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German Pages 218 [217] Year 1954
HANS
HAUSSHERR
VERWALTUNGSEINHEIT UND VOMENDEDES
RESSORTTRENNUNG
17. BIS Z U M
B E G I N N DES 19. J A H R H U N D E R T S
HANS HAUSSH'BRR
VERWALTUNGSEINHEIT UND RESSORTTRENNUNG VOM ENDE DES 17. BIS ZUM BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS
1 953 A K A D E M I E - V E R L A G - BERLIN
Copyright 1953 by Akademie-Verlag GmbH., Berlin Alle Redite vorbehalten
£rsdiienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Lizenz 202 • 100/46/52 Satz und Drude: 111/14/8 Graphische Werkstatten Görlitz 1 952 4371 Bestell- und Verlagsnummer 5091 Prlnted in Germany
FRITZ
HÄRTUNG
dem Forscher und Lehrer
VII
Wer den schönen Bau des ehemaligen preußischen Finanzministeriums betrat, in dessen würdig zurückhaltender Fassade noch die guten Überlieferungen der Schinkelzeit nachklangen, fand im Vorzimmer des Ministers einen eigenartigen Wandschmuck: wie ein Fries rundumlaufend drängten sich in kleinen Bildnissen die Köpfe der Männer, die in diesem Hause regiert hatten. Der Besucher erkannte am Anfang der langen Reihe Stein und etwas weiter Hardenberg, vielleicht noch Motz und Miquel, während er die vielen unbedeutenderen Persönlichkeiten zwischen den hervorragenden nur eben überflog. Auf Stein also führte das preußische Finanzministerium seine Entstehung zurück. Er galt als der Begründer; denn das entscheidende Publikandum vom 16. Dezember 1808 ist zwar erst kurz nach seinem Sturz veröffentlicht, beruhte aber in allen Einzelheiten auf dem Organisationsplan, mit dessen Anerkennung der scheidende Staatsmann seinen letzten Sieg erfocht. Und doch wäre es ein Irrtum, wenn man annähme, die uns geläufige Trennung von Innen- und Finanzministerium, die mit dem Publikandum durchgeführt wurde, gehörte zu denjenigen Reformgedanken, die Stein stets festgehalten hätte. Als sein damaliger Untergebener und späterer, unebenbürtiger Nachfolger Altenstein — der zweite in der erwähnten Bildnisreihe — in einer umfassenden Denkschrift den Vorschlag machte, die noch bestehende altpreußische Behörde aufzulösen und dafür ein Ministerium des Innern und eins der Finanzen zu schaffen, schrieb Stein an den Rand: „Ich würde nicht zur Aufhebung des Generaldirektorii raten." Bevor der entscheidende Einschnitt erfolgte, besann sich Stein also noch einmal auf das alte Generaldirektorium aus der Zeit Friedrich Wilhelm I., in dem Inneres und Finanzen eine ungetrennte und untrennbare Einheit bildeten, erwog er, was für eine große Innenbehörde sprach, und ließ sich dann doch vom Zuge der Zeit forttragen, der das Auseinanderreißen dessen verlangte, was in Preußen bisher zusammengehörte. Kurz zuvor hatte sich in der französischen Behördenorganisation eine ähnliche Wandlung vollzogen: die Generalkontrolle des ancien régime mit ihren umfassenden Kompetenzen war in der Revolution durch ein modernes Innenund ein Finanzministerium ersetzt worden. Darin liegt ein Problem, das der Erörterung wert ist. In beiden Fällen prägen sich nicht bloß verschiedene Epochen der Verwaltungsgeschichte aus, sondern ebenso die grundsätzlich möglichen Lösungen der Verwaltungsorganisation: die große, einheitliche Innenbehörde, die auch die Wirtschaftsangelegenheiten umfaßt, mit dem entsprechenden Unterbau von einheitlichen Mittelbehörden auf der einen Seite und auf der anderen die uns geläufige Ressorttrennung in der obersten und dann in allen Instanzen. Ursprünglich wollten wir nur dem Weg folgen, den Preußen von der Gründung des Generaldirektoriums im Jahre 1723 bis zu einem gesonderten Innen- und Finanz-
viii ministerium im Jahre 1808 zurücklegte. Aber sehr bald zeigte sich, daß dies Geschehen als ein preußischer Vorgang allein aus der inneren Gesetzlichkeit dieses Staates nicht verstanden werden kann; maßgebliche Eigentümlichkeiten des preußischen Bildes lassen sich vielmehr nur als Sonderfall einer gesamtdeutschen Verwaltungsgeschichte begreifen. Dann erst tritt das Allgemein - Deutsche und das Preußische klar hervor. Darüber hinaus bedarf es noch einer weiteren, vielleicht wichtigeren Ergänzung. Die uns geläufige Trennung eines inneren vom Finanzressort ist nicht zuerst in Deutschland erfolgt, sondern im Frankreich der großen Revolution, durch ein Gesetz der Nationalversammlung vom 27. April / 25. Mai 1791. Die deutschen Staaten, zuerst die des napoleonischen Rheinbundes, sind allem Anschein nach dem französischen Vorbild nur gefolgt. Damit ist der Gang unserer Betrachtungen vorgezeichnet. Zuerst wird es gelten, die Gründung und die Arbeit des Generaldirektoriums als umfassender Innenbehörde zu schildern; dann werden wir die Verwaltungsformen anderer deutscher Staaten beschreiben, um, zunächst zu Preußen zurückkehrend, der weiteren Entwicklung des Generaldirektoriums bis zu seinem Ende in der Reformzeit und bis zur Begründung eines Finanzministeriums zu folgen. Dazwischen soll sich eine zweite, ebenso wichtige Betrachtung schieben; wir wollen zeigen, wie aus dem Generalkontrolleur des französischen anden régime in der Zeit der Revolution und Napoleons ein Finanzminister geworden ist und wie die Absonderung eines Ministeriums des Innern im heutigen Sinne erfolgte. Erst in diesem weiteren Rahmen wird die Ausbildung einer getrennten Finanz- und Innenverwaltung, wie sie uns im 19. Jahrhundert entgegentritt, erschöpfend beschrieben werden können 1 . Wenn wir uns die Aufgabe so umfassend stellten, war es unmöglich, die Verwaltungsgeschichte auch nur der deutschen Staaten aus den Archiven neu zu erforschen, ganz abgesehen von der Tatsache, daß die meisten Archive gar nicht zugänglich waren, als wir uns der Sache widmeten. Vergleichende Verwaltungsgeschichte ist nur von einem Historiker zu betreiben, der selbst Aktenarbeit gemacht hat und imstande ist, sich den aktenmäßigen Befund auf Grund des gedruckten Materials vorzustellen. Wer sich jedoch so eingehend, wie es nun einmal nötig ist, in die Aktenmassen eines einzelnen Staates vertieft, wird kaum mehr zu der übergreifenden vergleichenden Betrachtung kommen, auf die es uns hier ankommt. Daher haben wir dankbar benutzt, was uns der durchdringende Fleiß ganzer Generationen von Archivaren und Historikern an Einzeldarstellungen und Aktenausgaben geschenkt hat; wir wollten den Reichtum nur unter einer ganz bestimmten Fragestellung sichten, nämlich der Entwicklung von der Einheitsverwaltung zu den Ministerialressorts. Außer den vielen älteren und lebenden Gelehrten, deren Namen in den Anmerkungen genannt werden, hat der Verfasser denjenigen besonders zu danken, 1 D e r V e r f a s s e r hätte s e i n e v e r g l e i c h e n d e Betrachtung g e r n auch auf die Entwicklung der Frage in Rußland erstreckt. D o r t w u r d e die M i n i s t e r i a i v e r f a s s u n g bereits 1 8 0 2 e i n g e f ü h r t . J e d o c h m u ß t e ich bald f e s t s t e l l e n , d a ß die B e s t ä n d e unserer B i b l i o t h e k e n auf d i e s e m G e b i e t e für e i n e s o s p e z i e l l e U n t e r s u c h u n g nicht ausreichen.
IX die Entstehen und Drucklegung dieser Schrift ermöglicht h a b e n . Zuerst Herrn Prof. Dr. Felix Boesler in J e n a ; mit ihm h a b e ich manches Gespräch ü b e r die Steliung d e r Finanzverwaltung im Staate g e f ü h r t und aus diesen Gesprächen ist die Fragestellung des Buches erwachsen. Bei d e r Klärung vieler Einzelfragen half mir Herr Prof. Dr. Willy Flach in Weimar. Mein Lehrer, Herr Prof. Dr. Fritz Härtung in Berlin, nahm das Manuskript u n t e r seine O b h u t und setzte sich bei d e r Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin f ü r die Drucklegung ein. Herr Dr. Josef Maas, Direktor d e r selben Akademie, beseitigte alle ä u ß e r e n Schwierigkeiten. Aus dem Kreise d e r Mitarbeiter d e r Universitätsbibliotheken zu Berlin, Jena und Halle, die mir unter den erschwerten Bedingungen d e r Kriegs- und Nachkriegszeit die nötige Literatur z u sammenbringen halfen, sei namentlich nur Herr Dr. Horst Kunze, jetzt Direktor der Öffentlichen Wissenschaftlichen Bibliothek zu Berlin, g e n a n n t . Meine Assistentin, Frl. Käthe Bolle, half mir bei der Niederschrift, meine Frau beim Korrekturlesen. Vielleicht darf d e r Verfasser h o f f e n , daß ihnen allen auch d e r Leser Dank wissen wird. Halle (Saale), Ende 1952. Hans
Haussherr
XI
Inhalt Seite
I. Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
1
II. Finanz- und Innenverwaltung in der deutschen Staatenwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts
31
III. Die habsburgische Monarchie
54
IV. Johann Heinrich Gottlob von Justi
79
V. Staatsrat und Fachbehörden im spättheresianischen Osterreich .
97
VI. Die Auflösung der Einheitsverwaltung in Preußen
121
VII. Die Ministerialressorts unter der alten Monarchie in Frankreich
149
VIII. Blick auf England und die Vereinigten Staaten von Amerika ....
160
IX. Die Entstehung der modernen Staatsministerien in der Französischen Revolution
174
X. Die modernen Staatsministerien in Preußen und in den Rheinbundstaaten
189
I.
Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen Es war eine stürmische Aufwärtsentwicklung, in die Friedrich Wilhelm I. die preußische Verwaltungsorganisation hineinriß. Das Generaldirektorium mit seinen Unterbehörden wurde f ü r beinahe ein Jahrhundert die endgültige Form, die e r ihr a u f p r ä g t e ; a b e r er hat sie nicht gleich in seinen Anfängen als ein fertiges Bild vor sich gesehen, das er dem Vorgefundenen nur hätte aufzulegen brauchen. Sie hat sich seinem schwerblütigen Wesen erst entrungen, als der heftige Zorn ü b e r die Fehler der in seiner ersten Zeit von ihm selbst begründeten oder ausgebauten Zentralbehörden in ihm aufbrauste. Diese entstammten: die eine der letzten Kronprinzenzeit, in der er bereits einen Teil der inneren Regierungsgeschäfte führte die a n d e r e den ersten Monaten nach der Thronbesteigung. Es waren das Generalkriegskommissariat und das Generalfinanzdirektorium. Der Name Generalfinanzdirektorium klingt wie der einer modernen Behörde, in der die Finanzen sorgfältig von den übrigen Staatsaufgaben getrennt sind. In Wirklichkeit führt uns die Überlieferung, an die Friedrich Wilhelm mit dieser seiner Gründung anknüpfte, zu den Grundlagen der deutschen Landesherrschaft, G r u n d lagen, die mit im 19. Jahrhundert gebildeten Rechts- und Wirtschaftsbegriffen kaum zureichend beschrieben werden k ö n n e n 2 . Im Generalfinanzdirektorium faßte der j u n g e König die Verwaltung aller nichtsteuerförmigen Staatseinkünfte zusammen; das verbindet es mit den neueren Finanzbehörden. Ihm unterstanden die Domänen und Forsten, die Zölle und Geleitgelder, das Salz- und das Postregal 3 . Es hatte die Aufgabe, möglichst hohe Beträge herauszuwirtschaften, die ganzen persönlichen und sachlichen Kosten der Staatsverwaltung und des Hofes in voller Höhe aufzubringen, einen erheblichen Beitrag zu den Kosten des Heeres zu liefern und mit jährlichen Zahlungen den königlichen Schatz zu füllen. Nach solchen Aufgaben hat das 18. Jahrhundert den Begriff der Verwaltung vorgeformt, den das 19. Jahrhundert durchbildete: die Lehre von einem Anspruch des Staates auf klar begrenzte Leistungen und Verhaltungsweisen seiner Bürger neben einer staatsfreien Sphäre des privaten Lebens, die sich die Gesellschaft nach den ihr innewohnenden Triebkräften ordnen darf. Dann bildete die Tatsache, daß der Staat 1
Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., Hamburg 1941, bes. 491 f. Ober die Notwendigkeit, die ungeschichtliche Begriffssprache der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte zu überwinden, bahnbrechend Otto Brunner, Land und Herrschaft, 3. Aufl. 1943, S. 134 f. und 504. 3 Reglement vom 27. März 1713; Acta Borussica (AB) 1 363—366. 2
H a u s s h e r r , Verwaltungseinheit
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2
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
Domänen besaß, zwar eine unerwünschte Grenzüberschreitung, denn er griff damit in die Kreise der Wirtschaft, unterwarf sich aber dafür ihren Gesetzen, indem er die Verhältnisse seines Domänenbesitzes wie ein privater Eigentümer durch Pachtvertrag regelte, während der Pächter seinerseits Arbeitsverträge mit den Landarbeitern, Kauf- und Verkaufsverträge mit Lieferanten und Abnehmern schloß. Alles das bereitet sich unter Friedrich Wilhelm schon vor. Der König verhielt sich tatsächlich in vielen Beziehungen wie ein landwirtschaftlicher Großunternehmer, rationalisierte die Wirtschaft auf seinen Domänen nach Kräften, beurteilte sie scharf nach dem Profit, den sie brachten, und war stets bereit, neue hinzuzukaufen, freilich nur solche, die sich mit 5 v. H. oder mehr verzinsten, und im allgemeinen so große, daß sie mindestens 2000 Rt. jährlich erbrachten, also ein Mindestkapital von 40000 Rt. darstellten Dabei war e r sich seiner Macht — in diesem Falle weniger als König — sondern als kapitalkräftigster Käufer seines Landes wohl bewußt, der Fähigkeit, die angekauften Güter sofort zu entschulden, damit er nicht andere aus seinem Teller essen zu lassen brauchte, und ohne Verzug die Meliorationen, die der frühere Besitzer nicht hatte durchführen können, vorzunehmen, um den Ertrag noch zu steigern. Der königliche Großunternehmer sorgte auch dafür, daß seine verschiedenen „Betriebe" sich gegenseitig stützten; die Kommandeure der Kavallerieregimenter wurden nicht bloß auf das strengste angewiesen, ihre Fourage im Lande zu kaufen, die Kammern sollten sie vielmehr noch unter der Hand veranlassen, ihren Bedarf auf den Domänen zu decken und sich erst dann an die Güter der Edelleute zu wenden, zu denen die Offiziere doch selbst gehörten, wenn die Domänenpächter keine Fourage mehr liefern könnten Doch hatte diese Behandlung der Domänen, die wir zunächst als eine wirtschaftliche dargestellt haben, ihren politischen Sinn. Das läßt sich z. B. aus einer Vorschrift erkennen, die später in die Instruktion für das Generaldirektorium aufgenommen wurde: danach wollte Friedrich Wilhelm seinen Besitz nicht bloß allgemein durch große Güter vermehren, sondern schärfte den Ministern besonders ein, sie sollten dafür sorgen, daß speziell im Magdeburgischen jährlich 2 bis 3 Güter im Kapitalwert von 100—150 000 Rt. erworben würden 3 . Hier hatte sich der Adel als besonders widerspenstig erwiesen und gewagt, sich gegen die Umwandlung der gegenstandslos gewordenen Gestellung von Ritterpferden in eine Geldsteuer durch Appellation an Kaiser und Reich zu wehren. In einem so großen Lande wie Preußen konnte Friedrich Wilhelm nicht daran denken, seinem Freunde, dem Fürsten Leopold von AnhaltDessau, zu folgen und den gesamten Adel auszukaufen; aber er benutzte die Möglichkeit, den verschuldeten Adel um seine Güter zu bringen und ihn damit der wirtschaftlichen Grundlagen seiner politischen Stellung zu berauben, besonders in gefährdeten Gebieten. Auf diese Weise brachte er es immerhin so weit, daß er seinem Nachfolger etwa ein Drittel des gesamten Grund und Bodens in seinen Staaten als Domäne hinterlassen konnte. 1 1 s
Instruktion für das Generaldirektorium (später nur GD), Art. 28, § 3 ; AB III 627—628. Instr. f. d. GD Art. 6, § 4 — 5 ; AB III 589. Instr. für das GD, Art. 38, § 5; AB III 628.
Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
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Ein Ausdruck, den der König oft gebraucht, erschließt uns den Sinn dieser Politik: das Wort Immediatuntertanen f ü r die Einsassen der D o m ä n e n 1 . Nur sie sind also nach den eigenen Worten des Königs Untertanen im vollen Sinne des Wortes, und nur hier gibt es keine Zwischengewalt zwischen Herrscher und Beherrschten. Die gleichmäßige Unterwerfung aller unter den Willen des Monarchen, die sich in dem Begriff Untertan kundgibt, war das wichtigste Ziel des europäischen Absolutismus, zu dessen markantesten Vertretern Friedrich Wilhelm gehörte. Ein Ziel, das von ihm noch nicht ganz erreicht wurde, sonst hätten nicht unmittelbare Untertanen aus d e r allgemeinen Untertanenschaft herausgehoben werden können. Die Rechtsstellung der Bauern, auf den Domänen g e g e n ü b e r dem König, auf den anderen Gütern g e g e n ü b e r den Landadligen, wird zutreffend durch den Begriff Erbuntertänigkeit umschrieben. Der Bauer ist Untertan seines Gutsherrn, gleichgültig, o b dieser mit dem Landesherrn identisch ist oder o b sich zwischen Bauern und König ein Adliger als Inhaber der Herrenrechte einschiebt. Das Verhältnis der Bauern zum Gutsherrn ist eben nicht bloß wirtschaftlicher o d e r gesellschaftlicher Art; aus ihm ergibt sich, wie es das Wort Untertan ausspricht, eine politische Beziehung ersten Ranges, ein Grundbegriff der älteren Verfassungsgeschichte 2 . Die eigentümlich germanische Rechtsauffassung der beginnenden Feudalzeit, nach der ein dingliches Verhältnis der Übertragung von Landnutzung mit einem persönlichen Treuverhäitnis zusammenfiel, gilt noch im 18. Jahrhundert für die adlig-bäuerlichen o d e r auf den Domänen f ü r die landesherrlich-bäuerlichen Wechselbeziehungen. Arbeit und Zins hatte der Bauer zu leisten, d a f ü r konnte o d e r sollte er sich auf Schutz und Hilfe verlassen. Nach Beendigung des Fehdewesens stieg der Herr nicht mehr zu Pferde, um Raub und Brand vom D o r f e abzuwenden; d a f ü r ließ er Holz schlagen, wenn das Bauernhaus abbrannte, leistete e r Hilfe bei Krankheiten, erließ er bei Hagelschlag seine Ansprüche an den Bauern, trat er f ü r etwaige Forderungen gegen ihn ein. Jedenfalls konnte sich auch der Bauer auf diese seine Rechte berufen und sie klagbar machen; o b er imstande war, sich damit durchzusetzen, war dann eine Frage der persönlichen und der Machtverhältnisse, die f ü r ihn von vornherein ungünstig lagen. D e r Idee nach war es eine Lebensgemeinschaft, a b e r eine mit Spannungen und Klassengegensätzen, wie sie aus den sachlichen Gegebenheiten des bäuerlich-gutsherrlichen Verhältnisses notwendig erwuchsen und durch die persönlichen Unzulänglichkeiten der Beteiligten verstärkt wurden. Nachdem der mit untauglichen Mitteln durchgeführte Versuch, die Domänen in Erbpacht auszutun, unter der vorigen Regierung gescheitert war, kehrte Friedrich Wilhelm wieder zur Zeitpacht zurück. Alle sechs Jahre wurden die einzelnen Güter mit allem, was zu ihnen gehörte, an den Meistbietenden ausgegeben, damit j e d e Wertsteigerung, die in der Regel auf Meliorationen durch die Kammerverwaltung beruhte, durch Erhöhung der Pachtsummen den königlichen Einnahmen zugute kam. Trotzdem blieb die Domäne das „Amt", der Pächter der „Beamte", und nur auf ihn w u r d e dies Wort damals a n g e -
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Z. B. Instr. für das GD, Art. 8, § 4—5; AB III 591. Vgl. Otto Brunner, Land und Herrschaft, 3. Aufl., S. 276 ff.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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wandt; denn er war nicht bloß der Träger der staatlichen Hoheitsrechte, sondern der verantwortliche Leiter der gesamten Wirtschaft auf der Domäne. Aber er war darin nicht so frei, wie der Adlige es trotz allen behördlichen Dreinredens blieb. Er hatte die Domänenverwaltung, seit 1713 das Generalfinanzdirektorium, über sich, das sich auf Weisung des Königs schlechtweg um alles, nicht bloß um die Pachtsummen, die vierteljährlich einzuzahlen waren, kümmerte, sondern auch um die Etats, die im einzelnen von den Behörden zusammen mit den Pächtern aufgestellt wurden und deren j e d e r vom König genehmigt werden mußte. Die Behörde griff in die Arbeitsbedingungen ein, sie g a b Pachterlaß, wenn die Not drängte. Und all das blieb nicht bloß in den Aktenstücken der provinziellen Amtskammer liegen, sondern ging vom Amt über die Amtskammer und das Generalfinanzdirektorium zum Kabinett d e s Königs; sollten die Kammern doch auf seinen ausdrücklichen Befehl die Pächter, „die nicht gut haushalten, redressieren, sie scharf anhalten, daß sie ihre Länder besser bestellen, auch mit ihren Viehinventarien nicht liederlich u m g e h e n " 1 . So blieb trotz der wirtschaftlichen Rationalisierung, trotz der Vereinheitlichung der Anforderungen durch die ständige Aufsicht, die eine Zentralbehörde ausübte, das persönliche Verhältnis des Königs zu seinen Immediatuntertanen gewahrt, blieb die Domänenverwaltung Verwaltung im denkbar umfassendsten Sinne, der Wirtschaftliches, Arbeitsrechtliches und Politisches in einer untrennbaren und noch ganz ungetrennt empfundenen Einheit umgreift. Wenn diese Einheit zunächst von dem Verhältnis des Landesherrn zu den 1m"mediatuntertanen auf den einzelnen Domänen gilt, so hat Friedrich Wilhelm selbst die andere übergreifende Einheit des ganzen Domaniums durch das Hausgesetz geschaffen, das er bereits 1713 erließ und in dem er für ewige Zeiten verbot, jemals „ebenerwähnte Lande und Güter unter einigem Prätext zu verpfänden, zu verkaufen, zu verschenken oder sonst zu a l i e n i e r e n " s . Vorher waren die Einkünfte und Lieferungen bestimmter einzelner Ämter zugunsten der Schatulle in Anspruch genommen worden, aus der der Landesherr bestimmte als persönlich betrachtete Ausgaben b e zahlte, und die er deshalb als ein seiner persönlichsten Disposition unterliegendes Eigen betrachtete, anders als die Masse der der ordentlichen Kammerverwaltung unterstehenden Güter. Mit d e r Begründung des Generalfinanzdirektoriums h o b Friedrich Wilhelm diesen verwaltungstechnischen Unterschied, d e r doch mehr als verwaltungstechnische Tragweite hatte, auf, wollte er „diesen neuen Acquisitionen — denn solche waren vornehmlich zur Schatulle gekommen — die Natur und Eigenschaft rechter Domanial-, Kammer- und Tafell-Güter samt der denselben in den Rechten anklebenden Inalienabilität hiermit beigelegt h a b e n " 1 . Mit dem Hausgesetz stabilierte er die Einheit für alle Zukunft, entzog e r seine Immediatuntertanen als wichtigste Grundlage einer durchaus persönlich gedachten Herrschaft der Entfremdung durch die Laune der Nachfolger. Das Gesetz wurde erst in dem 1
Instruktion der Kurmärkischen Kammer, 26. Jan. 1723, Art. I, § 12; AB III 686. Edikt vom 13. Aug. 1713, Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, hrsg. H. Schulze, Jena 1883, III 737. 8 Ebd. 739. 2
Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
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Augenblick aufgehoben, in dem der emporkommende Liberalismus dem Verhältnis von Landesherrn und Immediatuntertanen den Boden entzog, die Domänen bloß als staatliche Wirtschaftsunternehmen behandelte und die Lehre von der Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft, mit der der Staat sich nicht zu befassen habe, anwandte Neben der Verwaltung der Domänen und Regalien, den beiden ursprünglichen Grundlagen der Landesherrschaft, stand die Steuerverwaltung, geboren aus den Bedürfnissen des absolutistischen Machtstaates, neben dem Generalfinanzdirektorium das Generalkommissariat. Von ihren Anfängen unter dem Großen Kurfürsten dienten die neuen Steuern allein den Bedürfnissen des stehenden Heeres. Wenn die Kriegskasse unter dessen Nachfolger o f t zu den Ausgaben für den königlichen Prunk herangezogen worden war, so behielt Friedrich Wilhelm I. die Steuereinkünfte wieder ausschließlich der Versorgung seiner Soldaten vor; und was nicht ausreichte, mußte die Domänenkasse als jährliches Adjutum hergeben. Das war aber auch die einzige Verbindung zwischen den beiden Spitzenbehörden, die sonst nichts miteinander zu tun hatten. Zwei sachlich und räumlich getrennte Steuerarten waren es, die sich unter dem Großen Kurfürsten in Brandenburg-Preußen zugleich mit der für sie bestimmten Verwaltung ausgebildet hatten: auf dem Lande die Kontribution, eine Grundsteuer, oder modern gesprochen, mehr eine Grundertragssteuer, die in den meisten Provinzen nur der Bauer zahlte, während der Adlige für seine Ritterhufen frei blieb; nur in Ostpreußen war es seit der Ordenszeit üblich, daß er in beschränktem Maße herangezogen wurde. Friedrich Wilhelm I. hat Unterschiede ausgeglichen, und wenn es nach ihm gegangen wäre, so hätte er den Adel seiner gesamten Länder unter die Kontribution gebeugt. Er fing mit diesem Werk in der reformbedürftigsten Provinz, in Ostpreußen, an und führte dort den Generalhufefischoß ein im vollen Bewußtsein, daß er damit einen Kampf um seine Souveränität durchfocht 2 . Die Städte zahlten die Akzise, ein Bündel von Verbrauch-, Umsatz- und Gewerbesteuern. Dies Steuersystem schloß Stadt und Land aufs strengste voneinander ab, erhielt die Mauern, nachdem sie ihren militärischen Wert verloren hatten, und setzte als Symbol der Staatsmacht den Torschreiber an die Stadttore, um auf alle ein- und ausgehenden Waren einen Zoll zu erheben. Diese Steuern führten sich als eine wenigstens formal vorübergehende Last ein, und die Beamten, die sie einzunehmen hatten, erschienen deshalb zuerst nur als Träger eines begrenzten landesherrlichen Sonderauftrages, als Kommissare, denen in der Provinzialinstanz das Provinziatkommissariat, in der Zentralinstanz der Generalkommissar übergeordnet war. Erst 1712 wurde aus dem Büro des General1 Durch Hausgesetz vom 6. Nov. 1809 über die Veriußerlichkeit der kgl. Domänen, ebd. S. 750 f. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, daß in diesem Entschluß der Zwang von außen, die Notwendigkeit, an Napoleon Kriegstribute zu bezahlen, mitwirkte. Hans Haussherr, Erfüllung und Befreiung, Hamburg 1935, S. 165. 2 Die Geschichte des Generalhufenschosses, eines der aufschlußreichsten Kapitel der preußischen Steuergeschichte, ist leider noch nicht geschrieben worden. Die Arbeit von C . A. Zakrzewski, Die wichtigeren preuß. Reformen der direkten ländlichen Steuern, Leipzig 1887, hält sich mehr an die technische Seite der Sache.
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kommissars eine selbständige Kollegialbehörde, indem der Kronprinz die Ernennung seines Vertrauensmannes Grumbkow zum Direktor beim Generalkommissariat durchsetzte 1 . Nach unten endete die Kommissariatsverwaltung der Kriegsgefälle beim commissarius loci oder Steuerrat in den Städten und beim Kreiskommissar, später Landrat genannt, auf dem platten Lande. In diesen beiden Ämtern offenbarte der preußische Absolutismus seine Eigentümlichkeit beinahe noch deutlicher als in den Spitzenbehörden. Der Steuerrat, jedesmal über eine ganze Reihe von Städten gesetzt mit dem Auftrage, die Akzise einzunehmen, beaufsichtigte die städtische Eigenverwaltung, der der Staat die Steuerhoheit genommen hatte und ihr mit Kämmereigefällen und Kompetenzen, d. h. Rückzahlungen aus den Staatseinnahmen, nur ein kärgliches finanzielles Eigenleben ließ. So fühlte sich der Steuerrat durchaus als der wirkliche Regent der Städte. Der Landrat war dagegen ein Mann des Landadels, der gewählte Vertreter seines Kreises, von dem der Landesherr zugleich verlangte, daß er dem Kreise gegenüber seine Interessen zu vertreten habe. Obwohl die Steuern gegen den Widerspruch des Adels eingeführt worden waren und ihn dauernd unter die Souveränität der Krone beugten, fanden die preußischen Könige in allen ihren Ländern immer die Männer, die bereit waren, das Amt zu übernehmen und zum Wohle von Kreis und Landesherrn zu führen. Ebenso konnten die Herrscher erwarten, daß ihre Befehle, die von den Landräten weitergegeben wurden, von den einzelnen Gutsherren auch befolgt wurden, gab es doch unter dem Landrat keine ausführenden O r g a n e mehr, so daß der Staat auf die Bereitwilligkeit der gutsherrlichen Obrigkeit angewiesen war, ohne sich in seiner Würde etwas zu vergeben. Hatte sich aus dem landesherrlichen Gutsbesitz allmählich eine Finanzverwaltung entwickelt, indem die Abgaben der Domänen durchweg in Geldgefälle umgewandelt wurden, so bildete sich umgekehrt im Kommissariatswesen aus einer reinen Finanzverwaltung eine allgemeine Verwaltung heraus. Der Luftzug des modernen Staates wehte im Generalkommissariat schneidender als im Generalfinanzdirektorium. Diese Behörde mit ihren vornehmlich landwirtschaftlichen Interessen stand dem Landadel noch sehr nahe, da sie sich wie die ritterschaftlichen Vasallen in der Stellung des Gutsherrn befand. Die Kommissariate hatten dagegen auf dem Lande nur Steuern einzuziehen, die noch dazu in ihrer Höhe ein für allemal festgelegt waren. So war ihr Interesse am Landesausbau verhältnismäßig gering, während die ebenfalls unveränderte Akzise in den Städten Mehreinnahmen erbrachte, wenn sich die städtische Wirtschaft ausdehnte und die Umsätze stiegen. Hier war die hohe Schule für die Grundsätze des Merkantilismus und des Kameralismus, die sie in ihrer besonders preußischen Prägung entwickelte. Die Kommissariatsbehörden hatten die Akzisesätze so anzuwenden, daß aus ihnen Schutzzölle wurden; sie hatten die Anlegung neuer und die Ausbreitung alter Manufakturen anzuregen und zu betreiben. Das waren die Mittel, die Steuereinkünfte zu steigern, also in erster Linie nicht fiskalische Maßnahmen, sondern Sorge für den Wohlstand einer möglichst zahlreichen Bevölkerung. 1
Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., S.612.
Friedrich Wilhelm I. u n d die B e g r ü n d u n g d e s G e n e r a l d i r e k t o r i u m s in P r e u ß e n
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Trotz der scheinbar klaren Zuständigkeitsgrenzen ergaben sich, wie stets aus dem Nebeneinander zweier innerhalb ihres Wirkungskreises mit unbeschränkten Machtmitteln ausgestatteter Behörden, die beide vom König mit seinem „cito, cito, citissime" zu rastloser Tätigkeit und zu steter Vermehrung ihrer Einkünfte angetrieben wurden, in Kürze schwere Unzuträglichkeiten. Im allgemeinen war das Generalkommissariat der Angreifer, während das Generalfinanzdirektorium sich verteidigte. Der Behördenkrieg in der Zentrale wirkte in den Provinzen und in den Kreisen weiter, ebenso wie sich die örtlichen Streitigkeiten bis in die Spitze fortsetzten. Zwei Fragen vor allem, von denen die eine sich unmittelbar, die andere nur mittelbar in den Einkünften auswirkte, wurden Gegenstand eines unaufhörlichen Papierkrieges. Die Domänenbauern waren mit der Kontribution belastet, und die Kommissariate, deren Ehrgeiz es war, dem König möglichst gute Ergebnisse vorzulegen, suchten sich für die Einziehung von Steuern die Zeiten aus, wo der Bauer und der Pächter Geld im Sacke hatten, während die Amtskammern ihre Pachtgelder in genau festgelegten vierteljährlichen Raten einnahmen. Nur zu gern entschuldigten sich die Pächter damit, „das Commissariat hätte vorgefischet" \ wenn sie im Rückstände blieben, und ebenso gern gaben die Kammern und das Generalfinanzdirektorium die Klagen als Begründung für Ausfälle weiter, weil sie den zugreifenden und anspruchsvollen Kollegen von den Kommissariaten mit Freuden am Zeuge flickten und wahrscheinlich erwarteten, der König werde auf die Dauer doch Abhilfe schaffen und die Amter gegen Eingriffe der Kommissariate schützen. So ergab sich eine natürliche Gemeinschaft zwischen dem Landadel und den königlichen Amtskammern gegen die Steuerbehörden. Es konnte geschehen, daß sich die Neumärkische Amtskammer dem Protest der Gutsherren des Sternbergschen Kreises gegen das Kommissariat anschloß und den schärfsten Tadel des Königs einstecken mußte, darüber, „daß einige von Unsern Provinzialkammern mit den Landständen colludiret und gegen die Commissariate, ergo wider Uns und Unser höchstes Interesse Partei genommen 2 . In der anderen Streitsache hatte das Generalfinanzdirektorium wahrscheinlich auch das Gefühl, sich seiner Haut wehren zu müssen. Um die Pachterträge der Amter zu steigern, ließ es Brauereien, Schnapsbrennereien und Krüge auch auf solchen Domänen anlegen, wo dies nicht von altersher üblich war, so* wie der Landadel sich gleichzeitig für dies einträgliche, betriebsnahe Gewerbe einsetzte. Das Bierbrauen auf dem Lande griff aber in die städtischen Gerechtsame ein; wenn der Bauer sein Bier aus der Amtsbrauerei oder aus der seines Gutsherrn holte, ging die „Braunahrung" der Städte zurück, für viele kleinere die einzige bedeutende Quelle der Akzise. Moderne Steuerinteressen und althergebrachte Privilegien gingen hier Hand in Hand; und die Kommissariate waren bereit, sie nach Kräften zu verteidigen. O b das platte Land angesichts der städtischen Rechte befugt war, Brauereien, i K O an Ilgen, 15. J a n . 1723; AB III 6 6 1 . K O an Ilgen, 15. J a n . 1723; AB III 6 6 0 u n d 659.
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Brennereien und Schankkrüge einzurichten, war eine Rechtsfrage. Die Kommissariate standen nicht an, den Standpunkt der Städte und den ihren vor Gericht zu vertreten, und klagten auf Feststellung und Unterlassung. Der König hatte gewiß nichts d a gegen, daß sie gegen den Landadel Prozesse führten, um gewisse Einkünfte zu sichern; a b e r daß sich seine eigenen Behörden vor Gericht belangten und Geld ausgaben, um die von ihm so verachteten „Jurisconsultos und Advocatos aus Unserm Beutel" zu salarieren, das war ihm zuviel. Er hatte das Gefühl, „als wann das eine Collegium nicht eben wie das andere Uns zugehörete . . ., sondern unter ganz diversen, und zwar solchen Potentaten stände, deren Interessen einander gänzlich zuwiderliefen" 1 . Je mehr seine Behörden dagegen handelten, desto sicherer wurde ihm der Begriff des „reellen Profits" o d e r „reellen Vorteils", den er in der Instruktion f ü r das Genraidirektorium nicht müde wurde, denselben Ministern einzuprägen, die sich als C h e f s der bisherigen Verwaltungen dagegen vergangen hatten. Mit immer neuen Beispielen rechnete e r ihnen vor, eine Einnahme der Domänenkasse, die der Kriegskasse Geld entzöge, sei „keine Verbesserung, sondern Wind" *. „Ich habe", so fand der König bei der Begründung des Generaldirektoriums in schöner Selbsttäuschung, „mit alle das schreiberkop (wie mit) samet umbgegangen 10 jähr, habe geduldt von d e r a n d e r e weldt g e h a t " 3 . Den Beginn der Streitigkeiten zwischen den Ressorts setzte er danach in die Zeit seines Regierungsanfanges oder ihrer Einrichtung als selbständiger Kollegialbehörden. Und wirklich: das Generalfinanzdirektorium erfreute sich nicht zehn Monate seines Bestehens, da fand das Generalkommissariat bereits den „zwischen einem hochlöblichen Generalfinanzdirektorio und dem Generalkommissariat bisher üblich gewesenen M o d u s der schriftlichen Communication" sehr umständlich und wenig erfolgreich und machte von sich aus den Vorschlag mündlicher Besprechungen, zu denen beiderseits j e ein Mitglied abgeordnet werden solle *. Das Generalfinanzdirektorium beeilte sich zwar, dem Vorschlag zuzustimmen; doch führten die verschiedenen Konferenzen sowie der Schriftwechsel, der natürlich weiterging, keineswegs zu den gewünschten Ergebnissen. Jedenfalls verlangte der König im Jahre 1721, die beiden Kollegien sollten sich zusammensetzen und gemeinsamVerfahrungsgrundsätze festlegen. Dabei kündigte er ihnen an, e r wolle selbst einer Schlußkonferenz präsidieren und über verbleibende Streitpunkte entscheiden. Mit welcher Vorsicht beide Teile an die Einigung herangingen, zeigt die Tatsache, daß sie zuerst nur die Räte, nicht die Minister zusammenkommen ließen, und daß Fortschritte erst gemacht wurden, als ein erneuter königlicher Erlaß die Aufstellung von „Principia regulativa" a n b e f a h l 8 . Es wurde ein ziemlich umständliches Verfahren; das Generalfinanzdirektorium forderte erst von 1 KO an Ilgen, 15. Jan. 1723; AB III 660 und 659. * Beispiel: Dienstgelder der Amtsbauern, Art.7, § 3; AB III 590; Ämteretats, Art. 18, § 3, S. 606; Brauereien Art. 26, § 1,2, S. 624—625. * An Leopold von Dessau, 10. Jan. 1723; Brfe. ed. Krauske, S. 214. * Gen.-Komm. an Gen.-Fin.-Dir., Berlin, 4. Jan. 1714; AB I 647—648. 8 Erlaß an Gen.-Fin.-Dir., 12. Nov. 1721, AB III 377—378; ßrlaB an Minister Görne, 24. Febr. 1722, AB III 381.
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den ihm unterstellten Amtskammern Gutachten ein, wahrscheinlich um für die Auseinandersetzung besser gerüstet zu sein. Es dauerte jedenfalls länger als ein halbes Jahr, bis d e r König die angekündigte Resolution wegen der Principia regulativa e r lassen k o n n t e 1 . In diesem Schriftstück aus dem Marz 1722 spricht wenig von dem Geist dieses Jahres, das mit der berühmten Instruktion für „meinen lieben successor" beginnt und mit der e b e n s o berühmten Instruktion für das Generaldirektorium schließt; es enthält nur Entscheidungen zu Einzelfragen. Es ist wie ein Atemholen vor einem großen Anlauf, vor der dem eigenen schwerflüssigen Wesen a b g e rungenen, umfassenden Darstellung seiner letzten innerpolitischen Ziele 2 . Es ist schwer zu sagen, wann dem König der erlösende G e d a n k e kam, die Streitigkeiten seiner Behörden endgültig zu beheben, indem e r sie z u s a m m e n l e g t e s . Noch während e r den ersten Instruktionsentwurf mit eigener Hand niederschrieb, bestätigte er Leopold von Dessau: „Euer Lieben Resonne(ments) wegen C o m b i n a ción (von) Comis(sariat) und Kamer habe reiflich überleget und finde alle d a g e mehr das es mein Interesse convenable ist" *; damit erkannte er den älteren Freund und Berater als Urheber des Planes an. Trotzdem durfte er in der Kabinettsordre, die allen Ministern vorgelesen wurde, mit Recht sagen: „So haben wir endlich, nachdem Wir den Höchsten umb seinen Beistand deshalb angerufen und nachgehends die Sache reiflich überleget, jedoch o h n e daß Uns jemand in der Welt dazu angeraten, aus höchsteigener Bewegnis diese Resolution g e f a ß t " 5 . Der Ratschlag des Dessauers, auf den er stets gern hörte, war ihm in diesem Falle doch wohl nicht mehr als ein Anstoß, der eigene Gedanken in d e r gleichen Richtung in Bewegung setzte. Freilich hatte Leopold die D o m ä n e n - und die Akziseverwaltung in seinem eigenen kleinen Lande vor wenigen Jahren wieder zusammengelegt nachdem er mit der Trennung in zwei Kollegien wohl schlechte Erfahrungen gemacht hatte, a b e r wirklich ein Vorbild kann dies Ländchen, in dem es keine adlige Gutsherrschaft mehr gab, f ü r Preußen kaum gewesen sein; die innere Organisation aller übrigen deutschen i Resolution vom 27. März 1722; AB III 400 ff. 3 Auch eine Konferenz der Chefs der Provinzialverwaltungen, die der König in Berlin zusammenberief, zeitigte kein wesentliches Ergebnis. Wir wissen von ihr nur aus Berichten des sächsischen Gesandten Droysen, Gesch. d. preuB. Politik, IV 2 I, 349—350; Akten gibt es darüber nicht, vgl. AB III 534. a öber die Unmöglichkeit, aus den geringen Zeugnissen Sicheres über die nächste Vorgeschichte des GD zu erkennen, vgl. Fritz Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 3. Aufl 1928, 69 Anm. 1. Zum Ganzen auch die zusammenfassende Arbeit von Härtung, Studien zur Gesch. d. preuß. Verwaltung I, Abh. PreuB. Ak. d.Wlss. 1941, Phil. Hist. Kl. Nr. 17, Berlin 1942. * An Leopold von Dessau, 26. Dez. 1722, Brfe. ed. Krauske, S.212. Das auch in die Kanzleifassung übernommene Datum, Jagdhaus Schönebeck, 20. Dez. 1722, steht am Beginn der eigenhändigen Niederschrift. Die endgültige Fassung stammt aber aus dem Januar 1723. denn Thulemeier wurde erst durch KO vom 2. Jan. nach Potsdam berufen; AB III 574. * KO an Ilgen, 15. Jan. 1723; AB III 661—662. * Darüber Näheres im nächsten Abschnitt. Zur Sache Wilhelm Klinsmann, AnhaltDessaus . . . Behördenorganisation unter Fürst Leopold (1698—1747). Phil. Diss. Greifswald 1912; S. 45, 1703 bei Einführung der Akzise mit der Rentkammer zu einem Kollegium zusammengelegt, 1714 getrennt, 1718 wieder vereinigt, 1747 endgültig getrennt.
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Staaten wich von den Formen, zu denen Friedrich Wilhelm die seine bereits v o r wärtsgetrieben hatte, soweit ab, daß es draußen sonst keine Anregungen f ü r ihn gab. Den entscheidenden Entschluß muß der König in einsamem Nachdenken gefaßt haben. Zur Niederschrift seiner ersten Notizen zog er sich jedenfalls in das Jagdschloß Schönebeck zurück, wo er im Dezember 1722 die Feder ansetzte. Auch in Potsdam, wo er sich spätestens um Neujahr 1723 befand, berief er f ü r die Neufassung und Reinschrift keinen der Minister, sondern nur untergeordnete Kanzleikräfte, so daß die höchsten Beamten in der Unsicherheit über ihr Schicksal schwebten, bis die Instruktion im Auftrage des Königs durch den Minister Ilgen am 19. Januar 1723 verlesen wurde. Die Begründung des Generaldirektoriums, die Friedrich Wilhelm mit diesem Staatsakt vollziehen ließ, war ein großes Ereignis. Sie w u r d e von den auswärtigen Höfen mit Interesse, von den Ministern und Geheimräten nach den heftigen Befehlen, die sie vom König erhalten hatten, mit Angst erwartet, denn sie befürchteten ernsthaft, sie würden entweder aus ihrem Berliner Amtssitz nach dem kleinen Potsdam versetzt, in dem der Soldat vorherrschte, o d e r — wenn nicht entlassen, so doch im Gehalt wesentlich verkürzt werden. Als der „Donnerschlack", wie ihn der König selbst n a n n t e 1 , über sie dahinrollte, atmeten sie erleichtert auf. Die Wirklichen Geheimen Etats- und Kriegsräte, also die beiden Minister des Generalfinanzdirektoriums, und die andern zwei Minister des Generalkommissariats fanden sich als Dirigierende Minister im General-Ober-Finanz-Krieges- und Domänen-Direktorium wieder; die ihnen unterstellten Geheimräte traten ebenfalls in gleicher Stellung in die neue Behörde ein ü b e r h a u p t war es nicht die Absicht des Königs, die Minister herabzudrücken. Vielmehr gedachte e r ihnen jetzt erst den großen, nach außen wirkenden Rahmen f ü r eine umfassendere Tätigkeit zu geben. Deshalb erklärte er, „daß Wir Selbst das Präsidium übergedachtes General-etc.Direktorium führen wollen, um demselben desto mehr Lustre, Autorität und Nachdruck beizulegen, zugleich auch die besondere und ganz g e n a u e Attention zu zeigen, so Wir auf die zu ermeldten Direktorii Ressort g e h ö r e n d e Affairen, ihrer Wichtigkeit nach, beständig und unermüdet zu nehmen Uns angelegen sein l a s s e n " E r betonte auch später immer wieder, daß er das 1
An Fürst Leopold, Potsdam, 9. Jan. 1723, Krauske, S.213. Nur der Geh. Rt. von Fuchß verlor das einträgliche Präsidium des Kammergerichts zugunsten von Cocceji, der selbst dem GD nicht angehörte, wurde aber schon Ende 1723 zum Minister ernannt. 3 lnstr. f. d. GD Art. 1, § 1; AB III 575. Wir zitieren auch da, wo der eigenhändige Entwurf des Königs vorliegt, die Kanzleifassung. Es wird m. E. nicht genügend gewürdigt, in wie weitem Maße sich der vielbeschäftigte und ungeduldige Monarch der Abkürzung bediente, gipfelnd in dem bloßen an den Rand gemalten Kreuz, wo er den Minister Creutz als Empfänger einer größeren Geldsumme bezeichnen wollte. Diese abkürzende Ausdrucksweise setzt die vollere Form, die er dann den Kanzlisten überließ, voraus. Daher lebt der persönliche Stil Friedrich Wilhelms I. fast ebenso in den Ausfertigungen, die sich fast alle des gleichen unumwundenen, klaren Deutsch bedienen, ein Zeichen, wie tief die sprachliche Erziehung ging, die der König 2
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Präsidium im Generaldirektorium selbst übernommen habe 1 , und erklärte ohne Umschweife, das Generaldirektorium „ist ein Supremus collegi(um) gleich hinter dem König" 2 . Jedoch übte er das Präsidium niemals wirklich aus. So wie er den ältesten Staatsminister, den Leiter seiner auswärtigen Politik, vorgeschoben hatte, um den versammelten hohen Beamten die Auflösung der beiden Kollegien und die Begründung des Generaldirektoriums zu verkünden, so blieb er weiter in seinem Kabinett, meist in Potsdam oder Wusterhausen, ließ sich aus Berlin von der neuen Behörde Berichte einsenden und gab seine Weisungen durch Randnotizen oder Kabinettsbefehle. Persönlich erschien er nur in der ersten Sitzung, um einige grundsätzliche Fragen zu regeln s , und immer, wenn neue Minister zu vereidigen waren *, sonst blieb der Tisch leer, den er für sich hatte aufstellen lassen. Die Regierung im Rat, wie sie der Große Kurfürst noch geübt hatte, war in Preußen durch die Regierung aus dem Kabinett abgelöst. Zu seinen Ministern hatte der König schon vorher keine großen Herren ernannt. Die Gesandten der fremden Mächte blickten auf die kleinen Landadligen oder die Männer bürgerlicher Herkunft oft mit einigem Hochmut herab, so wie sie mit einem Unterton leiser Verachtung über einen König berichteten, dessen „Sinnen und Trachten auf nichts als Haben und Haben und Zusammenbringung großen Geldes und Armeen gerichtet" sei 6 . Ein kursächsischer Minister hörte aus seinem Munde: „Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß Männer von Rang und von Verdiensten in den Geschäften nichts taugen. Sie spitzen sich auf einen gewissen point d'honneur, der sie oft hindert, meinen Befehlen blind zu folgen . . . Ich will in Zukunft lieber gewöhnliche Leute gebrauchen, Kläffer, die sich weniger auf ihre Ehre zugute tun, denen man etwas bieten kann, ohne daß sie böse werden, die müssen ohne Räsonnieren alles tun, was ich will" 6 . Tatsächlich konnte von Grumbkow, der bisherige Minister im Generalkommissariat, zwar auf einen Vater in hoher brandenseinen Beamten angedeihen ließ. Wer den preußischen Stil mit den gleichzeitigen Erzeugnissen anderer deutscher Kanzleien vergleicht, bemerkt das auf den ersten Blick. Wir möchten daher nicht glauben, daß die Kanzlisten die eigenhändigen Niederschriften mühselig in ein besseres, dem König fremdes Deutsch hätten übersetzen müssen (bei der Rechtschreibung war freilich des Bessern dringend nötig); der König hat vielmehr noch bei den wichtigeren Niederschriften seines Kabinetts selbst mitgearbeitet und diktierend in einer Weise eingegriffen, die keineswegs immer eine Giättung darstellt. Ein Beispiel für viele: Der Entwurf für die Instruktion sagt (AB III 574): „bestraffen, wie in Deutschlande noch nicht gesehen wehre worden", die Ausfertigung: „exemplarisch und auf gut russisch bestrafen" (¡11 649), sicher höchsteigene, verschärfende Worte. Die Frage wäre eine besondere Untersuchung wert. 1 Z. B. KO an G D , Potsdam, 1. Dez. 1735; AB V 1 , 8 1 5 . 2 Randverfügung auf Ber. des GD, 29. Jan. 1727; AB IV 2, 140. » KO an das GD, 22. Jan. 1723; AB III 669—670. 4 Vereidigung sämtlicher Minister und der meisten Räte des GD, 19. Jan. 1723; AB III 667—668; Vereidigung des Ministers Viereck, 8. Juni 1727; AB IV 2, 129; Viebahns, 23. Aug. 1729; AB IV 2, 478; Happes, 21. Juni 1731; AB V 1, 281; Boden scheint nicht mehr in einer Sitzung des G D unter dem Vorsitz des Königs vereidigt worden zu sein. s Ber. des kaiserlichen Gesandten, Berlin, 2. Mai 1713; AB I 441. « Ber. Mantteuffels an Brühl, Berlin, 18. Apr. 1739; AB V 2, 763.
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burgischer Amtsstellung zurückblicken, aber auch der war weniger durch seinen Stand als durch seine Amtslaufbahn emporgekommen. Ebenso stammte von Görne 1 , der aus dem vormaligen Generalfinanzdirektorium kam, aus einer brandenburgischen Adelsfamilie, die weder vor noch nachher von sich reden gemacht hat. Dagegen waren Creutz, Krautt und Katsch bürgerlicher Herkunft und erst nachträglich geadelt 2 . Immerhin hatten Creutz und Katsch die Rechte studiert und waren dem Kronprinzen in der soldatischen Stellung eines Auditeurs, d.h. eines Militär-Gerichtsund Verwaltungsbeamten nahegetreten, während Krautt, unter dessen älteren Geschwistern sich zwei Konsistorialräte und ein Geheimer Finanzrat finden, selbst als Kaufmannslehrling mit der Elle angefangen hatte. Dabei war er schnell zu Reichtum gekommen und beherrschte unter dem ersten König als Generalempfänger, also als eine Art von Staatsbankier, die Generalkriegskasse. An Krautt zeigt sich, daß staatliche und private Geschäfte bei den leitenden Beamten nicht völlig getrennt zu sein brauchten. Die Verwaltung ererbter oder neuerworbener Güter ließ Friedrich Wilhelm jedem Minister gern, ja, er verlangte von dem Geheimrat von Viereck, in dem er wohl schon den Ministerkandidaten sah, er solle sich mit 30000 Rt. in Preußen a n k a u f e n s . Sonst war er zu mißtrauisch und empfand zu sauber, als daß er Privatgeschäfte mit Staatsgeldern zugelassen hätte, um so weniger, j e gewinnbringender sie waren. So verwandte er als König Krautts Geschäftskenntnis zwar im Generalfinanzdirektorium und nachher auch im Generalkommissariat, verhinderte hier aber jede spekulative Beteiligung seines Ministers. Dafür band er ihm das Lagerhaus auf, das er gleich nach seiner Thronbesteigung als „größte deutsche Tuchmanufaktur des 18. Jahrhunderts" gründete, und schrieb dem unfreiwilligen Unternehmer Lieferung und Preise vor*. Der Staat sollte den Minister nicht mehr reich machen, vielmehr sollte der Reichtum des Ministers dem Staate dienen. Demgegenüber bedeutete es wenig, daß Krautt 1723 in von Görne, Katsch 1729 in von Viebahn, Creutz 1732 in von Happe einen adligen Nachfolger bekam. An ihre Stelle trat nach dem Tode des zum Generalfeldmarschall aufgestiegenen Grumbkow der bürgerliche Boden, den der König als tüchtigen „Beamten", d. h. als Domänenpächter schätzen gelernt, in sein Kabinett genommen hatte und nun zum Minister beförderte und ihn zugleich in den Adelsstand e r h o b 5 . Grundsätzlich gab es in preußischen Verwaltungsbehörden keine adlige und gelehrte Bank; unter Friedrich Wilhelm galt nur die Anstelligkeit und Dienstbeflissenheit, zu der der König jeden seiner Beamten ganz handfest verpflichtete: „Die Herren sollen arbeiten, wofür Wir sie bezahlen." Die Geschriebene Zeitung behauptet, die allerpenibelste Sache sei, daß sie i Hintze, AB V I I , 158. . . 2 Creutz, geb. 1670 als Sohn eines Amtsmanns, geadelt 1708 (von Ditfurth, Gesch. der preuß. Oberrechnungskammer, Berlin 1909, 76), Krautt, geb. 1661, ebenfalls als Sohn eines Amtmanns, geadelt 1703 (Wenfe in Forsch. 38, 1926, 2), Katsch, geb. 1665, geadelt 1705 (AB I 83). » KO an Ilgen, 15. Jan. 1723; AB III 664. 4 Carl Hinrichs Forsch. 44, 1932, 48; vgl. desen Band Wollindustrie in den AB. a Hintze, AB VI 1, 165.
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morgens um 7 Uhr beieinander zu sein h a b e n D i e Instruktion für das Generaldirektorium setzt voraus, daß die Herren Minister in ihren Heimen arbeiteten und sich eigentlich nur zu den Kollegialsitzungen und zu Kontrollen in die Räume ihrer Behörden zu begeben hätten2. Die Anwesenheit um 7 Uhr früh des Sommers und um 8 Uhr im Winter verlangt die Instruktion auch nur für die vier Sitzungstage, fügt jedoch sogleich hinzu, daß die Mitglieder der Behörde sonnabends nachmittags zusammenkommen sollten, um die Generalkassen zu revidieren. Sehr bald wurde die lästige Vorschrift, die der König durch Strafandrohung gegen seine Minister zu erzwingen gedachte, gemildert und der Sitzungsbeginn um 9 Uhr festgelegt, damit Minister und Geheimräte sich die Vortragsgegenstände noch einmal ansehen könnten *. Das deutet auf einen Wendepunkt in der äußeren Stellung1 der hohen Beamten. Aus einer Nebenbeschäftigung hochmögender Herren, die sich auf ihren Gütern oder in ihren Stadtwohnungen aufhielten, wenn sie nicht zu bestimmten Diensten herangezogen wurden, ist endgültig ein Beruf mit festen Bürostunden geworden. Jedoch schrieb Friedrich Wilhelm vorerst nur bestimmte Zeiten für den Beginn der Arbeit vor; das Ende ließ er den Ministern und Geheimräten frei, wenn nur der letzte Zettel erledigt wäre. Noch wurde der Bürodienst bis in den Nachmittag nicht als das Gewöhnliche angesehen; sonst hätte der König nicht anzuordnen brauchen, daß sich die Mitglieder des Generaldirektoriums ihr Essen aus der Hofküche bestellen sollten, falls sie vormittags nicht fertig würden. Ein Arbeitsbeginn um 7 Uhr im Sommer und ein Mittagessen um 2 Uhr ließ nach dem Wortlaut der Instruktion auf einen grausam langen Vormittag schließen. Aber die nähere Anweisung an den Oberhofmarschall befahl das Essen in diesem Falle schon um 1 Uhr, wobei der König voraussetzte, daß die Minister und Geheimräte nach vier richtigen Gängen, einer „guten Suppe", einem „guten Stück Rindfleisch und Vorkost", einer „guten Schüssel Fische", einem „guten Rinder-, Hammel- und Kälberbraten" sowie einem Viertel guten Rheinweines und Bier 4 noch voll arbeitsfähig blieben. Äußerlich glich das Generaldirektorium einem modernen Büro, aber nicht einem großen Ministerium mit Zimmerfluchten für Räte und Hilfsbeamte und dem Allerheiligsten für Staatssekretär und Minister, sondern dem einer mittleren Firma, bei der alles in einem großen Räume sitzt und nur der Chef über ein Privatkontor verfügt. Der Chef war in diesem Falle der König, der seine Kabinettsräte als Schreiber mit sich führte, wo er sich jeweilig aufhielt. Dem Generaldirektorium hatte er einen großen Saal im Berliner Schloß eingeräumt, der in strengen Wintern durch den einen Kamin nur schwer zu erheizen war. Die Kanzlei und Registratur waren in Nebenräumen untergebracht; sonst fanden sich alle Minister und Geheimräte in dem 1 Unter dem 23. Jan. 1723, Forsch, zur Brandenburg, u, preuß. Geschichte (später Forsch.) 13, 245. * Instrukt. f. d. G D , Art. 1, § 11, 25 und 26; AB III 582—584. 3 Erlaß an G D , Berlin, 8. Juni 1723; AB IV 1, 219. * Vgl. K O an Printzen, Berlin, 20. Jan. 1723, mit Instr. f. d. G D , Art. 1, § 19; AB III 583 und 669.
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einen Saal, in dem für jedes Departement, also für jeden Minister und die ihm zugeteilten Räte, ein Tisch aufgestellt wurde, dazu ein fast nie benutzter für den König und ein siebenter für das Mittagessen, das die Hofküche lieferte. Zu den Vorträgen und Beschlüssen kamen sämtliche Minister an dem Tisch desjenigen Departements zusammen, über das gerade verhandelt wurde, setzten sich an die eine Seite und sahen sich den Geheimräten des betreffenden Departements gegenüber. Die Schmalseite blieb leer; hier war der Platz des Königs, den sie sich stets als Präsidenten anwesend denken sollten 1 . Diesen äußeren Rahmen legte Friedrich Wilhelm selbst fest, damit die Geschäfte den Arbeitsgang durchliefen, den er in der neuen Behörde durchsetzen wollte. Die Eingänge wurden auf den Tisch des zuständigen Departements gelegt, vom Minister gelesen und von den Geheimräten vorbearbeitet. Die Entscheidungen waren grundsätzlich Kollegialbeschlüsse, für die sämtliche Minister und die zuständigen Geheimräte verantwortlich gemacht wurden. Ausdrücklich verbot der König Sonderanfragen oder Berichte einzelner Mitglieder. Nur der Justiziar des Generaldirektoriums, der Minister Katsch, war angewiesen, Meldung zu machen, wenn sich seine Kollegen nicht an ihre Instruktion hielten oder nachlässig wurden, Intrigen gegeneinander spannen oder sonst unrechte Wege wandelten 2 . So wie die Instruktion den Ministern anbefahl, sich im Lande geheime Korrespondenten zu halten, damit sie erführen, was nicht in den Berichten der unteren Stellen stände, verhielt sich Friedrich Wilhelm gegenüber seinen Behörden. Die Sonderstellung, die dem Minister Katsch als Vertrauensmann des Königs eingeräumt wurde, dürfte ihn bei seinen Kollegen nicht beliebter gemacht haben. Freilich ist nicht zu erkennen, wann und wie Katsch von seiner Befugnis Gebrauch gemacht hätte, denn schriftliche Zeugnisse darüber liegen nicht vor. Als Katsch, von Friedrich Wilhelm aufrichtig betrauert, starb, übernahm sein Nachfolger von Viebahn nicht bloß das Amt des Justiziars im Generaldirektorium, sondern auch die Geheimaufgabe*. Nach dessen Tode wurde seine Stelle nicht mehr mit einem Minister besetzt; es gibt daher von 1739 ab zunächst nur noch vier Ministerialdepartements. Die Aufgaben eines Justiziars wurden an zwei Geheimräte aufgeteilt; trotzdem bekam der Dienstältere von ihnen die besondere Weisung, zu wachen, ob die Minister richtig arbeiteten, und anderenfalls an den König zu berichten *. 1 Die Angaben der Geschr. Zeitung unterm 23. Jan. 1723 (Forsch. 13, 245) werden durch gelegentliche Bemerkungen In den Akten bestätigt. Z . B . soll nach KO. v. 7 . S e p t . 1723 (AB IV 1, 315) der Präs. d. Kurmärk. Kammer „an dem Tische des jetzigen 2. Depts., sodann an der Seite, wo die dirigierenden Ministri ihren Sitz haben", Platz nehmen. Als der Kronprinz den Sitzungen beiwohnen soll, wird für ihn ein eigener Tisch aufgestellt. Instr. v. 7. März 1732, AB V 1, 380. 2 Geheime Instr. f. Katsch, eigenhändig, Berlin 18. Jan. 1723; AB III, 666—667. s Eigenhändiges Marginal zum Beileidschreiben an Ketschs Witwe: „Ich bin so traurig, wie sie nicht sein kann, denn idi einen recht treuen Mann veriohren, der mir aus Liebe gedienet", AB IV 2, 471—472. Die Geheiminstr. f. Viebahn, Ausf. von Bodens Hand, 1729, vor dem 12. Sept.; AB IV 2, 481—482. * KO an GD, Potsdam, 9. Apr. 1739, AB V 2, 751—753, und Geh. Instr. für Wahrt, 9. Mai 1739, AB V 2, 779.
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Im übrigen hielt sich Friedrich Wilhelm streng an die selbst geschaffene Behördenorganisation, ließ sich die Berichte der unterstellten Kammern nur durch das Generaldirektorium und mit dessen Gutachten zukommen und machte selten von der Möglichkeit Gebrauch, unmittelbar durch eine Kabinettsordre einzugreifen. Auch in diesem Falle waren die unteren Behörden angewiesen, dem Generaldirektorium den Wortlaut umgehend zu unterbreiten 1 . Der König verlangte unbedingten Gehorsam; aber er wußte auch, was er seinen Behörden schuldig war, besonders derjenigen, als deren Präsident er sich fühlte; beruhte doch die Stellung sämtlicher Behörden auf der Achtung, die er ihnen unbeschadet aller väterlichen Ermahnungen, aller heftigen Ausbrüche und aller Grobheiten durch sein wirkliches Verhalten bezeugte. Sonst hörte er von den tatsächlichen Vorgängen auf seinen Reisen durch das Land, in persönlichen Aussprachen mit nach Berlin befohlenen Kammerpräsidenten und von Offizieren genug, soweit er es aus den aufmerksam und mit Kritik gelesenen amtlichen Berichten nicht schon wußte. Wenn es darauf ankam, trieb er das Generaldirektorium an und durch die Zentralbehörde die untergeordneten Stellen; ein anderes Verfahren hätte die Wirksamkeit des von ihm geschaffenen Apparates nur geschwächt. Noch in dem Schreiben an Leopold von Dessau aus den Tagen, in denen er die große Instruktion niederschrieb, erklärte er, er wolle „Fuß vor Fuß" gehen und zunächst nur die Spitzenbehörden zusammenlegen, um Konfusion zu vermeiden a . Wirklich richtete er nach der Aufhebung des Generalkommissariats in der Kurmark noch ein Provinzialkommissariat neu ein, weil die Zentrale hier zugleich die Geschäfte einer Mittelbehörde geführt h a t t e 3 . Jedoch muß ihn die Erfahrung, wie reibungslos sich Domänen- und Steuerverwaltung verschmelzen ließen, so erfreut haben, daß er schon nach zehn Tagen den Schritt tat, den er für spätere Zeit in Aussicht genommen hatte, und Kommissariate und Amtskammern in allen Provinzen zu den neuen Kriegs- und Domänenkammern, kurz Kammern genannt, zusammenlegte 4 . In der inneren Organisation des Generaldirektoriums herrschten zwei Grundsätze, Kollegialität und Einteilung nach Provinzen. Das Nebeneinander von mehreren gleichgeordneten Räten, die die Beschlüsse der Behörde gemeinsam und unter Verantwortung jedes einzelnen zu fassen hatten, war ein alter Grundsatz der deutschen und der englischen Verwaltungskörperschaften. Friedrich Wilhelm, der sich als Selbstherrscher oftmals mit dem Zaren verglich, schnitt die vorhandenen Ansätze zu anderen Formen, zum Büro mit Einzelverantwortlichkeit ab, formte das Generalkommissariat noch als Kronprinz zum Kollegium um und baute das Generalfinanzdirektorium als junger König ebenfalls kollegial auf. Außer dem Generaldirektorium 1
ZirkularerlaB an die Kammern, 17. Apr. 1726; AB IV 2, 29. An Leopold, 26. Dez. 1723, Krauske, 212. » KO an Ilgen, 15. Jan. 1723; AB III 664. 4 Instr. f. d. kurmärkische Kammer und Erlaß an kurmärkisches Kommissariat und Kammer, beide Berlin, 26. Jan. 1723; AB III 681 ff. Vom gleichen Datum Instruktionen f ü r mehrere andere Kammern. Die weiteren folgten bald. 1
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wurden seit 1723 auch sämtliche Kammern zu Kollegien. Immerhin hatten diese einen — zuerst oft zwei — besonderen Präsidenten, während sich die Spitzenbehörde stets als unter dem Vorsitz des Königs versammelt denken sollte. Doch mußten die Kammerpräsidenten ebenfalls jeden Beschluß ihrer Behörde und jeden amtlichen Bericht der versammelten Kammer oder in den ersten Zeiten einer Abteilung unterwerfen. Friedrich Wilhelm sah in der Kollegialität wohl die Bürgschaft für reifliches (überlegen, für gegenseitige Kontrolle und für die Verhinderung persönlicher Intrigen, die er so sehr fürchtete. Die offensichtlichen Nachteile des Kollegialsystems, die Langsamkeit und die Neigung zum Verschleppen, traute er sich durch stetes Antreiben aus dem Kabinett und durch die eigene Arbeit an den Akten zu überwinden, sollte das Generaldirektorium doch nicht in kühnem Anlauf zu neuen Zielen vorwärtsschreiten, sondern in treuer Beflissenheit das ausführen, was er in seiner Instruktion als endgültiges Ziel gesetzt hatte Die strenge Kollegialität in den neuen Behörden hatte daneben wahrscheinlich noch einen anderen, bisher wenig beachteten Grund. Jeder einzelne der Minister, jeder einzelne der Geheimräte im Generaldirektorium wie in den Kammern war doch eben noch ein Vertreter der Kommissariate oder der Domänenverwaltung gewesen. Jeder von ihnen brachte aus seiner bisherigen Tätigkeit die Vorurteile und Abneigungen mit, die der König gerade ausrotten wollte. Da gab es kaum ein besseres Mittel, als die gegeneinander arbeitenden Persönlichkeiten zu einem Kollegium zusammenzufassen und nicht zu erlauben, daß eine von ihnen im Namen der ganzen Behörde sprach. In den neuen Kollegien mußten die bisherigen Gegner nebeneinandersitzen und waren gezwungen, gemeinsam zu beschließen und zu berichten 2 . Dabei sorgte der König dafür, daß den Ministern im Generaldirektorium nicht bloß diejenigen Geheimräte unterstellt wurden, mit denen sie bisher zusammengearbeitet hatten; vielmehr wurden die Räte so verteilt, daß sich in jedem Departement sowohl Angehörige des alten Generalfinanzdirektoriums wie des ehemaligen Generalkommissariates f a n d e n 3 . Von ihnen allen verlangte Friedrich 1 Ober das Kollegialprinzip zuletzt sehr einleuchtend Fritz Härtung, Studien . . . Abh. Preuß. Ak. d. Wiss. 1941, Phil-hist. Kl. Nr. 17, Berlin 1942, S. 17. 2 Charakteristisch die Äußerung gegenüber dem Präsidenten der neuen Mindenschen Kammer am 4. April 1723: „Ihr habt Euch brouilliret; der eine ist bei dem vorigen Commissariat und der andere bei der Kammer gewesen; Solches will ich durchaus nicht mehr haben; ihr sollt einig sein und also Meine Dienste befördern." AB IV 1, 97. Vgl. Vfilhelm Stolze, Die Gründung des C D durch Friedrich Wilhelm I., Festschr. zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag, Leipzig 1908, 49—64. * Besetzung des Departements im GD nach früherer Zugehörigkeit zum Gen.-Finanzdirektorium (CFD) und Gen.-Kommissariat (GK): 1. Dept. Min. Grumbkow GK, Geh. Räte Oberjägermeister Hertefeld, Herold GFD, Manitius GK, Thiele GFD. 2. Dept. Min. Creutz GFD und Gen.-Rechenkammer, Geh. Räte Pehnen GFD, Ellenberg GK, Rochow GFD. 3. Dept. Min. Krautt GK mit Sitz im GFD, Geh. Räte Fuchß GFD, Klinggräf GK. 4. Dept. Min. Görne GFD, Geh. Räte Culemann GFD, Börstel GFD, Podewils GK.
Friedrich W i l h e l m I. und d i e B e g r ü n d u n g d e s G e n e r a l d i r e k t o r i u m s in P r e u ß e n
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Wilhelm, es sollten „die Cameralisten sich nicht schämen, von denen im Collegio mit sitzenden gewesenen Commissariatsbedienten
und diese dagegen von j e n e n zu
lernen, was sie nicht wissen", und er bedrohte diejenigen, die sich die nötigen Kenntnisse von der anderen Seite nicht erwerben wollten, mit einer Prüfung, die er in Kürze selbst vornehmen würde, und mit seiner Ungnade, falls sie sich nicht b e währten K Dem gleichen Ziel diente die Einteilung der Zentralbehörde nach Provinzen. Nicht daß diese uns so fremde Form für den Zweck hätte gefunden werden müssen; sie hatte sich seit langem überall da herausgebildet, wo eine ganze Reihe von T e r r i ' torien zu einem Staat zusammengefügt worden waren. Frankreich und England, die früher als Preußen zu Einheitsstaaten vorgeschritten waren, gaben ihren Staatssekretären neben bestimmten Sachaufgaben auch die Angelegenheiten einiger Provinzen als Gegenstand ihrer Amtsgeschäfte. In Preußen waren wenigstens Generalfinanzdirektorium und Generalkommissariat von Anfang an für den ganzen Staat zuständig, und von diesem Standpunkt müßte man es als einen Rückschritt ansehen, daß Friedrich Wilhelm in den vier Departements seines Generaldirektoriums wieder g e wisse Sachaufgaben mit Provinzialabteilungen vereinigte. Bei dem Zusammenleben bestimmter Beamten mit bestimmten Provinzen konnten sich um so leichter Gefahren ergeben, als die höheren Beamten sich noch zum großen Teil aus dem ständischen Adel ergänzten. Deshalb durfte kein Präsident und kein Rat in der Kammer seiner Heimatprovinz arbeiten, j a , nicht einmal ein Torschreiber in seiner Heimatstadt, wo sich Durchstechereien mit Bekannten hätten ergeben können. Bei den Ministern war der König weniger mißtrauisch, weil er sie unmittelbar in seiner Nähe hatte. Jedenfalls verwaltete der Pommer Grumbkow im Ersten Departement des Generaldirektoriums auch Pommern neben Preußen und der Neumark, der Magdeburger Krautt neben der Kurmark und Halberstadt auch das Herzogtum Magdeburg, und als ihm nach seinem Tode G ö r n e folgte, verwaltete wieder ein Märker die Kurmark Brandenburg.
Einmal schon hatte Friedrich Wilhelm sich der Einteilung nach Pro-
vinzen bedient,
um
eine
ministerielle Machtstellung einzuschränken.
Unter der
vorigen Regierung hatte der Minister Ilgen nämlich die Gnaden und Stellen in sämtlichen preußischen Ländern zu verteilen gehabt und dabei seine Freunde bevorzugen können. Ilgen selbst behielt in den auswärtigen Angelegenheiten das Vertrauen des jungen Königs, a b e r die G n a d e n - und Bestallungssachen nahm dieser ihm ab und verteilte sie provinzweise an insgesamt sechs Minister, deren j e d e r seine bisherige Aufg a b e beibehielt; es ist wohl glaublich, daß sich der König dabei des Loses bediente, um niemanden zu bevorzugen
Wenn er die Geschäfte des Generaldirektoriums
nun ebenfalls nach Provinzgruppen sonderte, so erreichte er damit, daß
jeder
Minister in seinen Gebieten sowohl die Domänen und Regalien wie die Steuern bearbeitete und darüber vortrug. Schließlich stimmten alle zusammen ab, ohne
1
i n s t r . f . d . C D , Art. 3 4 , § 6 ; A B III 6 4 7 — 0 4 8 .
V O , C ö l n a. S., 3 . Apr. 1713, und Bericht des sächsischen Gesandten vom 9 . Apr. 1713 A3 I 384—386. 2
H a u s s h e r r , Vcrwaltungseinheit
2
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
Rücksicht, ob sie früher in Kammer- oder Kommissariatsgeschäften tätig gewesen waren. Nur die Marsch- und Proviantsachen der alten Kommissariate und die Postund Münzsachen der ehemaligen Regalienverwaltung blieben für das ganze Land in einer Hand zusammengefaßt. Auch in neueren Zeiten haben Ressortstreitigkeiten unter gleichgeordneten Behörden Ärgernis erregt, und das um so mehr, mit je größeren Machtvollkommenheiten sie ausgestattet waren. Man hat immer wieder versucht, sie zu bereinigen, indem man beide oder mehrere Teile unter eine gemeinsame Leitung stellte oder eine neue Behörde mit mehreren Abteilungen schuf. Dies Verfahren hat sich nicht immer als wirksam erwiesen. Die alten Verwaltungen blieben dann unter gemeinsamer O b e r leitung oder als Abteilungen oft genug doch das, was sie waren, und führten den liebgewordenen Papierkrieg nur zu gern weiter. Friedrich Wilhelm ist solche Irrwege gar nicht erst gegangen. Er legte nicht bloß, zusammen, ihm gelang das Unglaubliche: er schuf mit den alten Männern eine neue Behörde, in der sie ohne stärkere Reibungen als die, welche sich aus dem Nebeneinander von willensstarken Naturen von selbst ergeben, wirklich nur noch zusammenarbeiteten. Wenn wir richtig sehen, so haben die Grundsätze der Kollegialität und des Provinzialsystems wesentlich zu diesem schönen Ergebnis beigetragen. Mit den Geschäften der Kammer- und der Kommissariatsverwaltung mündete zugleich das preußische Rechnungswesen im Generaldirektorium. Der König hatte für die Aufsicht über die Etats und Kassen gleich eine eigene Behörde gegründet, die General-, dann Oberrechnungskammer, deren Vorgeschichte besonders eifrig durchforscht worden ist, weil sie zum Unterschiede vom Generaldirektorium als Preußische Oberrechnungskammer, dann als Rechnungshof des Deutschen Reiches weiterlebte. Jedoch hat sich gerade hier gezeigt, daß der Erhaltungsstand der Akten nicht erlaubt, das Dunkel, das über ihrer Entstehung liegt, ganz zu lichten 1 . Die Notwendigkeit, über sämtliche Staatseinkünfte und -ausgaben sich im voraus Jahr für Jahr Rechenschaft zu geben, hatte sich dem König schon in vielen bitteren Erfahrungen seiner Kronprinzenzeit eingeprägt. Als er am Ende seiner Regierung erlebte, daß die etatsmäßig veranschlagten Gelder nicht pünktlich einkamen, erinnerte er sich gleich daran, daß es „bei einer so gottlosen Haushaltung endlich gar so gehen wird, wie es anno 1709, 10, 11 und 1712 ergangen, da Dero in Gott ruhender Herr Vater nichts bekommen und von Dero Revenues Ihro kaum so viel gelassen worden, daß Dieselbe zur Erden bestattet werden können" 2 . Von Anfang an stand ihm nach solchen Erfahrungen fest, daß „die königlichen Kassen überhaupt so 1 Vgl. Literatur: Hertel, Die preuß. Oberrechnungskammer, 1884 (im wesentlichen Sammlung von Instruktionen); Theodor von Ditfurth, Zur Gesch. der preuß. ORK, Berlin 1909, und der neueste Aufsatz zur Entstehungsgeschichte von Hans Httase, Finanzarchiv 39, 1922, 1—75. Dieser bringt einige Verwirrung, weil er nicht scharf genug zwischen der frz. Generalkontroile und Chambre des comptes auf der einen Seite und der preuß. Rechnungskontrolle auf der anderen unterscheidet, doch trifft die Ableitung aus der Bestallung für Creutz den Kern der Sache. * KO an GD, Wolfenbüttel, 15. Okt. 1735; AB V 1, 805.
Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
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richtig sein müssen als ein papier de musique"1, ein Vergleich, der beweist, daß er in einer zwar gegenständlichen, aber nicht unkünstlerischen Vorstellungswelt lebte. Er konnte auf zwei wichtigen Voraussetzungen aufbauen. Zu Anfang der vorigen Regierung hatte der bedeutende Knyphausen, das finanzpolitische Erbe des Großen Kurfürsten zusammenfassend, einen vollständigen Etat aller Einkünfte aus Domänen und Regalien vorgelegt 2 , und am Ende der finanziell so unglücklichen Zeit des ersten Königs hatte der Kronprinz veranlassen können, daß ein Etat der Généralkriegskasse festgesetzt wurde. Als junger Herrscher hatte Friedrich Wilhelm nur dafür zu sorgen, daß die Domänenetats wieder eingeführt und wirklich sämtliche Ausgaben des Hofes und der Zivilverwaltung darauf begründet wurden, und daß sich die Kriegskassenetats fortsetzten. In diesem Sinne bestimmte er zwei Wochen, nachdem sein Vater verschièden war, „daß alle Unsere Prinzipal-Revenues künftighin in zwo Hauptkassen, nämlich entweder zur General-Krieges- oder zur Generalfinanzkasse fließen", und daß „jene der Inspektion des Generalkommissariats, diese aber dès Generalfinanzdirektorii anvertrauet sein solle" *. Der Erlaß über die Einrichtung der beiden Kassen ging an Ehrenreich Bogislaw Creutz, den der Kronprinz schon zum Geheimen Kammerrat hatte ernennen lassen, und den er nun zum Minister beförderte. Seine Bestallung 4 überträgt ihm die besondere Aufsicht über sämtliche Militär- und Zivilkassen in so weitgehenden Ausdrücken, daß sich dem verwaltungsgeschichtlich geschulten Leser der Vergleich mit der Stellung des französischen Generalkontrolleurs der Finanzen auch dann aufdrängen würde, wenn der König diese Bezeichnung nicht selbst angewandt hätte". Creutz war bereits im Kabinett der erste Mitarbeiter des jungen Königs; nun sollte er sich in Konferenzen mit den Behördenchefs ständig von dem Zustande aller Kassen überzeugen, darüber an den König berichten, und seine Ministerkollegen sollten keine außerplanmäßige Ausgabe vornehmen, die er nicht vorher genehmigt hatte. Die Vollmachten, aus denen Colbert fünfzig Jahre zuvor die Generalkontrolle der Finanzen gemacht hatte, waren nicht umfassender gewesen. Die Möglichkeiten innerpolitischer Allmacht, die in der Beherrschung der Kassen und der Finanzen für einen Mann lagen, der zugleich das Ohr des Monarchen hatte, konnte Creutz jedoch nicht in der Weise verwirklichen, wie es die fremden Gesandten zunächst annahmen. Ludwig XIV. hatte einmal geplant, sein eigener Finanzminister zu werden, als er die Surintendantür der Finanzen zerbrach und in eine bloße Generalkontrolle verwandelte, derèn Inhaber er keine Zeichnungsberechtigung erteilte. Friedrich Wilhelm erklärte nicht bloß bei seinem Regierungsantritt, er wolle selbst der Finanzminister und der Generalfeldmarschall des Königs von Preußen sein, das werde den König von Preußen erhalten; er war der Mann, seinen Worten ihren vollen Inhalt zu KO an GD, Potsdam, 22. Sept. 1734; AB V 1, 687. Riedel, Der Brandenbg.-Preuß. Staatshaushalt, 1866, Beil. IV—VI. » Erlaß an Creutz, Cöln a. S., 9. März 1713; AB I 341. * Bestallung für Creutz, Cöln a. S., 4. März 1713; AB I 322—324. 5 Das Wort Generalkontrolleur kommt im Aktentext zuerst in dem Erlaß an Kameke und Creutz, Berlin, 13. Nov. 1714 (AB II 158), vor, jedoch braucht es der sächs. Gesandte schon in seinem Bericht vom 19. April 1713, AB I 408. 1
3
2»
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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geben, und konnte sich in den kleineren Verhältnissen seines Landes auch durchsetzen. Dazu war Creutz kein Colbert. Er besaß die Verläßlichkeit, die Kraft in der Ausführung, die der König schätzte, aber ihm fehlte die Ursprünglichkeit, die Stärke des Geistes, die die große Persönlichkeit macht. Er war ein guter Handlanger, aber nicht mehr. S o wurde, was eine Überordnung hätte werden können, sofort zur Einordnung in das Bestehende oder eben Entstehende.
In das neue Generalfinanz-
direktorium trat Creutz gleich als Minister ein. Dort fand er zwar den dienstälteren Kameke neben sich, doch wurde die Zuständigkeit der beiden Kollegen bald dahin abgegrenzt, daß Kameke die Domänengeschäfte allein, die Abrechnungen aus den Provinzen im Einvernehmen mit Creutz zu bearbeiten hatte, dagegen sollte Creutz den Generaletat für die Domänengefälle „ganz allein . . . formieren" K S o konnte er den Kollegen bei der wichtigsten Aufgabe beiseitedrängen.
Das wurde noch
leichter, als Kameke starb. Creutz selbst, der Dienstälteste, kam damit „ä la tete des Generalfinanzdirektorii" 2 . Das Generalkommissariat besaß in Grumbkow als wirklichem Haupt der Behörde einen Chef, der das O h r des Königs in dem gleichen Maße gewann wie Creutz, so daß sich dessen Befugnisse hier auf die bloße Rechnungskontrolle beschränkt haben dürften; jedenfalls erlaubt der Erhaltungsstand der Akten keine sichere Aussage. Immerhin hat der Auftrag, den Creutz gegenüber dem Generalkommissariat vorweisen konnte, das preußische Rechnungswesen vereinheitlicht; nicht in dem Sinne* daß der Weg zu einer einzigen Hauptstaatskasse geführt hätte, sondern daß die gleichen Grundsätze und die gleichen Formen auf die beiden nebeneinander b e stehenden Generalkassen angewandt wurden. Um dies Ergebnis zu sichern, gründete der König „bei dem Antritt Unserer Regierung"* eine besondere Behörde, deren Leitung er Creutz übertrug, die General-Rechenkammer. Leider sind keine Zeugnisse über ihre ersten Anfänge vorhanden, so daß sich weder das Datum der Begründung genau feststellen, noch die Frage beantworten läßt, wie weit das Vorbild der kursächsischen obersten Rechnungsbehörde mitgewirkt hat. Der Keim der neuen Einrichtung ruhte jedenfalls schon in j e n e r Bestallung für Creutz. D e r Weg vom persönlichen Auftrag zur Behörde hat sich schrittweise vollzogen: die Generalrechenkammer bekam früh eine eigene Kanzlei und eigene Diensträume, ihre Mitglieder blieben aber in den anderen Behörden. Praktisch wird Creutz als Generalkontrolleur und C h e f der Generalrechenkammer die ihm seit O k t o b e r 1714 zugeteilten Räte aus dem Generalkommissariat 4 zusammengerufen haben, wenn er die Rechnungen des Kommissariats zu überprüfen hatte, während e r eine entsprechende Befugnis
für die Räte aus seinem GeneralPinanzdirektorium
nicht
ausdrücklich
brauchte. Daher kommt es auch, daß der König 1723 von der Vorstellung ausging, es gebe zwei Generalrechenkammern, die er nun ebenso zu einer Behörde zusammenErlaß an Kameke und Creutz, Berlin, 13. Nov. 1714; AB II 158—159. Reglement vom 21. Febr. 1719; AB III 145. » So heißt es in der VO vom 16. Juni 1717, Hertel, 19—20. 4 Reskript an Creutz, 2.Okt. 1714. Haase, Finanzarchiv 39, 57; entsprechend die Bestallung Mancke, 26. Sept. 1716, AB II 436, der ebenfalls dem Gen.-Komm. weiter angehörte. 1
8
Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
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zulegen habe wie das Generalkommissariat und das Generalfinanzdirektorium im Generaldirektorium K Die neue Oberrechnungskammer wurde ein besonderes Kollegium mit eigenen, nirgendwo anders beschäftigten Räten, aber nicht mehr eine Behörde, die „von Niemandem anders als von Unserer höchsten Person allein dependieren solle" 2 , wie sie es bisher gewesen war. Sie wurde dem Generaldirektorium unterstellt An die Stelle von Greutz trat ein Kollegium, dem er als einer von fünf Ministern angehörte. Die Generaletats waren Sache des Generaldirektoriums; die Oberrechenkammer hatte nur die Abrechnungen der unteren Behörden zu kontrollieren und darüber an das Generaldirektorium zu berichten. Bei den Hauptrechnungen der Provinzen hatte der jeweils zuständige Departementsminister den Vorsitz, die Generalkassenrechnungen aber wurden von der Oberrechenkammer nur rechnerisch geprüft, die Abnahme vollzogen die Minister gemeinschaftlich. Damit sank die neue Behörde zu einem Hilfsorgan des Generaldirektoriums herab, in dessen Hände nun auch die Rechnungskontrolle gelegt wurde. Seit seiner Begründung im Jahre 1723 hat das Generaldirektorium unter Friedrich Wilhelm I. keine grundlegenden Änderungen mehr erfahren. Der einmal festgesetzte Gang der Geschäftsführung brauchte nur noch eingehalten zu werden. Der König griff stets ein, antreibend, ratend, ermahnend, tadelnd, gelegentlich auch einmal rückhaltlos anerkennend. Die Reformen, die er während seiner Regierung noch einführte, betrafen aber nur die unteren O r g a n e ; die wichtigste war die Abschaffung der zweiköpfigen Präsidentschaft in den Kammern. Einmal regte ein Kriegszahlmeister an, die beiden Generalkassen zu einer einzigen zusammenzulegen. Er fand aber taube Ohren, obwohl die Neuerung die im Generaldirektorium verkörperte Verwaltungseinheit auf dem Gebiete des Kassenwesens vollendet hätte 3 . Das geschah weniger, weil das persönliche Interesse des Antragstellers zu deutlich durch seinen Vorschlag hindurchblickte; der König sah vielmehr seinen Verwaltungsaufbau im wesentlichen als vollendet an und wollte nicht mehr grundlegend ändern. So blieb das Generaldirektorium unter der ganzen Regierung die große oberste Innenbehörde des preußischen Staates. Es umfaßte die Geschäfte, die heute in den Ministerien des Innern, der Finanzen, der öffentlichen Arbeiten, der Ernährung und des Verkehrs bearbeitet werden, und erledigte darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Kriegsministerialsachen. Die Minister und Geheimräte nannten sich in Preußen nicht umsonst Geheime Finanz-, Kriegs- und Domänenräte, nicht umsonst war jeder Kammerrat zugleich Kriegsrat. Sie hatten von dem ehemaligen Generalkommissariat auch die Geschäfte der Heeresversorgung übernommen, nicht bloß die Versorgung derTruppe mit barem Gelde aus Steuermitteln. Proviant-, Marsch-und Verpflegungssachen waren Gegenstand eines Departements geworden, das zugleich Provinzialgeschäfte erledigte. Die gesamte preußische Zivilverwaltung hatte dem Heere zu dienen. Sie versorgte 1 2 3
Instr. f. d. Oberrechenkammer, 2. März 1723, Hertel, 21 ff. V O an Gen.-Fin.-Dir., 16. Juni 1717, Hertel, 19—20. Denkschr. Richter, 22. Sept. 1730; AB V 1, 359—360.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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den Soldaten mit Uniformstoff und Waffen ebenso wie mit dem Handgeld und den Soldgroschen, sie zog das Geld aus dem Lande, mit dem bezahlt wurde, was der Soldat brauchte, und sie hatte zugleich dafür zu sorgen, daß der städtische H a n d ' werker und der Bauer auch steuerfähig blieben. Daraus ergaben sich die Wohlfahrtsa u f g a b e n , die der absolute Staat bereitwillig und mit unverkennbarer Freude am Reglementieren auf seine Schultern nahm. In dem bewußten Einbau dieser sozialen Fürsorgetätigkeit in einen militärisch und finanziell bestimmten Staatsapparat hat man immer mit Recht die persönliche Leistung Friedrich Wilhelms gesehen. Trotzdem führte der König, der sonst betonte, e r habe alles „ o h n e daß jemand in der Welt dazu angeraten aus höchsteigener Bewegnis" niedergeschrieben, die soziale Forderung in der Instruktion f ü r das G e neraldirektorium mit den bescheidenen Worten ein: „Von was g r o ß e r Importanz die Conservation der Untertanen vor jedwede Puissance sei und was vor gefährliche Suiten es nach sich ziehen könne, wann durch übel eingerichtete O c o n o m i e und g a r zu schwere Lasten die Untertanen enerviret und in solchen Stand, daß sie ihrem Landesherrn die sonst gewöhnliche Prästationes entweder g a r nicht mehr, o d e r doch nicht völlig leisten können, gesetzet werden, das i s t m ä n n i g l i c h b e k a n n t , und hat derowegen das General- etc. Direktorium auf die Conservation Unserer sämtlichen Untertanen mit großem Fleiß und Application sein Absehen zu richten, damit dieselben allerseits in gutem Flor und Wohlstand erhalten, und sowohl die Kriegesals die Domänenprästanda nicht höher gesetzet werden, als sie es ertragen können " 1 . Es ist dies die einzige Stelle, wo der König sich nicht auf die eigene Erfahrung, auch nicht auf die „Regule einer klugen und vernünftigen Haushaltung" beruft, sondern auf allgemein bekannte und allgemein gültige Wahrheiten, auf eine Lehre, die sich bereits durchgesetzt hat und die nur befolgt zu werden braucht. Wirklich finden wir hier die gleiche Regel, die die sogenannten Kameralisten aufgestellt und ausgebildet haben, und die ihre Lehren ebenso zum System erhebt, wie sie der Verwaltungspraxis Friedrich Wilhelms den systematischen Zusammenhang gibt. Die Kameralistik ist eine Wissenschaft, die auf deutschem Boden am großartigsten und am geschlossensten in dem Osterreich Leopolds I. ausgebildet w u r d e s , mit der Absicht, die schweren Lasten, die sich dieser Staat durch Türkenund Franzosenkriege aufgeladen hatte, zu erleichtern. Die Becher und Schröder*, um nur die bedeutendsten von ihnen zu nennen, waren eigentlich keine Gelehrten, sondern ruhelose Menschen o h n e gesicherte Lebensstellung, die sich in ihren Schriften anheischig machten, dem Herrscher das zu verschaffen, woran es gebrach, das „viele Geld im Kasten": „Geld a b e r ist einem Fürsten nötig, sowohl die Armee 1
Instr. f. d. GD, Art. 7 § 1; AB III 589—590. Vgl. Luise Sommer, Die österreichischen Kameralisten I, II, Wien 1920, 1925. * Die einzige von historischem Geist getragene Darstellung eines dieser Kameralisten war die Arbeit von Heinrich Ritter von Srbik, Wilhelm von Schröder, Sitzungsber. Ak. d. Wiss. Wien, Phii.-hist. Kl. 164, 1910, 1—161; dazu Ist jetzt gekommen Herbert Hassinger, Johann Joachim Becher, 1635—1682 ,Wien 195I.Kur/ Zielenziger, Die alten deutschen Kameralisten, Beitr. z. Gesch. d. Nat.-Ok., hrsg. Karl Diehl, Heft 2, Jena 1914, gibt viele Stellen im wörtlichen Abdruck. 2
Friedrich Wilhelm 1. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
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zu unterhalten als alle großen Desseinen alsobald zu exequiren: pecunia enim est nervus rerum gerendum"1. Wir zitieren damit nicht Friedrich Wilhelm von Preußen, aus dessen M u n d e wir immer wieder ähnliches hören, sondern die dem Kaiser Leopold I. gewidmete ,,Fürstliche Schatz- und Rentkammer" Wilhelm von Schröders von 1686. Das Gebaren des Projektenmachers u n d C h a r l a t a n s haben diese M ä n n e r noch nicht abgestreift. Die Aufgabe der Geldbeschaffung glaubten sie ebenso in der Küche des Alchimisten wie durch die ernsten Grundregeln der Verwaltungskunst zu erfüllen; ist doch den späteren Auflagen der Schröderschen Rentkammer desselben Verfassers „Unterricht vom Goldmachen" beigegeben. Die Lehre von der Verwaltung ist aus denselben Wurzeln entsprungen wie ihre Praxis. Am Anfang stand das Geldbedürfnis des Staates, dessen Lenker als großer Herr aus dem Vollen seines Reichtums schöpfte, über seine Verhältnisse lebte und sich sehr bald in den Klauen des Wucherers befand. Die politisch entscheidende Epoche des Kampfes mit den bewilligenden o d e r nicht bewilligenden Ständen um die ständige Steuer, mit der das stehende Heer erhalten werden sollte, durchmaßen die Theoretiker freilich schneller, als es die rauhe Wirklichkeit des Staatslebens erlaubte. D a f ü r gelangten sie unmittelbarer zu der f ü r unseren Zusammenhang entscheidenden Überzeugung, „ d a ß die Wohlfahrt und Wohlstand der Untertanen das Fundament sei, worauf alle Glückseligkeit eines Fürsten als Regenten solcher Untertanen g e g r ü n d e t s e i " 2 , also — preußisch zu reden — zu der Lehre von der Konservation der Untertanen. Die Kameralisten zogen also schon im 17. Jahrhundert jedem unbedachten Anziehen der Steuerschraube eine Grenze, und sie versprachen dafür, daß der geschonte Untertan, auf die Länge gesehen, zu einer höheren Leistung fähig sein würde. Sie begründeten dies mit der allgemeinen Einsicht, die Höhe des Steueraufkommens, das dauernd zu erwarten sei> h ä n g e von der Zahl und dem Wohlergehen der Untertanen ab. Die zeitgenössische Staatsräson schob die äußeren Interessen der Staaten in den Vordergrund und berücksichtigte die inneren Verhältnisse nur so weit, als sie die nach außen wirkenden Staatskräfte abschätzte. Ihr Wesen bestand in einer gewissen Selbstbeschränkung des bloß persönlichen Herrscherwillens und des Machttriebes durch die Erkenntnis, daß nur diejenigen Unternehmungen Frucht trügen, die mit den wahren Interessen der Staaten übereinstimmten. Nun entstand in der Kameralistik eine Lehre von der inneren Staatsräson, die von der Einsicht ausging, d a ß w e d e r Anleihen noch Verpfändungen, noch die unbedachte Belastung steuerbarer Gegenstände auf die Dauer die Mittel schufen, die zu mächtigem Auftreten nach außen nötig wären. Indem sie die geldbedürftigen Fürsten aufforderte, zuerst für die Vermehrung ihrer Untertanen und f ü r deren Wohlstand zu sorgen und zu diesem Zwecke Manufakturen einzurichten, die Ausfuhr zu "steigern und die Einfuhr zu beschränken, begrenzte sie ihr Wollen und steigerte es zugleich. Sie schnitt, wie die äußere Staatsräson, die bloß persönlichen, mehr zufälligen Triebe a b und lenkte den Wuchs des gesamten Staatswesens auf das neue Ziel der allgemeinen Wohlfahrt. 1 8
Wilhelm von Schröder, Fürstl. Schatz- und Rentkammer, Vorrede § 9. Schröder, Vorrede § 10.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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Dabei griff sie auf altes germanisches Gut zurück, auf den Gedanken des „gemeinen Besten", dem die werdende staatliche Gemeinschaft ihre Rechtfertigung verdankte K Im Mittelalter erschöpfte es sich in der Wahrung von Friede und Recht; seit der Reformationszeit bestand das gemeine Beste in der Vorsorge f ü r den wahren Glauben und die liebe Justiz. Da war derjenige Fürst der beste, der es vermochte, dies Ziel allein mit den Einkünften seines Kammerstaates, seiner Domänen und der altherkömmlichen Gülten und Zölle, zu erreichen. Im Zeitalter des Absolutismus bekam das gemeine Beste einen schärferen, angreifenden Zug. Der neue Fürstenstaat will immer noch „Gerechtigkeit, Friede, Aufnehmen o d e r Wohlfahrt des Landes und der Leute", wie es Ludwig von Seckendorff 1656 formulierte®, aber e r ist bereit, d a f ü r älteres Recht zu zerbrechen, überkommene Vorrechte einzuschmelzen. Diesen Sinn hören wir deutlich heraus, wenn wir die Worte des Halleschen Professors Ludewig aus den Tagen Friedrich Wilhelm I. lesen: „Denn in Polizeisachen allemal dieses die Regel: daß die gemeine Wohlfahrt des Landes und aller Untertanen überhaupt dem Eigennutz dieses oder jenes einzelnen Mannes v o r z u s e t z e n " 3 . In Preußen verkörperte die eben gegründete Universität Halle schon zu der Zeit des eisten Königs die neue staatswissenschaftliche Haltung. In Osterreich hatten Becher und Schröder ohne j e d e Verbindung mit der zünftigen Gelehrsamkeit gelebt und gelehrt. Auch in Halle bekam die Kameralistik ursprünglich noch keinen g e sonderten Platz; dafür verlangte Thomasius bereits einen Lehrstuhl für Ökonomie. Was hier als Forderung eines Philosophen auftauchte, mit der Absicht in dem System der Wissenschaften Vollständigkeit zu erreichen, war vor ihm aus den gleichen Gründen von Leibniz vertreten worden, der in seine geplanten Akademien auch Gelehrte der Wirtschaftswissenschaft aufnehmen wollte. Leibniz hatte den Satz ausgesprochen: „Die wahre Macht des Staates besteht in d e r Zahl seiner M e n schen", und hatte weiter nachgewiesen, daß Ackerbau, Gewerbe und Handel nur gemeinsam gedeihen könnten, so d a ß eine auf die Blüte der Manufakturen bedachte Regierung das platte Land nicht vernachlässigen dürfe 4 . Diese Worte von Leibniz erinnern an Aussprüche Friedrich Wilhelm 1., an das berühmte „Menschen achte vor den größten Reichtum" und an die Mahnung, „es hat a b e r das General- etc. Direktorium nicht bloß und allein auf die Gonservation der Städte und um dieselbe in florissanten Zustand zu setzen, sein Absehen zu richten, sondern absonderlich auf die Gonservation des Landmannes, der Dörfer und des platten Landes mit zu reflectieren" 6 . Gemessen an der bisherigen Kameralistik 1
Walther Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung, Festschr. f. Alfred Schultze, Weimar 1934, 451 ff. 8 Seckendorff, Teutscher Pürstenstaat II 8, 2; vgl. Horst Kraemer, Zeitschr. f. Thür. Gesch. 33,1922—1924, 92. * Joh. Peter Ludewig, Die . . . neu eingerichtete Profession in Oconomie, Polizei- und Kammersachen . . ., Halle 1727, § 20. 4 Wilhelm Roscher, Die deutsche Volkswirtschaftslehre unter den beiden ersten Königen von Preußen, PreuB. Jahrb. 13, 1864, 621 und 623, und 14, 1864, 28 ff. 8 lnstr. f. d. GD, Art. 7 § 2; Ab. III 590.
