Verhältniß der Exceptionen zur Beweislast: Eine civilistisch-processualische Abhandlung [Reprint 2019 ed.] 9783111649139, 9783111265742


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German Pages 333 [336] Year 1852

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Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Abschnitt. Römisches Recht. — Legisactionsverfahren
II. Abschnitt. Römisches Recht. — Formularverfahren
III. Abschnitt
IV. Abschnitt
V. Abschnitt
VI. Abschnitt
VIII. Abschnitt
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Verhältniß der Exceptionen zur Beweislast: Eine civilistisch-processualische Abhandlung [Reprint 2019 ed.]
 9783111649139, 9783111265742

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Verhältniß der

ErceptillNkn zur DklUkislast. Ein e

civilistisch-proceffnalische Abhandlung von

Dr. Theodor Ludwig von Helmolt, Privatdocent der Rechte zu Gießen.

Gießen, I. Ricker'sche Buchhandlung.

Die bisherigen Versuche zur gehörigen Scheidung

des

Vertheidigungsmaterials in Civilprocessen, sowie dessen Verhältnifi zur Beweislast lassen keinen Zweifel, daß weder ein

wissenschaftlicher Abschluß der Praxis genügt sei.

gewonnen,

noch

den Bedürfnissen

Der bei weitem meiste Nutzen würde

jedenfalls durch eine sorgfältige Untersuchung des Details er­

zielt

werden.

höchstens

Viele glauben,

daß

zu einer Compilation führe.

dies unnütz sei,

und

Freilich ist es nicht

nöthig, ein Opus Mascardi zu schreiben, allein daß auf der andern Seite mit den ewig wiederkehrenden Phrasen : probatio incumbit ei qui dicit, non qui negat, actori incumbit

probalio, reus in exceptionibus aclor est, an sich nicht viel

erklärt, und genützt werde, bedarf keines Beweises. überall ein natürliches Maß,

Es giebt

und dieses liegt hier

vorhandenen positiven Quellenzeugnissen.

in den

Durch deren spezielle

Bearbeitung wird jedenfalls eine möglichst sichere Grundlage

gewonnen.

Eine prinzipielle und

systematische

Behandlung

ves Stoffes ist dabei nicht im Mindesten ausgeschlossen.

oorliegende Abhandlung hat nun nicht den Zweck,

Die

diese De-

IV tailuntersuchung vollständig durchzuführen, sondern sic soll nur

die Richtung bezeichnen und die Gränzen feststecken, innerhalb welcher solche Untersuchungen geführt werden müssen.

Dabei

sind aber die hauptsächlichsten Aussprüche der Quellen einer

genauen Prüfung unterworfen, und an den h. z. T. bestrittensten Materien, z. B. der exceptio vitiosae possessionis,

SCi. Macedoniani, Vellejani, doli, den gegenseitigen Rechts­ geschäften, Zeitbestimmungen, Bedingungen u. dgl. erläutert

worden.

Diese Vermischung reinprinzipieller Darstellung mit

unmittelbarer Anwendung auf einzelne Rechtsinstitüte, jedoch mit Ausschluß vollständiger Angabe aller einzelnen Quellen­

aussprüche, ist deshalb

gewählt worden,

um einerseits den

Ueberblick über das Ganze nichf durch einen zu großen Um­ fang der Abhandlung zu erschweren, anderntheils einem einseitigm Streben der Theorie und der Praxis entgegenzuar­

beiten.

Die Theorie

Leben berechnet ist.

hat

nur Werth,

wenn

sie auf das

Deshalb war mein Hauptaugenmerk auch

darauf gerichtet, einen wirklichen Nutzen gerade für die Praxis zu erzielen.

Der hierzu eingeschlagene Weg ist eine genaue

historische Untersuchung

weise

nach

der

betreffenden Materien vorzugs­

den Aussprüchen des römischen Rechtes, und da

wir uns nun, meiner Ansicht nach, in den genannten Be­

ziehungen gemeinrechtlich ganz auf dem Standpunkte der rö­

mischen Grundsätze befinden, und die einzige bedeutende Ver­ schiedenheit in der s. g. Eventualmaxime liegt, so wird gerade

die rein quellenmäßige Darstellung dem Praktiker nicht blos die richtige Einsicht in die noch h. z. T. von ihm anzuwen­ denden Gesetze verschaffen durch die Anschauung der Umstände

und des Zusammenhanges unter und in welchen sie entstanden

den Weg zu

eigner quellenmäßiger

Forschung für die einzelnen, hier nicht

besonders behandelten

sind, sondern ihm auch

Rechtsinstitute

bahnen, und dadurch diejenige Selbständigkeit

befördern, welche

das Hauptkennzeichen eines guten und ge­

rechten Richters ist.

rechtfertigen,

Aus diesem Streben wird es sich auch

daß trotz gewissenhafter Beachtung sämmtlicher

vorhandener Literatur, doch oft gegentheilige Meinungen blos erwähnt sind, ohne

genauere Anführung aller

Schriftsteller,

von welchen dieselben ausgehen oder getheilt werden. Schließlich muß ich bemerken, daß ich bei meiner Arbeit nur sehr

ungerne die Fortsetzung des

(bis jetzt

bekanntlich

nur von '§ 1 — 47 [vadimonium] erschienenen) vortrefflichen

Römischen Civilprocesses von Keller vermißt habe.

Gießen, den 4. August 1852.

Theodor v. Helmolt.

Inhalt.

Leite

Einleitung

................................................................................................................. 1

I. Abschnitt. Römisches Recht. — Legisactionsverfahren. § 1. § 2. § 3.

Exceptio zur Zeit der legis acliones....................................................... 7 Exceptio zur Zeit der legis acliones. (Fortsetzung.) . . .17 Beweislast zur Zeit der legis acliones..................................................... 26

II. Abschnitt. Römisches Recht. — Formularverfahren. $ § § § § §

4. 5. 6. 7. 8. 9.

Lex Aebutia........................................................................................... 34 Bedeutung des Ausdrucks ipso jure.....................................................37 Bedeutung des Ausdrucks ipso jure. (Fortsetzung.) . . .43 Bedeutung des Ausdrucks ipso jure. (Fortsetzung.) . 54 Officium des Jurisdictionsmagistrats.............................................66 Officium des Jurisdictionsmagistrats. (Fortsetzung. — Exceptio vi-

tiosae possessionis.)........................................................................ 81 § 10. Officium des Jurisdictionsmagistrats. (Fortsetzung. — Gegenseitige §

Rechtsgeschäfte.) ..............................................................................95 11. Officium des Jurisdictionsmagistrats. (Fortsetzung. —Exceptio SOL

Macedoniani und Vellejani.) ............................................................ 104 § 12. Klaggrund ........................................................................................117 § 13. Klaggrund (Fortsetzung. — Res mea est.) . . . . 128

8 14. Klaggrund (Fortsetzung. — Dare, facere, damniim decidere.)

. 136

VIII Seite $ 15. Vertheidigung des Beklagten............................................................... 158 8 16. Vertheidigung des Beklagten. (Fortsetzung. — Exceptio doli.)

.

181

§ 17. Replicatio, duplicatio u. s. w. — Unterschied zwischen Einrede und exceptio, Replik und replicatio, Duplik und duplicatio u. s. w. . 208 8 18. Verhandlungen in judicio......................................................................... 215 § 19. Verhandlungen in judicio. (Fortsetzung. — Aussprüche Quintilian's in den Institutiones oratoriae.) . . . . 220 § 20. Verhandlungen in judicio. (Fortsetzung. — Beweislast.) . . 239 $21. Verhandlungen in judicio. (Fortsetzung. — Officium judicis.) . 254

in. Abschnitt. 8 22. Römisches Recht. — Extraordinariae cognitiones

.

.

.

269

IW. Abschnitt. $ 23. AeltereS deutsches Recht......................................................................... 285

V. Abschnitt. § 24. Canonisches Recht. — Gloffatoren..................................................... 296

VI. Abschnitt. 8 25. Deutsche Reichsgesetze......................................................................... 303

VII. Abschnitt. i 26. Schluß. — Resultate für das heutige Recht

Einleitung.

Ueberall, wo ein menschlicher Verein aus dem Zustande patri­ archalischer Genossenschaft zu dem eigentlichen Staatsleben übergeht, zeigt sich eine gewisse stufenweise Abkühlung in den Beziehungen der einzelnen Genossen zueinander. An die Stelle individuellen Er­ messens und mehr oder minder großer Willkür bei Entscheidung von Collisionen dieser Beziehungen tritt ein bestimmtes Herkommen, spä­ ter das eigentliche Gesetz (1). Mit der Absonderung der persön­ lichen Stände und Lebensbeschäftigungen scheiden sich auch die Rechtssäye, und mit Erweiterung und Verfeinerung feuer, sowie des Verkehrs überhaupt, zeigt sich die Nothwendigkeit der Verfeine­ rung des Rechtes, nach welchem sie sich richten müssen. Die da­ durch sich anhäufende Masse von Rechtssätzen erfordert mit der Zeit eine Verschmelzung und principielle Bearbeitung, und es findet da­ durch bewußt oder unbewußt ein Uebergang subfectiver Anschauung und subfectiven Ermessens zu einer bestimmten Objektivität statt. 0) Cicero de inventione II, 22. Jus ex quibus rebus constet est considerandum. Initium ergo ejus a natura ductum videtur; quaedam autetn ex utilitatis ratione aut perspicua nobis aut obscura in consuetudinem venisse, post autem, approbata quaedam aut a consuetudine aut a vero utilia visa le­ gibus esse firmata; Vgl. ttlit Auctor ad Herenn. II, 13; das a natura ductum fast jedoch Cicero bereits ziemlich objectiv auf, als innata quaedam vis, und unterscheidet es von der opinio. Allein diese instinktive richtige Einsicht wird für ursprüngliche Zustände oft sehr schwierig von blos subjektiver Auffassung zu trennen sein.

v. Helmolt, Beweisest.

1

2

Einleitung.

Dies hängt mit der Ausbildung des Rechts überhaupt zusammen, dessen Idee und höchste Vollkommenheit in der möglichsten Gleichheit für Alle besteht. In diesem Fortschreiten liegt die nothwendige Ab­ kühlung. Allein darunter soll das innere Leben , des Rechtes nicht leiden, so daß etwa ein todter Mechanismus entstände, oder eigent­ liches Unrecht tut Einzelfall unter der Form des Rechtes möglich wäre. Darum ist cs nöthig, daß eine wissenschaftliche Behandlung deS Rechtes eintritt und die eigentliche Lebenskraft und Fortent­ wickelung dadurch sichert, daß sie den allgemeinen Rechtssätzen an der Hand der Erfahrung die möglichste Elasticität verleiht. Das stillere Wirken des s. g. Privat- oder Civilrechtes läßt dieses au sich weniger deutlich zur Anschauung oder Erkenntniß kommen, wie das Verfahren, welches zur Entscheidung streitiger Privatrechte ein­ gehalten wird. Das eigentliche Privatrecht entwickelt sich viel gleichmäßiger und zusammenhängender, weil darauf, so lange ein productiver Rechtssinn noch in einem Volke herrscht, die Willkür der Einzelnen viel mehr Einfluß hat, als auf das Verfahren in Nechtsstreitigkeiten, bei welchem sich überall für bestimmte Zeiten im Ganzen eine gewisse Stabilität und viel schärfer erkennbare Ab­ schnitte der Veränderungen zeigen. Damit ist nicht gesagt, daß das Privatrecht nicht auch eine für bestimmte Zeiten erkennbare Stabilität haben, oder in dem Proceß ein innerer, dein äußeren Auge ost umnerklicher Fortschritt vor­ kommen könne, allein beides findet in weit geringerem Grade statt, wie das vorher Gesagte. Das.Privatrecht rückt in Masse langsam vorwärts. Der Proceß kann in Masse nur durch besondere Impulse eine Veränderung erleiden. Wie aber die Richtungen des menschlichen Geistes, sowie des äußeren Lebens überhaupt stets in einem wechselseiti­ gen Verhältniß der Einwirkung zu einander stehen, ebenso findet dies für die verschiedenen Verzweigungen des Rechtölebenö und dessen wissen­ schaftlicher Auffassung, der Jurisprudenz, statt. Dies läßt sich histo­ risch vielfältig nachweisen. Das Privatrecht wirkt auf die Gerichts­ organisation, diese wirkt auf eigentlich staatliche Einrichtungen, und von diesen hängen viele kirchliche Institute ab. Ebenso ist aber die

3

Einleitung.

Rückwirkung der letzteren auf die früheren erkennbar. Gesammtheit gilt, wiederholt sich im Einzelnen.

Was für die

Sehen wir deshalb

insbesondere auf das bürgerliche Recht mit» den bürgerlichen Proceß, so bilden diese in vieler Beziehung wieder ein selbständiges,

in

mannichfaltiger Weise verschlungenes Ganze, so daß es oft schwierig ist, das Gebiet jedes einzelnen scharf abzugränzen, namentlich wo es sich darum handelt,

den Ursprung und die vorzugsweise An­

schauung eines Institutes historisch nachzuweisen, und von da aus die Uebergänge in das verwandte Rechtsgebiet, die Vereinigung mit

daselbst einheimischen Einrichtungen,

und sodann die Rückkehr in

ganz oder theilweise veränderter Form zu verfolgen.

Wie sich das oben Angegebene auf daö Römische Recht über­ haupt, so läßt sich das zuletzt Gesagte namentlich auf die Lehre von

den s. g. Erceptionen anwenden.

Diese haben Theil genommen an

der allgemeinen Entwickelung des R. Rechts, bei welcher sich unver­ kennbar der allmählige Uebergang von subjektiver und dabei indivi­

duell nationeller Anschauung zur Objektivität des Rechts in jeder Beziehung zeigt, eine Entwickelung aus dem Besonderen zum Allge­ meinen, der Hauptvorzug des R. Rechts und der Erklärungsgrund seiner Brauchbarkeit. — Die Objektivität resp. Gleichheit des Rechts für alle unter dessen Schutz lebenden Personen wird nun besonders

sichtbar, sobald die den Einzelnen zustehenden Privatrechte streitig werden, indem für alle gleichartigen Fälle die gleichen RechtSgrundsätze, und zwar durch Vermittelung derselben, für alle Personen geltenden Formen des Verfahrens zur Anerkennung gebracht werden. In dieser gleichmäßigen und objectiven, d. h. durch bestimmte Re­

geln geleiteten und unparteiischen Rechtspflege verwirklicht sich an«

anschaulichsten die Rechtsidee.

Wenn auch die Möglichkeit unparteii­

scher Entscheidung für alle Fälle bei minder ausgebildeten RechlSzu-

ständen nicht geleugnet wird, 'so ist doch eine leidenschaftslose Beur­ theilung nur gesichert bei allseitig genau bestimmter Form, welche selbst die Möglichkeit absichtlicher Zurücksetzung eines Gegners hinter

den andern abschneidet.

Dies

wird

hauptsächlich

erreicht durch

möglichste Ausbildung der materiellen Rechtsgrundsätze, insbesondere

aber durch das gleiche Recht des gerichtlichen Angriffs und der Vertheidigung, verbunden mit der Vorschrift, daß nur objective Gewißheit Hinreiche, um einen verurtheilenden oder freisprechenden Ausspruch des Richters herbeizuführen. Diese objective Gewißheit liegt in den Regeln über gerichtlichen Beweis, dessen Beobachtung für den Richter einen Zwang zur Unparteilichkeit enthält, in dessen Verlangen von Seiten eines streitenden Theils, gegenüber dem an­ dern, sich aber auch eine gewisse Kälte zeigt, da in einem patriarcha­ lischen Familienleben mehr der einfachen Behauptung des Gegners Glauben beigemessen wird, sowohl von Seiten des Rechtsprechenden wie des Rechtsuchenden. Dies zeigt sich deutlich sowohl im älteren römischen, wie noch mehr in den germanische» Rechten. Denn im letzteren war mehr von dem Beweisrecht des Behauptenden die Rede, resp, von gar keinem eigentlichen Parteibeweis, soweit man diesen als objective Gewißheit auffaßt. Letzteres darf jedoch nicht von dem Gesichtspunkte einer gänzlichen Beweislosigkeit des älteren deutschen Rechts aus betrachtet und damit verwechselt werden (1). In dem R. Recht ist für die älteste Zeit sowohl das Verfahren überhaupt, wie namentlich die Lehre von den Beweismitteln, aus welchen die Objektivität eines Verfahrens am deutlichsten erkannt wird, ziemlich dunkel. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß die Trennung des Verfahrens in jure und in judicio schon längere Zeit vor der lex Aebulia stattfand. Wie weit dieses aber in die älteste Zeit hinaufreicht, ist nicht genau zu bestimmen (2). Vor dem Magistrat (in jure) wurde kein eigentlicher Beweis geliefert, allein der für die spätere Zeit unzweifelhaft zulässige Gebrauch des Eides (jusjurand. in jure) fand gewiß schon für die älteste Zeit statt. Darin liegt die Subjectivität deö Verfahrens, das Verlassen auf Treu und Glauben des Gegners. Diejenigen eigentlichen Be­ ll) Vgl. Planck (I. W.) in der Ztschr. für deutsches Recht 10. Bd. (1846) Abhdlg. IX, sowie dessen classische Schrift über Bcwcisurtheil § 5; Rogge, das Gerichtswesen der Germanen § 16 und Kap. 4 — 6; DethmannHollrveg, Versuche S. 253. — (2) Keller, Röm. Civilproceß (bis jetzt ist die erste Abthlg. erschienen § 1 — 47), S. 3 nennt sie eine uralte Einrichtung.

weiömittel, in welchen sich die Objectivität des Verfahrens am meisten zeigt, nämlich Zeugen und Urkunden, kamen im germanischen Processe erst später auf. Im R. Recht finden sie sich schon sehr frühe, soweit nämlich unsere Kenntniß davon überhaupt reicht. Allein dadurch wird die Behauptung der vorzugsweise subsectiven Richtung des Verfahrens bei allen Völkern in ihrer anfänglichen Entwickelung nicht umgestoßen, sondern es ist blos ein Beleg, daß die Römer überhaupt Neigung zur Objectivität hatten, und sich das Bestreben nach dieser schon sehr frühe bemerklich machte (1). Sehen wir vorläufig von der Ausbildung der Lehre von den Beweis­ mitteln ab, und fassen das proceffualische Verfahren bereits in dem Zustande einer gewissen Reife auf, so leuchtet es von selbst ein, daß Behauptung, Gegenbehauptung und Beweis in naher Beziehung zn einander stehen, weil eben der einfachen Behauptung weder von dem Gegner noch von dem Richter geglaubt wird. Es bedarf nun wohl kaum der Erwähnung, daß für das heu­ tige bürgerliche Recht in Deutschland thatsächlich die größere Masse aus dem R. Recht entlehnt ist. Eben dies läßt sich für den bür­ gerlichen Proceß behaupten, obgleich darin durch veränderte staatliche Einrichtungen, sowie Gerichtsgebrauch und neuere Gesetze theilweise Modifikationen eingetreten sind, auch gewiß, namentlich durch den Einfiuß des sächsischen Processes, sich mehr germanische Elemente erhalten haben, als bis jetzt wissenschaftlich genügend festgestellt ist. Gerade zu der Gestaltung unseres jetzigen bürgerlichen Processes haben sehr verschiedene Elemente mitgewirkt. Allein den eigentlichen Mittelpunkt, jedenfalls für die materiellen Proceßgrundsätze, bilden unleugbar die Bestimmungen des R. Rechts. Aus diesem Zustande (1)

DteS zeigt sich bereits in der Form

der schriftlichen Testamente

(Haec ita etc.), sowie den Codices expcnsi und accepti, die gewiß als Beweis­ mittel gebraucht wurden. Ueber das 12 Tafelgesetz hinaus find ja selbst die allgemein historischen Nachrichten mythologisch. Schon zur Zeit des 12 Ta­ felgesetzes muß in rechtlicher Hinsicht ein ziemlich klares Bewußtsein der Noth­ wendigkeit fester und gleichmäßiger Bestimmungen bei den Römern vorhan­ den gewesen sein, und der Drang nach Aufzeichnung des Rechts enthält ein Streben nach Objektivität.

6

Einleitung.

erklärt sich aber sehr natürlich die so häufig vorkommende Frage : In wie weit gilt

für

ein einzelnes Institut das reine R. Recht,

und welche find die etwaigen Veränderungen und Modifikationen, die es bei der Neception

oder später erlitten hat?

Diese Frage

wird um so schwieriger, wenn Grundsätze des reinen Privatrechts

mit in Frage kommen, welche in eine so nahe Berührung mit dem Processe treten, daß eine Gränzverwirruyg eintritt, und sich nicht

leicht ermitteln läßt, ob der Ursprung ein rein processualischer oder

rein privatrechtlicher fei; namentlich wenn dabei schon für daS R. Recht selbst Streit herrscht, und dazu noch eine confuse Theorie und unklare Praxis kommt.

Ein Beispiel dieser Art haben wir in der Lehre von den Er-

ceptionen und Einreden in ihrem Verhältniß zum Klaggrunde einer­

seits, sowie zur Beweielast andererseits, bei welchen man nach ver­

schiedenen Richtungen hin zu ganz sonderbaren Resultaten gelangt

ist, Z- D. daß bei den Römern Voraus bestimmt gewesen,

das onus probandi gar nicht im

sondern daß der Richter erst nach voll-

ständig beendigtem Verfahren geprüft habe, wem und inwieweit das

onus

probandi

obgelegen (1); daß der römische Begriff von

exceptio unbrauchbar geworden sei, ja daß man sogar den Begriff

der exceptio und den der Einrede rückwärts von der Beweislast

aus construiren müsse (2). Zwar ist in der neuesten Zeit Vieles zur Aufklärung der hier

einschlagenden Lehren geschehen, keineswegs aber ein allseitiger Ab­ schluß gewonnen, namentlich bezüglich des civilrechtlichen Begriffes der exceptio int Gegensatz des processuakischen, deren Verhältniß zur s. g. Einrede und die Stellung Daß

dieser wieder zur Beweislast.

hier nur eine historische Betrachtung zu einem befriedigenden

Resultate führen könne,

leuchtet von selbst ein.

Dabei soll der

Kürze halber jedoch dasjenige, worüber bereits genügende wissen-

CD Zimmern, Röm. Civilpr. § 132.§ 95 ff. und die dort Citirten.

(2) Vgl Bayer, Borträge

schaftliche Resultate vorliegen, nur soweit berührt werden, als eS des Zusammenhangs wegen durchaus nothwendig ist. Im Uebrigen wird die Verweisung auf die betreffende Literatur genügen.

I. Abschnitt. Römisches Recht. — Legisactionsverfahren.

§ 1. Exceptio zur Zeit der legis actiones.

Die beinahe allgemein herrschende Ansicht geht mit Bezug auf Gajus IV, 108 dahin, daß es zur Zeit der legis actiones keine exceptiones gegeben habe. Für das spätere Recht wird aber allgemein angenommen, daß sowohl ein materieller, d. h. civilrechtlicher, wie auch ein formeller, d. h. processualischer Begriff von exceptio bestanden habe und unterschieden werden müsse (1). Es fragt sich nun, ob zur Zeit der legis actiones dieser Unter­ schied, oder ob überhaupt noch gar keine exceptio vorhanden? oder, wenn man das Letztere annimmt, ob die exceptio civilrechtlichen oder prvceffualischen Ursprungs war? Es ist eine einfache, geschicht­ lich bestätigte Wahrheit, daß bei steigender Rechtsentwickelung Fälle vorkommen müssen, bei welchen dem Gesetzgeber daran gelegen ist, unter gewissen Voraussetzungen ein Rechtsverhältniß zwar nicht auszuschließen oder aufzuheben, wohl aber es in seiner Wirksamkeit (1) Vgl. Puchta, Pandecten tz. 93; Savigny, System V, § 226 ff.; Sintenis, Civilrecht § 32; 5) esst er, System §. 134 ff.

8

§ t. Exceptio zur Zeit

gewissen Personen oder Verhältnissen gegenüber, oder eine gewisse

Zeit hindurch zu hemmen.

DieS führt von selbst auf den Begriff

der Unvollkommenheit oder Anfechtbarkeit eines Rechtsverhältnisses,

im Gegensatze der wirklichen Nichtigkeit. heit und Anfechtbarkeit liegt das

In dieser Unvollkommen­

Wesen der römischen exceptio.

Dieser Satz wird später seine genauere Begründung finden.

Es

dessen allgemeine Behauptung genügen,

um

mag hier vorläufig

einen festen Anhaltspunkt für die Betrachtung deS ältesten Römischen Rechtes zu gewinnen.

Sowohl für die Entstehung von Rechten wie für deren Auf­

hebung gab es, dem älteren Character der Römer entsprechend, nur wenige,

in der Regel sehr bestimmte und finnlich wahrnehmbare

Formen, gewöhnlich vor Gericht oder einer bestimmten Anzahl von

Zeugen, oder in einer Schrift, sodaß nicht leicht übereilte oder

fehlerhafte Geschäfte vorkamen.

Namentlich konnte ein civilrechtlich

gültig bestehendes Verhältniß, woraus für eine Person Verpflichtun­

gen hervorgingen, in der Regel nur durch die gleichartige Form der Entstehung wieder aufgehoben werden, z. B. bei der manci­

patio sub fiducia durch

acceptilatio.

Dazu

remancipatio;

hei der stipulatio durch

kam noch die Einwirkung des jus sacrum,

von welchem das ältere Recht ganz durchdrungen war.

Dies zeigt

fich besonders in der alten Volköfitte, auch die gewöhnlichsten Hand­

lungen deS alltäglichen Lebens in die s. g. sponsio

einzukleiden,

welche die Bedeutung eines feierlichen Versprechens, eines religiö­ sen Bindemittels hatte, so daß spondere auch gleichbedeutend ge­

braucht wird mit jurare, juramentum, und in dieser Form mit dem Worte jus zusammenhängend,

soviel bedeutet als : ein Recht

begründen, schwören (1).

In diesen Formen lag zugleich ein tieferer und innerer Grund, welcher eine juris necessitas in sich schloß, indem man gerade in

der Form, und der in der Regel damit verknüpften Leistung, die

(1) Dgl. Keller, C. Pr. § 26, S. 108; Jherlng, Geist des Röm. Rechts I. Buch, S. 264.

überlegte und unzweideutige Absicht der vollständigen Entstehung oder vollständigen Vernichtung eines Verhältnisses erblicken mußte. Diese sinnliche Einförmigkeit und Einfachheit konnte sich jedoch bei steigendem Verkehr, sowie die blos formelle Auslegung deS Rechts bei erweiterter Rechtsanschauung nicht lange halten. Wo daher weder das 12 Tafelgesetz selbst, noch dessen Interpretatio half, noch auch seit Errichtung der Prätur (a. u. 387) der Ma­ gistrat vermittelst seiner Amtsgewalt den Kläger oder Beklagten zu etittr sponsio zwang, und durch diese civilrechtliche Form einem nach dem geschriebenen Rechte nicht zu berücksichtigenden Umstande Geltung verschaffte, half man durch neue Gesetze nach. Diese Ge­ setze waren aber schon elastischer, so daß man zwischen ihnen sehr bald die Unterscheidung machen mußte zwischen leges perfectae, minus quam perfectae und imperfectae, bei welchen letzteren (un­ vollkommen verbietenden) Gesetzen die Ausführung lediglich den Magistraten überlassen wurde. Eine solche lex imperfecta war z. B. die im I. 550 u. c. gegebene lex Cincia, sowie die lex Plaetoria aus derselben Zeit (1). Eine lex minus quam perfecta war z. B. die lex Furia testamentaria, welche für die legis actio per manus injectionem puram gegen denjenigen gegeben war, der ein größeres Legat, als das Gesetz gestattete, angenommen hatte. Das Alter dieser lex Furia ist zwar nicht genau bekannt, sie ist aber allen historischen Anhaltspunkten nach jedenfalls älter, als die lex Aebutia (2). Von den leges imperfectae und minus quam perfectae sagt Ulpian : Ulp. fragm. ed. Boecking § 1, 2 : [Imperfecta lex est veluti Cincia, quae supra certum modum donari] prohibet, exceptis quibusdam cognatis, et si plus donatum sit non rescindit. Minus quam perfecta lex est,

(1) Puchta, Institutionen I, S. 333 u. 334; II, S. 384 ff. 414. 415.(2) Bgl. noch Keller, C. P. § 19; Puchta, Jnstit. II, S. 99; Gaj. IV, 21-26. 30.

§ t. Exceptio zur Zeit

10

quae vetat aliquid fieri, et si factum sit non rescindit, sed

poenam injungit ei, Furia testamentaria,

qui contra legem fecit,

quae plus

qualis est lex

quam mille assium legatum

mortisve causa capere prohibet, praeter exceptas personas,

et adversus eum, qui plus ceperit, quadrupli poenam constituit. Wurde hier z. B. der über das gewöhnliche Maß Beschenkte,

oder der Minderjährige, oder der Legatar, welcher mehr als 1000

asses empfangen hatte, aus der lex imperfecta ober minus quam perfecta belangt, so stand ihm ein Einwand legis Cinciae, legis

Plaetoriae, legis Furiae zu, falls er zu den personae exceptae gehörte.

In diesen Gesetzen lag schon vollkommen der Begriff der ma­ teriellen exceptio, nämlich das Verhältniß einer Ausnahme von

der aus der actio eigentlich hervorgehenden Verpflichtung resp, der Zustand der Unvollkommenheit und Anfechtbarkeit; ein Begriff, der

sehr bald noch vermehrt oder erweitert wurde durch den Gesichts­ punkt eines, von dem klägerischen Rechte verschiedenen, dem Be­

klagten zustehenden Rechtes, welches im Stande ist,

des Klägers, dessen Dasein vorausgesetzt, in

das Recht

seiner Klagewirkung

zu hemmen (1). Entstand nun ein Streit, welchen die Interessenten gerichtlich

auStragen wollten, so gaben sie vor dem Magistrat ihre Ansprüche an und faßten sie in solenne Worte.

Dies that sowohl der Kläger

für seine Angriffe, wie der Beklagte für seine Vertheidigung.

Bei­

des konnte jedoch nur in einer Weise geschehen , welche sich unmit­ telbar auf den Ausspruch eines Gesetzes gründete (2).

Diese Verhandlung war aber nur eine allgemeine, wodurch an sich der Magistrat noch m'cht vollständig mit den unter den Parteien

streitigen Punkten bekannt wurde.

Beweise wurden vor ihm nicht

geführt (3).

(1) Dgl. Savignp, Spst. V, § 226. 227, btf. S. 168. - (2) Gaj. LT. 11; Pochta, Jnstlt. II,S.80; Keller, C. P. § 12 u 23, S. 95. - (3) Vgl. unten § 8 ff. und Savignp, Spst. V, S. 186 i. f.

11

der legis-actiones.

Nur wenn der Beklagte sofort sich für schuldig erklärte, galt der Grundsatz : confessus in jure pro judicato habetur.

hier die Verweisung an ein Judicium nicht nöthig.

Es war

Wurde aber

Einwand erhoben, so war dieser nur zulässig, wenn er sich unmittel­ bar auf daS Gesetz gründete, und zwar in der Weise, daß der Be­

klagte die dem klägerischen Rechtsansprüche

zu Grunde liegende

Thatsache überhaupt ableugnete, oder daß er selbst eine Thatsache

behauptete, welche unmittelbar nach den Worten des Gesetzes den klägerischen Anspruch vernichtete, oder daß er sich auf eine lex im­

perfecta oder minus quam perfecta resp, auf eine von dem Gesetze selbst gemachte Ausnahme berief,

z. B. daß er zu den personae

exceptae der lex Furia oder Cincia gehöre.

Wurden diese That­

sachen von dem Kläger zugestanden,

gewiß ebenfalls dev

Grundsatz

so galt

confessus in jure pro judicato habetur in negativer

Weise, d. h.

der Magistrat konnte unmittelbar aus den Gesetzes­

worten selbst entscheiden, daß Kläger kein Recht habe, weil in dem Zugtständniß der Richtigkeit der Vertheidigung zugleich der Klagan-

sprach als ungültig und zurückgenommen erscheine.

Ein Judicium

wäre hier überflüssig gewesen (1). Erschien der Beklagte weder vor Gericht (in jure), noch stellte

er einen Vertheidiger (vindex), welcher für ihn die Klage über­

nehmen konnte und wollte, oder erschien er zwar vor dem Magistrat,

gab aber keine auf das Gesetz gegründete Antivort, so war er indefensus (2), und es fand gegen ihn die Erecution statt (3), und

zwar in der älteren Zeit die eigentliche legis actio per manus injestionem. Kam es dagegen zum Judicium, d. h. war der Klaganspruch-

und die Vertheidigung des Beklagten auf das Gesetz gegründet, die zu Grunde liegenden Thatsachen jedoch noch bestritten,

so brachten

beide Parteien ihre Ansprüche und Vertheidigung nochmals in einem (1) Dgl. Keller, C.P. § 36.- (2) Lex Rubria c. 21. 22 u. L. 52. D. de R. J. (Ulpian). Non defendere videlur non tantum qui latital, sed et is qui praesens negat se defendere, aut non vult suscipere actionem.— (3) Bgl, Puchta, Jnstit. II, § 160, S. 78 u. § 173, bes. S> 187.

§ 1. Exceptio zur Zeit

12

kurz gefaßten Satze (causae collectio) in judicio vor (1), worauf

der judex die Sache prüfte, und je nach dem erbrachten Beweise verurtheilte oder freisprach.

Der judex konnte sich jedoch hierbei

nur an dasjenige halten, was im Allgemeinen bereits in jure vor­

gekommen war,.

Es wird nun von Manchen h. z. T. das Entstehen der

leges

imperfectae und minus quam perfectae mit der lex Aebutia in Verbindung gesetzt, und da in der Mitte des 6. Jahrhunderts u. c. diese Art der leges

sehr häufig waren, auch das ungewisse Zeit­

alter der lex Aebutia selbst hiernach bestimmt, z. B. von Puchta(2).

Und zwar geschieht dies deshalb, weil man sich den Begriff der exceptio nicht ohne das Formularverfahren denken könne, mit Be­ zugnahme auf Gajus IV, 108 (3).

Puchta giebt auf der anderen Seite aber zu, daß die exceptio

legis Cinciae und legis Plaetoriae eine wahre exceptio auch im Sinne des späteren RR. sei, und sagt (4) selbst, ganz undenkbar sei eine Geltendmachung jener leges auch zur Zeit der ausschließ­

lichen Geltung der legis actiones nicht, so durch eine vom Prätor zu erzwingende Sponsion, die dem Beklagten eine Gegenklage ver­ schafft habe; daß dieß aber wirklich geltendes und übliches Recht gewesen, darüber hätten wir keine Nachricht, und wenn man Plautus (f 570 u. c.) Rud. V. 3. 24 sq.

Cedo qui cum habeam judicem ni

dolo

malo instipulatus

sis, nive etiam dum siem quinque et viginti annos natus (5). daß ni

dolo malo auch die

Fassung einer exceptio andeuten könne (6).

Allein auch ohne die

angeführt, so habe man übersehen,

Nothwendigkeit einer jedesmaligen prätorischen Sponsion anzunehmen, läßt sich die Geltung der lex Cincia und Plaetoria für die Proceß­

form der legis actiones rechtfertigen.

(1) 6«j. IV, 15; Puchta, Jnstit. II, S. 84. - (2) Jnstit. I, S. 333. — (3) Bgl. Puchta I. c. S. 334. — (4) 1. c. Note g. — (5) Vgl. mit Plautus Pseudol.1,3. 69; Puchta, Jnstit. II, S. 416, bes. Note 1.— (6) Keller, C.P. V. 109 i.f. S. HO, bes. Note 320, S. 113 u. 149.

13

det legis actiones.

Wir kennen nämlich gar nicht genau die Art und Weise, wie

lege agebatur, namentlich haben wir kein bestimmtes Schema, aus welchem ein concreter Fall der Klage und Vertheidigung ersehen werden könnte, mit Ausnahme der vindicatio (1) und manus injectio pro

judicato (2), welche aber nur Einleitungen zu einer gewöhnlichen, namentlich der generalis legis actio sacramento waren (3). Sehen wir auf die Darstellung der legis actiones, welche nach

GajuS ihren Namen daher haben, quia ipsarum legum verbis accomodatae erant, so fragt man mit Recht, warum eö hier nicht denkbar sein sollte, daß die Vertheidigung des Beklagten, wodurch er z. B.

die ihm in der lex Cincia oder Plaetoria gebotene Ausnahme geltend

machte, den Worten der lexCincia oder Plaetoria accommodirt wor­

den wäre? so daß sich selbst der obige Ausdruck deS Plautus recht gut von dem lege agere verstehen läßt. Abgesehen aber hiervon war ja nach dem citirten Zeugnisse

Ulpian's (4) die lex Furia testamentaria ebenfalls keine lex per­

fecta , sondern eine lex minus quam perfecta, welche sich nur da­ durch von der lex imperfecta unterscheidet, daß sie die poena qua-

drupli auf die Annahme deS Legats oder der mortis causa capio ultra legis modum setzte, und hierfür war sogleich die legis actio per manus injectionem puram gestattet. Dabei war zur besonderen Begünstigung des Beklagten (weil das Gesetz eben keine lex undique

perfecta sein sollte) verordnet, daß er sich nicht durch einen vindex

brauche vertheidigen zu lassen, sondern daß er sich selbst verthei­ digen dürfe.

Dieß sagt Gajus IV. 24 mit den Worten :

Ex quibus legibus, (velut lex Furia testamentaria; item lex Marcia adversus foeneratores. §. 23 eod.)

et si quae

(i) Vgl. siaj. IV. 16-18.- (2) siaj. IV. 21 ff.- (3) Durch die (lei. der zu kurze) Darstellung Keller'S, C. P. I. c. ist für die Anschaulichkeit deLegisactionSverfahrens ein großer Schritt gethan. Allein so genial viele Hypothesen desselben sind, so sehr sie gleichsam Anker werfen und einen festen Boden gewinnen lassen, so unterliegt in mancher Beziehung doch deren Rich­ tigkeit vielen Bedenken.' — (4) Fr. §. 2.

§ 1. Exceptio zur Zeit

14

aliae similes essent, cum agebatur, manum sibi depellere, et

pro so lege agere licebat Die Bestimmung der lex Furia testamentaria ging nun nach

dem übereinstimmenden Zeugniß von Gajus und UlPian dahin:

exc eptis quidusdarn personis ceteris plus mille assibus legatorum nomine

mortisve

causa capere permissum

non

esse (1), et adversus eum, qui plus ceperit, poenam quadrupli

constituisse (2). Hierin lag offenbar dieselbe exceptio wie bei der lex Cincia (3).

Wurde also der Legatar durch manus injectio vor Gericht gebracht,

und nun von ihm selbst die legis actio z. B. sacramento vorge­ nommen, so konnte er sich dadurch vertheidigen, daß er in den dem Gesetze accommodirfen Worten die exceptio legis Furiae vorschützte,

d. h. behauptete, er gehöre zu den personae exceplae; was er, falls Kläger es leugnete, in judicio beweisen mußte. Z. B. etwa so: Aulus : Aio te mihi IV millia dare oportere, quod lega­

torum nomine (mortisve causa) duo M assium cepisti, et ob

eam rem ego tibi manum injicio. Numerius : Nego me tibi IV millia dare oportere, quum sim inter exceptas personas, quibus plus M assibus capere licet,

et ob eam rem manum mihi depello et pro me lege agere volo. As : Quando negas sacramento quingenario te provoco.

