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German Pages [373] Year 2018
Verena Kümmel
V ERGANGENHEIT B EGR ABEN ? Die gestohlenen Leichen Mussolinis und Pétains und der Kampf um die Erinnerung
Böhlau Verlag wien köln weimar
Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung : Paris Match, März 1973 Korrektorat : Sara Zarzutzki, Düsseldorf Einbandgestaltung : Guido Klütsch, Köln Satz : Michael Rauscher, Wien
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50433-5
I N H A LT
Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Thema und Fragestellung . . . . . . . . . 1.2 Historische Hintergründe des Vergleichs . 1.3 Analytischer Schlüssel : Zeremoniell . . . . 1.4 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . .
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9 9 24 40 47 57
2. Tod und Bestattung . . . . . . . . . . . 2.1 Todesumstände und Todesmeldung . 2.2 Aufbahrung . . . . . . . . . . . . . 2.3 Leichenschau.. . . . . . . . . . . . 2.4 Beisetzung . . . . . . . . . . . . . .
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3. Diebstahl der Leichen als Veränderungsimpuls . 3.1 Diebstahl.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Suche und Versteck . . . . . . . . . . . . . 3.3 Wiedererlangung.. . . . . . . . . . . . . .
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4. Rückführung oder Überführung. . 4.1 Erneute Aufbahrung . . . . . . 4.2 Transport.. . . . . . . . . . . 4.3 Bestattung . . . . . . . . . . .
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5. Bilanz.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
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| Inhalt
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivalien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitgenössische Zeitungen, Zeitschriften und Jahrbücher. . . . . . . Gedruckte zeitgenössische Darstellungen, Erinnerungsliteratur und Textsammlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfsmittel : Bibliografien, Lexika, Biografische Sammelwerke, Gesetzessammlungen, Internetquellen. . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 340 . 340 . 341 . 342 . 344 . 345
Personenregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
VORWORT
Dieses Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die ich unter dem Titel »Vergangenheit begraben ! ? Die Konflikte um die Leichen Pétains und Mussolinis« am 25. August 2016 an der Universität Duisburg-Essen verteidigt habe. Der Weg von der Aufnahme des Projekts bis zur Drucklegung war verschlungen und langwierig. Allen, die mich in dieser Zeit begleitet haben, bin ich zu Dank verpflichtet. Von Beginn an waren Ute Schneider und Christof Dipper an meiner Seite und haben das Dissertationsvorhaben stets mit wertvollen Anregungen, Hinweisen und Ideen betreut. Für ihre Unterstützung und das mir entgegengebrachte Vertrauen auf allen Etappen des Weges danke ich ihnen sehr. Den Arbeitsprozess ebenfalls eng begleitet hat Detlev Mares. Er versteht es wie kein anderer, zwischen den Rollen Advocatus Diaboli und Motivationscoach zu wechseln. Für seine Anmerkungen und seinen Rückhalt bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Annegret Holtmann-Mares, Stefan Schmunk und Katrin Springsgut sowie den Kolleginnen und Kollegen des Essener Lehrstuhls für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Anregende Diskussionen durfte ich auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Münsteraner Sonderforschungsbereich »Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution«, insbesondere in dem von Hans-Ulrich Thamer geleiteten Teilprojekt, führen. Früh im Arbeitsprozess konnte ich mein Bildmaterial mit Sigrid Schneider, der damaligen Leiterin des Fotoarchivs des Ruhr Museums, besprechen. Ihre Offenheit und ihre technischen und methodischen Hinweise waren eine große Hilfe bei der Einordnung der von mir verwendeten Quellen. Die Arbeitsgemeinschaft für die Neueste Geschichte Italiens und das Institut für Europäische Geschichte boten wichtige ideelle und finanzielle Unterstützung. Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom half zudem mit wertvollen Hinweisen und Unterstützung bei der dortigen Archivarbeit. Weiterhin bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Archive, Bildagenturen und Bibliotheken, die ich im Laufe des Projekts konsultiert habe. Der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften bin ich zum Dank für einen Druckkostenzuschuss verpflichtet.
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| Vorwort
Kirsti Doepner danke ich für ihr Interesse und die Aufnahme meiner Untersuchung in das geschichtswissenschaftliche Programm des Böhlau Verlags, Lena Krämer-Eis und Sara Zarzutzki für ihre Korrekturen und die Produktions vorbereitung. Danken will ich auch meinem Mann Michael, meiner Familie sowie meinen Freundinnen und Freunden. Als ich im Frühjahr 2018 das Manuskript für die Drucklegung überarbeitete, erzielten auch in Italien rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien große Stimmengewinne bei Parlamentswahlen, nachdem dies im Jahr zuvor bereits in Frankreich, Deutschland und weiteren europäischen Ländern geschehen war. Über mögliche Ursachen für diesen Rechtsruck wird viel debattiert. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse meiner Arbeit jedoch verwundert es, dass trotz entsprechender Berichterstattung die seit Jahren steigenden Besucherzahlen wie auch die offen gezeigten faschistischen Symbole an den Gräbern der autoritären Regimechefs Pétain und Mussolini weder zivilgesellschaftlich noch politisch als Warnsignal begriffen wurden. Dabei sind diese Gräber, wie die vorliegende Studie herausarbeitet, nach unterschiedlichen Abwägungen und Konflikten bewusst öffentlich zugänglich gemacht worden. Das Risiko, dass sich dort Totenkulte um die ehemaligen Regimechefs entwickeln würden, waren die Regierungen in der Nachkriegszeit eingegangen, denn so wurden die Gedenkfeiern für die Verstorbenen nicht mehr im Verborgenen, sondern an einem öffentlichen Ort zelebriert. Die französische und die italienische Gesellschaft wurden damit konfrontiert, dass Teile von ihnen immer noch Verehrung für die ehemaligen Regime ausdrückten. Die Gräber von Pétain und Mussolini können so als Seismografen für die Akzeptanz rechter Werte und reaktionären Gedankenguts in der Gesellschaft fungieren. Darmstadt im April 2018 Verena Kümmel
1. E I N L E I T U NG
Am 28. April 1945 in Giulino di Mezzegra nahe des Comer Sees erschossen, am 29. April auf dem Piazzale Loreto in Mailand zur Schau gestellt, wurde Benito Mussolini anschließend in aller Heimlichkeit anonym auf einem Mailänder Friedhof beigesetzt. Doch damit war die Bestattung des ehemaligen Duce noch nicht abgeschlossen : 1946 wurde der Leichnam aus dem Grab entwendet, zunächst von Dieben, dann elf Jahre von der Regierung versteckt und 1957 in Predappio endgültig beigesetzt. Am 15. August wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, stattdessen lebenslang inhaftiert, starb Philippe Pétain am 23. Juli 1951 auf der Atlantikinsel Yeu. Doch damit war die Bestattung des ehemaligen Marschalls von Frankreich und Regierungschefs des Vichy-Regimes noch nicht abgeschlossen : Anwälte forderten Revision und Translation, der Sarg wurde 1973 gestohlen, nach drei Tagen erfolgte die Wiederbestattung auf der Insel Yeu. Die Parallelen zwischen beiden Fällen sind offensichtlich : Die Bestattungen zweier umstrittener autoritärer Regimeführer zogen Auseinandersetzungen bis weit über ihren Tod hinaus nach sich. Dabei handelt es sich nicht um »postmortale« Kuriositäten – wie in dieser Arbeit gezeigt werden wird, war der Umgang mit den Leichen in beiden Fällen Teil der gesellschaftlichen und politischen Selbstverständigung in den neuen politischen Systemen und der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Diese Debatten hallen bis heute nach, doch ausgetragen wurden sie in der Phase zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den jeweiligen Wiederbestattungen. Der Verlauf dieser Auseinandersetzungen wird im Folgenden vergleichend untersucht werden. Dabei zeigt sich insbesondere, wie in beiden Fällen die Ausgestaltungen der Bestattungen die politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse der Nachkriegszeit widerspiegelten. Die Arbeit bildet damit einen Beitrag zur vergleichenden Geschichte post-diktatorischer Neuorientierungen sowie methodisch zu einer Kulturgeschichte des Politischen.