Friedrich Wilhelm I. und die Begründung des Generaldirektoriums in Preußen
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zeigen sich in den Worten des Königs Einsichten, die die Fehler ihrer Anfangszeit vermeiden. Der große Colbert, der am Beginn der ganzen merkantilistischen Staatswirtschaft steht, die österreichischen Kameralisten Becher und Schröder hatten in ihren agrarisch bestimmten Ländern das Heil in dem Aufbau des Gewerbes und des Handels gesehen. Friedrich Wilhelm überwand diese Einseitigkeiten und sorgte im Sinne von Leibniz für das ganze Land und für die gesamte Bevölkerung. Trotz dieser Übereinstimmung mit der Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaft seiner Zeit durfte er sich mit Recht darauf berufen, daß er seine Weisheit nicht Büchern, sondern allein der praktischen Erfahrung verdanke. Wilhelm von Schröders „Fürstliche Schatz- und Rentkammer", die ihm von allen Schriftwerken vielleicht am meisten entsprochen hätte, weil sie von der gleichen stolzen Überzeugung von dem Rechte des Fürsten und seiner Verantwortlichkeit allein gegen Gott erfüllt war, hat er sicher nicht gekannt. Die Lehren von Leibniz und Thomasius waren dagegen sp eng mit naturrechtlichen, philosophischen Überzeugungen verquickt, daß er sie schon deshalb abgelehnt hätte, wenn er sich die Mühe gegeben hätte, sie kennen zu lernen. Er schöpfte im Geiste seiner Zeit ganz aus Eigenem, darin besteht seine Größe und Ursprünglichkeit. Seitdem Schmoller den Zug zum System, der sich in allen Gedanken und Handlungen Friedrich Wilhelms ausdrückt, erkannt und beschrieben hat, braucht dieser Zusammenhang nur angedeutet zu werden: die Verbindung eines Absolutismus, der sich in der Verwaltungsorganisation den ihm gemäßen Apparat schafft, eines Merkantilismus, der den Geldabfluß verhindert und für die Herstellung der Bedarfsgüter im eigenen Lande sorgt, einer Bevölkerungspolitik, die neue Untertanen heranholt und das Auskommen und die Vermehrung der vorhandenen fördert, damit es weder an Soldaten noch an schaffenden Händen mangelt, mit einer Finanzpolitik, die ein Höchstmaß an Geld herauszuholen sucht, ohne den Staatsbürger zu überlasten, — alles zusammen für einen Militärstaat der sich zwischen überlegenen Großmächten behaupten soll. Die große Instruktion für das Generaldirektorium gibt diese Dinge in einer scheinbar höchst unsystematischen Form. Sie schiebt unbedenklich in den Vordergrund, was sie gerade für wichtig hält, springt von einem Gegenstand zum anderen und ersetzt die Begründung an vielen Stellen durch die Drohung mit schwerer Strafe. Solche Formmängel treten in dem eigenhändigen Entwurf des Königs sehr viel schärfer hervor als in der Ausfertigung; doch dürfen sie nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein systematischer Kopf am Werke ist, der nur eben gegenständlich, nicht begrifflich denkt. Die ganze Instruktion ist wie die vielen anderen von ihm verfaßten oder veranlaßten Instruktionen mehr ein Lehrstück als eine Organisationsvorschrift, ein Lehrstück, in dem der König die wichtigsten Forderungen mit Beispielen belegt, damit sie seinen Schülern — so möchte man beinahe sagen — einleuchten. Es ist die Lehre eines Mannes, der sich bewußt ist, daß er befehlen darf, der aber überzeugen will, weil er weiß, daß der Gehorsam sonst wenig Frucht trägt. Mit Recht nennt der Professor Ludewig im Jahre 1727 solche Instruktionen ,,Handbücher", die zum Unterschiede von akademischen Handbüchern geheim-
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gehalten werden sollen 1 . Denn Friedrich Wilhelm behandelte den Wortlaut b e h ö r d licher Vorschriften im Geiste seiner Zeit als Staatsgeheimnis, in das Außenstehende nur durch die allgemeiner gehaltenen Verkündungen Einblick gewinnen dürften. Aus der inneren Systematik seines Denkens und aus d e r Verpflichtung, die eigene praktische Erkenntnis weiterzugeben, schuf der König kurz nach dem Abschluß der Behördenorganisation die Organisation der Lehre, indem er als „erster auf dem gelehrten Erdkreis", wie Ludewig nicht o h n e Ruhmredigkeit, a b e r sachlich richtig v e r k ü n d e t e 3 , an den Universitäten Halle und Frankfurt j e eine Professur f ü r „Cameralia, Oeconomica und Polizeisachen" errichtete 1 . Der Mann, der die neue Universitätswissenschaft in Halle vertrat, Simon Peter Gasser, war n e b e n - und nacheinander Professor, Mitglied der juristischen Fakultät und Beamter, Rechtsberater der Magdeburgischen Regierung und Rat bei der d o r tigen Kammer 4 , verfügte also über die theoretische Schulung und die praktische Erfahrung, von deren Zusammenwirken sich der König den Lehrerfolg erhoffte. Gasser erwies sich vorbereitet; auf die erste Anfrage antwortete er gleich mit einem Programm in 36 Kapitelüberschriften, in denen er die Gegenstände der geplanten Vorlesungen andeutete, und sah seinen Entwurf zu seiner Freude ohne Änderung a n g e n o m m e n s , sich selbst zu einer Audienz nach Berlin bestellt. In dieser denkwürdigen Unterredung, in der sich der g r o ß e Verwaltungspraktiker und der künftige Lehrer der Verwaltungswissenschaften gegenübertraten, bewies der König nach Gassers Worten seinen „sonderbaren Eifer und Affect f ü r das Wohlsein und gute Wissenschaften der studierenden J u g e n d " und o f f e n b a r t e sein eigenes Lehrtalent, indem „lhro König). Majestät die erste Stunde in diesem Collegio oeconomico-camerali selbst gelesen und mir D e r o allergnädigste Willensmeinung dergestalt umständlich und nachdrücklich eröffnet, daß ich mich nur glücklich schätzen wollte, wenn ich alle und j e d e Wortei recht behalten hätte" Durch die Worte des Königs klang die gleiche Sorge um den Verwaltungsnachwuchs, die aus mancher Kabinettsordre an die Behörden sprach, der sichtbare Mangel an „großen und habilen Köpfen, welche S. Kgl. M a j . sowohl in Accise-, ökonomischen, Kassen- und die Verpflegung der Armee angehenden Sachen gebrauchen als auch dereinsten zum dirigierenden Minister machen k ö n n e n " 7 . Er sprach von den jungen Leuten, die sich auf der Universität und auf Reisen mit Schulden belüden und ihre eigenen Güter dann nicht mehr halten könnten, von einer falschen Richtung der Rechtswissenschaft, 1
Ludewig, Die . . . neu eingerichtete Profession . . ., § 31. Ludewig § 46. 3 KO an Knyphausen, Berlin, 23. Juli 1727; AB IV 2, 216—220. 4 Gasser: ADB 8, 401 f; Wilhelm Schräder, Gesch. d. Friedrichs-Univ. zu Halle I, 1894, 144, und Roscher, PreuB. Jahrb. 14, 164; Bruno Feist, Die Gesdi. d. Nationalökonomie a. d. Friedrchs-Univ. zu Halle (Saale) im 18. Jahrh. Jur. Diss. Halle 1930. 6 Vgl. die Anlage „Compendium derer ökonomischen und Polizeirechte" zu der Ordre an Knyphausen vom 23. Juli 1727 mit der Kapiteleinteilung von Gassers Hauptwerk: „Einleitung zu den ökonomischen, politischen und Cameralwissenschaften", Halle 1729. • Gasser, Einleitung . . ., Vorbericht S. 6—^8. ' KO an CD, Wusterhausen, 20. Okt. 1730; AB V 1, 126. 3
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die sich in den Advokatenkniffen des Zivilrechtes erschöpfte, und die er sich durch eine „rechtschaffene und wahre Jurisprudenz" ersetzt und durch die neue Kameralwissenschaft ergänzt wünschte. „Principia und fundamenta" sollten die jungen Anwärter von der Universität mitbringen und sie durch die behördliche Praxis später verfeinern. Ausdrücklich betonte er. daß ein praktischer Wirtschafter — er meinte die „Guten Wirte", also die erfolgreichen Domänenpächter, die er so oft in die Behörden hineingenommen hatte, — doch nicht immer in Kamerai- und Polizeisachen zu braudien wäre, und suchte nach einer besseren Grundlage durch ein umfassendes Studium der Verwaltungs- und Wirtschaftswissenschaften. Nachdem er das Monopol der Juristen auf die höheren Staatsstellen bereits in der Praxis gebrochen hatte, brach er es in der wissenschaftlichen Ausbildung noch einmal, ohne damit ein neues Monopol begründen zu wollen; denn bei seinen weiteren Ernennungen band er sich keineswegs an die Voraussetzung eines kameralistischen Studiums. Nur war an Gasser gerade das, was Friedrich Wilhelm wahrscheinlich an ihm gefallen hat, sein ebenfalls stark gegenständlich gerichtetes Denken, nicht geeignet, die wissenschaftlichen Möglichkeiten zu erfüllen, die Leibniz und Thomasius als die ungleich größeren Gelehrten vor sich gesehen hatten. Gassers Darstellung der „Ökonomischen, politischen und Cameralwissenschaften" ist über den ersten Band nicht hinausgekommen und enthält nur die Domänen- und Regalienwirtschaft, wobei die Technik der Veranschlagung den größten Raum einnimmt. Einen weiteren Band hat Gasser in den 16 Jahren, die er noch lebte und lehrte, nicht veröffentlicht; er mußte über Verwaltungswesen und Gewerbepolizei ohne eigenes Lehrbuch lesen und begnügte sich damit, den veralteten, aber immer noch geschätzten „Fürstenstaat" Seckendorffs zugrunde zu legen. Dafür gab sein Frankfurter Kollege Dithmar die Diktate seiner kameralistischen Vorlesungen in Buchform heraus und erfüllte damit den Wunsch nach einer systematischen Darstellung oder wenigstens nach systematisch geordneten Leitsätzen. Sein kleines Buch wurde noch um die Mitte des Jahrhunderts als Handbuch für Vorlesungen wieder abgedruckt, weil es einem praktischen Bedürfnis nach zusammenfassender Betrachtung immerhin andeutungsweise entgegenkam und ein besseres noch nicht vorhanden w a r 1 . Doch kennzeichnet ein solches Werkchen eines fleißigen Sammlers, das weder in die Tiefe der Fragestellung noch zu neuen Zielen vordringt, die Lage seiner Zeit o f t besser als die genialen Bücher. Hier erhalten wir Aufschluß, was damals unter der Dreiheit der ökonomischen, Polizei- und Kameralwissenschaften verstanden wurde, einer Bezeichnung, die sich bereits in dem Gründungspatent des Halleschen Lehrstuhles findet8. 1 Justus Christoph Dithmar, Einleitung in die ökonomischen, Polizei- und Kameralwissenschaften, erschienen 1751, Vorrede des Verfassers dat. 16. Nov. 1731, benutzt in 6. Aufl. Frankfurt a. O . 1769, mit Vorrede und Anmerkungen von Scftreber. 2 Hier Cameralia, Oeconomica und Polizeisachen, AB IV 1, 216. Der Titel Gassers (vgl. S. 34 Anm. 4) läßt mit dem Worte Politik auf mehr schließen, jedoch handelt es sich hier bei näherem Zusehen bloß um eine gelehrte Abwandlung des sonst gebräuchlichen Wortes Polizei.
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„Die ökonomische Wissenschaft oder Hauswirtschafts- und Haushaltungskunst — so heißt es da — lehret, wie durch rechtmäßige Land- und Stadtgewerbe Nahrung und Reichtum zu Beförderung der zeitlichen Glückseligkeit mögen erlanget w e r d e n " 1 . Was diese Begriffsbestimmung aussagt, bestätigen die weiteren Ausführungen Dithmars. Bei der Ökonomie handelt es sich nicht um das, was wir Nationalökonomie oder Volkswirtschaftslehre nennen, nicht einmal um das, was man zeitnäher als Staatswirtschaft bezeichnen könnte. Das Wort Nationalökonomie ist erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entstanden, zu einer Zeit, als der Begriff der Nation als Träger der geschichtlichen Entwicklung lebendig und die Wirtschaft als ein vermeintlich für sich bestehender Lebensbereich eigener Gesetzlichkeit erfaßt wurde. Die Zeit Friedrich Wilhelms begriff den Gegenstand der Ökonomie vielmehr nach dem Vorbild der Antike im Wortsinne als ländliche oder gewerbliche Hauswirtschaft, also modern gesprochen, als Betriebswirtschaftslehre. In der Nachfolge bereits vorhandener Werke® legten Gasser und Dithmar besonderen Nachdruck auf die Wertfeststellung und die Ertragsanschläge. Gerade Gassers Buch, das sich freilich als einen ersten Band gibt, erschöpft sich beinahe in diesen betriebswirtschaftlichen Fragen, die unter Friedrich Wilhelm und nach ihm zugleich staatswirtschaftliche darstellten, weil der König als größter Gutsherr seines Landes durch seine Verwaltung den Etat seines Domaniums — Etat sowohl im Sinne von Zustand wie Ertrag — kennen und verbessern wollte. Gasser kannte die Aufgabe als ehemaliger Kammerrat aus eigener Erfahrung besonders gut. Diese ausgebreitete Behandlung der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaftslehre in Theorie und Praxis belastete die junge Wissenschaft, die wir abkürzend Kameralistik nennen, und ihre Vertreter sehr stark. Sie bürdete schließlich dem einen Professor die ganze Last einer heutigen landwirtschaftlichen Hochschule mit ihren Versuchsgütern und -gärten auf und verlangte von Lehrenden und Lernenden Kenntnis der Hilfswissenschaften von der Physik und Chemie bis zu den Grundzügen des Privatrechtes. Je ernster diese Aufgaben im weiteren Verlaufe des Jahrhunderts genommen wurden und je weiter sich der Betrieb ausdehnte, desto weniger lebensfähig wurde eine Wissenschaft, die so umfassende Kenntnisse und Tätigkeiten voraussetzte. Vorerst wurde in Halle und in Frankfurt nur das gelehrt, was Friedrich Wilhelm als allgemeine Kenntnisse von seinen Verwaltungsanwärtern verlangte. Wenn er immer wieder betonte, sie müßten gute Wirte sein, so meinte er die erfolgreiche Beschäftigung mit der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaft, in der Praxis als Domänenpächter, in der Theorie als Ökonomie, am besten in beiden zugleich. Mit dem anderen Begriff der Kameralwissenschaft stehen wir dagegen ganz auf dem Boden des Staates. Sie „lehret, wie die landesfürstlichen Einkünfte mögen erhoben, von Zeit zu Zeit verbessert und zu Erhaltung des gemeinen Wesens der1 Dithmar, I. Abt. § 1 S. 14. Besonders genannt wird Julius Bernhard von Rohrs Hauswirtschaftsbuch 1722 und seine Hauswirtschaftsbibliothek 1716, zitiert von Ludewig 163—164, von Gasser, Vorrede S. 11, von Dithmar S . 2 4 und in „Büchervorrat" S. 310—311. 2
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gestalt angewendet werden, daß jährlich ein Überschuß verbleibt" 1 . Unter diesem Titel wird die Finanzwissenschaft im älteren Sinne des Wortes abgehandelt, die Lehre von den Steuern und Regalien und von den Behörden, die für sie verant^ wortlich sind. Sie umfaßt also den ganzen Arbeitskreis der fürstlichen Kammern, die der Wissenschaft ihren Namen gegeben haben, soweit sie sich auf Einnahmen und Ausgaben bezieht, alles mit dem Blick auf die preußischen Erfordernisse und die preußische Praxis. Während der Begriff der Kameralwissenschaft im engeren Sinne des Wortes ziemlich feststeht, weil er eine ältere, bereits gefestigte Wirklichkeit beschreibt und durch die preußischen Neuerungen nur in den Einzelheiten, nicht aber in der Hauptsache Veränderungen zu erfahren brauchte, treten wir auf einen weniger sicheren Boden, wenn wir uns der Polizeiwissenschaft zuwenden. Sie lehrt, „wie das innere und äußerliche Wesen eines Staates zu allgemeiner Glückseligkeit in guter Verfassung und Ordnung zu erhalten" 2 . Dieser Satz sagt weniger Greifbares als der über die Ökonomie oder die Cameralia. Deutlich lassen sich aus dem weiteren Inhalt die Wurzeln dessen erkennen, was hier zu dem Begriff Polizei zusammenwuchs. Am Anfang stand die Verordnungstätigkeit in bezug auf Wohlverhalten und Sitte der Untertanen, die der werdende absolute Staat noch ebenso ernst nahm wie die spätmittelalterlichen Städte und Fürsten ihre Kleider- und Luxusordnungen. In dem großen Säkularisationsprozeß des Absolutismus trat die Sorge der Nachreformationszeit für ein gottseliges Leben der Untertanen zurück; dafür bekamen die Erlasse, die Bürgern und Bauern das Seidetragen verboten oder das Kaffeetrinken schwer und teuer machten, den merkantilistischen Zug bewußter Wirtschaftspolitik. Das alles war mehr eine Sache der Städte als des platten Landes. So bezeichnete noch die Verwaltung Friedrich Wilhelms I. als Polizeisachen im engeren Sinne die Aufsicht über die Wirtschaft der Städte, für die zunächst die Kommissariate zuständig waren. Als diese mit den Amtskammern zusammengelegt wurden, erweiterte sich das, was unter Polizeisachen verstanden wurde, und gipfelte nach Dithmars Worten ganz im Sinne Friedrich Wilhelms I. in dem Satz: „Gleichwie das Wohlsein eines Landesherrn und dessen Untertanen dergestalt miteinander verknüpft sind, daß keines ohne das andere bestehen kann: so hat ein Landesfürst für die Nahrung und den Reichtum, seiner Untertanen alle Vorsorge zu treffen und dahin zu sehen, daß selbige in den Stand gesetzt werden, von ihrem Überfluß und Reichtum zum gemeinen Besten zu contribuieren" s . Mit voller Klarheit ließen sich Ökonomie, Cameralia und Polizei überhaupt nicht voneinander sondern, das geht auch aus dem Buch von Dithmar hervor. Er fügt zur „Landesökonomie" der Vollständigkeit halber schon einen besonderen, längeren Abschnitt über „Stadtökonomie" hinzu, kann es aber nicht hindern, daß sich dessen Gegenstände dauernd mit den Polizeisachen kreuzen. Doch ist der Begriff der Polizeiwissenschaft bei Dithmar schon so geartet, daß er sich in seinem engen * Dithmar V I, § 1. Dithmar I, § 8. « Dithmar IV 7, § 1. 8
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Zusammenhange mit Ökonomie und Cameralia als etwas übergreifendes abzuzeichnen beginnt. Was sich hier andeutet, ist aber nicht mehr als eine Möglichkeit, die zu verwirklichen Gasser niemals unternahm, während Dithmar dazu wohl nicht fähig war. Dithmar gibt überhaupt bloß Leitsätze für Vorlesungen, den Rahmen für ein Bild, das erst ein Menschenalter später von Justi ausgeführt werden sollte: die Verselbständigung der Verwaltungswissenschaft, die die fiskalischen Gesichtspunkte, also das Kameralistische im engeren Sinne des Wortes überwindet. Das war zur Zeit Friedrich Wilhelm I. noch nicht möglich. Dem König verdanken wir die große Leistung, daß er den laufenden Prozeß der Herausbildung einer allgemeinen Verwaltung aus einer bloß fiskalischen gedanklich und organisatorisch zum Abschluß brachte und mit der Begründung des Generaldirektoriums und der Kriegsund Domänenkammern technisch vollendete. Finanzielle und Wohlfahrtsinteressen halten sich noch die Waage und vereinigen sich zu einer geschlossenen inneren Regierung, die sich wohl bewußt war, daß sie regierte, wenn sie ihre verwaltende Tätigkeit ausübte. Wie,die Zeit hier mit etwas Neuem rang, zeigt die Aufforderung des Professors Ludewig an die Geschichtsschreibung in seiner Festschrift zur Begründung des Gasserschen Lehrstuhles: sie solle „sich nicht nur um Dinge, die den Staat mit auswärtigen angehen, bekümmern und damit allein vergnügen, sondern bemüht sein, dasjenige aufzuzeichnen, was in ökonomischen und Polizeisachen Gutes im Lande gestiftet worden. Wie dann die Res gestae Friderici Wilhelmi Magni, wie solche Herr von Pufendorf beschrieben, ohngeachtet selbige so viele tausend Reichstaler kosten, dennoch hieran einen solchen Mangel leiden, daß in dem ganzen und weitläufigen Buch diesfalls fast nicht eine Zeile zu finden, was zu Verbesserung der Landessachen unter diesem großen Fürsten gehöret; und in der Tat hat uns eben auch solches eine Bewegursache sein müssen: warum wir auf die Polizei- und ökonomischen Stücke und dero Anzeige um so viel begieriger kommen sein: um diejenige, welchen etwa dergleichen Arbeit an unserm Souverain zuteil werden möchte, aufzumuntern und anzureizen, diese Artikel in Historia Fridhelmina nicht zu vergessen und die Nachkommenschaft um das Gedächtnis auf so viele schöne Exempel zur Nachfolge zu bringen" 1 . Der Aufruf Ludewigs verhallte zunächst ungehört. Von den Professoren Ludewig, Gasser, Dithmar konnte sich Friedrich Wilhelm wohl verstanden fühlen, gaben sie in ihren Büchern doch ganz die preußische, von ihm geschaffene Praxis wieder und verallgemeinerten sie in faßlicher Form. Aber mehr leisteten sie nicht. Der Mann, der die innere Regierung wirklich zum gleichwertigen Gegenstand der historischen Darstellung und der Gegenwartsschilderung machte, fand sich dagegen erst in der nächsten Generation, in niemand geringerem als Friedrich dem Großen. Seiner Zeit wurde auch der Gelehrte geschenkt, der die Verwaltungswissenschaft in ihrer Selbständigkeit als die Lehre von der inneren Regierung erfaßte, Johann Gottlob Heinrich Justi. 1
Ludewig § 46.
II.
Finanz- und Innehverwaltung in der deutschen Staatenwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts Sehr deutlich auf die preußischen Verhältnisse zielend, läßt sich Dithmar in seiner „Einleitung" über die Behörden der Finanzverwaltung in folgenden Worten aus: „Es pflegen zwar die landesfürstlichen Einkünfte von verschiedenen Collegiis beobachtet und die Domänen samt den Regalien von Hof- und Amtskammern, das Steuerwesen aber von Kriegskommissariaten oder von den Landständen verwaltet zu werden; gleichwie aber solche Einrichtungen vieler Collision und Confusion unterworfen, so ist ratsamer, daß die Verwaltung des ganzen landesfürstlichen Vermögens nur einem Cammercollegio und in weitläufigen Staaten einem Generaldirektorio und demselben in einer jeden Hauptprovinz subordinirten Cammern anvertrauet, und von diesen an jenes in allen vorfallenden sowohl Domänen- und Regalien- als Steuersachen Rapport abgestattet, endlich aber von des Landesherrn höchster Person selbst die Verordnung erwartet werde." Der Herausgeber der letzten Auflage von 1769 setzt aus'der Vorlesungspraxis seiner Zeit noch hinzu: „Hier ist von den Cammerverfassungen der vornehmsten deutschen Staaten Nachricht zu erteilen und, worauf es bei guter Einrichtung des Cammerwesens hauptsächlich ankommt, zu zeigen 1 ." Doch dürfte es bei der Vielzahl der Erscheinungen jedem Professor der Kameralistik unmöglich gewesen sein, die Innenverwaltung sämtlicher deutscher Staaten gleichmäßig zu behandeln; auch Justi beschränkt sich in seiner breit angelegten „Staatswirtschaft" von 1755 im wesentlichen auf Osterreich, Preußen, Kursachsen 2 , also auf die drei größten. Alles andere faßt er in Bausch und Bogen zusammen. Auch wir werden nicht den V e r s uch machen, die Fülle der Gesichte zu beschwören, sondern uns auf einige wenige typische Fälle beschränken, um dann zu den beiden bedeutendsten deutschen Staaten neben Preußen, zu Kursachsen und zu Osterreich vorzudringen. Wer aber von dem einzigartigen Fall des Preußischen Generaldirektoriums herkommt und die Verwaltungsformen der benachbarten Herrschaften kennenlernen will, dem geht es wie dem Wanderer, der eben über Boden später geologischer Entstehung gegangen ist und im Weiterschreiten angesichts einer starken Verwerfung diejenigen Schichten an der Oberfläche vorfindet, die kurz zuvor tief drunten gelegen haben. Es ist auch kein Wunder, daß die kleineren Staaten in ihrem beschau1 2
Dithmar, Einleitung S. 298. Justi, Staatswirtschaft II § 573—584.
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licheren Dasein sich vieles bewahrt haben, was sich in den führenden längst gewandelt hat, sind es doch die gleichen gemeindeutschen Grundformen, die sich hier einfacher, dort verwickelter entfaltet haben. Die verhältnismäßig älteste Schicht, wie sie im großen und ganzen im 16. Jahrhundert geworden ist 1 , hat sich in den thüringischen Fürstentümern erhalten, wo die verschiedenen ernestinischen, schwarzburgischen und reußischen Häuser durch stets wiederholte Teilungen dafür gesorgt haben, daß sich ihre Staatssplitter niemals zu Größe und Würde aufschwangen 2 . In Schwarzburg-Sondershausen 3 oder Schwarzburg-Rudolstadt 4 oder in Sachsen-Weimar * hatten sich im 15. Jahrhundert zwei Behörden herausgebildet, die Kanzlei und die Rentei, für die sich während des 17. die Bezeichnungen Regierung und Kammer durchsetzten. Dazu kam mit der Reformation noch das Konsistorium für die Ausübung des landesherrlichen Kirchenregiments. Wo diese Behörden entstehen, hat sich von den Hofämtern des Fürsten bereits eine Verwaltung abgelöst, mag ihre wichtigste Aufgabe, abgesehen von der Rechtsprechung, auch darin bestehen, die Hofhaltung durch Geld und Naturalien zu nähren, mögen Einkünfte und Schulden des Fürsten von denen des Staates noch so wenig getrennt sein. Die Inhaber der Hofämter, die einmal die wichtigsten Berater des Fürsten gewesen waren, sind von ihren politischen Aufgaben zurückgetreten. Trotzdem werden wir noch im Osterreich Maria Theresias den Obersthofmarschall an einer bedeutenden Stelle des Behördenaufbaus finden. Die Kanzlei war ursprünglich die Schreibstube des Fürsten, geleitet von dem Kanzler, der mit im Rat sitzt und die im Rat oder nach dem Rate gefaßten Beschlüsse des Fürsten ausfertigt, also allein ratende und ausführende Tätigkeit in seiner Hand vereinigt. Damit wird der Kanzler der Leiter der landesherrlichen Regierung. Als der Fürst nicht mehr in den lockeren Formen des frühen und hohen Mittelalters Rat hält und an Stelle der Hofbeamten und ausgewählter Vasallen besoldete Räte aus dem Adel seines Landes oder aus der Fremde heranzieht und juristisch gebildete Männer bevorzugt, wird aus dem Rat ein Kollegium, das sich noch später Regierung nennt und von einem Regierungspräsidenten geleitet wird. In den Regierungen dieser kleinen thüringischen Staaten wurden praktisch 1 Fritz Härtung, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts, 1775 bis 1828, Weimar 1923, S. 4 ; vgl. zum Ganzen Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Meisters Grundriß 11,4), jetzt 5. Aufl. Stuttgart 1950. 2 Willy Flach, Die staatliche Entwicklung Thüringens in der Neuzeit, Ztschr d. Vereins f. Thür. Gesch. 43 (Nr. 35), 1941, 6 ff. 3 Hans Eberhardt, Die Gesch. der Behördenorganisation in Schwarzburg-Sondershausen (28. Beiheft der Zeitschr. d. Ver. f. Thür. Gesch.), Jena 1943. * Ermentrude von Ranke, Das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Phil. Diss. Halle 1915. B Georg Mentz, Weimarische Staats- und Regentengesch, vom Westf. Frieden bis zum Regierungsantritt Carl Augusts (Carl-August-Werk, Abt. I), Jena 1936; Felix Pischel, Die Entwicklung der Zentralverwaltung in Sachsen-Weimar bis 1743, Zeitschr. d. Vereins f. Thür. Gesch. 28 (NF 20), 1911, 237—305, und 29 (NF 21), 1913, 125—170; dazu Härtung, Das Großherzogtum Sachsen, 4—6, und Willy Flach, Goetheforschung und Verwaltungsgeschichte (Thür. Archivstudien 3), Weimar 1952.
Finanz- und Innenverwaltung in der deutschen Staatenwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts
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sämtliche politischen Geschäfte und die wichtigsten Rechtssachen durchberaten. Die Beschlüsse des Kollegiums wurden dem Fürsten mündlich o d e r schriftlich zur endgültigen Entscheidung vorgetragen, wenn e r nicht persönlich an den Sitzungen teilnahm, was noch im 17. Jahrhundert als eine keineswegs immer befolgte Regel galt, im 18. a b e r ganz abkam. Die Ausfertigungen erfolgten in der Kanzlei der Regierung und gingen mit der Unterschrift des Präsidenten, o f t mit der sämtlicher Räte, heraus. Einen Geschäftsverteilungsplan g a b es kaum; auch langatmige Kanzleiordnungen schufen, wenn sie überhaupt vorhanden waren, keine Klarheit. Der Präsident verteilte die Eingänge nach seinem Belieben an die Räte; gewöhnlich kam doch alles wieder an das Kollegium zur Beschlußfassung. In den kleinen Staaten saßen auch nur zwei o d e r drei Räte neben dem Präsidenten, so daß es hier nicht zu einer Trennung in eine adlige und eine gelehrte Bank kommen konnte, wie sie in vielen größeren Staaten üblich war. O h n e klare O r d n u n g wurde in den Regierungen alles verhandelt, was vorkam: Vergabungen von Lehen, Gnadenerteilungen, Ernennungen, soweit sie nicht unmittelbar vom Fürsten ausgingen, Beziehungen zu anderen Staaten, Sachen des Reiches und der Reichskreise, Gesetzgebung und Justizverwaltung. Außerdem war die Regierung Gericht in höchster Instanz, soweit nicht die Rechtsprechung des Reichskammergerichts o d e r des Reichshofrats über ihr stand; doch waren selbst so kleine Staaten wie die ernestinischen durch das den gesamten Landen des früheren Kurfürstentums Sachsen erteilte Privilegium de non appellando d a gegen geschützt. Die Regierung vereinigte also den Geschäftskreis, aus dem sich später Außen-, Innen- und Justizministerium entwickelt haben, und den eines obersten Gerichts. Für das Gebiet der Außenpolitik begann sich auch in den kleinsten thüringischen Herrschaften am Ende des 17., spätestens im 18. Jahrhundert ein besonderer Rat abzuzeichnen, zu dem der Fürst nur ausgewählte hohe Beamte berief; hier b a h n t e sich also die Entwicklung an, die in den größeren Territorien längst zur Bildung eines Geheimen Rates und eines Kabinettsministeriums über der Regierung geführt hatte, jedoch ohne sich zu vollenden. Neben der Regierung steht als geschlossenes Kollegium das Konsistorium. Es ist die Behörde, die in landesherrlichem Auftrage das Kirchenregiment führt, die kirchliche Rechtsprechung wahrnimmt und die Finanzen der Kirche, die damals in der Hauptsache auf dem ehemaligen geistlichen Grundbesitz ruhten, verwaltet. Das Konsistorium ist der Form nach unabhängig, in Wirklichkeit fällt es jedoch beinahe mit der Regierung zusammen, weil fast überall die Regierungspräsidenten zu Konsistorialpräsidenten, die Regierungsräte zu Konsistorialräten ernannt wurden und die ihnen beigegebenen Geistlichen, der Superintendent und etwa noch der Hofprediger, in theologischen Fragen zwar die Sachkenntnis für sich haben, den weltlichen Räten g e g e n ü b e r a b e r regelmäßig in der Minderheit bleiben. Das Konsistorium ist eine verhältnismäßig junge Behörde. Dagegen ist der Vorg ä n g e r des Kammerkollegiums, das Amt des Rentmeisters, o d e r wie es sonst heißen mochte, so alt wie die landesherrliche Selbständigkeit. Der Rentmeister verwaltete den Grundbesitz des Fürsten; die späteren Schatull- und Kammergüter, und sammelte die Einkünfte aus den Regalien, d. h. aus Zöllen an Land- und Wasserstraßen, aus H a u s s h e r r , Verwaltunj?sc;nheit
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Bergwerken und aus dem Salzverkauf sowie aus der Münzprägung, soweit die kleinen Staaten überhaupt darüber verfügen konnten. Mit dem Fortschreiten der Geldwirtschaft stieg die Bedeutung dieses Amtes, das überhaupt eine Tendenz in sich trug, sich auszuweiten, mehr als die Regierung. Diese repräsentierte meist das Bestehende, während sich der aufkommende Absolutismus für seine innerpolitischen Ziele mehr der Kammer bediente. Kein noch so kleiner Staat konnte und durfte wegen der Kriegsaufgebote des Reiches, auf die es zu Ende des 17. Jahrhunderts noch mehr ankam als im 18., ganz auf ein stehendes Heer verzichten, mochten es auch wie in Schwarzburg-Rudolstadt nur knapp 220—240 Mann sein 1 . Jeder erweiterte seine Hofhaltung nach größeren Vorbildern. Dazu reichte das Geld, das aus Domänen und Regalien floß, nicht aus, und so mußten Schwarzburg-Sondershausen und Sachsen-Weimar ebenso wie Preußen oder Osterreich darüber nachdenken, wie sie ihre Finanz- und Wirtschaftsverwaltung zu höheren Erträgen brachten. Der alte Rentmeister genügte nicht mehr; er wurde durch ein Kollegium ersetzt. In den meisten Fällen entstand es dadurch, daß ein paar Räte der Regierung mit Kammergeschäften beauftragt und einem Kammerdirektor unterstellt wurden. Eine klare Scheidung der Zuständigkeiten und ein bestimmtes Verhältnis der Unter- oder Nebenordnung erreichte man in den Staaten, die auf dieser Stufe stehen blieben, kaum. War es schon nicht sicher gewesen, ob der Rentmeister mit seinen Rechnungen nur vom Fürsten abhängig oder ob er der Kanzlei unterstellt war, — jedenfalls beschäftigte sich diese oft genug, aber keineswegs regelmäßig auch mit Fragen der Finanzpolitik und gab dann Weisungen an den Rentmeister — so wiederholte sich dies nach der Umformung zum Kammerkollegium. Die Tatsache, daß der Leiter der Kammer nur den Titel eines Direktors, der der Regierung den eines Präsidenten führte, läßt nicht auf eine Unterordnung der Behörde, sondern nur auf den höheren Rang der Regierung schließen. Es klärte die Verhältnisse auch nicht, daß der Kammerdirektor oft zugleich Sitz und Stimme in der Regierung f ü h r t e 2 ; auch als Regierungsrat war er seinem Präsidenten nicht eigentlich unterstellt, dieser blieb nur Primus inter pares wie der Kammerdirektor selbst innerhalb seines eigenen Kollegiums. In der Regel waren auch die kleinen Staaten bereits gewachsen und begnügten sich nicht mehr mit den alten Kammergefällten. Vielmehr hatten ihre Fürsten an ihr „Land", d h. an ihre Stände herantreten und von ihnen Steuern verlangen müssen, die auch hier zunächst als außerordentliche Forderungen für den Einzelfall auftraten, um dann — wie es mit Steuern zu gehen pflegt — nicht mehr zu ver1
E. von Ranke, S. 19; die angegebene Zahl für die Jahre 1721—1723. Ein charakteristisches Beispiel für die Besetzung der drei O b e r b e h ö r d e n : SachsenJena im Jahre 1678 (Eckold S . 3 2 ) : I. Regierung: Präsident Zacharias Prüschenk von Lindenhofen. Räte: Bernhard Pflug, D. Johann Schilter. II. Konsistorium: Präsident Zacharias Prüschenk. Räte: Bernhard Pflug, D . J o h a n n Schilter. Superintendenten: M. Theophil Cöler, Johann Schlemm (Hofprediger). III. Kammer: Direktor D . J o h a n n Schilter. Inspektor: Bartholomäus Kellner. Vizeinspektor: Christian Hilgund. 2
Finanz- und Innenverwaltung in der deutschen Staatenwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts
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schwinden. Mochten diese Stände auch aus noch so wenigen Personen bestehen, so waren sie doch, wie in den größeren Ländern, in zwei oder gar drei Kurien geteilt und wachten eifrig darüber, daß sie die Steuern nicht bloß bewilligten, sondern auch selbst umlegten und verwalteten. So entstand eine besondere, ständische Behörde, die ebenso wie die Kammer Einnahmen erzielte und Ausgaben verbuchte, und zwar für das „stehende Heer" oder, wie es bescheiden hieß, für den miles perpetuus, die Kosten der Vertretung auf Reichs- und Kreistagen, die Beiträge zum Reichskammergericht, dazu oft einen allgemeinen Zuschuß für die Kammerkasse, meist zur Abtragung alter Schulden des Fürsten. Was uns in Preußen als ein gesonderter Domänen- und Kriegsetat entgegentritt, erfassen wir in Thüringen in seiner Entstehung. Es blieb die Eigentümlichkeit des älteren Staates, jede Ausgabe auf bestimmte Einnahmequellen zu verweisen und für jede Hauptgruppe von Einnahmen und Ausgaben eine eigene Verwaltungsbehörde einzurichten. Allerdings war die Entwicklung auch hier schon weitergeschritten. Der werdende Absolutismus suchte die Selbständigkeit seiner Stände, die sich in eigenen Landesfinanzen neben denen der Kammer ausdrückten, möglichst zu beschränken und die Landtage daran zu gewöhnen, die Forderungen des Landesherrn, so wie sie gestellt wurden, zu bewilligen, etwaige Beschwerden kurz abzuweisen und die Eigenverwaltung der Landesfinanzen mit fürstlichen Beamten zu durchdringen. Die Landtage selbst wurden dadurch kaltgestellt, daß man der Kosten wegen nur Ausschüsse versammelte und auch diese bald nicht mehr einberief, oder daß man — ein Beispiel, das damals Aufsehen erregte, bietet Schwarzburg-Rudols t a d t 1 — die Fassade des Landesausschusses stehen ließ, ihm aber alle wesentlichen Rechte nahm. Es war eben doch nicht bloß Friedrich Wilhelm I., der „Die Herren Junker" nicht mehr lassen wollte als „Den Windt vom Landtdaghe".! Meist blieb die ständische Steuerverwaltung der Form nach bestehen wie in SachsenWeimar 2 , praktisch wurde sie zur landesherrlichen Behörde, und den Ständen blieb nichts als das Recht, die Beamten des Landschaftskassendirektoriums, wie es dort hieß, zu präsentieren — in Pflicht nahm sie der Landesherr. In Schwarzburg-Rudolstadt blieb als letzter Rest ständischer Mitregierung die gesonderte Steuerkasse neben der der Kammer. Hier kennen wir den Hergang genauer, weil er im Streit zwischen Untertanen und ihrem Fürsten vor dem Reichskammergericht und Reichshofrat ausgebreitet wurde. Danach ließ der Fürst um 1700 die Prüfung der Landschaftskasse, die bisher von Ständevertretern ausgeübt worden war, durch seinen Kanzler und einen Hofrat vornehmen. Nach wenigen Jahren wurden die Rechnungen des fürstlichen Steuereinnehmers überhaupt nicht mehr „abgehört". Das gab Anlaß zu schweren Bedrückungen, denn der Einnehmer arbeitete nach eigenem Gutdünken in seine Tasche. Er legte rücksichtslos militärische Exekution in die Dörfer, die seinen Zahlungsbefehlen nicht nachkamen, ließ die Exekutivkosten von den Untertanen eintreiben und rechnete sie der Herrschaft noch einmal an. Dies Vorgehen veranlaßte 1 2
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E. von Ranke, 79—80 Härtung, 5—6.
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einen Rechtsstreit bei den Gerichten des Reiches, unter dessen Wirkung der Fürst die Rechnungsabhör durch Regierung und Landschaft nachholte und seinen Ständen das Recht der Mitabhör so ziemlich als einziges für die Zukunft ließ 1 . Der Übergang von ständischer zu landesherrlicher Steuerverwajtung war also keineswegs immer ein Segen für die Untertanen. Alles hing hier von der Größe und Bedeutung des Staates, mehr noch von der Person des Fürsten ab. Wir wissen aus einer schönen Arbeit von Gerhard Ostreich, welche Tragweite „Das persönliche Regiment der deutschen Fürsten"" schon im 16. Jahrhundert hatte und wie sehr es darauf ankam, daß der Landesherr, unterstützt von seinem Kammersekretär, in eigner Person über Regierung, Konsistorium und Kammer die Zügel führte. Danach können wir ermessen, was es auf dem Höhepunkt des Absolutismus bedeutete, wenn in Schwarzburg-Rudolstadt gerade um die kritische Zeit ein Fürst residierte, der nach dreizehnjähriger Regierung im Alter von neununddreißig Jahren erklärte, er sei in den Regeln des Staates und der Politik ganz unerfahren s . Es gab für die kleinen Länder noch einen anderen Weg, mit ständischer Steuerverwaltung fertigzuwerden, freilich wurde e r von den meisten Zeitgenossen ebenso abgelehnt wie der ständische Scheinstaat in Schwarzburg-Rudolstadt. Die Voraussetzung dafürwar eine geordnete Finanzverwaltung. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (1698—1747) ist diesen Weg gegangen. Er kaufte nämlich den gesamten ritterschaftlichen Grundbesitz seines Ländchens auf. So wurde jeder Fußbreit Landes Kammergut, wo dann Fürst und Gutsherr ein und dieselbe Person waren. Als Leopold — damals noch nicht der „alte Dessauer" — in seinen Städten nach preußischem Muster die Akzise einführte, unterstellte er deren Verwaltung der Kammer, so daß er zeitweilig nur eine einzige Finanzbehörde hatte, der zugleich ein bedeutender Teil der Innenverwaltung oblag. Jedoch scheint sich die Zusammenlegung hier nicht bewährt zu haben. Rentkammer und Akzisebehörde wurden bald wieder getrennt, so daß Leopold 1747 zwei Kassen und zwei Behörden für die Landeseinnahmen hinterließ *. In Thüringen kann man auch einmal noch zu sehr später Zeit, d. h. gegen Ende des 17. Jahrhunderts, die Entstehung eines neuen Staates beobachten. Das Herzogtum Sachsen-Jena wurde auf Grund einer Erbteilung im Jahre 1672 eingerichtet Es bestand nur achtzehn Jahre — dann fiel es an Sachsen-Weimar-Eisenach zurück, — zeigt aber beispielhaft, daß zu Ende des Jahrhunderts auch da, wo alle Behörden neu geschaffen werden mußten, keine andere Organisation denkbar erschien als das Nebeneinander von Regierung, Konsistorium und Kammer, die doch 1 Darüber eingehend E. von Ranke, deren Diss. den Untertitel „Der Landesstreit gegen fürstliche Willkür vor Reichskammergericht und Reichshofrat" führt. Bes. S. 23—24 und passim.
* Die Weit als Geschichte 1, 1935, 218—237 und 300—316. 4 E. von Ranke, 16. 4 Wilhelm Klinsmann, Anhalt-Dessaus Stellung zur anhaltischen Gesamtung und seine Behördenorganisation unter Fürst Leopold (1698—1747), Phil. Diss. Greifswald 1912.
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nicht bloß in der Einheit der fürstlichen Person, sondern auch dadurch verbunden blieben, daß die Räte in mehreren Körperschaften Sitz und Stimme hatten \ Einem Staate wie Sachsen-Jena ist es niemals gelungen, die Schwelle kleinstaatlichen Daseins zu überschreiten, dazu blieb er nicht lange genug am Leben. Doch läßt sich selbst in Schwarzburg-Sondershausen, in Schwarzburg-Rudolstadt o d e r in Sachsen-Weimar erkennen, daß sich die Verwaltung auf den gleichen Weg b e g a b , den die deutschen Großmächte bis zu seinem Ende durchmaßen. Die beiden schwarzburgischen Länder bestanden jedes aus einer O b e r - und einer Unterherrschaft; Sachsen-Weimar besaß außer der Weimarischen „Landesportion" noch die Eisenachsche und Jenaische, um nur die wichtigsten zu nennen. Jede dieser Landesportionen hatte einmal f ü r längere o d e r kürzere Zeit einen eigenen Staat gebildet, j e d e hatte ihre Regierung, ihr Konsistorium, ihre Kammer, so wie auch die späteren preußischen Provinzen einmal ständisch-territoriale Sonderbildungen gewesen und nur durch die Dynastie zusammengefaßt worden waren, in allen deutschen Territorien g a b es im wesentlichen zwei Möglichkeiten der Verwaltungsvereinfachung bei Landeszuwachs: entweder versuchte man, die Behörden der erworbenen Gebiete den gleichen Behörden des Hauptlandes unterzuordnen, wogegen sich dann die Opposition eines Landes erhob, das sich in seinen Eigenheiten unterdrückt fühlte, — o d e r man wölbte über die Behörden sämtlicher Landesteile eine neue, meist den Geheimen Rat. In der geschichtlichen Wirklichkeit sind die beiden Möglichkeiten, die sich gedanklich so leicht sondern lassen, meist ineinander übergegangen, indem man zugleich beide W e g e mehr o d e r weniger weit beschritt. Die erste Entwicklung sehen wir etwa in Schwarzburg-Sondershausen, wo das Aussterben der Nebenlinie 1716 dazu führte, daß die Oberherrschaft Arnstadt mit der weit von ihr entfernten Unterherrschaft Sondershausen vereinigt wurde. Hier blieb die Regierung in Arnstadt neben der Sondershausenschen und mit ihnen die beiden Konsistorien, in denen ja dieselben Räte saßen, bestehen, während die Kammer zu Arnstadt der in Sondershausen unterstellt wurde und damit ihre Unmittelbarkeit g e g e n ü b e r dem Landesherrn v e r l o r 2 . Genau so hatte man es in Brandenburg-Preußen gemacht, w o die Regierungen in den meisten einverleibten Ländern bestehen blieben, die Amtskammer in Berlin dagegen, die selbst als eine rein brandenburgische Behörde entstanden war, eine die Kammern der übrigen Provinzen überragende Stellung erhielt. Es brauchte nur noch ein Schritt weiter getan, den Regierungen ein großer Teil ihrer Geschäfte abgenommen und den Kammern zugewiesen zu werden, so wurde aus der Personalunion einzelner Länder ein Staat mit Provinzen. In den kleinen Staaten, wie den Schwarzburgischen, ist man jedoch auf der Stufe geblieben, die von den großen bald überschritten wurde. Dagegen lassen sich sämtliche Ansätze zu einer großstaatlichen Innen- und Finanzverwaltung an dem thüringischen Staate ablesen, der um 1700 allen übrigen vorausgeeilt war. Sachsen-Gotha, das wir durch eine vorbildliche verwaltungs1
Paul Eckold, Das Herzogtum Sachsen-Jena (1677—1690). (Jena in Vergangenheit und Gegenwart V), Jena 1940. 3 Eberhardt, 35 ff.
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geschichtliche A r b e i t 1 besonders gut kennen, war, wie Sachsen-Jena, ein völlig neuer Staat, als ihn Ernst der Fromme 1640 aus einer der üblichen Erbteilungen übernahm. In der Epoche des Wiederaufbaus nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde Herzog Ernst eine der repräsentativsten Fürstengestalten Deutschlands. Er war ein Mann, der ganz in den guten Überlieferungen des Luthertums wurzelte, das Amt der Obrigkeit als einen Gottesdienst führte, in dem Bewußtsein, das irdische und das ewige Heil der ihm befohlenen Untertanen dereinst vor dem höchsten Richter verantworten zu müssen. Daher war die erste Behörde, die er in seinem Lande begründete, das Konsistorium; dann erst folgten Regierung und Kammer, wie er es von Weimar her kannte, so daß wir zunächst wieder die üblichen Behörden für die innere Verwaltung vor uns haben. Bald wurde die Regierung Emsts des Frommen ein Vorbild, das auf das ganze oder wenigstens auf das protestantische Deutschland wirkte. Der alten Zeit zugehörig durch seine ehrenfeste, patriarchalische Art, die den Ständen ihre Rechte wahrte, der neuen durch die Pünktlichkeit des* Behördenbetriebes und durch die Genauigkeit in der Abrechnung. Ernst der Fromme verkörperte ein Fürstenideal, das sehr bald auch literarisch vertreten wurde. Der Verfasser des „Teutschen Fürstenstaates", Veit Ludwig von Seckendorff, war selbst in der Gothaischen Behördenlaufbahn emporgekommen. Hier sammelte er die Erfahrungen, die er in seinem Buch verwertete 2 . Als es 1656 erschien, war es die erste umfassende Darstellung der inneren Verwaltung eines zeitgenössischen Staates. Da es wesentlichen Erfordernissen des akademischen Unterrichts, der sich der Kameralistik zuzuwenden begann, erfüllte, wurde es als d i e deutsche Staatslehre immer wieder von neuem aufgelegt. Erfaßte es doch zum ersten Male die Wirklichkeit der landesherrlichen Innenverwaltung als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung, während die Juristen, die sich für den Staatsdienst vorbereiteten, auf den Universitäten bisher nur durch eine Jurisprudenz geschult wurden, die im wesentlichen römisch-rechtlich bestimmt war, und durch ein Reichsrecht, dem doch kein lebendiger Wirklichkeitsgehalt mehr entsprach. Deshalb hielt sich Seckendorffs Buch bis in die Zeit Friedrich Wilhelms I.; wir wissen, daß selbst Gasser es seinen Vorlesungen zugrunde legte. Da der Teutsche Fürstenstaat Seckendorffs ganz den Idealtypus des älteren Absolutismus in den kleineren Herrschaften Deutschlands schilderte, konnte er noch 1754 eine letzte Auflage erleben, bis er durch Justis Staatswirtschaft (1755) endgültig überholt wurde. Doch stand hinter der Leistung Emsts des Frommen und Seckendorffs auch ein großstaatlicher Ehrgeiz. Der Herzog hegte die Hoffnung auf den Heimfall von Altenburg und Coburg und durfte diese Erwerbungen, die seinen Staat zur thüringi1 Friedrich Facius, Staat, Verwaltung und Wirtschaft in Sachsen-Gotha unter Herzog Friedrich II. (1691—1732), eine Studie zur Gesch. des Barodcfürstentums in Thüringen, Phil. Diss. Heidelberg 1932, erschien auch als Beiheft zu den Mitteilungen des Vereins f. Gothaische Geschichts- und Altertumsforschung 1932—1933. 2 Horst Kraemer, Der deutsche Kleinstaat des 17. Jahrhunderts im Spiegel von Seckendorffs „Teutschem Fürstenstaat". Zeitschr. des Vereins f. Thür. Gesch. 33 (NF 25), 1922 bis 1924, 1—98.
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sehen Großmacht erhoben, noch erleben, wenn sich auch sein letztes Ziel, die S.ammlung aller ernestinischen Lande zu einem Staat, niemals erfüllte. Dieser Zeitgenosse des großen Kurfürsten verzichtete dabei auf die Mittel rücksichtsloser Staatsraison, auf gefährliche auswärtige Bündnisse, Aufrichtung einer Militärmacht und Entrechtung der Stände. Er durfte auf das natürliche Aussterben der Seitenlinien und auf sein Heimfallrecht vertrauen. Ziemlich früh bereitete er die größeren Verhältnisse in seiner Behördenorganisation vor. So wie Brandenburg-Preußen „nach Exempel anderer wohlbestellten Politien und Regimenten" — gemeint war besonders das Beispiel Frankreichs — im Jahre 1604 seinen Geheimen Rat einrichtete, als es vor der Erwerbung des Herzogtums Preußen und von Cleve und Mark stand, gründete Ernst der Fromme 1651 als erster von den thüringischen Fürsten seinen Geheimen Rat, dessen Hauptaufgabe wie die aller Geheimen Räte die auswärtigen Verhältnisse sein sollten, die in den bisherigen Regierungen zu kurz kamen. Jedoch ergab sich von selbst, daß in den Geheimen Räten auch die inneren Angelegenheiten verhandelt wurden, entschieden sie doch über die Frage, mit welcher Energie die äußeren Absichten verfolgt werden könnten. Der Verfasser des Teutschen Fürstenstaates gehörte diesem Geheimen Rate eine Zeitlang selbst an. Sein Buch aber erschien, bevor er diese höchste Sprosse seiner amtlichen Laufbahn in Gotha erklommen hatte, und läßt deutlich das kleinstaatliche Mißtrauen gegen eine solche überwölbende Behörde, die sich eigentlich nur für große Territorien schickte, erkennen. Erst in den späteren Schriften ändert sich Seckendorfs Ansicht 1 . Im Grunde steht es mit dem Gothaischen Geheimen Rat genau so, wie wir es in dem Verhältnis von Regierung, Konsistorium und Kammer überall kennengelernt haben: Ein solches Fürstentum verfügte gar nicht über die Finanzkraft und über die Persönlichkeiten, die eine Besetzung so vieler Ämter erfordert hätte. Daher mußten sich die Geheimen Räte auch noch andere Aufgaben aufladen lassen; oder umgekehrt, bereits vorhandene Hofchargen oder Behördenchefs wurden zu Geheimen Räten ernannt, ohne ihre bisherige Stellung aufzugeben. Daraus erklären sich die überschneidenden Zuständigkeiten, der Mangel straffer Unterordnung, die uns heute das Verständnis so schwer machen. Das zeigt sich deutlich in der Zusammensetzung des Gothaischen Geheimen Rates. War die Politik mehr auf Gotha selbst beschränkt, d. h. vor der Erwerbung von Altenburg und Coburg (1672), so saßen die Leiter von Regierung und Kammer im Geheimen Rat, der damit beinahe wie ein modernes Ministerium zu einer Versammlung von Behördenchefs wurde. Dann waren die bisherigen Spitzenbehörden durch die Macht der Tatsachen zu Mittelstellen herabgedrückt. Das zeigt sich besonders an der Regierung, die beinahe auf ihre gerichtlichen Funktionen beschränkt wurde, weniger an der Kammer, die auf diese Weise immer mehr zum eigentlichen Organ für die Innenund Finanzverwaltung wurde und sich bei der politischen Bedeutung ihrer Aufgabert etwas von ihrer bisherigen Immediatstellung bewahren konnte. In der kurzen Zeit jedoch, in der vom Friedensteiner Schloß in Gotha das Gothaische Land, Altenburg und Coburg regiert wurden, dehnte der Nachfolger Emsts, wahrscheinlich als 1
Kraemer, 40—41.
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Vollstrecker des väterlichen Willens, die Zuständigkeit seines Geheimen Rates über sämtliche Fürstentümer aus. Die erhöhten Einkünfte erlaubten, die erweiterten Geschäfte empfahlen die Einstellung mehrerer Räte, die sich auf die Ratsgeschäfte beschränkten. Der Geheime Rat bekam eine eigene Kanzlei, war also nicht mehr auf die Regierungskanzlei angewiesen. Die alten Regierungen sanken völlig zu Provinzialbehörden, vornehmlich zu Provinzialgerichten, herab. Als die thüringische Großmachtstellung bereits 1681 durch eine neue Erbteilung unter sechs Brüdern zerflatterte, konnte Gotha wenigstens den größeren Teil des wertvollen Altenburger Landes bewahren. Die Behördenorganisation wurde deshalb zunächst nicht grundlegend geändert. Der Geheime Rat, der für ein weiteres Gebiet gedacht war, blieb jetzt das Symbol der Hoffnung auf den Wiedergewinn 1 . Die Regierungen, die Gothaische ebenso wie die zu Altenburg, verharrten in ihrer untergeordneten Stellung als eine Art von Provinzialbehörden und -gerichten. Mit der Kammer stand es anders, weil sie gerade nach der Verkleinerung des Gothaischen Gesamtstaates als alleinigerTräger der finanziellen Vorbereitung neuer Erwerbungen besondere Bedeutung gewann. Dem äußeren Anschein nach waren die Gothaische und die Altenburgische Kammer gleichgestellt, jedoch wurden sämtliche Posten der Jahreshauptrechnung in Gotha in ein Rechnungsbuch geschrieben; somit war die Altenburgische praktisch der Gothaischen untergeordnet. Diese allein wurde zu einem wirklichen Kollegium umgebildet und ein Kammerdirektor an die Spitze gestellt 2 . Neben der landesherrlichen Finanzverwaltung stand auch hier eine ständische mit eigener Obersteuerkasse oder besser mehrere ständische, da die Herren und Städte des Landes Altenburg sich hier ebensowenig wie anderwärts in den Landtag des Hauptlandes eingliedern ließen. Jedoch wurde der ständischen Obersteuereinnahme im Zuge des fortschreitenden Absolutismus 1726 vom Landesherrn eine neue Instruktion diktiert und den Ständen verboten, außerhalb der ordentlichen Land- und Deputationstage Versammlungen abzuhalten, so daß der Herzog die Verfügung über die Obersteuerkasse in die Hand bekam 3 . Der Enkel Emsts des Frommen, Friedrich IL, der in Gotha die Regierungsweise des beginnenden 18. Jahrhunderts einführte, machte sich zum Träger der thüringischen Großmachtspläne, die ihn schließlich doch nur zu Mißerfolgen führten. Dieser Zeitgenosse Augusts des Starken und Friedrich Wilhelms I. war anders, als es die Generation Emsts für richtig gehalten hätte und als es zumal seinen Ständen lieb war, zu einer ausgreifenden Politik entschlossen. Er vergrößerte das Heer, das er um 1700 auf beinahe 10 000 Mann brachte, mußte es aber bald verringern und konnte die Reste nur dadurch halten, daß er sie nach dem Muster anderer Fürsten, allen Voran des ersten preußischen Königs, gegen Hilfsgelder auslieh, also vermietete, ohne daß sein Gothaischer Staat einen anderen Gewinn davontrug, als daß er mehr Soldaten auf den Beinen hatte, als ihm seiner Größe nach zukam. 1
Facius, 30 ff. Facius, 39. 8 Facius, 49; ähnliche Verhältnisse in Weimar, vgl. Härtung. Sachsen, 5—6. 2
Das
Großherzogtum
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Der Gothaische Militärstaat rief eine Entwicklung der inneren Verwaltung hervor, die die anderen Staaten Thüringens nicht mitmachten. In der Kammer wurde die dringend notwendige Finanzreform mit einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik verbunden; in den Städten wurden Manufakturen eingerichtet, man suchte die Ausfuhr zu heben und die Einfuhr zu mindern. Auf diese Weise stieg die Kammer, die nun nach größeren Mustern nicht mehr bloß die Eigenwirtschaft des Landesherrn besorgte, zur Wirtschaftsbehörde für das ganze Land a u f 1 . Der Plan, ein Oberrechnungskollegium als Kontrollbehörde neben Kammer und Obersteuereinnahme zu setzen, wie dies in Kursachsen und in Preußen geschehen war, wurde nicht ausgeführt. Dafür wurde als Oberbehörde für das Kriegswesen eine Kriegskanzlei ins Leben gerufen — wieder wird Kursachsen das Vorbild abgegeben haben — , deren Zuständigkeit sich von Anfang an auf sämtliche Landesteile erstreckte*. Ernst der Fromme und sein Sohn waren noch gewillt, im Rate zu regieren, d. h. den Sitzungen ihres Geheimen Rates beizuwohnen und ihre Entschlüsse im Rat oder auf Grund der Ratsverhandlungen zu fassen. Als Friedrich II. einen eigenen Geheimen Ratsdirektor einsetzte, begann sich die Sonderung des Geheimen Rates als einer selbständigen, allen Kollegien übergeordneten Behörde vom Herzog abzuzeichnen. Die Sonderung vollendete sich freilich erst langsam, weil Friedrich zunächst wie seine Vorgänger, oft im Geheimen Rat erschien und damit den Aufstieg des Geheimen Ratsdirektors zum Premierminister verhinderte, eine Entwicklung, die auch durch die strenge Kollegialität erschwert gewesen wäre. Seit 1709 aber regierte Friedrich II. vorwiegend aus seinem „Gemach" oder, wie es in anderen Staaten hieß, aus dem Kabinett. Der Herzog fällte die Entscheidungen also allein auf Grund schriftlicher Berichte des Geheimen Rates oder der anderen Oberbehörden, schließlich auch auf Grund des Vortrages einzelner oder mehrerer R ä t e s . Damit war in Gotha der Stand erreicht, dessen Weiterführung in Preußen wir kennengelernt haben. Der Geheime Rat brauchte unter der Wucht der Regierung aus dem Kabinett nur weiter zu verblassen, Kammer und Steuerbehörde als die Träger der inneren Staatsverwaltung emporzusteigen und zusammengefaßt zu werden — also das, was in Gotha nicht mehr geschah, — so steht die preußische Behördenorganisation unter Friedrich Wilhelm I. vor uns, die sich danach gut als ein Sonderfall aus der allgemeindeutschen Verwaltungsentwicklung verstehen läßt. Aus der Weiterbildung der Geheime-Rats-Verfassung hat sich die Art entwickelt, wie in Hannover Innen- und Finanzverwaltung in die gesamte Behördenorganisation eingebettet waren. Wie es in Brandenburg bereits auf Grund der Geheimratsordnung von 1651 durchgeführt worden w a r 4 , wurden die gesamten Geschäfte, die in den 1
Facius, 73 f. Facius, 49 und 40. 3 Facius, 40—44. 4 Gerhard Ostreich, Der brandenburg.-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis zur Neuordnung im Jahre 1651 (Berliner Stud. z. neueren Gesch., hrsg. Hortung, Heft 1), Würzburg 1937, 105 f. 2
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Vollsitzungen der Geheimen Räte verhandelt werden sollten, in Departements aufgeteilt, deren man in Hannover im Laufe des 18. Jahrhunderts dreiundzwanzig zählte, ohne daß diese immer vollzählig nebeneinander bestanden hätten. Ganz so unsystematisch wie unter dem Großen Kurfürsten waren diese hannoverschen Departements gebildet, in der Mehrzahl nach Zufälligkeiten der Geschäftslage oder der Persönlichkeiten. In beiden Staaten waren die einzelnen Minister mit einem oder mehreren Departements betraut, wobei auch diese Verteilung mehr auf die Personen als auf die Sachen zugeschnitten war \ Doch ist Hannover nicht etwa das ganze 18. Jahrhundert hindurch bloß auf einer Stufe der Verwaltungsentwicklung stehen geblieben, die Brandenburg-Preußen 1651 erreicht und bald überschritten hatte. Die hannoverschen Besonderheiten prägen sich vielmehr in dem persönlichen und dem sachlichen Inhalt aus, der ähnliche Formen erfüllte. Unter den fünf bis neun Ministern — die Zahl stand nicht fest — , die den Geheimen Rat bildeten, befanden sich keine „Ausländer", die der Kurfürst aus anderen deutschen Staaten in seinen Dienst berufen hätte, keine Bürgerlichen, die sich den Adel erst verdient hätten. In Hannover waren es nur die Mitglieder des landeseigenen Hochadels; e s wiederholen sich immer die Namen aus wenigen Familien. Die Spannung zwischen der Landesherrschaft und1 ihren Dienern auf der einen und dem ständischen Adel des Landes auf der anderen, die überall sonst durch das Emporkommen der absoluten Monarchie verursacht wird, ist daher in Hannover während des 18. Jahrhunderts nicht zu spüren. Der hohe Adel bestimmte nicht bloß die Landtage, hütete seine ständische Steuerverwaltung, sondern regierte auch durch diejenigen seiner Mitglieder, die die Bürde auf sich nehmen wollten, das Land. Freilich machten sie sich diese Bürde nicht zu schwer; als wichtigste Staatsmaxime g a b der eine dem anderen die Weisung weiter, „ d a ß man sich nämlich hüten müsse, was Neues a n z u f a n g e n " I n den Sitzungen des Geheimen Rates und der anderen Behörden, denen sie angehörten, beschränkten sie sich meist darauf, die Vorträge der ihnen unterstellten Sekretäre anzuhören, darüber abzustimmen und die von denselben Sekretären verfaßten Ausfertigungen der Beschlüsse zu unterschreiben. Auch diese Sekretäre brachten keine Bewegung in das ü b e r k o m m e n e ; sie g e hörten sämtlich zu den „hübschen" Familien Hannovers, dem gehobenen Bürgertum, und mußten darauf bedacht sein, ihren Ministern nicht zuviel an Ungewohntem zuzumuten. D a f ü r hatten sie die eigentliche Macht, und ein adliger Spötter konnte über seinen Onkel sagen, e r sei Minister unter dem Geheimen Kabinettsrat Rehberg gewesen3. Der hannoversche Geheime Rat wurde auch nicht durch den unmittelbaren 1 Emst von Meier, Hannoversche Verfassung- und Verwaltungsgesch., 1680—1866, Bd. 1—Ii. Leipzig 1898—1899; hier besonders 11, 45 ff. und 84 ff. 1 Meier, II, 217, Anm. 1. 3 Meier, II, 231, bezweifelt zwar mit Recht, daß Rehberg unter Ministern und Kollegen eine so hervorragende Stellung inne gehabt hätte; trotzdem bezeichnet der Ausspruch in übertreibender Ironie die Lage.
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Herrscherwillen angetrieben. Bis 1714 waren die Weifen, erfolgreicher als die Gothaer Ernestiner, zu einem der großen Häuser Deutschlands aufgestiegen, nachdem die Kalenbergsche Linie alle anderen weifischen Gebiete erworben und schon auf die Aussicht hin die neunte Kurwürde des Reiches erhalten hatte. Die Stände der Landesteile wurden auch hier nicht vereinigt; nach dem Anfall von 1705 beließen die Kurfürsten vier Landschaften, jede mit eigener Steuerbewilligung und eigener Steuerverwaltung. Ebenso wurden die Kanzleien, aus denen sich anderwärts die Regierungen entwickelten, als Provinzialgerichte in den Landesteilen belassen und nur ein Oberappellationsgericht darüber gesetzt. Dagegen wurden die beiden Geheimen Ratsstuben, die es vor 1705 noch gab, die Konsistorien und die Kammerkollegien sowie die Kriegskanzleien, die sich die weifischen Staaten ebenfalls zugelegt hatten, zusammengeschmolzen 1 . Aber sie blieben keine zehn Jahre unter der unmittelbaren O b h u t ihres Kurfürsten. Bereits 1714 siedelte Georg I. als König von England nach London über. Er nahm einen Minister mit, der ihm die Berichte des Geheimen Rates aus Hannover vortrug und seine Entscheidungen ausfertigen ließ, und regierte sein Stammland nun aus seiner Deutschen Kanzlei in London. Aber Rehberg sagte später mit Recht: „Befehle, die übers Meer gehen, verlieren ihre Kraft." Außerdem waren die verschiedenen George alles andere als tätig oder neuerungssüchtig. Ihr deutscher Minister gehörte stets dem althannöverschen Adel an, hatte schon vorher im Ministerium in Hannover gesessen und kehrte nach Beendigung seiner Londoner Tätigkeit regelmäßig wieder in den Geheimen Rat zurück, hatte er doch inzwischen nicht einmal sein spezielles Departement abgegeben, sondern war nur vertreten worden *. In den deutschen Staaten, vor allem in Preußen, bestand der Fortschritt der Behördenorganisation darin, daß der alte Geheime Rat des 17. Jahrhunderts aufgelöst oder zurückgedrängt wurde, während besondere Kollegien die eigentlichen Geschäfte erledigten. So war es unter Friedrich Wilhelm I. neben der Begründung des Generaldirektoriums zu der eines Kabinettsministeriums für die auswärtigen Angelegenheiten und die Hoheitssachen sowie eines Justizdepartements gekommen. In Hannover dagegen ist das belastende und zeitraubende Nebeneinander des Ministeriums mit seinen vielen Departements auf der einen Seite und von Kammer und Kriegskanzlei auf der anderen nicht gelöst worden. Wie man sich um die Mitte dès 17. Jahrhunderts in Brandenburg-Preußen und in anderen Staaten nicht klar werden kann, ob die Kammer dem Geheimen Rat unterstellt oder selbständige Oberbehörde ist, so fragt man sich noch während des ganzen 18. Jahrhunderts in Hannover vergeblich, ob man es mit einer Unter- oder Nebenordnung zu tun hat. Der Sache war dadurch ihre Spitze genommen, daß einer der Minister — wegen der Einträglichkeit des Amtes war es meist der dienstälteste — zugleich Kammerpräsident war und neben ihm noch ein oder zwei andere Minister im Kammerkollegium saßen, und ganz ähnlich stand es mit der Kriegskanzlei. Doch bildeten Polizei- und Städtesachen ein eigenes Departement, das um die Mittes des 18. Jahr* Meier, II, 16 ff. « Meier, I, 170 ff.; das Rehberg-Zitat, I, 183.
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hunderts ganz in der Weise der älteren Zeit als unvereinbar mit dem Kammerdepartement angesehen wurde, weil es zwischen den Interessen der Domänen, die der Kammer, und denen der Städte, die dem Polizeidepartement anvertraut waren, z. B. über die Frage der Braunahrung, zu Auseinandersetzungen kommen konnte, die man in Hannover nicht anders als auf dem Wege juristischer Erwägungen lösen zu können g l a u b t e 1 , während dieselbe Frage in Preußen nur noch als Sache der gleichen landesherrlichen Interessen angesehen wurde. Trotzdem entwickelte sich die Kammer während des Jahrhunderts zur „Hauptverwaltungsbehörde des L a n d e s " 2 , denn die Finanzverwaltung des Monarchen zog auch hier die wichtigsten inneren Fragen notwendig mit sich. Dabei unterstanden die Steuern niemals der Kammer; sie wurden ja von den Landschaften bewilligt und eingezogen. So waren die Steuerverhandlungen Sache eines besonderen Ministerialdepartements, von dem die Forderungen des Landesherrn an die Stände herangetragen wurden. Der b e treffende Minister war zugleich Mitglied der Kriegskanzlei, denn sie verbrauchte die Gelder, die auf diese Weise ohne Mitwirkung der Kammer e i n k a m e n a . Der Versuch, Kammer und Kriegskanzlei zusammenzulegen, um der „Hauptverwaltungsbehörde des Landes" Einfluß auf die ständische Steuerbewilligung zu ermöglichen, ist nicht gemacht worden. Immerhin ernannte Georg III. gleich nach dem Siebenjährigen Kriege den Minister und Kammerpräsidenten Münchhausen zum Premierminister. Das war diesmal nicht bloß ein leerer Titel, vielmehr wurde ihm gegen die bisherige Übung noch das Präsidium der Kriegskanzlei übertragen, so daß die entsprechenden Ministerialdepartements und die beiden wichtigsten O b e r b e h ö r d e n in der gleichen Hand lagen. Aber nur zeitweilig, denn der Versuch wurde nach dem baldigen Tode Münchhausens nicht wiederholt 4 . Erst gegen Ende des Jahrhunderts machte der jüngere Hardenberg, der spätere preußische Staatskanzler, in mehreren Denkschriften den Vorschlag, Kammer und Kriegskanzlei wirklich zu einer Behörde u m z u f o r m e n o h n e mit so revolutionären Gedanken durchzudringen. Das preußische Beispiel, das er ohne besondere Betonung mit dem Namen Kriegs- und Domänenkammer anrief, dürfte in Hannover eher abgeschreckt haben, und so'blieb es hier bis ins 19. Jahrhundert bei den schon im 18. veralteten Einrichtungen. Als der Glanz der englischen Krone den hannoverschen Kurfürstenhut überstrahlte, schied der Staat der Weifen aus dem Kampfe um die erste Stelle in Norddeutschland aus, mochte die Dynastie ihre Ansprüche darauf auch noch so hoch schrauben. Noch ein anderer Staat, das Land Luthers, bis dahin der Führer des Gorpus Evangelicorum, mußte in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vor der preußischen Aufwärtsentwicklung zurücktreten, ebenfalls um einer fremden Krone willen. Aber weniger weil August der Starke überhaupt nach dem Purpur griff, sondern weil die polnische Krone niemals sicher auf seinem und auf dem i " » «
Meier, Meier, Meier, Meier, Meier,
11,1159. II, 154. II, 86. II, 22 f., und II, 114. II, 21; die erhaltene Denkschrift Hardenbergs von 1780: II, 609f.
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Haupte seiner Nachfolger ruhte, vom Anfang bis zum Ende der sächsischen Dynastie umstritten von den polnischen Adelsparteien und von den großen europäischen Mächten. Bei den Finanznöten der polnischen Republik, in der die Wettiner keine wirkliche Königsgewalt aufzurichten vermochten, mußte Sachsen die Mittel für die Bewerbung in Polen und für die Erhaltung Polens liefern, ohne daß es eine entsprechende Gegenleistung erwarten durfte. Auch hier hatte eine kleinräumig entstandene Verwaltung eine kostspielige, wenig erfolgreiche Großmachtspolitik zu finanzieren. Dabei verkümmerten eigentümliche, verheißungsvolle Ansätze der Verwaltungsorganisation im Gegensatz zu Preußen, oder sie wuchsen sich in falscher Richtung aus, ein Vorgang, der dem äußeren Geschehen genau entspricht. Leider fehlt uns eine umfassende, aus den Quellen geschöpfte Darstellung der kursächsischen Verwaltungsgeschichte, wie wir sie für Hannover in dem großen Werke Ernst von Meiers besitzen, so daß wir uns das Gesamtbild bis jetzt aus Einzelangaben in Doktorarbeiten, Aufsätzen und kleinen Büchern formen müssen 1 . Bis zur Epoche Augusts des Starken (1694—1733) besaß Kursachsen eine mittelstaatliche Behördenorganisation, wie wir sie ähnlich aus Gotha kennen: Regierung, Konsistorium, Kammer- und Obersteuerkollegium, bereits herabgedrückt durch einen Geheimen Rat, dem siezwar nicht streng untergeordnet waren, in dem aberalle wichtigen politischen Fragen, auch solche der Finanzen, verhandelt wurden. Die Landesregierung war auf Rechtsprechung und Gerichtsverwaltung sowie auf die Ausstellung von Urkunden auf Grund von Rechtsansprüchen beschränkt. Die Kammer führte dagegen ihr altes Eigenleben als Verwalterin der kurfürstlichen Güter und der Regalien weiter, ließ sich aber in grundsätzlichen Fragen meist von dem Geheimen Rat lenken. Das Obersteuerkollegium war ursprünglich keine landesherrliche Behörde 2 . Der Kurfürst hatte zwar das Recht, von den elf ordentlichen Mitgliedern vier zu ernennen, während die Stände ebenfalls nur vier präsentierten, — die übrigen drei wurden von den Nebenlinien Sachsen-Weißenfels, -Zeitz und -Merseburg bestellt. Unter den vier kurfürstlichen Obereinnehmern befand sich auch der Direktor des Kollegiums, eine Stellung, in die meist ein Geheimer Rat eingesetzt wurde. Doch war die Obersteuereinnahme eine überwiegend ständische Behörde, obwohl die Ständevertreter in der Minderheit blieben. Denn die Steuern, die sie zu erheben und zu verwalten hatten, wurden von der Landschaft jedesmal nur für den gegenwärtigen Kurfürsten bewilligt, so daß sich der Nachfolger genötigt sah, bei seinem Regierungsantritt einen Landtag einzuberufen, damit ihm seine Stände zugleich mit der Huldigung die alten Steuern weiterbewilligten, wofür er ihnen ihre Privilegien bestätigte. Auch die Ernennung des Direktors und der drei weiteren Obereinnehmer war nicht unbedingt ein Ausdruck landesherrlicher Machtvollkommenheit, denn sie wurden ebenso wie die Geheimen Räte stets nur aus der Reihe desselben einheimischen Adels genommen, der als Herren und Ritter den Landtag 1
Die verdienstvolle neue Sächsische Geschichte von Rudolf Kötzschke und Hellmuth Kretzschmar, Bd. I, II, Dresden 1935, streift die Verwaltungsgeschichte nur. 2 Heinrich Haug, Das Sächslsdie Obersteuerkollegium, Neues Archiv für Sächsische G e schichte, 21, 1900, 224—240.
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bestimmte. Zur gleichen Zeit nämlich, in der der Große Kurfürst den brandenburgischen und preußischen Adel beugte, bekräftigte Johann Georg II. die Rechte des kursächsischen, weil der Landtag im Kampf um das väterliche Testament, auf Grund dessen die drei Brüder die Teilung Sachsens verlangten, für die Einheit von Land und Ständen eingetreten w a r 1 . Seitdem ist Kursachsen neben Hannover von den größeren deutschen Staaten das Land einer beschränkten ständischen Mitregierung geblieben. Die Regierung Augusts des Starken und die Brühls als Premierministers hat die Stände wohl zurückdrängen, aber nicht beseitigen können, weil sie in ihrer Geldnot stets auf die Bewilligungen der Landschaft angewiesen waren. Auf diese Weise erhielt sich, im Gegensatz zu Preußen, die ständische neben der landesherrlichen Finanzverwaltung, wobei Kammer und Obersteuerkolleg bis weit ins 19. Jahrhundert so streng getrennt blieben, wie es der Landtagsrezeß von 1661 angeordnet hatte. Die ererbten und die selbstverschuldeten Geldnöte, die ihn nicht zur vollen Unabhängigkeit von seinen Ständen kommen ließen, haben August den Starken nicht verhindert, die mächtigsten Schritte auf dem Wege zu absoluter fürstlicher Gewalt zu tun. Während Friedrich Wilhelm I. von dem alten Geheimen Rat nur Form und Titel übrig ließ und die mit dem Commissariat zusammengefaßte Kammer zur eigentlichen neuen Innenbehörde machte, blieb der kursächsische Geheime Rat als höchstes Landeskollegium bestehen; ebenso unter ihm die „Geschwisterbehörden", nämlich die Landesregierung für die Justiz, das Konsistorium für die lutherische Kirchenhoheit, die Kammer für die landesherrlichen und das O b e r steuerkolleg für die ständischen Einkünfte. Dazu kam seit 1684 als erste Behörde neuer, absolutistischer Entstehung der Geheime Kriegsrat, begründet von dem Schöpfer des sächsischen stehenden Heeres, dem Kurfürsten Johann Georg III. August der Starke tastete diese Ordnung nicht an, aber er baute sie durch neue neben- und übergeordnete Behörden so aus, daß die älteren sich in dem Gesamtgefüge doch mit einer geringeren Stellung begnügen mußten. Als er die bestehenden Geschwisterbehörden 1704 durch die Generalakzisedirektion vermehrte, drückte er das Siegel auf einen großen Sieg im Kampf gegen die ständische Steuerhoheit. Diese bewahrte zwar die alte Landakzise unter ihrer Obhut, aber die umfassende neue Steuer der Generalkonsumtionsakzise, die August nach preußischem Muster einführte, überhöhte die ständischen Abgaben und stellte sie in den Schatten 2 . Zwei Jahre später ließ der König-Kurfürst in der Oberrechenkammer, auch Oberrechnungskollegium oder Oberrechenrat genannt, eine Behörde errichten, mit der er diesmal etwas in Deutschland ganz Neues einführte. Damit gab er eine Anregung, der Preußen sehr bald. Osterreich in weiterem Abstände folgte 3 . In 1 Fritz Kaphan, Kurfürst und kursächsische Stände im 17. und im beginnenden 18. Jahrhundert, Neues Archiv f. sächs. Gesch., 43, 1922, 62—79. ' Robert Wuttke, Die Einführung der Landaccise und der Ceneralkonsumtionsaccise in Kursachsen. Phil. Diss. Heidelberg, 1890. * Dr. Lobe, Die oberste Finanzkontrolle im Königreich Sachsen. Finanzarchiv II, 2, 1885, 1—12?, b e s . 4 8 f . und U l f .
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der Instruktion von 1706 steht an erster Stelle nicht die deutsche Bezeichnung, sondern die französische „Chambre des Comptes". Das weist auf das Vorbild hin, von dem man in Sachsen aber nur eine ganz allgemeine Vorstellung gehabt haben kann. Denn die Chambre des Comptes bediente sich bei der Rechnungsprüfung eines gerichtsförmigen Verfahrens; sie war eine Cour souveraine, d. h. eine Spruchkammer, die mit Persönlichkeiten des erblichen oder käuflichen Amtsadels besetzt war und deren Urteile nur in königlicher Sitzung gebrochen werden konnten. Bei August dem Starken diente der Gedanke der Rechnungskontrolle von Anfang an als ein Mittel, mit dem er die landesfürstliche Herrschaft über die ständischen Steuerbehörden oder die eigenen, mit Männern des einheimischen Adels besetzten Kollegien durchsetzen wollte. Ursprünglich hatte er noch weitergehende Absichten gehabt. Ober sämtliche sächsischen Behörden setzte er bei seiner Abreise nach Polen in Fürstenberg ein Mitglied einer katholischen reichsfürstlichen Familie als seinen Statthalter mit um» fassenden Vollmachten ein und stellte ihn an die Spitze sowohl des alten Geheimen Rates wie eines neuen Generalrevisionsrates, welcher den besonderen Auftrag erhielt, die gesamte Staatsverwaltung zu überprüfen, frühere und gegenwärtige Vergehen, Unterschlagungen und nachlässige Geschäftsführung durch ein peinliches Verfahren gegen die schuldigen Beamten zu ahnden K In dieser dem alten Staate eigentümlichen Verbindung von Verwaltungsbehörde und Gericht sollte die Generalrevision die Gelder, die bisher bei den landesherrlichen und ständischen Einnehmern hängen blieben oder in überhöhten Unkosten versickerten, den Staatskassen wiedergeben. Zugleich spricht sich in dem Unternehmen das aufrichtige Streben nach Ausgleich der sozialen Spannungen im Lande aus, das der Regierung Augusts des Starken eignet 2 . Der Kurfürst wollte damals die Privilegisierung der höheren Schichten, die die Lasten des Staates auf die Schultern der Ärmeren und Geringeren legte, brechen und eine gleichmäßige Verteilung der Steuern erzielen. Daher sollte die Generalrevision sich mit besonderer Sorgfalt der Steuerverwaltung annehmen, sowohl ihre Geschäftsgebarung wie die Steuern selbst nach Grund und Wirksamkeit scharf ins Auge fassen. Der Generalrevisionsrat fand jedoch ein schnelles Ende, als sich herausstellte, daß die geringe Vermehrung der Einkünfte, die er mit Mühe erreichte, weder den großen Absichten des Herrschers entsprach, noch die Gegensätze, die er bei dem eingesessenen Adel erweckte, aufwog. So opferte August ihn leichthin, als die Stände ihm für den nordischen Krieg eine Million Gulden bewilligten 3 . Trotzdem blieb der Kurfürst auf seiner Linie. Den Gedanken der Generalkonsumtionsakzise, den er vor dem Widerspruch des Landtages von 1700 zurückgezogen hatte, führte er zwei Jahre später durch. Die Idee der Generalrevision fand in der Oberrechenkammer ihre bescheidene Verwirklichung. Jetzt sollte sie nur der Kontrolle der 1 Georg Wagner, Die Beziehungen August des Starken zu seinen Ständen in den ersten Jahren seiner Regierung (1694—1700). Phil. Diss. Leipzig, 1903.
* Wutlke, 58, 71 f. » Wagner, 161 ff.
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behördlichen Finanzgebarung dienen, sowohl bei der ständischen Steuerverwaltung wie bei der Kammer und der Akzisdirektion. Nur mit dem Unterschied gegen die spätere Entwicklung bei der gleichen Behörde in Preußen, daß dort eine bereits straff geordnete und sicher arbeitende Verwaltung kontrolliert wurde, während die O b e r rechenkammer in Sachsen erst eine solche Ordnung und Sicherheit herbeizuführen hatte. Der erhaltenden Tätigkeit, das zeigt das kursächsische ebenso wie das preußische Beispiel, war eine solche Kontrollbehörde gewachsen, darüber hinaus versagte sie jedoch. Als die Oberrechnungskammer in Preußen entstand, war der Kampf, zu dem sich die Gesamtheit der älteren Kollegialbehörden gegen den Machtwillen des Landesherrn zusammenfand, bereits ausgekämpft; in Sachsen entbrannte er noch einmal in dem Bemühen der Geschwisterbehörden, die Kontrolle lahmzulegen. Sie unterließen es, ihr die Rechnungen rechtzeitig zuzustellen, oder verweigerten die Belege. Daher kam es unter Brühl, der dem Gedanken der Revision sowieso nicht geneigt war, zu einer Neuorganisation, die die Oberrechenka'mmer vorerst ungefährlich machte 1 . Alle diese Neuerungen waren nur für Kursachsen selbst gedacht. Dagegen mangelte es zunächst an allen Einrichtungen, die den größeren Absichten des KönigKurfürsten genügt hätten. Da ihm die polnische Politik immer nur für kurze Zeit erlaubte, in eigener Person von Dresden aus zu regieren, war außer dem Statthalter in Sachsen ein Rat bei dem König selbst nötig. Zu übergreifenden Fachbehörden konnte es nicht kommen, weil die beiden Staaten, die nun unter dem gleichen Monarchen standen, in ihrer Verfassung und in ihrer Verwaltung so verschieden waren, daß die gegenseitige, durch die konfessionellen Unterschiede verstärkte Eifersucht auf ihre Selbständigkeit wohl berechtigt war. Zunächst richtete August bei sich eine eigene kleine Behörde für die sächsischen Angelegenheiten ein, dann versuchte er es für kurze Zeit, mit einem oder mehreren expedierenden Sekretären selbst zu regieren, d. h. die aus Sachsen kommenden Berichte des Statthalters und des Geheimen Rates persönlich zu bearbeiten und zu beantworten 2 . Es ist dieselbe Kabinettsregierung, die Friedrich Wilhelm I. ein Jahrzehnt später in Preußen einführte. August dem Starken gebührt zweifellos das Vorrecht des ersten Schrittes, nur läßt sich nicht behaupten, daß sein Kabinett das Vorbild für die Regierungsform Friedrich Wilhelms abgegeben hätte. Dieser hatte eine Einrichtung, die er so auf seine Persönlichkeit zuschnitt, vielmehr schon in seiner Kronprinzenzeit entwickelt und von Wusterhausen nur auf die größeren Verhältnisse des ganzen Staates zu übertragen *. Der reinen Kabinettsregierung bediente sich August, dessen Stärke nicht in stetiger Arbeitsleistung lag, nur kurze Zeit. Dann unterbaute er sie durch ein besonderes Geheimes Kabinettsministerium, das ihm das Sitzen über den Akten 1
Lobe, Finanzarchiv, II, 65. Johannes Dürichen, Geheimes Kabinett und Geheimer Rat unter der Regierung August des Starken in den Jahren 1704—1720, Neues Archiv f. Sachs. Gesch., 51, 1930, 75, 76 und 87. » Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm I., 342—343. 2
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ersparte. Der Anstoß kam aus dem Widerstand, der sich in Sachsen gegen seine polnische Kriegspolitik erhob, während sein Volk ihm den Luxus seines Hofes kaum übel nahm, weil er dem Lande guten Verdienst zu geben schien. Zu Trägern des Widerstandes machten sich der Geheime Rat und der Statthalter Fürstenberg. Nach der Niederlage von Fraustadt kam es soweit, daß der Geheime Rat seinen Kurfürsten aufforderte, die polnische Krone niederzulegen, und es unterließ, die notwendigen Verteidigungsmaßnahmen in Sachsen durchzuführen. Wahrscheinlich war es der Balte Patkul, der Mann, der am meisten dazu beigetragen hatte, August in die Wirren des Krieges gegen Schweden zu führen, der dem König von Polen den entscheidenden Rat gab, wie er das Kurfürstentum Sachsen mit seinen aufsässigen Landesbehörden unter seine Gewalt beugen könne. Das Ergebnis war die Begründung eines besonderen Kabinettsministeriums, in dem alle Berichte und Eingaben der sächsischen Oberbehörden und die Angelegenheiten der großen Politik durchberaten wurden, so daß sie nur mit dem Gutachten der neuen Minister vor den König kamen. Dabei verkehrte August nur schriftlich mit seinem Kabinettsministerium, wohnte den Sitzungen nicht persönlich bei und erteilte seine Weisungen grundsätzlich nur durch seinen Geheimen Referendar, der also die Stellung eines späteren preußischen Kabinettsrates bekam 1 . Dieser ursprüngliche Plan verdichtete sich 1706 zu einer Instruktion, nach welcher die Geschäfte für einige Zeit wirklich geführt wurden. Sie sieht ein dreiköpfiges Ministerium vor. An der Spitze den bisherigen Oberhofmarschall Pflugk ohne besonderes Departement mit der Aufgabe, die Verhandlungen zu leiten und das Siegel zu führen, weiter in der Person des Generals Flemming einen Minister für die auswärtigen und in der des Obersteuer- und Akzisedirektors Hoym einen für die inneren Geschäfte oder, wie sie hier hießen, affaires domestUfues, während die militärischen Angelegenheiten ohne besonderes Ministerium nur gelegentlich durch den Chef des Geheimen Kriegsrates vertreten wurden. Wir stehen vor einer völlig neuen Form der Zentralverwaltung, über den alten Geheimen Rat stellte August der Starke sein Kabinettsministerium, nahm der bisherigen höchsten Behörde seines Landes die auswärtige Politik und verkümmerte ihr auch die innere, indem er die verschiedenen Finanzkollegien ihrer Zuständigkeit entzog und ihnen befahl, sich nunmehr allein an das Kabinettsministerium zu wenden 2 . Die neuen Minister waren ebenfalls ein Kollegium, der Form nach isolange es bestand, in Wirklichkeit bis 1712, wo Flemming, der bisherige Chef des auswärtigen Departements, nach dem Tode Pflugks zugleich dirigierender Minister des Kabinetts wurde und eine Ära des Premierministeriums eröffnete. Vorher, solange Pflugk lebte, standen sich das äußere und das innere Departement gleichberechtigt gegenüber. Auch nach der Schwerpunktverschiebung behielten die Kabinettsminister ihre bisherigen Amter. Hoym blieb also Direktor des Obersteuerkollegiums und Akzisedirektor, und als ihm in Löwendal ein zweiter Minister der » Dürichen, 78—81. Dürichen, 92—93.