Ns : Quando ais neque negas te sacramento quingenario

provoco u. s. w. Hier war eine besondere sponsio zur Geltendmachung dieses Ausn a h m egrundes durchaus nicht nothwendig, weil die Möglich­

keit vorlag, die Vertheidigung ipsarum legum verbis accommodare. Ebensowenig war die eigne Untersuchung des Erceptionsgrundes

von Seiten des Magistrats erforderlich; vielmehr konnte-dies füg­ lich dem Judicium überlassen bleiben.

Diesem scheint nun nicht blos

(1) Gaj. II, 225 und IV, 23. — (2) Ulp. fragm. § 2. — (3) Vgl. über die Lex Cincia noch Savignp, vermischte Schriften, Bd. I. Abhdlg. XII.

bet legis acliones.

15

Gajus IV. 108, sondern auch das Wesen der manus injectio selbst

entgegenzustehen.

Es ist nicht zu leugnen,

daß das alte römische

Verfahren ein unbehülflicheS in vielen Punkten war.

Allein daß es

so sehr steif und eckig, so aller Variation unzugänglich gewesen sei,

wie die herrschende Meinung annimmt, läßt sich kaum denken. Aller­ dings sagt Gajus IV. 11, es habe bei einer legis actio ein Kläger

den Proceß verloren, weil er statt der von ihm in der Klage ge­ nannten Reben (vites succisi) das Wort Bäume (arbores) hätte

gebrauchen müssen, indem das succisis rede.

geringen

XII Tafelgesetz nur

de arböribus

Allein diese Nnbehülflichkeit lag vorzugsweise in der

Ausbildung

gewöhnlich übersehen.

des

materiellen Rechtes selbst.

Dieß wird

Soweit die Gesetze selbst reichten , war auch

eine Variation der Partcivorträge in jure möglich, und in dieser

Weise erhält auch der in der Regel mißverstandene Ausspruch deS Gajus IV. 11 seine richtige Bedeutung :

Aetiones, quas in usu veteres habuerunt, legis actiones appellabantur, vel ideo, quod legibus proditae erant, quia tune edicla praetoris, quibus complures actiones introductae sunt, nondum in usu habebantur, vel ideo quia ipsarum legum verbis accommodataeerant, etideo immutabiles proinde atque leges observabantur. Was für die legis actiones überhaupt gilt (1), ist auch auf

die manus injectio ,'m Besonderen anwendbar.

Denn daß diese

nicht überall eine gleiche war, sondern in verschiedenen Anwendungen

vorkam, sieht man deutlich aus GajuS IV. 21 fg., wo zwischen

der eigentlichen manus injectio (pro judicato) und der m. i. pura unterschieden wird, welche letztere (offenbar die spätere Form) nichts als

eine besondere

Einleitungsform des ordentlichen Verfahrens

war (2), im Gegensatz der letzten, bei welcher mit der Erecution

(i) Vgl. Keller C.'P. S. 63 cf. 65 i.f. und 72, Note 242. —(2) Des­ halb sagt auch Gaj. iv, 21 : er finde den, nur für die eigentliche m. i. paffen­ den Beisatz pro judicato, für die m. i. pura, zu welcher er bei der lex Furia tesiameniaria von Vielen ebenfalls beigefügt werde, unpassend, weil er nicht

$ 1* Exceptio zur Zeit bet legis actiones.

16

begonnen wurde, ohne jedoch em darauf folgendes ordentliches Ver­ fahren gänzlich abzuschneiden, in ähnlicher Weise wie etwa h. z. T.

beim Arrestprocesse.

Und daß bei dieser m. i. pura der Erceptionsgrund geltend ge­

macht werden konnte, unterliegt keinem begründeten Zweifel, soweit nur die verba legis dazu autoristrten, und der Beklagte sich diesen accommodirte. In ähnlicher Weise fand der Erceptionsgrund gewiß

auch bei der legis actio sacramento, der 1. a. per judicis seu arbitri

postulationem,

und

noch leichter bei der

1. a. per condictionem

Geltung. Aus diesen Gründen kann ich auch der Ansicht Kellers (1) nicht überall beistimmen, daß die legis actio (welche stets nur eine pura

sein könne)

nicht organisirt gewesen sei für eine Einrede, und deß­

halb für letztere, getrennt von der actio, und muthmaßlich vor der­

selben (durch sponsio oder eigene Cognition des Prätors) Vorsorge hätte getragen werden müssen. Denn daß die exceptio legis Furiae testamentariae gerade so gut eine exceptio sei wie die legis Cinciae, unterliegt keinem Zweifel, und trotzdem bringt sie G a j u s 1. c. in

unmittelbare Verbindung mit der m. i. pura.

Keller beschränkt

seine obige Ansicht allerdings auf die Adjunction der Einrede an die actio mittelst der exceptio behufs gleichzeitiger Ueberweisung

an den judex.

Kellerns

bindung

Allein

dadurch

wird

die Behauptung

nicht für alle Fälle bestätigt, weil einmal die Ver­

zwischen dem

jus und judicium

keine

materielle war,

und außerdem die Quellenzeugnisse die gleichzeitige Verhandlung z. B. der exceptio leg. Für. oder Cinciae mit der actio für das judicium keineswegs ausschließen. Allein für diejenigen Fälle, in welchen

der

Erceptionsgrund nicht

bereits

unmittelbar

in

dem

Gesetze berücksichtigt war, aus welchen: die Klage begründet wurde, z. B. wenn der Beklagte gegenüber der reivindicatio ein Pfand­

recht oder eine Servitut geltend machte, ist cs wahrscheinlich (wenn

in beut Gesetze stehe unb beShalb hier gar keinen Sinn habe (quod videtur nulla ratione factum). — (1) I. c. S. 149 vgl. mit S. 114.

§ 2. Exceptio zur Zeit der legis actiones. (Fortsetzung.)

17

auch nicht unfehlbar sicher), daß durch eine sponsio oder eigne Cog­ nition des Prätors geholfen, oder jedenfalls, sobald für den Erceptionsgrund ein eigenes Judicium gegeben wurde, ähnlich einer Widerklage,

die Erecution für die Hauptklage bis zur Entscheidung des zweiten

judicii ausgesetzt blieb.

§ 2. Exceptio zur Zeit der legis

actiones.

(Fortsetzung.)

Die freiere Stellung, welche durch die lex Aebutia dem Magi­

strate gegeben wurde, wird später zur Sprache kommen (vgl. § 4);

ebenso die Bedeutung und die Bestandtheile der formula (§ 12 fg.)> Obgleich nun gewiß der materielle Begriff der exceptio schon in

den legis actiones selbst zur Geltung kam, so war doch erst die formula ihrer ganzen Anlage nach recht geeignet zur Fortbildung

des Erceptionöbegriffes.

Ebenso trat die exceptio erst in der for­

mula, zufolge ihrer Stellung zwischen der intentio und condemnalio

(vgl. § 15) mit ihrer processualischen Wirkung als exceptio a condemnatione, sichtbarer und schärfer hervor, und deßhalb glaube ich, daß gerade der Name exceptio, wie ihn die Romer später immer

gebrauchen, von der processualischen Stellung in der formula her­ rührt.

Nicht unwahrscheinlich ist es, daß der Prätor gerade in den

Fällen der lex Furia testamentaria, sowie der lex Cincia oder ähn­

licher Gesetze (1) von dieser exceptio zuerst Gebrauch machen mußte, und daß er durch den gesetzlichen Ausdruck exceptae personae zunächst zu dem Ausdruck exceptio in den Propositionen des Edikts

veranlaßt wurde.

Daß aber, wie Savigny (2) behauptet, die

exceptio gar keine Beziehung zu der Stellung in der Formel habe,

muß ich bestreiten.

Es steht dieß vorerst mit den sonstigen Aus­

sprüchen S a v i g n y's nicht in Uebereinstimmung (3). Sodann spricht aber für die Beziehung des Namens exceptio gerade zu der for­

mula Folgendes.

Zur Zeit Justinians finden wir die Ausdrücke

(1) siaj. IV, 21. - (2) Spst. V. § 226, Note i. - (3) Vgl z. D. I. c. S. 161, 174, Note r, 176 Note t und 175 i. f.

v. Helmolt, Beweislast.

2

18

§ 2. Exceptio

zur Zeit der

exceptio und praescriptio als gleichbedeutend und abwechselnd ge­ braucht für wahre materielle Erceptioiten (1). Schon zu Cicero's Zeit zeigt sich diese Vermischung der eigentlichen Erceptionen und der Präscriptionen (2). Gajus IV, 132 und 133 sagt nun : Praescriptiones autem appellatas esse ab eo, quod ante formulas praescribuntur, plus quam manifestum est. Sed bis quidem temporibus, sicut supra quoque diximus, omnes prae­ scriptiones ab actpre proficiscuntur; olim autem quaedam et pro reo opponebantur, qualis illa erat praescriptio : ea res agatur, quod praejudicium hereditati non fiat, quae nunc in speciem exceptionis deducta est, vgl. dazu unten § 15). Savigny giebt (3) selbst zu, daß der Name praescriptio von der Stellung in der Formel herrühre. Um aber die Behauptung zu rechtfertigen, daß die Präscriptionen wahre Erceptionen seien, namentlich für das justinianeische Recht, leugnet er (4), daß der Name exceptio irgend eine Beziehung auf die Stellung in der Formel habe, wobei er (5) sagt, es sei wohl blos zufällig geschehen, daß einige Erceptionen auf diese Weise vorangeschrieben wurden, anstatt daß die meisten von jeher hinter der intentio oder condemnatio gestanden hätten (6). Obgleich nun zwar ein innerer Grund für die processualische Stellung und Trennung vieler Präscriptionen und Erceptionen nicht geleugnet werden kann (7), wenn man die Arten derselben betrachtet, z. B. praescriptio fori und temporis, exceptio legis Furiae testamentariae, legis Cinciae, doli, pacti u. s. w., die Stellung und der Name also wohl nicht ein ganz zufälliger war, so ist doch nicht zu verkennen, daß viele Präscriptionen wirkliche Erceptionen waren, z. B. die praescriptio longae possessionis. Der vermischende Sprachgebrauch der späteren Zeit, sowie die gleiche Stellung in der (1) Vgl Belegstellen bei Savigny 1. c. S. 163, Note i. — (2) Cicero de invent. II. 20. — (3) I. c. S. 164 i. f. — (4) I. c. Note i. — (5) I. c. im Text vgl. mit Note 1. — (6) vgl. dazu Keller, C.P. 8 43.— (7) Quintilian I. c. V. prooem : Cum ex praescriptione lis pendet de ipsa re quaeri non est necesse.

legis actiones.

(Fortsetzung.)

19

Formel, läßt sich aber dadurch sehr gut erklären, daß man die gleiche Qualität beider Arten der Vertheidigung erkannte, ferner der er­

weiterte Begriff der exceptio mehr zum Bewußtsein kam, und man außer dem bei beiden auS proceßpolitischen Gründen dieselben Proceß­

strafen für den Kläger herbeiführen wollte (vgl. unten -8 14 und 15).

In dem Bisherigen ist der Ausspruch

bei Gajus IV. 108,

welcher gewöhnlich selbst gegen die Annahme der materiellen exceptio

angeführt wird, fast gar nicht berücksichtigt worden.

In der Palimpsesten Handschrift steht n omnino

n a (vel f) — un

poribus exceplionum

(vel a) i usus erat illis tem-

(vgl. edit. Lachniann).

Will man strenge sein, so braucht Niemand diese lückenhafte

Stelle als Gegenbeweis gegen sich zuzulassen.

Auch ist es möglich,

daß wir durch unrichtige Ausfüllung vielleicht einen Sinn gewinne», an welchen Gajus gar nicht gedacht hat.

Nach der Conjectur von

Bluhmeliest man h. z. T. ganzallgemein: nee omnjno i ta ut nunc

usus erat illis temporibus exceplionum. Allein nach dem Inhalt der dieser Stelle vorauögehenven und nachfolgenden Paragraphen ist es auf­

fallend, wie Gajus zu der ganz allgemeinen Aeußerung kommt, zur Zeit der Legisactionen seien überhaupt die Erceptioven nicht in Gebrauch ge­ wesen In § 103 bis 107 giebt nämlich Ga j us den Unterschied zwischen judicia legitima und judicia quae imperio continentur an, und

sagt, diejenigen judicia , welche innerhalb der Stadt Rom oder der

ersten Bannmeile blos zwischen römischen Bürgern, ohne irgend­ welche Dazwischenkunft eines Peregrinen, und zwar mit Einem judex

(sub uno judice) angenommen, und in welchen eine Klage ange­

stellt würde mit einer intentio juris civilis in personam, besäßen die Kraft der vollständigen Vernichtung der Klage durch Consumtion, so daß gegen die frühere Klage nicht einmal die exceptio rei judicatae oder in judicium deductae nothwendig sei.

Dagegen sei

bei allen übrigen judicia legitima (einerlei ob ihr Gehalt ex lege

stamme oder nicht) (1), sowie allen judicia quae imperio conti-

(1)

Gaj. 1. c. § 109.

20

§ 2. Exceptio zur Zeit der

nentur, welche so genannt würden, weil sie nur so lange Kraft hätten, als der sie bestellende Magistrat im Amt sei, keine Vernichtung der actio durch die LitiScontestation vorhanden (1), und deßhalb

sei bei nochmaliger Erhebung desselben Anspruchs die exceptio

rei judicatae ober in Judicium deduclae nothwendig. Hierauf folgt nun der citirte 8.108, welcher vollständig lautet:

Alia causa fuit olim legis aclionum; nam qua de re semel actum erat de ea postea ipso jure agi non poterat, — omnino

-------- usus erat illis temporibus exceptionum. Darauf unmittelbar sagt Gasuö in § 109: „Uebrigens kann

ein Judicium sich auf ein Gesetz stützen, und ist dennoch nicht legitimum, auf der anderen Seite kann aber auch ein Judicium nicht

auf einem Gesetze beruhen und ist dennoch legitimum; wenn z. B. aus der lex Äquilia oder Ovinia oder Furia in den Provinzen geklagt wird, so ist daS Judicium ein solches quod imperio continetur; ebenso wenn zu Rom vor Recuperatoren geklagt wird, oder

auch bei Einem judex, aber mit Dazwischenkunft eines Peregrinen.

Im Gegensatze hiervon ist eS ein Judicium legitimum, wenn zu Rom unter Einem judex blos unter römischen Bürgern eine Klage

verhandelt wird, die aus dem Edicte des Prätors stammt."

Wenn also in Rom mit der prätorischen actio exercitoria ge­ klagt und die Formel erwirkt wurde: Cajus judex esto.

Quod As.

As. Lucio magistro vini

campani boni amphoras centum vendidit, q. d. r. a., quicquid ob eam rem Lucium Ao. Ao. dare facere oportet ex fide bona, ejus Nm. Nm. Ao. Ao. condemna, s. n. p. a. und sowohl der judex wie auch der Kläger und Beklagte römische Bürger waren, so galt das acceptum Judicium als ein sg. legitimum

und vernichtete die frühere obligatio ipso jure. Aus dem ganzen Zusammenhänge der §8. 103 bis 109 sieht

man, daß Gajuö nur den eigenthümlichen Unterschied zwischen

(1) Gaj. IV. 107 vgl. mit IH. 181 — tune enim nihilominus obligatio durat et ideo ipso jure postea agere possum.

legis actiones.

(Fortsetzung.)

21

judicia legitima und judicia quae imperio continentur mit den

eigenthümlichen Folgen der Aufhebung der Klage

ipso jure oder

ope exceptionum rei judicatae oder in Judicium deductae erläu­

tern will. den Römer

Dabei sieht sich GajuS veranlaßt, vor den, selbst für hier leicht

möglichen

Mißverständnissen

zu warnen,

namentlich der Verwechselung mit dem Unterschiede zwischen actio ex

lege

(civilis) und

welchen er,

actio ex

edicto praetoris (honoraria) auf

an die bisherige Darstellung anknüpfend, in § 110

übergeht.

Bei der Bestimmung der verschiedenen Wirkungen der einzelnen

judicia legitima und quae imperio continentur sieht man deutlich das ängstliche Streben resp, den Egoismus der Römer, Alles was nicht Römisch war in qualitativer Hinsicht zurückzusetzen, so daß also

nur bei der persönlichen Klage mit ter intentio Juris civilis

die volle Kraft des acceptum Judicium resp, der Litiscontestation ein­

trat, während in allen übrigen Fällen der Beklagte niemals völlig sicher vor der Klage war. Thatsache ist es nun, daß die legis actiones anfangs vollständig,

später mit immer geringerem Umfange, aber noch lange Zeit, neben

dem Formularverfahren fortbestanden, so daß noch zu Augustus Zeit

bei Centumviralgerichtsprozeffen in der Form der legis actio ver­ handelt wurde, nachdem weder über das Dasein der materiellen

noch der processualischen exceptio, d. h. des Bestandtheils der Formel, ein Zweifel herrschen konnte.

Nach der Art und Weise, wie sich

Gajus in dem § 108 d. ausspricht, sieht man nun, daß er von

einer Zeit reden will, in welcher sich der Unterschied zwischen judicia legitima und quae imperio continentur noch nicht gebildet hatte,

namentlich noch nicht mit den Unterscheidungen bezüglich der Wirkung

der Litiscontestation.

Als Gegensatz wählt Gajus ganz allgemein

die Legisactionen, bei welchen von den exceptiones rei judicatae

und rei in Judicium deductae noch keine Rede gewesen, weil hier die actio ipso jure durch das acceptum Judicium vernichtet worden

sei.

Wie nun aber Gajus hierbei ganz ex abrupto

auf die

Erceptioneu überhaupt gekommen sein, und diese ganz im Allgemeinen

§ 2. Exceptio zur Zeit der

22

für die legis actiones geleugnet haben sollte, läßt sich schwer be­ greifen. Deßhalb glaube ich, daß Gafu 6 nicht ita ut nunc, sondern

mit Bezug auf die exceptiones rei judicatae et rei- in Judicium deductae geschrieben hat, illarum, was nach den Siglen der Hand­ schrift vollständig zulässig ist, so daß nun mit weniger starker Inter-

Punction vor nec die Stelle lautet im Zusammenhang mit § 107:

At vero (si) legitime judicio in personam actum sit ea

formula quae Juris civilis habet intentionem, postea ipso jure de eadem re agi non polest, et ob id exceptio supervacua

est; si vero vel in rem vel in factum actum fuerit, ipso jure nihilominus postea agi potest et ob id exceptio necessaria est

rei judicatae vel in Judicium deductae.

Alia causa fuit olim

legis actionum; nam qua de re actum semel erat, de ea postea

ipso jure agi non poterat, nec omnino illarum usus erat illis temporibus exceptionum.

Hierdurch erhält die Stelle ihre natürliche und spezielle Be­

ziehung zu den exceptiones rei judicatae und rei in Judicium deductae, so daß der einfache Sinn ist: Zur Zeit der Legisactionen war es anders als h. z. T.

Denn da überhaupt nur einmal de

eadem re geklagt werden durfte, so sonnte von der Nothwe»ldigkeit und dem Gebrauch der genannten beiden Erceptionen überhaupt noch keine Rede sein.

Vielleicht hat auch Gafus geradezu geschrieben

nec omnino rei judicatae vel in Judicium deductae usus erat illis temporibus exceptionum, was hurch Abbreviaturen in der fetzt

vorliegenden Handschrift reduzirt ist. Mit der bisherigen Erklärung fiele jedenfalls der Gebrauch des citirten § 108 ganz weg, soweit

damit über die Eristenz oder Nichteristenz des ganzen Instituts der

Erceptionen zur Zeit der legis actiones entschieden werden soll.

Lassen wir aber auch die Confectur von Bluhm e als völlig richtig gelten, so leidet die Beweiskraft der Stelle schon sehr, wenn

man den Nachdruck auf das Wort i ta legt. Wenn man aber auch das ganze Gewicht der Stelle in das Wort omnino setzen will, so ist als ziemlich sicher anzunehmen, daß Gafus nur an die pro-

ceffualische Seite der exceptio denkt, nämlich als eines Grundes,

welcher Vertheidigungsweise nothwendig vorgebracht und in die Formel ausgenommen werden muß, (sg. formelle exceptio, pars formulae) wenn die Klage für unbegründet erklärt werden soll. Dafür spricht nicht blos, daß Gajus gerade in dem vierten Buche ex professo das Proceßrecht abhandelt, sondern daß die Römer, namentlich für die ältere Zeit, wenn sie davon sprechen, exceptionem necessariam esse vorzugsweise an die Nothwendigkeit der Aufnahme in die Formel denken, und Gajus selbst in 8 106 und 107 gerade die Nothwen­ digkeit der exceptio hervorhebt. Von dieser formellen Seite aus betrachtet giebt auch mit den Worten ita ut nunc der § 108 einen annehmbaren Sinn, weil für das Legisactivnsverfahren eine exceptio a condemnatione ebenso wenig möglich war wie eine praescriptio formulae. Keller (1) verlegt den Ursprung der formulae bereits in die legis actiones selbst, namentlich in die legis actio per condictionem, und sagt, es sei zu vermuthen, daß namentlich bei der condictio de certa re ex lege Calpurnia schon etwas der späteren formula Ähn­ liches vorgekommen sei, um das Verfahren e jure in Judicium überzuleiten, während in der condictio de certa credita pecunia ex lege Silia eine Verfeinerung des Sacramentalverfahrens liege, durch die dabei stattgehabte sponsio und restipulatio tertiae partis, welche Vermuthung sehr wahrscheinlich werde durch den Umstand, daß später, zur Zeit der formulae, keine actio ad condictionis fictionem stattgefuuden hätte, während es im Uebrigen eine ganze Klaffe von actiones gäbe, welche ad legis actionem exprimuntur (2). Diese Vermuthung Keller'ö, durch welche auch der Ausspruch bei Gajus IV, 20 : Quare autem haec (legis) actio (per condictionem) desiderata sit, cum de eo quod nobis dari oportet potuerimus sacramento aut per judicis postulationem agere, valde quaeritur. eine annehmbare Lösung erhielte, hat Vieles für sich. Allerdings steht dieser Annahme der von Gajus ausgesprochene Zweifel gegen.(1) C.P. § 18, 25.- (2) Gajus IV. 10.32; Keller, 1. c. S. los, Note 311.

§ 2. Exceptio zur Zeit der

24

über, geradeso wie der Annahme Keller's, daß die 1. a. per cond. das Gebiet der I. a. per jud. postul. gar nicht berührt habe (1).

Allein in der citirten Stelle sagt Gasuö nur, daß diese Frage bestritten sei, nicht aber, daß er selbst keine bestimmte Ansicht darüber habe.

Er läßt sich nur nicht näher ein auf die Ausführung

der berührten Controverse, zufolge der Anlage des ganzen Jnstitutio-

nencommentars und der nur gelegentlich vorkommenden Betrachtung der legis actiones.

Daß aber die eigentliche formula erst durch die lex Aebutia

in bestimmter Weise neben die legis actiones gesetzt wurde, unter­ liegt nach der Art und Weise des Ausspruchs von Gajus IV, 30

gar keinen Zweifel : Sed istae omnes legis actiones paulatim in odium venerunt;

namque ex nimia subtil!täte veterum, qui tune jura condiderunt, eo res perducta est, ut vel qui Minimum errasset, liiern perderet. Itaque per legem Aebutiam et duas leges Julias sublatae

sunt istae legis actiones, effectumque est ut per concepta verba, id est per formulas litigaremus.

Nach der Bestimmtheit des Ausdrucks könnte es zweifelhaft er­ scheinen, ob es vor der lex Aebutia auch nur Spuren von formulae

gegeben habe.

Ganz unwahrscheinlich ist eS aber, daß dieses neue

Verfahren so ohne alle Vorbereitung, namentlich ohne daß irgend welche Anlagen

dazu in dem

hätten, eingeführt worden sei.

vorhergehenden Verfahren gelegen

Nehmen wir das Letztere an, so ist

damit auch die Möglichkeit der exceptio, selbst in processualischer

Hinsicht gegeben.

In den Worten der lex Rubria c. 19 wird sogar

für die einfache sponsio die Zulässigkeit der exceptio angedeutet : is in id decretum, interdictum, sponsionem, Judicium exceptio-

nem addito (2).

Daß aber der processualische Name der

exceptio selbst schon gebraucht worden sei bei den legis actiones,

wird durch kein Zeugniß bestätigt, denn die Ausdrucksweise der

(1) Keller, 1. c. S. 76, des. Rote 247.- (2) Keller, I. c. S. 113, Note 326.

legis actiones,

(Fortsetzung.)

25

lex Rubria cit. gehört der späteren Zeit des ausgebildeten Formular­

verfahrens an. Das Resultat der bisherigen Untersuchung ist demnach, 1) Der Begriff der materiellen exceptio war schon zur Zeit

der legis actiones vorhanden, und kam darin zur processualischen Geltung. 2) Der Name exceptio war technisch noch nicht gebräuchlich, sondern rührt von der processualischen Stellung in der eigentlichen

formula her.

Schließlich muß ich noch Folgendes bemerken. a) Nach dem bisher Gesagten kann ich der Hypothese P u ch-

ta's (1) nicht beistimmen, das Alter der lex Aebutia sei mit dem Entstehen der leges imperfectae und minus quam perfectae von selbst gegeben.

So lange kein besserer Beweis geführt wird, müssen

wir vielmehr in der früheren Ungewißheit über das Alter der lex Aebutia bleiben. b) Es ist eine völlig unrichtige und verderbliche Ansicht, daß

der Naine exceptio und der Ursprung des ganzen Instituts

der

Erceptionen auf dem Ausnahnisverhältniß beruhe, in welchem das prätorische Recht zu dem Civilrecht gestanden habe.

stellt z. B. Albrecht (2) an die Spitze seines Buches.

Diese Ansicht Diese Idee

zieht sich durch das ganze Werk hindurch und hat der sonst vielfach

verdienstvollen Arbeit eine völlig schiefe Richtung gegeben, ein Be­ weis mehr, wie nothwendig es ist, die richtige Ansicht über den Urspung der Erceptionen zu gewinnen.

Zu derselben Ansicht neigt Zimmern (3), und stellt irrigerweise

legitima judicia, ipso jure und jus civile auf eine Linie, und diesen gegenüber, aber unter sich gleichbedeutend, die Begriffe judicia quae

imperio continentur, exceptio und prätorisches Recht; eine Ver­

wechslung und Vermischung, die sich theils aus dem bisher Gesagten

widerlegt, theils

später betrachtet werden

soll.

Zu der Ansicht

(1) Jnstit. I, S. 333. 334, vgl. dazu Sintenis, Civ. R. § 32, Note 10. — (2) Die Erceptionen des g. d. C. P. S. L— (3) R. Civilproceß

§ 91, S. 285.

§ 3. Beweislast zur Zeit

26 Albrechts

neigt auch TH. Rizy

Heffter (2) über dieses Buch

(1).

Die Recension, welche

giebt, ist allerdings etwas hart,

aber in den meisten Punkten völlig gerechtfertigt.

Denn wenn sich

m der genannten Schrift auch ein redliches Streben nach dem Rich­

tigen nicht verkennen läßt, so ist sie im Ganzen doch Höchst unver­ daulich Md unklar, so daß sie schwerlich in die Praxis Eingang finden wird. Auch zeigt sich darin vielfach ein totales Mißverständ­

niß der römischen Rechtsentwicklung, und

es ist beinahe komisch zu

nennen wenn S. 88 gesagt wird, die exceptio sei von den Prätoren,

namentlich dem Praetor peregrinus als ein Auskunftömittel ersonnen worden, durch welches das jus gentium in das alte Rechtssystem so zu sagen einzeschwärzt wurde (3).

§ 3. Beweislast zur Zeit der legis actiones. Bedenkt man, daß in der Zeit, in welcher das Legisactionsverfahren ausschließlich

galt,

von einer eigentlichen Entwickelung

und Ausbildung des Röm. Rechts noch feine Rede, daß die Formen

für Privatrechtsgeschäfte sinnlich und mit so viel Umständen ver-

knüpft waren, daß eine Uebereilung vorkam,

daß ferner der

oder Ungewißheit nicht leicht

Faktoren des Rechts

nur sehr wenige,

eigentlich nur die leges, und diese genau bestimmt und bekannt, daß eine wissenschaftliche Bearbeitung des Rechts und dadurch herbeigeführte juristische Zweifel noch nicht vorhanden waren, und end-

(1) In seinem Buche über Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprvcesse. Wim 1841. — (2) Summarium zu Weber (1845) S. 224 ff. — (3) Bgl. Donelli, Comin. jus civ. lib. XXII, cap. 1 :------- ut intelb’gamus, adversus eum qui cxceptione utitur, competere quidem jure actionem, sed Summo jure, ceterum non esse aequum ul reo noceat; prohibere aequitatem earum causarum, propter quas exceptiones conslitutae sunt, quae aequitas jure subtilitalem juris islius summi summovet. Neque ideo exceptio erit re vera contra j=us. Nam jus summum verbis jus est; sententia .constituenlis jus non etsL — ltinc jus dictum non ars summi juris, ,sed ars aequi et boni.

der legis actioncs.

lich die Hauptquelle des Röm. Rechts,

27

nämlich die prätorischen

Edicte, erst mit der lex Aebutia vollständig geöffnet wurde , so ist

es von selbst begreiflich,

daß einmal überhaupt nicht viel Streit

entstehen konnte, und daß, wo er stattfand, die Beweislast nicht viel geachtet wurde, da der Beweis sehr leicht und schnell geliefert wer­

den konnte.

Von einer Beweis la st wird überhaupt nur dann die

Rede sein, wenn eine wirkliche difficultas probandi, wie sich Gajus IV, 74 ausdrückt, vorliegt (1).

Dies bezieht sich einestheils auf die Tüchtigkeit der vorhandenen

Beweismittel und die Leichtigkeit deren Herbeischaffung, anderntheils auf die Verwickelung und Mannichfaltigkeit der Rechtsverhältnisse,

sowie der Zweifel, welche darüber juristisch entstehen können.

Wo

z. B. die Rechte einer Person ganz genau und scharf begränzt sind, wird die Frage über Beweislast selten großen Bedenken unterliegen,

und deshalb würde durch ein gutes und präcises Civilgesetzbuch für die Praxis offenbar weit mehr genützt werden, als durch alle Theo­

rien über Klaggrund, Erceptionen und Beweislast. Allein bei großem Verkehr in einem Volke, sowie der damit verbundenen

Vermehrung der Rechtssätze, ist dieses eine äußerst

schwierige Aufgabe, da sich unmöglich alle etwaigen Combinationen der Rechtsverhältnisse im Voraus durch die Gesetze speciell vorsehen lassen,

und durch etwaiges Generalisiren und die dadurch angeblich

herbeigeführte Einfachheit noch viel weniger genützt wird.

Das Recht und die Rechtsverhältnisse waren aber zu jener Zeit der ausschließlichen Herrschaft der Legisactionen bei den Römern noch

einfach und in der Entwickelung begriffen.

Als sich dieses

änderte, mußte auch die Proceßform dem natürlichen Drucke ihres erweiterten Inhalts, d. h. des Privatrechtes weichen (2).

Da nun die Rechte eines civis und des noncivis, sowie die etwaigen Vertheidigungsgründe gegen begründete Angriffe fast durch(t) Quintrlian J. 0. V. pr. lis nulla est, cui probatione opus non est. Vgl. mit V, 9. § 3 eod. — (2) Gajus IV, 30. vgl. mit § 11 eod. Die

nimia subtiliias veterum in dieser Stelle heißt nicht etwa : allzugroße Feinheit und Unterscheidungsgabe, sondern gerade das Gegentheil.

§ 3. Beweislast zur Zeit

28

gehcnds genau begränzt waren, und Angriff und Vertheidigung den

Gesetzesworten selbst

angepaßt werden mußte (1)

was sich auf mores gründete,

und

bei dem,

z. B. pignoris capio wegen aes Mi­

litärs (2), gewiß dieselbe Bestimmtheit herrschte, wie bei den Be­

stimmungen der geschriebenen Gesetze ,

so regulirte sich darnach die

Beweislast sehr einfach, falls die unter den rechtlichen Gesichtspunkt fallenden Thatsachen von dem Gegner bestritten wurden.

Daß da­

bei die causa actionis, z. B. bei der manus injectio, vom Kläger genannt wurde, sagt Gajus IV, 24 : nam et actor in ipsa legis

actione non adjiciebat hoc

verbum : „ pro judicato", -sed nominata causa ex qua agebat, ita adjiciebat : ob eam rem ego tibi manum injicio.

Wie alt nun die Trennung des Verfahrens in jus und judicium sei, läßt sich, wie bereits früher erwähnt wurde, nicht genau bestimmen.

Jedenfalls ist sie so alt, als die legis actio per judi-

cis arbitrive postulationem, wie wir aus Gaj. IV, 15 sehen. Ueber das Verfahren vor dem judex sagt Gajus 1. c. : cum ad judicem venerant antequam apud eum causam per-

orarent, solebant breviter ei et quasi per indicem rem expo-

nere : quae dicebatur causae collectio, quasi causae suae in

breve coactio. Hierin zeigt sich jedenfalls Verfahren der spätern Zeit.

eine große Aehnlichkeit mit dem

Daß aber die alte causae collectio

zu Gaz'uö Zeit nicht mehr stattfand, sieht man aus dem dicebatur.

Es würde sich nun fragen, worin bestanden die Befuguiffe, die Pflichten und die nach beiden eingerichtete Thätigkeit des judex? Darüber haben wir

keine

zuverlässigen Nachrichten.

Jedenfalls

war nach dem ganzen damaligen Rechts- und Proceßzustande der

Umfang des officii judicis ein sehr beschränkter, da die Gesetze für die Ansprüche des Klägers, sowie die Rechtöbehelfe des Beklagten

genaue Auskunft gaben.

Allein innerhalb dieses

kleinen Kreises

war er in seiner rechtlichen Ueberzeugung anfangs größtentheils auf

(1) Gaj. IV, 11. — (2) Gaj. IV, 26.

der legis atiohes.

sein subjektives Ermessen

29

und nicht auf äußere Beweisregeln ver­

wiesen, während sich später durch Herkommen auch für das off. jud., abgesehen von der durch die Formel gegebenen Beschränkung (die

eigentlich nur die alten verba legis für den einzelnen Fall vertra­

ten), nothwendig ein bestimmter Kreis von Regeln bilden mußte, die jedem judex als Richtschnur dienten und subjektives Ermessen

immer mehr ausschlossen.

Zwar heißt es auch noch für die spätere

Zeit, der judex solle nur ex animi sui sententia aeslimare quid

aut credat aut parum sibi probatum opinetur (1). Wie dieses zu verstehen, wird sich später ergeben und bis dahin mag überhaupt die genauere Betrachtung des off. jud.

bleiben (2).

Daß dieses aber nicht

ausgesetzt

so ausgedehnt gewesen sein

könne, wie oft behauptet wird, sieht man aus den Beweismitteln,

welche gebraucht wurden, indem Urkunden und Zeugen schon in dem 12 Tafelgesetz bei den Rechtsgeschäften, z. B.

bei Testamenten, in

einer Weise erwähnt werden, daß deren Gebrauch als Beweismittel gar nicht ausbleiben konnte, ja es liegt dieß ziemlich unzweideutig

in der Vorschrift des 12 T.-G., daß wer

bei Errichtung eines

Testaments als Zeuge oder Libripens fungirt habe, und nachher

darüber Zeugniß abzulegen sich weigere, improbus (resp, infamis)

und intestabilis sein solle (3).

Ebenso sieht man es aus dem Ge­

brauche der Urkunden, bei welchen nach der alten solennen Form wohl wenig Spielraum für ein eigentlich subjektives Ermessen übrig blieb.

Daß aber dabei eine größere Subjektivität stattfand, als dieß später der Fall war, sieht man noch aus Gellius (4), wo der

Grundsatz erwähnt wird, daß unter Umständen die Entscheidung zu Gunsten des einen oder anderen Proceßgegners von der Frage ab­

hängen solle : uter ex iis vir melier esset; ein Satz, welcher in geringem Umfange auch noch h. z. T. bei Auflegung der richterliche^

Rvtheide von Einfluß sein kann.

Man setzt zwar den Unterschied

des römischen und unseres heutigen Processes bezüglich des officium

(l) L. 3 § 2. D. de test. 22, 5. - (2) Vgl. § 18 u. 21. - (3) Gell. XV, 13. VI, 7; L. 26 I). qui test. 28, 1. — (4) Noel. Alt. XIV, 2.

§ 3. Beweislast zur Zeit

30

judicis gewöhnlich darin, daß der römische judex an keine bestimmte

Regeln namentlich für den Beweis gebunden, sondern sein Ermessen (snimi sui sententia, religio judicis) (1) ein ganz freies gewesen

sei, während h. z. T. man dem Richter einen ganz genauen Maß­ stab in die Hand gäbe, bei welchem man die Beweismittel, Heren

Inhalt, sowie die juristische Ueberzeugung gleichsam mit der Elle ausmesse und dabei sogar von Halbem oder Viertelbeweis spreche. In der Allgemeinheit, womit dieß fast durchgehends behauptet wird,

ist eines so falsch wie das andere, und muß nothwendig zu einer ganz verkehrten Anschauungsweise verleiten. Denn daß der römische

judex schon sehr frühe

an gewisse Beweisregeln gebunden war,

sieht man deutlich aus der citirten Stelle bei Gettius: probari debere pecuniam da tarn consuetis modis,

ex-

pensilatione, mensae rationibus, chirographi exhibitione, tabu-

larum obsignatione, teslium intercessione — si neque tabulis neque testibus planum fieri possit, tum apud judicem, qui de ea re cognosceret, uter ex iis vir melior esset (2) quaereretur, et si pares essent, seu boni pariter seu mali, tum

illi unde petitur crederetür et secundum eum judicaretur. Zwar sagt noch Hadrian in einem Rescripte:

L. 3, §. 2. D. de testibus 22. 5. Quae argumenta ad quem modum probandae cuique rei

sufficiant nullo certo modo satis definiri polest. Mein obgleich dieser Satz

oft zum Beweise des ganz freien

Ermessens und der sg. discretionären Gewalt des judex gebraucht wird, so steht doch darin weiter nichts, als was in der Natur der Sache liegt (3) und was noch h. z. T. für unsern Proceß gilt (4).

(!) Heffter spricht von „discreiionärcr" Gewalt des römischen judex. — (2) Qüintilian J. 0. III, 10. § 3. — (3) Vgl. Pauli Lancelotti : Institutiones

juris canonici III, 14. § 36 u. 42. — (4) Bezüglich des Geständnisses in judicio mag allerdings der römische arbiter in der älteren Zeit noch eine größere Freiheit gehabt haben. L 7 D. de consessre 42, 2. Die Stelle ist von 8. Caecilius Africanus (wahrscheinlich derselbe, welchen Gellius N. A. XX, 1

der legis acliones.

31

Ebenso unrichtig wie für das R. R. die allgemeine Behauptung des

ganz freien individuellen Ermessens des judex, ist für unseren

heutigen Proceß die allgemeine Behauptung der völligen Beschränkung

des

Richters und die

Ausschließung

seiner individuellen Ansicht.

Diese läßt sich gar nicht durchgreifend vermeiden (1). Nur die Aus­ schließung der Laune und Willkür muß erreicht werden, und dabei

kann für die dem Richter zu gebenden Vorschriften nur ein richtiger

juristischer Tact entscheiden, und auch nicht generell, sondern nur mit

Betrachtung der einzelnen Stadien des Processes. Von Beweismitteln kam außer den bisher genannten noch der

Gebrauch des Eides vor, sowohl als Schiedseid, wie auch- als rich­ terlicher Notheid.

