewesen sein, d.h. es muß nach dem Ergebnis der stattgefundenen Abstimmung möglich sein, daß gerade die Stimme des zu Unrecht Ausgeschlossenen ein anderes Ergebnis erbracht und nach diesem der Verwaltungsakt nicht erlassen worden wäre. Zwar ist der Gemeinderatsbeschluß nach § 18 Abs. 6 S. 1 GemO BW ohne Kausalitätserfordernis 173 unabhängig davon rechtswidrig, ob sich die unzulässige Ausschließung auf das Abstimmungsergebnis auswirken konnte. Daß die unmittelbare Fehlerfolge der Rechtswidrigkeit des Beschlusses ohne Kausalitätserfordernis eintritt, impliziert jedoch nicht, daß die mittelbare Fehlerfolge des materiellrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs ein solches Erfordernis ebenfalls nicht kennen würde. Zur Entstehung eines Folgenbeseitigungsanspruchs genügt nicht alleine die Rechtswidrigkeit des Verletzungsaktes, vielmehr muß der zu beseitigende Zustand selbst rechtswidrige Folge dieser Verletzung sein 174 . Praktisch bedeutet dies, daß eine Stimmrechtsverletzung nur bei entsprechend knappen Abstimmungsergebnissen einen Folgenbeseitigungsanspruch begründen kann. Das ist aber sowohl sachgerecht als auch dogmatisch wohlbegründet, da es nicht überzeugte, einen Verwaltungsakt aufgrund eines folgenlosen Organrechtsverstoßes aufheben zu müssen. In derartigen Fällen hat also zwar bei berechtigtem Feststellungsinteresse eine Klage auf Feststellung des verletzten 173 174

S. oben G.III.2.b.bb. S. obenG.IV.l.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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Organrechts Erfolg, doch eine Leistungsklage auf Beseitigung der Folgen der organrechtsverletzenden Maßnahme wäre mangels nachweisbarer Kausalität unbegründet 175. Zweitens ist vorauszusetzen, daß der in seinem Stimmrecht Verletzte von seinem Stimmrecht in gesetzmäßiger Weise Gebrauch machen wollte, daß es also beispielsweise um eine Ermessens- und nicht um eine gesetzlich gebundene Entscheidung ging. Wenn nämlich der Gemeinderat eine gesetzlich vorgeschriebene Entscheidung trifft, so schafft diese, selbst wenn sie unter Verletzung mitgliedschaftlicher Stimmrechte ergeht, für den in seinem Stimmrecht Verletzten keinen rechtswidrigen Zustand, und folglich fehlt es an einem tauglichen Gegenstand eines Folgenbeseitigungsanspruchs. Zu betonen ist allerdings, daß dieser Voraussetzung in praxi wohl keine große eigenständige Bedeutung zukommen dürfte, da nicht zu hoffen ist, daß eine gesetzlich notwendige Entscheidung nur mit so knapper Mehrheit getroffen wird, daß sich die eine Stimme des zu Unrecht Ausgeschlossenen überhaupt auf das Ergebnis auswirken konnte, und von daher sollte es in derartigen Fällen normalerweise schon an der ersten Voraussetzung der Kausalität fehlen. Freilich mag es Fälle geben, in denen der Gemeinderat irrig annimmt, einen Ermessensspielraum für seine Entscheidung zu haben, so daß es zu einer knappen Entscheidung kommt; da nun jedoch das Gericht bei seiner Entscheidung über den Folgenbeseitigungsanspruch von der wirklichen Rechtslage ausgehen muß, inwiefern die Entscheidung des Gemeinderats einen rechtswidrigen Zustand geschaffen hat, kann sich erweisen, daß die mit knapper Mehrheit getroffene Entscheidung gesetzlich vorgeschrieben war; wollte danach aber der zu Unrecht Ausgeschlossene eine gesetzwidrige Stimme abgeben, steht ihm kein Folgenbeseitigungsanspruch zu. Drittens schließlich, und hieran wird die Durchsetzung eines Folgenbeseitigungsanspruchs in den bezeichneten Fällen vielfach scheitern, darf der durch den Verwaltungsakt Begünstigte keinen Vertrauensschutz genießen, weil sonst die Rücknahme unzulässig ist. Zwar ist ein Verwaltungsakt auch im Außenverhältnis rechtswidrig, wenn sein Erlaß auf einen Gemeinderatsbeschluß zurückgeht, der nur durch den gesetzwidrigen Ausschluß eines Gemeinderatsmitglieds zustande kam. Fälle jedoch, in denen der Begünstigte einen solchen ratsinternen Mangel kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt, dürften nicht eben häufig sein, und deshalb wird hier kaum einmal aus § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG ein völliger Ausschluß des Vertrauensschutzes folgen. Immerhin bleibt die Möglichkeit, zumal bei noch nicht umgesetzten Verwaltungsakten, aber eben auch bei Vorliegen eines besonders gewichtigen öffentlichen Interesses an der Rücknahme, daß das Vertrauen des Begünstigten im Wege der Abwägung zurückstehen muß 176 . Gerade in für die Gemeinde sehr bedeutsamen Angelegen175 176

Vgl. OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 103. S. hierzu oben G.IV.3.a.bb (4).

896

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

heiten kann damit in Gestalt des Folgenbeseitigungsanspruchs dem gesetzwidrig ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglied bei knappem Abstimmungsergebnis ein Instrument in die Hand gegeben sein, doch noch rechtmäßige Zustände herbeizuführen, nämlich die Verletzung seines Stimmrechts zu vindizieren und die sich daraus mittelbar für die Gemeinde insgesamt ergebenden Folgen beseitigen zu lassen. Als Anwendungsfall dieser Konstellation sei folgendes Beispiel genannt: Angenommen, eine Gemeinde hat als untere Verwaltungsbehörde (§ 13 Abs. 1 LVG BW) und damit untere Baurechtsbehörde (§ 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 LBO BW) über die Erteilung einer Baugenehmigung zu entscheiden, welche der Bauherr unter Gewährung von Ausnahmen oder Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 BauGB) beantragt hat, und zwar sei wegen der Auswirkungen des Vorhabens auf die gemeindlichen Planungsvorstellungen für die Ermessensentscheidune über die Gewährung der Ausnahme bzw. Befreiung 177 der Gemeinderat zuständig 17 , dieser entscheide jedoch (z.B. durch gesetzwidrigen Ausschluß von der Abstimmung) unter Verletzung des Stimmrechts eines seiner Mitglieder und der Bürgermeister erteile daraufhin die Baugenehmigung. Wenn die Mißachtung des Stimmrechts für die Entscheidung kausal war, so ist ein Folgenbeseitigungsanspruch des in seinem Stimmrecht Verletzten in Betracht zu ziehen. Denn dieses stand ihm gerade zu dem Zweck zu, seine Ansicht bei der Ermessensentscheidung zur Geltung bringen zu können, etwa um das in seinen Augen monströse und Planungsbelange der Gemeinde verletzende Bauwerk zu verhindern. Die Stimmrechtsverletzung erschöpft sich nicht im Abstimmungsakt, sondern setzt sich mit dem entsprechenden Dispens in der erteilten Baugenehmigung fort, so daß diese als andauernd rechtswidriger Zustand Gegenstand eines Folgenbeseitigungsanspruchs zur Wiederherstellung der Integrität des Stimmrechts sein kann. Erfolg hat sein Folgenbeseitigungsanspruch freilich nur dann, wenn nicht Vertrauensschutzbelange des Bauherrn der Rücknahme der erteilten Baugenehmigung, oder gegebenenfalls des Dispenses isoliert, entgegenstehen.

(3) Durchsetzung des organschaftlichen allgemeiner Leistungsklage

Folgenbeseitigungsanspruchs

mittels

Sofern ein durch den Erlaß eines Verwaltungsakts in seinen Rechten verletztes Organ oder Organteil nach den dargelegten materiellrechtlichen Grundsätzen einen Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung (Rücknahme oder Wider177

Zum Ermessenscharakter dieser Entscheidung vgl. Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 31 (34. Lfg. 1997) Rn. 21, 55, 67; Lohr, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 31 BauGB, § 31 Rn. 32, § 36 Rn. 11; Söfker, in Emst/ Rn. 17, 43; Schrödter/Schmaltz, Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 31 (60. Lfg. 1999) Rn. 26, 61. 178 Ob der Gemeinderat für derartige Fragen stets (so VGH Mannheim, VB1BW 1984, 115 f.; Dürr, in Brügelmann, BauGB, § 36 [6. Lfg. 1988] Rn. 12) oder nur bei einer die Annahme eines Geschäfts der laufenden Verwaltung ausschließenden Bedeutung zuständig ist (so OVG Münster, DVBl. 1970, 550, 551 f.; Schrödter/Schmaltz, BauGB, § 36 Rn. 13; Söfker, in Emst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 36 [61. Lfg. 1999] Rn. 35), mag hier dahinstehen.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

897

ruf) dieses Verwaltungsakts besitzt, ist dieser Anspruch prozessual übrigens einheitlich mittels allgemeiner Leistungsklage zu verfolgen, nicht mittels Verpflichtungsklage. Für die Fälle, in denen der Folgenbeseitigungsanspruch gegen den Gemeinderat verfolgt wird, versteht sich dies von selbst, da der Gemeinderat den Rücknahme- bzw. Widerrufsbescheid nicht selbst erläßt, sondern lediglich einen erst noch vom Bürgermeister zu vollziehenden diesbezüglichen Beschluß fassen kann. Erwägenswert wäre daher allenfalls, ob der Folgenbeseitigungsanspruch dann im Wege einer Verpflichtungsklage zu verfolgen ist, wenn er gegen den Bürgermeister geltend gemacht wird, da dieser den begehrten Rücknahme bzw. Widerruf des Verwaltungsakts durch Verwaltungsakt auszusprechen hat. Daß je nach Klagegegner divergierende Klagearten wenig sinnvoll wäre, liegt auf der Hand; eine solcher Divergenz ist bei rechter Betrachtung aber auch von der Konzeption der Verpflichtungsklage her gar nicht nötig. Gegen die Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage sprechen hier nämlich, mutatis mutandis, dieselben Überlegungen, die auch der Zulassung einer Anfechtung des im Außenverhältnis ergangenen Verwaltungsakts entgegenstehen179: Eine Verpflichtungsklage ist nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO begründet, „soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist". Damit setzt die Verpflichtungsklage ebenso wie die Anfechtungsklage eine Konnexität von Rechtswidrigkeit und Rechtsverletzung voraus. Es genügt nicht, daß das Unterlassen des Verwaltungsakts rechtswidrig und außerdem der Kläger in seinen Rechten verletzt ist. Erforderlich ist vielmehr, daß gerade das Versäumnis der Behörde, eine Regelung der im begehrten Verwaltungsakt enthaltenen Art zu setzen, den Kläger in seinen Rechten verletzt. Es reicht also nicht aus, daß der Verpflichtungskläger den Erlaß eines Verwaltungsakts begehrt, er muß vielmehr die in diesem Verwaltungsakt enthaltene Regelung begehren und gerade durch deren Ausbleiben in seinen Rechten verletzt werden. Im Falle des organschaftlichen Folgenbeseitigungsanspruches fehlt es nun aber an letzterer Voraussetzung. Das klagende Organ oder Organteil erstrebt zwar den Erlaß eines Rücknahme- oder Widerrufsbescheides, doch es ist, weil es hierbei ja nur um die Wiederherstellung seiner Organrechte geht, nicht als solches an dem Regelungsinhalt interessiert. So wie es nicht durch den Inhalt des organrechtsverletzend erlassenen Verwaltungsakts betroffen wird, sondern nur durch den Umstand seines Erlasses, so wendet es sich mit dem Rücknahme- oder Widerrufsbegehren nicht eigentlich gegen den Inhalt des zu beseitigenden Verwaltungsakts, sondern will es nur den Umstand seines Erlasses ungeschehen machen. Für ein solches vom Inhalt des betroffenen Verwaltungsakts völlig losgelöstes Begehren ist die Verpflichtungsklage indessen ebensowenig gedacht wie umgekehrt die Anfechtungsklage. Deshalb ist zur Verfolgung des beschriebenen Folgenbeseitigungsanspruchs auf 179

59 Roth

Vgl. oben G.IV.3.a.aa.

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

Aufhebung des organrechtswidrig erlassenen Verwaltungsakts generell die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart.

b) Der Abschluß öffentlich-rechtlicher Verträge unter Verletzung subjektiver Organrechte Im Problemkreis der unter Verletzung subjektiver Organrechte geschlossenen öffentlich-rechtlichen Verträge lassen sich drei Konstellationen unterscheiden. Am einfachsten, weil unter direktem Rückgriff auf die oben dargelegten unmittelbaren Fehlerfolgen bei öffentlich-rechtlichen Verträgen zu lösen sind die Fälle, in denen ein öffentlich-rechtlicher Vertrag unter Verstoß gegen Kompetenzvorschriften geschlossen wurde, die dem übergangenen Organ in Gestalt von Genehmigungs-, Zustimmungs- und Einvernehmensbestimmungen eine echte Mitentscheidung vorbehalten sollen. Ein Fall dieser Art liegt z.B. vor, wenn der Bürgermeister einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließt, der seinem Inhalt nach nicht zur laufenden Verwaltung gehört und dessen Abschluß daher der vorherigen Zustimmung des Gemeinderats bedurft hätte. Ein solcher Vertrag ist nämlich gemäß § 58 Abs. 2 VwVfG schwebend unwirksam 180 , weshalb das in seinem Mitentscheidungsrecht verletzte Organ insoweit keiner sekundären Hilfsansprüche bedarf, um die Integrität seiner Organrechte wirksam sicherzustellen: Es obliegt solchenfalls nämlich seiner Entscheidung, ob es nach der hier gebotenen nachträglichen Beteiligung noch seine Genehmigung erteilt und damit den Vertrag wirksam werden läßt, oder ob es die Genehmigung verweigert, in welchem Fall der Vertrag eben nie wirksam geworden ist 181 und die aus der Kompetenzordnung fließenden Organrechte ipso iure effektiv durchgesetzt sind. Wenn das betreffende Organ ein berechtigtes Interesse daran hat, kann es solchenfalls eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages erheben 182 . Problematischer sind die Fälle, in denen das mitentscheidungsbefugte Organ zwar vor Abschluß des öffentlich-rechtlichen Vertrages beteiligt wurde und es auch seine Zustimmung erteilt hat, diese Entscheidung ihrerseits aber unter Verletzung subjektiver Rechte eines seiner Teile gefällt wurde. So verhält es sich beispielsweise, wenn der Bürgermeister zwar mit der erforderlichen mehrheitlichen Zustimmung des Gemeinderats einen öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen, der Gemeinderat aber unter Verletzung subjektiver Rechte einzel180 S. hierzu oben G.III.3.e. - Das wird übersehen von VGH Mannheim, VB1BW 1983, 210, 211 und SixU in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, §42 (10. Lfg. 1995) Rn. 9, die deshalb zu Unrecht annehmen, für öffentlich-rechtliche Verträge gelte dasselbe wie fur privatrechtliche (zu diesen unten G.IV.3.d). 181 Vgl. VGH München, BayVBl. 1994, 51, 52. 182 Zu dieser Möglichkeit vgl. OVG Münster, NVwZ 1988, 370 f.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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ner seiner Mitglieder oder Fraktionen entschieden hat. Da eine echte Mitentscheidungsbefugnis im Sinne des § 58 Abs. 2 VwVfG nämlich nur dem Gemeinderat als Kollegialorgan eingeräumt ist, weder aber einzelnen Gemeinderatsmitgliedern oder -fraktionen noch überhaupt einer Gemeinderatsminderheit, greift die weitreichende unmittelbare Fehlerfolge des § 58 Abs. 2 VwVfG in einem solchen Fall nicht ein und ist der Vertrag nicht schwebend unwirksam. In Ermangelung einer schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages als unmittelbare Fehlerfolge gewinnt hier folglich die mittelbare Fehlerfolge des Folgenbeseitigungsanspruchs Bedeutung, vorausgesetzt, die stattgefundene Organrechtsverletzung des übergangenen Organteils war für das Abstimmungsergebnis und den Vertragsschluß kausal 183 . Der Folgenbeseitigungsanspruch ist inhaltlich auf die Beseitigung des rechtswidrig zustande gekommenen Vertrages gerichtet, wird aber freilich nur ausnahmsweise durchdringen. Wenn nämlich der Vertrag weder nichtig noch schwebend unwirksam ist, so genießt er trotz seiner Rechtswidrigkeit unbedingten Bestandsschutz. Keiner der Vertragspartner besitzt die Befugnis, ihn einseitig wieder außer Kraft zu setzen oder sich einseitig davon zu lösen 184 , und auch eine gerichtliche Vertragsaufhebung ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Insofern bleibt lediglich die Verpflichtung, sich im Sinne einer Folgenbeseitigungslast bei dem Vertragspartner um eine selbstverständlich jederzeit zulässige einvernehmliche Vertragsaufhebung zu bemühen185. Daß ein solcher Vorschlag in praxi wohl nur selten erfolgreich sein dürfte, bedarf keiner näheren Begründung, doch könnte er immerhin dann Erfolg haben, wenn sich der geschlossene Vertrag für den Vertragspartner als ungünstig erweist oder dieser aus sonstigen Gründen ein eigenes Interesse an der Vertragsaufhebung besitzt. Solchenfalls ist das vertragsschließende Organ dann zum Zwecke der Folgenbeseitigung dem verletzten Organ oder Organteil gegenüber zur Einwilligung in einen Aufhebungsvertrag verpflichtet. In ähnlicher Weise sind schließlich die Fälle zu lösen, in denen der Vertrag unter Verstoß gegen jene minder gewichtigen Kompetenzvorschriften (wie z.B. Anhörung, Unterrichtung, Herstellung von Benehmen) geschlossen wurde, welchen nicht den Schutz des § 58 Abs. 2 VwVfG genießen und daher die Wirksamkeit des Vertrages unberührt lassen. Zwar ist auch eine Verletzung dieser ihrem Inhalt nach nur schwach ausgeprägten subjektiven Organrechte unzulässig, und deshalb ist insoweit unproblematisch einen Unterlassungsanspruch zu bejahen, mittels welchem das betreffende Organ oder Organteil, falls es von dem geplanten Vertrag beizeiten Kenntnis erlangt, per einstweiliger Anordnung ein vorläufiges Verbot des Vertragsschlusses erwirken kann, bis seine vorgeschriebene Beteiligung ordnungsgemäß erfolgt ist. Was aber geschieht, wenn der öf183 184 185

Zu diesem Kausalitätserfordernis oben G.IV.3.a.cc (2). S. oben G.III.3.e. Vgl. in diesem Zusammenhang BGH, NJW 1974, 1552, 1554; 2000, 2901, 2902.

G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten fentlich-rechtliche Vertrag unter Verletzung solcher schwacher Mitwirkungsbefugnisse schon geschlossen worden ist? Denn zwar sind auch diese als subjektive Organrechte grundsätzlich geeignet, im Falle ihrer Verletzung einen Folgenbeseitigungsanspruch hervorzubringen. Indessen setzt der Folgenbeseitigungsanspruch Kausalität voraus, und grundsätzlich muß das übergangene Organ oder Organteil deshalb nachweisen, daß der Vertrag nicht geschlossen worden wäre, wäre es in der vorgeschriebenen Weise vorher unterrichtet oder angehört worden oder hätte sich das vertragschließende Organ redlich um Herstellung eines Benehmens bemüht. Dieser Nachweis wird nicht leicht zu fuhren sein, es sei denn das verletzende Organ gelangt selbst zu der Einsicht und dem Eingeständnis, daß es bei entsprechender Anhörung etc. den Vertrag wohl nicht geschlossen hätte. Immerhin ist hier daran zu denken, dem in seinen Rechten verletzten Organ angesichts dieser unverschuldeten Beweisnot mit Beweiserleichterungen oder gar einer Beweislastumkehr zu Hilfe zu kommen. Hiernach muß das übergangene Organ darlegen, was es im Falle seiner vorherigen Unterrichtung und Anhörung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gegen den Vertragsschluß vorgebracht hätte, und es obliegt dann dem verletzenden Organ, darzutun, ob und weshalb es entgegen dieser Einwände den Vertrag dennoch geschlossen hätte. Selbst wenn nach diesen Grundsätzen der Kausalitätsnachweis als gefuhrt zu erachten sein sollte, ist aber freilich immer noch die grundsätzliche Schwäche des Folgenbeseitigungsanspruchs gegenüber Verträgen zu beachten: Da der Gesetzgeber die schwachen Mitwirkungsrechte nun einmal nicht dem Schutz des § 58 Abs. 2 VwVfG unterstellt und ihre Verletzung auch im übrigen nicht sanktioniert, sondern vielmehr deren ungeachtet die Wirksamkeit des Vertrags vorgesehen hat, ist der Folgenbeseitigungsanspruch wiederum nur zu erfüllen, wenn der Vertragspartner in eine Vertragsaufhebung einwilligt; das pacta sunt servanda genießt eben auch insofern Vorrang vor der Wiederherstellung der Integrität des verletzten Organrechts. Angesichts dieser Hürden wird der Folgenbeseitigungsanspruch in derartigen Fällen wohl kaum nennenswerte praktische Bedeutung erlangen können.

c) Rechtssetzung unter Verstoß gegen subjektive Organrechte Rechtssätze können unter zweierlei Gesichtspunkten für subjektive Organrechte verletzungsrelevant werden 186 . Denkbar ist zum einen, daß der erlassene Rechtssatz seinen Inhalt nach Organrechte verletzt. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn der Gemeinderat eine kommunale Satzung beschließt, die rechtswidriger Weise in die durch die Gemeindeordnung garantierten Rechte seiner Teile oder in Rechte anderer Gemeindeorgane eingreift, z.B. entgegen den einschlägigen Kommunalgesetzen die Sitzverteilung in Gemeinderatsaus186

VerfG M V , LKV 1997, 94, 95.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

901

schüssen zum Nachteil bestimmter Gemeinderatsfraktionen regelt oder die Organisationsbefugnis des Bürgermeisters bezüglich der Gemeindeverwaltung beeinträchtigt. Besondere Relevanz dürfte hier den Fällen zukommen, daß der Gemeinderat durch satzungsmäßige Bestimmungen in seiner Geschäftsordnung gesetzliche Mitwirkungsrechte einzelner Mitglieder einschränkt, etwa deren Frage-, Rede- oder Antragsrecht beschneidet. Zum zweiten ist es möglich, daß zwar der erlassene Rechtssatz seinem Inhalt nach keine Organrechte berührt, daß aber sein Zustandekommen und sein Erlaß unter Verletzung subjektiver Organrechte erfolgt, etwa unter Mißachtung gesetzlicher Mitwirkungsbefugnisse 187. Ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn der Gemeinderat unter Verletzung des Stimmrechts eines seiner Mitglieder Bebauungspläne oder Gebührensatzungen etc. beschließt, die ja ihrem Inhalt nach allein die Rechte der Bürger im Außenverhältnis tangieren, als solches aber keine Bedeutung für Organrechte besitzen können. Im ersten Fall, wenn der Rechtssatz seinem Inhalt nach Organrechte verletzt, hat das verletzte Organ oder Organteil einen auf die Beseitigung dieser Verletzung lautenden Beseitigungsanspruch, im zweiten Fall, wenn sich der Erlaß des Rechtssatzes als Folge einer Organrechtsverletzung erweist, kommt dem verletzten Organ oder Organteil ein Folgenbeseitigungsanspruch auf Beseitigung dieses Rechtssatzes zu. Diese Ansprüche richten sich gegen das Normgebungsorgan, welches durch den Erlaß des betreffenden Rechtssatzes die Rechte des betreffenden Organs oder Organteils verletzt hat 188 , sei es durch den Inhalt des beschlossenen Rechtssatzes, sei es durch die Art und Weise seines Vorgehens. Denn zwar werden kommunale Satzungen von der Gemeinde „erlassen", so daß diese als Träger derselben anzusehen ist, während der Gemeinderat über deren Erlaß nur „beschließt" (vgl. § 4 Abs. 1, 2, § 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO BW). Für den (Folgen)Beseitigungsanspruch des in seinen Organrechten verletzten Organs oder Organteils im Innenverhältnis kommt es jedoch nicht darauf an, wer Rechtsträger des betreffenden Rechtsaktes ist, sondern darauf, in welcher Organhandlung die Verletzung ihren Ausgang nahm. Es wurde bereits dargelegt, daß rechtswidrige Rechtssätze grundsätzlich nichtig sind 189 . Hierbei spielt auch keine Rolle, gegen welche Vorgaben der Rechtsordnung diese Rechtssätze verstoßen. Deshalb sind sowohl Rechtssätze, die ihrem Inhalt nach gesetzliche Organrechte verletzen, als auch Rechtssätze, die unter Verletzung wesentlicher Kompetenzvorschriften statt bloßer Ordnungsvorschriften zustande gekommen sind, ohne weiteres nichtig. Beispielsweise sind daher Satzungen, die der Bürgermeister unter rechtsfehlerhafter Berufung auf 187 188 189

Vgl. VerfGH Berlin, NVwZ-RR 2000, 314. Vgl. VerfG MV, LKV 1997, 94, 95. S. oben G.III.3.a.

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

sein Eilentscheidungsrecht 190 kompetenzwidrig anstelle des Gemeinderats erläßt, nichtig 191 . Das durch den Rechtssatz in seinen Rechten verletzte Organ bzw. das bei der Rechtssetzung übergangene Organ benötigen im Falle der Nichtigkeit des betreffenden Rechtssatzes keine sekundären (Folgen)Beseitigungsansprüche, vielmehr werden seine Rechte schon dadurch gewahrt, daß die Norm nichtig ist. Allerdings kommt solchenfalls auch im Organstreitverfahren eine Klage auf Feststellung in Betracht, daß das normgebende Organ die Rechte des klagenden verletzt hat 192 . Ob und inwieweit das durch eine untergesetzliche Norm verletzte Organ oder Organteil eine Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO initiieren kann, ist im Zusammenhang mit der Darstellung der Klagearten zu untersuchen 193. Ein Folgenbeseitigungsanspruch des verletzten Organs auf Aufhebung eines rechtswidrigen Rechtssatzes kommt jedoch in Betracht 194 , sofern ein unter Verletzung subjektiver Organrechte erlassene Rechtssatz ausnahmsweise nicht nichtig ist, beispielsweise weil seine Nichtigkeit eine unerträgliche Rechtsunsicherheit nach sich zöge 195 . Da in derartigen Fällen ohnehin eine Rechtspflicht besteht, den fraglichen Rechtssatz zu korrigieren, sollte das Bestehen eines organschaftlichen Folgenbeseitigungsanspruchs zwar eigentlich kaum jemals eigenständige praktische Bedeutung erlangeil, doch gibt dieser dem verletzten Organ oder Organteil immerhin einen prozessualen Hebel in die Hand, seinen Aufhebungsanspruch durchzusetzen, wenn die Mehrheit des Normgebungsorgans nicht gewillt ist, seiner Verpflichtung zur Schaffung rechtmäßiger Zustände aus freien Stücken nachzukommen. Fraglich ist, ob organschaftliche Folgenbeseitigungsansprüche möglicherweise größere praktische Bedeutung in bezug auf organrechtswidrig erlassene und damit rechtswidrige Rechtssätze gewinnen können, die aufgrund besonderer Unbeachtlichkeits- und Präklusionsvorschriften nicht nichtig sind. Insoweit ist allerdings einschränkend zu beachten, ob sich diese Heilungsvorschriften allein gegen den Bürger im Außenverhältnis wenden oder ob sie nach der gesetzgeberischen Intention auf für verletzte Organe und Organteile Geltung beanspruchen. So bestimmt etwa § 4 Abs. 4 und 5 GemO BW für kommunale Satzungen und Rechtsverordnungen, daß deren Zustandekommen unter Verletzung von 190

Das Eilentscheidungsrecht des Bürgermeisters erfaßt auch den Erlaß von Satzungen, doch werden insofern selten je die gesetzlichen Dringlichkeitsvoraussetzungen erfüllt sein, vgl. OVG Münster, NWVBl. 1988, 336; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 377; Steger, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 4 (1. Lfg. 1984) Rn. 13; a.A. Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 43 (2. Lfg. 1984) Rn. 18. 191 OVG Münster, NWVBl. 1988, 336. 192 Vgl. VerfGH Berlin, NVwZ-RR 2000, 314; VerfG Hbg., NJW 1998, 1054. 193 S. unten H.II.3. 194 Vgl. VerfG M V , LKV 1997, 94, 95. 195 S. oben G.III.3.a.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

903

Verfahrens- und Formvorschriften innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden muß, um den Eintritt der Heilung zu verhindern 196. Diese Heilungsregelung gilt auch für die Verletzung von Verfahrensvorschriften, die einem Gemeinderatsmitglied oder einer Gemeinderatsfraktion subjektive Mitwirkungsrechte einräumen, so daß ein bei der Beschlußfassung im Gemeinderat in seinen Rechten verletztes Gemeinderatsmitglied nach Eintritt der Heilung der Satzung keinen Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung desselben mehr hat. Zwar schließt die eingetretene Heilung an sich keineswegs die Aufhebung der betreffenden Satzung durch die Gemeinde selbst aus, und daß nach § 4 Abs. 4 GemO BW die gerichtliche Verwerfung der geheilten Satzung ausscheidet, würde nicht zwingend ausschließen, daß ein Gemeinderatsmitglied einen Anspruch gegen den seine Rechte verletzenden Gemeinderat haben könnte, von seiner Aufhebungsmöglichkeit als satzungsgebendes Organ Gebrauch zu machen. Gegen die Bejahung eines solchen Anspruchs spricht jedoch letztlich, daß der vom Gesetzgeber mit derartigen Heilungsvorschriften verfolgte Zweck der Gewährleistung von Rechtssicherheit nach Eintritt der Heilung nicht allein einen Aufhebungs- und Beseitigungsanspruch des von der Rechtsvorschrift materiellrechtlich betroffenen Bürgers ausschließt, sondern auch einen derartigen Anspruch von in ihren Organrechten verletzten Gemeinderatsmitgliedern ausschließen muß. § 4 Abs. 4 und 5 GemO BW spricht umfassend davon, daß die „unter Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften" zustande gekommenen Satzungen und Rechtsverordnungen ein Jahr nach Bekanntmachung als von Anfang an gültig zustande gekommen gelten. Eine Differenzierung danach, wer ihre Nichtigkeit geltend machen will, ob ein Bürger oder ein Organ bzw. Organteil der Gemeinde, ist nicht vorgesehen, wie auch dem § 4 Abs. 4 und 5 GemO BW nicht zu entnehmen ist, daß die Verletzung von Verfahrensvorschriften, die sich gerade in einer Organrechtsverletzung niederschlagen, eine abweichende Behandlung erfahren sollte. Eine solche ist zudem zum Schutz subjektiver Organrechte auch gar nicht erforderlich. Die von § 4 Abs. 4 S. 2 GemO BW vorgesehenen Rügemöglichkeiten geben dem durch Mißachtung bestimmter Verfahrensvorschriften verletzten Organ oder Organteil ausreichend Gelegenheit zur Wahrung seiner Rechte. Wenn es jedoch diese Möglichkeiten versäumt, so muß es hinnehmen, daß der Gesetzgeber seinen sekundären Folgenbeseitigungsanspruch durch Statuierung eines Heilungseintritts ausschließt.

d) Sonstige unter Verletzung subjektiver Organrechte im Außenverhältnis ergangene Maßnahmen Auf der Grundlage der vorstehenden Erörterung der unter Verletzung subjektiver Organrechte erlassenen Verwaltungsakte und Rechtssätze sowie geschlos196

Vgl. hierzu oben G.III.3.a.

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G. Das materielle Recht verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten

senen öffentlich-rechtlichen Verträge lassen sich nunmehr unschwer auch die Maßgaben fur die Anwendung des Folgenbeseitigungsanspruchs des verletzten Organs oder Organteils bei sonstigen im Außenverhältnis ergangenen Maßnahmen entwickeln. Als praxisrelevante Beispiele für derartige Maßnahmen sind vor allem die privatrechtlichen Verträge sowie die Realakte zu nennen, die ein im Außenverhältnis agierendes Organ unter Mißachtung interner Kompetenzvorschriften schließen bzw. vornehmen kann. So kann ja etwa der Bürgermeister nicht nur öffentlich-rechtliche Verträge unter unzulässiger Übergehung des Gemeinderats schließen, dasselbe Problem stellt sich ersichtlich ebenso bei privatrechtlichen Verträgen. Da nämlich die Vertretungsmacht des Bürgermeisters auch für privatrechtliche Rechtsgeschäfte grundsätzlich unbeschränkt ist 197 , ferner ein solcher Vertrag nicht der Regelung der §§ 54 ff. VwVfG unterliegt und somit nicht nach § 58 Abs. 2 VwVfG (schwebend) unwirksam sein kann, ist ein formgültig, d.h. unter Beachtung gesetzlicher Schriftformerfordernisse (z.B. § 54 Abs. 1 GemO B W ) 1 9 8 eingegangener und auch nicht wegen eines Verstoßes gegen gemeindehaushaltsrechtliche Vorschriften (schwebend) unwirksamer (z.B. § 117 GemO B W ) 1 9 9 privatrechtlicher Vertrag - vorbehaltlich allenfalls zur Sittenwidrigkeit (§138 Abs. 1 BGB) führender krasser Fälle kollusivrechtsmißbräuchlichen Zusammenwirkens des Bürgermeisters und des Vertragspartners zum Nachteil der Gemeinde200 - grundsätzlich selbst dann wirksam und für die Gemeinde bindend, wenn er ohne die erforderliche Zustimmung des Gemeinderats geschlossen wurde 201 . Es ist nach den dargelegten Grundsätzen nicht zweifelhaft, daß in einem solchen Fall dem übergangenen Gemeinderat ein Folgenbeseitigungsanspruch gegen den Bürgermeister zukommt, den Vertrag nach Möglichkeit aufzuheben 202. Da sich die durch den Bürgermeister rechtswirksam vertretene Gemeinde freilich nicht einseitig von einem gültigen Vertrag lösen kann und auch eine gerichtliche Aufhebung desselben nicht in Betracht kommt 203 , läuft dieser Anspruch allerdings im Ergebnis lediglich auf eine

197 Vgl. BGH, W M 1997, 2410, 2411; VGH Mannheim, VB1BW 1983, 210, 211; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 369; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 78; Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 42 (2. Lfg. 1984) Rn. 6 ff.; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 383. 198 Vgl. hierzu BGH, NJW 1998, 3058, 3060; Schmidt-Aßmann,, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 78. 199 Vgl. für aufsichtsbehördliche Genehmigungsvorbehalte BGHZ 142, 51, 52 ff. 200 Vgl. BGH, NJW 2000, 2810, 2811; Gern,, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 369; Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 42 (10. Lfg. 1995) Rn. 9; zum Mißbrauch der Vertretungsmacht allgemein BGHZ 113, 315, 319 f. 201 Vgl. BGHZ 137, 89, 93 f.; 142, 51, 59 f.; BGH, W M 1997, 2410, 2411; NJW 1998, 3056, 3057; 1998, 3058, 3059; Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 42 (2. Lfg. 1984/10. Lfg. 1995) Rn. 9; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 384 f. 202 Vgl. oben G.IV.3.b. 203 BGHZ 142, 51,58.

IV. Materiellrechtliche Ansprüche des verletzten Organs

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Pflicht des Bürgermeisters hinaus, sich in Verhandlungen mit dem Vertragspartner redlich um eine einvernehmliche Vertragsaufhebung zu bemühen. Dasselbe gilt, wenn der Gemeinderat zwar dem Vertragsschluß zugestimmt hat, diese Zustimmung jedoch unter Verletzung von Mitwirkungs- und Stimmrechten einzelner Gemeinderatsmitglieder und -fraktionen erteilt wurde, vorausgesetzt diese Organrechtsverletzung war kausal für die Entscheidung; dann haben diese einen Anspruch gegen Bürgermeister und Gemeinderat, nach Treu und Glauben auf eine Aufhebung des Vertrages hinzuwirken. Größere praktische Relevanz dürfte dem Folgenbeseitigungsanspruch angesichts des Grundsatzes der Vertragsbindung allerdings in solchen Fällen zukommen, in denen ein Organ im Außenverhältnis einen Reülükt vorgenommen hat, ohne die hierzu erforderliche Zustimmung eines anderen Organs eingeholt oder die Mitwirkungsbefugnisse bestimmter Organteile beachtet zu haben. Nimmt z.B. der Bürgermeister ohne Zustimmung des Gemeinderats eine schlicht hoheitliche Handlung vor oder stimmt der Gemeinderat derselben unter Verletzung der Beteiligungs- und Stimmrechte von Gemeinderatsmitgliedern und -fraktionen zu, so steht dem übergangenen Organ bzw. Organteil ein Folgenbeseitigungsanspruch auf Beseitigung oder Rückgängigmachung jenes Realaktes zu, vorausgesetzt, dies ist tatsächlich und rechtlich überhaupt möglich. Das Bestehen eines solchen Anspruchs kann sich insbesondere dann auswirken, wenn der fragliche Realakt begünstigenden Charakter hat und der betroffene Bürger deshalb ohnehin nicht von sich aus dagegen vorgehen kann.

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß Die Fragen nach der Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges für verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten sowie nach der Klagebefugnis von Organen und Organteilen bzw. dem Bestehen feststellungsfähiger Rechtsverhältnisse zwischen diesen betrafen in einem doppelten Sinn die prozessualen Hauptprobleme im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten. Als prozessuale Hauptprobleme können diese vielfach an materiellrechtliche Kategorien rückgebundenen Zulässigkeitsvoraussetzungen zum einen deshalb charakterisiert werden, weil ihre Beurteilung auf einige die dogmatischen Grundlagen des gesamten (öffentlichen) Rechts überhaupt berührenden Fragen zurückführte, wobei hier als Stichworte nur noch einmal die Diskussion um die sogenannte Impermeabilitätstheorie 1, die Problematik hierarchischer Weisungen im Innenverhältnis 2 sowie vor allem die umfängliche Debatte um die Existenz subjektiver (öffentlicher) Rechte von Organen juristischer Personen des öffentlichen Rechts3 in Erinnerung zu rufen sind; zumal die Klärung letzterer Streitfrage erforderte grundsätzliche Ausführungen zum Begriff des subjektiven Rechts allgemein4 sowie zur Existenz subjektiver Organrechte 5, und schließlich dazu, wann konkrete Organkompetenzen als subjektive Organrechte anzusehen sind6. Als prozessuale //aw/?/probleme der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten sind die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges und die Anerkennung subjektiver Organrechte zum anderen deswegen einzustufen, weil damit infolge der generalklauselmäßigen Rechtsschutzeröffnung im Rechtsschutzsystem der VwGO feststeht, daß verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten jedenfalls im Grundsatz ausgetragen werden können. Die Auslegung und Handhabung aller anderen prozeßrechtlichen Vorschriften muß soweit als möglich mit Blick auf dieses Ziel erfolgen, darf also nicht im Effekt die Grundentscheidung der Generalklausel zugunsten der Zulassung derartiger Verwaltungsstreitverfahren unterlaufen.

1 2 3 4 5 6

S. oben C.II. S. oben C.III. S. oben C.IV. S. oben Teil D. S. oben Teil E. S. oben Teil F.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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Damit bleiben freilich eine Reihe für die praktische Ausgestaltung, wie ein solches Organstreitverfahren prozessual konkret durchzuführen ist, nicht minder bedeutsame Fragen durchaus noch offen, namentlich zwischen welchen Beteiligten und in welcher Klageart der Prozeß auszutragen ist. Daß sich speziell letztere Frage gar nicht allein aus dem Prozeßrecht beantworten läßt, war denn auch der Grund 7, weshalb sich die Arbeit im Anschluß an die Erörterung der prozessualen Hauptfragen der materiellrechtlichen Seite der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten zuwenden mußte8 und nicht unmittelbar mit der Erörterung der übrigen Sachentscheidungsvoraussetzungen fortfahren konnte; über ihre immanente Bedeutung als substantieller Maßstab für die Entscheidung der Organstreitigkeiten hinaus hat die materielle Rechtslage ihrerseits wiederum prozessuale Implikationen, insofern nur im Hinblick auf sie eine sinnvolle Bestimmung des mit der Klage zu verfolgenden Begehrens möglich ist. Zwar geht es in bezug auf die konkrete Durchführung von Organstreitverfahren weniger um materiell- und prozeßrechtliche Grundsatzentscheidungen. Dennoch werfen sich auch in dieser Beziehung zahlreiche dogmatisch nicht minder intrikate und interessante Rechtsfragen auf. Dies gilt zumal für die Beteiligungs- und Prozeßfähigkeit sowie die Prozeßführungsbefugnis (nachfolgend I.), die Klageart (unten II.) sowie das Rechtsschutzbedürfnis (unten III.) als weitere Sachentscheidungsvoraussetzungen, und schließlich für die praktisch bedeutsamen Themenkreise des vorläufigen Rechtsschutzes (unten IV.) und der Kostentragung in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren (unten V.).

I. Die Beteiligtenverhältnisse in Organstreitverfahren Ob ein gerichtlicher Rechtsstreit zum Erfolg führt, Klage oder Antrag also zulässig und begründet sind, hängt maßgeblich davon ab, ob er zwischen den richtigen Beteiligten ausgetragen wird. Während sich die Beteiligtenrollen des Klägers (bzw. Antragstellers) und des Beklagten (bzw. Antragsgegners) streng formal danach bestimmen, wen die Klageschrift als solche bezeichnet (§ 81 Abs. 1 S. 1 VwGO) 9 , so daß Kläger und Beklagter jeder sein kann - und damit natürlich auch jedes Organ und Organteil - , unterliegt die Eigenschaft, wer zulässigerweise Kläger und Beklagter sein darf, gesetzlichen Einschränkungen, und diese bedürfen der Erörterung im Zusammenhang mit den verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten. Erstens müssen der Kläger und der Beklagte rechtlich fähig sein, am Verfahren beteiligt zu sein (§ 61 VwGO), d.h. die Be7

Vgl. oben F.III.4. S. oben Teil G. 9 Dolde, in FS Menger, S. 424 Fn. 5; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 208; Kopp/ Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 23. 8

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

teiligungsfähigkeit besitzen (nachfolgend 1 .). Zweitens müssen die Beteiligten prozeßfähig (§ 62 VwGO), d.h. fähig zur Vornahme wirksamer Verfahrenshandlungen sein (unten 2.). Drittens ist der Prozeß nur zulässig, wenn den Bezusteht, d.h. die teiligten die aktive respektive passive Prozeßführungsbefugnis Befugnis, über das im Prozeß streitige Recht im eigenen Namen einen Rechtsstreit zu führen 10 (unten 3.). Im Unterschied zur aktiven respektive passiven Prozeßführungsbefugnis betrifft die Sachlegitimation nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern ihre Begründetheit. Aktiv legitimiert ist derjenige, dem das Recht nach materieller Rechtslage wirklich zusteht, passiv legitimiert derjenige, gegenüber dem dieses Recht wirklich besteht, bei Ansprüchen also derjenige, der zu der begehrten Leistung (Tun oder Unterlassen) verpflichtet ist, ansonsten derjenige, dem gegenüber der Kläger die begehrte gerichtliche Gestaltung oder Feststellung verlangen kann 11 . Materiellrechtlich berechtigt und verpflichtet, und damit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aktiv und passiv legitimiert sind die Organe und Organteile, denen das geltend gemachte subjektive Organrecht als eigenes zusteht bzw. die durch dasselbe verpflichtet sind, nicht hingegen die juristische Person des öffentlichen Rechts, der sie angehören 12. Wie sich vor diesem materiellrechtlichen Hintergrund die verschiedenen auf die prozessualen Beteiligtenverhältnisse bezogenen Sachurteilsvoraussetzungen darstellen, ist nunmehr mit Bezug auf die Organstreitigkeiten zu erörtern.

1. Die Beteiligungsfähigkeit der Organe und Organteile für das verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren a) Die dogmatische Begründung der Beteiligungsfähigkeit von Organen und Organteilen Es wurde bereits eingangs dieser Arbeit dargelegt, daß nach heute ganz herrschender Meinung verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten zwischen den betreffenden Organen und Organteilen auszutragen sind 13 , zu welchem Zweck ihnen auch anerkanntermaßen die Beteiligungsfähigkeit zukommt. Eine umfangreiche und hinsichtlich der Anzahl verschiedener Lösungsvorschläge wohl sonst 10 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 219; Kopp/Schenke, VwGO, vor §40 Rn. 23; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 539; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 15. 11 Kopp/Schenke, VwGO, vor §40 Rn. 28; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 542; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 19. 12 Zu Organen und Organteilen als Inhaber subjektiver Organrechte oben E.II. 13 Vgl. die Fallbeispiele oben A.II. 1.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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in der Rechtswissenschaft nicht noch einmal erreichte Debatte wird jedoch darum geführt, wie dieses konsentierte Ergebnis dogmatisch genau zu begründen ist. „Fähig, am Verfahren beteiligt zu sein", sind gemäß § 61 VwGO „1. natürliche und juristische Personen, 2. Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann, 3. Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt". Vor diesem gesetzlichen Hintergrund werden nicht weniger als vierzehn (!) dogmatische Konstruktionen für die Beteiligungsfähigkeit im Organstreitverfahren angeboten: die direkte 14 bzw. analoge15 Anwendung des § 61 Nr. 1 VwGO, die direkte 16 bzw. analoge17 Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO, die Anwendung des § 61 Nr. 3 VwGO 1 8 , ferner sämtliche theoretisch denkbaren differenzierenden Theorien, die je nachdem, ob das betreffende Organ oder Organteil mit einem einzelnen Organwalter besetzt ist (z.B. der Bürgermeister, ein Gemeinderatsmitglied) oder ob es sich um ein pluralistisches Organ oder Organteil handelt (z.B. der Gemeinderat, ein Gemeinderatsausschuß, eine Gemeinderatsfraktion), Nr. 1 und Nr. 2 unmittelbar 19, Nr. 1 analog und Nr. 2 unmittelbar 20, Nr. 1 unmittelbar und Nr. 2 analog21, bzw. Nr. 1 und Nr. 2 analog22 anwenden wollen. Teilweise wird

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Vgl. OVG Koblenz, AS 9, 335, 343; Bader/v. Albedyll, VwGO, § 61 Rn. 5. Kisker, JuS 1975, 705 Fn. 6. 16 OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 362; VGH Mannheim, DÖV 1983, 862; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140; Fink, WissR 1994, 141; Klinger, VwGO, §61 Anm. C 2 b; Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 9, 11; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 61 Rn. 4; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 462 Fn. 5; Seewald, Kommunalrecht, Rn. 243; Tsatsos, Organstreit, S. 37 f.; Wefelmeier, NdsVBl. 1997, 35. 17 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665; OVG Berlin, LKV 2000, 453; Bethge, DVBl. 1980, 824; Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 7; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 161; Dolde, in FS Menger, S. 436; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 38 f.; Fuß, WissR 1972, 109; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 213 f.; ders., DVBl. 1970, 849; Krebs, Jura 1981, 579; Löer, Kontrolle, S. 29; Lüders, Ratsausschüsse, S. 64 f., 117; Puttfarcken, in FG Ule, S. 67 f.; Ramsauer, Assessorprüfung, Rn. 22.05; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 457; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 84; Stahl, NJW 1972, 2031; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 670; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 70 ff, 146 f. 18 Becker-Birck, Insichprozeß, S. 92 ff., 98, 107; Herbert, DÖV 1994, 113; offen VG Schwerin, LKV 2000, 167 („§ 61 Nrn. 1 oder 3"). 19 Bonk, Organstreitigkeiten, S. 62 ff.; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 61 Rn. 4, 10; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 304; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 8; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 163; Kopp, VwGO, § 61 Rn. 5, 13; Rausch, JZ 1994, 699; Scholz, DÖV 1973, 846. 20 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 134 ff; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 159 ff., 168 f. 21 Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 46 ff., 67 ff. 22 OVG Münster, DVBl. 1992, 444; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 795; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 426; wohl auch Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 184 Fn. 67. 15

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

hinsichtlich der Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO danach differenziert, diese Vorschrift auf pluralistische Organe unmittelbar und auf „Ein-Mann-Organe" analog23 bzw. auf initiativberechtigte Antragsminderheiten unmittelbar und auf alle anderen Organe und Organteile analog24 anzuwenden. Zu vermerken sind ferner Vorschläge einer „erweiternden Auslegung von § 61 VwGO" und Analogie zu § 63 BVerfGG 25 , einer an § 61 Nr. 2 VwGO als „Muster" angelehnten, aber nicht in einer Analogie bestehenden Rechtsfortbildung 26, und schließlich einer von §61 VwGO überhaupt absehenden unspezifischen richterlichen Rechtsfortbildung 27. Als gangbarer Weg zur Lösung des vorliegenden Problems scheidet jedenfalls §61 Nr. 3 VwGO aus. Zwar lassen sich Organe und Organteile bei entsprechend weitem Verständnis durchaus als Behörden im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG verstehen 28 und damit auch als Behörden im Sinne des § 61 Nr. 3 VwGO. Diese Vorschrift soll jedoch ihrem Sinn nach lediglich die Länder ermächtigen, vom Rechtsträger- auf das Behördenprinzip überzugehen und so den Vertretung des eigentlich bezeichneten Behörden die prozeßstandschaftliche berechtigten oder verpflichteten Hoheitsträgers zu ermöglichen 29. Um eine derartige Konstellation geht es in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren aber gerade nicht, weil hier die beteiligten Organe und Organteile um ihre eigenen Organrechte in ihrem Verhältnis untereinander streiten 30 und nicht als Behörden prozeßstandschaftlich Rechte ihrer Träger wahrnehmen 31. Auch eine analoge Anwendung des § 61 Nr. 3 VwGO kommt nicht in Betracht. Denn die Beteiligungsfähigkeit in Organstreitverfahren muß um des sub23

v. Mutius, Kommunalrecht, Rn. 836, 838; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 269; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 124. 24 Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 139 ff., 143 ff. 25 Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 257. 26 Erichsen, in FS Menger, S. 223 f.; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 159; Püttner, Organstreitverfahren, S. 136; Schoch, JuS 1987, 787. * Bethge, Die Verwaltung 1975, 473; ders., HKWP II, S. 189 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 110 f.; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 412; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 197 f. 28 S. oben G.III.2.a. 29 S. oben A.II.3.b.ee. 30 Vgl. oben E.II. 31 Bethge, Die Verwaltung 1975, 471; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 137 f.; Czybulka, in NKVwGO, §61 (Lfg. 1996) Rn. 39; Dolde, in FS Menger, S. 433; Erichsen, in FS Menger, S. 222 f.; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 159; Ewald, DVB1. 1970, 240; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 181 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 45 f.; Krebs, Jura 1981, 578; Lüders, Ratsausschüsse, S. 62 f.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 139; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 98; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 109 f.; Tsatsos, Organstreit, S. 35 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 67.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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jektiven Rechtsschutzzweckes willen bundesrechtlich einheitlich geregelt sein und darf nicht von der Zufälligkeit abhängig gemacht werden, ob die Länder den betreffenden Organen und Organteilen Beteiligungsfähigkeit verliehen haben 32 . Zwar sind die subjektiven Organrechte der Organe und Organteile der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen der Länder landesrechtlicher Natur, da sie auf Normen des Landesrechts beruhen, und an diesem Umstand ändert sich auch nichts dadurch, daß bei der Auslegung der landesrechtlichen Kompetenzvorschriften nicht zuletzt die grundgesetzlichen Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG bezüglich der Geltung der Demokratie-, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzipien Bedeutung besitzen, welche sodann eine Subjektivierung der fraglichen Kompetenzen indizieren 33. Der landesrechtliche Charakter des materiellen Rechts impliziert aber nicht, daß der Landesgesetzgeber auch über dessen prozessuale Durchsetzbarkeit befinden könnte. Der fur das Verwaltungsprozeßrecht zuständige Bundesgesetzgeber (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) hat nämlich bundesrechtlich abschließend die Entscheidung getroffen, daß, wenn ein subjektives öffentliches Recht vorliegt, dieses unabhängig von seiner bundesoder landesrechtlichen Herkunft im Verwaltungsrechtsweg verteidigt werden können soll, und da diese Rechtswegeröffnung auch für subjektive Organrechte gilt 34 , wäre es unstimmig, die Möglichkeit ihrer prozessualen Geltendmachung dadurch wieder dem Landesgesetzgeber anheimzustellen, indem man die Beteiligungsfähigkeit der Organe und Organteile durch eine landesrechtliche Regelung entsprechend § 61 Nr. 3 VwGO bedingt. Der Bundesgesetzgeber wollte, wie gesagt, durch § 61 Nr. 3 VwGO den Ländern lediglich die Möglichkeit einräumen, eine gesetzliche Prozeßstandschaft von Behörden für die eigentlich berechtigten und verpflichteten Träger öffentlicher Gewalt vorzusehen, nicht aber sollte § 61 Nr. 3 VwGO die Fälle betreffen, in denen Organe und Organteile solcher Träger öffentlicher Gewalt selbst Berechtigte und Verpflichtete sind. Da es um den Schutz subjektiver öffentlicher Rechte geht, muß daher die Beteiligungsfähigkeit aller Organe und Organteile mit Hilfe einer unmittelbaren oder analogen Anwendung von § 61 Nr. 1 und/oder Nr. 2 VwGO beurteilt werden. Die Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung des § 61 VwGO auf Organe und Organteile im Organstreitverfahren wird nun teilweise schon aus prinzipiellen Gründen verworfen. Denn, so wird eingewandt, in § 61 VwGO seien entsprechend der Konzeption der VwGO als System des Außenrechtsschutzes35 ausschließlich Außenrechtssubjekte genannt, und folglich seien Innenrechtssub32 Ähnlich Bethge, Die Verwaltung 1975, 471; ders., HKWP II, S. 189; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 161; Ewald, DVBl. 1970, 239 f.; Tsatsos, Organstreit, S. 37. 33 Vgl. oben F.II. 1. 34 Vgl. oben F.II.3. 35 Zu der These der Außenrechtsbezogenheit der VwGO und ihren Grenzen oben E.II.5.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

jekte immer nur in analoger Anwendung des § 61 VwGO beteiligungsfähig 36. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß zwar die in § 61 Nr. 1 VwGO aufgeführten natürlichen und juristischen Personen Außenrechtssubjekte sind, daß dies aber nicht auch für die in § 61 Nr. 3 VwGO genannten Behörden gilt. Denn die Möglichkeit, ihnen durch Landesrecht Beteiligungsfähigkeit zu verleihen, meint nicht, ihnen die Rechtsträgerschaft zu übertragen, sondern bezieht sich allein auf eine mögliche Prozeßstandschaft 37. Wenn Behörden aber keine Außenrechtssubjekte sind und dennoch beteiligungsfähig sein können, so gibt es keinen zwingenden Grund, weshalb gleiches nicht auch für die in § 61 Nr. 2 VwGO genannten „Vereinigungen" gelten können soll. Daß dem Gesetzgeber bei Abfassung der VwGO vornehmlich der Rechtsstreit im Außenverhältnis zwischen Bürger und Staat vorgeschwebt haben dürfte, läßt sich zwar nicht bestreiten. Eine ausschließliche Beschränkung auf derartige Streitigkeiten läßt sich aber nicht nachweisen, und tatsächlich bestehen angesichts der Gesetzeshistorie gute Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber über die VwGO auch verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten erfassen wollte 38 , obschon er gewiß nicht alle damit verbundenen dogmatischen Probleme gesehen oder gar gelöst hat. Jedenfalls rechtfertigt alleine der Umstand, daß es um einen Innenrechtsstreit geht, keinen grundsätzlichen Verzicht auf die unmittelbare Anwendung der VwGO-Vorschriften und die Beschränkung auf ihre analoge Heranziehung. Würde alleine der Umstand, daß die Streitparteien Organe und Organteile sind, die sich um ihre subjektiven Organrechte streiten, die analoge Anwendung des § 61 VwGO erzwingen, dann müßten konsequenterweise im gesamten Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten alle anderen Vorschriften der VwGO ebenfalls bloß analog gelten, eine These, die mit Recht noch niemand vertreten hat 39 . Hiernach ist die unmittelbare Anwendung des § 61 VwGO auf Organe