1.1 Thema und Fr agestellung Als US-Präsident Barack Obama Anfang Mai 2011 verkündete, dass Osama bin Laden von amerikanischen Geheimdienstkräften getötet worden sei, dauerte es
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| Einleitung
nicht lange, bis Beweise für den Tod des Terroristenführers in Form von Fotografien und medizinischen Tests eingefordert wurden.1 Die Entscheidung der US-Regierung, den Leichnam bin Ladens auf See zu bestatten, hatte Raum für Verschwörungstheorien geschaffen, und diese konnten auch nicht durch den Hinweis eingedämmt werden, dass ein Begräbnis nach muslimischen Geboten innerhalb eines Tages stattfinden solle.2 Nach dem Tod Muammar al-Gaddafis Ende Oktober desselben Jahres setzten die Rebellen in Misrata auf eine andere Strategie. Zwar gab es auch hier kein Bild vom Moment des Todes, doch stellten sie die sterblichen Überreste des Diktators in einem Kühlhaus aus, so dass sich Bevölkerung, Journalisten und Kamerateams selbst von der Identität der Leiche überzeugen konnten.3 Im Anschluss an die viertägige Aufbahrung wurde Gaddafi an einem geheimen Ort in der Wüste bestattet. Diese beiden aktuellen Beispiele verdeutlichen, dass die Bedeutung eines politischen Führers nicht zeitgleich mit seinem Tod endet. In den beiden genannten Fällen wurden die Entscheidungen, wie mit den Leichnamen verfahren werden sollte, mit Blick auf die Zukunft getroffen. Weder die Regierung der Vereinigten Staaten noch die Kämpfer des libyschen Übergangsrates hatten ein Interesse daran, den Toten einen Platz in der jeweils angestrebten neuen gesellschaftlichen Ordnung zu gewähren. Die Leichen dieser politischen Führer mussten verschwinden, aber gleichzeitig sollte kein Zweifel an ihrem Ableben bestehen. Dies ist ein Konflikt, mit dem Regierungen nach Systemwechseln und in Übergangsphasen immer wieder konfrontiert werden. Die Liste der Beispiele ist lang und wächst beständig weiter. Die amerikanische Anthropologin Katherine Verdery hat dies mit Blick auf die sozialistischen Länder nach 1989 als »[t]he political lives of dead bodies« beschrieben.4 Eine grundlegende Übergangsphase in Europa markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs. Zu diesem Zeitpunkt stellte sich für viele Nationen die Frage, 1 Berndt, Christina : »Das Erbgut des Osama bin Laden. Wie aussagekräftig ist der DNS-Test des Al-Qaida-Führers ?«, in : Süddeutsche Zeitung, 6. Mai 2011, S. 18. Es kursierten sogar gefälschte Bilder des toten bin Laden, z. B. Graff, Bernd : »Bilder getöteter Erzfeinde. Das Antlitz des Todes«, in : Süddeutsche online, 3. Mai 2011, URL : http://www.sueddeutsche.de/ kultur/zum-bild-des-getoeteten-bin-laden-das-antlitz-des-todes-1.1092258 [23.4.2018]. 2 Wernicke, Christian : »Osama bin Laden ist tot«, in : Süddeutsche Zeitung, 3. Mai 2011, S. 1. 3 Hermann, Rainer : »Gegen Gaddafi, für Gerechtigkeit«, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Oktober 2011, S. 8 ; ders.: »Gaddafi an geheimen Ort in der Wüste beigesetzt. Kontroverse über Umgang mit Leichnam des Diktators«, in : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Oktober 2011, S. 1. 4 Verdery, Katherine : The Political Lives of Dead Bodies. Reburial and Postsocialist Change, New York 1999.