Bei letzterem zeigte sich allerdings eine größere

Freiheit des judex, indem überhaupt die Zulässigkeit des Eides von

seiner Billigung, sowie insbesondere es anfänglich gewiß mehr von seinem sub/ectiven Ermessen abhing,

Eid auferlegen wollte.

Später aber

welcher der Parteien er den

hing es vorzugsweise davon

ab, ob der eine oder der andere Theil bereits durch Urkunden, Zeu­

gen u. s. w. eine größere oder geringere Wahrscheinlichkeit für seine

vgl. mit XIV, 2. als Zeitgenossen erwähnt).

Die L. 7 eit. spricht nur von

dem arbiter, allein zu Afrieau'S Zeit war gewiß in dieser Beziehung zwilchen aebiter und judex gar kein Unterschied mehr. Auch sieht man aus L. 7 eit. deutlich, daß der arbiter resp, judex für sich jedenfalls nicht über die mate­ rielle Richtigkeit des Geständnisses entscheiden durfte, sondern die Sache an den Magistrat zurückweisen mußte. Vgl. dazu L. 23 § 11 — L. 25. D. ad I.

Aq. 9, 2. (Ulpian und Paulus.) In der Regel war der judex durchaus an das Geständnis gebunden. L. 40 § 1. D. de pactis 2, 14 (Papinian.), vgl. noch Bethmann-Hollweg, Vers. S. 250 ff., 6es. S. 284 ff. und dazu dessen Handbuch des R. C. P. § 23, S. 261, Note 8. — Das Notorische be­ durfte gewiß ebensowenig für den Magistrat, wie für den judex eines Deroeifed. Ob er aber das ihm persönlich und außergerichtlich Bekannte berück­ sichtigen durfte, läßt sich für die älteren Zeiten wohl aunehmen, soweit rein schiedsrichterliche Ansichten Geltung hatten. Allein nach den bereits bei Gellius XIV, 2 aufgestellten Zweifeln läßt sich vermuthen, daß sehr bald dieS überall als unzulässig galt. — (1) So wird die Vorschrift der L. 3 § 2. D. ut causa cadat is, qui non quemadmodum oportet, egerit. Quare in jure plerumque versantur. Ibi enim et exceptiones postulantur, et quodammodo agendi potestas datur, et omnis conceptio privatorum judiciorum constituitur. In ipsis autem judiciis rarius incidunt, et tarnen si quando incidunt, ejusmodi sunt, ut per se minus habeant firmitudinis , confirmentur

autem assumta alia aliqua constitutione. — (1) Z. B. de invent. I, c. 33; II, c. 19, 20. — (2) III, 8, § 6; IV, c. 1, § 72; c. 2, § 20. - (3) III, c. 6,

§ 12; c. 9, § 6-9. v. Helmolt, Beweisest.

15

226

§ 19. Verhandlungen in judicio.

Auf den ersten Anblick könnte

es nach der obigen Eintheilung

in prooemium u. s. w., welche Quintilian macht, scheinen, qls

seien alle, oder doch die meisten dieser Partitionen

sowohl von dem

orator des Klägers sofort bei der Klagstellung, wie euch von dem Anwälte des Beklagten bei der Vertheidigung in ihrer ganzen Aus­ dehnung

gebraucht worden, so daß z. B. die refutatio sofort von

dem Kläger auch gegen die möglichen Einwendungen des Beklagten gerichtet worden sei, oder daß er sofort mit der narratio auch die probalio (1), oder jedenfalls mit dem ersten Vortrage auch die

peroralio verbunden habe.

Wo die Streitpunkte schon sichtbar in

der formula festgestellt waren, konnte Kläger diese allerdings sofort berühren

und berückstchtigen.

Allein

die eigentliche Begründung

nicht blos der actio, sondern auch der exceptiones, replicationes,

erfolgte,

soweit darüber überhaupt noch Streit herrschte, erst in

judicio. Deßhalb hielten es wohl in den meisten Fällen beide Theile

für zweckmäßiger, erst die spezielle Begründung der Behauptungen und Gegenbehauptungen der Reihe nach abzuwarten.

Bezüglich der

defensiones, soweit sie nicht bereits in jure (§ 15 — 17) vorge­

kommen waren, war dieß sogar eine natürliche Nothwendigkeit für

den Kläger, und bezüglich der Repliken für den Beklagten u. s. w., weil er diese im Voraus gar nicht einmal im Allgemeinen kannte.

Dasselbe mußte gelten bezüglich vieler Erceptionen, welche hei der

incerta formula, namentlich den bonae fidei actionibus erst in ju­ dicio vorgeschützt zu werden brauchten, sodaß sich der Kläger wohl nur selten auf die etwaigen Einwendungen des Beklagten anti-

cipando einließ, was mit dem Wegfall der formula (bei den extra-

ordinariae cognitiones) wohl ganz allgemein als Regel festgehalten wurde.

Sodann läßt sich kaum bezweifeln, daß durch die Art und

Weise der Conception der formula nicht wenigstens jm Allge­ meinen der Gang und die regelmäßige Reihenfolge der Verhand­

lungen in judicio angegeben und geregelt werden

(1) IV, c. 2, § 4 II. § 75-80; c. 4, § 6-8.

sollte, worauf

(Fortsetzuog. — Quintilian.) sch KN

227

die Eezes'chrmoaen replicatio, duplicatio, triplicatio,

quadr uplicatio u. s. f. Hinweise«.

L. 2 § 3 D. dp ,exc. 44, 1. Ulpian :------- et ila deinceps

multiplicamur nomina, dum aut actor aut reus objicit. Außerdem spricht gegen die Annahme, daß Kläger oder Be­

klagter sofort alle obigen Partitionen, sowie innerhalb der einzelnen AlleS, was sir dariiber pro et contra zu sagen wußten, zusammen­

gefaßt undausgeführt hätte«, die Vorsicht, welche Quintilian an« räth, nämlich: zu überlegen, was nützlich, was schädlich sei, ferner was, wie und wieviel man anfangs erzählen solle (1). nach Demjenigen, was Jemand behaupte,

last.

Denn

richte sich die Beweis -

Deßhalb müsse man erst zusehen, wieviel man zu behaupten

nöthig habe, d. h. im Zweifel so wenig als möglich, und man dürfe

nicht zu voreilig sfin mit Anbietung von Beweisen :

HI, 9, § 7 : Expositio enim probationis est praeparatio; nec esse ytilis polest, pisi prius constiterit, quid debeat

de probatione promptere. VI, 5, § 5 : (Consilium) et jn ipsis actionibus primum ac

potentissimum obtinpt locum; nam quid dicendum, quid tacen-

dum, quid differendum sit exigere, consilii est; negare sit satius an defendere? ubi ppooemio utendum ei quali? nar-

randumne et quomodo? jure prius pugnandum an aequo? qu i

sit ordo utilissimus? tum omnes colopes;

aspere an

Ieniier, an etiam summisse loqui expediat? Ebensowenig wurde wohl stets sogleich die peroratio hinzugefügt.

Bei wichtigen Criminalsachen ist es allerdings natürlich, daß

sowohl der Ankläger wie der Vertheidiger des Angeklagten sofort ein längere zusammenhängende Rede hielt, wobei in der Regel alle fünf oben genannten Theile vorkamen, und namentlich sofort die

Beweismittel wem'gstenS benannt, sowie zuletzt eine Recapitulatlon

gemacht wurde, verblinden mit einem Gefammtangriff. führt zu ganz falschen Vorstellungen, wenn

(I) in, 9, § v.

Allein es

man dieß überall auf

das Civilverfahren anwenden wollte. Bei sehr bedeutenden und verwickelten Civilprocessen war zu einer vollständig ausgearbeiteten Rede allerdings Veranlassung, gerade so wie dieß bei mündlichen Verhandlungen h. z. T. der Fall sein würde. In dieser Weise setzt auch, sowohl für Criminal- wie für Civilprocesse, Quintilian die altercationes der continua oratio gegenüber (1), und bemerkt dabei, die altercatio habe denselben Inhalt wie die perpelua actio Csc. continua oratio), aber dieselbe werde in anderer Form verhan­ delt, nämlich durch Fragen und Antworten, z. B. bei dem Zeu­ genverhör , und bei diesen altercationes komme es mehr auf Geistes­ gegenwart und rasche Benutzung augenblicklicher Vortheile an, als auf eine gut präparirte Rede, weßhalb es auch bei judicia privata oft stattfinde, daß zur Verhandlung der actio ein anderer orator genommen werde als zu den probationes (resp, altercationes) (2). Dazu sagt Quintilian(Z), es werde nicht blos bei judicia capitalia, sondern auch von den Centumvim verlangt, daß der Kläger mit einer wohlgeordneten und sorgfältigen Klage und einem gefälligen Vortrage auftrete, weil dieß die Würde des Gerichts erheische. Allein daß dieß nicht überall stattfand, ist deßhalb sehr natürlich, weil es nicht überall nöthig war (4). Quintilian sagt selbst, daß zu seiner Zeit auch für ge­ ringe Civilprocesse manche Redner die lächerliche Unsitte hätten, große Declamationen zu halten, wobei er hinzufügt : nam in parvis quidem litibus has tragoedias movere tale est, quäle si personam Herculis et cothurnos aptare infantibus velis (5). (1) VI, 4, § 1. - (2) § 2, 5 eod. - (3) IV, 1, § 57. - (4) Deshalb ist auch die Darstcllungsweise Puchta's, Jnstit. § 174 : „Zu diesem Behufe

traten vor dem Richter die oratores oder patroni der Parteien auf, die vor

allem durch längere zusammenhängende Reden (continua oratio, peroratio) die Sache ihrer Partei darstellten und ausführten, worin factische und recht­ liche Deductionen gemischt waren;" in ihrer Allgemeinheit nicht zu billigen, da sie leicht zu falschen Vorstellungen verleitet. Dasselbe gilt für die Dar­ stellung von I. Frei, der Rechtsstreit zwischen P. Quinciius und S. Naevius (besonders für Philologen bearbeitet), Zürich 1852, S. 20 — (5) VI, 1,

Deßhalb hätten die alten Römer sogar mehr darnach gestrebt,

alle Beredsamkeit äußerlich so viel als möglich zu verbergen, um

dadurch das Bewußtsein der Gerechtigkeit ihrer Sache, die keiner besonderen Fürsprache bedürfe,

Zu

was

bedürfe

es

auch dem Richter mitzutheilen (1).

auch

großer

Declamationen,

wenn z. B. aus einem Miethvertrage geklagt werde,

oder wozu bedürfe es großer Ausführungen, wenn dieß die Sache nicht mit sich bringe?

IV, 2, § 4 — 6 : Pierique semper narrandum putaverunt: quo d falsum esse pluribus c o arg ui tu r. Sunt autem ante omnia quaedam tarn breves causae, ut propositionem potius habeant quam narrationem. Id accidit aliquando utrique parti, quum vel nulla expositio est, vel de re constat, ut apud centumviros : Filius an frater debeat intestatae esse heres ? Pubertas annis an habitu corporis aestimetur ? Aut quum est quidem in re narrationi locus, sed ante aut judici nota sunt omnia, aut priore loco recte exposita. Accidit ali­ quando alteri, et saepius ab actore : vel quia satis est exponere, vel quia magis sic expedit. Satis est dixisse : Certam pecuniam creditam peto ex stipulatu; Legatum peto ex testam ento. Diversae partis est exponere, cur non debeatur. IV, 2, § 61 : — — narrandi virtutibus adjiciunt quidam magnific entiam, — — quae neque in omnes causas cadit (nam quid in plerisque judiciis privatis de certa credita, locato et conducto, interdictis, habere loci potest supra modum se extollens oratio?) neque semper est utilis (2). In diesen Stellen ist zwar zunächst nur von der narratio die Rede.

Allein aus dem Ganzen geht unzweifelhaft hervor, daß ge­

wiß in vielen Sachen die ganze continua oratio in weiter nichts

§ 36, vgl. mit IV, 2, § 117 u. 118 und IV, 3, §2; Cic. de orat. I, c. 38.— (1) IV, 1, tz 7 U. 9. - (2) Vgl. noch V, 14, § 14. 15.

§ 19. Verhandlungen in judicio.

230 bestand,

als

in dem einfachen Vorbringen des Klaganspruchs mit

Bezug auf die zu Grunde liegenden Thatsachen, sowie der Anbietung zum Beweise derselben (promissio probationum),

nebst der Bitte

um Verurtheilung des Gegners. III, 9, § 2 : (vgl. mit § 7 eod.) : liam p r o p o n e r e quidem, quae sis probaturiis necesse est, sed et c o n c 1 u d e r e.

Sogar für Centumviralsachen, bei welchen in der Regel eine

sollicita et accurata aclio et

diligentia in dicendo (1) nöthig

sei, werden diese kurzen Angaben für genügend erklärt (2 ).

Reden,

wie diejenige Cicero's pro Quinctio (3) darf man hier nicht als

Maßstab gebranchen wollen.

Cicero sagt selbst, daß die Sache

eine lange verschleppte und verwickelte sei, und er hat dabei den Beweis geliefert, wie gut alle Umstände, namentlich Indizien benutzt, und was durch eine vollendete Darstellungsweise gewonnen werden

kann.

Allein dabei ist zu bedenken, daß die Sache vorher

schon

öfter verhandelt und Cicero's Rede vielfach nur eine eigentliche peroratio war.

Bezüglich des neuen Streites

ex sponsione : 8i

bona mea ex ediclo P. Burrieni praetoris dies XXX possessa

non sunt elc^ weist er in der Rede allerdings auf die demnächstigcn

Beweismittel hin,

namentlich Zeugen.

Ein eigentlicher Gebrauch

wird aber auch hier von den Zeugenaussagen nicht gemacht, und zwar aus dem einfachen Grunde,

weil dieß erst nach Abhör der

Zeugen geschehen kann, was sich auf alle übrigen eigentlichen Be­ weismittel anwenden läßt.

Das Hinweisen auf die Beweismittel

ist nichts anderes als wenn h. z. T. der Kläger oder Beklagte in seiner Klage oder Vernehmlassung sagen würde: Die Wahrheit meiner Behauptungen werde ich später durch Zeugen u. s. w. dar­

thun.

In dieser Weise verspricht auch Cicero le. c. 28 vgl. mit

c. 18 blos den späteren Zeugenbeweis, wobei er nicht einmal alle

Zeugen mit Namen benennt.

Es bestätigt sich auch hierdurch be­

züglich des gleichzeitigen und vollständigen Gebrauchs aller Partitionen

(1) IV, 1, § 57. - (2) IV, 2, § 5 Ci». - (3) Vgl. dazu Keller, Sein, ad M. T. C. I, p. 27; C. P. S. 121 und Note 436; Frei, I. c.

(Fortsetzung. — Quintilian.)

231

Ouintilian's, die Ansicht, daß nicht überall bei den ersten Aus­ führungen in judicio die der Partei zu Gebote stehlenden Beweis­

mittel außer der blosen Erwähnung auch wirklich gebraucht worden seien, welches Letztere z. B. Puchta (1) behauptet. Allerdings mag es hier und da vorgekommen sein, daß die Beweisausführung sogleich mit dem ersten Vortrage verbunden wurde, namentlich wenn

der Kläger seiner Sache ganz sicher war. In ähnlicher Weise ist dieß ja nach dem I. R. A. § 35 noch h. z. T. dem Kläger ge­ stattet. Allein so wie hier von der Regel des einfachen Klagvertrags ausgegangen, und ausnahmsweise dem Kläger anheimgestellt wird : „ob er die probatoria um sein selbst bestes willen, zu Be­ schleunigung der Sachen gleich bei Ausziehung der Processen, oder auch in dem ersten Termin------- mit Production und Einführung der Klag einbringen, oder sich sonsten in ander weg zum Beweißthumb gefaßt machen; oder solches alles dahin, biß der Beklagte mit seiner Verantwortung einkommen------- verschieben wolle ebenso ist es umgekehrt bei den Römern die Regel gewesen, daß die Beweismittel sogleich mit dem ersten Bortrage wenigstens be­ nannt wurden. Allein es kam gewiß auch häufig vor, daß selbst diese Benennung nicht sofort vollständig geschah, z. B. wenn der Kläger glaubte mit den bezeichneten auszureichen, nachher aber fand, daß dieß nicht der Fall sei, oder daß er überhaupt blos zum Be­ weise seiner Behauptungen sich erbot, und sich vorbehielt, die ein­ zelnen Beweismittel später zu benennen, falls deren Gebrauch noch nöthig sei nach der Antwort des Gegners. Denn die Zweck­

mäßigkeit war die Richtschnur, nach welcher scde Partei ihre Vorträge einzurichten hatte, namentlich bezüglich der Fragen, wieviel Thatsächliches sie angeben solle, in welcher Darstellungsweise, nach welchen rechtlichen Gesichtspunkten (2).

(1) Zustit. § 174; vgl. dazu Hefftcr, Revision zu Weber, S. 224. — (2) IV, 2, § 45 : quantum opus est, qüantum satis esl; vgl. noch eod. § 46. 82. 83. 86 und III, 9, § 6.

§ 19. Verhandlungen in judicio.

232

Noch mehr mußte dieß eintreten, wenn z. B. der Kläger nach

der Antwort des Beklagten sah,

daß er seinen Klaganspruch durch

neue Thatsachen (soweit deren Vorbringen zulässig war) unterstützen

müsse.

Diese Gesichtspunkte festzuhalten ist deßhalb von großem In­

teresse, weil sich hiernach in der Regel die Beweislast richtete, und darum sagt gerade Quintilian, der Redner dürfe nicht sogleich Alles sagen, was er sich vorher überlegt habe, und er dürfe nicht

voreilig Beweise anbieten, bevor er überhaupt genau wisse, wie viel Beweis er zu versprechen nöthig habe (1).

Man könnte diese

Stellen zwar auch so verstehen, daß der von Quintilian ertheilte

Rath sich blos auf die Thätigkeit des Redners beziehe, bevor er ins Gericht gehe, sowie auf die Reihenfolge, in welcher er reden

solle, .ohne daß deßhalb die continua oratio wegfalle.

Allein in

Lib. VI, 5, § 4. 5 unterscheidet Quintilian ausdrücklich das Verhalten ante actionem und in ipsis actionibus, giebt aber für beide dieselben Regeln der Vorsicht.

Vergleicht man hierzu die

sonstigen Ansichten Quintilian's, namentlich daß Zweckmäßigkeit

und die Aussicht auf den Sieg im Allgemeinen die Art und Weise des Vortrags bestimmen müßten, ferner Aussprüche

wie der in

IV, 2, § 6 : Salis est dixisse : Certam creditam pecuniam peto ex stipulatione; Legaten peto ex testamento.

Diversae partis

expositio est, cur ea non debeantur; sowie endlich, daß die Römer häufig von der prima und secunda actio sowohl auf Seiten des

Klägers wie des Beklagten sprechen (2), so sieht man daraus, daß die sg.

continua oratio an sich nichts weiter heißt,

als: ein

schlüssiger Antrag, ost aber nichts weniger als eine längere

Rede war (3).

Wie verhält sich nun die Beweislast zu den Ver­

trägen der Parteien nach Quintilian's Ansicht? Er giebt zu

deren Vertheilung überall die Ausdrücke narrare und negare

als entscheidend an. Dieß ist derselbe Grundsatz, welchen die Juristen

(1) III, 9, § 6. 7; IV, 2, § 48 u. 54-56. —

§ 130, Note 13. - (3) Vgl. noch IV, 5, § 1. 4.

(2) Zimmern, R. R. G.

aufstellen : Afiirmanli non neganli incumbit probatio, oder was von den Parteirollen aus betrachtet dasselbe heißt : Actor probare debet; reus in exceptionibus actor est (vgl. § 20). Für den Kläger giebt Quintilian Folgendes an : III, 6, § 85: Accusatori (actori) nihilo plura intuenda sunt, quam ut probet : factum esse, hoc factum esse, non recte factum esse, jure se intendere. Ita circa species easdem lis omnis versabitur, translatis aliquando partibus, ut in causis in quibus de praemio agitur, recte factum, petitor probat (1). Für den Beklagten, bei welchem besonders die refutatio von Interesse ist, giebt Quintilian im Allgemeinen dieselben Regeln wie für den Kläger (2). Allein bezüglich ihrer Stellung gegen­ einander, namentlich bei der Frage über die Beweislast, ist gerade die richtige Gränze zwischen dem narrare und negare das Schwierige, und daß darüber schon bei den Römern gestritten wurde, ist ohne Zweifel. Deßhalb sagt Quintilian, der Kläger solle sich vor zu vielem narrare hüten, und so kurz wie möglich sein, falls Letzteres nicht in concreto seiner Sache schädlich sei. Er solle es dem Gegner überlassen, die Mängel zu rügen oder das Gegen­ theil zu behaupten (3). Daß sich hierbei die Entscheidung der Frage: ob etwas narratio oder negatio sei, nicht nach der äußeren Form richte, wird ausdrücklich von Quintilian angegeben. Ebenso sieht man aber auch aus dessen sonstigen Aeußerungen, daß die Römer auch bezüglich der genauen Scheidung und der Terminologie möglichst aufs Klare zu kommen strebten : V, 14, § 34 :------ jurisco.nsulti, quorum summus circa verborum proprietatem labor est (4). IV, 2, § 8 : Reus contra tune narrationem subtrabet, quum id quod objicitur nec negari nec excusari poterit, sed

(1) Vgl. dazu IV, 2, § 12-14. - (2) Vgl. III, 10, § 5; III, 6. § 10. 69- 86, bcs. § 83; IV, 2, § 4 ff., §14. 67. 80. 84; V, c. 10, § 107, c. 13, tz 4. 7. 8. 12. 14-16. 53; VII, 5, § 1-3; VIII prooem. § 9. — (3) IV, 2, § 6. 7. 45. 46. - (4) VII, 2, § 11-13.

§> 19. Derhanelungen in judicio.

234

in sola Juris quaestione consislet. § 9 : Sed ut has aliqua ndo non narrandi causas puto, sic ab aliis dissentio, qui non exislinient esse narrationem, quum reus, quod objicitur tantum negat. § 19 : Quae omnia eo pertinent, ut appareat, non utique non narrare eum qui negat, sed illud ipsum narrare quod negat. V, 13, §7: Quae rteque negari neque transferripossunt utique defendenda sunt, qualiacunque sunt; aut causa cedendum. Negandi duplicem ostendimus formam: aut non esse factum, aut non hoc esse, quod factum est. Quae neque defendi neque transferri possunt, utique neganda; nec solum si finitio polest esse pro nobis, sed et si nuda inficiatio superest (1). Daß nun trotz

der Vorschrift, der Kläger solle sich in dem

narrare soviel als möglich beschränken, dessen Vortrag, selbst der erste, nicht so unvollkommen und unzusammenhängend sein durfte, daß sich der Klaganspruch daraus nicht einmal an sich rechtfertigen

ließ, bedarf kaum der Erwähnung.

Die Annahme des Gegentheils

würde ganz dem praktischen Sinne der alten Römer widersprechen.

Nach der ganz schwachmüthigen Bestimmung Justinian's in §35 J. de act. darf man die Zeit Quintilian's nicht bemessen, ab­

gesehen davon, daß es schon an sich in den meisten Fällen der Formel

nach nicht möglich gewesen wäre. Sobald der

erste Angriff und die erste Vertheidigung erfolgt

sind, sagt Quintilian, stellt sich der Status causae heraus, d. h.

die allgemeine Anschauung für den judex

über den Stand des

Streites, namentlich dasjenige, was der Kläger zuerkannt haben will.

Quintilian sagt, viele Schriftsteller hielten den ersten An­

griff und Vertheidigung selbst (primam conflictionem) für den Status. Allein dieß sei unrichtig.

Nicht die conflictio selbst sei der Status,

sondern dieser sei erst eine Folge der conflictio, geradeso wie der

Schall zweier zusainmenstoßcnder Körper (1). Status causae sei deßhalb: quod et orator praecipue sibi obtinendum et judex spectandum maxime intelligit. Es sei nun bestritten, ob der Kläger oder ob immer der Beklagte diesen Status Hervorrufe. Cornelius Celsu s fei der Ansicht : statum non a depulsione sumi, sed ab eo, qui propositionem suam confirmet; ut : si reus hominem occisum negat, Status ab accusatore nascatur, quia is velit pro­ bare; si jure occisum reus dicit, translata probationis necessitate idem a reo fiat, et sit ejus intentio (2). Quintilian bemerkt hierzu, daß er bezüglich der Bestim­ mung des Status nicht mit C elsu s übereinstimmen könne. Viel näher der Wahrheit scheine die gegentheilige Meinung zu sein, woknach, wenn der Beklagte auf die Klage keine Antwort gebe, kein eigentlicher Streit vorhanden sei, (resp, ohne Streit könne von einem Status nicht die Rede sein), folglich bringe der Gegner durch seine Antwort den Status hervor (3). Nach seiner Ansicht, sagt Quintilian weiter, könne die Frage nicht so obenhin und im Allgemeinen entschieden werden, son­ dern man müsse mehr auf die Verschiedenheit der möglichen Fälle sehen. Denn auch die propositio des Klägers könne manchmal den Status machen, z. B. bei den causae conjecturales (4). Die conjectura (5) sei in der Regel auf Seiten des Klägers, weßhalb auch Manche in diesem Falle bezüglich des Beklagten einen Status in kitislis annähmeü; ebenso sei bei einem Syllogismus die ganze ratiocinatro auf Seiten desjenigen, der intendire. Aber weil auch in diesen Fallen derjenige, welcher leugne, (qui negat), die Noth­ wendigkeit Hervorrufe, diesen Status dem Leugnenden gegenüber ge­ nauer in judicio ZU verfolgen (6), so müsse man zugestehen, daß (I) in, 6, § 4. 5. - (2) 111, 6, § 13. - (3) § 14 eod. - (4) Causa conjccturalis ist diejenige, welche der Gegner nicht zugcsteht, de qua non conslat, und darnach ist Status conjecluralis derjenige, qui non est certus. — (5) Conjectnrä dicfä est a conjectu, id est directione quadam ratiönis ad veiitatem, III, 6, § 30. — (6) Exsequi, L. 22 D. de his quae ut indignib 34, S; Brisson, h. c.

236

§ 19. Verhandlungen in judicio.

der Status entstehe durch die depulsio.

Wenn z. B. Eiter behaupte

(dicat) : Non feci, so zwinge er dadurch den Gegner, dasß er eine

conjectura, und wenn er behaupte : non

einen Syllogismus gebrauche (1).

habet legen „ daß er

Trotzdem könne aber wurch die

Verhandlungen die Sache dahin zurückkehren, daß bald dm Kläger, bald der Beklagte den Status mache (2). Schon aus dem bisher Gesagten geht deutlich hervor,, daß mit

aller Subtilität über die Stellung der Parteien und ihrer Behaup­

tungen zueinander in judicio unterschieden wurde, und zwar nicht ohne Streit über die hierbei als richtig zu betrachtende Ansicht, so­ wie über die Terminologie. Man sieht ferner daraus, daß die Fest­

stellung der Begriffe intentio und depulsio als etwas Erhebliches

betrachtet wurde, ebenso daß man über den Unterschied

zwischen

nicht überall

narrare und proponere im Gegensatz zu negare einig war.

Es fragt sich aber, warum man dieses Alles für so wichtig ge­ halten habe? Vor Allem leuchtet der. Zweck hervor, daß der Kläger nichts

unerwähnt lassen solle, was ihm zum Siege, und

ebenso der Be­

klagte nichts, was ihm zur Freisprechung verhelfe, und es frage sich deßhalb, wie viel der eine znr intentio, der andere gut depulsio

nöthig habe.

An sich wäre es nun hierbei pröceffualisch ganz gleich­

gültig gewesen, ob der Kläger oder der Beklagte mehr vorgebracht, als unmittelbar nöthig gewesen, weil ihm dieses nicht geschadet hätte.

Die erste Frage war nur, ob die Behauptungen, sei es auf Seiten

des Klägers oder des Beklagten, überhaupt gesetzlich,- und zwar materiell, d. h. nach den Grundsätzen des Privatrechts, und formell,

d. h. nach den Regeln des Processes zulässig seren.

Allein dabei

wird überall den Parteien die möglichste Vorsicht angerathen, nicht voreilig zu viel anzugeben.

Wozu? Weil hinter dem narrare

(1) Vgl. die Ciceronianische Eintheilung in: constitutio conjecturalis, legitim», juridicialis, de Invent. I c. 8. 40; II c. 12. 13. —

15 eod.

(2) § 14.

regelmäßig die Beweislast folgte. Dieß sieht man nicht blos aus Quint. III, 9 § 2, vgl. mit § 7, sowie c. 6, § 13 eit., sondern auch aus c. 6. § 17 — 22, welche sich unmittelbar an die früher er­ läuterten § 13—16 anschließen. Ganz allgemein geht es aber aus folgenden Stelen hervor : IV, 2, § 79 : Aut quid inter probationem et narrationem interest, nsi ut narratio est continua probationis propositio, rursus probatio narrationi congruens confirmatio. V, 10, § 109 : Nec minus in hoc curae debet adhiberi quid proponendum, sed quomodo sit quod proposueris probanduin. VII, 2, § 11—13 : si unum aliquid affirmaris probandum est, aut causa periclitandum(l). Aus dem Bisherigen erhellt von selbst, daß die Ansicht, es sei die Frage über die Beweislast bei den Römern von geringer Er­ heblichkeit gewesen wegen der freien Stellung des judex u. s. w., eine durchaus irrige ist. Ebenso unbegründet ist es, daß die Römer keinen genauen Unterschied zwischen Hauptbeweis und Gegenbeweis, sowohl natürlichem wie künstlichem, gemacht hätten (2). Sobald die Verhandlungen geschloffen, die vorgebrachten rele­ vanten Thatsachen aber noch ungewiß waren, und falls Streit über die Beweislast herrschte, der judex diese durch Jnterlocut geregelt hatte, wurden nun die Beweismittel und Beweisgründe gebraucht. Quintilian theilt die Beweismittel in probationes inartificiales (natürliche Beweismittel), und probationes artificiales (künstliche Beweismittel). Zu den ersteren zählt er : praejudicia, rumores, tormenta, tabulae, jusjurandum, testes, wobei er sagt : in quibus pars maxirna contentionum forensium consistit (3). (1) Vgl. noch IV, 2, § 86. c. 3, § 5. - (2) Quint. VII, c. 2, § 11-13, c. 5, § 1—3; V, 14, § 14. 15; VIII pr. § 9; Cicero de invent. II, c. 4 i. f. c. 16 i. f. c. 17, § 52, c. 20. 21. 27. 28. - (3) V, 1, § 1. 2. Ueber die einzelnen Beweismittel vgl. lc. c. 2—8, und über die Ansichten der Juristen

folgende Stellen, welche keines Commcntars bedürfen: L. 4 D. de fide instrum. 22, 4 (Gajns).-------- Fiunt enini scripturae, nt quod actum est per eas

238

§ 19. Verhandlungen in judicio. (Fortsetzung.)

Bei den probationes artificiales unterscheidet Quintilja n

die signa ((Spuren, Indizien), argumenta und exempla.

Für

diese künstliche Beweisführung, namentlich die Argumentation, auf

welche sowohl Cicero wie Quintilian viel halten, sagt letzterer : V, § 8, 7 : omnium probationum quadruplex ratio est, ut vel, quia est aliquid, aliud non sit, ut : Dies est, nox non est; vel, quia est aliquid, et aliud sit : Sol est super

terram, dies est; vel, quia aliquid non est, aliud sit: Nox non est, dies est; vel quia aliquid non est, nec aliud

sit : Non est ratio nalis, nec homo est (1). Sind auch die Beweisführungen beendigt, so schließt der judex die Verhandlungen und ertheilt, falls er eine rechtliche Ueberzeugung

gewonnen, das Endurtheil (2).

facilius probari possit; et sine bis autem valet quod actum est, si habeat probationem; vgl. mit L. 5^ C. de side instr. 4, 2t (Gordian 240); L. 5 C. t. c. 4, 21 (Constantin. 317) : In exercendis litibus eandem vim obtinent tarn fides instrumentorum, quam depositiones tcstium; L. C. de prob. 4, 19; L. 1—3; L. 12 D. de test. 22, 5 (Arcadius, ;ÜIpian); L. 13 eod. vgl. mit L. 5 0. de test. 4, 20; L. 9, § 1 C. tc. 4, 20 (Con­ stantin. 334) : unius omnin o testis rcsponsio non audiatur; vgl. mit L. 12 D. hl. eil. : Ubi numerus testium non adjicitur etiani duo sufficiunt. — (1) Vgl. noch c. 8—10 I. c. Ueber das, was keines Beweises bedarf f. V, 10, §12.13.100—103.— Ueber die altercationes (£tn* und Herreden, Kreuzftagen) bei der Beweiserhebung, z. B. der Zeugenabhör vgl. VI, 4 pr. § 8. — (2) Vgl. darüber § 21, wo auch die Frage ihre Beantwortung finden Wird, was der Satz zu bedeuten habe, der judex solle ex animi s.ui sententia, ex religione sua urtheilen; vgl. mit Quint. III, 9, § 7; IV, 3, § 11; V pr. § 1. 2. c. 13, § 59, c. 14, § 29; VI c. 1, § 36, c. 2, § 5, wo gksagj wixd, per Redner dürfe und müsse dahin arbeiten, den judex auf jede er­ laubte Weise für fich zu gewinnen; vgl. noch L. 21, § 3 D. de test. 22, 5 (Arcadius) und Cicero, part. or. c. 35; Brutus c. 49 : Erit igitur eloquens is, qui in foro et causis civilibus ita dicit, ut probet, ut delectel, ut flectat; probare : necessitatis est; delectare : suavitatis; fledere : victoriae.

§ 20. Verhandlungen in judicio. (Fortsetzung. — Beweislast.)

239

§ 20.

Verhandlungen in judicio.

(Fortsetzung. — Beweislast.)

Q uintilian (§ 19) nimmt so zu sagen gar keine Rücksicht Hierdurch bestätigt sich die Ansicht, daß letztere

auf die formula.

nur die Umrisse und den Gang des Verfahrens im Allgemeinen,

sowie dasjenige,

was namentlich von Erceptionen, Replicationen

u. s. w. jedenfalls in judicio geltend gemacht werden durfte, be­ zeichnete, daß aber die Parteien in der Regel Schritt für Schritt

ihre Behauptungen und Gegenbehauptungen aufstellten, diese, wo es

und der judex die Ver­

nöthig war, durch Beweis klar machten,

handlungen dem Herkommen und dem vernünftigen Ermessen gemäß, mit Bezug auf eine beschleunigende Proceßpolitik bis zu dem Punkte

leitete, wo die Sache völlig spruchreif war. Soweit nun in der formula der Klaggrund, die Erceptionen

u. s. w. concipirt waren, hatte die Bestimmung der Beweiölast keine Schwierigkeit.

Den Beklagten konnte diese nicht treffen,

so­

lange der Kläger seine intenlio nicht bewiesen hatte.

L. 21 D. de probationibus et praesumtionibus 22, 3 Marcian: Semper necessitas probandi incumbit illi qui agit. L. 2 C. de probationibus 4, 19 (a. 215) Antonin : Possessiones, quas ad te pertinere dicis, more judiciorum persti­ quere; non enim possessori incumbit necessitas probandi eas ad se pertinere, quum te in probatione cessante, dominium apud eum remaneat. Zur Bestimmung des Umfangs der klägerischen Beweislast diente nun zunächst die Angabe der formula. gehalten, wie bei der formula incerta,

War diese aber allgemein so mußte der judex aus

den Behauptungen des Klägers den eigentlichen Klaggrund heraus­

wickeln.

Ich wiederhole hier lediglich das bereits früher darüber

Gesagte (§ 8 —14).

Denn ich behaupte, daß durch das judizielle

Verfahren die Stellung der Parteien an sich keine andere war, wie

in jure. Uebernahm hierbei der Kläger einen Beweis freiwillig, der ihm nicht hätte aufgebürdxt werden können, so mußte dieß der

judex zulassen, soweit der Beweis überhaupt von Einlaß (1) und

der Gegner damit einverstanden war.

Dieser Grundsat freiwilliger

Uebernahme eines Beweises galt auch bezüglich des Besagten.

L. 14 D. de prob. 22, 3. Ulp. : Circa eum, qui se ex libertinitate ingenuum dicit, referendum est, quis actoris par-

libus fungatur.-------- 8i quis autem fiducia ingenuitatis suae nitro in se suscipiat probationes ad hoc, ut sentenliam

ferat pro ingenuitate facientem, hoc est ut ingenuim se esse

pronuntietur, an obtemperari ei debeat? tractari polest. Et non ab re esse opinor, morem ei geri probanti se ingenuum, et sententiam secundum se dandam, quum nulla captio

intercedat Juris.

Für diese Beweislast des Klägers wird gewöhnlich der Aus­ druck gebraucht : pelitoris partibus fungi, im Gegensatze der vor-

theilhasteren Lage des Beklagten, bei welchem es heißt: commodo

possessoris frui oder fungi. L. 62 D. de jud. 5, 1. Ulp. : Inter litiganles non aliter

lis expediri polest, quam si alter petitor, alter possessor sit. Esse enim debet, qui onera petitoris sustineat et qui com­

modo possessoris fungatur (2).

Bei der Beweislast des Klägers war es an sich ganz gleichgül­ tig , ob seine Behauptungen affirmativ oder negativ gestellt waren,

es fragte sich blos, was gehörte zum processualischen Klaggrunde gerade derjenigen Klage, welche Kläger in dem vorliegenden Falle

angestellt hatte.

Daß auch Negativen von den Römern zum Be­

weise ausgesetzt wurden, unterliegt gar keinem Zweifel.

Ein schla­

gendes Beispiel liefert die Rede Cicero's pro Quinctio, welcher als Kläger den Beweis zu liefern hatte : si bona mea ex edicto P. Burrieni praetoris dies triginta possessa non sunt.

Die Klagen Cicero's über Ungerechtigkeit des Prätors, über Verkehrung der Beweislast u. dgl. können hier kein besonderes Ge-

(t) L. 21 cf. C. de prob. 4, 19 (Vioel, et Max.). - (2) Vgl. mit L. 14 D. de prob, eit.; L. 15, 20 C. de prob. 4, 19 (Diocl. et Max.).

wicht in die Wagschale legen, da Cicero hier als Advokat spricht, und sowohl aus dieser wie aus andern Reden desselben ersichtlich ist, daß es ihm auf eine Handvoll ungerechter Beschwerden, sowie aus Uebertreibungen und gehässige Anschuldigungen nicht ankommt (1). Allerdings stellen die Römer als allgemeine Regel den Satz auf: L. 2 D. de prob. 22, 3 (Paulus) : Ei incumbit probalio, qui dicit, non qui negat. L. 23 C. de prob. 4, 19 (Diocl. et Max.) : Actor, quod asseverat, probare se non posse profitendo, reum necessitate monslrandi contrarium non adstringit, quum per reimn naturam factum negantis probatio nulla sit (2). Allein der obige Satz ließ es an sich ganz zweifelhaft, was als dicere oder affinnare, und was als bloses negare in dem einzelnen Falle erscheine, wie dieß ja auch aus den früher citirten Aussprüchen Quintilian's ersichtlich ist. Ebenso sagt Cicero pro Quinctio : nego fuisse causam cur poslularet, nego ex edicto possidere potuisse, nego possedisse. Und dennoch muß er als Kläger diesen Beweis erbringen. Es war dieß also ebensogut ein dicere, geradeso wie wir h. z. T. das Wort „behaupten" gebrauchen. Eben­ sowenig wird aber durch den Satz : actori incumbit probatio, ein sicherer Anhaltspunkt gewonnen, weil der Kläger nicht Alles zu be­ weisen braucht, was er pro coloranda causa anführen mußte, z. B. daß der Beklagte noch nicht bezahlt habe. Die beiden Sätze probalio incumbit ei qui dicit, non qui ne­ gat , und actori incumbit probalio sind deßhalb nur als allgemeine, dabei aber subsidiäre gesetzliche Gesichtspunkte anzusehen, durch welche an sich noch nichts entschieden wird. Sie stehen ihrem Ge­ halte nach auf gleicher Stufe. Der letztere ist von der processualischen Stellung der Parteien, der erstere mehr von der Erscheinung des Streitmaterialö hergenommen, und es ist deßhalb ein ganz un­ nützer Streit, ob der eine oder andere allgemeiner sei, oder der eine (1) Vgl. noch Frei, I. c. S. 25 ff. p. 4, 30 (Diocl. et Max.). v. H e lmol 1, Beweislasr.