2
H a u s s h e r r , Verwaltungseinheit
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„domestiquen Affären" an die Seite gesetzt wurde, behielt dieser das Präsidium der Kammer, so d a ß zeitweilig die Leiter aller drei finanziellen Geschwisterbehörden im Kabinett s a ß e n 1 . Bei einem Ministerwechsel wurde Werthern als neuer Kabinettsminister des Innern zugleich zum Kanzler der Landesregierung und zum Direktor des Geheimen Rates ernannt, sein Ministerkollege Watzdorff mit der Direktion der Akzise und des Obersteuerkollegs b e t r a u t 2 . D e r G e d a n k e eines Kabinetts- oder Konferenzministeriums über dem Geheimen Rat muß in der Luft des absolutistischen Zeitalters gelegen haben. Wir bemerken die Ansätze dazu sogar in Ländchen wie Schwarzburg-Sondershausen 3 , sehen Ähnliches in Preußen unter dem ersten König im Werden, ohne jedoch auszureifen 4 , und stellen die gleiche Entwicklung mit aller Deutlichkeit in Württemberg fest, wo seit 1717 ein Konferenzministerium aus vier, dann zwei Geheimen Räten gebildet wird, während die bisherige Landkanzlei zur Geheimen Kabinettskanzlei aufrückt 5 . Im weiteren Verlaufe wurde das württembergische Kabinettsministerium mehrfach umgebildet, erweitert und wieder verkleinert, ganz a u f g e h o b e n und wieder e i n g e f ü h r t Für das Jahr 1765 ergibt sich dann aus dem „Kanzleistaat", d. h. aus einer Aufzählung sämtlicher Behörden mit ihrer Besetzung, daß von den beiden Kabinettsministern Karl Eugens der eine zugleich Geheimratspräsident und Leiter des Kriegsrats, der a n d e r e Mitglied des damals vierköpfigen Geheimen Rates, Chef der Landesregierung und des Hofgerichts w a r 6 . Wir begegnen hier also der gleichen Einteilung wie in Sachsen, wo sich in der Person Flemmings mit auswärtigen und Kriegsgeschäften ein Premierministerium herausgebildet hat, wie es sich später in Württemberg unter dem Grafen Montmartin herausbildet, während die domestiquen Affären hier wie dort in einem zweiten Kabinettsdepartement b e arbeitet werden. Damit stellt sich neben die preußische und neben die österreichische O r g a n i sation der obersten Behörden eine dritte, die der älteren Geheimratsordnung e b e n falls entwachsen ist: eine eigentümlich mittelstaatlich-deutsche Lösung. Sämtliche inneren und Finanzgeschäfte, von welcher Vielzahl von Einzelbehörden sie auch bearbeitet werden mochten, sind in der Hand eines einzigen o d e r zweier Kabinettsminister zusammengefaßt und treten zunächst gleichberechtigt neben die auswärtigen Sachen. Diese Lösung hätte zu höherer Bedeutung aufsteigen können, wenn sie unter Herrschern ausgebildet worden wäre, die zu ständiger Verwaltungsarbeit fähig und bereit gewesen wären. Das galt weder für 1
D&richen, 94, und die Listen S. 132. Dürichen, 113, und Liste 132. » Eberhardt, 37—38. * Otto Hintze, Staat und Gesellschaft unter dem ersten König. In Geist und Epochen der preußischen Geschichte (Ges. Abh. hrsg. Härtung, Bd. III). Leipzig 1943, S. 398. Das Preußische „Cabinettsministerium", das Friedrich Wilhelm I. 1728 für die auswärtigen und die Hoheitssachen begründete, ist aber etwas anderes) s Friedrich Wintterlin, Gesch. der Behördenorganisation in Württemberg, Stuttgart 1904, I, 66 f. • Wintteriin, 163—165. s
Finanz- und Innenverwaltung in der deutschen Staatenwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts
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August den Starken noch für Karl Eugen. So glitt das Kabinettsministerium mit gleichberechtigten Chefs der äußeren und der inneren Geschäfte in ein Premierministerium ab, dessen Träger sich die Herrschaft über den Staat anmaßen durfte. Das geschah noch nicht unter August dem Starken — der war eine zu bedeutende Persönlichkeit, um sich beherrschen zu lassen; aber unter seinem schwachen Nachfolger wurden die Günstlinge allmächtig. Graf Brühl, der seiner Zeit das Zerrbild eines Premierministers vorlebte, der seinen Staat an den Rand des Abgrundes führte und sich dabei bereicherte, war noch als Dreißigjähriger in den letzten Jahren Augusts des Starken in das Kabinettsministerium eingetreten Er war als Leibpage und Kammerjunker emporgekommen und wurde von dem alten König bald mit den Ämtern des Generalakzisdirektors, des Vizesteuerdirektors und schließlich noch des Kammerpräsidenten betraut. Erstand also an der Spitze aller drei Finanzkollegien, gehörte dem Geheimen Rat an und bearbeitete im Kabinett die domestiquen Affären. So verfügte er zugleich über die oberste Leitung der Finanzpolitik wie über die ausführenden Behörden. Wir wissen, daß August der Starke gerade die Chefs von Geschwisterbehörden zu Ministem seines inneren Departements gemacht hatte. Indem er Brühl erhob, war er einen großen Schritt weitergegangen. Sachlich sprach viel dafür: die bisherigen Behörden wurden nicht aufgehoben, aber in Personalunion vereinigt. Der umständliche alte Verwaltungsaufbau wurde nicht formal, aber tatsächlich vereinfacht, Reibungen und Verzögerungen in vielen Fällen ausgeschaltet. Es brauchte nicht schädlich zu wirken, daß nun ein einziger Mann alle inneren Fragen an den König herantrug, wenn der Träger so vieler Ämter seine Ausnahmestellung wirklich in erster Linie zum Heil seines Landes und Königs genutzt hätte, nicht zu persönlichen Zwecken, zur Ausschaltung aller Kontrolle über eine verschwenderische und selbstsüchtige Finanzgebarung, die nach dem Tode Augusts alles Bisherige in den Schatten stellte. Zunächst mußte sich Brühl mit dem Günstling des neuen Herrschers, dem Polen Sulkowski, einigen, der den Favoriten des Verstorbenen nicht verdrängen, aber für sich ausnutzen wollte. Brühl behielt die Leitung des inneren Departements im Kabinettsministerium und die Aufsicht über sämtliche Kassen, mußte Sulkowski aber sein Hofamt abtreten und sah ihn als Kabinettsminister in das Departement des Äußeren einrücken. Hier hätten wir wieder das Nebeneinander eines auswärtigen und eines inneren Departements, das auch sämtliche Finanzgeschäfte umschloß, an der höchsten Spitze der Staatsverwaltung vor uns. Doch fehlte das Einvernehmen zwischen den beiden Ministern, das nötig gewesen wäre, wenn sie auf dieser Bahn hätten fortschreiten wollen. Mehrere Versuche einer gemeinsamen Geschäftsführung scheiterten. Dabei hätte Brühl, der bessere Kenner der Verwaltung, die Akten durcharbeiten sollen, während sich Sulkowski auf Grund der Berichte seines Kollegen die Entcheidung vorbehalten wollte 2 . Durch den plötzlichen Sturz Sulkowskis gewann Brühl die Alleinherrschaft. Der Staatskalender von 1742 vermerkt: 1
Albrecht Philipp, Sulkowski und Brühl und die Entstehung des Premierministeramtes in Kursachsen. (Aus Sachsens Vergangenheit, Heft 4), Dresden 1920, S. 8 und 13. 1 Philipp, 30—40. 4'
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das Cabinet dirigieret und hat den Vortrag der drei Departements als: Domesticfue, Militair und Etranger: Se. Exz. Graf von Brühl 1 . Aus dem Innenminister war ein Premierminister ohne Kollegen geworden, wobei die bisherige Organisation der Form nach beibehalten und Brühl nur mit allen drei Departements betraut wurde. Der Titel eines Premierministers wurde ihm erst durch die Hofordnung von 1746 zugebilligt. Damit hatte die ältere kursächsische Verwaltung ihren Endpunkt erreicht. Als Brühl nach dem Siebenjährigen Krieg endlich zurücktreten mußte, erfolgte eine Rückbildung im konservativen Sinne, etwa auf den Stand, den August der Starke mit Kabinettsministerium, Akzisdirektion und Oberrechenkammer erreicht hatte. Dessen bedeutende Leistung war um ihre Wirkung gekommen, weil der neuen Spitze in Gestalt von einem oder zwei Kabinettsministern für sämtliche Innen- und Finanzgeschäfte kein Umbau der unteren Organisation entsprach. Die alten O b e r behörden waren durch das neue Haupt nur zu einer Zwischeninstanz geworden: Die Reibungen zwischen dem streng absolutistischen, überwiegend aus Landesfremden bestehenden Ministerium und dem doch fast durchweg ständisch gesinnten Geheimen Rat mit den Geschwisterbehörden hörten nicht auf; sie wurden eher verstärkt durch die Entwicklung eines Premierministeriums. Selbst wenn ein Brühl in Kursachsen, ein Montmartin in Württemberg den Willen dazu gehabt hätten, wäre die Aufgabe, neben der eigentlichen Staatsleitung den verschiedenen mittleren Behörden, deren Chefgehälter sie bezogen, wirklich vorzustehen, über menschliche Arbeitskraft hinausgegangen. Von diesem Hintergrunde hebt sich die Leistung Friedrich Wilhelms 1. in ihrer vollen Größe ab. In Preußen gingen die beiden „Geschwisterbehörden" der Domänen- und Akziseverwaltung wirklich in einem neuen kollegialen Ministerium auf und v/urden zu einer einzigen Oberbehörde des Innern und der Finanzen. Dazu schuf er für die auswärtigen und die Hoheitssachen ein besonderes Kabinettsministerium, das mit dem kursächsischen nur den Namen gemein hat, und für die Rechtsprechung und die Justizverwaltung das Justizdepartement. Um 1700 war Kursachsen der einzige deutsche Staat außer Osterreich, der sich noch ebenbürtig neben, ja über Kurbrandenburg stellen durfte. Als sich der Kurfürst Friedrich III. die preußische Königskrone aufs Haupt setzte, trug August der Starke die polnische bereits; und der persönlichen Gewalt, die der mächtige Mann dem leicht verwachsenen und gehemmten preußischen Vetter entgegenzusetzen hatte, entsprach der Vorsprung an Wohlhabenheit und Gewerbefleiß, den Kursachsen aufwies. Trotzdem ist Sachsen bald hinter Preußen zurückgeblieben, weil Friedrich Wilhelm I. anders als die Nachfolger Augusts die Gefährdung seines Staates durch überspannte außenpolitische Ziele vermied, und weil er damit begann, die gesamten Grundlagen der inneren Verwaltung nach anderen als den sächsischen Gesichtspunkten umzubauen. Während er sämtliche Zweige der Innen-, Finanz-, Wirtschaftsund Militärverwaltung sowohl in der Zentral- wie in der Provinzialinstanz in einer i Philipp, 90.
Finanz- und Innenverwaltung in der deutschen Staatenwelt zu Beginn des 18. Jahrhunderts
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einzigen Behörde zusammenfaßte, wurde der Fortschritt, den man in Kursachsen mit einem Kabinettsminister für alle domestiquen Affären gemacht hatte, nicht weitergeführt, Auf der großen Innenbehörde, wie sie das Generaldirektorium darstellte, beruhte die innere Leistungsfähigkeit Preußens; sie sicherte Ihm den Vorsprung vor allen anderen Staaten Deutschlands und machte die gewaltigen äußeren Erfolge Friedrichs möglich. Wie stark dies Beispiel wirkte, läßt sich an Osterreich erkennen, das nach zwei verlorenen Kriegen den Schweren Entschluß fand, dem Sieger die zusammengefaßte Innenverwaltung nachzumachen.
III. Die habsburgische Monarchie D i e h a b s b u r g i s d i e M o n a r c h i e b e s a ß die älteste und ehrwürdigste O r g a n i s a t i o n der inneren und F i n a n z g e s c h ä f t e 1 . W a s wir in den Kleinstaaten am Ende des 1 8 . und am A n f a n g des 19. Jahrhunderts sich h a b e n entwickeln s e h e n , stand in O s t e r reich seit 1 5 2 7 in reifer Vollständigkeit da, ein Vorbild für alle a n d e r e n deutschen S t a a t e n . Ferdinand I., der die deutschen E r b l a n d e des Hauses als Statthalter s e i n e s Bruders Karls V . regierte, war von seinen Ständen g e d r ä n g t w o r d e n , das R e g i m e n t durch einen einzigen, aus seiner spanischen Heimat mitgebrachten B e r a t e r fallen zu lassen und dafür kollegiale Behörden einzurichten, die durch ihr Dasein B e s t ä n d i g keit und Sicherheit von Rechtsprechung
und Verwaltung v e r b ü r g t e n . Aus d i e s e r
Notlage hat Ferdinand a b e r einen wohldurchdachten A u f b a u g e s c h a f f e n , d e r in seinen Grundzügen
bis zum Umsturz von 1 8 4 8
b e s t e h e n bleiben
konnte.
Dank dafür ist ihm die Geschichtswissenschaft noch schuldig g e b l i e b e n ;
Den
e s gibt
b i s h e r keine Darstellung, die sowohl die A n r e g u n g e n von außen wie die E i g e n leistung in d e r nötigen W e i t e und Ausführlichkeit w ü r d i g t 2 . Als e r die n e u e O r g a n i s a t i o n schuf, war Erzherzog Ferdinand e b e n König v o n B ö h m e n und Ungarn g e w o r d e n . Das verpflichtete ihn doppelt, nach Einrichtungen zu suchen, die g e e i g n e t w a r e n , eine Reihe von b i s h e r selbständig n e b e n e i n a n d e r stehenden Ländern zusammenzubinden. Auf diesem W e g e waren bisher nur die H e r z ö g e von Burgund v o r a n g e g a n g e n , die e i n e e r e r b t e und erstrittene M a s s e v o n 1 Otto Hintze, Der österreichische und der preußische Beamtenstaat im 17. und 18. Jahrhundert, in Staat und Verfassung (Ges. Abh. hrsg. Härtung, I), Leipzig 1941, 3 1 1 — 3 4 8 . Heinrich Otto Meisner, Das Regierungs- und Behördensystem Maria Theresias und der preuß. Staat, Forsch, z. Brand, und Preuß. Gesch., 53, 1941, 324—357. Fritz Härtung, Die Ausbildung des absoluten Staates in Preußen, Osterreich, in Das Reich und Europa, hrsg. 77». Mayer und W. Platzhoff, Leipzig 1941, 64—78. 2 Der Streit um die burgundischen Einflüsse hat die wissenschaftliche Arbeit vornehmlich auf die Organisationsversuche Maximilians gelenkt. Theodor Mayer deutet in seiner a b schließenden Abhandlung, Die Verwaltungsorganisationen Maximilians I., ihr Ursprung und Ihre Bedeutung (Forsch, z. inneren Gesch. Österreichs, hrsg. Dopsch, Heft 14), Wien 1920, S. 79 f., an, daß die Einflüsse auf das übrige Deutschland wahrscheinlich in erster Linie von den Reformen Ferdinands ausgegangen sind, die er selbst nicht mehr eingehend darstellt. Diese Gedanken führt Fritz Härtung, HZ 124, 1921, 258—264, unter dem Titel „Zur Frage nach den burgundischen Einflüssen auf die Behördenorganisation in Osterreich" weiter und weist noch nachdrücklicher auf die bedauerliche Lücke in unserer bisherigen Kenntnis hin. Für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung vgl. Härtung, HZ 167, 1943, 3 — 1 2 . Die Arbeit von Rosenthal, Die Behördenorganisation Kaiser Ferdinands I., Arch. f. ö. Gesch., 69, 1887, 51 ff., hat die Lücke nicht ausgefüllt.
Die habsburgisdie Monarchie
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Ländern und Ländchen zum ersten Male mit kollegialen Behörden überwölbten. Ihr Nachfolger wurde der Habsburger Maximilian; a b e r in der Verwaltung einzelner Länder wie Tirol hat e r sicher mehr an das dort V o r g e f u n d e n e angeknüpft. Wie weit das burgundische Beispiel einer Organisation f ü r ein ganzes Bukett von Besitzungen auf ihn wie auf Ferdinand gewirkt hat, soll hier nicht erörtert werden Jedenfalls stellt die Leistung Ferdinands alles a n d e r e als ein bloßes Abbild der burgundischen dar. Was 1527 ins Leben trat, waren Hofstellen, die bereits entsprechende Behörden in den einzelnen Ländern voraussetzten. Diese sind in d e r habsburgischen Monarchie vor den Zentralstellen entstanden und führten ein gewisses Eigenleben in der Entfernung von einem Herrscher, der wie Maximilian meist zu sehr mit seinen gratis et pesans affaires"1 beschäftigt war, als daß e r sie unter seiner dauernden Aufsicht hätte halten können. Die Länderstellen bildeten daher f r ü h e r den Charakter ihrer eigenen Verwaltungsführung als Vorläufer eines Verwaltungsrechtes aus, während die eigentlichen Hofstellen überall mehr Ratskörperschaften, die die allerhöchste Entscheidung nur vorbereiteten, o d e r Sekretariate f ü r die Willensäußerungen des Monarchen darstellten. Damit war ihnen nur ein geringer Spielraum der Eigenentscheidung gelassen. Die Behörden in den Ländern standen auch in e n g e r Beziehung zu den jeweiligen Ständen, die eifersüchtig auf ihre Selbständigkeit und auf ihre Sonderrechte pochten. Hier finden wir unter verschiedenen Namen Regierungskollegien, die die Hoheit des Landesherrn und die der Stände — a b e r nur in ihrem eigenen Lande — vertraten und zugleich Gerichte und Verwaltungsbehörden waren, wie wir dies bei den Regierungen a n d e r e r deutscher Staaten bereits kennen. Daneben stand in jedem einzelnen Lande ein Kammerkollegium, das die Landgüter und landesherrlichen Regalien hütete. Das alles war bereits vorhanden o d e r in der Entstehung begriffen, als Ferdinand I. seine Zentralbehörden darüberstellte: eine Hofkammer für die Eingänge aus dem gesamten Kammergut und aus den Regalien, einen Hofrat als oberstes Gericht, eine Hofkanzlei f ü r die Korrespondenz mit den verschiedenen Ländern und über allem einen Geheimen Rat für die „hoch schwer und geheimen Sachen und Geverlichkeiten", d. h. f ü r die eigentlich politischen Angelegenheiten, besonders f ü r die Beziehungen zu den auswärtigen Mächten. Auch dieser Geheime Rat hatte ebenso wie die späteren Geheimräte a n d e r e r Staaten das Recht, Hofräte o d e r Kammerräte zum Bericht aufzufordern, a b e r o h n e die Gewalt zu gebieten und zu verbieten, d. h o h n e wirkliche O b e r o r d n u n g 2 . Wir begegnen den gleichen Grundformen, deren gesamtdeutsche Geltung wir kennengelernt haben, in einer besonderen Ausprägung. Hier in der habsburgischen Monarchie haben wir a b e r nicht die abgeleiteten Nachbildungen o d e r kleinstaatlichen Kümmerformen vor uns, sondern den ganzen Reichtum ursprünglicher Schöpfung aus großstaatlichem Selbstbewußtsein. Ebenso wie die spätere preußische 1
Theodor Mayer, 32.
2
O Z V 1 1, 38.
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Behördenorganisation ist uns die österreichische j ü n g s t durch ein umfassendes W e r k zugänglich gemacht worden. A b e r während die Acta Borussica in m e h r als fünfzehn Bänden und D o p p e l b ä n d e n v o r allem Akten abdrucken, finden wir hier n e b e n vier Aktenbänden
die g a n z e
Geschichte der österreichischen
Maximilian v o r e r s t bis zum T o d e Leopolds 1!. dargestellt.
Zentralverwaltung
von
Für das 16., 17. und
den Beginn des 18. J a h r h u n d e r t s in d e r streng auf ihren G e g e n s t a n d beschränkten A r b e i t Fellrier-Kretschmayrs, für die Regierungszeit
der g r o ß e n
Kaiserin in d e r
weitblickenden, g e r a d e z u spannenden Schilderung Friedrich Walters, e i n e m M u s t e r d e r Verwaltungsgeschichtsschreibung, dem wir für keinen a n d e r e n deutschen S t a a t etwas Entsprechendes e n t g e g e n z u s e t z e n h a b e n 1 ; denn die b e d e u t e n d e A r b e i t O t t o Hintzes gibt wohl einen Querschnitt durch d i e preußische Verwaltung von
1740,
a b e r nicht den geschichtlichen Ablauf in seiner Vollständigkeit. D i e Geschlossenheit, in d e r die „ O s t e r r e i c h i s c h e Zentralverwaltung" früher zu ihrer Vollendung heranreifen k ö n n e n , muß freilich durch einen
wird
Nachteil erkauft w e r d e n : sie b e -
schränkt sich b e w u ß t a u f die Zentralstellen, während das preußische W e r k auch die Akten ü b e r die Entstehung und das Leben der unteren B e h ö r d e n mit abdruckt. Infolgedessen sehen wir das preußische Generaldirektorium o d e r das J u s t i z d e p a r t e ment in d e r A r b e i t an der Gestaltung und Weiterbildung ihrer Unterstellen v o r uns, sehen a l s o
in das
eigentliche L e b e n und Wirken der Z e n t r a l b e h ö r d e n
hinein,
während wir sie für O s t e r r e i c h nur in den V o r b e r e i t u n g e n an den höchsten S t a a t s stellen
und in den Instruktionen ins L e b e n treten,
in n e u e r V o r b e r e i t u n g
und
Instruktion umorganisiert und schließlich nach weiteren Beratungen w i e d e r a b g e 1 Erschienen in den Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs, Verlag Holzhausen, Wien. Im folgenden w'rd zitiert:
O Z V I 1 = Die österreichische Zentralverwaltung. I. Abt. Von Maximilian bis zur Vereinigung der österreichischen und der böhmischen Hofkanzlei (1749). I . B d . Gesch. Übersicht von Thomas Fellner, nach dessem Tode bearbeitet und vollendet von Heinrich Kretschmayr. (Veröffentl. Nr. 5), 1907. O Z V I 2 = 2. Bd. Aktenstücke, 1491—1681. (Veröffentl. Nr. 6), 1907. O Z V 1 3 = 3. Bd. Aktenstücke, 1683—1749. (Veröffentl. Nr. 7), 1907. O Z V I11 = II. Abt. Von der Vereinigung der ö. u. böhm. Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung (1749—1848). I.Bd., I.Halbbd. Die Gesch.d.ö.Zentralverwaltung in der Zeit Maria Theresias (1740—1780) von Friedrich Walter. (Veröffentl. Nr. 32), 1938. O Z V II 1a = I.Bd., 2.Halbbd. Die Gesch. d. ö. Zentralverwaltung 1700—1848. Teil I: Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. (1780—1792) von Friedrich Walter (Veröffentl. Nr. 35), 1950. O Z V II 2 = 2 . Bd. Die Zeit des Directoriums in Publicis et Cameralibus (Vorstadium 1743—1949 und Direktorium 1749—1760). Aktenstücke, bearbeitet von Joseph Kallbrunner und Melitta Winkler (Veröffentl. Nr. 18), 1925. O Z V II 3 = 3. Bd. Vom Sturz des Directoriums in Publicis et Cameralibus bis zum Ausgang der Regierung Maria Theresias. Aktenstücke bearbeitet von Friedrich Walter. (Veröffentl. Nr. 29), 1934. O Z V II 4 = 4. Bd. Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. Aktenstücke, hrsg. von Friedrich Walter. (Veröffentl. Nr. 36), 1950.
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schafft sehen. In die Lücke, die sich hier notwendigerweise ergibt, tritt bisher keine neuere Darstellung der einen oder der anderen Zentralbehörde selbst, etwa der Hofkammer oder des Hofkriegsrats. Doch hoffen wir auf den folgenden Blättern zu zeigen, wie sich der Reichtum des Gegebenen für unsere Zwecke ausschöpfen läßt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich der Geheime Rat beinahe verflüchtigt; die Zugehörigkeit zu ihm war, wie in Preußen, ein bloßer Titel geworden, und die eigentlichen Geschäfte wurden in einem Ausschuß von Vertrauten des Kaisers besprochen,, der seit 1669 den Namen einer Geheimen Konferenz, seit 1709 einer Ständigen Konferenz trug \ Der ehemalige Hofrat war als Reichshofrat Behörde und Gericht des Reiches geworden und ganz aus der Verwaltung der österreichischen Erbkönigreiche und Länder hinausgedrängt. Dafür war noch unter Ferdinand I. der kollegialische Hofkriegsrat entstanden, der freilich erst kurz vor dem Dreißigjährigen Kriege zu dauernder Wirkung als Oberbehörde für das gesamte Kriegswesen aller Länder, auch Ungarns und Böhmens, gelangte. Er wurde das Vorbild für die verschiedenen Kriegskollegien, die Ende des 17. Jahrhunderts in anderen deutschen Staaten begründet wurden. Diejenige Behörde, in der sich das Wesen des älteren Staates oder der älteren Ländermassen am stärksten ausprägte, war die Hofkanzlei, oder besser die Hofkanzleien, die ihre Eigentümlichkeiten so bald entwickelten, daß es in den anderen deutschen Staaten nichts Ähnliches gab. Zunächst hatte Ferdinand nur eine Hofkanzlei begründet, eine Art von Staatssekretariat in dem Sinne, daß diese Hofstelle sämtliche Befehle der Majestät sowie die Angelegenheiten des Geheimen Rates ausfertigte, soweit sie die eigentlich politischen Geschäfte betrafen. Die ungarischen und die böhmischen Sachen wurden zuerst von besonderen Sekretären erledigt. Diese gaben die Befehle des Königs an die Kanzler weiter, die sich im Unterschiede zu dem Hofkanzler nicht am Hofe, sondern in ihren Ländern aufhielten, ein Zeichen dafür, wie schwer es den Ländern fiel, sich in den habsburgischen Gesamtstaat einzuordnen. Mit der Erhebung Ferdinands zum Kaiser verschmolz die Hofkanzlei mit dem Hofrat zu einer Reichshofkanzlei. Aber ihre Wirkung litt bald unter den Erbteilungen und unter dem Bruderzwist in Habsburg. Anfang des 17. Jahrhunderts sonderte sich der Reichshofrat als Behörde und Gericht des Reiches wieder von der Hofkanzlei, der nunmehr alle Angelegenheiten der österreichischen Länder und des habsburgischen Hauses anvertraut wurden (1620). Jetzt erst wurde die österreichische Hofkanzlei, wie sie dann länger als ein Jahrhundert bestanden hat, sichtbarer Ausdruck für den beginnenden Interessengegensatz zwischen dem Reich und der Monarchie. Es waren die Jahre, in denen Ferdinand II. das aufständische Böhmen mit den Kräften des Reiches niederwarf und es durch die Schlacht am Weißen Berge zur Anerkennung der habsburgischen Erbfolge zwang. Jetzt wurde die böhmische Kanzlei an den Hof verlegt. Die böhmische Hofkanzlei entstand, deren Aufgabe nach der Verneuerten Landesordnung für Böhmen darin bestand, alle „politische und solche Sachen, welche den slatum betreffen", zu beraten, dem Monarchen vorzutragen und dann auszu1
O Z V I 1, 5 3 f. und 5 8 f.; vgl. Resolution Josephs I., 7. März 1709; O Z V I 3. 5 2 — 5 5 .
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fertigen L. im weiteren Verlaufe traten dann noch eine ungarische und eine siebenbürgische zur österreichischen und böhmischen Hofkanzlei hinzu. „Die politischen und solche Sachen, die den statum betreffen", diese Ausdrucksweise des 17. Jahrhunderts wäre noch im 18. am Platze gewesen, wo die Angelegenheiten, die die Hof kanzleien bearbeiteten, als Publica und Politica bezeichnet wurden. Neben ihnen stand noch die Menge der Justizsachen, da die Hofkanzleien den Gerichten ihrer Ländergruppen als Hofgerichte übergeordnet waren. Diese ungeschiedene Zuständigkeit für die eigentliche Politik, die-äußere wie die innere, und für die Justiz ist uns bei den Regierungen und den Geheimen Räten anderer deutscher Länder wohl bekannt. In der habsburgischen Monarchie, wo es die Regierungen als Zentralinstanz oder einen wirklich amtierenden Geheimen Rat nicht mehr gab, waren diese Aufgaben auf die Hofkanzleien übergegangen. Dabei umfaßte der Begriff der Publica und Politica tatsächlich sowohl innere wie äußere Angelegenheiten, nicht bloß bei der österreichischen Hofkanzlei, der die eigentliche Außenpolitik des Erzhauses zusammen mit der inneren der österreichischen Ländergruppe anvertraut war, sondern auch bei den böhmischen, wo es doch nach unseren Begriffen gar keine äußeren Angelegenheiten mehr geben konnte, nachdem die Eigenstaatlichkeit zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges in Blutund Tränen dahingegangen war. Trotzdem erklärt die Instruktion für die böhmische Hofkanzlei noch 1719 „als Publica alle Reichs-, regenspurgische Comitial- (d. h. Reichstags-), königliche Landund Fürstentags-, Kontributions-, Kriegs-, Provinzial- und Commerzial- wie auch pure Gratialsachen als Standeserhöhungen und Diplomatica (d. h. Beurkundungen)" *. Immerhin zeigt sich hier doch noch ein Rest von auswärtigen Sachen in der Vertretung des Kurfürstentums gegenüber dem Reiche, nur daß sie mit den inneren Angelegenheiten in einem Atem aufgezählt und beide als Publica und an anderer Stelle als Politica zusammengefaßt werden. Für uns gehört die Trennung zwischen äußerer und innerer Politik zu den Grundvorstellungen der Staatslehre; der ältere Staat behandelte dagegen die inneren Fragen oft in der Form der auswärtigen Beziehungen, weil die Länder und ihre Stände ihm ähnlich wie die fremden Mächte als Körperschaften eigenen Willens und eigner, nicht einfach vom Monarchen abgeleiteter Rechte gegenübertraten, weil die Beziehungen zwischen Herrscher und Ländern nicht als ein Verhältnis der Unterordnung behandelt wurden, sondern sich auf Grund von Verträgen zwischen Trägern eigentümlicher politischer Gewalt herausbildeten. In diesem Sinne vertraten die Hofkanzleien den Willen des habsburgischen Herrschers bei ihren Ländern, in denen wiederum nicht sie, sondern die hochadligen Landesoffiziere wirklich regierten; auf der anderen Seite fühlten sie sich als die Vertreter des Landes bei dem Landesherrn und erhoben den Anspruch, daß „nur durch die Canzeleien die königlichen Befehle den Ländern zu intimieren wären"s. 1
OZV I 2, OZV 1 3, 3 So drückt 1748, OZV il 2, 2
441, vgl. OZV I 1, 192. 320. sich Haugwitz als Gegner aller ständischen Rechte aus: Vortrag Okt./Nov. 242.
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Dabei war man zu Anfang des 18. Jahrhunderts durchaus befähigt, die innere von der auswärtigen Politik gedanklich und verwaltungsmäßig zu scheiden. In der österreichischen Hofkanzlei, wo die Masse der auswärtigen Geschäfte zusammenlief, ergab sich eine Überlastung des Kanzlers, solange dieser außerdem für die inneren Angelegenheiten und für die Rechtsprechung seiner Ländergruppe verantwortlich war. Noch schritt man nicht zu einer völligen Trennung der Behörde — diesen Schritt tat erst Maria Theresia mit der Begründung der Haus-, Hof- und Staatskanzlei (1742) —, unter Karl VI. half man sich vielmehr mit einer Geschäftsverteilung innerhalb der österreichischen Staatskanzlei und mit der Bestellung eines zweiten Kanzlers. Hier wurde deutlich „zwischen den Haus- und Publicis undt zwischen den Provinzialibus ein Unterschidt gemacht", dem Ersten Kanzler die als vornehmer geltenden eigentlich politischen Sachen, d. h. die auswärtigen und die des Erzhauses, dem Zweiten Kanzler die inneren zugewiesen 1 . Doch blieb es die Aufgabe des Ersten Kanzlers, die Proposition, die Thronrede mit den fürstlichen Forderungen gegen das Land, zu verlesen, wenn der Monarch einen österreichischen Landtag in eigener Person eröffnete *. Sonst traten die obersten Landesoffiziere, also die vom Landesherrn aus der Mitte des landesständischen Adels gewählten Beamten, mit der Proposition, die sie aus der Hofkanzlei empfangen hatten, vor den Landtag. Ihr Inhalt bestand in den Geldforderungen an die Stände; denn diese hatten die Mittel zu bewilligen, aus denen die vorhandenen Regimenter bezahlt, neue Rekruten geworben wurden, sie mußten im Kriegsfalle für Verpflegung und Versorgung einstehen, wenn Truppen aus anderen Gebieten in das Land gelegt wurden, um dem Feinde entgegenzutreten. Alles das erledigten die Stände nach Möglichkeit in eigener Regie, legten die Steuern auf Bauern und Städte um, zogen sie ein und ließen den Ertrag in vielen Fällen gar nicht nach Wien an die Hofkammer gehen, sondern schlössen selbständig mit den Regimentern a b 3 . Das ging nicht ohne Reibungen vor sich, Reibungen, die weniger darin lagen, daß die Stände sich gegen die kaiserlichen Propositionen gesträubt hätten, — die pflegten sie vielmehr nach einigem Hin und Her zu bewilligen, — als daß die Bewilligungen nur stockend und selten in voller Höhe bezahlt wurden. Ein Teil der Steuern, die wirklich im Lande aufgebracht wurden, blieb dabei als Domestícale in den Händen derjenigen ständischen Beamten, die sich mit ihren einträglichen Posten versorgt hatten \ und die eifersüchtig darüber wachten, daß die Mittel ihrer eigenen Länder nicht Regimentern aus anderen Landesteilen zugute kamen. Das waren die Schwierigkeiten, die den Prinzen Eugen als Präsiden1 Handschreiben an den Hofkanzler Sinzendorf, 31. Mai 1719; OZV I 3, 349: In der Instr. v. 26. Mai 1720, OZV I 3, 357, heißt es: „die Haus- und auswärtige Staatssachen von den Provinzialibus und Judiclalibus separieret." 2 O Z V I 1, 163 f. 3 Die eindringlichste Sdiilderung aus der Zeit Maria Thereslas in den Berichten des preuß. Gesandten Podewils vom 15. Juni und 28. Juli 1748; Carl Hinridis, Friedrich d. G r o ß e u. Maria Theresia, Berlin 1937, S. 125 ff. 4 Bericht Podewils, 28. Juli 1748. Hinrichs, 137, und Notata Haugwitz, Dez. 1743; O Z V II 2. 141.
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ten des Hofkriegsrats mitten im Kriege zu dem Stoßseufzer veranlaßten: „Wenn die Länder nichts tun, auch sonst keiner Hand anlegen will, so mag man es bleiben lassen, denn alles kann ich nicht helfen; am meisten aber wundern mich unsere Herren Landstände, welche, wenn ihnen die Gefahr auf den Hals kommt, erbärmlich schmähen und lamentieren und nachgehends, wenn solche einen Tag gewichen, sogleich wieder gegen das Aggravio der Miliz protestieren: wollen keinen Unterhalt geben und gleichwohl bedecket und geschützet sein ' 1 . Solche Erscheinungen hat das ständische Wesen überall in Deutschland gezeitigt. Der Begriff des Dualismus wird dem aber nicht gerecht. Auch da, wo in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und bis über sein Ende hinaus die Steuerverwaltung ganz in ständischen Händen lag, war sie doch nicht wirklich von der des Landesherrn getrennt. Die Beamten, die sie einnahmen, waren zwar aus den Reihen der Stände entnommen, aber vom Landesherrn entweder bestätigt oder ernannt. Ebenso wie sie bis hinauf zu den Hofkanzleien das Land gegenüber dem Landesherrn vertraten, so vertraten sie doch auch den Landesherrn und seine Forderungen gegen das Land. Den Landtagen der österreichischen Länder entsprachen im 18. Jahrhundert keine preußischen mehr; aber die Stellung der Landesofffziere auf der Ebene der Länder läßt sich auf der des Kreises wohl mit den preußischen Landräten vergleichen, die bis ins 19. Jahrhundert von den Kreisständen präsentiert und vom König ernannt wurden, wobei der Monarch sich unbedingt auf sie verlassen durfte, ü b e r dem Landtag oder den Landesoffizieren auf der einen und dem Landesherrn auf der anderen stand doch immer die Idee des Landes als einer gemeinsamen Sache, für die der Herr mit Schutz und Schirm, der Adel mit Rat und Hilfe, auch der geldlichen, einzutreten h a t t e n D i e Verschiedenheit der Religion hätte das Verhältnis zwischen Land und Herrschaft einmal völlig auflösen können; nachdem die böhmische Empörung niedergeworfen und auch der Adel der österreichischen Länder zum Glauben des Erzhauses zurückgeführt worden war, war die Gemeinsamkeit der Landessachen wieder lebendig geworden. Mit Ausnahme der ungarischen verzichteten die Stände jetzt auf jeden Versuch einer eigenwilligen Politik, eines Anschlusses an fremde Mächte. Jedoch reichte dieser früh errungene Sieg nicht in die Steuerhoheit der Stände hinein, brachte sie nicht dazu, sich über ihr eigenes Land hinaus für die Gesamtheit der Länder ihrer Herrschaft verantwortlich zu fühlen. In Preußen war es dem Großen Kurfürsten gelungen, den Eigenwillen seiner Länder zu brechen und die gesamtstaatliche Steuerhoheit aufzurichten, ein Erbe, das Friedrich Wilhelm I. in seiner Verwaltungsreform doch nur zu übernehmen brauchte; in Osterreich stellte sich erst Maria Theresia die Aufgabe, ihre Souveränität zu stabilisieren, und das erste Opfer, das ihrer Verwaltungs- und Verfassungsreform fiel, war die österreichische und die böhmische Hofkanzlei mit ihren ständischen Verbindungen. Die eigentliche Finanzbehörde der Monarchie, die Hofkammer, hatte keine Möglichkeit, auf einem anderen Wege in die Aufbringung der Militärlasten durch 1 Zit. Wolf, Sitzungsber. Ak. Wiss. Wien, Phil.-Hist. Kl. 11, 1853, 455, nach Militärische Corr. Prinz Eugens II, 231—233. ' Otto Brunner, Land und Herrschaft, 3. Aufl., 1943, 473 ff.
Heller,
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ständische Steuern einzugreifen als durch Ersuchen an die Hofkanzleien, die Landesstellen zur Zahlung und Abrechnung aufzufordern. Ihr fehlte die Gewalt, aus eigenem Rechte anzuordnen und die Beachtung ihrer Anordnungen zu erzwingen. „Maßen die Kräfte des Cameraiis zu Beförderung des allerhöchsten Interesse zu schwach, wenn es nicht zugleich das bracchium in Händen hat, sondern allererst durch verzögernde, beschwerliche Umwege von dem politico erbitten muß", mit diesen Worten kennzeichnet der schärfste Vertreter des theresianischen Absolutismus den Fehler, dem er abhelfen möchte 1 . Preußen hatte sich in den Kriegskommissariaten, also in der Militärverwaltung selbst, einen Instanzenzug für die Einbringung von Kontribution und Akzise geschaffen, der von der Spitze bis hinunter zu den Städten allein vom Landesherrn abhing und sich nur in den Landkreisen der ständisch-fürstlichen Landräte bediente. Das österreichische Generalkommissariat war dagegen eine bloße Militär-Intendanturbehörde ohne Befugnisse gegenüber den Steuerträgern. Das Osterreich Leopolds I. (1657—1705), Josephs I. (1705—11) und Karls VI. (1711—40) hatte es unterlassen, sich eine so scharfe Waffe zu schmieden, wie die es war, mit der sich der preußische Absolutismus gegen die Kräfte seiner Länder durchsetzte. Immerhin hatte die Hofkammer keine entsprechende ständische Stelle neben sich: sie blieb der einzige Träger der gesamtstaatlichen Finanzhoheit. Obwohl sie einmal als kollegialische Zentralbehörde mit auf das Andringen der Stände eingerichtet worden war, und vielleicht gerade weil sie eingerichtet wurde, verzichteten die Generallandtage, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts tagten, auf eine eigene generalständische Finanzverwaltung, sowie sie auch nicht daran dachten, sich als ewige Generalstände zu konstituieren. Anders als in England oder in Polen, anders auch als im Reiche blieben die österreichischen Stände, wie überall in Deutschland, auf ihr Land beschränkt und überließen es dem Landesherrn, ihnen mit Forderungen zu kommen, die sich jedesmal allein auf das Land bezogen. Die Finanzverwaltung, die sich der Landesherr dagegen für sein Kammergut und für die Regalien schuf, war seit Ferdinand I. gesamtstaatlich. Damit war die Behörde g e schaffen, die sich im Fortschreiten des Absolutismus zu einer wenigstens in der Idee allumfassenden Finanzstelle erheben konnte. Da sie dem Monarchen von Anfang an als Beirat und als Sekretariat für alle Finanzfragen diente, sprach sie von vornherein das entscheidende Wort bei den Forderungen an die Länder und prüfte dann die Abrechnungen, soweit die Stände sich dazu bequemten, sie zu liefern. Die Hauptaufgabe der Hofkammer bestand aber in der Verwaltung der landesherrlichen Nutzungen im engeren Sinne. Wer wie der nachmalige preußische Großkanzler Fürst um die Mitte des 18. Jahrhunderts Osterreich bereiste, bemerkte freilich mit einiger Verwunderung: „Die Domänen der Kaiserin sind nicht von Bedeutung. Die Prinzen vom Hause Osterreich waren niemals gute Ökonomen und haben die meisten veräußert, besonders an die Geistlichkeit" 2 . Dabei übersah der i Haugvitz' Notata. Dez. 1743. OZV 11 2, 143. * Leopold von Ranke, Zur Geschichte von Osterreich und Preußen zwischen Friedensschlüssen von Aachen und Hubertusburg, Leipzig 1875, 24.
den
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Preuße den Zwang, der von dem beständigen Doppelkrieg für das Reich gegen Türken und Franzosen ausging und die Verpfändung und Veräußerung wertvoller Landgüter nötig machte. D a f ü r bemerkte er wohl, welche Quelle des Reichtums die Bergwerke darstellten 1 . Nicht die Domänen, sondern die Regalien machten den wertvollsten Besitz des Erzhauses aus. Zu ihnen gehörten mit Markt und Straße auch die Zölle und die damit verwandten, später sogenannten indirekten Steuern, die sämtlich der Zuständigkeit der Hofkammer unterworfen waren, während sich die Länder an die Kontributionen, d. h. an die Grundsteuer, hielten. Für alle diese Aufgaben hatte die Hofkammer in den einzelnen Ländern Kammern unter sich, die ihrerseits mit den ständischen Länderstellen nichts zu tun hatten. Freilich war diese Unterordnung auch nur mit M ü h e durchgesetzt worden. Die älteren Behörden vertraten ja den Landesherrn unmittelbar, schrieben also nicht im Namen des Herrschers, sondern als der Herrscher schlechtweg, sowie noch heute ein Botschafter dem fremden Staatsoberhaupt g e g e n ü b e r nicht bloß die Meinung seines Souveräns vertritt, sondern dessen höchste Person selbst. Insofern waren die Kammern in dem Lande, in dem sie amtierten, für ihr Arbeitsfeld der Landesherr, während die Hofstelle als Beratungskörperschaft und Sekretariat für lange Zeit nur die Worte des Landesherrn weitergab. Daher besaß die Hofkammer als solche ursprünglich keine eigene Weisungsbefugnis wegen des Kammerguts, und die Länderkammern legten Wert darauf, mit ihr in einem Verhältnis der Korrespondenz zwischen Gleichgestellten zu bleiben und nicht in das rechtlicher Unterordnung zu kommen. Ende des 17. Jahrhunderts war diese Frage in den deutsch-böhmischen Ländern bereits zugunsten der Hofkammer erledigt. Die Ungarn konnten dagegen den Standpunkt aufrechterhalten, daß die Hofkammer mit der ungarischen Kammer nur korrespondiere, ihr a b e r keine Befehle erteile. Damit war die höchste Finanzb e h ö r d e der Monarchie für Ungarn nur als Vermittlungsstelle zwischen Herrscher und Kammer anerkannt; da aber sämtliche Berichte der ungarischen Kammer, sämtliche Befehle des Königs an die Kammer durch ihre Hand gingen und sie vor allem die Abrechnungen der Kammer nachprüfte und ihrerseits den Etat der Kammer feststellte, war in der Praxis auch dann eine Unterordnung erzielt, wenn die Rechtsform noch den Zustand bewahrte, der einmal überall, nicht bloß in Osterreich und Ungarn, geherrscht h a t t e 2 . Die Einkünfte aus dem Kammergut, das die Hofkammer in höchster Instanz zu verwalten hatte, waren f ü r das Aulicum bestimmt, d. h. für den erheblichen Bedarf des kaiserlichen Hofes und der zivilen Verwaltung. Die von den Ständen bewilligten Gelder, auf deren Einziehung die Hofkammer nur durch das Mittel der Hofkanzleien einwirken konnte, mußten dagegen das Militare, also die gesamten Kosten des Heeres 1
Vgl. die Hofkammerordnung von 1717: „Nachdeme der Allerhöchste Unsere Erbkönigreich und Länder vor andern mit allerhand Metallen und Mineralien sonderbar reichlich gesegnet . . O Z V I 3, 291. 2 Theodor Mayer, Das Verhältnis der Hofkammer zur ungarischen Kammer, MIOG, XI. Erg. 1915,180—236; vgl. Theodor Mayer, Die Verwaltungsorganisationen Maximilians I., 76—77.
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bedecken. Dagegen waren die Einnahmen, die der Kaiser als Oberhaupt des Römischen Reiches erhielt, gering, aber sie machten erhebliche Mühe, weil sie aus besonders vielen kleinen und kleinsten Einzelposten bestanden, an denen man jedoch um so zäher festhielt, als die kaiserliche Gewalt nur ein Schatten ihrer einstigen Größe war. Bei so verschiedenartigen Dienstgeschäften waren die Anforderungen an die „Wissenschaft und Erfahrenheit" der Hofkammerräte nicht gering. Die O r d nung, die Kaiser Karl VI. im Jahre 1717 erließ, sieht als Voraussetzung gedeihlicher Amtsführung vor: „daß er nebst einem guten studio jurídico sich auch in practica forensi exercire . . . präcipue aber wird er sich respectu iuris feudalis et regalium principis, wie auch in den posterioribus libris codicis, sambt denen übrigen aerarii et fisci materiam concernentibus juris titulis wohl zu informiren und zu trachten haben, damit er nicht allein in privilegiis augustae domus nostrae, sondern auch in der aurea bulla, als solche die Reichscameralien auf verschiedene Weis enthaltet, dann denen vorherigen und ferrers von Zeit zu Zeit ergehenden Reichsconstitutionen, Recessen, Comitialconclusis, Reichsmatricul oder Anschlägen, Polizeiordnungen und Reformationen etc., auch in Unserer Erbländer Statuarrechten, Land-und Fürstentagshandlungen, sanctionibus pragmaticis, erlassenen oder künftig erlassenden Generalien und Patenten sich gründlichen ersehe, nicht münder dieser Unserer Kaiserl. Hof- als aller anderen Land- und Fiscalcämmer, wie ingleichen deren unund mittelbar untergebenen Beambten ihre Instruktiones, Haubt- und Specialcommissionsrelationes, das Salzreformationslibell, verschiedene Bergordnungen, die gebräuchliche Anschläge derer Güteren, die Einlag deren fünf österreichischen Landen, item ratione derer Landsfürstlichen Lehen die denen niederösterreichischen Ständen bis anno 1638 und 1640 ertheilte Lehensgnad und ihnen anno 1658 neu verliehene Lehnsextension genau durchgehe . . . " 1 . Es ist eine andere Welt als die des preußischen Generaldirektoriums, das doch keine fünf Jahre später begründet wurde. Dort drehte es sich allein um die praktischen Anforderungen des Amtes, während die rechtlichen Belange des Herrschers durch einen der Minister als Fiskal besonders wahrgenommen wurden. Die österreichische Ordnung von 1717 stellt dagegen die juristische Ausbildung als Erfordernis für jeden einzelnen Hofkammerrat in den Vordergrund und läßt die praktischen Gesichtspunkte nur in Verbindung mit den rechtlichen gelten. Das Länderkonglomerat der Monarchie hatte jene Einebnung wohlerworbener Besonderheiten, die in Preußen unter dem Großen Kurfürsten geschehen war und von Friedrich Wilhelm fortgesetzt wurde, noch nicht über sich ergehen lassen. Der fortschreitende Absolutismus hatte zwar auch in Osterreich manches Alte beseitigt, hatte besonders die Steuerpflicht der Stände durchsetzen können, ließ es sich aber noch gefallen, daß die Steuerpflichten in der Form des Vertrages zwischen Land und Herrscher festgelegt wurden. Daher kam es, daß die Hofkammer als oberste Finanzbehörde alle jene Rechtsformen bis ins einzelne beachten und daß sie ihre Anforderungen an die verschiedenen Behörden, mit denen sie es zu tun hatte, genau danach ab1
Hofkammerinstruktion, Wien, 30. Dez. 1717; OZV II 3, 209.
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tönen mußte. Oeshalb wurden die Begriffe einer lateinisch ausgebildeten Rechtssprache in eine deutsch-lateinische Verwaltungssprache aufgenommen, die ihre Eigenart um so sicherer ausbildete, als sie sich nach Ungarn hin des Lateinischen als Verhandlungssprache bedienen mußte. Solche sachlichen und formalen Besonderheiten machten die Arbeit einer Behörde schwierig, ihre Korrespondenzen weitläufig und ihren inneren Betrieb verwickelt. Die allgemeine Tendenz aller Behörden, ihren Aktenbestand und ihr Personal zu vermehren, zeigt sich daher an der Hofkammer um so deutlicher, als das strenge Kollegialprinzip verlangte, daß alle wichtigen und unwichtigen Entscheidungen von Präsident und Räten im Plenum gefällt wurden. Auch das preußische Generaldirektorium blieb eine Kollegialbehörde, aber hier verhandelten die fünf Minister und in Sachen jedes einzelnen Departements noch zwei bis drei Geheimräte, also für gewöhnlich sieben bis acht Personen als Plenum. Dagegen verfügte die Hofkammer zeitweise über 73 vollberechtigte Mitglieder 1 ; es war also, selbst wenn man mit der Abwesenheit einiger rechnet, eine so riesige Versammlung, daß kaum mit allgemeiner Aufmerksamkeit bei den Sitzungen gerechnet werden konnte. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Überfülle der Plenargeschäfte und der Plenarsitzungen einzudämmen. Die Instruktion von 1714 verlegte die eigentliche Arbeit in acht Kameralhauptkommissionen2; die Hofkammerordnung von 1717 hob den Beschluß aber wieder auf und bevorzugte noch einmal die Plenarsitzungen, die in den Kommissionen nur vorbereitet werden sollten3. 1732 wurde eine Reihe von Kommissionen beseitigt, besondere Referenten für den Vortrag im Plenum bestellt und die Rechte des Präsidenten erweitert4, ohne daß bei diesen Änderungen viel mehr herausgekommen wäre als eine Rückkehr zum Plenum, das sich inzwischen ebenfalls in seinem Bestände verändert hatte. Der Höchststand von 73 Räten ist nicht mehr erreicht worden, nachdem Joseph I. die Hofkammer auf 32 herabgedrückt hatte Dann ist die Kurve aber gleich wieder gestiegen. Eine für Maria Theresia gemachte Zusammenstellung verzeichnete für 1707 bereits wieder 56, für 1728 gar 68, für 1736 nur 39 ordentliche Hofkammerräte, zu denen natürlich noch ein entsprechendes Personal an Sekretären und Kanzlisten kam. Maria Theresia hoffte 1745 mit 26 Räten einschließlich des Präsidenten auszukommen, so daß auch hier eine durchgreifende Änderung nicht Platz griff 6 . Bis zu dem großen Bruch mit dem überlieferten, den die Kaiserin 1749 vollzog, blieb also die übergroße Plenarversammlung, die die Hofkammer als oberste Finanzbehörde im besonderen Maße zeigt, das Charakteristikum der österreichischen Zentralbehörden. Ein langer grüner Tisch unter schwerer Barockdecke mit der Fülle der Räte in Talar und Allongeperrücke: das Bild einer Zeit, über die das werdende Rokoko doch schon hinweggeschritten war. 1
Im Jahre 1705, O Z V I 1, 124, vgl. Franz Frh. von Mensi, Die Finanzen Österreichs 1701—1740, Wien 1890, 11?. * Instr. Wien. 7. Febr. 1714, O Z V f 3, 63 f., und O Z V i 1, 125. * lnstr. Wien, 30. Dez. 1717, O Z V I 3, 216f.; vgl. O Z V I 1, 131. 4 Instr. Wien, 2. Jan. 1732, O Z V I 3, 412 f.; vgl. O Z V I 1, 136. ® 1705: O Z V I 1, 124, vgl. Mensi. 117. 8 Anlagen zur Hofkammerreform vom 13. Sept. 1745, O Z V II 2, 49.
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Im Gegensatz zu Preußen mit seiner Trennung von Kommissariaten und Kammern besaß Osterreich um 1700 in der Hofkammer doch schon die Zentralbehörde, in der alle Finanzgeschäfte zusammenliefen, selbst wenn es ihr nicht gelang, sie in eigener Entscheidung zu bestimmen. Preußen bildete in seinen beiden obersten Finanzbehörden f ü r die materielle Verwaltung j e einen Etat aus; beide zusammen stellten während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. den preußischen Staatshaushalt dar. Die entsprechende Entwicklung in Osterreich ist mit den bisherigen Mitteln noch nicht zu übersehen, obwohl sich mehrere Verfasser g e r a d e mit den Finanzen zu Anfang des 18. Jahrhunderts beschäftigt h a b e n \ Hier erblickt man jedoch mehr die Geschäfte im einzelnen, besonders in der vordringlichen Frage der Staatsschulden, aber nicht den ganzen Zusammenhang, der sich der Hofkammer selbst o f f e n b a r in unserer Epoche erst allmählich eröffnete. Zunächst wirkte hier d e r gleiche Gedanke, der die Finanzverwaltung aller damaligen Staaten beherrschte und der auch in Preußen weiterwirkte, nachdem Friedrich Wilhelm I. das Etatswesen fest begründet hatte; der Grundsatz nämlich, daß j e d e Ausgabe eine bestimmte Deckung nötig habe. Da die einzelnen Ausgaben auf diese Weise an ganz b e stimmte Einnahmen gebunden wurden und die Finanzpolitik ihre Aufgabe meist erfüllt sah, wenn der Einzelausgleich gelang, so ließ es die Dberfülle von Einzelgeschäften nur schwer und erst sehr spät zu einem Überblick im ganzen kommen. Welche Schwierigkeiten dies System im G e f o l g e hatte, läßt sich aus einem Vorgang erkennen, der bereits in die Zeit Maria Theresias fällt: während des ersten Schlesischen Krieges blieben die Gehälter der Hofkriegsräte aus. Sie wurden nämlich aus ganz bestimmten ungarischen Einkünften angewiesen, die wegfielen, als die Ungarn sechs neue Regimenter aufstellten und die Einnahmen d a f ü r beanspruchten. Der Hofkriegsrat mußte sich erst klagend an die Hofkammer wenden, und es dauerte Monate, bis Abhilfe geschaffen w u r d e 2 . Der Gedanke, daß für j e d e Ausgabe die gesamten Mittel des Etats eintreten, hat sich erst während der Regierung Maria Theresias durchgesetzt. Die stärksten Antriebe zur Ausbildung eines Etatswesens ergaben sich wie in Preußen aus den ständig wachsenden Militärlasten. Sie machten Aufstellungen sämtlicher Einkünfte aus den Ländern, die zu ihrer Deckung dienen sollten, nötig, und sehr bald auch die Aufstellung dessen, was von den Ländern im einzelnen und insgesamt zu fordern war. Ein solcher Plan liegt — für unser Wissen erstmalig — in der Instruktion von 1697 vor, mit der Kaiser Leopold die Leistungen seiner Länder auf insgesamt 12 Millionen Gulden b e z i f f e r t e s . Für lange Zeit mußte es noch hingenommen werden, daß zwischen diesem so geforderten Etatssoll und den tatsächlichen Einnahmen eine breite Lücke klaffte, die sich schon deshalb nicht schließen wollte, weil die Länder nur schwer dazu zu bringen waren, mit der Hof1 von Mensi, Die Finanzen Österreichs von 1701—1740, Wien 1890, und die weiteren Angaben OZV I 1, 99, Anm. 1. 2 Österreichischer Erbfolgekrieg 1740—1748, Bd.I 1, Wien 1896, S. 309. 8 Instruktion für die Deputation des Status publico-öconomico-militaris, Wien, 10. Dez. 1697, OZV I 3. 24 ff.
H a u s s h e r r . Verwaltonsseinheit
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kammerabzurechnen, und es vorzogen, auf eigene Faust mit den bei ihnen stehenden Truppen fertigzuwerden. Diese Lücke ließ sich auch nicht dadurch schließen, daß derHofkammer genaueste Verrechnung mittels derscritturadoppia, italienischen
also derdoppelten
Buchführung, vorgeschrieben wurde, ein Einbruch
kaufmännischer
Formen noch vor Ausbildung der reifen kameralistischen Methoden, dessen Schicksale zu verfolgen wohl eine lohnende Aufgabe wäre. Bei dem nur teilweise verwirklichten Militäretat von 1697 drehte es sich nicht bloß darum, die beabsichtigten neuen Heeresausgaben zu versorgen, sondern auch die Militärschulden abzudecken, die sich damals auf 9 Millionen beliefen. Das größere Ansehen und die Wohlhabenheit hatten die Monarchie zu einer Geldpolitik verführt, die sich das werdende Preußen angesichts seiner Armut versagen mußte und sich seit Friedrich Wilhelm I. auch grundsätzlich versagt hat. So lud das alte Osterreich eine gewaltige Staatsschuld auf sich und schleppte sie während seines ganzen Bestandes mit, während Preußen einen baren Schatz in harten Talern sammelte. Für die Ordnung des österreichischen Haushaltswesens war die Staatsschuld Antrieb und Hemmung zugleich. Antrieb, weil sie die Errichtung einer besonderen Kassenbehörde, der Bancalität, verursachte, und Hemmung, weil dadurch ein wesentlicher Teil der Finanzverwaltung aus den Händen der Hofkammer genommen wurde. Wir stehen in der Epoche, in der die werdende kameralistische Wissenschaft ihre Hoffnung auf die Gründung wirtschaftlicher Staatsunternehmen, besonders einer Staatsbank, setzte. In Frankreich führten diese Erwartungen unter der Führung John Laws zu dem bekannten Spekulationsfieber, das mit dem furchtbaren Zusammenbruch aller von ihm getragenen
Gesellschaften endete. Auch in Osterreich hatte
John Law den Versuch gemacht, seine Ideen anzubringen, hatte sich aber nicht durchgesetzt. Dafür wirkte hier die einheimische Literatur der Becher und Schröder so weit nach, daß Karl VI. den Versuch machen ließ, seine leeren Kassen durch die Gelder zu füllen, die einer neugegründeten Staatsbank notwendig zufließen mußten. Sie wurde im Jahre 1714 tatsächlich eingerichtet, aber von vornherein so notdürftig ausgestattet, daß sie sich nicht zur führenden Depositen- und Leihbank aufzuschwingen vermochte 1 . Diese Funktionen blieben vielmehr der bereits
bestehenden
Wiener Stadtbank, die vorsichtshalber aufrechterhalten wurde, weil sie dem Staat durch den Kredit der Stadt Gelder zuführte. Die Bancalität mußte sich bald auf die Geschäfte beschränken, die ursprünglich mehr als ein Nebenzweck gedacht waren: da sämtliche Militär- und Kameralgelder jetzt über die Bancalität liefen, wurde sie zu einer Hauptstaatskasse, die die gesamte Geldgebarung des Staates zusammenfaßte. Osterreich bekam in der Bancalität also eine zentrale Kasse, über deren Einnahmen und Ausgaben durch Anweisung der Hofkammer verfügt wurde. Da die Bancalität zugleich das Schuldenwerk zu bedienen hatte, wies man ihr aus der Gesamtheit der Staatseinnahmen bestimmte Einkünfte zu. Auf diese Weise erhielt sie 1
Bancalitätspatent, 14. Dez. 1714; OZV I 1, 110 f., und I 3, 137 ff.
Die habsburgische Monarchie
67
einen Unterbau von Einnahmestellen 1 . Jetzt standen sich zwei vollständige Finanzverwaltungen gegenüber. Daher hörten die Auseinandersetzungen zwischen ihnen nicht auf, obwohl die Zuständigkeiten durch die Trennung zwischen dem materielle und öconomicum, das der Hofkammer zustand, und dem pecuniale, das die Bancalität besorgte, wohl geordnet schienen 2 . Die Zentralisierung der Geldgebarung, die nun erreicht war, wurde durch die Zweigipfligkeit der Finanzverwaltung mindestens aufgewogen. Obwohl die Bancalität der Hofkammer als selbständiges Hofmittel gleichgestellt war, hielt man grundsätzlich daran fest, daß „die Unität und Universalität des gesambten Finanzwesens . . . in der Aktivität und Oberaufsicht Dero kais. Hofkammer concentrirt" 3 blieb, war es doch ihre wichtigste Aufgabe, den Generalanordnungsstaat zu formieren und damit das „Materiale und Oeconomicum" der Finanzen zu bestimmen, selbst wenn ihr ein großer Teil der ausführenden Gewalt fehlte und sie ihre Anordnungen auf der Ebene der Länder nur über die Hofkanzleien, auf der des Kassenwesens nur über die Bancalität durchgeführt — oder nicht durchgeführt sah. Als Maria Theresia die Bancalität, die bloß noch als Staatskasse fungierte, aufhob und die Einheit des Finanzwesens unter der Hofkammer wiederherstellte, wurde gerade in der Behörde, die dabei gewann, Widerspruch laut. Ältere Hofkammerräte machten nämlich in den Vorberatungen den Einwand, es sei bedenklich, durch Unterstellung der Bancalitätsgeschäfte unter die Hofkammer die bisherige, so fruchtbare gegenseitige Kontrolle aufhören zu lassen, ein Einwand, über den die Kaiserin freilich hinwegschritt 4 . Uberhaupt zeigte die Hofkammer in dieser Epoche die seltsame Neigung, ganz wichtige Aufgabengruppen anderen Händen zu überlassen. In allen Militärangelegenheiten hatte sie mit dem Generalkommissariat zusammenzuarbeiten, das seinerseits sowohl der Hofkammer wie dem Hofkriegsrat unterstellt war, von der einen die finanziellen Anweisungen, von dem anderen die militärischen Befehle empfing. Wir wissen, daß die österreichischen Kriegkommissare im Gegensatz zu den preußischen keine finanzielle Anordnungsgewalt hatten, daß sie insbesondere keine Steuern in den Ländern erhoben und daß die unmittelbare Auseinandersetzung zwischen Ländern und Kriegskommissaren von den Zentralstellen bekämpft wurde. Die gesamte oberste Leitung des oeconomicum militare lag also bei der Hofkammer 5 , die auf diese-Weise durch zwei Fäden mit dem Hofkriegsrat verbunden 1 Der Unterbau der Bancalität ist in der Literatur über das Staatsschuldenwesen kaum beachtet. Jedoch geht aus den Klagen von Haugwitz, Notata Dez. 1743, O Z V II 2, 145, und Vortrag Apr. 1747, O Z V II 2, 210, klar hervor, daß die Verwaltung der Salz- und- Mautgefälle in den Ländern der Bancalität unterstand. * Regelung des Verhältnisses zwischen Hofkammer und Bancalität, 5. Nov. 1716, O Z V I 3, 190 f., und I 1, 121, a b g e n o m m e n in die Instr. der Hofkammer von 1717, O Z V I 3, 228f. 8 Instruktion für die Kommissionen der Hofkammer, Wien, 7. Febr. 1714, O Z V I 3, 70. 4 Vorgeschichte zum Handbillet Maria Theresias, Aug. 1745, O Z V II 2 , 1 9 . » Instruktion der Hofkammer 1717, Art. XXVIII, O Z V 1 3, 2 5 2 .
5*
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
war, durch die unmittelbare Korrespondenz mit ihm selbst und durch den mittelbaren Weg über das beiden unterstehende Generalkriegskommissariat. Diese Behörde wußte ihre doppelte Abhängigkeit zu einer Fast vollen Unabhängigkeit zu machen, indem sie den Forderungen des Hofkriegsrats nach der Seite der Hofkammer und denen der Hofkammer nach der des Hofkriegsrats auswich. Jedenfalls klagte die Hofkammer während des österreichischen Erbfolgekrieges, sie hätte vom Chef des Generalkriegskommissariates in den letzten zwei Jahren nur ganz unbedeutende Eingänge erhalten 1 ; sie sah sich also in den Fragen der sogenannten Militärökonomie so gut wie ausgeschaltet. Maria Theresia wollte dem Generalkommissariat unter dem Eindruck der Kriegserfahrungen die Autorität verschaffen, die ihm bei seiner Doppelstellung auch gegenüber der Truppe verlorengegangen war, und erhob es 1746 zu einer unmittelbaren Hofstelle. Doch war die volle Verselbständigung bei der Verqüickung der Kommissariatsgeschäfte mit denen von Hofkriegsrat und Hofkammer unmöglich. Daher beschränkte die Kaiserin den Chef des Kriegskommissariats durch eine neue Instruktion auf das Recht, ihr unmittelbar Vortrag zu halten, d. h. in der Regel Schriftsätze einzureichen; dagegen sollten die kaiserlichen Weisungen dem Kommissariat weiter durch die Vermittlung der Hofkammer oder des Hofkriegsrats zugehen 2 . Die Hofkammer hatte nach ihren bisherigen Erfahrungen nicht das Vertrauen, daß der selbständiger gestellte Chef des Kommissariates ihr gegenüber entgegenkommend sein würde, und versuchte den Schwierigkeiten dadurch auszuweichen, daß sie der Monarchin ernsthaft vorschlug, die Kommissariate sollten in Zukunft selbst für die Einbringung der Gelder sorgen, die sie brauchten. Auf diese Weise hätte die Hofkammer auf die gesamte Finanzierung des Heeres verzichtet, von der Steuererhebung bis zur zentralen Ausschüttung der Gelder. Sie hätte dann nur noch für die Kosten des Hofes und der Verwaltung zu sorgen gehabt und wäre den größeren und schwierigeren Teil ihrer Aufgaben losgeworden. Maria Theresia gestattete ihrer Hofkammer jedoch nicht, den gewünschten Rückzug anzutreten. Sie erklärte mit übertreibendem Nachdruck: die Deckung der Militärlasten sei „der camer eintziges werck und geschafft"'. Das war vor der großen Verwaltungsrevolution des Jahres 1749 der letzte Appell an die Hofkammer als Trägerin der gesamten Finanzgebarung der Monarchie. Die Hofkammer hatte zwar die Federführung in allen Finanzsachen, mußte sich dabei aber stets mit einer Reihe von Behörden auseinandersetzen, wenn sie wirksam werden wollte. Von Anfang an mit den Hofkanzleien in ihren Beziehungen zu den Ländern, mit Hofkriegsrat und Generalkriegskommissariat wegen der Beschaffung und der Verwendung der Militärfonds, seit 1714 auch mit der Bancalität in Schulden- und Kassensachen. Nur eine übergeordnete Instanz konnte die Einheit der Finanzverwaltung sichern. Der alte Geheime Rat, der eigentlich dazu berufen gewesen wäre, führte, wie in Preußen, längst ein bloß formales Dasein. Für die tatsächliche Bewältigung der Geschäfte ließen die österreichischen Herrscher im i OZV II 1 , 3 1 . * Instruktion för das Generalkriegskommissarlat, Wien, 28. Dez. 1746, OZV I 3. 451. « OZV II 1 , 3 5 .
Die hebsburgische Monarchie
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17. und 18. Jahrhundert immer wieder eine Konferenz zusammenberufen, meist nur von Fall zu Fall, verschiedentlich auch als ständige Einrichtung, die dann nur von den gelegentlichen
Konferenzen
zurückgedrängt wurde.
Dabei
ist der
Unterschied
zwischen ständiger Konferenz und nicht ständigem Ausschuß, auf den der V e r waltungshistoriker entscheidenden Wert legen muß, nicht einmal gar so groß, sind es doch mit geringen, politisch freilich ausschlaggebenden
Unterschieden
dieselben
Persönlichkeiten, die zusammentraten, nämlich die Präsidenten der Hofstellen und die Inhaber bestimmter Hofämter wie der Obersthofmeister, auch der O b e r s t h o f marschall neben einigen Männern besonderen Vertrauens. Die erste ständige V e r sammlung in Finanzsachen war die Deputation, die Kaiser Leopold 1697 begründete, als e r mit einer großen Aktion die Deckung der Militärschulden wie die der künftigen Militärausgaben erreichen w o l l t e 1 . Mitglieder dieser Deputation waren die C h e f s der beiden Hofkanzleien, der Hofkammer, des Hofkriegsrats und des G e n e r a l kommissariats, also sämtlicher Behörden, die bei dem Generalanordnungsstaat für die Militärlasten zusammenarbeiten mußten. Karl VI. ließ die Gründung der Bancalität von einer besonderen Konferenz durchberaten 2 , hielt für die ordentlichen Finanzgeschäfte a b e r an der Deputation fest. Nach der Begründung der Bancalität schuf er
für die eigentliche hohe Finanzpolitik eine
Finanzkonferenz 3 ,
die die alte
Deputation auf die inzwischen zu einer bloßen Routinefrage gewordenen Auseinandersetzung zwischen Ländern und Zentralstellen beschränkte. Alle diese Konferenzen machten nun einmal den gleichen W e g durch: ihre Begründung war eine hochpolitische Frage von grundlegender Bedeutung für die Finanzen der Monarchie. Dann fand sich die Körperschaft auf den ordentlichen Geschäftsgang verwiesen und schließlich schleppte sie sich nur noch dahin. Maria Theresia hob die Finanzkonferenz ihres Vaters schon bei ihrem Regierungsantritt auf, um sich zunächst allein auf den sachverständigen Rat des Ministers und Bankpräsidenten Starhemberg zu verlassen, scheint aber bald zu einer Konferenz ohne feste Ordnung zurückgekehrt zu s e i n 4 . Von diesem Hintergrund einer verwickelten und schwerfälligen
Organisation
der inneren und Finanzverwaltung, überschneidender Zuständigkeiten, die auch durch Deputationen und Konferenzen niemals ganz ausgeglichen wurden, heben sich die großen Sachfragen der Monarchie ab, besonders die Bereitschaft für den Krieg und die Leistungsfähigkeit im Kriege. Prinz Eugen hat als Präsident des Hofkriegsrates empfinden müssen, wie abhängig e r auch bei den dringendsten Anforderungen von den anderen Hofstellen blieb. Durch das Gewicht seiner Persönlichkeit hat er manches erreicht, was anderen nicht gelang, aber das Entscheidende, die Last der Kompetenzen, hat e r als etwas beinahe Unabänderliches hinnehmen müssen. „ J a , wenn die ganze Monarchie auf der äußersten Spitze stehen und Instr. Kaiser Leopolds, 10. Dez. 1697. OZV I 3, 24 f., und I 1, 60. Mensi, Finanzen, 433. * OZV I 3, 187 f.; Geschäftsordnung der Finanzkonferenz, 9. Jan. 1717, OZV 1 3, 197 ff. 4 Aufhebung der Finanzkonferenz 1741 durch Handschreiben an Starhemberg, OZV I 3, 420; neue formlose Konferenz Ende 1741. OZV II 1, 52, und März 1745, OZ.V I 3, 440. 1
1
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
70
wirklich zugrunde gehen sollte, man a b e r nur mit fünfzigtausend Gulden o d e r noch weniger in der Eile aufhelfen könnte, so müßte man es eben geschehen lassen und vermöchte dem Obel nicht zu steuern" K Die nächste Generation war nicht mehr bereit, soviel Geduld aufzubringen. Maria Theresia behielt die Erfahrungen, die sie in den beiden f ü r sie so unglücklichen Schlesischen Kriegen machte, in ihrem Herzen mit dem festen Willen, durchgreifend zu bessern. Aus den Geschehnissen ihrer ersten Regierungsmonate, in denen sie Friedrich in Schlesien einmarschieren und eine starke Feindkoalition sich bilden sah, hat sie eine Erinnerung bewahrt, die ihr wie keine andere bewies, wo sie Hand anlegen mußte. Als sie versuchte, zwei Kavallerieregimenter mehr in die gefährdete Provinz zu legen, klagten die schlesischen Stände, es sei dem Lande ganz unmöglich, die Verpflegung für die Soldaten aufzubringen, und die böhmische Hofkammer machte sich zum Fürsprecher der ständischen W e i g e r u n g D e r preußische König a b e r ernährte seine ganze Armee in Schlesien, ohne daß das Land zusammengebrochen wäre. Das Gebrechen war aufgedeckt: der Eigennutz der Länder, der in den Hofkanzleien einen Anwalt fand, anstatt daß diese den Willen der Monarchin bei den ihnen unterstellten Ländern in der Weise vertraten, wie es die Kaiserin für unerläßlich hielt. Der neue Absolutismus war nicht mehr bereit, sich mit dem ausgewogenen Gleichgewicht zwischen Landesherrn und Ländern als Trägern ihrer eigenen Rechte abzufinden; er verlangte ihre Unterwerfung unter das Wohl des Ganzen, das er allein verkörperte. Friedrich Wilhelm I. hatte seinem Staate während seiner friedlichen Regierung die innere Organisation gegeben, die diesem Verlangen entsprach. Maria Theresia erlebte die (Überlegenheit dieser Organisation im Kriege und gedachte ihre eigene Unterlegenheit nach dem Friedensschluß von 1745 auszugleichen. Ihr hatte sich bereits der Mann angeboten, in dessen Auftreten sie dann die Kraft des göttlichen Beistandes erblickte. Die Provinz, deren Verlust sie mit Schmerz erfüllte, schenkte ihr den Retter in der Person des Grafen Haugwitz, eines geborenen Sachsen, der in früher Jugend zur katholischen Kirche übergetreten war. Auch nach der Niederlage hielt er zu Osterreich, beobachtete als Präsident des königlichen Amtes in Restschlesien mit scharfem Blick, wie die preußische Behörden- und Steuerverfassung in den abgetretenen Gebieten wirkte. Seine ersten Denkschriften aus der Zeit zwischen den beiden Schlesischen Kriegen sprachen das aus, was der Kaiserin am Herzen lag: die sichere Erwartung, daß ganz Schlesien wieder österreichisch werden würde, die Forderung, die gegebenen Möglichkeiten zu einer Reorganisation der schlesischen Verfassung und Verwaltung zu nutzen, und den Hinweis auf die Grundfehler des gesamtstaatlichen Verwaltungsaufbaus, die Maria Theresia selbst erkannt h a t t e 3 . Haugwitz betonte, daß diejenige Stelle, die für die Deckung der Militärlasten verantwortlich war, keine andere Möglichkeit hatte, auf die Länder 1
Prinz Eugen an den Feldzeugmeister Grafen Starhemberg, Wien, 3. Okt. 1703; Arneth, Prinz Eugen I, 212. 2 So schildert es Maria Theresia selbst: Arneth, Zwei Denkschriften, Arch. f. 6. Gesch., 47, 1871, 328; vgl. über die Haltung der Hofkanzleien besonders Seite 300—301. 3 Notata Haugwitz', Dez. 1743, OZV II 2, 136 ff.
Die habsburgische Monarchie
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einzuwirken, als auf dem Wege über die Hofkanzleien, die vornehmlich an die Entlastung ihrer Schützlinge dachten. Der Hofkammer wie den Länderkammern fehlte die Zwangsgewalt, das bracchium, wie sich Haugwitz ausdrückte. In Preußen sei das „politicum von dem camerali unzertrennlich" 1 , und Preußen sei deshalb imstande, wesentlich höhere Einkünfte aus Schlesien zu ziehen als Osterreich früher, ohne das Land stärker anzustrengen. Der schlesische Bauer und Bürger stehe sich besser, wenn er die höheren preußischen Steuern auf einmal an Steuerrat oder Landrat entrichte, als wenn er eine Vielfalt schwer übersehbarer Abgaben bezahle, in denen sowohl die österreichischen Staatslasten wie die Kosten einer umständlichen und teuren ständischen Verwaltung steckten. Haugwitz führte aus und Maria Theresia begriff es nach ihren Erfahrungen sofort: bei der von ihm geforderten Zusammenfassung von politischer und Finanzverwaltung handelte es sich nicht bloß um eine Frage der Behördenorganisation; hinter ihr war vielmehr das entscheidende Verfassungsproblem aufgeworfen, nämlich die Stellung der Stände und Länder, die jetzt mit der politischen Verwaltung auch das bracchium, also die ausführende Gewalt in Händen hatten. Die Reorganisation der Verwaltung nach preußischem Muster bewirkte zugleich den Umsturz der österreichischen Staatsverfassung Dabei berief sich Haugwitz auf die Oberlieferung der österreichischen Kameralisten, besonders auf Schröders „Fürstliche Schatz- und Rentkammer", die vor mehr als einem halben Jahrhundert niedergeschrieben worden war. Darin hatte Schröder schon den Kaiser Leopold aufgefordert, die Macht seiner Stände mit der Waffe der fürstlichen Finanzhoheit zu brechen, ein stehendes Heer und einen gefüllten Staatsschatz zu halten. Haugwitz spürte in Schröders naivem Absolutismus den ihm verwandten Geist, sah einen anerkannten Schriftsteller, dessen Buch in immer neuen Auflagen erschien und der gerade in Osterreich und für Osterreich gedacht hatte, die Finger auf die Gebrechen legen, die er selbst zu heilen beabsichtigte. Schröder hatte bereits ausgeführt, das Finanzkollegium des Fürsten müsse in der Lage sein, eine Vermehrung der landesherrlichen Einnahmen „ex propria auctoritate anzuordnen und zu tun, Macht und Gewalt haben und nicht erst mit den Gantzeleien darüber disputieren" 3 . Also hatte schon Schröder in den Hofkanzleien mit ihren ständischen Verbindungen das große Hemmnis fürstlicher Machtvollkommenheit und Finanzhoheit gesehen und bekämpft. Dabei hatte er sein „Summum et absolutum Collegium" über alle anderen Behörden, auch über die Kammer, die er sich trotzdem als weiterbestehend dachte, stellen, der Hofkammer aber nur die laufende Finanzgebarung, die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben lassen wollen," während sich das höchste Kollegium nur mit der Vermehrung der Einnahmen zu beschäftigen hätte. Haugwitz las das Neue und Zukunftsreiche aus Schröders berühmtem Buch heraus, aber er las als großer Praktiker doch eben auch seine Gedanken hinein, wenn er die Zweiteilung in ein Kammerkollegium für die gewöhnlichen Geschäfte * OZV I! 2, 143. * Vortrag Okt./Nov. 1748, OZV II 2, 242—243 und 245. * Kap. 2 § XII S. 16 nach der Auflage von 1713.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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und ein höchstes Finanzkollegium für die Vermehrung der Einnahmen stillschweigend verwarf und seine Idee eines Generaldirektoriums als einziger Innen- und Finanzbehörde einschob 1 . Noch einmal in der Geschichte des fürstlichen Absolutismus und des eng mit ihm verbundenen Kameralismus erwies sich die Praxis als das eigentlich Schöpferische. Haugwitz durfte sich in der Nachfolge Schröders fühlen, aber was er plante und dann auch zuwege brachte, ging weit über seinen Lehrmeister hinaus. Haugwitz übernahm die Führung, als Maria Theresia in der Friedensepoche nach den beiden Schlesischen Kriegen ihr Heer auf 108 000 Mann bringen wollte, um späteren Kämpfen mit dem gleichen Gegner besser gewachsen zu sein. Er durfte seinen Plan in aller Stille ausarbeiten und ihn im Kronrat vom 29. Januar 1748 vertreten 2 . Hier standen sich die grundsätzlichen Anschauungsgegensätze in der Person des böhmischen Kanzlers Grafen Harrach und Haugwitzens gegenüber. Auch Harrach machte nicht den aussichtslosen Versuch, von den für die Militärlasten geforderten beinahe 15 Millionen Gulden etwas abzuhandeln, aber er verlangte, daß die Stände in ihren Vorrechten geschützt bleiben sollten, hatte er doch eben den Vorschlag gemacht, die neuen und die alten Lasten ganz den Ländern zu überantworten und ihnen dafür sämtliche landesherrlichen Einkünfte zu überlassen. Das wäre die völlige Auslieferung der staatlichen Finanzhoheit an die Länder gewesen. Haugwitz vertrat dagegen den Grundgedanken, man müsse die politischen Sachen aus der Hand der Stände in die rein monarchischer Behörden legen und die erforderlichen Gelder von diesen aufbringen lassen. Mit dieser seiner Ansicht blieb er allein, doch die Kaiserin trat ihm bei und gab ihre Erregung mit den Worten kund, die sie unter das Protokoll schrieb: „Placet, und ist diese Sache nur allzuwahr also abgeloffen; in 50 Jahren wird man nicht glauben, daß diese — die Gegner Haugwitzens — meine ministre waren, die von mir allein creirt w o r d e n " s . Mit Haugwitz hatte sich das preußische System durchgesetzt. Eine Erhöhung des Friedensheeres nach dem Vorbilde Preußens zog die Übernahme der preußischen Behördenorganisation nach sich. Immerhin geschah der Bruch mit den grundlegenden Faktoren der österreichischen Staatsverfassung in den Formen des Rechtes. Wie es der Große Kurfürst getan hatte, ließ auch Maria Theresia die neuen Forderungen von den Ständen der einzelnen Länder durch Landtagsrezesse gleich auf eine Reihe von Jahren bewilligen, scheute sich aber nicht, aus landesherrlicher Machtvollkommenheit anzuordnen, wo die friedliche Vereinbarung nicht zu erreichen w a r 4 . Auf diesen Grundlagen durfte Haugwitz an einen Umbau der gesamten Staatsverwaltung gehen, der durch Handbilletts Maria Theresias vom 2. Mai 1749 voll1
Die Hauptstelle Ober die beiden Finanzkollegien: 2. Kap. § X S. 15—16 (Aufl. von 1713). Die schonen Ausführungen Walters, OZV II 1, 99 ff., und Zeitschr. f. öffentl. Recht, 17, 195 ff., sind m. E. wie im Text zu ergSnzen. » OZV II 1, 131 f., und II 2, 194 ff. s OZV II 1, 147, und II 2, 206. • OZV II 1, 148 ff.
Die habsburgische Monarchie
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endet wurde 1 . An der Spitze ein Direktorium in publicis et cameralibus als oberste Innenbehörde, deren Name die geglückte Zusammenfassung der bisher getrennten Zuständigkeiten, des Camerales und der Publica, andeutet. In den Ländern neue Behörden unter der Bezeichnung Repräsentationen und Kammern, in deren Namen sich ebenfalls die Verbindung von Repräsentation des Landesherrn in allen politischen Sachen mit der Verwaltung des Kammergutes darstellt; als rein monarchische Behörden, in denen die Stände nichts mehr zu sagen hatten, waren sie dem neuen Direktorium unmittelbar unterstellt. Ein Instanzenzug, der dem zwischen dem preußischen Generaldirektorium und den Kriegs- und Domänenkammern genau entsprach. Nach zwei Seiten war dieser Aufbau im Sinne behördlicher Allgewalt sogar besser abgeschlossen als in Preußen. Nach unten durch die Einrichtung von Kreisämtern, in die der geringen Gehälter wegen zwar überall noch begüterte Adlige gesetzt wurden, aber ohne jedes Präsentationsrecht der Stände, so daß die Kreishauptleute rein staatliche Beamten waren 2 . Nach oben durch die Ernennung des Grafen Haugwitz zum Präsidenten seines Direktoriums in publicis et cameralibus. Maria Theresia verzichtete darauf, selbst als Präsident ihrer Innen- und Finanzbehörde zu gelten. Ursprünglich sah sie aber eine Conferenz in intemis unter ihrem Vorsitz oder dem des Kaisers vor. Damit unterstellte sie das Direktorium einem Rat, der über alle wichtigen Vorlagen, die Haugwitz als Präsident und Chef der inneren Verwaltung zu machen hatte, Beschluß fassen und ihr zur Genehmigung vorlegen sollte. Hier war der erste Platz dem Grafen Harrach, dem Gegner Haugwitzens, zugewiesen. Zu einem Kampf innerhalb der Konferenz in intemis ist es aber nicht gekommen. Harrach starb bald, und Maria Theresia gewöhnte sich daran, auf Grund der mündlichen oder schriftlichen Berichte, die sie sich von Haugwitz machen ließ, in ihrem Kabinett zu entscheiden 9 . Gegenüber dem Umfang der Hofkammer und der Hofkanzleien war das Direktorium in publicis et cameralibus, das den größten Teil ihrer Aufgaben übernahm, eine kleine Behörde. Es gab zunächst nur sieben Abteilungen mit je einem Referenten und mehreren Sekretären, streng nach Ländern geordnet, damit es nirgends eine Trennung zwischen politischen und Kameralsachen mehr geben konnte Da in die Referentenstellen Männer eintraten, die vorher entweder einer der Hofkanzleien oder der Hofkammer als Räte angehört hatten, galt von ihnen die gleiche Forderung, die Friedrich Wilhelm I. an die Mitglieder seines Generaldirektoriums gerichtet hatte, das Verlangen nämlich, die früheren Ressortbindungen abzustreifen und sich in diejenigen Sachgebiete, die ihnen bisher unbekannt geblieben waren, einzuarbeiten. Das wurde den Referenten im Direktorium ebenso wie den Ministern und Geheimräten im Generaldirektorium dadurch erleichtert, daß es sich in Osteri OZV II 2, 269 ff. Eine Geschichte der österr. KreisSmter gibt es leider nicht. Für die Reform der Jahre 1752—1760 vgl. Ignaz Beidtel, Gesch. der österr. Staatsverwaltung 1740—1848, Innsbruck 1896—1898, I 30 f. 3 OZV II 1, 176 f. 4 OZV II 1, 179—180. 1
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
reich wie in Preußen um ein Kollegium handelte, daß also in gemeinsamen Angelegenheiten ein Beschluß aller herbeigeführt wurde, nachdem die einzelnen Mitglieder sich vorher ausgesprochen hatten. Dabei fand der spätere preußische Großkanzler Fürst den „Geschäftsgang für die Mitglieder ganz bequem. Am Mittwoch werden alle einlaufenden Sachen an die Räte verteilt. Freitag müssen sie dieselben im Haus haben. Alle Montag ist g r o ß e Sitzung, in der sie darüber referieren; o f t arbeiten sie an diesem Tage auch nach Tische bis acht Uhr. Den Dienstag hat nun Graf Haugwitz hierüber Vortrag bei der Kaiserin, die unverzüglich ihre Entscheidung zu fassen pflegt; den nächsten Montag muß die Kanzlei alles expediert h a b e n " 1 . Wenn Fürst richtig beobachtete, hätte es vom Eingang der Akten über den Plenarbeschluß des Direktoriums u n d die Resolution der Kaiserin im Regelfalle doch etwas über zehn Tage gedauert, bis sie die Behörde als Ausfertigung wieder verließen, ein Zeitmaß, über das sich die Kaiserin, die bisher von ihren Behörden nicht durch Promptheit verwöhnt worden war, mit großer Befriedigung aussprach *. Die Begründung des Direktoriums in publicis et cameralibus machte einen völligen Umbau sämtlicher Staatsbehörden nötig, dem nur die Staatskanzlei entging, weil sie eben erst durch die Abtrennung der auswärtigen Sachen aus der Hofkanzlei entstanden war. Der Hofkriegsrat blieb ebenfalls bestehen. D a f ü r wurden die österreichische und die böhmische Hofkanzlei ganz aufgelöst und die Hofkammer auf ein Geringes ihres früheren Wirkungskreises eingeengt. Das Natürliche wäre gewesen, daß die bisherige oberste Finanzbehörde überhaupt abgeschafft worden wäre, nachdem sämtliche inneren und Finanzsachen dem neuen Direktorium zugeteilt worden waren. Aber Maria Theresia ließ das Haugwitzsche System nur in den österreichischböhmischen Ländern durchführen und hielt dagegen die alte Verfassung Ungarns aufrecht, weil sie die Rechte der ungarischen Stände, die ihr in der Not Ihrer ersten Regierungsjahre beigesprungen waren, nicht antasten wollte. Trotzdem hätte das sogenannte ungarische wie das Reichskamerale ebensogut vom Direktorium wie vorher von der Hofkammer bearbeitet werden können. Es gehört zu den nicht ganz auflösbaren Rätseln des Geschichtsverlaufes, daß die Kaiserin, o h n e daß wir etwas über ihre Gründe wüßten, die Hofkammer für den geringen Geschäftsbereich des ungarischen und des Reichskamerales unter wesentlicher Verringerung des Personals bestehen ließ und auch nach dem Tode des Präsidenten, der die capitis diminutio der Hofkammer erlebt hatte, für einen Nachfolger sorgte, obwohl Graf Haugwitz die Übergabe sämtlicher Geschäfte an sein Direktorium beantragte und für das neue Gebilde den Namen eines Direktoriums in publicis und Hofkammer vorschlug*. Wollte Maria Theresia doch noch ein Gegengewicht gegen den Chef ihrer inneren Verwaltung halten und den Grafen Haugwitz nicht zu mächtig werden lassen? * Ranke, Zur Gesch. v. Osterreich und Preußen. 1875, 23—24. 3 Zwei Denkschriften, Arch. f. ö. Gesch., 47, 1871, 322. Sie spricht (im Jahre 1751) allerdings vom Freitag als Konferenztag. Fürsts Bericht stammt dagegen aus dem Jahre 1755. * OZVII 1,206 f., und 112, 344 f.