Thema und Fragestellung |
wie sie mit ihrer Vergangenheit und insbesondere mit ihren Ex-Diktatoren sowie ehemaligen Führern der rechten Parteien und Kollaborateuren umgehen sollten, schließlich waren die faschistischen Bewegungen und ihre Vertreter vollkommen diskreditiert. Gebildet hatten sich faschistische Bewegungen nach dem Ersten Weltkrieg in ganz Europa, doch nur in Italien und Deutschland waren sie auch an die Macht gelangt. Als diese beiden Länder ihre Expansionspolitik begannen und der Zweite Weltkrieg ausbrach, waren häufig die faschistischen Bewegungen die ersten Verbündeten der deutschen oder italienischen Armeen. Die Kollaboration war für die einheimischen Faschisten ihre Chance, an der Macht teilzuhaben. Personen wie Vidkun Quisling in Norwegen bemühten sich aktiv um eine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. In den Marionettenregierungen und Satellitenstaaten entwickelten sich unterschiedliche Formen der Unterstützung und Abhängigkeiten. Während in Frankreich der vom französischen Präsidenten zur Rettung gerufene Nationalheld Philippe Pétain die Kollaboration mit Deutschland nach dem Waffenstillstand im Herbst 1940 formalisierte und durch eine Radioansprache der Bevölkerung bekannt gab,5 hatte sich Ungarn unter dem seit 1920 amtierenden Reichsverweser Miklós Horthy bereits im selben Jahr dem Dreimächtepakt und im Juni 1941 dem Krieg gegen die Sowjetunion angeschlossen. Erst als die ungarische Regierung 1944 versuchte, Friedensverhandlungen mit den Alliierten aufzunehmen, besetzten deutsche Truppen das Land und griffen aktiv in die Besetzung politischer Ämter ein. Andere Präsidenten erhielten ihre Befehle direkt aus Berlin, wie Jozef Tiso für die Slowakei oder Ante Pavelić für Kroatien.6 Wie sollte mit solchen Personen nach Kriegsende umgegangen werden ? Diejenigen, die nicht bereits getötet worden oder geflohen waren, mussten nun die Konsequenzen tragen. In Deutschland und Österreich wurde die Entnazifizierung durch die Alliierten organisiert und frühzeitig rechtlich gefasst. Die 5 Hier sei nur auf die knappe Darstellung Gosewinkel, Dieter : Die Illusion der europäischen Kollaboration. Marschall Pétain und der Entschluss zur Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Deutschland 1940, in : Themenportal Europäische Geschichte (2007), URL : http://www.europa.clio-online.de/2007/Article=116 [23.4.2018], verwiesen. 6 Davies, Peter : Dangerous Liaisons. Collaboration and World War Two, Harlow 2004, S. 13. Neben Davies : Dangerous Liaisons, nehmen vor allem Sammelbände das Thema Kollaboration in europäischer Perspektive in den Blick, z. B. Benz, Wolfgang ; Houwink ten Cate, Johannes ; Otto, Gerhard (Hg.) : Anpassung, Kollaboration, Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation, Berlin 1996 ; Gilzmer, Mechthild (Hg.) : Widerstand und Kollaboration in Europa, Münster 2004.
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| Einleitung
anderen europäischen Länder, so sie nicht von der Sowjetunion vereinnahmt wurden, mussten eigene Lösungen im Umgang mit Faschisten, Kollaborateuren und Landesverrätern finden.7 Diese Lösungen fielen, wie im Folgenden noch genauer dargestellt wird, durchaus unterschiedlich aus, doch vor allem zwei Beisetzungen lösten besonders heftigen Protest aus und bieten bis heute Anlass für politische Auseinandersetzungen – die Bestattungen von Benito Mussolini 1945 in Mailand und Philippe Pétain 1951 auf der Atlantikinsel Yeu. Der Widerspruch richtete sich in Frankreich dagegen, dass Pétains Wunsch nach einem Begräbnis in der Nähe der Schlachtfelder von Verdun nicht stattgegeben worden war ; bis heute setzen sich in Frankreich Organisationen für eine Überführung des »Helden von Verdun« in das Beinhaus von Douaumont am Schlachtfeld von Verdun ein.8 Im Unterschied zu Pétain wurde Mussolini zwar umgebettet, aber auch seine letzte Ruhestätte in Predappio ist immer wieder Auslöser öffentlicher Diskussionen.9 Wieso diese anhaltende Beschäftigung mit den Gräbern der ehemaligen Regimechefs in Frankreich und Italien ? Diese andauernde Aktualität der Auseinandersetzungen lenkt den Blick auf die historischen Ursprünge der Bestattungsdebatten, die in der vorliegenden Untersuchung komparatistisch analysiert werden. Im Einklang mit den Erkenntnisinteressen der »politischen Kulturgeschichte« werden die Bestattungen interpretiert als Übergangsrituale,10 die von besonderer Bedeutung sind in Gesellschaften, die sich in von Unsicherheit gekennzeichneten Schwellenphasen befinden. Die Zeremonien verfügten innenpolitisch sowohl über Spreng- als auch über Integrationskraft, je nachdem, 7 Musiał, Bogdan : Auf dem Schlachtfeld zweier totalitärer Systeme. Widerstand und Kollaboration in Polen 1939–1945, in : Gilzmer : Widerstand und Kollaboration in Europa, S. 31–60, hier S. 31. 8 Die bekannteste dieser Organisation ist l’Association pour défendre la mémoire du maréchal Pétain. Sie wird im Verlauf der Arbeit noch eingehender vorgestellt werden, einen Eindruck von ihren gegenwärtigen Aktivitäten bieten ihre unterschiedlichen Internetpräsenzen, URLs : www.admp.org ; http://www.marechal-petain.com/admp.htm ; https://www.facebook.com/ Association-pour-D%C3%A9fendre-la-M%C3%A9moire-du-Mar%C3%A9chal-P%C3%A9tain-597750770495468/timeline [21.12.2015]. 9 Einen kurzen Überblick dazu bietet der Artikel Maxwill, Peter : »Faschismus-Kult in Italien. Beten für Benito«, in : Spiegel online, 1. Oktober 2015, URL : http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ italien-wie-faschisten-in-predappio-benito-mussolini-ehren-a-1054188.html [21.12.2015]. 10 Dazu in Anlehnung an die Arbeiten von van Gennep bspw. Andres, Jan ; Schwengelbeck, Matthias : Das Zeremoniell als politischer Kommunikationsraum : Inthronisationsfeiern in Preußen im »langen« 19. Jahrhundert, in : Frevert, Ute ; Haupt, Heinz-Gerhard (Hg.) : Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt a. M. 2005, S. 27–81, hier S. 28.