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OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665; Aulehner, JA 1989, 482; Bier, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 7; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 38; Erichsen, in FS Menger, S. 222; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 795; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 129; Löer, Kontrolle, S. 29; Schoch, JuS 1987, 787; Ziekow, NWVB1. 1998, 300 f.; vgl. femer Krebs, Jura 1981, 579; ders., in Isensee/Kirchhof, HStR III, § 69 Rn. 50. 37 S. oben A.II.3.b.ee. 38 Vgl. oben E.II.5.b und c. 39 Deshalb ist es in sich widersprüchlich, wenn Dolde, in FS Menger, S. 436 und Krebs, Jura 1981, 579 f. die analoge Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO damit begründen, er sei auf den Außenrechtsstreit zugeschnitten und erfasse daher seiner Konzeption nach den Innenrechtskreis nicht unmittelbar, dann jedoch § 42 Abs. 2 und § 43 VwGO ohne Bedenken unmittelbar anwenden, ohne auch diesbezüglich eine nur analoge Anwendung der Begriffe „Recht" bzw. „Rechtsverhältnis" zu postulieren. Erichsen plädiert zwar folgerichtig dafür, auch § 42 Abs. 2 und § 43 VwGO bei Organstreitigkeiten nur analog anzuwenden (in FS Menger, S. 230), bleibt aber inkonsequent, da er keine Bedenken hat, § 40 Abs. 1 VwGO unmittelbar anzuwenden (ebd., S. 219 f.); wie hier krit.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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und Organteile nicht schon grundsätzlich ausgeschlossen, vielmehr handelt es sich um eine gewöhnliche Auslegungsfrage, ob sie sich unter diese Vorschrift subsumieren lassen. Die sinnvollste Methode, sich der Lösung dieser dogmatischen Streitfrage zu nähern, dürfte in einem differenzierenden Vorgehen bestehen, welche zunächst nicht alle Organe und Organteile auf einmal in den Blick nimmt, sondern je nach ihrer verschiedenen Struktur schrittweise vorgeht. Für monokratische Organe wie z.B. den Bürgermeister sowie für Ein-Personen-Organteile wie z.B. das einzelne Gemeinderatsmitglied wird vielfach vorgeschlagen, sie als natürliche Person zu behandeln und direkt unter § 61 Nr. 1 VwGO zu subsumieren 40. Dies kann aber nicht überzeugen. Selbstverständlich ist der jeweilige Organwalter eine natürliche Person, und deshalb wäre er allerdings nach §61 Nr. 1 VwGO beteiligungsfähig, wenn er persönliche Rechte geltend machen wollte. Das Organ oder Organteil aber klagt, wenn es seine Organrechte geltend macht, niemals als natürliche Person, selbst wenn seine Aufgaben durch nur einen Organwalter wahrgenommen werden 41. Es kann nicht zugegeben werden, daß es „eine selbst einem Fachmann nur schwer vermittelbare These" sei, daß „der Bürgermeister, also eine natürliche Person", nicht direkt unter § 61 Nr. 1 VwGO zu subsumieren sei, wenn er in amtlicher Eigenschaft klagt 42 . Die Unterscheidung von Organwalter und Organ stellt eine seit langem anerkannte und für das gesamte Organisationsrecht fundamentale Unterscheidung dar 43 , die hier nur konsequent angewandt werden muß. Es ist ein Irrtum, auch Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §40 (Lfg. 1996) Rn. 135; Fehrmann, NWVBl. 1989, 304. 40 OVG Koblenz, AS 9, 335, 343; VGH Mannheim, DÖV 1980, 573; OVG Münster, OVGE 28, 208, 211; Bader/v. Albedyll, VwGO, §61 Rn. 5; v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 435; Barth, Subjektive Rechte, S. 47, 149 f.; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 63 ff., 77; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 61 Rn. 4; Groß, Kollegialprinzip, S. 323; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 8; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 69; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 163; Kopp, VwGO, § 61 Rn. 5; Menzel/Schumacher, Jura 1998, 158; Rausch, JZ 1994, 699. 41 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665; Bauer/Krause, JuS 1996, 515; Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §61 (Lfg. 1996) Rn. 3; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 136 f.; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, § 30 I 3; Dolde, in FS Menger, S. 427; Erichsen, in FS Menger, S. 221; ders., VerwArch 1980, 432; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 158 f.; Ewald, DVBl. 1970, 239; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 37 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 212; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 43; Kopp/Schenke, VwGO, §61 Rn. 5; Krebs, Jura 1981, 579; Lüders, Ratsausschüsse, S. 58 f.; v. Mutius, Kommunalrecht, Rn. 834; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 457; Schnapp, VerwArch 1987, 449; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 195; Ziekow, NWVBl. 1998, 300; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 64 f., 145 f. 42 So aber Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 61 Rn. 4; desgleichen Bader/v. Albedyll, VwGO, § 61 Rn. 5. 43 S. oben A.I.2.a. 60 Roth

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

daß der „Bürgermeister" eine natürliche Person sei; der Bürgermeister ist ein Organ der Gemeinde44 (vgl. § 23 GemO BW), und daran ändert sich nichts, nur weil selbstverständlich der Amtsinhaber eine natürliche Person ist. Das Gegenargument, natürliche Personen verlören diese ihre Eigenschaft nicht dadurch, „daß sie als Gemeindeorgane klagen" 45 , übersieht, daß eine natürliche Person nie „als Gemeindeorgan" klagen kann. Vielmehr ist genau der umgekehrte Schluß richtig: Nur Organe und Organteile können „als Gemeindeorgan" klagen, und sie verlieren diese Eigenschaft nicht dadurch, daß für sie nur ein einzelner Organwalter agiert, der, wenn es um ihn persönlich ginge, allerdings als natürliche Person klagen würde. Das stellt auch keinen unzulässigen Schluß „von den geltend gemachten Rechten auf die Art der Beteiligung" dar 46 , sondern vielmehr werden hiermit nur die Beteiligtenverhältnisse klargestellt, und für diese kommt es allerdings darauf an, um wessen Rechte es geht: Wenn ein Organ oder Organteil um seine Rechte prozessieren will, muß es beteiligungsfähig sein, und diese Eigenschaft besitzt es als Organ oder Organteil nun einmal nicht als natürliche Person 47. Da ein Organ oder Organteil auch keine juristische Person ist 48 , scheidet seine Subsumtion unter § 61 Nr. 1 VwGO insgesamt aus. Auch unter § 61 Nr. 2 VwGO lassen sich monokratische Organe oder einzelne Organmitglieder nicht zählen49, da sie nach keinem möglichen Wortverständnis als „Vereinigungen" aufgefaßt werden können, welche ja zwingend den Zusammenschluß von mindestens zwei Gliedern voraussetzen. Danach lassen sich der Bürgermeister sowie einzelne Gemeinderatsmitglieder etc. nur durch eine analoge Anwendung unter § 61 VwGO bringen, wobei fraglich ist, ob als Basis dieser Analogie dessen Nr. 1 oder Nr. 2 heranzuziehen ist. Da sich jede Rechtsfortbildung möglichst kohärent in das bestehende Rechtssystem einfügen und möglichst nah an die vorhandenen Vorschriften anlehnen sollte 50 , Rege44

Vgl. BVerwGE 101,47,50. Barth, Subjektive Rechte, S. 47; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 8; vgl. v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 435; Menzel/Schumacher, Jura 1998, 158. 46 So der Einwand von Barth, Subjektive Rechte, S. 47; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 8. 47 Deshalb spielt entgegen Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 69 auch keine Rolle, daß das für ein ausgeschiedenes Gemeinderatsmitglied nachrückende Gemeinderatsmitglied nicht das von ersterem begonnene verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren fortführen kann: daß die streitbefangenen Organrechte dem individuellen Gemeinderatsmitglied zustehen, macht sie nicht zu persönlichen Rechten einer natürlichen Person. 48 S. oben E.II.4. 49 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 136; Erichsen, in FS Menger, S. 221 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 67, 146 f.; unklar Tsatsos, Organstreit, S. 38. 50 Vgl. BGHZ 4, 153, 158; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 300; Zippelius, Juristische Methodenlehre, § 11 II d, S. 72. 45

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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lungslücken daher in einer Art und Weise zu schließen sind, von der anzunehmen ist, daß sie auch der Gesetzgeber gewählt hätte, hätte er sich zu einer Regelung entschlossen51, sprechen die besseren Gründe für eine analoge Anwendung der Nr. 2. Dies ergibt sich aus folgendem: In § 61 Nr. 1 VwGO hat der Gesetzgeber die Grundsatzentscheidung getroffen, allen natürlichen und juristischen Personen als den Rechtssubjekten mit genereller Rechtsfähigkeit 52 auch die generelle Beteiligungsfähigkeit zuzuerkennen. Da ihm freilich bewußt war, damit nicht alle Rechtsinhaber erfaßt zu haben, nämlich nicht die nur partiell rechtsfähigen Rechtssubjekte53, und er ein Bedürfnis erkannte, „daß nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ... als solche, also ohne über den Umweg über die Mitglieder, ihre öffentlich-rechtlichen Ansprüche vor den Verwaltungsgerichten vertreten können" sollten 54 , erstreckte er die Beteiligungsfähigkeit durch Nr. 2 auf nicht generell rechtsfähige „Vereinigungen", soweit diesen ein Recht zustehen kann. Von daher war die Nr. 2 als Weiterung und Auffangtatbestand zur Sicherung der Beteiligungsfähigkeit aller nicht schon unter Nr. 1 fallenden Rechtssubjekte gedacht. Allerdings hat der Gesetzgeber bei der Formulierung dieses Auffangtatbestandes offenbar übersehen, daß es Rechtssubjekte gibt, die weder natürliche noch juristische Personen noch „Vereinigungen" sind, denen aber gleichwohl subjektive Rechte zustehen können. Hätte er dies gesehen, so hätte er zweifelsohne auch diesen Rechtssubjekten die Beteiligungsfähigkeit geben wollen, ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen. Das hätte er aber kaum durch eine dahin gehende Ausweitung der Nr. 1 getan, die ja mit ihrer Erwähnung der generell rechtsfähigen Rechtspersonen den traditionell anerkannten, unzweideutigen und praktisch häufigsten Normalfall betrifft, sondern er hätte dann wohl den Auffangtatbestand der Nr. 2 noch weiter gefaßt. Während also die Nr. 1 genau den Anwendungsbereich hat, den sie nach der gesetzgeberischen Intention haben soll, nämlich den praktischen Normalfall der Beteiligungsfähigkeit aller Rechtspersonen zu regeln, greift die Formulierung der Nr. 2 zu kurz, um deren Zweck als Auffangtatbestand vollständig erfüllen zu können, hinterläßt somit als eine hinter der gesetzgeberischen Wertentscheidung zurückbleibende Regelung eine normative Regelungslücke 55, und dies indiziert

51

Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 298. Vgl. oben E.II.4.a. 53 Zu diesen oben E.II.4.a. 54 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 37 (zu § 64 des Entwurfs). 55 Zum Begriff der normativen Regelungslücke vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 280 ff.; femer Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 472 ff.; Engisch, Einführung, S. 176 ff; Larenz, Methodenlehre, S. 370 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 192 ff.; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 461 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, §111. 52

916

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

methodisch ihre analoge Anwendung 56. Der Bürgermeister sowie einzelne Gemeinderatsmitglieder sind daher aufgrund analoger Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig, um die ihnen zustehenden subjektiven Organrechte im Organstreitverfahren geltend zu machen. Dasselbe gilt für Kollegialorgane wie z.B. den Gemeinderat oder die Gemeinderatsausschüsse57. Dank ihrer pluralen Zusammensetzung könnte man zwar auch an ihre direkte Subsumtion unter § 61 Nr. 2 VwGO denken58. Indessen wohnt dem Begriff der „Vereinigung" die Vorstellung einer (freiwilligen oder gesetzlich vorgeschriebenen) Zusammenschließung von zuvor getrennten Individuen inne. Der Gemeinderat jedoch entsteht nicht etwa durch die Zusammenschließung isoliert für sich existierender oder auch nur gedanklich existenzfähiger Gemeinderatsmitglieder - und zwar gleichgültig, ob man hierbei auf die Gemeinderatsmitglieder als Teile des Gemeinderats oder als einzelne Organwalter abstellt - , sondern vielmehr ist umgekehrt das Kollegialorgan Gemeinderat dasjenige Organ, durch dessen Mitgliedschaft überhaupt nur Status und Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied vermittelt werden, weil sowohl die Organteilals auch die Organwalterschaft an die Existenz des Organs gebunden sind 59 . Deshalb ist auch für die bezeichneten kollegialen Organe und Organteile allein eine analoge Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO gangbar, mit der bereits gegebenen Begründung allerdings auch zu bejahen. Gleiches gilt für die Beteiligungsfähigkeit initiativberechtigter Antragsminderheiten, soweit sie die ihnen zustehenden subjektiven Organrechte 60 verfolgen wollen. Zwar könnte man erwägen, insofern sich derartige Antragsminderheiten tatsächlich erst durch die bei der Antragstellung sich zusammenfindenden Organmitglieder konstituieren, sie als „Vereinigung" der betreffenden Organmit56 Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 7; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 161 Fn. 19; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 40 ff.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 71 f.; vgl. auch Ewald, DVB1. 1970, 241. 57 A.A. Bonk, Organstreitigkeiten, S. 73 ff.: keine Beteiligungsfähigkeit von Gemeinderatsausschüssen. 58 So etwa OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 587; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 134 f.; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 62 f.; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 160 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 163; Rausch, JZ 1994, 699, 700; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 269; Schnapp, VerwArch 1987, 451, 452; Schwabe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 124; Thiele, NdsGemO, §31 Anm. 3; Tsatsos, Organstreit, S. 38; vgl. femer Krebs, Jura 1981, 579. 59 BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), AfP 1999, 61, 62; vgl. femer Bethge, Die Verwaltung 1975, 472; Dolde, in FS Menger, S. 431; Ewald, DVB1. 1970, 239; ders., WissR 1970, 38; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 177 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 61; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 140; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 109; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 69. 60 Zu diesen oben F.III.2.e.

I. Die Beteiligten Verhältnisse in Organstreitverfahren

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glieder aufzufassen und ihre Beteiligungsfähigkeit in direkter Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO zu bejahen61. Hiergegen spricht indes, daß die einzelnen Gemeinderatsmitglieder ihrerseits nur analog § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig sind; einen Zusammenschluß von Rechtssubjekten, die selbst bloß analog § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig sind, unmittelbar unter diese Vorschrift zu subsumieren, erscheint aber, wiewohl logisch möglich, so doch wenig glücklich. Außerdem fehlt solchen Antragsminderheiten das bei „Vereinigungen" nach dem gewöhnlichen Begriffsverständnis vorausgesetzte Maß an Dauerhaftigkeit und organisatorischer Verselbständigung 62. Da ihnen unbeschadet dessen aber nun einmal gewisse subjektive Organrechte zustehen63 - der Gesetzgeber kann nicht nur dauerhaft formierten Rechtssubjekten Rechte zuweisen - , müssen sie zu deren verwaltungsgerichtlichen Durchsetzung als beteiligungsfähig erachtet werden 64, und zwar, weil sie zwar Rechtssubjekte sind, aber eben keine „Vereinigungen", wiederum nur analog § 61 Nr. 2 VwGO. Fraglich ist schließlich, ob § 61 Nr. 2 VwGO wenigstens auf Gemeinderatsfraktionen direkt anwendbar ist 65 . In der Tat können diese als „Vereinigungen" angesehen werden, ohne diesem Begriff Gewalt anzutun, nämlich als „organschaftliche Vereinigung" von Gemeinderatsmitgliedern gleicher politischer Richtung 66 . Andererseits ist zu bedenken, daß sich die derselben Partei oder Wählergemeinschaft zugehörigen Gemeinderatsmitglieder nicht als natürliche Personen zu einer Fraktion zusammenschließen, sondern einzig in ihrer Eigenschaft als Gemeinderatsmitglieder und damit als Organteile 67, als welche sie aber selbst nur analog § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig sind. Von daher greift wiederum das Bedenken, einen Zusammenschluß von selbst nur analog §61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähigen Gemeinderatsmitgliedern unmittelbar unter diese Bestimmung zu fassen 68. Deshalb sind Gemeinderatsfraktionen und 61

Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 144 f. Vgl. dazu VGH Kassel, ESVGH 31, 60, 61; Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 5; Bonk., Organstreitigkeiten, S. 71 f.; Dolde, in FS Menger, S. 429 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 12; Zimmerling., Organstreitigkeiten, S. 147; a.A. Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 73 f. 63 S. oben F.III.2.e. 64 Kiock, Kommunal Verfassungsstreitigkeiten, S. 133 f.; Reichert/Baumann, Kommunalrecht, Rn. 233; a.A. Bonk, Organstreitigkeiten, S. 71 f.; wohl auch Tsatsos, Organstreit, S. 39. 65 VGH Kassel, ESVGH 45, 161 f.; NVwZ 1986, 328; VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76; OVG Weimar, DVBl. 2000, 935; Bick,, Die Ratsfraktion, S. 131; Eyermann/ Fröhler, VwGO, § 61 Rn. 6; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 70; Rausch, JZ 1994, 699; a.A. OVG Münster, DVBl. 1992, 444: § 61 Nrn. 1 und 2 VwGO analog; offen Schmidt-Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 118; Ziekow, NWVBl. 1998, 301. 66 VGH Kassel, NVwZ 1986, 328. 67 Schmidt-Jortzig/Hansen, NVwZ 1994, 117. 68 Ablehnend auch Püttner, Organstreitverfahren, S. 135 f. 62

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Antragsminderheiten ebenso wie alle anderen Organe und Organteile, also namentlich der Bürgermeister, der Gemeinderat, Gemeinderatsausschüsse, einzelne Gemeinderatsmitglieder, nicht als „Vereinigungen" im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO anzusehen und somit nur über dessen analoge Anwendung zu erfassen. Die vorgeschlagene analoge Heranziehung des § 61 Nr. 2 VwGO zum Zweck der Zuerkennung der Beteiligungsfähigkeit an Organe und Organteile steht nicht im Widerspruch zu seiner Entstehungsgeschichte69. Zwar heißt es im Regierungsentwurf: „Wie schon in der Begründung zu § 46 ausgeführt worden ist, besteht auch kein Anlaß dazu, für Behörden desselben Rechtsträgers durch die Verleihung der Parteifähigkeit die Möglichkeit zur Führung von Verwaltungsgerichtsprozessen gegeneinander zu schaffen. Es fehlt in einem solchen Falle an einem wirklichen Rechtsschutzbedürfiiis" 70. Indessen ist hierzu zum einen zu bemerken, daß der Gesetzgeber ausweislich der zu § 46 des Entwurfs gegebenen Begründung hierbei eher an die Problematik von Klagen einer untergeordneten Behörde gegen Weisungen ihrer übergeordneten Behörde gedacht hat derartige Klagen sind allerdings auch nach hier vertretener Auffassung schon mangels Vorliegens subjektiver Rechte in hierarchischen Behördenverhältnissen71 ausgeschlossen - , die besondere Situation bei Organstreitverfahren aber gar nicht im Blick hatte72. Vor allem aber ist die explizit in Bezug genommene Begründung zu § 46 des Entwurfs zu beachten, in dem es um das Antragsrecht bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ging: „Das ... Antragsrecht der Behörde ist beseitigt, da die Normenkontrolle ihrem Sinne nach in erster Linie den Rechtsschutz des einzelnen bezweckt. Ein solches Antragsrecht müßte auch zu staatsrechtlichen Schwierigkeiten (Frage des Weisungsrechts usw.) führen, insbesondere dann, wenn die unterstellte Behörde etwa die von der übergeordneten Behörde erlassene Verordnung vor die Gerichte bringen will. Hält eine Verwaltungsbehörde eine Verordnung für rechtswidrig, so mag sie auf dem Dienstweg vorstellig werden. Gegebenenfalls ist die Frage im Schöße der Staatsregierung zu klären" 73 . Diese Darlegung ist nun aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens bezog sich diese Ablehnung des Antragsrechts der Behörden allein auf eine objektivrechtliche Beanstandungsmöglichkeit bei der Normenkontrolle, und schon deshalb ließe sich hieraus nicht zwingend schließen, daß Organe und Or-

69 So aber OVG Berlin, DVB1. 1964, 82, 83 f.; Erichsen, in FS Menger, S. 223; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 197 f. 70 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 37 (zu § 64 des Entwurfs). 71 S. oben F.II.3. 72 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 139. 73 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 33 (zu § 46 des Entwurfs).

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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ganteile auch dann keine Beteiligungsfähigkeit besitzen sollen, wenn sie tatsächlich eigene Organrechte verfolgen und damit ein subjektives Rechtsschutzbegehren im Räume steht. Jedenfalls aber ist zu beachten, daß genau dieses im Regierungsentwurf abgelehnte Antragsrecht der Behörden im Normenkontrollverfahren schließlich doch Gesetz wurde (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO), womit aber eben sehr wohl die Möglichkeit eröffnet ist, daß die unterstellte Behörde eine von der übergeordneten Behörde erlassene Rechtsverordnung vor Gericht angreift 74 . Hat sich aber die Regierungsbegründung zu dieser Frage im Gesetzgebungsprozeß nicht durchgesetzt, dann kann auch nicht die hierauf ausdrücklich verweisende Begründung zu §61 VwGO als maßgeblich aufgefaßt werden 75. Wenn nun bei oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren Behörden als Antragsteller echte Verfahrensbeteiligte sein können, und wenn sich dort der Sache nach verschiedene Behörden derselben Organisation gegenüberstehen können76, dann kann es nicht richtig sein, Organen und Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts generell die Beteiligungsfähigkeit abzusprechen; jedenfalls ist nicht nachweisbar, daß die Regierungsbegründung mit ihren restriktiven Vorstellungen hinsichtlich der möglichen Verfahrensbeteiligung hoheitlicher Organe wenigstens im übrigen durchgedrungen wäre. Dann aber ist das Grundanliegen des Gesetzgebers maßgeblich, allen Rechtssubjekten zwecks Verfolgung ihrer eigenen Rechte Beteiligungsfähigkeit zu verleihen, und soweit dieses Ziel allein im Wege einer analogen Anwendung des § 61 Nr. 2 VwGO zu verwirklichen ist, ist diese gleichermaßen erlaubt wie geboten. Denn nur diese Ermöglichung der Beteiligung an einer verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeit trägt der dienenden Funktion des Prozeßrechts Rechnung, mit der es schwer vereinbar wäre, materielle Rechte wie die Organrechte von der gerichtlichen Geltendmachung auszunehmen, solange nicht alle methodisch zulässigen Möglichkeiten der Auslegung oder Fortbildung des Prozeßrechts erschöpft sind. Umstritten ist, welche Bedeutung der in § 61 Nr. 2 VwGO enthaltenen und auch bei dessen analogen Anwendung zu beachtenden Einschränkung zukommt, daß „Vereinigungen" beteiligungsfähig sind, „soweit ihnen ein Recht zustehen kann". Nach der einen Ansicht genügt es, daß dem betreffenden Rechtssubjekt überhaupt ein Recht zustehen kann; die Beteiligungsfähigkeit muß sich also nicht aus der Rechtsnorm ergeben, um die im konkreten Rechtsstreit gestritten wird 77 . Hiernach wären die hier untersuchten Organe und Organteile juristischer 74

S. oben B.I.l.b. Vgl. BVerwGE 45, 207, 208; OVG Koblenz, VRspr 21, 632, 635; Lorenz, AöR 93 (1968), 312; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 57; das übersieht Wengenroth, Rechtsstellung, S. 193, 197. 76 S. oben B.I.l.b. 77 BVerwGE 32, 333, 334 f.; 45, 39, 42; 90, 304, 305; Bethge, Die Verwaltung 1975, 474; ders., HKWP II, S. 190; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 29; Hein75

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Personen des öffentlichen Rechts generell beteiligungsfähig, da ihnen jeweils mindestens ein subjektives Organrecht zusteht78. Ob sie im Prozeß ein ihnen zustehendes Organrecht geltend machen, ist nach dieser Sicht allein eine Frage der Klagebefugnis. Nach der überwiegend befürworteten konkreten Betrachtungsweise dagegen ist eine „Vereinigung" nur zur Geltendmachung des streitgegenständlichen Rechts beteiligungsfähig; ein Organ oder Organteil, das bloß objektives Recht oder ein Recht, das ihm nicht zustehen kann, geltend machen wollte, wäre danach schon gar nicht beteiligungsfähig, so daß es insoweit auf § 42 Abs. 2 VwGO nicht mehr ankäme79. Dem ist zuzugeben, daß der Wortlaut des §61 Nr. 2 VwGO („soweit") in der Tat auf eine „Teilbeteiligungsfähigkeit" 8 0 hinzudeuten scheint. Andererseits ist diese Auslegung nicht zwingend, da der Begriff „soweit" nicht notwendig in einem solchen quantitativen Sinn gebraucht werden muß, sondern auch in einer qualitativen Bedeutung im Sinne von „sofern", „wenn" oder „falls" Verwendung finden kann. Bedenkt man, daß im ursprünglichen Regierungsentwurf die „Parteifähigkeit" unqualifiziert für alle „nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen" vorgesehen war 81 , so zeigt sich, daß die später aufgenommene Einschränkung („soweit ihnen ein Recht zustehen kann") die Aufgabe hatte, jedenfalls diejenigen Vereinigungen von der Beteiligungsfähigkeit auszunehmen, denen überhaupt kein Recht zustehen kann (z.B. Bruchteilsgemeinschaften) 82. Der gewollte Ausschluß gänzlich rechtsunfähiger „Vereinigungen" beweist deshalb nicht, daß der Gesetzgeber eine Teilbeteiligungsfähigkeit kreieren wollte. Folglich läßt sich §61 Nr. 2 VwGO durchaus auch dahin deuten, daß eine „Vereinigung" beteiligungsfähig sein soll, sofern sie nur überhaupt ein Recht innehaben kann. rieh, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 179 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 213; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 129; Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 8; Rausch, JZ 1994, 699; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 462a; Stumpf BayVBl. 2000, 109. Ζ μ den subjektiven Organrechten der Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts vgl. den Überblick oben F.III. 79 BVerwGE 56, 56, 57; OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665; VGH Mannheim, NJW 1982, 902 f.; VB1BW 1987, 310; Bader/v. Albedyll, VwGO, § 61 Rn. 9; Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 6; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 135; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, § 12 I 2; Dolde, in FS Menger, S. 432 f., 435; Ehlers, NVwZ 1990, 110; Erichsen,, in FS Menger, S. 224 f.; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 159; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 61 Rn. 8; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 795; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 171 f.; Martensen, JuS 1995, 991 f.; Ramsauer, Assessorprüfung, Rn. 22.05; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 61 Rn. 4; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 92; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 671, 684; Ziekow, NWVBl. 1998, 301. 80 Dolde, in FS Menger, S. 432. 81 Regierungsentwurf einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 10 (§ 64 des Entwurfs). 82 Zu diesen vgl. Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §61 (Lfg. 1996) Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 10.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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Vor allem spricht gegen die herrschende Meinung, daß sie einen Systembruch innerhalb der Sachentscheidungsvoraussetzungen der VwGO bewirkt: Der Normalfall im Verwaltungsstreitverfahren ist die Beteiligung natürlicher oder juristischer Personen. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber in § 61 Nr. 1 VwGO die klare Entscheidung getroffen, ihnen eine uniimitierte Beteiligungsfähigkeit zu verleihen, ohne danach zu fragen, ob sie im Prozeß auch wirklich nur solche Rechte geltend machen wollen, die ihnen möglicherweise zustehen. Diese letztere Frage ist zwecks Verhinderung unerwünschter Popular- und Interessentenklagen als eigenständige, von der Beteiligungsfähigkeit gesonderte Sachentscheidungsvoraussetzung der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) bzw. des Feststellungsinteresses (§ 43 Abs. 1 VwGO) normiert worden. Somit fehlte einer juristischen Person, die beispielsweise einen familienrechtlichen Anspruch oder ein Grundrecht einklagen wollte, das ihr seinem Wesen nach überhaupt nicht zustehen kann (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) 83 , nicht etwa die Beteiligungsfähigkeit, sondern vielmehr wäre eine solche Klage mangels Klagebefugnis unzulässig. Daß nun der Gesetzgeber die Beteiligungsfähigkeit über die generell rechtsfähigen Rechtspersonen hinaus auf partiell rechtsfähige Rechtssubjekte erstreckt hat, rechtfertigt nicht den Schluß, daß er die Prüfung, ob diese ein eigenes Recht geltend machen, von § 42 Abs. 2 bzw. § 43 Abs. 1 VwGO in § 61 Nr. 2 VwGO hinein verlagern wollte, zumal auch nicht zu erkennen ist, welchen Vorteil eine solche divergierende Konstruktion aus Sicht des Gesetzgebers gehabt haben könnte oder für die praktische Rechtsanwendung hätte. Im Gegenteil erscheint es im Interesse einer einheitlichen Handhabung des § 61 VwGO einerseits und der §§42, 43 VwGO andererseits überzeugender, bei §61 Nr. 2 VwGO die Inhaberschaft eines subjektiven Rechts genügen zu lassen und ebensowenig wie bei § 61 Nr. 1 VwGO schon bei dieser Sachurteilsvoraussetzung danach zu fragen, ob das betreffende Rechtssubjekt in concreto ein Recht geltend machen will, das ihm zustehen kann. Diese Lösung hat gleichzeitig den Vorzug, nicht im Rahmen der Prüfung der Beteiligungsfähigkeit zu einer Inzidententscheidung materiellrechtlicher Fragen zu zwingen. Ob ein Organ oder Organteil ein bestimmtes Organrecht hat oder nicht, kann äußerst schwierige materiellrechtliche Fragen aufwerfen, und davon die Beteiligungsfähigkeit abhängig zu machen, erscheint schon deshalb wenig sinnvoll, weil dies die prozessual höchst mißliche Konsequenz hätte, einem Prozeßbeteiligten womöglich aufgrund der materiellrechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts die Beteiligungsfähigkeit rückwirkend für alle Instanzen absprechen zu müssen, wenn dieses nämlich im Unterschied zu den Vorinstanzen die Möglichkeit des Bestehens des geltend gemachten Rechts verneint. Deshalb sind Organe und Organteile

83 Zu der insoweitigen Beschränktheit der Rechtsfähigkeit juristischer Personen vgl. oben E.II.4.C.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

analog § 61 Nr. 2 VwGO generell beteiligungsfähig 84. Die Gerichte messen daher der Frage der Beteiligungsfähigkeit in Organstreitverfahren im Ergebnis zu Recht keine große Bedeutung bei, und prüfen statt dessen die Klagebefugnis. Für die Beteiligungsfähigkeit auf Beklagtenseite gilt das Gesagte entsprechend. Die Beteiligungsfähigkeit des Beklagten hängt also nicht davon ab, ob er durch das vom Kläger geltend gemachte Recht verpflichtet sein kann 85 , sondern es genügt, daß er überhaupt Zuordnungssubjekt einer Rechtspflicht ist. Wenn das klagende Organ oder Organteil das offenkundig falsche Organ verklagt, so ist die Klage also nicht wegen fehlender Beteiligungsfähigkeit des Beklagten unzulässig, sondern mangels Klagebefugnis. Die nach den dargelegten Grundsätzen gegebene Beteiligungsfähigkeit der Organe und Organteile im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren gilt übrigens nicht nur fur ihre Beteiligtenstellung als Kläger oder Beklagter (§ 63 Nrn. 1 und 2 VwGO), sondern hat auch unmittelbar Bedeutung für ihre Beteiligung als Beigeladene (§ 63 Nr. 3 VwGO). Aus der Beteiligungsfähigkeit folgt nämlich die Beiladungsfähigkeit &6\ beigeladen werden können nur Rechtssubjekte, die nach § 61 VwGO Beteiligte sein können, aber nicht Partei (Kläger oder Beklagter) sind. Mithin können die analog § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähigen Organe und Organteile im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren unter den Voraussetzungen des § 65 VwGO beigeladen werden 87.

84

Die teilweise befürwortete Einschränkung, die „Vereinigung" müsse wenigstens in bezug auf den vom Streit tangierten Normenkomplex rechtsfähig sein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 8; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 462a) bzw. das geltend gemachte Recht dürfe nicht „als eigenes Recht völlig undenkbar" sein (Rausch, JZ 1994, 699; vgl. Bethge, Die Verwaltung 1975, 474), wirft zwar nicht dieselben Probleme auf wie die h.M., da sie die Beteiligungsfähigkeit nicht mit schwierigen materiellrechtlichen Fragen belastet. Gleichwohl erscheint auch diese Einschränkung nicht als erforderlich, da die Unzulässigkeit einer Klage, mit der z.B. ein Organ ein Recht geltend machen wollte, das ihm seiner Natur nach nicht zustehen kann, ebenso leicht über §§ 42, 43 VwGO auszusprechen ist. Wenn beispielsweise eine juristische Person familienrechtliche Rechte geltend machen will, so ist dies ja auch kein Problem des § 61 Nr. 1 VwGO, sondern der §§ 42, 43 VwGO, und es gibt keinen zwingenden Grund, dies gerade bei § 61 Nr. 2 VwGO in bezug auf nur partiell rechtsfähige Rechtssubjekte anders zu handhaben. 85 A.A. Dolde, in FS Menger, S. 431 f.; Erichsen, in FS Menger, S. 225; wohl auch VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 292 f. 86 Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 65 (Lfg. 1996) Rn. 9; Eyermann/J: Schmidt, VwGO, § 65 Rn. 10; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 227; Kopp/ Schenke, VwGO, § 65 Rn. 5; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 65 Rn. 3. 87 Vgl. dazu Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 226 ff; femer Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 65 Rn. 3.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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b) Zum Fortbestehen der Beteiligungsfähigkeit bei Wegfall eines Beteiligten im Organstreitverfahren Wenig erörterte, aber prozessual interessante und angesichts oft jahrelanger Hauptsacheverfahren praktisch bedeutsame Fragen wirft das Problem des Wegfalls eines Beteiligten während der Anhängigkeit eines Organstreitverfahrens auf. Ein solcher Wegfall ist zwar bei den Hauptorganen einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts nicht oder nur als Konsequenz einer Änderung ihrer gesetzlich oder satzungsmäßigen Verfassung denkbar 88, und in einem solchen Falle wird normalerweise geregelt, welches Organ an die Stelle des aufgelösten tritt. Beispielsweise ist mit dem Übergang zur dualistischen Gemeindeverfassung in Nordrhein-Westfalen 89 der Bürgermeister ipso iure Funktionsnachfolger des weggefallenen Kommunalorgans „Stadtdirektor" geworden 90 . Sofern lediglich ein Organ an die Stelle eines anderen tritt, so liegt darin keine Rechtsnachfolge im Sinne des § 239 ZPO, sondern ein Parteiwechsel kraft Gesetzes, welcher ohne weiteres dazu führt, daß das nunmehr zuständige Organ im Wege der Funktionsnachfolge auch bei Organstreitverfahren in die Beteiligtenstellung des weggefallenen Organs einrückt 91 . Löst der Gemeinderat einen Gemeinderatsausschuß auf, so muß er dessen Zuständigkeiten entweder auf einen anderen Ausschuß übertragen oder deren Rückanfall beim Gemeinderat selbst hinnehmen; im ersten Fall tritt dann der andere Gemeinderatsausschuß, sonst der Gemeinderat, in das Organstreitverfahren ein. Wenn ein Organ nicht nachgerade aufgelöst wird und wegfällt, so besteht es unabhängig vom Wechsel seiner Mitglieder und Organwalter ununterbrochen fort 92 . Sogar ein Wechsel sämtlicher Organwalter etwa als Folge einer Neuwahl berührte daher die rechtliche Identität des Organs nicht und implizierte deshalb keinen Beteiligtenwechsel im Organstreitverfahren 93. Allerdings wird man auf-

88

Z.B. Abschaffung des Senats einer Hochschule zugunsten eines Hochschulrats, Übergang von einer Rektorats- zu einer Präsidialverfassung. 89 Zu dieser kommunal verfassungsrechtlichen Entwicklung oben A.I.3.a. 90 Vgl. OVG Münster, NWVB1. 1998, 149, 150. 91 Vgl. BVerwG, VRspr 27, 857, 859; OVG Münster, NWVB1. 1998, 149, 150; Eyermann/Fröhler, VwGO, §61 Rn. 9a; Kopp/Schenke, VwGO, §63 Rn. 11, §91 Rn. 13. 92 S. oben A.I.2.a. 93 Vgl. BVerwGE 97, 223, 225; OVG Münster, OVGE 28, 208, 216; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 135 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 158. - A.A. Püttner, Organstreitverfahren, S. 136 für den Fall, daß der Streit um „aktuelle Rechte" und nicht um die „grundsätzliche Stellung" des betreffenden Organs geht; gegen diese Differenzierung spricht jedoch, daß eine Organrechtsverletzung auch dann das Organ und nicht den ausgeschiedenen Organwalter betrifft, wenn sie nur eine vereinzelte Mißachtung darstellt, welche nicht die Stellung des Organs im Grundsätzlichen gefährdet.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

grund der vergleichbaren Interessenlage dem gesetzlichen Vertreter 94 bzw. dem Prozeßbevollmächtigten eines Organs nach § 173 S. 1 VwGO i.V.m. §246 Abs. 1, 2. Halbsatz ZPO 95 die Befugnis zusprechen müssen, beim Gericht die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen, wenn sich die Zusammensetzung des streitbeteiligten Organs grundlegend ändert, insbesondere bei neuen Mehrheiten nach einer Neuwahl des Gemeinderats: Obschon das Organ als solches identisch fortbesteht, sollte ihm in einem solchen Fall doch Gelegenheit zur Überprüfung der Prozeßführung gegeben werden, damit nicht das Prozeßverfahren gegen den Willen und die Vorstellungen der nunmehr Verantwortlichen fortgeführt werden kann und der Organstreit womöglich entschieden wird, bevor sich diese mit dem Prozeßvertreter beraten und etwa gebotene Entscheidungen treffen konnten (z.B. Klagerücknahme, Anerkenntnis, Vergleich etc.). Eine automatische Prozeßunterbrechung tritt dagegen in keinem Falle ein, insbesondere nicht dank eines Diskontinuitätsgrundsatzes 96. Dies gilt schon deshalb, weil dieser für den Gemeinderat als Verwaltungsorgan im Unterschied zu Parlamenten generell keine Geltung beansprucht 97. Im übrigen betrifft die Diskontinuität ohnehin allein die sachlich-inhaltliche Arbeit (vgl. § 125 GeschO BT) und berührt daher selbst bei Parlamenten nicht die Fortführung verfassungsgerichtlicher Organstreitverfahren 98. Der Gemeinderat führt den Prozeß deshalb in dem Stadium fort, in der er ihn nach einer Neuwahl vorfindet. Fraglich ist das Schicksal von Organstreitverfahren, wenn eines der beteiligten Organteile tatsächlich fortfällt, was in der Praxis vor allem in den Fällen der Auflösung einer Gemeinderatsfraktion, des Ausscheidens eines Gemeinderatsmitglieds aus dem Gemeinderat sowie - hiermit verbunden - der Änderung in der personellen Zusammensetzung einer initiativberechtigten Antragsminderheit relevant wird. Eine Gemeinderatsfraktion wird aufgelöst durch einen Auflösungsbeschluß, ferner wenn die Zahl ihrer Mitglieder die gesetzlich, satzungs-

94

Zur Vertretung im Prozeß nachfolgend H.I.2. Gemäß § 173 S. 1 VwGO finden auch die §§ 239 ff. ZPO im Verwaltungsprozeß Anwendung, BVerwGE 55, 217, 218; Kopp/Schenke, VwGO, § 94 Rn. 1. 96 Zum Diskontinuitätsgrundsatz vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 208 ff; Magiera, in Sachs, GG, Art. 39 Rn. 11 ff; Morlok, in Dreier, GG, Art. 39 Rn. 20 ff.; Versteyl, in v. Münch/Kunig, GG, Art. 39 Rn. 25 ff. 97 BVerwGE 97, 223, 225; OVG Münster, DVBl. 1971, 660, 661; Bick,, Die Ratsfraktion, S. 190 f.; Widtmann/Grasser/Glaser, BayGemO, Art. 51 (7. EL 1997) Anm. 5e. 98 BVerfGE 4, 144, 152; Jarass/Pieroth, GG, Art. 39 Rn. 4a; Magiera, in Sachs, GG, Art. 39 Rn. 14; Morlok, in Dreier, GG, Art. 39 Rn. 23; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 7 Rn. 40; Schneider, in AK GG, Art. 39 Rn. 9; Wernsmann, Jura 2000, 345; desgleichen für Prozeßhandlungen in Normenkontrollverfahren BVerfGE 79, 311, 327; a.A. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 212; Löwer, in Isensee/Kirchhof, HStR II, § 56 Rn. 12. 95

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oder geschäftsordnungsmäßig festgelegte Mindestzahl unterschreitet", sei es durch Fraktionsaustritt bzw. Fraktionsausschluß oder durch Ausscheiden eines ihrer Mitglieder aus dem Gemeinderat. Außerdem wird eine Gemeinderatsfraktion stets mit dem Ablauf des Gemeinderatsmandates ihrer Mitglieder aufgelöst, also nach jeder Neuwahl mit dem Zusammentritt des neugewählten Gemeinderats (vgl. § 30 Abs. 2 S. 3 GemO BW) 1 0 0 . Für letzteren Auflösungsgrund spielt keine Rolle, ob Mitglieder derselben Partei wieder im neuen Gemeinderat vertreten sind. Auch wenn dies der Fall ist und sie sich als gleichnamige Fraktion konstituieren, ja selbst wenn diese mit der früheren Fraktion personengleich ist, beruht doch die neue Fraktion auf einem neuen Gründungsakt ihrer Mitglieder; sie mag zwar im politischen Sinne die Arbeit der vergangenen Fraktion fortsetzen, rechtlich ist sie nicht mit dieser identisch 101 . Deshalb fragt sich, was aus den unter Beteiligung einer solchen aufgelösten Gemeinderatsfraktion geführten Organstreitverfahren wird. Entsprechende Fragen stellen sich in bezug auf die von einem ausgeschiedenen Gemeinderatsmitglied geführten Organstreitigkeiten sowie hinsichtlich derjenigen Verfahren, die Antragsminderheiten zur Geltendmachung ihrer Rechte eingeleitet haben, wenn sich deren Zusammensetzung infolge einer Neuwahl ändert 102 . Angesichts der oft zu beobachtenden Prozeßdauer einerseits und der im Vergleich dazu kurzen Wahlperiode andererseits wäre es nicht hinnehmbar, den Prozeß in derartigen Fällen generell infolge Wegfalls eines Beteiligten für beendet zu erachten und die Klage als im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung mangels Beteiligungsfähigkeit unzulässig abzuweisen, da es sonst in vielen Fällen überhaupt nicht mehr zu einer Hauptsacheentscheidung kommen könnte 103 . Vielmehr muß eine sinnvolle Lösung gefunden werden, trotz Auflösung der Gemeinderatsfraktion dennoch zu einer Sachentscheidung kommen zu können. Hier bieten sich zwei Lösungen an. Ist an die Stelle einer aufgelösten Gemeinderatsfraktion eine Gemeinderatsfraktion gleichen Namens getreten, womöglich gar - wie es in aller Regel der Fall sein wird - in zumindest teilweise gleicher personeller Zusammensetzung, und setzt diese Gemeinderatsfraktion erkennbar die Arbeit der früheren fort, macht sie sich insbesondere auch deren Standpunkt in der den Gegenstand der Organstreitigkeit bildenden Angelegenheit zu eigen, so wird es regelmäßig sachdienlich im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO sein, die neue Gemeinderatsfrak99

Bick, Die Ratsfraktion, S. 189; Zuleeg, HKWP II, S. 152 f. VGH Kassel, NVwZ 1986, 328; OVG Münster, 1992, 444; Bick,, Die Ratsfraktion, S. 189, 191; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 8; Zuleeg, HKWP II, S. 153; vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 281. 101 OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 505; DVB1. 1992, 444. 102 Materiell ändert sich durch die Neuwahl übrigens nichts, d.h. ein vor der Wahl gestellter Minderheitsantrag steht immer noch im Räume, weil die Arbeit des Gemeinderats, wie gerade erwähnt, keinem Diskontinuitätsgrundsatz unterliegt. 103 Vgl. Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 152; a.A. Bick, Die Ratsfraktion, S. 193. 100

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tion im Wege subjektiver Klageänderung m im Prozeß an die Stelle der bisherigen treten zu lassen105. Bei gleicher politischer Position der aufgelösten und der ihr im politischen Leben nachfolgenden amtierenden Gemeinderatsfraktion besteht nämlich ein Bedürfnis, das bereits eingeleitete Verfahren zur Klärung der Streitfrage weiterzufuhren, ohne die amtierende Gemeinderatsfraktion zu nötigen, denselben Streit (z.B. durch eine Wiederholung des streitigen Antrags) erst erneut provozieren zu müssen106. Dasselbe gilt, wenn eine Antragsminderheit einen Organstreit um ihre Minderheitenrechte geführt hat und nach einer Neuwahl einzelne Angehörige dieser Minderheit ausscheiden, neu gewählte Mitglieder sich aber die Sache zu eigen machen und das Organstreitverfahren fortführen wollen 107 . Ohne Zulassung der subjektiven Klageänderung wäre in Fällen einer solchen politischen, wenn auch nicht rechtlichen Identität der betreffenden Organteile ein neuer Prozeß um dieselbe Streitfrage programmiert, so daß wenn nur der zugrundeliegende Streit innerhalb des betreffenden Organs oder gegenüber einem anderen Organ fortbesteht - die Sachdienlichkeit gegeben ist, den Klägerwechsel von Gerichts wegen zuzulassen108. Fraglich ist, welche Folgen es hat, wenn der vorstehend beschriebene Weg über die Zulassung einer subjektiven Klageänderung verschlossen ist, insbesondere weil beispielsweise die aufgelöste Gemeinderatsfraktion ohne politischen Nachfolger im neugewählten Gemeinderat geblieben ist, oder wenn das am Organstreitverfahren beteiligte einzelne Gemeinderatsmitglied aus dem Gemeinderat ausgeschieden ist. Hier wird nun teilweise vertreten, daß in einem solchen Fall das Organstreitverfahren wegen Wegfalles der Beteiligungsfähigkeit ohne weiteres ende 109 . In dieser Pauschalität erscheint diese Folgerung jedoch weder zwingend noch im Ergebnis überzeugend, bedenkt man, daß die Rechtsordnung durchaus Beispiele dafür kennt, daß juristische Personen bzw. nicht rechtsfähige Rechtssubjekte ihr eigentliches Ende in bestimmten Hinsichten sehr wohl überdauern können. Vor allem bietet sich der Vergleich mit der Lage bei der Auflösung juristischer Personen sowie nicht rechtsfähiger Vereinigungen an 110 : Diesbezüglich hält nämlich die Rechtsordnung zahlreiche Bestimmungen über die Liquidation aufgelöster Vereine und Gesellschaften bereit, nach denen diese 104

Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Klägerwechsels allgemein Eyermann/ Rennert, VwGO, § 91 Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, § 91 Rn. 2, 7; Redeker/v. Oertzen, VwGO. § 91 Rn. 5; Schmid , in NKVwGO, § 91 (Lfg. 1996) Rn. 4, 19. 105 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1986, 328; OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 505, 506; NVwZ 1999, 1252, 1253; OVG Weimar, DVBl. 2000, 935; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 8; ferner Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 136. 106 VGH Kassel, NVwZ 1986, 328. 107 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1999, 1252, 1253. 108 Vgl. OVG Münster, NVwZ 1999, 1252, 1253. 109 OVG Weimar, DVBl. 2000, 935; vgl. VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308. 110 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 445.

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bis zur endgültigen Abwicklung aller Geschäfte als fortbestehend gelten, soweit der Zweck der Liquidation dies erfordert (vgl. insbesondere § 49 Abs. 1, § 730 Abs. 2 S. 1 BGB), oder nach denen jedenfalls die für die nicht aufgelöste Gesellschaft geltenden Vorschriften auf die in Liquidation befindliche Gesellschaft weiter Anwendung finden (§156 HGB, §264 Abs. 3 AktG, §69 Abs. 1 GmbHG, § 87 Abs. 1 GenG usw.). Zwar wird die hiernach (begrenzt) fortbestehende Rechtsfähigkeit dem Zweck der Liquidation entsprechend in erster Linie die vermögensrechtliche Auseinandersetzung betreffen. Indes brauchen auch nichtvermögensrechtliche Rechte und Pflichten nicht automatisch zu erlöschen, zumindest soweit deren weitere Verfolgung mit dem Liquidationszweck vereinbar ist 111 . Hinter diesen vielfach positivierten Sätzen ist ein allgemeines Rechtsprinzip zu erkennen, daß juristische Personen sowie nichtrechtsfähige Vereinigungen als Produkte der Rechtsordnung auch bei Verwirklichung eines Auflösungstatbestandes nicht einfach inexistent werden sollen, sondern daß vielmehr, wenn sie in konkreten Rechtsbeziehungen gestanden haben, aus denen noch Rechte einzufordern bzw. Pflichten zu erfüllen sind, deren Geltendmachung bzw. Erfüllung aus Sicht der übrigen Rechtsgenossen und der Rechtsordnung immer noch sinnvoll und wünschenswert erscheint, ihre rechtliche Fortexistenz solange gewährleistet sein muß, bis es zu einer definitiven Bereinigung dieser Beziehungen und Befriedigung der offenen Forderungen gekommen ist. Überträgt man diesen Rechtsgedanken auf Gemeinderatsfraktionen, so ist es berechtigt, sie nach ihrer Auflösung in dem (eingeschränkten) Umfang als fortbestehend anzusehen, dessen es zur vollständigen Beendigung ihrer Abwicklung bedarf 12 . Grundsätzliche Bedenken gegen einen solchen dogmatischen Ansatz bestehen nicht. Die Fiktion des Fortbestehens eines aufgelösten Rechtssubjektes ist eine auch im Verwaltungsprozeß bekannte Figur, auf die ganz allgemein immer dann zurückgegriffen wird, wenn beispielsweise Streit um die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit der Auflösung einer juristischen Person besteht113. Es spricht nichts dagegen, von dieser Fiktion auch dann Gebrauch zu machen, wenn zwar die Auflösung eines Organteils wie z.B. einer Gemeinderatsfraktion als solches unstreitig ist, zuvor aber noch gewisse rechtliche Auseinanderset-

111

Erman/Westermann, BGB, § 49 Rn. 5; Reuter, in MünchKomm BGB, § 49 Rn. 8; zum Umfang der fortbestehenden Rechtsfähigkeit femer Soergel/Hadding, BGB, § 49 Rn. 11; Staudinger/Weick, BGB, § 49 Rn. 17. 112 OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 445. 113 Vgl. BVerwGE 1, 266, 267; VGH Mannheim, DÖV 1979, 605; Bier, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §61 (Lfg. 1996) Rn. 11; Czybulka, in NKVwGO, §61 (Lfg. 1996) Rn. 8; Dolde, in FS Menger, S. 428 f.; Jachmann, Die Fiktion, S. 587 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 3; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 61 Rn. 5; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 153; für diesen Fall auch Bick, Die Ratsfraktion, S. 193.

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zungen zu Ende zu bringen sind, da vor deren Abschluß die Abwicklung des aufgelösten Rechtssubjektes nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann 114 . Dieses fingierte Fortbestehen schließt insbesondere die Geltendmachung und notfalls gerichtliche Durchsetzung von Forderungen der Fraktion gegen den Gemeinderat 115 oder umgekehrt die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückzahlung zweckwidrig verwendeter Fraktionsmittel gegen die Fraktion ein 116 , doch ist darüber hinaus vom Fortbestehen aufgelöster Gemeinderatsfraktionen immer dann auszugehen, wenn ein anerkennenswertes und auch aus Sicht der Rechtsordnung berechtigtes Interesse daran besteht, daß sie vor ihrem endgültigen rechtlichen Ende noch strittige Rechtsbeziehungen klären und abwickeln können, die bereits vor Ablauf der Wahlperiode bzw. ihrer sonstigen Auflösung bestanden117. Denn wenn die Rechtsordnung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses anerkennt, dann kann sie nicht den Beteiligten, der diese Feststellung gerichtlich betreiben will, als inexistent einfach fortfallen lassen. Vielmehr geht sie damit selbst davon aus, daß noch keine endgültige Befriedigung eingetreten ist. Das erforderliche Interesse am Ergehen einer Hauptsacheentscheidung noch nach Auflösung einer Gemeinderatsfraktion entspricht inhaltlich dem Feststellungsinteresse118, welches nach Erledigung einer Organrechtsverletzung deren gerichtliche Feststellung erlaubt 119 . Immer dann also, wenn noch ein solches berechtigtes Interesse an der Entscheidung des Organstreitverfahrens besteht, ist trotz Auflösung der Gemeinderatsfraktion noch nicht deren Beendigung eingetreten und kann sie daher das Organstreitverfahren noch weiter betreiben. Das für die aufgelöste Gemeinderatsfraktion Gesagte gilt nun, mutatis mutandis, ebenso für aus dem Gemeinderat ausgeschiedene Gemeinderatsmitglieder sowie für etwaige sonstige Konstellationen wegfallender Organteile (wie insbesondere etwa initiativberechtigte Antragsminderheiten). Diese sind als Organteile fortbestehend zu betrachten, soweit dies für das Organstreitverfahren erforderlich ist 120 , vorausgesetzt, es ist ein berechtigtes Interesse der Beteiligten an einer Hauptsacheentscheidung in dem Organstreitverfahren anzuerkennen.

114 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 136; Czybulka, in NKVwGO, § 61 (Lfg. 1996) Rn. 8; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 61 Rn. 14. 115 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 445. 116 Vgl. BVerfG (2. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1998, 387. 117 Vgl. BVerfG (2. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1998, 387. 118 S. hierzu unten H.II.4. 119 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1996, 99, 100. 120 Vgl. BVerwG, NVwZ 1985, 112, 113; VGH Mannheim, VB1BW 1996, 99 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 153; für Verfassungsorganstreitigkeiten ebenso ThürVerfGH, LKV 2000, 449 f.; vgl. BVerfGE 4, 144, 152; a.A. Stumpf, BayVBl. 2000, 107, 109.