Die habsburgische Monarchie
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Mit der Auflösung der österreichischen und der böhmischen Hofkanzlei, in denen nach Maria Theresias fester Oberzeugung die Wurzel der Mißbräuche saß, waren aber noch nicht alle Fragen erledigt. Die aufgehobenen Behörden hatten doch nicht bloß die Publica zu verwalten, die nun an das Direktorium gingen, sondern ebenso die Rechtspflege in den verschiedenen Ländern. Die gleiche Frage erhob sich bei den bisherigen Länderstellen, die sich ebenfalls mit den politischen und den Rechtsangelegenheiten befaßten. .Von diesen blieben in beiden Instanzen nur die Rechtsprechung und die Gerichtsverwaltung übrig. In der Mittelinstanz wurden die bisherigen ständischen Länderregierungen wie in Preußen im wesentlichen auf die Justiz beschränkt. In der Zentralinstanz wurde dagegen in der Obersten Justizstelle eine neue Behörde geschaffen, die allein von der Kaiserin abhing. Auf diese Weise wurde die österreichische Verwaltung der preußischen immer weiter angenähert. Ein Generaldirektorium mit Kammern für sämtliche inneren und Finanzsachen, eine oberste Justizstelle mit halbständischen Regierungen für die Rechtsprechung und eine Staatskanzlei für die auswärtigen Angelegenheiten an Stelle des preußischen Cabinettministeriums. Auch in Österreich hatte der Landesherr seiner Verwaltung die Freiheit gesichert, indem er die ständischen und halbständischen O r g a n e auf die politisch weniger gefährliche Justiz beschränkte. In Osterreich war diese Trennung mit so grundsätzlicher Schärfe durchgeführt worden, daß das Direktorium sehr bald bemerkte, auch das ihm zustehende Politicum könne nach seinem derzeitigen Stande eine eigene Justiz nicht entbehren. Bisher war die Behörde, die die wichtigsten Steuerfragen, das Contributionale, bearbeitete, dieselbe ständische Länderstelle gewesen, die zugleich als Gericht über Streitfälle zu entscheiden hatte. Jetzt kam bei Streitigkeiten in Kontributions- oder Untertanensachen vor, daß die ordentlichen Gerichte angerufen wurden, also der Instanzenzug vom ständisch-landesherrlichen Tribunal des Landes zur neuen Justizstelle. Dann wären die Finanzbehörden bis zum Ausgang des Prozesses zur Untätigkeit verurteilt gewesen, und das Verfahren konnte sich jahrelang hinziehen! Sie hätten sich nachher dem Spruch einer Körperschaft unterwerfen müssen, die nicht nach verwaltungsmäßigen, sondern nach rein rechtlichen Grundsätzen entschied. Ein Gegensatz, der um so weiter aufriß, je größer die Kluft war, die sich zwischen den altertümlichen Gewohnheiten eines ständischen Zeitalters und dem scharfen Durchgreifen des Absolutismus öffnete. Daher wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit damals in allen Staaten von der Verwaltung ausgeübt. Auch Preußen hatte seine Kammerjustiz, in der Untertanen- und Kontributionssathen ohne formale Bedenken Kurzweg entschieden wurden. Maria Theresia entschied sich dagegen auf die Anträge Von Haugwitz für ein mehr justizförmiges Verfahren, für eine ordentliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Daraufhin wurden sowohl bei den Kammern wie beim Direktorium eigene Senate für Streitsachen eingerichtet 1 . Obwohl Osterreich seine Verwaltungsjustiz in der sachlichen Zuständigkeit gegenüber Preußen beschränkte, fand ein so sachverständiger Beobachter wie Fürst um 1755 doch ange1
OZV II 1, 198 f., und II 2, 303 ff.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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sichts der Beisitzer mit richterlichen Befugnissen an der Stelle, wo er in Preußen bloß einen Fiskal zu erblicken gewohnt war, man hätte „dem Justizdepartement noch bei weitem mehr e n t z o g e n " «ls in seinem Heimatland, und er begründete dies damit, daß man bei Nachahmungen stets weiter zu gehen pflege als das Vorbild 1 . Aus der Auflösung der Hofkanzleien ergab sich noch die Schwierigkeit, was mit den Hoheitsakten zu geschehen habe, die nach den Verfassungen der Länder in den österreichischen durch den Ersten Kanzler, in den böhmischen durch den O b e r s t e n Kanzler vollzogen wurden; das waren besonders Standeserhöhungen und Lehnsurkunden. Die Kaiserin, die ihren Ständen so viele Rechte nahm, hielt in dieser Frage wenigstens die Form aufrecht. Alle diese Dinge fielen als Publica nach der Neuordnung unter die Zuständigkeit des Direktoriums und wurden auch dort bearbeitet; nur die Ausfertigung wurde vom Leiter'der Staatskanzlei, der für diesen Zweck den Titel eines Ersten österreichischen oder eines Obersten böhmischen Kanzlers führte, gezeichnet und überreicht. In der Staatskanzlei sah man dies Verfahren a b e r als eine unnötige Belastung an, und so entschied sich Maria Theresia schließlich dafür, daßHaugwitz als dem Präsidenten des Direktoriums auch die Würde eines Ersten österreichischen und eines Obersten böhmischen Kanzlers übertragen wurde. So wurde ihr Vertrauensmann auch mit dem höchsten Rang, den es in der inneren Verwaltung der Monarchie gab, bekleidet 2 . „Diesfällige, fest stabiiierte Einrichtung sehe überzeugend v o r d e n wahren G r u n d stein an, wodurch die von Gott mir anvertraute Monarchie mit dessen anhoffenden, kräftigsten ferneren Beystand souteniren und zum Besten und Nutzen meiner Nachkommen conserviren m ö g e " 3 . Diesen Satz schrieb Maria Theresia in den ruhigen Friedensjahren nach der Gründung des Direktoriums in publicis et cameralibus. Es war ihr politisches Testament, das freilich anders als das fast gleichzeitige ihres großen Gegners weniger den auswärtigen Beziehungen ihres Staates als der „innerlichen Hauptverfassung" g a l t 4 . Mit ihrer Denkschrift verband sie keinen anderen Zweck als den, ihrem Nachfolger die „Notwendigkeit" vor Augen zu führen, „solche festgestellte Einrichtungen zu Abwendung des eigenen Untergangs beizubehalten" 5 . Es war die Zeit engster Zusammenarbeit mit dem Manne, von dem sie bekannte, sie verdanke ihm nebst Bartenstein die Erhaltung der Monarchie 9 . Es ist kein Zufall, daß der Umgestalter der inneren Verwaltung hier neben dem M a n n e genannt wird, der der jungen Königin den Mut gestärkt hatte, sich dem Räuber Schlesiens zu widersetzen, als die meisten anderen Minister klein beigeben wollten. Für die Kaiserin war die innere Bewahrung ihrer Länder ebenso wichtig wie die äußere, das eine hing' ihr notwendig vom anderen ab. So wie sie in den Jahren nach 1740, von Bartenstein beraten, die Monarchie vor dem Zugriff der gegnerischen Koalition 1
Ranke, Zur Gesch. von Osterreich und Preußen, 23. = OZV II 1, 179 und 212. Ameth, Zwei Denkschriften Maria Theresias, Arch. f. ö. Gesch., 47, 1871, 323. 4 Ameth, 303. 5 Ameth, 325. « Ameth, 307.
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Die habsburgische Monarchie
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gerettet hatte, so schützte sie J a h r e später die Pläne Haugwitzens vor dem Ansturm der G e g n e r , stürzte Minister, baute Behörden um und zwang
die Länder zur
Unterwerfung. Sein Friedenssystem, wie es Haugwitz später n a n n t e 1 , mußte sich nur zu bald im Kriege bewähren. Die 108 0 0 0 Mann, die die Reform aufzustellen und zu halten erlaubt'hatte, gingen ins Feld, und dem Direktorium wuchs zu der Fülle von Arbeit, die die Anspannung der Verwaltung mit sich brachte, noch eine Aufgabe zu, die dem Anscheine nach erst die Übereinstimmung mit dem preußischen
Vorbilde
vollendete. Das Generaldirektorium Friedrich Wilhelms I. war aus der Kammerund der Kommissariatsverwaltung zusammengewachsen. In Osterreich hatte die Hofkammer und in ihrer Nachfolge das Direktorium das
Oeconomtcum militare,
in publicis et cameralibus
also die Heeresfinanzen
und die
zwar
Heeresversorgung
unter sich; das Generalkommissariat, dem die Kontrolle der Mannschafts-
und
Sachbestände und ihre Ergänzung und Verwendung oblag, stand abseits, nachdem e s zur unmittelbaren Hofstelle erhoben worden war. In vollem Gegensatz zu dem früheren C h e f der Hofkammer, der einmal die gesamte Finanzierung des Heeres hatte a b g e b e n wollen, erstrebte Haugwitz die Unterstellung sämtlicher Kommissariatssachen unter seine Behörde. Er erreichte sein Ziel, als der bisherige C h e f des Kommissariats wegen der unaufhörlichen Zuständigkeitsstreitigkeiten mit Haugwitz zurückgetreten war. Das Generalkommissariat wurde aufgelöst, und das Direktorium übernahm alle seine G e s c h ä f t e 2 . Jetzt war die gesamte zivile und Kriegsverwaltung in einer Hand vereinigt, während dem Hofkriegsrat nur die in engerem
Sinne
militärischen Angelegenheiten verblieben. Von der Arbeit, die ihm und seiner Behörde, besonders während des Krieges, mit den Kommissariatssachen zuwuchs, machte sich Haugwitz anscheinend nicht die rechte Vorstellung. Eben hatte Friedrich der G r o ß e nach seinen eigenen
Kriegs-
erfahrungen im Generaldirektorium ein besonderes Departement für die Militärökonomie eingerichtet und damit auch in Preußen anerkannt, daß dieser schwierige Gegenstand eine Sonderbehandlung
erforderte.
Indem Haugwitz seinem
Direk-
torium zu Beginn des Siebenjährigen Krieges die gleichen Angelegenheiten
zu-
schob, lud e r eine Last auf sich, die sich bald als untragbar erweisen sollte. Ein klares Urteil darüber wird sich allerdings erst gewinnen lassen, wenn wir einmal näheren
Einblick
in die tägliche Geschäftsführung des Direktoriums
gewinnen
sollten; bis j e t z t sind wir nur über die Entstehung und über den Sturz der Behörde unterrichtet. Vorerst können wir nur vermuten, daß Haugwitzens organisatorischer Begabung der Sinn für das Kleine, für die Einzelheiten abging, derselbe Sinn, der Friedrich Wilhelm I. neben der Fähigkeit, im Großen zu handeln, so sehr auszeichnet. Um die Kleinarbeit des Dienstes scheint sich Haugwitz nicht in der Weise gekümmert zu haben, die besonders bei der Fülle der Kommissariatsgeschäfte notwendig g e wesen wäre. Es war ein Mangel an Stetigkeit und an Ernsthaftigkeit, den Fürst mit
i Protokoll des Staatsrats, 9. Febr. 1761, OZV II 3, 91. ' OZV II 1, 224 ff.
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
den scharfen Worten andeutet: „Haugwitz' Äußeres spricht nicht für ihn; er zwinkert unaufhörlich mit den Augen und sieht mehr einem Narren als einem großen M a n n e ahnlich" 1 . Jedenfalls konnte Kaunitz die Schuld für das Scheitern seiner Kriegspolitik auf die innere Verwaltung und auf das Direktorium abschieben, und die Kaiserin, die einmal in Haugwitz ihren Retter gesehen hatte, gestattete, d a ß seine Schöpfung 1761 wieder aufgelöst wurde. So ist die Zusammenfassung der gesamten inneren und Finanzverwaltung in einer einzigen Staatsbehörde in Osterreich Episode geblieben. Zwar hat Joseph II. den mit dem Direktorium in publicis et cameralibus gemachten Versuch, die Angelegenheiten der Hofkanzlei und der Hofkammer zusammenzulegen, erneuert, a b e r auch seine Vereinigten Hofkanzleien haben seine Regierung nicht überdauert. Trotzdem liegt der entscheidende Trennungsstrich zwischen alter und neuer Zeit in den Reformen, die Haugwitz 1749 durchführte. Ungarn behielt zwar die alte Verfassung, aber in Osterreich waren die Rechte der Länder auf eine eigene Verwaltung mit den Hofkanzleien in ihrer damaligen Gestalt endgültig dahingegangen; es war ein Kernstaat der österreichisch-böhmischen Länder geschaffen, den auch Kaunitz nicht antastete. Die Verwaltungsgliederung kehrte dagegen wieder zu den von Ferdinand begründeten Behörden zurück, neben der reformierten österreichisch-böhmischen Hofkanzlei erstand wieder die Hofkammer als zentrale Finanzbehörde. In Osterreich siegte die eigene Überlieferung über das preußische Vorbild. Und doch war der zweimalige Versuch mit der großen Einheitsbehörde, der unter Haugwitz und der unter Joseph IL, mehr als eine bloß vorübergehende, schnell vergessene Erscheinung. Was in Preußen selbstverständlich schien, weil sich das Generaldirektorium in seinem Kern während des ganzen 18. Jahrhunderts nicht veränderte, war in Osterreich zu einem Problem erhoben, das die Beteiligten nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Die Frage, o b die politische Innen- und die Finanzverwaltung zusammengefaßt werden o d e r o b sie getrennt bleiben müßten, war nun kein Gegenstand einer österreichisch-preußischen Auseinandersetzung mehr; auch der ständisch-landesherrliche Gegensatz war verblaßt, seit Haugwitz den u n b e dingten Sieg f ü r die Monarchie erstritten hatte und Kaunitz der neuerstandenen Hofkanzlei die Unabhängigkeit von den Ländern bewahrte. Die große allumfassende Innenbehörde und die Ressorttrennung zwischen Innerem und Finanzen waren zu einem Grundproblem der Verwaltungskunst geworden; es wurde wirklich diskutiert und in der Praxis d u r c h g e p r o b t s .
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Ranke, Zur Gesch. von Osterreich und Preußen, 22. OZV II 1, 499.
IV. J o h a n n Heinrich G o t t l o b v o n Justi „Dann ist wohl zu erwögen", so heißt es 1745 in einem Vortrag des Hofkammerpräsidenten, „daß die Cameralwissenschaft und Experienz auf Universitäten nicht gelehrt, sondern lödiglich durch lange praxim und Übung erworben werden. Es ist dahero eine der wichtigsten Cameralmaximen, eine beständige Pelzschul, in welcher sich die junge Leuth von der Pique auf formieren können, zu unterhalten und ebendessentwillen hat man von langen Zeiten her gepflogen, über die ordinari Concipisten immerhin einigen anderen jungen Leuthen den Acceß zu verstatten, damit sich dise üben und ihre specimina an den Tag legen können. Ohngeachtet allen diesen angewendeten bemühungen findet man zu zehn und mehrern kaum zwei oder drei, von welchen man sich eine hoffnung eines mit der Zeit tauglichen raths oder referenten machen könne. Woraus dann abzunehmen, wie hothwendig die weitere cultur und Unterhaltung dieser schul wenigstens in zwei bis drei Accessisten seien, um von Zeit zu Zeit experimentirte Nachkömmlinge zu zighen . . . " 1 . Die österreichische Verwaltung litt also unter den gleichen Nachwuchssorgen wie die preußische. Dabei mangelte es weniger an der Zahl der Anwärter als an den „großen und habilen Köpfen", wie sie Friedrich Wilhelm I. nannte 2 , an Männern, die das Zeug zum Rat oder zum dirigierenden Minister hatten. Wie aus dem Hofkammervortrag hervorgeht, ließ man in Osterreich die jungen Adligen—hier kamen nur solche dafür in Frage — in der Behörde selbst von der Pike an dienen, in der Hoffnung, daß sich auf diesem Wege mit den Fertigkeiten auch die nötigen kameralistischen Kenntnisse erwerben würden. Die juristischen, die die Hofkammerordnung von 1717 einst in den Vordergrund gestellt hatte, brachten die jungen Leute aus ihren Universitätsstudien mit und brauchten sie bloß zu erweitern; die verwaltungswissenschaftliche Schulung, von der in dem Vortrag von 1745 allein die Rede ist, konnten sie im damaligen Osterreich nur in der Praxis erhalten. Der Satz, daß die Kameralwissenschaften an den Universitäten nicht gelehrt würden, galt schon nicht mehr für Preußen, wo Friedrich Wilhelm I. auf seinen Hochschulen Halle und Frankfurt für die Ausbildung seines Nachwuchses gesorgt hatte. Immerhin zeigt der Hofkammervortrag von 1745, wie sehr man eines ähnlichen Universitätsstudiums in Osterreich entbehrte; denn es hatte sich auch hier herausgestellt, daß die einseitige juristische Vorbildung der Anwärter für die Verwaltungspraxis ihre Schattenseiten hatte. 1 4
Vortrag des Hofkammerpräs. Grafen Dietrichstein, 26. Jan. 1745; QZV. II 2, 46,47. KO an Gen.-Dir., 28. Okt. 1730; AB V 1, 126.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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Auch auf diesem Gebiete machte die Begründung des Direktoriums in publicis et cameralibus durch den Grafen Haugwitz Epoche. Er tat den entscheidenden Schritt von der verwaltungspraktischen Ausbildung zur theoretischen Fundierung durch ein ordentliches Studium. Zwar noch nicht an der Wiener Universität sondern an der neugegründeten Theresianischen Ritterakademie. Den jungen Adligen, die nach Erledigung der allgemeinwissenschaftlichen Vorkurse an dieser Schule Jurisprudenz studierten, sollte die Möglichkeit gegeben werden, auch ökonomische und kameralistische Kurse durchzumachen. Seit der Begründung des Direktoriums war kein Jahr verflossen, als der Kurator des Theresianums, sicher im Einverständnis mit Haugwitz, der Kaiserin einen wohlüberlegten Plan einreichte. Um besonders tüchtige Adlige ihrer Ritterakademie „zu allerhöchsten Diensten tauglich zu machen", solle man „einem Profesorem bestimmen, welcher die erwachsene Jugend nicht nur zu einem reinen teutschen Stylo anführet, sondern anbey unterweiset, wie jeder Vortrag kurz, klar und ordentlich zu fassen seye. Dieser Professor hätte zugleich das Collegium oeconomico-provinciale zu besorgen, mithin den jungen Leuthen so nach zurückgelegtem Studio Juris sich ad interna appliciren wollen, die Theorische grund-regulln beyzubringen, wie ein rechtes Landesgubemeo in allen seinen Theillen zu bestellen, einfolglich wie der Wohlstandt derer Länder zu befördern und durch eben disen weeg das aerarium Principis zu Bereichern seie . . . Sobald die Jugend in dieser theorischen Wissenschaft gründlich unterrichtet ist, wäre selber von denen Erblanden selbsten und ihrer unterschiedenen Verfassung wie ingleichen von der Eigenschaft des Volcks und seinem damaligen Nahrungsstand ein rechter Begriff zu machen . . ." Der Kurator spricht weiter die Hoffnung aus, daß die Eltern „das Kostgeld gerne continuiren werden", wenn ihre Söhne damit die Anwartschaft auf die höheren Dienststellen erhalten und „wenn selbe nach und nach in besondere Zimmer und Tafel separirt, beim Ausgange von einer weltlichen Person begleitet und endtlichen einigen von diesen Gavaliren der öffter Zutritt bei Hoff allermildest gestattet würde . . . " 1 . Was der Kurator des Theresianums hier von dem gleichen Professor erwartet, die Lehre vom deutschen Stil und die Kameralistik, sind für uns zwei sehr verschiedene Wissenschaften. Ihr innerer Zusammenhang war jedoch dadurch gegeben, daß es sich nicht eigentlich um die Anfertigung deutscher Aufsätze, sondern um amtliche Schreiben und Vortragsentwürfe handelte, d. h. um die praktische Seite des Verwaltungsschreibwerks. Wie reformbedürftig der österreichische Amtsstil vom Standpunkt der neuen deutschen Bildung war, haben wir früher aus einem Stück der Hofkammerordnung von 1717 erkennen können. Unter Maria Theresia machte die behördliche Ausdrucksweise einen ähnlichen Schritt nach vorwärts auf ein reines Deutsch hin, wie ihn Preußen unter Friedrich Wilhelm I. bereits getan hatte, ein Fortschritt, den der Lehrauftrag am Theresianum zu sichern hatte. Was die Iatei1
Vortrag des Grafen Khevenhüller, 10. Aug. 1750; Gustav Marchet, Studien über die Entwicklung der Verwaltungslehre in Deutschland von der zweiten Hälfte des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, München 1885, 317, Anm. 1.
Johann Heinrich Gottlob von Justi
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nische Jurisprudenz etwa verbildete, sollte eine besondere Schulung im deutschen Stil wieder gerade biegen. Den Mann, der beide Unterrichtsgebiete zu vertreten hatte, holte man sich aus der Heimat des Thomasius, der zuerst Vorlesungen in deutscher Sprache gehalten hatte, aus dem Lande Gottscheds und Gellerts, dem man damals das reinste Deutsch zutraute. Es war der zweiunddreißigjährige Johann Heinrich Gottlob Justi \ der sich erst etwas später aus eigenen Gnaden in den Adelstand erhob und von Justi schrieb. Er weilte gerade in Wien und hatte sich eben durch ein paar staatsrechtliche Schriften empfohlen, in denen er den Standpunkt der österreichischen Politik öffentlich vertrat. Also selbst ein Jurist, wenn auch kein Graduierter, aber ein Gegner des römischen Rechts und seiner Ausdrucksweise, mehr öffentlich-rechtlich als zivilrechtlich gebildet. Auf dem Gebiete der Kameralwissenschaften hatte er sich noch nicht hervorgetan, aber die Versicherung gegeben, daß er sich in Kürze vorlesungsreif machen würde. Als Lehrer des Sohnes befand er sich bereits im Hause des Grafen Haugwitz 2 und wurde durch einen Vortrag ex pleno directorii — wieder erkennt man die leitende Hand des Ministers — am 11. August 1750 für den Lehrauftrag vorgeschlagen 3 , während Gottsched die Hoffnung aufgeben mußte, einen seiner Schüler auf dem wichtigen Wiener Posten zu sehen. Sicherheitshalber ordnete die Kaiserin noch eine Klausur im Hause ihres Direktorialpräsidenten an, eine Probe, die Justi so gut bestand, daß er mit dem Versprechen angestellt wurde, er dürfe auf eine Erhöhung seines Gehalts rechnen, wenn er „sich mittlerweil zur Abhaltung eines Collegiioeconomicoprov'mzialis . . . . geflissen haben werde" 4 . Seiner feierlichen Antrittsvorlesung wohnten die Minister persönlich bei. Justi sprach über den Zusammenhang zwischen der Blüte der Wissenschaften und der des Staates, ein Thema, bei dem er Gelegenheit nahm, das Osterreich: Maria Theresias nach Gebühr und noch erheblich darüber zu rühmen. Spätestens im November 1751 verdiente sich Justi die versprochene Zulage ", die ihm dann noch einmal gewährt wurde; ein Jahr nach dem Antritt seines Lehrauftrages muß er also auch die staatswissenschaftlichen Vorlesungen gehalten haben, die man von ihm erwartete. Die elotjuentia germanica, für die er ursprünglich angestellt worden war, betrieb er daneben weiter, wie er sie bald auch literarisch in der „Anweisung zu" einer guten teutschen Schreibart" vertrat 6 . Den Schwerpunkt seines Denkens aber legte er jetzt auf die Verwaltungswissenschaft, in der er seine 1
F. Frensdorff, Ober das Leben und die Schriften des Nationalökonomen J. H. G. von Justi, Nachrichten v. d. Kgl. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, Phil.-hist. Kl. 1903, 355—505; Ftensdorff hat S. 359 als Geburtsjahr 1717 nachgewiesen. Vgl. jetzt Emst Klein, Joh. Heinr. Gottl. von Justi, ein Beitrag z. Abhängigkeit der kameralistischen Theorie von der staatswirtschaftlichen Praxis. Phil. Diss. Halle 1952, Maschinenschr. * Frensdorff, 379. » Ebd. 376. 4 Anstellungsdekret, 31. August 1750, Marchet, 317, Anm. 1. 5 Marchet, 317, Anm. 1, datiert die Zulage von 500 fl. auf den Nov. 1750, dagegen Fiensdorff nach den Akten des Theresianums auf den 1. Nov. 1751 (S. 380, Anm. 2). • Leipzig 1754, vgl. Frensdorff, 381.
H a u s s h e r r , Verwaltungseinhelt 6
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
Lebensaufgabe finden sollte. Er war stolz darauf, daß er das Wissen, das er zu vermitteln hatte, nicht bloß vortrug, wie dies meist geschah, sondern nur die Hälfte der Unterrichtszeit dafür verwandte, während er in der anderen Hälfte der Zeit in ein Kolloquium mit den Studenten eintrat. Seine Vorschriften banden ihn an den Gebrauch eines Lehrbuches; und da er keines fand, mit dem er zufrieden gewesen wäre, sich auch zutraute, das einzig in Frage kommende von Dithmar weit zu übertreffen, so ließ er sich den Auftrag geben, selbst einen Grundriß zu entwerfen 1 . Dieser wurde im Direktorium durchgesehen und fand dessen Beifall, so daß Justi ihn seinen Vorlesungen zugrunde legen durfte 2 . Den kurzen Abriß erweiterte er dann zu der zweibändigen „Staatswirtschaft oder systematische Abhandlung aller oeconomischen und Cameralwissenschaften, die zur Regierung eines Landes erfordert werden". Dies, sein Hauptwerk, erschien aber erst kurz nach seiner Entlassung aus den österreichischen Diensten (1755) *. Justi sagte nichts Falsches, wenn er in der Widmung des großen Werkes an Maria Theresia betonte, seine „Staatswirtschaft" sei „aus denjenigen Lehren erwachsen, die ich . . . am Collegio Theresiano vorzutragen die Ehre gehabt habe" Wirklich war die österreichische Verwaltung in der Form, die ihr Haugwitz gegeben hatte, der eine Erfahrungskreis, auf dem die „Staatswirtschaft" aufbaute. Der zweite war das Preußen Friedrich Wilhelms I., dessen Name bei Justi nie ohne den Zusatz „der große Wirt" auftaucht, [überzeugender als die Lobreden des Halleschen Professors Ludewig gibt Justi der Anschauung Ausdruck, die Schön mehr als zwei Menschenalter später in die bekannten Worte vom größten inneren König Preußens faßte. Dabei hatte Justi kaum Gelegenheit gehabt, Preußen persönlich kennenzulernen. Erst später trat er in die Dienste Friedrichs des Großen. Aber wenn wir von Widmungen absehen, die selbstverständlich den Ton tiefster Ergebenheit anschlagen *, hat Justi an Friedrich mehr den Verfasser des Antimacchiavell geschätzt als den Kriegsfürsten • und den Verwalter seines Staates, jedenfalls finden sich für ihn keine solchen Worte echter Verehrung wie für seinen Vater. Der kriegerische Ruhm Friedrichs blendete Justi nicht, denn er warnte seinen Fürsten stets davor, Kriege zu führen, die auch im besten Falle die Finanzen erschöpften und die Volkskraft verzehrten. Dazu konnte er bemerken, daß Friedrichs innere Verwaltung zwar auf den Wegen wandelte, die der „große Wirt" eingeschlagen hatte, sich im ganzen 1
Erschienen in den „Neuen Wahrheiten", 1754, 147 ff.; vgl. Frensdorf}, 381. * Staatswirtschaft I, Zuschrift. » Leipzig bei Breitkopf 1755, 535 u. 710 S. * Staatswirtschaft I, Zuschrift. Wenn Wilhelm Stieda, Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft, Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss., Phil.-hist. KI. 25, 1906, 33, behauptet, Justi sei nie dazu gekommen, sein Programm, in Wien Vorlesungen zu veranstalten, durchzuführen, so ist das nach allem oben Angeführten ein Irrtum. 5 Z. B. Widmung des Systems des Finanzwesens, Halle 1766, dat. Landsberg a. d. Warthe, 7. Apr. 1766. * Der Antimacchiavell wird besonders in dem Buche Grundriß einer guten Regierung, Frankfurt u. Leipzig 1759, allenthalten gelobt u. zitiert.
Johann Heinrich Gottlob von Justi
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aber nach einer Richtung wandte, die Preußen in kleinen Schritten immer weiter von dem Bilde entfernte, das Justi in seinen Schriften entwarf. Der dritte Erfahrungskreis war der klein- und mittelstaatliche der thüringischen Herzogtümer und des Kurfürstentums Sachsen, ein Erfahrungskreis jedoch, an dessen bestehender Verwaltung Justi mehr die negativen Züge hervorhob und sie als Bild dessen benutzte, was notwendig überwunden werden müsse. In der „Staatswirtschaft" jedenfalls lehnte er die Trennung zwischen Fiskus und Aerar, zwischen landesherrlicher und ständischer Finanzverwaltung streng ab und wollte nur eine einheitliche Gewalt, eine Kasse und eine Verwaltung anerkennen, nämlich die des Fürsten Es gibt keine bessere zeitgenössische Schilderung des absolutistischen Staates in Deutschland als die Justis, mit der Einschränkung freilich, daß sie mehr das zeigt, was der aufgeklärte Despotismus erstrebte und in den Großstaaten auch erreichte, nicht aber die Hemmungen, mit denen er immer noch zu kämpfen hatte. Das ständische Wesen, die Landtage, die Unterobrigkeiten eigenen Rechtes, alles das tritt bei Justi mehr zurück als in der Wirklichkeit vieler Staaten seines Jahrhunderts, in denen es doch noch eine Kraft, wenn auch eine absterbende, darstellt. Dieser Mangel wurde bereits von Zeitgenossen erkannt. Die Besprechung in den Leipziger Sammlungen des Kameralisten Zincke tadelt, daß Justi das staatsrechtliche Element vernachlässigt habe und deshalb mehr eine Philosophie der Cameral- und Finanzwissenschaft g e b e als diese selbst; nicht einmal den Unterschied von Fiskus und Ärar beachte e r 2 . Hier weist ein Kenner auf den entscheidenden Gegensatz hin, den Gegensatz zwischen einem mehr beschreibenden Lehrbuch des geltenden Verwaltungs- und Finanzrechtes, in dem das durch die Satzung geheiligte Alte dem stärkeren Neuen das Gleichgewicht hält, und einer normsetzenden Lehre, die bewußt über das geltende Recht hinausgeht und allein den Idealtypus des Absolutismus hinstellt. Es ist der ewige Unterschied zwischen einem juristischen Positivismus und einer Staatswissenschaft, die den besten Staat, so wie sie ihn versteht, im Auge hat. In dem Hauptwerk von der „Staatswirtschaft" setzt Justi die monarchische Regierungsform, wie er selbst betont, ohne weiteres v o r a u s s ; das gibt dem Buche seine Geschlossenheit und Selbstsicherheit. Aber hier begegnet nicht mehr der naive Absolutismus Schröders, der nur die Mahnung aussprach, der Fürst solle sich bewußt bleiben, daß er die Henne nicht schlachten dürfe, die ihm die goldenen Eier legen solle, daß er das Schaf wohl scheren, aber nicht abhäuten dürfe, wenn er auf die Dauer mit Wolle versehen sein möchte. Gewiß begegnen solche Töne auch bei Justi, da nämlich, wo er gegen kurzsichtigen Fiskalismus und Plusmacherei an den wohlverstandenen Nutzen des Fürsten appelliert; wichtiger ist ihm der andere Gedanke, der bei Schröder doch nur mit anklingt, daß nämlich „der Wohlstand des Regenten 1
Staatswirtschaft II, § 67. Wilhelm Roscher, Gesch. d. Nationalökonomie in Deutschland, München 1874, 446; ders. in Jbb. f. Nationalök. u. Statistik, 4, 1865, 88 ff. Ober „Die Anfange des nationalökonomischen Zeitschriftenwesens in Deutschland". • St.-W.l, § 11. 2
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
und die Glückseligkeit der Untertanen niemals voneinander getrennt werden" können 1 . Bei Justi ist die „gemeinschaftliche Glückseligkeit des Regenten und der Untertanen" der Zweck des Staates 2 , und die Aufgabe des Regenten ist es, „das Vermögen des Staates zu erhalten und zu vermehren und seine Untertanen glücklich zu machen" Diese gemeinschaftliche Glückseligkeit faßt Justi als eine gegenseitige Verpflichtung, die ebenso und noch mehr den Herrscher bindet, der alle Mittel und Maßregeln zu ergreifen hat, um das Glück und die Wohlhabenheit der Untertanen zu befördern, wie sie die Untertanen verpflichtet, alle diese Maßregeln durch Gehorsam und Fleiß zu erleichtern und aus ihrem Vermögen die Mittel bereitzustellen, mit denen der Regent ihr Glück begründet oder vermehrt. Es ist, wenn man von Schröder oder von Gasser und Dithmar zu Justi kommt, der Schritt von einem mehr patriarchalischen Absolutismus zum aufgeklärten Despotismus, von Friedrich Wilhelm I. und Maria Theresia, die in ihrer menschlichen Eigenart doch dem größten inneren König Preußens näher steht, zu Friedrich dem Großen und Joseph II. 4 . Noch liegt die Gewalt, auch in Justis „Staatswirtschaft", ungeteilt in den Händen des Monarchen und seiner Verwaltung, besonders die Macht, das Glück der Untertanen zu fördern; aber diese sind wenigstens theoretisch nicht mehr bloß Rechts- und Verwaltungsobjekte, sondern Träger eigener, unabweisbarer Ansprüche an den Regenten, dem sie sich freilich auch im Bösen zu fügen haben. So liegt zwischen den Generationen der Herrscher, die ihre Staatsanschauung auszuleben und in einer harten Wirklichkeit durchzusetzen'hatten, ebensowenig eine in grundsätzliche Tiefen reichende Kluft wie zwischen den Generationen der Kameralisten. Das Neue liegt vielmehr darin, daß bestimmte vorhandene Entwicklungslinien, der verborgene Systemzug, von den Denkmitteln der reifen Aufklärung ergriffen und zu bewußter Systematisierung erhoben werden. „Eine gutgeführte Regierung muß ein ebenso strenges System haben, wie es ein philosophisches nur sein kann", so sagte Friedrich B , und Justi warf den Lehrbüchern Gassers und Dithmars vor, daß sie nur ein Stückwerk, noch dazu ein mangelhaft vorgetragenes, aber kein ordentlich aneinanderhängendes Lehrgebäude zu geben hätten 6 . Friedrich war König und Philosoph sein ganzes Leben lang; Justi betätigte sich als Philosoph auf dem staatswissenschaftlichen Felde, war er doch für eine Schrift gegen die Leibnizsche Monadenlehre von der Berliner Akademie der Wissenschaften preisgekrönt worden, bevor er die Feder zur Staatswirtschaft ansetzte 7 . Sein eigenes Uberlegenheitsbewußtsein gründete sich darauf, daß er sich als ein „philosophischer Kopf" fühlte, wie er es mit eben denselben Worten vom echten kameralistischen 1 St.-W. I, § 22. 2 St.-W. II, § 15. * St.-W. I, § 21. 4 Ober die Schwieriakeiten der Epochenscheidung Fritz Härtung, HZ 145, 1932, 46—52. 8 Die ootitischen Testamente, ed.Volz, 1752, S. 38. « St.-W. I, Vorrede IV. i 1747, Frensdorf}, 371.
innerhalb des Absolutismus vgl.
Johann Heinrich G o t t l o b von Justi
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Schriftsteller verlangte 1 . Er selbst wollte „Universalkameralisten" heranziehen, Männer, die wegen ihrer Ausbildung in „zusammenhängenden Grundsätzen" den bloßen „Partikularkameralisten", die nur in diesem oder jenem Fache etwas leisteten, turmhoch überlegen w ä r e n F ü r die Übersicht über das Ganze des Staates verlangte er eine wissenschaftliche Durchbildung und bejahte in diesem Sinne die selbstgestellte Frage, ob ein echter Kameralist gelehrt sein solle, denn das heiße nichts anderes, als die Natur und die Eigenschaften der Dinge kennen und die Wahrheiten in ihrem Zusammenhang einsehen s . Im vorjustischen Kameralismus und in der Staatspraxis Friedrich Wilhelms 1. haben wir den Gedanken von der Konservation der Untertanen als den Punkt erkannt, von wo aus sich die einzelnen Erkenntnisse ebenso wie die einzelnen praktischen Maßnahmen zu einem System abrunden konnten, ohne daß das System theoretisch vollendet worden wäre. Justi verstand die „Glückseligkeit der Untertanen" nicht mehr bloß als ein Mittel, den finanziellen Ertrag des Staates zu steigern und auf die Dauer zu bewahren, sondern als Selbstzweck, als die eigentliche Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft. Dabei hatte das Wort Glückseligkeit keinen religiösen Klang mehr: „Der Endzweck der Republiken ist nur auf die zeitliche Glückseligkeit gerichtet" 4 , und er verstand darunter „einen guten Nahrungsstand und blühende Gewerbe" 5 . Die Aufklärung hatte sich in Justi schon so weit durchgesetzt, daß er den Herrscher ausdrücklich warnte, seinen Untertanen das eigene Bekenntnis aufzudrängen, denn die ewige Glückseligkeit sei nicht unter seiner Vorsorge begriffen. Er müsse sich vielmehr bemühen, Ausländern ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis durch die Gewährung der Gewissensfreiheit die Niederlassung zu erleichtern, um damit „ C o m m e r d e n und Manufakturen in Aufnahme zu bringen" 9 , eine Lehre, die der Staatspraxis Friedrichs des Großen, nicht aber der Maria Theresias entsprach. Vor Joseph II. nahm Osterreich nur katholische Einwanderer auf; Protestanten mußten das O p f e r des Übertritts bringen, wenn sie auf eine Anstellung hofften. Das galt auch für Justi, der sich damit in die lange Reihe derer gestellt hätte, die als ehemalige Protestanten aus dem Reich in Wien zu höherem oder geringerem Einfluß gelangten, und zu der auch Bartenstein und Haugwitz gehörten. Justi scheint jedoch den übertritt mehr vorgetäuscht oder zugesagt als wirklich vollzogen zu h a b e n 7 . Leider fehlt jedes sichere Zeugnis darüber, aber es sieht so aus, als ob seine schnelle Abreise aus Wien mit einem Konflikt in Religionssachen zusammenhängt. Das Theresianum, an dem er lehrte, hatte die Kaiserin den Jesuiten, die Schwesteranstalt der savoyischen Ritterakademie den Piaristen anvertraut. Ihnen war Justi ein Objekt der Bekehrung und ein Gegenstand des Miß1 St.-W. II, § 372, Anm. 2 St.-W. I, V o r r e d e XXVII. 3 System des Finanzwesens, § 72. • S t . - W . l , 91. s St.-W. I, 35. ® St.-W. I, 91—93. 7 Frensdorff, 386 ff. und 406.
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trauens, war den strengen Katholiken doch die ganze neue Richtung verdächtig, sowohl die Lehre von der deutschen Sprache, die aus dem Lande der Reformation bezogen wurde, wie die Staatswissenschaft selbst, von der der Pater Rektor ihm gesprächsweise sagte, daß es „auf alle die schönen Verbesserungen in Cameralund Polizeisachen gar nicht ankäme. Wenn man nur fromm wäre und andächtig betete, so segnete Gott ein Land. Das Haus Osterreich wäre so lange ohne alle dergleichen Cameralwissenschaften sehr glücklich gewesen". Hier trat dem Vertreter der neuen weltlichen Verwaltungslehre die Oberlieferung entgegen, die dort ständisch, hier kirchlich begründet war, eine Überlieferung, von der sich Preußen früher frei gemacht hatte als Osterreich. An der Stelle, wo er die Worte des Pater Rektors anführt, konnte sich Justi die Bemerkung nicht versagen, „daß es niemand in der Welt weniger als die Herren Jesuiten, in ihren zeitlichen Angelegenheiten, auf die Wunderwerke und die unmittelbare Fürsorge Gottes ankommen läßt" und er ist dann ein erbitterter Feind des Ordens geworden. Eine Feindschaft, die sidi in hannoverschen und preußischen Diensten auf die ganze habsburgische Monarchie ausdehnte, wobei die Tatsache, daß er in Wien nicht dauernd hatte Fuß fassen können, und der Wunsch einer Anstellung in den protestantischen Staaten doch wohl stärker wirkten als weltanschauliche Überzeugungen, über die er sich wahrscheinlich hätte hinwegsetzen können, wenn es seine persönlichen Interessen verlangt hätten. Mit Recht durfte sich Justi rühmen, er habe seiner Wissenschaft als erster den systematischen Zusammenhang gegeben. Er ist es gewesen, der die alte Trennung in Ökonomie, Polizei- und Kameralsachen in der Einheit seiner Staatswirtschaft überwand. Was seine Vorgänger notdürftig miteinander verbanden, weil die Staatspraxis es bereits verbunden hatte, wird bei Justi stets aus dem Begriff und dem „Endzweck" des Staates, aber im Sinne seines Jahrhunderts niemals geschichtlich, abgeleitet. Gewiß hat Justi außer der „Staatswirtschaft" später noch eine „Polizeiwissenschaft" und eine „Finanzwissenschaft" geschrieben, auch den Commercienwissenschaften, wie er sie nannte, ein besonderes Werk gewidmet 3 . Aber er tat es als ein Mann, der von seiner Feder leben muß und das einmal Gesagte noch ein zweites und ein drittes Mal breiter auswalzt. Das Bewußtsein, daß die Staatswirtschaft eine Einheit bilde, die Vorstellung also von einem untrennbaren Zusammenhang der Staatswissenschaft, hat er niemals aufgegeben und ist nie müde geworden, dies auch in den gesonderten Werken immer wieder hervorzuheben. Nach seiner bereits in der „Staatswirtschaft" vertretenen Auffassung hat der „Polizeiverständige" für die „Erhaltung und Vermehrung des allgemeinen Vermögens des Staates" zu sorgen, und zwar durch „gute innerliche Verfassungen" 3 . Zur Aufgabe der Polizei gehört nach Justi, der an dieser Stelle durchaus der merkantilistischen Staatspraxis und seinen wissenschaftlichen Vorgängern folgt, die Sorge für den Landbau, für Handel u n d G e 1
Der Grundriß einer guten Regierung, 1759, § 250. Grundsätze der Polizeiwissenschaften (1756), 2. Aufl., Göttingen 1759. Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten oder ausführliche Vorstellung der gesamten Polizeiwissenschaft. Königsberg u. Leipzig 1760/61. System des Finanzwesens, Halle 1766. s Grundsätze der Polizeiwiss., § 5. :
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werbe, so daß, und damitgehter über diebisherige Lehre hinaus, die ganze Wirtschaftslehre im engeren Sinne zu einer „untergeordneten Wissenschaft der Polizei" wird 1 . Untrennbar mit ihr verbunden bleibt die Cameral-, oder wie sich Justi bereits ausdrückt, die Finanzwissenschaft; denn, so faßt er seine Erkenntnis in einem schlagkräftigen Satz zusammen: „Der Polizeiverständige sät gleichsam und der Cameralist e r n t e t " 2 . Dabei dachte sich Justi das Polizei- und das Finanzinteresse nicht von verschiedenen Beamten vertreten; sein Universalkameralist soll vielmehr beides zugleich sein, ein Verwaltungsfachmann, der seine Aufgabe mit dem Blick sowohl auf das Wohl der Untertanen wie auf das finanzelle Ergebnis erfüllt, oder ein Finanzsachverständiger, der nicht bloß auf seine Kassen schaut, sondern sich ebenso eifrig bemüht, sie nur auf eine Weise zu füllen, die das allgemeine Beste, besonders das des Nahrungsstandes, berücksichtigt. Ein und derselbe Beamte soll sich also für die allgemeine Verwaltung und für die Staatsfinanzen zugleich verantwortlich fühlen; und wenn sich nicht dieselbe Persönlichkeit beiden Aufgaben zugleich widmen kann, so soll es doch wenigstens, wie wir noch sehen werden, die gleiche Behörde. Aus dieser Einheit der Justischen Verwaltungswissenschaft ergeben sich eine ganze Reihe von theoretischen Fortschritten, die unmittelbar in die Praxis eingreifen, ja, beide aus der Weiterentwicklung der Staatspraxis seiner Zeit abgelesen sein dürften. Einer von ihnen liegt darin, daß Justi die Lehre von den Staatsausgaben bereits in der „Staatswirtschaft" als Teil der Cameralwissenschaft im engeren Sinne, also als Unterabteilung der Finanzwissenschaft behandelt 9 , diese damit in weitem Umfange an der Erwägung über die Zweckmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen beteiligt. Mit voller Sicherheit hält Justi an dem Fortschritt aber nicht fest. Im „System des Finanzwesens" von 1766 fehlt die Lehre von den Ausgaben. Dies b e gründet er zwar mit der Rücksicht auf seine Gesundheit, die ihm vorerst nicht erlaube, den notwendigen zweiten Band hinzuzufügen, entschuldigt es aber weiterhin damit, daß „die Grundsätze und Regeln über den Aufwand und die Ausgaben des Staats im engeren Verstände kein Teil des Finanzwesens" sind. Doch macht er an der gleichen Stelle ganz im Sinne seiner „Staatswirtschaft" den Vorgängern Gasser und Dithmar zum Vorwurf, sie sähen die Lehre von den Einnahmen, von den „Quellen des gesamten Finanzwesens, . . . als den ganzen Umfang dieser Wissenschaft" an 4 . Der veränderte Blickpunkt zeigt sich besonders an der Lehre von den Regalien, der einen großen Gruppe der älteren Staatseinnahmen. Justi, der nicht müde wurde, das bloße Plusmachen als Finanzmaxime zu verurteilen und den Plusmacher als unechten Kameralisten zu brandmarken, ist auch der erste, der die fiskalischen Interessen bei Post, Zoll und Münze, bei Wasser-, Forst- und Bergnutzung beiseiteschiebt, indem er sie als bloße Nebenzwecke bezeichnet*. Die Ausübung der 1 5 3 4
St.-W. I, § 28, för die Commerzwissenschaft. Grundsätze d. Polizeiwiss., § 449. St.-W. II, §§ 408—516. Finanzwesen, Vorbericht. St.-W. II, § 97 ff., entsprechend Finanzwesen, § 273 ff.
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Regalien h ä n g e so eng mit dem g e s a m t e n Nahrungsstande im Lande zusammen, d a ß d e r R e g e n t diese s e i n e Rechte nur im Interesse seiner Untertanen und ihres Erwerbes, nicht in dem seiner Kassen ausüben dürfe. Auch hier war die Praxis der b e d e u t e n d e r e n Herrscher, nicht o h n e Rückfälle in den g e w o h n t e n Fiskalismus v o r a u s g e g a n g e n ; a b e r erst Justis Einsicht stellte wissenschaftlich fest, an welcher S t e l l e der Kameralist auf das Ernten verzichten müsse, damit d e r Polizeiverständige d e s t o b e s s e r säen könne. Noch einmal zeigt sich, d a ß der G e d a n k e von der Konservation d e r Untertanen und der A u f n a h m e des Nahrungsstandes nicht b l o ß die praktischen Möglichkeiten enthielt, Ö k o n o m i e , Polizei und Finanzeirzu einer fruchtbaren Einheit zusammenzubinden, sondern d a ß aus ihm und nur aus ihm das wissenschaftliche S y s t e m entwickelt werden konnte, wie es Justi als e r s t e r v o r l e g t e . „Ein g r o ß e r C a m e r a l i s t e " , so f a ß t e Justi seine Forderungen an den V e r w a l t u n g s b e a m t e n zusammen, „ m u ß ein e b e n s o g r o ß e r Polizeiverständiger s e i n " und z o g daraus die unmittelbare F o r d e r u n g , d a ß „ d i e j e n i g e n C o l l e g i a , welche die Finanzen dirigieren, . . . .
auch die Direktion d e r Landes-Polizei h a b e n " m ü ß t e n 1 .
Dieser
S a t z ist dem letzten kameralistischen W e r k Justis, dem System des Finanzwesens von 1 7 6 6 , e n t n o m m e n , a b e r e r faßt nur die s e h r e i n g e h e n d e n V o r s c h l ä g e zusammen, die e r bereits in der Staatswirtschaft von 1 7 5 5 entwickelt hatte. Bei allen W a n d lungen, denen die Staatslehre Justis in den fünfzehn J a h r e n seines kameralistischen Wirkens in T h e o r i e und Praxis ausgesetzt war, hat e r stets daran festgehalten, d a ß Polizei und Finanzen von der gleichen B e h ö r d e b e a r b e i t e t werden müßten, nur s o sei die n o t w e n d i g e Einheit der Staatsverwaltung gesichert. Er stellte sich damit auf den Boden der Fortschritte, die Friedrich Wilhelm I. und Haugwitz erzielt hatten. D i e Kämpfe, in denen dieser die alten Hofkanzleien und die Länderstellen
dazu
gezwungen hatte, die Polizeisachen an sein Direktorium und an die neuen Kammern a b z u g e b e n , sind für Justi a b g e t a n ; die Verbindung von Justiz und Verwaltung in den Regierungen vieler deutscher Staaten behandelt e r als Ü b e r b l e i b s e l v e r a l t e t e r V e r fassungen s . D a s einheitliche Generaldirektorium in der Zentrale, die einheitlichen Kammern in den
Provinzen sind d a h e r der Ausgangspunkt für seine
weiteren
Reformvorschläge. An diesem M a ß s t a b e mißt e r die O r g a n i s a t i o n der h a b s b u r gisdien
Gesamtmonarchie,
s o wie e r sie unter Haugwitz v o r g e f u n d e n
hatte. Er
b e m ä n g e l t , d a ß Ungarn, S i e b e n b ü r g e n , die italienischen und die niederländischen Besitzungen des Hauses j e d e für sich immer noch neben der Verwaltung des deutsch böhmischen Kanzle!
Kernstaates stehen, und e r k e n n t in d e r A u f h e b u n g der
e i n e Entwicklungstendenz,
die w e i t e r g e t r i e b e n
werden
Böhmischen
müsse, bis
zur
„ V e r e i n i g u n g aller österreichischen Staaten in ein einzig C o r p u s " 3 . V o n d e r V e r schiedenheiten d e r österreichischen V ö l k e r spricht Justi kein W o r t ; die Unterschiede, die e r im Staatsleben allein berücksichtigte, waren solche der V e r f a s s u n g und d e r Verwaltung, Unterschiede, die sein Einheitsstaat energisch a u f h e b e n solle.
Dazu
hatte sich Maria Theresia in ihrem lebendigen G e f ü h l für die berechtigten E i g e n Finanzwesen, § 10. St.-W. II, § 573 = Grundsätze d. Polizeiwiss., § 450. » St. II, § 581.
1 1
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tümlichkeiten besonders Ungarns nicht entschließen können, jedenfalls nicht in dem M a ß e , wie es Haugwitz und wie es auch Justi gewünscht hätte. Daher spendet Justi der preußischen Organisation, die es bei ihrer einheitlicheren Bevölkerung leichter hatte, den Einheitsstaat zu verwirklichen, höheres Lob, besonders dem „großen Wirt", dem Begründer des Generaldirektoriums. Den großen Gedanken dieser Schöpfung dachte Justi noch einmal. Dabei löste er ihn von aller geschichtlichen Bedingtheit. Auf diese Weise konnte e r ihn in idealer Vollkommenheit hinstellen und die Triebkräfte, die ihn gestaltet hatten, sich voll und unbehindert auswirken lassen. Justi forderte also, daß die gesamte innere Verwaltung, welchem Fache sie auch angehöre, in einer einzigen Behörde, „einem einzigen hohen Collegium in inneren Landesangelegenheiten" 1 zusammeng e f a ß t werden müsse. Nur die auswärtigen Geschäfte, die ihm weniger lagen, sollten für sich erledigt werden. Für diese Innenbehörde lehnte er die büromäßige Verfassung nach französischem Muster ab. Er wollte nicht Minister mit Kommissaren, sondern nach deutscher Art Kollegien eingesetzt wissen. Die Gefahren der Kollegialität, Langsamkeit und Bedenklichkeit, waren ihm wohl bekannt; er nahn sie auf sich zugunsten einer sachlicheren Führung der Geschäfte mit reifer Überlegung in Verhandlungen, in denen sich die verschiedenen Meinungen ausglichen. Damit stellte sich Justi in die allgemeine Bewegung gegen den Ministerialabsolutismus, dem man damals weniger Sachlichkeit und weniger Fürsorge für Land und Leute zutraute als jedem Monarchen. Ganz in demselben Sinne verlangte Friedrich der G r o ß e vom Herrscher, er solle selbst regieren, weil ein Premierminister entweder nicht über die nötige Autorität verfüge o d e r seine Macht mißbrauchen werde-'. In einer Epoche, in der die großen Minister dahin waren, die wie Richelieu und Mazarin über die Zwischenstufe des Ministerialabsolutismus den königlichen in den Sattel gesetzt hatten, in der die Regierungsform der Aufklärung von Monarchen vertreten wurde, die ihrer A u f g a b e gewachsen waren, galt die Selbstregierung als das Heilmittel gegen die möglichen Schäden des Despotismus. In diesem Sinne hatte Schröder seine Abhandlung gegen den „Ministrissimus" an sein Hauptwerk a n hängen lassen, schrieb Justi anonym seine vernichtende Kritik an Persönlichkeit und Werk des sächsischen Premierministers Brühl und warnte in allen seinen Werken vor dem Oberhandnehmen ministerieller Macht. Die Dichtung der folgenden Jahrzehnte wagte es dann, sich für den Druck des Despotismus an seinen Vertretern, den Ministern und Präsidenten, zu rächen; solche revolutionären Klänge ertönen a b e r weder bei Schröder noch bei Justi; sie beherrscht das Bestreben, dem monarchischen Staat, wie er sein sollte, im Bilde des Ministrissimus gegenüberzustellen, was zu verwerfen war. Den herrschenden Minister, mag er auch noch so groß sein wie Richelieu, lehnen sie ab, die Kabinettsregierung erkennen sie dagegen an. Der Regent, der die letzten Entscheidungen in seinem Kabinett fällt, die Staatsmaschine von o b e n h e r antreibt und in Gang hält, wird dann auch mit der Schwerfälligkeit
* St.-W. II, § 596 = Polizeiwlss., § 448. » Pol.-Test. 1768, ed. Volz, 189 f.
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seiner Kollegien leichter fertig als mit einem Minister, der die Oberhand gewinnen könnte. Ober die Einteilung nach Provinzen, die innerhalb des preußischen General* direktoriums noch vorwog, war Justi hinausgewachsen. Er wollte reine Sachdepartements für die verschiedenen großen Zweige vor sich sehen, deren jedes wieder ein Kollegium darstellte 1 . Diese Abteilungen der großen Innenbehörde beziffert Justi auf fünf oder sechs. Als erstes und vornehmstes nennt er das Polizei? departement. Dann folgt das Cameral- oder Finanzdepartement, dem eine Rechnungskammer und die Generalkasse unterstellt sein sollen. Das waren die wichtigsten Sachen, die auch im Generaldirektorium und im Direktorium in pubticis et cameralibus vereinigt waren. Mit der Forderung einer Rechenkammer unter dem Finanzdepartement schließt sich Justi ganz an das an, was in Preußen üblich, in Osterreich aber noch nicht eingeführt war; mit der nach einer einheitlichen Generalkasse geht er dagegen über die preußische Praxis mit ihren zwei Hauptkassen hinaus, während Österreich bereits wichtige Schritte auf dem Wege zur Kasseneinheit getan hatte. Mehr an die preußische als an die österreichische Organisation klingt es an, wenn Justi als drittes ein Commerziendepartement sehen möchte, das alle „Commerden-, Manufakturen und Fabriksangelegenheiten zu besorgen" hätte und dem für Sachfragen, die nicht von Beamten zu lösen wären, ein Manufaktur-r und ein Bankkollegium zu unterstellen wäre. Möglicherweise hat Justi hier daran gedacht, daß Friedrich gleich nach seinem Regierungsantritt ein besonderes Der partement für Handel und Fabriken im Generaldirektorium als erstes reines Sachdepartement begründet hatte. Jedenfalls berief er sich nicht darauf und brauchte es auch nicht zu tun, weil der Systemzug seiner Pläne ihn auch ohne ein solches Vorbild dazu geführt hätte, eine besondere Abteilung für die im engeren Sinne merkantilistischen Zwecke seines Obersten Landeskollegiums zu fordern. Noch weniger dürfte er von dem Dasein eines preußischen Departements für Militärökonomie beeinflußt worden sein. Sein erstaunlicher Vorschlag, als vierte Abteilung ein Kriegsdepartement zu bilden, geht vielmehr über alles hinaus, was er in der Verwaltungspraxis seiner Zeit beobachten konnte. Es handelt sich hier nicht bloß um die Militärökonomie, nicht bloß um die Hereinnahme sämtlicher Kommissariatsgeschäfte; er scheint vielmehr daran zu denken, die gesamten Geschäfte des Hofkriegsrats oder der Kriegskollegien in anderen deutschen Staaten — in Preußen gab es nichts Entsprechendes — an sein Oberstes Landeskollegium zu ziehen^ denn er spricht davon, daß außer den Kommissariatsgeschäften und der Militärgerichtsverwaltung auch die „Operationspläne und andere Kriegsunternehmungen.. wenigstens was den Aufwand anbetrifft, in diesem Departement untersucht werden" sollen s . Dann soll die gesamte Justizverwaltung und die Vorbereitung der Gesetzgebung als fünfte Abteilung in der neuen Behörde aufgehen, so daß es daneben wohl noch ein oberstes Gericht, aber keine eigene Justizverwaltungsbehörde geben 1 St.-W. II, §§ 592—605; innerhalb der einzelnen Departements läßt Justi aber in § 603 eine Geschäftsverteilung nach Provinzen zu, 2 St.-W. II, § 600.
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sollte wie die österreichische Oberste Justizstelle oder das preußische Justizdepartement mit ihrem den alten Staaten eigentümlichen Beieinander von Justizverwaltung und höchstrichterlicher Rechtsprechung. Als sechstes Departement schließlich noch eins für die Bergwerke, aber nur in den Staaten, die über wesentliche Bodenschätze verfügten. Justi hatte Verwaltungsverstand genug, um zu wissen, daß eine solche Behörde, wie er sie vorschlug, trotz ihrer allumfassenden Aufgaben nicht zu groß werden durfte, wenn sie arbeitsfähig bleiben sollte. Die Zahl der Räte, die in den einzelnen Abteilungen arbeiten sollten, bezifferte er nicht genau, aber er meint, daß jede von ihnen einen Präsidenten, in großen Staaten auch einen Vizepräsidenten haben und daß es zweierlei Räte geben müsse, solche, die auch im Plenum Sitz und Stimme hätten, und solche, die nur in den Departements mitverantwortlich berieten Wahrscheinlich wollte er für jedes Departement außer Präsidenten und Vizepräsidenten mit vier bis fünf, in größeren Staaten mit sechs bis acht Räten auskommen. Das ergab j e nach der Größe der Staaten — ohne daß Justi eine g e naue Zahl genannt hätte — dreißig bis fünfzig verantwortliche Mitglieder des Hohen Landeskollegiums. Die Departements sollten viermal die Woche tagen, während Gesamtsitzungen aller Abteilungen, in denen übergreifende Angelegenheiten, besonders der allgemeine Etat des Staates, zu beraten wären, nur zweimal wöchentlich stattzufinden hätten. Dabei wären die Abteilungen außer durch ihre Präsidenten und Vizepräsidenten mit je drei Räten vertreten. Den Vorsitz solle ein Oberster Kanzler, der auch Vizepräsident betitelt werden könne, f ü h r e n s . Das wäre ein Plenum von höchstens 31 Präsidenten und Räten, immer noch eine ziemlich große Körperschaft, aber, wie Justi hoffte, eine handlungsfähige, weil die Vorbereitungen in den einzelnen Departements getroffen und der Vollversammlung nur beinahe Fertiges zur Beschlußfassung vorgelegt werden sollte. Der Titel eines Obersten Kanzlers als Leiter des gesamten Kollegiums war derselbe, den Graf Haugwitz seit 1752 führte. Der andere Vorschlag, ihn Vizepräsident zu nennen, steht eigentlich im Widerspruch dazu, daß Justi die Vorsitzenden der einzelnen Departements als Präsidenten bezeichnet. Aber er begründet dies damit, daß der Herrscher sich die Präsidentschaft selbst vorbehalten und den Mann seines Vertrauens, der die höchste Innenbehörde für gewöhnlich zu leiten hätte, nur an seiner Stelle fungieren lassen könne. Wahrscheinlich dachte Justi an Preußen, wo sein Vorbild Friedrich Wilhelm I. die nominelle Präsidentschaft seines Generaldirektoriums nicht aus der Hand gab, dafür aber nicht einen einzigen Vizepräsidenten bestellte, sondern diesen Titel sämtlichen Ministem verlieh, weil sich jeder von ihnen als Vertreter des Souveräns in seiner Behörde ansehen sollte. Wie dies im 18. Jahrhundert fast überall in Deutschland geschah, soll der Herrscher auch bei Justi seine Entscheidungen über die schriftlichen oder mündlichen Berichte des Obersten Landeskollegiums in der Einsamkeit seines Kabinetts fällen, nur unteri St.-W. II, 603. 8 St.-W. II, § 604.
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stützt von wenigen Kabinettsräten, für die Justi wieder kameralistische Vorbildung verlangt. Doch solle der Regent — das sagt Justi in dem „Grundriß einer guten Regierung" noch deutlicher als in der „Staatswirtschaft" — nicht etwa den Fehler begehen, sein eigener Staatskanzler, Finanz- oder Justizminister sein zu wollen. Er tue seinem Amte vollauf Genüge, wenn er als oberster Direktor Ordnung. Zusammenhang und Übereinstimmung der Staatsmaschine aufrechterhalte und nur die Oberaufsicht f ü h r e 1 . Damit hängt eine andere Warnung zusammen,
einer
j e n e r Blitze des Verwaltungsgenies, die die Lektüre von Justis Werken so reizvoll machen. Er weist nämlich auf die Gefahren hin, die jedes absolute Regime durch eine Kabinettsregierung bedrohen. Die Unordnungen in der Verwaltung gingen nämlich sehr oft nicht von den Behörden aus; die bemühten sich vielmehr im allgemeinen, die Formen streng innezuhalten und den einmal geregelten Gang nicht zu unterbrechen. Der Herrscher lasse sich dagegen leicht von verantwortlichen und noch mehr von unverantwortlichen Beratern zu Anordnungen bringen, die den fortgesetzten Lauf der Verwaltung stören, anhalten oder von seinem Ziele abdrehen könnten. Daher solle der Souverän nicht bloß den Etat, sondern auch die allgemeinen, schriftlich niederzulegenden Verwaltungsordnungen stets zur Hand haben, solle von Beamten und Behörden verlangen, daß sie etwaige Abweichungen umständlich und schriftlich begründeten, und solle selbst über die Kenntnisse in der Kameralwissenschaft verfügen, die ihn in den Stand setzten, alle Verwaltungsmaßnahmen auf ihren Zusammenhang hin nachzuprüfen z . S o sehr Justi das preußische Vorbild einer Verwaltungsorganisation verehrte, — hier zeigt sich doch einmal, daß er nicht bereit war, alles Preußische für vorbildlich zu halten.
Er dachte für den normalen Staat, an kluge und arbeitsame, aber nicht
überragende Herrscher, nicht an Könige, die ihre eigenen Minister sein wollten. Mit der Kabinettsregierung als solcher war er einverstanden, aber gegen Kabinettsorders, die sich unter Umgehung des Obersten Landeskollegiums unmittelbar an Kammerpräsidenten oder sogar an einzelne Landräte wandten, hätte er sicher Einspruch erhoben! Mehr die weichere, man möchte sagen menschlichere Regierungsweise Maria Theresias schwebte ihm vor als die Härte ihres großen Gegners. Mit all dem v/ar Justi weit über seine Vorgänger hinausgeschritten. Gasser und Dithmar hatten doch nichts anderes getan, als einen gegenwärtigen Verwaltungsbestand zu beschreiben und den preußischen lobend hervorzuheben. Schröder hatte zwei Menschenalter vor Justi wohl einen Vorschlag gemacht; aber wie unpraktisch und undurchführbar stand doch sein Collegium
supremum
augmentativum,
dem er
keine andere Aufgabe zuschob, als über die Vermehrung der fürstlichen Einkünfte nachzudenken, unverbunden neben der ordentlichen Verwaltung, die er daneben bestehen lassen wollte. Als Justi seine Staatswirtschaft schrieb, hatte er noch niemals einer Behörde angehört — sein Versuch, eine Ratsstelle bei einer österreichischen Landesrepräsentation zu bekommen, war gescheitert 3 , — aber sein Verwaltungs1 Gute Regierung, § 258, entsprechend St.-W. II, § 616 ff. * St.-W. II, § 620. * Frensdorf, 384.
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verstand erkannte den Grundfehler Schröders gleich: dieser hatte eine oberste Behörde schaffen wollen, die ihre Beschlüsse nur durch eine andere oberste Behörde, die Generalkammer, ausführen lassen konnte, da er ihr nicht die Befugnis gab, unmittelbare Anordnungen an die Länderkammern zu geben. Wohl ist das, was Justi vorschlug, niemals in vollem Maße verwirklicht worden. Sowohl Preußen wie Osterreich hielten an dem Stande, den sie mit ihren Direktorien erreicht hatten, fest und verzichteten darauf, die Behörden nach dem Bilde, das Justi aufrichtete, umzugestalten, ließen vielmehr noch vieles von dem abbröckeln, was sie bereits aufgebaut hatten. Angesichts dieser Tatsache sind Justis Vorschläge das letzte Wort, das das deutsche ancien régime auf dem Gebiete der Verwaltungseinheit und der großen obersten Innenbehörde zu sagen hatte. Hier erst kam mit voller Klarheit zum Ausdruck, was als Entwicklungstendenz in der Verwaltungsorganisation des reifen Absolutismus in Deutschland lebte, in der Praxis der führenden Staaten aber mit vielen Unausgeglichenheiten versetzt war, die die Entstehungsgeschichte mit sich gebracht hatte. Die wirklichen Verwaltungen Österreichs und Preußens, auch die Direktorien, waren ein Bau, an dessen Grundpfeilern die Jahrhunderte gewirkt hatten, der im 18. Jahrhundert nur ein neues Gewölbe erhielt. Justis Vorschläge waren dagegen vom Grundriß bis zur Spitze von einem Architekten gedacht, der bereit war, das Altertümliche, das er vorfand, ganz einzureißen, damit etwas Besseres an die Stelle gesetzt werden könnte. Als Friedrich der Große die Forderung aufstellte, eine Regierung müsse so geschlossen sein wie ein System der Philosophie, dachte er in erster Linie daran, daß Auswärtiges, Inneres, Finanzen zu einem einzigen Ziel zusammenwirken müßten. Deshalb müsse der Fürst alle Geschäfte in der eigenen Hand behalten und selbst regieren; und nur, wenn er gar nicht die Fähigkeiten dazu in sich fühle, solle er einen Premierminister ernennen, der für die Einheit der Regierung zu sorgen habe Vor einem Herrscherwillen, der in alle Verwaltungsgeschäfte eingriff, trat bei Friedrich das eigentlich Institutionelle zurück, und wir werden noch sehen, daß während seiner Regierung ein Verfall oder doch wenigstens eine Auflockerung der Einrichtungen seines Vaters eingetreten ist Justi ging dagegen in seinem System von den Institutionen aus, deren ungefährdetes Bestehen und reibungsloses Arbeiten nach seiner Meinung allein den Zweck des Staates zu fördern imstande war, die gemeinschaftliche Glückseligkeit von Fürst und Untertanen. Der große König nannte die Festigung des Staates und das Wachstum seiner Macht als das Ziel einer Politik, die ebenso systematisch geführt werden müsse wie ein philosophisches Lehrgebäude. Friedrichs Leistung als Staatsphilosoph und als Staatslenker war es, daß er die humanitären Ideen seines Zeitalters, die Aufgabe, das Glück des Staatsvolkes und mit ihm das Glück der Menschheit zu fördern, nicht bloß in seine Staatsidee hineindachte, sondern ihr als König wenigstens da folgte, wo ihr nicht stärkere Triebkräfte entgegenstanden. Friedrich Meinecke hat gezeigt, wie seine Staatsidee zusammenzubinden strebte, was doch so schwer zu vereinbaren war, die humanitären Be1
Politische Testamente, ed. Volz, 38 und 189.
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strebungen mit den harten Erfordernissen der Staatsräson, die er beide in ihrer vollen Berechtigung a n e r k a n n t e 1 . In Justi lebte nur die eine Seite der Kräfte, die so hart um die Seele des Königs rangen. Seinem System fehlt deswegen der eherne Klang; nur die weicheren Töne der Volks- und Menschheitsbeglückung sind hier zu hören, gespielt auf einem Instrument, auf dem er fähig war, die vollen Akkorde innerpolitischer Einsicht und kameralistischen Gedankenreichtums zu G e h ö r zu bringen. Für die äußere Politik zog er die Folgerung, das Bestehende zu b e wahren und Kriege zu vermeiden, weil sie stets mehr kosteten, als sie auch im besten Falle einbrächten. Deshalb soll nur die Hälfte der gesamten Staatseinnahmen f ü r militärische Zwecke ausgegeben werden. Allein denjenigen Staaten, die mit überlegenen Nachbarn zu rechnen haben, will e r erlauben, zwei Drittel f ü r den Kriegsetat a u s z u w e r f e n o h n e sich darüber klar zu sein, daß er damit in der Praxis wieder aufhob, was er als allgemeinen Wunsch ausgedrückt hatte. In allen großen Staaten war die Durchrationalisierung der Verwaltung vorwärtsgetrieben worden, um Geld f ü r ein möglichst großes Heer zu beschaffen. An dieser Tatsache sieht Justi vorbei, weil ihm nicht der Machtstaat mit einer Kriegsverwaltung, sondern der humanitäre, auf das Glück von Regent und Untertanen bedachte vorschwebte. In diesem Sinne beklagte er wiederholt, daß Frankreich unter Richelieu und Ludwig XIV. allen anderen Staaten mit seiner militärischen Rüstung v o r a n gegangen sei und sie mit dieser Drohung zu einer ähnlichen Rüstung und zur Übernahme schwerer Lasten gezwungen habe. Uber die deutschen Staaten seiner Zeit wagte er nichts Ahnliches zu sagen. Aber selbst der große Wirt Friedrich Wilhelm I. wird von Justi nur deshalb gelobt, weil er seine Staatswirtschaft auf einen besseren Fuß gestellt und damit ein Vorbild f ü r andere Staatswirtschaften g e g e b e n habe; niemals erwähnt er auch nur, daß g e r a d e sein Ideal damit voranging, alle Ergebnisse der Wirtschaft o h n e j e d e Rücksicht in den Dienst seiner Heeresvermehrung zu stellen. Eher wird Justi mit Haugwitz übereingestimmt haben, der sein System zwar nur deshalb durchführen durfte, weil es eine bessere Kriegsrüstung finanzieren sollte, der a b e r resigniert davon sprach, daß seine Einrichtungen als ein Friedenssystem gedacht gewesen seien, als ihm im Kriege die Schuld an dem allgemeinen Versagen der österreichischen Staatsmaschinerie zugeschoben wurde. Friedrich der G r o ß e sah nur den großen Staat als fähig an, die Zwecke der Macht und der Humanität zugleich zu verfolgen. Justi mußte zwar erkennen, daß nur die beiden größten Staaten Deutschlands die Verwaltung durch ein oberstes Landeskollegium verwirklicht hatten, aber sein Ideal war mehr der mittlere Staat, der sich von den Versuchungen der Machtpolitik und der Vergrößerungsbestrebungen freihielt und vor allem an der gemeinschaftlichen Glückseligkeit wirkte. Er teilte damit die Ansicht der meisten damaligen Staatsdenker, die, wenn sie nicht selbst wie Friedrieb Könige waren, der Politik der Könige mit tiefstem Mißtrauen 1 Friedrich Meinecke, Die Idee der StaatsrSson, 1024, 340 If. » St.-W. II, 422.
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gegenüberstanden. Der frühere Kameraiismus hatte den Staat mehr von oben angesehen und für das Aufnehmen des Nahrungsstandes und die Konservation der Untertanen in erster Linie deshalb gesprochen, weil es der inneren Räson des Staates entsprach und weil ein blühender Handelsstand die Kassen, zahlreiche und gesunde Untertanen die Regimenter füllten. Was hier beinahe als eine Nebenfrucht der inneren Staatsräson aufkam, war bei Justi Selbstzweck, Tragpfeiler des Ganzen geworden. Es ist ein Vorgang, der sich auch innerhalb des französischen Staatsdenkens vollzog und dort zu bedeutenderen weltgeschichtlichen Folgen führte. Hier war es vor allem Montesquieu, der dem realistischen Staatsdenken „das neue Gebiet des Rechts, der bürgerlichen Freiheit und Ordnung, der Grenzen zwischen der staatlichen und individuellen Sphäre . . . . eroberte" Mit dieser „Achsendrehung" griff Montesquieu sehr viel weiter als Justi, denn er stellte zugleich in Frage, was dieser in seiner „Staatswirtschaft" noch als selbstverständlich hingenommen hatte, nämlich die Staatsform. Aber weil Justi dem mittleren vor dem großen, dem humanitären vor dem Machtstaat, dem Gesetz vor der Willkür, dem Regelmaß der Verwaltungsordnung vor der Möglichkeit steter Eingriffe von oben den Vorzug gab, konnte ihm die Grundvoraussetzung der „Staatswirtschaft", nämlich die absolute Monarchie ebenfalls fraglich werden, konnte Montesquieus Esprit des lois einen im vollen Sinne des Wortes überwältigenden Eindruck auf ihn machen, als er ihn kurze Zeit nach dem Abschluß seines eigenen Hauptwerkes kennenlernte. Er verlor nie die Einbildung, daß er dazu berufen sei, die Ideen Montequieus, die er so eifrig studiert hatte, zu verbessern und dessen schiefe Ansichten richtigzustellen. Poch nahm er die Grundvoraussetzungen des weit ursprünglicheren französischen Staatsdenkers in sich auf und prüfte alle seine Verwaltungsvorsdiläge und alle Wirtschaftsmaßnahmen in ihrer Wirkung auf die verschiedenen Staatsformen nach, wie dies etwa an der Behandlung der Steuerarten und der steuerlichen Belastung im ganzen im „System des Finanzwesens" von 1776 zu erkennen ist. Dann aber war die absolute Monarchie mit ihrer Neigung zum Despotismus für Justi nicht mehr die einzige und vor allem nicht mehr die beste Staatsform; nur eine aufgeklärte Monarchie, die sich streng an ihre eigenen Gesetze hielt, glaubte er anerkennen zu können, wie dies auch in einem Friedrich dem Großen gewidmeten Buche kaum anders möglich war. Wo er dagegen völlig ungebunden über den besten Staat phantasierte wie im „Grundriß einer guten Regierung" von 1759, empfahl er eine Mischung von Aristokratie und Demokratie, mit der er sich freilich in die Unwirksamkeit des abstrakten Denkens verlor. In seiner an Montesquieu geschulten Kritik der absoluten Monarchie kam Justi zu politischen und geschichtlichen Erkenntnissen, die ihm in der „Staatswirtschaft" noch ferngelegen hatten, etwa zur Anerkennung des Unterschiedes zwischen Fiskus und Arar, den er dort als Überbleibsel aus überwundenen Zeiten* das die Einheit der monarchischen Verwaltung störte, abgelehnt hatte. Jetzt hatte er bei 1
Friedrich Meinecke, Die Entstehung des Historismus I, 139.
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Montesquieu gelernt welche Tragweite es für die innere Freiheit im Staate hätte, wenn der Despot nicht mehr über die gesamte Finanzkraft seiner Untertanen verfügte und dann auch nicht imstande war, „ein beständiges Kriegsheer zu unterhalten und mithin die Kette zu ihrer Knechtschaft" zu schmieden 1 . Wie Montesquieu beschrieb er die englische Verfassung jetzt als die weiseste, weil die Stände den Herrscher hier durch die jährlichen Budgetbewilligungen im Zaume hielten 2 . Doch war Justi nicht die beharrliche Kraft des Denkens und Arbeitens zu eigen, die dazu gehört hätte, die Gedanken der Staatswirtschaft von den neugewonnenen Voraussetzungen umzudenken und das, was er bei Montesquieu über die Staatsformen und die Gesetze gelernt hatte, zu einer neuen, ebenso geschlossenen Einheit zusammenzufügen. Er widerrief die Sätze seiner Staatswirtschaft in der Frage des ständischen Ärars gegenüber dem landesherrlichen Fiskus ausdrücklich, blieb aber im System des Finanzwesens, wo er dies tut, noch dabei: „Die Generaldirektoria, welche alle inneren Landesangelegenheiten und mithin sowohl die Polizei- als Finanzgeschäfte dirigieren, eine Erfindung unserer Zeit, welche die Welt dem wahrhaftig großen Genie des Königs Friedrich Wilhelms von Preußen zu verdanken hat, sind demnach die beste Einrichtung, um sowohl die Vergrößerung des Nahrungsstandes und der Bevölkerung als der Einkünfte mit gleicher Aufmerksamkeit zum Augenmerk zu haben" 3 . Das war noch ganz im Geiste der Staatswirtschaft gesprochen. Zu der Erkenntnis, daß die Generaldirektorien selbst als ein Werkzeug des vorwärtsschreitenden Absolutismus, also jenes Despotismus, den er jetzt bekämpfte, entstanden und sowohl in Osterreich wie in Preußen dazu bestimmt waren, den Unterschied zwischen Fiskus und Ärar ganz auszutilgen, zu dieser Einsicht scheint Justi nicht mehr gelangt zu sein. Zwischen dem Gedankengut, das er der eigenen Staatswirtschaft entnahm, und der von Montesquieu beeinflußten Kritik an eben diesen Gedanken in seinen späteren, immer breiter angelegten Werken klafft eine Lücke, über die es keine andere Brücke gibt als den Blick auf einen vom Schicksal und von der eigenen Unruhe hin- und hergeworfenen Menschen mit all seinem Widerspruch. Der große Wurf Justis ist und bleibt daher die Staatswirtschaft, in der er das Gegebene, nämlich die Staatsform der meisten deutschen Länder, als selbstverständliche Grundlage seines Verwaltungsaufbaus hinnahm und mit ihr einen Einheitsstaat, dessen Zweck die gemeinschaftliche Glückseligkeit von Fürst und Untertanen ist. Während er sich später bis ins Unwirkliche verirrt 4 , bleibt Justis Staatswirtschaft bei einer gereinigten und gesteigerten Verwaltungswirklichkeit. Eben diese Wirklichkeit der Verwaltung sowohl Österreichs wie Preußens war zu der Zeit, als sich Justis Verfassungsvorstellungen änderten, in einer von ihm nicht mehr beachteten Wandlung begriffen. Dieser werden wir uns nun zuzuwenden haben. 1
Finanzwesen, § 678. Finanzwesen, § 676 ff. 3 Finanzwesen, § 136. 4 Am weitesten in dem „Grundriß einer guten Regierung" von 1759, wo auch die Einheit des obersten Landeskollegiums aufgegeben ist, während sie in den späteren Schriften wieder anerkannt wird. 1
V. Staatsrat und Fachbehörden im spättheresianischen Österreich Im S i e b e n j ä h r i g e n Krieg stellte e s sich heraus, d a ß die österreichische Verwaltung den A u f g a b e n , die ihr ein so unerwartet l a n g e r und a u s g e d e h n t e r Krieg a u f e r l e g t e , nicht gewachsen war. D e s G r a f e n Haugwitz „ F r i e d e n s s y s t e m " , wie e r es einmal b e z e i c h n e t e 1 , war nicht imstande, den Krieg so zu
finanzieren,
selbst
wie dies d e r
preußischen Verwaltung, die Haugwitz sich zum V o r b i l d g e n o m m e n hatte, allem Anschein nach g e l a n g . A b e r während hier wirklich a l l e s — u n t e r Friedrich dem G r o ß e n nicht m e h r im Generaldirektorium, sondern im Kabinett des Königs —
straff z u -
s a m m e n g e f a ß t war, so d a ß j e d e r unteren B e h ö r d e die höchste Leistung a b g e f o r d e r t werden konnte, g l a u b t e man in O s t e r r e i c h , einen solchen Vereinigungspunkt erst schaffen zu müssen. D a b e i lag d e r Unterschied w e n i g e r in den Institutionen als im Menschlich-Persönlichen: auch in Osterreich lief alles im Kabinett d e r
Kaiserin-
Königin z u s a m m e n . W ä h r e n d Friedrich die M a s c h i n e seines S t a a t e s o h n e Rücksicht mit h ö c h s t e i g e n e r h a r t e r Hand m e h r auf ihre D i e n e r .
Gerade
in B e w e g u n g
hielt, verließ sich M a r i a
ihre V o r z ü g e , ihre
gewinnende
Güte
Theresia und ein
gewisses Anlehnungsbedürfnis, ihr reges V e r l a n g e n , sich eines Teils der V e r a n t wortung zu „ e n t s c h ü t t e n " , zusammen mit der eigentümlichen Struktur ihres S t a a t e s verhinderten, daß ihr Kabinett die eigentliche und einzige Z e n t r a l e wurde. M a r i a Theresia hat w e d e r e i n e wirkliche Kabinettsregierung nach der A r t ihres g r o ß e n G e g n e r s geführt, noch ein Kabinettsministerium nach dem M u s t e r des kursächsischen g e s c h a f f e n . V o r dem Kriege verließ sie sich in auswärtigen D i n g e n auf Kaunitz, in inneren auf Haugwitz, und doch auf keinen von ihnen so sehr, d a ß sie alle ihre W ü n s c h e erfüllt hätte.
Im V e r l a u f e des Krieges b l i e b ihr Kaunitz d e r vertraute
R a t g e b e r als der V e r t r e t e r e i n e r Politik, die ihr Herzenssache war. An Haugwitz a b e r fing sie an zu zweifeln, und die Zweifel wurden zu M i ß t r a u e n , als es ihm nicht g e l a n g , den laufenden B e d a r f des S t a a t e s zu decken, und als Kaunitz das V e r s a g e n e i n e r Gesamtpolitik g a n z den Schultern auflastete, die die innere Verwaltung t r u g e n . D a b e i hatte Haugwitz doch
niemals sämtliche Finanzen d e r
österreichischen
Länder zu leiten g e h a b t . Er fühlte wohl, welchen F e h l e r e r b e g a n g e n hatte, indem e r zu A n f a n g des Krieges darauf b e s t a n d , d a ß die Kommissariatsgeschäfte mit seinem Direktorium vereinigt würden. Auf der a n d e r e n S e i t e b e k l a g t e e r rückschauend, d a ß die Kaiserin ihm e n t g e g e n seinem Rate w e d e r die V e r f ü g u n g ü b e r die Bank noch ü b e r das ungarische Kamerale g e g e b e n , noch die ü b e r das M ü n z - und B e r g kolleg gelassen h a b e 2 . S o s e h r Haugwitz nämlich dem preußischen Beispiel, wie es Prot, des Staatsrats, 9. Febr. 1761; OZV II 3, 91. Gutachten Haugwitz, 15. März 1764; OZV II 1, 370. Das Münz- und Bergkolleg war nur 1757/58 mit dem Direktorium vereinigt worden, vgl. OZV II 1, 222. 1
2
Haussherr,
Verwa!tungseinhcit
7
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sich vor der Einführung der Regie darstellte, nacheiferte, — es war in Osterreich eben doch nicht ganz befolgt worden: wichtige Einkommensgruppen blieben der Einwirkung des Direktoriums in publicis et cameralibus entzogen. Dabei wog die Unstimmigkeit, die dem Verwaltungshistoriker in erster Linie auffällt, nämlich das Weiterbestehen der alten Hofkammer mit verminderten Zuständigkeiten neben der neuen Einheitsbehörde, nicht einmal am schwersten. Viel wirksamer blieb die völlige Selbständigkeit der Bank, die zur Deckung der bei ihr fundierten Staatsschulden den größten Teil der indirekten Abgaben, also den am leichtesten greifbaren und ertragreichsten Teil des gesamten Einkommens, mit eigenen Beamten e r h o b und verwaltete. Und mit den Geldnöten des Krieges war die Stellung der Bank, auf deren Kredit ein beträchtlicher Teil der Kosten lastete, nur noch stärker und unantastbarer geworden. Kaunitz hatte daher nicht Unrecht, wenn er darauf hinwies, das bisherige, von Haugwitz eingeführte System habe die erstrebte Einheit und Sicherheit der Verwaltung doch nicht gebracht; nur daß er damit einen Zustand beleuchtete, den auch Haugwitz als einen Mangel empfand. In den unüberwindlichen Verlegenheiten des fünften und sechsten Kriegsjahres entwickelte Kaunitz nun die beiden Grundsätze, mit denen er Rettung zu bringen versprach: einmal die Notwendigkeit, auch wirklich sämtliche inneren Geschäfte an einer Stelle zusammenzufassen, und zweitens das! Gebot, in der Geschäftsführung Zusammengehöriges zu vereinigen und Unvereinbares voneinander zu trennen. Der erste Gedanke führte zur Gründung des Staatsrates, der 1761 ins Leben trat, der zweite zu der neuen Behördenorganisation, an der in immer neuen Ansätzen die ganze weitere Regierungszeit Maria Theresias und darüber hinaus g e arbeitet werden mußte. Der Staatsrat sollte nach dem Willen von Kaunitz keine Behörde mit Anordnungsbefugnissen werden, sondern sein „ganzes Amt bestünde in seinem wohlmeinenden Rath und Voto" Damit wollte Kaunitz endgültig verhindern, daß die verschiedenen Hofstellen in unmittelbarem Vortrag bei der Kaiserin Entscheidungen erwirkten, die im Widerspruch miteinander und mit den von ihm gesehenen wahren Grundsätzen der Regierungskunst stünden; das war der Fehler der absoluten Monarchie, auf den auch Justi den Finger gelegt hatte. Deshalb sollten alle „Vorträge", d . h . alle Eingaben u n d Berichte der obersten Behörden, die für die Kaiserin bestimmt waren, vorher durch den Staatsrat laufen; dieser sollte ihnen sein Gutachten und in den meisten Fällen auch gleich den Entwurf einer Resolution beifügen. Die eigentliche Entscheidung war a b e r nicht Sache des Staatsrates, sondern der Monarchin, die difr Freiheit behielt, auch über die wohlerwogene Meinungsäußerung und über die Vorschläge dieses ihren neuen Rates hinwegzugehen und sich anders zu entschließen. Jedenfalls war j e d e kaiserliche Resolution in inneren Geschäften von einer einzigen Körperschaft vorberaten. Auf diese Weise, so versprach Kaunitz, werde der schwerste Fehler der bisherigen Organisation beseitigt, wo alles „ o h n e Prinzip, ohne System" 4
Vortrag Kaunitz, 6. Aug. 1?58; OZV II 3, 2.
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vor sich ginge, werde die Staatsverwaltung endlich dazu kommen, die „Fundamentalregeln der wahren Regierungskunst und Staatswirtschaft" einzuhalten. Der Staatsrat stehe nun dafür ein, daß das „système universel d'un état" auch in Osterreich befolgt w e r d e 1 . In dieser nicht ganz übersetzbaren Ausdrucksweise spricht sich deutlich genug aus, was Kaunitz vorschwebte: weniger die besonderen Bedürfnisse des individuellen Staatswesens, das sich in der Habsburgischen Monarchie darstellte, als das System des Staates überhaupt, Staatsmaximen allgemeingültiger und notwendiger Art, die nur in Österreich bisher zum schweren Schaden des Staates vernachlässigt worden wären. Es sind die allgemeinen Wahrheiten der Verwaltungslehre, wie Justi sie entwickelt hatte, und wie sie nun Sonnenfels, von den Mitgliedern des Kaunitzschen Staatsrates und von dem Staatsrat als Behörde lebhaft unterstützt, mit beträchtlichen Abweichungen von Justi theoretisch darzustëllen begann. Wir wollen hier und an anderen Stellen nicht behaupten, daß Kaunitz von Justi oder von Sonnenfels unmittelbar abhängig gewesen wäre. Es ist nur die gleiche Tendenz einer rationalen Lehre von der inneren Regierung der Staaten, die sich wissenschaftlich in den Werken der Kameralisten, praktisch im Ausbau des absolutistischen Beamtenstaates auswirkte. Jedoch ist es in der Epoche des aufgeklärten Despotismus die Praxis, die vorangeht; die Theorie wertet eigentlich nur aus, was sie im Werk der Staatsmänner vorfindet, systematisiert es und ist dann auch imstande, das, was sich in der geschichtlichen Wirklichkeit nicht in voller Klarheit darstellt, zu erweitern und fortzuführen, wie wir dies bei Justi kennengelernt haben. Sicher hat sich Kaunitz in seiner bis ans Pedantische gehenden Lehrhaftigkeit selbst zurechtgelegt, was er der Kaiserin in seinen Denkschriften vortrug, hat er weniger aus Büchern geschöpft, als sich von seinem eigenen Bedürfnis nach einem allgemeingültigen System treiben lassen, aber er atmete die gleiche Lebensluft wie die bedeutenden Kameralisten seiner Zeit. Daß die Leiter der großen Staatsbehörden selbst die gegebenen Ratgeber des Monarchen seien, ist ein Grundsatz, der sich erst ganz allmählich und später durchgesetzt hat; sein Sieg bezeichnet bereits eine neue Epoche. Kaunitz sorgte vielmehr mit aller Anstrengung dafür, daß sein Staatsrat ein Rat und ein Kontrollorgan ohne eigene anordnende Befugnisse blieb. Deshalb durften die Präsidenten der großen kollegialen Zentralbehörden, der „Hofstellen", nicht in ihm vertreten sein. Daß er sich selbst als Leiter der Staatskanzlei die entscheidende Stimme im Staatsrat vorbehielt, war kein Verstoß gegen den Grundsatz. Der Staatsrat war nur für die inneren Geschäfte da; der Staatskanzler, dessen auswärtiges Departement ausdrücklich aller Einwirkungsmöglichkeiten von seiten des Staatsrats enthoben war, war eben keiner von den „Capi", deren Amtsführung im Staatsrat kontrolliert oder durchberaten wurde. Dieser Grundsatz, nach dem die hohen Beamten des alten Osterreich zwischen dem Sitz im Staatsrat und dem Präsidium einer Hofstelle zu wählen hatten, 1 Vor allem Vortrag Kaunitz, 9. Dez. 1760; OZV II 3, 3—10. Hier 3 : tout se fait sans principes, sans système, 7¡l'établissement des principes et règles fondamentales de gouvernement, 7 : attention continuelle sur tous les objets qui forment le système universel d'un état als Hauptaufgaben des Staatsrats.
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gab Kaunitz — in vielen Fällen auch der Kaiserin — die Möglichkeit, Persönlichkeiten, die als Leiter einer Hofstelle unerwünscht geworden waren, aus ihnen herauszubefördern, indem sie dieselben in den Staatsrat versetzten. Das galt gleich für Haugwitz, der auf diese ehrenvolle, aber wirksame Weise das Präsidium seines Direktoriums verlor, und das hätte nach Kaunitz' Willen auch für Daun gegolten^ den er in den Staatsrat versetzen ließ, da dieser gerade in Kriegszeiten eines hohen militärischen Sachverständigen bedürfe \ Zugleich wollte er einen Mann, dessen Wirksamkeit als Heerführer er so scharf kritisierte, vom Kommando entfernen. Doch wurde der Feldmarschall im nächsten Jahre trotzdem zum Präsidenten des Hofkriegsrats ernannt, ohne daß Kaunitz dies hätte verhindern können. Nach Dauns Tode verzichtete er lieber ganz auf die Teilnahme des Nachfolgers Lacy und damit eines Soldaten an'den Sitzungen des Staatsrats, als daß er seinen Grundsatz noch einmal hätte durchbrechen lassen 2 . Schon als Daun ernannt wurde, wandte Kaunitz ein, das hieße den Staatsrat wieder aufheben; und als später Hatzfeld als Finanzpräsident den Sitz im Staatsrat für sich forderte, erklärte Kaunitz noch einmal, lieber solle die Kaiserin den Staatsrat ganz abschaffen, als sein Wesen so grundlegend verändern 3 . So konnte Kaunitz jeden Versuch einer Umbildung des Staatsrats, die diesen zu einer Versammlung von Ressortchefs gemacht hätte, verhindern. Im gleichen Sinne und mit dem gleichen Erfolge wandte er sich gegen die Erhebung eines Ministre en chef zum Leiter des Staatsrats. Einen Dirigierenden Staatsminister als Vorsitzenden hatte er zu seiner eigenen Entlastung für die bloße Geschäftsverteilung selbst eingeführt 4 ; gegen jeden weiteren Schritt auf einem Wege, der zum Premierministerium hätte führen können, wehrte er sich mit der steten Begründung, daß sein Staatsrat keine anordnende Zentralbehörde werden dürfe. Tatsächlich blieb der Staatsrat im alten Osterreich in der Stellung, die ihm Kaunitz gegeben hatte, wurde er kein Ministerrat, wie dies doch im Zuge der folgenden Zeiten gelegen hätte. Aus den gleichen Gründen, aus denen Kaunitz keine Hofstellenleiter in den Staatsrat ließ, verhinderte er auch, daß sich durch die Geschäftsverteilung unter den Mitgliedern etwas wie eine Trennung nach Ressorts ausbildete. Alle Angelegenheiten zirkulierten bei sämtlichen Staatsräten. Die unausbleibliche Folge war eine gewisse Schwerfälligkeit des Geschäftsganges innerhalb einer Behörde, deren Dasein schon den Weg von den Hofstellen zur Kaiserin verlangsamte. Als von einer unbekannten Seite der Vorschlag gemacht wurde, den Staatsrat in drei Abteilungen zu gliedern und bestimmte Räte für die so entstehenden Sachgebiete verantwortlich zu machen, ließ Kaunitz eine eingehende Widerlegung aufsetzen 5 . Auf diese Weise 1 OZV II I , 274. * OZV II 1, 429 und II 3 , 3 1 . » Im Jahre 1771; Beer, MIOG 15, 262. » 1774; O Z V II 1 , 4 5 9 . 0 Anonyme Denkschr., Anf. Juni 1762; OZV II 1, 425—426. Sachgebiete: 1. „ p r o judicaiibus et publicis", 2. „für die Finanz- und Commerzsachen", 3. „ f ü r die Mllitaria";
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kam es nicht zu einer Abgrenzung, die der der neuen Hofstellen etwa entsprochen hätte und bei der die Justiz- und die politische Innenverwaltung in a n d e r e Hände gekommen wäre als die der Finanzen und des Handels. Im Laufe der Jahre senkte sich jedoch die Last der Angelegenheiten, die die nur zu geringer Selbständigkeit erzogenen Hofstellen über den Staatsrat an den Monarchen gaben, so schwer auf dessen Mitglieder, daß man sich wenigstens entschloß, den Umlauf unter ihnen, an dem man grundsätzlich festhielt, dadurch zu erleichtern, daß der erste Bearbeiter, wenn möglich, schon ein fertiges Gutachten beilegte. Dabei sollten die Eingänge a b e r ganz mechanisch nach dem Einlauf von 10 zu 10 Stück an die Staatsräte verteilt werden; so war j e d e Garantie dafür geg e b e n , daß sich keine Ressorttrennung daraus entwickelte \ Die Vorsichtsmaßnahmen, die Kaunitz treffen konnte, verhinderten nicht, daß die Geschäftsverteilung nach Sachgebieten innerhalb des Staatsrats in dessen weiterer, nachtheresianischer Geschichte Fortschritte machte. Allein die Zunahme der Akten erzwang eine sachverständige Vorbereitung. Dagegen bemühten sich die Instruktionen immer wieder, j e d e „Ausartung in M a t e r i e n r e f e r a t e " 2 zu unterbinden. So gelang es, wenigstens grundsätzlich an dem Gesetz festzuhalten, nach dem der Staatsrat angetreten: er blieb das O r g a n , das den Monarchen in allen inneren und Finanzangelegenheiten unmittelbar zu beraten hatte. Ging die sachliche Zuständigkeit des Staatsrats niemals über die inländischen Geschäfte hinaus, so konnte sie doch über die ganze Monarchie ausgedehnt werden. Kaunitz war davon überzeugt, es gelte das Universalsystem des Staates schlechtweg, so wie er es, getragen vom Rationalismus seiner Epoche, vor Augen hatte, im ganzen Umfange der habsburgischen Monarchie durchzusetzen, und er stellte sich damit e b e n s o bewußt wie Haugwitz in Gegensatz zu dem Verfassungsrecht der Länder. Während die böhmischen Sonderrechte bereits durch die Abschaffung der Hofkammer und die Begründung des Direktoriums in publieis et cameralibus aufs schwerste getroffen worden waren, durfte Ungarn den Grundsatz seines ständischen Sonderstaatsrechts, es sollten ungarische Geschäfte nur von Ungarn behandelt werden, aufrechterhalten. G e r a d e deshalb wollte Kaunitz keinen Ungarn im Staatsrat sehen, ebensowenig wie einen Niederländer oder Mailänder. Er ließ seiner Gründung vielmehr anfänglich in betonter Abgrenzung „Staatsrat in teutsch-inländischen Geschäften" n e n n e n 3 , damit die ungarische Hofkanzlei und die anderen Landesb e h ö r d e n keinen Anstoß daran nahmen, daß sie bei der Besetzung der Stellen im Staatsrat übergangen wurden. Trotzdem behandelte die neue Behörde sehr bald Hock-Bidermann, Der österreichische Staatsrat (1760—1848), Wien 1879, S. 19, hält Stupan für den Verfasser. 1 Hs. an den Staatsrat, 16. Dez. 1768; OZV 11 3, 35—36. 2 Wie sich Hock-Bidermann S. 646 in der Darstellung eines Hs. Franz II. vom 12. Juni 1796 ausdrückt. * Denkschrift Kaunitz, Jan. 1761, vom Staatsrat angenommen, OZV II 3, 18, in der charakteristischen Form: . . . noch die Worte der teutschen Erblanden von darumben hinzuzufügen, damit die Ursache in die Augen falle, warumen keine Ungarn, Siebenbürger, Niederländer und Mayländer in diesen Staatsrat aufgenommen worden.