Thema und Fragestellung |
wie sie ausgestaltet wurden. Sie sind daher für die historische Untersuchung von sozio-politischen Transformationsprozessen sehr aufschlussreich. An den Bestattungen entzündeten sich Auseinandersetzungen, die den Herrschaftswechsel symbolisch demonstrierten und dazu beitrugen, die neuen politischen Ordnungen zu konstituieren ; die Bestattungen wirkten dadurch weit über die ursprüngliche Übergangsphase zwischen den Regimen hinaus. Mussolini und Pétain sind nur zwei Beispiele aus der Vielzahl von Fällen, in denen sich Gesellschaften am Ende des Zweiten Weltkriegs der Frage nach dem Umgang mit nun missliebigen ehemaligen politischen Führern stellen mussten. Um die Spezifika der Fälle von Pétain und Mussolini in der Übergangsphase nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdeutlichen, ist ein vergleichender Blick auf die Todes- und Bestattungsumstände weiterer zeitgenössischer Diktatoren und führender Kollaborateure erforderlich. Dazu dient das folgende Frageraster : Wurden Diktatoren bzw. Kollaborateure juristisch zur Verantwortung gezogen und wenn ja, mit welchem Urteil ? Wie kamen sie zu Tode, durch eine juristisch angeordnete Hinrichtung, durch natürliche Ursachen oder wurden sie ohne Prozess getötet ? Auf welche Weise wurden sie bestattet : im Sarg, kremiert oder auf See ? Damit eng verbunden sind die Fragen nach der Art der Grab stätte, also auch der Zugänglichkeit und dem Ort des Grabes. Die Antworten auf diese Fragen begründen die Auswahl des italienischen und französischen Beispiels für eine vertiefende Untersuchung. Tabelle 1 vermittelt einen groben Überblick über das Schicksal der Diktatoren und politischen Führer in von Deutschland besetzten europäischen Ländern. Daraus ist ersichtlich, dass sich 1945 nur wenige aus dieser Personengruppe einem Prozess entziehen konnten : General Franco, weil sich Spanien nicht am Zweiten Weltkrieg beteiligt hatte und er bis zu seinem Tod im Jahr 1975 weiter regierte ;11 Adolf Hitler, indem er Selbstmord beging und sogar seinen Körper durch Verbrennung dem Zugriff der Alliierten entziehen wollte ; andere, indem sie sich ins Ausland absetzten. Ein offizieller Prozess war auch Mussolini nicht gemacht worden, er wurde von italienischen Widerstandskämpfern erschossen. Im Gegensatz dazu wurden die Todesurteile von Philippe Pétain und Georgios 11 Anders als Pétain und Mussolini starb er also, während er an der Macht war, und hatte über seine Bestattung selbst bestimmt. Er wurde in der von ihm initiierten unterirdischen Grabanlage im Valle de los Caídos beigesetzt. Auch wenn die Grabstätte und die damit verbundene Ehrung eines Diktators in der heutigen spanischen Gesellschaft sehr umstritten ist, so unterscheidet sich die spanische Diskussion grundlegend von der in Frankreich und Italien. Zur Kritik an dem Totenkult um Franco bspw. Cáceres, Javier : »Ruhestörung im Tal der Gefallenen«, in : Süddeutsche Zeitung, 30. November 2011, S. 13.
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| Einleitung
Tsolakoglou in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Im Fall Tsolakoglous vermutlich, weil er bereits schwer krank war, und im Fall Pétains, da ihm für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg immer noch Respekt entgegengebracht wurde. Er starb sechs Jahre nach Kriegsende. Pétains Begnadigung war genauso wie die Exekution Mussolinis ohne Prozess eine Ausnahmeerscheinung im juristischen Umgang mit den ehemaligen Regimeführern am Kriegsende. Tabelle 1 : Umgang mit Diktatoren und Kollaborateuren des Zweiten Weltkriegs in Europa.* Name
Lebens- Todesart daten
Prozess
Funktion
Sterbeort
Grab
Anto nescu, Ion
1882– 1946
Hingerichtet (erschossen)
Ja, Todesurteil
Rumän. Regierungschef
Jilava
Eingeäschert und verstreut
Bárdossy, 1890– László 1946
Hingerichtet (erschossen)
Ja, Todesurteil
Ungar. Ministerpräsident
Budapest
nicht bekannt
Degrelle, 1906– Léon 1994
Natürlich
Ja, Todesurteil in Abwesenheit
Anführer der belg. Rexisten
Málaga (Spanien)
Eingeäschert und verstreut, angeblich in Belgien
Franco, Francisco
1892– 1975
Natürlich
Nein
General ; Span. Madrid Regierungschef
Hácha, Emil
1872– 1945
Ermordet Geplant ; im Gefängnis ermordet
Präsident des Protektorats Böhmen und Mähren
Prag
Friedhof PragVinohrady
Hitler, Adolf
1889– 1945
Selbstmord
Nein
Reichskanzler, ab 1934 Personalunion Reichspräsident
Berlin
Eingeäschert ; anonym, an unbekanntem Ort
Horthy, Miklós
1868– 1957
Natürlich
Nein
Ungar. Reichs- Estoril verweser (Portugal)
1993 Translation nach Kenderes, Familiengruft
Laval, Pierre
1883– 1945
Hingerichtet (erschossen)
Ja, Todesurteil
Franz. Ministerpräsident
Cimetière du Mont-parnasse in Paris
Paris
Monumento Nacional de Santa Cruz del Valle de los Caídos
Thema und Fragestellung | Name
Lebens- Todesdaten art
Prozess
Funktion
Sterbeort
Grab
Mussert, 1894– 1946 Anton Adriaan
Hingerichtet (erschossen)
Ja, Todesurteil
Anführer der niederl. NS-Bewegung
Den Haag
Anonym, Massengrab, 1956 Graböffnung, anonymes Einzelgrab
Mussolini, Benito
1883– 1945
(erschossen)
Nein
Ital. Ministerpräsident ; Regierungschef der Republik von Salò
Giulino de Mezzegra, nahe Como
Anonym, 1946 Graböffnung, 1957 Translation nach Predappio
Pavelić, Ante
1889– 1959
Ungeklärt
Ja, Todesurteil in Abwesenheit
Staatschef des Unabhängigen Staates Kroatien
Madrid
Cementerio Sacramental de San Isidro Madrid
Pétain, Philippe Henri
1856– 1951
Natürlich
Ja, Todesurteil, aber lebenslange Haft
Marschall von Frankreich ; Staatschef des Vichy-Regimes
Port Joinville auf der Insel Yeu (Frankreich)
Friedhof auf Yeu, 1973 Graböffnung, Wiederbestattung auf Yeu
Quisling, Vidkun
1887– 1945
Hingerichtet (erschossen)
Ja, Todesurteil
Norweg. MiOslo nisterpräsident
Eingeäschert ; in Fyresdal beigesetzt
Szálasi, Ferenc
1897– 1946
Hingerichtet (erhängt)
Ja, Todesurteil
Ungar. Staatschef
Budapest
Neuer Friedhof in Budapest
Tiso, Jozef
1887– 1947
Hingerichtet (erhängt)
Ja, Todesurteil
Anführer der Pfeilkreuzer Slowak. Staatspräsident
Bratislava
Martinsky Cintorin in Bratislava
Tsolakoglou, Georgios
1889– 1948
Natürlich
Ja, Todesurteil, aber lebenslange Haft
General ; griech. Premierminister
Athen
nicht bekannt
* Die Zusammenstellung basiert auf der Nennung in Benz, Wolfgang ; Graml, Hermann ; Weiß, Hermann (Hg.) : Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 52007 ; Coppa, Frank (Hg.) : Encyclopedia of Modern Dictators. From Napoleon to the Present, New York 2006, und Davies, Peter : Dangerous Liaisons. Collaboration and World War Two, Harlow 2004. Für die Bestattungsorte die Online-Datenbank »Find a grave«, URL : http://www.findagrave.com.