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Die prozessuale Fortbestehensfiktion ermöglicht zwar die weitere gerichtliche Austragung der Organstreitigkeit, ändert aber nichts an dem Umstand, daß sich mit dem Wegfall des klagenden oder beklagten Organteils eine Leistungsklage in aller Regel erledigen muß, weil solchenfalls kein Interesse mehr an der ursprünglich begehrten Handlung oder Unterlassung mehr bestehen kann, wenn nicht die betreffende Leistung sogar unmöglich geworden ist. In den meisten derartigen Fällen kann daher nur noch ein Feststellungsurteil ergehen, doch dies setzt eben ein anerkennenswertes Feststellungsinteresse voraus, wodurch zugleich eine Sicherung gegen unnötige Prozesse unter Beteiligung weggefallener bzw. ausgeschiedener Organteile errichtet ist 121 .

2. Zur Prozeßfahigkeit und Postulationsfähigkeit im Organstreitverfahren Organe und Organteile sind unbeschadet ihrer Beteiligungsfähigkeit analog §61 Nr. 2 VwGO 1 2 2 ebensowenig prozeßfähig wie juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereinigungen oder Behörden 123 ; für ihre Vertretung im Prozeß ist daher § 62 Abs. 3 VwGO maßgeblich, wonach „ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände und besonders Beauftragte" für sie die erforderlichen Verfahrenshandlungen vornehmen. Dies gilt entsprechend - eine unmittelbare Anwendung scheitert daran, daß die Organe und Organteile keine „Vereinigungen" im Sinne des § 61 Nr. 2 VwGO und damit des § 62 Abs. 3 VwGO sind und im Organstreitverfahren auch nicht als Behörden auftreten - für Organe und Organteile 124 . Diese werden im Prozeß durch den nach Gesetz, Satzung oder Verwaltungsverordnung allgemein oder im konkreten Fall zur Vertretung berufenen Organwalter vertreten 125. Bei monokratischen Organen wie z.B. dem Bürgermeister sowie bei Ein-Personen-Organteilen wie z.B. einem einzelnen Gemeinderatsmitglied ist der betreffende Organwalter der Natur der Sache nach zur Vertretung des Organs bzw. Organteils im Prozeß befugt 126 . Gemeinderatsfraktionen und -gruppen werden durch ihren Vorsitzenden vertreten 127, Antragsmin121

Vgl. Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 152. S. oben H.I.l.a. 123 VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 126 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 140; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 73. 124 VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 127; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 161; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 218 f.; Löer, Kontrolle, S. 29; Lüders, Ratsausschüsse, S. 151 f.; a.A. Barth, Subjektive Rechte, S. 47 für Gemeinderatsmitglieder: § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO unmittelbar. 125 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 140 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 152. 126 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 141; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 219; Seeger, BWVPr 1978, 50 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 73. 7 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 142. 122

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derheiten müssen ein Gemeinderats- oder Ausschußmitglied aus ihrer Mitte mit der Prozeßführung beauftragen 128. Komplikationen für die Vertretungsbefugnis können sich aus dem komplexen Zuständigkeitsgeflecht bei Organen und Organteilen ergeben, wenn diese an sich Mitwirkungsbefugnisse in bezug auf eine Prozeßführung eines anderen Organs oder Organteils hätten, tatsächlich aber der Streitgegner sind. So bräuchte etwa, weil Rechtsstreitigkeiten jedenfalls bei größeren Streitwerten oder sonst größerer Bedeutung keine Angelegenheit der laufenden Verwaltung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 1 GemO BW sind 129 , der Bürgermeister eigentlich die Zustimmung des Gemeinderats zur Führung eines verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahrens. Doch daß dies bei solchen Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten, in denen der Bürgermeister dem gesamten Gemeinderat gegenübersteht, Bedenken provozierte, ist offensichtlich; hier „spricht alles dafür, daß der eine Verfahrensbeteiligte (Gemeinderat) nicht über die Prozeßführung des anderen (Bürgermeister) mitbestimmen kann" 130 . Eine „schwierige Rechtsfrage" 1 3 1 soll sich ferner auftun, wenn neben dem Bürgermeister nur ein einzelnes Gemeinderatsmitglied an dem Streit beteiligt ist, nämlich ob hier an der grundsätzlichen Zustimmungspflicht des Gemeinderats festzuhalten und lediglich bei der Beschlußfassung über die Prozeßführung das verfahrensbeteiligte Gemeinderatsmitglied ausgeschlossen ist. Daß letzterer Ansatz nicht überzeugte, erweist sich freilich schon an seinen Konsequenzen, wenn an dem Streit nicht nur ein einziges Gemeinderatsmitglied, sondern mehrere beteiligt sind, beispielsweise bei Klagen einer Antragsminderheit oder einer Gemeinderatsfraktion: solchenfalls müßten nämlich nach diesem Ansatz immer mehr Mitglieder von der Beschlußfassung über die Prozeßführung des Bürgermeisters ausgeschlossen sein, und merkwürdigerweise würden überdies gerade die als stimmberechtigt übrigbleibenden politischen Gegner der am Streit beteiligten Gemeinderatsmitglieder über die Prozeßführung des Bürgermeisters abzustimmen haben, so daß man sich fragen kann, wozu eine solche Konstruktion gut sein soll. Im übrigen ist zu bedenken, daß die Einschaltung des Gemeinderats im Falle eines Organstreites zwischen dem Bürgermeister und einem Gemeinderatsmitglied einen zusätzlichen Streit zwischen dem Bürgermeister und dem Gemeinderat provozieren könnte, wenn der Gemeinderat dessen Prozeßführung nicht genehmigt. Tatsächlich liegt hier bei näherem Hinsehen nur ein Scheinproblem vor, nachdem die Prämisse nicht trägt, von der aus sich die Zustimmungspflicht des Gemeinderats abzuleiten scheint. Der Gemeinderat kann über die Prozeßführung 128 129 130 131

Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 142. VG Sigmaringen, VB1BW 1998, 391, 392. VG Sigmaringen, VB1BW 1998, 391, 395. VG Sigmaringen, VB1BW 1998, 391, 395.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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des Bürgermeisters nur dann verfügen, wenn dieser namens der Gemeinde einen Rechtsstreit führen will; denn nur in bezug auf die Gemeinde ist der Gemeinderat „Hauptorgan" und nur in dieser Beziehung genießt der Gemeinderat Vorrang vor dem Bürgermeister. Wenn es dagegen um die organschaftlichen Rechte des Bürgermeisters und die ihn involvierenden Organstreitigkeiten geht, kann er in eigener Verantwortung entscheiden. Da er damit kein Geschäft der Gemeindeverwaltung führt, sondern seine eigenen Organrechte geltend macht, fehlt es hier von vornherein an der Grundvoraussetzung, aus der sich sonst die Zustimmungspflichtigkeit einer Prozeßführung des Bürgermeisters ableitet. Zum Schutz der Gemeinde vor Mißbräuchen genügt es, daß der Bürgermeister in Regreß genommen werden kann, wenn er durch die Führung eines Organstreitverfahrens seine Pflichten gröblich verletzen und der Gemeinde einen Schaden zufügen sollte. Daher bedarf der Bürgermeister für einen solchen Prozeß in keinem Fall der Zustimmung des Gemeinderats, unabhängig davon, gegen welches Organ oder Organteil sich der Streit richtet. Eine umgekehrte Problematik stellt sich bei kollegialisch besetzten Organen. Grundsätzlich liegt hier die Prozeßvertretung bei deren gesetzlich oder satzungsmäßig bestimmten Vorsitzenden, beim Gemeinderat und den Gemeinderatsausschüssen also beim Bürgermeister (vgl. §25 Abs. 1 S. 1, §40 Abs. 3, § 41 Abs. 2 S. 1 GemO BW) bzw., falls dieser wegen Krankheit oder Abwesenheit etc. verhindert ist, bei seinem allgemeinen Stellvertreter (vgl. § 48 Abs. 1, § 49 Abs. 1 GemO BW) 1 3 2 . Problematisch ist die Lage, wenn der Gemeinderat oder ein Gemeinderatsausschuß gegen den Bürgermeister selbst einen Organstreit führen will. Obschon es sich hierbei nicht um eine Befangenheit gemäß § 52 i.V.m. § 18 Abs. 1 GemO BW begründende persönliche Inanspruchnahme des Bürgermeisters handelt 133 , sondern um die Klärung des organschaftlichen Verhältnisses von Gemeinderat und Bürgermeister, welche diesem keinen persönlichen Vor- oder Nachteil bringen kann, so liegt hier doch ein derartiger Interessenkonflikt organschaftlicher Natur vor, daß der Bürgermeister von der Prozeßvertretung des Gemeinderats etc. gegen sich selbst ausgeschlossen sein muß 134 , weil es den Bedürfnissen ordnungsgemäßer Rechtspflege zuwiderliefe, 132 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 141 f.; Wansleben, in Held, GemO NW, § 56 (Lfg. 10/94) S. 6; z.T. a.A. Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 74. 133 So aber Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 141; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 73. 134 Vgl. VG Sigmaringen, VB1BW 1998, 391, 395; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 141; Wansleben, in Held, GemO NW, § 56 (Lfg. 10/94) S. 6; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 73; desgleichen bereits PrOVGE 76, 25, 27; vgl. auch SchmidtJortzig, Kommunalrecht, Rn. 271; entsprechend VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 127 in bezug auf den Fachbereichsleiter im Streit mit dem Fachbereichsrat; Stern/ Bethge, Rechtsstellung, S. 29 in bezug auf den Intendanten öffentlich-rechtlicher Rundfiinkanstalten.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

wenn der Bürgermeister im Organstreitverfahren auf beiden Seiten vor Gericht aufträte, einmal als Beklagter für sich sich selbst, einmal als Prozeßvertreter für den klagenden Gemeinderat. Solchenfalls fragt sich, wem dann die Prozeßvertretung des Gemeinderats zusteht. Hierzu wird nun vertreten, daß diese nach allgemeinen Grundsätzen auf den allgemeinen Stellvertreter des Bürgermeisters übergehe 135. Dem ist freilich in dieser Form zu widersprechen. Als allgemeine Stellvertreter des Bürgermeisters fungieren nämlich grundsätzlich der Erste Beigeordnete (§ 49 Abs. 4 S. 1 GemO BW) und, falls auch dieser verhindert ist, die weiteren Beigeordneten (§ 49 Abs. 4 S. 3 GemO BW). Wenn nun der Gemeinderat einen Organstreit gegen den Bürgermeister führen will, so steht nicht nur dieser selbst als Leiter der Gemeindeverwaltung in einem Interessenkonflikt zum Gemeinderat. Vielmehr müssen auch sämtliche Beigeordnete, weil sie ja dem monokratischen Verwaltungsorgan Bürgermeister eingeordnet und deshalb derselben Konfliktlage ausgesetzt, jedenfalls aber vom Bürgermeister weisungsabhängig sind, als ausgeschlossen angesehen werden 136 . Deshalb richtet sich die Vertretung des Gemeinderats hier nach §48 Abs. 1 S. 1, §49 Abs. 1 S. 3 GemO BW, wonach der Gemeinderat im Falle der Verhinderung des Bürgermeisters und aller Beigeordneten durch einen aus der Mitte des Gemeinderats gewählten Stellvertreter des Bürgermeisters vertreten wird, der entweder gleich nach der Wahl der Gemeinderäte (§ 48 Abs. 1 S. 4 GemO BW) oder aus Anlaß bzw. für die Dauer dieser Verhinderung (§ 48 Abs. 1 S. 6 GemO BW) gewählt werden kann 137 . Dieser vertritt dann den als solchen prozeßunföhigen Gemeinderat als „besonders Beauftragter" im Sinne des § 62 Abs. 3 VwGO 1 3 8 . Der Ansicht, Kollegialorgane könnten, wofern es um einen Streit um die Ausführung von Mehrheitsbeschlüssen geht, von den Mitgliedern vertreten werden, die den Mehrheitsbeschluß gefaßt haben 139 , ist nicht beizupflichten. Die Abstimmungsmehrheit ist ebensowenig wie die Abstimmungsminderheit ein rechtlich formiertes oder selbständiges Gebilde 140 ; sie ist weder beteiligungs- noch prozeßfähig und daher nicht in der Lage, sich selbst oder gar das betreffende Organ im Prozeß zu vertreten. Denkbar wäre allenfalls, der Abstimmungsmehrheit die Wahl des für das Organ auftretenden Vertreters vorzubehalten. Indessen wäre eine solche Übergehung der überstimmten Organmitglieder unter Demokratiegesichtspunkten nicht akzeptabel: „Regeln über die Willensbildung in einem kollegialen Organ räumen nicht der jeweiligen zahlenmäßigen Gruppie135

Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 141 f. Vgl. VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 127 f. 137 Vgl. OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665, 666. 138 Vgl. VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 128. 139 OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 587; Bier, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 62 (Lfg. 1996) Rn. 17. 140 BVerfGE 2, 143, 161; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 72a; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 147 f. 136

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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rung von Mitgliedern ein Recht ... gegenüber anderen Mitgliedergruppen ... ein, den Willen des Kollegiums zu bilden. Alle Mitglieder des Organs, auch die überstimmten, sind vielmehr Elemente der Willensbildung bei dem einheitlichen Geschäft der Stimmabgabe"141. Es ist deshalb ausgeschlossen, so zu tun, als zerfiele das Organ durch die Abstimmung in die zwei Organteile „Mehrheit" und „Minderheit", auf die sich sodann die Rechte des Organs in unterschiedlicher Weise aufteilten, nämlich derart, daß jetzt die „Mehrheit" zur Geltendmachung der Rechte des Gesamtorgans zuständig würde. Mehrheit und Minderheit sind nur „politische Kräfte" innerhalb des Organs 142 , und keine Organteile mit eigenen Rechten. Die überstimmten Organmitglieder müssen zwar den mehrheitlich gefaßten Sachbeschluß als rechtlich maßgeblichen Organwillen gelten lassen, büßen hierdurch aber nicht ihre sonstigen Rechte ein. Sollte daher zur Prozeßvertretung eines Organs ein besonderer Vertreter zu wählen sein, so sind alle Organmitglieder stimmberechtigt, nicht nur die Befürworter des dem Organstreit zugrunde liegenden Beschlusses143. Eine Einschränkung gilt freilich für den Fall, daß die Organstreitigkeit gerade zwischen dem Kollegialorgan und einem seiner Mitglieder ausgetragen wird: hier ist das betreffende Mitglied nach allgemeinen Grundsätzen von der Beschlußfassung des Organs über die Prozeßführung ausgeschlossen144. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Bestellung dieses besonders Beauftragten, so ist das Organstreitverfahren mangels Prozeßfähigkeit des betreffenden Organs unzulässig; dem im Prozeß Auftretenden sind als vollmachtlosem Vertreter nach dem allgemeinen kostenrechtlichen Grundsatz der Veranlasserhaftung 145 die Verfahrenskosten aufzuerlegen 146. Der nach den vorstehenden Regeln bestimmte gesetzliche Vertreter oder besonders Beauftragte ist zwar grundsätzlich zur umfassenden gerichtlichen und außergerichtlichen Vertretung des Organs oder Organteils in dem betreffenden Organstreitverfahren befähigt. Zu beachten ist aber, daß ihm die Postulationsfähigkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren fehlen kann. Auch im Organstreitverfahren ist nämlich der von § 67 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO angeordnete Vertretungszwang zu beachten, wonach sich jeder Beteiligte vor dem BVerwG und dem OVG sowie bei bestimmten weiteren wichtigen Verfahrenshandlungen durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer vertreten lassen muß. Fraglich ist, ob Organe und Organteile im Organstreitverfahren das Behördenprivileg des § 67 Abs. 1 S. 3 VwGO in Anspruch nehmen können. Danach können sich nämlich juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden auch durch 141

BVerfGE 2, 143, 161. BVerfGE 2, 143, 161. 143 VgL VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 128. 144 PrOVGE 75, 94, 96 ff. 145 Vgl. hierzu VGH Mannheim, NJW 1982, 842; Kopp/Schenke, Rn. 1, 3; Thomas/Putzo, ZPO, § 89 Rn. 11. 146 VGH Mannheim, KMK-HSchR 1988, 124, 128 f. 142

VwGO, § 154

934

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

juristisch entsprechend qualifizierte Beamte oder Angestellte vertreten lassen147. Zwar sind Organe und Organteile weder juristische Personen noch agieren sie im Organstreitverfahren als Behörden 148 , so daß eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift ausscheidet. Der Zweck dieses Privilegs - nämlich die Vereinfachung und Erleichterung behördlicher Prozeßführung 149, indem Personen, die bereits vorprozessual sowie in der ersten Instanz mit der Angelegenheit befaßt waren und mit ihr vertraut sind, die Prozeßvertretung vor den höheren Instanzen ermöglicht wird, um so ohne weitere Vermittlung durch dritte Personen zu einer effektiven Prozeßvertretung beizutragen 150 - spricht indes für eine analoge Anwendung des § 67 Abs. 1 S. 3 VwGO auf die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts: auch diese prozessieren im Organstreitverfahren letztlich im öffentlichen Interesse, nämlich dem Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, so daß die Vereinfachung und Erleichterung der Prozeßführung im Organstreitverfahren ähnlich wünschenswert erscheint, wie wenn ihre Rechtsträger selbst prozessierten. Auch der Vorteil der Vermeidung von Anwaltskosten darf nicht gering veranschlagt werden: Da bei einer Organstreitigkeit die Kosten letztlich regelmäßig der betreffenden Organisation zur Last fallen 151 , besteht für alle beteiligten Organe und Organteile ein Interesse, sowohl selbst von diesem kostensparenden Privileg Gebrauch machen zu können als auch der anderen Seite dieses Privileg zuzubilligen. Hiernach können sich Organe und Organteile analog § 67 Abs. 1 S. 3 VwGO durch eines ihrer Mitglieder 152 vertreten lassen, welches die Befähigung zum Richteramt besitzt oder Diplomjurist im höheren Dienst ist. Sofern Vertretungszwang besteht, ein am Organstreit beteiligtes Organ oder Organteil jedoch kein entsprechend (formal) qualifiziertes Mitglied hat oder dieses die Prozeßvertretung nicht übernehmen will oder kann, muß der gesetzliche Vertreter bzw. Beauftragte dieses Organs oder Organteils einen Rechtsanwalt respektive Rechtslehrer zur Prozeßver(z.B. tretung bevollmächtigen. Die kommunalrechtlichen Vertretungsverbote § 17 Abs. 3 GemO BW) gelten im Organstreitverfahren übrigens nicht, so daß ein dem Gemeinderat angehörender Rechtsanwalt mit der Vertretung des Ge-

147

Vgl. hierzu BVerwG, NVwZ 1994, 266 f. Vgl. oben H.I.l.a. 149 BVerwG, NVwZ 1994, 266. 150 BVerwG, NVwZ-RR 1995, 548. 151 S. unten H.V.2. 152 Die Einschränkung, daß der vertretungsbefugte Beamte oder Angestellte grundsätzlich Angehöriger der streitbeteiligten juristischen Person bzw. Behörde sein muß (vgl. dazu BVerwG, NVwZ-RR 1995, 548; 1996, 121; OVG Schleswig, NVwZ 1999, 784 f.; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 67 Rn. 7; Kopp/Schenke, VwGO, § 67 Rn. 6a; Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 67 [1. EL 1997] Rn. 37), ist entsprechend auch im hiesigen Zusammenhang zu machen, so daß für ein Organ oder Organteil nur ein diesem angehöriger Organwalter auftreten kann. 148

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

935

meinderats, eines Gemeinderatsausschusses oder einer Gemeinderatsfraktion im Prozeß gegen ein anderes Gemeindeorgan(teil) betraut werden darf 153 .

3. Die Prozeßführungsbefugnis im Organstreitverfahren Entsprechend den allgemeinen Prozeßrechtsgrundsätzen bedarf es auch in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren sowohl auf der Kläger- als auch auf der Beklagtenseite der Prozeßführungsbefugnis. Auf Klägerseite ist die akerforderlich, d.h. die Befugnis, das behauptete tive Prozeßführungsbefugnis Recht im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen154. Da die aktive Prozeßführungsbefugnis grundsätzlich - d.h. vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen bzw. zugelassenen Prozeßstandschaft - aus der Behauptung der Aktivlegitimation folgt, steht sie grundsätzlich demjenigen zu, der behauptet, Inhaber des geltend gemachten Rechts zu sein. Dementsprechend kommt im Organstreitverfahren nach allgemeiner Ansicht die aktive Prozeßführungsbefugnis dem Organ oder Organteil zu, welches Inhaber des geltend gemachten Organrechts zu sein behauptet155. Die aktive Prozeßführungsbefugnis kann außer diesem Rechtsprätendenten ausnahmsweise auch einem (gewillkürten oder gesetzlichen) Prozeßstandschafter zustehen. Da es freilich ausgeschlossen sein muß, ohne besondere Legitimation im eigenen Namen über fremde Rechte zu prozessieren, muß der Prozeßstandschafter nachweisen, daß er zu einer aktiven Prozeßführung entweder kraft Gesetzes befugt oder (sofern zulässig und beachtlich) durch denjenigen ermächtigt worden ist, der nach Behauptung des Prozeßstandschafters der Rechtsinhaber ist 156 . Ob und inwieweit eine Prozeßstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren zulässig ist, ist zweifelhaft und bedarf der näheren Untersuchung (unten b). Problematischer als die aktive ist die auf Beklagtenseite erforderliche passive Prozeßführungsbefugnis als der Befugnis, denjenigen, dessen Verpflichtung durch den Kläger behauptet wird, im eigenen Namen im Prozeß gegen die Kla-

153

Vgl. BVerwGE 3, 30, 34 f.; VGH Mannheim, ESVGH 23, 203, 206; Bock, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 17 (9. Lfg. 1995) Rn. 14. 154 VGH München, BayVBl. 2000, 182; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 76; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 24; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 540; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 82a. 155 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 142. 156 Alleine die Behauptung, einen Prozeß über ein fremdes Rechte führen zu dürfen, begründet entgegen Becker-Birck, Insichprozeß, S. 102 f. keine Prozeßführungsbefugnis. Es genügt zwar die Behauptung des geltend gemachten Rechts, die prozessuale Berechtigung der Prozeßstandschaft muß dagegen nachgewiesen sein.

936

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

ge zu verteidigen 157. Diese passive Prozeßführungsbefugnis liegt grundsätzlich, d.h. wiederum vorbehaltlich gesetzlich vorgeschriebener oder zugelassener Prozeßstandschaft, bei demjenigen, gegenüber dem der Kläger das geltend gemachte Recht zu haben behauptet158; richtet der Kläger seine Klage gegen einen Beklagten, der nicht befugt ist, über das Recht im eigenen Namen zu prozessieren, weil er schon nach der Behauptung des Klägers nicht der Verpflichtete ist, ohne als passiver Prozeßstandschafier auftreten zu dürfen, dann ist die Klage unzulässig. Nach diesen allgemeinen Grundsätzen müßte die Klage gegen dasjenige Organ oder Organteil zu richten sein, welches nach der Behauptung des Klägers durch sein primäres Organrecht zu einer Leistung verpflichtet ist oder das ein abwehrrechtliches primäres Organrecht verletzt hat und deshalb einem sekundären Hilfsanspruch unterworfen ist. Diese Folgerung wird allerdings nicht durchgängig gezogen, und deshalb ist auf diesen Gesichtspunkt näher einzugehen (nachfolgend a).

a) Die passive Prozeßführungsbefugnis

von Organen im Organstreitverfahren

Namentlich der VGH München nimmt in ständiger Rechtsprechung an, bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren sei die Klage des sich in seinen Rechten verletzt fühlenden Organs oder Organteils nicht gegen das verletzende Organ oder Organteil zu richten, sondern gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, der sie gemeinsam angehören 159. Dem steht die mittlerweile ganz überwiegend anerkannte Auffassung gegenüber, daß die Klage gegen das Organ oder Organteil zu richten ist, welches nach der Behauptung des Klägers das geltend gemachte Organrecht verletzt hat 160 . 157

Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 539; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 82a. 158 Meissner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (Lfg. 1996) Rn. 7; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 554. 159 Vgl. VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76; BayVBl. 1987, 239; NVwZ-RR 1990, 99; ebenso OVG Saarlouis, AS 10, 82, 85 f.; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 157 f.; Stumpf BayVBl. 2000, 108. 160 OVG Frankfurt/O., LKV 1998, 361, 362; VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 292; VGH Mannheim, BWVPr 1977, 181, 182 f.; DÖV 1983, 862; NVwZ-RR 1990, 369, 370; OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 101, 103; v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 436 f.; Bauer/Krause, JuS 1996, 516; Bethge, Die Verwaltung 1975, 475; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 143 f.; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, § 30 I 3; Ehlers, NVwZ 1990, 112; Eyermann/Happ, VwGO, §78 Rn. 12; Fehrmann, DÖV 1983, 314; ders., NWVBl. 1989, 307; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 34; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 798; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 194; Hoffmann-Becking, DVBl. 1972, 301; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 175 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 78 Rn. 2; Löer, Kontrolle, S. 30; Lüders, Ratsausschüsse, S. 118; Menzel/Schumacher, Jura 1998, 159; Neyses, Rundfunkverfas-

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

937

Beide Ansichten unterscheiden sich trotz ihrer konträren Ausgangsthesen übrigens im praktischen Ergebnis nicht, und zwar ungeachtet ihrer durchaus unterschiedlichen Konsequenzen hinsichtlich der Rechtskrafterstreckung. Rechtskräftige Urteile binden nach §121 Nr. 1 VwGO nur die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, so daß, wenn der Klage gegen die juristische Person selbst stattgegeben wird, strenggenommen nur diese gebunden ist, nicht aber dasjenige ihrer Organe und Organteile, welches das klagende Organ in seinen Rechten verletzt hat. Andererseits sind aber sämtliche Organe eines Trägers öffentlicher Gewalt rechtlich verpflichtet, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit die gerichtlich ausgesprochenen Verpflichtungen ihres Rechtsträgers erfüllt werden 161 , und wenn das betreffende Organ dieser Pflicht nicht nachkäme, so böten die Aufsichts- und Vollstreckungsmöglichkeiten in der Regel ausreichende Handhabe, urteilskonformes Handeln zu erzwingen; praktisch richten sich etwaige Vollstreckungsmaßnahmen ohnehin regelmäßig gegen das unbotmäßige Organ. Jedenfalls hat der VGH München offenkundig keine praktischen Umsetzungsprobleme erfahren, sonst hätte er wahrscheinlich Anlaß gesehen, seine diesbezügliche Rechtsprechung zu überprüfen.

Die weitgehende praktische Auswirkungslosigkeit der korrekten Verortung der passiven Prozeßführungsbeftignis entbindet freilich nicht von der wissenschaftlichen Notwendigkeit, eine dogmatisch überzeugende Konstruktion zu suchen, zumal diese zu einer weiteren Verdeutlichung der organisationsinternen Rechtsbeziehungen beizutragen vermag. Für die Auffassung des VGH München scheint sich in der Tat auf den ersten Blick das Rechtsträgerprinzip ]62 anfuhren zu lassen, das für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen in § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO positiviert, aber auch darüber hinaus insofern als allgemeiner Grundsatz anzuerkennen ist, als der Bürger seine Rechte grundsätzlich mittels Klage gegen den Rechtsträger und nicht gegen die handelnde Behörde zu verfolgen hat. Da nun auch im Verhältnis untereinander die Organe eines Hoheitsträgers doch immer noch letztlich dessen Interessen und nicht eigene Ziele verfolgen 163 , scheint sich unter Zugrundelegung des Rechtsträgerprinzips die passive Prozeßführungsbefugnis dieses Rechtsträgers zu ergeben. Es ist jedoch unzulässig, den Inhalt des Rechtsträgerprinzips dahin zu verallgemeinern, daß eine Klage - vorbehaltlich einer gesetzlichen Statuierung des Behördenprinzips - immer gegen den Rechtsträger des handelnden Organs zu richten sei und nicht gegen dieses Organ selbst 164 . Der Begriff „Rechtsträgersungsstreitverfahren, S. 145 ff; Rausch, JZ 1994, 701; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 111 f.; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 4; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 134; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 686; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 91 f. - S. hierzu bereits oben A.II.2. 161 S. oben G.IV.3.a.cc. 162 Vgl. hierzu BVerwGE 14, 330, 331; Ehlers, in FS Menger, S. 386 ff; Eyermann/ Happ, VwGO, § 78 Rn. 7; Hoffmann-Becking , DVB1. 1972, 302; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 12 Rn. 45; Kopp/Schenke, VwGO, §78 Rn. 3; Meissner, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 (1. EL 1997) Rn. 14. 163 VGH München, VGH n.F. 21, 74, 76; OVG Saarlouis, AS 10, 82, 85. 164 So aber Dolde, in FS Menger, S. 431.

938

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

prinzip" ist allerdings in der Tat insofern mißverständlich, als er den unzutreffenden Eindruck erwecken kann, der zu verklagende Hoheitsträger werde ausschließlich in seiner Rolle als Rechtsträger des handelnden Organs verklagt. In Wirklichkeit wird hingegen der betreffende Träger öffentlicher Gewalt als maverklagt, und seine Rechtsträgerschaft ist in diesem Rahteriell Verpflichteter men einzig deshalb von Bedeutung, weil ihm als solchem die Handlungen seiner Organe als eigene anzurechnen sind. Die Wahl zwischen Rechtsträger- und Behördenprinzip hat also nichts mit der Passivlegitimation zu tun, vielmehr stellt sich diese Alternative von vornherein nur, wenn und weil der betreffende Hoheitsträger durch die als verletzt gerügte Rechtsnorm verpflichtet wird. Nur unter der Voraussetzung der Passivlegitimation des Hoheitsträgers kann sich überhaupt die Frage stellen, ob der Bürger den Hoheitsträger oder das für diesen im Außenverhältnis agierende Organ verklagen soll. Wird auf der Grundlage etwa des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO letzteres bestimmt, so wird damit nicht etwa die bezeichnete Behörde materiell Verpflichtete, sie nimmt lediglich die materielle Rechtsposition ihres Trägers als gesetzlicher Prozeßstandschafter wahr. Im Außenverhältnis zum Bürger ist immer nur der Hoheitsträger selbst verpflichtet, nicht seine einzelnen Organe. Deshalb bedeutet das Rechtsträgerprinzip hier, daß der Bürger den Hoheitsträger als Verpflichteten und nicht die lediglich transitorisch im Außenverhältnis auftretende Behörde zu verklagen hat. Das Rechtsträgerprinzip besagt mit anderen Worten, daß dann, wenn eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts materiell verpflichtet ist, diese zu verklagen ist und nicht ihre für sie auftretenden Organe, wie es dem Behördenprinzip entspräche. Daraus folgt aber eben nicht, daß der Verwaltungsträger auch dann zu verklagen wäre, wenn er selbst gar nicht materiell verpflichtet ist. Die im Innenbereich einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung angesiedelten subjektiven Organrechte sind nun weder Rechte des Hoheitsträgers noch Rechte gegenüber dem Hoheitsträger, sondern stets Rechte im Verhältnis der Organe und Organteile untereinander 165. Einem Organ oder Organteil sind seine Organrechte zwar immer in Ansehung seiner Stellung als transitorische Wahrnehmungseinheit zugewiesen, und es muß sie daher im Interesse und zum Wohle seiner Organisation und mit Rücksicht auf ihre Ziele ausüben. Gleichwohl ist aber das betreffende Organ bzw. Organteil dogmatisch betrachtet Inhaber seines Organrechts, während zur Achtung dieser Organrechte allein die anderen Organe und Organteile verpflichtet sind. Deshalb läßt sich die passive Prozeßführungsbefugnis im Organstreitverfahren nicht unter Berufung auf das Rechtsträgerprinzip dem Hoheitsträger zuschreiben; vielmehr muß, weil die Organe und Organteile selbst durch die in Frage stehenden subjektiven Organrechte mate165

Zur Rechtsinhaberschaft von Organen und der Zurückweisung des Transitoritätseinwandes vgl. oben E.II.3.b.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

939

riell berechtigt und verpflichtet werden, in konsequenter Durchführung des Rechtsträgerprinzips das sich in seinen Rechten verletzt fühlende Organ gegen das Organ vorgehen, dem es die Rechtsverletzung vorwirft 166 . Bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten ist deshalb in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung gegen dasjenige Organ oder Organteil zu klagen, welchem nach dem Klagevorbringen die Organrechtsverletzung zuzurechnen oder das sonst zur Erfüllung organschaftlicher Ansprüche verpflichtet sein soll, und weder gegen den Hoheitsträger noch gegen ein anderes Organ desselben167. Diese Erkenntnis hat übrigens, wie der Vollständigkeit halber noch angemerkt sei, Folgen auch für die im Zuge eines verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahrens nach allgemeinen Maßstäben etwa vorzunehmende Beiladung etwaiger anderer am Verfahrensausgang interessierter Organe und Organteile (§ 65 VwGO) 1 6 8 : Wie sich in Organstreitverfahren sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite nur Organe und Organteile gegenüberstehen, so können auch allein die vom Ausgang des Organstreitverfahrens betroffenen Organe und Organteile beigeladen werden, nicht die juristische Person selbst169.

166

Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 144; Eyermann/Happ, VwGO, § 78 Rn. 12; Lüders, Ratsausschüsse, S. 119. - Daß dies eine „Abweichung vom Rechtsträgerprinzip" darstelle (OVG Münster, JZ 1983, 25; femer Ehlers, in FS Menger, S. 394; Fehrmann, DÖV 1983, 314; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 10; Martensen, JuS 1995, 1078), kann bei dem hier zugrunde gelegten Verständnis nicht gesagt werden. 167 Zu der Ausnahme der notwendigen und nach dem Prinzip der Organtreue gebotenen Mitwirkung eines dritten Organs bei der Beseitigung einer Organrechtsverletzung oben G.IV.3.a.cc. 168 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 226 ff. - Z.B. sind bei einer Klage einer Gemeinderatsfraktion gegen den Gemeinderat wegen der Ausschußbesetzung die anderen Gemeinderatsfraktionen notwendig beizuladen, die bei Erfolg der Klage Ausschußsitze verlören (VGH München, VGH n.F. 8, 5, 6), grundsätzlich dagegen nicht die einzelnen Gemeinderatsmitglieder, selbst soweit sie ihren Ausschußsitz einbüßten, weil sie insoweit nicht in eigenen Rechten betroffen sind (VGH München, VGH n.F. 8, 5, 6 f.); ihr Recht auf Mitwirkung in Gemeinderatsausschüssen (vgl. oben F.III.2.c.cc) wird durch eine etwaige Neuverteilung der verfügbaren Ausschußsitze unter den Fraktionen nicht beeinträchtigt, weil ihnen dann notfalls ein Sitz in einem anderen Ausschuß zugewiesen werden muß. Bei der Klage eines Gemeinderatsmitglieds oder einer Gemeinderatsfraktion gegen den Gemeinderat wegen einer fehlerhaft durchgeführten Wahl ist der Gewählte beizuladen, sofern er im Erfolgsfalle sein Amt verlöre (vgl. OVG Saarlouis, AS 10, 82, 85). 169 Im Ergebnis auch Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 227 f.; vgl. femer Kisker, Insichprozeß, S. 14: „Insichbeiladung".

940

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß b) Prozeßstandschaft

im verwaltungsgerichtlichen

Organstreitverfahren

Nach herrschender Meinung können Organteile (z.B. ein Gemeinderatsmitglied oder eine Gemeinderatsfraktion) im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren keine Organrechte geltend machen, die dem Organ, dem sie angehören (also z.B. dem Gemeinderat), gegenüber einem anderen Organ derselben Körperschaft, Anstalt oder Stiftung (also etwa dem Bürgermeister) zustehen170. Begründet wird dies damit, daß die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zur Verteidigung eigener Rechte verliehen ist und die VwGO keine hiervon abweichende Bestimmung enthält, die wie § 64 Abs. 1 BVerfGG im Verfassungsorganstreitverfahren 171 eine gesetzliche Prozeßstandschaft zuläßt 172 . Bei der Beurteilung dieser Problematik ist zunächst zur Vermeidung etwaiger Mißverständnisse nochmals daraufhinzuweisen 173, daß die Befugnis zur prozeßstandschaftlichen Geltendmachung und Verteidigung fremder Organrechte selbstverständlich nicht etwa eine Befugnis einschließt, die fremde Kompetenz als solche auszuüben; die Anerkennung einer Prozeßstandschaft beinhaltet deshalb keine Durchbrechung der Kompetenzordnung, sondern würde lediglich die Möglichkeit ihrer gerichtlichen Geltendmachung erweitern und damit die Chance ihrer Durchsetzung verbessern. Da mit anderen Worten in einer Kompetenz zwar das ausschließliche Recht zu ihrer Ausübung mitgedacht ist, sie aber nicht notwendig zugleich ein exklusives Recht zu ihrer Geltendmachung beinhalten muß, so daß sehr wohl eine Befugnis anderer vorstellbar ist, eine Kompetenz auch ohne oder sogar gegen den Willen des Kompetenzinhabers gerichtlich zu verteidigen, lassen sich aus dem Wesen von Kompetenzen keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Prozeßstandschaft herleiten. Daß keine prinzipiellen dogmatischen Einwände gegen die prozeßstandschaftliche Geltendmachung fremder Organrechte bestehen können, ergibt sich im übrigen bereits aus der vom Gesetz ausdrücklich zugelassenen Prozeßstandschaft in Verfassungsorganstreitverfahren. Auch ist es weder mit dem Wesen noch mit der Funktion des

170

OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665; V G H Mannheim, N V w Z 1985, 284, 285; OVG Münster, NVwZ-RR 1993, 157; Ewald, WissR 1970, 48; Kopp/Schenke, VwGO, § 4 2 Rn. 61, 80; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 100; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 87; a.A. Bethge, Die Verwaltung 1975, 475 f.; ders., HKWP II, S. 191; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 188 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 224; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 41 la; wohl auch V G Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703 f. 171 S. dazu oben B.II.l.d. 172 Ewald, WissR 1970, 48; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 61, 80; Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 26; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 100; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 87. 173 S. bereits oben D.III.4.C.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

941

Verwaltungsstreitverfahrens unvereinbar, überhaupt eine gesetzliche174 Prozeßstandschaft anzunehmen, wie aus den spezialgesetzlich geregelten und anerkannten Fällen ersichtlich wird 1 7 5 . Das Nichtbestehen grundsätzlicher dogmatischer Bedenken gegen die Vorstellung einer Prozeßstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Verfahren heißt freilich nicht, daß eine solche tatsächlich zuzulassen wäre. Immerhin enthält die VwGO nun einmal im Unterschied zum BVerfGG keine Vorschrift über die Statthaftigkeit einer Prozeßstandschaft, und es liegt keineswegs auf der Hand, ob eine solche im Wege ergänzender Rechtsfortbildung - in erster Linie dürfte eine analoge Anwendung des § 64 Abs. 1 BVerfGG in Betracht zu ziehen sein in den Verwaltungsgerichtsprozeß eingeführt werden kann. Das wirft eine Reihe methodischer Fragen auf. An erster Stelle dürfte der Einwand stehen, daß die Prozeßstandschaft als Ausnahme von der Regel nämlich der grundsätzlichen Beschränkung auf die Geltendmachung und Verteidigung eigener Rechte - nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung statthaft sei, so daß eine analoge Anwendung des § 64 Abs. 1 BVerfGG ausscheide. Auf dieser Basis scheint man mit der Erörterung der Prozeßstandschaft unter der VwGO bereits am Ende angelangt zu sein, und zwar mit negativem Ergebnis. Indessen ist der oft zitierte Satz, daß Ausnahmevorschriften eng auszulegen und insbesondere nicht analogiefähig seien 176 , in dieser Weise methodisch unhaltbar 177 . Ausnahmevorschriften sind wie alle Rechtssätze ihrem telos gemäß anzuwenden. Daß dieser häufig eine enge Handhabung gebieten mag, trifft zwar zu. Doch wie bei allen Rechtssätzen kann der Gesetzgeber auch bei Ausnahmevorschriften zu kurz gegriffen und den Anwendungsbereich zu eng gefaßt haben, insbesondere weil er vergleichbare Problemlagen übersehen hat. Solchenfalls kommen sehr wohl eine teleologische Extension oder eine Analogie in Betracht 178 . Die Frage ist deshalb, ob sich eine tatsächliche oder mutmaßliche 174

Ob und inwieweit jedenfalls bei berechtigtem Interesse auch im Verwaltungsstreitverfahren eine gewillkürte Prozeßstandschaft zulässig ist, ist hier nicht zu entscheiden; vgl. hierzu etwa bejahend OVG Bautzen, SächsVBl. 1997, 210; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 587 f.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 188; verneinend VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, 639 f.; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 76; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 25, § 42 Rn. 60; differenzierend Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 26 f., 153: zulässig nur bei der allgemeinen Leistungsklage. 175 Vgl. dazu etwa Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 76, 119; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 61; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 26. 176 Z.B. BGHZ 11, 135, 143. 177 Vgl. BVerfGE 37, 363, 405; BGHZ 17, 266, 282; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 440; Engisch, Einführung, S. 194 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 355 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 175 f.; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 144 f. 178 Zur Abgrenzung dieser Rechtsfortbildungsmethoden vgl. Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 268 ff.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Wertentscheidung des Gesetzgebers pro oder contra einer Prozeßstandschaft in verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausmachen läßt, die eine Aussage über die Zulässigkeit einer solchen Rechtsfortbildung ermöglicht. Fraglich ist zunächst, ob sich eine Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Statthaftigkeit einer Prozeßstandschaft in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren daraus ergibt, daß er bei Erlaß der VwGO in Kenntnis des § 64 Abs. 1 BVerfGG davon abgesehen hat, eine parallele Regelung für das Verwaltungsstreitverfahren zu normieren. Eine solche Argumentation ginge indes an dem bereits betonten Enumerationscharakter der Verfassungsprozeßvorschriften 179 vorbei: Die Statthaftigkeit der Anrufung des BVerfG unterliegt dem Enumerationsprinzip, d.h. nur was im Grundgesetz oder im BVerfGG vorgesehen ist, läßt sich vor das BVerfG bringen. Deshalb mußte hier die Prozeßstandschaft explizit zugelassen werden, sonst wäre sie notwendig unstatthaft gewesen. Bei der VwGO verhält sich dies anders. Angesichts der generalklauselmäßigen Rechtsschutzeröffnung folgt aus dem Fehlen einer Prozeßstandschaftsregelung nicht zwingend deren UnStatthaftigkeit, vielmehr ist es eine Frage methodischer Rechtsfortbildung, ob ihre Statthaftigkeit zu begründen ist. Hierbei kommt es auf zweierlei an, nämlich erstens auf den Zweck der durch § 64 Abs. 1 BVerfGG zugelassenen Prozeßstandschaft und zweitens darauf, ob dieser Zweck im hiesigen Zusammenhang auch ohne Prozeßstandschaft effektiv verwirklicht werden kann. Sinn und Zweck der Zulassung der Prozeßstandschaft im Verfassungsorganstreitverfahren ist letztlich der Minderheitenschutz: es soll verhindert werden, daß die Mehrheit eine Verletzung der Rechte des betreffenden Organs zum Nachteil der Ziele der Minderheit hinnehmen kann, ohne daß sich diese anderweit effektiv zur Wehr zu setzen vermag 180 . Aus diesem Schutzzweck ergibt sich, daß die Prozeßstandschaft nach § 64 Abs. 1 BVerfGG entgegen ihrer formellen Konstruktion durchaus nicht als altruistische Rechtsverteidigung zu verstehen ist. Das in Prozeßstandschaft für das Verfassungsorgan auftretende Teil desselben verteidigt zwar formell dessen Organrechte und handelt in dem Sinne fremdnützig, als eben von einem Erfolg des Organstreitverfahrens unmittelbar das Verfassungsorgan profitiert. Bei materieller Betrachtung freilich sucht das Verfassungsorganteil sehr wohl indirekt seine eigenen Belange zu schützen. Das rechtlich altruistische Handeln beruht mit anderen Worten auf einer durchaus egoistischen Motivation. Der materiellen Interessenlage nach soll das Institut der Prozeßstandschaft somit eine mittelbare Verteidigung der Rechte des Prozeßstandschafters ermöglichen. Dies erklärt auch, weshalb als Prozeßstandschafier immer nur Teile des verletzten Verfassungsorgans in Betracht kommen, und nicht etwa auch sonstige Verfassungsorgane: Allein die Teile des verletzten Verfassungsorgans profitieren von der Verteidigung 179 180

S. hierzu oben B.II. S. oben B.II.l.d.bb.

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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seiner Kompetenzen; andere Verfassungsorgane hingegen haben hier nicht einmal mittelbar einen Kompetenzschutz zu erwarten und sind vom Gesetzgeber deshalb ganz folgerichtig nicht als Prozeßstandschafter vorgesehen. Dieser Gedanke eines Minderheitenschutzes besitzt für Organteile im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten gleichfalls Geltung 181 . Namentlich Gemeinderatsmitglieder und -fraktionen können sich nicht weniger in einer schutzbedürftigen Minderheitsposition befinden wie Parlamentsabgeordnete und -fraktionen, und ein diesbezüglicher Minderheitenschutz ist bei allen Unterschieden zwischen Parlamenten und Gemeinderäten ein nicht minder wichtiges Anliegen des Demokratieprinzips 182. Eine analoge Anwendung des § 64 Abs. 1 BVerfGG auf verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten widerspricht daher nicht nur nicht den feststellbaren Wertungen des Gesetzgebers, vielmehr dürfte sie den Anforderungen einer in sich stimmigen und die Kohärenz der Rechtsordnung wahrenden Rechtsfortbildung entsprechen. Es trifft gewiß zu, daß der Einhaltung der verfassungsmäßigen Kompetenzordnung und der Gewährleistung eines Minderheitenschutzes aufgrund der potentiell gravierenden gesamtstaatlichen Auswirkungen einer etwaigen Unterminierung des Demokratieprinzips auf Bundesverfassungsebene ein besonderes Gewicht zukommt, zumal hier auch keine Rechtsaufsichtsbehörden bestehen, die zum Schutze der Minderheit von sich aus einschreiten könnten. Dennoch darf das auf Landes- wie eben auch Kommunalebene gleichfalls bundesverfassungsrechtlich garantierte Demokratieprinzip (Art. 28 Abs. 1 S. 1 und 2 GG) nicht zu gering gewichtet werden. Zwar ließe sich nicht die These begründen, daß bundesverfassungsrechtlich eine Prozeßstandschaft in allen Fällen zwingend vorgeschrieben wäre, in denen es um Organe und Organteile geht, denen im demokratischen System Hoheitsaufgaben zukommen. Es ist nämlich zu bemerken, daß immerhin in den nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4, 3. Alt. GG i.V.m. § 71 Nr. 3 BVerfGG der Ersatzzuständigkeit des BVerfG unterfallenden Landesverfassungsorganstreitigkeiten eine Prozeßstandschaft nicht vorgesehen ist 183 . Wenn man nicht gerade die schwer vertretbare These einer insoweitigen Verfassungswidrigkeit des § 71 BVerfGG aufstellen will, muß man deshalb akzeptieren, daß die Statthaftigkeit einer Prozeßstandschaft kein allgemeingültiges bundes(verfassungs)rechtliches Prinzip sein kann, sondern es sich vielmehr um eine Frage handelt, die quasi punktuell, je nach dem betroffenen Verfahren zu beantworten ist. Wenn sich das Bundes(verfassungs)recht Zurückhaltung auferlegt, bei Landesve/yossw^gsorganstreitigkeiten eine Prozeßstandschaft vorzusehen und sich insofern auf das zum Schutz der landesverfassungsrechtlichen Kompetenzordnung nötige absolute 181

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 80; Waechter, Kommunalrecht, Rn. 41 la. Zur Relevanz des Demokratieprinzips für die Repräsentationsorgane der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vgl. oben F.II.l.axc. 183 S. oben B.II.2. 182

944

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Minimum beschränkt hat, so folgt daraus aber andererseits auch nicht, daß das Bundesrecht sich in wesensmäßig bundesrechtlichen Verfahren eine entsprechende Zurückhaltung auferlegen müßte. Denn wenn das bundesgesetzlich kodifizierte Verwaltungsstreitverfahren (rechtsfortbildend) um eine Prozeßstandschaft angereichert wird, so besitzt dies eine durchaus andere Qualität als wenn bundesgesetzlich eine Prozeßstandschaft für Landesverfassungsorganstreitigkeiten vorgesehen würde. Bei Landesverfassungsorganstreitigkeiten handelt es sich aus bundesrechtlicher Sicht um höchst sensible, den Kern der Verfassungshoheit der Länder tangierende Verfahren, da hier das Ziel einer möglichsten Sicherung des Demokratieprinzips mit dem bundesrechtlich gleichfalls abgesicherten Respekt vor der Landesverfassungshoheit kollidiert. Daß sich der Bundesgesetzgeber insofern auf das Nötigste beschränkt hat, impliziert folglich keine ebensolche Zurückhaltung in weniger zentralen und die Verfassungshoheit der Länder nicht berührenden Fällen nichtverfassungsrechtlicher Verwaltungsrechtsstreitigkeiten. Im Interesse einer bestmöglichen Absicherung und Durchsetzung des Demokratieprinzips, insbesondere eines wirksamen Schutzes demokratischer Minderheiten zumal in kommunalen Repräsentationsorganen sprechen hiernach die überwiegenden Gründe für eine analoge Anwendung des § 64 Abs. 1 BVerfGG auf verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren, so daß die darin spezifizierte prozeßstandschaftliche Geltendmachung von Organrechten durch Teile des betroffenen Organs grundsätzlich als zulässig anzusehen ist. Dies gesagt, ist freilich die durchaus begrenzte Tragweite dieser Feststellung für den Bereich der VwGO zu beachten. Mit ihr ist nämlich noch keine Aussage darüber getroffen, in welchem Konkurrenzverhältnis die Geltendmachung eigener Rechte des Organteils und die prozeßstandschaftliche Geltendmachung von Rechten des Organs durch das Organteil zueinander stehen. Tatsächlich ist die Prozeßstandschaft von ihrem Sinn her subsidiärer Natur: Stellt die Prozeßstandschaft im Organstreitverfahren ihrem Zweck nach ein Instrument des Minderheitenschutzes dar, das eine Rechtsschutzlücke vermeiden soll, so bedarf es ihrer nicht, wenn die in der Minderheitsposition befindlichen Organteile eigene Rechte unmittelbar selbst gerichtlich geltend machen können. Aufgrund der klareren Rollenverteilung und der geringeren prozessualen Komplikationen sind Organteile gehalten, in erster Linie ihre eigenen Organrechte gerichtlich geltend zu machen, und lediglich hilfsweise, soweit sich dies als ungenügend erwiese, eine prozeßstandschaftliche Durchsetzung der Rechte des Organs, dem sie angehören, zu unternehmen. Es mag hier dahinstehen, ob dies als allgemeines Prinzip namentlich im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 64 Abs. 1 BVerfGG gilt. Jedenfalls im Bereich der VwGO ist eine Subsidiarität der Prozeßstandschaft anzunehmen. Da die Prozeßstandschaft hier lediglich im Wege der Rechtsfortbildung zu begründen ist, nämlich als Analogie zu § 64 Abs. 1

I. Die Beteiligtenerhältnisse in Organstreitverfahren

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BVerfGG, ist sie methodisch verwehrt, soweit sie zu Erreichung des damit verfolgten Zieles unnötig ist, d.h. wenn derselbe Schutzzweck des Minderheitsschutzes auch ohne diese Rechtsfortbildung zu verwirklichen ist und damit keine schließungsbedürftige Rechtsschutzlücke vorliegt. Hiernach besteht eine direkte Verbindung zwischen dem Begriff des Organrechtseingriffs und der Statthaftigkeit der Prozeßstandschaft: Je weiter der Begriff des (strukturell) mittelbaren Organrechtseingriffs verstanden wird 1 8 4 und je eher daher ein Organteil eben eine Verletzung seiner eigenen Organrechte geltend machen kann, desto weniger kommt es auf die Möglichkeit der prozeßstandschaftlichen Geltendmachung der Rechte des Organs an, dem dieses Organteil angehört 185. Dies ist zwar kein Grund, allein zur Vermeidung der Prozeßstandschaft den Eingriffsbegriff auszuweiten - vielmehr ist der Eingriffsbegriff im Bereich der Organrechte in Einklang mit der allgemeinen Eingriffsdogmatik zu entwickeln - ; soweit hiernach aber der Eingriffsbegriff nicht reicht, können Rechtsschutzlücken durch Rückgriff auf das subsidiäre Institut der Prozeßstandschaft geschlossen werden. Wenn also beispielsweise Gemeinderatsmitglieder oder Gemeinderatsfraktionen durch die Verletzung von Organrechten des Gemeinderats eine strukturell mittelbare Verletzung ihrer eigenen Rechte erleiden und deshalb gegen die betreffende Maßnahme aus eigenem Recht vorgehen können, sind sie nicht im Interesse eines effektiven Minderheitsschutzes darauf angewiesen, die Rechte des Gemeinderats in Prozeßstandschaft klageweise geltend machen zu können. Deshalb scheidet eine Prozeßstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren jedenfalls insoweit aus, als das mittels prozeßstandschafilicher Klage verfolgte Ziel ebenso gut mit einer Klage gegen eine mittelbare Beeinträchtigung des Organteils zu verwirklichen ist. Praktische Bedeutung gewinnt die Möglichkeit der Prozeßstandschaft deshalb vor allem in den Fällen, in denen die Beeinträchtigung des Organteils strukturell mittelbare Folge einer unvernünftigen Entscheidung des Organs ist, welches durch ein anderes in seinen Rechten verletzt wird. Denn die Folgen unvernünftigen Handelns des als Kausalmittler fungierenden Organs für das letztlich beeinträchtigte Organteil sind dem zuerst handelnden Organ nicht zuzurechnen 186, und deshalb ist hier ein Vorgehen des Organteils gegen die Beeinträchtigung allein im Wege der Prozeßstandschaft möglich. Wenn also kein vernünftiger Grund ersichtlich ist, weshalb beispielsweise der Gemeinderat seine Rechte nicht selbst gegen den Bürgermeister verteidigt, so können die Minderheitsfraktionen die Rechte des Gemeinderats in Prozeßstandschaft geltend machen, weil andernfalls ein effektiver Minderheitsschutz nicht gegeben wäre.