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auch ungarische Angelegenheiten. Der Einspruch des ungarischen Hofkanzlers, der sich auf das Staatsrecht des Königreiches berief, wurde mit der Begründung a b t gewiesen, die Trägerin der ungarischen Krone, die ja eben deshalb als Ungarin galt, sei durchaus nicht verpflichtet, sich in Sachen des Landes nur von Landesangehörigen beraten zu lassen, wenn sie sich auch zu deren Ausführung nur ungarischer O r g a n e b e d i e n e 1 . Tatsächlich findet sich bereits 1765 in den Staats? handbüchern nur noch die Bezeichnung „Staatsrat in inländischen Geschäften". Die Weglassung des Zusatzes „teutsch-inländisch", der die Wirksamkeit nominell auf Böhmen und die deutschen Erbländer beschränkte, entsprach einer Praxis, die auch weiterhin ungarische Sachen heranzog. Aber erst die Instruktion, die der dritte Nachfolger Maria Theresias, Franz 11., gleich nach seinem Regierungsantritt zeich? nete, sprach offen von der Zuständigkeit für alle deutschen und ungarischen Erblande 2 . Inzwischen war der Stein des Anstoßes beseitigt; bereits Joseph II. hatte einen Ungarn in den Staatsrat aufgenommen, eine Praxis, an der seine Nachfolger festhielten. In diesem Staatsrat wurden nun die Einzelheiten der neuen Behördenverfassung durchberaten, die Kaunitz im Auge hatte. Seinen Hauptgrundsatz faßte er wiederholt in die Worte: Zusammengehöriges vereinen. Unvereinbares t r e n n e n 3 . Im G e g e n satz zum Staatsrat selbst, wo alle inneren Geschäfte unterschiedslos zusammenlaufen sollten, stellte Kaunitz für die ausführenden Staatsbehörden ein Programm klarer Scheidung in Ressorts auf, das sich wegen seiner gedanklichen Einfachheit als das Heilmittel für die Schäden der inneren Verwaltung empfahl. Allerdings ist dies Programm in der wirklichen Verwaltungsreform, die 1760/61 einsetzte, nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck gekommen; vielmehr drängte sich nach der Auflösung des Haugwitzschen Direktoriums die Frage der verschiedenen Finanzbehörden und ihrer Zuständigkeiten so stark in den Vordergrund, daß die Grundlinie o f t genug verwischt wurde. Die Haugwitzsche Reform hatte darin bestanden, d a ß die politischen und die Finanzsachen in einem Generaldirektorium vereinigt wurden. Indem Kaunitz mit diesem Gedanken brach, gedachte er keineswegs zu dem früheren Zustande zurückzukehren. Auch Johann Ghotek, der nach Haugwitzens Eintritt in den Staatsrat dessen Nachfolger als O b e r s t e r Kanzler und Direktorialpräsident geworden war, wartete nur auf eine Weisung, um diese seine Behörde, die e r so wenig liebte, a u f zulösen, soweit in Obereinstimmung mit dem Staatskanzler. Auf die erste kaiserliche Willensmeinung — sie ist uns nicht im Wortlaut erhalten, vielleicht nur mündlich erteilt worden — stellte er jedoch, wahrscheinlich in absichtlichem Mißverstehen, 1
Schriftwechsel 1761, OZV II 3, 26 ff., und II 1, 509 ff., bes. II 1, 311, Anm. 3, nadi Ameth, Gesch. M. Theresias IX, 294. 2 17. Okt. 1792, Hock-Bidermann, 643. * Entsprechend Hs. an Uhlfeld, 29. Dez. 1761; „Da ich bei meinen Hofstellen zum vorzüglichen Augenmerk genommen, dasjenige, was nach seiner Natur nicht unter eine Oberverwaltung gehöret, von einander zu trennen, und dagegen dasjenige, was von gleicher Eigenschaft ist und beisammen stehen kann, miteinander zu verbinden . . ." OZV II 3, 122,
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den Antrag, die Política und Judicialia in einer neuen Hofkanzlei wieder zu vereinigen und die Kameralia sämtlich der Hofkammer zu ü b e r g e b e n 1 . Das hätte den wesentlichen Gewinn der Reform von 1749, die Ausschaltung des ständischen Adels aus der eigentlichen Verwaltung, bedroht. Die Reaktionäre um Johann Chotek hätten also zugleich mit dem Direktorium am liebsten auch die Oberste Justizstelle, die andere Schöpfung von 1749, zerschlagen. Das tritt nur deshalb nicht mit voller Klarheit in den Vordergrund, weil sich die Auseinandersetzung darüber vornehmlich um das Weiterbestehen des Direktoriums drehte, für das sich Haugwitz noch mit mehreren Denkschriften, wenn auch vergeblich, einsetzen durfte. Die zugleich angeschnittene Frage nach der Selbständigkeit der Obersten Justizstelle wurde dagegen kürzer behandelt, weil sich fast alle Beteiligten, auch Haugwitz, der Meinung anschlössen, die Kaunitz auf die kurze und treffende Formel brachte: „Ist das politicum und justicíale in der Wesenheit unterschieden und sich bei allen Gelegenheiten an die Grundregel zu halten, daß Geschäfte von verschiedenerlei Natur nicht miteinander zu verbinden seyen . . . " 2 . Friedrich Walter hat in seiner großen Darstellung gezeigt, welch ein Fortschritt mit der Anerkennung dieses Grundsatzes erzielt w u r d e 3 . 1749 war die Verselbständigung der Justiz in einem besonderen Behördenzug nur praktisch begründet gewesen; der ständische Adel sollte aus der politischen Verwaltung verdrängt und auf die Rechtsprechung im Lande und im Kreise beschränkt werden. Jetzt war die Selbständigkeit der Justiz gegenüber der politischen Verwaltung eine grundsätzlich gestellte und beantwortete Frage geworden, zwar nicht wie bei Montesquieu eine solche der Gewaltenteilung, sondern nur der Ressorttrennung, also nicht eigentlich eine Frage der Staatsverfassung, sondern der Behördenorganisation, Nachdem Haugwitz die Schlacht für die absolute Monarchie gewonnen hatte, wollte Kaunitz die Verfassungsfrage nicht wieder aufwerfen, sondern das Ganze nur als eine Angelegenheit der Verwaltungsordnung behandeln, wie er auch die Verwaltungsjustiz im wesentlichen unverändert bestehen ließ. Indem man aber Rechtsprechung und Rechtsverwaltung mit Bewußtsein einem besonderen Ressort überließ, weil man die Verschiedenheit ihres Wesens von dem der allgemeinen politischen Verwaltung erkannt hatte, war doch der entscheidende Schritt auf die endgültige Trennung hin getan; vollzogen wurde sie in Osterreich aber erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts, später als in anderen deutschen Staaten. Bei der Kriegsverwaltung brauchte man nur an Bestehendes anzuknüpfen, konnte der Hofkriegsrat als eigene Zentralbehörde doch auf eine sehr viel ehrwürdigere Tradition zurückblicken als die Oberste Justizstelle, die erst eine Schöpfung Maria Theresias war. So stark die Notwendigkeit empfunden wurde, seine innere Verfassung zu verbessern, sein Sonderdasein ist nicht umstritten worden. Nur die Frage des Kriegskommissariats mußte gelöst werden; denn das Versagen des Haugwitz» Vortrag J o h . C h o t e k s , 23. Dez. 1760; OZV II 3, 85—86. Vgl. II 1, 286f. = Denkschr., 20. Nov. 1761; OZV II 3, 117. 3 OZV II 1, 323.
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sehen Direktoriums in kommissariatisdien Geschäften hatte den äußeren Anlaß zu der inneren Staatskrise gegeben, in der Kaunitz seine Neuordnung durchsetzte. Trotz der Spannungen zwischen ihnen waren sich Kaunitz und der neue Präsident des Hofkriegsrats, der Feldmarschall Daun, darin einig, daß das Kommissariat wieder in die Kriegsverwaltung einbezogen werden müsse, und daß die Bestellung zunächst einer „commissariatischen und proviantischen Hofcommission", dann eines neuen Generalkriegskommissars 1 , zu der sie die Kaiserin sogleich bewogen hatten, nur einen Zwischenzustand darstellen dürfe. So erschien das Generalkriegskommissariat bei der für lange Zeit endgültigen Umgliederung des Hofkriegsrats als dessen dritte Abteilung. Von den Kommissariatssachen sollte also alles, was „Stand und Gebühr" anging, in der Kriegsbehörde allein verhandelt werden, während für den „Empfang", d. h. für alle Kassensachen, eine Vereinbarung mit den Finanzbehörden zu suchen w a r 2 . Mußten die gesamten Geldanforderungen des Hofkriegsrats doch in den Generalanweisungsstaat eingebaut werden, und das war die Aufgabe der Finanzbehörden. Deren Organisation machte die größten Schwierigkeiten. Wenn man das Direktorium zerschlug, mußte ein Neubau errichtet werden. Nach Kaunitzens Meinung sollte nicht bloß der eine Teil der Direktorialgeschäfte an die wiederauferstandene Hofkanzlei und der andere an einen neu zu bestellenden Finanzminister gegeben werden, wie es die Mehrheit des Staatsrats unter dem scharfen Widerspruch von Haugwitz zunächst a n n a h m 9 ; vielmehr machte sich der Staatskanzler bald den Plan zu eigen, mit dem sein Vertrauensmann in finanziellen Dingen, Graf Ludwig Zinzendorf, im Oktober 1761 die Einrichtung von drei Finanzstellen vorschlug*. Wenn Kaunitzens innerpolitischer Ehrgeiz bisher darunter gelitten hatte, daß ihm als dem Leiter der auswärtigen Geschäfte in Haugwitz ein Chef fast der gesamten inneren Verwaltung gleichgewichtig gegenüberstand, so war er nicht gewillt, nun in einem Finanzminister noch einen zweiten Gott neben sich zu dulden. Als er nach einigen Monaten auf jene Verhandlungen im Staatsrat zurückkam, mußte er wohl anerkennen, daß dessen Mitglieder seinen eigenen Grundsatz, Zusammengehöriges zu vereinen, angewandt hatten; nur fand er jetzt, es hätte „die Vereinigung ihre Grenzen", sie streite nicht nur „gegen andere wichtige Wahrheiten und alle Finanzprinzipien, sondern fallet auch sowohl dem Souverän als dem ganzen Staate sehr bedenklich" 5 . Das ist ein Gedanke, den er bei den verschiedenen Änderungen, denen die Finanzorganisation noch unterzogen wurde, stets festhielt. Obwohl er die i Hs. v. 3. Febr. 1761 u. 23. Dez. 1761; OZV II 3, 398 f. und 401 f. Vgl. II 1, 344—345. * Durch Hs. v. 30. Jan. 1762 und 24. Apr. 1762; OZV II 3, 412 f. u. 4 2 9 f . Dazu I11, 349 f. s Sitzung v. 9. Febr. 1761; OZV II 3, 94, Anm. 1. Vgl. II 1, 291 f. 4 „Vorschlag über die Einrichtung der Finanzen", 7. Okt. 1761; OZV II 3, 167—168. ® Votum Kaunitz, 20. Nov. 1761; OZV II 1, 292, Anm. 3. — Als Haugwitz 1764 erneut einen Vorstoß für die Zusammenfassung der politischen und Finanzverwaltung machte, trat Kaunitz noch einmal warm f ü r die 1761 eingeführte Dreiteilung der Finanzgeschäfte ein. Nur angesichts der drohenden Betrauung des Obersten Kanzlers mit der Oberaufsicht über die Finanzstellen wollte er die Bestallung eines besonderen Finanzministers als das geringere Obel anerkennen. Gutachten v. 18. Mai 1764; OZV II 3, 210—212.
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eigentliche politische Innenverwaltung bereits in andere Hände hatte legen können, erblickte er in einem einheitlichen Finanzministerium doch eine Macht, die dem Staat und dem Monarchen, nicht zuletzt der eigenen Stellung gefährlich werden könnte. In Kaunitz' Worten sprach das lebendige Gefühl dafür, daß die geldbeschaffende und geldbewilligende Stelle, wenn sie zielbewußt geleitet wird, ein natürliches Übergewicht über die anderen Verwaltungen bekommt und von dieser Stellung aus den ganzen Staat beherrschen kann. Deshalb dachten Kaunitz und Zinzendorf nicht daran, die Machtbefugnisse der Finanzverwaltung zu vermehren. Vielmehr gehörte es zu den Grundgedanken der Reform, sie durch eine Rechenkammer als höchstes, der Monarchin unmittelbar unterstehendes Kontrollorgan einzuschränken. Damit holte Osterreich nach, was Sachsen unter August dem Starken, Preußen unter Friedrich Wilhelm I. erreicht hatte. Maria Theresia griff den Gedanken einer Rechenkammer gern auf. Sie kannte das unübersichtliche und zersplitterte Rechnungswesen ihrer Monarchie wohl kaum sehr genau, aber sie wußte, ebenso wie Kaunitz, welcher Mangel darin lag, daß Osterreich es noch immer nicht zu einer Dbersicht über sämtliche Staatseinnahmen und -ausgaben, die notwendig die Ergebnisse der verschiedenen Finanzbehörden hätte umfassen müssen, gebracht hatte. Zugleich war ihr jedoch bewußt, welche Zumutung ihre bisherigen hohen Beamten, die nur an Lob und Tadel von ihrer Kaiserin selbst gewöhnt waren, darin sahen, daß sie ihre Tätigkeit von einer ihnen nebengeordneten Behörde oder von einem Kollegen nachprüfen lassen sollten. Trotzdem oder gerade deshalb legte Maria Theresia auf die Kontrolle durch eine Rechenkammer Wert. Der bewährte Rudolf Chotek durfte die Übernahme der neuen Generalkasse, mit der er sich der Rechenkammer hätte unterwerfen müssen, ablehnen und dafür den Vorsitz in der Hofkanzlei wählen Die beiden an seiner Stelle ernannten Finanzpräsidenten waren dagegen neue Männer und konnten sich leicht in die beabsichtigte Ordnung fügen. Als August der Starke mehr als ein halbes Jahrhundert früher seine O b e r rechenkammer begründete, leitete ihn die Absicht, die Finanzmacht seiner Stände durch eine landesherrliche Revisionsinstanz zu brechen. Das war in Osterreich bereits geschehen, als Haugwitz sein Direktorium schuf und in den Ländern Repräsentationen und Kammern einrichtete. Die Kaunitz-Zinzendorfsche Neuordnung konnte einen Schritt weitergehen und auch das ständische Rechnungswesen in die große Vereinheitlichung des Rechnungswesens einbeziehen in der sie eine Hauptaufgabe ihrer Rechenkammer sahen. Sogar die Hofkammer verlor ihre eigene Hauptbuchhaltung und mußte sie an die neue Behörde abgeben, die damit alle Staatsbuchhaltungen vereinigte. Durch diese Vereinigung in einer eigenen Zentralinstanz gewann das Buchhaltungswesen der Monarchie für kurze Zeit eine Bedeutung, die es niemals gehabt hatte, bekamen die bisher untergeordneten Buchführer eine Macht, 1
Ganz deutlich Im Ernennungsschreiben für Rudolf Chotek, Ende Dez. 1761, ausgedrückt; OZV II 3, 124—125. 1 Z. B. „Agenda, wo die Rechenkammer privative vorgehen kann", mit Hs. an Rudolf Chotek und Hatzfeld v. 26. Aug. 1765; OZV II 3, 275.
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die einzelne Mitglieder des Staatsrats nicht mit Unrecht als unnatürlich und bedenklich aussahen 1 . Die Bedeutung der Rechenkammer wurde noch dadurch unterstrichen, daß derselbe Zinzendorf, der das neue Finanzsystem ausgearbeitet hatte, ihr erster Präsident wurde. Die Rechenkammer sollte ihrer Absicht nach keine bequeme Behörde werden und war es unter Zinzendorfs Leitung auch nicht. Deshalb blieb ihr Dasein und zumindesten ihre Befugnisse ein Gegenstand unaufhörlichen Streites. Auf der einen Seite fühlten sich die anderen Finanzstellen in ihrer Selbständigkeit gefährdet, wenn die Rechenkammer Berichte einforderte und Kontrollen durchführte; auf der anderen fühlten sie sich genötigt, die Meinung der Rechenkammer auch in dem, was sie erst beabsichtigten, einzuholen, damit sie nicht nachher einen Tadel einstecken mußten. Behördlicher Geltungswille bei der Rechenkammer, Nachgiebigkeit und behördliche Vorsicht bei Hofkammer und Generalkasse führten dazu, daß die Kontrolfbehörde nicht bloß kontrollierte, also wie die preußische Rechenkammer grundsätzlich nur Geschehenes begutachtete und bereits getätigte Ausgaben und Einnahmen prüfte, sondern die Verwaltungsentscheidung selbst fällen oder doch wenigstens mitreden durfte, wenn sie gefällt wurde. Die Aufgabenverteilung, die ursprünglich zwischen den neuen Finanzstellen festgelegt war, trug dazu bei, daß aus der Kontrolle „ex post", die allerseits als die eigentliche Aufgabe der Rechenkammer anerkannt wurde, ein Eingreifen „ab ante" geworden war, ein Eingreifen, das die Instruktionen für so wichtige Dinge, wie die Feststellung der Etats, die Bewilligung neuer Ausgaben, die Begebung von Anleihen ausdrücklich anordneten 2 . Aus solchem Zusammenwirken mehrerer Behörden ergaben sich, wie nicht anders zu erwarten, ständige Reibungen und eine fühlbare Verlangsamung des Geschäftsganges. Infolgedessen konnte die Rechenkammer ihre Stellung nicht halten. Allmählich wurde sie ganz auf die Nachkontrolle beschränkt. Bei der Neuordnung des Jahres 1773 wurde sie sogar der eigentlichen Finanzverwaltung unterstellt, behielt aber das Recht unmittelbarer Berichterstattung an die M o n a r c h i n E s ist der Weg, den die preußische Rechenkammer unter Friedrich II. schon einige Jahre früher gegangen war. Zinzendorf brauchte diese Herabminderung seiner Dienststelle nicht mehr mitzumachen. Als er kurz zuvor zurücktrat, durfte er sich immerhin mit Stolz sagen, daß er sein wesentliches Ziel, die Vereinheitlichung des Rechnungswesens und die Nachkontrolle aller Rechnungen, erreicht hatte. Die Unterteilung der Finanzstellen in drei selbständige Behörden hatte nach dem Kaunitz-Zinzendorfschen Plan denselben Sinn wie die Sonderung der Ressorts im ganzen, nämlich Unvereinbares zu trennen und Zusammengehöriges zu vereinen. 1 Votum Stupans, 19. Juni 1762; O Z V II 3, 178, A n m . 2 . 2 Hs. an die drei Finanzpräsidenten, 8 . März 1762; O Z V II 3, 180. 3 Die einzelnen Schritte auf dem Wege zur Kontrolle bloß ex post: Resolution, 19. April 1762, O Z V II 3, 187 f.; Hs. an Zinzendorf, 1. März 1768, O Z V II 3, 3 1 8 ; Billet an den Rechenkammerpräs. 24. Dez. 1768, O Z V II 3, 3 1 9 f.; Hs. an Zinzendorf, 2. März 1772, O Z V II, 3, 3 2 7 ; Unterstellung der Rechenkammer unter die Finanzstellen, Hs. v. 20. Jan. 1773, O Z V II 3, 3 2 9 ff.
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Während vorher j e d e Finanzbehörde, die Hofkammer ebenso wie die Bank, und nach der Haugwitzschen Reform Direktorium, Hofkammer und Bank, j e d e für sich die eigenen Geschäfte verwaltet, Kasse g e f ü h r t und nachgeordnete Stellen kontrolliert hatte, sollte jetzt die Finanzverwaltung der wieder in ihre alten Rechte gesetzten Hofkammer zufallen, die Einnahmen und die Ausgaben der neuen Generalkasse und die Kontrolle der Rechenkammer. G e g e n ü b e r der gewachsenen O r d nung des alten Staates mit ihren barocken Schnörkeln hatte die neue gewiß den Vorzug klarer, vernunftgemäßer Scheidung aller Zuständigkeiten. Was sie der Hofkammer mit Buchhaltung und Kassengeschäften nahm, wollte sie ihr auf der a n deren Seite dadurch geben, daß sie die Verwaltung sämtlicher Gefälle, auch der indirekten Steuern, erhielt, so daß Abgabenverwaltung und Kasse zwar in verschiedenen Händen liegen, j e d e für sich a b e r zusammengefaßt sein sollten. Das g r o ß e Hindernis solcher Pläne blieb die überkommene Stellung der Bank. Bei ihrer G r ü n d u n g hatte zwar auch der G e d a n k e Pate gestanden, sämtliche Steuergelder durch eine Stelle fließen zu lassen, ganz wie dies Kaunitz und Zinzendorf jetzt wieder planten; a b e r der andere Zweck der Bank, allein auf diesen Zusammenfluß den Staatskredit zu stützen, hatte sich nicht erfüllt. Zur Deckung und Tilgung der Schulden waren besondere Staatseinkünfte nötig gewesen, und zwar solche, die den Gläubigern beweglich und einträglich genug erschienen. Deshalb wurden ihr Zölle und Akzise zugewiesen, erhielt sie zu ihren Kassen- und Schuldengeschäften eine ausgedehnte Gefällsverwaltung, in die die Hofkammer nicht hineinzureden hatte. Im Kriege war die Stellung der Bank und ihre Selbständigkeit noch gewachsen, denn nun mußten neue Schulden aufgenommen werden, für deren Deckung die Stände d e r deutschen Länder eintraten, nachdem die laufenden Einkünfte bereits mit Schulden überlastet waren. Das Schuldenwesen war auch der Ausgangspunkt von Zinzendorfs Reformideen gewesen. Bereits 1758 hatte er den Plan entwickelt, die Kriegslasten als „Nationalkredit" auf die Gesamtbürgschaft aller Stände der deut-> sehen Erbländer zu begründen \ und es war ihm damit gelungen, Kaunitzens Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dieser begrüßte in den Vorschlägen des „ j u n g e n Theoreticus" die Hilfe bei der Finanzierung seines Krieges und sah in dessen weiteren Plänen das erwünschte Mittel, die Sonderstellung der Bank zu brechen» deren „monströse Einrichtung", so drückte sich der Staatskanzler selbst aus, „gegen die erste G r u n d r e g e l " verstoße, „ d a ß kein status in statu zu gedulden s e i " 2 . Damit a b e r in den neuen Finanzbehörden nicht wieder ein Staat im Staate entstehe, e n t nahm Kaunitz den Zinzendorfschen Plänen die andere „gemeine Regul, . . . daß die Verwaltung aller Gefälle, deren Einnahm, Ausgab und Berechnung nicht miteinander zu verbinden noch unter einerley Oberdirektion zu untergeben, sondern die Administration von Einnahm und Ausgab, diese von der Administration und b e y d e von der Berechnungs-Untersuchung und Richtigkeit abzusondern s e i e n " 3 . 1 OZV II 3, 164, und II 1, 325. Dazu A. Staatshaushalts unter Maria Theresia, Archiv 2 Votum Kaunitz, 20. Nov. 1761; OZV 3 Votum Kaunitz, 20. Nov. 1761; OZV
Beer, Die Staatsschulden und die Ordnung des f. ö. Gesch., 82, 1895, Iff. II 1, 298. II 3, 102.
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Die Rückverwandlung der Bank in eine bloße Generalkasse mit der Aufgabe, die öffentliche Schuld zu fundieren, ist Kaunitz und Zinzendorf aber nicht in dem Maße gelungen, wie sie es vorhatten, so günstig sich die Vorbereitungen dazu auch entwickelten. Als der Krieg 1761, im Jahre der Kaunitzschen Verwaltungsreform, nötig machte, den Ständen eine neue Anleihe von 6 Millionen Fl. aufzulasten, wurde die von Zinzendorf angeregte Gesamtbürgschaft, der Nationalkredit, Wirklichkeit. Die Kaiserin ließ eine neue ständische Kreditdeputation errichten 1 , deren Vorsitz im Zuge der Neuorganisation dem Präsidenten der Bank übertragen wurde. Die Bank selbst wurde zu Kaunitzens Kummer nicht aufgelöst, sie bekam nur die Funktionen einer Generalkasse und wurde in der Gefällsverwaltung der Einsichtnahme von Seiten der Hofkammer, in der Rechnungsführung der Kontrolle von Seiten der Rechenkammer unterstellt. Da der gesamte Kredit der Monarchie auf der Bank und ihrer Verfassung beruhte, wagte die Kaiserin es auch jetzt noch nicht, die Anleihefreudigkeit ihrer Stände und etwaiger anderer Geldgeber, dadurch zu gefährden, daß sie der Bank ihre bisherigen Einnahmequellen entzog. Das ganze System, so klug es ausgedacht war, blieb immer noch zu verwickelt, als daß es zu der Vereinfachung hätte führen können, die Kaunitz im Auge hatte. Schon nach zwei Jahren unaufhörlicher Zuständigkeitsstreitigkeiten stellten Zinzendorf als Rechenkammer- und Hatzfeld als Bankpräsident gemeinschaftlich fest, wie wenig die Neuordnung wirklich zu der erwünschten Trennung der Geschäfte nach Gefällsverwaltung, Einnahme und Ausgabe sowie Rechnungskontrolle geführt habe. Vielmehr sei nur diese letztere zu der beabsichtigten Wirksamkeit gelangt. Die Hofkammer müsse die Gefällsverwaltung mit der Bank als Erhebungsstelle der indirekten Steuern und mit der Hofkanzlei als Durchgangsstelle der direkten teilen. Der Generalkasse seien die Militärkassen ganz entzogen und das Schuldenwesen — hier waren die alten Schulden gemeint — unterstehe ihr nur dem Namen nach, weil der Kaiser persönlich die Sorge dafür übernommen habe. Dabei versuche die Hofkammer auf Grund der ihr zustehenden Generaladministration die Oberaufsicht Ober alle Finanzgeschäfte, auch über die eigentlichen Rechnungssachen auszuüben, und die Hofkanzlei habe ebenfalls auf Grund der ihr obliegenden Sorge für die Kontributionen überall dreinzureden". Die Folge dieses Angriffes, den die damals noch einträchtigen Präsidenten der Bank und der Rechenkammer gegen ihre Kollegen von Hofkammer und Hofkanzlei richteten, war eine abermalige Verschiebung der Zuständigkeiten. Obwohl Haugwitz in den Beratungen noch einmal den Versuch machte, die Vereinigung der politischen und der Finanzverwaltung durchzusetzen s , blieben die Finanzstellen von der Hofkanzlei getrennt, wie dies Kaunitz und Zinzendorf vor mehr als zwei Jahren durchgesetzt hatten, nur rückte Hatzfeld in das Präsidium der Hofkammer ein, gab aber die Bank, die er bisher geführt hatte, nicht ab. Das Handschreiben der Kaiserin i Durch Hs. an Zinzendorf, 15. April 1761; OZV 11 3, 164—165. Gemeinschaftlicher Vortrag Hatzfelds u. Zinzendorfs, 11. Sept. 1764; OZV II 3,223-233. » I . M a i 1765, OZV II 3, 447—451, und 7. Mai, II 3, 252, Anm. Vgl. dazu OZV II 1, 367 ff. 4
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faßte die Reform dahin zusammen, daß sie sich entschlossen habe, „die ganze Finanzverwaltung einem einzigen Chef anzuvertrauen" 1 . Zu verstehen ist das nur, wenn man den Ton auf das Wort Verwaltung legt, in dem Sinne, wie sie Kaunitz und Zinzendorf gegenüber der Kontrolle verstanden, denn die Rechenkammer blieb unter Zinzendorf noch für Jahre eine selbständige Behörde. Selbst wenn sich Hofkammer und Bank auch unter dem neuen Zustand die eine diesen, die andere jenen Teil der Gefällsverwaltung vorbehielten, so brauchte das Nebeneinander jetzt nicht mehr schädlich zu wirken, da sie unter der gleichen Führung standen. Die Generalkasse, die vor zwei Jahren die Bank hatte aufnehmen sollen, trat jetzt völlig zurück und wurde bereits im Staatshandbuch von 1765 nicht mehr erwähnt 2 . Hatzfeld strebte sogar noch eine weitere Konzentration an. 1771 wurde er nach der Pensionierung Rudolf Choteks zum Präsidenten der Hofkanzlei ernannt, ohne seine bisherigen Finanzpräsidien deshalb aufgeben zu müssen. Als die Kaiserin die Vereinigung von Hofkammer- und Bankpräsidium mit dem Obersten Kanzleramt mit den Worten begründete, sie wünsche die „Zusammenziehung aller Teile unter einer Aufsicht und die Verbindung aller einseitigen Vorteile zu dem allgemeinen besten" s wiederholte sie den gleichen Gedanken, dem einst das Direktorium in publicis et cameralibus sein Dasein verdankte, nur beabsichtigte sie jetzt nicht, es zur Gründung einer einheitlichen Behörde kommen zu lassen, begnügte sich vielmehr mit der Personalunion. Diese Bestrebungen fanden jedoch keine Verwirklichung, nicht bloß, weil Kaunitz sich dieser Zerstörung seiner Reformen wenig geneigt zeigte. Hatzfeld selbst forderte zuviel, als er sein neues Amt als Oberster Kanzler nur antreten wollte, wenn die Rechenkammer ganz aufgelöst würde und er selbst Sitz und Stimme im Staatsrat erhielte. Befreit von einer selbständigen Kontrollinstanz hätte er zugleich die gesamten Innenbehörden der Monarchie und den Beratungskörper beherrscht, hätte er die beratende und die ausübende Tätigkeit in einem seit Haugwitz nicht wieder dagewesenen Maße und darüber hinaus vereinigt, eben das, was Kaunitz einmal „sowohl dem Souverän als dem ganzen Staat sehr bedenklich" genannt hatte. Der Staatskanzler wandte sich besonders scharf gegen die Absicht des Präsidenten so vieler Hofstellen, in den Staatsrat einzutreten, und fand in Joseph II., der das gesamte Schicksal der Kaunitzschen Reformen als Mitregent seit Jahren beeinflußte, einen Helfer. Dieser traute Hatzfelds Gesundheit die Last nicht mehr zu. Obwohl Joseph mehr der Regierung durch ein Direktorium zuneigte und dies bereits programmatisch verkündet hatte, wirkte er jetzt dahin, daß Hatzfeld seine Präsidien ganz verlor und als dirigierender Minister bloß die äußeren Geschäfte des Staatsrats leitete*. Kaunitz und Zinzendorf erlebten also noch unter Maria Theresia, daß ihr Grund1
Hs. an Uhifeld, 14. Mai 1765; OZV II 3, 257. OZV II 1, 477, Anm. 2. 3 Hs. an Hatzfeld, 30. Nov. 1771; OZV II 3, 46. » Ober diese Episode: Adol Beer, Die Finanzverwaltung Österreichs, M I O C 15, 1894, 257 f. Dazu OZV II 3, 314—315, und II 1, 438—439. 2
1749—1816;
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gedanke, Verwaltung, Kasse und Kontrolle innerhalb des Finanzressorts zu trennen, fallen gelassen wurde. Die Rechenkammer wurde der Hofkammer, die Kontrolle aiso der Verwaltung unterstellt. Dafür war die Bearbeitung sämtlicher Gefälle bereits unter Hatzfeld in der Form einer Kommission der Hofkammer vereinigt worden \ während die Bank zwar als eigenes Institut erhalten blieb, in Wirklichkeit aber ganz vom Hofkammerpräsidenten abhängig wurde. In einer entscheidenden Frage jedoch beseitigte die Neuordnung von 1771, was eben unter Hatzfeldt g e schehen war, und stellte den Zustand wieder her, den Kaunitz 1761 durchgesetzt hatte: für die Hofkanzlei wurde ebenfalls ein neuer Präsident ernannt, Innenverwaltung und Finanzen blieben also auch in Zukunft getrennt. Ja, es trat noch klarer hervor, was durch die Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den drei Finanzstellen und die dadurch hervorgerufenen Änderungen in der Organisation verdunkelt worden war. Hatten Kaunitz und Zinzendorf die drei Finanzstelien von Anfang an als eine ideelle Einheit angesehen, so war die Einheit — freilich im Gegensatz zu ihnen — nun auch organisatorisch hergestellt. Die grundsätzliche und tatsächliche Sonderung von politischer Innen- und Finanzverwaltung, der eigentliche Kern der Kaunitzschen Reform, hatte es freilich schwer genug, sich in der Wirklichkeit dieses Staates zu bewähren. Da war besonders die dornige Frage der Kontributionen, der einen großen Steuerquelle, in der die Regierung immer noch auf die Zustimmung ihrer verschiedenen Stände angewiesen war, wenn sie die Verfassungen der Länder nicht brechen oder beiseite schieben wollte. Daß die Kaiserin-Königin ihre Befehle an ihre Länder nur durch einen Obersten oder Hofkanzler gelangen lassen konnte, hatte Haugwitz dazu benutzt, um die Finanzleitung, die ohne die Kontributionen nicht möglich war, mit dem bracchium der politischen Verwaltung zu verbinden und sich als Präsidenten zugleich zum Obersten Kanzler aller deutsch-böhmischen Länder zu machen. Auch Kaunitz hatte, ohne daß wir dies mit einem klaren Wort aus seiner Feder belegen könnten, das Kontributionale für eine Angelegenheit der Finanzverwaltung gehalten; nur den Brauch, die Forderungen der Regierung durch den Hofkanzler an die Stände zu bringen, wollte auch er nicht abschaffen. Wenn er die Wiederherstellung der Hofkanzlei für die deutschen Erbländer — für Ungarn war sie ja bestehen geblieben — für nötig hielt, so hatte dies andere Gründe: er sah in der bisherigen Verwaltungsordnung keine Stelle, die die merkantilistisch gemeinten Wirtschafts- und Wohlfahrtsaufgaben des Staates, das „Aufnehmen der Länder" als Gegenstand ihrer besonderen Fürsorge betrachtete. Seltsam, daß Kaunitz in diesem Zusammenhange die „wichtige Wahrheit", daß die Wohlfahrt des Landesfürsten und seiner Untertanen unzertrennlich miteinander verknüpft sei und keine ohne die andere bestehen könne 2 , dieselbe Wahrheit, die bereits Schröder dem Kaiser Leopold I. gepredigt und die Justi von seiner Lehrkanzel im Theresianum verkündet hatte, wie eine neue Lehre ans Tageslicht ziehen konnte. Er muß also der Meinung gewesen sein, daß dieser 1 Hs. v. 26. März 1770; OZV II 1, 481. » Vortrag v. 20. Nov. 1761, OZV II 3, 107, wörtlich in die Instruktion für die Hofkanzlei, 21. Juni 1762, OZV II 3, 131, übergegangen.
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Grundgedanke des Kameralismus in der Praxis des Haugwitzschen Direktoriums zu kurz gekommen war. Die Wohlfahrt des Staates, so fand Kaunitz, war bisher mehr als Sache der einzelnen Länder betrachtet worden, zwischen denen es zu häufigen Interessenkonflikten gekommen wäre, ohne daß sie einen Ausgleich gefunden hätten. Demgegenüber betonte Kaunitz ganz im Sinne der allgemeinen Tendenzen des Kameralismus, daß die Wohlfahrt und das Aufnehmen, das auch er den Ländern wünschte, nur als gesamtstaatliche Aufgabe in Angriff genommen werden könne und daß Sonderinteressen vor allgemeinen Notwendigkeiten zurücktreten müßten. Die neue Hofkanzlei sollte daher als Zentralstelle dafür sorgen, daß unter den „nach den Sitten und der Gedenkensart sehr unterschiedenen Erblanden ein gleichförmiger Allgemeingeist Wurzel fasse" In der Entwicklung, die wir verfolgt haben, stehen wir damit an einer Wende, deren Tragweite sich Kaunitz vielleicht gar nicht voll bewußt war. Am Anfang dieses Jahrhunderts hatte Friedrich Wilhelm I. sein beispielgebendes Generaldirektorium begründet, um Konflikte zwischen den Behörden für die verschiedenen landesherrlichen Einkünfte aus der Welt zu schaffen. In ihm hatte er die gesamtstaatliche Wirtschaftspolitik mit der Steuerverwaltung verknüpft, damit Handel und Wandel sorgsam gefördert, die Kassen des Staates praller gefüllt würden. Er hatte ihm die weitere Aufgabe zugeschoben, diese Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht unter rein fiskalischen Gesichtspunkten zu betreiben, sondern auf die Konservation der Untertanen, auf die Aufnahme des Landes zu achten, seinen Untertanen zwar das Erforderliche abzuverlangen, aber in einer Weise, die sie doch schonte und ihnen Arbeitskraft und Arbeitslust erhielt und zugleich das Bewußtsein, daß derselbe Staat, der sie mit seinen Steuerforderungen schröpfte, ihre Gewerbe oder ihre Ackernahrung nicht zu erdrücken beabsichtigte. Nach wenigen Jahrzehnten preußischer und besonders österreichischer Praxis war es zweifelhaft geworden, ob diese zusammenhängenden und doch in gewissem Widerstreit liegenden Aufgaben von einer einzigen, alles beherrschenden Innenbehörde mit dem gleichen Nachdruck bearbeitet werden konnten. In dem Staat der Habsburger, wo der Monarch nicht die maßlose Arbeitskraft und die unerbittliche Härte aufbrachte, mit der die preußischen Könige aus ihrem Kabinett regierten, wo den Behörden ein größerer Spielraum, mehr Freiheit gelassen wurde, wo daher lässigere Verwaltungsformen herrschten, wo sich aus der Vielzahl der Ämter und aus der Rücksichtnahme auf die Länder und ihre Stände mehr Reibungen ergaben, da hatte es sich, jedenfalls nach der Meinung Kaunitzens, erwiesen, daß das Direktorium vor der doppelten Aufgabe, die Finanzen aufrechtzuerhalten und die Wirtschaftspolitik zu führen, versagte. Es war ihm, ebenfalls nach der Ansicht des Staatskanzlers, nicht gelungen, die Gegensätze zwischen den Ländern in dem erwünschten Maße auszugleichen und die wirtschaftliche Einheit des Staates durchzusetzen. Eben erst hatte Justi den Weg Friedrich Wilhelms i. noch einen Schritt weitergehen und das Generaldirektorium durch die Hereinnahme der Justizverwaltung und durch die Gliederung in Abteilungen wirklich 1
Instr. der Hofkanzlei, 21. Juni 1762; OZV II 3, 132.
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zu der alleinherrschenden Innenbehörde machen wollen. Kaunitz ging bewußt den umgekehrten Weg, den, der die Zukunft für sich hatte; er legte die Aufgaben, die so schwer zu vereinen waren, auseinander und trennte die Finanzverwaltung von der innen- und Wirtschaftsverwaltung. Indem er seine neue Hofkanzlei neben den Finanzstellen aufrichtete, schied er die Geld einnehmende und bewilligende Steiie von der ausgebenden. Es fehlte jedoch noch viel, daß dieser fruchtbare Grundgedanke, der Kaunitz und seinen Mitarbeitern vorschwebte, o h n e daß sie ihn mit voller Klarheit ausgesprochen hätten, sich ganz durchsetzte. Der Staat, dem ein so modern anmutendes System von Zentralinstanzen vorgesetzt wurde, war eben noch nicht bis unten hin durchrationalisiert und konnte es auch nicht sein, solange auf die Verfassungen der Länder Rücksicht genommen werden mußte. Wohl konnte sich die Hofkammer der Stellung eines gesamtstaatlichen Finanzministeriums nähern, weil sie zunächst das Kammergut und die Bergrechte der ganzen Monarchie verwaltete; a b e r schon in der Steuerverwaltung war sie auf Bewilligung und Verwaltung durch eine eigene, der Kaiserin in ihrer Eigenschaft als Königin von Ungarn unmittelbar berichtende ungarische Kammer mit eigenem Kassenwesen angewiesen Niemals hätten sich die Ungarn kraft ihres Landrechtes, nach dem ungarische Sachen nur von Ungarn behandelt werden sollten, durch den Hofkanzler der böhmisch-österreichischen Länder Weisungen erteilen lassen. Die beiden Hofkanzleien, die eine für die deutschen Erblande, die a n d e r e f ü r Ungarn, mußten also nebeneinander bestehen bleiben, so daß die Behörde, die zu einem Ministerium des Innern hätte werden können und müssen, keine Aussicht hatte, jemals zu einer gesamtstaatlichen Wirksamkeit aufzusteigen. Dabei g a b es Länder, die überhaupt keiner der Hofkanzleien unterstanden: die wichtigsten Hafenplätze an der Adria, Triest vor allem, mit dem umliegenden Gebiet wurden von der Kommerzstelle, der breite Gürtel der Militärgrenze vom Hofkriegsrat verwaltet. Auch innerhalb der deutsch-böhmischen Ländergruppe war eine reinliche Scheidung von Finanz- und politischen Innensachen kaum möglich. Mit Erfolg konnte die Hofkanzlei um die Verwaltung des Kontributionales kämpfen, da sie die einzige Stelle für alle Beziehungen zu den Landtagen war. Kaum waren die Finanzstellen und die neue Hofkanzlei ins Leben getreten, da setzten Schwierigkeiten ein, die man vorerst in der Weise bereinigte, daß die Zuständigkeit der Hofkanzlei für die Propositionen vor den Landtagen und die Bewilligung der Stände anerkannt wurde, während den Finanzstellen Einziehung und Abrechnung der bereits bewilligten Steuern obliegen sollte 2 . Eine wirklich befriedigende Lösung war das für beide Teile nicht. Ausdrücklich mußte den Finanzstellen verboten werden, sich o h n e Vermittlung der Hofkanzlei an die Stände zu w e n d e n u n d die Länderstellen mußten sich überhaupt erst daran gewöhnen, sich nicht bloß nach den Weisungen der Hof* Theodor Mayer, MIOG, XI. Erg., 1915, bes. 228 ff. Vgl. Zuständigkeitsabgrenzung nach Hs. an Rudolf Chotek und Hatzfeld, 26. August 1765; QZV II 3. 271 ff. o Hs. an Herberstein (Hofkammerpräs.) 14. März 1764; Beer, MIOG 15, 246—247. 2
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kanzle: zu richten, sondern auch solche der Finanzbehörden als für sich verbindlich a n z u e r k e n n e n . O b w o h l d i e Finanzsachen innerhalb der Länderstellen in b e s o n d e r e n Abteilungen erledigt wurden \ fühlte sich der Leiter d e r Landesregierung m e h r dem Kanzler als dem
H o f k a m m e r - o d e r Bankpräsidenten
doch
verpflichtet.
So
konnten sich Hatzfeld und Z i n z e n d o r f in ihrer g e m e i n s a m e n Denkschrift mit Recht d a r ü b e r b e k l a g e n , d a ß die Neuregelung die Hofkanzlei e n t g e g e n allen Ursprünge liehen Absichten zu e i n e r vierten Finanzstelle von z u n e h m e n d e m Einfluß gemacht h a b e 2 . D i e F o l g e war die Zuständigkeitsabgrenzung, von der wir g e s p r o c h e n h a b e n . A b e r auch sie befriedigte nicht ganz, weil die S a c h e selbst e i n e r reinlichen Scheidung widersprach. Als J o s e p h 11. —
noch als M i t r e g e n t seiner M u t t e r —
die D i n g e in
die Hand nahm, ließ e r das g a n z e Kontributionale der Hofkanzlei zuschieben, so d a ß die H o f k a m m e r wohl feststellen, was den Ständen abzufordern war, und die einlaufenden G e i d e r ü b e r n e h m e n durfte, Postulierurig und Einziehung a b e r allein v o m O b e r s t e n Kanzler a b h i n g e n 3 , eine Reglung, der Kaunitz sich nicht widersetzen konnte. D i e zweite Schwierigkeit e i n e r sauberen A b g r e n z u n g zwischen Hofkanzlei und Finanzstellen lag in den Handelssachen.
D i e Wirtschaftspolitik und die W o h l f a h r t s -
pflege, die Kaunitz d e r Hofkanzlei als ihre wichtigste A u f g a b e z u g e s c h o b e n hatte, war doch
m e h r binnenwirtschaftlich g e m e i n t ;
das eigentliche Commercium,
der
A u ß e n h a n d e l , e r f o r d e r t e nach den merkantilistischen Grundsätzen, die Kaunitz s o l e b h a f t vertrat, eine b e s o n d e r e Z e n t r a l b e h ö r d e . D a s lag ganz im Z u g e d e r Zeit und im Z u g e dessen, was im theresianischen O s t e r r e i c h schon v o r h e r versucht worden war, damals a b e r innerhalb einer Verwaltung, die sich m e h r nach den Ländern als nach dem G e s a m t s t a a t orientierte, nicht voll zur Auswirkung g e k o m m e n w a r 4 . In denselben g r o ß e n Denkschriften des J a h r e s 1 7 6 1 , in denen e r seine Reform gründete, forderte
Kaunitz
deshalb
für die
inneren
Geschäfte
insgesamt
befünf
R e s s o r t s : Inneres, Justiz, Finanz, Krieg und Kommerzium, stellte also die Handelssachen als gleichberechtigte A n g e l e g e n h e i t e i n e r b e s o n d e r e n unmittelbaren Z e n t r a l b e h ö r d e hin. W ä h r e n d e r in seinen Ausführungen ü b e r die a n d e r e n Ressorts an V o r h a n d e n e s anknüpfen und deshalb klare organisatorische V o r s c h l ä g e machen konnte, b l i e b die Frage, wie die Commercialia
eigentlich verwaltet werden sollten, noch
offen. Nur das e i n e l e g t e Kaunitz der Kaiserin und seinen Kollegen im Staatsrat d a r : die Handelssachen, die e r mit den M a n u f a k t u r a n g e l e g e n h e i t e n als eine Einheit ansah, dürften nicht m e h r der Bank überlassen b l e i b e n , die als Verwaltungsstelle d e r indirekten Steuern bisher den stärksten Einfluß auf die gewerbliche Wirtschaft gehabt hatte5. An dieser notwendigen Verbindung zwischen indirekten Steuern, G e w e r b e - und „Grundsätze der Kaiserin", 1763; OZV II 1, 358. Vortrag, 11. Sept. 1764; OZV II 3, 224—225. 3 Denkschr. Josephs, 27. Nov. 1771; OZV II 3, 45. Hs. 17. Dez. 1771; OZV II, 3, 316, 4 OZV II 1, 72 f. s Kaunitz' Votum, 20. Nov. 1761; OZV II 3, 111—112. 1 2
Haussherr,
Vcrwaltungsclnheit
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Außenhandelspolitik lag es dann aber, daß die Commercialia doch nicht unter die O b h u t einer Hofstelle vom Range der Hofkanzlei oder der Hofkammer kamen, auch keinen eigenen Unterbau erhielten. Zwar wurde mit der Auflösung des Haugwitzschen Direktoriums das ihm zugehörige Kommerziendirektorium wieder selbständig und zu einem Kommerzienrat mit dem Recht einer unmittelbaren Hofstelle umgeformt. Der Kommerzienrat bekam dann auch das Recht, mit den Länderstellen zu korrespondieren, ohne erst an die Hofkanzlei herantreten zu müssen. Die O r g a n e fn den Ländern aber waren bloße „Commercialconsesse", d. h. Körperschaften von Räten der Länderstellen, die zwar auch Kaufleute und Gewerbetreibende heranzogen, aber meist nur von Fall zu Fall zusammentraten und deshalb keine sichere und stetige Geschäftsführung verbürgten. Die Instruktion des Kommerzienrates b e zeichnete als die „Hauptgegenstände dieses Departements . . d a s Wachstum und die A u f n a h m e der inländischen Cultur, die Erhebung der Manufakturen, dann die Einheit und Erweiterung des Commercii, mithin die wesentliche Wohlfahrt meiner getreuesten Erblanden" Zuständigkeiten, die sich soweit mit den wirtschaftlich gesehenen Wohlfahrtsaufgaben der Hofkanzlei deckten, waren in kampffreudigen Händen eine stete Quelle von Streitigkeiten, unter schwächerer Leitung eine Bedrohung des Eigenlebens. Tatsächlich war es bald mit der Selbständigkeit des Handelsressorts vorbei. O h n e daß Kaunitz sich erneut f ü r seine Idee eingesetzt hätte, wurde es bereits 1765 mit der Hofkanzlei v e r e i n i g t z u r gleichen Zeit, als die Hofkanzlei das Kontributionale an die Hofkammer abgeben mußte. So stand die gesamte Staatswirtschaft unter der O b h u t des Hofkanzlers. Als sich aber Hatzfeld 1771 seiner Amter als Finanzpräsident begeben hatte, die Zuständigkeiten erneut abgegrenzt wurden und die Kontributionssachen wieder ganz an die Hofkanzlei kamen, wurden d a f ü r die Handelsangelegenheiten an die Hofkammer gegeben, eine Vereinigung, die sich bald als künstlich erwies. Die Praxis rechtfertigte Kaunitzens ursprüngliche Gedanken über den Platz der Staatswirtschaft in der Verwaltung. Doch konnte der Staatskanzler nicht durchsetzen, daß die Kommerzsachen wieder einem eigenen Ressort anvertraut wurden. Um wenigstens etwas von seinen früheren Plänen zu retten, machte er den Vorschlag, die Handelsgeschäfte dem Kaiser durch ein O b e r s t e s Kommerzienkollegium unmittelbar zu unterstellen s . Dieser entschied sich jedoch f ü r die vollige Einverleibung in die Hofkanzlei, in der die Handelssachen nicht einmal mehr eine gesonderte Abteilung bilden sollten. Diese letzte Lösung steht bereits unter Gedanken, die sich erst voll auswirken sollten, als Joseph nach dem Tode seiner Mutter die Regierung allein übernahm. Seit langem trug er sich mit der Absicht, die altertümliche Verfassung seines Staates dadurch zu beseitigen, daß er f ü r sämtliche inneren Geschäfte ein allmächtiges Direktorium oder, besser gesagt, zwei Direktorien einrichtete, das eine f ü r die deutsch-böhmischen, das andere f ü r die ungarischen Länder. Hier sollten — wie zu 1
Hs. an Andler-Witten, 11. März 1762; OZV II 3, 344. Resolution der Kaiserin auf dem anonymen Vortrag, 2. Apr. 1765; OZV II 3, 238. Hs. an Andler und Rud. Chotek, 14. Mai 1765; OZV II 3, 258. » OZV II 3, 290. a
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Haugwitzens Zeiten — die politischen und Finanzgeschäfte gemeinsam g e f ü h r t werden, hier hatten auch die Handelssachen ihren Platz. Diesen neuen Zentralbehörden sollten dann a b e r alle Länder unterschiedslos und ohne Rücksicht auf ihre alten Verfassungsrechte unterstehen. Schon bei der letzten „kleinen" Verwaltungsreform unter der Regierung seiner Mutter beseitigte Joseph die Sonderstellung des Littorale, der Küstengebiete mit Triest, die immer noch nicht in die allgemeine Verwaltung eingegliedert waren, sondern den wichtigsten der Commerzialgegenstände darstellten. Triest und die Küste sollten jetzt, wie das benachbarte Krain, unmittelbar von der Hofkanzlei als der zuständigen politischen Behörde regiert werden; das war der wichtigste Grund f ü r die restlose Eingliederung der Handelssachen. Eine grundsätzlich gleiche Frage, in der sich der Gegensatz zwischen Joseph und Kaunitz nicht bloß in einer Denkschrift andeutet, über die der Kaiser dann hinwegging, hatte wenige Jahre zuvor an den Rand eines Bruches geführt. Derselbe Kaunitz, der seit 1761 f ü r die Durchrationalisierung der Staatsverwaltung und f ü r die sorgfältige Scheidung nach Sachressorts sorgte, ließ in seiner Staatskanzlei selbst eine ganze Reihe j e n e r Unstimmigkeiten bestehen, die sich einer vollen Rationalisierung von oben nach unten noch stets entgegenstellten. Wir brauchen nicht davon zu sprechen, daß die Haus-, Hof- und Staatskanzlei nicht bloß für die eigentlichen Staatssachen, d. h. f ü r die auswärtigen Geschäfte da war, sondern auch alle Haussachen bearbeitete. Das war im preußischen Kabinettsministerium nicht anders; auf dem Kontinent trennte damals nur Frankreich die affaires étrangères von der maison du roi. Aber der Staatskanzlei und ihr allein unterstanden die Niederlande 'und Mailand mit ihrer gesamten Innenverwaltung. Und was bei diesen entfernten Außenländern des Habsburgischen Hauses herkömmlich war, das sollte sich bei der Neuerwerbung der spättheresianischen Epoche, bei Galizien, wiederholen. Da es sich hier tatsächlich zuerst mehr um a u ß e n - als um innenpolitische Fragen handelte, wurde der Staatskanzler mit der Verwaltung des Landes betraut, ein Zustand, der nach der Meinung der Kaiserin und noch mehr Josephs doch nur einen Übergang darstellte, während Kaunitz den Zuwachs möglichst lange in seinen Händen halten wollte. Doch mußte er Galizien früher, als er es gewünscht hätte, wieder a b g e b e n und zusehen, wie die Verwaltung des neuen Landes den Weg über eine Galizische Hofdeputation zu einer eigenen Galizischen Hofkanzlei ging, um dann ganz in die allgemeine Verwaltung der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei und Hofkammer eingegliedert zu werden Damit war Kaunitz um so weniger zufrieden, als e r Grund zu der Befürchtung zu haben glaubte, Joseph werde ihm auch die Lombardei und die Niederlande a b n e h m e n 2 . Es wurde ein Konflikt, in dem Kaunitz seine Entlassung einreichte, Joseph der Mutter den Verzicht auf die Mitregentschaft a n b o t ; Maria Theresia konnte ihn nur unter Tränen schlichten. Hier vertrat Kaunitz im Interesse seiner Behörde die altertümliche Zuständigkeitsi OZV II 1, 473 f.; II 3, 295 ff. » OZV II 1, 457.
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
verschachtelung, die er selbst auf dem Felde, auf dem ihm Haugwitz einebnend vorangegangen war, hatte überwinden helfen, Joseph die klare sachliche Durchgliederung, die Kaunitz in der sonstigen Innen- und Finanzverwaltung
siegreich
durchgesetzt hatte. Das Ergebnis war ein Kompromiß: der Staatskanzler mußte auf Galizien verzichten und behielt dafür die S o r g e für die inneren Angelegenheiten der Niederlande und Mailands. Die Revolution von oben, die Joseph II. als Alleinherrscher unternahm, knüpft nicht an die Regierungsweise an, wie sie Maria Theresia in behutsamen Händen geführt hatte, sondern an eine frühere, in Osterreich
übergangene Stufe
des
Absolutismus, an die revolutionären Methoden, mit denen sich die französische Monarchie von Richelieu bis zu Ludwig XIV., die preußische vom Großen fürsten bis zü Friedrich Wilhelm 1. durchsetzte.
Kur-
Joseph nahm deshalb auch die
Verwaltungsformen auf, die Friedrich Wilhelm I. als Werkzeug seines
aggres-
siven Absolutismus ausgebildet hatte, und neigte schon als Mitregent, während e r noch lange an die politischen Berater seiner Mutter gebunden war, zum Direktorium als der großen Innenbehörde des S t a a t e s 1 . Als e r freie Hand hatte, wollte e r ursprünglich sogar die Justizstelle mit dem zu begründenden Direktorium
ver-
einigen, also das, was Justi schon ein Vierteljahrhundert zuvor gelehrt hatte. Jedoch ist auch hier keine unmittelbare Beeinflussung nachzuweisen, vielmehr dürfte Joseph aus dem gleichen Geist verwaltungspolitischer Systematik auf den gleichen
Ge-
danken gekommen sein. Immerhin befragte e r seinen Staatsrat. Dessen Mitglieder hielten ihm zwar nicht den modernen Gedanken der Trennung von Justiz und V e r waltung entgegen, wobei sich nicht erkennen läßt, o b sie es nicht wagten o d e r die Tragweite der Sache nicht übersahen; doch erhoben sie so viele Bedenken im einzelnen, daß der Kaiser seinen Plan zunächst fallen l i e ß 2 .
Die Regierung seiner
Mutter hatte sich gescheut, Ungarn in die gleiche Verwaltungsordnung einzubeziehen, die sie für die österreichischen Länder errichtete. Sie hatte die Hofkammer schon deshalb niemals ganz auflösen lassen, weil sie diejenige Behörde erhalten wollte, die mit der Betreuung des ungarischen Kamerale zugleich die Interessen der gesamtstaatlichen Finanzpolitik g e g e n ü b e r den ungarischen Ständen vertrat. Für Joseph barg die Überweisung auch der Finanzgeschäfte an das ungarische Direktorium das e r 1782 s c h u f 3 , nicht die G e f a h r des Wiederaufkommens ungarischer Eigenstaatlichkeit; e r hoffte vielmehr auf die völlige Eingliederung der ungarischen Länder durch eine rationalisierte Verwaltung, besonders nach der Aufhebung der geschichtlichen Komitate zugunsten neuer Distrikte. Aus dem gleichen Grunde glaubte e r auch die Siebenbürgische Hofkanzlei beseitigen und ihre Geschäfte der
neuen
Ungarisch-Siebenbürgischen Hofkanzlei — praktisch einem Direktorium mit politischen und finanziellen Zuständigkeiten — zuweisen, Siebenbürgen also ganz in den 1 Zuerst in seiner Denkschrift, Ende 1765; von Ameth, Maria Theresia und Joseph II., Wien 1868, III, 341; J e composerais un directoire. 2 Die „Betrachtungen" Josephs u. d. Voten der Staatsräte v. 26. März bis April 1781; OZV II 4, 7—20. Darstellung OZV II 1a, 8 f. * OZV II 1a, 16—23; OZV II 4, 21—40.
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ungarischen Staatsverband einverleiben zu dürfen. Zu verstehen ist dies Vorgehen in Ungarn nur unter der Voraussetzung, daß Joseph von Anfang an eine ähnliche Reglung für die böhmisch-österreichischen Länder im Auge hatte. Noch im gleichen Jahre 1782 entstand daher die „Vereinigte Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei, Hofkammer und Ministerialbancodeputation" l , die in ihrem Namen anzeigte, welche Behörden sie fortsetzte, in Wirklichkeit jedoch ein Direktorium darstellte, in dem sogar die Wiener Stadtbank aufgegangen war. Am Ende der Regierung Josephs standen also zwei in sich gleichartige Direktorien nebeneinander, die die politische Verwaltung mit sämtlichen Finanzgeschäften zusammenfaßten, aber keine anderen Justizfunktionen besaßen als die herkömmliche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach den inneren und äußeren Schwierigkeiten, die die Regierung Josephs II. heraufgeführt hatte, lenkte sein Bruder und Nachfolger Leopold II. zu den bewährten Einrichtungen der letzten Zeit seiner Mutter zurück, die dem Staat der Habsburger offenbar soviel angemessener waren als die innere Revolution, die sein Bruder angestrebt, aber nicht verwirklicht hatte. Leopold löste daher die beiden Direktorien alsbald wieder auf, trennte also die politische von der Finanzverwaltung. Der ungarischen Behörde wurden die siebenbürgischen und illyrischen (d. h. im wesentlichen südslawischen) Zuständigkeiten genommen. So entstanden im ganzen vier neue Hofkanzleien, nämlich die böhmisch-österreichische, die ungarische, die siebenbür.gische und die illyrische. Auch die Hofkammer erstand wieder und erhielt nicht bloß die Handelssachen der österreichischen Reichshälfte, sondern auch das ungarische Kamerale und die dortigen Bergsachen. Soweit Leopold II. den Ungarn in der Wiederherstellung ihrer alten Verfassung entgegengekommen war, so sehr bemühte er sich, sie durch die Verwaltungsorganisation an den Gesamtstaat zu binden 2 . Alles das liegt noch durchaus im Rahmen der alten Verwaltung und stellt kaum einen wesentlichen Schritt auf dem Wege zur modernen Ressorttrennung dar. Doch ist unter Leopold II. schon im Januar 1791 ein Vorschlag zur Reorganisation des Staatsrats gemacht worden, der diese Behörde in fünf Abteilungen gliedern wollte, nämlich für auswärtige Angelegenheiten, Krieg, Finanzen, politische Verwaltung und Justiz 3 . Das waren also bereits die fünf Ressorts, wie sie im Zuge der Französischen Revolution in der Entstehung begriffen waren. Wir wissen nicht, wer der Verfasser der Denkschrift gewesen ist; auch läßt sich nicht erkennen, wieweit er eine bloß beratende Behörde zu einem modernen Ministerium machen wollte. Jedenfalls trat der Staatsrat in einen Zustand der Unruhe, weniger durch die anonymen Vorschläge mit den fünf Ressorts, die unbeachtet blieben, als dadurch, daß seine Mitglieder sich beschwerten, es würden sowohl die auswärtigen wie die militärischen und die großen finanziellen Gegenstände ihrer Kenntnis entzogen. Sie erreichten einen kaiserlichen Befehl, der ihrem Wunsch entsprach, bei den auswärtigen und Kriegssachen allerdings mit der Einschränkung: soweit diese auf die inneren Geschäfte Einfluß hätten. Auf der anderen Seite gab der Kaiser seine Unzufriedenheit zu er» Instruktion O Z V II 4, 4 1 — 7 0 ; vgl. O Z V II la, 27 f. 2 Eingehende Darstellung jetzt O Z V II la, 70 ff.; die Aktenstücke O Z V II 4, 133 ff. » O Z V II, la, 88.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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kennen, daß nicht besser für die Ausführung seiner Anordnungen durch die Hofstellen gesorgt sei, und setzte bei der Kanzlei des Staatsrats zwei besondere Beamte ein, die über die Durchführung der kaiserlichen Befehle zu wachen hatten
Zu
einer grundsätzlichen Reform des Staatsrates ist es unter Leopold II. aber nicht g e kommen. Nachdem uns das Werk von Friedrich Walter so sicher durch die Regierung Maria Theresias und neuestens auch durch die Josephs II. und Leopolds II. geführt hat, vermissen wir eine solche Darstellung für die Epoche Franz II. (I.), d. h. während des weiteren Verlaufs der Französischen Revolution, der Epoche Napoleons und der Restauration. Nur soviel wissen wir, daß sich der neue Kaiser, so konservativ er im übrigen gewesen ist, gleich bei seiner Thronbesteigung wieder zum Direktorium bekannte. Wahrscheinlich hat ihn die Absicht bestimmt, auf diesem W e g e die ungarischen Finanzgeschäfte enger an die gesamtstaatliche Zentralverwaltung
anzu-
schließen, denn die neue Hofstelle bekam in einer Epoche, die überhaupt umständliche Behördenbezeichnungen liebte, den Titel: „Directorium in cameralibus der hungarisch-siebenbürgischen und teutschen Erblande wie auch in publico-politicis dieser letzteren"
Die weitere Entwicklung macht vollends den Eindruck unsicheren
Tastens. 1797 wurde das Direktorium bereits wieder aufgelöst, die Hofkanzlei wiederhergestellt und der Präsident der Hofkammer mit dem Titel eines wirklichen Finanzministers bedacht. 1801 sahen sich Hofkanzlei und Hofkammer wieder vereinigt, um 1803 von neuem getrennt zu w e r d e n 3 . Grundlegende Änderungen sind dann nicht mehr erfolgt, so daß es doch für Jahrzehnte bei dem überlieferten Nebeneinander von Hofkanzlei und Hofkammer blieb. Die österreichische Verwaltung trat also in das neue Jahrhundert, in dem fast alle anderen Staaten Europas ihre alten Kollegien in Ministerien umwandelten, mit den überlieferten Hofstellen ein und hielt bis zur Revolution von 1848 an ihnen fest. Doch blieb es mit den Schwankungen, die wir kennenlernten, bei der Trennung von politischer Innen- und Finanzverwaltung, die unter Maria Theresia erreicht worden war. Unter dieser Voraussetzung war es möglich, daß 1816 in Philipp Stadion ein Finanzminister ernannt werden konnte, der, im Unterschiede zu dem Versuch von 1797, nun nicht zugleich Präsident der Hofkammer w a r 4 . Vielmehr sollte dieser Minister die Finanzoperationen des ganzen Kaiserstaates im großen leiten und sich der Hofkammer nur als seines wichtigsten Organs bedienen. Also ein modernes Ministerialbüro über einer kollegialischen, von einem Präsidenten geleiteten B e hörde alten Stils. Für die politische Innenverwaltung gab es zwar auch einen Innenminister, aber nur dem Namen nach, denn e r führte mit Rücksicht auf das landständische Wesen des Staates noch den Titel eines Obersten Kanzlers und war Präsident seiner kollegialischen Hofstelle geblieben, stand nicht über ihr wie Stadion * OZV II 1a, 88—91, und OZV II 4, 154 f.; vgl. Hock-Bidermann, Staatsrat, Wien 1879, 634 f. 2 Beer, MIOG 15, 305, Anm.4. 8 Beer, MIOG 15, 305—307. 4 Beer, MIOG 15, 308.
Der österreichische
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über der Hofkammer. Die Hofkanzlei selbst war jetzt in drei Abteilungen gegliedert, denen je ein besonderer Hofkanzler vorstand, so daß neben und unter dem Plenum der Hofkanzlei im alten Sinne eine böhmisch-galizische, eine lombardisch-venezianische und eine österreichisch-deutsche und illyrische Hofkanzlei arbeiteten 1 . Alle diese Reformen standen im Schatten der sehr viel weitergehenden Fortschritte in anderen Staaten. Auch in Osterreich hat es nicht an Versuchen gefehlt, sich dem anzupassen, und zwar schon zu ziemlich früher Zeit, noch bevor die Rheinbundstaaten zur Ministerialverfassung übergegangen waren. Die napoleonischen Kriege hatten wieder gezeigt, daß der Verwaltungsapparat der habsburgischen Monarchie den erhöhten Anforderungen, die die neue Zeit stellte, nicht gewachsen war, so wie es sich wenige Jahre später noch erschütternder auch in Preußen zeigen sollte. Der entscheidende Anstoß ging von dem Manne aus, der damals für das österreichische Kriegswesen verantwortlich war, von dem Erzherzog Karl. Der Staatsrat, der nach dem Willen von Kaunitz den inneren Geschäften Einheit geben sollte, war allmählich in einem Wust von Einzelheiten versunken. Nun wollte Erzherzog Karl in einem neuen Staatsrat nicht mehr von den Behörden unabhängige Beamten versammeln, sondern einen Außen-, einen Innen- und einen Kriegsminister Das waren wirklich die Spitzen ihrer Behörden. Als Außenminister kam nur der jeweilige Leiter der Staatskanzlei in Betracht. Der Erzherzog selbst war als zu ernennender Kriegsminister Chef des Hofkriegsrats. Für den neuen Innenminister wurden die Hofkanzlei und die Hofkammer zusammengelegt, so daß Maßnahmen, die im Zuge der österreichischen Behördengeschichte wie eine Erneuerung des Direktoriums aussehen, doch zugleich auf die Bildung eines umfassenden Ministeriums des Innern abzielten, das politische und Finanzgeschäfte zugleich verwaltete. In dieser Form verwirklichte Franz II. 1801 die Pfäne seines Bruders. Nur war er ebensowenig wie sein preußischer Zeitgenosse Friedrich Wilhelm III. der Mann, der sich an eine solche Körperschaft gebunden hätte. Auch ihm fehlte es an der Überlegenheit, die sich dem Kampf der Meinungen im Rate gewachsen fühlt, auch er flüchtete sich vor einem ihn überwältigenden Ganzen gern in die Einzelheiten der Akten und in das Dunkel seines Kabinetts. So sind die Ministerialkonferenzen, für die er auf das Drängen Karls Instruktion und Geschäftsordnung erließ, nie recht wirksam geworden und schliefen bald ganz e i n s . Ähnliche Pläne hat Metternich 1811 entwickelt. Wie der Erzherzog erstrebte er ein „Centrum unionis", aber nicht in Form eines Konferenzmfnisteriums, sondern in der eines Reichsrats, dessen Mitglieder neben besonders zu ernennenden Persönlichkeiten die Präsidenten der Hofstellen kraft ihres Amtes sein sollten. Die Ähnlichkeit mit Steins Staatsratsplänen ist nicht zu verkennen; trotzdem dürfte keine 1 Vgl. die Übersicht für das Jahr 1820 auf Grund der Staatsschematismen: C.A.Frh. von Malchus, Der Organismus der Behörden für die Staatsverwaltung, I, Heidelberg 1821. 306 f. 2 Helmutk Rößler, Österreichs Kampf um Deutschlands Befreiung, Hamburg 1940, I, 129—130. 3 Hock-Bidermann, 650 ff.
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unmittelbare Beeinflussung anzunehmen sein, vielmehr hat sich Metternich, wie Srbik gezeigt hat 1 , mehr das napoleonische Conseil législatif zum Vorbild genommen, um dasselbe zu erreichen, was Stein erstrebte. Auch er wollte die Kabinettsregierung zurückdrängen. Hier kam es aber nicht einmal zu einer versuchsweisen Verwirklichung. Der Kaiser entzog sich, ebenso wie Friedrich Wilhelm III., beharrlich der Zumutung, im Rate zu regieren und sein Urteil einer so bedeutenden Körperschaft zu unterwerfen. Etwas mehr Erfolg hatte Metternich in dem Bestreben, für die wichtigsten Fachgebiete Ministerien zu, schaffen, was er seit 1814 anstrebte 2 . Seiner Anregung verdankte Stadion die Ernennung zum Finanzminister. Dabei blieb der Kaiser wieder stehen; denn der Rang eines Innenministers, zu dem der Leiter der gesamten Hofkanzlei erhoben wurde, war, wie wir gesehen haben, ein bloßer Titel, während es mit dem Hofkriegsrat ganz beim alten blieb. Das Gesamtministerium, wie es Metternich erstrebte, die Gedanken Karls auf seine Weise aufnehmend, scheiterte an dem Willen des Monarchen. Daher hat in Osterreich erst die Revolution von Î848 die Ministerialverfassung verwirklicht.
1 Srbik, Metternich, I, 456 f. Srbik, Metternich, I, 461 f.
2
VI. D i e A u f l ö s u n g d e r E i n h e i t s v e r w a l t u n g in P r e u ß e n Als die letzte Krankheit Friedrich Wilhelms I. keinen Zweifel mehr ließ, daß der Kronprinz die Regierung sehr bald werde übernehmen müssen, schrieb Friedrich in einem vertraulichen Briefe an Voltaire: „Die Dekoration eines Gebäudes kann wechseln, ohne daß die Fundamente und das Mauerwerk verändert würden; das werden sie an mir erleben" 1 . Es war eine Warnung, gerichtet an alle, die von ihm einen jähen Bruch mit dem Verwaltungssystem seines Vaters erwarteten. Mochte er darauf brennen, die Fesseln der vorsichtigen äußeren Politik Friedrich Wilhelms zu sprengen, — in der inneren behielt er sein ganzes Leben das Bewußtsein, er könne nichts Besseres tun als fortsetzen, was er in schmerzlichem Ringen als Grundlage der Macht, der eigenen und der seines Staates, erkannt hatte. Noch viele Jahre später gab e r seine Warnung an den Nachfolger weiter: „Wenn Sie die Grundsätze, die mein Vater in diesem Lande eingeführt hat, beiseiteschieben, werden Sie der erste sein, der es b e r e u t " 8 . In diesem Sinne führte er die Regierung aus dem Kabinett und durch das G e neraldirektorium als zentrale Innen- und Finanzbehörde weiter, behielt auch die Minister des Vaters bei; gerade derjenige von ihnen, der die rücksichtslose Strenge des alten Herrn im besonderen Maße verkörperte, der von ganz unten heraufgekommene Boden, genoß sichtlich sein Vertrauen. Er ließ sich auch nicht durch die Gerüchte stören, daß Boden gelegentlich in die eigene Tasche wirtschafte. Meinte er doch, es sei besser, im Generaldirektorium kluge und energische Männer zweifelhafter Redlichkeit zu haben als ehrliche Dummköpfe a . Als Souverän traute er sich wohl zu, sie durch strenge Aufsicht auf dem rechten Wege zu halten. Das System seines Vaters bestand für ihn in erster Linie in der prompten Richtigkeit aller Kassen, in der etatsmäßigen Eintreibung aller Gelder aus den Domäneneinkünften und den Steuern, alles das, was Boden in seiner Person darstellte. D e r Verwaltungsbehörde gegenüber war Friedrich von wachem Mißtrauen erfüllt. Wenige Tage nach der Thronbesteigung wagte sie den Vorschlag, angesichts eines zeitweiligen Buttermangels holsteinische und mecklenburgische zuzulassen, wurde aber mit den höchst eigenhändigen Worten abgewiesen: „Scheinet es, als wenn das Direktorium alle alte princips schon über ein Haufen werfen wollte"
In diesem
Tone ging es weiter. Im O k t o b e r desselben Jahres warf der achtundzwanzig jährige König seinen Ministern, deren jeder doppelt so alt war wie er, in einem Marginal 1 2
3 4
An Voltaire, Berlin, 23. März 1740; BrieFw. ed. Koser und Droysen, An den Prinzen von Preußen, 20. Febr. 1750; Corr. 7, 260. Pol. Test. 1752, ed. Volz 11. Auf Bericht v. 2. Juni 1740; A B V I 2, 7.
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vor, s i e sollten „nicht so faul seindt, nicht so viel reisen, sondern m e h r a r b e i t e n " Immerhin stand zwischen e i n e m Herrscher, der seiner E r r e g u n g , seinem Ä r g e r und s e i n e r Menschenverachtung in kurzen
Randnotizen die Zügel schießen ließ, die
Reinschrift d e r Kabinettsorder, in d e r der Ausbruch in die abmildernde B e h ö r d e n sprache übersetzt, d e r Vorwurf der Faulheit in „nachteilige V e r z ö g e r u n g " wandelt und nur andeutend auf eine höchst ärgerliche e i g e n h ä n d i g e
umge-
Deklaration
seiner M a j e s t ä t verwiesen wurde. D i e Ü b e r z e u g u n g , die e r im ersten J a h r seiner Regierung g e w o n n e n hatte, d a ß das Generaldirektorium im g a n z e n faul und b e q u e m sei, hat Friedrich sein Leben lang b e h a l t e n . Er b l i e b dabei, daß die Kriegsräte in den Kammern viel, die M i n i s t e r der O b e r b e h ö r d e
wenig
zu tun hätten, und g l a u b t e
sie d a h e r
stets mit den
schärfsten W o r t e n antreiben zu müssen. Nach seiner Auffassung und nach seiner Praxis regierten j a nicht die Minister, sondern der König, und die S e l b s t r e g i e r u n g bestand, e b e n s o wie bei seinem V a t e r , darin, daß alle Verwaltungsentscheidungen im Kabinett gefällt wurden. Als die Minister im ersten Schlesischen Kriege dem Alten D e s s a u e r auf dessen Ersuchen das G e l d für die Beschaffung von zwanzig Artilleriepferden bewilligten, schrieb d e r K ö n i g : „ S i e S o l der Teufel holten, w o h e r S i e o h n e M e i n e n Spetzialbefehl eine Klaue a n k a u f e n " 2 .
Eine B e h ö r d e , die so a n g e f a h r e n
wurde, hütete sich wohl, auch nur einen Pfennig a u s z u g e b e n , o h n e durch e i n e ausdrückliche Kabinettsorder dazu ermächtigt zu sein. Nach wie v o r gingen
jeder
Amteretat, j e d e r ü b e r e t a t s m ä ß i g e Betrag hinauf zum König; das Generaldirektorium durfte wohl berichten, a b e r nicht entscheiden. G a n z richtig stellte Friedrich die L a g e so d a r : „ D a s Generaldirektorium regelt alle Bagatellen und schickt d i e wichtigsten D i n g e an den M o n a r c h e n , indem e s ihm die S a c h e mit ihrem Für und W i d e r a u s e i n a n d e r s e t z t " *. Wichtig war in diesem S t a a t e alles, was irgendeine Entscheidung enthielt, sei e s auch nur ü b e r einen Taler, d e r nicht in den Etats v o r g e s e h e n war. Europa spottete ü b e r die g r o ß e Zahl von Ministern in e i n e m S t a a t e zweiten R a n g e s , die doch nur zu berichten, a b e r nichts anzuordnen hatten. In diesen ersten J a h r e n hielt Friedrich noch daran fest, daß die ihm v o r g e l e g t e n Berichte des Generaldirektoriums und die Erlasse an die Kammern wirklich v o m Plenum des Kollegiums b e a r b e i t e t wurden und mit den Unterschriften sämtlicher Minister hinausgingen. Als e r B o d e n krankheitshalber einen längeren Urlaub von den Vollsitzungen erteilen mußte, g e s t a t t e t e e r ihm zwar, die Sachen seines e i g e n e n D e p a r t e m e n t s mit den ihm unterstellten G e h e i m e n Finanzräten zu Hause zu b e sprechen; d e r ordentliche V o r t r a g sollte d a g e g e n in den Amtsräumen des G e n e r a l direktoriums durch einen von ihm bestellten V e r t r e t e r g e s c h e h e n , sonst, so s a g t e die O r d r e wörtlich, würden „die V o r t r ä g e bei v e r s a m m e l t e m Direktorium bald g a r aufhören" 4. 1 Eig. Marg. auf Ber. des GD, Ruppln, 20. Okt., und KO an GD, Ruppin, 21. Okt. 1740; AB VI 2, 161 f. * Eig. auf Ber. des GD v. 24. August 1741; AB VI 2, 204. 9 Pol.Test. 1752, ed.Vo/z, S.O. 4 KO an Boden, Berlin, 12. Dez. 1747; AB VII, 419.
Die Auflösung der Einheitsverwaltung in Preußen
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Natürlich waren die einzelnen Minister geneigt, ihre Departementsgeschäfte ohne Einflußnahme der Kollegen zu erledigen und ein stillschweigendes Übereinkommen zu treffen, sich gegenseitig ungestört zu lassen und Vorschläge der Kollegen ohne Widerspruch anzunehmen. Doch hielten sie auch ihrerseits am Kollegialprinzip fest, weil es ihre Verantwortung herabsetzte und den einzelnen gegen den Tadel des Königs bis z u einem gewissen Grade schützte. Sie verbanden das Prinzip der Kollegialität mit dem der Anciennität, indem sie dem Ältesten von ihnen, Görne, nach dem Herkommen aus der Regierung Friedrich Wilhelms bei der Zeichnung von Berichten und Erlassen den Vortritt ließen. Als Görne 1745 starb und Blumenthal als sein Nachfolger in das Kollegium eintrat, ergab sich die Schwierigkeit, daß der Chef des ersten Departements nun der dienstjüngste war. Vorsichtshalber fragte man beim König an, ob in Zukunft das Anciennitätsprinzip oder das Departementsprinzip für die Unterschriften gelten solle. Friedrich hatte es schon damals auf einen der Minister, nämlich auf Happe, abgesehen, mit dessen Amtsführung er durchaus unzufrieden war. Er befahl daher eine Reihenfolge, in der sämtliche Minister nach dem Dienstalter, aber Happe als letzter folgen sollten. Das Departementsprinzip hätten die Minister sicher hingenommen; die gewollte Zurücksetzung eines Kollegen ließen sie sich aber nicht gefallen und gestatteten, daß Happe die Berichte an zweiter Stelle zeichnete. Als der König seinen Namen durchstrich, unterschrieb Happe lieber gar nicht, als daß er sich mit dem letzten Platz abfand. Tatsächlich setzte sich das Generaldirektorium nach einiger Zeit durch 1 . Der König gab das Durchstreichen auf, erkannte die Anciennität seiner Minister an; doch hatte er inzwischen ein stärkeres Mittel gefunden, Happe den Platz zuzuweisen, an den er nach seiner Ansicht gehörte. Abgesetzt hat er ihn nicht; meinte er doch, Minister, Reitpferde und Flöten solle man nur wechseln, wenn sie gänzlich verbraucht seien. So sind tatsächlich fast alle Minister, im Gegensatz zu den Kammerpräsidenten, im Amte gestorben. Friedrichs Unzufriedenheit mit seinen Exzellenzen führte also nicht zu einer plötzlichen Katastrophe, aber sie verursachte eine schrittweise Umbildung, die das Wesen des Generaldirektoriums auf die Dauer veränderte. Bei jenen Unstimmigkeiten, bei denen er den Ministern zuerst ihre Faulheit vorwarf, gab er Boden den Auftrag, die Sache in die Hand zu nehmen und ihm gesondert zu berichten, wobei Boden Akten sämtlicher Provinzialdepartements durchsehen mußte 2 . Wenn sich, solche Kommissionen wiederholten, und sie wurden immer mehr, war die Kollegialverfassung ernstlich bedroht. Friedrich Wilhelm hatte sich nur über sein Generaldirektorium an die untergeordneten Behörden gewandt; darauf beruhte die Stellung seiner Schöpfung als „Supremus collegium gleich hinter dem König". Auch der Nachfolger entschuldigte sich anfangs gleichsam bei einem der Minister, daß er einen umfangreichen Kauf von Getreide für die Magazine ohne sein Vorwissen unmittelbar getätigt hatte 8 . Das 1
Aktenstücke 10. Juli 1745 — 24. August 1746; AB VI 2, 913/14. = An Boden, Rheinsberg, 25. Okt. 1740; AB VI 2, 163. 3 KO an Happe, Ruppin, 9. Aug. 1740; AB VI 2, 111—112.
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wurde aber sehr bald anders. Als das Generaldirektorium wenige Jahre später einen der Kammerpräsidenten tadelte, weil dieser über den Kopf der ihm vorgesetzten Behörde an den König berichtet hatte, erhielt es einen entschiedenen Verweis 1 . Gerade weil Friedrich mit der Arbeit des Generaldirektoriums unzufrieden war, suchte er seinerseits die unmittelbare Verbindung zu den Kammerpräsidenten, die sein Vertrauen meist in höherem Grade besaßen. Wenn sich der König vollends auf seine Besichtigungsreisen begab, traf er regelmäßig wichtige Anordnungen, ohne sie dem Generaldirektorium mitzuteilen. Immerhin reichte der Korpsgeist der hohen preußischen Bürokratie so weit, daß die Präsidenten und Direktoren ohne äußeren Zwang Berichte über die königlichen Reisen an die Minister sandten, so daß diese meist besser unterrichtet waren, als man es nach dem willkürlichen Verhalten Friedrichs erwarten könnte. Soweit sie nicht bewußt gegeneinander arbeiteten, verband sie ein gemeinsames Interesse gegenüber einem Monarchen, aus dessen Händen jederzeit Donner und Blitz strafend über sie alle niederfallen konnten. An persönlichen und sachlichen Differenzen, die für den Nachlebenden. nur schwer zu fassen sind, fehlte es innerhalb des Generaldirektoriums nicht. Der König scheint die Schuld daran hauptsächlich Happe zugeschoben zu haben. Jedenfalls tadelte er Intrigen und Zänkereien, durch die die Arbeit nur gehemmt würde, auf das heftigste. Friedrich Wilhelm hatte mit Zwistigkeiten in der Behörde leicht fertig werden können, weil er das Dasein seiner Schöpfung, trotz der räumlichen Trennung, in seiner Seele mitlebte. Friedrich folgte den Spuren seines Vaters soweit, daß er mit heftigen Worten tadelte und die hohen Beamten behandelte wie die ungezogenen Kinder; aber ihm fehlte die väterliche Liebe, die innere Anteilnahme, die seinen Ton erträglich gemacht hätten. Daher fiel das Generaldirektorium während seiner Regierung immer mehr auseinander, aus Gründen, die nicht bloß im Organisatorischen lagen. Es half wenig, daß der König dem Generaldirektorium bald verbot, sich lange mit Meinungsverschiedenheiten aufzuhalten, und anordnete, beide streitenden Parteien sollten kurz und klar die Punkte der Abweichung darstellen und eine Entscheidung von ihm einholen Wenn Friedrich der persönlichen Leistung seiner Verwaltungsbeamten so selten gerecht wurde, darf man die Sache doch nicht bloß vom Standpunkt der Betroffenen ansehen. Eine der Ursachen für die stete Bereitschaft zu scharfem Tadel war die nicht unbegründete Vorstellung des Monarchen, daß die Behörden allzu bereit blieben, den geringen Untertanen zu drücken und schlecht zu behandeln. Schon eine Verschleppung von Klagen durch mehrere Instanzen bedeutete, daß der Stärkere sich seiner Bevorzugung erfreute und der Schwächere zugrunde ging. Den König ließ der Verdacht niemals los, daß seine Verwaltungsbeamten sich bestechen ließen. Der Großkanzler Cocceji gewann seine Gnade, als er ihm versprach, durch eine neue Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten und der Verwaltung die „Untertanen . . . von den Ungerechtigkeiten der Kammern und von der Tyrannei » KO an GD, Neisse, 17. April 1745; AB VI 2, 866. Zuerst KO an GD, Berlin, 9. Jan. 1742; AB VI 2, 322.
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Die Auflösung der Einheitsverwaltung in Preußen d e r D e p a r t e m e n t s - und S t e u e r r ä t e " zu r e t t e n 1 .
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Hier war das G e n e r a l d i r e k t o r i u m
nicht g e n a n n t ; doch stand es bei Friedrich unter dem gleichen Urteil. D i e B e h ö r d e , durch die e r seinen Willen, j e d e n einzelnen in seinen Rechten zu schützen und zu fördern, vollzog, sollte ein W e r k z e u g o h n e Eigengewicht sein; deshalb war e r kaum b e r e i t , die Ansprüche, die die h o h e Beamtenschaft kraft ihrer A r b e i t stellen k o n n t e , zu erfüllen. Er b e a c h t e t e nicht, d a ß ein S t a a t s o r g a n , auf d a s e r s o drückte, an E i g nung für die A u f g a b e n , die er ihm zuschob, verlor. Aus diesem fehlerhaften Zirkel ist e r nur dadurch h e r a u s g e k o m m e n , daß e r sich und sein Kabinett immer stärker b e l a s t e t e , damit e r j e n e s M a ß an Leistung aus seinem S t a a t e herausholte, dem der ordentliche B e h ö r d e n k ö r p e r offensichtlich nicht gewachsen war, wahrscheinlich ü b e r haupt kein B e h ö r d e n k ö r p e r gewachsen g e w e s e n wäre. ü b e r die wichtigsten organisatorischen V e r ä n d e r u n g e n , deren e i n e g e e i g n e t war, das W e s e n des Generaldirektoriums von innen heraus zu wandeln, deren a n d e r e seine Stellung im S t a a t e v e r s c h o b und verringerte, wissen wir leider recht wenig. D e r a b s o l u t e M o n a r c h sah keine V e r a n l a s s u n g , s e i n e G r ü n d e darzulegen, so daß wir sie nur aus den Ergebnissen zu erraten v e r m ö g e n . U n g e f ä h r kennen wir die Absichten Friedrichs bei d e r Begründung eines „ b e s o n d e r e n D e p a r t e m e n t s von C o m m e r z i e n und M a n u f a k t u r e n - S a c h e n bei D e r o G e n e f a l d i r e k t o r i o " , wie es in der Instruktion hieß, die d e r Leiter des neuen D e p a r t e m e n t s knapp vier W o c h e n nach d e r T h r o n b e s t e i g u n g e r h i e l t 2 . Damit t r a t , n e b e n die alten vier Provinzialabteilungen im G e neraldirektorium, die nur n e b e n h e r einige S o n d e r a u f g a b e n für den g a n z e n S t a a t zu erledigen hatten, eine fünfte, die überhaupt keine Provinzialgeschäfte zu führen hatte. Es ist das erste reine S a c h d e p a r t e m e n t innerhalb e i n e r sonst nach Provinzen a u f g e g l i e d e r t e n B e h ö r d e . G e r a d e in dem Z u s a m m e n h a n g unserer Darstellung, die nach dem Punkte sucht, w o sich aus der Einheitsverwaltung,, die Inneres und Finanzen zugleich umfaßt, w i e d e r Sachressorts loslösen, könnte die Einrichtung des V . D e partements als d e r entscheidende Schritt zu dem Neuen a n g e s e h e n werden. A b e r ein solcher war keineswegs beabsichtigt. W a s der j u n g e König e r s t r e b t e , war nicht e i n e Verwaltungsreform, sondern e i n e n e u e Handels- und Gewerbepolitik. S o wenig e r das G e b ä u d e , das sein V a t e r errichtet hatte, g r u n d l e g e n d verändern wollte, so scharf kritisierte e r dessen Wirtschaftspolitik, nachdem Hille, der D i r e k t o r d e r Neumärkischen Kammer, dem Kronprinzen die Augen für deren wirkliche o d e r vermeintliche M ä n g e l g e ö f f n e t h a t t e 3 . „ D e r v e r s t o r b e n e König, so schrieb Friedrich in d e r Histoire
de mon temps,
hinterließ im S c h a t z e 8 7 0 0 0 0 0 Taler, keine Schulden,
d i e Finanzen in g u t e r Verwaltung, a b e r wenig Industrie, die Handelsbilanz v e r l o r jährlich 1 2 0 0 0 0 0 T a l e r an das A u s l a n d " \
Kürzer und schärfer ließen sich die V o r -
z ü g e d e r Regierung des V a t e r s und ihre M ä n g e l nicht kennzeichnen. W e n n Friedrich dann tatsächlich die Passivität der Handelsbilanz, die e r 1 7 4 0 festgestellt hatte, in IB Cocceji, 23. Mai 1749; AB VII, 134. Instr. f. Marschall, Charl., 27. Juni 1740; AB VI 2, 26. 3 Wilhelm Naudd, Die Merkantilistische Wirtschaftspolitik, Fr. Ws. I, und der Küstriner Kammerdirektor Hille; HZ 9 0 , 1 9 0 3 , 1 — 5 5 . * Oeuvres II 1 = Volz II 18. 1 2
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vollem Maße ausgeglichen hat, dann liegt das gewiß nicht daran, daß er grundsätzlich andere Wege gegangen wäre als der Vater. Er hat weder die Regulierung des Getreidepreise im Interesse der Domäneneinkünfte aufgegeben, noch mit dem gewerblichen Protektionismus gebrochen. Vielmehr hat er das, was Friedrich Wilhelm auf dem Gebiete der Wollindustrie geschaffen hat, nur ausgeweitet, die Erzeugung von Baumwollstoffen, von Leinwaren und in gewissem Umfange von Seide daneben gestellt und alle diese Industrien ebenfalls auf Kosten des Zwischen- und Durchgangshandels durch hohe Zölle gesichert. Die Durchführung aller dieser Absichten wurde die Aufgabe des neuen fünften Departements im Generaldirektorium, an dessen Spitze der Minister Marschall berufen wurde, nachdem Hille den Posten unter Berufung auf sein hohes Alter und seine Krankheit abgelehnt hatte. Friedrich begleitete die Gründung des V. Departements mit großen Hoffnungen. Als er mit der Aufzählung seiner ersten Taten um den Beifall Voltaires warb, führte er ihm mitten zwischen der Vermehrung des Heeres, der Berufung von neuen Mitgliedern für die Akademie, der Beschäftigung von Malern und Bildhauern auch das neue Kollegium für Handel und Manufakturen auf Das auffallende Wort traf die Sache durchaus; denn wie das Generaldirektorium im ganzen kollegial verfaßt war, so stellte jedes Departement wieder ein "Kollegium dar, gebildet aus den Geheimen Finanzräten und dem Minister als Vorsitzenden. Doch läßt das Wort Kollegium, wie es gegenüber Voltaire gebraucht wird, auf Größeres schließen, auf einen Handelsund Gewerberat, in dem praktische Kaufleute neben Staatsbeamten saßen und die Entscheidung der Regierung vorbereiteten. Solche Körperschaften waren in verschiedenen Staaten im Zuge der merkantilistischen Wirtschaftspolitik geschaffen worden. In Preußen kam es unter Friedrich jedoch nur auf der Ebene einer Provinz wie Schlesien zu solchen Handelsräten 2 . 1749 starb der Minister Marschall, der aus kleinen Anfängen bis an die Spitze des V. Departements aufgestiegen war; jetzt berief Friedrich in Fäsch einen Mann, der weder aus Preußen stammte, noch den preußischen Dienstbetrieb kannte. Fäsch war ein Kaufmann aus Basel, der dem König als preußischer Handelsagent in Amsterdam aufgefallen war *. Er erhob ihn nicht zum Minister, sondern ernannte ihn nur zum Geheimen Finanzrat, so daß er den Provinzialministern nicht völlig gleichgestellt war. Doch konnte sich weder Fäsch recht in die preußische Bürokratie hineinfinden, noch waren die Minister bereit, ihn als Kollegen anzuerkennen*. Jedenfalls setzte er sich nicht durch, und der König arbeitete in der Folge mit den Geheimen Finanzräten oder dem Geheimen Finanzrat, der eigentlich Fäschs Sachbearbeiter war. Die Betrauung eines praktischen Kaufmanns mit der Leitung des Handels- und Gewerbedepartements hatte dazu geführt, daß der König die Geschäfte in höherem Maße als unter dem verstorbenen Minister persönlich leiten mußte. Die spätere Ernennung eines „Commissaire General für 1
An Voltaire, C h a r l . , 27. Juni 1740; Publ. 82, 9 — 1 0 . » Vgl. IB M ü n c h o w , 1. D e z . u n d 28. D e z . 1742; AB VI 2, 5 2 6 u n d 533. » K O an G D , P o t s d a m , 10. Febr. 1750; AB VIII, 6 7 2 — 6 7 3 . « Vgl. zu K O P o t s d a m , 5. A u g . 1750, AB IX, 3 4 / 3 6 , und zu K O Pd., 30. O k t . 1751, IX, 267/70.