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| Einleitung
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Todesart, also ob es sich um einen natürlichen Tod, eine Hinrichtung oder eine Ermordung handelt. Zusätzlich kann dann bei den Exekutionen noch zwischen den zwei Methoden Erhängen und Erschießen unterschieden werden. Erschießungskommandos waren für militärische Exekutionen üblich, die Verurteilten trugen dabei ebenfalls meist ihre Uniformen. Doch lassen die Autorinnen und Autoren, die sich mit der juristischen Aufarbeitung beschäftigen, überwiegend außer Acht, dass nicht nur die verhängten Strafen auf die neuen gesetzlichen und gesellschaftlichen Werte und Rahmenbedingungen verweisen, sondern dass beispielsweise auch die Form der Hinrichtung politische Aussagekraft hat.12 Wilhelm Keitel etwa empfand es als besondere Schmach, im Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg wie die übrigen Angeklagten zum »unmilitärischen« Tode durch den Strang verurteilt worden zu sein.13 In Ungarn erwirkte László Bárdossy, dass er nicht – wie im Urteilsspruch vorgesehen – gehängt wurde, sondern vor ein Erschießungskommando gestellt wurde.14 Die meisten in diesem Sample wegen Hochverrats verurteilten Personen sind erschossen worden, aber eine Erschießung bedeutete nicht zwangsläufig, dass es auch ein Gerichtsurteil gab, wie das Beispiel Mussolinis zeigt.
12 So bspw. Beigbeder, Yves : Judging War Criminals. The Politics of International Justice, New York 1999 ; Elster, Jon (Hg.) : Retribution and Reparation in the Transition to Democracy, Cambridge 2006 ; Kritz, Neil : Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon With Former Regimes, 2 Bde., Washington DC 1995 ; Lingen, Kerstin von : ›Crimes Against Humanity‹. Eine umstrittene Universalie im Völkerrecht des 20. Jahrhunderts, in : Zeithistorische Forschungen 8 (2011), Nr. 3, S. 373–394. 13 Gründler, Gerhard ; Manikowsky, Arnim von : Das Gericht der Sieger. Der Prozeß gegen Göring, Heß, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner u. a., Oldenburg 1967, S. 230. Die Richter des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg hatten sogar erwogen, ob die beiden Militärs unter den zum Tode verurteilten Hauptkriegsverbrechern abweichend zum Tode durch Erschießen verurteilt werden sollten, sich aber bewusst dagegen entschieden, da sie nicht Befehle ausgeführt hatten, sondern die Befehle gegeben hatten. Die Verurteilten durften allerdings ihre Uniformen zur Urteilsvollstreckung tragen. Lawrence, Geoffrey : The Nuremberg Trial, in : International Affairs 23 (1947), S. 151–159, hier S. 157 ; Heydecker, Joe Julius ; Leeb, Johannes : Der Nürnberger Prozeß, Köln 1995, Bildteil. 14 Die Erschießung Bárdossys wurde von Lee Miller fotografiert und gehört zu den bekanntesten Exekutionsfotos dieser Phase. Abbildung und Beschreibung durch Lee Miller bei Penrose, Antony : The Lives of Lee Miller, London 1990, S. 167 ; Benziger, Karl : The Trial of László Bárdossy. The Second World War and Factional Politics in Contemporary Hungary, in : JCH 40 (2005), S. 465-481 ; »Death Sentence On Bardossy. May Be Witness At Nuremberg«, in : The Times, 5. November 1945, S. 3 ; »Bardossy Executed«, in : The Times, 11. Januar 1946, S. 3.