184 185 186

62 Roth

S. hierzu oben G.I.3. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rn. 80. S. oben G.I.l.b.cc (3) und G.I.3.c.bb.

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren Die richtige Klageart richtet sich wie in allen Verwaltungsgerichtsprozessen auch in Organstreitverfahren nach dem verfolgten Klageziel, und dieses wiederum bestimmt sich nach den materiell gegebenen und geltend zu machenden A n sprüchen 1 . Da Innenrechtsakte der Organe und Organteile in ihrem Verhältnis zueinander keine Verwaltungsakte darstellen 2 , scheiden diesbezügliche Anfechtungs· und Verpflichtungsklagen mit ihren besonderen Sachurteilsvoraussetzungen von vornherein a u s 3 , 4 . Näher diskutiert wurde bzw. w i r d die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine Klageart sui generis (nachfolgend 1.) sowie die Statthaftigkeit einer allgemeinen Gestaltungsklage (unten 2.). Da derartige Klagen aber richtigerweise abzulehnen sind, besteht das prozessuale Instrumentarium klagender Organe und Organteile - von dem Sonderfall eines oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrollantrags (unten 3.) abgesehen - aus der allgemeinen Leistungsklage, 1

die sowohl ein positives Tun des Verpflichteten als auch -

Vgl. hierzu oben G.IV.l. S. oben G.III.2.a, 3 VGH Mannheim, ESVGH 23, 203, 205; VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39; Bethge, DVBl. 1980, 824; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung, § 30 I 3; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 155; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 161; Ewald, WissR 1970, 41 f.; Fehrmann, NWVBl. 1989, 304; Fink, WissR 1994, 141; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 14 f.; Fuß, WissR 1972, 117; Grupp, in FS Lüke, S. 214 f.; Hoppe, DVBl. 1970, 845; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 82 f.; Krebs, Jura 1981, 579 f.; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 18; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 84; Sodan, in NKVwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 223; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, Rn. 169; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 200; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 672, 680; a.A. - von ihrer Bejahung organisationsinterner Verwaltungsakte aus folgerichtig - etwa Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 176 ff; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 172 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 7; Püttner, Organstreitverfahren, S. 136 f. 4 Eine analoge Anwendung der Vorschriften über die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Innenrechtsakte (hierfür Lerche, in FS Knöpfle, S. 179 ff.) ist abzulehnen, weil die Anwendung der Bestimmungen bezüglich Fristen und Vorverfahren zu keinen sachgerechten Ergebnissen führt (s. oben G.III.2.a). Selbst wenn man das Fehlen solcher Erfordernisse bei der allgemeinen Leistungs- sowie der Feststellungsklage als eine „allgemeine Schwäche" ansähe {Lerche, ebd., S. 182), so handelte es sich doch eben um eine vom Gesetzgeber getroffene allgemeine Entscheidung, die nicht punktuell gerade für Innenrechtsakte auszuhebeln ist. 2

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

947

in Gestalt der Unterlassungsklage - auf ein Unterlassen zielen kann, sowie der Feststellungsklage (unten 4.).

1. Irrelevanz einer Klage sui generis Die insbesondere früher viel erörterte Frage, ob im Organstreitverfahren eine Klage sui generis in Betracht komme5, hat sich mangels Bedürfnisses letztlich als Scheinproblem erwiesen6. Diese Feststellung ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß sich neben den drei Grundformen möglichen prozessualen Begehrens und den korrespondierenden drei Grundentscheidungsformen - Gestaltung, Leistung, Feststellung - überhaupt keine weiteren Klagetypen denken lassen, vielmehr auf dieser rechtstheoretischen Ebene die Klagetrias allerdings abschließend und erschöpfend ist, so daß sich alle Klagearten als spezielle Ausformung oder Kombination dieser drei Klagegrundtypen darstellen lassen7. Denn bei der Klage sui generis geht es nicht um einen weiteren Klagegrundtyp, sondern um die Erweiterung der Zahl der ausdrücklich geregelten spezifischen Klagearten der VwGO 8 , und diesbezüglich kann allerdings sinnvoll gefragt werden, ob die VwGO neben Anfechtungs-, Verpflichtungs-, allgemeiner Leistungs·, (Fortsetzungsfeststellungsklage und Normenkontrollantrag noch wei5 Bejahend etwa OVG Lüneburg, DÖV 1961, 548; OVG Münster, OVGE 17, 261 (Leitsatz 1), 265; 27, 258, 260 ff.; 28, 208, 209 ff.; 35, 8; OVG Saarlouis, AS 10, 82, 84; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702; W. Rauball, in Rauball, GemO NW, § 112 Rn. 6; Wansleben, in Held, GemO NW, § 56 (Lfg. 10/94) S. 7; femer Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 134; Widtmann/Grasser/G laser, BayGemO, Art. 49 (8. EL 1998) Anm. lOd, Exkurs nach Art. 49 (4. EL 1994) Anm. 2: allgemeine Leistungsklage mit kassatorischer Wirkung. 6 OVG Koblenz, AS 9, 335, 339; 10, 55, 56 f.; Bauer/Krause, JuS 1996, 412 f.; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 80 f.; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 154; Ehlers, NVwZ 1990, 106; Eyermann/Happ, VwGO, §42 Rn. 61; Fehrmann, DÖV 1983, 313 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 17; Fuß, WissR 1972, 106; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 11 ; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 119; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 114; Kopp/ Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 6; Lerche, in FS Knöpfle, S. 177; Lüders, Ratsausschüsse, S. 149; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 16; Puttfarcken, in FG Ule, S. 68 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 432; Schmidt-Aßmann, in Schmidt-Aßmann, BesVerwR, 1. Abschn. Rn. 84; Schoch, JuS 1987, 787; Schröder, NVwZ 1985, 246; Sodan, in NKVwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 225; Stahl, NJW 1972, 2031; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 163, 173; vgl. OVG Münster, OVGE 32, 192, 194. 7 Zutreffend Lerche, in FS Knöpfle, S. 175 f.; femer Bethge, DVB1. 1980, 824; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 9 Rn. 3; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 397. 8 Zur Unterscheidung der Schicht der Klagegrundformen von der der konkreten Klagearten Lerche, in FS Knöpfle, S. 176.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

tere Klagearten zuläßt9. Diese Frage indes kann nicht gedanklich-logisch, sondern nur anhand der positiven Gesetzeslage sowie den methodischen Anforderungen an eine etwaige Rechtsfortbildung beantwortet werden. Der Regierungsentwurf zur VwGO hatte in seinem § 40 noch die ausdrückliche Bestimmung enthalten, Rechtsschutz könne „mit Gestaltungs-, Feststellungs- und Leistungsklagen begehrt werden", welche Aufzählung übrigens der Klarstellung dienen sollte, daß die Leistungsklage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässig ist 10 . Wäre dieser Vorschlag Gesetz geworden, so hätte in der Tat möglicherweise bezweifelt werden können, ob die Herausbildung weiterer Klagearten zulässig sei. Indessen wurde dieser Vorschlag vom Rechtsausschuß des Bundestages verworfen und auf die Aufzählung der Klagearten verzichtet, zum einen weil die Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage für so selbstverständlich gehalten wurde, daß man auf ihre ausdrückliche Nennung zu verzichten können meinte 11 , zum anderen weil befürchtet wurde, „daß die Regierungsvorlage die Rechtsentwicklung hinsichtlich der Klagearten unter Umständen einengen kann" 12 . Da sich diese Auffassung im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt und der Gesetzgeber somit einen numerus clausus der Klagearten gerade deshalb abgelehnt hat, um nicht eine diesbezüglich etwa sinnvolle Rechtsentwicklung zu behindern, und weil ferner der Wille des Gesetzgebers dahin ging, den Verwaltungsrechtsweg „für alle Streitigkeiten des öffentlichen Rechts schlechthin frei[zu]geben", so daß vorbehaltlich ausdrücklicher Zuweisung an ein anderes Gericht „keine nicht verfassungsrechtliche Streitigkeit des öffentlichen Rechts mehr denkbar" sein sollte, „die nicht vor die Verwaltungsgerichte gebracht werden könnte" 13 , stünde im Prinzip nichts entgegen, neben den genannten Klagearten noch weitere besondere Klagearten sui generis zu entwickeln 14,15 . Freilich wäre hierzu nach allgemeinen Rechtsfortbildungsgrund9

Lerche, in FS Knöpfle, S. 176 f. Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 31 (zu § 40 des Entwurfs). 11 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. III/l094, S. 5 (zu §40 des Entwurfs); vgl. Roth, VerwArch 2000, 30 f., auch dazu, daß das Weglassen dieser Selbstverständlichkeit die seltsame These veranlaßt hat, der Gesetzgeber habe die allgemeine Leistungsklage „übersehen". 12 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. III/l094, S. 5 (zu § 40 des Entwurfs). 13 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 30 (zu § 38 des Entwurfs). 14 Vgl. BVerwG, NJW 1978, 1870; Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 179; OVG Münster, OVGE 27, 258, 260 ff.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 155 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 17; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 22 Rn. 1; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 132 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 80 f. Fn. 5, S. 114; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 16; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 10

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

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Sätzen vorab zu demonstrieren, daß mittels der herkömmlichen in der VwGO vorgesehenen Klagearten ein bestimmtes legitimes Rechtsschutzziel nicht befriedigend zu erreichen ist 16 . Dieser Nachweis wurde bezeichnenderweise noch nie erbracht, und deshalb läuft die prinzipielle Statthaftigkeit einer Klageart sui generis letztlich ins Leere.

2. UnStatthaftigkeit einer allgemeinen Gestaltungsklage Als näher erörterungsbedürftiges Problem ist dagegen die praktisch sehr bedeutsame Frage anzusehen, auf welche Weise ein in seinen Rechten verletztes Organ oder Organteil gegen einen nicht nichtigen verletzenden Innenrechtsakt vorgehen muß - bei internen Realakten kommt allein eine Leistungsklage bzw. (subsidiär) eine Feststellungsklage in Betracht 17 - , um seinen materiell bestehenden Beseitigungsanspruch prozessual durchzusetzen, ob mittels einer Leistungsklage gegen das verletzende Organ auf Aufhebung bzw. Rückgängigmachung des fraglichen Innenrechtsaktes18 oder ob durch Erhebung einer auf gerichtliche Kassation des betreffenden Innenrechtsaktes gerichteten Auftiebungsklage als einer allgemeinen Gestaltungsklage ]9. Rn. 396; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 81 f.; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, Rn. 168; Stumpf, BayVBl. 2000, 106; a.A. VGH Mannheim, ESVGH 23, 203, 205; Fuß, WissR 1972, 106, 116 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 787; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 47, 125 f.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rn. 269; Schnapp, VerwArch 1987, 447 f. 15 Unzutreffend daher BVerwGE 100, 262, 264, wonach verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz „nur nach Maßgabe der in der Verwaltungsgerichtsordnung selbst bezeichneten oder aufgrund der Verweisung in § 173 VwGO auf die Zivilprozeßordnung statthaften Klagen und sonstigen Rechtsbehelfe gewährt" werde; hiergegen mit Recht Hufen, Die Verwaltung 1999, 522 ff. 16 Vgl. OVG Münster, OVGE 32, 192, 194. 17 Zu diesen unten H.II.4. 18 Hierfür etwa Fehrmann, NWVBl. 1989, 304 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 127 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 8b; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 370 ff. 19 Hierfür etwa OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 232 f.; 3, 223, 226; 16, 349 f.; VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39, 41 f.; BayVBl. 1988, 16; Bethge, Die Verwaltung 1975, 478 ff.; ders., HKWP II, S. 187; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 152 ff., 185; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 178 ff.; Ewald, WissR 1970, 42 f.; Felix/ Schwarplys, ZBR 1996, 33, 38 f.; Fink, WissR 1994, 142; Graf BayVBl. 1982, 333 f.; Grupp, in FS Lüke, S. 211 f.; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 298 ff.; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 173 f.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §21 Rn. 16; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 96 f., 132 ff.; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 123 ff.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 103 ff; Lange, BayVBl. 1976, 755 f.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren,

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Daß eine allgemeine Gestaltungsklage nicht aus grundsätzlichen Erwägungen aus dem Kanon verwaltungsprozessualer Klagearten ausscheidet 20 , ergibt sich aus dem vorstehend zur Denkbarkeit einer Klage sui generis Gesagten 21 . Die V w G O kennt zudem in Gestalt der Anfechtungsklage eine m i t materiellrechtlicher Wirkung ausgestattete spezifisch verwaltungsprozessuale Gestaltungsklage, ferner sind als prozessuale Gestaltungsklagen zu nennen etwa die Wiederaufnahmeklage

(Nichtigkeits-

bzw.

Restitutionsklage

gemäß

§ 153 Abs. 1

V w G O i.V.m. §§ 579, 580 Z P O ) 2 2 , die Abänderungsklage (§ 173 S. 1 V w G O i.V.m. § 323 ZPO) sowie - jeweils über die Verweisung in § 167 Abs. 1 S. 1 V w G O heranzuziehen - die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) und die Drittwiderspruchsklage (§ 771 Z P O ) 2 3 . Daraus folgt zum einen, daß die Gestaltungsklage weder dem Verwaltungsstreitverfahren wesensfremd noch aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten prinzipiell ausgeschlossen ist 2 4 . Z u m anderen ergibt sich daraus freilich zugleich, daß die ausdrückliche Erwähnung der Gestaltungsklage in § 43 Abs. 2 S. 1 V w G O nicht die Anerkennung der allgemeinen S. 124 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 9 Rn. 1 ff.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 74 ff.; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme, Rn. 148; Stumpf, BayVBl. 2000, 103 ff.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 100 ff., 168 ff.; die Möglichkeit einer kassatorischen Gestaltungsklage bejaht - in anderem Zusammenhang - auch BVerwG, NVwZ 1999, 870, 871. 20 Nicht durchdringen kann jedenfalls das gelegentlich vorgebrachte Argument, die allgemeine Gestaltungsklage müsse schon deswegen ausscheiden, weil rechtswidrige Innenrechtsakte regelmäßig nichtig seien und bei nichtigen Rechtsakten eine Kassation nicht in Betracht komme (z.B. VGH Mannheim, ESVGH 23, 203, 205; VG Greifswald, VwGO, §42 LKV 1999, 110; Bauer/Krause, JuS 1996, 413 f.; Eyermann/Fröhler, Rn. 10; Papier, DÖV 1980, 299; Renck-Laufke, BayVBl. 1982, 76; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 679). Denn erstens sind rechtswidrige Innenrechtsakte keineswegs regelmäßig nichtig, sondern im Gegenteil regelmäßig wirksam (s. oben G.III.2.b und G.III.4.). Und zweitens zeigt schon § 43 Abs. 2 VwGO fur Verwaltungsakte, daß eine „Aufhebung" nichtiger Rechtsakte sehr wohl denkbar ist, vgl. Erichsen, in FS Menger, S. 231; Ewald, WissR 1970, 45; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 15; Felix, Das Remonstrationsrecht, S. 207; Fuß, WissR 1972, 118; Gerhardt, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (1. EL 1997) Rn. 23; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 3; Preusche, NVwZ 1987, 856; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 183; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 408; a.A. Pietzcker, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, §42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 18; Renck-Laufke, BayVBl. 1982, 76; Sodan, in NKVwGO, § 42 (Lfg. 1996) Rn. 23. 21 S. vorstehend H.II. 1. 22 Zum Gestaltungscharakter der Wiederaufnahmeklage vgl. Kopp/Schenke, VwGO, §153 Rn. 3; Meyer-Ladewig, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 153 (5. Lfg. 2000) Rn. 3. 23 Bader/v. Albedyll, VwGO, vor § 42 Rn. 6; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 22 Rn. 4 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 8b; Pietzner, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 167 (Lfg. 1996) Rn. 20, 49. 24 Vgl. Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 67, 84 ff.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 102.

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

951

Gestaltungsklage impliziert: § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO besitzt angesichts der zur Verfugung stehenden speziellen Gestaltungsklagen auch dann einen sinnvollen Anwendungsbereich, wenn die allgemeine Gestaltungsklage abgelehnt wird 25 , und kann deshalb trotz der unspezifizierten Erwähnung der „Gestaltungsklage" nicht als zwingender Beleg angeführt werden, daß es die Gestaltungsklage in allgemeiner Form geben müsse26.

a) Bedenken gegen die Statthaftigkeit einer allgemeinen Gestaltungsklage de lege lata Die Gesetzesmaterialien sprechen eher gegen die Statthaftigkeit allgemeiner Gestaltungsklagen de lege lata. Der Gesetzgeber erwähnte die Gestaltungsklage zwar in § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO ausdrücklich, verzichtete jedoch auf eine Legaldefinition derselben, weil er davon ausging, der Begriff der Gestaltungsklage könne in der VwGO ebenso wie in § 49 Abs. 3 BVerwGG und in § 65 Abs. 1 S. 2 VGG für Rheinland-Pfalz - diese Vorschriften statuierten gleichlautend: „Das Urteil kann ein Gestaltungs-, Leistungs- oder Feststellungsurteil sein." „ohne weiteres als feststehend betrachtet werden" 27 . Bezeichnenderweise wurde aber unter diesen Gesetzen der Begriff der Gestaltungsklage keineswegs in einem allgemeinen Sinn verstanden, sondern auf die Anfechtungs- sowie die Verpflichtungsklage bezogen28. Die (heute überraschende und überwundene) Qualifikation der Verpflichtungsklage als eine „Abart der Anfechtungsklage" 29 und damit als Gestaltungsklage ergab sich positivrechtlich aus §15 Abs. 3 BVerwGG („Die Anfechtungsklage kann auch gegen die Unterlassung eines beantragten Verwaltungsakts erhoben werden."), sowie dem entsprechenden § 35 Abs. 2 VGG; dem lag eine Sichtweise zugrunde, welche ihren Schwerpunkt auf die Ablehnung des Antrags auf Vornahme eines Verwaltungsakts legte und deshalb die rechtsgestaltende Aufhebung des die Antragsablehnung aussprechenden Verwaltungsakts als das eigentliche Rechtsschutzziel verstand 30. Wenngleich nun die Verpflichtungsklage richtigerweise als eine Form der Leistungsklage anzusehen ist, weil aus Sicht des Klägers nicht die Aufhebung der An25

Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 8b. Vgl. Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 19. Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 31 (zu § 40 des Entwurfs). 28 Hufnagl, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 166; Koehler, BVerwGG, §49 Anm. 3; Menger, System, S. 97, 193; Schunck/De Clerck, BVerwGG, §27 Anm. 2; Ule, BVerwGG, § 49 Anm. III 2; vgl. BVerwGE 1, 291, 297. 29 Koehler, BVerwGG, § 15 Anm. 2. 30 Klinger, MRVO Nr. 165, § 71 Anm. C 2; Menger, System, S. 193; Ule, BVerwGG, § 49 Anm. III 2; femer Eyermann/Fröhler, VGG, § 35 Anm. I 2. 26

952

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

tragsablehnung im Zentrum stehen kann, sondern die Gewährung des begehrten Verwaltungsakts Primärziel sein muß - immerhin kommt aber dem Verpflichtungsurteil auch nach heutigem Verständnis durchaus auch Gestaltungswirkung zu, da es die Aufhebung eines etwa entgegenstehenden ablehnenden Bescheides mit umfaßt 31 - , so ändert dies doch jedenfalls nichts daran, daß der Gesetzgeber seinerzeit unter dem Oberbegriff „Gestaltungsklage" lediglich die „Anfechtungs· oder Verpflichtungsklage" verstand 32, ihm also eine enge, auf besondere Fälle beschränkte Vorstellung vom Anwendungsbereich der Gestaltungsklage vorschwebte. Von Bedeutung ist ferner, daß auch im Zivilprozeßrecht Gestaltungsklagen nicht als generell statthaft angesehen, sondern seit jeher auf die gesetzlich ausdrücklich geregelten Anwendungsfälle beschränkt 33 und nur „mit Vorsicht" analog auf vergleichbare Fälle übertragen werden 34. Auch deshalb dürfte der VwGO-Gesetzgeber, wenn er sich ohne nähere Erläuterung auf einen „feststehenden" Begriff der Gestaltungsklage berief 5 , schwerlich in Abkehr von der tradierten zivilprozessualen Dogmatik im Verwaltungsprozeß die allgemeine Gestaltungsklage gewollt haben, sondern vielmehr wollte er dann offenbar auch hier an einem numerus clausus der Gestaltungsklagen festhalten 36,37 .

31 Vgl. BVerwGE 1, 291, 296; 41, 178, 182; 51, 15, 23; Bosch/Schmidt, Praktische Einfuhrung, § 23 II 1 a; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 113 Rn. 33 („unselbständiger Anfechtungsannex"); Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 179; Menger, System, S. 194 ff.; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 113 Rn. 38; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 263. 32 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 32 (zu § 42 des Entwurfs). 33 BGH, NJW-RR 1990, 474, 475; Grupp, in FS Lüke, S. 209 f.; Jauernig,, Zivilprozeßrecht, § 34 III; Lüke, in MünchKomm ZPO, vor § 253 Rn. 27; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 94 II; Schumann, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 253 Rn. 46; Thomas/Putzo, ZPO, vor § 253 Rn. 7. 34 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, § 94 II; Schumann, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 253 Rn. 46; Thomas/Putzo, ZPO, vor § 253 Rn. 7; vgl. z.B. BGHZ 9, 157, 158 ff. 35 Begründung des Regierungsentwurfs einer VwGO, BT-Drucks. III/55, S. 31 (zu § 40 des Entwurfs). 36 Vgl. Eyermann/Fröhler, VwGO, § 42 Rn. 2; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 127; Renck-Laufke, BayVBl. 1982, 77; Streinz, BayVBl. 1983, 748 Fn. 156. 37 Nicht überzeugend Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 77 f., wenn sie den numerus clausus der Gestaltungsklagen im Zivilprozeß betont, gleiches aber deshalb nicht fur den Verwaltungsprozeß gelten lassen will, weil im öffentlichen Recht „eine einzige prozessuale Vorschrift pauschal und fur eine unübersehbare Vielzahl von Streitigkeiten aus den verschiedensten Gebieten des Verwaltungsrechts dem Betroffenen ein Gestaltungsklagerecht" einräume und somit der Anwendungsbereich der Anfechtungsklage „allgemeiner definiert und in materiellrechtlicher Hinsicht erheblich umfangreicher als der Anwendungsbereich einer zivilrechtlichen Gestaltungsklage" sei. Dieser

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren b) Kein Effektivitätsvorteil

der allgemeinen

953

Gestaltungsklage

Zugunsten der allgemeinen Gestaltungsklage w i r d vornehmlich das verfassungsrechtliche Gebot der Effektivität

des Rechtsschutzes 38

angeführt 39 . In der

Tat scheint ein Gestaltungsurteil, welches einen rechtsverletzenden Innenrechtsakt unmittelbar aufhebt, effizienteren Rechtsschutz zu geben als ein Leistungsurteil, welches lediglich die Pflicht zur Aufhebung jenes Innenrechtsaktes ausspricht und womöglich erst noch in einem unter Umständen langwierigen Verfahren vollstreckt werden muß 4 0 .

Versuch, „die im Zivilrecht für jede Situation einzeln geregelten Gestaltungsklagemöglichkeiten" als „prozessuale Ausnahme" gegenüber § 42 VwGO abzugrenzen, der „die Gestaltungsklage zu einer selbstverständlichen Rechtsschutzform des Bürgers gegen staatliche Eingriffe" mache (ebd., S. 84), die Gestaltungsklage im Verwaltungsprozeß mit anderen Worten als Normalfall darzustellen, obschon sie einzig in der spezifischen Gestalt der Anfechtungsklage positiviert ist, geht fehl. Wieso z.B. die Ermächtigung des Familiengerichts, eine gescheiterte Ehe zu scheiden (§§ 1564 f. BGB), oder die Befugnis des Zivilgerichts, gesetzwidrige Hauptversammlungsbeschlüsse für nichtig zu erklären (§§ 243, 248 Abs. 1 S. 1 AktG), weniger allgemein definiert und umfangreich sein sollen als die Befugnis des Verwaltungsgerichts, rechtsverletzende Verwaltungsakte aufzuheben (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO), ist nicht ersichtlich. Daß es im Zivilrecht mehr Anwendungsfalle der Gestaltungsklage gibt als im Verwaltungsrecht mit seiner spezifischen Anfechtungsklage, berechtigt nicht zu dem Schluß, im Zivilrecht herrsche ein numerus clausus an Gestaltungsklagen, während es im Verwaltungsprozeß eine allgemeine Gestaltungsklage gebe. Daß die Anfechtungsklage generalklauselmäßig in der VwGO statuiert ist, ist Ergebnis der Abkehr vom Enumerationsprinzip, zu dessen Zeiten diverse Anfechtungsmöglichkeiten über eine Vielzahl von Polizei-, Kommunal-, Verwaltungs· und Verwaltungsverfahrensgesetzen verteilt waren (hierzu oben E.II.5.b.aa), bedeutet aber nicht, daß mit der Aufgabe des Enumerationsprinzips gleichzeitig vom numerus clausus an Gestaltungsklagen abgerückt werden sollte. Mit dem Übergang zur Generalklausel wollte der Gesetzgeber zwar die Anfechtungsklage in bezug auf alle Verwaltungsakte gewähren; daß er damit eine allgemeine Gestaltungsklage für sonstige Rechtsakte einführen oder gutheißen wollte, ist dagegen nicht ersichtlich. 38 Zu diesem Grundsatz BVerfGE 10, 264, 267 f.; 78, 88, 99; 88, 118, 123; 93, 1,13; 96, 27, 39; BVerwGE 16, 289, 292 f.; 17, 83, 85; Roth, VerwArch 1997, 419; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 383. 39 Vgl. VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39; BayVBl. 1988, 16; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 152 ff.; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 37 ff.; Graf, BayVBl. 1982, 333; Grupp, in FS Lüke, S. 212; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 123 f.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 9 Rn. 4 f.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 66 ff.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 103. 40 Vgl. Ehlers, NVwZ· 1990, 105; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 63 ff.

954

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß aa) Begrenztheit eines etwaigen Effektivitätsgewinnes

Indessen darf der allenfalls denkbare Effektivitätsvorteil eines Gestaltungsurteils vor einem Leistungsurteil im vorliegenden Zusammenhang nicht überbewertet werden. Dieser könnte sich nämlich allein in der Vollstreckungsphase zeigen, nicht im Erkenntnisverfahren, doch bereits in diesem entstehen zeitliche Verzögerungen, welche diejenigen in der Zwangsvollstreckung regelmäßig in den Schatten stellen. Gewiß ist beispielsweise die Wirksamkeit von Innenrechtsakten wie dem Ausschluß eines Gemeinderatsmitglieds aus der Sitzung gewöhnlich „auf relativ kurze Zeit begrenzt" 41. Es wäre aber eine praxisfremde Fehlvorstellung, daß sich deshalb das Erledigungsproblem typischerweise erst während der Zwangsvollstreckung stelle. Natürlich „kann es passieren, daß sich ... noch vor der Beitreibung des Zwangsgelds die Aufhebung der belastenden Regelung erledigt" 42 . Tatsächlich aber erledigen sich die meisten Innenrechtsakte so kurzfristig, daß es oft nicht einmal zur vorherigen Klageerhebung reicht, geschweige denn bis zum Ergehen einer erstinstanzlichen Hauptsacheentscheidung, gar nicht zu reden von dem letztinstanzlichen, rechtskräftig werdenden Endurteil. Wenn sich die streitigen Innenrechtsakte aber ohnehin in den meisten Fällen schon vor Ergehen des Hauptsacheurteils erledigen 43, dann ist es für die Effizienz respektive Ineffizienz des Rechtsschutzes einigermaßen gleichgültig, ob das klagende Organ oder Organteil eine Leistungs- oder eine allgemeine Gestaltungsklage zu erheben vermag, weil das Gericht hier ohnehin nur noch ein Feststellungsurteil erlassen kann 44 . Daß sich der aufzuhebende Innenrechtsakt gerade während des Versuchs, ein Leistungsurteil zu vollstrecken, erledigt, ist zwar denkbar, praktisch ist dieser Fall aber nahezu belanglos. Deshalb könnte der Rechtsschutzvorzug der allgemeinen Gestaltungsklage vor der Leistungsklage jedenfalls in dem hier interessierenden Bereich der Organstreitigkeiten allenfalls mit großen Einschränkungen mit der Dauer eines bei Leistungsurteilen eventuell notwendigen Zwangsvollstreckungsverfahrens begründet werden. Im Erkenntnisverfahren hingegen beanspruchen Leistungs- und Gestaltungsklagen gleich viel Zeit und Mühe, so daß sich von daher keine Überlegenheit der letzteren begründen läßt. Etwaige Rechtsschutzvorteile der allgemeinen Gestaltungsklage dürften schon nach dem Vorstehenden bestenfalls marginaler Natur sein und sind daher kaum geeignet, die Statthaftigkeit der allgemeinen Gestaltungsklage zu erzwingen. Denn das Gebot effektiven Rechtsschutzes bedeutet nicht, daß dem Kläger im-

41 42 43 44

Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 64 f. Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 64. Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 115. Vgl. Grämlich, BayVBl. 1989, 10.

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

955

mer die effektivste denkbare Klageart zur Verfugung stehen müßte45, und deshalb fordert selbst Art. 19 Abs. 4 GG nicht, daß mit der Eröffnung des Rechtsweges notwendig die unmittelbare Aufhebung eines rechtsverletzenden Rechtsaktes durch das Gericht verbunden sein muß 46 . Gilt diese Einschränkung sogar in bezug auf Grundrechtsträger, obschon diese immerhin ihre materiellen Grundrechte sowie Art. 19 Abs. 4 GG zugunsten effektiven Rechtsschutzes invozieren können, so gilt sie erst recht im Bereich verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten 47: Da sich die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts im allgemeinen nicht auf Grundrechte berufen können48 und das Gebot effektiven Rechtsschutzes insofern allein durch das Rechtsstaatsprinzip fundiert wird, kommt dem Gesetzgeber ein noch größerer Gestaltungsspielraum zu, in welcher Verfahrensart Rechtsschutz gewährt werden soll 49 . Da die Leistungsklage auf Aufhebung und Beseitigung des rechtswidrigen Innenrechtsaktes und gegebenenfalls seiner Folgen keine Bedenken im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes provoziert, erzwingen somit Effektivitätserfordernisse nicht die Zulassung der allgemeinen Gestaltungsklage50. Die gegenteilige Einschätzung51 beruht primär darauf, daß nach vielfach vertretener Auffassung die gemäß § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 888 ff. ZPO an sich vorgesehenen weitreichenden Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten unter analogem Rückgriff auf § 172 VwGO so weit eingeschränkt werden - nämlich erstens durch eine Limitierung des Zwangs- (§ 888 Abs. 1 ZPO) sowie des Ordnungsgeldes (§ 890 Abs. 1 ZPO) auf jeweils maximal 2.000 D M 5 2 , zweitens durch einen generellen Ausschluß von Zwangs- (§ 888 Abs. 1 ZPO) und Ord45

BVerwGE 50, 11, 19; Ehlers, NVwZ 1990, 106; Pietzcker, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20; Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 386; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 5, 288; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 55; a.A. Graf, BayVBl. 1982, 333; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 123. 4(Γ BVerwGE 50, 11, 19; Schmidt-Aßmann, in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV (24. Lfg. 1985) Rn. 288. 47 Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20. 48 S. hierzu, auch zu den Sonderfällen, oben B.I.2.a. 49 Schenke, in BK GG, Art. 19 IV (Zweitb. 1982) Rn. 161. 50 Fehrmann, NWVBl. 1989, 305; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 8b; Krebs, VerwArch 1977, 195 f.; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20. 51 Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 38; Grupp, in FS Lüke, S. 219; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 126 f.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 63 ff. 52 Vgl. OVG Münster, DÖV 1997, 794; VG Sigmaringen, NJW 1998, 3584, 3586; Grupp, in FS Lüke, S. 219; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 62; noch weitergehend Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 232: überhaupt kein Zwangsgeld.

956

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

nungshaft (§ 890 Abs. 1 Z P O ) 5 3 , sowie drittens durch Verneinung jeder M ö g lichkeit der Vollstreckung durch fingierte

Willenserklärung (§ 894 Abs. 1

Z P O ) 5 4 - , daß die dann nur noch verbleibenden Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten des § 172 V w G O in der Tat eher bescheiden anmuten. D a es sich bei den hier in Rede stehenden Innenrechtsakten nicht um Verwaltungsakte handelt 5 5 , scheidet indessen richtigerweise ein Rückgriff auf den speziell die Zwangsvollstreckung von Verpflichtungen zum Erlaß von Verwaltungsakten regelnden § 172 V w G O aus 5 6 , so daß die sämtlichen von § 167 Abs. 1 S. 1 V w G O i.V.m. §§ 888 ff. ZPO vorgesehenen Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten in Betracht kommen 5 7 . N i m m t man aber die hiernach eröffneten Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten ernst 5 8 und akzeptiert man sowohl die hohen Zwangs- und Ordnungsgelder 59 als 53 VGH Mannheim, VB1BW 1995, 191, 192; Bank, Zwangsvollstreckung, S. 89 f.; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 38; Grupp, in FS Lüke, S. 219; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 232; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 62. 54 Hierzu näher nachfolgend H.II.2.b.bb. 55 S. oben G.III.2.a. 56 Eingehend hierzu Roth,, VerwArch 2000, 18 ff. m.w.N. 57 Näher Roth,, VerwArch 2000, 39 f., daß auch bei der Vollstreckung gegen Behörden und Organe von Trägem öffentlicher Gewalt die Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten nach § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 888 ff. ZPO voll ausgeschöpft werden können; ebenso etwa VGH Kassel, NJW 1976, 1766; Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 165. - Die gegen jedwede gerichtliche Zwangsvollstreckungsmöglichkeit in Organstreitverfahren gerichtete Stellungnahme von Fehrmann, DÖV 1983, 314 f. hat mit Recht keine Zustimmung erfahren. 58 Vgl. nachdrücklich BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), NVwZ 1999, 1330, 1331. 59 Das Zwangs- bzw. Ordnungsgeld ist gegen das zu der fraglichen Handlung verurteilte Organ oder Organteil zu verhängen, nicht gegen den Hoheitsträger (vgl. VGH München, NVwZ-RR 1989, 669, 670; a.A. Zimmerling,, Organstreitigkeiten, S. 116 ff); vgl. allgemein zur Zwangsvollstreckung gegen die Organe juristischer Personen BGH, NJW 1992, 749, 750 f. m.w.N.; OLG Koblenz, VersR 1997, 1556, 1557; VGH Mannheim, VB1BW 1995, 191, 192; Bachof Die verwaltungsgerichtliche Klage, S. 165, 168 f.; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1088. - Daß Organe und Organteile nicht rechtsfähig sind und kein eigenes Vermögen, sondern allenfalls eigene Haushaltstitel haben (Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 116 ff), steht dem ebensowenig entgegen wie ihre fehlende Rechtsfähigkeit und Vermögensinnehabung ihre Verurteilung in die Verfahrenskosten hindert (dazu unten H.V.I.). Denn wie sich die Kostenschuldnerschaft aus der Beteiligtenstellung ergibt, so folgt auch die Stellung als Vollstreckungsschuldner nicht aus der Rechtsfähigkeit, sondern daraus, daß das unterliegende Organ oder Organteil als Prozeßbeteiligter verurteilt wurde. Im übrigen geht § 172 VwGO selbst davon aus, daß Zwangsgelder gegen die Behörde zu verhängen sind; dieser Grundsatz ist entsprechend auch bei der Zwangsvollstreckung nach § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 888, 890 ZPO zu beachten, so daß das vorgesehene Zwangs- oder Ordnungsgeld dem Organ oder Organteil aufzuerlegen ist (VGH München, NVwZ-RR 1989, 669, 670). Praktisch hat die Zwangsvollstreckung gegen das zuständige Organ oder Organteil den Vorteil, daß dadurch der Druck erhöht wird, weil das Zwangs- oder

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

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auch die - selbstverständlich nur in Extremfallen in Betracht kommende60 Möglichkeit der Verhängung von Zwangs- oder Ordnungshaft 61 als gesetzliche Ordnungsgeld so nicht auf den Gesamthaushalt der betreffenden Organisation verteilt wird, sondern haushaltstechnisch dem verantwortlichen Organ oder Organteil zur Last fällt. 60 Vgl. Roth, VerwArch 2000, 39 f., daß die Anordnung von Zwangs- oder Ordnungshaft besonders streng auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden muß. 61 Eine etwaige Zwangs- bzw. Ordnungshaft wäre natürlich nicht an dem verurteilten Organ oder Organteil zu vollstrecken, sondern an den Organwaltern in personam. Hierin liegt keine unzulässige Auswechslung des Vollstreckungsschuldners. Es ergibt sich vielmehr aus der Natur der Sache - nämlich daß nur natürliche Personen Haft absitzen können - , daß, wenn juristische Personen oder Organe Vollstreckungsschuldner sind, zwar ein etwaiges Zwangs- oder Ordnungsgeld gegen sie verhängt werden kann, daß gleichwohl aber Vollstreckungsschuldner von Zwangs- oder Ordnungshaft nur die gesetzlich für deren Willensbildung Verantwortlichen sein können, also etwa der Behördenleiter oder ein sonst verantwortlicher Organ waiter. So wie noch nie in Zweifel stand, daß Zwangs- und Ordnungshaft im Falle etwa einer GmbH oder Aktiengesellschaft gegen deren gesetzliche Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand) zu vollstrecken ist (BGH, NJW 1992, 749, 750; OLG Koblenz, VersR 1997, 1556, 1557; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 888 Rn. 12, § 890 Rn. 10; Zöller/Stöber, ZPO, § 888 Rn. 8, § 890 Rn. 6), so gibt es keinen Grund, in bezug auf hoheitliche Organe und ihre Organwalter anders zu verfahren. - Die These, daß Ordnungs- und Zwangshaft gegen Amtswalter öffentlicher Ämter grundsätzlich ausscheide (oben Fn. 53), verdient keine Zustimmung (vgl. Roth, VerwArch 2000, 39 f.). Ergänzend ist anzumerken, daß der Gesetzgeber durch § 888 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 904 Nr. 1 ZPO lediglich Parlamentsabgeordnete von der Vollstreckung von Zwangshaft ohne Zustimmung des Parlamentes ausgenommen hat, wohingegen § 888 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 910 ZPO für die Vollstreckung von Zwangshaft gegen Beamte zwar einige Besonderheiten, aber kein grundsätzliches Vollstreckungshindernis statuiert: Der für die Verhaftung zum Zwecke der Vollstreckung von Zwangshaft zuständige Gerichtsvollzieher (§ 909 Abs. 1 S. 1 ZPO) muß die vorgesetzte Dienstbehörde von der bevorstehenden Verhaftung des Beamten unterrichten, und die Verhaftung darf erst erfolgen, „nachdem die vorgesetzte Behörde für die dienstliche Vertretung des Schuldners gesorgt hat", was die vorgesetzte Behörde freilich unverzüglich veranlassen muß. Ist hiemach aber vom Gesetz selbst Vorkehrung getroffen worden, die Vollstreckung von Zwangshaft gegen Beamte in gemeinwohlverträglicher Weise zu ermöglichen, so gibt es keinen Grund, dies auf die Nichtbefolgung zivilgerichtlicher Urteile zu beschränken, vielmehr ist diese Regelung gemäß § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 888 Abs. 1, § 910 ZPO bei der Zwangsvollstreckung verwaltungsgerichtlicher Leistungsurteile entsprechend zu befolgen; das heißt, vor der der Vollstrekkung von Zwangshaft gegen einen Amtswalter eines öffentlichen Amtes ist die Dienstoder Rechtsaufsichtsbehörde zu benachrichtigen, um ihr Gelegenheit zu geben, Vorsorge gegen etwa drohende Störungen des Verwaltungsablaufs zu treffen. Ein Hindernis für die Vollstreckung von Ordnungshaft besteht ebensowenig: Sofern man auf diese §§ 904 ff. ZPO analog anwendet (hierfür Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1109; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 890 Rn. 24), gilt das eben Ausgeführte. Sofern man hingegen mit der wohl h.M. die Vollstreckung von Ordnungshaft nach der Strafvollstreckungsordnung bejaht (hierfür Brehm, in Stein/Jonas, ZPO, § 890 Rn. 44; Thomas/Putzo, ZPO, § 890 Rn. 32), ist zu bemerken, daß diese wiederum zwar gewisse

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Zwangsvollstreckungsmittel gegen hoheitliche Organe und Organteile, und zwar eben auch in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren, dann dürften sich die Effektivitätsbedenken schon aus diesem Grunde weitestgehend erledigen. Gänzlich entfallen dürften etwaige verbleibende Effektivitätsbedenken schließlich jedenfalls dann, wenn man die Möglichkeit der Vollstreckung nach § 167 Abs. 1 S. 1 V w G O i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO in den B l i c k nimmt.

bb) Zur Vollstreckung von Leistungsurteilen auf Abgabe einer Willenserklärung in Organstreitverfahren Tatsächlich zeigt nähere Betrachtung, daß in Organstreitverfahren eine V o l l streckung von Leistungsurteilen auf Abgabe von Willenserklärungen

nach

§ 167 Abs. 1 S. 1 V w G O i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO möglich ist. Damit aber entfällt schon die Prämisse des Effektivitätseinwandes, daß ein auf Aufhebung eines Innenrechtsaktes lautendes Leistungsurteil überhaupt noch eines besonderen Vollstreckungsaktes bedürfe. Die Aufhebung eines Innenrechtsaktes durch ein Organ oder Organteil ist eine (öffentlich-rechtliche) Willenserklärung 6 2 , und für verfahrensmäßige Sonderregelungen für die Vollstreckung gegen Soldaten der Bundeswehr enthält (vgl. dazu Isak/Wagner, Strafvollstreckung, Rn. 219 ff), nicht aber allgemein für Beamte oder Amtsträger, so daß der Gesetzgeber auch insoweit kein Vollstrekkungshindernis etabliert hat. - Theoretisch wäre es hiemach entgegen Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 62 Fn. 258 sogar vorstellbar und keineswegs „absurd", notfalls „den gesamten Gemeinderat" in Zwangs- oder Ordnungshaft zu nehmen. Wenn es möglich ist, erforderlichenfalls mehrere oder gar sämtliche Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft in Zwangshaft zu nehmen (vgl. BGH, NJW 1992, 749, 750; U. Bauer, Organklagen, S. 84 f.), nämlich alle diejenigen, die für die Befolgung der gerichtlichen Anordnung zuständig sind und sich dieser verweigern, so gibt es keinen durchgreifenden Grund, weshalb dies aus besonders wichtigem Anlaß nicht auch beispielsweise bei den Mitgliedern des Gemeinderats möglich sein sollte. Daß dadurch die „Erfüllung der öffentlichen Aufgaben nicht mehr gewährleistet" wäre (.Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 62; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 38), ist unzutreffend. Denn zum einen ist hier an das Eilentscheidungsrecht des Bürgermeisters (§ 43 Abs. 4 S. 1 GemO BW) zu erinnern, femer an die Möglichkeit der Entscheidung des Bürgermeisters anstelle des Gemeinderats (§ 37 Abs. 4 S. 1 GemO BW), und schließlich an die Möglichkeit der Bestellung eines Beauftragten durch die Rechtsaufsichtsbehörde (§ 124 GemO BW). Freilich wird sich die Frage der Verhängung von Zwangs- oder Ordnungshaft gegen die (sich mehrheitlich sperrenden) Mitglieder von Kollegialorganen nicht oft stellen. Denn Kollegialorgane schulden auch im Innenverhältnis zu ihren Mitgliedern oder zu anderen Organen in aller Regel keine Realakte, sondern Beschlußfassungen, und diese sind einer Zwangsvollstreckung nach § 167 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO zugänglich (nachfolgend H.II.2.b.bb), in welchem Falle Zwangs- und Ordnungshaft unnötig und damit natürlich auch unzulässig wären. 62 Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 233; Kopp/Schenke, VwGO, § 172 Rn. 1; Lüders, Ratsausschüsse, S. 147; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 60 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 119 f.

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

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diese trifft § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO eine spezielle Vollstreckungsregelung: im Falle der Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung gilt die Erklärung als abgegeben, sobald das Leistungsurteil Rechtskraft erlangt hat. Diese Fiktion ist nicht Inhalt, sondern Wirkung des Urteils; es handelt sich nicht um ein Gestaltungsurteil, sondern um ein Leistungsurteil, dem durch das Gesetz als unmittelbare Vollstreckungswirkung die bezeichnete Fiktion beigelegt wird 63 . Die Zwangsvollstreckung im Wege einer Erklärungsfiktion stellt nun aber eine Vollstreckungsform dar, die an Effektivität einem Gestaltungsurteil in nichts nachsteht; somit ist ein nach § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO zu vollstreckendes Leistungsurteil auf Aufhebung eines Innenrechtsaktes genauso rechtsschutzeffektiv wie ein diesen Innenrechtsakt kassierendes Gestaltungsurteil. Allerdings wird teilweise bestritten, daß öffentlich-rechtliche Willenserklärungen, die eine spezifisch hoheitliche Regelung treffen, überhaupt einer Vollstreckung nach § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO zugänglich sind. Vielmehr wird diesbezüglich eine analoge Anwendung des § 172 VwGO befürwortet 64, der für Verpflichtungsurteile auf Erlaß eines Verwaltungsakts ein eigenes Vollstreckungsregime aufstellt, nämlich lediglich Zwangsgeld vorsieht. Dieser Einschränkung ist jedoch nicht beizutreten. Zunächst ist zu bemerken, daß es schon in sich wenig stimmig ist, wenn zuerst eine analoge Heranziehung des § 172 VwGO befürwortet wird, um zum Schutze der Verwaltung die Fiktion der Aufhebungserklärung nach § 894 Abs. 1 ZPO auszuschließen, dann aber im Interesse effektiven Rechtsschutzes den Gerichten eine unmittelbare Gestaltungsbefugnis zugebilligt wird, um den Innenrechtsakt selbst kassieren zu können 65 . Daß der Gesetzgeber in § 172 VwGO eine besondere Regelung für Verpflichtungsurteile getroffen hat, beruhte vor allem auf seinem Willen, klarzustellen, daß solche Urteile überhaupt vollstreckungsfähig sind. Eine Absicht, damit in anderen Fällen weiter reichende Zwangsvollstreckungsmöglichkeiten auszuschließen, ist dem nicht zu entnehmen66. Zudem besteht bei Verwaltungsakten die Besonderheit, daß diese meistenteils im Außenverhältnis der Verwaltung zum Bürger ergehen, seltener auch im Verhältnis von Hoheitsträgern untereinander; der Gesetzgeber sah von daher Anlaß, den Gerichten besondere Zurück63

RGZ 62, 152, 157; 88, 198, 202; Bank,, Zwangsvollstreckung, S. 108; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 233; Musielak/Lackmann, ZPO, § 894 Rn. 1; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 894 Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO, § 894 Rn. 1; Zimmerling,, Organstreitigkeiten, S. 121. 64 Ewald, WissR 1970, 41; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 38; Grupp, in FS Lüke, S. 219; Kopp/Schenke, VwGO, § 172 Rn. 1; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 61. 65 Vgl. etwa Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 38; Grupp, in FS Lüke, S. 219, 222 f.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 61, 79 ff. 66 Vgl. Roth., VerwArch 2000, 29 ff.

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haltung aufzuerlegen und sie nicht stärker als wirklich unabdingbar in den Verwaltungsbereich eingreifen zu lassen. Außerdem ist sehr zutreffend bemerkt worden, daß es vielfach „verwaltungsmäßig absolut untragbar" wäre, könnte das Gericht selbst einen Verwaltungsakt erlassen 67, insbesondere in den nicht seltenen Fällen, in denen Verwaltungsakte in formular- oder gar ausweismäßiger Form zu ergehen pflegen, um eine eventuelle spätere Kontrolle und Nachprüfung zu erleichtern. Dazu kommt, daß Verwaltungsakte vielfach ein in die Zukunft gerichtetes Eigenleben entfalten, insbesondere auch einem speziellen Rücknahme- und Widerrufsregime unterliegen, mittels welchem auf später erkannte oder sich später entwickelnde Umstände reagiert werden kann. Hier könnte es dann aber befremden, wenn die Behörde hinginge und einen durch das Gericht erlassenen Verwaltungsakt vielleicht im Wege einer Ermessensentscheidung später aufhöbe. Daß Gerichtsurteile im Falle einer relevanten Änderung der Sach- oder Rechtslage ihre Bindungswirkung verlieren können, ist zwar eine allgemeine Erscheinung 68. Es ist aber eine ganz andere Sache, ob die Behörde nur nicht mehr an den Urteilsspruch gebunden ist, oder ob die Behörde gezwungen und befugt sein kann, den Urteilsspruch selbst aufzuheben, welche Konsequenz sich ergäbe, wenn das Gericht im Tenor seines Urteils einen Verwaltungsakt erließe. Deshalb haben sich die Gerichte auf den Ausspruch einer vollstreckbaren Verpflichtung zum Erlaß eines Verwaltungsakts zu beschränken und können nicht selbst einen Verwaltungsakt erlassen. Alle diese Bedenken bestehen in deutlich minderem Maße, wenn die Gerichte über Rechtsstreitigkeiten im Innenbereich der Verwaltung judizieren 69 : Das Wesen der Verwaltung besteht in der Umsetzung verwaltender Tätigkeit im Verhältnis zum Bürger; die verwaltungsinternen Vorgänge einschließlich des kompetenzordnungsgemäßen Organisationsablaufs sind in bezug auf diesen Endzweck lediglich Vorbereitungshandlungen. Könnte das Gericht selbst einen Verwaltungsakt erlassen oder käme dem Urteilsspruch qua Abgabefiktion eine verwaltungsaktssetzende Wirkung zu, so würde in einer sehr viel gravierenderen Weise in den eigentlichen Aufgabenbereich der Verwaltung eingegriffen, als wenn es bloß zu einer (fiktiven) Ersetzung von Innenrechtsakten kommt. Außerdem kann es, wenn die Entscheidungswirkungen im Verwaltungsinternen verbleiben, auch nicht zu den im Verhältnis der Verwaltung zum Bürger zu befürchtenden verwaltungsmäßigen 67

Naumann, in Verhandlungen des 38. DJT, D 26 unter Anfuhrung des Beispiels eines Verpflichtungsurteils auf Ausstellung eines Führerscheines: in der Tat wäre es abstrus, könnte man dem Polizisten bei der Verkehrskontrolle statt des amtlichen Führerscheines ein verwaltungsgerichtliches Urteil vorzeigen. 68 Vgl. Bader/Kuntze, VwGO, § 121 Rn. 23; Clausing , in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 121 (Lfg. 1996) Rn. 68, 71 ff.; Eyermann/Rennert, VwGO, § 121 Rn. 45 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, §121 Rn. 28; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 627 ff. 69 Nicht zwingend daher Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 61, die hier sogar einen Erst-recht-Schluß aus § 172 VwGO vertritt.

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

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Unzuträglichkeiten oder Absurditäten kommen. Hiernach ist § 172 VwGO nicht analog auf die Zwangsvollstreckung der Pflicht zum Erlaß von Innenrechtsakten anzuwenden, sondern ist diesbezüglich an der gesetzlichen Vollstreckungsregelung des § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO festzuhalten 70, wobei aber freilich eine solche Zwangsvollstreckung im Wege einer Erklärungsfiktion auch bei Innenrechtsakten nur möglich ist, wenn die abzugebende Willenserklärung inhaltlich bestimmt ist 71 .

c) Schutz der Verwaltung vor allgemeinen Gestaltungsurteilen Nachdem die Entstehungsgeschichte der VwGO und die restriktive Rechtslage unter der ZPO eher gegen die Anerkennung einer allgemeinen verwaltungsprozessualen Gestaltungsklage sprechen und nachdem sich aus dem Gedanken der Effektivität des Rechtsschutzes kein Argument für deren Notwendigkeit gewinnen läßt, gibt letztlich die Überlegung den Ausschlag, daß die gerichtliche Kassation eines behördlichen Rechtsaktes als unmittelbarer Übergriff in den Bereich der Verwaltung einen weiter reichenden Eingriff darstellt als ein Leistungsurteil 72 und deshalb ein Gestaltungsurteil nur zulässig sein kann, wenn es gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist 73 . Es ist natürlich richtig, daß das Gewaltenteilungsprinzip nicht zuletzt die Kontrolle der Verwaltung durch die Gerichte bezweckt und gleichermaßen der Sicherung der Rechtsordnung überhaupt wie speziell auch dem Schutz subjektiver Rechte vor etwaigen Verletzungen durch Verwaltungsorgane dient 74 . Insofern ist es der Verwaltungsgerichtsbarkeit wesenseigen, in den Funktionsbereich der Verwaltung hineinzuwirken. Diese Erkenntnis rechtfertigt aber nicht den Schluß, daß diese judikative Einwirkung auf 70

Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 232 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 146 f.; Roth, VerwArch 2000, 37 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 119 f. 71 Roth, VerwArch 2000, 37 f. - Zum Erfordernis der Bestimmtheit der Willenserklärung als Voraussetzung einer Vollstreckung nach § 894 Abs. 1 ZPO und als Abgrenzungsmerkmal zur Vollstreckung nach § 888 Abs. 1 ZPO vgl. Brehm, in Stein/Jonas, ZPO, § 894 Rn. 1, 5; Schilken, in MünchKomm ZPO, § 894 Rn. 5; Zöller/Stöber, ZPO, § 894 Rn. 2. 72 Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 8b; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, vor § 42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 20; vgl. BVerwGE 14, 323, 327; das konzediert auch Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 90 f.; a.A. OVG Lüneburg, OVGE 2, 225, 232; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 9 Rn. 4. 73 VGH Freiburg, DVB1. 1953, 269, 270; Ehlers, NVwZ 1990, 105; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 8b; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 371; a.A. Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 79 ff., 90 f. 74 Vgl. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 157; Felix/Schwarplys, ZBR 1996, 39; Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 300; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 138 f.; Karst, Der rechtswidrige Gemeinderatsbeschluß, S. 125 f.; Stumpf, BayVBl. 2000, 105. 63 Roth

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

die Verwaltungstätigkeit in der jeweils stärkstmöglichen Form erfolgen dürfte. Soweit nicht die Wahrung des Rechts und die Effektivität des subjektiven Rechtsschutzes in Gefahr geraten, kann dem Gewaltenteilungsgrundsatz vielmehr sehr wohl ein Gebot möglichster Schonung jeder der Gewalten durch die anderen entnommen werden 75. Jede der Gewalten hat die ihr zugedachte spezifische Funktion natürlich gerade dann zu Lasten der anderen wahrzunehmen, wenn dies im Interesse der (Verfassungs)Rechtsordnung indiziert ist. Deshalb können und müssen die Gerichte auch Entscheidungen fällen, die in den Verwaltungsbereich hineinwirken. Sofern aber die effektive Wahrung des Rechts auf zwei Wegen möglich ist, haben die Gerichte den fur die Verwaltung schonenderen Weg zu beschreiten. Jedenfalls solange nicht ein Gestaltungsurteil zwecks effektiven Rechtsschutzes unabdingbar ist 76 , dürfen die Gerichte ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung einer Gestaltungsklage nur Leistungsurteile aussprechen, welche die Verwaltung zur Aufhebung des fraglichen Aktes verpflichten 77 . Eine allgemeine Gestaltungsklage ist hiernach nicht anzuerkennen. Die Ablehnung einer kassatorischen allgemeinen Gestaltungsklage zur Schonung der Verwaltung widerspricht nicht der vorstehend bejahten Möglichkeit der Vollstreckung eines allgemeinen Leistungsurteils auf Aufhebung eines Innenrechtsaktes nach § 167 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO. Denn bei einem Gestaltungsurteil gestaltet unmittelbar der gerichtliche Spruch die Rechtslage, dagegen bei der Vollstreckung nach § 894 Abs. 1 ZPO spricht das Gericht lediglich die Pflicht zur Abgabe einer Willenserklärung aus; die Abgabefiktion dagegen ist, wie schon erwähnt, eine gesetzliche Vollstreckungswirkung und damit dem Gesetz, nicht dem Richterspruch zuzuschreiben. Daß das Gesetz in Gestalt einer Erklärungsfiktion selbst die Vollstreckung bewirkt, ist im Blick auf die Gewaltenteilung etwas völlig anderes als wenn das Gericht selbst die betreffende Erklärung setzen bzw. kassieren könnte. Deshalb stellt es keinen Wertungswiderspruch dar, wenn der Gesetzgeber davon abgesehen hat, eine allgemeine Gestaltungsklage zuzulassen, zugleich aber die Entscheidung getrof-

75

Vgl. BVerwG, NVwZ 1990, 162, 163; OVG Münster, NWVBl. 1994, 414. Insofern bejaht VGH München, VGH n.F. 29, 37, 39 die Gestaltungsklage mit Recht fur den Fall, „wenn nur auf diese Weise dem Rechtsschutzbegehren des Klägers Rechnung getragen werden kann" (Hervorhebung durch Verfasser); ebenso Erichsen, in FS Menger, S. 232; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 70; vgl. insoweit auch BVerwG, NVwZ 1999, 870, 871. 77 Entgegen Stumpf, BayVBl. 2000, 105 kommt es nicht darauf an, ob die allgemeine Gestaltungsklage nachgerade in den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Exekutive eingriffe: denn es geht vorliegend nicht darum, ob der Gesetzgeber die allgemeine Gestaltungsklage einfuhren dürfte - das wäre allerdings grundsätzlich zu bejahen - , sondern ob die Gerichte ohne diesbezügliche gesetzliche Ermächtigung generell gestaltend in das Verwaltungshandeln eingreifen dürfen - und dies ist zu verneinen. 76

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

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fen hat, Leistungsurteile auf Abgabe einer Willenserklärung im Wege einer Erklärungsfiktion ipso iure zu vollstrecken.