(2) Vgl. mit I.. 10 C. de n. n.

16

242

§ 20. Verhandlungen in judicro.

blos zur Ergänzung des anderen diene, sodaß also das Verhältniß

von gemis und species, oder gar von Regel und Ausnahme darin Die Römer haben daran nicht gedacht.

liege.

Denn auch von dem

Beklagten heißt es wieder : reum actoris partibns fungi (1).

Die

römische Auffassung war thatsächlich folgende : Wer als Kläger auf­

tritt, verlangt die Veränderung eines thatsächlichen Zustandes, durch

welchen er sich gefährdet glaubt. Diese Gefährdung oder Verletzung kann eine sehr mannigfaltige Gestalt annehmen, je nachdem die Herausgabe eines Gegenstandes,

oder das Verbot einer Störung,

oder die Vornahme einer Handlung, oder die Vergütung eines Scha­ dens , oder die gerichtliche Vernichtung eines bestehenden Rechtsver­ hältnisses und dergleichen verlangt wird. Für alle diese Ansprüche,

soweit sie überhaupt rechtlich zulässig sind, giebt es einzelne Rechts­

mittel.

Will Kläger ein solches gebrauchen, so muß er dessen Er­

fordernisse beweisen, soweit darauf die beantragte Verurtheilung ge­ gründet werden soll (vgl. § 12 fg.).

Ob sich der Kläger hierbei

verneinend oder bejahend ausdrückt, ob sein Anspruch auf Errichtung, Erhaltung oder Vernichtung von Rechtsverhältnissen geht, ist an sich gleichgültig.

Hat der Kläger seine inlenlio bewiesen, so trifft nun die Noth­

wendigkeit der Vertheidigung, und folgeweise der Beweislast den Beklagten, nach ihm wieder den Kläger und so fort, so lange selb­

ständige Behauptungen und Gegtnbehauptultgen aufgestellt werden. Was Nun früher (§ 15 fg.) über die Nothwendigkeit der Ver­

theidigung deS Beklagten in jure gesagt wurde, gilt unbedingt ebenso

für die Verhandlungen in judicio.

Nur war diese Pflicht bei letz­

terem noch strenger, weil nach der sententia judicis noch viel seltner

eine Restitution möglich wär, als bei versäumter Vertheidigung in jure.

Jede nothwendig selbständige Vertheidigung, soweit sie

nicht bereits in der Formel stand ■, mußte von dem Beklagten vorge­ bracht werden, falls sie Berücksichtigung finden sollte, also Alles, was wir früher als Einrede und exceptio bezeichnet haben (vgl. 817).

(I) L. 19 pr. v. de prob. 22, 3 (Ulp.).

(Fortsetzung — DewkiSlast.)

243

Nun stellen Mar die Römer den allgemeinen Satz auf, daß

der Beklagte sich

eigentlich gar nicht zu vertheidigen,

nichts zu beweisen brauche.

und gar

Allein dieß heißt nicht so viel, als ob

der judex Alles, was etwa zu Gunsten des Beklagten spräche, oder was er etwa zu seiner Vertheidigung hätte vorbringen können, von Amtswegen untersuchen und berücksichtigen müsse, sondern es hat die

sehr beschränkte pröceffualische Bedeutung, daß eine Vertheidigung

und Beweis deS Beklagten nur dann überflüssig ist, wenn derselbe

glaubt, der Kläger könne nicht einmal seinen proceffualischen Klag­ grund beweisen. L. 12 v. de prob. 22, 3 (Celsus) :-------- interdum pro-

bationes quaedam et a reo exiguntur. L. 9 6. de exe. 8, 36 (T)iocL et Max.) : Si quidem in-

tentionem actöris probatione doficere confidis, nulla tibi de-

fensio necessaria est L. 8 C. de prob. 4, 19 (Jidem) : Frustra veremini, ne

ab eo, qui lite pülsatur , probatio exigatur.

In dieser Weise trifft den Beklagten jedenfalls die selbständige Beweislast seiner Erceptiontn, soweit sie überhaupt eines Beweises

bedürfen.

L. 19 pr. D. de prob. 22, 3. Ulp. : In exceptionibus diöendum est, teiln! partibus actoris fungi oportere, ipsumque

excdplionem v eint intentiohem implere.

L. 1 D. de exc. 44, 1« Ulp. : Agere etiam is videtur, qui exceptione utitur; nam retis in exceptione actor est.

Und zwar müssen zuerst die dilatorischen Erceptionen bewiesen werden. L. 19, § 1. 2 D. de prdb. 22, 3 Ulp. : Cum quis prömisit, judicio se sisti, et reipublicae causa abfaisse se dicat, et ob

id hon stetisse, vel dolo malo adversarii factum, quominus sisleretur, vel valeludinem sibi impedimento fuisse, vel tempestatem, probare eum oportet.

Sed et si procuratoria quis

exceptione utatur, eo quod non licuisset adversario dari vel

fieri procuratorem, probare id oportet objicientem exceptionem.

16*

244

§ 20. Verhandlungen in judicio.

Auch L. 19 0. de prob. 4, 19 (Diocl. et Max.) kann

bereits

hier gebraucht werden :

Exceptionem dilatoriam opponi quidem initio, probari vero, postquam actor monstraverit, quod asseverat, oportet (1). Ebenso die peremtorischen Erceptkonen, einerlei ob sie als prae-

scriptiones oder, wie wir h. z. T. sagen, als exceptiones perem-

toriae in vim dilatoriarum, litis ingressum impedientes, oder als

rein peremtorische bezüglich der Hauptsache sich darstellen.

L. 19 cit. pr. § 3. 4 D. de prob. : In exceptionibus etc. ------- ; utputa si pacti conventi exceptione utatur, docere debet. pactum conventum factum esse.------ Idem erit dicendum et si ea pecunia petatur, quae pensata dicitur. Hoc amplius si judicatae rei vel jurisjurandi conditio delata dicatur de eo, quod nunc petitur, sive in alea gestum esse contenditur, eum implere probationes oportet. Geradeso wie die Erceptionen mußte der Beklagte seine Einreden

(vgl. § 15) selbständig beweisen.

Unter selbständigem Beweise

ist jedesmal ein sg. Hauptbeweis zu verstehen, d. h. ein solcher, welcher principaliter von einer Partei erbracht werden muß, wenn

sie nicht sachfällig werden will (probatione desicere), und gegen welchen ein (sg. directer) Gegenbeweis gestattet ist (2).

Die Beweislast aller Erceptionen, welche nicht in der formula standen, deren Vorbringen aber noch in judicio gestattet war, wie

vielfach der exceptio doli, sowie aller Einreden, weil diese niemals

in die Formel ausgenommen wurden, mußte der judex reguliren,

soweit darüber Streit herrschte.

Es war also durch die äußere Er­

scheinung der Formel jedenfalls weder die gesummte Vertheidigung, noch auch die selbständige Beweislast des Beklagten in judicio er­

schöpft.

Als Beispiel selbständiger Vertheidigung außer

den Er­

ceptionen , also für den oben bezeichneten Begriff der Einreden, ge-

(1) Vgl. mit L. 13 C. de exe» 8, 36 Honor. et Theod. (rr. 415). — (2) L. 23 C. de prob. 4, 19; L. 10 6. de n. n. pec. 4, 30. Die heutige Terminologie bei dem Beweise wird später betrachtet werden.

(Fortsetzung. — Beweislast.)

245

brauchen die Römer sehr häufig die solutio. Hierbei konnte kein Zweifel obwalten, namentlich wo es. sich um principielle theoretische Darstellung handelte. Die Aussprüche über solutio sind auf alle Einreden anwendbar. Daß die solutio aber Gegenstand einer selbständigen Beweislast für den Beklagten war, ist nach den Quellen unzweifelhaft. L. 25 § 2 D. de prob. 22, 3 (Paulus) :------ secundum generalem regulam, quae eos, qui opponendas esse exceptiones affirmant, vel solvisse debita contendunt, haec

ostendere exigit (1). L. 1 C. de prob. 4, 19. Seplimius Severus et Antonin (a. 196) (2) : Ut creditor, qui pecuniam petit numeratam, implere cogitur, ita rursum debitor, qui solutam affirmat, ejus rei probationem praestare debet (3). L. 7 C. de exe. 8, 36 : Si ex majori debiti quantitate minor tibi soluta est------- petere quod non probatur (sc. a. reo) redditum------- minime prohiberis. L. 25 C. de solut. 8, 42. Diocl. et Max. : Solutionem asseveranti probationis onus incumbit (4).

In einzelnen Fällen konnte eS nun zweifelhaft sein, in welcher Weise man die Angaben der Parteien zerlegen müsse, was als eigent­ licher Klaggrund, was als exceptio oder Einrede, was ferner als replicatio oder Replik zu betrachten, und wie demgemäß die Be­ weislast zu vertheilen sei. Diese Zweifel finden sich in den Quellen.

(1) Ich halte nach dem Zusammenhänge des § 2 cit., und wegen der Zusammenstellung mit den Erceptionen, die Lesart der Vulgata und Haloander's: solvisse debita statt indebita für die richtige, obgleich auch letztere einen guten Sinn giebt. — (2) Zu beachten ist, daß diese Stelle schon aus der Zeit vor Paulus (vgl. L. 25, § 2 D. cit.), welcher unter Severus Alexan­ der (a. 222—235 p. C.) lebte, oder wenigstens aus derselben Zeit herrührt. — (3) L. 10 C. de n. n. pec. 4,30. — (4) Vgl. noch Bethm.-Hollw., Versuche, S. 347. 352 u. 370, N. 2; Büchel, Erört. II, S. 54 i. f.; Savignp, Spst. V, § 228, S. 186; Sinterns, Civ. R. § 32, S. 309, 316, Note 14i.f. S. 320, 321, des. Note 27.

§ 20. Verhandlungen in judicio.

240

L. 12 D. de prob. 22, 3. Celsus : Quingenta testamento tibi legala sunt; idem scriptum eSt in codicillis postea scriptis. Refert, dtiplicare legatum voluerit, an repetere, et an oblitus, se in testamento legasse, id fecerit? ab utro ergo probatio ejus rei exigenda est? Prima fronte aequius videtur, ut petitor probet quod intendit; sed interdum probationes quaedam et a reo exiguntur. Nam si creditum petam, ille respondeat: solutarn esse peeuniam, ipse hoc pro­

bare cogendus est; et hic igitur, quum petitor duas scripturas ostendit, heres posteriorem inanem esse (sc. dicat), ipse heres id approbare judici debet. Kläger fordert hier 1000, nämlich 500 aus dem Testament, 500 aus dem Codizill.

Beklagter behauptet, daß nur die letzteren

gefordert werden könnten, weil der Testator durch Anordnung des Codizillarvermächtniffes das testamentarische Bermächtniß durch Wil­

lensänderung

aufgehoben

habe.

Celsus ist scheinbar zweifelhaft,

ob es zuin Klaggrunde des Klägers

gehöre, daß beide Vermächt­

nisse mit dem Willen des Erblassers ausgezahlt werden sollen, resp,

daß er seinen Willen bezüglich des

ersten Legats nicht geändert,

oder daß er nicht irrthüinlich d. h. aus

Unwissenheit das zweite

Legat angeordnet habe, und ob Klager nicht dieses zu beweisen habe. Dieser Zweifel mochte öfter,

auch in anderen Fällen vorkommen,

ebenso wie er h. z. T. sehr häufig ist.

Celsus entscheidet aber

sehr bestimmt: auf den ersten Anblick könne man fich aus über­ triebenem Billigkeitsgefühl leicht zu der Ansicht verleiten lassen, als

ob Kläger dieß zu beweisen habe, allein von dem juristischen Stand­ punkte aus verhalte sich die Sache anders.

Denn aus proceffua-

lischen Gründen komme es auch vor, daß der Beklagte selbständige

Beweise führen müsse, z. B. wenn er die Zahlung der emgeklagten Schuld behaupte.

Deßhalb müsse auch in dem vorliegenden Falle,

wenn der Kläger sich auf die testamentarische und die Codizillardis-

positivn stütze, resp, zu deren Beweis die beiden Urkunden vorlege, und der beklagte Erbe

die Ungültigkeit der letzteren behaupte, der

(Fortsetzung. — DcwnSlast.)

247

Erbe den Beweis erbringen, daß der Erblasser irrthümlich oder aus Unwissenheit die letzte Verfügung getroffen habe. Celsus beantwortet nicht alle von ihm selbst obenaufgestellten möglichen Fälle. Er sagt zu Anfang der Stelle : 1) duplicare legatum voluerit ? Dieß ist ganz allgemein. 2) an repetere? Hier wird der Fall angenommen, daß durch Willensänderung das testamentarische Vermächtniß zurückgenommen sein soll. 3) an oblitus, se in testamento legasse, id fecerit. Hier wird die Gültigkeit des ersten, die Ungültigkeit des zweiten Legats angenommen. Celsus entscheidet blos den letzteren. Unzweifelhaft aber ist es, daß er bezüglich der Beweislast alle drei Fälle untereinander, sowie mit der Z a h tu n g auf gleiche Linie stellt. Es ist also in diesen Fällen überall mindestens der Gesichtspunkt einer Einrede, sowie einer fvlgeweisen selbständigen Beweislast, für den Beklagten aufgestellt. Eine blose Klagableugnung (inficiatio) resp, ein bloser (sg. direkter) Gegenbeweis ist aber in keinem Falle anzunehmen. Man könnte aber hier fragen, ob denn Celsus gar keine Unterscheidung zwischen Einrede und exceptio mache. Ganz allgemein wird gesagt, wer eine Willensänderung behaupte, müsse diese beweisen. L. 22 D. de prob. 22, 3. Ulpian : Eum, qui vohintatem mutatam dielt, probare hoc debere. Dieser Beweis der Willensänderung bei Legaten wird aber in anderen Stellen als Gegenstand einer exceptio doli bezeichnet. L. 34 §. 1 D. de auro etc. leg. 34, 2 (Pompon.) :-----Quod ipsum, quantum ad ipsam Juris Obligationen! pertinet, recte dicetur, id est ut ipso jure (d. h. nach dem Wortlaute des Testaments) heres sit obligatus : verum sciendum , si in hoc alienaverit testator inde libram (sc. unam), quod deminuere vellet ex legato uxoris suae, tune mutata voluntas defuncti locum faciet doli mali exceptioni, ut si perseveret mutier in petendis quinque (so viel standen im Testament) libris, exceptione doli mali summoveatur; sed si compulsus

§ 20. Verhandlungen in judicio.

248

aliqua necessitate testator,

non quod vellet deminuere ex

legato (sc. alienaverit), tune mulieri ipso jure (1) quinque librae auri debebuntur, nec doli mali exceptio nocebit adversus potentem (2). Celstts entscheidet diese Frage zunächst nicht, weil Einreden

und Erceptionen

bezüglich

der Beweislast sich ganz gleichstehen.

Allein er scheint für den von ihm entschiedenen concreten Fall mehr

von dem Gesichtspunkte der Einrede auszugehen,

weil er sonst des

Satzes in ter dum et a reo probationes exiguntur, sowie des Bei­

spiels der solutio nicht bedurft hätte.

Ob aber in diesen und ähn­

lichen Fällen eine Einrede oder exteptio vorliege, läßt sich nur ent­ scheiden nach den bereits früher aufgestellten Gegensätzen zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, deren Resultat nicht über­ flüssig ist, wegen der, Bedeutung

(§ 17).

ebenfalls früher erörterten proceffualischen

Der Gesichtspunkt der blosen Anfechtbarkeit

liegt deutlich vor in der citirten L. 34 § 2 v. de auro leg. 34, 2, sowie bei Gajus II, 198, wo für das Damnationslegat der Ausdruck

ipso jure gleichbedeutend gebraucht ist mit jure civil! (im engeren Sinne) und stricto jure (vgl. oben § 5 — 7).

Auf gleiche Weise wie in der oben citirten L. 12 D. de prob,

enthält die L. 9 v. eod. (ebenfalls von Celsus)

keine Schwie­

rigkeiten bezüglich der Beweislast, und keine Abweichung von den gewöhnlichen Grundsätzen:

Si pactum factum sit in quo heredis mentio non fiat, quaeritur, an id actum sit, ut ipsius duntaxat debitoris persona

arclaretur.

Sed quamvis verum est, quod qui excipit probare

debeat quod excipitur, attamen de ipso duntaxat, ac non de

berede ejus quoque convenisse, petitor, non qui e x-

(1) D- h- nach dem Wortlaute des Testaments, und zwar mit rechtlichem Effect, vgl. den Anfang der Stelle mit dem Argument : quoniam articulus est praesentis lemporis demonstrationem in se contineret; Vgl. mit § 2 eod. — (2) Vgl. noch L. 19, § 1 D. de R. J.

(Fortsetzung. — Beweislast.)

249

cipit, probare riebet, quia plerumque tarn heredibtis nostris quam nos metipsis cavemus. A. klagt hier gegen die Erben eine Schuld des Erblassers ein.

B. schützt die exceptio pacti vor.

A. replicirt, daß dieses von ihm

zugestandene pactum sich blos auf den Erblasser beziehe.

Hier wirft

Celsus die Frage auf, ob der Beklagte auch die Behauptung des Klägers,

daß bloß

ein pactum in personam vorliege, oder ein

pactum in rem, beweisen müsse. es nun zweifelhaft sein,

ob ein pactum in rem oder in personam

abgeschlossen sei, z. B. nach

der Uebereinkunft.

In dem vorliegenden Falle mußte

der Ausdrucksweise

Halten wir zu

dieser

der Urkunde oder

concreten

Sachlage die

Ansicht der Romer :

L. 7. § 8 D. de pact. 2, 14. Ulpian : Paclorum quaedam in rem sunt, quaedam in personam. In rem sunt, quoties generaliter paciscor ne petam; in personam, quoties ne a persona petam, id est ne a Lucio Titto petam. Utrum untern in rem an in personam pactum factum sit, non minus ex verbis, quam ex mente convenientium aestimandum est. Plerumque enim, ut et Pedius ait, persona pacto inseritur, non ut personale pactum fiatr sed ut demonstretur cum quo pactum factum sit; so erklärt sich der obige Ausspruch des Celsus sehr leicht, und es hätte der Beifügung jener Präsumtion gar nicht bedurft, da diese schon mit dem Worte pactum für den vorliegenden Fall von selbst gegeben war. Ganz falsch würde es aber sein, diesen Beweis des Klägers als einen Be­

weis des Klaggrundes aufzufassen. Denn die Vertheidigung des Be­ klagten ist eine exceptio pacti.

Ebenso unrichtig würde es sein, den

Beweis des Klägers

einen

(sg. direkten) Gegenbeweis

Denn

der Beweis des Klägers ist

als

die exceptio aufzufassen.

nothwendiger und selbständiger,

ebenso

gegen

ein

wie die Behauptung des

Klägers gegenüber der exceptio pacti sich

als Replik oder Repli­

kation darstellt, je nachdem man eine Nichtigkeit des pactum in der

genannten Beziehung, oder eine blose Anfechtbarkeit annimmt. halte den Gesichtspunkt der Replik im

vorliegenden Falle

Ich

für den

§ 20. Verhandlungen in judicio.

250

richtigen, weil die teilweise Nichtentstchung des pacti resp. Heil­

weise Nichtigkeit behauptet wird, weßhalb auch Celsus nicht von

der replicatio doli spricht, was sonst sehr nahe gelegen hätte. Zweifelhaft könnte man allerdings über die Frage, ob Celsus

die Behauptung des Klägers nicht als Bestandtheil des Klaggrundes ansehe, deßhalb werden, weil kein Beweis der exceptio verlangt

wird, und Celsus sich anscheinend sonderbar ausdrückt: Quamvis verum est, quod , qui excipit, probare debet, quod cxcipitur, attamen-------------- petitor, non qui excipit, probare debet. Allein

Celsus giebt selbst zu, daß die vorliegende Vertheidigung des Beklagten eine wirkliche exceptio sei, nur treffe ihn nicht die Be­

weislast, weil Kläger das pactum

selbst zugestehe.

Es mag hier

als allgemeine Antwort für diese und ähnliche Zweifel nochmals das bereits früher (§ 15, 16) angegebene Verhältniß der Vertheidigung

des Beklagten zur Beweislast wiederholt werden : Die Vertheidigung des Beklagten hat nicht den Zweck, daß der

Beklagte Beweis führen wolle, sondern sie ist an sich unabhängig

von dieser, und beabsichtigt nur die Zerstörung der Durchführung des klägerischen Anspruches, resp, die Abwendung einer Verurtheilung.

Die blose Ableugnung ist nur da nothwendig, wo im Falle der con-

tumacia ein Zugeständniß

angenommen wird, was zu Anfang des

Processes gegenüber den einfachen Klagbehauptungen gemeinrechtlich

h. z. T. nicht stattsindet.

DaS Vorschützen von Einreden und Er-

ceptionen ist aber nothwendig, falls der Beklagte deren Berück­

sichtigung verlangt, und der Kläger nicht freiwillig dieselben als solche, und in einer Weise selbst anführt, daß sofort das richterliche

Beurtheilungsrecht eintreten kann (vgl. 8 8 fg ).

Schützt nun der

Beklagte Einreden oder Erceptionen vor, so fragt es sich vor Allem,

ob dieselben überhaupt zulässig und für den Proceß erheblich sind, weßhalb die Römer so oft untersuchen z. B.: an no ceat exceptio? Es wird also hier noch men.

Ist aber

gar keine Rücksicht auf Beweislast genom­

die Einrede oder exceptio relevant, so ist zunächst

auch noch nicht von der Beweislast die Rede.

Denn wenn Kläger

die Einrede oder exceptio zugesteht, oder dieselbe sonst juristisch ge-

(FortfkHllng. — Bewnslast)

251

wiß ist, so tfi ttit eigentlicher Beweis, resp, eine Last Kes Beweises

(onus, difficiltas probandi) überflüssig. Deßhalb ist die Beweislast nichts Wesentliches im Begriffe der Einrede oder exceptio.

Beide

letztere haben Bedeutung und processualische Folgen, welche von der

Beweislast unabhängig sind, und zwar nicht bloß im Gegensatze der blosen Ableugnung, sondern auch unter sich. Denn die processualische

Verschiedenheit zwischen Einrede und exceptio (§ 17) kann auch ohne wirkliche Beweislast Wirksamkeit haben.

Allein twtz allem bisher Gesagten ist es sehr natürlich und be­ greiflich, daß die Begriffe von Einrede, exceptio und in fortgesetzter

Weise von Replik, replicatio, Duplik, duplicatio u. s. w. in einer innigen Beziehung zu der Beweislast stehen.

Denn die Aufstellung

von Bchauptungen ist oft sehr leicht, und wird selten unterlassen werden.

Sind diese nicht bestritten, so wird der Proceß bald zu

Ende sein, und deßhalb sagt auch z. B. Quintilian J. 0. V. pro-

oem.: lis nulla est cui pröbatione apus non est. Die eigentlichen

Schwierigkeiten entstehen erst, wenn Behauptungen aufgestellt wer­ den, deren Dasein und Wahrheit vom Gegner bestritten wird und

juristisch ungewiß ist. Denn hierdurch ist der Richter genöthigt, genau

dasjenige abzusondern, was zu behaupten für jede.einzelne Partei nothwendig ist, nm der Reihenfolge nach ein günstiges Erkennt­ niß zu bezwecken, das Überflüssige streng auszuscheiden, und zu be­ stimmen, wer der Reihe nach die eigentliche Last des Beweises d. h.

einen Hauptbeweis zu übernehmen habe.

Auch hierbei kann nur

das zu« Beweise ausgesetzt werden, was relevant und juristisch »un­

gewiß ist.

L. 9 -C. de except. 8, 36 (Diocl. et Max.) : .Si quidem intenLiocem actoris probatione desicere confidis, nulla -tibi defensio necessari a est. Si vero de hac confiten do, ex-

ceptione te munitum asseveras, de hac tantum iagi c.on^ 'venit. Nam si etiam de intentione duibitas, habita exoeptiinis contestatione, tune demurn, quum intentionem suam, s ec i nd u m a s s eve r atione in suam, petitor probaverit,, huic esse looum monslrari convenit.

L. 21 C. de prob. 4. 19 Diocl. et Max. :------ res vindicantem ab emtore, suos numeratos numinos asseverantem, erga probationem laborare non convenit, si quidem hujusmodi, licet probetur, factum tarnen intentioni nulluin praebet adminiculum. Aus diesen Gründen ist es sehr erklärlich, daß schon die Römer die Grundsätze über intentio, defensio, exceptio u. s. w. so häufig in unmittelbare Verbindung mit der Beweislast bringen, schon in den allgemein subsidiären Sätzen, probatio incumbit illi, qui agit; secundum generalem regulam, quae eos, qui opponendas esse exceptiones affirmant, vel solvisse debita contendunt, haec osteudere exigit etc. Allein deßhalb ist nichts destoweniger die Beweislast nur eine, allerdings ziemlich häufige und oft sehr drückende Folge der Ein­ reden und Erceptionen, ebenso wie jeder sonstigen, juristisch unge­ wissen selbständigen Behauptung vor Gericht, z. B. der Klage, der Replik, Replikation u. s. w. Aus dieser blosen Folge darf aber an sich noch kein Rückschluß auf den Klaggrund, Einrede, exceptio u. s. w. gemacht werden, obgleich die in den Quellen sich findenden Beispiele als Anhaltspunkte benutzt werden können. Daß hierbei die Römer zur Begründung ihrer Aussprüche viel­ fach die Vermuthungen zu Hülfe ziehen, ist sehr natürlich, da bei der Mangelhaftigkeit menschlicher Einsicht oft eine Vermuthung für wirk­ liche Gewißheit genügen muß. Dieß findet nicht blos im Processe,, sondern in vielfältigen, theils offener theils versteckter liegenden An­ wendungen auch in den reinen Grundsätzen des Privatrechtes statt. Deßhalb ist auch für die Beweislast der Lehre von den Präsum­ tionen ihr gebührender Antheil zuzusprechen, was sich schon in dem Digestentitel de probationibus et praesumtionibus zeigt. Allein man darf dieß nicht ungebührlich ausdehnen. Denn in den meisten Fällen ist nicht die etwa mögliche Vermuthung die unmittelbare Ursache, weßhalb den Gegner die selbständige Beweislast trifft, sondern die selbstän­ dige und nothwendige Behauptung und die Ungewiß-

(Fortsetzung. — Beweislast) heit ihrer Wahrheit.

253

Bei der Einrede, exceptio, Replik, re-

plicatio u. s. w. kann, ganz abgesehen von der Beweislast, eine Ver­

muthung von Einfluß sein, z. B. in dem Falle der oben erörterten L. 9 D. de prob.

- Denn auch ohne daß Beklagter für seine ex­

ceptio pacti einen Beweis liefert, ist Kläger in die Nothwendigkeit

selbständiger Vertheidigung versetzt,

weil in dem vorliegenden Fall

die Vermuthung streitet für ein pactum generale.

Wenn Beklagter

die Replik zugesteht, so ist eine Beweislast überflüssig.

Die Replik

äußert ihre Wirkung auch ohne besondere Beweisführung, sie wird aber auch nicht berücksichtigt, wenn Kläger sie nicht vorschützt.

In dieser Weise findet auch die berüchtigte L. 25 v. de prob, von Paulus eine genügende Erklärung; und ich kann darin weder die vielen Schwierigkeiten finden,

welche Viele

hineininterpretirt

haben, noch auch den geringsten Verdacht einer Corruption.

Die

ganze Stelle, ist ächt, wie schon ihre Totalität zur Genüge beweist.

Fragt man nun aber, warum die Römer trotz dieser Präsum­

tionen, soweit eine Einrede, exceptio, Replik, replicatio u. s. w.

vorliegt, den Beklagten,

oder wiederum den

Kläger mit einem

Hauptbeweise belasteten, gerade so als sei dieß der Beweis des Klaggrundes (reus in exceptionibus actor est u. dgl.),

so könnte

man darin häufig eine Ungerechtigkeit erblicken, da hier doch etwas bewiesen werden solle, was vielfach in der Behauptung des Gegners

schon enthalten sei, und eigentlich von diesem bewiesen werden müsse,

was aber z. B. wegen einer obwaltenden Präsumtion erlassen werde.

Hiernach sei eigentlich nur von einem (blos nachzulassenden) Gegenbeweise die Rede.

Allein die Römer haben dieß sehr richtig

als Haupt beweis aufgefaßt, einmal um die Behauptungen vor

Gericht nicht von vornherein allzusehr zu beschweren, und anderntheils weil ein Hauptbeweis oft ein viel größerer Vortheil, z. B. für den Beklagten ist, als ein bloser (sg. direkter) Gegenbeweis.

Denn es ist damit eine viel größere Freiheit, namentlich bezüglich der Beweismittel verbunden, und was die Schwierigkeit des Be­

weises anbelangt, so ist zwischen dem (sg. directen) Gegenbeweis

und dem Hauptbeweis vielfach gar kein Unterschied (1). Deßhalb ist es auch ganz unzulässig, die exceptio doli (§ 16) in das Ge­ biet der inficiatio und damit in die Sphäre des (sg. directen) Ge­ genbeweises hineinzuzwängen, abgesehen davon, daß es den Quellen ganz zuwider, und durch den I. R. A. und die spätere Praris durchaus nicht gerechtfertigt ist. Soweit sich die Behauptung des dolus nach den früher aufgestellten Grundsätzen als exceptio, oder soweit man den Begriff der Nichtigkeit hier anwenden muß, als Einrede, darstellt, ist sie Gegenstand einer selbständigen Beweislast in der Form eines Hauptbeweises. L. 2, § 1 D. de exe. doli 44, 4. Ulp. : Docere debet is, qui objicit exceptionem, dolo malo actoris factum, nec sufficiet ei ostendere in re esse dolum; aut si alterius dicat dolo factum, eorum personas sp ecialiter debebit enumerare, dummodo hae sint, quarum dolus noceat (2).

§ 21.

Verhandlungen in judicio. (Fortsetzung. — Officium judicis.) Officium judicis heißt im Allgemeinen der Inbegriff der Be­ fugnisse und Pflichten, welche dem judex zustehen (3). (1) Diese natürliche und praktische Anschauung der Römer war auch die des Reichskammergerichts, selbst nach dem I. R. A. Dieses wird später be­ trachtet werden. Man vergleiche einstweilen Concepte der R. K. G. O. (ge­ druckt 1769), herausgegeben von Selchow (1782), 3. Theil, S. 615 : Eine

weitschichtige Klagschrist zieht noch längereExceptiones nach sich, und durch immer gehäuftere Moles der Wechselschristen werden die Acta zu unseren Zei­ ten mehrmalen so groß, daß man sie mit 2 oder 3 Cammerbothen in das Haus tragen lassen muß, und kaum Platz sie aufzuschlagen im Museo findet, auch sie in nicht weniger als 6 bis 9 Monathen, auch wohl Jahresfrist, aus­ arbeiten kann u. s. w. — (2) Vgl. mit L. 3 C. de exe. 8, 36 (Antonin.) und

L. 6 C. de dolo 2, 21 (Diocl. et Max.) : Dolum ex indiciis perspicuis pro­ bat! convenit. — (3) Savigny, Syst. V, S. 188 sagt für das Formularverfahren : „ Officium judicis sei der Inbegriff desjenigen, was der judex nach freiem Ermessen thun durfte und sollte, außer den Gränzen der ihm vom

Unter Bezugnahme auf das bereits früher Gesagte (8 3,8—11,18) mag hier zur Vervollständigung noch Folgendes erwähnt werden. Es galt zur Zeit des Formularverfahrens ebenso wie in jure so auch in judicio die vollständige Verhandlungsmarime. Allerdings verkannten die Römer nicht, daß die Wahrheit das letzte Ziel des Processes und der Entscheidung sei. Allein auf Beantwortung der Frage, wie weit der Richter auf Beachtung dieser Wahrheit zu sehen habe, beruht gerade der Unterschied zwischen Verhandlungs­ und Jnquisitionsmarime, und von diesen beiden hielten die Römer strenge an der ersteren fest. Das scheinbar Schwierige bei der Trennung der genannten Proceßmarimen ist, das rechte Maß, die rechte Gränze zu finden, allein sie ergiebt sich sehr leicht, wenn man dem Richter auferlegt, nichts Thatsächliches zu berücksichtigen, was nicht irgend wie von einer der Parteien angeführt resp, zur Ver­ handlung und richterlichen Beurtheilung gebracht wird. In der älteren Zeit mochte für viele judicia, namentlich die arbitria und bonae fidei judicia, allerdings mehr ein subjektives Ermessen stattfinden, weil sich bestimmtere Grundsätze erst nach und nach bilden konnten. Allein schon zur Zeit der classischen Juristen hatte sich für das officium judicis eine feste Rechtstheorie entwickelt, welche zwar im Einzelnen mehrfach bestritten war, für welche jedoch jedenfalls die Verhandlungsmarime eine strenge Gränze bildete. Gellius N. A. XIV, 2 : — — rem enim de petenda pecunia apud judicem privatum agi, non apud censores de moribus. — — patrocinari prorsus hoc esse ajiint, non judicare.

Prätor ertheilten wörtlichen Vorschrift. Dabei erwähnt Savignp den Sprach­ gebrauch der neueren Schriftsteller, wornach officium judicis alles dasjenige bezeichne, was der Richter aus eignem Antriebe thun dürfe, ohne den An­ trag einer Partei, wobei er sagt : In dieser Beziehung müssen wir für das mündliche Verfahren im Röm. Proceß eine große Freiheit annehmen, sodaß ohne Zweifel der Prätor und der judex den Parteien absragen konnte, was ihnen gutdünkte. Wir haben in unserem schriftlichen Processe strengere Regeln, es wird aber von manchen Erceptionen behauptet» daß der Richter

sie snppliren dürfe."

Das Verfahren in judicio war im Ganzen zu allen Zeiten bei den Römern gleich. Nur unterschieden sich die drei Zeiträume der legis actiones, formulae und extraordinariae cognitiones dadurch, daß bei den ersteren der Magistrat eine mehr passive Rolle spielte, und das Uebergewicht in der Hand der Parteien und des judex lag; bei dem Formularverfahren nicht unmittelbar das Gesetz, son­ dern für jeden einzelnen Fall der Jurisdictionsmagistrat dem offi­ cium judicis und der Thätigkeit der Parteien die äußerste Gränze anwies, also ein ziemliches Gleichgewicht zwischen Magistrat und judex herrschte, und daß, seitdem die extraordinariae cognitiones zur Regel geworden, die Befugnisse des Magistrats und judex in einer Person vereinigt wurden. Der judex war in der älteren Zeit des Formularverfahrens streng an den Wortlaut der Formel gebun­ den, und zwar mit Bezug auf den Zeitpunkt des judicii accepti. War also hiernach die Verurtheilung begründet, so mußte diese aus­ gesprochen werden. Allein man ließ nach und nach zu Gunsten der Absolution mildere Grundsätze eintreten, indem man in das officium judicis Manches hineininterpretirte, was nach dem Wortlaute der Formel nicht darin lag. Der Anhaltspunkt für diese Interpretationen war die muthmaßliche Absicht des Magistrats, welcher das judicium bestellt hatte, und in zweiter Linie die wahre Absicht der Rechts­ grundsätze, auf welche der Magistrat sich stützte (1). Eine durchaus unrichtige Ansicht von dem officium judicis ist es aber, wenn man in dieser Begünstigung der Absolution, sowie in vielen andern Be­ ziehungen, wo in den Quellen von dem officium judicis die Rede ist, ein Hinneigen zur Untersuchungsmarime , zur Berücksichtigung von Einreden und Erceptionen, zu einem sg. Verfahren von Amts­ wegen, d. h. auch ohne Berufen oder Antrag einer Partei hat fin­ den wollen. Selbst die sg. Jnstructionsmarime in der Weise, wie

(1) Gaj. IV, 114; L. 5 D. de interd. 43, 1 (Paulus), Auch der proceßpolitische Grundsatz der Abschneidung von Processen hat gewiß hier mitge­ wirkt : L. 21 D. de reb. cred. 12, 1 (Julian.) : — — quum ad officium (praetoris resp, judicis) pertineat Jif.es dein innere.

sie z. B. Sintenis für die späteren extraordinariae cognitiones annimmt, ist entschieden nach den Quellen zu verwerfen (vgl. § 22). Allerdings wird auch für die Zeit des Formularverfahrens oft von einem liberum officium judicis gesprochen (1). Und so wiederholt noch Zustinian aus den älteren Schriften die processualischen Grundsätze über den Gegensatz zwischen stricti Juris und bonae fidei judicia. § 28 sq. J. de act. 4, 6 : Actionum autem quaedam bonae fidei sunt, quaedam stricti juris. 8 30. In bonae fidei judiciis libera potestas permilti videtur judici, ex aequo et bono aestimandi quantum actori reslilui debeat. § 31. Praelerea quasdam acliones arbitrarias, id est ex arbitrio judicis pendentes appellamus; in quibus nisi arbitrio judicis is, cum quo agitur, actori satisfaciat, veluti rem reslituat, vel exhibeat, vel solvat, vel ex noxali causa servum dedat, condemnari debeat.------ In bis enim actionibus et ceteris similibus permittitur judici, ex bono et aequo secundum cujusque rei, de qua actum est, naturam aestimare, quemadmodum actori satisfieri oporteat. Dieser von Justinian wiederholte processualische Unterschied hat für das justinianische Recht gar keine Bedeutung mehr, denn er hörte mit dem Formularverfahren von selbst auf. Der Unterschied, welcher in der Natur der einzelnen Rechtsverhältnisse selbst liegt, z. B. zwischen einem Darlehn und einer societas, oder einer Thei­ lungsklage , war allerdings noch in dem justinianischen Rechte vor­ handen, gerade so wie er h. z. T. noch besteht. Allein er hatte an sich keine besondere processualische Bedeutung mehr. Aber auch für das Formularverfahren hatte der Unterschied zwischen stricta judicia, bonae fidei judicia , arbitria, nicht die Bedeutung, daß der judex bei letzteren ohne Antrag der Parteien oder gegen deren Willen thatsächliche Verhältnisse berücksichtigen dürfe. Die vielfach ganz all(l) Gaj. IV, 114. v. Helmolt, Bewkislaft.

§ 21. Verhandlungen in judicio.

258

gemein hervorgehobene Freiheit des judex bei den sg. freien Klagen

bestand in weiter nichts, als daß er zufolge der Anträge einer oder beider Parteien auch noch in judicio diejenigen thatsächlichen Ver­

hältnisse berücksichtigen durfte, welche sich im Voraus nicht gut voll­ ständig in die Formel aufnehmen ließen.

Und zwar sollte er diese

genaueren Umstände nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung erwä­ gen und beurtheilen.