Thema und Fragestellung |
Wenn jedoch die Entscheidung gefällt worden war, die juristisch oder moralisch für schuldig erachteten Personen zu töten, schloss sich daran die Frage an, was im Anschluss mit den Leichen geschehen sollte. Stand den Verstorbenen eine identifizierbare Grabstätte zu ? Oder sollten sie lieber anonym bestattet und vielleicht sogar eingeäschert werden, damit gar kein Leichnam mehr existierte ? In Rumänien wurde Ion Antonescu kremiert und anonym bestattet, eine Lösung, die auch für die im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zum Tode Verurteilten gewählt wurde.15 Doch die Einäscherung wurde sonst nur noch im protestantischen Norwegen angewandt, während die stärker katholisch geprägten Länder von dieser Praxis Abstand nahmen. Der deutsche Italienhistoriker Jens Petersen drückte einst mit Blick auf die neofaschistischen Aufmärsche in Predappio sein Unverständnis darüber aus, dass der neue italienische Staat die Leiche Mussolinis nicht zur Vermeidung eines Märtyrerkultes eingeäschert habe.16 Allerdings war die Feuerbestattung für Katholiken vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) offiziell nicht gestattet.17 Im katholisch geprägten Italien wurden die Überreste Mussolinis daher in einem anonymen Einzelgrab beigesetzt – eine Lösung, die auch für Pétain im ebenfalls katholisch geprägten Frankreich erwogen, dann aber zugunsten eines regulären Grabmals mit Namen verworfen worden war. Die anonyme Bestattung war weit verbreitet, um die Entstehung von Kultstätten zu verhindern und so auch das Totengedenken zu erschweren. Sie nimmt den Angehörigen, aber auch den Verehrern und Anhängern, einen wichtigen Ort der Erinnerung. Diese Verweigerung ist neben der Bilderverbrennung oder dem Denkmalsturz eine klassische Form der damnatio memoriae.18
15 Zum Deutschen Umgang mit den sehr unterschiedlichen Toten des Zweiten Weltkriegs z. B. Maciejewski, Franz : Trauer ohne Riten – Riten ohne Trauer. Deutsche Volkstrauer nach 1945, in : Assmann, Jan ; Maciejewski, Franz ; Michaels, Axel (Hg.) : Der Abschied von den Toten, Göttingen 2005, S. 245–266. 16 Petersen, Jens : »Zweimal Piazzale Loreto. Italiens unausweichliche Begegnung mit Mussolini«, in : FAZ, 2. Dezember 1998, S. N5. 17 Art. »Kremation«, in : Sörries, Reiner (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Bd. 1 : Volkskundlich-kulturgeschichtlicher Teil. Von Abdankung bis Zweitbestattung, Braunschweig 2002, S. 180–181. 18 Fleckner, Uwe : Damnatio memoriae, in : ders.; Warnke, Martin ; Ziegler, Hendrik (Hg.) : Handbuch der politischen Ikonographie, Bd. 1, München 2011, S. 208–215 ; Ries, Gerhard : Damnatio memoriae. Die Vernichtung des Andenkens an Verstorbene in Politik und Strafrecht, in : Herzog, Markwart (Hg.) : Totengedenken und Trauerkulturen. Geschichte und Zukunft des Umgangs mit Verstorbenen, Stuttgart 2001, S. 237–248.
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Somit kam der Wahl und der Zugänglichkeit des Bestattungsortes eine besondere Funktion zu, wenn es um die Frage ging, ob der Verstorbene auch nach seinem Tod noch einen festen und klar umrissenen Platz in der Gesellschaft hatte. Dabei ist dieser Platz eben nicht nur sinnbildlich, sondern konkret räumlich zu verstehen. Der Bestattungsort kann bei einer anonymen Bestattung die Ausgrenzung aus der Gesellschaft bedeuten, er kann aber – wie etwa bei den Beisetzungen im Pariser oder römischen Pantheon – auch eine besondere Ehre darstellen. Generell sah das Kirchenrecht entweder die Bestattung in der Familiengrablege oder auf dem Friedhof der Heimatgemeinde des Verstorbenen vor. Damit verblieb dieser meist in der Region, in der er auch gelebt hatte.19 In Zeiten von Krieg oder Bürgerkrieg wurde diese traditionelle Regelung freilich nicht unbedingt beachtet, doch nach Kriegsende gewann sie wieder an Geltung ; so wurde beispielsweise der hingerichtete Quisling in seinem Geburtsort Fyresdal beigesetzt.20 Die Entscheidung für oder gegen bestimmte Begräbnisstätten konnte jedoch Konflikte auslösen, die in den Fällen von Pétain und Mussolini, aber auch von Anton Mussert zur Öffnung der Gräber und dem Diebstahl der Leichen führten. Allerdings blieb es im Fall des Vorsitzenden der nationalsozialistischen Partei in den Niederlanden, Mussert, bei dem Versuch, seinen Leichnam 1956 aus seinem Grab zu stehlen.21 Während die Überreste von Benito Mussolini und Philippe Pétain ihren Gräbern entnommen wurden und für einige Tage oder auch Wochen verschwunden blieben, bis die Polizei ihrer wieder habhaft werden konnte, verlor sich bei Mussert nach der Störung der Totenruhe die Spur und es bekannte sich niemand zur Tat. Ganz anders in 19 Fischer, Eugen : Art. »Begräbnis. V. Kirchl. Recht«, in : LThK, Bd. 2, Sp. 116–120, hier Sp. 119. 20 Cohen, Maynard : A Stand against Tyranny. Norway’s Physicians and the Nazis, Detroit 2000, S. 279. 21 Bis heute ranken sich Spekulationen darum, ob der Versuch, den Leichnam Musserts in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1956 aus einem anonymen Grab auf einem Friedhof in Den Haag zu rauben, gescheitert ist oder nicht. Das Massengrab, in dem Mussert neben anderen Straftätern und Mittellosen bestattet war, wurde von Unbekannten geöffnet. Erst Jahrzehnte später behaupteten Mitglieder des Vlaamse Militanten Orden, den Leichnam in ihrem Besitz zu haben. Allerdings haben Polizei und Regierung stets dementiert, dass Musserts sterbliche Überreste entwendet wurden, vielmehr soll es den Grabräubern nicht gelungen sein, den richtigen Leichnam zu identifizieren. Die unterschiedlichen Rekonstruktionen hat der niederländische Journalist Stijn Wiegerinck : Een zoektocht naar de stoffelijke resten van Anton Mussert, URL : http://stijnwiegerinck.nl/stoffelijke%20resten%20van%20anton%20mussert. pdf [18.11.2015] zusammengestellt und diskutiert. Auch »Dutch fascist’s body removed«, in : The Times, 18. Juni 1956 ; S. 9 ; Meyers, Jan : Mussert. Een politiek leven, Amsterdam 1984, S. 294–297.