3. Die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Organrechtsverletzungen auch durch Rechtssätze möglich sind, nämlich wenn der betreffende Rechtssatz seinem Inhalt nach oder wenn er wegen der Art seines Zustandekommens subjektive Organrechte verletzt 78 . Nun ist zwar der unmittelbare Angriff gegen einen Rechtssatz keine Organstreitigkeit im prozessualen Sinne, weil ein Rechtssatz immer nur dem Rechtsträger und nicht dem normgebenden Organ angerechnet werden kann 79 ; auch die oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO ist nicht als Organstreitigkeit ausgestaltet, nachdem der Antrag gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten ist 80 , welche die Rechtsvorschrift erlassen hat, und nicht gegen das normgebende Organ 81. Aufgrund der Problemnähe erscheint hier gleichwohl erörterungswürdig, ob und inwieweit in den Ländern, die von der Möglichkeit des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht haben82, ein durch eine kommunale Satzung und ähnliche untergesetzliche Rechtsvorschriften in seinen Rechten verletztes Organ dieser Verletzung durch einen Normenkontrollantrag begegnen83 und in diesem Sinne ein „kommunalverfassungsrechtliches Normenkontrollverfahren" 84 initiieren kann. Für die Antwort ist nun wiederum zwischen den beiden Verletzungskonstellationen zu unterscheiden.

78

Zu dieser Unterscheidung oben G.IV.3.C. S. oben G.IV.3.C. 80 Auch wenn man der Ansicht wäre, daß das Gesetz bloße Gliedkörperschaften ohne juristische Persönlichkeit (z.B. Fakultäten oder Fachbereiche) ermächtigen kann, selbst für sich und nicht nur als zuständige Organe der sie tragenden juristischen Person (also etwa der Hochschule) zu erlassen, so daß ein Rechtssubjekt ohne juristische Persönlichkeit Träger von Rechtssätzen wäre (von dieser Möglichkeit geht V G H Kassel, NVwZRR 1991, 80, 81 aus), ergäbe sich keine Organstreitigkeit: denn solchenfalls wäre ein Normenkontrollantrag gegen diese Gliedkörperschaft zu richten (VGH Kassel, NVwZRR 1991, 80, 81), nicht gegen das normgebende Organ jener Gliedkörperschaft. 81 S. oben B.I.l.b. 82 Vgl. dazu Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §47 (1. EL 1997) Rn. 20 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 47 Rn. 7; Ziekow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 84 ff. 83 Grundsätzlich bejahend BVerwG, NVwZ 1988, 1119, 1120; OVG Lüneburg, DVBl. 1999, 1737; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 156; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §21 Rn. 15; Stober, Kommunalrecht, § 15 X I 1; verneinend Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 166. 84 Stober, Kommunalrecht, § 15 X I 1. 79

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Wenn die betreffende Rechtsvorschrift ihrem Inhalt nach subjektive Organrechte verletzt, dann kann das verletzte Organ oder Organteil analog § 47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO unter Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung einen Normenkontrollantrag stellen85. §47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO spricht zwar nur von natürlichen und juristischen Personen als Antragsberechtigten. Nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung muß die Antragsbefugnis jedoch auf alle nach § 61 Nr. 2 VwGO Beteiligungsfähigen erstreckt werden 86, und damit sind auch Organe und Organteile erfaßt 87. Hiernach können namentlich Gemeinderatsmitglieder oder Gemeinderatsfraktionen einen Normenkontrollantrag stellen88, z.B. gegen eine die Sitzverteilung im Gemeinderat regelnde Satzung89 oder gegen eine die Fraktionsmindeststärke festsetzende Satzungsbestimmung90. Anzumerken ist, daß sich die Antragsbefugnis der in ihren Rechten verletzten Organe und Organteile nicht über das Behördenantragsrecht gemäß § 47 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz VwGO begründen läßt 91 , weil diese Alternative nicht dem Schutz etwaiger subjektiver Rechte der antragstellenden Behörde dient. Nur falls das in seinen Organrechten verletzte Organ zufälligerweise als Behörde die fragliche Vorschrift anzuwenden haben sollte 92 , könnte sie den Normenkontrollantrag auch nach dieser Bestimmung stellen93. Freilich dürfte diese Antragsmöglichkeit keine große praktische Bedeutung gewinnen94, da es nicht eben häufig der Fall sein wird, daß ein bei Normerlaß übergangenes Organ die betreffende Rechtsnorm später als Behörde anzuwenden hat. Denkbar ist eine solche Situation immerhin gleichwohl, z.B. wenn der Bürgermeister unter in concreto irriger Berufung auf sein Eilentscheidungsrecht eine Satzung erläßt 95, auf

85

Vgl. OVG Lüneburg, DVB1. 1999, 1737. VGH Kassel, ESVGH 45, 161; VGH München, BayVBl. 1981, 719 f.; Kopp/ Schenke, VwGO, § 47 Rn. 24; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 886 Fn. 16b; Zie kow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 232; a.A. VGH Mannheim, ESVGH 24, 27, 86

28. 87

Zu deren Beteiligungsfähigkeit analog § 61 Nr. 2 VwGO oben H.I.l.a. BVerwG, NVwZ 1988, 1119, 1120; VGH Kassel, ESVGH 45, 161 f.; OVG Lüneburg, DVB1. 1999, 1737. 89 Ziekow, in NKVwGO, § 47 (1. EL 1998) Rn. 232. 90 BVerwG, NVwZ 1988, 1119, 1120; VGH München, BayVBl. 2000, 467. 91 A.A. wohl Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 156. 92 Zu dieser Antragsvoraussetzung oben B.I. 1 .b. 93 Vgl. Staudacher, JZ 1985, 971. 94 So auch Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 156. 95 Zur grundsätzlichen Möglichkeit eines Satzungserlasses im Wege einer Eilentscheidung vgl. OVG Münster, NWVB1. 1988, 336; Gern,, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 377. 88

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

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deren Grundlage der Gemeinderat anschließend eine Verwaltungsentscheidung treffen soll 96 . Alleine das Behördenantragsrecht kann die Normenkontrolle eröffnen, wenn die inkriminierte Rechtsvorschrift nicht inhaltlich organrechtsverletzend ist, sondern wenn sie unter Mißachtung subjektivrechtlicher Mitwirkungsbefugnisse erlassen worden ist und also lediglich die Art ihres Zustandekommens als rechtsverletzend gerügt werden soll. In einem solchen Fall läßt sich die Antragsbefugnis nämlich nicht auf die analoge Anwendung des § 47 Abs. 2 S. 1, 1. Halbsatz VwGO stützen, weil fur die Antragsbefugnis nach dieser Alternative ebenso wie bei der Anfechtungsklage 97 eine Konnexität zwischen dem Inhalt des Rechtsaktes und der geltend gemachten Rechtsverletzung vorauszusetzen ist: Die Rechtsvorschrift selbst oder ihre Anwendung muß subjektive Rechte verletzen; daß sie unter Verletzung subjektiver Organrechte erlassen wurde, genügt für die Antragstellung nach dieser Alternative nicht. Sofern daher eine in den Anwendungsbereich des § 47 Abs. 1 VwGO fallende Rechtsnorm unter Verletzung subjektiver Organrechte erlassen wurde, kann das übergangene Organ deshalb nur dann einen Normenkontrollantrag stellen, wenn es zufällig als Behörde mit der Anwendung dieser Vorschrift befaßt sein sollte 98 . Denn da die Antragsmöglichkeit gemäß § 47 Abs. 2 S. 1, 2. Halbsatz VwGO für die antragstellende Behörde als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren konzipiert ist und es nicht auf eine subjektive Rechtsverletzung ankommt99, schadet in dieser Alternative die fehlende Konnexität nicht. Das in seinen Organrechten verletzte Organ oder Organteil hat die Wahl, ob es einen nach den vorstehenden Grundsätzen zulässigen Normenkontrollantrag oder einen geeigneten Antrag im Organstreitverfahren (z.B. Leistungsklage auf Aufhebung des Rechtssatzes100, Klage auf Feststellung der Rechtsverletzung 101) stellt. Die Normenkontrolle und das Organstreitverfahren schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern sind nebeneinander statthaft 102. Dies gilt schon deswegen, weil die Normenkontrolle nach § 47 Abs. 2 S. 2 VwGO gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten ist, das Organstreitverfahren hingegen 96 Die eigene Aufhebungsmöglichkeit des Gemeinderats schlösse seine Antragsbefugnis als Behörde nicht aus, vgl. oben B.I.l.b. 7 S. zu dieser Parallelproblematik oben G.IV.3.a.aa. 98 Herbert, DÖV 1994, 113 f. 99 S. oben B.I.l.b. 100 Vgl. V G H Mannheim, VB1BW 2000, 474. 101 Vgl. VerfG M V , LKV 1997, 94, 95; hierzu bereits oben G.IV.3.C. 102 VerfG Hbg., NJW 1998, 1054. Vgl. allgemein dazu, daß das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO und andere Verfahren des Individualrechtsschutzes in keinem Subsidiaritätsverhältnis stehen, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen und parallel in Anspruch genommen werden können, V G H München, BauR 1999, 1275, 1276.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

gegen das normsetzende Organ. Das Normenkontrollverfahren trägt außerdem starke Züge eines objektiven RechtsbeanstandungsVerfahrens und ist auch von daher nicht als spezieller Rechtsbehelf gegenüber einem dem subjektiven Rechtsschutz dienenden Organstreitverfahren anzusehen103.

4. Allgemeine Leistungsklage und Feststellungsklage Organe und Organteile haben ihre Leistungsansprüche untereinander mittels allgemeiner Leistungsklage zu verfolgen 104 , gleich ob es hierbei um die Geltendmachung eines Anspruchs auf Vornahme eines innerorganisatorischen Rechtsaktes bzw. eines schlichten Verwaltungshandelns 105 oder um einen Unterlassungsanspruch geht. Insbesondere sind auch Folgenbeseitigungsansprüche auf Aufhebung organrechtsverletzender Innenrechtsakte in diesem Wege einzuklagen. Besonderheiten hinsichtlich des Antrags oder des Urteils werfen organrechtliche Leistungsklagen nicht auf. Schließlich kommt in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren die Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO in Betracht. Durch ein subjektives Organrecht wird nämlich ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem berechtigten und dem verpflichteten Organ bzw. Organteil begründet 106. Bei Vorliegen des erforderlichen berechtigten Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art kann daher jedes Organ oder Organteil die Feststellung des Bestehens eines bestimmten subjektiven Organrechtes, konkret also einer be103

A.A. Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 156. VGH München, BayVBl. 1970, 222; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, vor §42 Abs. 1 (Lfg. 1996) Rn. 18; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 3 b. - Die eine allgemeine Leistungsklage im Organstreitverfahren ablehnende Ansicht von Fuß, WissR 1972, 119 f. und Tsatsos, Organstreit, S. 53 ist zu Recht auf Widerspruch gestoßen und ohne weitere Gefolgschaft geblieben, vgl. Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 115 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 111 ff. 105 VGH Mannheim, NVwZ 1984, 664; OVG Münster, NVwZ 1999, 1252, 1253. 106 VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 293; v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 436; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 182; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 161; Jokkisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 112 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 113 f.; Kopp/Schenke, VwGO, §43 Rn. 10; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 129 f.; Puttfarcken, in FG Ule, S. 69; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 432; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 117; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 202. Im Ergebnis auch Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 158 f. und Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 161 f., die jedoch widersprüchlicherweise Kompetenzen nicht als subjektive Rechte verstehen und dennoch § 43 Abs. 1 VwGO unmittelbar auf deren Feststellung anwenden wollen, obschon eine bloß objektivrechtliche Kompetenz kein Rechtsverhältnis begründet und ein Streit um objektives Recht auch bei noch so großem Interesse kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis betrifft. 104

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stimmten subjektivrechtlichen Kompetenz oder Mitwirkungsbefugnis etc. begehren, bzw. umgekehrt feststellen lassen, daß die v o n einem anderen Organ oder Organteil in Anspruch genommene Kompetenz diesem nicht zusteht 1 0 7 . Entgegen einer vielfach vertretenen A n s i c h t 1 0 8 ist dabei auch i m Organstreitverfahren die Subsidiarität

der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 S. 1 V w G O ) zu be-

achten 1 0 9 ; diese gilt analog § 43 Abs. 2 S. 2 V w G O 1 1 0 nur dann nicht, wenn das klagende Organ analog § 43 Abs. 1, 2. A l t . V w G O 1 1 1 die (allerdings nur ausnahmsweise gegebene 1 1 2 ) N i c h t i g k e i t eines Innenrechtsaktes feststellen lassen will113. Tatsächlich spielt die Feststellungsklage in der Praxis der verwaltungsgerichtlichen Organstreitigkeiten die wichtigste Rolle. Dies dürfte in erster L i n i e daran liegen, daß sich Innenrechtsakte oftmals recht kurzfristig erledigen 1 1 4 und dadurch einer Leistungsklage in der Hauptsache der Boden entzogen wird, teilweise auch daran, daß sich die fraglichen Innenrechtsakte bereits unwiderruflich i m Außenverhältnis realisiert haben k ö n n e n 1 1 5 und dann ihre interne Aufhebung

107

Vgl. OVG Berlin, LKV 2000, 453, 455. V G H Mannheim, VB1BW 1992, 97, 98; OVG Münster, NWVBl. 1998, 149; Bethge, Die Verwaltung 1975, 482 f.; Gern,, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 792; Henrichs, DVBl. 1959, 560 f.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 18 Rn. 14; Preusche, N V w Z 1987, 857 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 118; Zimmerling,, Organstreitigkeiten, S. 130 f.; für eine „großzügige" Handhabung auch Eric hse n/Bier mann, Jura 1997, 162. 109 V G H Mannheim, ESVGH 23, 203, 205 f.; V G H München, V G H n.F. 29, 37, 39; Bauer/Krause, JuS 1996, 414 f.; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 182 f.; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 185; Ehlers, N V w Z 1990, 107; Ewald, WissR 1970, 45 f.; Grupp, in FS Lüke, S. 220 f.; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 201; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 117 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 112; Kopp/Schenke, VwGO, §43 Rn. 28; Krebs, Jura 1981, 580; Pietzcker, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 (Lfg. 1996) Rn. 45; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 48; Stumpf, BayVBl. 2000, 108; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 416, 674. 110 § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO ist hier nur analog heranzuziehen, da Innenrechtsakte keine Verwaltungsakte sind, s. oben G.III.2.a. 111 Auch die Nichtigkeitsfeststellungsklage kann nur in Analogie zu §43 Abs. 1, 2. Alt. VwGO erhoben werden, weil Innenrechtsakte keine Verwaltungsakte sind. 112 S. oben G.III.4.C. 113 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 183; Deng, Gemeindeverfassungsstreitigkeiten, S. 185; gegen die Möglichkeit einer Nichtigkeitsfeststellungsklage bei Innenrechtsakten Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 148; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 202 f. 114 Zu der hieraus resultierenden Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes vgl. unten H.IV. 115 Zu den materiellrechtlichen Einschränkungen, welche bei der Aufhebung von Außenrechtsakten zwecks Erfüllung innerorganisatorischer Folgenbeseitigungsansprüche zu beachten sind, vgl. oben G.IV.3.a.bb (4). 108

968

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

sinnlos w ä r e 1 1 6 ; in allen solchen Fällen erledigter organrechtsverletzender Maßnahmen kann Rechtsschutz in der Hauptsache nur noch i m Wege einer Feststellungsklage erlangt werden 1 1 7 . Obschon es sich hierbei nicht um eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 V w G O handelt 1 1 8 - diese wäre nur dann die richtige Klageart, wenn der betreffende Innenrechtsakt als Verwaltungsakt zu qualifizieren wäre 1 1 9 , was hier jedoch abgelehnt worden i s t 1 2 0 - , sondern um eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 V w G O , ist in Ansehung erledigter Maßnahmen aufgrund des gleichgelagerten Sachverhalts das berechtigte Interesse an der Feststellung nach denselben Grundsätzen zu beurteilen, nach denen sonst das Feststellungsinteresse bei Fortsetzungsfeststellungsklagen angenommen w i r d 1 2 1 . I m Ergebnis bedeutet dies, daß gegenüber erledigten

or-

ganrechtsverletzenden Maßnahmen ein berechtigtes Feststellungsinteresse im Sinne des § 43 Abs. 1 V w G O bei Wiederholungsgefahr 1 2 2 , bei diskriminierenden Maßnahmen 1 2 3 und bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahmen von einigem G e w i c h t 1 2 4 zu bejahen ist 1 2 5 . Der praktisch häufigste Fest116

Vgl. Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 200; Wengenroth, Rechtsstellung, S. 204. VGH München, BayVBl. 1988, 16; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 200; Kopp/ Schenke, VwGO, § 113 Rn. 114; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 338; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 674 f. 118 Hierfür aber Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 790; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 151; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 117; Stumpf, BayVBl. 2000, 107; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 152. 119 VGH München, NVwZ 1988, 83, 84; Bauer/Krause, JuS 1996, 415; Kopp/ Schenke, VwGO, § 113 Rn. 114; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 338; a.A. Ehlers, NVwZ 1990, 107; Eyermann/J. Schmidt, VwGO, § 113 Rn. 106. 120 S. oben G.III.2.a. 121 VGH Mannheim, VB1BW 1993, 469, 470; v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 436; Eyermann/J Schmidt, VwGO, § 113 Rn. 106; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 23; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 136 f.; vgl. BVerwG, DVB1. 1999, 1660, 1662. 122 VGH Kassel, ESVGH 44, 291, 295; OVG Koblenz, AS 10, 55, 57 f.; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 204; VGH München, VGH n.F. 35, 148, 149; NVwZ 1988, 83, 84; OVG Münster, OVGE 32, 192, 195; NWVB1. 1998, 149; Erichsen/Biermann, Jura 1997, 162. 123 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; VGH München, VGH n.F. 35, 148, 149; vgl. v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 436; a.A. Erichsen/Biermann, Jura 1997, 162. 124 Vgl. für Grundrechtseingriffe BVerfGE 96, 27, 39 f.; BVerfG (1. Kammer des 1. Senats), NVwZ 1999, 290, 291 f.; BVerfG (1. Kammer des 2. Senats), BayVBl. 1999, 339; BVerwG, NVwZ 1999, 991. - Der Gedanke, daß effektiver Rechtsschutz nicht dadurch unmöglich gemacht werden darf, daß sich die eingreifende Maßnahme typischerweise kurzfristig erledigt (OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188, 1189; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 145; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 583; a.A. VGH München, NVwZ-RR 1999, 378), gilt auch für Organrechtseingriffe. Denn zwar stehen Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts in aller Regel nicht unter dem Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG (oben B.I.2.a). Insoweit subjektive Organrechte aber der Gewaltenteilung und der Verwirklichung des Demokratieprinzips dienen (oben F.II. 1 .a.bb und cc), erzwingt dieser verfassungsrechtliche Hintergrund doch allemal ih117

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

969

stellungsgrund der Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, daß unter im wesentlichen unveränderten Umständen eine gleichartige Maßnahme ergehen wird 1 2 6 . Zum Rehabilitationsinteresse bei diskriminierenden Maßnahmen ist zu beachten, daß es keine Organstreitigkeit darstellt, wenn ein Organwalter seine persönliche Ehre und sein Ansehen in der Öffentlichkeit verteidigen will 1 2 7 ; diese Ziele muß er in einem Außenrechtsstreit gegen den betreffenden Träger öffentlicher Gewalt verfolgen, dem insoweit die diskriminierende Äußerung oder Maßnahme angerechnet wird 1 2 8 . Eine Organstreitigkeit kann hier nur Platz greifen, wenn durch die betreffende Maßnahme zugleich das Funktionsinteresse des betroffenen Organs oder Organteils beeinträchtigt wurde, insbesondere also wenn die anderen Organe und Organteile nicht lediglich abschätzige Feststellungen getroffen, sondern daran nachteilige Konsequenzen fur die Ausübung der Organrechte des Diskriminierten geknüpft haben. Da auch frühere (vergangene) Rechtsverhältnisse einer Feststellung nach § 43 Abs. 1 VwGO zugänglich sind 129 , kann übrigens auch ein mittlerweile endgültig aus einem Organ ausgeschiedenes Mitglied 130 die Verletzung seiner Organrechte gerichtlich feststellen lassen, vorausgesetzt es weist das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse nach. Praktische Relevanz hat dies insbesondere für Gemeinderatsmitglieder, die die in einer vergangenen Wahlperiode erlittene Verletzung ihrer Organrechte feststellen lassen wollen. Nicht entscheidend ist dabei, ob der Kläger immer noch Mitglied des Gemeinderats 131 oder ob er z.B. mit Ablauf der Wahlperiode aus diesem ausgeschieden ist. Zwar kann im Falle seines definitiven Ausscheidens aus dem Gemeinderat sein Feststellungsinteresse ren effektiven Schutz durch eine entsprechende Handhabung des einfachen Prozeßrechts. 125 Zu den das Feststellungsinteresse begründenden Umständen allgemein Gerhardt, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §113 (Lfg. 1996) Rn. 90 ff; Kopp/ Schenke, VwGO, §113 Rn. 141 ff.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 580 ff.; Spannowsky, in NKVwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 167 ff.; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 652 ff. 126 VGH Mannheim, VB1BW 1993, 469, 470; OVG Münster, OVGE 32, 192, 195; vgl. V G H Mannheim, VB1BW 1987, 24, 25; 1992, 97 f.; Gerhardt, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 113 (Lfg. 1996) Rn. 93. 127 Vgl. v. Bargen/Schwarze, VB1BW 1998, 436; Menzel/Schumacher, Jura 1998, 158 Fn. 14. 128 S. oben A.II.4.C. 129 BVerfG (3. Kammer des 2. Senats), NVwZ 1995, 577; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53; Eyermann/Happ, VwGO, § 43 Rn. 18, 34; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 11, 18, 25; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §43 (Lfg. 1996) Rn. 13, 21 \ Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 405. 130 Zum Fortbestehen seiner Beteiligungsfähigkeit oben H.I.l.b. 131 So aber wohl OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 52, 53.

970

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

in aller Regel nicht mehr mit dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr begründet werden 132 . Denn daß eine ebensolche Maßnahme in vergleichbarer Lage andere Gemeinderatsmitglieder treffen könnte, begründet kein Feststellungsinteresse des Ausgeschiedenen133, sondern kann allenfalls eine entsprechende Feststellungsklage der anderen legitimieren, gegebenenfalls auch eine vorbeugende Unterlassungs- bzw. (subsidiär) vorbeugende Feststellungsklage derselben 134 . Bedeutung gewinnt in derartigen Konstellationen jedoch der Gedanke, daß wirksamer Rechtsschutz nicht dadurch unmöglich werden darf, daß sich bestimmte Maßnahmen typischerweise kurzfristig, und das heißt: vor Ergehen einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung135 erledigen. Hat beispielsweise ein Gemeinderatsmitglied gegen eine seine Organrechte verletzende Maßnahme Leistungsklage auf Unterlassung und Beseitigung erhoben und erledigt sich die betreffende Maßnahme nun aufgrund seines Ausscheidens aus dem Gemeinderat, so griffe es zu kurz, die alleine noch mögliche Feststellung des vergangenen Rechtsverhältnisses nun deshalb als unzulässig abzuweisen, weil infolge des Ausscheidens des Klägers aus dem Gemeinderat im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr mehr besteht. Vielmehr muß in derartigen Fällen, weil angesichts der zeitlichen Limitiertheit der Wahlperioden Organstreitigkeiten oftmals nicht während der Amtsdauer der Organwalter rechtskräftig zu entscheiden sind, eine einmal z.B. wegen Wiederholungsgefahr zulässige Feststellungsklage auch dann zulässig bleiben, wenn der Kläger allein wegen Ablaufs der Wahlperiode aus dem Amt scheidet136. Eine recht komplizierte Problematik ergibt sich schließlich gerade auch bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten aus dem allgemein anerkannten Umstand, daß das festzustellende Rechtsverhältnis nicht notwendig zwischen den Parteien des Feststellungsprozesses zu bestehen braucht, sondern insbesondere 132

Vgl. BVerfGE 87, 207, 209. A.A. Menzel/Schumacher, Jura 1998, 158. 134 Zur Unterscheidung und Abgrenzung dieser Klagearten vgl. Pietzcker, in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §43 (Lfg. 1996) Rn. 49; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 18 Rn. 11 f.; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 354, 408, 421; Schenke/Roth,, WiVerw 1997, 99 f. 135 Entgegen VG Weimar, ThürVBl. 1995, 43, 44 wird man es nicht ftir entscheidend erachten können, ob vor Erledigungseintritt wenigstens einstweiliger Rechtsschutz zu erlangen war. Denn letztere Verfahren bieten nicht dieselbe Richtigkeitsgewähr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wie Hauptsacheverfahren und besitzen deshalb nicht dasselbe Maß an friedensstiftender Wirkung. Zudem wäre es rechtsstaatlich höchst fragwürdig, wenn sich gegenüber typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahmen die gesamte Rechtsprechung in einstweiligen Rechtsschutzverfahren entwickeln müßte, zumal dies wegen § 152 Abs. 1 VwGO auch die weitestgehende Ausschaltung des BVerwG von der diesbezüglichen Rechtsklärung bedeutete. 136 Z.T. a.A. BVerfGE 99, 332, 336 f. für gänzlich außergewöhnliche und exzeptionelle Situationen, in denen kein Interesse an einem gerichtlichen Spruch bestehe. 133

II. Die Klageart bei verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren

971

auch die Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Beklagten und einem Dritten in Betracht kommt 137 . Im Blick auf die grundsätzliche Statthaftigkeit solcher Drittfeststellungsklagen fragt sich, ob beispielsweise ein Gemeinderatsmitglied oder eine Gemeinderatsfraktion gegen den Bürgermeister auf Feststellung der (angeblich von diesem verletzten) Rechte des Gemeinderats klagen kann, etwa wenn Wiederholungsgefahr besteht. Für die herrschende Meinung ist diese praktisch höchst bedeutsame Rechtsschutzmöglichkeit versperrt, weil sie ja fur die allgemeine Feststellungsklage eine Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO voraussetzt 138, d.h. vom Feststellungskläger die Geltendmachung einer eigenen Rechtsverletzung verlangt, eben letzteres dem einzelnen Gemeinderatsmitglied oder einer Gemeinderatsfraktion jedoch unter der herrschenden Meinung nicht gelingen kann, nachdem diese gleichzeitig eine überaus restriktive Haltung gegenüber mittelbaren Organrechtseingriffen einnimmt 139 : Da nach ihr die Verletzung der Organrechte des Gemeinderats durch den Bürgermeister keine mittelbare Verletzung der Gemeinderatsmitglieder und -fraktionen darstellen soll und diese daher keine Klagebefugnis besitzen, müßten hiernach sämtliche derartige Drittfeststellungsklagen scheitern 140. Indessen kann dieses restriktive Ergebnis nicht überzeugen. Selbst wenn man § 42 Abs. 2 VwGO analog auf die Feststellungsklage anwendete, sind doch richtigerweise auch im Bereich subjektiver Organrechte sehr wohl (strukturell) mittelbare Eingriffe anzuerkennen 141, so daß Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen unter den entsprechenden Kausal- und Zurechnungsvoraussetzungen durchaus diese Zulässigkeitshürde nehmen können. Ohnehin aber kann die analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO auf Feststellungsklagen nicht überzeugen, da § 43 Abs. 1 VwGO nun einmal lediglich ein „berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung" fordert und diese gesetzliche Wertung nicht durch das darüber hinausgehende Postulat der Geltendmachung einer Rechtsverletzung konterkariert werden darf 142 , zumal dies auch, wie gerade die vorliegende Konstellation zeigt, Drittfeststellungsklagen im Effekt unmöglich machte. Die Unanwendbarkeit des § 42 Abs. 2 VwGO bedeutet nun aber andererseits nicht, daß die Feststellungsklage ohne subjektiven Rechtsschutzbezug auskäme143, und so ist denn auch bei der Drittfeststellungsklage durchaus zu 137 BVerwGE 39, 247, 248; 50, 60, 62; Eyermann/Happ, VwGO, § 43 Rn. 22; Kopp/ Schenke, VwGO, § 43 Rn. 16; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 43 Rn. 10; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 409; Wahl/Schütz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2 (Lfg. 1996) Rn. 29. 138 S. oben C.IV.I.e. 139 S. oben G.I.3.b. 140 Vgl. Eyermann/Happ, VwGO, § 43 Rn. 22. 141 Eingehend oben G.I.3.C bis e. 142 S. oben C.IV.I.e. 143 Vgl. oben C.IV.I.e.

972

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

fordern, daß es dem Kläger damit um die Verwirklichung seiner Rechte gehen muß, insbesondere weil von dem festzustellenden Rechtsverhältnis eigene Rechte des Klägers abhängen144. Letzteres ist nun in der hier betrachteten Konstellation zu bejahen, weil von der ordnungsgemäßen Befassung des Gemeinderats durch den Bürgermeister notwendig die praktische Wirksamkeit der Mitwirkungsrechte der Gemeinderatsmitglieder und -fraktionen abhängt. Soweit diese nach den vorstehend skizzierten Maßstäben das erforderliche Feststellungsinteresse besitzen, können sie deshalb die bezeichnete Drittfeststellungsklage gegen den Bürgermeister erheben. Allerdings ist auch bei einer Drittfeststellungsklage der von § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO statuierte Vorrang insbesondere einer allgemeinen Leistungsklage zu beachten. Nach dem Zweck dieser Subsidiaritätsklausel, durch einen sofortigen Verweis des Klägers auf sachnähere und rechtsschutzeffektivere Verfahren im Interesse der Prozeßökonomie eine Konzentration auf ein einziges Verfahren sicherzustellen und unnötige Folgeprozesse zu vermeiden 145, ist bei Drittfeststellungsklagen eine doppelte Subsidiarität anzunehmen, nämlich sowohl gegenüber Leistungsklagen zugunsten des Feststellungsklägers als auch gegenüber Leistungsklagen zugunsten des Dritten. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, daß Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen keine Klage auf Feststellung der Rechte des Gemeinderats gegen den Bürgermeister erheben dürfen, wenn sie statt dessen aus eigenem Recht wegen einer mittelbaren Verletzung ihrer eigenen Organrechte mittels Leistungsklage gegen den Bürgermeister vorgehen oder wenn sie - hierzu wiederum subsidiär - in zulässiger gesetzlicher Prozeßstandschaft 146 für den Gemeinderat eine entsprechende Leistungsklage gegen den Bürgermeister erheben können, vorausgesetzt eine solche Leistungsklage ist mindestens ebenso gut geeignet, das verfolgte Rechtsschutzziel zu erreichen. Scheiden derart vorrangige Leistungsklagen jedoch beispielsweise wegen Erledigung, Unmöglichkeit oder Sinnlosigkeit der Leistungserbringung aus, so können Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen bei berechtigtem Interesse sowohl die Rechte des Gemeinderats als auch natürlich ihre eigenen Organrechte gegenüber dem Bürgermeister mittels Feststellungsklage verwaltungsgerichtlich feststellen lassen.

144 BVerwG, NVwZ 1991, 470, 471; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 16; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, §43 (Lfg. 1996) Rn. 31; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 410; vgl. Eyermann/Happ, VwGO, § 43 Rn. 22. 145 Vgl. BVerwG, NVwZ 2000, 1411,1412; Eyermann/Happ, VwGO, § 43 Rn. 41; Kopp/Schenke, VwGO, § 43 Rn. 26; Pietzcker, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 43 (Lfg. 1996) Rn. 41. 146 Zur prinzipiellen Statthaftigkeit und den Voraussetzungen einer Prozeßstandschaft in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren sowie ihrer Subsidiarität gegenüber der Geltendmachung eigener Rechte oben H.I.3.b.

III. Das Rechtsschutzbedürfnis in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren Auch fur Organstreitverfahren ist das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses Sachentscheidungsvoraussetzung1. Vom Vorliegen eines solchen Rechtsschutzbedürfhisses ist grundsätzlich immer auszugehen, wenn das klagende Organ oder Organteil eine Verletzung subjektiver Organrechte geltend machen2 oder ein berechtigtes Interesse an der Feststellung eines innerorganisatorischen Rechtsverhältnisses anfuhren kann3, es sei denn, es lägen besondere Gründe vor, ihm das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen4. Nach allgemeinen, hier nicht zu vertiefenden Grundsätzen ist letzteres bei gänzlicher Nutzlosigkeit des Rechtsschutzes der Fall 5 . Dazu zählt auch die endgültige Erledigung des Streites6, es sei denn, es handelte sich um eine sich typischerweise kurzfristig erledigende Maßnahme: um nicht die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung völlig auszuschließen, muß solchenfalls das Rechtsschutzbedürfnis - unabhängig von einer etwaigen Wiederholungsgefahr - aus denselben Gründen wie das Feststellungsinteresse für eine entsprechende Feststellungsklage bejaht werden 7. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht grundsätzlich fort, solange die geltend gemachte 1 VGH München, BayVBl. 1962, 24; OVG Weimar, DVBl. 2000, 935; VG Minden, NVwZ-RR 1998, 407; Barth, Subjektive Rechte, S. 53, 150; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 202; Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 163; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 48; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 189; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 25; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 180; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 135; Kopp/Schenke, VwGO, § 63 Rn. 7; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 147 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 120; für Verfassungsorganstreitigkeiten BVerfGE 68, 1, 77; 87, 207, 209; 99, 332, 336; VerfG Bbg., DVBl. 1999, 708, 709; a.A. Spanner, in FS Jahrreiß, S. 413 ff. 2 Zur Erforderlichkeit der Klagebefugnis in Organstreitverfahren oben C.IV.2. und 4. 3 Zum Feststellungsinteresse oben H.II.4. 4 Vgl. Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor §40 (Lfg. 1996) Rn. 80; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 561. 5 Vgl. hierzu Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 40 (Lfg. 1996) Rn. 94; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 23 Rn. 13; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 38 ff; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rn. 28; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 591. 6 VerfG Bbg., DVBl. 1999, 708, 709; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 133; Kopp/ Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 45. 7 Vgl. BVerwG, NVwZ 1999, 991; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 583.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Organrechtsverletzung noch irgendwelche fortdauernde Wirkungen zeitigt 8 , ferner auch bei Wiederholungsgefahr 9. Im Kontext der Organstreitigkeiten näher zu erörtern ist das Bestehen des Rechtsschutzbedürfnisses bei gemeinsamer Aufsichtsbehörde (nachfolgend 1.), bei eigener Widerspruchsbefugnis des sich verletzt wähnenden Organs (unten 2.) sowie im Falle vorheriger Zustimmung zum Verletzungsakt (unten 3.).

1. Rechtsschutzbedürfnis bei gemeinsamer Aufsichtsbehörde Zu prüfen ist, ob das Rechtsschutzbedürfnis für eine verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeit möglicherweise dadurch entfällt, daß die am Streit beteiligten Organe bzw. Organteile eine gemeinsame Aufsichtsbehörde haben, die den Streit mit für beide verbindlicher Wirkung entscheiden könnte10. Es entspricht nämlich einem anerkannten und auch für Organstreitigkeiten Geltung beanspruchenden11 Grundsatz, daß das Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls dann fehlt, wenn der Kläger sein Rechtsschutzziel sachgerechter auf andere, offensichtlich einfachere und näherliegende Weise erreichen kann 12 . Bei Behörden wird das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses insbesondere im Verhältnis von Fachaufsichtsbehörden zu nachgeordneten Behörden angenommen; beispielsweise fehlt einer Klage des Landes gegen eine Gemeinde das Rechtsschutzbedürfnis, wenn das nämliche Ziel durch eine fachaufsichtliche Weisung einer Landesbehörde erreicht werden kann 13 . Komplizierter stellt sich die Lage freilich bei bloßer Rechtsaufsicht dar, da hier keine derartige unbeschränkte hierarchische Weisungsbefugnis besteht, welche die Klagemöglichkeit entbehrlich macht. Vielmehr stellt ja eine rechtsaufsichtliche Weisung des Landes an die der Staatsaufsicht unterliegenden Gemeinden einen Eingriff in deren Selbstverwaltungsrecht in Gestalt eines Verwaltungsakts dar. Gleichwohl wird auch bei möglichen rechtsaufsichtlichen Weisungen angenommen, daß das 8

Bonk, Organstreitigkeiten, S. 133. VerfG Bbg., DVB1. 1999, 708, 709; vgl. Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 580. 10 So etwa BVerwGE 101, 47, 50; BVerwG, NJW 1992, 927; LKV 1996, 455; OVG Münster, OVGE 6, 224, 227 f.; NWVB1. 1998, 149, 150; Achterberg,, AllgVerwR, § 20 Rn. 67; Becker-Birck, Insichprozeß, S. 76 f. („Klageverbot" bei gemeinsamer Aufsichtsinstanz); Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 163; Kopp/Schenke, VwGO, § 63 Rn. 7; Staudacher, JZ 1985, 972. 11 VerfG Bbg., DVB1. 1999, 708, 709; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 122 f. 12 Vgl. BayVerfGH 48, 6, 14; BGHZ 55, 201, 206; Ehlers, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, vor § 40 (Lfg. 1996) Rn. 81; Eyermann/Rennert, VwGO, vor § 40 Rn. 12; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 48. 13 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1993, 393; Eyermann/Rennert, VwGO, vor §40 Rn. 13; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 50. 9

III. Das Rechtsschutzbedürfnis

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Rechtsschutzbedürfiiis für eine Klage entfällt, wenn die Behörde die begehrte Entscheidung selbst durch Verwaltungsakt treffen kann, es sei denn, nach Lage der Dinge muß ohnehin mit der Anfechtung der betreffenden aufsichtsbehördlichen Anordnung gerechnet werden 14. Auch in letzterem Fall fehlt aber das Rechtsschutzbedürfnis selbstverständlich dann, wenn der Erlaß eines aufsichtsbehördlichen Verwaltungsakts gesetzlich vorgeschrieben ist 15 ; denn damit hat das Gesetz die Entscheidung getroffen, daß die Klageerhebung ausschließlich Sache des angewiesenen Organs sein soll. Zwar sind die eben skizzierten Grundsätze auf Organstreitkonstellationen nicht unmittelbar anwendbar, weil hier nicht eine Körperschaft mit ihrer Aufsichtsbehörde streitet, sondern Organe und Organteile derselben Organisation untereinander. Gleichwohl stellt sich in modifizierter Weise die Frage, ob und inwieweit es als einfacherer Weg anzusehen ist, das sich in seinen Rechten verletzt sehende Organ auf die Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde zu verweisen, damit diese rechtsaufsichtliche Schritte gegen die Kompetenzverletzung ergreife 16 und damit ein verwaltungsgerichtliches Organstreitverfahren unnötig werden lasse. Denn obschon das verletzte Organ keinen Anspruch auf ein Einschreiten der Rechtsaufsichtsbehörde hat 17 , so könnte man doch immerhin argumentieren, es erleide auch keinen ins Gewicht fallenden Nachteil, wenn es sein Recht gleichwohl erst auf diese Weise verfolgen müßte und erst nach erfolgloser Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde das Organstreitverfahren einleiten dürfte. Teilweise wird nun eingewandt, daß ein derartiger Verweis auf die (vorherige) Anrufung der Aufsichtsbehörde schon aus grundsätzlichen Erwägungen ausscheiden müsse18: Die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage richtet sich ausschließlich nach dem konkurrierenden Bundesrecht der VwGO. Die Länder haben demgegenüber keine Befugnis, nach der VwGO zulässige Klagen 14 Vgl. BVerwGE 24, 225, 227; 58, 316, 318 f.; BSG, DÖV 1987, 209; VGH Mannheim, VB1BW 1995, 314, 315; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 50; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 573, 592; a.A. Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 40 (Lfg. 1996) Rn. 85. 15 Ehlers, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 40 (Lfg. 1996) Rn. 85; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 50; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 573. 16 Die Rechtsaufsichtsbehörde hat die „Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" der Gemeinde sicherzustellen (§118 Abs. 1 GemO BW). Sie beschränkt sich deshalb nicht auf die Kontrolle des Gemeindehandelns in deren Außenverhältnis zu Dritten, sondern erstreckt sich auf den inneren Verwaltungsablauf einschließlich der Einhaltung der Organkompetenzen, vgl. VGH München, BayVBl. 1968, 324, 325; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 118 ff, 121 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 812; ders., Kommunalrecht BW, Rn. 441; a.A. OVG Koblenz, AS 8, 78, 88 f.; Puttfarcken, in FG Ule, S. 66. 17 S. oben F.II.l.b.aa. 18 Vgl. Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 89; Kingreen, DVBl. 1995, 1342 f.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

durch die Einführung zusätzlicher Voraussetzungen doch noch auszuschließen. Mithin würde jeder Versuch des Landesgesetzgebers, vor Anrufung der Verwaltungsgerichte das Durchlaufen eines anderen als eines Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO vorzuschreiben, gegen die abschließende Regelung des § 77 Abs. 2 VwGO verstoßen 19, der die künftige Einführung landesrechtlicher Einspruchs- und Beschwerde- oder sonstiger vorgeschalteter Verfahren als Voraussetzung einer verwaltungsgerichtlichen Klage ausschließt20. Etwaige derartige landesrechtliche Regelungen wären in der Tat nicht geeignet, dem Kläger den sofortigen Zugang zu den Verwaltungsgerichten allein nach Maßgabe der VwGO zu versperren, ja sie würden sogar weder den Kläger seiner Obliegenheit zu fristgemäßer Klageerhebung entheben noch den Lauf der Widerspruchsund Klagefrist bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen hemmen21. Dies gilt nicht nur für explizit als zusätzliche Sachentscheidungsvoraussetzung konzipierte Vorschaltverfahren, sondern muß nach Sinn und Zweck der abschließenden Regelung in der VwGO auch für Gestaltungen gelten, die nur im Ergebnis diese Wirkung haben. In diesem Sinn hat der VGH München geurteilt, daß die Länder „deshalb auch keine Verfahrensregelungen vorsehen [können], die über das Rechtsschutzbedürfnis die Zulässigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beeinflussen würden" 22 . Es fragt sich nun, ob ein Verweis auf die Anrufung der Aufsichtsbehörden eine derartige unstatthafte Einschränkung der durch die VwGO abschließend geregelten Zulässigkeitsvoraussetzungen darstellte und schon deshalb als Argument für die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses ausscheidet. Dafür könnte sprechen, daß anderenfalls der Landesgesetzgeber durch die Einführung von Aufsichtsbefugnissen in der Tat die Zulässigkeit verwaltungsgerichtlicher Klagen einschränken könnte. Andererseits ist zu beachten, daß solche Aufsichtsregelungen keine eigenständigen, neuen Zulässigkeitsvoraussetzungen schaffen würden. Sie stellen lediglich tatsächliche und rechtliche Vorgaben dar, an die das nach wie vor allein durch die VwGO selbst bestimmte Institut des Rechtsschutzbedürfnisses anknüpfte. Das Rechtsschutzbedürfnis kann schon seinem Wesen nach nie isoliert aus den Regelungen der VwGO bestimmt werden, sondern muß notwendigerweise immer auf die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten außerhalb der VwGO und die danach bestehenden Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung Bezug nehmen. Der Bundesgesetzgeber hat 19

VGH München, Z U M 1995, 423, 424; 1996, 326, 331. Vgl. Dolde, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 77 (Lfg. 1996) Rn. 6; Eyermann/Happ, VwGO, §77 Rn. 5; Kopp/Schenke, VwGO, §77 Rn. 1; Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 77 Rn. 4. 21 Vgl. VGH München, Z U M 1995, 423, 424; Eyermann/Happ, VwGO, § 77 Rn. 6; Kopp/Schenke, VwGO, § 77 Rn. 2. 22 VGH München, Z U M 1996, 326, 331; zustimmend Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 77 Rn. 3; wohl auch BVerwGE 104, 170, 180. 20

III. Das Rechtsschutzbedürfnis

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selbst die Entscheidung getroffen, besseren Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten den Vorzug vor der verwaltungsgerichtlichen Klage einzuräumen, und für diese Zielsetzung ist unerheblich, ob sich diese Möglichkeiten aus bundes- oder landesrechtlichen Regelungen ergeben 23. Deshalb geht es zu weit, den Ländern jede Kompetenz für Verfahrensregelungen abzusprechen, die über das Rechtsschutzbedürfnis die Zulässigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auch nur „beeinflussen" können. Zu fordern ist lediglich, daß die landesrechtliche Regelung nicht gerade zum Zweck der Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der VwGO erlassen wurde. Die Institutionalisierung gesonderter Beanstandungsverfahren, in denen eine außergerichtliche Streitbeilegung zu versuchen wäre, verstieße daher gegen § 77 Abs. 2 VwGO und könnte nicht zum Ausschluß des Rechtsschutzbedürfnisses führen 24. Staatliche Aufsichtsmöglichkeiten über mittelbare Verwaltungsträger jedoch, wie sie traditionell bestehen, und die nicht in einer derart atypischen Form eingeführt worden sind, daß auf eine solche Umgehungsnatur zu schließen wäre, sind hingegen bundesrechtlich durchaus zulässig und bei der Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses zu beachten. Unerheblich ist dabei auch, daß die Anrufung der Aufsichtsbehörde nicht als förmliches Verfahren anzusehen wäre. Denn sie soll weder noch könnte sie das gerichtliche Verfahren ersetzen 25. Daß sie aufgrund ihrer Formlosigkeit aber überhaupt keine Auswirkungen auf das Rechtsschutzbedürfnis haben dürfe, „weil ein ungeregeltes außergerichtliches Vorgehen keinen vergleichbaren Ersatz für ein Gerichtsverfahren mit allen verfahrensrechtlichen Kautelen einschließlich der Titulierung und Vollstreckung" darstellen kann 26 und daher die Möglichkeit rechtsaufsichtlichen Einschreitens die verwaltungsgerichtliche Austragung von Organstreitigkeiten „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt auszuschließen vermag" 27 , kann aus ähnlichen wie den bereits genannten Gründen nicht gesagt werden: Bei der Frage nach einem einfacheren und schnelleren Weg, zu seinem Recht zu kommen, geht es nicht in erster Linie um die Förmlichkeit des Verfahrens - sonst ließe sich wohl kaum die herrschende Meinung

23

Vgl. BayVerfGH 48, 6, 14. Vgl. VGH München, Z U M 1995, 423, 424; 1996, 326, 331; femer BVerwGE 104, 170, 180; bedenklich insoweit BayVerfGH 48, 6, 15. 25 Vgl. BVerwGE 104, 170, 180. - Zu der unterschiedlichen Wesensnatur aufsichtsbehördlicher und gerichtlicher Streitentscheidung oben F.II.l.b.aa. 26 VGH München, Z U M 1995, 423, 424; 1996, 326, 331; vgl. BVerwGE 104, 170, 24

180.

27 Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 131, 203; desgleichen Barth, Subjektive Rechte, S. 52 f.; Kingreen, DVB1. 1995, 1343; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 138 f.; Löer, Kontrolle, S. 30; Lorenz, AöR 93 (1968), 337; Lüders, Ratsausschüsse, S. 150 f.; Stern/Bethge, Rechtsstellung, S. 120 f.; Tsatsos, Organstreit, S. 51 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 76.

64 Roth

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

aufrechterhalten, Behörden vorzugsweise auf den Erlaß eines Verwaltungsakts anstelle einer eigenen Klage zu verweisen - ; ausschlaggebend ist allein die voraussichtlich gleiche oder bessere Effizienz. Hiernach ist es also nicht schon aus bundesrechtlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen, sondern durchaus in Betracht zu ziehen, daß das Rechtsschutzbedürfnis für ein verwaltungsgerichtliches Organstreitverfahren dank bestehender Aufsichtsmöglichkeiten fehlen kann. Aus dieser Feststellung folgt freilich mitnichten im Umkehrschluß, daß das Rechtsschutzbedürfnis für Organstreitigkeiten tatsächlich infolge der Möglichkeit einer Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde zu verneinen wäre. Dies setzte nämlich voraus, daß es sich hierbei wirklich um eine einfachere und effizientere Alternative handelte, das Ziel der Kompetenzwahrung zu erreichen. Dieser alternative Weg muß eindeutig vorzugswürdig sein 28 ; etwaige diesbezügliche Zweifel wirken sich zugunsten des Klägers aus29, weil es sich bei der Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses um eine eng zu handhabende Ausnahme handelt, die nur in zweifelsfrei begründeten Fällen den Zugang zu einer nach den sonstigen Voraussetzungen zu beanspruchenden Sachentscheidung des Gerichts verwehren kann. In den praktisch bedeutsamsten Fällen - wenn nämlich die um ihre Kompetenzen streitenden Organe einer der staatlichen Rechtsaufsicht unterliegenden Körperschaft, Anstalt oder Stiftung angehören - führt die vorstehend genannte Bedingung zur Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses für die verwaltungsgerichtliche Austragung der Organstreitigkeit. Während man zwar im allgemeinen davon ausgehen kann, daß einer Behörde das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage fehlt, soweit sie die Streitfrage selbst durch Verwaltungsakt regeln kann, ist nämlich in den Konstellationen der Organstreitigkeiten gerade keines der am Streit beteiligten Organe oder Organteile befähigt, selbst eine Beanstandung in Form eines Verwaltungsakts aussprechen30. Dies kann nur die Aufsichtsbehörde, doch deren Anrufung durch das sich verletzt fühlende Organ oder Organteil stellt gewissermaßen einen Umweg und eine an sich unnötige Erweiterung und Komplizierung dar, die schon infolge der damit verbundenen Weiterungen schwerlich als ein eindeutig einfacherer und effizienterer Weg anzusehen ist. Vor allem aber ist zu bedenken, daß Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, sofern eine rechtsaufsichtliche Beanstandung Gegenstände ihres Selbstverwaltungsrechts berührt, derselben als ein Eingriff in ihr

28

Eyermann/Rennert, VwGO, vor § 40 Rn. 12. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, vor § 40 Rn. 38. 30 Zu dem Sonderfall des Beanstandungsrechts des Bürgermeisters vgl. nachfolgend H.III.2. 29

III. Das Rechtsschutzbedürfnis

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Selbstverwaltungsrecht mittels Klage entgegentreten können31. Insbesondere kann eine kommunalaufsichtsbehördliche Beanstandung (§121 Abs. 1 GemO BW) als Verfügung auf dem Gebiet der Rechtsaufsicht von der Gemeinde angefochten werden (§ 125 GemO BW) 3 2 . Diese Klage kann auch damit begründet werden, die von der Rechtsaufsichtsbehörde beanstandete Maßnahme oder Entscheidung sei entgegen der Rechtsansicht der Rechtsaufsichtsbehörde sehr wohl kompetenzordnungsgemäß ergangen. Wenn nun bereits ein Streit über eben diese Frage zwischen den betroffenen Organen besteht, so ist durchaus zu erwarten, daß eine etwaige diesbezügliche rechtsaufsichtliche Beanstandung angefochten werden würde. Angesichts einer solchen drohenden Anfechtung stellte es aber keinen einfacheren, schnelleren oder effizienteren Weg für das sich verletzt fühlende Organ oder Organteil dar, eine derartige anfechtbare Weisung der Aufsichtsbehörde einholen zu müssen, zumal dies auch dazu führte, im Rahmen der Anfechtungsklage der Körperschaft, Anstalt oder Stiftung gegen die aufsichtsbehördliche Beanstandung inzident die Organstreitigkeit zwischen den eigentlich betroffenen Organen und Organteilen entscheiden zu müssen33, welche Verfahrensgestaltung keineswegs sinnvoller als die direkte Befassung des Gerichts mit der Organstreitigkeit erscheint. Zu Recht wird daher überwiegend insbesondere in den wichtigen Fällen der Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten das Rechtsschutzbedürfnis nicht aufgrund bestehender Aufsichtsmöglichkeiten verneint 34. Etwas anders stellt sich die Lage dar, wenn die Rechtsaufsichtsbehörde eine Beanstandung tatsächlich bereits ausgesprochen hat (sei es auf ein diesbezügliches Ersuchen, sei es aus eigenem Antrieb, sei es als Reaktion auf den wiederholten Widerspruch des Bürgermeisters gemäß § 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW) und diese Beanstandung von der Gemeinde bereits gerichtlich angefochten worden ist. Sofern im Rahmen dieser Anfechtungsklage der Gemeinde vorfrageweise über die organisationsinterne Kompetenzverletzung mitentschieden wird, fehlt für ein paralleles Organstreitverfahren in der Regel das Rechts31 Vgl. hierzu BVerwGE 10, 145, 146; 19, 121, 122 f.; 89, 260, 262; VGH Mannheim, VB1BW 1994, 191, 192; Eyermann/Happ, VwGO, § 42 Rn. 113 Stichwort „Aufsichtsmaßnahmen"; Kopp/Schenke, VwGO, §42 Rn. 139; Redeker/v. Oertzen, VwGO, §42 Rn. 103. 32 OVG Koblenz, AS 9, 335, 340 f. 33 Zu dieser Verfahrensgestaltung und ihren Nachteilen vgl. oben E.II.5.b.aa. 34 Im Ergebnis wie hier OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 447; OVG Weimar, DVBI. 2000, 935; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 131; Bonk, Organstreitigkeiten, S. 127 f.; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 52; Heinrich, Verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten, S. 190 f.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 25; Jokkisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 180 f.; Lüders, Ratsausschüsse, S. 150 f.; Neyses, Rundfunkverfassungsstreitverfahren, S. 148 f.; Preusche, NVwZ 1987, 857; Schoch, JuS 1987, 792; Seeger, BWVPr 1978, 51; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 685; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 75 f.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

schutzbedürfnis 35. Ein anderes gilt insofern jedoch, wenn die rechtsaufsichtliche Verfügung noch aus anderen Gründen ergangen ist oder wenn sie sich aus anderen Gründen als der rechtsirrigen Beurteilung der Organkompetenzen als rechtswidrig erweisen könnte. Denn in diesen Fällen muß das Gericht nicht notwendig über den zugrunde liegenden Kompetenzkonflikt entscheiden, und dann kann dem betroffenen Organ nicht das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden, denselben zum Gegenstand eines eigenen Verfahrens zu machen. Sobald auch nur vernünftige Zweifel bestehen, ob die Anfechtung der rechtsaufsichtlichen Beanstandung zur Klärung der Organstreitigkeit führen wird, kann also das Rechtsschutzbedürfnis für ein eigenständiges Organstreitverfahren nicht verneint werden.