Daß aber der judex diese Umstände und Ge­

suche der Parteien unaufgefordert berücksichtigen, resp, von Amts­

wegen herbeiziehen und entscheiden solle, steht nirgends in den Quellen. Der judex darf über nichts entscheiden, als was ihm von den Par­

teien vorgelegt wird, und er darf nichts, selbst nicht in Nebenpunkten,

z. B. Verzugszinsen und Proceßkosten, (soweit nicht das öffentliche Interesse, z. B. des Fiskus zu wahren ist) einer Partei zuerkennen, falls sie nicht speziell oder allgemein, soweit dieß zulässig ist, darum

gebeten hat.

Dieß gilt schon für das Formularverfahren.

So wird bei denjenigen Zinsen, von welchen die Römer sagen : noh sunt in obligatione, sed officio judicis praestantur, überall

das desiderare von Seiten des Berechtigten erwähnt, oder als

etwas sich ganz von selbst Verstehendes vorausgesetzt (1).

Ebenso

für die Cession der Klagen:

L. 63 D. de R. V. 6, 1 (Papinian) : — audiendus erit a judice,

si desideret,

ut

adversarius

actiones

suas

cedat (2). Dasselbe gilt für Verwendungen und Früchte:

L. 48 D. de R. V. 6, 1

(Papin.) : Sumlus in praedium,

quod alienum esse apparuit,

a bonae fidei possessore facti,

neque ab eo,

qui praedium donavit, neque a doinino peti

(d. h. durch Klage) possunt; verum exceptione doli opposita, officio judicis aequitatis ratione servantur(3).

(1) L. 1 pr.; L. 3 i. f.; L. 5, 15, 16, § 1 D. de usuris et fructibus 22, 1; L. 47, des. L. 49, § 1 D. de act. emti et vend. 19, 1 (Paulus, Hermogenian); L. 54 pr. D. loc. 19, 2 (Paulus). — (2) Vgl. Mit L. 9, § 1 D. de fert. 47, 2 (Pomp.). — (3) Vgl. mit L. 14 1). de doli exc. 44, 4 (Paulus) ; L. 3 C. de' fructibus et litium expensis 7, 51 (Honor. et Theod. a. 423).

Selbst in der justinianischen Verordnung L. 13 § 6 C. de jud. 3, 1 ist kein Wort davon enthalten, daß der Richter unaufge­ fordert einer Partei die Proceßkosten zuerkennen müsse : Sive gutem alterutra parte absente, sive utraque pracsente lis fuerit decisa, omnes judices — — sciant, victum in expensarum causa victori esse condemnandum, quantum pro solitis expensis litium juraverit; non ignorantes, quod si hoc praetermiserint, ipsi de proprio hujusmodi poena subjacebunt, et reddere eam parti laesae coarctabuntur. Schon aus dem Worte juraverit sieht man, daß ein Verlangen der Partei, welche sogar die Größe ihrer Auslagen und Kosten eidlich erhärtet hatte, vorherging. Sintenis(1) behauptet, na­ mentlich mit Bezug auf diese Stelle, gerade das Gegentheil. S. 618 (vgl. mit S. 620) sagt er : „Der Richter müsse, wie auch die Doctrin bisher allgemein anerkannt habe, den Ersatz der nicht ausdrücklich verlangten Früchte, Verzugszinsen, Accessionen, der caussa rei, wohin auch das Interesse gehöre und die Deteriorationen, von Amtswegen ohne besonderen Antrag zuerkennen. Diese von ihm aus allgemeinen Gesichtspunkten gewonnene Theorie lasse sich auch mit zahlreichen Stellen aus den Quellen belegen, wo Umstände als in officio judicis enthalten bezeichnet werden. Mögten diese auch allerdings ursprünglich, auf den Formularproceß berechnet, die Auslegung zulaffen, daß das Offizium ja ausdrücklich angerufen sein könne, so erschienen fie doch nach justinianischem Proceß, resp, die auf diesen berechnete Aufnahme in das Corpus Juris, jedenfalls als Momente der richterlichen Thätigkeit in Gewährung der Rechts­ hülfe in dem concreten Fall, so daß sie mit Recht so verstanden werden dürften, daß auf eine Klage der fraglichen Art (d. h. mit einem Gesuche, in welchem von den Nebenprästationen nichts gesagt wird) ein Urtheil nur so lautend, nicht halb oder theilweise gespro­ chen werden könne und müsse." (1) Erläuterungen, Abhdlg. VII : Vom Ergänzungsamte des Richters in Betreff der Unvollständigketten und Unrichtigkeiten der Parteivorträge, S. 620. 17*

§ 21. Brrhandlungm in judicio.

260

Es wird Niemand bestreiten, daß der Richter die Nebenprä­

stationen der Absicht der Parteien gemäß berücksichtigen müsse, wenn

diese Absicht deutlich aus den gestellten Gesuchen, selbst wenn diese allgemein gehalten sind, hervorgeht. Allein in der Ausdehnung, wie Sintenis die Sache auffaßt, ist dieß entschieden zu verwerfen.

Die von Sintenis citirten Stellen beweisen dieses gar nicht, na­ mentlich die als Hauptstelle hervorgehobene :

L. 35 § 1 D. de R. V. 6, 1 Paulus : Ubi alienum fundum petii, et judex

declaravit meum esse,

debet etiam de

fructibus possessorem condemnare; eodem enim errore et de

fructibus condemnaturum; non debere enim lucro possessoris

fructus cedere,

cum victus sit; alioquin, ut Mauricianus ait,

nec rem arbitrabitur judex, mihi restitui;

et quare habeat,

quod non esset habiturus possessor si statim possessionem

restituisset ? In dieser Stelle soll nicht die Frage entschieden werden, ob

der judex ohne Verlangen des Klägers von sg. AmtSwegen die

Früchte zuerkennen müsse, sondern es wird die Frage behandelt,

ob der judex, wenn er irrthümlich dem Kläger eine fremde Sache als Eigenthum zugesprochen habe, dann noch über die Früchte

erkennen dürfe resp, müsse, da diese doch ebensowenig dem Kläger gehörten wie die Hauptsache selbst.

Hierauf sagt der Jurist : Das

geht nun in einem Irrthum hin (eodem errore et de fructibus condemnatur),

denn sonst, d. h. strenge genommen, hätte der

Richter auch nicht über die Hauptsache zu Gunsten des Klägers ent­ scheiden können.

Das debet

etiam de fructibus condemnare

heißt nicht : Der judex muß dieß unter allen Umständen von Amts­ wegen thun; denn sonst könnte consequent die Erkärung des Klägers,

er wolle die Früchte gar nicht, keine Berücksichtigung finden; son­ dern es heißt nur : Der judex darf die Zuerkennung nicht ver­

weigern, d. h. wenn diese verlangt wird.

Gerade in diesem

Sinne, nämlich daß die Partei die Früchte v e r l a n g e, sagt P a u l u s

in L. 31 D. tc. 6, 1 (welche Stelle gerade so wie die citirte L. 35 aus lib. XXL ad Ediclum ist) :

(Fortsetzung. — Officium judicis.)

261

Cum de fructibus servi petiti quaeritur, non lantum pubertas ejus spectanda est, quia etiain impuberis aliquae operae esse possunt. Improbe tarnen desiderabit petitor fructus aestimari, qui ex arlificio ejus percipi potuerunt, quod artificium sumtibus possessoris didicil. Wie weit man durch die Herbeiführung einer zu große» Amts­ thätigkeit gelangen könne, hat Eintenis am besten dadurch ge­ zeigt, daß er sogar diejenigen Umstände, welche sich für den Be­

klagten zu Einreden (z. B. Novation, Zahlung, Trunkenheit und dgl.) eignen, selbst ohne Berufen des Beklagten berücksichtigt haben

will.

Die reine Verhandlungsmarime, resp, die Willkür der Par­

teien, will Sintenis deßhalb beschränken, „weil dieß der Würde

des Gerichts widerstreite, z. B. wenn bei den Nebenprästationen der Richter zufolge der ausdrücklichen Aufforderungen der Parteien diese gleichsam nach einem vorgehaltenen Ellenmaß stückweise, wie

sie gefordert werden, zumessen solle,

nnd so Schritt für Schritt

weiter gezerrt werde" (1).

Dieses Umherzerren ist gar nicht nöthig, auch h. z. T. nach

der Eventualmaxime unzulässig. Wie ist es z. B., wenn aus einem unzweifelhaften Contracte über 100, (zu deren Beweis Kläger jedes­ mal dieselbe Urkunde vorlegt,) ter Kläger in zehn Processen

nacheinander jedesmal 10 fordert? — Ich glaube nicht, daß man hier zweifelhaft sein kann, obgleich dieß nach Sintenis auch ein

Ellenmaß wäre (2).

Wenn inan nun aber die Wahl hat zwischen

der reinen Verhandlungsmarime und der Ansicht von Sintenis und letzterer an verschiedenen Orten (3) sagt, die resp.) Nichtigkeitsgründe könnten

sg. (Einrede-

h. z. T. auch für den Beklagten

nur dann berücksichtigt werden, wenn sie zur rechten Zeit vorge-

schützt seien, falls sich deren Wahrheit nicht gelegentlich (d. h. mit Ausschluß der Thätigkeit des Beklagten) ergebe, also ein glück­ licher „Zufall" spiele, so ist mir doch die reine Willkür der streiten-

(i) Vgl. Sintenis I. C. S. 618. - (2) Vgl. Keller, Civ. Pr., S. 174 gegen Ende. — (3) Erläutrg. S. 398 ff.; Civ. R. § 32.

8 21. Verhandlungen in judicio.

262

den Theile lieber als der Zufall,

und auch wohl der Wurde des

Gerichtes viel angemessener.

Sehen wir nun auf die Freiheit der judicandi potestas, welche

namentlich

für bonae fidei negotia und

die acliones arbitrariae

selbst noch von Justinian hervorgchoben wird, so war auch diese

nicht weiter,

als es

die Natur dieser Verhältnisse gestattete, und

zwar im einzelnen Falle auf Grundlage der von den Par, teien gestellten Anträge, und die dadurch dem richter­

lichen Ermessen gezogenen Schranken.

Selbst bei den

Theilungsklagen, sowie überall, wo das officium

des eigentlichen

judex der älteren Zeit mit demjenigen des arbiter zusammentraf,

(ein Unterschied, der schon zu Cicerv's Zeit vielfach verschwunden, vielfach aber auch nur durch die Verbindung in den geeigneten

Fällen nicht mehr sichtbar war,) konnte weder von willkürlichem

Verfahren, noch von sg. Amtöwegen ebensowenig die Rede sein, wie

von einer Art und Weise der Theilung, die nicht herkömmlich war, oder den Gesetzen, oder dem ausgesprochenen Willen beider Parteien

nicht entsprach.

Daß es Vorkommen konnte und auch h. z. T. noch

vorkommt, daß keine Partei mit der richterlichen Entscheidung zufrieden

ist, bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung.

Denn man muß

nur berücksichtigen, daß für wirkliche Streitfälle verschiedene Ge­ suche verschiedener Personen sich entgegenstchen, von

welchen jede Recht zu haben

behauptet.

Allein auch eine

auf die Behauptungen und Gesuche der Gegner gestützte Entscheidung des Richters, z. B. daß eine mutua victoria vorliege, ist doch

immer durch die Parteien

selbst

provocirt.

Ueber die Anträge

der Parteien, sowie das in Judicium deducirte Material, darf der Richter aber nicht hinausgehen.

L. 18 D. comm. div. 10, 3. (Javolen.): Ut Fundus hereditarius fundo non hereditario serviat, arbiter disponere non potest, quia ultra i d, quod in Judicium deductuin est, excedere potestas judicis non potest (1). (I) Vgl. noch L. 170 v. de R. J.; L. 7, § 10; L. 19, § 1. 3 1). coiiun.

(Fortsetzung. — Officium judicis.)

263

In der bisher angegebenen Weise lassen sich alle Aussprüche der Römer über officium judicis genügend erklären und dürfen nicht anders verstanden werden. So bedeutet der Ausspruch des Pau­ lus in L. 7 D. de neg. gest. 3, 5 : Tantundem in bonae sidei judiciis officium judicis valet, quantum in stipulatione nominatim ejus rei interrogatio : bei bonae fldei judicia kann man noch in judicio die Berücksich­ tigung und Zuerkennung alles desjenigen verlangen, was man sich bei negotia stricti judicii theils bei Eingehung des Rechtsver­ hältnisses ausdrücklich Vorbehalten, sowie in der Regel im Processe speziell in die Formel aufnehmen lassen muß (1). Ebenso sind die Stellen zu verstehen, wo es heißt, der judex solle rationem habere, oder officio judicis aestimandum est (2). Dieses durch die Gesetze, die formula des Magistrats, sowie die Anträge der Parteien innerhalb des von ihnen vorgelegten Streitmaterials sich bewegende vernünftige Ermessen des Richters ist die sg. religio judicantis, religio judicis, die namentlich bes Erlassung des E n d erkenntnisses deutlicher hervortritt, während sie sich im Laufe der Verhandlungen nur in beschränktem Maße, als

div. 10, 3; L. 2Z 3 D, fm. reg. 10, 1; L. 55 D. fam. ercisc. 10, 2; § 4—7 J. de off. jud. 4, 17; vgl. mit § 20 J. de act. 4, 6 und Albrecht, Eruptio­ nen, S. 124, bes. Note 10. — (1) Vgl. dazu L. 4 pr.; vgl. mit L. 5 pr. und L. 1 pr. D. usufr. 9, c. 7, 9 und Büchel, Erört., Bd. II, S. 31 u. 44. — (2) Vgl. L. 15, § 9 D. quod vi aut clam 43, 24; L. 16 D. de injuriis 47, 10; L. 31, § 1 D. de donat. 39, 5; L. 6, § 6, besonders § 8 D. de aqua 39, 3; L. 5, § 7, 19, 25 D. de agnosc. lib. 25, 3. Sodann über off. jud. bei der actio tutelae vgl. L. 1, § 3 D. de tutelae et r. d. 27, 3; bei der actio arbitraria 1-1,2 pr. § 1, 8; L. 3, 4 i. f. D. de eo quod certo loco 13, 4. — Die Regel für alle Fälle, in welchen arbitratu judicis etwas restituirt werden soll, in L. 68 D. de R. V. 6, 1 (Tip.). Ferner für die Anordnung judizieller Stipulationen, Satisdationen, Cautionen : L. 5 D. de V. 0. 45, 1; pr. — § 4 J. de divis. stip. 3, 18 (19); L. 13 pr. D. de usufr. 7, 1 (Ulp.) : —- — satisdationem desiderare ut officio judicis hoc fiat; L. 1, § 18 I). ne quid in loco, pubL 43, 8; L. 4, § 7 D. de exc. doli 44, 4 (Ulp.); L. 13, § 15; L. 14, 15 pr. D. de damno infecto 39,.2.

ordnende und leitende Thätigkeit zeigt. Daß dabei der judex den Parteien aber Alles, was ihm gutdünkte, habe abfragen dürfen, wie Savigny le. behauptet, ist weder für das Formularverfahren, noch für die späteren extraordinariae cognitiones zuzugeben (1). Schon zu Gellius Zeit war dieses freie Fragerecht jedenfalls sehr zweifelhaft. Gellius referirt den Ausspruch des Philosophen Favorin: Atque illud amplius ambigi ac dubitari scio, debealne judex inter cognoscendum ea, quae dictio quaestioque opus est, dicere et quaerere, etiamsi cujus ea dici quarique interest, neque dicat neque postulet: patrocinari enim prorsus hoc esse ajunt, non judicare; praeter haec super eaquoquere dissentitur, an ex usu exque officio sit judicis, rem causamque de qua cognoscit, interlocutionibus suis ita exprimere consignareque, ut ante sentepliae tempusex his, quae apud eum in praesens confuse varieque dicuntur, proinde ut quoquo in loco ac tem­ pore movetur, signa et judicia faciat molus atque sensus sui. Nam qui judices, inquit, acres atque celebres videntur, non aliler existimant rem, qua de agitur, indagari comprehendique posse, nisi is , qui judicat, crebris interrogationibus, necessariisque interlocutionibus et suos sensus aperiat et litigantium deprehenda t. Contra autem, qui sedatiores et graviores putantur, negant judicem debere ante sententiam, dum causa utrimque agitatur, quotiens aliqua re proposita motus esl, totiens significare quid sential; eventurum enim ajunt, ut quia pro varietate proposi tionum argum entorumque alius atque alius molus animi p atiendus est, aliler atque aliler eadem in causa eodemque in tempore sentire et interloqui videatur.

(I) Dsgl. Zimmern, R. G. $ 131. 132. R., § 29, Note 44 i. f. hervorgehobene

Auch die von SinteniS, Civ.

L. 3 C. de transac.t. 2,4 fvon

Alexander a. 223) steht nicht entgegen (vgl. darüber unten $ 22).

(Fortsetzung. — Officium judicis.)

265

Aus diesem Ausspruche des Philosophen Favorin sieht man,

daß diese Bedenken und Zweifel jedenfalls unter den Nichtjuristen herrschten, und daß

sie sich

auch in judicio zeigten, sonst hätte

G ellius dieß nicht erzählt, und in dem vorliegenden Falle, welchen

er als judex entscheiden sollte, nicht so zweifelhaft sein können. Wenn

man nun aber die Ansichten des Favorin und Gellius mit denjenigen zusammenhält, welche bezüglich der Hauptfrage über die

Schuld oder Nichtschuld des Beklagten in dem vorliegenden Falle das von Gellius zur Gerichtssitzung zngezogene Consilium asses-

sorum (1) hegte:

Tune ibi amici mei, quos rogaveram in

Consilium,

viri

exercilati atque in patrociniis et in operis fori celebres, seni-

perque se circumundique distrahentibus causis festinantes, non

sedendum diutius, ac nihil esse dubium quin absolvendus köret,

quem

accepisse pecuniam

nulla

probatione solenn!

docebatur. so kann man annehmen, daß auch bezüglich des oben erwähnten

richterlichen Fragrechtes und der Interlokutionen bestimmtere Grund­ sätze galten nach den Ansichten der Juristen, welche am liebsten von den Parteien zu judices genommen wurden, namentlich in ver­

wickelten Rechtsstreiten. So war in dem Streite zwischen P. Quinctius und 8. Naevius (2) der berühmte Jurist C. Aequilius

Gallus

als judex erwählt und bestellt, und wahrscheinlich schon zu Anfang

des 3. Jahrhunderts wurden ziemlich regelinäßig blos Juristen dazu bestellt, wodurch der Uebergang zu dem späteren eigentlichen Be­

amtenstand der Richter vorbereitet wurde.

Zur Zeit der classischen

Juristen kann man wohl bezüglich der Thätigkeit des judex während der Verhandlungen Folgendes als Regel ansehen : Der judex war

strenge an die Anträge der Parteien, sowie den Umfang des von ihnen erlaubterweise vorgelegten StreitmaterialS gebunden.

Inner­

halb dieses Kreises aber bewegte er sich frei und selbständig; namens»

(1) In der Regel wurden dazu Juristen gewählt. — pro Ouinctio.

(2) Vgl. Cicero

§21. Verhandlungen in judicio.

266

lich war es ihm erlaubt, über die einzelnen Angaben von der vor­

bringenden Partei Aufklärung zu verlangen, und deßhalb Fragen an dieselbe zu richten, soweit er es zu seiner eignen Ueberzeugung

für nöthig und zweckdienlich hielt.

Ebenso

entschied er Zwischen­

punkte, die den Fortgang der Verhandlungen erleichterten, sofort durch

Jnterlocute, z. B. bezüglich der Relevanz von Einreden, Exceptionen, Repliken, Replicationen u. s. w., und regulirte demgemäß auch die

Beweislast (1), nöthigenfalls mit genauer Feststellung des Beweis-

thema's, namentlich auch wer den Hauptbeweis zu führen habe, und wem der Gegenbeweis offenstehe. Alle Punkte aber, deren Entschei­

dung zweckmäßiger erst später geschah, verschob er bis zu dem Enderkenntniß. Ungehöriges Benehmen der Parteien tadelte er, ebenso wies er ungehörige Anträge oder Ansichten zurück (2), setzte Fristen für

die Reden der Parteien oder deren Sachwalter, für die Abhör der Zeugen, Edition

und Production der Urkunden,

Eidesleistungen

fest, und erklärte, sobald er die Sache für spruchreif hielt, die Ver­

handlungen für geschloffen (3).

War dieser Zeitpunkt eingetreten,

so war der judex verpflichtet, ein Urtheil zu geben.

L. 74 pr. D. de jud. 5, 1. Julian: De qua re cognoverit judex, pronuntiare quoque cogendus erst, oder er mußte schwören : sibi non liquere (4).

(1) Bethmann- Hollweg, Handbuch des Civ. Pr. I, S. 265, Note 2. Ueber den Proceß der magistri fontani und fullones vgl. Inscr. ap. Fahr. p. 278 n. 170, 171 und Spangenberg, lab. neg. solenn, p. 299 : Florianus dixit : — Ita interlocutum me scio esse hesterna die, docere pariern diver­ sem operiere. — In L. 9 C. de sententiis et interlocutionibus omnium judicum 7, 45 (Diocl. et Max.) ist von interlocutiones die Rede, und dabei ge­ sagt : nec causam, ullam interlocutiones plerumque perimunt. — In L. 16 eod. sagt Justinian : Quum solitum est in sententiis judicum sic interloeutionem preferri, ul non liceat partibus ante definitivam senlentiam ad appellatiönis vel recusationis venire auxilium--------. Auch zur Zeit des Formularversahrens war stets von der definitiva sententia die Rede, welche im Principe nothwendig eine sententia interlocutoria zum Gegensatze haben mußte; vgl. noch siellius 1. c. — (2) Sensus — litigantium deprehendat, Gellius 1. c. — (3) Vgl, noch Rein I. c. S. 475. — (4) siellius le. i. f.

War er bereit pn Enderkenntniß zu geben, so war er strenge an die condemnatio der Formel gebunden, wenn diese eine bestimmte Summe eithielt. Allein auch dieser Grundsatz wurde schon zu Julian's Zeit nicht mehr strenge eingehalten, wenn die Parteien die Verurteilung auf eine höhere Summe wünschten. L. 74. § 1 D. de jud. 5, 1 (JulianJ : Judex, qui usque ad certam summam judicare jussus est, etiam de re majore judicare potest, si Inter litigator es conveniat. War ihm aber in der Formel freier Spielraum gelassen, z. B. durch den Zusatz ex side bona, so mußte er nun, auf Grund­ lage und innerhalb der Anträge beider Parteien, nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung (religione judicantis, ex animi sui sententia) das Gewicht und die Wahrheit der gegenseitigen Be­ hauptungen abwägen, mit Bezug auf den Inhalt der etwa vor­ gebrachten Beweismittel, daraus seinen Schlliß ziehen, und in der sententia den Parteien verkündigen. Dieses Hin- und Hererwägen, und vernünftige Ermessen des judex ex religione sua, ex animi sui sententia liegt so sehr in der Nat«»r vieler Rechtsstreite, daß eS h. z. T. auch nicht im Mindesten anders ist und sein kann, als zur Zeit des römischen Formularverfahrens. Denn es ist ein Irr­ thum, wenn man für letzteres das officium judicis bei den sg. freien Klagen als ein unbeschränktes Gutdünken hat bezeichnen wollen. Die vortrefflichen, ächt praktischen, und deßhalb nichts weniger als willkürlichen Ansichten der Römer sieht man deutlich aus einer Menge von Stellen. Man vgl. nur folgende:

L. 5 pr. D. commod. 13, 6. Ulpian : Si, ut certo loco vel tempore reddatur commodatum convenit, officio judicis inest, ut rationem loci vel temporis habeat. L. 137. § 2 D. de V. 0. 45, 1 (Venulejus) : Cum ita stipulatus sum : Ephesi dari ? inest tempu$; quod autem accipi debeat ? quaeritur. Et magis est, ut totam eam rem adjudicem id est ad vir um bonum remittamus, qui aestimet, qcanto tempore diligens paterfamilias conficere possit, quod

268

§ 21. Verhandlungen m judicio. (Fortsetzung. — Officium judicis.)

facturum se promisit,------ hab ita ratione temporis, aetatis, sexus, valetudinis. § 3. Item qui insulam fieri sp o pondit, non utique conquisitis undique fabris, et plurimis operis adhibitis festinare debet, nec rursus uno aut altero contentus esse, sed modus adhibendus est secundum rationem dili g entis a edificatoris et temporum locorumque. L. 21 § 3 D. de testibus 22, 5 (Arcadius qui et Charisius) : Si teste s omnes ejus dem honestatis et existimationis sint, et negotii qualitas ac judicis motus cum bis concurrat, sequenda sunt omnino testimonia ; si vero ex bis quidam aliud dixerint, licet impari nurnero, credendum est, sed quod naturae negotii convenit, etquod inimiciliae et gratiae suspicione caret, confirmabitque judex motum animi sui ex argumentis et lestimoniis, quae rei aptiora et vero proximiora esse compererit. Non enim ad multitudinem respici oportet, sed ad sinceram testimoniorum fidem, et testimonia, quibus potius lux veritatis assistit. Hiernach erscheint denn auch das so oft mißbrauchte Rescript Hadrians als etwas sehr Natürliches, und der Verhandlungsmarime nicht im Mindesten Widersprechendes : L, 3 § 2 D. de test. 22, 5 (Callistratus) : Quae argu­ menta ad quem modum probandae cuique rei sufficiant, nullo certo modo satis definiri potest.------- Hoc ergo solum tibi rescribere possum summa tim, non utique ad unam probationis speciem cognitionem statim alligari debere, sed ex animi tui sententia te aestimare oportere, quid aut credas aut parum probat um tibi opineris (1). (1) Vgl. mit L. 4 D. de fide instr. 22, 4 (Gajus); L. 1—3; L. 12, 13 J). de testibus 22, 5 (Ulp.); L. 12 eit. : Ubi numerus testiuin non adjicitur, etiam duo sufficiunt. — K. G. O. v. 1555, III, Tit. 34, tz 2; D. A. V. 1600, § 60. 76 i. f. 125; R. A. V. 1570, § 97.

in. Abschnitt. § 22. Römisches Recht. — Extraordinariae cognitiones. Der Nane extraordinaria cognitio wird von den classischen römischen Juristen als Gegensatz gebraucht zu dem regelmäßigen

Verfahren per formulas, also dem ordo judiciorum, d. h. der Theilung des Richtergeschäftes zwischen Magistrat und judex.

Ex­

traordinaria cognitio hieß das Verfahren, in welchem der Jurisdic-

tkonSmagistrat den Rechtsstreit nicht blos instruirte, d. h. die Vor­

verhandlungen anhörte und. leitete, sondern auch Beweise beibringen ließ und selbst eine Entscheidung gab.

Schon in der Zeit der legis

actiones kamen solche Befehle (decreta) oder Verbote (interdicta) der Magistrate vor (1). Allein der Kreis der darunter begriffenen Fälle war gewiß in der älteren Zeit nur ein sehr beschränkter, und

blieb dieß auch lange Zeit nach Einführung des Formularverfahrens.

Dieß erklärt sich aus der Sorgfalt, mit welcher die Römer ihre

Privatfreiheit gegenüber den Magistraten bewachten.

Rur solche

Sachen, welche eine schleunige Erecution erheischten,- z. B. Alimentfachen u. dgl., bei welchen also derselbe Gesichtspunkt vorherrscht

wie für unseren heutigen sg. summarischen Proceß, wurden der eignen Cognition des Magistrats überlassen (2). Dabei konnte trotzdem der

Magistrat eine einzelne Thatsache, namentlich wo es auf besondere Fachkenntnisse ankam, einem arbiter zur gutachtlichen Aeußerung

übertragen, um diese bei seiner eignen Entscheidung zu benutzen (3).

(I) Vgl. Keller, Civ. Pr. S. 92; Leist, Bonorum poss. I, S. 325 ff.;

desselben Geschichte der Röm. RechtSspsteme, S. 21 ff.; Rein I. c. S. 495.— (2) Vgl. Tit. D. de extraordinariis cognitionibus 50, 13. —

Pr. S. 33.

(3) Keller, Civ.

§ 22. Extraordinariae

270

Wenn auch der Gesichtspunkt der Beschleunigung nicht der al­ leinige Grund zur Gestattung der ertrajudiziellen Cognition der Ma­ gistrate war, auch in der älteren Zeit nicht für jeden einzelnen Fall

anwendbar ist, vielmehr das Eigenthümliche der extraordinaria cognitio in ihrer äußeren Erscheinung gerade nur darin liegt, daß keine

Trennung in jus und Judicium stattfand, so tritt doch der Ge­ sichtspunkt der Beschleunigung selbst für die übriggebliebenen Fälle

der Jnterdicte im justinianischen Rechte unleugbar hervor. Mit dem Verfalle des ganzen römischen Wesens hing es zu­ sammen, daß auch die Trennung deS Verfahrens immer lockerer

wurde.

Es lassen sich die verschiedenen Gründe ziemlich deutlich

nachweisen. Eine genauere Untersuchung gehört jedoch nicht hierher (1). Schon zu Ende des zweiten sowie zu Anfang des dritten Jahr­

hunderts nach Chr. war der Kreis der Falle, welche durch extra­

ordinaria cognitio entschieden werden konnten, sehr erweitert, indem namentlich der praefeclus urbi wohl meistens extra ordinem ent­

schied (2).

Daß aber schon zu Ulpian's Zeit die extraordinariae

cognitiones die Regel gebildet hätten, wie Burchardi(3) behauptet, läßt sich weder aus L. 47 § 1 D. de neg. gest, darthun,

noch

auch, wie Burchardi vermuthet, aus der veränderten Form der

Litiscontestation. Auf letztere einzugehen würde hier zu weit führen. In L. 47 cit. v. de neg. gestis 3, 5 sagt nun Paulus,

(ein

Zeitgenosse Ulpian's,) nach der gewöhnlichen Lesart :

pr. Actio negotiorum gestorum illi dalur, cujus interest hoc judicio experiri. § 1. Nec refert directa quis an utili ac­ tione agat vel conveniatur, quia in extraordinariis judiciis, ubi conceptio formularum non obseryatur, haec subtilitas gupervacua est, maxime quum utraque actio ejusdem potestatis sit, eundemque habeat effectum.

(1) Vgl. Bethmann-Hollweg, Handbuch des Civ. Pr. I, S. 30 ff.; Savignp, R. R. im M. A., 2. Aust. I, S. 103 ff. — (2) Bethmann-Hollweg I. c. S. 31, Note 20. — (3) System des R. Privatrcchts I, S. 66.

Haloander liest statt quia : plane, sodaß also mit etwas stärkerer Interpunktion vor quia, die Unterscheidung zwischen dem ordo judiciorum und den extraordinariae cogniliones gerade so scharf hervorträte, wie dieß den sonstigen Quellenzeugnissen entspricht. Allein auch bei der gewöhnlichen Lesart wird durch die Stelle, welche blos von der aclio negotiorum spricht, noch keineswegs bewiesen, daß die extraordinaria cognilio bereits zu Paulus Zeit die Regel gewesen sei. Ebenso wie nun Gajus IV, 30 von den legis actiones sagt : Sed omnes istae legis actiones, paulatim in odium venerunt; namque ex niinia subtilitate veterum, qui tune jura condiderunt, eo res perducta est, ut qui Minimum errasset, liiern perderet, ebenso verordneten tut I. 342 nach Chr. Constantins und Son­ st a ns: L. 1C. de formulis et impetrationibus actionum sublatis 2,58: Juris formulae aucupatione syllabarum insidiantes cunctorum actibus, radicitus amputentur. Schon im Jahr 294 n. Chr. hatten aber Diocletian und Maximian verordnet, es sollten sich die Präsides überall als die untersuchenden und entscheidenden Gerichtsbehörden betrachten. Nur wegen Geschäftsüberhäufung sei es ihnen gestattet, den gesammten Rechtsstreit, also nicht blos die Verhandlung und Entscheidung, sondern selbst die Instruction desselben, einem sg. judex pedaneus zu übertragen, jedoch mit der ausdrücklichen Beschränkung, daß die­ jenigen Rechtssachen, welche früher bereits extra ordinem entschieden wurden, auch jetzt noch blos von der Präsides selbst abgeurtheilt werden dürsten, namentlich Freiheits- und Jngenuitätsproceffe.

L. 2 0. de pedaneis judicibus 3,3: Placet nobis, praesides de bis causis, quod ipsi non possent cognoscere antehac pedaneos judices dabant, notionis suae examen adhibere; ita tarnen ut si vel propter occupationes publicas, vel propter causarum multitudinem, omnia hujusmodi negotia non potuerint cognoscere, judices dandi habeant potestatem.

272

§ 22. Extraordinäriae

Quod non ila accipi convenit, ut in his eliam causis, in quibus solebant ex officio suo cognoscere, dandi judices licentia eis permissa credatur. Quod usque adeo in praesidum cognilione reline nd um est, ut eorum judicia non deminuta videantur; dum tarnen et de ingenuilate, super qua poterant etiam ante cognoscere, et de libertinitate praesides ipsi dijudicent (1). Auch durch L. 2 C. eil wird unzweideutig bestätigt, daß vor­ her die extraordinariae cognitiones noch nicht als Regel betrachtet werden konnten, wie Bur ch ar di lc. behauptet mit Bezug auf L. 47 D. de neg. gest, (von Pa ulus), abgesehen davon, daß in dem Titel der Digesten 50, 13 de extraord. cogn. noch alle ein­ zelnen , hauptsächlich zur cognitio extra ordinem geeigneten Fälle von Ulpian, (welchen Burchardi anfuhrt,) aufgezählt werden. Erst durch die Verordnung von Dioeletian wurden die bisheri­ gen extraordinariae cognitiones zur Regel erhoben, sodaß dieser Name an sich nicht mehr paffend war(2). Eine Eigenthümlichkeit der alten extraordinariae cognitiones war es nun, daß dabei der Magistrat in der Regel summa tim cognosciren solle. L. 1, § 9, 10. D. de stipulationibus praetoriis 46, 5 (Ul­ pian) : Quodsi sit aliqua controversia, utputa si dicatur per calumniam desiderari, ut stipulatio interponatur, ipse prae­ tor debet super ea re summatim cognoscere et cautum jubere aut denegare. Sed et si quid addi, vel detrahi vel immutari in stipulatione oporteat, praetoriae erit jurisdic-

tionis. Daß aber, wie Bethmann-Hollweg(3) sagt, bei den ex­ traordinariae cognitiones Alles von der Willkür des Magistrats

(1) Vgl. dazu gesagt : § 8 J. de sunt hodie omnia (3) Handbuch, S.

L. 5 C. eod. v. Julian. — (2) In den Institutionen wird interd. 4, 15 : quoliens extra ordinem jus dicitur, qualia judicia; Vgl. mit pr. J. de succ. suhl. 3, 12 (13). — 260.

273

cognitiones.

abgehängt habe,

kann ich in dieser Allgemeinheit nicht zugeben.

Zur Zeit der classischen Juristen hatten sich dafür gewiß schon be­

stimmte Grurdsätze

gebildet, gerade so wie für das fudizielle Ver­

fahren. Jederfalls war dasjenige zu beobachten, was oben (§ 8—11)

über das Offzium des Jurisdictionsmagistrats gesagt wurde. Man müßte sonst mich annehmen, daß mit Aufhebung des ordo judiciorum

Alles der Willkür des Magistrats preißgegeben worden, und eine völlige Regellosigkeit des Verfahrens eingetreten sei, eine Ansicht,

von welcher Biele mehr oder minder ausgehen.

Wenn hierüber

irgend etwas Wahres gesagt worden ist, so sind es gewiß die Worte Bethmann-Hollweg'ö selbst in der Vorrede lc. p.

XXIV :

„Auch bleibt der Zweifel, ob dieß Verfahren in der That so gestalt-

los war, oder ob wir nur, wie in der Erdkunde, eine Leere an­

nehmen, wo unsere Charten nichts verzeichnen." Allerdings ließ die frühere Präcision der Verhandlungen nach (1), und es läßt sich ein Verfall des ganzen Gerichtswesens nicht leugnen. Allein diese Schlaffheit lag in den Römern der damaligen Zeit selbst.

Im Allgemeinen muß man sagen, daß die Verhandlungen gerade so geführt wurden, wie dieß früher in judicio stattfand (vgl. § 18—21).

Rur wurde bestimmt für die Vertheidigung des Beklagten, er müsse

in dem ersten Termin alle seine exceptiones dilatoriae vorschützen, sodann müsse die Litiscontestation erfolgen, und hierauf könnten die peremtorischen Erceptionen vorgebracht werden, und zwar ohne Be­

schränkung durch eine Zeitbestimmung. Rur durch die Erlassung des

Enderkenntniffes wurde das weitere Vorbringen von peremtorischen Erceptionen ausgeschlossen.

L. 2 C. sentent. rescindi non posse 7, 50 (Vioel, et Max.) : Peremtorias exceptiones, omissas in initio, antequam sententia feratur opponi posse, perpetuum ediptum manifeste declarat. Dieß galt unzweifelhaft auch für die Einreden (selbständige Nich-

tigkektsgründe).

(1) 1. 2 C. tc. 2, 58 Theodos, et Valentin, (a. 428). v. Helurolt, Beweislast.

§ 22. Extraordinariae

274

L. 4 C. de exe. 8, 36 (Antonin a. 223) : Cum nondum

finitam sententia causam, sed dilatam allegetis, non est du-

bium omnes integras vobis defensiones esse. Für die dilatorischen Erceptionen wurde weiter bestimmt, es

solle über die formell dilatorischen vor der Litiöcontcstation verhan­

delt, Beweis geführt und

entschieden werden, Verhandlung und

Beweis der materiell dilatorischen aber erst nach der Litiscontestation erfolgen (1).

Auch hatte der Beweis der dilatorischen Erceptionen

nur die Abweisung der Klage „angebrachtermaßen" oder „zur Zeit", oder „hierorts" und dgl. zur Folge, sodaß eine neue Klage dadurch

nicht gehindert wurde.

§ 10 J. de exc. 4 : Hodie autem non ita stricte haec procedere volumus, sed eum qui ante tempus pactionis vel

obligationis liiern inferre ausus est, Zenonianae Constitutioni subjacere censemus------- et non aliter liiern suscipiant (sc. rei),

nisi omnes expensas litis antea acceperint, ut actores, tali

poena perterriti, tempora litium doceantur observare (2). Die Schlaffheit und Auflösung des Verfahrens blieb nicht bei

der Vertheidigung des Beklagten stehen, sondern wurde sogar auf die Klage ausgedehnt.

So spricht Justinian in seinem unend­

lichen Streben nach Humanität, allen gesunden Proceßgrundsäßen

zuwider, dem Kläger das Recht zu, seine Klage jederzeit in eodem judicio sowohl in rechtlicher wie thatsächlicher Hinsicht ändern zu dürfen:

§ 35 J. de act. 4, 6 : 8i quis aliud pro alio intenderit, nihil eum periclitari placet, sed in eodem judicio, cognita

veritate errorem suum corrigere ei permittimus; veluti si is,

qui hominem Stichum petere deberet,

Erotem petierit,

(1) L. 19 C. de prob. 4, 19 (Diocl. et Max.), dazu Auth. aus Nov. 90 c. 4; L. 13 C. de exc. 8, 36 (Honor. et Theodos.) a. 415 : Praescriptionem fori in principio litis a litigatoribus opponendas esse, legum decrevit auctoritas. Bethmann-Hollweg, Handb., S. 213, des. Rote 13; Puchta, Jnstit. II, § 185, Note e. — (2) Es wäre zu wünschen, daß diese heilsame Verordnung bezüglich der Proccßkosten h. z. T. etwas strenger beobachtet würde.

cognitiones.

aut si quis ex testamento sibi

275 dari oporterc intenderit,

quod exstipulatu debetur (1).