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Frankreich und Italien : Dort traten die Diebe umgehend an die Öffentlichkeit und stellten Forderungen an die Regierungen. Über die Hintergründe für die Graböffnung kann im Fall Musserts nur spekuliert werden, auch hat sie nicht dieselben politischen Nachwirkungen entfaltet wie die Fälle in Frankreich und Italien. Da Mussert zudem nie Regierungsverantwortung hatte, unterscheidet sich sein Fall in mehrfacher Hinsicht von den Beispielen Mussolinis und Pétains, weshalb die Vergleichbarkeit mit beiden nicht gegeben ist. Mussert wird daher in dieser Studie nicht eingehender berücksichtigt. Die Diebe von Mussolinis wie auch Pétains Überresten waren rechtsradikale Bewunderer und nicht etwa Entführer, denen es um die Freipressung eines Gefangenen oder Lösegeldzahlungen ging, wie etwa im Fall des Sarges von Zyperns ehemaligem Präsidenten Tassos Papadopoulos im Jahr 2009.22 Insofern deuten die Leichendiebstähle in Italien und Frankreich auf politische Auseinandersetzungen und die Rolle dieser Bestattungen in innergesellschaftlichen Konflikten hin. Der zunächst gewählte Bestattungsort scheint nicht die Akzeptanz der Grabräuber gefunden zu haben, so dass sie beschlossen, die sterblichen Überreste zu entwenden. Diese Zusammenhänge sollen in der vorliegenden Studie eingehender untersucht werden, denn die Angriffe auf die ursprünglichen Begräbnisorte lassen die Fälle von Mussolini und Pétain für eine Darstellung der Rolle von Bestattungen bei der Konstituierung gesellschaftlicher Ordnungen besonders aufschlussreich erscheinen. Es gab nicht nur zwischen den Schicksalen von Mussolini und Pétain Überschneidungen und Ähnlichkeiten, die einen historischen Vergleich geradezu herausfordern, sondern auch zwischen der italienischen und der französischen Gesellschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Obwohl die Länder sich bei den Pariser Friedensverhandlungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf unterschiedlichen Seiten des Verhandlungstisches befanden, kann der Vergleich für die gesellschaftlichen Implikationen der Bestattungen der ehemaligen Regimeführer von ähnlichen Ausgangssituationen ausgehen. Während des Krieges hatten die Bevölkerungen sehr ähnliche Erfahrungen gemacht. Wie der britische Historiker John Foot hervorgehoben hat, teilten Franzosen und Italiener seit den Waffenstillständen vom 22. Juni 1940 und vom 8. September 1943 die Erfahrung der militärischen Niederlage, der Teilung ihrer Gebiete sowie schließlich der Befreiung.23 Dabei hatte Frankreich 1940 ein 22 [Reuters] : »Three get jail in president corpse snatch«, 16. Mai 2011, URL : http://www.reuters. com/article/2011/05/16/us-president-corpse-idUSTRE74F3XC 20110516 [22.11.2015]. 23 Foot, John : Italy’s Divided Memory, New York 2009, S. 112–113.
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Abkommen mit Deutschland unterzeichnet und nur ein kleiner Teil der Franzosen schloss sich im Exil den Alliierten an. Demgegenüber schied Italien 1943 aus dem Achsenbündnis mit Deutschland aus, als es den Waffenstillstand mit den Alliierten unterschrieb, und wurde daraufhin teilweise von deutschen Truppen besetzt. So unterschiedlich die Allianzen, so ähnlich waren die Folgen der Kapitulationen während des Krieges, denn beide Länder wurden in ein besetztes Gebiet und ein Gebiet mit Kollaborationsregierung geteilt. Ein Teil Italiens verblieb nach der Kapitulation 1943 unter königlicher Regierung und dem Schutz der Alliierten. Im Norden des Landes wurde innerhalb des deutschen Besatzungsgebiets die Repubblica Sociale Italiana (kurz : RSI) geschaffen ; an die Spitze dieser Kollaborationsregierung setzte Hitler Mussolini. Zuvor war Frankreich 1940 nach der Niederlage gegen Deutschland in ein besetztes Gebiet und den kollaborierenden État français in der unbesetzten Zone geteilt worden. Das Kollaborationsregime unter Pétain bezog seinen Regierungssitz in Vichy, bevor die Regierungsmitglieder schließlich im August 1944 von den deutschen Besatzern nach Schloss Sigmaringen transportiert wurden. Selbstverständlich entwickelte sich in beiden Ländern Widerstand gegen die nationalsozialistische Besatzung und die Kollaboration. Deshalb war der Gegensatz zwischen Widerstandskämpfern, Kollaborateuren und Faschisten in diesen Ländern besonders ausgeprägt und Franzosen wie auch Italiener mussten nach Kriegsende zusätzlich mit den Folgen von Kollaboration, Besatzung und Bürgerkrieg zurechtkommen. Von den nationalen Geschichtsschreibungen wurde diese Zerrissenheit lange ignoriert, wenn nicht gar verschwiegen. In beiden Ländern setzt sich die Forschung erst seit den 90er Jahren mit diesem Thema auseinander. In Italien werden die Kämpfe zwischen der bewaffneten Resistenza und den faschistischen sowie nationalsozialistischen Truppen seit Claudio Pavones maßgeblicher Arbeit »Una guerra civile«24 von 1991 als Bürgerkrieg bezeichnet. Noch zögerlicher setzte sich diese Bezeichnung für die französische Situation durch. Diese Zurückhaltung gründet zum einen darauf, dass die französische Geschichtswissenschaft lange Zeit die Rolle der Kollaborateure für den Verlauf der Kriegsjahre als sehr gering und im Gegenzug den Einfluss der Besatzer als maßgeblich beurteilt hat.25 Zum anderen war der Terminus 24 Pavone, Claudio : Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità nella Resistenza, Turin 1991. 25 So z. B. Rémond, René : Frankreich im 20. Jahrhundert. Erster Teil 1918–1958, Stuttgart 1994, S. 378 ; Traverso, Enzo : Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914–1945, München 2008, S. 70. Wobei Dietmar Hüser darauf hinweist, dass dadurch, dass die innere Zerrissenheit des Landes so lange bemäntelt worden sei, auch die Verarbeitung der »années noires«, also der Phase der deutschen Besetzung, Schaden genommen habe. Hüser, Dietmar :