2. Rechtsschutzbedürfnis bei eigener Widerspruchsbefugnis Nach herrschender Meinung fehlt dem Bürgermeister das Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren gegen den Gemeinderat, wenn er meint, der Gemeinderat greife durch einen Beschluß rechtswidrigerweise in ihm vorbehaltene Befugnisse ein. Solchenfalls muß er nämlich dem Beschluß als gesetzwidrig widersprechen (§ 43 Abs. 2 S. 1 GemO BW) 3 6 , und da dieser Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, steht die Kompetenz des Bürgermeisters zunächst nicht in Gefahr 37. Selbst wenn der Gemeinderat daraufhin seinen Beschluß bestätigt, ändert sich hieran nichts. Denn wenn der Bürgermeister der Ansicht ist, auch der neue Beschluß verletze seine Organrechte, so muß er diesem erneut widersprechen und die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen (§ 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW) 3 8 ; da auch dieser erneute Widerspruch aufschiebende Wirkung hat 39 , scheint der Bürgermeister kein Rechtsschutzbedürfnis zu haben, parallel zu dieser Befassung der Rechtsaufsichtsbehörde mit der Angelegenheit klageweise gegen den Gemeinderat vorgehen zu können. Es fragt sich indes, ob diese Begründung tatsächlich die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses für ein Organstreitverfahren trägt. Bedenken ergeben 35 Bonk., Organstreitigkeiten, S. 126; a.A. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 127; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 55; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 77. 36 Bethge, HKWP II, S. 193; Kingreen., DVBl. 1995, 1340. 37 Vgl. OVG Münster, DVBl. 1968, 392, 393; VG Sigmaringen, VB1BW 1998, 391, 395; Bethge, HKWP II, S. 193; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 204 Fn. 15; Kingreen, DVBl. 1995, 1341; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 102; Martensen, JuS 1995, 1078; Preusche, NVwZ 1987, 857; Schoch, JuS 1987, 792; a.A. Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 151. 38 Zum Widerspruchsrecht des Bürgermeisters oben A.I.3.c.aa und cc sowie F.III.2.f. 39 Sixt, in Kunze/Bronner/Katz, GemO BW, § 43 (2. Lfg. 1984) Rn. 12, 14.

III. Das Rechtsschutzbedürfnis

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sich dabei nicht einmal daraus, daß der Bürgermeister ebensowenig einen Anspruch auf ein Einschreiten der Rechtsaufsichtsbehörde hat wie jeder andere 40 (wenn es in § 43 Abs. 2 S. 5 GemO BW heißt, der Bürgermeister müsse unverzüglich die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde „herbeiführen", so meint dies, er müsse sie beantragen, und nicht, er könne sie erzwingen); denn infolge der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs sind die Kompetenzen des Bürgermeisters bis zu einer Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde geschützt, auch wenn er keinen Anspruch auf diese Entscheidung hat. Die eigentliche Problematik erweist sich vielmehr, nachdem die Rechtsaufsichtsbehörde entschieden hat. Teilt die Rechtsaufsichtsbehörde die Rechtsauffassung des Bürgermeisters und beanstandet sie den Gemeinderatsbeschluß, dann kann der Gemeinderat beschließen, daß diese Beanstandung nach § 125 GemO BW von der Gemeinde angefochten wird, und in diesem Verfahren wird dann inzident über den Organstreit entschieden, weil davon die Rechtmäßigkeit der Beanstandung anhängt. Anders verhält es sich dagegen, wenn die Rechtsaufsichtsbehörde zum Nachteil des Bürgermeisters entscheidet und dessen Widerspruch als unbegründet aufhebt, weil der Gemeinderatsbeschluß keine Rechte des Bürgermeisters verletze und auch sonst nicht gesetzwidrig sei. Da die Rechtsaufsichtsbehörde in diesem Fall gerade keine Beanstandung ausspricht, scheidet eine Anfechtung dieser Entscheidung durch die Gemeinde aus, und da der Bürgermeister keinen Anspruch auf ein rechtsaufsichtliches Einschreiten besitzt, kann er auch keine Verpflichtungsklage (§ 125 GemO BW) erheben. Somit hat der Bürgermeister keinen Rechtsschutz gegen die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde, seinen Widerspruch aufzuheben und den Gemeinderatsbeschluß unbeanstandet zu lassen41. Folglich muß aber, weil diese behördliche Entscheidung nicht das letzte Wort über die Verteidigung subjektiver Organrechte bleiben kann 42 , in diesem Fall das Rechtsschutzbedürfnis des Bürgermeisters anerkannt werden, seine Organrechte im Organstreitverfahren gegen den Gemeinderat zu verteidigen 43. Damit aber erweist sich die Komplikation der herrschenden Meinung: Man kann ihr zwar im Grunde darin beipflichten, daß das mit aufschiebender Wirkung versehene Widerspruchsrecht des Bürgermeisters dessen Rechte ausreichend zu schützen geeignet ist. Indessen ist dieser Schutz nur ein vorläufiger, denn er endet in dem Moment, in dem die Rechtsaufsichtsbehörde seinen Widerspruch aufhebt; die herrschende Meinung erkennt diese Limitiertheit der 40

OVG Münster, DVB1. 1968, 392, 393; Kingreen, DVB1. 1995, 1341. Vgl. OVG Koblenz, AS 8, 78, 80 f.; 9, 335, 341; Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 144 ff., 152. 42 Vgl. oben F.II.l.b.aa. 43 Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 151; Kingreen, DVB1. 1995, 1341 f. 41

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Schutzwirkung des Widerspruchsrechts an, indem sie sich genötigt sieht, für den Fall einer solchen Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde sogleich das Rechtsschutzbedürfnis auf Seiten des Bürgermeisters für ein Organstreitverfahren zu bejahen. Es ist aber durchaus nicht zwingend, das Rechtsschutzbedürfnis für ein Hauptsacheverfahren damit zu verneinen, der Betroffene sei vorläufig anderweit gesichert. Zweifelsohne würde, solange die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs andauert, das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag des Bürgermeisters auf einstweiligen Rechtsschutz fehlen. Jedoch das Rechtsschutzbedürfnis für einen Hauptsacheantrag zu verneinen, gibt es keinen Grund, nachdem dies einzig dazu führt, das Hauptsacheverfahren zeitlich zu verzögern: Wenn der Gemeinderat einen Beschluß wiederholt, den der Bürgermeister bereits als organrechtsverletzend beanstandet hat, so besteht eine gewisse Erwartung, daß er dann wohl eine Beanstandung durch die Rechtsaufsichtsbehörde nicht klaglos hinnehmen wird, und dann kommt es im Anfechtungsverfahren über die Beanstandung zu einer inzidenten Entscheidung der Organstreitigkeit. Entscheidet die Rechtsaufsichtsbehörde gegen den Bürgermeister, so kann dieser nunmehr zwar nicht gegen die Rechtsaufsichtsbehörde klagen, wohl aber das Organstreitverfahren einleiten. Ein Grund, weshalb er dies nicht sogleich tun können soll, ist nicht zu sehen; er kann dann ja, wenn die Rechtsaufsichtsbehörde zu seinen Gunsten entscheidet und der Gemeinderat diese Entscheidung klaglos hinnimmt, die Klage für erledigt erklären. Vor allem aber spricht gegen die herrschende Meinung, daß das Widerspruchsrecht des Bürgermeisters nach einigen Gemeindeordnungen zeitlich befristet ist; nach § 43 Abs. 2 S. 2 GemO BW etwa muß der Widerspruch „unverzüglich, spätestens jedoch binnen einer Woche nach Beschlußfassung" ausgesprochen werden. Hat der Bürgermeister diese Frist versäumt, beispielsweise weil er die Organrechtswidrigkeit erst später erkannte, so kann er ohne weiteres ein Organstreitverfahren einleiten; das diesbezügliche Rechtsschutzbedürfnis hierfür fehlt ihm nicht 44 , weil eine derart knapp bemessene landesrechtliche Frist keine Präklusionswirkung für eine nach der VwGO zulässige Klage entfalten kann, insbesondere nicht geeignet ist, das Rechtsschutzbedürfiiis auszuschließen. Zwar spielen bei der Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses durchaus auch landesrechtliche Regelungen eine Rolle 45 . Ob und inwieweit sich diese jedoch auf das Rechtsschutzbedürfnis auswirken, bestimmt sich allein nach bundesrechtlichen Maßstäben, und nach den in den Fristbestimmungen der VwGO (vgl. insbesondere § 58 Abs. 2, §§ 70, 74 VwGO) zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen kann nicht zweifelhaft sein, daß das Verstreichen einer einwöchigen Frist in keinem Fall das Rechtsschutzbedürfnis ent44

Offen, aber in diese Richtung wohl auch Kingreen,, DVBl. 1995, 1341 f. Fn. 60,

70.

45

S. vorstehend H.III. 1.

III. Das Rechtsschutzbedürfnis

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fallen lassen kann. Es überzeugte nun aber nicht, dem Bürgermeister, der rechtzeitig widersprochen hat, das Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren vorläufig abzusprechen und ihn dieserhalb das Ergehen einer ihm nachteiligen Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde abwarten zu lassen, während dem Bürgermeister, der die Widerspruchsfrist versäumt hat, ein solches Rechtsschutzbedürfnis ohne weiteres zuerkannt werden muß, um ihn nicht entgegen den Vorgaben der VwGO rechtsschutzlos zu stellen. In dieser Diskrepanz spiegelt sich letztlich nur ein Fehler im Ausgangspunkt der herrschenden Meinung wider, der darin besteht, ein vom Kommunalgesetzgeber als objektivrechtlich gedachtes Beanstandungsverfahren in die Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses für ein subjektives Rechtsschutzverfahren einzustellen. Das ihm gleichzeitig zur Pflicht gemachte Widerspruchsrecht des Bürgermeisters ist ein in die Gemeinde hineinverlagertes Instrument objektiver Rechtskontrolle, wie sich schon an dem nachgeschalteten Rechtsaufsichtsverfahren zeigt 46 . Als objektives Beanstandungsverfahren schließt es zwar den Schutz der Rechte des Bürgermeisters ein. Aber da es seinen eigenen, sich aus seinem objektiven Beanstandungscharakter ergebenden Regeln folgt, soll und kann es aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz nicht den bundesgesetzlich vorgesehenen verwaltungsgerichtlichen Schutz subjektiver Organrechte einschränken. Deshalb ist davon auszugehen, daß Widerspruchsbefugnis und Organstreitverfahren nebeneinander stehen: auch ein eingelegter Widerspruch läßt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für einen Hauptsacheantrag des Bürgermeisters im Organstreitverfahren entfallen, wie umgekehrt natürlich der Bürgermeister sich seiner gesetzlichen Pflicht zur Einlegung eines Widerspruchs nicht dadurch entledigen kann, daß er einen Organstreit gegen den Gemeinderat beginnt47.

3. Rechtsschutzbedürfnis bei Einwilligung in den organrechtsverletzenden Akt Nach einer teilweise vertretenen Ansicht soll das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn das betroffene Organ oder Organteil die Verletzung seiner Rechte selbst mit herbeigeführt hat, weil es sich sonst durch die Organklage in Widerspruch zu seinem vorangegangenen Tun setze48. Ein solches widersprüchliches Verhalten wird unter Hinweis auf den Grundsatz volenti non fit iniuria insbesondere dann angenommen, wenn das klagende Organ oder Organteil dem nun-

46

Vgl. oben A.I.3.c.aa. Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 204 Fn. 15. 48 Barth, Subjektive Rechte, S. 53, 150; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, §21 Rn. 25; grundsätzlich auch Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 161; für den Verfassungsorganstreit Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 503; vgl. BVerfGE 68, 1, 77 f. 47

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

mehr angegriffenen Beschluß zuvor selbst zugestimmt hat 49 oder wenn es versäumte, durch die zumutbare Stellung eines geeigneten (Geschäftsordnungs)Antrags rechtzeitig auf ein seine Rechte wahrendes Prozedere hinzuwirken 50 . Nach diesem Gedanken wurde etwa das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage einer Kreistagsfraktion gegen den Kreistag wegen einer von diesem vorgenommenen Wahl verneint, weil sie kein schützenswertes Interesse daran habe, „gegen eine mit ihren eigenen Stimmen befürwortete Wahl gerichtlich vorzugehen" 51. Nun kann diese konkrete Begründung freilich schon deswegen nicht überzeugen, weil bei der fraglichen Wahl keineswegs die Fraktion, sondern ihre Mitglieder abgestimmt haben und das Abstimmungsverhalten der Fraktionsmitglieder nicht über die Organrechte der Fraktion gegenüber dem Kreistag verfügen kann; ein anderes wäre allenfalls zu erwägen, wenn dieses Abstimmungsverhalten auf einem vorhergehenden förmlichen Fraktionsbeschluß beruhen sollte. Diese Kritik berührt aber freilich nicht generell den Grundgedanken, ob es ein venire contra factum proprium darstelle, wenn ein Organ oder Organteil erst einem Beschluß zustimme und diesen dann als Verletzung seiner Organrechte gerichtlich angreifen wolle. Hier dürfte zu differenzieren sein: Soweit ein Organ oder Organteil über ein Organrecht verfügen kann, entfällt durch seine freiwillige Zustimmung zu einer bestimmten Verfahrensweise oder zu einem Beschluß bereits die Rechtsverletzung 52 ; eine entsprechende Klage ist materiellrechtlich unbegründet, verfahrensrechtlich aber bereits wegen fehlender Klagebefugnis bzw. fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen. Deshalb muß etwa ein auf der Sitzung des Gemeinderats erschienenes Gemeinderatsmitglied Ladungsfehler sofort rügen, gegebenenfalls eine Vertagung der Sitzung beantragen, andernfalls es später nicht mehr rügen kann, auf dieser Sitzung hätten wegen dieser Ladungsfehler keine Beschlüsse gefaßt werden dürfen 53. Und eine Gemeinderatsfraktion, die es versäumt, Wahlvorschläge zur Besetzung der Gemeinderatsausschüsse einzureichen und deshalb nicht in diesen vertreten ist, kann hinterher nicht deren fehlerhafte Zusammensetzung rügen 54; denn zwar hat jede Gemein-

49 Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 16, 349, 351 f.; DÖV 1961, 548, 549; Seeger, BWVPr 1978, 51; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 134; Wetzel, in Lüersen/Neuffer, NdsGemO, § 47 (Lfg. 10/72) Anm. 3: Klage ist unbegründet. 50 Vgl. OVG Lüneburg, OVGE 27, 351, 354. 51 VG Minden, NVwZ-RR 1998, 407. 52 Ein anderes gilt nur, wenn die Zustimmung auf einem einem anderen Organ zuzurechnenden Irrtum beruht; solchenfalls wäre die Zustimmung nicht wirksam und eine Organrechtsverletzung anzunehmen (vgl. hierzu oben G.I.2.b.bb). 53 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1999, 304; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 160 f. 54 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1988, 407, 410.

III. Das Rechtsschutzbedürfnis

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deratsfraktion grundsätzlich Anspruch auf Vertretung in den Gemeinderatsausschüssen 55 , aber dieses Recht ist natürlich verzichtbar. Freilich müssen bei der Beurteilung, ob einer bestimmten Vorgehensweise tatsächlich freiwillig zugestimmt wurde, die konkreten Umstände genau gewürdigt werden. Dies zeigt sich an folgendem Fall: Ein Landkreis hatte vier Aufsichtsratsmitglieder in eine kommunale Verkehrsgesellschaft zu entsenden. Vor der Wahl dieser Mitglieder stellte die klagende Fraktion den Antrag, den Oberkreisdirektor nicht als „geborenes" Aufsichtsratsmitglied anzusehen, sondern alle vier Sitze durch Wahl zu besetzen. Dieser Antrag wurde vom Kreistag mit Mehrheit abgelehnt. Daraufhin wurde einstimmig beschlossen, den Oberkreisdirektor sowie drei weitere, namentlich benannte Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Die betreffende Fraktion klagte anschließend gegen die Wahl des Oberkreisdirektors mit der Begründung, die Wahl sei fehlerhaft gewesen, weil er nach der Gesetzeslage doch nicht ex officio Aufsichtsratsmitglied werde. Das VG Minden verneinte das Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage mit der Begründung, „um sich eine gerichtliche Überprüfung der Streitfrage ... zu sichern, hätte sich die Klägerin ... vielmehr erneut überstimmen und die ihr unerwünschte Verteilung der restlichen Aufsichtsratssitze des Kreises nach Verhältniswahlgrundsätzen in Kauf nehmen müssen"56. Dem ist zu widersprechen. Wenn ein Organ eine Serie aufeinander bezogener Abstimmungen durchfuhrt und ein Mitglied oder eine Fraktion die erste Abstimmung für rechtswidrig hält, mit dieser Ansicht in der Sitzung aber mehrheitlich unterliegt, so sind sie nicht gehalten, sich auch bei den folgenden Abstimmungen überstimmen zu lassen, nur um ihr Klagerecht zu erhalten. Andernfalls riskierten sie, wenn nämlich das Gericht später die Mehrheitsauffassung teilt, durch ihren Rechtsirrtum gänzlich an einer sinnvollen politischen Mitwirkung gehindert gewesen zu sein. Ein solches Risiko ist keinem Mitglied und keiner Fraktion zuzumuten. Deshalb dürfen sie sich auf der Basis der Rechtsauffassung der Mehrheit in der für politisch sinnvoll erachteten Weise an den folgenden Abstimmungen beteiligen, ohne ihr Rechtsschutzbedürfnis für eine anschließende Klage einzubüßen57. Ein venire contra factum proprium kann in einem solchen Verhalten nicht gesehen werden. Anders verhält es sich bei nach der gesetzlichen Kompetenzordnung unverfügbaren

Organrechten. Hier ist eine etwaige Zustimmung eines Organs oder

Organteils zur kompetenzverletzenden Maßnahme von vornherein unbeachtlich. Sie läßt weder die resultierende materielle Organrechtsverletzung noch das prozessuale Rechtsschutzbedürfnis für eine klageweise Geltendmachung des Organrechts entfallen 5 8 . Deshalb können beispielsweise, wenn der Gemeinderat trotz Beschlußunfähigkeit einen Beschluß gefaßt hat (statt nach § 37 Abs. 3 GemO B W zu verfahren und eine zweite Sitzung anzuberaumen), sogar die Gemeinderatsmitglieder eine Verletzung ihres Stimmrechts rügen, die diese Be-

55

S. hierzu oben F.III.2.d. VG Minden, NVwZ-RR 1998, 407. 57 Ähnlich Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 162. 58 Vgl. VGH München, BayVBl. 1962, 24; Bleutge, Kommunalverfassungsstreit, S. 205: femer bereits PrOVGE 10, 24, 28. 56

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

schlußunfähigkeit durch ihren Auszug aus der Sitzung selbst vorsätzlich herbeigeführt haben59. Auch eine Verwirkung des Klagerechts wird bei derartigen unverfügbaren Organrechten nicht in Betracht kommen60. Daß ein Organ oder Organteil über längere Zeit ein bestimmtes Prozedere gebilligt hat, hindert es bei geläuterter Rechtsauffassung nicht, nunmehr auf seinen kompetenzordnungsmäßigen Rechten zu bestehen. Dies gilt schon deshalb, weil alle Organe und Organteile von Trägern öffentlicher Gewalt gleichermaßen nach dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung auf die gesetzliche Kompetenzordnung verpflichtet sind und deshalb von vornherein kein irgendwie rechtlich schutzwürdiges Vertrauen in eine rechtswidrige Handhabung der Kompetenzordnung anzuerkennen sein kann 61 . Ein anderes ist, daß natürlich das Zuwarten des verletzten Organs oder Organteils dazu führen kann, daß die Verletzungshandlung irreversible Folgen zeitigt, insbesondere wenn der betreffende Akt bereits im Außenverhältnis wirksam geworden und seine Beseitigung mit Rücksicht auf das schutzwürdige Vertrauen des Außenstehenden ausgeschlossen sein sollte 62 . Solchenfalls büßt das verletzte Organ oder Organteil allerdings seinen (Folgen)Beseitigungsanspruch ein, doch dies ist dann schlicht Konsequenz der nach materiellem Recht eintretenden Unmöglichkeit einer (Folgen)Beseitigung und keine Sanktion in Gestalt prozessualer Klageverwirkung.

59

OVG Münster, OVGE 17, 261, 270. A.A. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 26; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 161 f. 61 Vgl. hierzu bereits oben G.IV.3.a.cc. 62 Zu dieser Problematik oben G.IV.3.a.bb (4). 60

IV. Vorläufiger Rechtsschutz in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren Auch bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten kommt dem vorläufigen Rechtsschutz erhebliche praktische Bedeutung zu. Es verkürzt die Problematik allerdings, wenn die Bedeutsamkeit einstweiligen Rechtsschutzes allein damit begründet wird, daß angesichts der bekannten Verfahrensdauer in Verwaltungsprozessen rechtskräftige Hauptsacheentscheidungen oftmals nicht mehr innerhalb der Wahlperiode der beteiligten Organe, bei Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten namentlich des Gemeinderats zu erwarten sind1. Letzteres ist zwar richtig und vermag das Zuspätkommen einer Hauptsacheentscheidung besonders augenfällig zu unterstreichen. Andererseits werden ja Organstreitverfahren in der Regel nach einer etwaigen Neuwahl der Organwalter unverändert mit den beteiligten Organen und Organteilen fortgeführt - und wenn eines davon tatsächlich wegfallen sollte, wäre dieses gegebenenfalls für die Zwecke der Verfahrensbeendigung als fortbestehend zu fingieren 2. Von daher dürfte der alleinige Hinweis auf den Ablauf von Wahlperioden das Dringlichkeitsproblem nicht voll erfassen. Der entscheidende Grund für die große Bedeutung einstweiliger Rechtsschutzverfahren bei Organstreitigkeiten ergibt sich vielmehr ohne Rücksicht auf die verbleibende Restdauer der Wahlperiode daraus, daß im Organisationsablauf öffentlicher Verwaltungsträger fortwährend Entscheidungen getroffen werden müssen, so daß vorkommende Organrechtsverletzungen leicht sowohl die Fehlerhaftigkeit immer weiterer Akte nach sich ziehen als auch bald irreversible Folgen zeitigen können3: Der unzulässige Ausschluß eines Gemeinderatsmitglieds, die rechtswidrige Besetzung eines Ausschusses, eine fehlerhafte Wahlhandlung, die unzureichende Information des Gemeinderats etc. verlangen zwar möglicherweise auch, aber nicht primär deshalb nach einstweiligem Rechtsschutz, weil die Wahlperiode des Gemeinderats zu Ende gehen mag, ehe die Hauptsacheentscheidung erginge, sondern weil eben die ganze Zeit über Entscheidungen getroffen werden, an denen das ausgeschlossene Mitglied, die übergangene Fraktion nicht beteiligt wären, die ein fehlerhaft Gewählter träfe, oder die der Gemeinderat auf unzureichender Grundlage zu treffen hätte usw. 1 2 3

VG Göttingen, NdsVBl. 1999, 218. Hierzu oben H.1.1.b. Vgl. OVG Münster, DVBl. 1973, 646, 647; Ziekow, NWVBl. 1998, 307.

988

H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Es ist also vor allem der kontinuierlich ablaufende arbeitsteilige Funktionszusammenhang der streitbefangenen Organe und Organteile 4, der eine schnelle Klärung allfälliger Streitfragen durch unabhängige gerichtliche Instanzen gleichermaßen zum effektiven Schutz der subjektiven Organrechte wie im Interesse einer möglichsten Störungsfreiheit des Organisationsablaufs unverzichtbar werden läßt. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist folglich nicht allein deswegen weniger dringlich, wenn und weil die Wahlperiode des betroffenen Organs gerade begonnen hat und daher gewisse Aussichten bestehen mögen, das Hauptsacheverfahren nicht nur in der ersten Instanz abzuschließen, sondern womöglich sogar ein rechtskräftiges Urteil zu erhalten. Da Innenrechtsakte nicht als Verwaltungsakte anzusehen sind5, richtet sich der vorläufige Rechtsschutz bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten nicht nach § 80 VwGO, sondern insgesamt nach § 123 VwGO 6 . Auch die gelegentlich befürwortete analoge Anwendung des § 80 VwGO 7 greift nicht Platz, wenn man die Statthaftigkeit einer allgemeinen Gestaltungsklage verneint 8, weil es dann kein der Anfechtungsklage vergleichbares Hauptsacheverfahren gibt, welches im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ein Bedürfnis aufwerfen könnte, auf die besonderen Regelungen des § 80 VwGO zurückzugreifen. Ein Organ oder Organteil, das sich durch eine von Seiten eines anderen Organs oder Organteils drohende Veränderung des bestehenden Zustandes in der Ausübung seiner Rechte gefährdet sieht, kann unter den gewöhnlichen gesetzlichen Voraussetzungen eine Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO erwirken 9. Sonstige einstweilige Anordnungen, insbesondere die Erweiterung seiner Rechtsposition (beispielsweise zur vorläufigen Durchsetzung eines primären Leistungsrechts wie etwa eines Informationsanspruchs, eines sekundären Folgenbeseitigungsanspruchs etc.) kann das Organ oder Organteil da-

4

Vgl. oben A.I.3.a. Ausführlich oben G.III.2.a. 6 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1988, 81; OVG Weimar, DVB1. 2000, 935; Aulehner, JA 1989, 482; Bauer/Krause, JuS 1996, 517; Bethge, HKWP II, S. 194; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 800; Fehrmann, NWVB1. 1989, 308; Finkelnburg/,Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 178; Lange, JuS 1994, 297; Lüders, Ratsausschüsse, S. 153; Püttner, Kommunalrecht BW, Rn. 259; Stober, Kommunalrecht, § 15 X 6; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 688; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 135, 174. Einer bloß analogen Anwendung des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO (so Buchwald, Der verwaltungsgerichtliche Organstreit, S. 170 f.) bedarf es nicht, nachdem sich auch Organrechte als subjektive Rechte erwiesen haben (dazu oben Ε.Π.6.). 7 Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 138 f.; Kiock, Kommunalverfassungsstreitigkeiten, S. 108 ff.; Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage, S. 107 ff.; Seeger, BWVPr 1978, 53. 8 Hierzu eingehend oben H.II.2. 9 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253; OVG Lüneburg, OVGE 27, 351, 352. 5

IV. Vorläufiger Rechtsschutz

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gegen mittels einer Regelungsanordnung 10 gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO anstreben 11. Für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Organstreitverfahren gelten keine Besonderheiten. Das antragstellende Organ muß also einen Anordnungsanspruch, d.h. ein durch die einstweilige Anordnung zu schützendes materielles Abwehr- oder Leistungsrecht gegen den Antragsgegner, sowie einen die Eilbedürftigkeit begründenden Anordnungsgrund glaubhaft machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) 12 . Von besonderer praktischer Bedeutung ist, daß das verletzte Organ oder Organteil im Wege einer Sicherungsanordnung die Vollziehung von Beschlüssen (vorläufig) verhindern kann, die unter Verletzung seiner Organrechte zustande kamen13. Denn angesichts der Schwierigkeiten, auf welche die Realisierung eines Folgenbeseitigungsanspruchs stoßen kann, sobald ein solcher Beschluß erst einmal im Außenverhältnis umgesetzt worden ist 14 , kann ein dringliches Interesse bestehen, die Schaffung solcher irreversibler Fakten zu verhindern. Wurde ein rechtswidrig zustande gekommener Beschluß freilich so schnell vollzogen, daß eine Sicherungsanordnung zu spät käme, so kann das verletzte Organ oder Organteil eine Regelungsanordnung auf vorläufige Rückgängigmachung anstreben, was vor allem zur Verhinderung einer weiteren Verfestigung der Position des Dritten im Außenverhältnis sinnvoll sein kann; dabei ist aber freilich das eventuell bereits verwirklichte Vertrauensschutzinteresse des Außenstehenden zu beachten15 und im übrigen das Bestehen eines Anordnungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen, aus welchen Gründen ein solcher Antrag eher selten Erfolg haben dürfte. Der einstweilige Rechtsschutzantrag kann sowohl gegen das verletzende Organ oder Organteil - beispielsweise kann der Gemeinderat oder ein Gemeinderatsausschuß verpflichtet werden, durch Fassung eines entsprechenden neuen Beschlusses die Ausführung des organrechtsverletzenden früheren Beschlusses durch den Bürgermeister zu stoppen - als auch gegen den Bürgermeister als

10

Zur Unterscheidung von Sicherungs- und Regelungsanordnung vgl. Finkelnburg/ Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 141 ff., 173 ff., 198 ff.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 33 Rn. 2, 13 f.; Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 6 ff.; Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 59 Rn. 20 ff; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 1025 ff. 11 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1988, 81; VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 580; Aulehner, JA 1989, 483; Lange,, JuS 1994, 297. 12 Vgl. hierzu Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 33 Rn. 15; Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 6; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 1032 f.; hinsichtlich der Notwendigkeit eines Anordnungsanspruchs bei der Regelungsanordnung zweifelnd Lange, JuS 1994, 297 f., 300. 13 OVG Münster, DVBl. 1973, 646, 647; Lüders, Ratsausschüsse, S. 154 f. 14 Vgl. hierzu näher oben G.IV.3. 15 Vgl. oben G.IV.3.a.bb (4).

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Vollziehungsorgan gerichtet werden 16, insoweit letzterer nämlich durch die Ausfuhrung eines organrechtsverletzend zustande gekommenen Beschlusses die Organrechte des bei der Beschlußfassung übergangenen Organs oder Organteils noch einmal zusätzlich beeinträchtigen würde 17 . Der Rechtsschutzantrag gegen das verletzende bzw. das Ausfuhrungsorgan wird in aller Regel genügen. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, so ist auch fur das einstweilige Rechtsschutzverfahren daran zu erinnern, daß das verletzte Organ oder Organteil aufgrund des Prinzips der Organtreue einen Anspruch gegen alle zuständigen Organe und Organteile auf Mitwirkung bei der (Folgen)Beseitigung hat 18 ; dieser Anspruch ist im Wege einer Regelungsanordnung vorläufig realisierbar. Bei der Entscheidung über den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung hat das Gericht - wenn nicht bereits die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheantrags dessen offensichtliche Begründetheit bzw. Unbegründetheit erweist und damit im positiven bzw. negativen Sinne die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren indiziert 19 - auf der einen Seite das Interesse des antragstellenden Organs am einstweiligen Schutz seiner Organrechte und auf der anderen Seite die Interessen des antragsgegnerischen Organs sowie das öffentliche Interesse der betroffenen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung an ihrer Funktionsfähigkeit abzuwägen20. Die Berücksichtigungsfähigkeit letzteren Erfordernisses ergibt sich aus der Einordnung aller Organe und Organteile in die Organisation, weil damit deren Interessen notwendig zugleich Interessen ihrer Organe und Organteile sind 21 , die sie folglich auch im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes für und gegen sich gelten lassen müssen. Mittels der gebotenen Berücksichtigung des Funktionsinteresses der Organisation kann ausgeschlossen werden, daß ihre Funktionsfähigkeit durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in inakzeptabler Weise beeinträchtigt wird 22 .

16 Für letzteres OVG Münster, DVB1. 1973, 646, 648; Fehrmann, NWVB1. 1989, 310; Lüders, Ratsausschüsse, S. 155; a.A. VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703 f. 17 Vgl. oben G.IV.3.a.cc (1). 18 S. obenG.IV.3.a.cc(l). 19 Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 160, 228 f.; Hufen, Vgl. hierzu Finkelnburg/Jank, Verwaltungsprozeßrecht, §33 Rn. 15; Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 25; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 548; krit. Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 123 (Lfg. 1996) Rn. 83. 20 VwGO, § 123 Rn. 20, 27; Zu dieser Interessenabwägung vgl. Bader/Funke-Kaiser, Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rn. 156, 160 ff., 228 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rn. 23 ff; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 1033; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 549; im Ergebnis auch Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 123 Rn. 17; krit. Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 59 Rn. 18 f. 21 Vgl. oben A.I.2.b.aa und E.II.2. 22 Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 135 f.; vgl. bereits oben F.II.2.a. - Verfehlt daher die These von Alberts, WissR 1974, 63, bei Organstreitigkeiten müsse vorläufiger

IV. Vorläufiger Rechtsschutz

991

Keine Zustimmung verdient die Ansicht, daß es fur den Anordnungsgrund in einem Organstreitverfahren „nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf an[komme], ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft objektiv notwendig" erscheine 23. Nachdem die Organkompetenzen richtigerweise als subjektive Rechte anzusehen sind 24 , gibt es keinen Grund für ihre Reobjektivierung gerade im vorläufigen Rechtsschutzverfahren 25. Dieses dient der vorläufigen Sicherung bzw. Durchsetzung subjektiver Rechte und daher muß konsequenterweise die jeweilige Schutzbedürftigkeit der widerstreitenden Organe und Organteile in die Abwägung eingestellt werden 26. Es genügt vollauf, daß die einstweilige Anordnung nicht im Widerspruch zu den Funktionsinteressen der betreffenden Organisation ergehen darf; ob sie durch diese nachgerade geboten ist, spielt keine Rolle. Unzutreffend ist ferner die Ansicht, für die Interessenabwägung seien „die Interessen der durch die Organmitglieder repräsentierten Personen" von Bedeutung 27 . Es wurde bereits gezeigt, daß der Repräsentationsgedanke infolge der rechtlichen Trennung von Repräsentierten und Repräsentanten nur rein politischer Natur und als solcher nicht als Anknüpfungspunkt unmittelbarer rechtlicher Folgen geeignet ist 28 . Insoweit aber Organkompetenzen einen spezifisch demokratierechtlichen Hintergrund besitzen29, kommt ihnen freilich besonderes Gewicht zu, und von daher ist bei der Interessenabwägung allerdings von Belang, inwieweit es bei der begehrten einstweiligen Anordnung gerade auch um die Vermeidung demokratierechtlich relevanter Beeinträchtigungen geht (wie z.B. bei einer einstweiligen Anordnung gegen die Ausschließung eines gewählten Gemeinderatsmitglieds aus dem Gemeinderat).

Rechtsschutz mit Rücksicht auf die Funktionsfahigkeit der jeweiligen Organisation ganz ausscheiden. 23 So OVG Münster, DVBl. 1993, 212, 213; 1993, 213, 215. 24 S. oben E.II.6. 25 Vgl. Ziekow, NWVBl. 1998, 307. 26 Vgl. Bethge, HKWP II, S. 194; Ziekow, NWVBl. 1998, 308. 27 So Bracher, NWVBl. 1994, 412 f. 28 S. oben F.II.l.a.dd(l). 29 S. oben F.II.l.a.cc.

V. Die Kostentragung in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren In Organstreitverfahren stellt sich wie in jedem anderen Verwaltungsprozeß die Frage, wer die angefallenen Kosten zu tragen hat, also erstens die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen)1, zweitens die zur zweckentsprechenden Rechtswahrnehmung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten (vgl. § 162 Abs. 1 VwGO), unter denen regelmäßig die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes (vgl. § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO) besonders zu Buche schlagen werden. Prozessual stellt sich hier zunächst die Frage nach der Kostenentscheidung (nachfolgend 1.), materiell interessiert die endgültige Kostentragung (unten 2.).

1. Die Kostenentscheidung Unabhängig davon, ob das Organstreitverfahren durch Urteil oder durch Beschluß beendet wird, muß daß Gericht gemäß § 161 Abs. 1 VwGO eine Kostenentscheidung treffen. Umstritten ist, wem die Kosten aufzuerlegen sind. Teilweise wird vertreten, die Kosten seien unmittelbar der Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts aufzuerlegen, dessen Organe das Verfah-

1

Eine Gerichtskostenfreiheit des verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahrens (so Fromm, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 129 Fn. 1) ist angesichts des § 2 Abs. 3 GKG nicht anzunehmen, nach welchem vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit „Vorschriften über persönliche Kostenfreiheit keine Anwendung" finden, so daß hier insbesondere auch Träger öffentlicher Gewalt und ihre Organe keine Kostenfreiheit genießen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 163 Rn. 1; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 137). Eine analoge Anwendung des eine generelle Kostenfreiheit fur die Verfahren vor dem BVerfG vorschreibenden § 34 Abs. 1 BVerfGG (hierfür Fromm, Kommunal verfassungsstreitverfahren, S. 129 Fn. 1) scheitert daran, daß § 188 VwGO enumerate nur ganz bestimmte verwaltungsgerichtliche Verfahren von Gerichtskosten freistellt und daher der Wille des Gesetzgebers einer weitergehenden Kostenbefreiung entgegensteht. Daß nicht nur der Verwaltungsträger, dessen Organe und Organteile den Organstreit austragen, sondern nicht minder der Staat ein Interesse an der Herbeiführung kompetenzordnungsmäßiger Zustände hat (Fromm, ebd.), ist zwar richtig, doch hat der Staat immer ein Interesse an rechtmäßigen Zuständen, ohne deshalb seine Gerichtsverfahren regelmäßig kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

V. Die Kostentragung

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ren ausgetragen haben2, und zwar schon deswegen, weil der Prozeß „in erster Linie" deren Belangen gedient habe3. Außerdem wird vorgebracht, daß die sich streitenden Organe und Organteile zwar in ihrem Verhältnis zueinander subjektive Rechte hätten, ihre Rechtssubjektivität aber auf die betreffenden Organrechte beschränkt sei und keine Vermögensfähigkeit im Außenverhältnis zur Gerichtsbarkeit umfasse, so daß es schon deshalb unumgänglich sei, die Kosten der betreffenden juristischen Person aufzuerlegen 4. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, daß am verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren ausschließlich Organe und Organteile eines Verwaltungsträgers als Kläger und Beklagte beteiligt sind, nicht aber der Verwaltungsträger selbst5. Gegen einen am Prozeß nicht Beteiligten6 kann indes keine Kostenentscheidung ergehen7. Deshalb muß die Entscheidung im Organstreitverfahren zwingend mit einer Kostenentscheidung zu Lasten wenigstens eines der beteiligten Organe oder Organteile enden (§ 154 Abs. 1, 2 VwGO), bei teilweisem Obsiegen und Unterliegen auch zu Lasten beider (§ 155 VwGO) 8 . Die nur relative Rechtssubjektivität und partielle Rechtsfähigkeit der beteiligten Organe und Organteile 9 steht einer solchen Kostenentscheidung nicht entgegen. Denn die Kosten werden ihnen nicht als Vermögensträger auferlegt, sondern allein aufgrund ihrer Rolle im Prozeß. Der kostentragungspflichtige „unterliegende Teil" (§ 154 Abs. 1 VwGO) ist entweder der Kläger oder der Be-

2 OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1197; VGH Mannheim, NJW 1982, 902, 903; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 186 f.; Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 164; Püttner, Organstreitverfahren, S. 136; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 138 ff. 3 Knöppel, Kommunalverfassungsstreitverfahren, S. 164. 4 VGH Mannheim, NJW 1982, 902; Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 186 f.; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 139. 5 S. oben H.I.3.a. 6 Eine Beiladung der juristischen Person zum Organstreitverfahren allein zur Kostenauferlegung würde, von allen sonstigen Bedenken abgesehen, die Problematik nicht lösen, da dies eine Kostenbelastung zumindest eines Organs oder Organteils nicht erübrigte: dem Beigeladenen können niemals sämtliche Kosten sowohl der Kläger- wie der Beklagtenseite auferlegt werden; zutreffend OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 445 f. 7 OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 445; OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 461; V G Hannover, NdsVBl. 2000, 308. 8 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665, 666; VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284; 1990, 893, 894; OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 445; OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, 459, 461; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702 f.; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308; Eyermann/Rennert, VwGO, vor § 154 Rn. 10; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 799; Olbertz, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, vor § 154 (3. EL 1998) Rn. 13; entsprechend U. Bauer, Organklagen, S. 81 f. 9 Vgl. hierzu oben E.II.4.d.

65 Roth

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

klagte, im Falle der Beiladung das beigeladene Organ oder Organteil 10 nach dem Maßstab des § 154 Abs. 3 VwGO, und nur bei fehlender Beteiligungsfähigkeit (§ 61 VwGO) von Kläger oder Beklagtem die im Verfahren aufgetretene Person 11. Folglich ist, wer beteiligungsfähig ist, auch kostentragungsfähig. Auf die allgemeine Vermögensfähigkeit kommt es nicht an, weil das Prozeßrechtsverhältnis der Beteiligten zum Gericht durch die einschlägigen Prozeßrechtsvorschriften bestimmt wird. Die VwGO ist deshalb nicht gehindert, denjenigen Rechtssubjekten, denen sie nach § 61 VwGO Beteiligungsfähigkeit zuerkennt, als Beteiligte dann auch nach §§ 154 ff. VwGO eine Kostenlast aufzuerlegen, und zwar, wie § 61 Nrn. 2 und 3 VwGO beweisen, unabhängig von ihrer vermögensrechtlichen Rechtsfähigkeit im allgemeinen Rechtsverkehr. Hinsichtlich des Inhalts der Kostenentscheidung gelten fur das Organstreitverfahren keine Besonderheiten.

2. Der Kostenerstattungsanspruch Mit der Kostenentscheidung des Gerichts steht zwar fest, welches Organ oder Organteil die Gerichtskosten schuldet und die Aufwendungen der anderen Beteiligten ersetzen muß. Indessen ist damit noch nicht gesagt, daß diese prozessuale Kostenzuweisung auch in einem materiellen Sinne das definitive Ergebnis bleiben müsse. Die gerichtliche Kostenentscheidung verteilt lediglich die Prozeßkosten zwischen den Beteiligten und läßt unberücksichtigt, in wessen materiellen Interesse der Prozeß stattfand 12. Insoweit ist nun zu bedenken, daß Organe und Organteile, obschon sie um ihre jeweiligen Organrechte streiten, damit doch letztlich immer das Interesse ihres Rechtsträgers an der Einhaltung seiner inneren Kompetenzordnung verfolgen 13. Welche Bedeutung aber diesem Interesse zukommt, erhellt am besten, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ja schließlich gerade das Interesse der Organisation an einer bestmöglichen Absicherung und Durchsetzung der Kompetenzordnung der entscheidende Gesichtspunkt für die Anerkennung der subjektiven Rechtsnatur rechtlich festgelegter Organkompetenzen ist 14 . Wenn sich beispielsweise der Gemeinderat und der Bürgermeister um ihre jeweiligen Zuständigkeiten streiten, so hat dieser Streit isoliert für sich betrachtet schon deshalb keinen Sinn, weil der Gemeinderat 10 Zur Beiladung in einem verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren oben H.I.3.a. 11 Kopp/Schenke, VwGO, § 61 Rn. 15, § 154 Rn. 1; Neumann, in NKVwGO, § 154 (2. EL 1999) Rn. 59; Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 154 Rn. 2. 12 VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284; OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308. 13 Vgl. VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703. 14 Vgl. oben F.II. 1.

V. Die Kostentragung

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bzw. der Bürgermeister isoliert für sich auch keinen Sinn haben; die Kompetenzen dieser Organe haben nur Bedeutung in bezug auf die Gemeinde, insofern sie nämlich bestimmen, welches Organ jeweils für die Gemeinde handeln darf und muß. Wenn nun aber ein Organ oder Organteil von seinen auf solche Überlegungen zurückgehenden subjektiven Organrechten zu dem Zweck Gebrauch macht, um seine Kompetenzen gegen Übergriffe seitens anderer Organe oder Organteile zu verteidigen, so zeigt sich, daß bei materieller Betrachtung die jeweilige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung das größte Interesse an der Durchführung des Organstreitverfahrens haben muß, nachdem dieses der Wahrung ihrer Kompetenzordnung dient. Wird der Organstreit letztlich also immer im ureigenen Interesse der Organisation ausgetragen, damit deren Kompetenzordnung gewahrt bleibe, dann wäre es nicht überzeugend, die Prozeßkosten endgültig dem unterliegenden Organ oder Organteil (bzw. bei dessen Vermögenslosigkeit den dahinterstehenden Organwaltern) zu belassen15 und seinen Haushaltstitel zu Gunsten des obsiegenden Organs oder Organteils zu belasten. Deshalb wird zu Recht überwiegend ein öffentlich-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch 16 des mit Kosten belasteten Organs bzw. Organteils gegen seinen Rechtsträger bejaht17, und zwar vorzugsweise in Gestalt eines Freistellungsanspruchs, sonst eines nachträglichen Aufwendungsersatzanspruchs™. Es entspricht nämlich einem allgemeinen Grundsatz, daß jede Körperschaft, Anstalt und Stiftung des öffentlichen Rechts die Ausgaben zu tragen hat, die ihre Organe in Wahrnehmung ihrer Aufgaben verursachen19. Eine vergleichbare Kostentragungspflicht ist durch § 44 Abs. 1 S. 1 BPersVG und die entsprechenden Vorschriften der Personalvertretungsgesetze

15 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 445 f.; NVwZ-RR 1993, 266, 267; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140; U. Bauer, Organklagen, S. 83. 16 Allgemein zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch BVerwGE 71, 85, 87 ff.; 100, 56, 59 f.; OVG Münster, OVGE 40, 243, 245; Maurer, AllgVerwR, § 28 Verwaltungsrecht I, § 55 Rn. 19 ff. Rn. 20 ff.; Wolff/Bachof/Stober, 17 OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665, 666; VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284; OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 445 f.; NVwZ-RR 1993, 266, 267; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308; Eyermann/Rennert, VwGO, vor § 154 Rn. 10; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 799; Kopp/Schenke, VwGO, vor § 154 Rn. 2; Maurer, AllgVerwR, §21 Rn. 28; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 687; mit Einschränkungen auch Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 176 ff; für Rechtsanwaltskosten auch Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 189; vgl. femer U. Bauer, Organklagen, S. 82 f.; krit. Redeker/ v. Oertzen, VwGO, § 154 Rn. 2; a.A. VG Würzburg, NVwZ-RR 1997, 487; Erlenkämper, NVwZ 1999, 363; z.T. a.A. Heermann, Der Gemeinderatsbeschluß, S. 129, 310. 18 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446. 19 OVG Koblenz, NVwZ 1987, 1105; OVG Münster, NWVBl. 1990, 88; DVBl. 1992, 444, 446; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

der Länder (z.B. § 45 Abs. 1 S. 1 PersVG BW) gesetzlich positiviert 20 , doch ergibt sie sich im übrigen aus der transitorischen Wesensnatur der Organe, die auch dann nicht entfällt, wenn Organe und Organteile im Innenverhältnis um ihre organschaftlichen Rechte streiten 21. In der Tat ist es auch in der Praxis noch nie umstritten gewesen, daß beispielsweise die Gemeinde die Prozeßkosten übernimmt, wenn der Gemeinderat oder der Bürgermeister kostentragungspflichtig sind 22 . Diese Kostentragungspflicht gilt aber nicht nur diesen, sondern auch allen anderen Organen und Organteilen wie z.B. Gemeinderatsausschüssen, Gemeinderatsfraktionen und einzelnen Gemeinderatsmitgliedern gegenüber 23. Daß bei deren Klagen vielleicht häufiger als bei den Klagen des Gemeinderats bzw. des Bürgermeisters zweifelhaft sein mag, ob die Prozeßführung so sehr dem Interesse der Gemeinde widersprach, daß der Kostenerstattungsanspruch ausnahmsweise entfallt, vermag an diesem Grundsatz nichts zu ändern 24. Mit dem soeben erwähnten Vorbehalt ist zugleich die entscheidende Grenze des materiellen Kostenerstattungsanspruchs angesprochen. Dieser liegt, wie ausgeführt, darin begründet, daß die Organe und Organteile im Organstreitverfahren letzten Endes Interessen ihrer Organisation wahrnehmen. Daraus folgt aber, daß Klageerhebung und Prozeßführung Rücksicht auf die Belange der Körperschaft, Anstalt oder Stiftung nehmen und ihrem Interesse an der Wahrung ihrer Kompetenzordnung dienen müssen25. Deshalb kann nach Treu und Glauben nur dann Kostenerstattung beansprucht werden, wenn die betreffende Auseinandersetzung „mit vernünftigem Grund" geführt 26 und „nicht mutwillig aus sachfremden Gründen" in Gang gesetzt wurde 27 . Als Anhaltspunkt und gesetzlicher Vergleichsmaßstab kann dabei auf den von § 114 ZPO statuierten Maßstab der Mutwilligkeit zurückgegriffen werden 28, der allgemein dahin verstanden wird, daß die Rechtsverfolgung dann nicht mutwillig ist, wenn eine verständige Partei ihr vermeintes Recht in derselben Weise auf eigene Kosten 20

OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 139

Fn. 6. 21

Vgl. hierzu oben E.II.3.b. PrOVGE 75, 94, 96. 23 OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140 f.; Kehn/ Cronauge, GemO NRW, §27 (16. EL 1994) Anm. II 4; Thiele, NdsGemO, §47 Anm. 5, S. 135; a.A. Seeger, BWVPr 1978, 53. 24 Treffend OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446. 25 OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446. 26 OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195, 1197. 27 OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141; ebenso OVG Bautzen, NVwZ-RR 1997, 665, 666; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308 f.; Eyermann/Rennert, VwGO, vor § 154 Rn. 10; Rehn/Cronauge, GemO NW, § 27 (16. EL 1994) Anm. II 4; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 135. 28 OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141. 22

V. Die Kostentragung

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verfolgen würde 29 . Ob die Prozeßführung in diesem Sinne vernünftig oder aber mutwillig war, bemißt sich nicht ex post nach dem Prozeßausgang, sondern ist aus der Sicht ex ante zu beurteilen 30. Deshalb kann auch die Erhebung einer sich als unzulässig oder unbegründet erweisenden Klage vernünftig gewesen sein, vorausgesetzt, daß ein echter Streit bestand und die Erfolglosigkeit nicht offensichtlich war 31 . Nach diesen Kriterien besteht kein Erstattungsanspruch, wenn das berühmte Organrecht eindeutig und offensichtlich nach keiner Betrachtungsweise bestanden haben kann 32 , was zumal dann der Fall ist, wenn rein persönliche Rechte des Organwalters 33 oder bloß objektivrechtliche Rechtsverstöße geltend gemacht wurden 34, ferner wenn die Klage aus sachfremden Gründen erhoben wurde 35 , schließlich auch, wenn sogleich der aufwendige und kostenintensive Weg zu den Gerichten beschritten wurde, ohne zuvor etwaige erfolgversprechende außergerichtliche Lösungsmöglichkeiten zu versuchen 36. Die vorherige Anrufung der Rechtsaufsichtsbehörde kann allerdings in der Regel nicht gefordert werden 37, und zwar schon deshalb nicht, weil diese eine dem Opportunitätsprinzip unterliegende objektive Rechtmäßigkeitskontrolle ausübt38; ein anderes ist nur in den Ausnahmefällen anzunehmen, in denen die Nichteinschaltung der Rechtsaufsichtsbehörde das Rechtsschutzbedürfnis entfallen läßt 39 . Werden im Organstreitverfahren mehrere Anträge gestellt und greift nur für einzelne ein solcher Ausschlußtatbestand ein, so ist der Erstattungsanspruch entsprechend ihrer Bedeutung zu kürzen 40, desgleichen sind nach Treu und

29 Eyermann/P. Schmidt, VwGO, § 166 Rn. 27; Kopp/Schenke, VwGO, § 166 Rn. 9; Musielak/Fischer, ZPO, § 114 Rn. 30; Rehn/Cronauge, GemO NW, § 27 (16. EL 1994) Anm. II 4; Thomas/Putzo, ZPO, § 114 Rn. 7; vgl. BVerfGE 51, 295, 302. 30 Vgl. OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141. 31 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308; Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 135. 32 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308, 309; im Ergebnis auch Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 181. 53 Vgl. OVG Koblenz, NVwZ 1987, 1105; VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308. 34 VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284 f.; OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141; VG Darmstadt, NVwZ-RR 1999, 702, 703. 35 VGH Mannheim, NVwZ 1985, 284; OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446; OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141. 36 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 446; restriktiver OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141. 37 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 447; Rehn/Cronauge, GemO NRW, § 27 (16. EL 1994) Anm. II 4 (es darf nicht „grundlos" auf die Einschaltung der Rechtsaufsichtsbehörde verzichtet worden sein). 38 Thiele, NdsGemO, § 47 Anm. 5, S. 135. - Vgl. oben F.II.l.b.aa. 39 S. hierzu oben H.III. 1. 40 OVG Münster, DVBl. 1992, 444, 447.

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H. Der Organstreit im Verwaltungsprozeß

Glauben unnötig hohe und vermeidbare Aufwendungen nicht erstattungsfähig 41. Teilweise wird dafür plädiert, die Erstattungspflicht bei Rechtsanwaltskosten auf die Fälle zu beschränken, in denen Vertretungszwang (§ 67 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO) herrscht 42. Gegen diese Beschränkung spricht aber, daß auch Organe und Organteile im Organstreitverfahren jederzeit die Möglichkeit haben müssen, sich vor Gericht des Beistands eines Rechtsanwalts zu bedienen43, zumal es auch im wohlverstandenen Interesse des Rechtsträgers liegt, daß der Organstreit prozessual ordnungsgemäß geführt und in materieller Hinsicht möglichst jeder relevante Gesichtspunkt vorgebracht werde. Zwar trifft der Hinweis zu, daß beispielsweise ein Gemeinderatsmitglied im Gemeinderat durchaus auch über juristisch zweifelhafte Fragen selbst befinden muß und sich dabei von keinem Rechtsanwalt vertreten lassen kann 44 . Nicht zuletzt dieses Laienelementes wegen hat aber eben der Bürgermeister seine starke Stellung im Gemeinderat erhalten, inklusive der Sitzungsvorbereitung (§ 43 Abs. 1 GemO BW), der Pflicht zur Unterrichtung und Belehrung der Gemeinderatsmitglieder über die für anstehende Beschlüsse relevante Rechtslage sowie des Widerspruchsrechts (§ 43 Abs. 2 GemO BW), damit den Gemeinderatsmitgliedern eben nicht die alleinige Letztverantwortung bei derartigen Fragen verbleibt. Im übrigen ist ein gerichtliches Organstreitverfahren keine Fortsetzung der Gemeinderatssitzung mit anderen Mitteln 45 , vielmehr läuft es strikt nach den Bestimmungen der VwGO und nicht nach den für die Organtätigkeit gültigen Regeln ab 46 . Außerdem trifft der Gemeinderat keine der Rechtskraft fähigen Entscheidungen, das Gericht aber sehr wohl, und schon deshalb besteht hier ein wesentlich größeres Bedürfnis für eine juristisch sachverständige Vertretung. Infolgedessen sind die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes auch ohne Vertretungszwang dann erstattungsfähig, wenn die Vertretung von dem betreffenden Organ oder Organteil nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich gehalten werden durfte 47 . Die Verfolgung offensichtlich aussichtsloser Ansprüche rechtfertigt nach diesem Maßstab nicht die Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit der Prozeßvertretung, selbst wenn das betreffende Organ oder Organteil zuvor anwaltlichen Rat eingeholt hat und in der erteilten Auskunft die Erfolgsaussichten eines Organstreit41

OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446: z.B. die gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren übersteigende Honorarvereinbarung. 42 Jockisch, Prozeßvoraussetzungen, S. 189; Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 178. 43 Vgl. OVG Saarlouis, NVwZ 1985, 140, 141. 44 Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 177. 45 Unzutreffend Zimmerling, Organstreitigkeiten, S. 177, daß „von der rechtlichen Würdigung her" kein relevanter Unterschied bestehe zwischen einem Antrag in der Gemeinderatssitzung, einen Beschluß wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, und einem „gleichlautenden Antrag" beim Verwaltungsgericht. 46 OVG Saarlouis, NVwZ 1982, 140, 141. 47 Rehn/Cronauge, GemO NRW, § 27 (16. EL 1994) Anm. II 4; Thiele, NdsGemO, §47 Anm. 5, S. 135.