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Commerzien- und Manufaktursachen" in der Person des Freiherrn von Knyphausen 1 neben Fäsch machte die Sache nicht besser. Man sieht nicht recht, was Knyphausen eigentlich zu tun bekam; der Minister Derschau fand bald, es gäbe auf diese Weise im V. Departement „mehrere präsentierende Personen" — Fäsch und Knyphausen — „und nur einen Arbeiter", den Geheimen RatTarrach 2 . Nach dem Rücktritt von Knyphausen betonte der König, er wolle nun jemand haben, „der von der Kaufmannschaft etwas verstehe und von Handelssachen Connaissance" habe *; jedoch scheint er solche Persönlichkeit nicht gefunden zu haben und mußte sich entschließen, das inzwischen stark umgeformte V. Departement wieder einem Bürokraten zu übertragen. Es war von vornherein nicht leicht, eine so andersartige Ministerialabteilung neben den vier Provinzialdepartements in die gleiche Behörde einzuordnen. Die Zuständigkeiten wurden so abgegrenzt, daß Marschall alle neuen Einrichtungen zugewiesen bekam; er hatte die bestehenden Industrien zu verbessern, fehlende einzurichten, Handelswege zu suchen und die „Herbeiziehung und Etablierung der fremden nützlichen oder bemittelten Leute" zu leiten 4 , während die vorhandenen Manufakturen und die im Lande befindlichen Handwerker und Kaufleute von den alten Departements betreut wurden. Die ausgreifende merkantilistische Wirtschaftspolitik, die Aufnahme von Handel und Gewerbe sowie die „Peuplierung" waren also Sache des V. Departements, die gleichbleibende Weiterverfolgung des Vorhandenen die der vier anderen; nur war es nicht immer leicht festzustellen, wo das Alte aufhörte und das Neue begann. Akzise- und Zolltarife z. B. waren örtlich gebunden, also Sache der Provinzen, ihre Handhabung aber das wichtigste Mittel der Handelsund Gewerbepolitik. Dazu blieb Marschall durch die Ämter, die ihm schon vor 1740 den Ministerrang eingebracht hatten, stark in Anspruch genommen 5 , konnte also nicht seine ganze Kraft im Generaldirektorium verausgaben, weshalb ihm der König ausdrücklich erlaubte, sich „von allen übrigen Affairen im Generaldirektorium zu dispensieren" e . Damit rückte Friedrich das V. Departement von den übrigen ab; wieder ein Zeichen, wie wenig ihm das Kollegialprinzip im Generaldirektorium galt. Denn während bisher grundsätzlich sämtliche Minister die Verantwortung für jedes Geschäft der Behörde zu tragen hatten, gab es jetzt einen ganzen Bereich, an dem einer von ihnen offiziell nicht teilzunehmen brauchte, und einen anderen, zu denen der eine die vier übrigen nicht zuzog. Das trat noch stärker in Erscheinung, als sich zu dem einen Realdepartement 1746 ein neues gesellte. Wir wissen, wie unzufrieden Friedrich mit der Amtsführung Happes war; besonders galt das von den Sachaufgaben, die ihm seit der Zeit Friedrich Wilhelms neben seinem Provinzialdepartement befohlen waren, von den 1
Prot. Berlin, 17. Juni 1765; AB XIV, 677. 1B Derschau, 21. Dez. 1769; AB IX, 60. 3 KO an Minister Cörne, 4. Okt. 1781; AB Handelspolitik III 1, 362. * KO an GD, Berlin, 12. Febr. 1741; AB VI 2, 191. 8 Hintze, AB VI 1,169—170. • KO an Marschall, Charl., 31. Juli 1740; AB VI 2, 77. s
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Marsch- und Proviantsachen, also von der Heeresversorgung. Nun waren die Exzellenzen im preußischen GeneraldireRtorium nicht umsonst Etats- und Kriegsminister; der Unterhaltung der Armee diente die ganze Staatsmaschine, war sie doch eigens dazu geschaffen. Aber es gab übergreifende Aufgaben wie das Magazinwesen und größere Truppenbewegungen. Friedrich liebte es, daran vorbeizusehen, daß diese durch seine Heeresvermehrung und durch seine Kriege gegenüber der Zeit seines Vaters gewaltig angewachsen waren. Den erhöhten Anforderungen war Happe wirklich nicht gewachsen. So verband der König die betonte Zurücksetzung Happes mit der Schaffung eines neuen Realdepartements. Happe sah sein Gehalt wegen der Verminderung seiner Zuständigkeiten um ein Beträchtliches gekürzt und sich selbst wenig später auf das kleinste Provinzialdepartement verwiesen Auf diese Weise entstand das VI. Departement im Generaldirektorium für die Heeressachen im engeren Sinne. Mit welcher Selbstverständlichkeit Ziviles und Militärisches ineinandergriff, zeigt sich daran, daß ein Kammerpräsident zum ersten Leiter des Departements berufen wurde und daß ihm nach seinem Tode in dem Obersten von Wedell ein Soldat folgte 2 . Erst diesen nannte der König ausdrücklich Ministre de guerre, eine Bezeichnung, bei der ihm wohl das französische Staatssekretariat vorschwebte. Gleich nach der Begründung des VI. Departements betonte Friedrich schärfer als bei der des fünften, daß der Minister seine Geschäfte „privative", d. h. ohne Zuziehung seiner Kollegen im Generaldirektorium zu führen habe, und daß er andererseits „von allen übrigen bei dem Generaldirektorium vorfallenden Affairen, sie haben Namen wie sie wollen, ganz und gar dispensieret sein und auf keine Weise davon meliert werden" solle 3 . Hier war die Kollegialität zerrissen, das VI. Departement mehr neben als in das Generaldirektorium gestellt. Dagegen nahm Friedrich die Münzverwaltung, die seit der Begründung der Behörde mit dem III. Departement verbunden war, 1750 ganz aus ihr heraus. Die Bitte des alt gewordenen Ministers Viereck um Entlastung griff er gern auf, weil er dabei war, in Graumann einen Sachverständigen zu berufen, mit dem er die preußische Münze auf einen ganz neuen Fuß zu stellen beabsichtigte. Dazu erhielt Graumann als Geheimer Finanzrat Sitz und Stimme im Generaldirektorium; doch wurde der Behörde sehr bald befohlen, sich um die Münzsachen nicht zu bekümmern, erhielt Graumann seine Weisungen aus dem Kabinett und berichtete seinerseits unmittelbar an den König 4 . Eine systematische Reorganisation der Innen- und Finanzverwaltung hat Friedrich nicht ins Auge gefaßt. Das V. und das VI. Departement blieben als Fachabteilungen formal innerhalb der alten Zentralbehörde, die Münzsachen wenigstens für die Zeit der Reform ganz außerhalb. Praktisch war die frühere Verwaltungseinheit längst aufgehoben, da der König die neue Provinz Schlesien, eigentlich zwei Provinzen, 1
K O an GD.Berlin, 8. Febr. 1746; AB VII 21—23, u. Potsdam, 22. März 1747; VII, 26Ö. ^ K O an C D , Leipzig, 25. Jan. 1761; AB XII, 336—337. 3 K O an G D , Potsdam, 20. Juli 1746; AB VII, 107. * K O an G D , Berlin, 6. Jan. 1750; AB VIII, 658—659, u. Potsdam, 15. Aug. 1753; AB IX, 43, vgl. AB Münzwesen II, 29 ff.
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dem Generaldirektorium gar nicht erst unterstellt hat. Als er das reiche Land unerwartet schnell unterwarf, setzte er noch vor dem Friedensschluß ein Feldkriegskommissariat ein, mit dem die zivilen Stellen zunächst nichts zu tun hatten. Aus diesem Interim entwickelte sich ein Dauerzustand. Der erste Schritt von der bloßen Besetzung zur Einverleibung in den preußischen Staat war die Errichtung zweier Kriegs- und Domänenkammern in Glogau und in Breslau mit zwei Präsidenten, denen beiden ihre bisherige Stelle im Generaldirektorium offengehalten w u r d e 1 . Die Minister meinten nun, daß die Gehälter der schlesischen Kommandanten aus der Generalkriegskasse, also durch das Generaldirektorium bezahlt werden sollten, wurden aber durch eine königliche Randnotiz eines Besseren belehrt: die neue Provinz selbst müsse für das, was in ihr und für sie ausgegeben würde, aufkommen. „Ich bin jetzunder der Dirigierende Minister vom Schlesischen Departement, bis es in Ordnung ist" ? . Das ließ darauf schließen, daß der König die Eroberung nach Wiederherstellung der Ordnung, also nach der kurzen Zeit der Umstellung auf den preußischen Verwaltungs- und Steuerfuß, dem Generaldirektorium anvertrauen würde. Nachher war davon keine Rede. Vielmehr ließ der König wenige Monate später den einen schlesischen Präsidenten nach Berlin zurückgehen und ernannte den anderen, den von ihm zum Grafen erhobenen Münchow, den Sohn des Kammerpräsidenten, der den Kronprinzen in Küstrin zu Dank verpflichtet hatte, zum Präsidenten beider schlesischen Kammern und zugleich zum Staatsminister 3 . Münchow hatte seinen Amtssitz als Präsident und als Minister in der Provinz selbst und stand ganz außerhalb der Zentralbehörde unmittelbar unter dem König. Da Friedrich es nicht nötig hatte, sich vor seinen Beamten zu rechtfertigen, wissen wir über seine Motive zu diesem auffallenden Schritt gar nichts, können nur vermuten, daß die wachsende Unzufriedenheit mit dem Generaldirektorium und die Erfahrung, wie anstellig sich Münchow zeigte, zusammengewirkt haben. Damit waren die von Friedrich Wilhelm ausgearbeiteten Verwaltungsgrundsätze durchbrochen, sowohl der Instanzenzug, der vom Kammerpräsidenten in der Provinz über das Generaldirektorium in Berlin zum königlichen Kabinett führte, wie die Zusammenfassung aller Provinzen des Staates in einer Zentralbehörde. Mit den Kammerpräsidenten hatte Münchow gemeinsam, daß er in seinem Verwaltungssprengel residierte, mit den Ministern, daß er ohne jede Zwischeninstanz an den König berichtete und von ihm Weisungen erhielt. Nur vier t Tage sollte sich Münchow alljährlich in Berlin aufhalten und als Gleichberechtigter mit den anderen Ministern über diejenigen Sachen konferieren, die beide Teile betrafen. Aber auch da schärfte der König ihnen ein, daß „das Generaldirektorium sich von Sachen so lediglich und allein' Schlesien angehen . . . in keine Weisel melieren" dürfe *. Das Doppelpräsidium mit Immediatstellung legte Münchow eine ungewöhnliche Arbeitslast auf. Dessen war sich der König bewußt und duldete in Münchows Herz 1
KO an CD, Lager bei Friedland, 11. Okt. 1741; AB VI 2, 233—235. Marg. auf Ber. d. GD, 8. Nov. 1741; AB VI 2, 247—248. » KO an GD, Hauptquartier Selowitz, 19. März 1742; AB VI 2, 411—412. * KO an GD, Potsdam, 23. Okt. 1743; AB VI 2, 647—648.
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H a u s s h e r r , Verwaltangseinhelt
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neben dem des Dienstes keinen anderen Gott. Als der verdiente Beamte bei dem Monarchen um die Erlaubnis zu heiraten nachsuchte, g e r a d e in den sorgenvollen Tagen, in denen es sich darum drehte, o b die Österreicher beim Friedensschluß Oberschlesien draufgeben würden, verweigerte ihm Friedrich die Eheschließung mit der Begründung, Münchow könne seine Zeit unmöglich zwischen seinen amtlichen Aufgaben und der Sorge f ü r eine Familie teilen, und verwies ihn auf eine gelegenere Stunde Münchow hat sein Gesuch niemals erneuert und war unvermählt, als e r 1753 starb. Erst dann wurde aus der schlesischen Sonderverwaltung, die immer noch als ein Interim betrachtet werden konnte, ein Dauerzustand. Münchow erhielt einen Nachfolger, den der König bei der Ernennung ausdrücklich auf die Bedeutung seiner Immediatstellung aufmerksam m a c h t e s . Mit der schlesischen Sonderverwaltung war dem Generaldirektorium die Einsicht in die gesamten Einnahmen und Ausgaben des reichen Landes entzogen. Der schlesische Minister stellte einen eigenen Etat auf, der sich von denen der übrigen Provinzen grundlegend unterschied, indem auf der einen Seite alle Einnahmen, auf der anderen alle Ausgaben ausgewiesen, wurden, während die anderen Provinzen einen Etat f ü r die Domänenkasse und einen davon getrennten f ü r die Kriegskasse aufstellten. An dieser Eigenart d e r preußischen Etats aus der Zeit Friedrich Wilhelms hat sich während der ganzen Epoche Friedrichs nichts geändert; nur in Schlesien g a b es eine wirkliche Kassen- und Etatseinheit. Vom Standpunkt des Ganzen war das schlesische Ministerium selbst ein stehengebliebenes Provisorium, und dem entsprach eine Etatsgebarung, die dadurch zustande gekommen war, daß der König zunächst überschlagsmäßig einen „Etat sämtlicher Revenuen" aufs Papier warf und diese Praxis sich in der Anwendung durch ihre Übersichtlichkeit f ü r die Dauer e m p f a h l 3 . Ganz o h n e Verbindung mit den Generalkassen stand Schlesien allerdings nicht. Aber was hier aus der Generalkriegskasse und an die Generaldomänenkasse bezahlt wurde, waren Verrechnungsposten, die kaum zu Buche schlugen. Auf diese Weise liefen beinahe drei, später vier Millionen Taler schlesischer Einkünfte an den Generalkassen und an der Verfügung der zentralen Verwaltungsbehörde vorbei. Die schlesischen Einkünfte dienten neben den Selbstkosten der Verwaltung in erster Linie den bedeutenden Truppenmengen, die in dem gefährdeten Lande standen; was darüber hinaus einkam, und das war nicht wenig, ging unmittelbar an den König zur Auffüllung des Staatsschatzes. Nicht mehr im Generaldirektorium stellte sich die Verwaltungseinheit und die Etatseinheit des preußischen Staates d a r ; sie war in das königliche Kabinett verlagert. Wenn für den anwachsenden Staatsschatz ein Minister des Generaldirektoriums, zuerst Boden, * KO an Münchow, 8. Juli 1742; AB VI 2, 473. Colmar Grünhagen, Die Entstehung des schlesischen Sonderministeriums, Forsch. 20, 1907, 105 ff. s Schlesische Etats sind erst seit 1763/64 (AB XIII, 150—151) bekannt, doch ist nicht daran zu zweifeln, daß sie von Anfang an nicht anders ausgesehen haben. Der Begriff „Etat sämtlicher Revenuen" ist aus den westpreußischen Interims-Etats gleich nach der Erwerbung bekannt. Die schlesischen Einkünfte nach Riedel, Der brandenburgisch-preuß. Staatshaushalt, Berlin 1866, Beilage XIV, vgl. Koser, Forsch. 16, 1903, 111—112. 2
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dann Blumenthal, mit der Verwaltung der Tresorgelder betraut wurde, so war das ein persönlicher Sonderauftrag; was er erfuhr, hatte er als ein „impenetrables Geheimnis" zu bewahren. Der Zusammenhang der Staatsfinanzen ist jetzt nur noch aus einer Reihe von kleinen Zetteln ersichtlich, auf denen Friedrich selbst Einnahmen und Ausgaben notierte 1 . Erst später hat sich durch die Errichtung einer Dispositionskasse im Kabinett eine feste Ordnung herausgebildet. Die einzige zentrale Verwaltungsbehörde war auf die Stellung eines bloßen Handlangers herabgedrückt. Daran hat auch die Einbeziehung der späteren Erwerbungen, Ostfriesland und WestpreuBen, in die Verwaltung des Generaldirektoriums und in die Generalkassen nichts mehr geändert. Diesen Stand hatte die preußische Verwaltung erreicht, als Friedrich die Instruktion seines Vaters 1748 zu einer neuen Instruktion umformte 2 . Folgerichtig sprach er hier von dem Generaldirektorium nicht mehr als einem „Supremus collegium gleich hinter dem König", sondern bloß als einem „der größten und ersten im Lande". Der Kabinettsrat Eichel, der die Instruktion niederzuschreiben hatte, war mit der Absicht seines königlichen Herrn, der Behörde alle ihre Fehler vorzuwerfen, wenig zufrieden. Er fand, es wäre „zu wünschen, daß einige Passages darin modifizieret und die Paulinische Gautel observieret werden könnte: ihr Väter ¡erbittert Eure Kinder nicht. Da aber des Königs Majestät glauben, daß eine besondere Energie in solchen Expressionen und darunter die Vorschrift Dero hochseligen Herrn Vaters Maj. vor sich zu haben, so werden solche wohl so, wie sie gesetzet sein, beibehalten werden müssen" 3 . Der Zweck der Instruktion war nach den hödisteigenen Worten, die Behörde aus dem Schlafe zu wecken. Die Verlesung fand vor den Ministern und Geheimräten statt: nur die Subalternen mußten den Raum verlassen. Die hohen Beamten fanden sämtlich ihre Nachlässigkeit, Bequemlichkeit, Trägheit — der König hatte ausdrücklich Faulheit hinzugesetzt — , die Exzellenzen insbesondere ihre Animosität gegeneinander, ihren Parteigeist getadelt. Für die Beschleunigung der Geschäfte wußte der König kein anderes Mittel als den Befehl, über keine Sache länger als sechs Minuten zu verhandeln; käme in dieser Zeit keine Einigung zustande, so sollten sie ihm berichten und seine Entscheidung einholen. Nicht besser konnte den Ministern zu Gemüte geführt werden, daß sie es nur mit Bagatellen zu tun hätten und alle wichtigen Dinge vom König allein bestimmt würden. Auch die neue Instruktion setzte voraus, daß die Minister und Geheimräte für gewöhnlich zu Hause arbeiteten; die Sitzungen wollte der König von allem Nebenbei, vom Lesen der Akten, vom Entwerfen und Ausfertigen der Berichte befreit wissen, so daß die ganze Aufmerksamkeit den Vorträgen ge1 Das „impenetrable Geheimnis" an Blumenthal, 28. Jan. 1764; AB XIII, 332, von den Abrechnungszetteln Friedrichs haben sich einige erhalten; vgl. Koser, Forsch. 16, 1903, 116—117. 2 Erneuerte Instruktion für das G D Potsdam, 20. Mai 1748; AB VII, 572—655. Dazu Fritz Härtung, Studien z. Gesch. d. preuß. Verwaltung I; Ak. Wiss. Berlin, Phil.-Hist. Kl., 1942, 21 ff. * Eichel an Lautensack, Potsdam, 10. April 1748; AB VII, 553—554.
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hörte. Dafür durfte das Kollegium sofort auseinandergehn, wenn die Angelegenheiten des Departements erledigt waren. Allerdings strich Friedrich die Bestimmung seines Vaters, nach der die Mitglieder der Behörde ein Essen erwarten durften, falls die Sitzung sich hinzöge. Friedrich irrte sich, wenn er im Tone seines Vaters zu reden glaubte. Härtung hat bemerkt, daß das persönliche Wir von 1723 sich in das kühle „Seine königl. Majestät von Preußen" verwandelt hat. Wer trotz aller Überlegenheit, die ihm seine Stellung gibt, als Mensch zum Menschen spricht, darf auch grob werden; daß betonter Abstand höflichere Formen verlangt, hat Friedrich niemals einsehen wollen. Der alte Zusammenhang zwischen Finanzverwaltung, Wirtschaftspolitik und Konservation der Untertanen ist 1748 noch klarer ausgedrückt und begrifflicher formuliert als 1723. Auch Friedrich forderte als Grundregel der inneren Politik, die Untertanen niemals durch Erhöhung der Steuern zu beschweren, die Einkünfte vielmehr durch Vermehrung des Warenumsatzes und des Güterverbrauchs zu steigern, eine Grundregel, die trotz aller kriegerischen Anstrengungen tatsächlich eingehalten wurde. Die Abhängigkeit vom Kabinett des Königs, an die das Generaldirektorium gewöhnt worden war, lockerte sich notwendig im Siebenjährigen Kriege. Gleich zu Anfang wurde es selbständiger gestellt; Friedrich befahl, das Kollegium dürfe Steuernachlässe, wie sie für Notzeiten im Rahmen der dafür vorgesehenen Etatsansätze gegeben wurden, ohne Rückfrage gewähren und unbedeutende Bedienungen von sich aus besetzen. Außerdem verringerte sich die Tätigkeit des Generaldirektoriums sehr bald durch das Vordringen der feindlichen Armeen. Wie Friedrich seinerseits Sachsen auspreßte, fielen ganze preußische Provinzen den Kriegsgegnern anheim. Zwar berief Friedrich einen der jüngeren Minister des Generaldirektoriums an die Spitze des sächsischen Feldkriegskommissariats, doch schied dieser aus seiner Behörde aus, so daß deren Wirkungskreis immer kleiner wurde. Mit der Kriegsfinanzierung hatte die oberste Finanzbehörde des Landes nichts zu tun. Vielmehr brauchte sie nur die üblichen Domäneneinkünfte, Steuern und Zölle, die auch während des Krieges nicht erhöht wurden, zu verwalten und abzuführen. Soweit blieb Friedrichs Gedanke, der Bauer und der Bürger sollte kaum etwas davon merken, daß der Soldat des Königs draußen kämpfte, unerschüttert, so wenig der König sonst imstande war, ihn angesichts der unglücklichen Kriegsereignisse zu verwirklichen. Aber auch an dieser beschränkten Aufgabe versagte das Generaldirektorium nach der Meinung des Königs. Es behelligte den Monarchen mit Anfragen, für die es scharf getadelt wurde 1 , und ließ jede Wendigkeit vermissen. Die Mehrzahl der Minister war zu alt, um den Kriegserfordernissen zu genügen. Schließlich starb die Behörde einfach aus; in dem einen Jahr 1760 wurden die Minister Happe, Blumenthal und Katt hinweggerafft, später folgten Boden und Gotter, während sich Fäsch auf längere Zeit beurlauben ließ. Nur das VI. Departement besetzte Friedrich wegen der Kriegsnotwendigkeiten sofort; und Katts Nachfolger von Wedel erhielt als 1
Z . B . K O an GD, Reich-Hennersdorf, 22. Juni 1759; AB XII, 115—116.
Die A u f l ö s u n g d e r Einheitsverwaltung in P r e u ß e n
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Offizier die Bezeichnung Ministre de Guerre1. Sonst versuchte er Ordnung zu schaffen, indem er seinen Kabinettsrat Lautensack ohne besonderes Departement in das Generaldirektorium abordnete. Nach dem Kriege stand die große Aufgabe des Rétablissements, der Wiederherstellung einer zerstörten Landwirtschaft, vor dem König. Er widmete sich ihr mit voller Energie und unter Einsatz von erheblichen Geldmitteln, die in erster Linie den adligen Gutsherren zugute kamen. Das Generaldirektorium wurde hier ganz beiseite geschoben. Nach dem Hinscheiden aller Minister mußte es selbst erst wieder hergestellt werden; daher gab Friedrich die Befehle für das Rétablissement persönlich an Landräte und Kammerpräsidenten und setzte für Sonderaufgaben Staatskommissare ein, die ihm unmittelbar berichteten. So geriet die große ehemalige Innenbehörde immer mehr ins Hintertreffen. Ohne rechtes Zutrauen ernannte der König in den Kammerpräsidenten Massow und dem jüngeren Blumenthal Minister für das l.und II. Departement 2 ! Die in Unordnung geratene Kriegskasse sollte jedoch nicht Massow, zu dessen Departement sie gehörte, auf das Laufende bringen, sondern im Sonderauftrage der schlesische Provinzialminister, in dessen Ermessen es lag, Massow heranzuziehen 3 . Im ganzen bewahrte Friedrich dem Generaldirektorium den Groll der Kriegszeit. Als die neuen Minister angesichts des gesunkenen Geldwertes Gehaltserhöhungen für die Geheimen Finanzräte beantragten, bekamen sie zur Antwort: „Daß diejenigen, so während des letzten Krieges dabei gestanden, sich dergestalt schlecht und unverantwortlich . . . betragen haben, daß selbige nicht die geringste Attention und Zulage meritieren 4 . So verstärkte sich die verwaltungspolitischeTendenz seit 1740. Der ursprünglichen Zentralbehörde blieb die ordentliche Geldbeschaffung mit den herkömmlichen Mitteln, der gewohnte Trott, den sie trotz ständigen Antreibens nur mühsam einhielt. Alle größeren außerordentlichen Ausgaben wie die Verwaltung der reichsten Provinz oder das Rétablissement waren Sache eigener Minister oder Kommissare, die ihre Weisungen allein aus dem Kabinett erhielten. Das Generaldirektorium war so weit in den Hintergrund getreten, daß Friedrich in seinem Ärger über eine neue Unordnung die Drohung an den Rand eines Berichtes schreiben konnte: „Woher Sie mihr den Kopf zu Toi machen Kassire ich einen Schönen Morgen das gantze Direktorium und Stelle eine neue Wirtschaf an" 5 , eine Drohung, die er niemals wahr machte, weil er sich doch immer noch verpflichtet hielt, die äußeren Verwaltungsformen des Vaters nicht zu beseitigen. Der Grund für die neue Unzufriedenheit lag darin, daß dem König die herkömmlichen Einkünfte seines Staates nicht genügten. Der Druck der Großmächte auf Preußen war durch den Krieg nur schwerer geworden, um so mehr, als die polnische Königswahl den russischen Einfluß unmittelbar an die 1
K O an C D , Leipzig, 25. J a n . 1761; AB XII, 336. E r n e n n u n g M a s s o w s , K O an G D , P o t s d a m , 27. April 1763, u n d Blumenthals jun., K O an G D , P o t s d a m , 2. S e p t . 1763; AB XIII 9 4 — 9 5 und 2 0 3 — 2 0 4 . » K O an S c h l a b r e n d o r f f , Berlin, 16. J a n . 1764; AB XIII, 3 2 1 — 3 2 2 . * K O an G D , P o t s d a m , 24. Juni 1764; AB XIII, 430. 5 Auf Bericht d e s G D , 20. Febr. 1768; AB XIV, 466. 1
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
Grenzen Preußens gerückt hatte. Friedrich glaubte sich zu einer Vermehrung seines Heeres verpflichtet und brauchte dazu größere Mittel, als die ordentliche Verwaltung ihm zu gewährleisten vermochte. Es war nicht eigentlich seine Absicht, die Steuersätze zu erhöhen; soweit er eine Belastung von Genußmitteln plante, sollte sie durch Verbilligung des Brotpreises ausgeglichen werden. Die direkten Steuern auf dem Lande blieben auf jeden Fall unangetastet, nur die Verwaltung der indirekten wollte er verbessern, den Schmuggel und die Durchstechereien, die bisher an der Tagesordnung waren, verhindern. Mehrere Fliegen wollte er mit einer Klappe schlagenrden Zollgürtel um den Staat schärfer anziehen, die eigene Produktion im merkantilistischen Sinne fördern, die fremden Luxuswaren ausschließen und dadurch die Einkünfte vermehren. Die ordentliche Verwaltung des Generaldirektoriums erklärte sich durch den Mund des Ministers Massow außerstande, den Wünschen des Königs zu genügen. Angesichts der Not, die der Krieg und die ihm folgende europäische Wirtschaftskrise hinterlassen hatten, widersetzte sie sich der praktischen Anziehung der Steuer- und Zollschraube, der Zerstörung der letzten Reste patriarchalischen Wohlwollens 1 . Aus der Notwendigkeit, neue Geldquellen zu erschließen, und aus der Einsicht, daß die von ihm herangebildete Verwaltung nur das Herkömmliche schaffen würde, läßt sich begreifen, daß Friedrich sich in den Jahren gleich nach dem großen Kriege für ausländische Projektenmacher zugänglich zeigte. Damals durfte der Bankier Calzabigi aus Livorno die Staatsbank eröffnen, die wegen der Überspannung ihrer Mittel bald notleidend wurde. Die sonstigen Pläne des Italieners, der die Wirtschaft Preußens ganz in eine gewaltige Aktiengesellschaft einbringen wollte, hat der König zwar nicht verwirklicht, doch durfte ihm Galzabigi Gedanken zur Reform der Finanzverwaltung einreichen, die in unseren Zusammenhang gehören. Der Plan lief darauf hinaus, die gesamte Verwaltung der gewerblichen Wirtschaft zusammen mit der der indirekten Steuern nach französischem Muster einem Generalkontrolleur der Finanzen zu unterstellen, die kollegiale Verwaltung des Generaldirektoriums in eine büromäßige zu verwandeln, den Willen eines einzelnen und seiner Abteilungsleiter an die Stelle der Beratung und der gemeinsamen Verantwortung zu setzen 2 . Das wäre eine grundsätzliche Veränderung der preußischen Verwaltung gewesen, die nicht schlecht auf den Augenblick berechnet war. Was mit der Begründung des V. Departements begonnen hatte, sollte nunmehr den ganzen bisherigen Rahmen sprengen. Friedrich nahm den Plan immerhin so ernst, daß er ihn dem Großkanzler zur Beurteilung mitteilte. Dieser machte darauf aufmerksam, daß der Italiener insofern von falschen Voraussetzungen ausginge, als er die Kosten der neuen Büros, wieder nach dem französischen Vorbild, durch eine Steuer auf sämtliche Rechtsgeschäfte, Konzessionen und Handlungsbücher aufbringen wollte, während in Preußen längst eine Stempelsteuer bestand, deren Erträgnisse im ordentlichen Etat verbraucht wurden. Nachdem er die Pläne Calzabigis abgelehnt hatte, machte sich Friedrich 1 Vgl. zu den Einzelheiten auch für das Folgende W. Schultze, Gesch. der preuß. Regieverwaltung, 1766—1786 I (ßdimollers Forsch. VII 3), 1888. s Denkschr. Calzabigi, 1765; AB XIV, 671—676, mit dazugehörigen Akten.
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mit dem Gedanken vertraut, die gesamten indirekten Steuern an eine französische Gesellschaft zu verpachten. Der Philisoph Helvetius, der seine Erfahrungen und sein Vermögen als Teilhaber einer Steuerpacht gesammelt hatte, mußte ihm genau berichten, wie die Kontrollmaßnahmen beschaffen waren, denen die französischen Fermiers ihre Erfolge verdankten. Wenn sich in Frankreich eine Kapitalgeseilschaft gefunden hätte, die bereit gewesen wäre, die gesamte Akzise und sämtliche Zölle in Preußen gegen klingende Münze zu übernehmen, so hätte Friedrich tatsächlich eine Einrichtung, die die Schmach der französischen Finanzverwaltung darstellte; ohne Rücksicht auf sein Volk in seinen Landen eingeführt. Aber es fanden sich nur ein Sachverständiger und eine kleine Schar von mehr oder weniger dunklen Ehrenmännern ohne bedeutendes Vermögen, die in das Geschäft einstiegen. De Launay, dem Friedrich die Leitung der Sache anvertraute, bewies mehr Takt und mehr Sinn für das Mögliche als der König. Nach seinem eigenen, durchaus wahrscheinlichen Bericht hätte er von der Verpachtung abgeraten und an ihrer Stelle eine staatliche Sonderverwaltung vorgeschlagen, die er übernehmen wollte. Danach hätten er und seine französischen Mitarbeiter Akzise und Zölle einzuheben, den preußischen Kassen die etatsmäßigen Summen nach dem Aufkommen von 1765 auszuschütten und den (Überschuß, den er in sichere Aussicht stellte, an die Dispositionskasse des Königs abzuliefern unter Abzug der Gehälter und der Tantiemen für sich und seine Leute. Die Sonderverwaltung für die bedeutendste Einnahmequelle griff viel tiefer in die Ordnung Friedrich Wilhelms ein als die Errichtung des schlesischen Ministeriums. Es war ein unverkennbarer Fortschritt, daß hier zum erstenmal ein Zweig der Staatsfinanzen für alle Provinzen, auch für Schlesien, zentral zusammengefaßt wurde. Die neue Behörde gebrauchte im Gegensatz zu allen anderen das Französische als Amtssprache, zahlte den Regisseuren Gehälter, die wesentlich höher lagen als die der entsprechenden preußischen Beamten, und1 vermehrte die Einkünfte ihrer Leute durch Tantiemen, durch die sie sie unmittelbar am finanziellen Ergebnis beteiligte; im Rahmen der preußischen Organisation bildete sie einen Fremdkörper. Zu einem Zeitpunkt, in dem sich die friderizianische Staatsform in ganz Europa den Ruhm der Fortschrittlichkeit erworben hatte, in dem die französische Steuerpacht als der schwerste Schade des ancien régime erkannt war, glich die Übertragung ihrer Praxis auf Preußen einem Schlag gegen das eigene Volk, dessen Bürgertum sich gerade seines eigenen deutschen Wesens bewußt wurde und nicht mehr bereit war, die Überlegenheit französischer Glücksritter so anzuerkennen, wie es der König von ihm verlangte. Da die Regie an die Provinzial- und Generalkassen nur eine Fixation, d. h. den ein für allemal festgelegten Satz von 1765 auszahlte, damit die für heilig gehaltenen Etats nicht verändert zu werden brauchten, wurden die Haushalte der Provinzen und des Staates, wie sie unter der Verantwortung des Generaldirektoriums standen, vollends zu einer Fiktion; denn die immer schneller fortsdireitende wirtschaftliche Erholung, die sich eigentlich in den normalen Etats durch erhöhte Einkünfte aus Akzise und Zoll hätte ausdrücken müssen, kam zwar noch dem Staate im ganzen zugute, zeigte sich aber rechnungsmäßig nur in den Büchern der Regie
Verwaltungseinheit u n d R e s s o r t t r e n n u n g
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und in den Einnahmen der Dispositionskasse. Da die ländliche Grundsteuer feststand. konnte das Generaldirektorium bestenfalls noch die Erträge der Domänen steigern. Ganz ohne Verbindung mit dem Generaldirektorium stand die Regie nicht. Bei ihrer Einführung zu Beginn des Jahres 1766 hatte ein deutscher Beamter, der Kammerpräsident von der Horst, als eine Art von Staatskommissar die Lostrennung der Akzise und der Zölle aus der ordentlichen Verwaltung erfolgreich geleitet. Dafür wurde er wenige Monate später zum Minister im Generaldirektorium ernannt und an die Spitze eines neuen Departements für Akzise- und Zollsachen g e s t e l l t M i t der eigentlichen Verwaltung der Regie hatte Horst nichts zu tun; De Launay und seine Regisseure unterstanden dem König unmittelbar. Nur für die Steuersätze, die in den folgenden Jahren in einer Kommission unter Horsts Leitung durchberaten wurden, und für die Abführung der Fixation durch die Regie war er verantwortlich, und im Generaldirektorium trug er alle Sachen vor, die sich mit der ordentlichen Provinzialverwaltung berührten. Nachdem das III. und das IV. Provinzialdepartement zuerst interimistisch, dann endgültig in der Hand des neu ernannten Ministers Hagen zusammengefaßt waren, wurde das Departement Horsts als das IV. bezeichnet. Zu Ende des Jahres bekam Horst auch die Einsicht in sämtliche Manufakturund Handelssachen durch einen Befehl, nach dem alle Angelegenheiten des V. Departements nach dem Eingang und vor dem Ausgang erst ihm zugeleitet werden sollten 2 . Fäsch und Knyphausen wurden ihm damit nicht unterstellt, aber praktisch in eine Mediatstellung geschoben. Unter den Gesichtspunkten unserer Darstellung war es ein gewaltiger Fortschritt auf ein wirkliches Fachministerium hin, daß die indirekten Steuern mit den Angelegenheiten der Steuerobjekte, Handels- und Gewerbesachen mit Akzise und Zoll verkoppelt wurden. Nur wirkte sich dieser Fortschritt nicht aus, weil Horst wohl bei grundsätzlichen Fragen gehört wurde, die eigentliche Versteuerung dagegen außerhalb seines Machtbereichs lag. Das Generaldirektorium nahm den schweren Schlag, den ihm die Errichtung der französischen Regie zufügte, nicht hin, ohne sich zur Wehr zu setzen. Aber der Versuch mißlang, weil der König mit harter Hand durchgriff und an dem Verfasser der Entgegnung ein Exempel statuierte. Nachdem der Geheimrat Ursinus mit Entlassung und Gefängnis bestraft war, konnten die übrigen Mitglieder der alten Behörde ihren Zorn nur auf einem Umwege ausdrücken. Sie ergriffen nach Jahresfrist eine Gelegenheit, ihren Kollegen Horst um Auskunft über verschiedene Akzisesachen zu ersuchen, und zwangen ihn zu dem schriftlichen Geständnis, er werde selbst nur beratend herangezogen; worauf sie mit erheuchelter Verwunderung feststellten, sie hätten doch nach dem Wortlaut seiner Bestallung, die ihm die Leitung anvertraute, nicht wissen können, daß „die General-Akzise- und Zolldirektion als ein von niemandem zu dirigierendes und ganz independentes Kollegium anzusehen sein dürfte" » Bestallung und Instr. f ü r Horst, Berlin, 13. Juni 1766; AB XIV, 8 7 — 9 2 . Reskr. d . G D , Berlin, 31. D e z . 1766; AB XIV, 230. « Schriftwechsel 8 . — 2 0 . Nov. 1767; AB XIV 3 7 8 — 3 8 1 . 2
Die Auflösung der Einheitsverwaltung in Preußen
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W ä h r e n d sich die R e g i e in ihrer Immediatstellung einrichtete und dem Kabinett e i n e neue, schwere Last a u f b ü r d e t e , ging e i n e merkliche Verwandlung mit dem Generaldirektorium v o r sich. S i e b e r u h t e z. T. auf persönlichen G r ü n d e n und zielte keineswegs auf eine grundsätzliche Reform a b . D e r j ü n g s t e d e r nach dem Kriege ernannten M i n i s t e r h a t t e sich als ein M a n n nach dem Herzen des Königs erwiesen. D e r F r e i h e r r v o n H a g e n 1 leitete ein Provinzialdepartement, und zwar sämtliche westlichen Landesteile, die e b e n in seiner Hand z u s a m m e n g e f a ß t worden waren. D a e r nur g e n a u ü b e r l e g t e V o r s c h l ä g e machte und sie dann auch zuverlässig und p r o m p t durchführte, ließ ihm Friedrich schon zu seiner e i g e n e n Entlastung
freie
Hand und b e v o r z u g t e ihn durch Revisionsaufträge, die auch in a n d e r e D e p a r t e m e n t s eingriffen, wenn dort etwas nicht klappte. Es half den B e t r o f f e n e n nichts, wenn sie sich b e k l a g t e n , d a ß sie e i n e m Kollegen u n t e r g e o r d n e t würden; d e r König stützte seinen M a n n 2 . Bald k o n n t e Hagen das W e t t e r für die g a n z e B e h ö r d e m a c h e n ; nach seinen V o r s c h l ä g e n versetzte Friedrich G e h e i m r ä t e aus einem in ein a n d e r e s D e partement, nach seinen Berichten wurden Entlassungen und Einstellungen
vorge-
n o m m e n 3 . Auf ihn ist es mit h o h e r Wahrscheinlichkeit zurückzuführen, daß d e r ihm unterstellte und b e f r e u n d e t e
Kammerpräsident Derschau ins
Generaldirektorium
b e r u f e n wurde, o h n e daß e i n e V a k a n z den Anlaß g e g e b e n hätte. Friedrich setzte den V e r t r a u e n s m a n n Hagens an M a s s o w s Stelle in das wichtigste Provinzialdepartement, das für die Kurmark und M a g d e b u r g ,
und teilte dafür das
Departement
Blumenthals zwischen diesem und M a s s o w a u f 4 , e i n e Zurücksetzung, die sich die b e i d e n dienstältesten Minister o h n e W i d e r r e d e gefallen lassen mußten. Vielleicht hätte der König e i n e völlige Neubesetzung d e r Ministerstellen durchgeführt, wenn g e e i g n e t e Nachfolger vorhanden g e w e s e n wären. A b e r an Nachwuchs für die höheren B e a m t e n , für Kammerdirektoren und Präsidenten, auch für G e h e i m räte des Generaldirektoriums, m a n g e l t e es. Hier rächte sich die Mißachtung, mit der Friedrich die g e s a m t e Beamtenschaft b e h a n d e l t e , und d e r Mechanismus des Dienstes. M ä n n e r von echtem Rang und Selbstbewußtsein traten nur zu selten in die B e a m t e n laufbahn. Erst g a n z spät, als der Ruhm Friedrichs l e g e n d ä r wurde, und noch mehr nach seinem T o d e kam von a u ß e n e i n e j ü n g e r e G e n e r a t i o n b e d e u t e n d e r Talente, die dann T r ä g e r der S t a a t s r e f o r m wurde. Im Augenblick, d. h. im J a h r z e h n t nach dem Kriege, war Not am M a n n ; so sehr, d a ß Friedrich die V o r s c h l ä g e Hagens ü b e r die Heranziehung e i n e s g e e i g n e t e n Ausbildung
Nachwuchses gern aufgriff. Hagen wollte die
sämtlicher Verwaltungsanwärter
vereinheitlichen.
Die
jungen
Leute
mußten sich zuerst ü b e r ein e r f o l g r e i c h e s Universitätsstudium ausweisen und sollten dann die Bürgerlichen einem S t e u e r r a t , die Adligen einem Landrat zugeteilt werden. B e v o r sie als Räte in die Kammern aufrückten, sollten sie von Mitgliedern
des
Generaldirektoriums in Berlin auf ihre Eignung g e p r ü f t werden. Für den Nachwuchs an
Präsidenten 1 2 3 4
und
Direktoren
wollte
Hagen dadurch
s o r g e n , daß
Ernst Posner, Mitteldeutsche Lebensbilder III. Magdeburg 1928, 46—63. Vgl. KO an Blumenthal, 9. Juli 1768; AB XIV 514. Vgl. Aktenstücke 11.—27. Juni 1769; AB XV 36—41. KO an die Minister des GD, 1. April 1769; AB XIV 655.
besonders
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tüchtige Räte aus den Kammern für ein halbes Jahr zur Beschäftigung im Generaldirektorium nach Berlin gezogen würden, damit sie sich dort bewährten 1 . So bekam das Generaldirektorium eine Ober-Examinationskommission für sämtliche Anwärter auf Ratsstellen bei den Kammern und für einige Jahre eine „Pepiniere" für den eigenen Nachwuchs und den der Direktoren und Präsidenten. Die Ober-Examiniationskommission hat die Ausbildung der höheren Beamten auf die Dauer vereinheitlicht, aber nicht verhindern können und wollen, daß sich neben den studierten Kriegsräten eine Reihe von Subalternen in langjähriger Praxis heraufdiente. Dagegen ist nicht zu erkennen, daß die Pepiniere die Auswahl der Präsidenten, Direktoren und Oberfinanzräte erleichtert hätte. Zugleich nahm der König mit Hagens Hilfe eine Veränderung im Generaldirektorium vor, die auf ihre Weise noch tiefer griff als die Herausnahme der Akziseund Zollverwaltung. Wirtschaftliche Notwendigkeiten riefen in Preußen eine Veränderung des Staatsapparates hervor, zu einer Zeit, als die ökonomische Theorie in Frankreich und in England bereits den Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben forderte, aber auch dort keineswegs erreichte. Werner Sombart hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß der Kapitalismus in der Gestalt, die er im 18. Jahrhundert gewonnen hatte, tödlich bedroht war, weil der wichtigste Brenn-, Bau- und Werkstoff, das Holz, nach dem mit ihm getriebenen Raubbau überall zu mangeln begann, wo Gewerbe betrieben und größere Städte versorgt wurden. Die Einfuhr aus holzreichen Ländern hätte die preußische Handelsbilanz bedroht; Preußen mußte sich selbst helfen. Daher sah sich Friedrich zu einer Änderung seiner Forstpolitik, vornehmlich zum Wiederaufforsten, gezwungen und zur Ausbeutung der Bodenschätze, besonders der Steinkohle, auf neuer Grundlage. Das waren Aufgaben, auf die die Verwaltung nicht vorbereitet war, denn die Kammern waren schon im Interesse ihrer Etats gewöhnt, die Forsten möglichst stark zu beanspruchen, und standen den technischen Erfordernissen des Bergbaus hilflos gegenüber. Nachdem der Kameralist Justi als preußischer Berghauptmann kläglich gescheitert war, durfte Hagen 1768 ein eigenes Berg- und Hüttendepartement einrichten, dem die Werke in allen Provinzen, nach einiger Zeit auch in Schlesien, unterstellt w u r d e n 1 7 7 0 folgte das Forstdepartement, dem zur Zentralisierung des Außenhandels mit Holz eine HauptNutzholz-Administration angegliedert wurde 3 . Ober die Angelegenheiten beider Departements brauchte Hagen seinen Kollegen keinen Vortrag zu halten, vielmehr durfte er sie der prompten Erledigung wegen „privative" behandeln. Geringeren Aufwand machte das neue Ober-Baudepartement, dessen Gründung Hagen angeregt hatte, das aber dem gesamten Generaldirektorium unterstellt wurde, weil es im wesentlichen dafür sorgen sollte, daß die Bauten der Kammern unter möglichster Schonung von Geld- und Holzbeständen durchgeführt wurden 4 . Schließlich über1
Hagens Pläne und ihre Durchführung, 12. Febr. 1770 und später; AB XV 240 ff. KO an GD, 9 . M a i 1768; AB XIV 478—479. Schlesien: KO an Schlabrendorff, Potsdam, 1. Febr. 1769; XIV 621. * Verschiedene KOs, Januar 1770; AB XV 208—211; dazu KO, 8. Okt. 1770; XV 397. * Instr. f. d. Ober-Baudepartement, 17. April 1770; AB XV 280—293. 2
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nahm Hagen auch noch die Leitung der S t a a t s b a n k , die in den Händen von S p e k u lanten wie C a l c a b i g i G e s c h ä f t e g e m a c h t hatte, welche sich für den
Unternehmer
als lukrativ, für den S t a a t als s e h r kostspielig erwiesen hatten. Wir stehen damit v o r e i n e r völlig neuen Erscheinung, n e b e n d e r die d e p a r t e m e n t s von
1 7 4 0 und 1 7 4 6 nur als schüchterne A n f ä n g e gelten
Real-
können.
D i e s e n fehlten die ausführenden O r g a n e , während j e t z t unter dem Druck d e r wirtschaftlichen Notwendigkeiten e i g e n e g r o ß e Sachverwaltungen geschaffen wurden. D a s Neue an ihnen kam nur nicht zu voller G e l t u n g , weil mit dem G e n e r a l d i r e k t o r i u m d e r alte f o r m a l e Rahmen beibehalten wurde. D a s lag wahrscheinlich auch an dem Minister, d e r die V e r ä n d e r u n g
ins Rollen g e b r a c h t hatte.
D a Hagen
sein P r o -
vinzialdepartement nicht aus den Händen g a b , koppelte e r e s nur mit dem B e r g und dem Forstdepartement, durch die e r in sämtliche Provinzen, auch in das sonst eximierte Schlesien eingreifen und W e i s u n g e n erteilen konnte, o h n e s e i n e Kollegen zu f r a g e n . Dazu kam, d a ß d e r König sich vorzugsweise, wenn auch fast immer nur auf dem g e w o h n t e n schriftlichen W e g e , an Hagen und nach ihm an den
Hagen
e r g e b e n e n M i n i s t e r Derschau wandte und die anderen Minister links liegen Auf diese W e i s e w a r die alte Einheit des Generaldirektoriums,
ließ.
die auf g l e i c h -
stehenden Ministerialdepartements und kollegialer Verwaltung b e r u h t e , endgültig g e s p r e n g t . Es w ä r e Zeit zu e i n e r g r u n d l e g e n d e n R e f o r m d e r B e h ö r d e g e w e s e n , doch hat w e d e r d e r alte König sie ins A u g e g e f a ß t , noch hat Hagen e i n e solche v o r g e s c h l a g e n . W e n n Hagen seinem M o n a r c h e n die Notwendigkeit v o r A u g e n hielt, die veralteten Instruktionen von 1 7 2 3 und 1 7 4 8 umzuarbeiten, so dachte e r nur daran, die von ihm durchgeführten V e r ä n d e r u n g e n festzulegen, nicht a b e r an einen Neubau J . D i e F o l g e w a r e i n e g e w a l t i g e Verschiebung in d e r einst ziemlich
gleich-
mäßig verteilten Arbeitslast d e r Minister. Hagen wies dem König durch e i n e g e n a u b e z i f f e r t e Aufstellung nach, d a ß e r allein b e i n a h e die Hälfte aller S a c h e n , die durch das Generaldirektorium liefen, zu erledigen hätte, obwohl e r nur e i n e r von sechs Ministern w a r 9 . W o h l überstiegen s e i n e B e z ü g e die aller a n d e r e n Kollegen, doch rieb ihn die Arbeitslast früh a u f ; e r s t a r b 1 7 7 1 , tief b e t r a u e r t von seinem M o n a r c h e n , d e r ihn kurz zuvor höchst eigenhändig mit dem Schwarzen Adlerorden ausgezeichnet hatte. Als d e r König Hagens Nachfolger Schulenburg in sein A m t einführte, schärfte e r ihm und dem e b e n f a l l s a n w e s e n d e n Derschau b e s o n d e r s ein, sie sollten „sich mit den a n d e r e n drei Ministern durchaus nicht a b g e b e n " , s o n s t würde sie „ d e r Teufel h o l e n " 3 . V o r dem Kriege hatte Friedrich noch auf g e m e i n s a m e Beschlüsse sämtlicher Minister W e r t g e l e g t , j e t z t b e s i e g e l t e e r selbst das Ende des Generaldirektoriums als Einheitsbehörde, wenn e i n e G r u p p e d e r M i n i s t e r mit d e r a n d e r e n nicht einmal k o n f e r i e r e n durfte. S e i t J a h r e n hatten die Kabinettsorders, d i e an die B e h ö r d e als g a n z e gerichtet waren, a b g e n o m m e n ; j e t z t waren W e i s u n g e n an einzelne Minister,
1 Hagens Plan, 12. Febr. 1770; AB XV 242. 2 Anlage z. IB v. 15. Dez. 1770; AB XV 440—441. 3 Protokoll Derschaus, Potsdam, 10. Februar 1771; AB XV 469.
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
vor allem an einen so bevorzugten wie Schulenburg zur Regel geworden 1 . Zugleich sank die gemeinsame Unterschrift sämtlicher Minister zur bloßen Formalität herab, drückte keine gemeinsame Verantwortlichkeit mehr aus. Dabei wurde die Behörde immer größer und unförmlicher; das Schreibwerk wuchs zu undurchdringlicher Dichte an. Zu Anfang der Regierung Friedrichs gab es fünf Minister, neunzehn Geheime Finanzräte und fünfzehn Subalterne, die Geheime Kanzlei nicht mitgerechnet, zusammen 39 Personen. Nun war die gesamte Akziseverwaltung abgetrennt; trotzdem vermehrten sich die Beamten des Generaldirektoriums zusehends, allerdings weniger die Minister und Geheimräte als die expedierenden Sekretäre und Registratoren. 1786 zählte man einschließlich der sechs Minister und der 24 Geheimräte über 110 schreibende Hände 2 . Dazu kamen jetzt die besonderen Departements und die Staatsbetriebe, die jedesmal von einem der gezählten Minister und mehreren Geheimräten geleitet wurden, aber mit ihren Subalternen einen mehr oder minder mächtigen Körper von Staatsangestellten bildeten. Der Zug zur Aussonderung von Fachbehörden, die im Generaldirektorium nur noch formal zusammengefaßt waren, hat sich unter Schulenburg verstärkt. Der junge Minister bewies eine erstaunliche Fähigkeit, sich der Regierungsweise des Königs anzugleichen und sein Vertrauen durch eine ungewöhnliche Arbeitsleistung zu gewinnen 3 . So sehr, daß er das Kapital an Vertrauen gelegentlich auch benutzen konnte, um Schwierigkeiten der Kassenlage oder Verluste der Handelsunternehmungen zu verdecken, ohne daß ihn gleich der Tadel des sonst so mißtrauischen Monarchen traf. Das gelang ihm, weil er seine mannigfachen Kassen und Etats rechnerisch stets in Ordnung hielt, weil er nichts liegen ließ und weil er nicht genial genug war, um dem alten König durch neue Ideen unbequem zu werden. Schulenburg scheint sich in dem unausgeglichenen Nebeneinander von Provinzialdepartements und der Menge der Fachdepartements, über die er allein gebot, wohl gefühlt und es als Grundlage seiner eigenen Macht gern bewahrt zu haben. Erklärte er doch noch viel später, die Unübersichtlichkeit der preußischen Etats sei nützlich und notwendig 4 . Nur das Bergdepartement gab er ab, da er sich den technischen Erfordernissen nicht gewachsen fühlte. Jedenfalls bedeuteten die anderen Minister, seine Kollegen, nur wenig neben ihm; sie waren zumeist auf ihre Provinzialkammern beschränkt und in wachsendem Maße durch die Sachbehörden eingeengt. Auch der andere Leiter einer Fachbehörde mit Unterstellen im ganzen Lande, der Minister für das Berg- und Hüttenwesen Heinitz, war von dem König durch die Kluft abweichender Ansichten über die Staatswirtschaft getrennt und konnte sich daher nur begrenzt auswirken. Es war schon etwas Gewaltiges, daß Schulenburg als einzelner soviel Arbeit leistete wie alle anderen Minister zusammengenommen, ohne sich dabei zu ruinieren, 1 Walter L.Dom, The Prussian Bureaucracy in the 1 8 ' " Century, Political Science Q u a r terly 47, 1922,81. 2 Ziffern nach dem Adreßkalender für Berlin 1744 und 1786. 3 Bernhard Rosenmüller, Schulenburg-Kehnert unter Fr. d. Gr., Berlin und Leipzig 1914. 4 Leo Hellwig, Schulenburg-Kehnert unter Fr.W.III., Berlin 1936, S. 49.
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wie es Hagen getan hatte. Schulenburg leitete die westlichen Provinzen, das Forstdepartement mit der Nutzholz- und der Brennholzadministration, die Bank und die Seehandlung, die den gesamten Kaffee und Tabak für die entsprechenden Staatsmonopole kaufte, um nur seine wichtigsten Aufgaben zu nennen. Gelegentlich wurde er zum Abschluß eines Handelsvertrages abgeordnet; während des Krieges von 1778 führte er das«Kriegsdepartement. Kein Wunder, daß der König einen solchen Mann, der aufs genaueste seinen Willen zu treffen schien, vor anderen bevorzugte und ihm wie vorher Hagen den Schwarzen Adler verlieh, den von den zivilen Ministem nur noch der alte Finckenstein trug. Das Geheimnis Schulenburgs war die Begabung, andere an der richtigen Stelle einzusetzen. So wie er den Auftrag erhielt, mit Heinitz über dessen Berufung zu verhandeln, ohne daß zu erkennen wäre, daß er auch die Anregung dazu gegeben hätte, veranlaßte er die Ernennung eines Bankfachmannes vom Range Struensees zum Direktor der Seehandlung. Von den 24 Geheimräten des Generaldirektoriums standen zehn allein zu Schulenburgs Verfügung. Abgesehen von der Schar von Staatsangestellten in seinen verschiedenen Fachbehörden arbeiteten 20—25 Subalterne, die vom Staate bezahlt wurden, in Schulenburgs Hause in der Wilhelmstraße als „Kombinierte Geheime Forst- und Banco-Kanzlef. Dagegen bestand die „Geheime Bergkanzlei" im Hause von Heinitz nur aus vier Mann. Während das Generaldirektorium immer unförmlicher wurde und auseinander fiel, ergab sich im Kabinett des Königs eine gewisse ressortmäßige Einteilung der Geschäfte. Eichel hat neben sich nur bloße Schreiber geduldet und etwaige Nebenbuhler unter ihnen herausgebissen. Als er 1766 gestorben war, teilte der König die Geschäfte in der Weise, daß neben den militärischen Kabinettsorders, mit denen schon Eichel wenig zu tun gehabt hatte, die auswärtige Korrespondenz von anderen Händen besorgt wurde als die mit den inneren Behörden, d. h. Generaldirektorium, Schlesischem.und Justizdepartement 1 . Wir kennen eine ähnliche Ressortteilung zwischen Militair-, etrangeren und domesticfuen Affairen schon aus dem Sachsen Augusts des Starken, nur daß sie dort durch die Ernennung von ein oder zwei Kabinettsministern institutionellen Charakter bekam, während sie in Preußen eine mehr zufällige Regelung darstellte. Sie war nur dadurch der Willkürlichkeit enthoben, daß sie sich mit der Vermehrung der Geschäfte im Kabinett geradezu aufdrängte. Auf diese Weise bekam wenigstens ein Kabinettsrat in der Nähe des Königs Kenntnis von sämtlichen Innen- und Finanzangelegenheiten, eine Überlegenheit, die besonders in den letzten Jahren Friedrichs nicht ungenutzt blieb. Selbst Männer wie die Kabinettsräte Galster und dessen Nachfolger Stelter hatten als Sekretäre für die Direktorial- und Justizangelegenheiten wohl Einblick in die Geschäftsgebarung sämtlicher einzelner Innenbehörden, konnten also wissen, was die verschiedenen Stellen über ihre Kassenlage berichteten. In die eigentlichen Zusammenhänge der preußischen Staatsfinanzen blickten auch sie nicht, weil der 1 D i s p o s i t i o n , P o t s d a m , 15. F e b r . 1 7 6 8 ; Hermann P r e u ß e n u n d L o m b a r d . , Leipzig 1891, 4 9 9 — 5 0 0 .
Hüffer,
Die
Kabinettsregierung
in
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König seine Dispositionskasse, in der alle Überschüsse zusammenliefen, durch einen anderen, nämlich den Kriegsrat Buchholz, verwalten ließ. Bis in die siebziger Jahre seiner Regierung machte sich Friedrich seine Überschläge auf kleinen Notizzetteln. Die eigentliche Buchführung der Dispositionskasse ist uns nicht erhalten. Jedenfalls war es ein besonderer Beweis des Vertrauens f ü r seinen Minister, daß Schulenburg zur jährlichen Überprüfung dieser Kasse herangezogen wurde. Dabei blieb das Generaldirektorium als Behörde völlig ausgeschaltet; es war ein bloß persönlicher Auftrag wie die längst eingeführte Verwaltung des Staatsschatzes durch einen Minister unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß die linke Hand nicht wissen durfte, was die rechte tat. Für die eigentliche Verwaltung blieb die Dispositionskasse ebenso wie der Tresor „impenetrables Geheimnis". In seiner langen Regierung hatte Friedrich mehrere unmittelbare Sonderverwaltungen, eine provinziale wie die Schlesische und eine sachliche wie die Regie, nebeneinandergestellt; die alte Zentralbehörde hatte auf d e r einen Seite selbst Ressorts mit Sonderverwaltungen ausgebildet und war auf der anderen in einzelne Departements zerfallen, mit denen der König fast unmittelbar verkehrte. Eine so unausgeglichene Verwaltungsmaschine war auch vom Kabinett aus kaum zu b e herrschen, selbst nicht von einer Arbeitskraft wie der Friedrichs. Zuletzt verstanden es die Kammern und die Minister, vielleicht nicht ohne Zusammenspiel mit den Kabinettsräten, das zu verstecken, was sie nicht sichtbar machen durften, besonders zurückgehende Steuererträge, die der König nun einmal nicht anzuerkennen beliebte. Nachdem Friedrich an einzelnen Kammern — wir wissen es von d e r westpreußischen genau — ein Exempel statuiert und den verantwortlichen Direktor Knall und Fall entlassen hatte, sah sich der neue besser vor und ließ den bedrohlich ansteigenden Unterschied zwischen Etatsansätzen und wirklichen Eingängen einfach verschwinden. Friedrichs Nachfolger wußte wohl, was er sagte, als e r den Ministern erklärte, dem verstorbenen König habe man manche unangenehme Wahrheit verheimlicht, er wünsche alles zu e r f a h r e n 1 . Demgemäß wurden die Kammern a u f gefordert, ihre Reste zu melden. Da bekannte sich allein die westpreußische Kammer in einem Immediatbericht mit Trauerrand zu einem Defizit von über einer halben Million Taler®! Für diese letzten Jahre Friedrichs, a b e r nur für sie, übertrieb Mirabeau wohl nicht zu sehr, wenn er meinte: „Die Manie Friedrichs II., alles selber zu tun, hatte zur Folge, daß er der am meisten hintergangene von allen Souveränen Europas war. Die Manie, alle Staatsgeschäfte in ein und einer halben Stunde erledigen zu wollen, hatte zur Folge, daß die Minister in ihren Departements die absoluten Herren w u r d e n " 3 . Das war die unerfreuliche Kehrseite der preußischen Großmachtstellung, die nur durch die Überspannung aller Mittel und Menschen behauptet werden konnte, eine Überspannung, die sich notwendig auf die Dauer rächte und zuerst in solchen Rissen und Sprüngen der inneren Staatsverwal1
Ranke, Die dtsch. Mächte und der Fürstenbund, 201. IB, 6. Nov. 1786; PreuB. Geh. Staatsarch., früher Berlin-Dahlem, Gen.-Dir. Kassensachen Westpr. Tit. II, Nr. 2 vol. 11. a Histoire secréte, 26. Aug. 1786, Henry Welshinger, Mirabeau in Berlin, Leipz. 1900,184. 2
Die Auflösung der Einheitsverwaltung in Preußen
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tung offenbar wurde. Eben deshalb begrüßten gerade die nächsten und höchsten Untergebenen das Ableben eines Monarchen, der vor Europa ruhmgekrönt dastand, mit erleichtertem Aufatmen. Die Notwendigkeit einer Reform an Haupt und Gliedern wurde von niemand stärker empfunden als von dem Thronfolger, der sich schon vor dem Tode des alten Königs mit seinem Vertrauten Wöllner auf die seiner harrenden Aufgaben vorbereiten ließ. Wir verdanken den Nachweis, in welch entscheidendem Maße Wöllner die Behördenreform nach der Thronbesteigung bestimmt hat, einer ausgezeichneten Arbeit aus der Schule Hartungs, die uns der Notwendigkeit enthebt, sämtliche Einzelheiten über1 die Geschichte des Generaldirektoriums unter Friedrich Wilhelm II. noch einmal auszubreiten \ Die Parole Wöllners lautete: Zurück zum Kollegialprinzip Friedrich Wilhelms I., zum Generaldirektorium in seiner ursprünglichen Form. Dazu mußte vor allem eine Anhäufung von Zuständigkeiten, wie sie sich in der Hand Schulenburgs gesammelt hatten, wieder rückgängig gemacht werden, eine Aufgabe, der sich Wöllner um so lieber unterzog, als er Schulenburg haßte und auf seinen Sturz abzielte. Noch im Jahre 1786 erhielt das Generaldirektorium eine neue Instruktion, durch die ihm befohlen wurde, alle Neuerungen seit 1723 und 1748 fallen zu lassen und zum kollegialen Verfahren zurückzukehren 2 . Vorträge und Beschlüsse sollten von nun an im Plenum geschehen, Berichte an den König und Reskripte an die nachgeordneten Stellen von sämtlichen Ministern in gemeinsamer Verantwortung gezeichnet werden. Dazu bedurfte es einer Neueinteilung der Departements, von denen nur das Kriegsdepartement zunächst unberührt blieb. Wenn man von diesem letzteren absieht, so waren die Geschäfte auf sieben Minister zu verteilen, von denen fünf sowohl Provinzial- wie Sachaufgaben vereinigten, wobei z. B. Heinitz zu seinem Bergwerksdepartement aus der schulenburgschen Masse die westlichen Provinzen übernahm. Reine Sachdepartements blieben außer dem des Krieges nur die Forsten unter Arnim und ein zweites, in dem das friderizianische fünfte für Manufakturen und Commerzien mit dem Horstschen Akzise- und Zolldepartement zusammengefaßt wurde. Diese für uns so natürliche Gemeinsamkeit hatten wir unter Horst sich vorbereiten sehen. Jetzt erhielt sie ein ganz anderes Gesicht, weil zugleich die französische Regie aufgehoben wurde. Nicht in dem Sinne freilich, daß die Akzise und die Zölle wieder mit den Provinzialverwaltungen verbunden worden wären, wie dies im Zuge der Rückkehr zum Ursprung gelegen hätte. Vielmehr blieben die bisherigen Akzise- und Zolldirektionen in den einzelnen Provinzen in voller Selbständigkeit bestehen; nur die Franzosen wurden aus allen ihren Ämtern entlassen. Ebenso geschah es in der Zentralinstanz; an die Stelle der verhaßten französischen Regisseure traten deutsche Geheime O b e r finanzräte, und die Leitung bekam der gleiche Minister im Generaldirektorium, der das Commerzien- und Fabrikendepartement innehatte. Das war zunächst Werder, 1 Edith Ruppel-Kuhfuß, Das Generaldirektorium unter der Regierung Fr. W. II. (Berliner Studien zur neueren Gesch., hrsg. Härtung H. 2), Würzburg-Aumühle 1937. 2 Instr. f. d. G D v. 28. Sept. 1786, Philippson, Gesch. d. preuB. Staatswesens II, 1882, 309—357.
Verwaltungseinheit und
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Ressorttrennung
der zuerst in voller Abhängigkeit von Wöllner an der Umformung der französischen Regie in eine deutsche Zentralbehörde gearbeitet hatte, seiner neuen großen Aufgabe aber nicht gewachsen war und nach wenigen Jahren durch einen so b e d e u t e n den Mann wie Struensee ersetzt wurde. Auf diese Weise entstand eine nicht leicht durchschaubare Verbindung von Zentraldepartements, in die auch die Kabinettsordre, die ihre Errichtung a n b e f a h l \ keine volle Klarheit bringen konnte. Das alte V. blieb als Fabriken- und C o m m e r z departement innerhalb des Generaldirektoriums mit drei Geheimräten und zwei Kaufleuten im Range von Geheimen Commerzienräten. Derselbe Minister stand zugleich an der Spitze des selbständigen General-Akzise-und Zolldepartements, dem acht andere Geheimräte angehörten; es hielt dreimal die Woche eigene Sitzungen a b und verfügte über einen ausgedehnten Apparat von Zolldirektionen im ganzen Lande. Nur durch den dirigierenden Minister war es mit dem Generaldirektorium verbunden. Einmal die Woche versammelten sich die Mitglieder der beiden Departements instruktionsgemäß als „Kombiniertes General-, Fabriken- und Commerzialwie auch Akzise- und Zolldepartement", also derselbe Minister und insgesamt 16 Geheimräte, von denen die meisten in einem der beiden älteren Kollegien saßen. An der Schwerkraft der großen Wirtschaftsverwaltungen für Forsten, Bergwerke und Salinen, um nur die wichtigsten zu nennen, sowie an dem Dasein einer selbständigen Akzise- und Zollverwaltung scheiterte die Rückkehr zum Kollegialitätsprinzip innerhalb des Generaldirektoriums, die doch nur bei gleichmäßigen Provinzialdepartements mit geringen Sachaufgaben möglich war. Nach persönlichen Auseinandersetzungen der Minister, die sich im Gegensatz zu der ihnen a n b e fohlenen Kollegialität gesondert an den Monarchen w a n d t e n 2 , mußte Friedrich Wilhelm auf den Rat Wöllners ein Jahr später eine „Nähere Anweisung" erlassen, die Vorträge im Plenum des Generaldirektoriums nur noch f ü r übergreifende Angelegenheiten vorsah und den Departements anbefahl, ihren ordentlichen Geschäftsbetrieb innerhalb des eigenen Wirkungskreises jedes f ü r sich zu e r l e d i g e n s . In der Form einer Erläuterung zu der vorhergehenden Instruktion war deren wesentlicher Inhalt beseitigt. Praktisch trat damit wieder derselbe Zustand wie unter Friedrich ein, daß nämlich die Departementsminister ihre Weisungen unmittelbar aus dem königlichen Kabinett erhielten. So sehr Friedrich Wilhelm schon aus eigener Unsicherheit den Gedanken gemeinschaftlicher Verantwortung seiner Minister vertrat, so sehr führte ihn dieselbe Unsicherheit dazu, den Schein, daß er als Monarch alles selbst entscheide, aufrechtzuerhalten. „Ich fordere bei dem Zivildienst von meinen Ministres eben die Folgsamkeit und den strengen Gehorsam, als ich von meinen Generals bei der Armee f o r d e r e " 1 , ließ er Heinitz bei einer geringfügigen Differenz sagen und fügte eigenhändig hinzu, diese O r d r e solle „allen meinen Finanzministres communiziert" werden. Auf diese Weise half er seine eigene Errungenschaft, die 1
K O Berlin, 29. J a n . 1787; Stadelmann,
2
Für die Einzelheiten Ruppel-Kuhfuß,
8
Berlin, 8. D e z . 1787; Stadelmann,
P r e u ß e n s Könige III, 164—169.
72 ff. P r e u ß e n s Könige III, 176—183.
* KO Berlin, 13. Dez. 1788; Stadelmann
III, 195.
Die Auflösung d e r Einheitsverwaltung in Preußen
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Wiederherstellung des Kollegialprinzips, untergraben. Bei dergewaltigen Vergrößerung des Staatsgebietes, die die polnischen Teilungen mit sich brachten, war es vollends unmöglich, die Selbständigkeit der Minister zu beschränken, zumal der neue Besitz bei seiner Unsicherheit große Kräfte beanspruchte. Friedrich von Cölln hat seine „Vertrauten Briefe", die nach dem Zusammenbruch Preußens anonym erschienen, nachträglich verfaßt; sie müssen daher als Zeugnisse für Früheres mit stärkster Kritik gelesen werden. Doch hat Cölln zweifellos recht, wenn er für das Ende der Regierung Friedrich Wilhelms II. feststellte: „Im Finanzfach war jeder Minister Despot in seinem Departement; der Generalvortrag im Generaldirektorium erstreckte sich nur auf unbedeutende Gegenstände, die Minister hatten unter sich einen stillschweigenden Vertrag geschlossen, wonach ein jeder tat, was ihm beliebte" 1 . Genau das, was Mirabeau beim Tode Friedrichs gesagt hatte. Wenn sich also trotz aller Anläufe während der Regierung Friedrich Wilhelms II. im Generaldirektorium wenig geändert hatte, so erhielt der preußische Behördenaufbau im ganzen eine wesentliche Bereicherung durch die Begründung eines Oberkriegskollegiums. Friedrich der Große hatte sämtliche Militärangelegenheiten im Kabinett durch seine Generaladjutanten bearbeiten lassen und sich direkt an die Kommandeure gewandt. Auf die Dauer war dieses einfache Verfahren nur unter einem Monarchen möglich, kler wirklich sein eigener Feldmarschall und sein eigener Finanzminister zugleich sein wollte und konnte. Der Nachfolger hat den Anschein eigenen Kommandos ebenso aufrechtzuerhalten gesucht wie den höchst persönlicher Staatsleitung im ganzen. In Wirklichkeit glitten ihm die Fäden aus der Hand; nicht bloß, weil er persönlich vor der Aufgabe versagte, sondern weil die Aufgaben im ganzen immer größer und verwickelter geworden waren. Im Kriege gab er das Kommando über das Heer an den Herzog von Braunschweig ab, erschwerte dessen Arbeit aber durch eigenes Dreinreden. Im Frieden brauchte er eine besondere Heeresverwaltung, mit deren Ehrenpräsidium er zwei friderizianische Generäle betraute. Der geschäftsführende Kriegspräsident war dagegen ein General des ordentlichen Dienstes, seine Behörde ein Kollegium mit anfänglich sieben Abteilungen, deren Anzahl und deren Ressorts jedoch mehrfach geändert wurden 2 . Darin ähnelte das Oberkriegskollegium dem Generaldirektorium, daß jede Abteilung selbst ein Kollegium bildete; aber es unterschied sich von der älteren Behörde dadurch, daß es im ganzen von einem Präsidenten geleitet wurde, der freilich selbst nur Primus inter pares war. Was die Habsburgische Monarchie seit langem besaß, einen kollegialischen Hofkriegsrat, schaffte sich der Militärstaat Preußen erst sehr spät, vielleicht ein deutliches Zeichen seiner langsamen Verbürgerlichung vor dem Zusammenbruch. Die große Schwierigkeit — wir haben sie zwischen Hofkriegsrat und Hofkammer schon kennengelernt — lag in der richtigen Verbindung der Militär- mit der Finanz1
Vertraute Briefe 1807, I 9 5 ; 15. Brief, dat. Berlin 1797. Zum Oberkriegskolleg Ruppel-Kuhfttß 130 ff.; dazu die Schemata des Adreßkalenders für Berlin seit 1788 und des Handbuchs für den preußischen Hof und Staat seit 1794. 2
H a u s s h e r r . Vcrwaltungseinheit 10
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behörde. Anders als in Osterreich traten der Präsident des Oberkriegskollegs und der Departementschef für das Verpflegungswesen als Minister in das Generaldirektorium ein. Mit den bisherigen Geheimräten bildeten sie das n e u e Militärdepartement im Generaldirektorium, so daß hier die alte Arbeit mit neuen Vorgesetzten militärischen Ranges fortgesetzt wurde. Am Grundsätzlichen änderte sich wenig, als später nur noch ein Departementschef des Oberkriegskollegiums ohne seinen Präsidenten seine Beh ö r d e im Generaldirektorium vertrat. Jedenfalls scheint die Zusammenarbeit zwischen militärischer und ziviler Zentralbehörde nur geringe Schwierigkeiten gemacht zu haben, da sich die Departementschefs in beiden einer erheblichen Selbständigkeit erfreuten und die einzelnen Departements des Oberkriegskollegs seit 1796 ebenfalls das Recht bekamen, an den Monarchen zu berichten und Weisungen an nachgeordnete Stellen zu erlassen. Eine wirkliche Kollegialität bestand seitdem hier ebensowenig wie dort. Mit dem Kriegskollegium war der preußische Behördenkörper abgerundet und entsprach erst jetzt dem anderer Staaten: es g a b f ü r die verschiedenen Ressorts des Auswärtigen, der Justiz, des Krieges und der Finanzen j e ein Kollegium mit mehreren Ministern. Nur hatten diese jedesmal den kollegialen Zusammenhalt ihrer eigenen Behörde gesprengt, so daß der Vereinigungspunkt jedes Ressorts eben doch nicht in ihnen selbst, sondern im Kabinett lag. Die Kollegialverfassung stand an ihrem Ende; die großen Ressorts sollten die Zukunft gewinnen. Bevor dies o f f e n b a r wurde, brachte der Regierungswechsel von 1797 eine Neuerung, die den Mangel auf dem Felde der Finanzverwaltung hätte überwinden können, wenn der Mann, der sie durchzuführen hatte, nicht selbst eine Persönlichkeit der ganz alten Schule gewesen wäre. Noch einmal brach der Thronfolger bewußt mit der Praxis seines Vorgängers; diesmal wollte e r wieder da anfangen, wo der inzwischen legendär gewordene große König aufgehört hatte. Friedrich Wilhelm III. berief deshalb den von seinem Vater gestürzten Schulenburg-Kehnert in die Regierung \ Dieser war inzwischen ein hoher Fünfziger geworden und verkörperte in seiner Person die Geschäftserfahrung, die dem neuen Herrscher in seiner Schüchternheit imponierte, zumal er in der pedantischen Ordnungsliebe, die der Minister zur Schau trug, einen dem eigenen Wesen verwandten Zug fand. Daher durfte Schulenburg seinen Platz im Generaldirektorium wieder einnehmen, brauchte a b e r nicht noch einmal Departement mit Departement zu vereinigen, denn er bekam die Möglichkeit, als Generalkontrolleur der Finanzen von einer Stelle außerhalb und über dem Generaldirektorium das Ganze zu leiten. Das Vorbild, an das man in Preußen bewußt anknüpfte, war a b e r nicht das französische, sondern das Friedrich Wilhelms I., der seinen Minister Kreutz ebenfalls als Generalkontrolleur bezeichnet hatte. Denn die Behörde, die Schulenburg in dieser seiner neuen Eigenschaft unterstellt wurde, damit er sie als sein Werkzeug benutzte, war nicht das Generaldirektorium, sondern die Oberrechenkammer, die auch in einer Epoche schlechter Finanzwirtschaft, eines leeren Schatzes und b e 1
Leo Hellmg, Schulenburg-Kehnert unter Friedrich Wilhelm III., Berlin 1936.
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trächtlicher Schulden die altpreußische Sparsamkeit und Pfennigfuchserei v e r k ö r p e r t e . Die Stellung dieser Behörde hatte sich bereits unter Friedrich Wilhelm II. in d e m M a ß e g e h o b e n , wie sich die allgemeine Finanzlage verschlechterte; als sie 1796 Immediatstellung g e w a n n 1 , w u r d e sie ganz aus der U n t e r o r d n u n g unter das G e neraldirektorium b e f r e i t und d u r f t e sich mit j e d e m Einwand g e g e n die Abrechnung eines Ministers an den Monarchen w e n d e n ; nur den Wunsch, selbst Minister zu w e r d e n , erfüllte Friedrich Wilhelm II. ihrem Präsidenten nicht. Wenn sie nun Schulenb u r g als Generalkontrolleur unterstellt wurde, so brauchte die O b e r r e c h e n k a m m e r darin keine H e r a b m i n d e r u n g zu sehen. Dem Kollegium d e r Generalkontrolle g e hörten zwar zwei G e h e i m r ä t e aus d e m Generaldirektorium an, doch hatten neben ihnen d e r Präsident und zwei O b e r r e c h n u n g s r ä t e ihren Platz. Die Instruktion f ü r Schulenburg 2 war so weit g e f a ß t wie einst die f ü r Kreutz, an die sie ausdrücklich erinnerte. D a h e r sah sich das Generaldirektorium von einer praktischen Untero r d n u n g b e d r o h t , wie sie die österreichischen Finanzbehörden f ü r kurze Zeit unter g a n z ähnlichen Umständen hatten ertragen müssen. Immerhin blieb die O b e r r e c h e n k a m m e r bei d e r nachträglichen Durchsicht aller Rechnungen, die meist beträchtlich hinter den Ereignissen herhinkte. D a f ü r mußte sich d e r Generalkontrolleur ihrer b e d i e n e n , wenn e r seinem A u f t r a g e g e m ä ß sämtliche Kassenbestände z u s a m m e n stellte, damit d e r Monarch einen Oberblick ü b e r die wirkliche Finanzlage bekam, b e v o r die Minister des Generaldirektoriums ihre jährlichen Etats einreichten. D a hinter stand die Möglichkeit, durch die Zusammenfassung sämtlicher Etats ü b e r die Kontrolle hinaus die wirkliche Finanzgebarung in ihrer Gesamtheit zu beherrschen, — ein echtes Finanzministerium, das zugleich die g e s a m t e Staatsverwaltung regierte, wie es d e r französische Generalkontrolleur tat. Wirklich h a t Beyme, der im Kabinett sämtliche inneren Angelegenheiten vortrug, dem Minister nach dessen Erinnerung den Vorschlag gemacht, die volle Verantwortung zu ü b e r n e h m e n und „ P r e m i e r minister" zu w e r d e n . Schulenburg jedoch traute sich den Griff nach d e r Macht nicht zu, d e r den friderizianischen Staat g a n z v e r ä n d e r t hätte, selbst wenn d e r B e h ö r d e n a p p a r a t formal bestehen geblieben wäre. Ja, e r schaffte nicht einmal die Voraussetzungen dazu und brachte die Kassen- und Etatseinheit, die d e r Generalkontrolle mit den ihr g e g e b e n e n Vollmachten o h n e weiteres möglich gewesen wäre, niemals zustande. Indem e r sich damit b e g n ü g t e , d a ß einige n e u e Provinzen ihre Etats und ihre G e l d e r mit denen des Generaldirektoriums vereinigten, brach Schulenburg den Stab ü b e r seine Generalkontrolle. Nicht einmal eine Aufstellung sämtlicher Beamtengehälter k o n n t e e r seinem A u f t r a g e g e m ä ß in den Jahren, die das alte Preußen noch bestand, vorlegen. Indem e r b e w u ß t an den friderizianischen Traditionen, denen seiner j ü n g e r e n Jahre, festhielt, obwohl sich die ä u ß e r e n und inneren Verhältnisse des Staates gewandelt hatten, stellte e r sich in eine Reihe mit den G e n e r a l e n , die sich an dieselben Überlieferungen klammerten und geschlagen w u r d e n . Schulen1 Instr. v. 4. Nov. 1796; Hertel, Die preußische Oberrechenkammer, Berlin 1884, 95 ff., dazu Ruppel-Kuhfuß 137. * Instrukt. Berlin, 19. Febr. 1798; Hertel 98—105. KO vom gleichen Datum, Hertel Erg. 1—2.
10*
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burgs Versagen war ein Versagen des Staates im ganzen und seiner tragenden Gesellschaftsschichten. Was in der ministeriellen Sphäre unterblieb, geschah immerhin in der Stille des königlichen Kabinetts. Wir haben gesehen, welche inneren Notwendigkeiten schon zu Friedrichs Zeiten eine Verteilung der Geschäfte unter seine Sekretäre nahelegten. Mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. bekam sie institutionellen Charakter. Als der bisherige Kammergerichtsrat Beyme Anfang 1798 zum Geheimen Kabinettsrat ernannt wurde, war er der erste Träger dieser Amtsbezeichnung. Zwar schärfte ihm seine Instruktion, dem Wortlaut aller vorigen folgend, Geheimhaltung sowohl in auswärtigen wie in inneren Angelegenheiten ein 1 , doch blieb seine Tätigkeit ganz auf das Innere beschränkt. In auswärtigen Sachen arbeitete Lombard neben ihm, dem der König anfänglich mißtraute und der deshalb erst 1800 zum Geheimen Kabinettsrat erhoben wurde. Damit war die Ressorttrennung im Kabinett nach auswärtigen, inneren und militärischen Angelegenheiten vollendet. Doch blieben dieKabinettsräte bei der Macht, die sie unter einem schwachen Monarchen in Händen hatten, ohne jede Verantwortung nach außen und stießen sich bald an dem wachsenden Selbstbewußtsein einer neuen Generation von Ministern. Es war die Frage der Zukunft, ob die notwendige Reorganisation des Staates von der Kabinetts- oder von der Ministerialbürokratie ausgehen würde. Dieser Kampf stand im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts bereits unter dem Druck der tiefer greifenden Wandlungen, die sich durch die Revolution im französischen Behördenwesen vollzogen hatten. Ihnen müssen wir uns daher zunächst zuwenden.
1
Hüffer, Kabinettsregferung 523.
VII.
Die Ministerialressorts unter der alten Monarchie in Frankreich 1 „In Frankreich regieren vier Minister das Königreich; der Finanzminister unter dem Namen des Generalkontrolleurs, der Marineminister, der Kriegsminister und der Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Diese vier Könige verständigen und vertragen sich nie. Eifersüchtig stößt der eine um, was der andere mit Geschick aufbaut. Da gibt es kein System, keinen Plan . . ., da gibt es kein Geheimnis und infolgedessen auch keine Politik Was Friedrich der Große in diesen Sätzen des Politischen Testaments von 1752, denen viele ähnliche an die Seite zu stellen wären, ausdrückt, ist keine Lesefrucht, obwohl er es bei Fénélon oder in den Memoiren Saint-Simons hätte lesen können und gelesen hat; es war vielmehr seine politische Erfahrung, die mit der Ansicht der Sachverständigen ganz Europas übereinstimmte, nur daß die Franzosen besser unterrichtet waren und daher fünf kleine Könige als ihre Tyrannen nannten. Gemeint waren die vier Staatssekretäre und der Generalkontrolleur der Finanzen, die sämtlich in der Regierung Ludwig XIV. ihre eigentliche Stellung erhalten hatten und sie mit der kurzen Unterbrechung während der Regentschaft das ganze 18. Jahrhundert hindurch bewahrten. Der Kanzler oder Siegelbewahrer, den jede moderne Verwaltungsgeschichte des ancien régime als Leiter der Justizverwaltung neben die übrigen Minister setzt, wird in solchen kritischen Äußerungen fast niemals genannt. Sein Amt ist auch nicht erst durch den königlichen Absolutismus, der unter den schwachen Nachfolgern Ludwig XIV. zu einer ministeriellen Tyrannis wurde, geschaffen worden, sondern war — wie überall — älterer, feudaler Entstehung. Ursprünglich Träger eines der großen Hofämter war der Kanzler nicht wie die übrigen, vom Marschall bis zum Kämmerer, ganz aus der Verwaltung herausgedrängt worden, weil er im Unterschiede 1
Die Verwaltungsgeschichte des französischen Ancien régime ist uns, auch unter den Gesichtspunkten der vorliegenden Arbeit, besonders gut bekannt. Wir können uns daher mit einem kurzen Abriß begnügen, der sich, abgesehen von Tocquevilles grundlegendem Werk, besonders auf folgende Schriften stützt: Paul Viollet, Le Roi et ses Ministres pendant les trois derniers siècles de la Monarchie. Paris 1912. A. de Jouvenel, Le contrôleur général des finances sous l'ancien régime. Thèse, Paris 1901. Marcel Marion, Dictionnaire des Institutions de la France au XVII1« et XVIIIe siècles. Paris 1923. Otto Hintze, Die Entstehung der modernen Staatsministerien, zuerst HZ 100, jetzt Staat und Verfassung, Ges. Abh. I, 1941, 265—310. « Pol. Test. 1752 ed. Volz 37—38.
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zu ihnen durch seine Kanzlei unersetzbare Funktionen ausübte, die sich verhältnismäßig leicht in eine gewandelte Welt einbauen ließen. Auch darin teilt der f r a n zösische Kanzler das Schicksal der ihm entsprechenden Würdenträger a n d e r e r europäischer Länder, daß er im wesentlichen auf diejenige Seite der Regierung beschränkt wurde, in der sich das Recht des Königs und des Staates darstellte: er bewahrte die Staatssiegel und legalisierte Urkunden, e r saß in den königlichen Sitzungen der Parlamente auf dem Platz über dem König, er empfing die Meinungen der Generalstände und sprach für seinen Herrn, er war der g e b o r e n e Präsident aller Gerichtshöfe, e r schritt bei dem Leichenbegängnis seines Königs hinter dem Sarg, aber ohne Trauerkleidung, weil wohl der König, aber nicht das im Kanzler personifizierte Recht sterblich ist. Schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren die verschiedenen Kanzler in den großen, der Krone anheimgefallenen Lehen beseitigt, doch war der eine Kanzler f ü r ganz Frankreich noch im 18. Jahrhundert unabsetzbar. Aber das war kein Hemmnis der absoluten Gewalt: fiel ein Kanzler in Ungnade, so behielt er nur seinen Titel; die Macht wurde ihm mit den Siegeln genommen und einem besonderen, jederzeit zu beseitigenden Siegelbewahrer anvertraut. In Frankreich ist dies die einzige Stelle, an der sich aus dem alten feudalen Hofamt in unmittelbarer Abfolge etwas wie ein modernes Ministerialressort entwickeln konnte. Dagegen ist das Amt der Staatssekretäre erst in der Neuzeit, a b e r ohne Abgrenzung der Geschäfte entstanden. Als Heinrich IL, kurz vor 1550, aus der Schar der Sekretäre des Königs vier f ü r besondere Staatsdienste aussonderte, bekamen sie die Amtsbezeichnung secrétaire des commandements du Roi et des finances und behielten sie bis zum Ende der alten Monarchie, in die Korrespondenz, die sie f ü r den König oder in seinem Auftrag zu führen hatten, teilten sie sich später nach geographischen Gesichtspunkten, so daß j e d e r von ihnen eine Reihe von auswärtigen Mächten und von Provinzen Frankreichs zu betreuen hatte. Noch war das Mißtrauen des Monarchen gegen den höheren Adel so stark, daß den Staatssekretären in dem ersten Reglement von 1588 vorgeschrieben wurde, sie dürften keine Beziehungen zu den Großen des Reiches unterhalten. Auch sah es der König nicht gern, daß seine Staatssekretäre neben ihrer amtlichen Korrespondenz zu ihrer Information noch eine* private politischen Charakters führten. Nach dem Reglement sollten jedenfalls alle Briefe aus ihrem Amtskreise an den König adressiert und nur in seiner Gegenwart erbrochen werden Im Gegensatz zu den feudalen Großoffizieren der Krone, zu denen auch der Kanzler gehörte, konnte der König seine Sekretäre jederzeit absetzen, auch erlosch ihre Stellung mit dem Tode des jeweiligen Monarchen. In ihnen stellte sich also die außerordentliche Auftragsverwaltung dar, mit der der Absolutismus die ordentlichen Beamten älterer Entstehung beiseite schob, ein Vorgang, der sich auf der Ebene der Provinzen in der Ernennung von Intendanten des Königs wiederholte Anders als 1 Viollet 243 ff. Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaitungsgeschichte, in Ges. Abh. I, Staat und Verfassung 1, 232 ff. 2
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in den meisten deutschen Staaten haben sich diese monarchischen Auftragsverwaltungen in Frankreich niemals zu Kollegien entwickelt. Die Staatssekretäre blieben Einzelpersonen ohne jeden kollegialischen Zusammenschluß. Jedem einzelnen von ihnen war bereits nach dem Reglement von 1588 ein Büro untergeordnet, das je aus einem Commis und sechs Schreibern bestand; das waren bloße Hilfskräfte des jeweiligen Sekretärs, der dem König gegenüber die alleinige Verantwortung trug, zumal für diejenigen Anordnungen, die er nicht bloß gegenzeichnete, sondern auf Grund eines generellen Auftrages im Namen des Königs hinaussandte. Seit Heinrich IV. sahen sich die königlichen Sekretäre für mehr als ein halbes Jahrhundert durch Erste Minister herabgedrückt, zuerst durch Sully, dann durch die großen Kardinäle, die den Glanz selbst des königlichen Namens in den Schatten stellten, aber eben durch ihr Werk den Absolutismus auf seine Höhe führten. Die Früchte erntete Ludwig XIV., unter dem die Staatssekretäre die Stellung erlangten, die sie bis zum Ende der alten Monarchie beibehielten. Die Selbstregierung, deren sich Ludwig XIV. rühmte, war eine Regierung durch die Staatssekretäre. Noch war, besonders nach den Tagen Her Fronde, die Sorge vor dem hohen Adel nicht eingeschlafen. Ludwig verstand es, die Träger der großen Namen politisch wehrlos zu machen, indem er sie in den Hofdienst zog; als Staatssekretäre wählte er sich dagegen Männer geringer Herkunft, die ihre hohe Stellung nur ihm verdankten, dann aber Adelstitel als Gnadengabe des Monarchen erhielten. Für ein militärisches Kommando war im 17. Jahrhundert immer noch hohe Geburt Grundbedingung, wurde sein Träger doch zu Lande oder zur See über adlige Offiziere gesetzt; der Staatssekretär, der für das Kriegswesen oder die Marine zuständig wurde, war dagegen niemals ein Soldat, sondern ein Verwaltungsbeamter, der noch mächtiger wurde, als Ludwig das Amt eines Oberstkommandierenden der Infanterie unterdrückte und nur Einzelkommandos übrig ließ 1 . Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts begann mit dem Marschall von Belle-Isle eine Reihe von hohen Soldaten im Amt des Staatssekretärs für den Krieg, mit dem Marquis deMassiac wurde ein Marinebefehlshaber für das Marinedepartement ernannt. Allerdings wurde ihnen für die eigentliche Geschäftsführung, die man einem hohen Adligen nicht zumuten konnte und wollte, ein Adjunkt beigegeben. Von einem adligen Kommandeur im Staatsamt drohte jetzt keine Gefahr mehr; der Druck von unten hatte Monarchie und Aristokratie zusammengeführt. Unter Ludwig XIV. befestigte sich die Zuweisung von bestimmten Sachressorts an die Staatssekretäre, die seit den Zeiten Heinrichs III. immer stärkere Fortschritte gemacht hatte. Es kam soweit, daß die Staatssekretäre wenigstens inoffiziell nach ihren Ressorts bezeichnet wurden, während die Bestallungen noch keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Secrétaires des commandements du Roi et des finances machten. Zuerst sammelten sich die auswärtigen Geschäfte in der Hand eines bestimmten Staatssekretärs, dann folgten die des Krieges, während sich die Marine und das Königliche Haus erst etwas später ressortmäßig abschlössen. Trotzi Vtollet 260 f. und 281 f.