Ob diel schon mit dem Verschwinden des Formularverfahrens

für zulässig erklärt worden sei, ist sehr zu bezweifeln. lich hat sich dieser Satz nach und nach durch

Wahrschein­

die Praxis gebildet,

und wurde heilweise durch Constitutionen begünstigt, z. B. die in

§ 34 i. f. J Io, erwähnte von Zeno, nach welcher, wenn Anfangs zu wenig in der Klage gefordert war, z. B, 100, eine Nachfor­ derung in edem judicio, z. B. auf 200, gestattet wurde.

Hierdurch wurde in Verbindung mit der Zulässigkeit des be­ ständigen Nachbriygens der peremtorischen Einreden und Erceptionen,

sowie nothwendkgerweise, für den Fall der Klagqnderung, der dila­ torischen Eroeptionen, zwar allerdings eine große Verschleppung der

Processe möglich, ohne daß man dadurch gxrqdezu das Verfahren für ein ganz formloses erklären dürfte, ebensowenig wie dieß z. B. für das Verfahren in Deutschland vor dem I, R. A. gesagt wer­

den kann. Noch viel weniger ist es aber begründet, wenn man dadurch,

wie Si n t en is behauptet, die Verhandstlngsmarime als aufgehoben

oder mindestens geschwächt betrachten will.

Dafür bürgt schon der

Stumpfsinn jener Zeit, welcher nichts auf eigne» Antrieb vornahm,

sondern nur durch dasjenige in Bewegung gesetzt werden konnte, was an ihn gebracht wurde, ausgenommen wenn durch Bestechungen

oder niedrige Leidenschaften die Habsucht zu ejner Verkürzung einer Partei und zu einem ungerechten Urtheil reizte.

Dieß hat aber mit

der Verhandlungsmarime, deren Beobachtung bei den älteren Römern

allerdings auf einem höheren und edlen Gpunde, dem Gefühl der Privatfreiheit, beruhte, nichts gemein.

Es sind hier folgende Stellen zu betrachten : 1) L. 3. C. de transactionibus 2, 4 von Alexander a. 223,

also noch aus der Zeit des Formularverfahrens.

rescribirt einer gewissen Tullia :

(1) Vzl. dazu Gaj. jy, 55. 59.

Alexander

276

§ 22. Extraordinariae

Age cum Geminiano, quod pater ejus curator tibi datus,

negotia tua gesserit, et si apud judicem negabit, se hac actione teneri, quoniam transactio et Aquiliana stipulatio interposita est, judex cont emplation e judicii quod bonae fidei est, quaeret, de quanta pecunia nominatim trans-

actum sit; et si apparuerit de minore transaclum , quantam

pecuniam reliquam ex administratione curae deberi prob atu m

fuerit, solvere eum jubebit, quod non in stipulationem Aquilianam obliKationis jure tantum deductum est, quanta erat

quantitas pecuniae quae debebatur. Tullia will auf den Rest ihrer Ansprüche aus einer Vormund­ schaft klagen. Der Beklagte behauptet, es sei darüber ein Vergleich geschlossen.

Tullia behauptet, daß der Vergleich und die stipulatio

Aquiliana sich nur auf einen Theil der Forderung bezogen habe.

Sie muß dieß beweisen resp, wie groß die Restforderung sei (quan­ tam pecuniam reliquam ex administratione curae deberi pro-

batum fuerit).

Das ganze thatsächliche Material ist hier bereits

dem Kaiser vorgelegt, weßhalb dieser rescribirt. Auf die vorliegenden

Verhältnisse hin kannst du eine Klage gegen den Geminianus erheben, und wenn der Beklagte sich auf den Vergleich beruft, du aber da­

gegen den Beweis lieferst, daß dieser sich nur auf einen Theil der Schuld nach der Absicht der Paciscenten bezogen habe, so wird der Richter die beiderseitigen Angaben und Beweise prüfen [quaeret (1)J

resp, untersuchen de quanta pecunia nominatim transaclum sit.

Von einer Untersuchungsmarime im Gegensatz der Verhandlungsmarime ist hier gar keine Rede, sondern es gilt hier ganz das

bereits früher über officium judicis Gesagte (vgl. § 21). 2) L. 9. C. de judiciis 3, 1. Constantin (a. 321) :

Judicesoportetinprimis reiqualitatemplena inquisitione discutere, et tune utramque pariernsaepius interrogare,

numquid novi addere desideret, quum hoc ipsum ad alter-

(1) Vgl. dagegen SinteniS in der Zischr. für C. u. Pr., Dd. 17, S. 283.

cognitiones. utram pariern proficiat,

277

sive definienda causa per judicem,

sive ad majorem potestatem referenda sit.

In dieser Stelle wird gesagt, es liege im Interesse beider Par­ teien, daß ihre Streitsache vollständig zur Verhandlung komme, weß-

halb ihnen auch alle Gelegenheit

geboten werden müsse, ihre An­

sichten, Anträge und Behauptungen vollständig vorzubringen.

Deß­

halb solle der Richter sogar verpflichtet sein, die Parteien wiederholt zu fragen, ob sie noch etwas Neues vorzubringen wünschten. Soweit nun das Material vorliege, müsse der Richter sorgfältig (plena inquisitione) den Stand und die Beschaffenheit des streitigen

Verhältnisses (rei qualitatem) prüfen.

Er müsse also gewissenhaft

und nicht leichtsinnig und oberflächlich zu Werke gehen. Diese Vorschrift enthält nichts Anderes, als was man bei der unbedingtesten Verhandlungsmarime von jedem kann.

Richter verlangen

Denn das saepius interrogare enthält auch nicht den min­

desten Eingriff in das thatsächliche Streitmaterial oder die Privat­ willkür der Parteien, inwieweit sie ersteres der richterlichen Cognition

vorlegen wollen.

Wie man hieraus eine Hinneigung zur Jnqui-

sitionsmarime für den späteren römischen Proceß herleiten will, ist mir unbegreiflich.

Wenn z. B. h. z. T. der Richter

fragt : Hat

eine der Parteien noch etwas vorzubringen? so wird darin nichts

zu finden sein als eine Beobachtung des

Grundsatzes audiatur et

altera pars. Wie die Glossatoren die Stelle

aufgefaßt haben, sieht

deutlich aus der beigefügten Authentica (Nov. 115

man

c. 2), wo Ju­

stinian ganz und gar die Privatwillkür resp, die Verhandlungs­

marime anerkennt,

und

nur eine endlose Proceßverschleppung und

Chicane des Proceßgegners zu verhüten sucht,

Grundsätze, die ja

schon in den ältesten Zeiten bei den Römern beobachtet wurden, und mit dem, was man Verhandlungsmarime nennt, an sich gar nichts

zu schaffen haben. 3) L. un. C. ut quae desunt advocatis partium judex sup-

pleat 2, 11 (Diocl. et Max. a. 293) :

§ 22. Exiraoidinariae

278

Non diibitandum est, judicem, si quid a litigatoribus, vel ab bis qui negotiis assistunt, minus fuerit dictum, id supplere et p roserre quod sciat legibus et juri publico convenire. In dieser Stelle wird nicht im Mindesten gesagt, daß

der

Richter etwas Thatsächliches, z. B. was ihm zufällig oder gelegent­ lich bekannt wird, ohne Antrag einer Partei

berücksichtigen, oder

daß er gar Erceptionen oder Einreden, z. B. Retentionserception wegen Verwendungen, Früchten u. dgl. (exc. doli), oder die Ein­ rede der Klagverjährung suppliren dürfe, sondern die Stelle sagt

nur : falls sich die Parteien

oder

deren Rechtsbeistände ungenau

ausgedrückt haben (minus dictum) , namentlich rechtlichen Gesichtspunkte,

in Bezug auf die

so darf der Richter, zufolge der ihm

jederzeit zustehenden rechtlichen Beurtheilung, dieser ungenauen Aus­ drucksweise (in Gemäßheit der offenbaren Absicht des Antragstellers), oder der unrichtigen juristischen Bezeichnung nachhelfen,

und so

entscheiden, wie es wirklich den Gesetzen und dem öffentlichen Rechte entspricht (1). Sintenis behauptet

nun an verschiedenen Orten (2), daß

der römische judex, namentlich in der späteren Zeit, eine mehr in­

quisitorische Thätigkeit gehabt habe, als man dem Richter h. z. T. nach der ausgebildeten Verhandlungsmarime zusprechen könne (3).

Sinteni s nennt dieß für den späteren Röm. Proceß : Jnstructionsmarime.

Das Wort

Jnstructionsmarime hat an sich schon eine

schwankende Bedeutung (4).

Sintenis will daraus das sg. Ver­

fahren von Amtswegen herleiten, Berücksichtigung aller Gründe,

namentlich die unaufgeforderte

welche wir oben

als Gegenstand

(t) Vgl. noch die citirte Auth. zu L. 9 C. de jud. 3, 1 und 1. 1 C. de

ordine judiciorum 3, 8 von Severus und Antonin. (ä. 203); L. 42 v. de re jud. 42, 1 (Paulus). - (2) Z. B. Zeitschrift für C. u. Pr., Bd. 17, S. 283; Civilrecht, § 32, Note 5. 13. — (3) S. 263, Note eod. (Zeitschrift, Bd. 17) leugnet Sintenis ein wirkliches Jnquist'tionsverfahren, selbst für den spä­ teren Proceß, und sagt, daß in L. 9 C. de jud. nur ein altes Princip aus­ gesprochen werde. — (4) Vgl. Vethrn.-Hollw., Hdb. I, S. 260; Heffter, System/ § 191.

einer „Eimrede^ bezeichnet haben. Ich halte dieß für durchaus ver­ werflich. Es würde zu weit führen, hier alle einzelnen Ausführungen von Sintenis zu verfolgen, namentlich da in dessen Aussprüchen, besonders in dem „Civilrecht" zwischen Tert und Noten keine rechte Uebereinstimmung herrscht (1). Nach meiner Ansicht galt zu allen Zeiten bei den Römern die vollständige Vcrhandlungsmarime, ebenso wie h. z. T., und daß diese für Civilprocesse die allein richtige sei, zeigt der sehr dankenswerlhe Versuch, den man in Preußen mit der Untersuchungsmariine gemacht hat. Allein daß man diese auch in Preußen theils that­ sächlich, theils zufolge besonderer gesetzlicher Bestimmungen wieder verlassen hat, zeigt, welches Prinzip wohl das zweckmäßigere sei. Beide haben ihre Vorzüge, beide ihre Mängel, allein es gilt hier zwischen zwei Uebeln daö geringere zu wählen, und man darf hier nicht einen Zwitter in den geineinrechtlichen Proceß einschieben wollen. Allerdings ist der gemeinrechtliche, auf völlige Schriftlichkeit berechnete Proceß unbehilflicher als ein mündliches Verfahren und es wird deßhalb selbst die Frage, ob die Parteien noch etwas Neues beizubringen wünsche», nicht leicht vorkommen, abgesehen davon, daß die Eventualmaxime feder Partei auferlegt, ihre Behauptungen, so­

bald eS Zeit ist, alle auf einmal vorzubringen.

Allein

(1) Man vergleiche nur § 32, Note 5, 13 u. 31. Zn Note 5 heißt es z. B. : „Ein Vergleich des unsrigen mit dem römischen Proceß ergiebt eine große Verschiedenheit insofern, als im letzteren, namentlich im Formular­ proceß, die Erfordernisse (des Klagvortrags) einen weit geringeren Umfang hatten, und man fich mehr damit das formelle Recht zu erreichen begnügte, während bei uns das Streben nach materiellem Rechte vorherrscht/' Note 13 : „Die allgemeinen Vorschriften (des späteren R. R.) greifen sogar

weiter, als die Verhandlungsmarime des heutigen Processes verträgt, und sind nrr auf die Jnstructionsmarime, welcher sich der spätere römische Pro­ ceß drrch die mündliche Verhandlung näherte, berechnet. L. 9 C. de jud.« Im späteren 9t. R. soll also formelle Wahrheit und JnstructionSmarime, im heuttigen Proceß materielle Wahrheit und Verhandlungsmarin« vorherrschen, und dennoch der Richter von Amtswegen, d. h. auch unaufgefordert alle Einreden (relative Verneinung und einen Theil der

absoluten Vcrneiinung) berücksichtigen?

280

§ 22. Extraordinaiiae

daraus kann man, mit einziger Ausnahme der Eventualmaxime, keinen Unterschied herleiten zwischen dem spätern römischen und unserem heu­

tigen Proceß, namentlich bezüglich der VerhandlungSmarime.

Die

Vertheidigung resp, deren Nothwendigkeit, die Beweislast für die

Parteien sowie das officium judicis waren ganz dieselben wie im früheren römischen Processe, abgesehen von dem Wegfall des ordo

judiciorum, und den damit unmittelbar in Verbindung stehenden,

bereits früher erörterten, Folgen. 4) Auch die L. 13. C. de sententiis

et interlocutionibus

7, 45 von Justinian -------- omnes judices noslros veritatem et leguni et ju-

stitiae sequi vesligia sancimus — — enthält

nichts

von den früher

angegebenen

Grundsätzen

Abwei­

chendes (1).

Betrachten wir nun zum Schlüsse noch den Ausdruck exceptio für die spätere, namentlich die justinianische Zeit.

Es wird vielfach

behauptet, daß sowohl der materielle Unterschied zwischen Erceptionen

und Einreden (defensiones) in dieser Zeit verschwunden sei, wie auch ganz allgemein, daß jedenfalls ein processualischer. Unterschied

nicht mehr bestanden habe. nächst den

Beides ist nicht begründet.

proceffualischcn Unterschied

Was zu­

zwischen excepliones und

Einreden anlangt, so war die Nothwendigkeit der Aufnahme ersterer

in die formula natürlich weggefallen, seitdem es gar keine formula mehr gab.

Allein derjenige processualische Unterschied, wie wir ihn

oben (§ 17 i. f.J auch noch

für das heutige Recht vindizirt haben,

trat äußerlich nicht sichtbar hervor, weil überall die Klagänderung,

sowie das Nachbringen von Einreden und Erceptionen gestattet war,

weßhalb es auch nicht zu verwundern ist, daß wir aus jener Zeit weder für noch gegen denselben bestimmte Zeugnisse haben.

(1) Vgl. dazu L. 14 pr. C. de jud. 3, l von Justinian a. 530 und Aulh. eod.; L. 19, § 1 i. f. D. de prob. 22, 3 (Scaevola); L. 21, § 3 i. f. D. de test. 22, 5 (Arcadius).

Was sodann den materiellen Unterschied zwischen Einreden und Erceptionen, Repliken und Replikationen, Dupliken und Duplikationen anbelangt, so wurde der Ausdruck excipere schon in der älteren Zeit vielfach in einer allgemeineren Bedeutung gebraucht, z. B. von Ulpian für reine Klagableugnung in L 18 § 2 D. de prob. 22, 3 : — qui excepit se non respondisse (1). Für daö justinianische Recht sind aber für die Vermischung des Erceptionöbegriffes mit den Einreden scheinbar einige stärkere Spuren, selbst bezüglich des Substantivs exceptio, vorhanden : L. 30 C. de jure dotium 5, 12 (Justinian a. 529): Oriinis autem temporalis exceptio sive per usucapionem inducta, sive per decem, sive per viginli annoruni curricula , sive per triginta vel quadraginta annorum metas etc. — sit introducta, ea mulieribus ex eo tempore opponatur, ex quo possint acliones movere. L. un. C. de usuc.’transf. 7, 31 (Justinian a. 531) : — — sicut animiern exceptionem ita et usucapionem transformandam esse censemus, ut tantummodo et bis 10. vel 20 annorum et aliarum exceptionum tempora currant. Hier liegt offenbar der Gebrauch des Wortes exceptio für eine Einrede (der Usucapion), und zwar eine sg. relative Vernei­ nung vor. Büchel(2) behauptet: „dieser Sprachgebrauch habe deßhalb nichts Eigenthümliches, weil die Berufung des Beklagten auf einen Umstand, der zwar, wie z. B. die exceptio usucapionis das Recht des Klägers ipso jure vernichte, das mit der reinen exceptio ge­ mein habe, daß hier der Verklagte dem klägerischen Rechte ein eignes Recht entgegensetze, indem er nicht blos die Erlöschung des Rechtes

(1) Vgl. oben § 15. - Büchel, Stört, Bd. II, Heft 1, S. 27, Note 3; Savigry, Spst. V, S. 162, des. Note f. In L. 11 C. de exc. 8, 36 von DiocL werden die exceptiones noch genau von den defensioncs geschieden durch die diefunctive Partikel sive — (2) Stört. II, Heft 1, S. 26.

8 22. Extraordinariae

282

des Klägers, wenigstens nicht zunächst, behaupte, sondern daS fragliche Recht selbst in Anspruch

nehme, sodaß sich erst aus

dem Beweise, daß das von dem Kläger

in Anspruch genommene

Recht ihm, dem Verklagten, zustehe, die Folge ergäbe, daß es nicht auch dem Kläger zustehe, quia quod meum est tuum esse nequit (1).“

Die Ansicht Büchel's ist jedoch nicht zu billigen.

Bor Allem kann

auf den späteren Beweis hier nichts ankommen, indem der Be­ griff und das Wesen der exceptio unabhängig sind von dem späteren

Beweise resp, der mit der exceptio folge weise verknüpften Prin­

zipalen Beweislast für den Beklagten. Sodann unterscheidet Büchel aber von der exceptio usucapionis noch die rei ne exceptio.

Der

Gegensatz der reinen exceptio ist aber die Behauptung der Nichtig­

keit des klägerischen Ausspruchs.

Das Wesen der exceptio zeigt

sich, wie Büchel(2) selbst sagt, in der Collision entgegenstehender

Rechte, so daß eine wirklich begründete actio auf der einen, und

eine exceptio auf der andern Seite besteht in der Art, daß letztere der ersteren hemmend entgegentritt.

Wenn nun bei vollendeter Usu-

capion der richtige Satz gilt, daß damit das frühere Eigenthum

vollständig erloschen sei, da es kein dominium plurium in solidum giebt, — quia quod meum est, tuum esse nequit — so ist hier

von einer wahren Collision, wie sie Büchel selbst für bie exceptio behauptet, nicht die Rede.

sitzung gegenüber der relative

Verneinung).

Büchel(3)

Die Behauptung der vollendeten Er­

rei vindicatio ist nur eine Einrede (resp, Dieß

bestätigt sich,

aufgestellten Satz

bezüglich

wenn

wir den von

der Verschiedenheit der

Gründe, welche ipso jure und derjenigen, welche blos ope exceptionis wirken, hier anwenden, daß nämlich ein ipso jure erloschenes

Recht nicht wieder aufleben, oder die Grundlage eines neuen Rechtsver­ hältnisses werden könne, weßhalb auch das darauf, wenn auch ganz

in dem Umfange des früheren Rechts,

gebaute Recht, niemals als

(1) L. ,30, § 1 I). de exe- rei jud. 44, 2. — (3) S. 30 1. o.

(2) S. 24 I, c. —

cognitiones. das frühere,

sondern

283

immer nur als ein neues Recht erscheinen

könne (1). Dieser letztere Satz wird zwar

für Obligationen aufgestellt, allein

von Büchel le. speziell nur daß er auch

auf alle übrigen

Rechtsverhältnisse, z. B. usucapio, anzuwenden sei, wird Büchel,

(jedenfalls einer der ersten und besten Vertheidiger des reinen ErDer Ansicht

ceptionsbegriffes) am wenigsten selbst bestreiten wollen.

Bü chel's stimmt auch Sinterns (2), unter Ablehnung der von

Savigny gegebenen Erklärung, bei, weil eben durch die usucapio für den Beklagten ein Recht begründet sei.

Allein diese Auffassung

des Erceptivnsbegriffes ist einerseits zu eng, anderseits unrichtig. Denn das Wesen der exceptio wird nicht einseitig durch

handensein

das Vor­

eines dem Beklagten zustehenden Rechtes,

sondern

erst durch den Gegensatz zu dem auch auf Seite des Klägers wirk­

lich vorhandenen,

jedoch gerade durch die exceptio in der Wir­

kung gehemmten Rechtes begründet. Andrerseits ist aber selbst

der Gesichtspunkt eines Rechtes für den Beklagten

unzureichend,

wenn man dabei an positive Privatrechte, z. B. Eigenthum, denken wollte. Denn was ist die exceptio doli generalis in vielen Fällen?

Nichts als das Recht der Vertheidigung gegenüber der an sich be­

gründeten actio,

so daß also mehr der blose Gesichtspunkt einer

exceptio a condemnatione hervortritt. Die einzig richtige Erklärung der obigen Stellen ist die von S a -

v i g n y (3) gegebene, daß nämlich darin ein Sinken der Kunstsprache liege.

Dieß war um so leichter

möglich, als, wie bereits früher

erörtert wurde, ein processualischer Unterschied zwischen Einrede und

exceptio nicht sichtbar hervortrat.

Trotzdem ist auch für das justi­

nianische Recht weder ein Verkennen des processualischen, noch viel weniger des materiellen Unterschiedes zwischen Einrede und exceptio,

resp. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit anzunehmen, da in allen übrigen

(1) L. 27, § 2 v. de pact. 2, 14. — (2) Civ. R. § 32, Note 28. — (3) Spst. V, S. 167, Note o; vgl. mit S. 162, Note c.

§ 22. Exlraordinariae cugnitiones.

284

Stellen der justinianischen Sammlungen der Begriff der wahren ex­ ceptio sehr entschieden festgehalten wird.

Dem steht auch die von Justinian in § 1 J. de exc. 4, 13

neben der exceptio inetus und doli aufgezählte

exceptio erroris

resp, in factum ex errore (1) nicht im Mindesten entgegen, da der Irrthum an sich keine Nichtigkeit des Nechtsgeschäftes begründet (2).

Trotzdem waren aber die in den justinianischen Aussprüchen ent­ haltenen Spuren eines Sinkens der Kunstsprache um für die späteren Bearbeiter Veranlassung zu

bedeutend genug,

geben,

nicht blos

die aus der späteren Vernichtung (sg. relative Verneinung), sondern auch aus der Entstehung des Rechtsverhältnisses hergeleiteten Einreden

allgemein mit dem Namen exceptio zu belegen, und in dieser fort­ währenden Verallgemeinerung der technischen Ausdrücke zuletzt zu dem Satze zn kommen, jede Einwendung des Beklagten, welche nicht in einem nackten „Nein" oder : „Ich leugne" bestehe, eine exceptio zu nennen.

Mit der sprachlichen Verwirrung stellte sich,

wie die Erfahrung leider zeigt, auch eine vollständige Begriffsver­

wirrung und Vermischung ganz verschiedener Prinzipien ein, was um so leichter war, als derselbe Grund bald blos zu einer Einrede,

bald blos zu einer exceptio tauglich ist. Z. B. die Behauptung des Eigenthums von Seiten des Beklagten ist gegenüber der rei vindicatio

eine Einrede (des Eigenthums), gegenüber der

Publiciana eine exceptio (dominii), weil bei der Publiciana ein

wirkliches, jedoch gegenüber dem Beklagten noch unvollkommenes, also

im Zustande der Anfechtbarkeit befindliches Recht vorausgesetzt wird,

was z. B. durch fortgesetzten Usucapionsbefitz selbst zur Vernichtung des Eigenthums des Beklagten führen, oder durch replicatio, z. B.

doli, unter Umständen selbst gegenüber der exceptio dominii wirk­

sam werden kann (3).

(1) Gaj. iv, 116, 117, woraus die Jnstitutionenstelle offenbar genommen ist, erwähnt blos die exc. doli und metus. — (2) Vgl. Puchta, Pand. und Borl. 8 57. — (3) Vgl. noch L. 15—17 I). de publ. act. 6, 2; L. 57 v. mand. 17, 1 (Papin.); L. 27, § 1; L. 28 D. de noxal. act. 9, 4 (Gajus und

§ 23. AtltercS deutsches Recht. Auch müssen

manche

historische

werden bei Interpretation der Quellen.

Veränderungen

285 berücksichtigt

So z. B. konnte

nach der

früheren Stellung des prätorischen Rechtes gegenüber dem jus civile (int engeren Sinne) die prätorische praescriptio resp, exceptio longi

temporis oder longae possessionis gegenüber der Eigenthumsklage

aus dem nudum jus Quiritium nur eine wahre exceptio sein. Nach dem Wegfall des eigentlichen dominium

ex jure Quiritium, sowie

der, nach der richtigeren Ansicht, vollständigen Verschmelzung der usucapio und longa possessio kaun man nur die materiellen Ge­ sichtspunkte der reivindicatio und Publiciana in der obigen Weise

beachten (1).

IV. Abschnitt.

§ 23. Aelteres deutsches Recht. Der ältere deutsche, namentlich der sächsische Proceß, in welchem

sich die germanischen Elemente am reinsten erhalten haben, und auch

theilweise in die späteren Reichsgesetze, namentlich den I. R. A. übergegangen sind (2), war einem gerichtlichen Zweikampfe ähnlich,

in welchem die streitenden Theile, gestützt auf das Gewicht ihrer Persönlichkeit (die vielfach durch den Willen von sg. Mitbeschwörenden

Africai.) und Puchta, Pand. u. Vorl. § 167 u. 173 und Jnstit. § 170, M. u. — (1) L. un, C. de nudo jure Quiritium lollendo 7, 25; L. un, C. de usucapiote translbrmenda 7, 31. — (2) Vgl. Leyser, spec. 36, § 1; Cod. Max. Bas. jid. de a. 1753, Anmerkungen, S. 205 i. f.

286

§ 23. Netteres

verstärkt werden mußte), mit Rechts grün den gegeneinander kämpften, die richtende Versammlung aber blos als Zuschauer galt, der zu Erforschung der Wahrheit ungewisser Behauptungen in keiner Weise selbstthätig eingreifen durfte, sondern der Behauptung als solcher glauben mußte (1). Man kann also sagen, der germa­ nische Proceß war seine? Grundidee nach die Rechtfertigung de? Eigenmacht vor dem unparteiischen Urtheile her Genossen (2). Wollte man von der natürlichen Reihenfolge qusgehen, in welcher sich der römische und unser heutiger Proceß harstellt, so würde hier zuerst der Begriff des Klägers und des Beklagten, dabei der sg. Klaggrund und die Vertheidigung, sodann die Frage nach der Beweislast und den Beweismitteln, und zuletzt die Stellung des Gerichts zu den Partheien zu betrachten sein. Allein da der ältere germanische Proceß gerade durch die Beweismittel, welche darin üblich waren, manches Eigenthümliche hat, und es hier darum gilt, ein Gesammtbild des Wesens des älteren germanischen Processes zu gewinnen, so läßt sich diese Reihenfolge nicht so genau einhalten, weßhalb es erlaubt sein möge, die Sache so darzustellen, wie es dem vorliegenden Zwecke am besten entspricht. Das Hauptbeweismittel des älteren deutschen Rechtes war der Eid, und das Verlangen , diesen selbst ausschwören zu dürfen, in der Regel ein Recht des sg. Angegriffenen, welches durch die Gerichtsversammlung anerkannt wurde. Der Begriff des Ange­ griffenen ist aber nicht gleichbedeutend mit demjenigen des Beklagten, sondern ergiebt sich aus der Stellung der Parteien zu dem Gegensta nde des Streites. Rach der Eigenthümlichkeit dieser Proceßan­ sichten kann man allerdings mit Planck 1. c. sagen, daß von einer Reihenfolge der Beweise, sowie namentlich von einer Last des Be­ weises nicht eigentlich die Rede war, und eben so wenig von den Parteirollen im Sinne des römischen Klägers und Beklagten. Allein

(0 Vgl. dazu sächs. Landrecht J, 18, § 1 u. 2 und Planck in der Seife schribt für deutsches Recht, X. Band (1846), Abhdlg. IX, S. 207. — (2) Vgl. Planck I. c. S. 231.

wenn auch bei dem Rechte zur Eidesleistung es dem Schwörenden einerlei sein konnte, ob er etwas mehr oder weniger beschwören mußte, er also im Allgemeinen keinen Grund hatte, sehr ängstlich in der Aufstellung von Behauptungen zu sein, so ist doch nach der Natur der Dinge als unzweifelhaft anzunehmen, daß es dem Schwö­ renden nicht in jedem Falle einerlei sein konnte, ob er dieses oder jenes, ob mehr oder weniger beschwören sollte, gerade so wie dieß heut zu Tage der Fall ist. Nach dem älteren deutschen Rechte mußte dieß namentlich dann eintreten, wenn der Eineid (d. h. der alleinige Eid der Partei ohne sg. Gezeugen) nicht zulässig war, sondern Eideshelfer, z. B. zwei (selbdritt), oder sechs (selbsiebent) mit dem Sachwaltigen (d. h. der schwörenden Partei) schwören mußten, weil diese als ehrenhafte Männer sich gewiß vorher, so weit es möglich war, über die Wahrheit der Behauptung ihres Freundes erkundigten, und nicht in den Tag hinein den Eid leisteten. Daraus ergiebt sich von selbst schon eine gewisse Vorsicht für die Aufstellung von Behauptung und Gegenbehauptung, und ein natür­ liches System des Angriffes und der Vertheidigung, und es konnte deßhalb das Recht zu beweisen, d. h. den Eid zu leisten, auch eine Last werden, wenn man zu viel behauptet hatte und dafür keine Eideshelfer fand. Ebenso mußte auch die Parteirolle als Kläger oder als Beklagter häufiger von Einfluß sein, als dieß Planck zuläßt (1), obgleich derselbe thatsächlich, und gewiß mit Recht, dieselbe Grundlage für das deutsche wie für das römische Recht annimmt, namentlich in den Schlußworten des $6 1. c., daß nämlich der Grundgedanke in beiden Rechten bezüglich der Bxweistheorie ganz derselbe sei, seine concrete Erscheinung aber sich verschieden gestalte wegen Verschiedenheit der gerichtlichen Beweismittel. Denn wenn auch der Grundgedanke für das Recht zum Beweise b. h. das

(1) Planck sagt 1. c. S. 231 : Der Umstand, wer vor der Urtheil finden­

den Versammlung den Streit zuerst zur Sprache bringe, ferner, wer tm Zustände der factischen Ausübung sich befinde, habe ziemlich gleichgültig sein

müssm.

§ 23. AeltereS

288

Nähersein zum Eide, ist : „Derjenige, welcher behalten will, ist

näher als derjenige, welcher ihm abgewinnen will", demnach der Kläger nach römischen Begriffen nicht selten als der germanische Angegriffene dastehen konnte, z. B. er behauptete das Eigenthum,

sein Gegner ein Lehen (1), so war doch in den bei weitem meisten

Fällen der Angegriffene zugleich der Beklagte, was in der Natur der Verhältnisse liegt, indem der Besitzende (wer die

Gewere

hat) selten einen Angriff machen wird und machen kann. deutlich mußte aber gerade die Parteirolle hervortreten,

Ganz

wenn bei

gleicher Stärke der Behauptungen sich auch nicht entscheiden ließ, wer gegenwärtig in der alleinigen Ausübung des bestrittenen Gegenstandcs, z. B. der Weide oder Jagd war (2), denn hier wurde ähnlich

den römischen Grundsätzen : in dubio pro reo, actore non probante reus absolvitur, der Beklagte

zugleich als der Angegriffene behan­

delt, resp, ihm das Recht zur Eidesleistung zuerkannt, so daß man

den Grundsatz für das deutsche Recht aufstellen kann: Im Zweifel gilt der Beklagte

auch als der An gegriffene.

Hierbei galt

jedoch die eigenthümliche Ansicht, daß der Angegriffene auf dieses

ihm einmal zugebilligte Recht in der Regel nicht verzichten konnte (3). Bei der Eidesleistung war natürlich ein Gegenbeweis nicht zulässig,

selbst wenn

mit Gezeugen geschworen wurde, weil diese ja bloße

Eideshelfer waren, und der Eid der Partei als die Hauptsache

betrachtet wurde. Planck (4) stellt für das deutsche Recht den Satz auf: „Im Falle der Uneinigkeit der Parteien

über

die

faktischen Voraus­

setzlingen, z. B. beim Darlehen, hänge die Frage, wer näher zum

Eide sei, vor allen Dingen von der Art der Vertheidigung

ab, welche der Beklagte gewählt habe, während Recht auf den Klaggrund ankomine. äußerlich zunächst in

der

es im römischen

Denn der Beklagte erscheine

Rolle des Angegriffenen.

Es sei vor

(1) Ueber die Negatorienklage vgl. Planck I. c. S. 259, des. Note 159. - (2) Vgl. dazu noch Planck 1. c. S. 285 und § 18. — (3) Planck I. c. S. 322. - (4) 1. c. S. 239.

289

deutsches Recht.

allen Dingen festzustellen, ob er es der Sache nach auch wirklich sei. Treffe es zu, so gebühre ihm das Recht des Beweises oder Eides, und damit sei der Streit beendigt, ohne daß der Kläger weiter berücksichtigt worden wäre. Hierbei entscheide im Allgemeinen der Gegenstand der Klage." Dieß als richtig zugegeben, sieht man, daß jedenfalls eine sorg­ fältige und umsichtige Prüfung der Sache durch die Gerichtsversammlung nothwendig war, eben so wie im R. R. die Frage, was als der eigentliche Klaggrund zu betrachten sei. Daß auch im deutschen Rechte die Art und Weise des Angriffs resp, der Klage nicht ohne Bedeutung sein konnte, liegt auf der Hand, denn darnach richtete sich die Vertheidigung. Wurde nun dem Kläger der Eid zugesprochen, und er wollte (soweit dieß erlaubt war) oder konnte (z. B. bei der Nothwendigkeit von Eideshelfern) nicht schworen, so wurde der Beklagte freigesprochen. War dagegen dem Beklagten der Cid zugebilligt, und er verzichtete auf sein Recht, swas nur im Falle der Schuld nach todter Hand zulässig war (1)J, so ging dieß nun auf den Kläger über, ohne daß sofort in allen Fällen auch ohne Beweis von Seiten des Klägers, resp. Beschwörung der Klage, der Beklagte für schuldig erkannt werden durfte. Ein doppelter Schwur, z. B. erst der Klage und sodann der Vertheidigung, z. B. der Zahlung (2), fand nicht statt, sondern es wurde die Schuld oder Unschuld beschworen, was der Natur des Eides angemessen ist, gerade so wie bei den Romern das frühere jusjurandum in jure. Daß eine Vertheidigung des Beklagten nothwendig war, wenn er zum Eide zugelaffen werden wollte, ist außer Zweifel. Antwortete er nicht, so wurde dem Kläger der Eid zuerkannt, ohne daß die Gerichtsversammlung sich um die materielle Wahrheit be­ kümmerte. Denn wenn der Beklagte wirkliches Unrecht dadurch litt, so sah dieß der Germane nicht als formelles Unrecht an, weil dem Beklagten als freiem Manne die Möglichkeit gegeben

(1) Vgl. Planck I. c. Note 253. v. Hklmollt, Beweisest,

(2) Vgl. noch Planck I. c. S. 240. 1Q

$ 21 Aelt,re-

290

war, sich durch seinen eignen Willen, d. h. durch Verth-idigung, vor dem drohenden Unrechte zu schützen.

Soweit nun feste Regeln über die verschiedenen Aechtsverhält-

niffe sich noch nicht gebildet hatten,

war es ganz netürlich, daß

das Zubilligen des Eides von Seiten der Gerichtsversanmlung nicht in allen Füllen gleich war. Als aber bei größerer Rechtsentwicklung

festere Normen anerkannt wurden, mußte sich nvthwechig auch ein bestimmteres

System des Angriffs und der Vertheidigung bilden,

ebenso ein Uebergang von der früheren

viel unbeschränkteren Macht

resp. Subjektivität der Gerichtsversammlung zur Objeaivität (vgl.

die Einleitung).

Letztere vermehrte sich durch später veränderte

Ansicht über die Gezeugen, d. h. die Mitbeschwörenden, welche mehr

die Natur der römischen teste« annahmen.

Es wurde nämlich nach

und nach in dem deutschen Rechte selbst die Ansicht geltend, daß es sich bei den Mitbeschwörenden nicht mehr um das bloss Gewicht ihres persönlichen Willens, sondern um ihr Wissen, vorzugsweise

ihre Sinneswahrnehmung handele, und zwar zu dem Zwecke,

um

die Ueberzeugung des Gerichtes von der Wahrheit ihrer be­

schworenen Aussage herbeizuführen, sodaß mit dem Eindringen des römischen Rechts sehr leicht ganz dessen Grundsätze über Zrugenbeweis herrschend wurden.

Dadurch traten die Parteien selbst immer

mehr in den Hintergrund bezüglich des bloßen Gewicht« ihrer Per­ sönlichkeit , und es wurde die objective Gewißheit bezüglich der aus­ gestellten Behauptungen von größerer Bedeutung, ohne daß dadurch

die Verhandlungsmarime,

d. h. der Wille der Parteien was nnd

wie viel sie vor Gericht vorbringen wollten, im Mindesten geän­

dert worden wpre.

Eine Erforschung der materiellen Wahrheit von

Seiten der Gerichtsversammlung wurde also dadurch in keiner Weise

gegen den Willen der Parteien herbeigeführt.

Im deutschen Recht­

mußte der Angegriffene (in den meisten Fällen zugleich der Beklagte, wie bereits oben bemerkt wurde,) sein Recht an der Sache genau

angeben, weil er das Vorrecht hatte, durch seinen Eid den An­ greifer unwiderleglich

zurückzuweisen.

Deßhalb wurdm die

Pflichten des Angegriffenen zur speziellen Antwort aber auch

strenge genommen. Der Klaggrund (soweit Kläger zugleich An­ greifer war) wurde nicht sehr strenge aufgefaßt, was sich daraus erklärt, weil dem Beklagten kein Unrecht geschah, wenn er keinen rechtmäßigen Grund darthun konnte, und es ihm einerlei sein mußte, ob der Kläger oder em Anderer die Sache hatte, da sie ihm (dem Angegriffenen) jedenfalls nicht gehörte, außerdem auch der Kläger ohne allen Bweis die Sache in der Regel nicht erhielt. Bei Streit resp. Klagen um Gut mußte nämlich der Kläger jedenfalls beschworen, daß die Sache sein sei (res mea est). Bei blos persönlichen Ansprüchen (Klagen um Schuld) wurde Zugeständniß angenommen (1). Die große Verschiedenheit, welche Planck (2) zwischen dein römischen und deutschen Rechte bezüglich des römischen Satzes finden will: actore non probante, reus, etsi nihil ipse praesliterit, obtinebit, während im deutschen Rechte gerade der entgegengesetzte Satz : reo non probanle actor obtinebit gegolten habe, kann ich nicht zugeben. Denn bei Klagen um Gut war es nicht der Fall, bei Klage» um Schuld nach todter Hand ebenfalls nicht, und bei anderen Schuldklagen konnte ein Zugeständniß des Beklagten allerdings leicht angenoinmen werden, weil ja der Be­ klagte, wenn er sich nicht schuldig fühlte, es in seiner Hand hatte, den Anspruch des Klägers unwiderleglich durch seinen (des Ange­ griffenen) Eid zu entkräften. Dabei war es gleichgültig, ob die Schuld an sich abgeleugnet oder zugcstanden und z. B. Zahlung behauptet wurde. Bei behaupteter Zahlung ohne besondere Ant­ wort über die Nichtigkeit der klägerischen Forderung wird ja selbst für das römische Recht Eingeständniß deö Beklagten angenommen (3). Es war also der Satz des deutschen Rechtes reo non probante actor obtinebit keineswegs ein durchgreifender, selbst nicht für das ältere Recht, jedenfalls aber nicht mehr für das lmmittelbar vor der Receptiou des römischen Rechts fortgeschrittene deutsche Proceßrecht (4). (1) Dgl. Planck, S. 323 im Tert und Note 251; vergl. mit S. 273. — (2) I. c. § 23. - (3) Dgl. Donell, ad Cod. de prob. - (4) Planck läßt auch h drm Säße reo non probante actor obtinebit, den Beisaß etsi nihil ipse piaesliterit Weg.