V. Die Kostentragung

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Verfahrens entgegen der eindeutigen Rechtslage irrtümlich positiv beurteilt wurden 48 . Besitzt das erstattungsberechtigte Organ oder Organteil einen regulären Haushaltstitel zur Bestreitung von Sach- und Personalkosten (z.B. ein pauschaler Zuwendungsanspruch der Gemeinderatsfraktion), so darf der Erstattungsanspruch nicht mit diesen haushaltsrechtlichen Ansprüchen verrechnet werden; diese beschränken sich nämlich im allgemeinen auf den regulären Finanzbedarf und sind vorbehaltlich besonderer Bestimmungen nicht zur Bestreitung von Sonderaufwendungen wie einem Organstreitverfahren gedacht49. Ein nach den dargelegten Grundsätzen bestehender Erstattungsanspruch bezüglich der Kosten eines verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahrens 50 ist gegebenenfalls mittels Leistungsklage gegen die materiellrechtlich erstattungspflichtige Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts geltend zu machen, der das erstattungsberechtigte Organ oder Organteil angehört 51, also nicht etwa seinerseits wieder in einem erneuten verwaltungsrechtlichen Organstreitverfahren.

48

VG Hannover, NdsVBl. 2000, 308, 309. OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 447. 50 Entsprechende Grundsätze gelten für Aufwendungen, die ein Organ bei außergerichtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit einer verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeit tätigen mußte, OVG Münster, DVB1. 1992, 444, 446; NVwZ-RR 1993, 266, 267; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rn. 799. 51 OVG Münster, DVB1. 1992, 444; NVwZ-RR 1993, 266 f. 49

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Organisationen sind als gedanklich abstrahierte Substrate einer Gesamtheit von Menschen zu verstehen, die durch ein bestimmtes Organisationsprinzip derart verbunden sind, daß die Individualität aller Beteiligten zurücktritt und die Organisation zu einer sozial existenten verselbständigten Einheit mit effektiver Wirkmächtigkeit wird [A.I.l.a]. Von besonderer Bedeutung sind im Bereich des Staatsaufbaues als mitgliedschaftlich verfaßte Organisationen die Körperschaften und als herrschaftlich verfaßte die Anstalten und Stiftungen [A.I.l.b]. Zur Herstellung realer Willens- und Handlungsfähigkeit benötigen Organisationen Organe, die wiederum mit natürlichen Personen als Organwaltern besetzt sein müssen. Die Willens- und Handlungsfähigkeit von Organisationen wird im Wege einer zweifachen Anrechnung hergestellt: erstens wird das amtliche Wollen und Handeln der Organwalter als das des jeweiligen Organs und zugleich zweitens das hierdurch ermöglichte Organwollen und -handeln als Wollen und Handeln der Organisation betrachtet [A.I.2.a]. Unter einem Organ ist eine der Organisation eingegliederte, weder rechtsfähige noch auch nur rechtlich selbständige, wohl aber organisatorisch verselbständigte Einheit zu verstehen, die unabhängig vom Wechsel der Organwalter besteht und der die Zuständigkeit sowie die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Funktionen fur die Organisation zukommt [A.I.2.b]. Die Organisation ist Zurechnungsendsubjekt für die ihr im Außenverhältnis zugeordneten Rechte und Pflichten. Diese werden durch ihre Organe transitorisch für sie wahrgenommen. Die Zuständigkeiten, die einem Organ in seiner spezifischen Funktion als Organ zukommen, sind somit Fremdzuständigkeiten in dem Sinne, daß sie auf die Wahrnehmung der Aufgaben der Organisation ausgerichtet sind und nicht um des Organes willen bestehen [A.I.2.b.aa]. Organe sind je nach Anzahl der Organwalter monistischer oder pluralistischer Natur; unter den pluralistischen Organen sind - bei Weisungsbefugnis eines leitenden Organwalters - monokratische und - bei gleichberechtigten Organwaltern - kollegialische zu unterscheiden [A.I.2.b.bb]. Pluralistische Organe können über Organteile verfügen, die sich durch ihre organisatorische Unselbständigkeit von Organen unterscheiden und anders als diese nicht unvermittelt für die Organisation als solche auftreten können. In praxi sind vor allem die Organteile kollegialischer Organe bedeutsam: Jedes Mitglied eines kollegialischen

Zusammenfassung

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Organs stellt für sich ein Organteil dar, doch können auch die mehr oder minder dauerhaften Zusammenschlüsse von Organmitgliedern Organteile konstituieren, wie namentlich die Gemeinderatsfraktionen als Zusammenschlüsse von Gemeinderatsmitgliedern entstehen [A.I.2.b.bb]. Organe werden durch Organisationsakt des Inhabers der Organisationsgewalt errichtet, und zwar entweder durch Rechtssatz oder durch hierarchische Weisung übergeordneter Organe [A.I.2.c]. Daß alle Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts über mehrere Organe verfügen, hat den Vorteil, den verschiedenen Organen ihrer jeweiligen Struktur und Zusammensetzung adäquate Funktionen im Rahmen des arbeitsteiligen Organisationsablaufs zuweisen und dies zugleich mit einer wechselseitigen Kontrolle im Sinne eines Systems von checks and balances verbinden zu können [A.I.3.a]. Der Nachteil eines Organpluralismus ist, daß er eine möglichst genaue Abgrenzung der Kompetenzen der mehreren Organe erforderlich macht [A.I.3.b], jede Kompetenzordnung aber konfliktträchtig ist, weil unter ihrer Geltung nicht mehr nur Streitigkeiten um die Zweck- oder auch in einem allgemeinen Sinne Rechtmäßigkeit von Entscheidungen und Maßnahmen auftreten können, sondern auch Streitigkeiten speziell um die Kompetenzmäßigkeit von Organhandeln möglich werden [A.I.3.C]. Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten heißen die nach den Maßstäben des materiellen Verwaltungs- sowie des Verwaltungsprozeßrechts zu beurteilenden, in verschiedenen Konstellationen auftretenden Streitigkeiten um die Beachtung organschaftlicher Kompetenzen zwischen oder innerhalb von Organen und Organteilen derselben Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts [A.II. 1.]. In der Praxis weitaus am bedeutsamsten sind die Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten zwischen den Organen und Organteilen der Gemeinden und Landkreise. Daneben besitzen die weitestgehend entsprechend den Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten zu behandelnden Organstreitigkeiten innerhalb von Hochschulen, Rundfunkanstalten, Sparkassen und Kammern gewisse praktische Relevanz. Verwaltungsgerichtliche Organstreitigkeiten heben sich als eigenständige Prozeßkonstellation dadurch von den sonstigen Verwaltungsstreitsachen ab, daß auf Kläger- wie Beklagtenseite Organe bzw. Organteile derselben juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen [A.II.2.]. Eine verwaltungsrechtliche Organstreitigkeit liegt nicht vor, wenn an dem Streit ein Rechtssubjekt beteiligt ist, welches kein solches Organ oder Organteil ist. Insbesondere Streitigkeiten um Zulassung und Durchführung kommunaler Bürgerbegehren sind nicht als Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten anzusehen, sondern in gewöhnlichen Außenrechtsstreitverfahren gegen die Gemeinde auszutragen [A.II.3.]. Eine Organstreitigkeit liegt ferner nicht vor, wenn einzelne Organwalter nicht als Organ oder Organteil um organschaftliche Befug-

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nisse streiten, sondern um ihre persönlichen subjektiven Rechte auf das Amt und an dem Amt bzw. um persönliche Rechte aus dem Amt (Organwalterstreitigkeiten) [A.II.4.]. Während sich im Grundgesetz und dem BVerfGG recht detaillierte Regelungen über Verfassungsorganstreitigkeiten finden [B.II.], enthält die VwGO keine expliziten Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten. Immerhin kennt sie in § 193 VwGO mit der Ersatzzuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts für Landesverfassungs(organ)streitigkeiten [B.I.l.a] und in §47 VwGO mit der behördlichen Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren [B.I.l.b] Regelungen, aus denen klar hervorgeht, daß die Austragung von Organstreitigkeiten weder außerhalb des Aufgabenbereichs der Verwaltungsgerichte liegt noch der VwGO überhaupt wesensfremd ist. Der Prozeßrechtsgesetzgeber ist in seiner Entscheidung frei, ob und unter welchen Voraussetzungen er die verwaltungsgerichtliche Austragung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten zulassen will, da Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts nicht unter dem Schutz der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG stehen und sich aus dem Rechtsstaatsprinzip eine Gewährleistung gerichtlichen Rechtsschutzes allenfalls in sehr begrenztem Umfange herleiten läßt. Eine Ausnahme ist insofern nur für Organstreitigkeiten innerhalb der Rundfunkanstalten und Hochschulen anzuerkennen: Da nicht nur die Rundfunkanstalten und die Hochschulen selbst Träger der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 bzw. Art. 5 Abs. 3 GG sind, sondern auch ihre Organe und Organteile, genießen diese als Grundrechtsträger den Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG für sämtliche ihrer Kompetenzen, sofern diese als subjektive Rechte und damit als Rechte im Sinne dieser Verfassungsbestimmung anzusehen sind [B.I.2]. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht allein für Außenrechtsstreitigkeiten zwischen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und einem Bürger eröffnet, sondern auch für Streitigkeiten, die den innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis betreffen [C.I.]. Die Annahme von Rechtsstreitigkeiten im innerorganisatorischen Verwaltungsrechtskreis scheitert nicht daran, daß es im Innenraum von Organisationen keine Rechtsbeziehungen gäbe. Die Vorstellung einer Undurchdringlichkeit von Organisationen für das Recht wäre nicht nur unhaltbar [C.II.l.], tatsächlich wurde eine solche Impermeabilitätstheorie so auch nie vertreten, sondern wurde bereits in der Rechtslehre des Konstitutionalismus namentlich von Georg Jellinek und Paul Laband durchaus die Möglichkeit gerichtsförmig auszutragender rechtlicher Organstreitigkeiten anerkannt [C.II.2. bis 4.]. Die verwaltungsgerichtliche Austragung von Organstreitigkeiten sollte vor diesem Hintergrund in der aktuellen Diskussion nicht länger als besonders rechtfertigungsbedürftige Ausnahmeerscheinung behandelt und ob ihres vermeintlichen Ausnahmecharakters restriktiv gehandhabt werden.

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Die Kompetenzen von Organen und Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts können aufgrund der rechtlichen Permeabilität von Organisationen zum einen durch Rechtssätze festgelegt werden [C.II.5.]. Denkbar und praktisch bedeutsam ist daneben die Aufstellung von organisationsinternen Kompetenzordnungen im Wege hierarchischer Weisung, insbesondere in Gestalt von Verwaltungsverordnungen als abstrakt-generellen hierarchischen Weisungen [C.III. 1.]. Hierarchische Weisungen gründen im Unterschied zu hoheitlichen Weisungen (insbesondere Verwaltungsakten) nicht auf der im allgemeinen Gewaltverhältnis zwischen Rechtssubjekten und dem Staat bestehenden allgemeinen Gehorsamspflicht, sondern auf einer besonderen Gehorsamspflicht des Angewiesenen, wie sie nur in einem besonderen Gewaltverhältnis besteht [C.III.4.]. Während hoheitliche Weisungen im allgemeinen Gewaltverhältnis neue Rechtspflichten begründen können, hierzu aber einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, ergehen hierarchische Weisungen ohne besondere gesetzliche Ermächtigung [C.III.4.C]. Dafür setzen sie aber das Bestehen eines besonderen Gewaltverhältnisses voraus, welches durch eine von Weisungsbefugnis und Gehorsamspflicht geprägte hierarchische Über- und Unterordnung definiert ist [C.III.4.d]. Hierarchische Weisungen aktualisieren die innerhalb des Hierarchieverhältnisses bereits bestehende besondere Gehorsamspflicht und konkretisieren dadurch zugleich je nach ihrem Inhalt die bestehende Dienstleistungspflicht des Angewiesenen [C.III.5.a]. Dienstleistungs- und Gehorsamspflicht bestehen bereits ab dem wirksamen Eintritt in das besondere Gewaltverhältnis; die hierarchische Weisung fügt dem keinen zusätzlichen Eingriff in die Rechte des Angewiesenen hinzu, so daß sie auch keiner gesetzlichen Ermächtigung bedarf [C.III.4.C]. Ein besonderes Gewaltverhältnis liegt verfassungsrechtlich legitimiert lediglich bei den Organwaltern der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts vor, insbesondere bei den Beamten [C.III.4.d.aa]. Zumal die Benutzer oder Insassen öffentlich-rechtlicher Anstalten befinden sich demgegenüber lediglich in dem allgemeinen Gewaltverhältnis zu dem Verwaltungsträger; dieses muß zwar zur Erfüllung des Anstaltszweckes besonders ausgestaltet sein, wird dadurch aber nicht zu einem besonderen Gewaltverhältnis, so daß ihnen folglich keine hierarchischen Weisungen erteilt werden können, sondern nur hoheitliche Weisungen auf gesetzlicher Grundlage [C.III.4.d.bb]. Ob eine Weisung als hierarchische oder als hoheitliche ergeht, bestimmt sich nach der von dem Anweisenden in Anspruch genommenen Autorität und ist gegebenenfalls durch Auslegung der betreffenden Erklärung zu ermitteln. Ergeht eine hierarchische Weisung, obwohl der Angewiesene nicht in das erforderliche Hierarchieverhältnis eingebunden ist, oder überschreitet eine hierarchische

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Zusammenfassung

Weisung die Weisungsbefugnis des Vorgesetzten, so ist sie unverbindlich. In derartigen Fällen bedürfte es zur Herbeiführung des gewünschten Erfolges einer hoheitlichen Weisung, doch kann diese nur kraft gesetzlicher Ermächtigung ergehen [C.III.4.e]. Die Unterscheidung hoheitlicher und hierarchischer Weisungen ermöglicht auch die Abgrenzung von Rechts- und Verwaltungsverordnungen. Da Verwaltungsverordnungen lediglich (abstrakt-generelle) hierarchische Weisungen in besonderen Gewaltverhältnissen sind, ist das maßgebliche Differenzierungskriterium darin zu sehen, welche Autorität der Urheber der Bestimmung in Anspruch nimmt: Rechtssätze begründen in originärer Weise Rechtspflichten und nehmen hierfür die staatliche Souveränität in Anspruch, rekurrieren also auf die allgemeine Gehorsamspflicht aller Rechtssubjekte gegenüber der im Staat verfaßten Rechtsgemeinschaft. Verwaltungsverordnungen hingegen stützen sich auf eine bestehende besondere dienstliche Gehorsamspflicht, vermögen folglich niemanden zu binden, der nicht in ein solches besonderes Gewaltverhältnis eingegliedert ist. Der Erlaß von Rechtsverordnungen ist wie alle Gesetzgebung Rechtssetzung; der Erlaß von Verwaltungsverordnungen dagegen ist Rechtsausübung, indem die vorgesetzte Stelle Gebrauch von der bereits bestehenden besonderen Gehorsamspflicht der Untergebenen macht [C.III.4.e]. Da hierarchische Weisungen das Bestehen eines besonderen Gewaltverhältnisses voraussetzen, können sie das Grundverhältnis [C.III.2.b], durch welches der betreffende Amtswalter in ein derartiges Hierarchieverhältnis eingegliedert wird, weder begründen noch beenden oder modifizieren; dies ist nur durch hoheitlichen Akt auf gesetzlicher Grundlage möglich. Hierarchische Weisungen müssen sich daher stets auf der Basis des Grundverhältnisses bewegen. Dabei ist weiter zu unterscheiden: Hierarchische Weisungen, die das Grundverhältnis in dem Sinne berühren, daß sie sich auf die private Lebensführung des Angewiesenen auswirken [C.III.2.b], stellen öffentlich-rechtliche Gestaltungserklärungen eigener Art dar, die der Angewiesene gerichtlich auf ihre Ermessensfehlerfreiheit überprüfen lassen kann [C.III.5.c]. Hierarchische Weisungen hingegen, die sich nicht auf die private Lebensführung auswirken und sich in diesem Sinne allein im Betriebsverhältnis bewegen, sind ebenso wie die auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers gestützten gewöhnlichen Arbeitsanweisungen [C.III.5.b] keine leistungsinhaltsbestimmenden rechtsgestaltenden Rechtsakte, sondern lediglich rechtserhebliche Tatsachen [C.III.5.c]. Hierarchische Weisungen innerhalb des Betriebsverhältnisses können vom Angewiesenen, auch soweit sie rechtswidrig sein sollten, also deshalb nicht gerichtlich angegriffen werden [C.III.2.a], weil über sie als bloße Tatsachen nicht als solches gerichtlich gestritten werden kann, nachdem der Rechtsweg nur für Rechtsstreitigkeiten eröffnet ist [C.III.ó.b].

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Leidet eine hierarchische Weisung hingegen an einem qualifizierten Rechtsverstoß derart, daß sich der Angewiesene im Falle ihrer Befolgung persönlichen Sanktionen ausgesetzt sähe, und kann er von dieser persönlichen Verantwortlichkeit auch nicht im Wege der Remonstration frei werden, dann verläßt diese Weisung infolge ihrer potentiellen Auswirkungen auf die persönliche Lebensführung das reine Betriebsverhältnis; sofern die sonstigen Sachentscheidungsvoraussetzungen erfüllt sind, kann sie deshalb einer gerichtlichen Überprüfung durch den Angewiesenen zugeführt werden [C.III.6.c]. In diesem Punkt unterscheiden sich hierarchische Weisungen gegenüber Beamten und gegenüber Organen: da letztere keine „private Lebensführung" haben, kann ein nachgeordnetes Organ eine verbindliche hierarchische Weisung nie gerichtlich angreifen, selbst wenn das angewiesene Organ durch die Befolgung der Weisung etwa einem Dritten gegenüber rechtswidrig handelt und sich hierfür rechtlicher Verantwortlichkeit aussetzt [C.III.ó.d]. Die VwGO etabiliert ein System des Individualrechtsschutzes, dessen Inanspruchnahme vorbehaltlich gesetzlich ausnahmsweise vorgesehener objektiver Rechtsbeanstandungsverfahren für sämtliche Klagearten in Gestalt der Geltendmachung einer Rechtsverletzung (Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO) bzw. des berechtigten Interesses an der Feststellung eines durch ein subjektives Recht konstituierten Rechtsverhältnisses (§ 43 Abs. 1 VwGO) einen subjektiven Rechtsschutzbezug voraussetzt [C.IV.l.]. Daß von diesem Erfordernis zugunsten verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten eine Ausnahme zu machen wäre, indem Organe und Organteile ihre Klagebefugnis unter Berufung auf ihre Kompetenzen, Rechtspositionen usw. unabhängig von deren subjektivrechtlichen Natur dartun könnten, läßt sich der VwGO nicht entnehmen [C.IV.2.]. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die verwaltungsgerichtliche Austragbarkeit verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten davon abhängt, ob die beteiligten Organe und Organteile Inhaber subjektiver Rechte sein können [C.IV.3. und 4.]. Die seit der Diskussion in der Pandektenwissenschaft [D.I.I.] zur Definition und Beschreibung des subjektiven Rechts herangezogenen Kriterien der Rechtsmacht [D.I.l.a] und der Willensbetätigung [D.I.l.b] bzw. des Interessenschutzes [D.I.l.c] können auch in ihrer vielfach gebrauchten Kombination [D.I.2.] nicht überzeugen. Das Willenskriterium kann den Umstand nicht erklären, daß Willensunfahige Inhaber von Rechten sein und diese in einem rechtlichen Sinne ausüben können [D.II.l.]. Das Interessenkriterium vermag rein fremdnützige Rechte nicht zu erfassen, und nötigt außerdem zur zusätzlichen Einführung eines Individualisierungsmerkmals, welches weder trennscharf zu handhaben noch mit der geltenden Gesetzeslage zu vereinbaren ist [D.II.2.]. Auch eine Rechtsmacht zu ihrer Durchsetzung läßt sich nicht als notwendige Voraussetzung subjektiver Rechte anerkennen; die Rechtsordnung kennt nämlich subjektive Rechte, die sie als nicht klagbar oder nicht vollstreckbar und auch sonst

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nicht zwangsweise durchsetzbar ausgestaltet hat, die sie aber gleichwohl als echte subjektive Rechte versteht [D.II.3.]. Da auch die Kombination dieser je für sich unzutreffenden Kriterien keine befriedigende Definition des subjektiven Rechts ergibt, sollte in der rechtswissenschaftlichen Diskussion auf den weiteren Rückgriff auf diese zwar im Regelfall zutreffenden, aber eben das Wesen subjektiver Rechte nicht wirklich erfassenden Kriterien verzichtet werden [D.II.4.]. Infolge des Scheiterns aller Versuche, den Begriff des subjektiven Rechts durch Zuschreibung allgemeiner materieller Eigenschaften näher zu bestimmen, bedarf es der Beschränkung auf einen streng formalen subjektiven Rechtsbegriff: Als subjektives Recht ist alles Recht aufzufassen, das einen ausübbaren Inhalt hat und durch Rechtssatz einem Rechtssubjekt zur grundsätzlich alleinigen und alle anderen ausschließenden Ausübung sowie erforderlichenfalls Geltendmachung zugewiesen ist [D.III. 1.]. Geltungsgrund aller subjektiven Rechte sind immer Rechtssätze, als Entstehungsgrund kommen aber namentlich auch Verwaltungsakte, Verträge und Geschäftsordnungen in Betracht, sofern ein Rechtssatz an diese zur Begründung eines subjektiven Rechts tatbestandlich anknüpft; in diesem Fall legen sie zugleich den Inhalt des subjektiven Rechts fest [D.III.2.]. Zur Begründung eines subjektiven Rechts ist also stets ein gewährender Rechtssatz erforderlich, und zwar genauer entweder ein rechtsmachtbegründender oder ein erlaubender, welcher als Geltungsgrund des zu gewährenden subjektiven Rechts dient und gegebenenfalls tatbestandlich an einen dann als Entstehungsgrund des subjektiven Rechts fungierenden Rechts- oder Realakt anknüpft. Die Imperativentheorie, welche als selbständige Rechtssätze nur die befehlenden anerkennen will, erfaßt demgegenüber das Wesen subjektiver Rechte nur unzulänglich [D.III.2.b]. Worin die Ausübung eines subjektiven Rechts besteht, bestimmt sich nach dessen Inhalt, und dieser wird durch den zugrundeliegenden gewährenden Rechtssatz festgelegt, gegebenenfalls von diesem in Verbindung mit solchen weiteren Rechtsakten, die wie beispielsweise Verwaltungsakte und Verträge etc. im konkreten Fall als Entstehungsgrund des betreffenden subjektiven Rechts fungiert haben mögen: Ein Gestaltungsrecht wird durch die Bewirkung der ermöglichten Rechtsgestaltung ausgeübt, ein absolutes oder relatives Herrschaftsrecht durch die Wahrnehmung der verliehenen oder geschützten Handlungsmöglichkeiten, ein Forderungsrecht insbesondere durch Entgegennahme der geschuldeten Leistung, und eine Erlaubnis durch die Nutzung des gewährten Freiraumes nach den Vorstellungen des Berechtigten [D.III.3.]. Die Geltendmachung eines subjektiven Rechts umfaßt nach der Ausgestaltung der heutigen Rechtsordnung - vor allem dank der prozessualen Generalklauseln - zwar im Regelfall auch ihre klageweise Durchsetzung. Diese Möglichkeit ge-

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hört jedoch nicht zum Wesenskern der subjektiven Rechte. Als unabdingbares Minimum für das Vorliegen eines subjektiven Rechts besteht ihre Geltendmachung vielmehr in der Befugnis des Berechtigten, an den Verpflichteten heranzutreten, um von ihm die Erfüllung seiner Rechtspflicht zu verlangen [D.III.4.]. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können ebenso wie juristische Personen des Privatrechts Inhaber nicht nur subjektiver privater Rechte, sondern auch subjektiver öffentlicher Rechte sein [E.I.]. Nach dem Begriff des subjektiven Rechts als einer grundsätzlich ausschließlichen Zuständigkeit zur Ausübung eines bestimmten rechtlichen Gehaltes sowie der Befugnis zu seiner (falls vorgesehen auch gerichtlichen) Geltendmachung bestehen keine Bedenken, daß der Gesetzgeber auch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts subjektive Rechte gewähren kann, welche dann, soweit sie auf Rechtssätzen des öffentlichen Rechts beruhen, im Verwaltungsstreitverfahren geltend zu machende subjektive öffentliche Rechte sind. Von Wesen und Stellung juristischer Personen des öffentlichen Rechts her ergeben sich keine Einwände, daß sie Inhaber subjektiver Rechte sein können [E.I.]. Selbst auf der Basis der (abzulehnenden) Interessentheorie steht übrigens nichts der Annahme entgegen, daß auch Träger öffentlicher Gewalt subjektive Rechte innehaben können [E.I.l.]. Insbesondere schließt ihre Gemeinwohlverpflichtung nicht aus, daß sie subjektive Interessen haben können. Zum einen besteht keine notwendige Antinomie zwischen dem Partikularinteresse einer einzelnen juristischen Person des öffentlichen Rechts und dem Allgemeininteresse. Und zum anderen läßt sich das Allgemeininteresse ohnehin nur als Resultante sämtlicher öffentlicher Partikularinteressen verstehen [E.I.2.]. Da es nicht zum Wesen subjektiver Rechte gehört, verzichtbar zu sein oder willkürlich ausgeübt werden zu dürfen, steht die diesbezügliche Pflichtenbindung aller Träger öffentlicher Gewalt gleichfalls nicht ihrer subjektiven Berechtigung entgegen [E.I.3. und 4.]. Auch die Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts können Inhaber subjektiver Rechte sein [E.II.]. Ihre fehlende Rechtspersönlichkeit steht dem nicht entgegen, da die Innehabung subjektiver Rechte lediglich Rechtssubjektivität bedingt, Rechtssubjektivität aufgrund der Relativität aller Rechtsfähigkeit aber nicht nur in Form der generellen Rechtsfähigkeit bei natürlichen und juristischen Personen auftritt, sondern vielfach auch als bloß partielle Rechtsfähigkeit erscheint. Organe und Organteile sind als partiell rechtsfähige Rechtssubjekte ohne Rechtspersönlichkeit anzusehen [E.II.4.]. Die Anerkennung subjektiver Rechte von Organen an ihren Kompetenzen impliziert weder eine unstatthafte Aufspaltung der Staatsgewalt [E.II.l.] noch steht der subjektiven Berechtigung von Organen und Organteilen der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts ihre Verpflichtung

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auf das Wohl ihrer Organisation entgegen. Denn so wie sich das Gemeinwohl als Resultante der legitimen öffentlichen Partikularinteressen ergibt, so kann sich auch das Organisationswohl nur aus einem kompetenzordnungsgemäßen Zusammenwirken der Organe und Organteile ergeben, und es dient daher dem Organisationswohl, wenn diese ihre Kompetenzen als subjektive Organrechte nicht nur ausüben, sondern notfalls eben auch selbst geltend machen können [E.II.2.]. Daß die Organe einer Organisation deren Rechte im Außenverhältnis transitorisch wahrnehmen, schließt nicht aus, daß Organe und Organteile im Innenverhältnis untereinander subjektiv berechtigt sind [E.II.3.]. Die Anerkennung subjektiver Organrechte stellt schließlich auch keine unzulässige Rechtsfortbildung dar. Sowohl unter den vorkonstitutionellen Verwaltungsgesetzen insbesondere Preußens als auch in den Verwaltungsgerichtsgesetzen der Nachkriegszeit wurden zahlreiche verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten gerichtlich ausgetragen, und der VwGO-Gesetzgeber hat nirgendwo zum Ausdruck gebracht, daß er mit dieser - bei allen unvermeidlichen Streitfragen im Detail - bewährten und höchstrichterlich gebilligten Praxis brechen wollte [E.II.5.b]. Vielmehr enthält die VwGO in Gestalt des Behördenantragsrechts bei der oberverwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO sowie der von § 193 VwGO umschlossenen Austragung von Landesverfassungsorganstreitigkeiten vor den Oberverwaltungsgerichten [B.I.I.] deutliche Anhaltspunkte dafür, daß verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren keinen Fremdkörper im Rechtsschutzsystem der VwGO darstellen [E.II.5.C]. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Anerkennung verwaltungsgerichtlich zu verteidigender subjektiver Organrechte [E.II.5.d]. Über die Frage, ob ein Rechtssatz ein subjektives Recht gewähren soll, entscheidet ebenso die den Rechtssatz tragende Rechtsgemeinschaft wie sie als solche schon über den Erlaß auch bloß objektiven Rechts zu entscheiden hat [F.I.l.]. Ob ein Rechtssatz subjektiviert sein soll, muß bei Fehlen ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen letztlich im Wege teleologischer Interpretation beantwortet werden; obschon es hiernach also entscheidend auf den Zweck der betreffenden Norm ankommt, sollte man gleichwohl nicht von einer „Schutznormtheorie" sprechen, weil damit nur das Problem und entgegen dem üblichen Theorienbegriff kein Lösungsansatz benannt wird. Die Subjektivierungsentscheidung richtet sich im Rahmen der erforderlichen teleologischen Interpretation nach einer Bewertung und Abwägung der Vor- und Nachteile, die aus Sicht der Rechtsgemeinschaft für sie selbst und für die durch die Rechtsnorm Verpflichteten sowie die etwaigen Berechtigten zu erwarten sind [F.I.2.]. Als Vorzüge einer Subjektivierung von Recht sind insbesondere die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten des Berechtigten zu nennen - was bei Grundrechtsträgern unter Umständen sogar durch deren Grundrechte indiziert sein kann [F.I.3.a] - , aus Sicht der Rechtsgemeinschaft aber vor allem die signifikant

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verbesserte Gewähr der Rechtsdurchsetzung: Durch die Verleihung subjektiver Rechte kann sich die Rechtsgemeinschaft unter Nutzung des Engagements der Berechtigten von der Notwendigkeit entlasten, selbst alles Recht durchsetzen zu müssen - was ohnehin schon aus Kapazitätsgründen völlig unmöglich wäre - , und zugleich für eine rationale Verfahrensgestaltung sorgen [F.I.3.b]; vergleichbare Erwägungen bewegen den EuGH zu einer weitgehenden Subjektivierung des europäischen Gemeinschaftsrechts [F.I.3.c]. Als Nachteile einer Subjektivierung von Recht muß die Rechtsgemeinschaft zum einen die vor allem dem Verpflichteten drohenden materiellrechtlichen wie prozessualen Nachteile in Rechnung stellen [F.I.4.b], zum anderen die Gefahr einer Überlastung der Gerichte sowie den drohenden Verlust der Opportunitätskontrolle bedenken [F.I.4.c]. Während nämlich bei bloß objektivem Recht die zuständigen Behörden nach ihrem Opportunitätsermessen über ein Einschreiten gegen etwaige Rechtsverletzungen befinden können, geht diese Entscheidungsmacht bei subjektiven Rechten auf den subjektiv Berechtigten über, der nach der heutigen Ausgestaltung des Rechtssystems gegen die Verletzung seiner Rechte eben auch dann vorgehen kann, wenn die öffentliche Hand die Rechtsverletzung im Interesse des Gemeinwohles hinnehmen würde [F.IAc.bb]. Die Subjektivierungsentscheidung bezüglich einer konkreten Rechtsnorm muß Resultat einer vernünftigen Abwägung der im Falle ihrer Subjektivierung zu erwartenden Vor- und Nachteile sein [F.I.5.]. Die gesetzlichen Kompetenzen der Organe und Organteile juristischer Personen des öffentlichen Rechts sind aufgrund der aus ihrer Subjektivierung zu erwartenden Vorteile grundsätzlich subjektivrechtlicher Natur und als subjektive Organrechte aufzufassen [F.II.]. Denn hierdurch wird eine bestmögliche Gewähr erreicht, daß die für öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen normierte Kompetenzordnung auch tatsächlich geltend gemacht und notfalls gerichtlich durchgesetzt werden kann [F.II.l.]. Die überaus große Wichtigkeit dieses Zieles ermißt sich vor dem Hintergrund der mit einer gesetzlichen Kompetenzfestlegung verfolgten Zwecke, nämlich die Sicherung der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Machtkontrolle, die Garantie funktioneller Richtigkeit durch Zuweisung von Aufgaben an die hierfür nach ihrer Struktur und Zusammensetzung am besten geeigneten Organe, die Sicherung demokratischer Legitimation der öffentlichen Tätigkeit durch Regelung der jeweiligen Handlungszuständigkeit, und schließlich die Gewährleistung eines Interessenpluralismus durch Einbindung verschieden besetzter Organe in die organisationsinterne Entscheidungsfindung [F.II.l.a]. Andere Möglichkeiten als die Einräumung subjektiver Organrechte, um die gesetzliche Kompetenzordnung auch nur annähernd ebenso verläßlich abzusichern, gibt es nicht. Insbesondere können weder die Hoffnung auf ein Einschrei66 Roth

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ten der Rechtsaufsichtsbehörde noch auf etwaige Klagen von Bürgern als genügende Sicherungen der Kompetenzordnung angesehen werden [F.II.l.b]. Mit der Zuerkennung subjektiver Organrechte sind keine nennenswerten Nachteile verbunden, da die öffentlich-rechtliche Pflichtenbindung der berechtigten Organe und Organteile einen Mißbrauch zu Lasten der verpflichteten Organe und Organteile oder der juristischen Person des öffentlichen Rechts in aller Regel ebenso ausschließen wie eine mißbräuchliche Anrufung oder übermäßige Belastung der Gerichte. Etwaige in Einzelfällen allenfalls denkbare Beeinträchtigungen der Effizienz der öffentlichen Verwaltungstätigkeit werden durch die positiven Effekte der Rechtsklarheit schaffenden Entscheidungen unabhängiger Gerichte bei der angezeigten Gesamtbetrachtung jedenfalls weit überwogen [F.II.2.]. Die gesetzlich festgelegten Kompetenzen der Organe und Organteile der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sind als Folge der vorzunehmenden Abwägung der Vor- und Nachteile dank der weitaus überwiegenden Vorteile als subjektivrechtlicher Natur anzusehen [F.II.3.]. Die subjektiven Organrechte der Kommunalorgane [F.III.2.] können als vorbildhaft für die Rechte der Organe und Organteile anderer Körperschaften sowie der Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts angesehen und, mutatis mutandis, als Modell für die subjektiven Rechte der Organe und Organteile öffentlich-rechtlicher Hochschulen, Rundfunkanstalten, Sparkassen und Kammern herangezogen werden [F.III.3.]. Die subjektiven Hauptrechte des Gemeinderats - Befugnis zur Festlegung der Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde sowie zur Entscheidung über alle nicht dem Bürgermeister zugewiesenen Angelegenheiten - werden durch eine Reihe von Nebenrechten flankiert [F.III. 1.], von denen etwa das Unterrichtungsund das Akteneinsichtsrecht zu nennen sind [F.III.2.a]. Auch die Gemeinderatsausschüsse besitzen subjektive Rechte an ihren Kompetenzen. Solange der Gemeinderat ihnen die zugewiesenen Aufgaben nicht wieder in der gesetzlich vorgesehenen Weise entzieht, haben die Gemeinderatsausschüsse also sowohl dem Gemeinderat als auch dem Bürgermeister gegenüber Anspruch auf Achtung dieser Kompetenzen [F.III.2.b]. Als die wichtigsten subjektiven Organrechte einzelner Gemeinderatsmitglieder sind ihr Recht auf Teilnahme an der Sitzung sowie ihr Rede-, Antrags- und Stimmrecht zu nennen [F.III.2.c.bb], wobei das Stimmrecht nicht lediglich dem Zähl-, sondern auch dem Erfolgswert nach subjektivrechtlich geschützt ist, so daß ein stimmberechtigtes Gemeinderatsmitglied gegen die unbefugte Teilnahme Ausgeschlossener an der Abstimmung vorgehen kann [F.III.2.c.ee]. Gemeinderatsmitglieder haben ein Recht auf ordnungsgemäße Ladung, auf Beantwortung ihrer Anfragen sowie auf Teilnahme als Zuhörer an allen Sitzungen der

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Gemeinderatsausschüsse, denen sie nicht ohnehin als Mitglied angehören. Ist die Gesamtzahl der Sitze in Gemeinderatsausschüssen wenigstens so hoch wie die Zahl der Gemeinderatsmitglieder, so hat jedes Gemeinderatsmitglied einen Anspruch auf Sitz und Stimme in einem Gemeinderatsausschuß [F.III.2.c.cc]. Die Gemeinderatsfraktionen haben ein Recht auf eine verhältnismäßige Vertretung in den Gemeinderatsausschüssen; dies umfaßt zwar kein Grundmandat, doch darf die Größe der Gemeinderatsausschüsse nicht ohne Grund so niedrig festgesetzt werden, daß einzelne Fraktionen nicht mehr im Ausschuß repräsentiert sind. Die Gemeinderatsfraktionen haben ferner je nach Ausgestaltung der Gemeindeordnung und der Geschäftsordnung des Gemeinderats Antragsbefugnisse, Akteneinsichtsrechte sowie gegebenenfalls einen Anspruch auf finanzielle Zuschüsse [F.III.2.d]. Initiativberechtigte Gemeinderatsminderheiten können die ihnen zustehenden Antragsrechte als subjektive Organrechte im Kommunalverfassungsorganstreitverfahren geltend machen [F.III.2.e]. Die Kompetenzen des Bürgermeisters - Leitung der Gemeindeverwaltung, Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung, Außenvertretung der Gemeinde, Vollziehung der Gemeinderatsbeschlüsse - stehen diesem als subjektive Organrechte zu, welche ihm auch durch den Gemeinderat nicht entzogen werden dürfen [F.III.2.f]. Ein Eingriff in ein subjektives Organrecht liegt vor, wenn durch die Handlung eines Organs oder Organteils das Organrecht eines anderen in kausaler und zurechenbarer Weise beeinträchtigt wird [G.I.l.]. Die Kausalität ist nicht im Sinne der Äquivalenztheorie zu verstehen, sondern mit der Formel von der gesetzmäßigen Bedingung dann zu bejahen, wenn sich an die Handlung zeitlich nachfolgende Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit der Handlung nach naturwissenschaftlichem Kenntnisstand gesetzmäßig verbunden waren und in den Erfolg mündeten [G.I.l.a]. Die insbesondere in Fällen psychisch vermittelter Kausalität [G.I.l.b.aa] mitunter schwierig zu beurteilende Zurechenbarkeit ist nicht nach dem irrelevanten Kriterium der Finalität, dem unbestimmten der Unmittelbarkeit, dem zu engen der Adäquanz oder dem unspezifischen des Schutzzweckes zu bestimmen [G.I.l.b.bb], sondern nach der Lehre von der objektiven Zurechnung zu ermitteln [G.I.l.b.cc]. Hiernach ist ein Beeinträchtigungserfolg einer Handlung genau dann zuzurechnen, wenn diese Handlung eine rechtlich relevante Gefahr für das von der Rechtsnorm geschützte Rechtsgut geschaffen und sich eben diese Gefahr gesetzmäßig kausal in dem konkreten Beeinträchtigungserfolg verwirklicht hat [G.I.l.b.cc (1)]. Die eine normative Wertung erfordernde Beurteilung der rechtlichen Relevanz der Gefahrschaffung [G.I.l.b.cc (2)] hat in den Fällen psychisch vermittelter Kausalität nach dem Vernünftigkeitsmaßstab zu erfolgen;

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es ist also darauf abzustellen, ob die fragliche Reaktion in der konkreten Entscheidungssituation des Betroffenen als bei objektiver Betrachtung vernünftig anzusehen ist [G.I.l.b.cc (3)]. Organrechtseingriffe in Konstellationen zweipoliger Organstreitigkeiten können je nach Rechtsnatur und Wirkungsweise der eingreifenden Handlung rechtlicher (deprivativer und imperativer) oder faktischer (absoluter bzw. usurpativer und kompulsiver) Natur sein [G.I.2.]. Als deprivativer Eingriff ist beispielsweise die Ausschließung eines Gemeinderatsmitglieds wegen Befangenheit einzuordnen - damit büßt er sein Stimmrecht im Gemeinderat ein, seine dennoch abgegebene Stimme wäre eo ipso ungültig - , während der Saalverweis wegen ordnungswidrigen Verhaltens als imperativer Eingriff anzusehen ist, der ihm gebietet, die Sitzung zu verlassen, aber eine etwa abgegebene Stimme nicht ungültig machte. Als praktisch bedeutsame Beispiele kompulsiver Organrechtseingriffe zu nennen sind formliche Ordnungsrufe, formlose Ordnungsrufe hingegen nur dann, wenn ihnen bereits ein förmlicher Ordnungsruf vorausgegangen war, ferner vorschriftswidrige offene Abstimmungen, eine gesetzwidrige Sitzungsöffentlichkeit, schließlich die falsche Belehrung eines Gemeinderatsmitglieds durch den Bürgermeister über seine vermeintliche Befangenheit, wenn das Gemeinderatsmitglied in vernünftigem Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Belehrung freiwillig die Sitzung verläßt [G.I.2.b.bb]. In dreipoligen Organstreitkonstellationen, d.h. bei Organstreitigkeiten, an denen drei Organe respektive Organteile beteiligt sind, lassen sich je nach der Art des beeinträchtigenden Kausalverlaufs personell und strukturell mittelbare Organrechtseingriffe unterscheiden. Personell mittelbare (sequentielle) Organrechtseingriffe sind solche, bei denen die Einwirkung eines Organs oder Organteils auf ein anderes (den Kausalmittler) dieses zu einer Reaktion veranlaßt, in deren Folge das dritte in seinen Organrechten beeinträchtigt wird. Strukturell mittelbare Beeinträchtigungskonstellationen liegen vor, wenn die Kausalität der Beeinträchtigung nicht durch das Handeln eines zwischengeschalteten Organs oder Organteils vermittelt wird, sondern durch die Struktur des von der Ausgangshandlung unmittelbar betroffenen Organs oder Organteils: Wird ein pluralistisches Organ oder Organteil in seinen Kompetenzen beeinträchtigt, so hat dies nämlich unter Umständen beeinträchtigende Auswirkungen auch auf dessen Teile. So hängen in dem praktisch wichtigsten Beispielsfall die Beteiligungsrechte der einzelnen Gemeinderatsmitglieder und Gemeinderatsfraktionen davon ab, daß der Gemeinderat überhaupt mit einer bestimmten Angelegenheit befaßt wird; übergeht der Bürgermeister den Gemeinderat, so wird daher nicht nur dieser faktisch-usurpativ in seinen Organrechten verletzt, vielmehr werden damit zugleich die Rechte seiner Mitglieder und Fraktionen faktisch entwertet [G.I.3.a].

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Eine generelle Unzurechenbarkeit mittelbarer Beeinträchtigungen subjektiver Organrechte ist nicht anzunehmen, nachdem in der Rechtsordnung sonst allgemein anerkannt ist, daß subjektive Rechte jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen mittelbare Eingriffe geschützt sind, und ein Grund für einen in dieser Hinsicht geringeren Schutz subjektiver Organrechte nicht ersichtlich ist [G.I.3.b]. Wie bei zweipoligen Eingriffskonstellationen, in denen die Handlung erst aufgrund einer zwischengeschalteten Entscheidung des Verletzten selbst die Beeinträchtigung herbeiführt, nach der Vernünftigkeit dieser Entscheidung gefragt werden muß, so muß entsprechend bei personell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen nach der Vernünftigkeit der Handlungsweise des Kausalmittlers gefragt werden. Der Beeinträchtigungserfolg ist bei personell mittelbaren Eingriffen der Ausgangshandlung also dann zuzurechnen, wenn diese die Gefahr geschaffen hat, daß der von ihr unmittelbar Betroffene aufgrund einer vernünftigen Entscheidung in Reaktion auf die ihn treffende Maßnahme seinerseits in das Recht des mittelbar Betroffenen eingreift, und letzteres heißt eben: eine Gefahr für dessen Rechtsgüter schafft. Es ist also zu prüfen, ob die Ausgangshandlung eine Gefahrschaffungsgefahr geschaffen hat. Die aus einem vernünftigen Handeln des Kausalmittlers erwachsenden Folgen sind danach dem zuerst Handelnden zuzurechnen, die Konsequenzen unvernünftigen Handelns des Kausalmittlers dagegen nicht [G.I.3.c.bb]. Das Gesagte gilt allerdings nur bei privaten Kausalmittlern uneingeschränkt. In Fällen personell mittelbarer Organrechtseingriffe, bei denen ein anderes Organ oder Organteil als Kausalmittler fungiert, kann und muß sich das beeinträchtigte Organ oder Organteil nämlich grundsätzlich an dieses halten, da dessen Handlung zuletzt wirksam geworden ist. Eine Inanspruchnahme des zuerst handelnden Organs oder Organteils ist in derartigen Konstellationen im Interesse eines effektiven Schutzes der Organrechte nur erforderlich, wenn der Kausalmittler rechtmäßig gehandelt hat [G.I.3.d]. Bei strukturell mittelbaren Beeinträchtigungskonstellationen ist entsprechend nach der Vernünftigkeit des Unterlassens des unmittelbar betroffenen Organs zu fragen, die Verletzung seiner Rechte abzuwehren. Hiernach ist es aber an sich ein Gebot vernünftiger Selbstbehauptung, daß sich ein Kollegialorgan gegen eine Verletzung seiner Rechte durch andere Organe zur Wehr setzt, und wenn es dies unvernünftiger Weise unterläßt, so ist die strukturell mittelbare Beeinträchtigung seiner Teile dem Unterlassen dieser Abwehr durch das betroffene Kollegialorgan zuzuschreiben und nicht dem anderen Organ oder Organteil zuzurechnen. Anders verhält es sich jedoch, wenn es für das Kollegialorgan vernünftig ist, nicht gegen die ihm widerfahrene Rechtsverletzung vorzugehen, was insbesondere bei zweifelhafter Rechtslage und damit zweifelhaften Erfolgsaussichten eines Organstreitverfahrens der Fall sein kann, ferner bei einer unter den

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Bedingungen der heutigen Parteiendemokratie vernünftigen politischen Rücksichtnahme auf das verletzende Organ. Namentlich ist zwar der Gemeinderat grundsätzlich näher dran, seine Übergehung durch den Bürgermeister geltend zu machen, und wenn er dies tun, so erübrigt sich allerdings ein paralleles Vorgehen seiner Teile. Unterläßt der Gemeinderat einen solchen Schritt jedoch aus vernünftigen Erwägungen, also vor allem angesichts einer zweifelhaften Rechtslage oder aus politischer Rücksichtnahme auf den Bürgermeister, dann gibt es keinen Grund, den strukturell mittelbar verletzten Gemeinderatsmitgliedern und Gemeinderatsfraktionen zu verwehren, die faktisch-mittelbare Beeinträchtigung ihrer Organrechte gegenüber dem Bürgermeister geltend zu machen und diese notfalls in einem gerichtlichen Organstreitverfahren zu verteidigen [G.I.3.e]. Organrechtlich relevante Eingriffe sind nicht nur in abwehrrechtliche Organrechte möglich, sondern auch in leistungsrechtliche. Zur Verdeutlichung des Unterschiedes soll aber diesbezüglich nicht von Eingriff gesprochen werden, sondern von Vernachlässigung. Eine Vernachlässigung eines organschaftlichen Leistungsrechts liegt vor, wenn das verpflichtete Organ oder Organteil seine Leistungspflicht nicht oder nur unzureichend erfüllt [G.I.4.]. Jeder Organrechtseingriff muß gerechtfertigt werden können, sonst ist er rechtswidrig und das beeinträchtigte Organrecht verletzt. In materieller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit eines Organrechtseingriffs einen legitimen Eingriffszweck sowie die Beachtung des Übermaß- und des Diskriminierungsverbotes voraus [G.II.l.]. Legitime Eingriffszwecke sind insbesondere die Sicherung der Funktionsfähigkeit von Organisation und Organ, eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges und der Effizienz der Organtätigkeit, ferner der Geheimschutz und die Bewahrung der Vertrauenswürdigkeit des Organs und seiner Mitglieder [G.II.l.a]. In kompetentieller und formeller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit eines Organrechtseingriffs voraus, daß dieser durch das hierfür zuständige Organ vorgenommen wird und dieses dabei etwaige gesetzlich festgelegte Eingriffsmodalitäten beachtet. Organrechtseingriffe unterliegen zwar keinem Vorbehalt des Gesetzes, aber da auch für organisationsinterne Rechtsbeziehungen der Vorrang des Gesetzes gilt, darf in gesetzlich begründete subjektive Organrechte nicht ohne gesetzliche Ermächtigung eingegriffen werden. Hierfür kommen bei Fehlen spezifischer Eingriffsregelungen auch generalklauselartige Ermächtigungen kollegialischer Organe in Betracht, ihre internen Angelegenheiten durch Geschäftsordnung zu regeln. Im Falle einer Kollision subjektiver Organrechte kommt schließlich eine Auflösung derselben nach den Maßstäben praktischer Konkordanz in Betracht [G.II.2.]. Aus einer Organrechtsverletzung können sich sowohl unmittelbare als auch mittelbare Fehlerfolgen für den verletzenden Akt ergeben. Unmittelbare Fehlerfolgen sind solche, die ohne weiteres kraft Gesetzes eintreten, mittelbare solche, die erst noch das Ergreifen bestimmter Schritte voraussetzen [G.III.l.a]. Bei

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Realakten als Handlungen rein tatsächlicher Natur kommen unmittelbare Fehlerfolgen nicht in Betracht, da sie weder unwirksam sein können noch aufhebbar sind [G.III.l.c]. Bei auf einen Rechtserfolg gerichteten Rechtsakten (Rechtssätze, Verwaltungsakte, Verträge etc.) hingegen [G.III.l.b] kommen verschiedene unmittelbare Fehlerfolgen in Betracht, die von der Nichtigkeit als stärkstmögliche Sanktion über die Aufhebbarkeit bis hin zu einer unter gewissen Umständen eintretenden Heilung oder Unbeachtlichkeit des Fehlers reichen können [G.III, l.d]. Innenrechtsakte sind Rechtsakte von Organen und Organteilen, die diese in ihrem Verhältnis zueinander innerhalb derselben juristischen Person erlassen oder vornehmen, z.B. Geschäftsordnungen, Beschlüsse, Verfahrensentscheidungen, Wahlen [G.III.2.]. Solche Innenrechtsakte sind nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet und deshalb keine Verwaltungsakte, so daß die für Verwaltungsakte gesetzlich vorgesehenen Fehlerfolgen für Innenrechtsakte keine direkte Geltung beanspruchen [G.III.2.a]. Die Fehlerfolgen für Innenrechtsakte sind nur vereinzelt gesetzlich geregelt, wobei sich ein differenziertes Bild abzeichnet: Gemeinderatsbeschlüsse, die unter Mitwirkung kraft Gesetzes ausgeschlossener Gemeinderatsmitglieder zustande kommen, sind grundsätzlich nichtig, wenngleich unter bestimmten Voraussetzungen rückwirkend heilbar. Ansonsten sind rechtswidrige Gemeinderatsbeschlüsse aber ebensowenig wie unzulässige Eilentscheidungen des Bürgermeisters generell nichtig [G.III.2.b]. Die gesetzlich normierten Fehlerfolgen bei Außenrechtsakten (Rechtssätze, Verwaltungsakte einschließlich Planfeststellungsbeschlüsse, Gerichtsentscheidungen, öffentlich-rechtliche Verträge) [G.III.3.a bis e] lassen eine gewisse Systematik erkennen, die auf einer Abwägung verschiedener und zum Teil gegenläufiger Rechtsgrundsätze beruht. Namentlich zu nennen sind hier das Rechtsstaatsprinzip mit seinen Ausprägungen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Rechtssicherheit, der Einzelfallgerechtigkeit und des Vertrauensschutzes, ferner das Gebot effektiven Rechtsschutzes, sowie (unter Beachtung rechtsstaatlicher Vorgaben) die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Verwaltungstätigkeit, bei öffentlich-rechtlichen Verträgen auch der Grundsatz unbedingter Vertragsbindung (pacta sunt servanda), der seinerseits eine besondere Ausformung des Vertrauensgrundsatzes ist. In diesem Rahmen müssen die konkrete Handlungsform des fehlerhaften Rechtsaktes, sein Gegenstand und Regelungsgehalt, die Natur und Struktur des Verfahrens seines Erlasses, Grund und Gewicht des Rechtsverstoßes sowie nicht zuletzt die Rechte und Interessen der Betroffenen und ihre anderweitigen Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten in die Bestimmung der jeweils angemessenen Fehlerfolge eingestellt werden. Nichtigkeit des fehlerhaften Rechtsaktes tritt dort ein, wo das Gesetzmäßigkeitsprinzip unbedingten Vorrang beansprucht. Dies ist bei denjenigen gravierenden

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Rechtsverstößen der Fall, die so sehr gegen elementare Rechtsvorstellungen verstoßen, daß die Rechtsordnung nicht einmal eine zeitweilige Wirksamkeit des solchermaßen fehlerhaften Rechtsaktes hinnehmen kann. Während rechtswidrige Rechtssätze grundsätzlich nichtig sind, gewinnt bei Verwaltungsakten, Gerichtsentscheidungen und (öffentlich-rechtlichen) Verträgen der Gedanke der Rechtssicherheit im Einzelfall ein größeres Gewicht gegenüber dem Anliegen, nur rechtmäßigen Rechtsakten Wirksamkeit zuzubilligen. Denn jede ipso iure eintretende Nichtigkeit eines Rechtsaktes, auf die sich jeder jederzeit ohne vorherige Vernichtung des betreffenden Rechtsaktes durch behördlichen oder gerichtlichen Spruch berufen kann, trägt eine nicht unerhebliche Gefährdung der Rechtssicherheit in sich. Bei derartigen Rechtsakten ist daher die Nichtigkeitsfolge nur bei besonders qualifizierten Rechtsverstößen vorgesehen. Bei minder gravierenden Rechtsverstößen genügt es im Interesse der Rechtssicherheit, daß durch staatliche Rechtsaufsichtsmöglichkeiten und - bei Verletzung subjektiver Rechte - auf gerichtlichem Wege eine hinreichend effektive Möglichkeit zur Beseitigung des Rechtsverstoßes gegeben ist [G.III.3.f]. Die unmittelbaren Fehlerfolgen bei Innenrechtsakten lassen sich weder durch eine Bezugnahme auf die Fehlerfolgen der ihnen nachfolgenden Umsetzungsund Vollzugsakte im Außenverhältnis [G.III.4.a] noch durch eine Übertragung der fur einen bestimmten Außenrechtsakt vorgesehenen Fehlerfolgen auf einen Innenrechtsakt äquivalenter Funktion bestimmen [G.III.4.b]. Statt dessen bedarf es auch bei rechtswidrigen Innenrechtsakten einer Abwägung der insoweit berührten rechtsstaatlichen Belange, insbesondere der Rechtsrichtigkeit und der Rechtssicherheit. Hiernach sind rechtswidrige Innenrechtsakte im Interesse der Rechtssicherheit zur Vermeidung unerträglicher Störungen des Organisationsablaufs grundsätzlich wirksam, aber aufhebbar. Lediglich Innenrechtsakte, die an einem besonders schwerwiegenden und offensichtlichen Fehler leiden, sind als ipso iure nichtig anzusehen [G.III.4.c]. Eine Heilung nichtiger Innenrechtsakte kommt analog den in den Gemeindeordnungen für nichtige Gemeinderatsbeschlüsse enthaltenen Heilungsvorschriften in Betracht [G.III.4.d]. Wird ein Organ oder Organteil in einem subjektiven Organrecht in rechtswidriger Weise gefährdet oder beeinträchtigt, so stehen ihm als sekundäre Hilfsansprüche zur Verteidigung seines primären Rechts Unterlassungs-, Beseitigungsund Folgenbeseitigungsansprüche zu. Denn diese gründen nicht in den Grundrechten, sondern sind den subjektiven Rechten deren Wesen nach beigesellt und können deshalb auch den nicht grundrechtsfähigen Organen und Organteilen öffentlich-rechtlicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen zukommen [G.IV.2.]. Der Folgenbeseitigungsanspruch ist auf die Wiederherstellung jenes rechtmäßigen Zustandes gerichtet, der unverändert bestünde, wenn es nicht zu der Rechtsverletzung gekommen wäre, vorausgesetzt, diese Wiederherstellung ist

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tatsächlich und rechtlich möglich [G.IV.l.]. Organrechtsverletzungen bei Beschlußfassungen wie insbesondere Stimmrechtsverletzungen begründen nur dann einen Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung des Beschlusses sowie Beseitigung etwaiger Vollzugsakte, wenn nicht auszuschließen ist, daß sie sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben [G.IV.2.], wenn außerdem der Verletzte in gesetzmäßiger Weise von seinem Stimmrecht Gebrauch machen wollte, und wenn schließlich die Aufhebung des Beschlusses nicht infolge eines entgegenstehenden Vertrauens rechtlich unzulässig oder deshalb sinnlos ist, weil der rechtswidrige Beschluß bereits irreversibel im Außenverhältnis umgesetzt ist und an seine Aufhebung daher ohnehin keine Folgen mehr geknüpft werden könnten [G.IV.3.a.bb (2)]. Wird als Folge einer Verletzung subjektiver Organrechte ein Verwaltungsakt erlassen, so kann das verletzte Organ oder Organteil diesen Verwaltungsakt zwar mangels Konnexität der Rechtsverletzung nicht anfechten [G.IV.3.a.aa]. Ihm steht jedoch grundsätzlich ein Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung dieses Verwaltungsakts zu. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist rechtlich möglich, soweit die Rücknahme- bzw. Widerrufsvoraussetzungen der als gesetzliche Grundlage für die Rücknahme oder den Widerruf des Verwaltungsakts heranzuziehenden §§ 48, 49 VwVfG erfüllt sind, insbesondere nicht ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts entgegensteht [G.IV.3.a.bb]. Der organschaftliche Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts ist mittels allgemeiner Leistungsklage durchzusetzen [G.IV.3.a.cc (3)]. Zur Erfüllung des Folgenbeseitigungsanspruchs ist grundsätzlich das verletzende Organ oder Organteil verpflichtet. Sofern dieses allerdings nach der Kompetenzordnung (alleine) nicht dazu imstande ist, hat das verletzte Organ oder Organteil nach dem Grundsatz der Organtreue sowie aufgrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einen Anspruch auf Mitwirkung bei der Folgenbeseitigung auch gegen Organe und Organteile, die für die Organrechtsverletzung als solche nicht verantwortlich sind [G.IV.3.a.cc (1)]. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der unter Verstoß gegen Kompetenzvorschriften geschlossen wurde, die dem übergangenen Organ in Gestalt von Genehmigungs-, Zustimmungs- und Einvernehmensbestimmungen eine echte Mitentscheidung vorbehalten sollen, ist gemäß § 58 Abs. 2 VwVfG schwebend unwirksam, so daß sich insoweit die Frage eines Folgenbeseitigungsanspruchs nicht stellt. Soweit der betreffende Vertrag hingegen unter Verstoß gegen mindere Beteiligungsrechte zustande kam und daher wirksam ist, besitzt das verletzte Organ oder Organteil einen Anspruch darauf, daß sich das vertragschließende Organ um eine einvernehmliche Vertragsauflösung bemühe [G.IV.3.b]. Entsprechendes gilt in bezug auf privatrechtliche Verträge [G.IV.3.d].