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dem waren die Ressorts des Auswärtigen, des Krieges, der Marine und des Königlichen Hauses noch keineswegs von allen anderen Geschäften befreit; kaum einer der Staatssekretäre hörte auf, die Korrespondenz mit einer Reihe von Provinzen zu führen, so daß die sachliche und die geographische Geschäftsverteilung noch immer in einem gewissen Gegensatz zueinander standen. Der Durchsichtigkeit entbehrt die Verteilung der Provinzen noch mehr als die der Sachaufgaben; es scheint in vielen Fällen sogar dem Zufall überlassen, ob dem Staatssekretär überhaupt Provinzen zugeteilt werden. Im amtlichen Staatshandbuch, dem Almanac Royal, werden beim Staatssekretär des Auswärtigen ohne erkennbare Regel in aufeinanderfolgenden Jahren Provinzen genannt oder nicht genannt. Auch die Provinzen des Kriegs- und des Marineamtes sind sozusagen kein sicherer Besitz, doch verwaltet der eine meist die gefährdeten Grenzen, der andere die Seeprovinzen 1 . Nur das eine zeigt sich mit aller Deutlichkeit: den Löwenanteil der Provinzen behielt der Sekretär des Königlichen Hauses, der zugleich die Verantwortung für die Polizei in Paris und für die Gendarmerie im ganzen Lande übernahm, so daß es aussieht, als ob diese Entwicklung nur etwas energischer weitergeführt zu werden brauchte, um dies Staatssekretariat in ein Innenministerium zu verwandeln. Doch bedarf das Bild einer ziemlich weit fortgeschrittenen Ressorttrennung unter vier Staatssekretäre mit entsprechenden Büros einer wesentlichen Ergänzung. Ludwig XIV. regierte nicht nur mit Kanzlern und Staatssekretären als einzelnen, sondern mit ihnen im Rat oder genauer, in den verschiedenen engeren Ratskörperschaften, die aus dem alten, nur noch formal vorhandenen Geheimen Rat hervorgegangen waren. Aus ihnen kamen die wichtigsten Anordnungen, eingeleitet durch die traditionellen Worte: „Der König in seinem Rat hat befohlen und befiehlt . . . ." Das war keine bloße Formel; diese Anordnungen gingen wirklich, wenigstens ideell, vom König aus, während der Rat der Minister für den König keine verpflichtende Kraft besaß. Aber selbst Ludwig XIV. schloß sich meist der Mehrheit des Rates an und hörte mit besonderer Aufmerksamkeit auf den Berichterstatter, d. h. in den meisten Fällen auf den Staatssekretär, soweit dieser in den Ratskörperschaften vertreten war. Das gilt nicht unbedingt gerade für den wichtigsten und engsten, den Conseil d'en haut oder Conseil d'Etat für die ganz geheimen Staatssachen, die großen und politischen Entscheidungen. Unter dem Vorsitz des Königs versammelten sich hier ganz wenige, ursprünglich drei vertraute Räte, die zu jeder Sitzung besonders eingeladen wurden. Sie erhielten auf Grund dieser Teilnahme zwar den Titel Staatsminister, der den Staatssekretären als solchen nicht zustand, und behielten ihn auch, mußten aber stets damit rechnen, daß der König sie nicht mehr einladen ließ und sie damit aus dem Conseil d'en haut ausschieden. Nicht einmal der Staatssekretär des Auswärtigen war der Zuziehung sicher; jedenfalls kam es zu Anfang der Selbstregierung Ludwig XIV. vor, daß die auswärtigen Sachen im Conseil d'en haut nicht von dem zuständigen Staatssekretär Brienne, sondern von Lionne, der wiederum nicht Staatssekretär war, vorgetragen wurden; doch wurde 1
Viollet 284.
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er bald darauf Nachfolger Briennes im Staatsrat und im Staatssekretariat. Vorher (1661) war im Staatsrat als einziger Staatssekretär nur Le Tellier (Krieg) vertreten, denn Colbert, das dritte Mitglied, war Generalkontrolleur 1 . Der offizielle Platz der Staatssekretäre war der Conseil des dépêches. Er tagte ebenfalls unter Vorsitz des Königs, der sich hier freilich öfter als im Conseil d'en haut durch den Kanzler vertreten ließ. Im Conseil des dépêches wurden die Angelegenheiten der Provinzen erledigt, so daß wir hier wieder auf den Punkt zu stoßen scheinen, wo ein besonderes Innenressort hätte entstehen können, allerdings mehr eine kollegialische Institution. Aber schon die Tatsache, daß der Conseil d'en haut dreimal die Woche, der Conseil des dépêches nur einmal alle vierzehn Tage zusammen kam, läßt auf seine geringe Bedeutung schließen. Der Conseil des dépêches ist auch niemals zur eigentlichen Innenbehörde geworden. Dafür sorgte der einzelne Staatssekretär als ständiger Berichterstatter, der meist die Entscheidung bestimmte und sie durch sein Büro auch durchführte. Dafür sorgte noch mehr die besondere Stellung der Generalkontrolle, auf die wir noch einzugehen haben. Ludwig XIV. hat mit vollem Bewußtsein keinen Corpsgeist unter Kanzler und Staatssekretären aufkommen lassen und daher meist Mitglieder verfeindeter Familien ernannt oder Männer, die durch ihre Stellung in der Nähe des Königs Gelegenheit bekamen, sich zu verfeinden. Er führte die Regierung wirklich und legte sich die Pflicht auf, persönlich an den meisten Ratssitzungen teilzunehmen: Sonntags, mittwochs und donnerstags, dazu noch den Montag jeder zweiten Woche Conseil d'en haut; dienstags und sonnabends Conseil des finances und den anderen Montag alle vierzehn Tage Conseil des dépêchesSo konnte er, wenn auch keineswegs unabhängig von den Staatssekretären, den Gang der Geschäfte bestimmen, zu mindest durch die Männer, die er mit dem Amt betraute. Die Ludwige des 18. Jahrhunderts besaßen weder diè Arbeitskraft noch den Arbeitswillen des Sonnenkönigs; jetzt wurde jeder einzelne Staatssekretär selbständig, die Räte, die mit Absicht niemals zu körperschaftlicher Einheit erzogen worden waren, bloßer Schein. Nur die persönlichen Gegensätze unter den Staatssekretären beschränkten ihren Absolutismus; sie waren die vier kleinen Könige, die nicht wie ein Gespann in gleicher Richtung zogen, sondern den französischen Staatswagen nach verschiedenen Seiten zerrten, — in die Niederlagen und in die Revolution. In dem Überdruß an dem königlichen oder ministeriellen Absolutismus, den die Regierung Ludwigs XIV. schließlich hinterließ, wurde unter der Regentschaft der Versuch gemacht, die Staatssekretäre durch Ratskörperschaften, die wirklich die Geschäfte führten, zu entmachten. Nachdem dieser Versuch auf der ganzen Linie gescheitert war, hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben, der Hydra ministerieller Tyrannis die Köpfe abzuschlagen: entweder die Rückkehr zu einer wirklichen Selbstregierung, die die Person des Königs mit der ganzen Arbeit belastet hätte, oder die Ernennung eines Premierministers. Jedoch waren Ludwig XV. und Ludwig XVI. 1 2
Otto Hintze, Ges. Abh. I, 284—285. Hintze, I, 284.
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zu dem einen nicht fähig und zu dem anderen nicht bereit, weil sie den Schein königlicher Selbstregierung aufrechterhalten wollten. Dagegen sah die absolute Monarchie kein Hindernis, einem besonders begünstigten Staatsdiener auf einem anderen Wege ein höheres Maß an Macht zuteil werden zu lassen. Nach der Betrauung mit einem Staatssekretariat konnte demselben Manne ein zweites und in manchen Fällen ein drittes übertragen werden. So hat Lionne in der ersten Zeit Ludwigs XIV. noch das Marineamt übernommen, der Generalkontrolleur Colbert das Sekretariat der Marine und des Königlichen Hauses. Es ist eine Reihe, die sich unter Ludwig XIV. leicht fortsetzen ließe. Im 18. Jahrhundert sehen wir das bedeutendste Beispiel in dem Herzog von Choiseul, der praktisch Premierminister wurde, indem er das Auswärtige mit Krieg und Marine vereinen durfte. In den letzten Jahrzehnten der alten Monarchie spielte die Finanznot eine so große Rolle, daß das Antlitz der Regierung vornehmlich durch den Generalkontrolleur bestimmt wurde. Von diesen führte Turgot noch das Marinesekretariat. Sein Nachfolger wurde als Generalkontrolleur der wichtigste Minister, auch ohne eines der Staatssekretariate. Als Necker wirklich den Titel eines Ersten Ministers erhielt, vierzehn Tage nach dem Bastillesturm, stehen wir bereits in einer neuen Epoche. Als die Generalkontrolle der Finanzen von Ludwig XIV. geschaffen wurde, bekam sie durch eine geniale Persönlichkeit vom Range Golberts so feste Gestalt, daß sie bis zum Ende der alten Monarchie fast unverändert blieb (immer ohne Rücksicht auf die mehrjährige Unterbrechung während der Regentschaft). Schon im Mittelalter hatte das Hofamt eines Schatzmeisters (trésorier) nicht ausgereicht, obwohl es sich im Laufe der Zeit vervierfacht hatte. Der werdende moderne Staat brauchte mehr als Träger käuflicher Amter, bei denen die ordentlichen Einnahmen aus der königlichen Domäne und den Regalien und die außerordentlichen aus Steuern zusammenliefen; er brauchte Finanzmänner, die bares Geld schaffen konnten, indem sie ihren eigenen Kredit für den gefährdeten königlichen einsetzten. Es war eine gefährliche Doppelstellung zwischen Staatsbeamten und Staatsbankier, die sich in der Surintendanz der Finanzen ausbildete; da niemals recht zu unterscheiden war, wo die Grenze zwischen der Kredithilfe für den Staat und der persönlichen Bereicherung am Staate lief, saß den Surintendanten der Kopf um so lockerer auf den Schultern, als der König zugleich mit dem Urteilsspruch das Vermögen seines Finanzmannes zugunsten der eigenen Kasse einziehen konnte. Der letzte Surintendant war Foucquet, der dem jungen Ludwig XIV. durch eine keineswegs erfolglose, aber leichtfertige Geschäftsführung und durch seinen Aufwand verdächtig geworden war. Die treibende Kraft bei Foucquets Sturz war Colbert, der im Unterschied zu seinem Vorgänger nur nach der wirklichen Macht strebte und dafür gern auf den Schein und den Glanz der Macht verzichtete. Die äußere Stellung, die ihm Ludwig im Verwaltungsapparat des Staates zuwies, war viel bescheidener als die der Surintendanten. Colbert bekam bloß den Titel eines Generalkontrolleurs und erhielt nicht die Befugnis, im Namen des Königs zu zeichnen, wie sie alle Staatssekretäre besaßen. Der König wollte alle Finanzdekrete selbst unterschreiben; er unterzog sich dieser Aufgabe mit der ihm eigenen Reget-
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mäßigkeit, und es blieb seinen bequemeren Nachfolgern nichts übrig, als es ihm nachzutun. Da der Generalkontrolleur keine Zeichnungsberechtigung besaß, geschahen die Ausfertigungen nicht in seinen Büros, sondern in denen des Kanzlers oder der Staatssekretäre 1 . Die alte Einrichtung eines Conseil des finances, die so oft von den Surintendanten beiseite geschoben worden war und nach deren Sturz wieder Geltung gewann, wurde für und durch Colbert reorganisiert. Doch hatte der Generalkkontrolleur hier eine sehr bescheidene Stellung; er erschien im Kreise der Ratsmitglieder, die ihre seidenen Roben trugen, in seiner Zivilkleidung und war nicht eigentlich Mitglied des Rates, sondern dessen ständiger Berichterstatter. Den Vorsitz führte der König oder der Kanzler. Dazu schuf Colbert die Stellung eines Chefs des Finanzrates mit schönem Einkommen ohne besondere Dienstverpflichtungen 2 . All das hätte jeden anderen Minister des Königs in die zweite Reihe geschoben; in den Händen Colberts bedeutete jede einzelne äußere Benachteiligung gegenüber den derzeitigen Staatssekretären oder den früheren Surintendanten ein Mittel zur Ausübung wirklicher Macht. Der einzige Ordonnateur in Finanzsachen blieb also der König; aber Colbert überhäufte ihn daraufhin mit so vielen Unterschriften, daß der Monarch trotz seiner Absolutheit dem Gutdünken und der Sachkenntnis seines Generalkontrolleurs ausgeliefert blieb 3 . Obwohl Kanzler und Staatssekretäre einen höheren äußeren Rang bekleideten, bekam der Generalkontrolleur doppelt soviel Gehalt wie der höchstbezahlte Staatssekretär, und für seine Hilfskräfte war ihm mehr zugebilligt als sämtlichen Staatssekretären zusammengenommen 4 . Wenn die Befehle über Auszahlungen in den Büros der Staatssekretäre ausgefertigt wurden, — denn sie waren es, die das Geld auszugeben hatten, — so mußten sie sämtlich mit der Paraphe des Generalkontrolleurs versehen sein, ehe sie im Finanzrat vom König genehmigt wurden s . Der Finanzrat selbst umfaßte zu Colberts Zeit drei Mitglieder; aber einer von ihnen war ein Finanzintendant, also ein Untergebener des Generalkontrolleurs. Als die Zahl der Mitglieder vergrößert wurde, wuchs der Einfluß des äußerlich so bescheidenen Berichterstatters: von den acht Mitgliedern waren kurz nach der Mitte des 18. Jahrhunderts vier Finanzintendanten s . Unsere Darstellung kann von den besonderen Vergünstigungen absehen, die Colbert für seine Person erreichte. Nur ganz wenige andere Generalkontrolleure sind in den Conseil d'en haut aufgenommen worden; doch gelang es auch einer nicht unbeträchtlichen Anzahl seiner Nachfolger, die Generalkontrolle mit dem einen oder dem anderen Staatssekretariat zu verkoppeln. Die Stellung eines Generalkontrolleurs, wie sie Colbert ausgebaut hatte, genügte, um trotz aller formalen 1 2 3 4 0 8
Jouvenel 176 f. Jouvenel 78 und Viollet 231. Viollet 230. Jedenfalls in der letzten Zeit Ludwigs XIV; Viollet 232 und 264—265. Jouvenel 177—178 und 93. Jouvenel 78.
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Einschränkungen einen überragenden Einfluß auf die gesamte innere Politik und auf diesem Umwege schließlich auch auf die äußere auszuüben. Die innere Verwaltung lag offiziell in den Händen der verschiedenen Staatssekretäre; es gehörte zu deren Dienstobliegenheiten, die Korrespondenz mit den Vertretern des Königs in den verschiedenen Provinzen, den Intendanten, zu führen. Außerdem diente der Conseil des dépêches, in dem sämtliche Staatssekretäre Sitz und Stimme hatten, die Finanzverwaltung aber nur durch den Chef des Finanzrates vertreten war, der Durchberatung und der offiziellen Bestätigung ihrer Akte in inneren Angelegenheiten. Dem Anschein nach eine geographische Verteilung der Provinzen und der Minister, deren jeder ein Sachressort zu verwalten hatte, und eine Art von Kollegium für die Gesamtleitung des Innern. Aber auch das war nur Schein. Schon Tocquevilles scharfer Blick hat den entscheidenden Punkt entdeckt: „Wenn man ein Handbuch der alten Monarchie aufschlägt, findet man, daß jede Provinz ihren besonderen Minister hat; aber wenn man die Verwaltung nach den Akten studiert, bemerkt man bald, daß der Provinzialminister nur einige, wenig bedeutende Gelegenheiten amtlichen Wirkens gehabt hat. Der gewöhnliche Zug der Geschäfte wird von dem Generalkontrolleur geführt; er hat allmählich alle Angelegenheiten an sich gezogen, in denen Geldfragen aufgeworfen werden, das heißt die amtliche Befehlsgebung fast in ihrem ganzen Umfange. Man sieht ihn nacheinander als Finanzminister, Minister des Innern, Minister der öffentlichen Arbeiten, Handelsminister Anordnungen treffen" 1 . Die spätere Forschung hat dies nur bestätigt. Die Generalkontrolle war also kein bloßes Finanzministerium im heutigen Sinne des Wortes; sie entsprach eher den großen umfassenden Innenbehörden, wie sie im 18. Jahrhundert als Generaldirektorium in Preußen und ähnlich in Osterreich geschaffen wurden, und trägt daher durchaus noch die Züge des europäischen ancien régime. Wie wenig der Conseil des dépêches schon unter Ludwig XIV. neben dem Conseil des finances bedeutete, zeigt die bloße Tatsache, daß jener nur alte vierzehn Tage einmal, dieser zweimal die Woche zusammentrat. Im Laufe des 18. Jahrhunderts konnte der Generalkontrolleur sogar den Finanzrat so weit zurückdrängen, daß er schließlich nur einmal im Monat tagte 2 und damit gegenüber der ministeriellen Geschäftsführung zur Bedeutungslosigkeit herabsank. Die Regierung im Rate war völlig von der Bürokratie des Generalkontrolleurs zurückgedrängt. Seinen überragenden Einfluß machte der Generalkontrolleur durch ein im Vergleich mit den anderen Ministerialinstanzen außerordentlich großes Büro geltend. Von den Staatssekretären hatte nur der für die auswärtigen Geschäfte einen eigenen Amtssitz, die übrigen arbeiteten in ihren Häusern. Der Generalkontrolleur hatte ebenfalls ein eigenes Dienstgebäude, in dem die Geschäfte unter mehrere Intendanten, zuerst vier, dann sechs, verteilt waren, und zwar nach sachlichen Gesichtspunkten, nicht nach geographischen 3 . In diesem Hause erschien gelegentlich der 1 1
3
L'ancien régime. Livre II c. 2. Jouvenel 83.
Jouvenel 58—63.
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König, uni mit dem Generalkontrolleur zu arbeiten, ein Grund mehr für die Bedeutungslosigkeit der Ratssitzungen, die nicht viel mehr waren als ein leichter Schleier, der die ministerielle Allmacht verhüllen sollte 1 . In den Provinzen übte der Generalkontrolleur seine Macht weniger durch seine offiziellen, von den Staatssekretären ausgefertigten und gesiegelten Weisungen aus, als durch die formlose Korrespondenz mit den Intendanten, die den Staatssekretären ein Dorn im Auge war, weil ihnen die Gebühren dafür entgingen; doch konnten sie ihr Anwachsen nicht verhindern 2 . Eigentlich waren die Intendanten in den Provinzen die Vertreter der königlichen Gewalt schlechtweg; da der größte Teil ihrer Geschäfte vom Generalkontrolleur geleitet wurde, hatte dieser praktisch die entscheidende Stimme bei ihrer Berufung und bei ihrer Absetzung. Die Intendanten wußten das wohl und verhielten sich dementsprechend, war doch der Generalkontrolleur in der Zentrale die stärkste Stütze ihrer Macht in der Provinz. Das alte Frankreich arbeitete ohne festen Staatshaushaltsplan. Daher hatten die Staatssekretäre nicht die Möglichkeit, ein für allemal über diejenigen Summen, die im Benehmen mit der Finanzverwaltung festgelegt waren, zu verfügen; vielmehr stellte jede einzelne Verfügung eine neue Bewilligung des Königs selbst dar, die wiederum durch den Generalkontrolleur vorgelegt wurde oder wenigstens seine Paraphe tragen mußte. Auf diese Weise wurden die Staatssekretäre abhängiger, als es moderne Minister sind, die immerhin die Volksvertretung gegen die Finanzverwaltung ins Feld führen können. Selbstverständlich wurden alle großen Finanzfragen vom Generalkontrolleur besorgt, besonders die Festlegung der Steuern und die Verhandlungen mit den Steuerpächtern. Außerdem war der Generalkontrolleur für die gesamte Wirtschaftspolitik des Staates verantwortlich. Mit ihr hatte Golbert seiner Verwaltung eine gewaltige Last aufgebürdet, ihr aber zugleich ein gewaltiges Machtmittel geschaffen. Das ganze große Gebiet der Manufakturen, deren Aufnehmen die Staatskasse zu füllen hatte, war allein seine Sache. Dazu kam das große Feld der Handelspolitik, jedenfalls des Binnen- und des Außenhandels zu Lande. Der seegehende Handel unterstand dagegen offiziell der Marineverwaltung; doch waren die Kolonialgesellschaften als inländische Firmen der Generalkontrolle untergeben. Nach dem alten Kolonialsystem hatte die gesamte Wirtschaft der überseeischen Gebiete dem Mutterlande zu dienen, so daß es kaum eine Maßnahme des Staatssekretärs der Marine gab, für die sich der Generalkontrolleur nicht ebenfalls zuständig erklären konnte. Im allgemeinen gab es auch keinen Streit; das Marineamt pflegte sich in diesen Dingen der Generalkontrolle zu unterwerfen s . Es ist daher kein Wunder, daß der Generalkontrolleur von allen Menschen als der mächtigste Mann in der ministeriellen Bürokratie angesehen wurde, daß die Klagen über die diktatorische Allmacht der Verwaltung gerade auf ihn zugespitzt sind. Lord Portland will kurz vor 1700 aus dem Munde des damaligen Generalkontrolleurs gehört haben: „Sie haben bereits die Größe und die Pracht gesehen, 1
Saint-Simon 1717: „Léger fantôme", zit. Jouvenel Jouvenel 82. * Jouvenel 246. 2
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von d e r der König u m g e b e n ist, den Eifer, mit dem ihm alle seine Untertanen den Hof machen und dem geringsten seiner Blicke gehorchen. Nun, dieser so g r o ß e , so majestätische Fürst macht beständig seinem Generalkontrolleur den H o f " 1 . W e n n irgendwo, so gilt hier angesichts d e r weitgehenden Zuständigkeiten des G e n e r a l kontrolleurs und angesichts der fast ständigen Finanznot, die den König von ihm a b h ä n g i g machte, das Wort des alten Fontane, d e r Finanzminister sei eigentlich ein d o p p e l t e r Minister. Es g a b n u r eine Schranke seiner Machtvollkommenheit: e r konnte die G n a d e des Königs verlieren und entlassen werden. Tatsächlich g a b es in keinem Ministerium soviel Wechsel wie in d e r Generalkontrolle; Ludwig XIV. hat in den letzten zwanzig Jahren seiner Regierung acht, Ludwig XV. in seinen letzten zehn Jahren neun Generalkontrolleure verbraucht, so daß d e r Pariser Volkswitz das D i e n s t g e b ä u d e in d e r Rue Neuve des Petits Champs das Hotel der Umzüge n a n n t e 2 . So bewahrheitet sich das Bild, das man überall von d e r französischen Staatsverwaltung im 18. J a h r h u n d e r t b e k o m m t : unter schwachen Königen eine Despotie von fünf Ministern, die, meist uneinig untereinander, j e d e r eine eigene Politik machen; einer d e r G r ü n d e , warum ein Staat mit so g r o ß e n natürlichen Hilfsquellen im europäischen Machtkampf eine so wenig vorteilhafte Rolle spielte. Immerhin war die Ressortabgrenzung weiter fortgeschritten als in a n d e r e n Staaten: obwohl die Sachbezeichnungen erst w ä h r e n d d e r Revolutionszeit in die Gesetzessprache eingingen, war zumindestens mit Äußerem, A r m e e und M a r i n e eine klare Zuständigkeit f ü r gesamtstaatliche A u f g a b e n geschaffen. Ähnlich stand es mit dem älteren Amt des Kanzlers o d e r des Siegelbewahrers, in dessen Hand das Justizdepartement lag, n u r beschränkt durch eine verwaltungseigene Gerichtsbarkeit, wie sie in allen Staaten älterer Prägung bestand. Die Geschichte d e r Generalkontrolle fällt mit d e r d e r absoluten Monarchie ü b e r h a u p t z u s a m m e n ; nur daß die Entwicklung in Frankreich dem übrigen Kontinent um m e h r e r e Schritte vorausging. Wie es die Intendanten in den Provinzen taten, d r ä n g t e die Generalkontrolle alle älteren Machtfaktoren in d e r Zentrale zurück, o h n e sie g a n z zu beseitigen, verurteilte sie nur zur Bedeutungslosigkeit. Auf diesem W e g e sind ihr Preußen mit dem Generaldirektorium, O s t e r reich mit dem Direktorium in publicis et cameralibus nachgefolgt. Nur f ü r das Staatssekretariat des Königlichen Hauses g a b es anderwärts nichts Entsprechendes. Hausministerien sind in den deutschen Staaten erst in einer späteren Epoche entstanden, als d e r fürstliche Haushalt und d e r d e s Staates wirklich mit aller Strenge v o n e i n a n d e r g e t r e n n t waren u n d den Fürsten aus Staatsmitteln nur klar b e g r e n z t e Summen zuflössen, die sie zusammen mit dem Hausvermögen f ü r Familie und Hof verwenden durften. Im Frankreich des ancien régime war die O b s o r g e f ü r den königlichen Haushalt mit wichtigen Funktionen d e r Innenpolitik v e r b u n d e n ; zu ihnen gehörten Kirche und Polizei, diese a b e r im modernen Sinne des Wortes, d e r den Schutz des Staates g e g e n Umsturz und den Schutz d e r Staatsbürger g e g e n Rechtsverletzungen von Seiten a n d e r e r Bürger umfaßt. Polizei, wie wir dies Wort im 18. J a h r h u n d e r t in Deutschland gebraucht sahen, also die Wirtschafts- und 1 2
Jouvenel 45. Marion, Dictionnaire 144.
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die Wohlfahrtspolitik des Staates, war Sache der Generalkontrolle. Daß die weitaus größte Anzahl der Provinzen der Maison du Roi anvertraut war, bedeutete gegenüber der Generalkontrolle nur wenig. Jedoch konnte das Dasein eines Hausministeriums einmal der Ansatzpunkt für eine völlig neue Ressortabgrenzung werden. Wenn nämlich Finanzen und Inneres als Größen für sich angesehen wurden, konnte zwischen der Generalkontrolle und der Maison du Roi ein Gleichgewicht geschaffen werden. Dann entstanden ein Innenministerium und ein Finanzministerium, wie dies in der Revolution tatsächlich geschah. Dazu bedurfte es aber einer theoretischen Vorarbeit, die den für das 17. und für einen großen Teil des 18. Jahrhunderts charakteristischen Zusammenhang zwischen dem Absolutismus und dem Merkantilismus auflöste. Einen Kameralismus, in dem wir die deutsche Selbstdarstellung der aufgeklärten Monarchie kennenlernten, hat es in Frankreich ebensowenig wie in England gegeben. Als die deutsche Verwaltungswissenschaft in Justi einen Höhepunkt erreichte, war die französische Staats- und Wirtschaftstheorie bereits ganz andere Wege gegangen. In ihr fanden Absolutismus und Merkantilismus nicht Bestätigung, sondern erbitterte Gegnerschaft. Als Montesquieu die große Wendung vollzog und nicht mehr die Machtvollkommenheit der Regierung, sondern die Freiheit der Regierten in den Mittelpunkt stellte; als Rousseau die Volkssouveränität proklamierte, um die Freiheit durch Gleichheit zu verwirklichen, fand der Despotismus der Verwaltung keine bedeutenden Verteidiger mehr. Als die Physiokraten den Grundsatz der natürlichen, auf Freiheit beruhenden Ordnung des Wirtschaftslebens aufstellten, nahmen sie dem reglementierenden Merkantilismus den Boden unter den Füßen. Es braucht hier nicht ausgeführt zu werden, welche mächtigen politischen Wirkungen von diesen Wandlungen der Theorie ausgingen; für uns ist das Wesentliche, daß der Blick derer, denen es um die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens ging, von Verwaltungsfragen ab- und auf Verfassungs- und Wirtschaftsfragen hingelenkt wurde. Daraus ergab sich als notwendige Folge, daß die Weiterentwicklung der Verwaltung selbst beinahe ohne Hilfe der Theorie erfolgte, daß die Frage der zweckmäßigen Ressortabgrenzung als eine bloß technische angesehen wurde, soweit man ihr angesichts der vordringlichen Verfassungs- und Wirtschaftsfragen überhaupt Beachtung schenkte. Die französischen Ministerialressorts hatten sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausgebildet und abgegrenzt, aus praktischen Gesichtspunkten, in denen keine anderen theoretischen Überzeugungen wirkten als die von der notwendigen Allmacht der Monarchie, die sich die geeigneten Werkzeuge schaffen mußte. Die Umbildung dieser Ordnung anderthalb Jahrhunderte nach ihrer Entstehung ging dann fast unbeachtet vor sich, weil die Geister durch eine gesellschaftliche und Verfassungsrevolution in Anspruch genommen wurden. Nur die Verselbständigung von Verfassung und Wirtschaft, die für den werdenden Liberalismus bezeichnend ist, wurde ein mächtiger theoretischer Hebel des Neuen. Bevor wir jedoch zu diesen entscheidenden Veränderungen kommen, müssen wir einen kurzen Blick auf England und die eben entstehenden Vereinigten Staaten von Amerika werfen.
VIII. Blick auf England und die Vereinigten Staaten von Amerika Wer von der weit durchgereiften Verwaltungsgliederung der kontinentalen Staaten auf das England des 18. Jahrhunderts blickt, findet dort vieles, was anderwärts längst vergangen ist oder nur noch als ein Trümmerttück früherer Größe in eine veränderte Zeit hineinragt, in vollem Leben. Die parlamentarische Beschränkung des Königtums hatte dazu geführt, daß die Monarchie nach dem mächtigen Anlauf der Tudorzeit zu einer Reform des Behördensystems weder schreiten wollte noch konnte. Die korrupte Herrschaft der Parlamentsaristokratie, der Lords wie der Gemeinen, in der Zentrale, die Selbstverwaltung durch eben dieselbe Oligarchie auf dem Lande und in den Städten ließ es überhaupt kaum zu einer durchgreifenden Verwaltung kommen, die die Privilegien der bevorrechteten Stände hätte beschränken müssen. Dafür bildete sich als Ausschuß aus dem Geheimen Rat des 16. Jahrhunderts eine parlamentarische Kabinettsregierung mit einem Ersten Minister aus Obwohl das Kabinett von der Verfassungsgesetzgebung nicht anerkannt wurde, stellt seine still' schweigende Entstehung die wichtigste Veränderung der Staatsverfassung und Staatsverwaltung dar, die England als Folgeerscheinung der Glorreichen Revolution für mehr als ein Jahrhundert erlebte. Dabei wirkte die Notwendigkeit, eine nicht allzu große Körperschaft zur Erledigung der wichtigsten politischen Angelegenheiten bereit zu haben, zusammen mit der Zweckmäßigkeit ihrer Fundierung auf eine parlamentarische Mehrheit. Für die Zusammensetzung des Kabinetts aber war es entscheidend, daß seine Mitglieder nicht vom Parlament gewählt, sondern aus den Beamten der Krone erlesen wurden, nur daß der Monarch sich daran gewöhnte, Mitglieder des Parlaments zu Kronbeamten zu ernennen. Während der neue Behördenapparat auf dem Kontinent im Gegensatz zu den alten Hofämtern entstanden war, finden wir in England den Ersten Schatzlord als Premierminister wieder, den Kanzler der Exchequer als tatsächlichen Finanzminister, den Lordkanzler als Leiter eines Justizdepartements 2 . Die Finanzverwaltung war im wesentlichen kollegialisch aufgebaut, ihre Spitzen im Kabinett vertreten. Dabei war man in England noch weniger als auf dem Kontinent fähig, einen Staatshaushalt aufzustellen, der sämtliche Einnahmen und Ausgaben umfaßte. Es blieb bei Einzelbewilligungen des Parlaments für bestimmte, unter parlamentarischer Kontrolle stehende Zwecke rieben dem Domanium des Königs, in das wiederum das Parlament nicht hineinzureden hatte. Auf dem Kontinent war der Dualismus i Edward Reginald Tutner, The Cabinet Council of England in the 17 t h and Centuries 1622—1784. I. II. Baltimore 1930—1932. ' Otto Hintze, Ges. Abh. I 271.
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zwischen dem Finanzwesen des Monarchen und dem der Stände eindeutig zugunsten des Monarchen beseitigt; in England beruhte die Stellung des Parlaments und der Finanzverwaltung auf der Aufrechterhaltung des Dualismus, wobei die ständische Seite so an Gewicht gewann, daß die monarchische neben ihr dahinschwand. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, die unter den Tudors vom Königtum g e f ü h r t wurde und ein Machtmittel in der Hand des Monarchen gewesen war, hatte sich ebenfalls emanzipiert. Im Unterschied zum Kontinent lag die Führung hier bei den Interessengruppen selbst, die um dert Einfluß auf das Parlament kämpften und sich mit dem Siege der Whigs durchgesetzt hatten. Was Colbert in Frankreich durch die Generalkontrolle, was' sechzig Jahre später Friedrich Wilhelm durch das Generaldirektorium erreicht hatte, eine staatlich gelenkte Belebung der Eigenwirtschaft aus kleinen Anfängen, war jenseits des Kanals unnötig. Immerhin war im Board of Trade and Plantations auch in England eine kollegialische Staatsb e h ö r d e geschaffen worden, jedoch beschränkte sie sich bald auf Umfragen bei den Interessenten, die dann für gewöhnlich im Sande v e r l i e f e n 1 . Als Burke 1780 seine g r o ß e Rede „OntheEconomicalReform" hielt, nahm er besonders das BoardofTrade aufs Korn und bezeichnete es als eine bloße Sinekure, die acht Parlamentariern o h n e jeden Nutzen f ü r den Staat hohe Bezüge sichere 2 . Zu dieser Zeit stand das Board of Trade in enger Verbindung mit dem Staatssekretariat für die Kolonien, das — wieder nach Burke — so wenig zu tun hatte, daß man es ebenfalls abschaffen solle. Waren doch die Kolonien, die nach dem Abfall der Neuenglandstaaten noch übrig blieben, in den Händen von Handelsgesellschaften, die Ostindien ganz, Westindien größtenteils aus eigenem Recht regierten. Von den Staatssekretären, deren einem Burke so niederschmetternde Aufmerksamkeit schenkte, ging eine Entwicklung aus, die in unseren Zusammenhang gehört. Es gab eigentlich nur zwei Sekretäre des Königs, die ähnliche Aufgaben zu erfüllen hatten wie die französischen. Doch blieb es in England bei der alten geographischen Einteilung der Geschäfte. An ihr änderte sich auch nichts, als beide Staatssekretäre in das Kabinett eintraten. Ihre Hauptaufgabe lag dann in der auswärtigen Korrespondenz, zu Anfang nur soweit der König geneigt war, sie ihnen anzuvertrauen. Wilhelm III., unter dem sich das Kabinett ausbildete, führte daneben noch eine persönliche Politik, in die e r auch seinen Staatssekretären keinen Einblick gewährte; standen sie doch unter Aufsicht des Parlaments, dem Wilhelm seine besten Geheimnisse nicht anvertrauen wollte. Als das Haus Hannover auf den englischen Thron gekommen war, mußte es sich ganz auf die Whigpartei stützen und wirklich eine Regierung dulden, die nur von der Mehrheit des Parlaments abhängig war. Das englische Mißtrauen gegen eine königliche Politik zugunsten des Stammlandes Hannover nahm dem Monarchen die auswärtigen Geschäfte aus der Hand und konzentrierte sie auf die Staatssekretäre. Diese waren jedoch ursprünglich gar keine Minister des Äußeren, die den französischen entsprochen hätten, sondern sie waren 1 Dietrich Gerhard, England und der Aufstieg Rußlands, 1933, 31 f., nach A. H. Basye, The Lords Commissioners of Trade and Plantations, New Häven 1925. 2 Burke, Works, ed. Rogers I 249 f.
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eigentlich für alle Geschäfte des Königs da, ohne daß dieZuständigkeiten abgegrenzt gewesen wären. Daher konnte eine überragende Persönlichkeit wie der ältere Pitt von dem einen Staatssekretariat aus die gesamte Politik und Kriegsführung seines Staates in einem Ringen leiten, dessen Schauplatz die ganze Erde war, und brauchte sich auch durch den Premierminister nicht stören zu lassen. Er tat nicht mehr, als d a ß er alle Möglichkeiten ausschöpfte, die im Wesen seines Amtes als Staatssekretär lagen. Die Voraussetzung d a f ü r war freilich die Bereitschaft seiner Kollegen, ihm zu folgen o d e r ihn wenigstens gewähren zu lassen 1 . Es war dies nur ein, wenngleich das bedeutendste Beispiel dafür, daß die englische Staatswirklichkeit nicht von der Institution, von der Behördenorganisation aus begriffen werden kann, wie dies in den kontinentalen Staaten möglich ist. Nur weil das Staatssekretariat im 18. Jahrhundert f ü r gewöhnlich von Persönlichkeiten g e ringeren geistigen Ranges bekleidet wurde, konnte der Erste Schatzlord die Rolle eines Premierministers spielen. Auch saßen die Staatssekretäre meist bereits im O b e r h a u s , wenn sie ernannt wurden, o d e r sie rechneten mit der Erhebung zum Peer, so daß ihr Einfluß auf die entscheidenden Kräfte des Unterhauses gering blieb. Die bedeutenden Veränderungen in der Stellung der Staatssekretäre gingen daher von Außenseitern, also von C o m m o n e r s aus, von denen Pitt der eine, Fox der f ü r uns wichtigste andere war. Das Ressort des einen Staatssekretariats bildete das nördliche Europa mit Deutschland, Skandinavien, Polen, Rußland; das a n d e r e das südliche mit Frankreich und sämtlichen Mittelmeerstaaten bis zur Türkei. Diese Trennung war keinesfalls sinnlos und eine bloße Willkür der Verwaltungsentwicklung. Tatsächlich lebte in den Gedanken der europäischen Politiker, zumindest in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Vorstellung eines nördlichen und eines südlichen Staatensystems, wie es der deutsche Historiker Heeren noch um 1800 als Einteilungsgrund seiner g e schichtlichen Darstellung festhielt 2 , die von den Tagen der Entdeckung Amerikas bis zu seiner Gegenwart führte. Liefen doch in der größten Erschütterung dieses Staatensystems gleich nach 1700 der Spanische Erbfolgekrieg und der Nordische Krieg nebeneinander her, ergriffen fast alle Mächte des Erdteils und blieben doch jeder für sich ein selbständiges Geschehen. Obwohl der Aufstieg Rußlands seit Peter dem Großen und seit Katharina II. dazu geführt hatte, daß die beiden g e sonderten Kreise sich überschnitten und eben dadurch ein gesamteuropäisches Staatensystem entstand, setzte sich diese neue Einheit in der englischen Behördenorganisation erst 1782 durch. Bis dahin führte also j e d e r der beiden Staatssekretäre die Geschäfte eines Teils von Europa, meist mit einer Lässigkeit, die sich nur ein Staat erlauben durfte, dessen Augen mehr auf die O z e a n e als auf den Kontinent gerichtet waren. Das Regiment des älteren Pitt, der selbst nicht mehr als südlicher Staatssekretär war, ist das größte 1 Mark L. Thomson, The Secretaries of State 1681—1782, Oxford 1932; vgl. Dietrich Gerhard, HZ. 150, 1934, 156—157. 2 A. H. L. Heeren, Handbuch der Geschichte des europäischen Staatensystems, noch dritte Auflage, Göttingen 1819.
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Beispiel dafür, daß in der Regel der tätigere und klügere der beiden Kollegen die englische Außenpolitik im ganzen bestimmte, soweit diese Rolle nicht dem Premier zufiel. Die Dberlegenheit lag nur in persönlichen Kräften, nicht darin, daß der eine seinen Amtssitz ganz in der Nähe des Königs in Whitehall hatte, führte Pitt doch seine Geschäfte von Cleveland Row aus und beherrschte von dort aus das Ganze, wobei sein Stab bloß aus zwei Untersekretären und neun Schreibern bestand 1 . Wenn man auch, abgesehen von Pitt, eine gewisse Überlegenheit des südlichen Staatssekretärs feststellen kann, so liegt es vielleicht daran, daß zu seinem Sekretariat noch die inneren Geschäfte, die Angelegenheiten der Kolonien und von Irland gehörten. Audi hier gilt es, daß die Innenpolitik, die der südliche Staatssekretär machen durfte, der Theorie nach alles nur Mögliche umfaßte, in Wirklichkeit bloß das, was ihm die anderen, insonderheit der Erste Schatzlord und der Kanzler der Exchequer, übrig ließen. Wenn wir, am Kontinent geschult, in England eine klare Ressortabgrenzung suchen, finden wir eine höchst persönliche, mehr zufällige Einflußnahme. 1765 wurde ein dritter Staatssekretär für die Kolonien ernannt 2 , aber wiederum nicht oder nicht in erster Linie aus Gründen sauberer amtlicher Scheidung der Geschäfte, sondern mehr, um den Einfluß der Regierung im Parlament zu verstärken. Ober dies dritte Staatssekretariat schüttete Burke 1780 seinen Zorn aus: Neben zwei beschäftigten Beamten besolde man einen dritten, der nur leere Mappen vorfinde und dessen Geschäfte in wenigen Minuten erledigt seien. Trotzdem meinte Burke, sei dies Staatssekretariat gesucht, denn es verfüge über die Mittel, Parlamentarier durch Stellungen und durch Zubußen zu gewinnen und dadurch Einfluß' auszuüben. Burke schlug vor, aus Ersparnisgründen zu den zwei Staatssekretären zurückzukehren, dann spare man nicht bloß das Gehalt des Staatssekretärs selbst, sondern auch die vielen Pfründen, die er zu vergeben habe. Man brauche bloß die Kolonialgeschäfte zu teilen wie die gesamten auswärtigen Sachen, Nordamerika dem nördlichen, Westindien dem südlichen Staatssekretär zuzuweisen 3 . Burke ging es demnach nicht eigentlich um eine rationale Einteilung der Ressorts, sondern um die Einschränkung der korrumpierenden Sinekuren. Trotzdem hat die Regierungsumbildung, die 1782 nicht unbeeinflußt von ihm stattfand, eine modernere Verteilung der Ressorts vollzogen. Sie wurde dadurch möglich, daß die königliche Politik des hartnäckigen Kampfes gegen die Befreiung Amerikas gescheitert war. Das dritte Staatssekretariat fiel ganz weg; so weit hatte sich Burke durchgesetzt. Doch dürfte es nicht bloß an dem Sieg der Whigs gelegen haben, wenn bei dieser Gelegenheit auch die Geschäfte der beiden bleibenden Staatssekretäre neu verteilt wurden, sondern ebenso an Georg III. Dieser hatte es bereits 1771 als wünschenswert bezeichnet, daß der eine Sekretär die gesamten auswärtigen Geschäfte, der andere die inneren zusammen mit denen von Schottland und Irland besorgte. Jedenfalls konnte 1
„The Foreign Office" in The Cambridge History of British Foreign Policy III, Cambridge 1923, 541 f. ' A.H.Basye, The Secretary of State for the Colonies 1768—1782; Am. Hist. Rev. 28. 8 On the Economical Reform, Works i 248—249. n*
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Fox, der eine der neuen Staatssekretäre, den Gesandten offiziell mitteilen, daß der König ihm bei seiner Ernennung alle auswärtigen Sachen zugeschoben habe 1 . Sein Kollege Shelburne verwaltete jetzt das Innere, Irland und die Kolonien. So entstanden das Foreign Office auf der einen, das Home Office auf der anderen Seite. Doch war sich selbst ein Mann wie Burke der grundsätzlichen Bedeutung dieser Veränderung so wenig bewußt, daß er in seinem Arnual Register wohl die Ernennung der beiden neuen Staatssekretäre, aber nichts über den geänderten Umfang ihrer Geschäfte mitteilte 2 ; seine politisch interessierten Leser erfuhren also weder von einem neuen Foreign Office noch von einem Home Office. Auch die Nächstbeteiligten sind sich über die Tragweite der Errichtung zweier neuer Sachressorts kaum klar gewesen; sonst hätte Fox seine erste Rede im Parlament nicht über die Irlandfrage halten können, die doch in den amtlichen Bereich seines Kollegen gehörte s . Leider vertraten die Mitglieder der neuen Regierung Rockingham, vor allem die beiden Staatssekretäre, zwei Richtungen der Whigpartei, die in scharfem Gegensatz zueinander standen. So war ihr kein langes Leben beschieden. Als Fox mit den Amerikanern verhandelte, weil er die Vereinigten Staaten bereits als eine faktisch bestehende politische Größe ansah, sah er sich von seinem Kollegen Shelburne bekämpft, der die Auseinandersetzung mit den abgefallenen Kolonien als Angelegenheit seines Ressorts betrachtete, weil ihre Selbständigkeit erst im Friedensschluß anerkannt werden sollte. Bei der grundsätzlichen Bedeutung dieses Ressortkampfes mußte Fox zurücktreten, als er von seinen Kollegen in der Regierung verlassen wurde. Fox hat das neue Foreign Office, wenn man es überhaupt schon so nennen darf, das Jahr darauf noch einmal geleitet, aber ebenfalls nur wenige Monate. Dann übernahm der jüngere Pitt die Regierung, aber als Erster Lord des Schatzes. In seiner Eigenschaft als Premierminister sah Pitt eine ganze Reihe von Staatssekretären beider Ressorts neben oder besser unter sich. In dem jüngeren Pitt stellte sich nämlich das neue Premierministerium dar, das im Vertrauen zuerst des Königs, dann der Mehrheit des Unterhauses die Gesamtpolitik nach innen und nach außen beherrschte, so daß den Staatssekretären weniger Bewegungsfreiheit blieb als vorher. Der große Krieg der Französischen Revolution ließ erneut ein drittes Staatssekretariat, aber für die Kriegsverwaltung entstehen. Auf diese Weise sollte diesem Ressort mehr Gewicht gegeben werden, als es mit dem bisherigen Secretary at War möglich war, der dem Kabinett nicht angehörte. Trotz der Ernennung eines Staatssekretärs für Kriegssachen wurde die Stelle des Secretary at V/ar nicht eingezogen, ohne daß für eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten gesorgt worden wäre. Kurz nach der Begründung des späteren Home Office faßte einer seiner Beamten die Pflichten dos Staatssekretärs mit folgenden Worten zusammen: „Die Geschäfte des Sekretärs des Staatsamtes für das Innere Departement umfassen alles, was sich 1 2 3
Thomson, The Secrelaries of Stete, S. 160—161.
Vgl. Annual Register 1782, S. 177 f. Am 8 . April 1782 „Affairs of Ireland"; Fox, Speeches II, 1 8 1 5 , 4 9 f.
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auf die innere Regierung von Groß-Britannien, Irland, Jersay, Gournsay, Alderney, Serk, die Insel Man, die Kolonien in Nordamerika, Westindien, Ostindien, Afrika und Gibraltar bezieht. Angelegenheiten der Einkünfte und der Admiralität sind selbstverständlich ausgenommen. Aber alle anderen Angelegenheiten wie Verleihungen von seiten der Krone, Patente für die Armee, Beförderungen in der Kirche, soweit seine Majestät sie zu vergeben hat, Bestätigungen für Ernennungen der Lordleutnants in der Miliz und Geschäfte betreffend Verbrecher gehen durch dies Amt und werden seiner Majestät vom Staatssekretär zur Unterschrift oder zur Genehmigung vorgelegt" 1 . Diese Schilderung des Gesdiäftsumfanges wird durch die veröffentlichten Akten voll bestätigt. Zum erstenmal tritt uns hier ein Innenressort entgegen, das ohne jeden Zusammenhang mit Finanzaufgaben blieb. Bei seiner Entstehung dürften kaum grundsätzliche Erwägungen mitgesprochen haben. Es war eine praktische, fast zufällige Lösung einer gegebenen, mehr persönlichen als sachlichen Frage. Es brauchte eigentlich nur noch die Kolonialverwaltung abgesondert zu werden, um das Home Office in seinem wörtlichen Sinne zu verwirklichen; das ist aber erst später geschehen. Die Errichtung des Home Office hat außerhalb Englands kaum Schule gemacht. Das wäre nur möglich gewesen, wenn ihr eine ähnliche Zusammenfassung der finanziellen Kompetenzen innerhalb eines Ministeriums oder Staatssekretariats gefolgt wäre. Auf dem Kontinent hatte die Notwendigkeit, starke Armeen zu schaffen und materiell zu versorgen, die großen Innenbehörden mit finanziellen und politischen Aufgaben entstehen lassen. In England konnten die mittelalterlichen Einrichtungen, Treasury und Exchetjuer, bis ins 19. Jahrhundert bestehen bleiben, weil der militärische Zwang hier unnötig war. Erst nachdem sich die modernen Ministerialressorts nach dem Vorbilde des revolutionären Frankreichs auf dem ganzen Kontinent durchgesetzt hatten, bildete sich die englische Verwaltung nach ihrem Muster um, wobei sie unmittelbar an die eigene Uberlieferung anknüpfen konnte.
In Deutschland haben wir im 17. Jahrhundert aus Erbteilungen eine Reihe von neuen „Staaten" entstehen sehen, deren Verwaltung von Grund auf neu gebildet werden mußte und sich doch bloß der in anderen Herrschaften erprobten Formen bediente. Am Ende des 18. Jahrhunderts erlebte die Welt die Geburt einer neuen Großmacht in den Vereinigten Staaten von Amerika, die ihr Dasein in einem langen Kriege gegen das Mutterland erkämpfen mußten. Auch sie wurden erst dadurch ein Staat, daß eine Verwaltung ihrer Verfassung Dauer verlieh. Bei den neuen Fürstenstaaten Deutschlands stand die Verfassung selbst außer Frage: es waren Monarchien im Duodezformat, ihre Geburtsurkunden dynastische Erb- und Teilungsverträge, die höchstens die Privilegien ihrer Ritterschaft zu wahren versprachen. Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden eine Demokratie, jeder weiße Bürger- durch Präsidenten- und Kongreßwahlen unmittelbar an der Willensbildung des Staates beteiligt. 1
Calender of Home Office Papers, 1878 I, Preface III.
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Diese Verfassung sah wohl eine Verwaltung unter der Leitung des Präsidenten vor, doch drückte sich ihr Text in Artikel II Sektion 2 nur ziemlich unbestimmt aus: „Der Präsident. . . kann die schriftliche Meinungsäußerung der vornehmsten Beamten in jedem der Exekutivendepartements über jede Angelegenheit, die zu den Pflichten der betreffenden Ämter gehört, einholen." Damit war eigentlich nur festgelegt, daß eine Reihe von Verwaltungsdepartements mit Einzelpersönlichkeiten an der Spitze einzurichten wären und daß diese höchsten Beamten dem Präsidenten und niemand anders unterstellt seien. Immerhin hatte sich die Verfassung für die büromäßige Organisation der Verwaltung entschieden, aber ohne die Departements untereinander abzugrenzen. Dabei hatten die Staatsämter bereits eine kurze Geschichte hinter sich, als die Verfassung beschlossen wurde. Die revolutionäre Autorität der dreizehn Staaten, die ihre Unabhängigkeit erklärten, stellte sich im Kongreß dar, der für die wichtigsten Sachaufgaben Kommissionen aus seinen eigenen Reihen bestellte. Sie hatten vornehmlich der Kriegführung zu dienen; die Versorgung der kämpfenden Armee mit Sach- und Geldmitteln, die Herstellung von Beziehungen zu anderen Staaten, die Suche nach Bundesgenossen gegen die englische Krone waren die dringendsten Anliegen. Aber die Autorität des Kongresses und seiner Kommissionen stand auf schwachen Füßen. Die Einzelstaaten fürchteten für ihre Selbständigkeit. Die Spannung zwischen den finanziellen Erfordernissen eines weiträumigen Krieges und zwischen den mühsam und unzulänglich aufgebrachten Mitteln erzeugte eine Papiergeldwirtschaft, deren Werte bald ins Bodenlose absanken. Auf der anderen Seite war der Kongreß nicht geneigt, sich selbst zu beschränken und die ausübende Gewalt an Einzelpersönlichkeiten zu übertragen. Doch beschloß er schon im Januar 1779, seine auswärtigen Agenten sollten Berichte einsenden, wie die Verwaltungsdepartements des Krieges, der Marine, des Schatzes und andere in den verschiedenen Staaten Europas beschaffen seien; nur wissen wir nicht, ob solche Berichte eingelaufen sind und was sie enthielten Im September 1780 entwickelt Alexander Hamilton, der spätere Parteiführer, den ersten Plan einer Bundesverwaltung, die auf sichere und beständige, gesetzmäßig festgelegte Einnahmen gegründet werden müsse. Dazu solle der Kongreß sofort folgende Staatsbeamte ernennen: einen Sekretär für auswärtige Angelegenheiten, einen Kriegspräsidenten, einen Marinepräsidenten, einen Finanzier, einen Handelspräsidenten oder besser ein Kollegium für Handelsfragen, das nur dem Finanzminister nicht unterstellt werden d ü r f e H a m i l t o n berief sich ausdrücklich auf das Beispiel des verbündeten Frankreich; doch ist nicht zu ersehen, ob er die französische Generalkontrolle in ihrer ganzen Ausdehnung gekannt hat. Jedenfalls zeigt sein Wunsch, die Handelssachen streng von den im .engeren Sinne finanziellen zu trennen, daß er den ihm bewußten Gegensatz zwischen einer selbständigen Entwicklung der Wirtschaft auf der einen Seite und dem Steueranspruch des Bundes auf der anderen nicht wie auf dem Kontinent durch Zusammenfassung der Kom1 Henry Barrett Leamed, The President's Cabinet, New Häven 1912,56; zum Ganzen vgl. auch Mary L. Hinsdale, A History of the President's Cabinet, Ann Arbor 1911. 2 Works, ed. Lodge I, 215 f.
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petenzen einseitig zugunsten des Staates entscheiden wollte. Die englische Überlieferung erwies sich in diesem konservativen Revolutionär als stärker. Da Hamilton mit seinen Ansichten nicht allein stand und die Nöte der amerikanischen Revolution angesichts der Unfähigkeit des Kongresses, durch seine Kommissionen Ordnung zu schaffen, anstiegen, entschloß sich die Versammlung, in deren Hand die revolutionäre Gewalt, Legislative und Exekutive zusammengefaßt war, schließlich dazu, die Exekutive in den für den Augenblick wichtigsten Zweigen an Einzelpersönlichkeiten zu übertragen. Zuerst wurde Robert Morris zum Surintendanten der Finanzen gewählt, dann Livingstone zijm Sekretär der auswärtigen Angelegenheiten, Benjamin Lincoln zum Secretary at War, schließlich Mc. Dungall zum Sekretär für Marinesachen gewählt 1 . Damit waren vier Sachressorts geschaffen, in deren Bezeichnungen sich mit dem Wort Surintendant of Finance das französische Vorbild, in dem Secretary at War die englische Erinnerung ausdrückte. Da ihre Ämter sämtlich büromäßig organisiert waren, entsprachen sie in ihrem inneren Aufbau wie' in der Abgrenzung der Zuständigkeiten ungefähr den französischen Ministerien. Auch in Amerika zeigte sich die Tendenz, daß der Surintendant of Finance sein Arbeitsgebiet verbreiterte und seine Kollegen überflügelte: Nach ganz kurzer Zeit wurde das Marineamt aus Sparsamkeitsrücksichten, die Morris geltend machte, mit dem Departement des Finanzintendanten vereinigt. Aber nur so lange, bis Morris zurücktrat, weil er sich nicht imstande sah, mit diesem Kongreß das Finanzwesen nach seinen Ansichten zur Gesundung zu führen. Seine Geschäfte wurden wieder einem dreiköpfigen Ausschuß übertragen. Diese Rückkehr zur revolutionären Praxis gilt aber nur für Morris' Ressort, während die Sekretäre für Auswärtiges und für das Kriegswesen blieben. Immerhin unterstanden sowohl der kurzlebige Surintendant wie die Staatssekretäre dem Kongreß, besaßen sie keine Gewalt aus eigenen Rechten. Nur die Überlegenheit, die sie sich als Sachverständige erwarben, gab ihnen in vielen Fällen die Möglichkeit, im Kongreß, dessen Willen sie eigentlich nur auszuführen hatten, ihrerseits die Initiative zu ergreifen und ihm die von ihnen gewünschten Vorlagen aufzuzwingen. Hier begann dieselbe Entwicklung, die den Staatssekretären und dem Generalkontrolleur in Frankreich die Vorherrschaft über die verschiedenen königlichen Ratskörperschaften gegeben hatte. Mit der Verfassung schloß eine neue Versammlung, der Konvent, die Revolution ab, trennte die Legislative endgültig von der Exekutive und vertraute diese einem Präsidenten an, der sich auf allgemeine Wahlen stützen konnte. So lakonisch die Bestimmungen der Verfassung über die Leiter der Regierungsdepartements waren, die der Präsident zu ernennen hatte, das eine lag wenigstens fest, daß es Einzelpersönlichkeiten mit Büros, keine Kollegien sein sollten. Doch hat der Konvent immerhin Stellung zu der Frage genommen, welche Amter eingerichtet und wie sie dem Präsidenten zugeordnet werden sollten; nur war darüber keine Einigkeit zu erzielen. Auch hier lag das Interesse durchaus bei den Verfassungsfragen, nicht bei 1
Leanied 54
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der Verwaltungsordnung. Jedoch wurde es als eine Verfassungsfrage empfunden, wie sich der Präsident beraten zu lassen hatte. Bei den Vorschlägen dafür kam es zugleich zu einer näheren Kennzeichnung der Ämter selbst, deren Träger also den Rat des Präsidenten bilden mußten. Im August 1787 legte der Gouverneur Morris — eine andere Persönlichkeit als der frühere Surintendant — einen ausgearbeiteten Plan vor, nach dem sich der Präsident außer mit dem Oberrichter und einem Staatssekretär für seine Präsidialkorrespondenz mit fünf Departementschefs umgeben solle, wobei Morris als Ressorts Inneres, Handel und Finanzen, Außeres, Krieg und Marine bezeichnete. Als der Plan im Ausschuß des Kongresses verhandelt wurde, fand er wenig Gegenliebe und wurde grundlegend verändert. Die Mehrheit wollte nämlich den Präsidenten des Senats und den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses in den Präsidentschaftsrat einbeziehen, so daß Exekutive und Legislative zugleich vertreten gewesen wären. Auf diese Weise wäre die Trennung aufgegeben worden, auf der die werdende Verfassung beruhte. Dazu war der Konvent in seiner Gesamtheit nicht bereit; die Vorlage wurde schon im Ausschuß begraben und gelangte nicht an das Plenum Der Konvent kam überhaupt nicht dazu, den Rat des Präsidenten in der Verfassung zu verankern, obwohl die Sache selbst bei der Bedeutung, die die Stellung der hohen Beamten in der Exekutive hatte, nicht einschlief. Die Auseinandersetzung darüber ging nicht in den Beratungen vor sich, sondern jn außerparlamentarischen Flugschriften, in denen einerseits immer wieder verlangt wurde, der Präsident müsse einen Staatsrat um sich, haben, andererseits die Sorge laut wurde, daß ein solcher Rat von nicht verantwortlichen Männern eine Gefahr für die Freiheit des Landes bedeute. In einer Schrift von Pinkney fiel zum erstenmal das Wort Cabinet Council; wie die englische Verfassung, meinte Pinkney, ein Ministerkabinett hervorgebracht hätte, ohne es im Verfassungsrecht zu verankern, so brauchten auch die Vereinigten Staaten ein solches Kabinett neben und unter dem Präsidenten. Ein kleiner Kreis von Politikern, sagt der Gelehrte, der sich am eingehendsten mit dieser Entwicklung befaßt hat, kannte und schätzte also bereits die Bedeutung des englischen Kabinettsrats Die Verfassung ließ aber alles offen. Sie sprach nur davon, daß der Präsident bei den von ihm selbst ernannten und nur ihm verantwortlichen Departementschefs schriftlichen Rat einholen solle, nicht von mündlichen Verhandlungen ihrer Gesamtheit. Selbst über die Departements war nichts Genaues festgelegt, so daß dem Willen des Präsidenten und der nachfolgenden Gesetzgebung alles zu tun blieb. Nun waren die Departements des Auswärtigen, des Krieges, der Marine bereits vorhanden und brauchten nur nach dem Willen Washingtons besetzt zu werden. Auch die Zuziehung des Attomey General als Generalfiskal des Staates wurde nicht bestritten. Dagegen blieb es eine offene Frage, ob ein Staatssekretariat für das Innere geschaffen werden solle. 1 1
Learned 76 f. Learned 92—93.
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Wir wissen, d a ß längst die Rede davon gewesen war. Pelatiah Webster hatte schon 1783 als erster gefordert, daß ein Staatsamt des Innern errichtet werden müsse, weil alle anderen Nationen eins h ä t t e n 1 , eine Begründung, die nach allem, was wir ausgeführt haben, nicht eben von genauer Kenntnis der europäischen Verwaltung zeugt; denn Webster meinte eine Innenverwaltung, die neben einem besonderen Finanzdepartement fungieren sollte. Websters Forderung hat keine andere Folge gehabt, als daß mehrere ein Innensekretariat unter den zu errichtenden Ämtern aufzählten, o h n e daß wirklich ein solches geschaffen worden wäre. Nach der Annahme der Verfassung wurde die Sache durch einen Antrag Vining im Kongreß vorwärts getrieben, einen eigenen Staatssekretär mit der Sorge für die authentische Veröffentlichung und Durchführung der Unionsgesetze, mit der Prüfung der Staatengesetze auf ihre Übereinstimmung mit denen des Bundes, mit der Führung des Großen Siegels und mit wirtschaftlichen Fragen zu betrauen 2 . Das wichtigste Argument, das Vining im Kongreß entgegengehalten wurde, lautete: „ J e weniger Schriftwechsel die Bundesregierung mit den Einzelstaaten führt, desto besser." Es war der Widerspruch der Einzelstaaten gegen eine Bundesexekutive, die sie in ihrer Selbständigkeit beschränken könnte. Die Mehrheit des Kongresses war nicht gewillt, dem Bunde die Rechte zuzugestehen, die im Antrag Vining enthalten waren, und zog es vor, auf die Empfindlichkeit ihrer Heimatstaaten Rücksicht zu nehmen. Der Präsident mochte in einer so dornigen Frage keinen Druck ausüben. In der Debatte blieben von den Bundesaufgaben, die noch unterzubringen waren, schließlich nur die Führung des Großen Siegels und die Veröffentlichung der Bundesgesetze übrig. Diese beschloß der Kongreß, eigentlich aus einer gewissen Verlegenheit, dem Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten zuzuschreiben. In dieser Form unterschrieb der Präsident am 15. September 1789 das Gesetz. Doch konnte sich der Kongreß der Notwendigkeit nicht ganz entziehen, die Exekutive des Bundes mit der der Staaten in ein bestimmtes Verhältnis zu bringen, b e g n ü g t e sich a b e r kurz darauf mit dem Zusatz, der Staatssekretär solle sich von Zeit zu Zeit so viele von den Verfassungsgesetzen der Einzelstaaten verschaffen, wie dies innerhalb der Pflichten seines Amtes läge. Damit war die Stellung des auswärtigen Departements wesentlich verändert; es bekam nun die Bezeichnung Staatsdepartement, eben wegen j e n e r Innengeschäfte. Dadurch, daß er die Gesetze veröffentlichte und das Siegel der Vereinigten Staaten führte, erhielt der Staatssekretär eine Würde, die ihn nicht unwesentlich über seine Kollegen erhob, e r g a b sich eine e n g e r e Verbindung zu dem Chef der Exekutive, dem P r ä s i d e n t e n s . Jedoch erhöhte diese Erweiterung der Pflichten die Schwierigkeit, den vom Präsidenten in Aussicht genommenen Mann für seine Stellung zu gewinnen. Jefferson fühlte sich den auswärtigen Geschäften, die ihm Washington angeboten hatte, wohl gewachsen, wollte sich aber nicht noch die inneren aufladen lassen, weil 1
Learned 254.
a
Galliard Hunt. The History of the Departement of State. American Journal of International Law, II, 1908, 600.
•3 Hunt III, 1909, 145.
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er sie für umfassender hielt als jene. Madison, der im Auftrage Washingtons mit Jefferson darüber verhandelte, konnte ihn jedoch davon überzeugen, daß er die inneren Aufgaben des neuen Staatsdepartements wesentlich überschätze, machte ihn also wahrscheinlich darauf aufmerksam, daß die Selbständigkeit der Einzelstaäten diese Seite seiner Tätigkeit von selbst beschränken werde Als Jefferson sein Departement einrichtete, schuf er zunächst zwei Abteilungen, ein innen- und ein Außenamt mit besonderen Unterbeamten und mit getrennten Etats, die zugleich zeigen, mit wie bescheidenen Mitteln sich die Bundesverwaltung in ihrer ersten Zeit begnügte. Doch dauerte die Trennung der Abteilungen und der Etats im Staatsdepartement nur Monate; dann trat einer der Principal Clerks zurück, weil er mit seinem Gehalt unzufrieden war, und der andere übernahm die ganze Arbeit unter der Leitung von Jefferson als Staatssekretär 2 . Für eine Reihe von Jahrzehnten unterstanden dem Präsidenten der Vereinigten Staaten also nur vier Exekutivbehörden, das Staatsdepartement und die Departements der Finanzen, des Krieges und der Marine; dazu kam noch der Attorney-General, der dem Bund nicht einmal seine ganze Arbeitskraft zu widmen brauchte. Die Chefs der Departements bildeten nun doch einen Kabinettsrat, nur blieben sie bloße Beauftragte des Präsidenten, ohne eigene Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, wie sie die englischen Minister gegen ihren König geltend machen konnten. In Wirklichkeit zeigte gleich der große Kampf zwischen Hamilton, dem Schatzsekretär, und Jefferson, dem Leiter des Staatsdepartements, daß die Exekutivorgane des Präsidenten zu Vorkämpfern von Parteien werden konnten, eine Entwicklung, die dann aber abgeschnitten wurde. Da die Verwaltungsformen, die die Vereinigten Staaten ausbildeten, mit ihrer büromäßigen Organisation und mit den Departements der Staatssekretäre den französischen näher standen als den englischen, konnte sie sich besonders leicht in der Richtung weiterbewegen, die die französische Verwaltung seit der Revolution annahm. Nur mit dem Unterschied, der durch die amerikanische Verfassung gegeben war: ihr bundesstaatlicher Charakter hatte zur Folge, daß der Präsident der einzige verantwortliche Träger der Exekutive blieb. Damit hängt auch die Zusammenfassung des auswärtigen und des inneren Ressorts zu einem Staatssekretariat zusammen, die sich sonst nirgends herausgebildet hat. Immerhin sahen wir auswärtige und Hoheitssachen im Preußischen Kabinettsministerium oder in der österreichischen Haus-, Hof- und Staatskanzlei in den Händen ein und derselben Behörde. Das lag an den ständischen Ursprüngen auch der deutschen Großstaaten und an der Tatsache, daß die Abgrenzung nach außen und die Erwerbung neuer Länge Angelegenheit ein und derselben Hauspolitik war. Eine solche gab es in der amerikanischen Republik nicht; dafür standen die Einzelstaaten dem Bunde als Träger eigener Rechte gegenüber, von denen keiner das Seine aufgeben mochte. Obwohl die Bundesgesetzgebung auch in den Staaten galt, blieb es doch eine offene, nur 1
Leamed 256. = Hunt III, 1903, 148 f.
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durch ein Rechtsverfahren lösbare Frage, wieweit die Zuständigkeiten des Bundes und der Staaten gingen. Der Verkehr zwischen Bund und Staaten nahm damit einen Charakter an, der den auswärtigen Geschäften ähnelte, wie wir dies in den Beziehungen der Monarchien zu ihren Ländern und deren Ständen beobachtet haben. Von daher bekommt die seltsame Vereinigung von Auswärtigem und Innerem im Staatsdepartement ihren Sinn; daher kommt es, daß es in Amerika volle sechzig Jahre dauerte, bis die immer stärker anwachsende Arbeitslast der Exekutivdepartements doch eine Trennung erzwang und das Staatsdepartement durch die Bildung eines Sekretariats für das Innere erleichtert wurde (1849). Das geschah ohne besondere Aufregung, zwar nicht ohne parlamentarische, aber ohne publizistische Kämpfe, die die Wählerschaft des gesamten Bundes aufgeregt hätten, einfach aus den Notwendigkeiten der Verwaltungsroutine1. War doch auch das neue Innenministerium der Vereinigten Staaten nur ein Sekretariat des Präsidenten als des alleinigen Trägers der Exekutive seines Bundesstaates.
* Learned 274 ff.
IX. D i e Entstehung d e r m o d e r n e n Staatsministerien in der Französischen Revolution Als der neue Generalkontrolleur Calonne 1783 in der Chambre des Comptes seinen Diensteid leistete, begrüßte ihn deren Präsident mit den Worten: „ D e r Generalkontrolleur ist in Frankreich die Vorsehung des Staates; er unterhält den Krieg, er führt den Frieden herbei, er belebt den Handel, den Ackerbau. Er erfüllt die Verpflichtungen des Souveräns gegen seine Untertanen; e r übersieht alle großen Interessen; ihre Stabilität ruht auf ihm, seine Voraussicht muß allumfassend sein; sein Gang . . . richtet sich auf das allgemeine Glück . . ." Was sich hier in den Lobesworten einer Festrede ausdrückte, war die letzte Selbstdarstellung der Finanzorganisation in der alten Monarchie Frankreichs, die nur noch den Schein von Sicherheit aufrecht erhielt. Denn sie war bereits ins Wanken geraten, weil sie den tatsächlichen Bedürfnissen des Staates nicht mehr zu genügen imstande war. Wenn Calonne die Fülle der Macht über die gesamte Innenverwaltung des Staates, wie sie den früheren Generalkontrolleuren zu eigen gewesen war, geflissentlich zur Schau stellen ließ, suchte er zurückzurufen, was eben verloren gegangen war. Zu Anfang desselben Jahres 1783, an dessen Ende Calonne ernannt wurde, hatte Vergennes als Leiter der auswärtigen Politik nach der erfolgreichen Beendigung des amerikanischen Krieges die Finanzkraft des Landes durch eine Veränderung der Verwaltungsspitze wiederherstellen wollen. Im Einvernehmen mit dem derzeitigen Generalkontrolleur Fleury ließ er sich zum Chef des Finanzrates ernennen. Diese Stellung bekam jetzt ein besonderes Gewicht, weil zugleich über sämtlichen anderen Verwaltungen ein Comité des Finances begründet wurde, in dem der Chef des alten Finanzrates, also Vergennes selbst, Fleury als Generalkontrolleur und der Siegelbewahrer saßen. Das neue Comité des Finances war nicht von Traditionen und Rechtsformen belastet. Die C h e f s derjenigen Verwaltungen, die die gewaltigen Kriegsanforderungen verbraucht hatten und auch in Zukunft die bedeutendsten Ansprüche an die Staatskasse stellen würden, die Staatssekretäre des Krieges und der Marine waren in eine Mediatstellung gedrückt. Sie wurden durch ein königliches Edikt angewiesen, dem Comité des Finances ständig Rechenschaft zu legen 2 . Es war ein Schlag gegen den französischen Ministerialabsolutismus, der von einer Partei unter den Ministern gegen die andere geführt wurde. Es hätte eines festen monarchischen Willens bedurft, um das Comité des Finances wirklich zu einem Vereinigungspunkt der Staatsverwaltung zu machen, von dem aus eine materielle Finanzreform 1
Charles Gomel, Les Causes financières de la Révolution française, Paris 1893, Il 81. Gomel, Il 38, vgl. Hintze, Ges. Abh. I 299; das Reglement Isambert, Recueil général 27, 256. 2
Die Entstehung der modernen Staatsministerien in der Französischen Revolution
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hätte unternommen werden können. Aber die opponierenden Minister gewannen die Königin und legten das Comité lahm, indem sie dessen Aufforderung, Entwürfe über Sparmaßnahmen in ihren Ressorts einzureichen, unbeachtet ließen. Nachdem sich zwei Generalkontrolleure in wenigen Monaten mit dem Reformversuch verbraucht hatten, bedeutete die Ernennung Calonnes den entscheidenden Schritt nach rückwärts, die Wiederherstellung der ministeriellen Selbständigkeit für sämtliche Ressorts, auch für den Generalkontrolleur. Calonne hatte nach wenigen Jahren abgewirtschaftet. Diesmal ließ sich die Königin überzeugen, daß ein neuer Mann mit dem Defizit nur dann fertig werden könne, wenn er die innere Staatsverwaltung ganz in die Hand bekäme. Brienne, der Erzbischof von Toulouse, wurde daher nicht zum Generalkontrolleur, sondern ohne eigenes ministerielles Departement zum Prinzipalminister und Chef des Finanzrates ernannt. Der Generalkontrolleur, den er sich zuteilen ließ, blieb also ein untergeordnetes Organ für die täglichen Geschäfte. Die großen Entscheidungen der Innen- und Finanzpolitik fällte der neue Prinzipal, der Form nach im Conseil des Finances, dem er dadurch neues Leben einzuhauchen versuchte, daß er ihn mit dem Handelsrat zusammenlegte 1 . Diesem Conseil wurde die Aufgabe zugeschoben, einen jährlichen Voranschlag für sämtliche Einnahmen und Ausgaben des Staates anzufertigen. Dies war bisher an der Vielzahl der Kassen gescheitert. Daher unternahm Brienne eine Reform der Tresorverwaltung; er beseitigte alle Einzelkassen und schuf eine Generalkasse, in der sämtliche Staatsgelder sowohl nach der Einnahme- wie nach der Ausgabenseite tatsächlich oder buchhalterisch zusammengefaßt wurden 2 . Die Voraussetzung für die gesamte moderne Haushalts- und Kassenführung des Staates war gesichert. Unter gewöhnlichen Umständen hätte Brienne auf seine Reform stolz sein dürfen. Er regierte die Innenpolitik und die Finanzen durch die Generalkontrolle als Administration und durch die Schatzkommission als Generalkasse. Sein Unglück war es, daß die drängenden Probleme des Tages nicht durch bloße Verwaltungsmaßnahmen zu lösen waren. Das Defizit war nicht zu besiegen, und der Ruf nach einer Beteiligung der Nation an der Schuldentilgung und an der Steueraufbringung war nicht zum Schweigen zu bringen. Die werdende Revolution verschlang die Verwaltungsreform. Während eine Gesellschaftsordnung zusammenbrach, fand das technische Instrument der Staatsverwaltung entweder keine Aufmerksamkeit oder als Werkzeug des Absolutismus radikale Ablehnung. Das zeigt sich auch an der Arbeit der Historiker. Die gesellschaftlichen und politischen Vorgänge der Revolution haben glänzende und eindringliche Darstellungen gefunden; doch mangelt es an einer Arbeit, welche die Wandlungen der Staatsverwaltung in der Revolution zu ihrem Gegenstand gemacht hätte 8 . Dabei wurden gerade damals diejenigen Formen und Methoden gefunden. * Hintze 1 299 Anm. 1 ; Isambert 28, 354. 30. März 1788, Isambert 28, 521; vgl. Bericht Lebruns vor der Nationalversammlung 21. Juli 1790, Archives Parlamentaires (im folgenden AP) 17, 222. 3 Die Lücke scheint jetzt ausgefüllt zu sein durch J. Godechot, Les institutions de la France sous la révolution et l'empire. Paris 1951. Das Werk war mir noch nicht zugänglich. 2
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mit denen die großen und die kleinen Kulturstaaten bis auf den heutigen Tag gelenkt werden. Das ist gewiß nicht das wichtigste und das folgenreichste Ergebnis der Epoche der Französischen Revolution und Napoleons; doch hoffen wir zu zeigen, daß es der Beachtung nicht ganz unwert ist. In den Generalständen und ihrer revolutionären Umbildung zur Nationalversammlung spielten Verwaltungsfragen zunächst keine Rolle. Die Vertreter der Nation waren erfüllt von dem Bewußtsein ihrer Pflicht, dem Staate eine neue Verfassung zu geben und der Welt ein Vorbild der Völkerfreiheit zu schenken. In ihren Reden und ihren Proklamationen gipfelte die allgemeine Tendenz der politischen Ideengeschichte, die sich ganz auf die Verwirklichung der Freiheit in der Staatsverfassung und in der Wirtschaft konzentrierte, während die Verwaltung, noch dazu eine Ministerialbürokratie, nur als das böse Prinzip der Freiheitsbeschränkung empfunden wurde. Die Fiktion eines grundsätzlich guten Königs und eines grundsätzlich bösen Hofes und böser Minister, wie sie während der ersten Jahre aufrechterhalten wurde, war die populäre Form der gleichen Grundanschauung. Theoretisch gründete sie sich auf der Lehre von der Gewaltenteilung, nach der es der Gesetzgebung, die sich so schnell und so fruchtbar in der Flut von Dekreten der Nationalversammlung betätigte, nicht zukomme, in die Exekutive einzugreifen. Das hatte den großen Vorzug, daß die Versammlung alle Unvollkommenheiten ihrer wirklichen Staatstätigkeit den Beauftragten des Königs zur Last legen konnte. Trotzdem erwies sich sehr bald, daß nur regiert werden konnte, wenn die Nationalversammlung die Minister wenigstens tolerierte. Als der Versuch eines schlecht beratenen Königs gescheitert war, die Nationalversammlung sich nicht auf die Stellung der alten Generalstände zurückdrücken ließ, Necker seinen Abschied genommen und der Sturm auf die Bastille die Ohnmacht der Monarchie offenbart hatte, kam es notwendig auch zu einer Umbildung des Ministeriums. Umrauscht von dem Jubel der Nationalversammlung kehrte Necker nicht bloß in sein altes Amt als Generaldirektor der Finanzen zurück, sondern wurde vom König zum Ersten Minister der Finanzen erhoben. Als solcher bewirkte er eine Verwaltungsänderung, die zugleich eine Verfassungsänderung darstellte und nur deswegen wenig Beachtung fand, weil ganz Frankreich auf eine viel weiter reichende Umgestaltung brannte. Bis dahin regierte der König in den verschiedenen Räten, vom Conseil d'en haut bis zum Conseil des finances. Necker wollte nun die unkontrollierbaren Einflüsse, die durch Ratsmitglieder außerhalb der Verwaltung, die Prinzen des königlichen Hauses und noch mehr durch die Königin im Hintergrund ausgeübt wurden, und die zu Neckers Sturz geführt hatten, endgültig ausschalten. Er, der selber der Nationalversammlung nicht angehörte, nur selten und wenig geschickt in ihr sprach und sich meist mit schriftlichen, zur Verlesung bestimmten Botschaften begnügen mußte, veranlaßte den König, drei Mitglieder, die sich einer gewissen Popularität erfreuten, in seinen neuen Staatsrat zu berufen. Die von Necker angeregte Umbildung gab sich als eine Entscheidung des Königs, die der Versammlung bloß mitgeteilt zu werden brauchte 1 . 1
Wortlaut des kgl. Sehr, an die Nat.-Vers.; Aulard, Histoire politique de la Révolution française 1926 7 , 38.
Die Entstehung der modernen Staatsministerien in der Französischen Revolution
175
Ein königliches Reglement befahl die Zusammenlegung aller Conseils zu einem einzigen, der nun bloß aus Necker, dem Siegelbewahrer, den vier Staatssekretären und zwei Staatsräten ohne Portefeuille bestand, welche letzteren beide ihre Stellung dem Vorschlage Neckers verdankten. Das war ein wirklicher Kronrat, in dem der König nur noch die Chefs der großen Verwaltungen hörte; neben ihm gab es keine andere Ratskörperschaft m e h r 1 . Für den Verlauf der Ereignisse und für den König selbst wurde es verhängnisvoll, daß er trotzdem noch immer nicht darauf verzichtete, auf die Königin und auf seine Brüder zu hören; gemessen an dem eigenen Reglement waren dies jetzt Extratouren, nur mit tödlichem Ausgang. Die von Necker eröffneten Möglichkeiten einer konstitutionellen Monarchie sollten bald abgeschnitten werden, nicht bloß von einem Könige, der sich an den Rat seiner Verwaltungschefs und ihre Gegenzeichnung nicht dauernd binden wollte, sondern auch von der Nationalversammlung. Diese beschloß nämlich, daß in Zukunft keines ihrer Mitglieder ein Ministerium annehmen dürfe. Während die weiterschreitende Revolution den König als Trophäe ihres Sieges nach Paris holte, vollzog sich im Lande eine zweite Revolution, die das Wesen der ausführenden Gewalt noch tiefer veränderte. Die Provinzen machten sich selbständig, indem sie die Vollzugsorgane des Königs und des Generalkontrolleurs, die Intendanten und Regisseure, beseitigten oder sich einfach nicht um sie kümmerten. Zu dem Widerstand gegen die bleibenden Feudallasten und ihre Ablösung in Geld kam praktisch eine Verweigerung der öffentlichen Abgaben, der Steuerstreik. Oberall bildeten sich eigene revolutionäre Vollzugsorgane. Mit ihren Gesetzen über die Einteilung in Departements und über die Gemeindeverwaltung konnte die Nationalversammlung den Strom, der sich ohne sie und möglicherweise gegen sie ergoß, nur legalisieren und abbremsen, indem sie die Vertretungsmacht in der Gemeinde an einen Zensus band. Sie hoffte den Gemeinden damit das gleiche bourgeoise Gepräge zu geben, das sie selbst trug. Der Innen- und Finanzverwaltung des Königs war jetzt jede Möglichkeit genommen, sich im Lande durchzusetzen. Dies war der Nationalversammlung in der Sorge vor einer monarchischen Gegenrevolution nur recht. Auch das rapide Sinken des Steueraufkommens, das nicht einmal die laufenden Bedürfnisse aus den Einnahmen zu decken erlaubte, begrüßte sie als ein Druckmittel auf den König und seine ministeriellen Berater. Die Nationalversammlung war einberufen worden, um das Defizit zu decken; daraus war eine Machtprobe geworden, in der die alten Einnahmequellen selbst zerstört wurden. In den letzten Monaten war auch die Popularität Neckers dahingeschwunden; er sah sich außerstande, die Finanzen wiederherzustellen. Daher faßte er den verzweifelten Entschluß, die Versammlung selbst zur Dbernahme der Verantwortung für die Finanzgebarung zu zwingen. In einer Denkschrift vom 12.März 1790 bot er ihr die gesamte Verwaltung des Tresors an; sie solle den Schatz durch einen 1 Reglement, 9. August 1789, Hintze I 300 nach Collection gén. des Loix . . . . I, I. Der ' Anteil Neckers, dessen Oeuvres ed. Staël II 25—26 und VI 113—114.
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Ausschuß aus ihrer Mitte leiten. Nachdrücklich betonte er, welchen erheblichen Teil seiner Macht der Finanzminister damit aus der Hand gebe 1 . Aber die Versammlung ging ohne Debatte zur Tagesordnung über. Erst als der König vierzehn Tage später sein Bedauern kundgab, daß I c k e r s Vorschlag nicht in Beratung genommen sei *, kam es zu einer kurzen Auseinandersetzung. Die Vertreter der Nation sahen eine Herausforderung darin, daß der Monarch sein Schreiben ohne ministerielle Gegenzeichnung hatte abgehen lassen, und zogen sich auf ihre früheren Beschlüsse zurück, nach denen keines ihrer Mitglieder ein Ministerium annehmen dürfe s . Die Tresorverwaltung betrachteten sie mit Recht als ein solches und lehnten es ab, sich mit ihr zu befassen. Sie wollten weiterhin durch Dekret Einnahmen und Ausgaben beschließen, die Verantwortung für das Ganze der Finanzen dagegen den Ministem des Königs überlassen. Immerhin sorgte die Constituante bald für eine ganz neue Einnahmequelle, indem sie den Verkauf der Staats- und Kirchengüter in Gang setzte und das erhoffte Ergebnis durch ein Papiergeld vorwegnahm. Die für diesen Zweck sehr im Gegensatz zu Neckers Absichten gegründete Extraordinarienkasse befand sich unter der Aufsicht der Versammlung, denn sie betrachtete ihr Papiergeld als eine „Emanation der volonté générale"*. Der Augenblick aber, wo die ersten tatsächlichen Assignatenposten von der Extraordinarienkasse an den Tresor des Königs ausgeschüttet wurden, weil dieser sonst nicht einmal den laufenden Ausgaben hätte gerecht werden können, gab der Nationalversammlung Gelegenheit, sich positiv mit der Frage der Tresorverwaltung zu befassen. Sie legte ihren Beratungen nicht Neckers Plan zugrunde, sondern einen Vorschlag ihres eigenen Finanzausschusses. Bis dahin hatte es keinen Unterschied zwischen den Finanzen des Königs und denen des Staates gegeben. In jenen Wochen räumte die Nationalversammlung auch mit diesem Wesenszug des ancien régime auf, indem sie den König auf eine Zivilliste setzte, wobei sie der Majestät ehrenhalber erlaubte, den Betrag selbst anzugeben, damit sie ihn in ihr Dekret aufnehmen konnte \ Dabei folgte das revolutionäre Frankreich nicht einfach dem englischen Beispiel, wo eine ganze Reihe von Verwaltungsstellen aus der Zivilliste bezahlt wurden; vielmehr bewilligte die Nationalversammlung als Zivilliste nur die Kosten für die Familie und den Hof des Königspaares. Das hatte zur Folge, daß der König nicht wie der englische die Möglichkeit hatte, seine Getreuen mit Staatsämtern auszuzeichnen. Der neue Tresor, wie ihn der Finanzausschuß der Versammlung plante, stellte also die ordentliche Finanzgebarung des Staates dar. Für die Leitung sah der Ausschuß ein dreiköpfiges Kollegium vor, dessen Mitglieder streng nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung vom König zu ernennen wären. Auszahlungen sollten nur auf Grund von Dekreten der Nationalversammlung oder einer späteren Legislative 1
AP 12, 150—151. Sehr. d. Königs, 25. März 1790, AP 12, 354. » Debatte am 26. März 1790; AP 12, 359—361. 4 So Anson am 9. April 1790; AP 12, 606. 0 9. Juni 1790; AP 16, 158—159.
2
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erfolgen. Zugleich beantragte der Ausschuß, das bisherige Departement des königlichen Hauses aufzuheben, nachdem die Zivilliste angenommen worden war 1 . Obwohl die Debatte über den Entwurf für Monate vertagt wurde, hatte der Finanzausschuß doch den wesentlichen Zusammenhang der Neuordnung berührt: eine Umbildung der Kassenverwaltung zog notwendig auch eine grundlegende Veränderung der Ministerialressorts nach sich, beides war nicht getrennt voneinander zu entscheiden. Von Anfang an war der Finanzausschuß, war die ganze Nationalversammlung erfüllt von der grundsätzlichen und vordringlichen Bedeutung einer Reform des Tresors. Unter der alten Monarchie, so führte Lebrun als Berichterstatter aus, war der König der eigentliche ordonnateur, das heißt derjenige, von dem alle Anordnungen über Auszahlungen ausgingen, und die Verwaltungskontrolle durch die Chambre des Comptes beschränkte sich darauf, die formale Richtigkeit nachzuprüfen. Eine Verfassung sei sinnlos, so führte Lebrun aus, wenn nicht die Nation selbst als Souverän die höchste Kontrolle ausübe 2 . Nun hatte sich die Nationalversammlung bereits zum ordonnateur gemacht, indem sie über sämtliche Ausgaben durch Dekret verfügte; es galt nur die neue Praxis in der Verfassung zu verankern. Da diese aber noch nicht fertig vorlag, kamen notwendig sehr wichtige Grundfragen bei der erneuten Beratung über den Tresor zu Sprache. Das neue Projekt, das nach Monaten wieder von Lebrun als Berichterstatter des Finanzausschusses vorgelegt wurde 3 , unterschied sich dadurch von den früheren, daß es die Kasseneinheit durch einen einzigen ordonnateur an der Spitze des Tresors sichern wollte, der für die gesamten Einnahmen und Ausgaben des Staates verantwortlich wäre. Praktisch wäre damit ein Finanzministerium neben den anderen Ministerien geschaffen worden, um so mehr, als der ordonnateur vom König ernannt werden sollte; allerdings sollte der ordonnateur zum Unterschied von den anderen Ministern unter einer ständigen Kontrollkommission der Nationalversammlung, später der jeweiligen Legislative stehen. Er war also nicht bloß dem König, der ihn ernannte, verantwortlich, sondern mehr noch den Kommissaren einer Volksvertretung, die jeden seiner Schritte durch Dekrete lenkte. Lebrun und sein Ausschuß waren sich voll bewußt, daß die Stellung des bisherigen Generalkontrolleurs gänzlich verändert wurde, wenn man die Kassengeschäfte aus seiner Zuständigkeit herausbrach. Dann blieb, so führte der Bericht aus, nur noch die Korrespondenz mit den Verwaltungskörpern der Zwischen- und unteren Instanz über allgemeine Angelegenheiten sowie über Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftssachen. Die Restaufgaben des alten contrôleur général bildeten also «in neues Innenministerium. Aber in dem gleichen Augenblick, indem er die Finanz- und die Innenverwaltung scheinbar so klar voneinander sonderte, wie es in Frankreich niemals geschehen war, empfand der Ausschuß doch wieder den Zusammenhang. Einwirkung auf die Mittel- und Lokalinstanzen, die doch den Tresor eigentlich zu speisen hatten, war nach der Ansicht des Ausschusses 1
Bericht Lebrun mit Dekretentwurf, 21. Juli 1790; AP 17, 220 (f. AP 17, 225—226. * Der Dekretentwurf vom 11. Dez. 1790, AP 21, 378—390, mit Bemerkungen des Finanzausschusses; der Bericht 21, 370—377. 2
H a u s s h e r r , Verwaltungseinheit 12
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nicht Sache des ordonnateur, sondern des neuen Innenministers in Verwaltungs-, dés Justizministers in streitigen Sachen. Zusammen mit dem ordonnateur sollten diese beiden Minister daher einen Ausschuß für Finanzverwaltung innerhalb der Gesamtregierung bilden und einen vierten finanzfremden Minister nur zuziehen, wenn es Unstimmigkeiten gab. Dieser kleine Ministerrat für Finanzfragen, der doch notwendig zu einem Rat der gesamten inneren Politik werden mußte, sah nach dem Projekt Lebruns aber anders aus als das, was der Verfassungsausschuß der Nationalversammlung gleichzeitig plante. Dieser beabsichtigte nämlich einen Rat einzusetzen, bestehend aus einem „Minister des Innern oder der Finanzen", dem ordonnateur und zwei Kommissaren der Volksvertretung, die diesen Rat zu einem Organ der Legislative so gut wie der Exekutive gemacht hätte 1 . Lebrun dachte strenger im Sinne der konstitutionellen Monarchie, der Verfassungsausschuß zu diesem Zeitpunkt mehr an die Macht der Nationalversammlung und ihrer Nachfolger. Der Widerspruch gegen das von Lebrun vorgelegte Projekt ging fürs erste von dem Steuerausschuß der Nationalversammlung aus. Dessen Vorsitzender Roederer verlangte nämlich, die jeweilige Legislative sollte die leitenden Tresorbeamten wählen, und diese sollten einen Beauftragten des Königs mit beratender Stimme zuziehen Dieser Entwurf entbehrt der Reife und bietet weniger Interesse als seine Begründung. Roederer behauptete nichts Geringeres, als daß die Finanzen überhaupt keinen Teil der politischen Gewalt bildeten, sondern etwas für sich darstellten, um daraus die Folgerung zu ziehen, daß sie auch nicht der Regierung des Königs überlassen werden dürften. Alle bereits beschlossenen oder beabsichtigten Rechte der ausführenden Gewalt, vor allem das Veto, dürften nicht auf die Finanzen ausgedehnt werden. „Die Finanz muß als der Regulator der öffentlichen Gewalt betrachtet werden. Dieser Regulator darf nicht unter der Verfügungsmacht der Exekutive stehen"*. Roederer genügte eine Ministerverantwortlichkeit, die nach englischem Vorbild als éin nachträgliches justizförmiges Verfahren angesehen wurde, keineswegs zur Sicherung gegen königliche oder ministerielle Willkür. Die Gedankenführung Roederers hatte nicht einmal seinen eigenen Ausschuß ganz überzeugt*. Es war auch kaum möglich, in die Begriffe der Gewaltenteilung das zu pressen, worauf es ihm ankam: „Das Geld ist ein Prinzip der Gewalt; mit Geld dehnt man sie aus, mit Geld verewigt man Mißbräuche. Das Maß an Geld, das die Nation dem Regierungschef zuteilt, muß genau nadi dem Maß an politischer Gewalt berechnet werden, das ihm die Verfassung zubilligt" 5 . Dieser Gedankengang war nicht konstitutionell im Sinne Montesquieus und der englischen Verfassung. Dafür besaß Roederer ein lebendiges Gefühl für die überragende Bedeutung der Finanz1 Einen eigenen Entwurf des Verfassungsausschusses habe ich nicht gefunden. Lebrun erwähnt dessen Absichten nur in seinen Bemerkungen zu dem Projekt AP 21, 381. * Projet de décret, 20. Dez. 1700, AP 21, 586; der Bericht Roederers AP 21, 579—586. » AP 21, 584. 4 Dupont de Nemours Unterschrift fehlt unter dem Projekt; er selbst trat in der Debatte dagegen auf; AP 21, 586. * AP 2 1 , 5 8 3 .