292

§ 23. AeltcreS

Hätte man den Klaggrund ebenfalls sehr strenge gefaßt, sc» wären Klagen vor Gericht zu sehr erschwert worden. Als run später der Parteienkid an Kraft verlor dadurch, daß andere Beweismittel, z. B. Zeugen, ein größeres Ansehen und Wichtigkeit erlangten, sah man ein, daß in vielen Fällen die Stellung des Bekligten eine unvortheilhaftere sei. Daraus erklärt es sich, daß das römische Recht leicht Eingang fand mit seiner Ansicht, es müsse eist der Kläger seinen Klaggrund bewiesen haben, bevor die Nothwendgkeit des Be­ weises an den Beklagten komme. Dieß war um so leichter, als auch nach römischem Recht, um die Rechtsverfolgung vor Gericht nicht zu sehr zu erschweren, der proeessualische Klaggrund auf ein geringes gesetzlich bestimmtes Maß bei jeder Klage beschränkt war, und es nun dem Beklagten nicht blos frei stand, dagezen einen Ge­ genbeweis zu liefern, sondern auch noch eine selbständige Vertheidi­ gung durch Einreden (defensiones) und Erceptionen anzuwenden. Darin lag eine sehr zweckmäßige, natürliche und gleichmäßige Vertheilung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien. Es wurde aber dadurch die germanische Ansicht der Nothwendigkeit einer sorgfältigen und detaillirten Vertheidigung von Seiten des Beklagten nicht im Mindesten aufgehoben, einmal weil das römische Recht die­ selbe Ansicht hat, und weil, selbst wenn man für letzteres anderer Ansicht sein müßte, die germanische Ansicht fortgedauert hat und in die Reichsgesetze überggeangen ist, wie eine Vergleichung des § 34 mit § 37 des I. R. A. deutlich ergiebt.

Betrachtet man das bisher Gesagte, so zeigt sich, daß das deutsche Recht sowohl bezüglich des Rechts zu gerichtlichen Angriffen, der Nothwendigkeit der Vertheidigung, sowie der Nothwendig­ keit des Beweises und der über das Princip der Beweisführung geltenden Grundsätze auf denselben Grundlagen beruhte, wie das rö­ mische Recht, und daß die Verschiedenheiten der beiden Rechte sich vorzugsweise auf die geringe Anzahl der deutsch-rechtlichen Beweis­ mittel, sowie die Eigenthümlichkeit des älteren deutschen Parteieneides reduzirte. Diese Verschiedenheit, welche schon vor dem Eindringen des römischen Rechts bedeutend nachgelassen hatte, war zu gering,

als daß der vollständigen Reception der römischen Grundsätze ein irgendwie bedeutendes Hinderniß im Wege gestanden hätte. Dieß wurde unterstützt durch viele Einzelnheiten, welche der Natur der Verhältnisse nach sich gleichmäßig in beiden Rechten fanden. So

kannte das deutsche Recht schon vor der Reception des römischen Rechts vollständig den Unterschied zwischen Nichtigkeit und Anfecht­ barkeit, womit die Möglichkeit selbst der proceffualischen Bedeutung der römischen Erception gegeben war (1). Ebenso mußte die Be­ hauptung des Beklagten, daß der Zahlungstag noch nicht gekommen sei, von demselben selbständig schon nach deutschem Rechte bewiesen werden (2). Ferner kannte schon das deutsche Recht nicht blos ein definitives, sondern auch ein vorläufiges Verfahren (formell dilato­ rische Erceptionen des römischen Rechts), z. B. einem Geächteten gegenüber, wie die Quellen des sächsischen Rechtes sagen : die man weret sik antwerdes(3). Das deutsche Recht würde ohne Zweifel nach und nach zu derselben Beweistheorie gekommen sein, wie das römische Recht, selbst bezüglich der Reihenfolge tut Beweise. Der Uebergang dazu zeigt sich schon in Folgendem : der Parteieneid resp, das Recht des sg. Angegriffenen zum Eid, war allerdings die Regel. Es bildete sich aber schon vor dem Eindringen des römischen Rechts die Ansicht, daß eine Ueberbietung im Beweise d. h. in der Stärke der Beweis­ mittel, und damit gleichsam ein Abwechseln in der Beweisführung zugelassen wurde. Dieß geschah schon sehr frühe bezüglich des sg. Gerichtszeugnisses, d. h. wenn die Gerichtsversammlung selbst Aus­ kunft über früher vor ihr Geschehenes geben konnte, sowie bezüglich der sg. leiblichen Beweisung, d. h. wenn das Gericht sich selbst noch von der Wahrheit einer Parteibehauptung durch eigne Wahrnehmung resp. Besichtigung überzeugen konnte, namentlich in Fällen der (I) Vgl. oben § 17 und Planck I. c. § 14. — (2) Dgl. Planck 1. c. S. 311, Rote 225. - (3) Vgl. Sachs. L. R. III, 30, § 1 und 39, § 3; vgl. die einzelnen Fälle bei Planck I. c. S. 263. — Ueber das Contumacialverfahren gegen den Beklagten, der ohne rechtlichen Grund nicht antworten will vgl. Sächs. Lo. R. III, 39, § 3 u. 4.

294

§ 23. Aclteres

sg. Handhaften That. Später geschah dieß durch die Annahme des Grundsatzes, daß derjenige, welcher seine Beiauptung mit Zeugen (in demselben Sinne wie die römischen teses) bewahr­ heiten konnte, den Vorzug haben solle vor demjengen, welcher blos durch eignen Eid (wenn auch mit sg. Gezeug-n) eine Be­ hauptung bestärken wollte. Es liegt darin zugleich «'n Uebergang von der Subjectivität der Beweisung durch Berufen auf die eigne Glaubwürdigkeit, zur Objectivität, d. h. der außer ter Hofen Be­ hauptung des Beweispflichtigen liegenden Sicherheit Die obige Umgestaltung innerhalb des deutschen Rechtes selbst zeigt sich bei der größeren Rechts- und staatlichen Entwickelung (wnnit ein Zu­ rücktreten der Individualität des Privaten stets -erknüpft ist) namentlich in den Städten. Ich kann deshalb der Behauptung Plan'ck's (1), daß durch das Eindringen des römischen Rechts in die beibehaltene Form des gerichtlichen, namentlich des BeweisVerfahrens ein ganz verschiedenartiger Inhalt hinein gezwängt worden sei, in dieser Allgemeinheit nicht beistimmen. Das römische Recht bot schon vollständig dar, was das deutsche Recht zu erzielen bereits im Begriffe war, nämlich, unbeschadet der Freiheit und Willkür der beid en Parteien, eine gleichmäßige Vertheilung der gegenseitigen Rechte und Pflichten, und eine auf diese gebaute und dadurch begränzte Entscheidung des Gerichts nach eigner Ueber­ zeugung. Dabei ist nicht zu leugnen, daß wohl kleine Verschieden­ heiten zwischen dem römischen und deutschen Rechte, auch wenn sich das letztere ganz ungestört selbst reformirt hätte, stattgefunden haben würden, auch daß manche Eigenthümlichkeiten, selbst unseres heu­ tigen Proceßrechtes, sich nur aus dem deutschen Rechte erklären lassen. Allein diese sind zu gering, um eine wesentliche Verschieden­ heit zwischen dem deutschen Rechte in seiner selbständigen Entwicke­ lung bis auf die Gegenwart gedacht, und dem römischen Rechte an­ nehmen zu können bezüglich der Stellung der Parteien gegeneinander

sowie gegenüber dein Gerichte, des letzteren gegenüber den Parteien, sowie bezüglich der Beweiölast. Die Differenzen, welche man bisher zieinlich allgemein angenommen hat, liegen in den bereits oben § 1 bis 22 widerlegten unrichtigen Ansichten über das römische Recht selbst. Neben dem bisher Gesagten ist nun das Streben des deutschen Processes nach öfteren sichtbaren Proceßeknschnitten unverkennbar. Dieß findet sich bei feder gesunden und kräftigen Proceßorganisation. Zur Zeit des Legisactions- und des Formularverfahrens war es in vielfacher Weise vorhanden, selbst für das Verfahren in judicio. Im späteren römischen Proceß ließ es nach. Dieser spätere römische

Proceß drang mit dem canonischen Recht und dem Inhalte des römischen Rechtes selbst ein, und brachte einige Verwirrung und Proceßverschleppung in das deutsche Proceßwesen. Gegen diese Verschleppung und Schlaffheit war hauptsächlich die Reaction des deutschen Rechtes gerichtet, welche auch, besonders durch Vermittelung des sächsischen Processes, nach vorausgehenden einzelnen Versuchen in dem I. R. A. vollständig gelang. So hat sich namentlich das Beweisurtheil (ähnlich der römischen formula) (1) als ein be­ stimmter Einschnitt des Processes, gegenüber dem späteren römischen Recht erst mit Hülfe germanischer Ansichten für unseren heutigen Proceß ausgebildet (2).

(1) vgl. dazu Planck I. c. Note 245, S. 318. - (2) Vgl. darüber dir schon früher citirte vortreffliche Schrift von Planck über Beweisurtheil.

296

§ 24. CanonischeS Recht. —

V. Abschnitt.

§ 24.

Canonisches Recht. — Glofsatoren. Es ist bekannt, daß das kanonische Recht in sehr vielen Be­

ziehungen sich ganz an die Bestimmungen und Ansichten des römi­

schen Rechts anschließt, daß viele Stellen des Corpus Juris cano­ nici wörtlich mit den uns erhaltenen Zeugnissen des römischen Rechts

übereinstimmen, ja sogar vielfach geradezu auf letzteres verwiesen Daß darin selbst viele eigenthümlich römische Ansichten,

wird (1).

z. B. das jus Quiritium, gleichsam als geltendes Recht mit aufge­

führt resp, abgeschrieben werden, hat keine besondere praktische Be­

deutung.

Vielfach wurden die römischen Ansichten aber auch durch

die Anschauungen der Zeiten, in welchen die Schriftsteller des kano­

nischen Rechtes lebten, auf eigenthümliche Weise modifizirt, und es wurden sogar Grundsätze des reingermanischen Rechtes darin aus­

genommen. Was die Lehre von der Vertheidigung des Beklagten, deren

Verhältniß zur Beweislast, sowie die Stellung des Civilrichters gegen­

über den Parteien anbelangt, so ist darin durch das canonische Recht an den Grundsätzen des R. R. im Wesentlichen gar nichts geändert. Für die Vertheidigung des Beklagten wird

im Allgemeinen das

Wort defensio, daneben aber auch für die selbständig nothwendige Vertheidigung das Wort exceptio gebraucht.

(1) Vgl. z. B. c. 12 D. 1 de jure.

Ein scharfer Gegen-

In dieser Weise ist beinahe der

ganze Titel de regulis juris in VI, 5 (13) wörtlich aus 0. de R. J. 50, 17

entlehnt.

297

Glossatorcn.

satz zwischen defensio und exceptio, in der Weise wie wir ihn für Einrede und Erception (§ 17) annehmen, tritt in dem kanonischen Rechte

hervor (1), allein es liegt auf der andern

nicht deutlich

Seite auch kein direktes Zeugniß vor, nach welchem eine Verken­ nung des reinen römischen Erceptionsbegriffes angenommen werden

dürfte.

In dem Titel 12 lib. 2 in VI. de exceptionibus, werden

blos zwei Fälle angegeben, nämlich : 1) die exceptio

excommunicationis, welche

als eine eigen­

thümliche behandelt wird, namentlich auch bezüglich der Bestimmung,

es solle der Richter, falls die Ercommunication aclor excommunicalus sit publice,)

notorisch sei, (si

auch ohne daß der Be­

klagte die exceptio vorschütze, den Kläger von Amtöwcgen (ex officio) abweisen.

Als Grund dieser von dem sonstigen Rechte

abweichenden ausnahmsweisen Bestimmung wird das öffentliche

und kirchliche Interesse

angegeben: ut

ex hoc

magis censura

ecclesiastica timeatur (2).

2) In der zweiten Stelle wird bestimmt, daß die exceptio rei

judicatae sowohl aus einem geistlichen Urtheil vom weltlichen Richter, wie umgekehrt, zugelaffen werden solle.

Auch in dem Decretalentitel de exceptionibus

2, 25 sieht

man, daß keine von dem R. R. abweichenden Grundsätze über Er-

ceptionen und ihr Verhältniß zur Beweisläst, sowie zum officium judicis aufgestellt werden sollen.

In dem Clementinentitel de exceptionibus 2, 10 wird blos eine Bestimmung über die processualische Zulässigkeit der

exe.

ex-

commun. gegeben. Auch bezüglich der Beweistheorie des R. R. ist in dem kano­

nischen Rechte nichts Abweichendes bestimmt,

wie namentlich die

Titel X de probationibus 2, 19 und Clem. cap. un. de prob. 3, 7 zur Genüge ergeben, selbst bezüglich der sg. judicia duplicia (vgl.

(1) Vgl. c. 1, VI, 2. 3 de litiscontestatione : Exceptionis peremtoriae seu defensionis cujuslibet, principalis cognitionem negotii contingentis U. s. W. (aus dem I. 1245). — (2) Vgl. dazu c. 2, 8, 12, X de exceptionibus 2, 25.

§ 24. Canomsches Recht —

298 oben 8 9).

Ueberall wird aber in dem kanonischen Rechte der

Unterschied zwischen Affirmative und Negative hervorgehoben, in

ähnlicher Weise, wie dieß mit Btzug auf die Andeutungen des R. R. (vgl. 8 20) von den Glvssatoren geschieht.

Bezüglich drS officium judicis wird nun sehr häufig behauptet, der canonische Civilproceß neige zur JnqüifitivnSrNariMe (1).

Allerdings läßt sich nicht leugnm, daß die eigenthümliche Stel­ lung des Geistlichen gegenüber den Parteien, seine Pflicht zur Ber-

lnittlung des Streites, sowie die geistliche Disciplinargewalt, leicht eine

größere

auch unaufgeforderte

Amtsthätigkeit

des geistlichen

Richters hervorzurufen geeignet war. Allein trotzdem geht doch aus den Aussprüchen des canonischen Rechtes für Eivilprocefse im Ganzen ein genaues Festhalten an der reinen Derhandlungsittarime hervor, in derselben Weise und nothwendigen Beschränkung, wie dieß für das römische Recht gilt (2).

Ganz deutlich spricht sich darüber Inno een; III aus in

cap, 10, X de fide instrum. 2, 22: cum judex (qui üsque ad prolationem sententiae debet Universa rimafi) possit interrogare de facto, qiiotiens dubitationis aliquid occtirrit (3). II. In den Glossen ist keine Veränderung der römisch-rechtlichen Grundsätze beabsichtigt.

Die Aeußerung Savigny's, in der Ge­

schichte des röm. Rechts im Mittelalter, bezeichnet treffend und voll­ ständig das ganze Streben und die Richtung der GloffatoreN, daß

sie nämlich nicht die Praxis ihrer Zeit darsteüeir wollten, sondern als buchgelehrte Reformatoren auftraten, nach welchen sich die Praris

ihrer Zeit richten solle.

Dabei ist aber nicht zn leugnen , daß wohl

manche Ansichten ihrer Zeit, namentlich bezüglich der scholastischen

Eintheflungen , auf die Methode uiid BehanVlungswrife der Glvssa-

(I) Vgl. z. B. Bethmann-Hollweg, Versuche, S. 254. — (2) Vgl. oben § 8, 18, 21,22 und c." 6,9, 19 de judiciis 2, 1 und Paulli Lancelolli Instit. jur. can. IV, 1 pr. — (3) Vgl. dazu die Erklärung der L 9 C. de jud. 3,1 oben in § 22; vgl. mit c. 1 U. 3 in VI. de sententia et re judicata 2, 14; Heg. XXVI in VI. de R. J. 5 (13); I. R. A. § 41.

toren eingewirkt haben. Die Hauptsache und der Grundton blieb aber das strenge Festhalten an den Quellen und deren Studium. In der Ausgabe des Corp. Juris von 1572 apud Hugonem a Porta wird nun ein Exceptiönum typus aufgestellt, welcher 67 Numern mit verschiedenen Divistonen und Subdivisionen enthält, die sämmtlich Anspruch auf Allgemeinheit machen. Als Urheber dieses typus wird Rebufius genannt, und hierauf eine längere Ein­ leitung nebst Erklärung der verschiedenen Eintheilungen, sowie die verschiedenen Meinungen, namentlich der Glossatoren, angegeben. Dabei wird gesagt: Ego vero insequor defmitionem Juris consulti posita in L. 2 D. h. t. : Exceptio est actionis vel intentionis exclusio; haue posuerunt fere omnes summistae, Gofredus, Azo, Hostiensis et alii. Gleich darauf heißt es: Nota tarnen, quod exceptio duobus modis sumitur : large et stricte seu proprie, large, pro omni defensione, exclusione et replicatione; nam replicatio excludit, ergo exceptio large nuncupatur. Stricte seu proprie capitur pro defensione, quae reo competit contra actionem actori competentem contra dictum reum (1). Als erste Eintheilung der Erceptionen wird nun angegeben, daß einige Erceptionen seien : 1) merae negationis; 2) actionis seu Juris; 3) intentionis vel facti. Eine exceptio merae negationis sei vorhanden, wann die Klage dem Kläger nicht zustand noch zu­ gestanden halte; wenn deßhalb der Kläger klage und etwas ver­ lange, so könne der Beklagte dies verneinen (negare) und dieß sei keine wahre exceptio nach der Ansicht von Sozinus und Ale­ xander in den Additionen zu Barto l u s, und weil der Beklagte

(1) Ergötzlich ist hierbei die ganz ernsthaft vorgetragene Ansicht, daß schon Adam und Eva im Paradiese gegen die Klage des Herrn Erceptionen vorgeschützt hätten, und zwar Adam : Quam mihi sociam dedisti; dedit mihi de ligno vitae et comcdi; Eva : Serpens me decepit et comedi.

hier nichts ponire, so brauche er auch nichts zu beweisen, wie Baidus sage. Im weitern Sinne aber könne dieß auch exceptio genannt werden, nach der Ansicht von Dezius. Exceptio actionis seu Juris sei diejenige, welche eine actio voraussetze, z. B. wenn ich den Titius zwinge mir 10 zu versprechen und ich klage, so habe ich die actio ex stipulatu, Titus hat aber dagegen die exceptio meins, welche die actio ex stipulatu ausschließt. Bezüglich der Vorschützung der Erceptionen wird dabei gesagt: Immo sufficit, quod proponatur factum, ex quo resultet exceptio, licet non dicat : Excipio, secundum Baldum (1). Exceptio intentionis seu facti sei diejenige, welche darthue, daß dem Kläger keine Klage zustehe, z. B. wenn ich dir die 10, welche ich dir schuldete, bezahlt habe, so ist die Klage aufgehoben. Wenn du nun nochmals klagst, so ercipire ich und schließe deine intentio aus, weil ich die actio nicht ausschließen kann, da sie nichtig ist (si Herum petis excipiam et excludam intentionem tuam, quia actione m non possum excludere, cum nulla sit). Dieß könne auch exceptio facti genannt werden, weil ebenso wie du de facto klagest, ich de facto ercipire. Bei der Hinweisung auf die verschiedenen Species der exceptiones facti seu intentionis heißt es weiter : Alio tarnen modo appellatur exceptio Juris vel facti, ut per Baldum etPanormitanum etc.; et in hac potest judex absolvere reum, eo etiam non petente, cum sit in judicio agens sine actione; ut tenent Barlolus et Pau­ lus in 1. Titia (134) D. de V. 0., licet Sozinus aliter dicat, scilicet quod, postquam po'nit, est vera exceptio. In der citirten L. 134 D. de V. 0. wird nun von einer stipulatio contra bonos moresgesprochen, und Bartolus sagt dazu: eine Pönalstipulation, welche zwischen Verlobten und deren Eltern

(1) Vgl. dazu Albrecht, Erceptionen, S. 118 u. § 25, des. i. f. Bei der Darstellung Albrecht's sind jedoch dessen bereits früher erwähnte eigen­ thümliche Ansichten, namentlich über den Ursprung der exceptio zu beachten.

Glossatoren.

301

über sponsalia eingegangen werde, sei ipso jure nichtig. sieht man ganz unzweifelhaft,

Hieraus

daß die Glossatoren und Postglossa-

toren an eine Berücksichtigung der sg. ipso jure wirkenden Gründe (Einreden) von sg. Amtswegen d. h. auch

ohne Berufen des Be­

klagten im Allgemeinen gar nicht gedacht haben (1).

Im Gegentheil

sieht man, daß sie die Nothwendigkeit der Vertheidigung von Seiten

des Beklagten forderten.

Denn

nur für den Fall unerlaubter

Rechtsgeschäfte, z. B. welche contra bonos mores, also verboten sind,

soll der Richter von Amtswegen

einschreiten und die Klage

abweisen, ein Grundsatz, der auch h. z. T. sowie bei konsequenter Annahme vollständiger

Bedenken unterliegt.

Berhandlungsmarime

nicht dem mindesten

Ja selbst dieß war nicht einmal unbestritten.

Eine besondere Unterscheidung

bei den replicationes

u. s. w.

findet sich nicht, weder in den Glossen, noch den späteren Schrift­

stellern (2). Bezüglich der Beweislast werden von den Glossatoren nur die

römischen Grundsätze vorgetragen, dabei aber vorzugsweise der Unter­

schied von affirmare und negare an die Spitze gestellt, und vielfach die Präsumtionen

zu Hülfe gerufen (vgl. § 20).

So wird z. B.

zu 1. 2 D. de probationibus gesagt, diese lex stelle zwei Regeln auf,

die erste, welche sage, daß wer affirmire, beweisen müsse. aber nicht richtig, wenn eine Vermuthung

für denjenigen

Dieß sei spreche,

welcher behaupte (qui dicit), z. B. im Falle der 1. 8 C. de jure

dot. (5, 12); die zweite Regel sei, daß wer negire, nicht zu beweisen

brauche, wie 1. 23 C. de probationibus sage.

Diesem scheine zwar

1. 5 C. de codicillis zu widersprechen, allein darin sei die Negative angegeben, daß der Erblasser nicht bei Sinnen gewesen sei, was für eine Affirmative gelte (3).

Darauf wird an einzelnen Beispielen

(1) Vgl. Glo. ad Tit. D. de exceptionibus. — (2) Vgl. Glo. ZU I. 2 D. h. t. und Pauli Lancelotti Inst. jur. can. III, 8, § 21. — (3) L. 5 c. de codicill’s 6, 36 (Diocl. et Max.) : Ne codicillos quidem furentem posse facere certissimi Juris est. Si igitur scriptura velut codicillorum patris tui fuit prolala, ut aliquid ex hac peti possit, asseveralioni luae, mentis eum compotem fuisse negantis, fidein adesse, probari convenit.

8 24. Canomsches Recht. — Glossatorcn.

302

dargethan, daß die verneinende Form, also das scheinbare negare nicht maßgebend sei, und hieraus folgendes Resultat gezogen :

Gerte si diligenter attendas, non est aliqua negativa, quae tacitam non habeat affirmativam.

Cave tarnen tibi, quia quae-

dam, ut dixi, putantur tacite affirmativae, quaedam non.

Ut

autem haec plene videas, die, quod est triplex negativa: facti, Juris et qualitatis.

Hierauf wird nun gesagt: Die negativa Juris (z. B. ich leugne,

daß du testiren kannst, ich leugne, daß du das Gebrauchsrecht hast), könne und müsse von demjenigen bewiesen werden, welcher sie vor­ schütze, weil vermuthet werde, daß Alles erlaubt sei. Negativa quali­

tatis sei diejenige, wodurch eine Qualität geleugnet werde, z. B. wenn behauptet werde: non est idoneus, non est dignus, non est diligens,

non est solvendo. Diese müsse von demjenigen bewiesen werden, wel­ cher sie vorschütze, ebenso wie bei der negativa Juris.

Die negativa

facti brauche, wenn nicht eine Bestimmung des Orts oder der Zeit

oder einer andern Sache beigefügt sei, niemals bewiesen zu werden,

weder direkt, noch indirekt, z. B. wenn Jemand sage, er sei nicht vorgeladen worden; wenn aber ein/ genauere Bestimmung beigefügt sei (si autem habet annexam determinationem), so sei ein indi­ rekter Beweis möglich. In der angegebenen Weise wird überall das eigentliche affir-

mare und negare mit Herbeiziehung der Präsumtionen untersucht(l).

Aus der Glosse zu 1.19 D. h. t. sieht man deutlich, daß zwar die Regel : actor probare debet inlentionem, reus exceptionem, anerkannt und festgehalten

wird, daß aber das eigentlich Maß­

gebende dabei der Unterschied zwischen affirmare und negare sei.

Aus dem Bisherigen sieht man, daß die Glossatorcn und Postglossatoren,

wie bereits früher bemerkt wurde,

nicht die Absicht

hatten, irgend welche vom rein römischen Recht abweichende Grund-

(1) Vgl. Glo. ad I. 3 u. 5 D. h. t. und die daselbst angegebenen ver­ schiedenen Meinungen bezüglich einzelner Fälle, ob eine wahre Affirmative oder Negative vorliege, besonders hier mit Bezug auf Joannes und Azo.

§ 25. Deutsche Rcichsgcsetze.

303

sätze einzuführen, sowohl bezüglich der Vertheidigung des Beklagten, wie auch der Beweistheorie. Allein die Richtung ihrer Zeit führte sie durch die Art und Weise der Behandlung zu vielen Aufstellungen und Unterscheidungen, welche Beth mann - Hollweg (1) mit Recht willkürlich und geschmacklos nennt. Eine Ausnahme macht hier die Abhandlung von BulgaruS über Proceß (2).

VI. Abschnitt.

§ 25. Deutsche

NetchSgesetze.

Die Kenntniß des gemeinen deutschen Reichsprocesses darf hier km Allgemeinen als bekannt vorausgesetzt werden. Ebenso die Art und Weise des Eindringens des römischen und canonischen Rechts in Deutschland, und deren Kampf mit dem einheimischen Rechte. (1) Versuche, S. 325. — (2) Vgl. Bethmann-Hollweg 1. c., -es. Note 13. — Fast ganz auf dem Standpunkte der Gloffatpren stchs Durand (*1296) in seinem Speculum juris, welcher namentlich streng an der Verhavdlungsmarime festhält, und bezüglich des Streitmaterials ein s. g. Verfahren von Amtswegen, resp, eine Berücksichtigung von Thatsachen, welche von den Par­ tien gar nicht -der nicht yi rechter Zeit vorgsbracht sind, gänzlich mißbipigt; Vgl. ed. Basil, pag. 623 : Probari (lebet ist, quod deductum est in judicium et super quo lis mota'est, srve directe, sivein modum exceptionis vel replicptionii. Si enim probatur per testes vel instrumenta aliud, quam deductum pst in judipium, vel si testes inducuntur super uno articulo et dicunt super alip, pon valet dictum eorum super illo. Vgl. Glo. ZU L. 21 D. de test. 22, 5, verbis : quod omnes testes dicunt, et super eo solo de quo est cnntroversia inducendi sunt testes.

304

§ 25. Deutsche

Nur ganz kurz mag Folgendes zur Erinnerung und Anknüpfung dienen: Der Aufschwung, welchen das Studium des N. Ns. seit Irnerius in Italien genommen hatte, erregte die Aufmerksamkeit der deutschen Kaiser bei ihren Zügen nach Italien. Friedrich I. umgab sich deshalb, so lange er in Italien war, mit Lehrern des R. Rs., begünstigte diese, sowie die Hochschule zu Bologna, erklärte sich für den Nachfolger der römischen Kaiser, besonders Justinian's, erließ neue Gesetze, wie dieser, und befahl, daß sie den vor­ handenen Sammlungen des R. Rs. einverleibt würden. Es bildete sich dadurch sehr bald die Ansicht, daß das R. R. das allgemeine kaiserliche Recht sei. Obgleich nun die Macht des Kaisers in Deutschland anerkannt wurde, auch schon in dem 12. und 13. Jahr­ hundert viele Deutsche auf den italienischen und französischen Univer­ sitäten studierten, so vergingen doch mehrere Jahrhunderte, bis die Ansicht, daß das R. R. ein gemeines kaiserliches Recht für Deutsch­ land sei, zur allgeineinen Anerkennung kommen konnte. Zu Anfang deS 15. Jahrhunderts war jedoch diese Ansicht durchgedrungen, so­ daß man das R. R. bereits den deutschen Rechtsbüchern des Mittel­ alters gleichstellte, ja es fand sogar sehr bald das R. R. in diese Rechtsbücher selbst Eingang. Seit Errichtung der Universitäten in Deutschland vermehrte sich das Studium des R. Rs. Aus den Collegienheften, sowie den Schriften der Rechtslehrer drang es in die Gerichte, namentlich in die Reichs- -und höheren Landesgerichte, welche größtentheils mit gelehrten (d. h. des römischen und kanoni­ schen Rechts kundigen) Juristen besetzt wurden. Da nun bei den Reichsgerichten, namentlich bei dem R. K. G. nach dessen Ordnung v. I. 1495 die Mitglieder schwören sollten : „nach des Reichs und gemeinen Rechten (d. h. dem römischen und kanonischen Recht) u. s. w. zu richten," so sah man darin eine Sanction der s. g. fremden Rechte. Schon im 14. und 15. Jahrhundert fing man an, das deutsche Recht durch das römische und kanonische Recht zu glossiren, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts stellte man umgekehrt nur das R. R. dar und fügte bloß das deutsche Recht als Ab­ weichung gelegentlich bei. Namentlich in das gerichtliche Verfahren

drang das R. R., noch mehr aber die Grundsätze des canom'schen und deS s. g. romanischen Processes ein. Das vollständige Uebergewicht, welches zu Anfang des 16. Jahrhunderts das R. R. erlangt hatte, erhielt.sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, wo eine in vielen Beziehungen erfolgreiche Reaction des germanischen Rechts sich erhob, namentlich in processualischer Hinsicht von Chursachsen aus. Gerade in der Zeit von 1500 bis 1650 war das Ansehen der römisch gebildeten Juristen am Bedeutendsten, indem der Lehr­ stuhl nur der Weg zu den höchsten Staatsämtern war. Namentlich wurden die s. g. gelehrten Juristen fast ausschließlich zur Conception der Reichsgesetze, sowie der seit dem Jahre 1500 sehr regsamen Particulargesetzgebung zugezogen.

Schon aus dieser allgemeinen Entwickelung ist es erklärlich,' daß wir auch bezüglich des hier zu betrachtenden Verhältnisses der Erceptionen zur Beweislast in den uns erhaltenen deutschen Reichs­ gesetzen auf römischrechtliche Grundsätze stoßen. Allein auch für das deutsche Recht vor dem Eindringen des römischen haben wir oben in § 23 gesehen, daß ersteres bezüglich der Beweistheorie auf den­ selben Grundlagen beruhte als letzteres, und auch ohne dessen Reception zu derselben Reihenfolge der Beweise mit der Zeit gelangt sein würde. Daraus erklärt es sich, daß in der Lehre von der Beweislast der vollständigen Reception des R. R. kein Hinderniß im Wege stand. Ebenso waren in dem deutschen Rechte bereits die Begriffe der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, sowie der Unterschied zwischen vorläufigem und definitivem Verfahren vorhanden , und es stand deßhalb auch hier der Aufnahme des R. R. nichts entgegen. Nur bezüglich der Art und Weise der Vertheidigung des Beklagten stand der vollständigen Reception des reinen R. N. das in Deutsch­ land üblich gewordene schriftliche und articulirte Verfahren entgegen, und bezüglich der Terminologie der einzelnen Vertheidigungsgründe war es sehr natürlich, daß deutsche Bezeichnungen für und neben römischen gebraucht wurden. So waren neben den römischen Worten defensio und exceptio namentlich die Ausdrücke: Ein­ rede, Ausrede, Ausflucht, Auszug und Anfechtung v. Helmolt, Bcwcislast.

nn

Üblich, und diese finden wir denn auch sowohl in den Reichs- wie Particulargesetzen nebeneinander, theils verschieden, theils gleichbe­ deutend, gebraucht (1). Was das articulirte Verfahren anbelangt, so läßt fich die Zeit seines Entstehens nicht genau nachweisen (2). Möglich ist es, daß das ältere germanische Fragen vor Gericht dazu mit Veranlassung gegeben. Man wandte aber darauf die römischen Grundsätze über interrogationes in jure an, und so entstand, namentlich als das schriftliche Verfahren zur Regel wurde (3), daraus ein eigenthüm­ liches Institut, indem nämlich der Kläger die von ihm aufgestellten Klagfacta in einzelne ün den Gegner gerichtete Fragen (articuli, positiones) zerlegte, welche dieser, namentlich nach den späteren Reichsgesetzen (4), mit Ja oder Rein beantworten mußte. Durch diese Beschränkung der Antworten (responsiones) konnte der Be­ klagte allerdings vielfach in eine unangenehme Lage gerathen, weil ihn die Form nöthigte, Alles, was nicht in einem nackten Ja oder Nein bestand, in Form selbständiger Artikel vorzubringen. Für diese Artikel des Beklagten entstanden verschiedene Namen, je nach den herkömmlichen Eintheilungen der Vertheidigungsgründe (vgl. § 24), z. B. Defenfionälartikel, Elifiv-, Peremtorial-Artikel und dgl. Da nun mit den Artikeln, soweit sie bestritten wurden, auch die Beweislast verbunden wurde, so suchte Kläger natürlich seine Artikel so einzurichten, daß Beklagter sie entweder alle zugestehen oder alle ableugnen mußte (5), ja eS wird nicht blos von den Schriftstellern der damaligen Zeit, sondern geradezu von den Reichsgesetzen selbst

(1) Vgl. über die sprachliche Bedeutung dieser Worte die vortreffliche Er­ klärung von Weigand (F. L. K.), Wörterbuch der deutschen Synonymen. Mainz 1843, bei den betreffenden Worten, bes. N. 2268. — (2) c. un. X de L. C. 1,5; c. 1, VI de confess. 2, 9; Clem. 2 de V. 8.; R. A. v. 1500, XII, § 3; R. A. v. 1507, I, § 5 ff. — (3) K. G. Q. V. 1495, § 10; K. G. O. v. 1500, XII, § 1; K. G. O. v. 1535, XL, § 1. 2. - (4) Z. B. K. G. O. v. 1555, III, 15, § 4 : „ Durch das Wort : Glaub oder nit glaub war (wahr) sein, ohn anhang." — (5) Vgl. ein Beispiel eines articulirten Klagltbells bei Bergmann, Beiträge zur Einleitung in die Praris der Civ. Pr. S- 163.

gesagt, daß die Positionen (Satzstücke) gemacht würden, um den Gegner zu fangen, und sich etwa den Beweis zu erleichtern (1). K. G. O. v. 1507, II. § 9 und 10 : Was zu beweisen zuge­ lassen, wird auch zugelaffen zu articuliren. Dan die artikel an statt der beweisung fürbracht werden. Item die artikel werden gemacht ad eliciendam confessionem, also das der so durch das erkennen (Bekenntniß) des widertails (Gegners) beweisen soll, wird enthoben von der beweisung; dan die erkandtnuß ist ein spezies der bewei­ sung (2). Dergleichen wir nun der Reihe nach und im Zusammenhänge die deutschen Reichsgesetze, so läßt sich allerdings nicht leugnen, daß die Terminologie bezüglich der Vertheidigung des Beklagten keine sehr bestimmte ist, daß die Ausdrücke oft durcheinander gebraucht werden, und bei der sonstigen tautologischen Schreibart derselben sich vielfach nicht genau sagen läßt, ob die Bezeichnungen als gleich­ bedeutend oder verschieden gebraucht seien. Allein es ist jedenfalls anzunehmen, daß mindestens dieselben Unterscheidungen darunter ver­ standen worden sind, welche die Gloffatoren, sowie namentlich D urand,-Bartolus und Baldus, die sehr häufig citirt werden, annehmen. Dabei ist aber der Umstand von Bedeutung, daß in den früheren Reichsgesetzen jedenfalls noch eine größere Präcision in der Terminologie herrscht, in den späteren Reichsgesetzen aber immer mehr abnimmt, eine Erscheinung, welche sich auch bei den juristischen Schriftstellern zeigt. Gerade in dieser sprachlichen Ver­ mischung liegt ein Hauptgrund der Verwirrung, welche h. z. T. in der Lehre von den Erceptionen, der Beweislast und dem officium judicis herrschen. Die Gloffatoren und die ihnen gleichzeitigen oder die unmittelbar folgenden Schriftsteller hielten den Unterschied zwischen defensio und exceptio zwar noch fest, sie generalifirten aber das Wort exceptio, und bezeichneten damit fast die gejammte Verthei­ digung des Beklagten (§ 24). Die Unterscheidungen wurden aber (1) Vgl. Damhouder, Practica gerichtlicher Handlungen C. 152; Durand 1. c. tit. de posit. — (2) Vgl. da)» L. 1, § 1 D. de interr. in jure 11, 1.

§ 25. Deutsche

308

immer weniger festgehalten, und damit auch die Begriffsverwirrung größer, sodaß wir schon bei Zanger (1) und Voet (2) nicht

blos die exceptio solutionis und novationis, sondern geradezu eine exceptio nullitatis aufgeführt finden, was nach römischen Begriffen

etwas Undenkbares ist.

So sagt auch Lancelottus in seinen Insli-

tutiones Juris can. III, 8, § 10 :

Peremtoriae seu elisoriae exceptiones sunt, quae in totum jus agentis perimunt; qualis est doli mali, meins, pacti conventi, solutionis, jurisjurandi, praescriptionis, transactionis et rei judicatae, et si quid contra leges factum esse dicatur. Noch weniger wurde aber bei den weiteren Behauptungen nach

der Vernehmlassung unterschieden, indem selbst die Glossatoren hier schon meistens ganz allgemein die Worte replicalio, duplicatio ge­

brauchten , ebenso wie die deutschen Reichsgesetze die Worte Replik, Duplik, oder Replikschrift, Duplikschrift. hörige Klarheit herrschte, sondern

Daß darüber keine ge-

man sich dabei mit allgemeinen

Redensarten begnügte, sieht man deutlich z. B. aus Lancelott 1. c. § 21 :

Dantur adversus exceptiones replicationes; de quibus multis agere supervacuum esset, cum institutae sint ad similitudinem exceptionum, quae adversus actiones opponuntur, de quibus si quis velit plenius intelligere, ex bis quae superius diffuse de exceptionibus posuimus, mutuari poterit. Ebenso wie nun die Glossatoren und die ihnen nachfolgenden

Schriftsteller das Wort exceptio zu allgemein gebrauchten, ebenso ist man in Deutschland, seit dem Aufkommen der deutschen Schrift­

sprache, in den Fehler verfallen, das Wort „Einrede" ganz allge­

mein für alle selbständigen Bertheidigungsgründe des Beklagten zu nehmen, so daß man nun progressiv dazu kam, entweder den römischen

Erceptionsbegriff für das heutige Recht ganz wegzuleugnen, oder

(1) De exceptionibus pars III. — (2) Comm, ad Fand. 44, 1, N, 4.

ReLchsgesetze.