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Wurde ein Rechtssatz unter Verletzung subjektiver Organrechte erlassen und ist er ausnahmsweise nicht nichtig, so hat das verletzte Organ oder Organteil einen Folgenbeseitigungsanspruch auf Aufhebung dieses Rechtssatzes, solange keine Heilung des betreffenden Fehlers eingetreten ist [G.IV.3.c]. Ein Folgenbeseitigungsanspruch ist schließlich auch in bezug auf Realakte anzuerkennen, die unter Verletzung subjektiver Organrechte vorgenommen worden sind [G.IV.3.d]. Organe und Organteile sind in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren analog § 61 Nr. 2 VwGO allgemein beteiligungsfähig. Unerheblich ist, ob das im Verfahren umstrittene Organrecht dem klagenden Organ oder Organteil zustehen kann; ist letzteres nicht der Fall, so fehlt ihm die Klagebefugnis, nicht die Beteiligungsfähigkeit [H.I.l.a]. Organe und Organteile bestehen grundsätzlich ohne Rücksicht auf Veränderungen in der personellen Zusammensetzung ihrer Organwalter; deshalb hat ein Wechsel der Organwalter grundsätzlich keine Auswirkungen auf ein anhängiges Organstreitverfahren. Insbesondere fuhrt der Gemeinderat ein Organstreitverfahren auch im Falle seiner Neuwahl ohne weiteres fort; weder liegt hier ein Fall eines Beteiligtenwechsels vor noch tritt eine Prozeßunterbrechung etwa kraft eines Diskontinuitätsgrundsatzes ein, denkbar ist nur eine Verfahrensaussetzung [H.I.l.b]. Fällt eines der am Organstreitverfahren beteiligten Organteile fort, wie es insbesondere bei Gemeinderatsfraktionen der Fall sein kann, die bei einer Neuwahl des Gemeinderats ipso iure als aufgelöst gelten, so ist zu unterscheiden: Ist an die Stelle einer aufgelösten Gemeinderatsfraktion eine Gemeinderatsfraktion gleichen Namens getreten und fuhrt diese erkennbar die Arbeit der früheren weiter, macht sie sich insbesondere deren Standpunkt in der den Gegenstand der Organstreitigkeit bildenden Angelegenheit zu eigen, so ist es regelmäßig sachdienlich, die neue Gemeinderatsfraktion im Wege subjektiver Klageänderung im Prozeß an die Stelle der bisherigen treten zu lassen. Ist die aufgelöste Gemeinderatsfraktion ohne politischen Nachfolger im neugewählten Gemeinderat geblieben, so ist sie zur Austragung der Organstreitigkeit als fortbestehend zu fingieren, wenn ein anerkennenswertes Interesse daran besteht, daß die strittigen Fragen noch in einem Gerichtsverfahren geklärt werden können [H.I.l.b]. Da Organe und Organteile nicht prozeßfähig sind, werden sie im Prozeß analog § 62 Abs. 3 VwGO durch den allgemein oder im konkreten Fall zur Vertretung berufenen Organwalter vertreten. Jedes Organ oder Organteil entscheidet dabei selbständig über seine Prozeßführung, insbesondere hat der Gemeinderat kein Mitspracherecht über die Prozeßführung des Bürgermeisters in Kommunalverfassungsorganstreitigkeiten [H.I.2.]. Soweit nach § 67 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO Vertretungszwang besteht, können sich Organe und Organteile analog

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§ 67 Abs. 1 S. 3 VwGO durch eines ihrer Mitglieder vertreten lassen, das die Befähigung zum Richteramt besitzt oder Diplomjurist im höheren Dienst ist [H.I.2.].

Verwaltungsgerichtliche Organstreitverfahren sind ausschließlich zwischen Organen und Organteilen als Beteiligte auszutragen; insbesondere liegt auch die passive Prozeßführungsbefugnis bei dem Organ oder Organteil, welches nach dem Klägervorbringen für die Organrechtsverletzung verantwortlich sein soll, und nicht bei der Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, dem die beteiligten Organe und Organteile angehören [H.I.3.a]. Analog § 64 Abs. 1 BVerfGG kommt auch in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren im Interesse des Minderheitsschutzes eine Prozeßstandschaft in Betracht, wenn anders zumal oppositionelle Mitglieder und Fraktionen gegen die von der Organmehrheit gewollte Hinnahme einer Verletzung der Rechte des Kollegialorgans nicht geschützt wären; allerdings kommt der Geltendmachung einer mittelbaren Organrechtsverletzung seitens der Mitglieder und Fraktionen [G.I.3.e] Vorrang gegenüber einem prozeßstandschafilichen Auftreten für das Gesamtorgan zu [H.I.3.b]. Als statthafte Klagearten zur Austragung verwaltungsrechtlicher Organstreitigkeiten kommen die allgemeine Leistungsklage und die Feststellungsklage in Betracht, wobei auch bei Organstreitigkeiten Drittfeststellungsklagen möglich sind [H.II.4.]. Sofern die Organrechtsverletzung auf einen untergesetzlichen Rechtssatz zurückgeht, insbesondere etwa eine kommunale Satzung, kann das verletzte Organ oder Organteil auch einen Normenkontrollantrag beim Oberverwaltungsgericht stellen [H.II.3.]. Für die Konstruktion einer Klage sui generis besteht daneben kein Bedürfnis [H.II.l.]. Soweit sich das klagende Organ oder Organteil gegen einen organrechtsverletzenden Innenrechtsakt wendet, muß es Leistungsklage auf Aufhebung oder Rücknahme dieses Innenrechtsaktes erheben. Eine Anfechtungsklage ist nicht statthaft, da derartige Innenrechtsakte keine Verwaltungsakte sind [G.III.2.a]. Eine allgemeine Gestaltungsklage ist in der VwGO nicht vorgesehen [H.II.2.]. Die Zulassung einer solchen Gestaltungsklage ist auch nicht im Interesse effektiven Rechtsschutzes nötig, da das zur Aufhebung oder Rückgängigmachung eines Innenrechtsaktes verurteilende Leistungsurteil gemäß § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 894 Abs. 1 ZPO im Wege gesetzlicher Erklärungsfiktion unmittelbar vollstreckt wird [H.II.2.b.bb]. Im übrigen werden Leistungsurteile in verwaltungsgerichtlichen Organstreitigverfahren nach den allgemeinen Vorschriften der § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 888, 890 ZPO mittels Zwangs- und Ordnungsgeld, notfalls Zwangsund Ordnungshaft vollstreckt [H.II.2.b.aa]. Auch im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren ist das Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses Sachentscheidungsvoraussetzung. Das Rechtsschutz-

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bedürfnis wird grundsätzlich weder durch die Möglichkeit ausgeschlossen, die Rechtsaufsichtsbehörde um ein Einschreiten zugunsten des in seinen Organrechten verletzten Organs oder Organteils anzurufen [H.III. 1.], noch durch ein etwa bestehendes Widerspruchsrecht wie das des Bürgermeisters gegen organrechtsverletzende Gemeinderatsbeschlüsse [H.III.2.], noch - bei unverfügbaren Organrechten - durch den Umstand, daß das verletzte Organ oder Organteil zuvor selbst der organrechtsverletzenden Maßnahme zugestimmt hat [H.III.3.]. Der praktisch sehr bedeutsame vorläufige Rechtsschutz bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten richtet sich nach § 123 VwGO, nicht nach § 80 VwGO. Das antragstellende Organ oder Organteil muß zur Erlangung einer Sicherungs- bzw. einer Regelungsanordnung einen Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft machen [H.IV.]. Das Gericht hat in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren eine Kostenentscheidung gegen das unterliegende Organ oder Organteil zu erlassen [H.V.l.]. Dieses besitzt jedoch einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung, vorausgesetzt, das Organstreitverfahren wurde aus vernünftigen Gründen und nicht mutwillig geführt [H.V.2.]

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arverzeichnis Abwehrrechte - Beseitigungsanspruch 647, 853 - Folgenbeseitigungsanspruch s. dort - Hilfsansprüche 853, 856 - organschaftliche 647 - primäre 647, 853 - sekundäre 647, 853 - tertiäre 647, 854 f. - Unterlassungsanspruch 853, 860 actio s. Aktionenrecht Adäquanztheorie 710 ff. Äquivalenztheorie 703 Aktionenrecht 330, 365 Aktivlegitimation 908 allgemeine Gestaltungsklage 949 ff. allgemeine Leistungsklage 966 - Folgenbeseitigungsanspruch 896 allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch 493 allgemeines Gewaltverhältnis 238 - Anstaltsverhältnis 246 ff. - Eingriffsermächtigung 248 - Normbefolgungsanspruch 237 f., 562 allgemeines Rechtsverhältnis 238 Allgemeininteresse s. Gemeinwohl Amtsausübung 25 Amtspflichtverletzung 180 Anfechtungsklage - absolute Verfahrensvorschriften 868 f. - Konnexität 866 f. Anspruch 453 Anstalt 18 - Anstaltsbenutzung 247 - Anstaltsverhältnis 246 ff. - Anstaltsverbot 249 Aufwandsentschädigung 82 Außenrecht 155, 189 ff., 911 f. Ausübung subjektiver Rechte 446 ff. - als Hauptzweck 460 - Inhaltsabhängigkeit 446 f.

Beamter - als Grundrechtsträger 228 ff. - als Werkzeug des Staates 244 f. - besonderes Gewaltverhältnis s. dort - Betriebsverhältnis s. dort - Dienstleistungspflicht 255 - Disziplinarrechtsweg 279 - Gehorsamspflicht s. dort - Grundverhältnis s. dort - persönliche Verantwortlichkeit 276 f. - Rechtsverhältnis zum Staat 194 - Remonstration s. dort Befangenheit - Ausschließung 726 - Berufung auf Befangenheit 677 ff. - Kausalität 860 f. - objektiver Charakter 675 - Rechtsfolgen 802 ff., 850 Befehl s. hierarchische Weisung befehlende Rechtssätze 430 Begriffsjurisprudenz 340 Behördenprinzip 910 Beiladung 922, 939 Beseitigungsanspruch s. Abwehrrechte besonderes Gewaltverhältnis 220, 239, 243 ff. - arbeitsrechtliches 245 - Dienstverhältnis 244 - Grundrechte 228 f. Bestechlichkeit 851 Beteiligtenstellung 60, 907 Beteiligungsfähigkeit - bei verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten s. dort - im Verfassungsorganstreit s. dort Betriebsverhältnis 221 - Rechtsschutz 271 Bürgerbegehren - keine Organstreitigkeit 64 ff. - Rechtsschutz 74

Sachwortverzeichnis Bürgermeister - als Gemeindeorgan 32, 914 - als Gemeinderatsvorsitzender 32 - Aufgaben 40 - Eilentscheidungsrecht 693, 808 - Prozeßvertretung 930 f. - subjektive Organrechte 693 f. - Vertretungsmacht 904 - Widerspruchsrecht 46, 49, 805, 889 f. - - Befristung 982 objektive Rechtsbeanstandung 983 und Rechtsschutzbedürfnis 980 Bund/Länder-Streitigkeiten 135 Bundestreue 478 Bundesverfassungsgericht - Ersatzzuständigkeit 96, 133 Bundesverfassungsorganstreitigkeiten s. Verfassungsorganstreitigkeiten checks and balances 39, 604, 696 conditio sine qua non 703 Demokratieprinzip 605 ff. - Kerngehalt 755 - Mehrheitsprinzip 758 - Minderheitsschutz 758 - Parteiendemokratie 768 - Selbstverwaltungskörperschaft 696 - Wahlgleichheit 681 demokratische Legitimation 606 - ununterbrochene Legitimationskette 606, 681,755 Deutsche Bundesakte 174 Deutsches Reich - Bundesstaat 174 - Organstreitigkeiten 175 ff. - rechtliche Permeabilität 175 - Reichsverfassung 173 ff. dienende Funktion des Verfahrens 112 Dienstleistungspflicht s. Beamter Direktionsrecht 256, 260 ff. - Arbeitsbedingungen 266 - Arbeitsinhalt 266 - Billigkeitskontrolle 265 - faktische Natur 267 - Gestaltungserklärung 266 f. - Rechtsnatur 261 ff. Diskontinuitätsgrundsatz 924 Diskriminierungsverbot 779 69 Roth

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Dürfen s. Rechtssatz, erlaubender Effektivität des Rechtsschutzes 953 ff. Effizienz 636, 777 Eheversprechen - Rechtspflicht 384 ff. - Unklagbarkeit 384 Ehrenschutz 26, 81, 87, 731 Eilentscheidungen s. Bürgermeister Einreden 394 ff. Entschädigungsanspruch 647, 854 f. s.a. Abwehrrechte Enumerationsprinzip 204, 392 f., 535 Erwartungen 543 - Erfüllungserwartung 549 f., 857 - Erwartungserwartung 543 Fn. 5 - gemeinschaftliche 546 ff., 857 - kontrafaktische 414 - normative 414 Erzwingbarkeit s.a. Rechtsmachttheorie - außergerichtliche 402 ff. - Glaubwürdigkeit des Rechts 408 ff., 857 f. - mittelbare 396 ff. europäisches Gemeinschaftsrecht - effet utile 572 - Mobilisierung des Bürgers 573, 576 - Schutzzweck 573 ff. - subjektive Rechte 571 ff. Experimentierklauseln 595 Fachaufsicht s. Rechtsaufsicht Fachbehörde 617 ff. Fachhochschule s. Hochschule Fehlerfolgen 786 ff., 809 ff. - bei Gerichtsentscheidungen 821 f. - bei hierarchischen Weisungen s. dort - bei Innenrechtsakten s. dort - bei öffentlich-rechtlichen Verträgen s. dort - bei Planfeststellungsbeschlüssen 819 ff. - bei Realakten 789 f. - bei Rechtsakten 790 f. - bei Rechtssätzen 810 ff. - bei Verwaltungsakten 816 ff. - bei Verwaltungsverordnungen 839 f. - Heilung 813 f., 829, 849 - mittelbare 787 s.a. Abwehrrechte - Nichtigkeit 807, 828, 840

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arverzeichnis

- Nichtigkeitsdogma 810 - Planerhaltung 833 - Sanktionierungsspielraum 828 - schwebende Unwirksamkeit 814 - Systematik 827 ff. - Unanwendbarkeit 814 - unmittelbare 786 f. - Vermutung der Gültigkeit 833 Feststellungsinteresse 292 f , 700, 968 f. Feststellungsklage - berechtigtes Interesse 292 f., 700, 968 f. - Drittfestste 11 ungsklage 294, 970 f. - - doppelte Subsidiarität 972 - in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren 966 ff. - keine Klagebefugnis 292 - Nichtigkeitsfeststellung 967 - Rechtsverhältnis s. dort - subjektive Organrechte 697 f. - subjektiver Rechtsschutzbezug 293 ff, 697 f. - Subsidiarität 855, 967 Finalität 707 ff. fiskalisches Handeln 471 Folgenbeseitigungsanspruch 853 ff. s.a. Abwehrrechte - allgemeine Leistungsklage 896 ff. - bei öffentlich-rechtlichen Verträgen 899 - bei privatrechtlichen Verträgen 904 - bei Realakten 905 - bei Rechtssätzen 902 - bei Verwaltungsakten 864 ff, 886 ff. kein Aufhebungsermessen 883 - Eingriffsermächtigung 874 ff. - Kausalität 687, 860, 894 - kein Schadensersatzanspruch 854 - Rechtsfolgen 853 f., 860, 895 - Rechtsgrundlage 856 f. - trotz ausgeschlossener Anfechtungsklage 872 - Unmöglichkeit 862, 875 - Verpflichteter 888, 989 f. - Vertrauensschutz 873, 884, 895 - von Organen 859 Folgenbeseitigungslast 892 Fraktion s. Gemeinderatsfraktion Fraktionszwang 768 Freiheit 364, 719, 732 Freiheitsrecht 440 Freiwilligkeit 364

Fremdzuständigkeit s. Organ funktionelle Richtigkeit 38, 603 f. Funktionsadäquanz 39 Funktionsfähigkeit 636, 776, 827 Ge- und Verbote 719 Gefahrschaffung s. Lehre von der objektiven Zurechnung Geheimschutz 777, 778 f. Gehorsamspflicht s.a. Direktionsrecht, Gewaltverhältnis, hierarchische Weisung - Aktualisierung 254 - allgemeine 237, 241 - arbeitsvertragliche 262 ff. - besondere 239, 241 - dienstliche 221, 263, 276 - Konkretisierung 255 - Remonstration s. dort Geltendmachung subjektiver Rechte 448 ff. - als Verlangen ihrer Beachtung 449 ff. - klageweise 451 - Nichtgeltendmachung 570 - (prozeß)standschaftliche 459 ff. - Zuständigkeit 456 ff. Gemeinde - Bürgermeister s. dort - Gemeinderat s. dort - Kostentragung 996 - Organe 39 f. Gemeinderat - Aufgaben 40, 652 - Beschlußunfähigkeit 677 - gemeindefremde Angelegenheiten 673 - keine Kompetenzkompetenz 653 - subjektive Organrechte 652 ff Unterrichtungsrecht 651, 655, 772 Vollziehungsanspruch 655 - Verwaltungsorgan 604 - Volksvertretung 605,652,669 - Vorbehaltsaufgaben 653 Gemeinderatsausschuß - beratender 31 - beschließender 31 - subjektive Organrechte 656 f. Gemeinderatsbeschluß - Fehlerfolgen 802 ff. Gemeinderatsfraktion 30 - Auflösung 924 f. - Ausschluß 665 Fn. 102

Sachwortverzeichnis - - Rechtsweg 163 Fn. 47 - Austritt, Beitritt 665 - politische Nachfolge 925 - subjektive Organrechte 688 ff. — Akteneinsichtsrecht 690 — Antragsbefugnis 690 — Fraktionszuschüsse 690 — Gleichbehandlung 689 — kein Grundmandat 689 Gemeinderatsgruppe 690 s.a. Gemeinderatsfraktion Gemeinderatsminderheit - als Organteil 692 - kein Prozeßstandschafter 693 - subjektive Organrechte 691 f. — Akteneinsichtsrecht 655, 691 Gemeinderatsmitglied - Fraktionszwang 768 - freies Mandat 612, 768 - gleiche Rechtsstellung 668 - Mandat s. dort - Mitgliedschaftsrechte 657 - Mitwirkungsrechte 658 - Parteidisziplin 768 - subjektive Organrechte 657 ff. — Antragsrecht 661 — Ausschußmitgliedschaft 667 ff. — Fragerecht 663 — Fraktionsaustritt 665 — Fraktionsbeitritt 665 — keine übermäßige Belastung 673 — Ladung 663 — Rauchverbot 660 - - Rederecht 660 — Schutzanspruch 666 — Stimmrecht 661 s.a. dort — Tagesordnung 664 — Teilnahmerecht 659 — Unterrichtungsrecht 772 — Zulassung als Zuhörer 663 - Weisungsunabhängigkeit 612 f. Gemeindeverfassungsmodelle 39 Gemeindeverfassungsorganstreitigkeit s. Kommunalverfassungsorganstreitigkeit Gemeingebrauch s. subjektives Recht Gemeinwohl - als Grund für die Schaffung von Recht 545 f. - Definitionsbedürftigkeit 477 - öffentliche Partikularinteressen 476 ff.

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- politische Entscheidung 478 - und Partikularinteressen 474 ff. Generalklausel, verwaltungsgerichtliche 393, 535 Geringfugigkeitsprinzip 755 Geschäftsordnung - Begründung subjektiver Rechte 426 - Ermächtigung 783 - Rechtsnatur 215, 252 - Verstoß 812 Gesetzesbegriff s. Rechtssatzbegriff Gesetzesvollziehungsanspruch 759 gesetzmäßige Bedingung 704 Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 110, 893 Gestaltungsklagen 950 Gestaltungsrecht 431 gewährender Rechtssatz 430 - erlaubender 431 - rechtsmachtbegründender 431 - statusbegründender 431 Gewaltenteilung 604 f., 961 f. Gewaltverhältnis - allgemeines s. dort - besonderes s. dort Glaubwürdigkeit des Rechts 408 ff., 562 Grundrechte - Grundrechtswirkung im Privatrecht 471 - objektive Wertordnung 560 Grundrechtskollision 876 f. Grundrechtsträger 105 ff. - Hochschulen 106 - Rundfunkanstalten 106 Grundrechtsverzicht 481 Grundverhältnis 221 ff. - private Lebensführung 223, 278 - Rechtsschutz 271 - Umsetzung 224 Hausverbot 87 Heilungsvorschriften 813 f., 829, 849 Herrschaftsrecht 431, 440 - absolutes 431 - Forderung 431 Fn. 66 - relatives 431 hierarchische Weisung 215 ff., 236 - Abgrenzung zur hoheitlichen Weisung 242 - Doppelfunktion 254 - Fehlerfolgen 275 ff. - Gehorsamspflicht s. dort

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arverzeichnis

-

Gestaltungserklärung 269 Inhalte 216 Organisationsakt 34 organisatorische 281 s.a. Organisationsverwaltungsverordnung - rechtserhebliche Tatsache 270 - Rechtsnatur 269 ff. - Rechtsschutz 275 ff. - rechtswidrige 275 ff - Remonstration s. dort - tätigkeitsleitende 216 - Verwaltungsverordnung s. dort hierarchisches Verhältnis 233 - Direktionsrecht s. dort - Gehorsamspflicht s. dort - keine subjektiven Rechte 644 f. - Untergebener 233 - Vorgesetzter 234, 240, 250 - Weisungsbefugnis 234, 236 Hochschulen - Grundrechtsträger 106 - Organe 41 - Hochschulverfassungsorganstreit 21 - subjektive Organrechte 695 s.a. Gemeinderat hoheitliche Weisung 242, 249 Imperativentheorie 436 ff. Impermeabilitätstheorie 165 ff - fortwirkende Bedeutung 170 - Rechtssatzbegriff s. dort - Reichsverfassung 173 ff. - soziale Schrankenziehung 187 - Unhaltbarkeit 167 impossibilium nulla est obligatio 862, 875 Individualisierbarkeit s. Interessentheorie individuelles Interesse s. Interessentheorie Innenrecht 155 ff. Innenrechtsakt 792 - Fehlerfolgen 802 ff, 835 ff, 841 ff. - Funktionsäquivalenz 837 - Heilbarkeit 849 ff. - kein Verwaltungsakt 793 ff - Nichtigkeit 845 - Vernichtbarkeit 844 Innenrechtsstreit 157 innerorganisatorischer Verwaltungsrechtskreis 155 Insichprozeß 91

Intendant 41 Interesse s.a. Interessentheorie - juristischer Personen 466 ff. - privates - öffentliches 469 ff. - subjektives - objektives 469 ff. lnteressenjurisprudenz 340 Interessenpluralismus 607 ff. Interessentenklage 288 Interessentheorie 339 ff. s.a. Interesse - Genußdestination 359 ff - individuelles Interesse 353 ff, 579 f. - Kritik 351 ff. Interorganstreitigkeit 52 Interorganteilstreitigkeit 52 Inter-Organ-Organteil-Streitigkeit 56 Intraorganstreitigkeit 51 Intra-Organ-Organteil-Streitigkeit 54 juristische Person 512 ff. - Fiktionstheorie 513 - generelle Rechtsfähigkeit 515 f. juristische Personen des öffentlichen Rechts - als Inhaber subjektiver Interessen 468 ff. - als Inhaber subjektiver Rechte 462 ff. - Gemeinwohleinwand 474 ff s.a. Gemeinwohl - Interesseneinwand 464 ff. Justizgewährleistungsanspruch 110, 592 Fn. 205 Kammerorgane 42 kategorischer Imperativ 333 Kausalität 703 ff. - Äquivalenztheorie 703 - conditio sine qua non 703 - gesetzmäßige Bedingung 704 - psychisch vermittelte 705 Klagbarkeitsausschluß 382 ff. - Devisenkontrakte 389 - Eheversprechen 384 - enumerierte Rechtswegeröffnung 392 - kraft Vereinbarung 390 - kraft Verwirkung 391 - pactum de non petendo 390 f. - rechtskräftige Klagabweisung 392 - Rechtsmißbrauch 391 - Sperrabrede 388

rzeichnis Klageart s. verwaltungsrechtliche Organstreitigkeit Klagebefugnis 288, 698 - Anfechtungsklage 288 - Ausschluß der Popularklage 288, 319 - Entstehungsgeschichte 317 ff. - Entwicklungsgeschichte 313 ff. - Feststellungsklage s. dort - Leistungsklage 292 - subjektive Organrechte 697 - subjektive Rechte 289, 307 ff. - Systematik 308 ff. - Verpflichtungsklage 288 Können - natürliches 431 - rechtliches 431, 728 Körperschaft 17 Kollegialorgan 29 Kombinationstheorien s. subjektives Recht Kommunalverfassungsorganstreit 21, 40 - Beispiele 52 ff. Kommunalverfassungsstreit 91 Kompetenz 43 f. - subjektives Organrecht 643 f. Kompetenzeinhaltung - als Rechtmäßigkeitsbedingung 867 - kein subjektives Recht 867 Kompetenzkonflikte 202 Konkordanz 670, 784 Konstitutionalismus 178 - Monarch 178 ff., 197 - Volksvertretung 178 ff., 197 Kontingenz 543 Kontrastorgane 609 ff. Kosten 992 - Kostenentscheidung 992 ff. - Kostenerstattung 994 ff. - Mutwilligkeit 996 - Rechtsanwaltskosten 998 Kreistag 40 Ladenschlußgesetz s. subjektives Recht Ladung 663 Landesverfassungsorganstreitigkeiten 95, 97, 133 ff. - Antragsbefugnis 134 - Beteiligungsfähigkeit 133 - Prozeßstandschaft 134, 943

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Landesverfassungsstreitigkeiten 95 Landkreis 40 Landrat 40 Lehre von der objektiven Zurechnung 714 ff. - Erfahrungsgemäßheit 748 - Gefahrschaffung 714 Erkennbarkeit 717 rechtliche Relevanz 715 ff. - Gefahrschaffungsgefahr 750 - Gefahrverwirklichung 714 - Nötigung 722 - politische Rücksichtnahme 764 ff. - Selbstbehauptung 762 - Selbstverantwortlichkeit 720 - Vernünftigkeit 719 ff., 749, 762 f. Leistungsrechte - organschaftliche 647, 772 ff. - Vernachlässigung 702, 772 ff. Leistungsurteil - in Organstreitverfahren s. Zwangsvollstreckung - Vollstreckbarkeitsausschlüsse 378 ff. Mandat - Behinderungsverbot 760 - Fraktionszwang 768 - freies 612, 768 - persönliches Recht 76 Mensch 515 - als natürliche Person 508 ff. - partielle Rechtsfähigkeit 509 ff. - Sklaverei 510 f. Menschenbild des Grundgesetzes 559 f. Minderheitsschutz s. Prozeßstandschaft Mißtrauensvotum 50, 632 Mitgliedschaftsrecht 657 Mitwirkungsrechte 433 Mobilisierung des Bürgers 573 monistisches Organ s. Organ monokratisches Organ s. Organ natürliche Person s. Mensch, Rechtsperson Naturalobligation 377, 544 f. Nichtigkeit 811 - bei Verwaltungsakten 816, 845 - und Gesetzmäßigkeitsprinzip 852 Nichtigkeitsdogma 810

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arverzeichnis

- Modifikationen 813 ff. Nichtrechtsakt 789 Nötigung 722 Normbefolgungsanspruch 237 f., 562 Normenkontrolle - Behördenantrag 99, 538, 965 - oberverwaltungsgerichtliche 99 ff., 963 ff. - objektives Verfahren 119 Normstruktur 257 Normzwecktheorie 712 f. s.a. Schutznormtheorie Oberverwaltungsgericht - als Verfassungsgericht 95 ff. - Landesverfassungsorganstreitigkeit 97 - Normenkontrolle 99 ff., 963 ff. objektive Rechtsbeanstandungsverfahren 298 objektives Recht - als Ausdruck gemeinschaftlicher Erwartungen 411, 546 - ausdrückliche Bestimmungen 552 f. - Verhältnis zum subjektiven Recht 547 f., 564 f. - Zweck 542 f. Obliegenheit 398 Fn. 232 obligatio imperfecta 335 obligatio perfecta 335 öffentlich-rechtlicher Vertrag - Fehlerfolgen 822 ff., 898 - Nichtigkeit 823 - schwebende Unwirksamkeit 823, 898 - verfugender 824 - verpflichtender 824 Opportunitätsermessen 584, 593 ff, 642 f. - Fachaufsicht 623 - politisches 596 ff. - und demokratische Legitimation 686 - Zweck 594 ff. Ordnungsmaßnahmen 85 Ordnungsruf - als kompulsiver Organrechtseingriff 733 - förmlicher 733 - formloser 734 Organ 27 ff. - als Organisation 14 - als Inhaber subjektiver Rechte s. subjektive Organrechte

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als Rechtssubjekt 518 f. als Wirkeinheit 14 Arbeitsteilung 38 Diskontinuität 924 Einrichtung 33 Errichtung 33 Fremdzuständigkeit 27 Funktionsnachfolge 923 keine Rechtspersönlichkeit 505 kollegialisches 29 Kontinuität 923 Kontrastorgane 609 ff. monistisches 29 monokratisches 29 f. Notwendigkeit 21 ff. partielle Rechtsfähigkeit 518 f. pluralistisches 29 Organteil 30 subjektives Organrecht s. dort Teilorgan 31 transitorische Wahrnehmungseinheit 27 f., 500 - Treuepflicht s. Organtreue - unmittelbares 34 - Unterorgan 31 - Verwaltungsorgan 604 - Wegfall 923 Organisation 15 - Effizienz 636, - Fiktion 12, 513 f. - Funktionsfähigkeit 636, - herrschaftlich verfaßte 18 - inteme Relationen 169 - Kategorien 15 ff. - mitgliedschaftlich verfaßte 16 - Organisationsbegriffe 11 ff. - reales Substrat 12, 515 - Struktur 14 - Trägerschaft 16 - Verfassung 15 Organisationsakt 33 - Rechtsnatur 34, 161 Organisationsgewalt 33 f. Organisationsprinzip 13 Organisationsstruktur 14 Organisationsverfügung 161 Organisationsverwaltungsverordnung 34, 161, 217 f. Organisationswohl 498 f.

Sachwortverzeichnis Organkompetenz 43 f. - als subjektives Recht 324 ff., s.a. subjektives Organrecht Organpluralismus 37 - Arbeitsteilung 38 - Interessenpluralismus 608 - Konfliktträchtigkeit 44 - Kontrastorgane 609 ff. - spezielle Sachwalterschaft 617 ff. - Vorteile 38 ff. Organrecht s. subjektives Organrecht Organrechtseingriff 701 ff. - Ansehensminderung 731 - Elemente 702 ff. - faktischer 729 ff. - - absoluter 730 kompulsiver 732 usurpativer 731 - falsche Belehrung 736 - Folgebeeinträchtigung 729, 773 - Kausalität s. dort - Lehre von der objektiven Zurechnung s. dort - mittelbarer 738 ff, 746 ff Gefahrschaffungsgefahr Kausalmittler 738 - - personell mittelbarer 738 ff, 746 f., 750 ff, 888 ff - - strukturell mittelbarer 740 ff, 747, 753 ff. Zurechenbarkeit 742 ff Zurechnungsmittler 739 - offene Abstimmung 735 - Ordnungsruf 733 - Rechtfertigung s. dort - rechtlicher 725 deprivativer 725 imperativer 728 Regelungsidentität 726 - Sitzungsöffentlichkeit 735 - Vernachlässigung von Leistungsrechten s. dort - Zurechenbarkeit s. dort Organrechtsverletzung 775 Organstreitigkeit 10, 91 ff. - Abgrenzung 63, 75 - aktienrechtliche 493 Fn. 28 - Arten 19 f. - dreipolige 738

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Fallgruppen 51 ff. im Konstitutionalismus 201 ff. in Preußen 526 ff. in den Verwaltungsgerichtsgesetzen der Nachkriegszeit 532 ff. - in vorkonstitutionellen Verwaltungsgesetzen 524 ff. - Rechtsstreitigkeit 160 - verfassungsrechtliche s. dort - verwaltungsrechtliche s. dort - zweipolige 724 Organteil 30 ff, s.a. Organ - als Prozeßstandschafter 129 ff. Organtreue 126, 641, 650, 891, 893 Organwalter 23 ff, 913 Organwalterstreitigkeit 75 ff, 635 pacta sunt servanda 424, 827 pactum de non petendo 390 f. Parlamentswürdigkeit 81 Parteidisziplin 768 Parteiendemokratie 768 Passivlegitimation 908 persönliche Rechte 76 Person s. Rechtsperson Personengesellschaft 17 pluralistisches Organ s. Organ politische Rücksichtnahme 764 ff. Popularklage 288, 591 praktische Konkordanz 670, 784 Prozeßstandschaft 459, 940 - in Verfassungsorganstreitverfahren 124 ff, 459, 942 f. - in verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren 935, 940 ff - Minderheitsschutz 128, 765, 942 f. - Prozeßstandschafter 129 - Subsidiarität 944 - und mittelbare Organrechtseingriffe 945 - von Behörden 910, 912 - Zweck 128, 942 Rauchverbot 660 Realakt 788 - Fehlerfolgen 789 f. Recht - allgemeines Prinzip (Kant) 333, 374 - als Ausdruck gemeinschaftlicher Erwartungen 411, 546 s.a. Erwartungen

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- als Motivation 411 - Eingriff s. Organrechtseingriff - Experimentierklauseln 595 - Glaubwürdigkeit 408 ff., 562, 592 - Hypertrophie 595 - kategorischer Imperativ (Kant) 333, 374 - objektives s. dort - Öffnungsklauseln 595 - striktes s. dort - subjektives s. dort - Zwangscharakter s. Rechtsmachttheorie Recht und Amt - Recht an dem Amt 78 - Recht auf das Amt 76 - Recht aus dem Amt 82 Recht und Kompetenz - Recht an der Kompetenz 491, 497 - Recht auf die Kompetenz 489, 497 - Recht aus der Kompetenz 487 Rechtfertigung von Organrechtseingriffen 775 ff. - Diskriminierungsverbot 779 - formelle 785 - kein Beurteilungsspielraum 782 - kompetentielle 785 - materielle 775 ff. Arbeitsökonomie 777 - - Effizienz 636, 777 - - Funktionsfähigkeit 636, 777, 827 - - Geheimschutz 777, 778 f. politische Vertrauenswürdigkeit 777 - praktische Konkordanz 670, 784 - Übermaßverbot 778 - Vorbehalt des Gesetzes 781 - Vorrang des Gesetzes 781 rechtliche Handlungsfähigkeit 431 rechtliches Können 431 Rechtmäßigkeit einer Entscheidung 45 ff, 158 Rechtsakt 788 - Fehlerfolgen s. dort Rechtsaktswirklichkeit 429, 513 f. Rechtsaufsicht - Anfechtung 625, 978 f. - Opportunitätsprinzip 623 - politische Rücksichtnahme 625 f. - und gerichtliche Streitaustragung 623, 627 - und Rechtsschutzbedürfnis 628 f., 974 ff.

- Zurückhaltung 624 Rechtsfähigkeit - generelle 507, 517 - partielle 507,517 - Relativität 516 ff. - Teilrechtsfähigkeit 516 - Vollrechtsfähigkeit 507, 516 Rechtsmachttheorie 332 ff. - Erzwingbarkeit als Fiktion 365 ff. - Klagbarkeitsausschluß s. dort - Kritik 362 ff. - mittelbare s. Erzwingbarkeit - rechtspolitisches Petitum 374 - Sozialzwang 405 ff. - Vollstreckbarkeitsausschluß 378 ff. Rechtsnorm 184, 434 s.a. Rechtssatz Rechtsperson 505 s.a. Rechtsfähigkeit, Rechtssubjekt - juristische Person s. dort - natürliche Person 508 Rechtsreflex 449 Rechtsrichtigkeit 842 Rechtssatz - Allgemeinheit 594 - als Handlungsform 214 - Arten 428 ff. befehlender 430 - - erlaubender 431, 728 Gestaltungsrechte 431 gewährender s. dort Herrschaftsrechte 431 rechtsmachtbegründender 431 statusbegründender 431 - Begriff s. Rechtssatzbegriff - Grundlage 250 - Imperativentheorie 436 ff. - innerorganisatorische Schrankenziehung 195 ff. - Normgebungsorgan 101 - Rechtsnorm 434 - Rechtsverordnung 183 - selbständiger 436 - Soll-Bestimmungen 183 - soziale Schrankenziehung 184 ff - Struktur 257 - Träger 101 - unselbständiger 436 f. Rechtssatzbegriff 429 - formeller 181 - im Konstitutionalismus 178 ff.

Sachwortverzeichnis - materieller 181 - Rechtsregel 429 - Wille der normsetzenden Stelle 213 Rechtsschutzbedürfnis - bei eigener Widerspruchsbefugnis 980 ff. - bei Einwilligung 983 ff. - in Organstreitverfahren 973 ff. - und Rechtsaufsicht 628 f , 974 ff. Rechtsstaatsprinzip 110, 827 Rechtsstreitigkeit 152 ff. Rechtssubjekt 506 s.a. Rechtsperson - rechtliche Bedingtheit 507 ff. - Rechtsfähigkeit s. dort Rechtsträgerprinzip 115, 910, 937 ff. Rechtstreue 371, 414 Rechtsverhältnis 293 f. - früheres 969 - subjektives Recht 294 Rechtsverletzung 701, 775 - Fehlerfolgen s. dort Rechtsverordnung 183 Rechtswidrigkeit - im Außenverhältnis 630, 882 - im Innenverhältnis 880 - Relativität 630, 880 Reflexrecht 449 Reflexwirkung 353, 355 Regelungsidentität 726 Regelungslücke 914 f. Reichsverfassung 173 ff. - Organstreitigkeiten 175 ff. Relativität der Rechtswidrigkeit 630, 880 Remonstration 276, 839 - persönliche Verantwortlichkeit 276 - Pflicht 276 Fn. 301 Richter 245 s.a. Beamter Richtigkeit einer Entscheidung 45, 158 Rundfunkanstalt - Grundrechtsträger 106 - Organe 41 - Rundfunkverfassungsorganstreitigkeit

21 Rundfunkrat - Repräsentationsorgan 696 - subjektive Organrechte 695 s.a. Gemeinderat - Verwaltungsorgan 604 Sachstreitigkeiten 158

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Schadensersatzanspruch - als tertiärer Abwehranspruch 647 Schüler 246 s.a. Anstalt Schutznormtheorie 554, 712 f. s.a. teleologische Interpretation - Kritik 554 f , 713 Schutzzwecktheorie s. Schutznormtheorie Selbstverantwortlichkeit 720 Selbstverwaltungskörperschaft 696 Sitzungsausschluß - Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung 776, 781 - Hausfriedensbruch 728 - Rechtsnatur 85, 728 Sitzungsöffentlichkeit 735 Soldat 245 s.a. Beamter Soll-Bestimmungen 183 Sonderrechtsverhältnis 244 Sonderstatusverhältnis 244 Sonderverordnung 253 Sozialzwang 405 ff. Sparkassen - Organe 42 - Organstreitigkeit 21 spezielle Sachwalterschaft 617 Stimmrecht s.a. Gemeinderatsmitglied - Erfolgswert 674 ff. - Subjektivierung 684 ff. - Zählwert 674 Stiftung 18 Strafgefangene 246 s.a. Anstalt striktes Recht 334 - Kritik 369 ff. subjektives öffentliches Recht 470 ff. subjektives Organrecht s.a. subjektives Recht - Abwehrrecht s. dort - Begriff 539 f. kein Recht auf die Kompetenz 489 f. kein Recht aus der Kompetenz 487 f. Recht an der Kompetenz 491 ff. - bei Gemeindeorganen 652 ff. - bei Hochschulorganen 695 f. - bei Rundfunkanstaltsorganen 695 f. - Existenz 303 ff., 485 ff. - Hauptrechte 648 - Hilfsansprüche s. Abwehrrechte - kein Grundrecht 660 f. - kein Recht auf rechtmäßige Entscheidung 493

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- Klagebefugnis 697 - Leistungsrecht s. dort - Mißbrauch I I I - Nachteile 636 ff. - Nebenrechte 648 - Normgeprägtheit 726 - Systematik 647 ff. - ungeschriebenes 649 - Verfügbarkeit 984 f. - Vorzüge 602 ff Demokratieprinzip 605 f. funktionelle Richtigkeit 603 f. Gewaltenteilung 604 f. Rechtsdurchsetzung 602 ff. - Zurücknahme 726 subjektives Recht s.a. Recht, Rechtssatz - AbstandsVorschriften 357 - als Qualifikation des objektiven Rechts 547 - als Typus 331 - Anspruch 453 - ausdrückliche Bestimmungen 552 f. - Ausübung s. dort - Begriff 419 ff. formal-abstrakter 419 ff. - Definition 421 - einredebehaftetes 394 ff. - Engagement des Berechtigten 567 f. - Entstehungsgrund 422 ff. - - Beschluß 427 Geschäftsordnung 426 - - Realakt 422 Vertrag 423 Verwaltungsakt 424 - Erwartung s. dort - europäisches Gemeinschaftsrecht s. dort - Forderung 453 - Geltendmachung s. dort - Geltungsgrund 422 ff. - Gemeingebrauch 355 - gemeinschaftliche Erfüllungserwartung 549 f. - Gemeinwohl 547 ff. - Herrschaftsrecht s. dort - imperfektes 407 f., 415 - in der heutigen Diskussion 343 ff. - in der Pandektenwissenschaft 330 ff. - in verfassungsgerichtlichen Verfahren 141 ff.

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Individualisierungskriterium 353 ff. individuelles Interesse 353 f. Interessentheorie s. dort juristischer Personen des öffentlichen Rechts s. dort - Klagbarkeitsausschluß s. dort - Klagebefugnis 307 ff. - Kombinationstheorien 342 f., 344 ff. - Ladenschlußzeiten 354 - Mobilisierung des Bürgers 573, 576 - Nachteile s. Subjektivierungsentscheidung - rechtlich geschütztes Interesse 341 - Rechtsmacht s. Rechtsmachttheorie - Rechtsverhältnis 294 - Subjektivierungsentscheidung s. dort - Umweltinformationen 355 - und Menschenbild 560 f. - unklagbares 382 ff. - Verhältnis zum objektiven Recht 547 f., 564 f. - Verzichtbarkeit 480 ff - von Organen s. subjektive Organrechte - Vorzüge s. Subjektivierungsentscheidung - Willenstheorie s. dort - willkürliche Ausübung 482 ff. - Zwangscharakter s. Rechtsmachttheorie Subjektivierungsentscheidung 547 ff - Abwägung 557, 598 ff, 643 f., 695 f. - bei Stimmrecht 684 ff. - Nachteile 580 ff, 636 ff Belastung der Gerichte 591, 641 Effizienzeinbuße 636 ff. - ftir den Berechtigten 582 f. - - ftir den Verpflichteten 583 ff, 641 - - ftir die Allgemeinheit 591 ff. Popularklage 591 Verlust der Opportunitätskontrolle 593 f., 642 f. von subjektiven Organrechten 636 ff. - Vorzüge 558 ff, 602 ff. Engagement 567 f. für den Berechtigten 558 ff. für die Allgemeinheit 561 ff. Rationalität der Verfahrensgestaltung 568 ff. Rechtsdurchsetzung 561 ff, 639 von subjektiven Organrechten 602 ff.

Sachwortverzeichnis Subjektivierungstendenz 522 Subsidiaritätsklausel - Feststellungsklage 855, 967 - polizeiliche 565, 582 - strafprozessuale 565 f. Tagesordnung 664 teleologische Auslegung - Ausnahmevorschriften 941 - dynamisches Verständnis 521 - Effektivität 679 - mutmaßlicher Wille des Gesetzgebers 555 ff. - Schutzzweck 554 f. transitorische Zuständigkeit 27 Übermaßverbot 778 ultra posse nemo obligatur 123, 862 Umsetzung 224 Universität s. Hochschule Unklagbarkeit s. Klagbarkeitsausschluß Unmittelbarkeit 709 f , 743 f. Untergebener s. hierarchisches Verhältnis Unterlassungsanspruch 853, 860 s.a. Abwehrrechte Unterorgan 31 unvollkommene Verbindlichkeit 377 venire contra factum proprium 983 f. Verbandsklage 298 Verfassungen - Reichsverfassung 173 - revolutionäre 178 Fn. 65 - Weimarer Reichsverfassung 178 Fn. 65 Verfassungsgerichtsbarkeit - Bund/Länder-Streitigkeiten 135 - Enumerationsprinzip 83, 117 - Landesverfassungsorganstreitigkeiten s. dort - Oberverwaltungsgericht 95, 538 - subjektive Rechte 141 ff. - Verfassungsorganstreitigkeiten s. dort - Zwischenländerstreitigkeiten 135 Verfassungskollision 877 Verfassungsorganstreitigkeiten 117 ff. - Abgeordnetenentschädigung 83 - Antragsbefugnis 123 - Beteiligungsfähigkeit 122 - Entscheidungsinhalt 119

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- Feststellungsurteil 120 ff - politische Parteien 73 - Prozeßstandschaft 124 ff. - Reichsverfassung 173 ff. - Volksbegehren 71 - Vollstreckungsanordnung 121 Verfassungsorgantreue s. Organtreue Verlöbnis s. Eheversprechen Vermutung der Gültigkeit 833 Vernachlässigung von Leistungsrechten 702, 772 ff. Verpflichtungsklage - Konnexität 897 Vertrag s.a. öffentlich-rechtlicher Vertrag, pacta sunt servanda - Entstehungsgrund 424 - Geltungsgrund 424 - Vertrauen 830 Verwaltungsakt - Anfechtungsklage s. dort - Aufhebbarkeit 817 - Außengerichtetheit 794 ff - Begründung subjektiver Rechte 424 - Behördenbegriff 793 - Drittanfechtung 590, 865 - Entstehungsgrund 424 - Fehlerfolgen 816 ff. - Folgenbeseitigungsanspruch s. dort - Geltungsgrund 424 - Heilung 817 - mit Doppel Wirkung 589 - Nichtigkeit 816 - Nichtvollziehbarkeit 820 - Planfeststellungsbeschluß 819 - Rücknahme 883 ff - schwebende Unwirksamkeit 818 - Vertrauensschutz 590 - Widerruf 879 ff. Verwaltungsgerichtsbarkeit - Enumerationsprinzip 204 - Generalklausel 393, 535 Verwaltungsprivatrecht 470 f. verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten 19 - Aktivlegitimation 908 - als eigenständiger Prozeßtypus 57 - Aussetzung 924 - Beiladung 922, 939 - Beteiligte 907

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Beteiligtenverhältnisse 59, 936 Beteiligungsfähigkeit 907 ff. Antragsminderheit 916 Bürgermeister 913 Fortbestehensfiktion 926 ff. Gemeinderat 916 Gemeinderatsausschuß 916 Gemeinderatsfraktion 917 Gemeinderatsmitglied 913 - Teilbeteiligungsfähigkeit 920 Vereinigung 916 - Wegfall 923 ff. Diskontinuität 924 Fallgruppen 51 ff. Klageart 946 ff. allgemeine Gestaltungsklage 949 ff. allgemeine Leistungsklage 966 Feststellungsklage s. dort Gestaltungsklagen 950 Klage sui generis 947 ff. Normenkontrolle 963 - Klagebefugnis s. dort - kommunalrechtliches Vertretungsverbot 934 - Kosten s. dort - Passivlegitimation 888, 989 f., 908 - Postulationsfähigkeit 933 - Prozeßfahigkeit 929 - Prozeßführungsbefugnis 935 ff. - - aktive 935 passive 935 ff. - Prozeßstandschaft s. dort - Prozeßvertretung 930 ff. - subjektive Klageänderung 925 f. - subjektiver Rechtsschutzbezug 299 ff. - Rechtsschutzbedürfnis s. dort - Vertretungszwang 933 f. - Verwirkung des Klagerechts 986 - vorläufiger Rechtsschutz s. dort - Zwangsvollstreckung s. dort Verwaltungsrechtsweg - Generalklausel s. dort - nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit 163 - öffentlich-rechtliche Streitigkeit 163 - Rechtsstreitigkeit 152 ff. Verwaltungsverordnung s.a. hierarchische Weisung

- Abgrenzung von Gesetzen 178 ff., 212 ff., 241 f. - Amtspflichtverletzung 180 - Fehlerfolgen 839 f. - Grundlage 251 - Rechtsnatur 162, 184, 215, 239, 839 - Statthaftigkeit 213 - Verwaltungsinternum 178 ff. Verwaltungsvorschrift s. Verwaltungsverordnung Veto-Recht s. Widerspruchsrecht vis absoluta 719, 730 vis compulsiva 732 volenti non fit iniuria 983 Volksbegehren 71 Vollstreckbarkeitsausschluß 378 ff. Vorbehalt des Gesetzes 781 Vorgesetzter s. hierarchisches Verhältnis vorläufiger Rechtsschutz 987 ff. - Anordnungsanspruch 989 - Anordnungsgrund 989 - Antragsgegner 989 f. - Interessenabwägung 990 f. - Regelungsanordnung 988 f. - Sicherungsanordnung 988 - Wichtigkeit 987 Vorrang des Gesetzes 781 Wahlen - Demokratieprinzip 681 - Erfolgswertgleichheit 680 - Wahlbewerber 63 - Wahlsystem 683 Wahlprüfung 684 Weisungsbefugnis s. hierarchisches Verhältnis weisungsfreie Ausschüsse 617 Wesentlichkeitstheorie 35, 211 Widerspruchsrecht s. Bürgermeister Willensentschließung 720 Willensherrschaft s. Willenstheorie Willenstheorie 338 f. - Kritik 339 ff., 347 ff. - Willensherrschaft 338 f. Zurechenbarkeit 704 ff. s.a. Lehre von der objektiven Zurechnung - ex post-Beurteilung 749

Sachwortverzeichnis - mittelbarer Eingriff 742 ff - untaugliche Kriterien 707 ff. - - Adäquanztheorie 710 ff - - Finalität 707 ff Normzwecktheorien 712 f. - - Unmittelbarkeit 709 f , 743 f. Zurechnungsendsubjekt 28 Zwang s. Erzwingbarkeit, Rechtsmachttheorie Zwangscharakter des Rechts s. Rechtsmachttheorie Ζ wangs vo 11 Streckung

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Effektivität des Rechtsschutzes 953 ff Erlaß von Verwaltungsakten 959 f. gegen Hoheitsträger 367 im verwaltungsgerichtlichen Organstreit 955 ff. - - Erklärungsfiktion 958 ff, 962 - - Ordnungsgeld 955 f. Fn. 59 - - Ordnungshaft 957 Fn. 61 - - Zwangsgeld 955 f. Fn. 59 - - Zwangshaft 957 Fn. 61 Zweckveranlasser 742 Zwischenländerstreitigkeiten 135