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Verwaltung und ein so waches Mißtrauen gegen die Minister, daB er ihnen die Verfügung über die Staatsgelder nicht gönnte. Es gab nur eine kurze Debatte über Roederers Entwurf. Eine ihrer selbst gewisse, im ganzen konstitutionelle Mehrheit sorgte dafür, daß besondere Hemmnisse auf dem Wege zu dieser Konstitution mit monarchischer Spitze ohne viel Geräusch hinweggeräumt wurden. Die jakobinische Opposition beschwerte sich durch den Mund Robespierres, wenn auch viel später, daß sie durch die Geschäftsführung zum Schweigen gebracht würde 1 . Jedenfalls ging auch aus Roederers Ausführungen mit aller Klarheit hervor, daß die Tresorverwaltung nicht bloß nach finanztechnischen Gesichtspunkten geordnet werden konnte, vielmehr die gesamte Ministerialverfassung zu Frage stand. Daher ließ die Mehrheit die ganze Sache vorerst an ihren Verfassungsausschuß verweisen. Der nahm sich einige Monate Zeit, bis er Anfang März 1791 mit einem ausgearbeiteten Dekretentwurf über die Stellung der Minister in der neuen Verfassung vor das Plenum t r a t 2 . Da es nur gelegentliche Quellen über die laufende Arbeit der Ausschüsse gibt, muß der Historiker den Hergang ihrer Vorberatungen meist aus den Worten ihrer Berichterstatter zu erschließen suchen. Der Verfassungsausschuß hatte sich offenbar nur einigen können, indem er die dornigsten Fragen beiseite ließ. Den Mitgliedern der gegenwärtigen Nationalversammlung war durch ein früheres Drekret verboten worden, in das Ministerium des Königs einzutreten. S o gern die Anhänger der konstitutionellen Monarchie dies Dekret für die späteren Legislativen aufgehoben gesehen hätten, so fest hielten die Jakobiner an ihrer Überzeugung, kein Vertreter der Nation dürfe sich durch Annahme eines Amtes aus den Händen des Monarchen korrumpieren
lassen. Da im Verfassungsausschuß immerhin eine oppositionelle
Minderheit saß, verzichtete er auf eigene Stellungnahme in dieser Frage. Seine Ansichten über den Tresor faßte er zwar nicht zu einem Gesetzentwurf zusammen, aber er formulierte seine Ansicht so, daß er beiden Teilen etwas zu bieten hatte: den
Konstitutionellen
die
Ernennung
des ordonnateur
Opposition den Ausschluß des ordonnateur
durch den
König,
der
aus dem Ministerium. Auf diese Weise
brauchte das vorgelegte Gesetz über den Tresor nicht zu bestimmen,
sondern
beschäftigte sich allein mit der Ministerialorganisation. D e r Entwurf sah demgemäß ein Ministerium vor, dessen Mitglieder ihre Ernennung allein dem König verdankten, in ihrer Gesamtheit den Staatsrat bildeten und sämtliche königlichen Verordnungen gegenzeichneten.
Einen Premier gab es
nidit; der König war wohl als sein eigener Ministerpräsident gedacht. In diesen Rahmen stellte der Entwurf die sechs neuen Ministerialressorts, die er in seiner revolutionären Sprache mit folgenden Worten aufzählte: „Während die Ministerien der auswärtigen Angelegenheiten, der Marine und des Krieges die friedlichen Entschließungen Frankreichs, das auf Eroberungen verzichtet hat und allen Nationen Frieden bietet, nach außen repräsentiert, ruht die Ausführung der Gesetze in allen
1 Robespierre am 13. April 1791; AP 25, 13. • Bericht Demeunier, 7. MSrz 1791, AP 23, 7 1 6 — 7 2 2 ; Projet de décret 23, 722 ff.
12*
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung*
Teilen des Reiches auf den Ministerien des Innern, der Kolonien und der Justiz" Trotz dieser Zweiteilung sah der Entwurf nur einen einzigen Staatsrat vor, lehnte also den Verwaltungsrat des Finanzausschusses stillschweigend ab. Gegenüber der Ressortteilung unter der alten Monarchie lag das Neue in der Absonderung eines Kolonialministeriums und in der Schaffung eines Innenministeriums, das alles umfaßte, was von dem Ministerium des Königlichen Hauses und von der Generalkontrolle übrigblieb, nachdem die Zivilliste die Angelegenheiten des Hofes aus den Staatsaufgaben, der Tresor die Staatskasse aus den Ministerialsachen herausgelöst hatte. Das neue Innenministerium war trotzdem ein gewaltiges Konglomerat von Zuständigkeiten geworden, die auch nach der Meinung des Verfassungsausschusses nicht ohne weiteres von einem Minister bewältigt werden konnten. Der Ausschuß führte daher fünf Sektionen e i n d e r e n Chefs jeder für sich vom König ernannt und für ihr Teilressort verantwortlich sein sollten, so daß dem Minister die Oberaufsicht über die Sektionschefs und bestimmte Vorbehaltssachen übriggeblieben wären. Den Sturm der Entrüstung, den sein Entwurf auslöste, hatte der Ausschuß vielleicht nicht mit aller Klarheit vorausgesehen, aber geahnt; denn sein Berichterstatter schloß mit dem Gedanken, daß man der Anarchie der lokalen und departementalen Verwaltungskörperschaften ein Ende setzen müsse, indem man endlich eine arbeitsfähige Zentralgewalt schaffe. Nachdem man die Revolution gemacht habe, gelte es jetzt, sie durch die Verfassung abzuschließen. Nun hatte der Entwurf die Funktionen im einzelnen aufgezählt und zusammengestellt, die einem Ministerium des Königs anvertraut werden sollten. Das rief alle Geister der Volksfreiheit gegen die Erneuerung monarchischer und ministerieller Tyrannei auf den Plan. Immerhin war die Versammlung in den jahrelangen Verhandlungen über die Verfassung so müde geworden, daß ihre Mehrheit zum Abschluß drängte. Sie ahnte wohl, daß die Zeit nicht für sie und für die Verfassung arbeitete. Noch gelang es ihr, die Opposition in mäßigen Grenzen zu halten. Barrere wies bloß auf den Mangel eines Gesetzes über die Ministerverantwortlichkeit hin, das erst fertiggestellt werden müsse, ehe man die Ausdehnung ministerieller Gewalt beschließen könne. Das Wort Tyrannei entschied für die Vertagung; dafür wurde die Tresorfrage auf die nächste Tagesordnung gesetzt. In einer kurzen Reihe von Sitzungen kam nun doch zuerst das Gesetz über die Staatskasse zustande, das jede Ministerialgewalt von vornherein mit größerer Sicherheit beschränkte als die nachträgliche Verantwortlichkeit für ihre Handlungen. In geschickter Benutzung der Geschäftsordnung erreichte die Mehrheit in dieser Frage im ganzen ihr Ziel: Zuerst dekretierte die Versammlung, daß die Tresorverwaltung 1 AP 25, 717. Die Sektionen im einzelnen: 1. Régime constitutione!, Corps administratifs, Gemeinden, Polizei- und Nationalgarden, Zivilkonstitution des Klerus, Unterricht; 2. Direkte Steuern; 3. Indirekte Steuern; 4. Öffentliche Arbeiten; 5. Domänen und Forsten, Ackerbau, Industrie, Handel. 2
Die Entstehung der modernen Staatsministerien in der Französischen Revolution
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vom König zu ernennen sei S tags darauf die Ernennung von sechs Kommissaren durch den König, wobei a b e r ausdrücklich bestimmt wurde, d a ß die Schatzverwaltung kein Ministerium darstelle. Dazu kam die unendlich folgenreiche Vorschrift, d a ß die Tresorerie einen einheitlichen Staatsetat aufstellen solle *. Nur möglich, weil sich in ihr die Kasseneinheit des Staates verwirklicht fand. Eine Woche darauf die Ernennung von Kommissaren der Nationalversammlung, später der Legislative als parlamentarischem Aufsichtsorgan 8 . Nachdem die Ernennungen erfolgt waren, trat die neue Tresorerie ins Leben und dauerte über alle Wechselfälle der Revolution hinweg bis zum Staatsstreich Napoleons. Ein Mitglied der Nationalversammlung hatte angeregt, Angehörige der alten Finanzverwaltung als für die neue unbrauchbar a u s z u s c h l i e ß e n D a die C o n stituante sich dem entzogen hatte, ernannte der König durchweg bewährte Beamte. Aber darauf beschränkte sich die Einwirkung des Monarchen; einmal ernannt, hatten seine Kommissare nur mit den Kommissaren der Constituante, der Legislative zu tun und mit den Ministem nur soweit, d a ß sie deren Anforderungen honorierten, a b e r nur solche, die durch ein Dekret o d e r durch den Etat legalisiert waren. Im Zweifelsfalle berichteten die Tresorbeamten an das Finanzkomitee der Versammlung, bei dem die letzte Entscheidung lag. wenn die Sache nicht erst den Weg der Gesetzg e b u n g ging. Dabei stand die Tresorerie in d a u e r n d e r Verbindung mit den Selbstverwaltungsorganen im Lande, die ständig wechselten und meist erst in die Geheimnisse der einfachsten Steuerbuchhaltung eingeführt werden mußten. Wir verdanken diese Mitteilungen über die Arbeit der Tresorerie ihrem Mitgliede Gaudin, dem späteren Finanzminister Napoleons, dessen Urteil über die Entstehung seiner Beh ö r d e unsere Darstellung bestätigt: „ D a s Nationale Schatzamt war in der Absicht eingerichtet worden, dem verfassungsmäßigen König jeden Einfluß auf die Verwendung der Staatseinkünfte zu n e h m e n " Nachdem j e d e s künftige Ministerium, welche Gestalt es auch immer erhielt, finanziell an die Kette der Tresorerie gelegt worden war, konnte sich die Versammlung getrost an die Durchberatung des Ministerialgesetzes machen. D e r Verfassungsausschuß hoffte ein Projekt, das e r kaum verändert vorlegte, nun o h n e weiteres durchzubringen. Schon ertönten Rufe, die eine sofortige Abstimmung v e r langten. Doch erreichte die Opposition mit ihrer Kritik wenigstens die Vorwegnahme des Gesetzes ü b e r die Ministerverantwortlichkeit und die Einzeldiskussion des Ministerialgesetzes selbst. Dazu mußte Robespierre das schwerste Geschütz a u f f ü h r e n : „Dies Gesetz stürzt die Freiheit, vernichtet die verfassungsmäßigen Gewalten, die in früheren Dekreten festgelegt sind, indem es den Ministem eine ungeheure Macht gibt, furchtbarer als die alte; das ist sein eigentliches Z i e l " 6 . 1
Am 9. März 1791'; AP 23, 747. * Am 10. März 1791; AP 24, 14 ff. * Am 18. März 1791; AP 24, 190—191. * Antrag de Folleville, 18. März 1791; AP 24, 190. 6 Mémoires du Duc de Caëte, Paris 1826, I 14. « 6. April 1791; AP 24, 606—607.
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Darüber hinaus drückte Robespierre noch vor der eigentlichen Beratung einen Akt der Selbstverleugnung durch, der sich in dem späteren, ebenfalls auf seine Veranlassung angenommenen Beschluß wiederholen sollte, nach dem kein Mitglied der Constituante in die Legislative gewählt werden durfte. Jetzt handelte es sich darum, daß keinem Vertreter der Nation, weder in dieser noch in einer späteren Versammlung, erlaubt wurde, ein Ministerium anzunehmen 1 , Jedes Zusammenspiel zwischen den Beratern des Königs und einer Volksvertretung war damit erneut abgeschnitten. Das war der Preis, den die Versammlung zahlte, damit sie den Ministern des Königs diejenigen Befugnisse zuteilen konnte, ohne die eine ordentliche Zentralverwaltung unmöglich gewesen wäre. Den zweiten Stein, den Robespierre der Durchberatung in den Weg legte, schob sie beiseite. Da die Jakobiner, in diesem Zeitpunkt in voller Opposition, es als die größte Gefahr für die Freiheit ansahen, daß überhaupt eine ministerielle Gewalt geschaffen würde, zogen sie sich darauf zurück, daß die Einteilung der Exekutive in einzelne Ressorts eine Angelegenheit des Königs als Trägers dieser Gewalt sei, in die die Versammlung sich nicht einzumischen habe. Dagegen bestätigte die Mehrheit, es sei Sache der Gesetzgebung, Anzahl und Amtsbereich der Minister zu bestimmen 2 . Dies ist in wenigen Sitzungstagen geschehen, weil die Mehrheit zu Abstimmung gen drängte, um es der Opposition unmöglich zu machen, mit ihrem grundsätzlichen Widerspruch gegen eine ministerielle Zentralverwaltung die beabsichtigten Dekrete zu Fall zu bringen. Robespierre mußte sich mit der Klage begnügen, man schlösse den Vorkämpfern des Patriotismus den Mund, und mit dem Antrag, etwa die in Aussicht genommenen Gehälter der Minister auf die Hälfte herabzusetzen oder gegen die Pensionsregelung Einspruch zu erheben *. Nur den Erfolg konnte er für sich buchen, daß den Ministern, vor allem dem Justizminister, jedwede richterlichen Befugnisse abgesprochen wurden *. Sonst wurde das Projekt des Verfassungsausschusses angenommen. Nur das von ihm vorgeschlagene Kolonialministerium lehnte die Versammlung ab, außerdem teilte sie das gewaltige Ressort des Innern in zwei Ministerien auf. Mit einem besonderen Kolonialministerium hatte der Ausschuß die Kolonien als eine selbständige Größe innerhalb des französischen Reichsverbandes anerkennen wollen. Man hätte die Kolonien vom Marineministerium getrennt, damit sie vollen Anteil an der Freiheit und an dem politischen und wirtschaftlichen Aufschwung nehmen könnten, die aus der neuen Verfassung notwendig folgen würden. Obwohl damit alle Voraussetzungen für eine glatte Annahme geschaffen waren, setzten sich hier die Anhänger des Alten durch, wahrscheinlich mit sehr knapper Mehrheit. Gegen die Idee der kolo-r nialen Selbständigkeit standen diejenigen auf, die in den Kolonien keine Konkurrenz für die Wirtschaft des Mutterlandes aufkommen lassen wollten und ihren Abfall voraussahen, wenn man ihnen eine eigene Verwaltung einrichtete. Der Krieg für die 1 2 s 4
?. April 1791; AP 24, 621 f. Robespierre am Q.April 1791; AP 24, 662. Dekret vom gleichen Tage,:AP 24, 664. Frage der Gehälter 11. April 1791; AP 24, 703 f.; der Pensionen 13. April, 25, 13—14. Debatte 14. Aprii 1791; AP 2 5 , 6 8 .
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Freiheit der Vereinigten Staaten war bisher als ein Ruhmesblatt der Vorrevolution angesehen worden; für die eigenen Kolonien wollte die Mehrheit der Nationalversammlung das alte Kolonialsystem nicht aufheben. Die Kolonialsachen blieben also wie unter dem ancien régime mit dem Marineministerium vereinigt; nur sollten für die Marine und für die Kolonien besondere Abteilungen eingerichtet werden 1 . Bei der Beratung über das Innenministerium erregte es den ersten Widerspruch, daß sowohl der Minister wie die Direktoren der Abteilungen vom König ernannt und unter eigener Verantwortung stehen sollten. Die gesamte Tradition des französischen Behördenwesens mit ihrer streng bürokratischen Ordnung stand dagegen auf. Offensichtlich hatte der Verfassungsausschuß zu dieser Aushilfe nur gegriffen, weil sein Innenministerium so umfangreich war, daß es die Kräfte eines Ministers überstieg. Daher wurden mit der Kritik an der doppelten Verantwortung zugleich Vorschläge für eine Teilung der Geschäfte in mehrere Ministerien laut. Einen ausgearbeiteten Vorschlag legte der ehemalige Generalsteuereinnehmer Anson der Versammlung vor: er wollte das eine Überministerium in drei normale zerschlagen sehen, und zwar je eins für Steuern und öffentliche Einkünfte, für Erziehung und Unterricht und in das Innenministerium im engeren Sinne, in dem er die eigentliche Verwaltung mit der Sorge für Bauten und Arbeiten, für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel vereinigt ließ 2 . Der Berichterstatter des Verfassungsausschusses, der sich weiterhin führend an der Debatte beteiligte, hatte wohl eingesehen, daß er sich mit dem einen Riesenministerium des Innern nicht durchsetzte. Doch konnte er sich mit einer so weitgehenden Aufteilung, die durchaus im Zuge der Zeit lag und sich später auch durchsetzte, nicht einverstanden erklären. Er wies darauf hin, daß die lokalen und departementalen Verwaltungsstellen dann die Anweisungen von drei verschiedenen Ministerien auszuführen hätten und diese sich doch oft widersprechen könnten. Durch einen neuen Beschuß bekam der Verfassungsausschuß Gelegenheit, sein früheres Projekt umzuarbeiten. Am 13. April 1791 schlug er eine Zweiteilung vor, nach der es in Zukunft ein Ministerium für Steuern und öffentliche Einnahmen und ein Innenministerium geben sollte 3 . Derselbe Anson, der ursprünglich ein besonderes Ministerium dafür angelegt hatte, ließ durch einen Zusatz ausdrücklich feststellen, daß Erziehung und Unterricht vorläufig dem neuen Innenministerium zugeteilt werden sollten. In dieser Form wurden die verschiedenen Anträge angenommen. Die übrigen Rahmenbestimmungen machten keine Schwierigkeiten. Nachdem die Ernennung der Minister durch den König ihre Mehrheit gefunden hatte, setzte dieselbe Mehrheit fest, daß die Minister und nur sie den Rat des Königs zu bilden hätten. Am 27. April 1791 wurde das ganze Gesetzgebungswerk über die Organisation 1
Dekretiert 9. April 1791 ; AP 24, 672. Rede Ansons in der Debatte vom 10. April 1791, 24, 689—690; Entwurf eines Dekrets, 24,691. » AP 25, 10—14. 2
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des Ministeriums abgeschlossen Die nun insgesamt sechs Ministerien — Justiz, Inneres, Einkünfte, Krieg, Marine, Außeres — , vereinigt in einem Ministerrat ohne Premier unter dem ideellen oder wirklichen Vorsitz des Königs als Träger der ausführenden Gewalt, wurden das Vorbild der gesamten modernen Ministerialverfassung, die nur noch durch neue Ressorts vermehrt zu werden brauchte, um den späteren erweiterten Anforderungen an die Staatstätigkeit zu genügen. Ein Werk, dessen Vorbildlichkeit so umfassend wirkte, daß im Verlaufe des 19. Jahrhunderts selbst die andersartige englische Geschäftsverteilung angeglichen wurde. Dabei war es ganz aus den französischen Vorbedingungen erwachsen. Krieg, Marine, Außeres, im beschränkten Sinne auch Justiz, waren nichts weiter als die Herübernahme der Staatssekretariate und des Kanzleramtes aus der alten Monarchie in eine neue Zeit. Etwas grundsätzlich Neues stellte sich nur in der Trennung von Innen- und Finanzverwaltung dar. Mochte das neue Innenministerium die Akten des alten Sekretariats des Königlichen Hauses, das Ministerium für die Einnahmen die der alten Generalkontrolle übernehmen, sie waren, wie wir gezeigt zu haben glauben, im Bruch mit der Überlieferung zustande gekommen. Neu war auch die Begründung eines Staatsschatzes, durch den die Minister mit ihren Ausgaben an eine Behörde unter direkter parlamentarischer Kontrolle gebunden wurden, die nicht zum Ministerium gehörte; aber diese Verkörperung des Mißtrauens gegen die Ministerialbürokratie hat die Epoche der Revolution und Napoleons nicht überlebt. In den vielfältigen Debatten waren selten einmal ausländische Vorbilder angerufen worden. Eine Nation, die bewußt einen Neubau errichtete, konnte Fremdes nur als abschreckendes Beispiel verwenden. Jedesmal, wenn ein Abgeordneter etwa England erwähnte, wies er selbst darauf hin, wie korrumpiert dessen Verfassung sei, oder wurde von anderen darauf hingewiesen. In den Vereinigten Staaten von Amerika war zwar ein selbständiges Finanzministerium entstanden, dagegen waren die inneren Geschäfte dem Staatsdepartement zugewiesen worden. Immerhin könnte ein Entwurf des von uns genannten Gouverneurs Morris, der damals als Gesandter Amerikas in Paris weilte und sich bei dem rechten Flügel der Konstitutionellen einer hohen Achtung erfreute, einige französische Volksvertreter beeinflußt haben. In seiner Heimat hatte sich Morris nicht durchgesetzt. Nun stellte er einen Entwurf für eine französische Verfassung zusammen, mit dem er, wie früher im Kongreß, ein Finanzministerium neben, einem ebenso selbständigen Ministerium des Innern vorschlug 2 . Dann würde nicht die tatsächliche Gesetzgebung der Vereinigten Staaten, sondern die in ihr nicht zur Wirkung gekommene amerikanische Opposition zur Entstehung der französischen Ministerialverfassung beigetragen haben. Mochte die Fernwirkung des französischen Ministerialgesetzes noch so weit reichen; über seinem Zustandekommen wie über der ganzen Verfassung von 1791 lag bereits der Fluch der Unwirklichkeit. Längst waren die tatsächlichen Verhältnisse der Mehrheit von 1789 davongelaufen, die die Herrschaft der Bourgeoisie durch ein Zensurwahlrecht stabilieren und das Volk in Aktiv- und Passivbürger 1 1
AP 25, 357 ff. Jared Sporks, The Life of Gouverneur Morris III, Boston 1832, S. 486.
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sondern wollte. Die Verwaltung des ancien régime war nicht eigentlich durch den Zusammentritt der Nationalversammlung, sondern durch die revolutionäre Erhebung von Selbstverwaltungskörpern im ganzen Lande zertrümmert worden. Auch wenn der König weiterhin Minister als Träger seiner Exekutive ernannte, so wurden die Departements nicht durch die früheren Intendanten und Steuerpächter, sondern die unabhängigen Corps administratifs beherrscht und diese verkehrten unmittelbar mit der Nationalversammlung. Obwohl die Versammlung die Teilung der Gewalten theoretisch aufrechterhielt und sich gegen alles wehrte, was sie mit der königlichen Zentralverwaltung oder diese mit ihr verband, erledigte sie auf dem Wege des Dekrets unendlich viele Dinge, die eigentlich Sache einer Verwaltungsentscheidung gewesen wären. Diesen Zustand sollte die Verfassung mit ihrer Ministerialorganisation beenden. Den einen Hauptgedanken der Konstitutionellen, den Glauben an ein Zusammenwirken des Königs mit der Nation, zerstörte dessen Flucht, und mit ihr zerschlug sich auch die Hoffnung, die Corps administratifs würden der Ministerialbürokratie gehorchen. Diese Revolution ließ sich nicht nach dem Willen der Aktivbürger beenden, sie schritt weiter. Wenn Robespierre und seine Anhänger in der Constituante ihre Stimme gegen jede Art von ministerieller Tyrannei erhoben, grollte eine Minderheit, die leicht an die Wand gedrückt werden konnte; aber die Opposition von 1791 wurde bis 1793 zur herrschenden Partei. Es ist nicht unsere Sache, die politischen und gesellschaftlichen Gründe dieser Wandlung aufzurollen, sondern ihre Wirkung auf die Ministerialorganisation zu verfolgen. Auch die Verhaftung des Königs beseitigte das Ministerium als solches nicht: die Legislative setzte sich vielmehr durch ihr Gesetz vom 10. August 1792 an die Stelle des Monarchen und wählte die Minister aus ihren Reihen, die nun nicht mehr ein Conseil des Königs, sondern einen Provisorischen Exekutivrat bildeten x . Der Konvent machte dem ein Ende. Zuerst beseitigte er durch ein Dekret vom 29. September 1792 die Möglichkeit, einen Sitz in der Versammlung der Nation mit einem Ministerium zu verbinden 2 . Es war ein neuer Akt revolutionären Mißtrauens gegen die Träger der Exekutive, auf denen mit oder ohne König nun einmal der Verdacht haftete, als Minister Feinde der Freiheit zu sein und zu bleiben. Als der Wohlfahrtsausschuß seine Herrschaft antrat, wurde das Ministerium völlig mediatisiert. Daher veränderte sich nur die Form, als es ganz beseitigt wurde und der Konvent unmittelbar durch Kommissionen aus seinen Mitgliedern regierte. Bis dahin waren die Zuständigkeiten der Ministerien so verteilt geblieben, wie es das Gesetz von 1791 angeordnet hatte; jetzt waren sie nur noch in den Kommissionen für auswärtige Angelegenheiten und für Marine und Kolonien zu erkennen, während die Geschäfte des Innen- und des Kriegsministeriums auf neun weitere Kommissionen verteilt wurden s . Allein die Tresorerie verblieb in der Selbständigkeit, die ihr die Constituante gegeben hatte. 1
Ad. Faustin-Adolphe Hélie, Les Constitutions de la France I 329, und Aulard, Hist.
pol. 218.
» Hélie, I 344, Aulard 317—318. » Aulard 319—320.
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Die Thermidorreaktion brach die aufsteigende Linie der Revolution ab; sie kehrte auch zu den Ministerien zurück. Die eigentliche Exekutive lag nach der Verfassung des Jahres III (1795) zwar bei dem Direktorium, aber für die Verwaltungsarbeit waren sechs bis acht Minister vorgesehen. Zuerst die gleichen sechs Ressorts, die das Gesetz von 1791 geschaffen hatten, Justiz, Inneres, Finanzen; Außeres, Krieg, Marine. Anfang 1796 kam ein Polizeiministerium hinzu, höchst bezeichnend für die ständige Bedrohtheit der Direktorialregierung. Aber diese Ministerien dienten den Direktoren bloß als Büros und hatten keine politischen Entscheidungen zu treffen. Außerdem waren sie ebenso wie die Direktoren in ihrer gesamten Ausgabenwirtschaft an die Trésorerie gebunden, die ihrerseits dem Direktorium nicht verantwortlich w a r 1 . Napoleon hat die sieben Minister der Direktorialzeit zunächst einfach übernommen und zunächst nur die Trésorerie aufgehoben, so daß er ein Finanzministe-' rium, das auch für den Etat und die Staatskasse zuständig war, ein Innenministerium als Haupt der Verwaltung durch Präfekten und Unterpräfekten und als Zentralbehörde für alle wirtschaftlichen Angelegenheiten sowie ein Polizeiministerium nebeneinander arbeiten ließ. Schon im Januar 1800 rief der Erste Konsul wieder ein Schatzamt ins Leben, aber nicht als Kollegium, sondern fürs erste als Generaldirektion, deren Leiter nach wenigen Monaten zum Minister erhoben wurde. Damit stand dieser als völlig unabhängiger Chef der Kassengeschäfte des Staates neben dem Finanzminister, der sich auf die Einnahmeverwaltung beschränkt sah. Napoleons bedeutendster Tresorminister, der Graf Mollien, hat dies System aus der Erinnerung mit scharfen Worten kritisiert: Der Finanzminister „mußte die Steuer überwachen, ohne sie zu ihrem Ziel, ihrer Verwendung in den Ausgaben zu leiten, wie der Tresorminister, seinerseits für alle Auszahlungen verantwortlich, keine Möglichkeit hatte, auf das Gebiet der Einzahlungen einzuwirken, bevor sie ihm angeliefert wurden. Auf diese Weise waren untrennbare Abteilungen geschieden; daher hatten sich die beiden Minister bis dahin (er meint seinen Amtsantritt) nicht verständigen können, da beide in ihrem fehlerhaften Zirkel geblieben w a r e n " 2 . Als Mollien Napoleon ähnliche Vorhaltungen machte, hatte dieser erwidert: „Ich brauche in der Finanzverwaltung eine Sicherheit, wie sie mir ein einziger Minister nicht garantiert. Die Abrechnungen, die er mir präsentieren würde, blieben ohne Kontrolle; und selbst wenn ich auf sie vertraute, so würde die Öffentlichkeit das gleiche Vertrauen nicht a u f b r i n g e n " s . Damit enthüllte Napoleon seinen wichtigsten Verwaltungsgrund^ satz. Die Minister waren ihm keine für eine bestimmte Politik verantwortliche Persönlichkeiten, sondern ausführende Organe seines Willens, die einer steten gegenseitigen Aufsicht bedurften. Aber er hatte damit noch nicht alles offenbart; große Ressorts unter einem einzigen Minister wirkten zugleich als Kontrolle der Politik durch die Verwaltung. Indem er sie zerschlug, erreichte er, daß kein Minister » Aulard, 562 f., 602 f. 1 (Comte Mollien) Mémoires d'un Ministre du Trésor public, Paris 1845, II 2. 3 Amédée Edmond-Blanc, Napoléon lCT, ses institutions civiles et administratives, Paris 1880, 142.
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die Entscheidungen, die er in seinem Kabinett traf, in ihrer ganzen Tragweite übersah. Auf dem Gebiete der Finanzen zeigte sich dies noch einmal, als Napoleon 1810 die Außerordentliche Domäne als einen persönlichen Fonds für besondere Zwecke schuf, in den nicht einmal der Tresorminister Einblick erhielt. Hier begnügte er sich mit einem Intendanten, so daß die Kasseneinheit auch ohne Ernennung eines Ministers zertrümmert war. Mollien klagte mit vollem Recht, sein Tresor müsse alle Lasten des Krieges tragen, während die Einkünfte aus den Kontributionen von der Außerordentlichen Domäne verschluckt würden Ganz ähnlich teilte Napoleon die anderen Ministerien auf. Neben den Kriegsminister setzte er einen Minister für Kriegsverwaltung und einen Direktor für Aushebungen. Neben dem Innenminister als dem eigentlichen Vorgesetzten der Präfekten und Unterpräfekten wirkte der Polizeiminister als ständige Konkurrenz der Innenverwaltung. Später trennte Napoleon auch die Wirtschaftsverwaltung ab und schuf ein Ministerium für Gewerbe und Handel. Die Kultusverwaltung wurde bereits 1804 ein eigenes Ressort; mit der Begründung der Université erhielt der öffentliche Unterricht 1808 seine Selbständigkeit. So kam Napoleon zu Ende seiner Regierung auf elf Ministerien und mehrere Direktorien 2 . Auf dem Unterbau der sechs Ressorts, die Napoleon aus der Direktorialzeit übernommen hatte, erhob sich nun eine große Reihe von Spezialressorts, die von Ministern oder Direktoren geleitet wurden. Durch eine seltsame Ironie der Geschichte kam die Ministerialorganisation der revolutionären Nationalversammlung in der Restauration wieder zu Ehren. Zwar gab sich das Königtum Ludwigs XVIII. auch in der Ministerialordnung ganz als ancien régime. Die Verfassung von 1814 bestimmte, daß dem König die gesamte ausführende Gewalt gehöre, daß die Minister dem Monarchen verantwortlich wären und entweder der Pairskammer oder der Kammer der Deputierten angehören dürften, auf jeden Fall aber in beiden Kammern gehört werden mußten, wenn sie es verlangten 3 . Jedoch stand über die Zahl der Minister und über ihren Amtsbereich nichts in der Charte, so daß Ludwig völlig freie Hand hatte. Davon machte er noch vor der Verkündung der Verfassung Gebrauch. Er setzte wieder einen Conseil d'en haut ein mit den Prinzen von Geblüt, mit den Ministern und den sonstigen Staatsräten, die der König heranzuziehen beliebte. Daneben einen Conseil privé oder des parties, in dem, wie in alten Zeiten, neben Staatsräten audi maîtres des requêtes saßen. Es gab wieder einen Kanzler, und die übrigen Ressortchefs hießen wieder Minister-Staatssekretäre. Die neue Monarchie brauchte ein Ministerium des Königlichen Hauses. Sonst waren die Ressorts aber eingeteilt, wie es dem Gesetz der Constituante entsprach: Außeres, Krieg, Marine, Inneres, Finanzen. Eine eigene Tresorverwaltung wurde nicht geschaffen. Die Polizei mußte sich mit einem Direktor begnügen. In dieser Form glaubte Ludwig XVIII. den Staat selbst leiten zu können- Vorerst arbeitete der Monarch nicht in den erneuerten Räten mit 1 3 3
Mémoires III 245. Aufzahlung Edmond-Blanc 66 und 313. Charte Constitutionelle Art. 13 und 54 f.; Hélie I 887—889.
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ihren schönen, altertümlichen Bezeichnungen, sondern mit jedem Minister einzeln; ein Ministerrat kam nicht zustande und war auch nicht vorgesehen. Diese restaurierte Monarchie war auf Sand gebaut. Nachdem Ludwig XVIII., von der Rückkehr Napoleons bedroht, ruhmlos geflüchtet war, sah er sich nicht mehr imstande, die Zentralverwaltung so zu führen, wie er es sich ursprünglich gedacht hatte, als er durch den neuen Sieg der Alliierten Heere wieder eingesetzt worden war. Das zum zweitenmal restaurierte Königtum konnte nur mit einem Ministerium von europäischer Geltung vor die Augen der Großmächte und vor die seines eigenen Landes treten. Daher stellte Ludwig vorerst Talleyrand, dann den Herzog von Richelieu an die Spitze eines wirklichen Ministerrates, dem nur die Staatssekretäre mit Departements angehören sollten, während der Conseil privé zwar nicht aufgehoben wurde, aber niemals zusammentrat. Im Verlauf eines ereignisreichen Jahres war aus der Erneuerung des Ancien régime in der Zentralverwaltung ein modernes Ministerium geworden mit klarer Abgrenzung in die sechs bekannten Ressorts (wenn wir von dem des Königlichen Hauses absehen), ganz so, wie es das Gesetz der Nationalversammlung von 1791 vorgesehen hatte. Aber nicht deshalb, weil die Constituante mit ihrer Ministerialorganisation vorangegangen war, sondern weil diese in den Reformen der napoleonischen Epoche ihren Siegeszug über den ganzen Kontinent angetreten hatte, fügte sich das wiederhergestellte Frankreich in den Zusammenhang der modernen Staatsverwaltung. Denn überall da, wo eine Veränderung des Gesellschaftsaufbaus eingetreten war, und das gilt vor allem für die deutschen und italienischen Staaten, hatte sich auch die Zentralverwaltung grundlegend verändert. Es ist der bürgerliche Zug der Zeit, der das Gesetz der Constituante mit den deutschen Reformen und mit der französischen Restauration verband. Eine bourgeoise Mehrheit hatte die Revolution, die bereits über ihre Absichten hinausgegangen war, mit der Verfassung und mit der Wiederherstellung der ministeriellen Gewalt anhalten wollen. Wenn die Woge der Revolution diesen Versuch hinwegspülte, so blieb der Punkt, den sie 1791 erreicht hatte, nicht bloß auf dem Gebiete der Verwaltung gerade derjenige, auf den die deutschen, ebenfalls bürgerlich bestimmten Reformen hinstrebten. Daher wirkte nicht die Verfassung von 1791 selbst, aber der Ideenkreis, der hinter ihr stand, und mit ihm die Ministerialorganisation durch das ganze 19. Jahrhundert, selbst in der französischen Restauration, die die bürgerlichen Züge eines Verfassungsstaates nicht verbergen konnte und erst später schlechtweg reaktionär wurde. Daher blieb die Ministerialorganisation im Bürgerkönigtum und über das Bürgerkönigtum hinaus bestehen \ Für uns ergibt sich daraus die Pflicht, in einem letzten Abschnitt den Weg zu verfolgen, den die Ministerialorganisation in den verschiedenen deutschen Staaten einschlug, bevor sie in der Restauration nach Frankreich zurückkehrte. 1
Unter dem Bürgerkönigtum gab es zu Anfang der 40er Jahre neun Ministerialressorts: Justiz und Kultus, Auswärtiges, Krieg, Marine und Kolonien, Inneres, Handel und Ackerbau, Öffentliche Arbeiten, Unterricht, Finanzen. Diese weitere Differenzierung steht aber außerhalb der Aufgabe, die wir uns auf den vorliegenden Seiten gestellt haben.
X Die modernen Staatsministerien in Preußen und in den Rheinbundstaaten Die Verwaltungsordnung des Kurfürstentums Hannover gehörte, wie wir dies früher gezeigt haben, zu den altertümlichsten des damaligen Deutschland. Zu Anfang des Jahres 1780 hatte sich der dreißigjährige Freiherr von Hardenberg als Kammerrat soweit in sie eingearbeitet, daß er seine Vorschläge für eine grundlegende Veränderung in einer Denkschrift zusammenfassen konnte 1 . Er gehörte nicht zu denjenigen Beamten, die bloß im gewöhnlichen Trott der Geschäftsführung weiterlaufen; sein umsichtiger und etwas unruhiger Geist gab sich nicht mit Einrichtungen zufrieden, die er für unzeitgemäß hielt. Nicht auf einen völligen Umsturz •zielte der junge Aristokrat hin, sondern auf eine Veränderung der gesamten Staatsverhältnisse durch eine neue Verwaltungsordnung. Seine hannoversche Denkschrift war nur der erste Schritt auf einem Wege, den er in immer neuen Anläufen weiterschreiten und auf dem er am Abend seines Lebens der bedeutende preußische Reformminister werden sollte. In seinem Plan trat an die Stelle verschachtelter Zuständigkeiten in den unteren und mittleren Instanzen und willkürlich bestimmter, zahlreicher Ministerialdepartements Einheit und Übersicht. Das Kollegialprinzip verwarf er noch nicht; nur wollte er die Kollegien anders gliedern. Zuerst sollten die beiden Finanzbehörden, die Kammer für die Domänen und die Kriegskanzlei für die Steuern, zusammengelegt und damit die Einheit der landesherrlichen Kassen verwirklicht, alle wirtschaftlichen Aufgaben in einem Ökonomie- und Kommerzkollegium erledigt und für die Angelegenheiten der allgemeinen Verwaltung und der Städte besondere Regierungen geschaffen werden. Zwar war man in Hannover gewöhnt, daß die Präsidenten der Kollegien zugleich Minister waren; es bedeutete aber etwas ganz Neues, daß Hardenberg sein Ministerium nur von fünf Ministern gebildet sehen wollte, daß in seiner obersten Landesbehörde nur der Präsident der neuen Kriegs- und Domänenkammer mit der Generalkasse, der Präsident des Ökonomie- und Kommerzkollegiums, dem zugleich die allgemeine Verwaltung unterstand, der kommandierende General, der Justizminister und ideell der Minister in London vertreten waren. Auf diese Weise ergaben sich fünf Ministerialressorts: Finanzen, Inneres, Krieg, Justiz, Außeres. Mehr als zehn Jahre vor dem Gesetz von 1791 kam ein deutscher Verwaltungsbeamter auf eben die Ressorts, die von Frankreich aus die Welt erobern sollten. Obwohl Hardenberg an der Verwaltung durch Kollegien, denen die Minister präsi1
Ernst v. Meier, Hannöversche Verfassg.- u. Verwaltg.-Gesch. 1680—1866, II 606—619.
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dierten, festhielt, war sein Plan ein Blitz desselben Geistes, der sich in der Französischen Revolution, jedenfalls in ihrer ersten Phase, Bahn brach. Es ist daher kein Wunder, daß weder der König, dem die Schrift in London übergeben wurde, etwas unternahm, noch die Vorgesetzten und Kollegen in Hannover Beifall spendeten. Bei aller Biegsamkeit seines Wesens bewies Hardenberg in seinen Grundabsichten eine Beharrlichkeit, die zur Hochachtung nötigt. Als er sich sechs Jahre später in braunschweigischen Diensten befand, machte er dem Herzog einen ganz ähnlichen Vorschlag. Da der Landesherr hier die auswärtigen Sachen selbst entschied und die Verhältnisse des Landes erheblich kleiner waren als die seines Heimatstaates, beschränkte sich Hardenberg hier auf ein dreiköpfiges Ministerium für Finanzen, Justiz und Inneres, dessen Mitglieder wieder zugleich die Präsidenten der entsprechenden Kollegien sein sollten Dieser Plan steht den gewohnten deutschen Verhältnissen etwas näher als der hannoversche, denn Hardenbergs Ministerium erinnert jetzt deutlich an die verschiedenen Kabinetts- und Konferenzministerien, in denen es bereits eine gewisse ressortmäßige Aufgliederung gegeben hatte. Die Antwort Karl Wilhelm Ferdinands auf Hardenbergs Idee bezeichnete genau den Punkt, wo sich die alte und die neue Zeit in der Verwaltungsordnung schieden: dem Herzog schien» es so nötig, über seinen Kollegien ein besonderes Kontrollorgan zu besitzen, daß er deren Präsidenten nicht im Ministerrat sehen wollte; dieser mußte nach seiner Meinung ein Aufsichts- und Weisungsorgan des Fürsten bleiben. Als die Französische Revolution das Beispiel einer tiefgreifenden Staatsveränderung gegeben hatte, befand sich Hardenberg als dirigierender Minister der fränkischen Markgrafenschaften Ansbach und Bayreuth in preußischen Diensten. Nachdem er unter der lässigen, ihm günstigen Regierung Friedrich Wilhelms II. seine völlige Unabhängigkeit von dem Ministerium in Berlin erreicht hatte und dem Monarchen allein verantwortlich war, konnte er schalten wie ein Vizekönig und eine eigene Verwaltung aufbauen. Die kollegialische Verfassung der ihm unterstellten Behörde ersetzte er durch eine bürokratische Organisation. Seine Räte erhielten reine Sachressorts, und zwar der eine das innere, der andere die Finanzen, ein dritter das Militär und ein vierter die Justiz; für kurze Zeit trat noch ein fünfter für Bergwerks- und Handelsangelegenheiten hinzu 2 . Sie wurden damit keine Minister — verantwortlich blieb Hardenberg allein — aber sie verfügten unter seiner Leitung, besonders während seiner häufigen Reisen in diplomatischen Diensten, selbständig nach den Grundsätzen, die ihr Chef für ihre Tätigkeit festgelegt hatte. Angesichts des Mißtrauens, mit dem ihm die Minister in Berlin gegenüberstanden, ließ Hardenberg diese Einteilung der Geschäfte nicht nach außen treten, und das offizielle Handbuch für den preußischen Hof und Staat nannte nur gleichgeordnete Räte eines Kollegiums. In Wirklichkeit hatte Hardenberg eine Zentralbehörde in Kleinformat geschaffen, deren Ressorts genau der Ministerialorganisation des französi1
Denkschr. 28. Mai 1786 im Auszuge bei Carl Ludwig Klose, Leben Karl Augusts Fürsten von Hardenberg, Halle 1851, S. 50 f. * Fritz Härtung, Hardenberg und die preußische Verwaltung in Ansbadi-Bayreuth von 1792—1806, Tübingen 1906, S. 80.
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sehen Gesetzes von 1791 entsprachen. Hardenberg war derjenige preußische Staatsmann, der mehr als a n d e r e geneigt war, die Ergebnisse der Französischen Revolution in Deutschland zu verwerten, soweit sie die Verwaltung durchsichtiger machten und die Wirkung einer Zentralregierung förderten. Die Ministerialressorts konnte er um so lieber übernehmen, als er zugleich verwirklichte, was er anderthalb Jahrzehnte f r ü h e r f ü r Hannover vorgeschlagen hatte. Mit dem Jahre 1797 nahte ein Thronwechsel in Preußen. Bisher war Hardenberg j e d e r Einfluß auf die Berliner Ministerialorganisation verwehrt. Jetzt vertraute er auf die Beziehungen zu dem Thronfolger und überreichte ihm noch zu Lebzeiten des alten Königs „Ideen zur Einrichtung eines Conseils' mit denen er nichts Geringeres bezweckte als die Auflösung des Generaldirektoriums. Die Provinzialminister, fünf o d e r sechs an der Zahl, wollte er in die Provinzen versetzen und damit zu untergeordneten O r g a n e n seines Conseils machen, wie es die späteren Oberpräsidenten wurden. Was dann als Sachdepartement f ü r die verschiedenen Wirtschaftsverwal' tungen unter j e einem Minister übrig blieb, sollte dem Conseil in Berlin unterg e o r d n e t sein. Ober den Provinzialministern und den Sachdepartements e r h o b sich dann das Conseil als unmittelbares Beratungs- und Vollzugsorgan des Monarchen. Hardenberg nannte es Kabinettsministerium ohne Rücksicht darauf, daß diese Bezeichnung in Preußen für das kollegiale auswärtige Departement verwendet wurde. Sein Kabinettsministerium war etwas ganz anderes: vier leitende Minister j e f ü r Auswärtiges, Krieg, Justiz, Inneres, deren j e d e r für einen Hauptverwaltungszweig allein und unter persönlicher Verantwortung zuständig war. Es lief wieder auf die Ressorts des französischen Ministerialgesetzes hinaus, nur mit dem wichtigen Unterschied, daß Hardenberg jetzt die Finanzen nicht von der inneren Verwaltung trennte. Das war trotz der von ihm gewünschten Auflösung des Generaldirektoriums nicht anders möglich, weil dieser Innenminister die o b e r e Aufsicht sowohl über die Provinzialminister wie ü b e r die Sachdepartements führen sollte. Wahrscheinlich dachte Hardenberg dabei an die eigene Position unter dem neuen Herrscher, zumal sein Plan zugleich die Kabinettsregierung beiseite geschoben hätte. Von der wirklichen Entwicklung unter dem jungen Friedrich Wilhelm III. sah sich Hardenberg dann tief enttäuscht. Nicht er, sondern sein Feind Schulenburg mit seinen friderizianischen Erfahrungen und Vorurteilen hatte das O h r des Monarchen. Die Einrichtung einer Generalkontrolle, so wenig Schulenburg die ihm damit ü b e r tragenen Zuständigkeiten nutzte, bedeutete die Erhaltung und Befestigung des alten Generaldirektoriums. Hardenberg selbst mußte zu seiner Erbitterung Franken verlassen, als Minister f ü r Ansbach und Bayreuth in das Generaldirektorium eintreten und die von ihm eingerichtete m o d e r n e Verwaltung nach dem Muster der altpreußischen Provinzen völlig a b - und umbauen. Für lange Jahre sah er sich kaltgestellt und seine Ideen zurückgeschoben. 1
Hardenbergs Denkschrift 25. Juli 1797 im Auszuge in Die Reorganisation des preußischen Staates unter Stein und Hardenberg. Teil I Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform, Bd. I, hrsg. Georg Winter, Publ. a. d. preuß. Staatsarch. Bd. 93, Leipzig 1931, S. 124 Anm. 2 (in folgenden zitiert: Winter).
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Dabei war sich der neue König der Reformbedürftigkeit seines Staates bewußt. Auf ihn wirkten weniger die Minister als die bürgerlichen Kabinettsräte Mencken und Beyme, die in ihrem Herzen die ganze Adelsherrschaft ablehnten und denen die Reaktionäre nicht mit Unrecht vorwarfen, sie neigten zu den Ideen der Französischen Revolution. Daher ließ Friedrich Wilhelm Iii. wenige Wochen nach seinem Regierungsantritt nicht bloß die Immediatkommission f ü r das Heerwesen erneuern, sondern eine zweite für das Finanzwesen bilden. Ihre Instruktion 1 setzte die Ref o r m a u f g a b e in ihrem weitesten Sinne; sie berührte die gesamte Verwaltung von der Ministerial- zur Lokalinstanz und samtliche Sachaufgaben vom Sold des Militärs bis zum Salzpreis, überall begnügte sie sich a b e r mit Anregungen, deren Fülle keine Gewähr dafür bot, daß man im einzelnen zu brauchbaren Ergebnissen kommen werde. Die Minister, die in die Kommission berufen wurden, vor allem Hoym und Schulenburg, waren beileibe keine Reformer, auch zu viel von Berlin abwesend, als daß sie sich f ü r ihre A u f g a b e eingesetzt hätten. Von der Kommission, mit deren Arbeit uns eine fleißige Dissertation bekanntgemacht hat, läßt sich nur sagen: sie konstituierte sich umständlich, bildete Unterkommissionen, beriet selten und lustlos und schlief ganz ein, ohne etwas zustande gebracht zu h a b e n 2 . Immerhin war die Frage der Verwaltungsorganisation ins Rollen gekommen, so daß eines ihrer j ü n geren Mitglieder, der Geheime Finanzrat Borgstede, kurze Zeit darauf einen eigenen Plan für die Ministerialorganisation vorlegen konnte. Audi er zerschlug im Geiste bereits das Generaldirektorium. An seine Stelle wünschte e r vier Sachressorts für die Finanzen, den Krieg, das Innere und die Domänen. Aber das war für ihn nur das letzte Ziel; für praktisch erreichbar hielt er die völlige Beseitigung der preußischen Provinzialministerien nicht, daher wollte er die inneren Geschäfte und die der Domänen Provinzialministern zuteilen, deren es a b e r in Zukunft nur zwei geben sollte. Neben sie wollte er ein Finanzministerium im engeren Sinne und ein Ministerium f ü r die indirekten Abgaben sowie f ü r Gewerbe und Handel s e t z e n s . Hardenberg trat in einer eigenen kurzen Denkschrift im wesentlichen auf die Seite Borgstedes, auch in der vorläufigen Erhaltung der Provinzialministerien. Dabei unterschied e r grundsätzlich zwischen der eigentlichen Provinzialverwaltung, die der Hervorbringung der Staatseinkünfte zu dienen habe, und deren Verwendung o d e r der eigentlichen Finanz, f ü r die er ein Fachressort wünschte *. Es sind die gleichen Klänge, die wir bei der Einrichtung eines besonderen Tresors neben dem Ministerium der Einkünfte in der französischen Nationalversammlung gehört haben. Was sich f ü r Hardenberg aus seinen allgemeinen Überlegungen ergab, entsprach e b e n falls dem französischen Ergebnis, nur mit dem Unterschied, d a ß e r das dortige Innenressort auf drei Provinzialministerien verteilte und dann gezwungen war, f ü r 1 Generalinstruktion für die Kommission der Finanzen, Georg Küntzel, Die politischen Testamente der Hohenzoilern, Leipzig 1911, II 136 ff. 2 Horst Petzold, Die Verhandlungen der 1798 von König Friedrich Wilhelm III. eingesetzten Finanzkommisson, Phii. Diss. Göttingen 1911. Vgl. Otto Hintze, PreuB. Reformbestrebungen vor 1800, Ges. Aufs. III 538 ff. 8 Gutachten Borgstede, 10. Juni 1800; Winter 157 Anm. 1. 4 Hardenberg zum Gutachten Borgstedes, 10. Juni 1800; Winter 157 Anm. 1.
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„inländische Publica" (merkwürdig, wie dem früheren Reichsjuristen der österreichische Ausdruck in die Feder kommt) in Verbindung mit königlichen Haussachen einen weiteren Minister vorzuschlagen. Das war mit Auswärtigem und Justiz ein insgesamt achtköpfiges Ministerium, das die Errungenschaften der Französischen Revolution recht locker mit den Resten der preußischen Überlieferung verbunden hätte. Nur in losem Zusammenhang mit diesen amtlichen Aktenstücken steht eine fast gleichzeitige, mehr private Äußerung von Friedrich Gentz, der der Protokollführer der Finanzkommission von 1798/99 gewesen war. Die Gruppe um Hardenberg, der sich seit 1806 Stein zugesellte, nahm den Kampf um die Kabinettsregierung erst später auf; vorerst war Hardenbergs Ministerialordnung mehr darauf berechnet, das alte Generaldirektorium zu beseitigen. Gentz, der einmal an die Seite Metternichs treten sollte, verwarf Mencken und Beyme als Anhänger der Französischen Revolution und Lombard als Vertreter einer franzosenfreundlichen Außenpolitik. In konservativem und spezifisch preußischem Interesse wollte Gentz nicht bloß die Kabinettsräte selbst, sondern das Kabinett als solches beseitigt und durch ein dreiköpfiges Ministerium für Inneres, Krieg und Auswärtiges ersetzt wissen 1 . Neben den Plänen Hardenbergs, die die Lehren der Revolution mit eigenen Gedanken verknüpften, stellte Gentz den anderen Typus einer neuen Ministerialorganisation dar, wie er im Jahre darauf in der habsburgischen Monarchie vorübergehend verwirklicht und wie er gerade durch Hardenberg während des Krieges von 1806/07 auch in Preußen seine Rolle spielen sollte. Hier wurden das Innere und die Finanzen in der Hand eines eigenen Ministers ebenso vereinigt wie im Generaldirektorium. Aus diesen Erwägungen ist vorerst nicht mehr herausgekommen als eine kleine Verwaltungsreform, die den einzelnen unveränderten Departements im Generaldirektorium mehr Selbständigkeit verlieh und die gleiche Verselbständigung auf der Ebene der Kammern wiederholte 2 . Es dauerte bis in die Vorwehen des Krieges gegen Napoleon, ehe die Frage der Ministerialressorts in Preußen wieder aufgenommen wurde. Während die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms III. auf unserm Felde nur unverwirklichte Pläne hervorrief, zeigte fast gleichzeitig der Regierungswechsel im damaligen Kurfürstentum Bayern, welch tiefgreifende Veränderungen in der Ministerialinstanz zur Zeit möglich waren. Als Maximilian Josef aus der Zweibrücker Seitenlinie Anfang 1799 nach München eilte, um die Regierung anzutreten, brachte er den Grafen Montgelas, der aus Savoyen stammte, als seinen vertrauten Minister mit und gab ihm freie Hand zu einer vollständigen Umbildung der Regierung 9 . Bayern hatte im 18. Jahrhundert 1 Gentz' Schreiben an einen vertrauten Freund, Juli 1800, hrsg. Paul Wittichen HZ 89, 1902, 269—270. 1 Verwaltungsreform Voß, Juli, August 1800; Winter 157 Anm. 1. 8 Denkwürdigkeiten des Grafen Maximilian Josef von Montgelas über die innere Staatsverwaltung Bayerns 1799/1817, hrsg. Georg Laubmann und Michael Doeberl, München 1908.
H ä u s s h e r r . Vcrwaltungseinheit
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seine altertümliche Verwaltung mit Hofrat, Hofkammer und geistlichem Rat, wie wir sie aus anderen deutschen Territorien kennen, beibehalten. Auch hier war über die alten Behörden ein Konferenzministerium gesetzt worden, in dem zwar Träger von Hof- und Verwaltungsämtern nebeneinander saßen, jedoch insofern eine gewisse Ressortteilung erzielt war, als der Kanzler mit den Justiz- zugleich Reichs- und Lehnssachen bearbeitete, der Kammerpräsident als Finanzminister im älteren Sinne, der Oberstallmeister als Außenminister fungierte, während für Oberpfalz mit Neuburg und Sulzbach ein Territorialminister zuständig war. Montgelas' neues Ministerium beseitigte die territorialen, setzte an ihre Stelle rein fachliche Zuständigkeiten und schloß die Hofämter aus. Da der Kurfürst die Militärangelegenheiten damals wie später in der eigenen Hand behielt, fehlte ein Kriegsminister. Dafür gab es Ressorts für das Auswärtige, die Finanzen, den Kultus und die Justiz 1 . Es ist möglich, daß sich Montgelas' ursprünglicher Plan stärker an das französische Ministerialgesetz anlehnte. Was aber nach den Veränderungen, die der Kurfürst vornahm 2 , herauskam, stellte eine Sonderform gleicher Grundgedanken dar. Die Ernennung eines besonderen Kultusministers zeigte jedenfalls mehr Rücksicht auf die Stellung der Kirche, als der Minister sie von sich aus geübt hätte. Die Zuständigkeiten der inneren Verwaltung blieben auf das Finanz- und Justizressort verteilt. In dem Bayern des Grafen Montgelas offenbarte sich der tiefere Grund, warum es in Frankreich und in Bayern, aber nicht in Preußen schon vor der Jahrhundertwende zu einer fachlichen Ministerialorganisation kam. Hier war eben mehr als eine Verwaltungsreform beabsichtigt; es drehte sich um einen grundlegenden Umbau des Staates, der in Bayern von oben her durchgeführt wurde, weil das Volk noch nicht auf ihn vorbereitet war. Wie sehr diese Umbildung an der Person des leitenden Ministers hing, zeigte sich daran, daß Montgelas 1803 zu seinem Außenministerium noch die Finanzen und den Kultus übernahm. Es gab keine bayerischen Beamten von Rang, die bereit gewesen wären, die Absichten des Kurfürsten und Montgelas' zu verwirklichen. Daher verstärkte Montgelas seine eigene Macht und leitete die neuen Ministerien selbst. Es bedurfte eines energischen Anstoßes von außen, um die neue Ministerialorganisation in Deutschland weiterzutreiben; in Süddeutschland waren es die Territorialveränderungen nach der österreichisch-russischen Niederlage von 1805, in Preußen die Drohung mit dem Kriege von 1806 und die Sorge vor einem Zusammenbruch, falls die alte Staatsordnung aufrechterhalten wurde. Bayern hatte den entscheidenden Schritt getan und brauchte nicht voranzugehen. Es ließ demjenigen Staat den Vortritt, der als Satellit Napoleons ebenfalls um mehr als die Hälfte seines bisherigen Staatsgebietes vergrößert wurde. In Württemberg wie in Bayern mußten die Privilegien, vor allem des reichsunmittelbaren Adels, eingeebnet, die Rechte der Kirche beschränkt werden, nachdem die Erwerbungen konfessionell einheitliche Staatswesen hier um katholische, dort um protestantische Neubürger bereichert hatte. Nur so 1
Verordnung vom 26. Februar 1799, Allg. Intelligenzblatt für d. Kurfürstentum Bayern 1799; vgl. Montgelas, Denkwürdigkeiten XV. 3 Denkw. Montgelas XV.
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konnte die neugewonnene oder noch zu gewinnende Souveränität, die Unabhängigkeit von dem zusammenbrechenden Reiche gesichert werden. Es galt schnell zu handeln, um neuen, drückenderen Beschränkungen durch die geplante Organisation des Rheinbundes zuvorzukommen Das wichtigste Mittel der Vereinheitlichung und Verselbständigung des Staates war die neue Ministerialorganisation; sie allein war imstande, einer Souveränität zu dienen, die nur noch eine einheitliche Masse von Untertanen ohne ständische Privilegien anerkennen wollte. Darin lag eine bewußte Ablehnung der Absicht Napoleons, die Rheinbundstaaten durch ein wirkliches Bundessystem unter eine übergreifende Schiedsgerichtsbarkeit zu beugen; dafür nahmen sie die Grundsätze seines Herrschaftssystems an und organisierten ihre Verwaltung nach dem Muster Frankreichs. Die Erwerbungen aus dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 waren in Bayern dem Ministerium des Äußeren, also Montgelas, in Württemberg einem eigenen Staatsminister unterstellt gewesen, der zunächst, wie einst Hardenberg, in den neuen Gebieten residierte 2 . Die gewaltigen Gebietsvergrößerungen der Jahre 1805 und 1806 machten ganze Arbeit nötig. Schon zu Ende des Jahres 1805 verlangte König Friedrich von Württemberg von seinen Ministern Entwürfe für ein grundlegendes Organisationsstatut. Der Plan des Justizministers von Ende, der die Landeskollegien erhalten und über ihnen zwölf Ministerialdepartements errichten wollte, die ungefähr wie die hannoverschen eingeteilt waren, erschien dem König zu unmodern. Friedrich zog daher den Entwurf seines Innenministers von Normann vor, der aus Preußen stammte und die Unterstützung des königlichen Kabinettschefs, des Hessen Wintzingerode, fand. Auf Grund dieser Vorarbeiten erschien das Organisationsmanifest am 18. März 1806 3 . Danach gab es sechs Ministerialressorts — Auswärtiges, Inneres, Justiz, Krieg, Finanzen, Kultus —, zusammengefaßt zu einem Staatsministerium ohne Premier, da der König durch seine Minister selbst zu regieren beabsichtigte. Die Ministerien wurden streng bürokratisch geleitet, auch das Auswärtige, wo das Manifest zwar zwei Minister vorsah, der König aber nur einen ernannte. Für die Jahre 1812/14 kam ein Polizeiministerium hinzu. Hier ist das Vorbild der französischen Ministerialverfassung von 1791 mit Händen zu greifen, oder weniger das des Gesetzes selbst als der Verwaltungstradition, die von ihm ausging und die Napoleon übernommen oder wiederhergestellt hatte. Auch das geistliche Departement, das in dem konfessionell gemischten Rheinbundstaat dringend notwendig war, hatte sein napoleonisches Vorbild; kurz zuvor war in Frankreich ein eigenes Kultusministerium eingerichtet worden. Im Herbst des Jahres 1806 folgte Bayern dem Beispiel des Nachbarstaates. Mit betonter Selbständigkeit übernahm Montgelas nicht etwa das württembergische Statut, sondern suchte eine eigene Lösung. Die territoriale Verwaltung der Erwerbungen von 1803 ließ sich angesichts der sehr viel beträchtlicheren Vergrößerungen von 1805 und 1
Vgl. Erwin Hölzle, Das napoleonische Staatssystem in Deutschland, HZ 148,1933,277 ff. Friedrich Wintterlin, Gesch. der Behördenorganisation in Württemberg I, Stuttgart 1904, 184. » Wintterlin 1 196/98; Text I 335—347. 2
13'
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Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
1 8 0 6 nicht mehr aufrechterhalten. Das neue Ministerium kannte daher ebenfalls nur noch Sachressorts. Das Kultusministerium von 1 7 9 9 ließ Montgelas ganz auflösen und machte aus dessen Zuständigkeiten den Kern eines Innenministeriums, das vom früheren Finanzressort noch Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, vom Justizressort die Polizei und die Aufsicht über die Gemeinden übernahm. Jetzt erst war die innere Verwaltung im französischen Sinne ganz von der der Finanzen getrennt. Auf diese Weise entstand ein vierköpfiges Ministerium: Äußeres, Inneres,
Finanzen,
Justiz, zu dem 1 8 0 8 als fünftes ein Kriegsressort kam, wenigstens der Form nach, da der König die Militärsachen nach wie vor in der eigenen Hand behielt. Die V e r fassung von 1 8 0 8 hat dem nur wenig zugefügt; nicht mehr als die offizielle B e zeichnung Minister-Staatssekretär und die Gegenzeichnung
für alle
Erlasse des
Königs. Auch die Tatsache, daß Montgelas neben dem Auswärtigen von Anfang-an das Innenministerium, seit 1 8 0 9 noch die Finanzen leitete, änderte nichts an der Sonderung des ministeriellen Behördenapparates. Damit hatte sich Bayern auf seine Weise dem französischen Vorbild angenähert. Freilich g a b es hier ebensowenig wie in Württemberg ein eigenes Tresorministerium, so daß die beiden Rheinbundstaaten früher als Frankreich selbst den Typus des Finanzministeriums ausbildeten, der das 19. Jahrhundert beherrschen sollte. Mit dem herannahenden Kriege von 1 8 0 6 waren die Dinge auch in Preußen in Bewegung gekommen. Hier ging es nicht um die Souveränität des Staates noch um die Eingliederung neuer Gebiete.
J e n e war in Preußen gesichert, seit Friedrich
Wilhelm I- sie gegen eine Adelsopposition stabilisiert hatte wie einen „Rocher Bronce"
von
und Friedrich sie im Kampf gegen das Reich nach außen verfochten hatte.
Die Erwerbungen waren durch die Mittel des alten Staates angegliedert worden, hatten seinen Verwaltungsapparat erweitert, aber nicht grundsätzlich
umgebildet.
Nun hatten die Kriege gegen die französische Revolution und das diplomatische Ringen mit Napoleon den preußischen
Staat Stufe um Stufe sinken lassen. Da
Friedrich Wilhelm III. sich weder dem Neuen anschließen noch für die alten Mächte kämpfen wollte, hatte e r sich um so sicherer um alles Ansehen gebracht, als sein Staat dabei zunächst immer neuen Gebietszuwachs einheimste. J e d e Staatsreform richtete sich daher zunächst gegen die Spitze, gegen das Werkzeug der königlichen Selbstregierung, das Kabinett. Einen seiner selbst bewußten Bürgerstand, der mit bestimmten Forderungen hätte auftreten können, gab es in Preußen ebensowenig wie in den Rheinbundstaaten. Die Opposition wurde daher von hochadligen Beamten getragen, die wie in Bayern und Württemberg fremder Herkunft waren, von dem Reichsfreiherrn von Stein aus Nassau, dem Freiherrn von Hardenberg aus Hannover. Den bürgerlichen Kabinettsräten des Königs, denen sie Nachgiebigkeit gegen das napoleonische Frankreich vorwarfen, dem königlichen Kabinett als Mittel der Selbstregierung stellten sich die führenden Minister mit der Forderung entgegen, den König unmittelbar zu beraten, die Minister aus bloßen Empfängern von Kabinettsorders zu verantwortlichen Trägern der Politik zu machen. Wie sich diese Forderung in der Aprildenkschrift Steins darstellte, ist zu gut bekannt, als daß es wiederholt
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zu werden brauchte Mit Recht hatten Steins Freunde ihm abgeraten, seine Denkschrift mit den maßlosen Beschuldigungen gegen die nächste Umgebung des Königs dem Monarchen wirklich vorzulegen. Daher geht sie uns nur insoweit an, als sie im Negativen, in der Beseitigung des Kabinetts, und im Positiven, dem Entwurf einer neuen Ministerialorganisation, das vorwegnahm, was nach dem Zusammenbruch Preußens Wirklichkeit wurde. „Die Staatsgeschäfte lassen sich in folgende Abteilungen bringen: 1. Kriegswesen, 2. auswärtige Verhältnisse, 3. allgemeine Landespolizei im ausgedehntesten Sinne des Wortes, 4. öffentliches Einkommen, 5. Rechtspflege. Jeder dieser Geschäftszweige würde e i n e m Minister anvertraut w e r d e n " 2 . Mit dieser Einteilung hielt sich Stein an das Gesetz d e r Nationalversammlung, deren Verhandlungen e r so genau studiert hatte, daß er sie bei anderer Gelegenheit nach den Protokollbänden zitieren konnte. In der Bezeichnung für das Innenressort wiederholte er mit „allgemeiner Landespolizei" die Ausdrucksweise des deutschen Kameralismus, dagegen nahm er mit „öffentlichem Einkommen" den französischen Ausdruck auf, der doch nur dann wirklich paßte, wenn es daneben eine eigene Tresorverwaltung gab. In dieser sauberen Ressorttrennung nach französischem Muster liegt aber nicht Steins eigentliche Absicht; es kam ihm vielmehr darauf an, den König an eine kleine und doch nicht zu kleine Versammlung von Ministern zu binden, in deren Mitte er seine Entschlüsse fassen und an deren Gegenzeichnung er gebunden werden sollte. Damit sollte die Kabinettsregierung endgültig beseitigt und dem König ein Regierungssystem aufgezwungen werden, f ü r das sich Stein auf den Willen der Nation berief; nach seiner Meinung würde dieser bei dem Mangel einer Volksvertretung, die er dem preußischen Staat noch nicht zuzumuten wagte, in verantwortlichen Ministern zu Worte kommen. Doch dachte sich Stein seine Minister nicht als Chefs einer b ü r o kratischen Ressortorganisation; sie waren ihm ein „innerer Staatsrat" oder nach der anderen Fassung der Denkschrift eine „Deputation des Staatsrats", also nur der Ausschuß einer größeren Ratskörperschaft, mit d e r er die frühere, zur bloßen Form herabgesunkene Versammlung sämtlicher Minister zu beleben gedachte. Stein scheint nämlich keineswegs eine A u f h e b u n g der bestehenden Verwaltungskollegien ins Auge gefaßt zu haben. Als Altenstein in Hardenbergs Auftrage und nach dessen Weisungen in den Tagen des Kriegsausbruches eine Denkschrift für Verwaltungsreform e n t w a r f 3 und nun dieselben fünf Ministerialressorts, aber streng büromäßig organisiert, in Vorschlag brachte, erklärte Stein: „Ich würde nicht zur Aufhebung des Generaldirektorii raten", damit eine kollegiale Innen- und Finanzbehörde seinen Staatsrat von aller Einzelarbeit entlasten k ö n n e 4 . Als Übergang von der Kabinettsregierung zum Staatsrat wollte er den König jetzt daran gewöhnen, mit einem Minister des Auswärtigen und einem des Innern zu arbeiten, wobei er offen ließ, o b die Militärgeschäfte durch einen dritten Minister o d e r weiter durch die General1
Vgl. die jüngste Darstellung von Gerhard
2
Winter 11 = Botzenhart,
3
o. D . (Ende Sept., Anfang Okt. 1806), Winter
1
Ritter,
Stein 1931, 1 228 ff.
Stein II 80. 64—65.
Bemerkungen 6. Okt. 1806; Winter 68 = Botzenhart
II, 127—128.
Verwaltungseinheit und Ressorttrennung
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adjutanten vorgetragen werden sollten. Damit nahm Stein nur auf, was Altenstein im Namen Hardenbergs als abgekürztes Regierungsverfahren für die Zeit des Krieges in Aussicht genommen hatte. Auf dieser Linie liefen die Ereignisse während der ersten Kriegsmonate, in denen sich die preußische Monarchie nach der Niederlage von Jena und dem furchtbaren Versagen des alten Heeres und seiner führenden Adelsschichten bald auf Ostpreußen beschränkt sah. Das Generaldirektorium war in Berlin zurückgelassen worden und führte die Befehle der französischen Besatzungsbehörde aus. All dies erleichterte eine Veränderung der Behördenverfassung im Quartier des Königs. In der kurzen Atempause auf der Flucht, die dem König und dem Rest seiner Regierung während des Dezember 1806 in Königsberg gegönnt wurde, verlangten Stein und Hardenberg das dreiköpfige Kabinettsministerium für die äußeren, inneren und Militärgeschäfte und den Sturz Beymes als der Verkörperung der Kabinettsregierung. In beschämendem Gefühl seines Mißerfolges erklärte sich Friedrich Wilhelm bereit, ein solches Ministerium zu berufen, wollte sich aber nicht dazu verstehen, ganz auf die Generaladjutanten und auf Beyme und damit auf den Anschein königlicher Selbstregierung zu verzichten. Nach seinen Wünschen sollte Beyme das Protokoll bei den Ministerialvorträgen führen und die Kabinettsordres ausfertigen. Da sich gerade eine Friedensaussicht bot, wagte er Napoleon nicht durch die Ernennung von Hardenberg zum Außenminister zu vergrämen. Unter diesen Voraussetzungen berief Friedrich Wilhelm Stein für das Innere, Zastrow für das Äußere und Rüchel für das Militär zu Kabinettsministern. Stein hatte sich jedoch auf Hardenberg als Außenminister und die Beseitigung Beymes festgelegt; er weigerte sich, sein neues Amt anzutreten, und zog es vor, seine Entlassung zu nehmen, als ihn der König mit Worten tadelte, die ein Urteil sprachen, weniger über den „widerspenstigen, ungehorsamen Staatsdiener" als über die preußische Monarchie und ihren derzeitigen Herrscher 1 . Auf diese Weise war die ursprüngliche Absicht Steins und Hardenberg-Altensteins, die Ressorttrennung gemäß der Ministerialorganisation des Gesetzes von 1791, die sich gerade in den Rheinbundstaaten durchgesetzt hatte, ganz in den Hintergrund getreten. Die Reformvorschläge liefen daher auch nach dem Abgang Steins auf der Ebene des Dreierkollegiums und darüber hinaus der Zusammenfassung zweier dieser Ressorts in einem Premierministerium nach Hardenbergs Wünschen, bedingt durch die Kriegsnot, die von Memel und von den litauischen Dörfern aus, in denen die preußische Regierung Unterkunft suchte, nicht mehr viel an Staatsgebiet zu regieren übrig ließ. Ein Versuch des Königs, sämtliche noch zufällig vorhandenen Minister im Beisein seines Kabinettsrates zu einem Conseil zu vereinigen®, scheiterte bald an dem Widerwillen der meisten Beteiligten, vor allem Hardenbergs, der für seine Person Größeres erhoffte. 1
Die Aktenstücke ausgebreitet bei Winter 83—115; vgl. die Darstellung bei Ritter, Stein I, 258 f. 2 Anordnung des Königs für die Minister Voß, Hardenberg, Schrötter, Zastrow, Memel 11. März 1807; Winter 141—143.
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Seine Wünsche erfüllten sieh Ende April 1807. Durch den Vertrag von Bartenstein schloß sich Preußen erneut an die russische Politik und Kriegführung an, und der König rang sich dazu durch, in Hardenberg den Mann, dem der Zar vertraute, zum Außenminister zu ernennen. Zugleich bekam Hardenberg die Leitung ,>aller auf den Krieg Bezug habenden Geschäfte", das heißt das Innere und die Finanzen; soweit sie noch in preußischer Gewalt waren, und die Heeresversorgung, während „die eigentlichen Militärsachen" nach dem eigenhändigen Zusatz des Königs ausgenommen blieben Deutlich schimmert in diesem Premierministerium Hardenbergs, der in allen auswärtigen und inneren Sachen allein Vortrag hielt, die vielbesprochene Dreiteilung der Geschäfte durch. Wenn a b e r inneres und Finanzen in einer Hand lagen, b e d u r f t e es einer ausführenden Behörde, die in ihrem Geschäftsumfang etwa dem alten Generaldirektorium entsprach. Hardenberg bildete jedoch einen zunächst formlosen Kreis von Räten, unter ihnen Altenstein, Schön, Stägemann, Niebuhr. Sie wurden erst in dem Augenblick als Kombinierte lmmediatkommission zu einem ordentlichen Kollegium 2 , als Hardenberg in Tilsit auf den Befehl Napoleons entlassen werden mußte und Stein seine Nachfolge antreten sollte* Zugleich wurde in Goltz ein eigener Außenminister ernannt. In den ersten drei Friedensmonaten, in denen alles darauf wartete, daß Stein von Nassau nach Memel zurückkehrte, arbeitete Hardenberg zusammen mit Altenstein und Niebuhr in, seiner Verbannung zu Riga ein großes Reformprogramm aus. Hardenberg fand die Ausführungen seines Mitarbeiters über die neue Ministerialorganisation so gut, daß er ihnen um so weniger zufügte, als es sich f ü r den e r hofften Fall einer Rückkehr in die Geschäfte um seine eigene Stellung drehte. Altensteins Plan schloß sich nicht mehr an das Gesetz von 1791 an, sondern verwertete mehr die jüngeren Erfahrungen, die er in der Nähe Hardenbergs gemacht hatte. Er zielte nicht auf ein Nebeneinander von gleichgestellten Ministerialressorts, sondern auf die Überordnung eines Premiers ab, als der vorerst Stein, dann Hardenberg gedacht wurde. Dieser Premier sollte auch den Vorträgen des Kriegs- und des Außenministers beiwohnen, während er für sein eigenes drittes Ressort allein v o r zutragen hätte. Dieses umfaßte alle inneren, Finanz-und Rechtsangelegenheiten. Hier arbeiteten in streng büromäßig organisierten Abteilungen sechs o d e r sieben G e heime Staatsräte, die den Premier unmittelbar unterrichten und ihn einzeln oder in ihrer Gesamtheit beraten sollten *. Die Gedanken, die Stein Monate zuvor in seiner Nassauer Denkschrift als Regierungsprogramm niedergelegt hatte, umfaßten nicht das Ganze der Staatsverwaltung. G e g e n ü b e r Altensteins und Hardenbergs Plänen blieb es bei der früher ausgesprochenen Ansicht: „Ich würde nicht zur Aufhebung des Generaldirektor» 1
K O an Staatsministerium und an Hardenberg, beide Bartenstein, 26. April 1807; 173—175. 3 K O an die Geh. Oberfinanzräte Altenstein, Schön, Stägemann, Niebuhr, Memel, 14. Juli 1807; Winter 220—222. 8 Altensteins Denkschrift Riga, 11. September 1807, Winter 522—530; Hardenberg, Riga, 12. September 1807, Winter 357—361. Winter
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Verwaltungseinheit und R e s s o r t t r e n n u n g
raten." Grundsätzlich zog Stein das Kollegium den Büros vor. Doch behielt sein neues Generaldirektorium von der alten Behörde nur noch den Namen; denn für die Geschäftsverteilung sah er reine Sachdepartements vor. Die Behörde wollte er in zwei Hauptabteilungen gliedern, deren eine die allgemeine Verwaltung mit Erziehung und Unterricht, die andere die Finanzen leitete; jede von ihnen sollte vier Unterabteilungen umfassen. Doch sprach sich Stein ebensowenig darüber aus, wie er sich die Zusammenarbeit der Abteilungen und Unterabteilungen dachte, wie über die Frage, welche Ministerien neben die neue umfassende innenbehörde treten sollten Als Stein Anfang Oktober in Memel eintraf, fand er an Zentralbehörden die Kombinierte Immediatkommission Hardenbergs, das Außenministerium unter Goltz, das Justizdepartement unter dem einen Schrötter, das ostpreußische Provinzialministerium unter dem anderen Schrötter, Beyme als Kabinettsrat des Königs sowie die Militärkommission vor. Nachdem Stein sich mit dem Versprechen begnügt hatte, Beyme werde in kurzer Zeit als Kabinettsrat entlassen werden, erhielt er die „Leitung aller Zivilangelegenheiten", Sitz und Stimme im auswärtigen Departement und in der Militärkommission 2 . Es war eine Stellung ähnlich der Hardenbergs; der neue Minister trug dem König alle Innen- und Finanzsachen allein vor, während er bei dem Vortrag der äußeren und der Militärangelegenheiten anwesend sein durfte. Was der König damit ausdrücklich verfügte, hätte sich in diesem Zeitpunkt durch die Macht der Tatsachen wahrscheinlich von selbst durchgesetzt; da jeder Schritt der preußischen Regierung in ihrer Ohnmacht unter dem Druck der Besatzungsforderungen und der Kontributionsaufbringung stand, konnte nach außen und nach innen nichts geschehen, was der Finanzminister nicht angeregt oder begutachtet hätte 3 . Das war die Linie, auf der sich Stein mit seinen Plänen für eine endgültige Ministerialorganisation zunächst bewegte. Altenstein, den er die Reformvorschläge niederschreiben ließ, brauchte nur das weiter zu denken, was er in seiner Rigaer Denkschrift niedergelegt hatte. Für ihn trat an die Stelle Hardenbergs als Premier mit dem Kombinierten Innen- und Finanzressort und mit der Aufsicht über die anderen Minister nur Stein mit den gleichen Funktionen. Stein erinnerte sich bei dem Innen- und Finanzministerium gern an das alte Generaldirektorium, zu dessen Rechtfertigung sich noch immer vieles sagen lasse, wie er bei der Durchsicht der Altensteinschen Denkschrift bemerkte 4 . Eine kollegialische Behörde mit einer Reihe von nahezu selbständigen Geheimen Staatsräten als Leiter der Sachdepartements führte unmittelbar zu seiner Idee eines großen Staatsrates, der nach einer Übergangszeit mit dem Premierministerium sein eigentliches Ziel war und blieb. In dem großen Ministerium sah Stein für den öffentlichen Unterricht und für den Kultus je 1
Nassauer Denkschrift, Juni 1807, Botzenhart II, 2 1 2 — 2 1 6 ; vgl. Ritter I 2 7 6 — 2 7 7 . K O an Stein, M e m e l , 4. O k t . 1807, auf G r u n d eines Entwurfes von Steins H a n d ; Botzenhart II, 2 6 4 — 2 6 5 . 3 E i n g e h e n d dargestellt in m e i n e m Buch Erfüllung u n d Befreiung. D e r Kampf um die D u r c h f ü h r u n g d e s Tilsiter Friedens, H a m b u r g 1935, 97 ff. 4 P r o m e m o r i a Steins, M e m e l , 15. O k t o b e r 1807; Botzenhart II, 278. 2
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ein eigenes Departement vor; dagegen war er im Widerspruch zu Altenstein für einen besonderen Justizminister. Auf diese Weise kam Stein auf vier Ministerialressorts (Inneres und Finanzen, Äußeres, Krieg, Justiz), dann gab es keinen Zweifel, bei wem die sachliche und persönliche Überlegenheit ruhen würde 1 . All dies ist zunächst Entwurf geblieben, weil Stein sich für den Aufenthalt der Regierung in Memel und in Königsberg mit dem vorläufigen Zustand begnügte, der ihm praktisch das Premierministerium sicherte. Die Frage der endgültigen Organisation wurde erst brennend, als Ende 1808 zu erwarten stand, daß die Franzosen die besetzten Provinzen räumen und die Regierung nach Berlin zurückkehren würde. Es war für Stein ein tragisches, aber nicht unverschuldetes Geschick, daß dieser Zeitpunkt mit seinem Sturz zusammenfiel. Nun griff er über den Zwischenzustand, als den er das Premierministerium immer betrachtet hatte, wieder auf den Staatsrat zurück, auf das Beamtenparlament, in dem die Minister und die Geheimen Staatsräte gleiche Stimme haben sollten. Er ließ sich nicht bloß durch die Hoffnung leiten, in einem solchen Staatsrat trotz des Rücktritts als Minister entscheidenden Einfluß auszuüben; hier trat vielmehr, wie dies Gerhard Ritter mit vollem Recht betont h a t 8 , sein eigentliches Wollen ans Licht, die kollegialische Versammlung von erfahrenen Verwaltungsmännern, in der er von der Aprildenkschrift 1806 bis an sein Lebensende die beste Form der Zentralregierung gesehen hat. Jetzt erfuhren die Ministerialressorts eine wesentliche Änderung: „Die Stelle des Ministers der Finanzen und des Innern wird getrennt und zwei besondere Ministerien gebildet" 3 . Damit geschah auch in Preußen der entscheidende Schritt von der Verwaltungseinheit der inneren Geschäfte zur Trennung der Ressorts gemäß dem französischen Gesetz über die Ministerialorganisation. Stein hatte sich die Verwaltungseinheit nicht bloß in der Behörde, sondern auch in der Person des Ministers, also seiner selbst oder Hardenbergs gedacht. Da er im Staatsrat unterzukommen hoffte, Hardenberg auch jetzt noch nicht ernannt werden konnte, so blieb für die ehemalige zweite Garnitur, die nun zu Ministerstellen aufrücken sollte, nur die Trennung übrig, traute Stein doch keinem von ihnen zu, auch Schön und Altenstein nicht, daß er imstande sein würde, das Ganze zu leiten. Wenn Stein in diesem Punkte zu dem zurückkehrte, was er in der Aprildenkschrift von 1806 vorgeschlagen hatte, wirkte vielleicht das Beispiel der neuen Nachbarn Preußens mit. Denn in den beiden napoleonischen Staatsgründungen, die durch Preußens Niederlage möglich geworden waren, wurden Verfassungen verkündet, in denen jedesmal Ministerialressorts vorgeschrieben wurden, die ungefähr dem Gesetz von 1791 entsprachen. Wir haben bereits erfahren, daß gerade neue Staaten, in denen keine geschichtlichen Überlieferungen hemmend wirken, besonders rein ausprägen, was in einer Epoche als die selbstverständliche Regierungsform gilt. Die Verfassung des Königreichs Westfalen war von Napoleon selbst gegeben, ging 1
Steins Imm. Ber., Memel, 23. Nov. 1807 (Konzept Altenstein), Bolzenhart mit dem bisher unveröffentlichten Organisationsplan vom 24. November 1807. 2 Stein II 372—373. 3 Imm. Ber. Stein, Königsberg, 28. Oktober 1808; Botzenhart II 556.
II 298—305,
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mit seiner Unterschrift heraus und brauchte in Kassel durch den König Jérôme nur verkündet zu werden. Hier gab es zunächst vier Ministerialressorts für Justizwesen und innere Angelegenheiten, für das Kriegswesen, für die Finanzen, den Handel und den öffentlichen Schatz, sowie ein Minister-Staatssekretariat 1 . Nach Napoleons Willen sollte die Außenpolitik dieses Staates nur darin bestehen, daß seine Befehle befolgt wurden; daher war es schon ein schüchterner Griff nach Selbständigkeit, wenn sein Bruder kein Jahr verstreichen ließ, um dem Minister-Staatssekretär, der als sein Kabinettschef fungierte wie Maret bei Napoleon, durch Dekret seine auswärtigen Angelegenheiten zuzuweisen. Dagegen bestand der Schnitt zwischen der inneren und der Finanzverwaltung von Anfang an. Die verwunderliche Koppelung der Justiz mit dem inneren Ressort wurde bald aufgehoben; Ende 1808 schuf der König ein neues Ministerium, so daß Westfalen nunmehr über fünf Ministerialressorts verfügte: Äußeres mit Staatssekretariat, Inneres, Finanzen, Justiz, Krieg 2 . Nur wenig verändert erscheinen die gleichen Ressorts in der Verfassung des Herzogtums Warschau, die ebenfalls von Napoleon gegeben worden war. Hier trug der König von Sachsen in Personalunion den Hut eines Herzogs von Rumpfpolen. In seinem Stammlande hatte er keine Neuorganisation des Ministeriums durchgeführt, und Napoleon hatte auch keine verlangt, weil das Ständetum des ancien régime hier erhalten blieb und eine Verfassung nach dem Rheinbundschema ausschloß. In Sachsen blieb es also bei dem Kabinettsministerium älteren Stils, in dem wenigstens die äußeren, inneren und militärischen Geschäfte ressortmäßig getrennt waren, und bei den alten kollegialischen Geschwisterbehörden. Dagegen wurde im Herzogtum Warschau alles neu: das Ministerium wies hier einen Justizminister, einen Minister des Innern und der kirchlichen Angelegenheiten, einen Kriegsminister, einen Finanz- und Schatzminister, einen Polizeiminister und einen Minister-Staatssekretär a u f 3 . Abgesehen von dem Polizeiministerium, dessen Existenz beweist, daß der Herzogstuhl von Warschau nicht als ein Sitz unbedingter Sicherheit galt, sind es die gleichen Ressorts. In den kleinen Verhältnissen von Westfalen und von Warschau gehörte die gesamte Finanzverwaltung einem Minister; die Staatskasse leitete ein Direktor, aber er war dem Finanzminister unterstellt. O b und wieweit diese Vorbilder auf Stein gewirkt haben, als er im letzten Augenblick das Innere von den Finanzen trennte, wissen wir nicht. Es läßt sich nur vermuten, daß ihm der Zug der Zeit die Aufspaltung der ihm persönlich so gemäßen großen Einheitsverwaltung leicht machte. Freilich gingen die Dinge dann doch ganz anders, als Stein beabsichtigt hatte. Einem gestürzten Minister durch den Staatsrat Anteil an der Macht zu erhalten, wäre sowieso kaum durchführbar gewesen. Die preußische Reaktion wirkte in diesem Falle mit Hardenberg und mit Altenstein zusammen, daß Stein ganz gehen und jeden Einfluß auf die Geschäfte aufgeben 1 Artikel 19 der Verfassung vom 15. November 1807; Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789, I 1, Leipzig 1832, S. 40. 2 Friedrich Thimme, Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover 1806—1815, II, 1895, 62. » Artikel 11 der Verfassung vom 22 J u l i 1807; Pölitz III 17.
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mußte. Dann wurde nicht sein Organisationsplan mit dem Staatsrat, sondern ein Publikandum veröffentlicht, das nach Altensteins Wünschen nur die neuen fünf Fachministerien vorsah, Äußeres, Inneres, Finanzen, Justiz, Krieg 1 . Das war dem Anschein nach der volle Sieg der Ministerialverwaltung über die königliche Selbstregierung in Preußen. Heer und Auswärtiges waren Ressorts neben anderen geworden, das Kabinett praktisch beseitigt. Doch war schon das Kriegsdepartement nicht vollständig in das Ministerium eingeordnet. Der Bauernsohn Scharnhorst wurde nicht eigentlich Kriegsminister, sondern nur der Leiter des einen Kriegsdepartements neben einem sehr konservativen Kollegen in dem zweiten. D a f ü r hatte Scharnhorst als Leiter der Militärverwaltung einen besonderen Zugang zum Monarchen, den Vortrag durch den Generaladjutanten, zumal der O b e r s t Boyen verehrend zu ihm aufblickte und bereit blieb, die Gesichtspunkte des Meisters an höchster Stelle zu v e r t r e t e n S o l a n g e der Leiter des Kriegsdepartements sich jedoch im Rahmen des Gesamtministeriums hielt, wie es Scharnhorst stets tat, solange war keine Sorge, daß das persönliche Regiment durch einen im Grunde unfähigen Herrscher wieder auflebte. Tatsächlich sind Zivil- und Militärkabinett erst in der Reaktionszeit wieder emporgekommen. Als die Regierung Altenstein-Dohna Mitte 1810 fiel, veränderte die Staatskanzlerschaft Hardenbergs die Ministerialressorts selbst nur wenig. Hardenberg wurde f ü r zwei Jahre sein eigener Innen- und sein Finanzminister und stand als Staatskanzler über den anderen Ministern, für die er bei dem Monarchen, vortrug, wenn e r dies f ü r richtig hielt. Auf diese Weise war der König noch stärker als bisher an den Chef seiner Staatsverwaltung gebunden, war er nicht einmal in der Lage, den einen Minister g e g e n ü b e r dem anderen zu bevorzugen. Noch unter der Staatskanzlerschaft Hardenbergs trat seit 1817 j e n e Abspaltung neuer Ministerialressorts ein, die wir bereits unter Napoleon beobachteten, und die sich in fast allen Staaten fortsetzte, nachdem sie einmal mit den Ressorts Außeres, Inneres, Finanzen, Justiz, Krieg und gegebenenfalls Marine die Grundform der Ministerialverwaltung gefunden hatten. Aber diese Entwicklung, die f ü r Preußen von O t t o Hintze dargestellt worden ist \ steht außerhalb unserer Aufgabe.
Die moderne Ministerialorganisation ist nicht mehr als ein technisches Instrument der Staatsführung. Sie kann daher sehr verschiedenen Zwecken dienen. In dem ersten Abschnitt der französischen Revolution war sie geschaffen worden, um den absoluten König durch Staatsbehörden zu beschränken, die von der Volksvertretung 1 KO an die Staatsminister, 6. Dezember 1808, Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhang mit den Schicksalen des Gesamtstaates Preußen, Leipzig 1851 f., IV 105 —106; hier auch eine genaue Aufstellung der neuen Behörden. Publikandum vom 16. Dez. 1808, Gesetzsammlung f. d. Königl. Preuß. Staaten 1806—1810, Nr. 59, S. 361—373. a Ober das Ministerium Altenstein-Dohna vgl. mein Buch Die Stunde Hardenbergs, Hamburg 1943, S. 22—32. s Otto Hintze, Das preuß. Staatsministerium im 19. Jh., Ges. Abh. III 563—652.
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abhängig blieben; zugleich wurde der Staat in klar überschaubaren Verwaltungseinheiten durchrationalisiert. Diese Durchrationalisierung hat Napoleon weitergetrieben und die vermehrten Ministerien zu bloßen ausführenden Organen seines Willens gemacht. In den deutschen Rheinbundstaaten setzte sich die eben gewonnene Souveränität über alte und neue Landesteile durch das Mittel der Ministerien durch; in Preußen wurde die königliche Selbstregierung durch das gleiche Mittel für längere Zeit an die Verwaltungschefs gebunden. Trotzdem glauben wir gezeigt zu haben, daß sich ein technisches Mittel für so verschiedene Zwecke nur deshalb allgemein durchsetzen konnte, weil es einer gesellschaftlichen und politischen Struktur entsprach, die diesen Staaten gemeinsam war. Zur Rationalisierung des Staatsapparates waren früher die großen Einheitsverwaltungen geschaffen worden, aber für einen verhältnismäßig einfachen Staatsapparat, der noch einen stark persönlichen Charakter trug, weil er nichts sein sollte als der verlängerte Arm des Monarchen selbst. Zu Ende des 18. Jahrhunderts war dies eine Fiktion geworden. Es bedurfte einer stärkeren Versachlichung der Verwaltung, ihrer Unterteilung in klarer begrenzte, nebeneinander geordnete und in sich selbst bürokratisch organisierte Behördenkörper. Die Verkoppelung der Innen- mit der Finanzverwaltung war ein mächtiger Anlauf zur Versachlichung des Staates und zur teilweisen Verbürgerlichung der Monarchie gewesen. Nach einer feudalen Reaktion, die im Verlauf des Jahrhunderts in allen Staaten, auch in ihren Verwaltungen, Platz griff, ging der Prozeß der Versachlichung und Verbürgerlichung mit großen Schritten weiter. Dabei wurde die alte kameralistische Auffassung von einem selbstverständlichen Zusammenhang zwischen Verwaltung, Wirtschaft und sozialer Fürsorge zerrissen, die Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung in weit höherem Maße aufgerufen und die Staatstätigkeit auf manchen Gebieten wirklich beschränkt. Polizei war nicht mehr Verwaltung im ganzen, sondern eine besondere Einrichtung, die nur noch den Schutz des Bürgers vor Rechtsbruch durch andere Bürger und den Schutz des Staates gegen Aufruhr in jeder Form zum Inhalt hatte. Die Verbürgerlichung, die, gemessen am Absolutismus, auf jeden Fall eine Liberalisierung des Staates darstellte, mochte sich die Erscheinungsform auch noch so despotisch darstellen, trieb jene Ressortteilungen hervor, von denen wir nur den ersten Abschnitt bis etwa 1815 gewürdigt haben, und die sich das ganze Jahrhundert hindurch fortsetzten. Ein Staatsapparat also, in dem die monarchische Spitze hervortreten oder zurücktreten, ja, ganz verschwinden konnte, ohne daß der Apparat sich zu verändern brauchte. Wir hoffen gezeigt zu haben, daß es sich bei diesen Verwaltungsformen doch nicht bloß um leere Hülsen selbständiger gesellschaftlicher und politischer Inhalte handelt, sondern daß die Wandlungen dieser Inhalte selbst am Schicksal der Verwaltungsformen abgelesen werden können.