309

doch jeden Unterschied zwischen Einrede und exceptio, Replik und replicatio u. s. w. (§ 17) zu bestreiten. Diese allgemeinen Behauptungen mögen hier genügen, da es zu weit führen würde, alle einzelnen Aussprüche der Reichsgesetze wörtlich anzugeben und zu commentiren. Dabei mag aber be­ merkt werden, daß eine Verkennung des reinen Erceptionsbegriffes in den Reichsgesetzen geradezu anzunehmen, nirgends sich rechtfertigen läßt (1). Nur folgende Stellen, welche theils in frühern Ausführungen schon erläutert sind, theils in dem folgenden § 26 besonders benutzt werden sollen, mögen hier wörtlich mitgetheilt werden :

(1) Man vergleiche für die Terminologie der Vertheidigungsgründe, so-

wie für die Beweislast der Reihe nach folgende Stellen : K. G. O. v. 1500 (zu Lindau und Freiburg), Tit. XII, h 1-9, XIII, § 1, XIV, XVI; K. G. O. v. 1507 I, § 5—7, 11, 14, II, § 9—11, III, § 14 : Und so etwas neues, oder neue articuli zugelaffen werden, sollen! diesclbige der eingcbrachtcn clag ge­ mäß sein, und aus der selbigen clagen gemacht werden. Wo aber sollichs nit ist, sollen! fie nii zugelaffen werden (vgl. L. 4 C. de tempor. 7, 63 Justi­ nian). Also so ainer in erster Jnstanßen geclag! hat umb ain käuff, soll er

in der AppellationSsach nit einbringen oder clagen umb geliehen gelt, oder mit ainer andern clagen (vgl. mit K- G. O. von 1555, III, Tit. 33, $ 5)>

K. G. O. v. 1507, IV, § 1 —4 : endtlich auszüg, ju ablapumg der clag, «ceptioneS peremtorie. V, § 2 : auSzüg des verdechtlichen richterS wider den richt«, den cläger und den gerichtszwang. K. G. O. v. 1521, XIV, § 5 : DilatoriaS erceptiones, das sein verzüglich einred; § 6 : einrede oder anfechtung; replik oder nachschrifft; § 7 : exceptiones dilatoriae und verzüglich einred; § 8 : peremtoriae oder endtlich einred, ob fie hievor nit vorgewendt waren, Defenflon oder andern behelff, wo er fie hctt, — artikelsweis in — — schriften einzubringen; replik oder gegenschrifft — duplik oder gegenschrifftSo dan also pedrr tail sein schlifft rinbracht, und yr ainem oder baiden beweisung auffzulegen not sein wirt — —. K. G. O. v. 1523, III» § 1—4 : peremtoria- und endtlich einred oder sonst ander defension — —. § 5, 7, 8 : einred, auszüg oder anfechten. K- G. O. v. 1527, § 9—13. St. G. O. v. 1555, Theil III, Tit. XII, § 1, 8; XIII, $ 1, 3, 4, 6; XIV, $ 2; XV, § 1—11; XVI, § 3, 8; XVII, $ 1; XVIII; XXIV-XXX; XXXII, § 3, 4 : solche und dergleichen exceptiones und einrede; XXXVI : andere einrede oder nothwendige Handlungen; R. A. v. 1570, § 79. D. A. v1600, § 81, 103, 105, 116, 126; Instr. pac. Osnabr. IV, $ 47; I. R. A. § 56 ; Einrede, erception und Außzug.

310

§ 25. Deutsche

K. G. O. v. 1507, V, 8 3, 4, 5, 9, 10. § 3. Darumb so der beclagt das libel ni'mpt, so bringt es ym faiit nachtm'l, dan er mag nit destininder alle außtzüg, so er hat fürbringen, unnd thut wol und sicher, so er die clag nimpt, dan darauß mag er sich vil beraten.

§ 4. Unnd sol solichs verstanden werden, so die auszüg wer­ den fürbracht wider den richter oder den gerichtszwang und den cläger. Dann die auszüg dilatorie, so den Haupthandel berüren, sollen fürbracht werden nach bevestigung des kriegs. Und das ist, so der beclagt hat den auszug, das er, der cläger, solichs mit vorder» sol vor ainen namhafftigen tag, zu latein Pactum de non petendo, oder das er nit pflichtig sei vor dem tag oder condicion; diesser auszug belang dan den Haupthandel, darumb verhindert er nit bevestigung des kriegs. § 5. Item alle diese auszüg sollens mit ainander fürbracht werden. § 9. Item diese auszüg, wie gemelt ist, sollent alle in gestalt der artikel fürbracht werden, und solichs nach der Regenspürger vrdnung: so der beclagt ercepirt wider den gerichtszwang; also, so er (litt ander ordenlichen richter hat, und das nit sol in erster Instantzen gezogen werden in dieß gericht; replicir der cläger, das er sein ordenlichen richter besucht hab, und er hab ym recht versagt; so duplicir der beclagt, das der richter zu derselbigen zeit auß andern gescheften verhindert ist worden, und hab ym am andern Termin gesetzt.

8 10. Jtein kn entlichen auszügen setz ain fall also: Es wer­ den gefordert zehn auß ainem contract; dargegen wirt ercepirt von dem geding nit zu fordern, zu latein de pacto de non petendo; wirt replicirt, das der cläger zu solchen pact durch betrug oder forcht sey eingeführt worden; duplicirt der beclagt, das der cläger hab den pact von neuem gemacht, und also für und für die fach also zu volfarn; und mag das recht, so aus der geschicht kompt, auch also fürbracht werden.

Reichsgksetzc.

311

K. G. O. v. 1555, Th. 111, Tit. 12. § 1 :

Auf den ersten Rechtstag, in fachen simplicis querelae,

8 1.

soll der Kläger---------seine klag in schafften------------ mit kurzen

werten fürbringen und fürlegen. Tit. XV, § 8 :

Was deß Antworters defension besangt, nach dem vermög der Recht, solch defenstonal Artikel, so die des Klägers Artikel wider-

werlig vor eröffnung und Publication deß Klägers Zeugen sag über­ geben, und auch bewiesen werden soll — —; wollen wir, daß fürohin ein jeder Antworter

solche seine widerwertige defenstonal

Artikel auf diesen Termin neben den responsionjbus — übergeben soll.

§ 9.

Was aber andere peremtoriales ArtickuloS qntrifft, die

soll der Antworter gleicher gestalt auf dießen Termin sqmptlich für­

bringen. Tit. 54. § 1:

Wir setzen ordnen und wollen, daß

die hieoben nit sonderlich und ausdrücklich

in allen und jeden fällen, in

dieser Ordnung deß

Gerichtlichen Proceß halben versehen, das gemein Recht statt­ haben, und vermög dessen gehandelt und procehiret werden soll.

I. R. 21. $ 34 : Daß--------- fürs erste solle der bißher in mehr weg mißbrauchte

modus zu articuliren und ad articuloS zu respondiren,-------------hinführo gäntzlich cassirt und auffgehoben, und hingegen in Sachen

stmplicis querelae ein jeder Kläger vor Gericht mit seiner notdurfft bereit erscheinen,

und-------- seine Klag oder Libell nit Articuls,

sondern allein Summarischer weiß, darinnen das factum kurtz und nervöse, jedoch deutlich und distincte, klar, auch da ihme beliebt, oder

der Sachen Weitläufftigkeit und Umbständen es erforderten, Puncten

weiß, verfast und ausgeführt seye, mit angehängter concluston und Bitt, nit allein den Gegentheil zu citiren, sondern auch zu condemniren.

8 37.

Soll der Beklagte--------uff die Klagen (mit hinfüri-

ger Berwerff- und Abschneidung des Wegs

der Peremtorialien,

Elisiv, Additional und anderer waserley Articulen, nur allein die

312

§ 25 Deutsche Reichsgesctze.

Probatorialien ausgenommen) kurtz,

nervöse und deutlich, auch

unterschiedlich und klar, ob und worin das factum anderst als vom Kläger vorbracht, und wie es sich eigentlich verhalte, specifice und

uff jeden Puncten mit allen seinen Umbständen anzeigen; wie auch, was er dabey dilatorie oder peremtorie einzuwenden haben möchte,

alles uff einmahl, bei Straff der präclusion einbringen (1). Bezüglich der Beweislast schließt sich der I. R. A. ganz an

die vorhergehenden Reichsgesetze an, allein man sieht aus dessen Bestimmungen, daß unwillkührlich durch den Wegfall der Artikel, nach welchen sich das Klage- und Vertheidigungsmaterial bezüglich

der Normirung der Beweislast für den Richter bequemer zerlegte,

die Schwierigkeit der Beweisnormirung bei dem

neuen Verfahren

sich wieder geltend machte, denn in § 80 wird, zwar zunächst nur

für- man data sine clausula, jedoch offenbar mit allgemeiner Anwend­ barkeit gesagt: ob dem Jmpetranten seine Narrata gleich anfangs

zu verificiren, oder aber dem impetrato sive reo feine eingewendeten

erceptiones zu beweisen obliege ? das lassen wir alles zu Ermeffigung und Befindung deß Richters, welcher nach gestaltsamer und Ge­

legenheit der Sachen, auch deren Umbständt, daraus er sich informiren muß, ob nemblich dem Kläger oder dem Beklagten

das onus probandi uffzubinden seye,

nach Bescheidenheit

der Rechten zu urtheilen hat, anheimbgestelt seyn.

(1) Vgl. mit R. A. von 1570, § 88; R. A. von 1594, 8 59 ff.; D. A. v. 1600, § 117 ff.

§ 26. Schluß. — Resultate für das heutige Recht. —

313

VII. Abschnitt.

§ 26.

Schluß. — Resultate für das heutige Recht. Nach den bisherigen Ausführungen bliebe übrig, die Ansichten

der Schriftsteller nach

die Gegenwart anzugeben.

uns hier nur noch

dem I. R. A. bis auf

Allein ebenso wie die Ansichten des ca-

nonischen Rechtes, der Gloffatoren und Postglossatoren nur im Allge­

meinen angegeben worden sind (§ 24), weil durch dieselben eine Aenderung der speziell erörterten römischen

Prinzipien (§ 1—22)

nicht beabsichtigt und herbeigeführt wurde, ebenso mag hier bezüglich der Doctrin und Praris

ratur genügen.

eine Verweisung auf die betreffende Lite­

Dieses kann um

so mehr geschehen, als wir uns

weder bezüglich des Begriffs der Erceptionen noch der Beweislast, noch auch deren Verhältniß zueinander irgend wie prinzipiell von

dem Standpunkte des

cesse entfernt haben,

römischen Rechtes in unserem heutigen Pro­ ferner eine vollständige Dogmengeschichte hier

wenig Interesse darbietet, wie für die Beweislast bereits Beth-

mann-Hollweg (1) bemerkt, was

aber

ebenso für die Unter­

scheidung des Vertheidigungsmaterials gilt (2), und endlich die Be­

kanntschaft mit dem Stande der Wissenschaft in den letzten Jahr­ hunderten hier füglich vorausgesetzt werden darf.

Jin Allgemeinen

dreht sich der Streit, soweit er hierher gehört, um die Fragen :

(1) Versuche, S. 325. — (2) Eine Ausnahme macht sowohl hier, wie in vielen andern Punkten Donell.; vgl. Comm. jur. civ. XXII, c. 1, wo na­ mentlich der römische Erccptionsbegriff noch ziemlich scharf festgehalten wird.

314

§ 26.

Schluß. — Resultate

A. Bezüglich des Streitmaterials : Ob der deutsche Begriff der

Einrede den der römischen exceptio verdrängt habe, oder ob letzterer noch bestehe, und zwar mit blos civilrechtlicher oder auch processua-

lischer Verschiedenheit? (1)

B. Bezüglich des Prinzips der Beweislast, ob der Satz actor probare debet, reus in exceptionibus actor, oder der Satz affir-

inanti non neganti incumbit probatio die Regel bilde, oder endlich

ob die Lehre von den Vermuthupgen das allein Maßgebende sei? (2) C. Bezüglich des officii judicis, ob die reine Verhandlungs-

marime h. z. T. gelte, oder im Interesse der materiellen Wahrheit

auch

für

Civilproceffe

eine unaufgeforderte Berücksichtigung

von

Thatsachen resp, eine sg. Offizialthätigkeit des Richters stattfinden müsse? (3)

Statt der Dogmengeschichte mögen die Resultate der bisherigen Ausführungen mit Bezug auf ihre praktische Anwendbarkeit für den heutigen gemeinen Civilproceß in ihren Hauptzügen hier zusammen­

gestellt werden: 1) Sowohl

bezüglich des Klaggrundes wie der Vertheidigung

des Beklagten, der Beweistheorie und des officii judicis gelten im Zweifel ganz die Grundsätze des römischen Rechtes (§1 — 22) (4). 2) Processualischer Klaggrund ist der Inbegriff derjenigen That­

sachen, welche mit Bezug auf den, von dem Kläger gewählten recht­

lichen Gesichtspunkt, das in der Klagschrift beanspruchte Recht als begründet darstellen.

Unter Thatsachen sind hierbei nur diejenigen Zustände und Er­

eignisse zu verstehen, welche sich auf die äußere Erscheinung des

(1) Vgl. darüber die Zusammenstellung der verschiedenen Ansichten bei Bayer, Vorträge, 6. Anst., S. 343 ff. zu Martin, § 95 — 98 und 157. — (2) Vgl. eine Zusammenstellung der Hauptansichten älterer und neuerer Schriftsteller bei Bethinann-Hollweg, Versuche, S, 325—331; Heffter, ©um» marium zu Weber, N. VI und VII, und Rizy, Beweisführung, § 12; und eine Zusammenstellung der bedeutendern Proceßschriftsteller des Mittelalters und

der neueren Zeit für das gemeine und Particularproceßrecht bei Heffter, System des R. D. Civ. Pr. § 23 -30. - (3) Vgl. Sinterns, Erläuterungen, N. VII. - (4) K. G. O. ». 1555, Th. III, Tit. 54. § 1.

klagbar gemachten Rechtsverhältnisses beziehen, nicht aber die Fähigkeit oder Willensfreiheit der Personen, oder die besonderen Eigenschaften des Gegenstandes, ebensowenig die Nebenbestimmungen bei Geschäften, falls nicht gerade aus den genannten Gründen, z. B. dem Mangel einer Eigenschaft, oder dem Eintritt einer Bedingung u. s. w., das Klagrecht überhaupt oder die concrete Gestaltung des Klaggesuchs hergeleitet wird. Auf die bejahende oder Verneinende Fassung der Klage kommt an sich nichts an. Es fragt sich, welche Erfor­ dernisse (Elemente) stellen die Rechtsquellen gerade für die vom Kläger erhobene Klage auf. (§ 12 ff.) 3) Die Vertheidigung ist für den Beklagten'nicht bloß ein Recht, sondern auch eine Pflicht. Jedes materielle Unrecht, welches er durch Vernachlässigung dieser Pflicht resp. Versäumung seines Rechts er­ leidet, wird processualisch nicht als Unrecht betrachtet, weil in dem Processe das förmliche Recht auch als wirkliches Recht gilt.

4) Der Endzweck jeder Vertheidigung des Beklagten ist die Wirkung auf das Urtheil, d. h. Freisprechung, soweit sie möglich ist. 5) Die Vertheidigung des Beklagten ist entweder bloße Klag­ ableugnung, oder eine Einrede, oder eine exceptio. Einrede und ex­ ceptio sind zwei verschiedene Begriffe. Das Wort Einrede ist an die Stelle der römischen defensio getreten, soweit diese eine noth­ wendig selbständige Bertbeidigung des Beklagten bezeichnet, z. B. Zahlung, Novation und dgl. Das Kennzeichen des Unterschieds zwischen Einrede und exceptio ist der Unterschied der Begriffe von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit (vgl. § 7). Demnach ist : a) Einrede, jede selbständige Behauptung des Beklagten, welche den formell und thatsächlich schlüssigen Klaggrund aus einem bei der angeblichen Entstehung des Klagrechts sogleich vorhandenen oderspäter eingetretenen Grunde als nichtig darstellt. Eine materiell dilatorische Einrede ist nicht möglich, weil es keine zeitweise Nich­ tigkeit giebt. Eine formell dilatorische Einrede ist möglich, soweit man bezüglich der Formalien des Processes zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit unterscheiden kann (vgl. § 15).

§ 26. Schluß. — Resultate

316

b) Exceptio ist das auf eine inaterielle Erception (vgl. § 7)

gestützte rechtliche Verlangen des Beklagten,

von der materiell be­

gründeten Klage ganz oder theilweise, für fetzt (dilatorisch) oder für

immer (peremtorisch) freigesprochen zu werden.

c) Jede Vertheidigung des Beklagten, welche weder unter den Gesichtspunkt der Einrede noch der Erception fällt, ist Klagableugnung. 6) Was für die Vertheidigung des Beklagten gegenüber der

Klage gilt, wiederholt sich für die fortlaufenden Verhandlungen der Parteien, und es sind dabei für die selbständigen Behauptungen des

Klägers die Ausdrücke: Replik und Replikation, für die des Be­ klagten die Ausdrücke': Duplik und Duplikation, u. s. w. als Bezeich­

nung der Begriffe der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit za unterscheiden, sodaß bezüglich der Reihenfolge der selbständigen Behauptungen und

Gegenbehauptungen

beider Parteien folgende Terminologie heraus­

kommt :

a) Klage, Einrede, Replik, Duplik u. s. w.

b) Klage, Erception, Replikation, Duplikation u. s. w. (vgl. § 17).

7) Der in Nr. 5 und 6 angegebene Unterschied hat nicht bloß eine civilrechtliche, sondern auch eine proceffualische Bedeutung. Letz­

tere äußert sich in folgender Weise : a) Gegen fede exceptio, replicatio, duplicatio u. s. w. ist fede

Art der Vertheidigung, also Ableugnung,

Einrede und exceptio

möglich, sodaß also namentlich bezüglich der Letzteren eine ausge­

dehnte Fortsetzung von Handlungen auf Grundlage des ursprüng­ lichen Verhältnisses möglich

und wirksam ist, weil stets nur der

Gesichtspunkt der Anfechtbarkeit vorliegt. b) Gegen eine Einrede bezüglich der späteren Vernichtung (rela­

tive Verneinung) ist nur Ableugnung, sowie eine Replik oder repli­

catio zulässig, welche sich auf die Entstehung der genannten Ein­ rede bezieht.

c) Gegen eine Einrede bezüglich der Entstehung

Ableugnung möglich.

ist

nur

für das heutige Recht.

317

d) Gegen Ableugnung ist nur Ableugnung zulässig. Alles was über diese Vertheiddigung hinausgeht, ist processualisch

unstatthaft, und muß aiigebrachtermaßen verworfen werden.

8) Bezüglich des Vorbringens von Behauptungen und Gegen­ behauptungen gilt im Civilprocesse die vollständige Verhandlungsmarime, und es darf der Richter Einreden und Erceptionen, Re­ pliken und Replikationen u. s. w., welche nicht rechtzeitig vorgebracht

sind, selbst wenn sie zufällig im Laufe des Processes,

z. B. durch

gelegentliche Zeugenaussagen, sich Herausstellen, wider Willen der dadurch bedrohten Partei in keiner Weise

sichtigen.

von AmtSwegen berück­

Ebensowenig darf der Richter über die Anträge der Par­

teien hinausgehen.

9) Alles waS von dem Gegner nicht zugestanden, oder notorisch ist,

oder rechtlich vermuthet wird, muß besonders bewahrheitet werden, weil der Richter ohne juristische Ueberzeugung nichts glauben darf.

Ein

Mittel, diese Ueberzeugung hervorzurufen, ist der von den Parteien zu

erbringende sg. Beweis. Dieser ist eine Last, welcher sich der Kläger für

seinen Klaggrund, der Beklagte für seine Einreden und Erceptionen, der Kläger für seine Repliken und Replikationen,

der Beklagte für

seine Dupliken und Duplikationen u. s. w. zu unterziehen hat. Diese Beweise sind sg. Hauptbeweise, d. h. sie sind nothwendig, wenn

die beweispflichtige Partei nicht sachfällig werden will.

In

der

Regel können nur für den vorliegenden Rechtsstreit erhebliche That­ sachen bewiesen, resp, vom Richter zum Beweis auferlegt werden,

falls nicht die Parteien den Ausgang des Processes von dem Be­

weise einer sonst irrelevanten Thatsache abhängig machen wollen, was als Vergleich behandelt wird.

Auch ist mit Einwilligung deS

Gegners eine freiwillige Uebernahme der Beweislast erlaubt.

10. Gegen jeden Hauptbeweis ist ein Gegenbeweis zu gestatten, soweit dieser nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, wie bei den Fictio-

nen (1).

(1) I. R. A. tz 54 : — — der Antworter, wann derselbe Gegenbeweißlhumb geführt hat----- . Die heutige Terminologie bezüglich der Be-

318

§ 26. Schluß. - Resultate

11. Die Grundsätze über Beweislast geben keinen ganz sichern

Maßstab ab, um zu unterscheiden zwischen Klaggrund, Klagableug­

nung, Einrede und exceptio. Die Beweislast ist nichts Wesentliches

in dem Begriffe der Einrede und exceptio.

Trotzdem kann

man

für die Erceptionen den römischen Satz : qui excipit, probare debet,

als Regel beibehalten.

Dabei ist aber die regelmäßige Beweislast

immer nur von dem Gesichtspunkte einer möglichen Folge zu be­

trachten.

Bezüglich der selbständigen Beweislast stehen die sg. Ein­

reden mit den Erceptionen, und in fortgesetzter Weise die Repliken

mit den Replikationen u. s. w. auf gleicher Linie.

Daraus ergiebt

sich von selbst, daß der Begriff der Erception und der Beweislast

nicht völlig aufeinanderpaffen, indem der letztere viel umfassender ist. 12. Die deutschen Reichsgesetze schließen sich jedenfalls bis auf

den I. R. A. resp. R. A. von 1570 durch Vermittlung der Glos-

satoren, ferner der Postgloffatoren Baldus (t 1400),

Bartolus (f 1357) und

sowie des damals angesehensten Practikers

Durand (f 1296) fast ganz an das römische Recht an.

Die

Worte Auszug, Einrede und Erception werden dabei in einer Weise

gebraucht, daß sich nicht mit Sicherheit entscheiden läßt, ob eine

Verkennung des Unterschieds zwischen Einrede und finde (1).

exceptio statt­

Die Ausdrücke Replik und Duplik werden ganz allge-

weislast ist vielfach folgende : Für den Beweis des Klägers braucht man den Ausdruck Hauptbeweis (probatio directa), für den Beweis des Beklagten den Ausdruck Gegenbeweis, und unterscheidet wieder bei letzterem den directen Gegenbeweis, d. h. den Beweis der Klagableugnung, und den s. g. indirekten Gegenbeweis, worunter man den Beweis der Einreden und Erceptionen ver­ steht. Den directen Gegenbeweis theilt man sodann wieder in bittet unmittel, baren und direkt mittelbaren Gegenbeweis, je nachdem er ein natürlicher oder künstlicher Gegenbeweis ist; vgl. Linde, Civ. Proc., § 236. 237. Diese

Terminologie, gegen welche sich schon verschiedene Schriftsteller erklärt haben, und für welche fast gar kein gesetzlicher Anhaltspunkt spricht, ist wegen der dadurch leicht herbeigeführten Verwirrung gänzlich zu verwerfen. Man reicht vollständig aus mit den beiden Ausdrücken : a. Hauptbeweis, d. h. Be­ weis des Klaggrundes, der Einrede, Erception u. s. w., und b. Gegenbe­ weis, d. h. Beweis der Ableugnung. — (1) Vgl. noch die Ratification von

1500, Tit. 14, § 1.

für das heutige Recht.

mein gebraucht ohne Unterscheidung,

und

319 eben so wie die Worte

Auszug, Einrede und Erception fast überall mit der Beweislast in

Verbindung

gebracht.

Hieraus sieht man,

daß die. Reichsgesetze

an die

beim Gebrauch dieser Worte in den meisten Fällen zunächst processualische Folge der BeweiSlast

Allein dadurch

dachten.

ist

man nicht genöthigt, eine Verkennung des eigentlichen Zwecks dieser Ausdrücke, namentlich der selbständigen Vertheidigung des Be­

klagten u. s. w.> sowie eine Vermischung des Unterschieds zwischen

Einrede und exceptio anzunehmen. 13. In den

nach

Reichsgesetzen liegt das offenbare Streben

Abkürzung ' des Processes (1).

Den

Culminationspunkt

erreichte

dies in der s. g. Eventualmarime, d. h. der Bestimmung, es sollten die Vertheidigungsgründe

des Beklagten gegen den Kläger,

des

Klägers wiederum gegen den Beklagten u. s. w., sobald es Zeit

sei, alle auf einmal vorgebracht werden.

Es fragt sich nun :

War es die Absicht des R. A. von 1570, sowie des I. R. Ä., die natürliche Entwicklung der thatsächlichen Verhältnisse, wie sie

im

R. R. und vor diesen Reichsgesetzen gestattet war, zu zerreißen, so daß nun die möglichen Einwendungen des Beklagten bereits in der

Klage berücksichtigt werden müßten, und dadurch viele eigentliche

Einreden und Erceptionen wegfielen und dem Gebiet der Klagab­ leugnung angehörten, oder war dies nicht die Absicht der genannten Reichsgesetze.

Die

Tendenz

der Eventualmarime

geht' zunächst

darauf, daß der Kläger von denjenigen Thatsachen, welche er in

der Klage angiebt, später nicht mehr abgehen dürfe, soweit sie zur

Begründung seiner Sachbitte nothwendig sind;

daß ferner der Be-

klagte alle diejenigen Umstände auf einmal angeben müsse, welche tt gerade gegen die Behauptungen der Klagfacta, sowie des daselbst

gewählten rechtlichen Gesichtspunktes

anzugeben

weis (2).

Hier-

(1) Vgl. K. G. O. v. 1521, Tit. 19, § 1 : Wan nun in verhörung und außfürung der gerichtlichen Proceß am höchsten die schleunigkait zu be­ trachten steht. — (2) Mit Ausnahme der fori declinatoria; vgi. I. R. A. § 34 und 37.

§ 26. Schluß. - Resultate

320

durch sollte keineswegs der natürliche Verlauf der Verhandlungen

zerrisse», und etwa btr- Begriff des Klaggrundes, der Einrede und

Erception u, f. w. geändert, resp, zusammengedrückt,

sondern nur

die Nachbringung von Einreden und Erceptionen, welche sofort auf die vorliegende Klage, von Repliken und Replikationen, welche auf die Vorgebrachten Einreden und Erceptionen u. s. w. paßten, abge­

schnitten werden.

Dieses zeigt sich nicht blos, wenn man die Bei­

spiele der K. G. O. von 1507, Tit. 5, 8 9 u. 10, namentlich die Worte : und also für und für'die fach also zu volfarn,

mit K. G. O. v. 1555, Th. III, Tit. 12, § 1, und I. R. 21.,

§ 34, sondern auch die spätern Concepte der K. G. O. nebst den

Ge­

meinbescheiden des R. K. G. vergleicht (1).

aber

Jedem sofort die Anschauung auf,

Hierbei drängt sich

daß die Zulassung einer solchen

Verhandlung möglicherweise den Proceß verschleppt.

Es kann

durch möglich werden, daß der Beweis erst mit der Replik, kation oder gar der Duplik, Duplikation beginnt, und die

der Eventualmarime dadurch vereitelt werden. klagte hierdurch sehr leicht benachtheiligt,

da­

Repli­

Vortheile

Auch wird der Be­

indem er frivolen Klagen

ausgesetzt ist, z. B. bei einem unter einer Suspensivbedingung ab­

geschlossenen Contract, oder gar wenn sich das beabsichtigte Geschäft noch in dem Kreise bloßer Präliminarien hielt, ferner bei Geldar-

lehn an Hauskinder u. dgl.; und außerdem der Beklagte vielleicht durch diö Perfidie des Klägers zur Uebernahme eines Beweises ge­

nöthigt wird, der streng rechtlichen Gefühlen nach den Kläger treffen

müßte.

Diese Anschauungsweise, welche sich schon in der Glo. zu

L. 9 C. de exceptionibus findet, hat viele Schriftsteller veranlaßt, ganz neue und sehr strenge Grundsätze über Vollständigkeit des

Klaggrundes aufzustellen, sowie dadurch Begünstigungen des Beklag­ ten in der Form der Klagableugnung herbeizuführen (2).

(1) Vgl. Concepte der K. G. O., Ausgabe von v. Selchow, Göttingen 1782, Th. I, S. 1071; Th. IN, S. 207 u. 660 G.-L; @. B. vom 9. Fbr. 1733 u. 11. Jan. 1769, S. 1097. u. Pr., Bd. 17, S. 260.

(2) Vgl. z. B. SintcniS, Ztschr. f. C.

Es ist eine unnatürliche und unwahre Künstelei, wenn man den Klaggrund zu sehr schrauben, namentlich auf das fetzige Dasein des Rechtes in der Weise stellen will, daß Kläger dafür den Be­ weis übernehmen müsse. Auch die römische formula, z. B. rem Ai. Ai. esse, Nm. dare facere operiere hatte einen ganz an­ dern Sinn und Zweck. Was zunächst die bloßen Präliminarien anbelangt, also einen Fall, wo nicht einmal ein klagbares pactum de contrahendo porlicgt, so ist es keinem Zweifel unterworfen, daß hier für den Beklagten die bloße Klagableugnung genügt. Wo aber ein Vertrag unter einer Suspensivbedingung oder einer Zeit- oder sonstigen Nebenbestkmmung abgeschlossen wurde, bedauert man ge­ wöhnlich den Beklagten, welcher die Nebenbestimmungen des Ge­ schäfts vorbringen und beweisen soll. Es sei eine Perfidie des Klägers, daß er die Nebenbestimmungen und accidentalia ver­ schweige , und dadurch den Beklagten in die Nothwendigkeit versetze, Dinge zur Sprache zu bringe», welche eigentlich der Kläger hätte bereits angeben müssen. Es widerstreite dies dem natürlichen Nechtsgefühl, z. B- bei Bedingungen oder Zeitbestimmungen. Ist dieses aber nicht gerade so der Fall, wenn der Kläger eine Summe nochmals einklagt, die ihm schon bezahlt wurde? Hier liegt eine Schlechtigkeit des Klägers vor, wenn er die Zahlung kannte, und trotzdem fällt es Niemandem ein, dem Kläger zuzumuthen, daß er den Beweis der Nichtzahlung erbringe. Kann der Beklagte die von ihm vorzuschützende Behauptung der Zahlung nicht beweisen, so muß er verurtheilt werden und nochmals zahlen. Man muß hier sagen, in Rechtsverhältnissen mag Jeder auf seiner Hut sein, und wer zahlt, mag sich eine Quittung geben lassen. Allein Letzteres bezieht sich nur auf die Erlöschung eines wirklich dage­ wesenen Rechts, und man könnte deßhalb sagen, dieses Beispiel sei untauglich, um die Belastung des Beklagten bezüglich der Ent­ stehung des Rechtsverhältnisses zu rechtfertigen. Es wird Niemand

den Betrug oder Zwang billigen, und dennoch muß Jeder zugeben, daß der Kläger die Abwesenheit desselben weder zu behaupten noch zu beweisen braucht. Ist es nicht eine Schlechtigkeit des Klägers, v. Helmolt, Beweislast. 04

322

§ 26. Schluß. - gkesultate

wenn er einen betrüglichen oder erpreßten Vertrag gelten- macht? Gewiß. Trotzdem muß der Beklagte die exceptio doli specialis oder metus vorschützen, und dieselbe in der Form eines Hauptbeweiseö darthun. Ja selbst wen» ohne Borschützen des Beklagten später z. B. Zeugen aussagen, -aß der Vertrag erzwungen oder durch Betrug herbeigeführt sei, so darf der Richter nach erfolgtem Ausschluß von Einreden und Erceptionen ohne Einwilligung des Gegners darauf keine Rücksicht nehinen, sondern muß den gezwungenen oder betrogenen Beklagten verurtheilen. Einem sentimentalen Ge­ müthe scheint dieß hart, einem Juristen aber durchaus zweckmäßig. Abgesehen von diesen allgemeinen Gründen läßt sich aber auch für das vorliegende positive Recht das Hereinzkehen der s. g. Nebenbe­ stimmungen in den Klaggrund durchaus nicht rechtfertigen. Denn sowohl in dem R. N. wie in den Neichsgesetzen steht gerade das Gegentheil, indem z. B. mit Bezug auf Durand in der K. G. O. ». '1507 V. § 4 die Behauptung des Beklagten , „daß er nicht schuldig sei vor dem Tag oder Conditio»", ausdrücklich zu den dila­ torischen Auszügen gerechnet, und an diese in § 8 eodem ganz all­ gemein die Beweislast geknüpft wird. Diese Bestimmungen sind durch spätere Gesetze nicht aufgehoben, und einen gegentheiligen ge­ meinsamen Gerichtsgebrauch oder communis doclorum opinio wird Niemand behaupten wollen, weil sonst keine Controverse vorhanden wäre. Sehen wir nun noch im Allgemeinen im Interesse einer guten Proceßpolitik auf die Fragen, ob es zweckmäßiger sei, dem Kläger aufzugeben, Alles, was er in thatsächlicher Hinsicht bezüglich des von ihm vor Gericht gezogenen Verhältnisses, wisse, sofort anzu­ geben und zum Bestandtheile seines Klaggrundes zu machen, oder ob man eine naturgemäße Entwicklung der Verhandlungen, so wie sich die Sache in der Wirklichkeit nach und nach zugetragen, zulasten solle, so sprechen für das Letztere die entschieden überwiegenden Gründe: a) Es liegt in dem Interesse des Klägers selbst, daß er sobald als möglich zu dennSeknigen komme. Die Erfahrung, welche hier kein geringes Gewicht in die Wagschale legt, zeigt, daß der Kläger

für das heutige Recht.

323

seinen Klaganspruch so erhebt, wie er am schnellsten zur Derurtheilung des Beklagten gelangt. Wenn er also aus einem späteren Ereignisse, z. B. einem Constitutum r dasselbe erreichen kann, wie aus einem frühern, z. B. einer Societät, so wird er in der Regel das spätere Ereigniß vorziehen, weil dadurch viele Verhandlungen über frühere Verhältnisse abgeschnitten werden. Die Erfahrung zeigt ferner, daß nicht leicht Jemand aus blosem Uebermuth sich in die unangenehme Rolle des Klägers versetzt, wenn er nicht seiner Sache sicher ist, oder sich in dem guten Glauben befindet, wirklich ein Recht zu haben; daß dagegen in der Regel dem Beklagten nicht viel daran gelegen ist, den Proceß schnell zu beendigen, und daß gerade von dieser Seite her die meisten Umtriebe und Verzögerungen kommen (1). b) Schon bei den Römern zu den Zeiten des Formularverfahrens überschritten die Verhandlungen, selten die Duplik oder duplicatio. Dieß ergeben die Quellen zur Evidenz (2). Dasselbe wird sogar für die Verhandlungen vor Einführung der Eventualmaxime in den deutschen Reichsgesetzen angegeben (3), und ebenso findet es h. z. T. in den meisten Fällen statt, selbst da, wo die in dem Hergang der Sache liegende Entwicklung auch für die Verhandlung zagelassen wird, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Rechtsverhält­ nisse in der Regel weniger umfangreich, als gerade innerhalb dieses Umfangs verwickelt und dunkel find. Es ist deßhalb eine regelmäßige Verschleppung der Sache gar nicht zu befürchten. c) Daß der Beweis vielleicht erst mit der Replik oder Repli­ kation beginnt, kann hier keinen Ausschlag geben, denn der Beweis ist nicht der Zweck des Processes, sondern er dient bloß als Mittel,

(1) c. 4 X de exc. 2, 25 : Qtioniam per dilatorias exceptiones malitiose nonmmquam causarum terminatio prorogalur; vgl. c. 5, X de dolo et centum. 2, 14. — (2) Vgl. z. B. § 3 J. de replic. 4, 14 und Keller, C. PS. 155. — (3) Vgl. z. B. K. G. O. v. 1507, IV, § 3 : „diese ordnung verbeut nit quadruplicas, wie wol sie nit sagt über die triplicas. Das ist darumb, dieweil selten über die triplicas werden gemacht quadruplice oder ercepirt."

§ 26. Schluß. - Resultate

324

um das in den Parteiverhandluiigen provocirte Urtheil des Richters

herbeizuführen.

Die Rücksicht auf die Beweislast wird allerdings

häufig eine Partei bestimmen, mehr oder weniger. Behauptungen aufzustellen, allein dadurch kann der natürliche Verlauf der Sache nicht verändert werden, indem sich hie Beweislast nach den Partei­

behauptungen, nicht, aber diese nach jener richten müssen. Auch kann es sechst bei der Ansicht, daß der Klaggrund Alles enthalten müsse, was der Kläger irgendwie für seine Klage vorbringen könnte, doch auch vorkommen, daß das Beweisbefahren erst mit der Replik, Re­

plikation oder der Duplik, Duplikation beginnt und in solchen Fällen könnte auch hier der Vorwurf gemacht werden, die Eventualmaxime

sei noch nicht genug durchgeführt.

Auf diesem Wege könnte man

am Ende zu dem Resultate kommen, daß überall nur zwei Schriften, oder vielleicht gar keine. Verhandlungen mehr stattfinden dürften.

d) Die Vorzüge einer Proceßbeschleunigung sind durch die Even-

tualmarime, wie sie der I. R. A. definitiv eingeführt hat, ziemlich

gesichert.

Wenn dazu eine sachgemäße Abkürzung der Fristen (i),

die Vermeidung von processualischen Restitutionen und Appellationen kommt, so wird so leicht von. einer fehlerhaften Proceßorganisation

nicht die Rede sein, können. Man kann überall zu weit gehen, z. B.

wenn man aus übergroßem Streben nach Abkürzung jede Proceßfrist auf 24 Stunden beschränken wollte, damit es recht schnell gehe. Die

Hauptsache ist, daß keine unnützen Verhandlungen zwischen den Par­ teien gepflogen oder, unnöthige Deduktionen gemacht werden.

dieser Ansicht gehen auch die Verfasser des letzten Concepts

Bon der

R. K. G» O. aus (2).

Zum Schlüsse mag folgende Bemerkung erlaubt sein. Zur Be­ stimmung des Klaggrundes, der verschiedenen Bertheidigungsgründe des Beklagten, sowie der Beweislast kommt es darauf an, genau

zu wissen, was die Gesetze für wesentlich zur Entstehung eines vor-

(1) Vgl Concept der & G. O. bei Selchow, Th. UI, S. 14, L. C2) Vgl. Selchow I, c. Th. UI, S. 615 und das Th, I, S. 1097, G. B. vom 11. Zan. 1769.

für das heutige Recht.

325

liegenden Rechtsverhältnisses erklären, was zur allgemeinen Gültig­ keit gehört, was insbesondere eine Nichtigkeit, was eine bloße An­ fechtbarkeit begründet. Deßhalb muß es bei dem Mangel eines genau präcissrten Gesetzbuches h. z. T. die Aufgabe, namentlich der Civilisten sein, bei der Darstellung des Wesens der einzelnen Rechts­ verhältnisse und ihrer Beziehungen zu anderen Rechtsverhältnissen so bestimmt wie möglich den Inhalt der Quellen zu ermitteln, ins­ besondere alle ungewissen Ausdrücke, worunter das Wort : „Ungül­ tigkeit" eines der beliebtesten ist, soviel als möglich zu vermeiden, und dafür bestimmtere, z. B. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, zu wählen.

Druck von Wilhelm Keller in Gießen.