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»la guerre franco-française« von den Vichyisten, also den ehemaligen Mitgliedern und Anhängern des Vichy-Regimes, als politisches Schlagwort gegen die Résistance und ihr Andenken gewendet worden.26 Doch während die französischen Zeithistoriker Jean-Pierre Azéma, Jean-Pierre Rioux und Henry Rousso den Verzicht auf den Begriff ›Bürgerkrieg‹ für diese Phase ab 1940 noch Mitte der 80er Jahre beklagten, urteilte die amerikanische Historikerin Rosemary Wakeman im Jahr 2012 : »Scholars in both France and the United States have uncovered the civil wars that lay just beneath the veneer of liberation und national unity.«27 In diesem angespannten gesellschaftlichen Klima und vor dem Hintergrund von sehr unterschiedlichen Erfahrungen in den geteilten Ländern mussten die neuen Regierungen und die Bevölkerungen entscheiden, wie sie sich gegenüber den vergangenen Regimen positionieren wollten. Die Erinnerung an die ehemaligen Regimeführer war in diesem Prozess der Abrechnung und Neuordnung von besonderer Bedeutung, da sie die Regime verkörpert und mit ihren Persönlichkeiten gestützt hatten. Personenkulte, wie sie um den Duce und den »Helden von Verdun« bestanden hatten,28 zogen in anderen Fällen – etwa bei Vom schwierigen Umgang mit den »schwarzen Jahren« in Frankreich – Vichy und Résistance in der französischen Gesellschaft 1940–1944 und 1944/45–1995, in : Afflerbach, Holger ; Cornelißen, Christoph (Hg.) : Sieger und Besiegte. Materielle und ideelle Neuorientierungen nach 1945, Tübingen/Basel 1997, S. 87–118, hier S. 88. Darüber hinaus war der Terminus nicht eindeutig bestimmt, da er bereits seit dem Beginn der Dritten Republik immer wieder für den Konflikt mit den anti-parlamentarischen Kräften verwendet wurde, Kalman, Samuel : The Extreme Right in Interwar France. The Faisceau and the Croix de feu, Aldershot u.a. 2008, S. 1–4. 26 Beispielhaft die Publikation von Pétains Großneffen Girard, Louis-Dominique : La guerre franco-française. Le Maréchal républicain, Paris 1950. 27 Wakeman, Rosemary : The Fourth Republic, in : Berenson, Edward ; Duclert, Vincent ; Prochasson, Christophe (Hg.) : The French Republic. History, Values, Debates, New York 2011, S. 73–82, hier S. 74, und Rousso, Henry ; Rioux, Jean-Pierre ; Azéma, Jean-Pierre : Les guerres franco-françaises, in : Vingtième Siècle 5 (1985), Nr. 5, S. 3–6. Auch Wieviorka, Olivier : Guerre civile à la française ? Le cas des années sombres (1940-1945), in : Vingtième Siècle 85 (2005), S. 5–19. 28 Die Arbeiten, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Kult und dem Mythos um die beiden befassen, sind zahlreich. Hier sei für Mussolini verwiesen auf : Di Genova, Giorgio ; Duranti, Massimo : L’Uomo della Provvidenza. Iconografia del Duce 1923–1945, Bologna 1997 ; Gundle, Stephen ; Duggan, Christopher ; Pieri, Giuliana (Hg.) : The Cult of the Duce. Mussolini and the Italians, Manchester 2013 ; Passerini, Luisa : Mussolini immaginario. Storia di una biografia 1915–1939, Rom 1991 ; Schieder, Wolfgang : Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce, München 2013 ; für Pétain sei verweisen auf : Fischer, Didier : Le mythe Pétain, Paris 2002 ; Goltz, Anna von der ; Gildea, Robert : Flawed Saviours : the Myths
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Franco oder Lenin29 – entsprechende Totenkulte nach sich und legitimierten die politische Nachfolge. Dies setzte aber voraus, dass die Personen starben, während ihr Ansehen intakt war, was bei Pétain und Mussolini nach der Befreiung nicht mehr bzw. nur noch bei hartgesottenen Anhängerinnen und Anhängern der Fall war. Wie die neuen demokratischen Systeme, die mit den Vorgängerregimen gebrochen hatten, mit dem Personenkult um die ehemaligen Regimeführer umgingen und wie sie dessen Nachwirkungen zu neutralisieren suchten, ist ein Teilaspekt dieser Untersuchung. In beiden Ländern waren Kulte um tote Herrscher und herausragende Persönlichkeiten traditionell fest verankert. Sowohl in der Dritten Republik und in abgeschwächter Form im Vichy-Regime als auch in der italienischen Monarchie und unter dem faschistischen Regime war es üblich gewesen, »gemeinsame Wertvorstellungen und nationale Identifikationsmuster«30 in öffentlichen Bestattungsfeiern darzustellen.31 Somit waren in beiden Ländern Begräbnisse als Medien der symbolischen Kommunikation fest etabliert. Auch wenn die Fälle der ehemaligen Regimechefs nicht in das traditionelle Muster passten, da of Hindenburg and Pétain, in : European History Quarterly 39 (2009), S. 439–464 ; Lottman, Herbert : Pétain, Hero or Traitor. The Untold Story, Harmondsworth 1985 ; Vinen, Richard : Vichy. Pétain’s Hollow Crown, in : History Today, June (1990), S. 13–19. 29 Rader, Olaf : Grab und Herrschaft. Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin, München 2003. 30 Tobia, Bruno : Die Toten der Nation. Gedenkfeiern, Staatsbegräbnisse und Gefallenenkult im liberalen Italien (1870–1921), in : Behrenbeck, Sabine ; Nützenadel, Alexander (Hg.) : Inszenierung des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 67. 31 Dabei ist der Totenkult unter dem Vichy-Regime bisher noch nicht ausführlich erforscht. Es fanden Staatsbegräbnisse für die Generäle Nollet und Huntziger 1941 statt, für die über 350 Opfer des britischen Luftangriffs auf das Renault-Werk in Billancourt am 3. März 1942 und für den von der Résistance am 6. Januar 1944 ermordeten Propagandaminister Philippe Henriot. Außerdem wurde der Gefallenenkult in die Feiern zum Nationalfeiertag integriert. Allerdings kommen sowohl Rémi Dalisson wie Avner Ben-Amos nach der Analyse der Festkultur von Vichy zu dem Schluss, dass mit Fortgang des Krieges die offiziellen Trauer- und Gedenkfeiern zurückgingen, Dalisson, Rémi : La propagande festive de Vichy. Mythes fondateurs, relecture nationaliste et contestation en France de 1940 à 1944, in : Guerres mondiales et conflits contemporains 3 (2007), S. 5–35, Ben-Amos, Avner : La commémoration sous le Régime de Vichy. Les limites de la maîtrise du passé, in : Charle, Christophe (Hg.) : La France démocratique (combats, mentalités, symboles). Mélanges offerts à Maurice Agulhon, Paris 1998, S. 397–408. Allgemeiner zum Totenkult in Frankreich und Italien : Ben-Amos, Avner : Funerals, Politics, and Memory in Modern France, 1789-1996, New York 2000, hier allerdings besonders S. 354–356 ; Janz, Oliver ; Klinkhammer, Lutz (Hg.) : La morte per la patria. La celebrazione dei caduti dal Risorgimento alla Repubblica, Rom 2008.
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es nicht um ihre Ehrung, sondern um die Auseinandersetzung mit einer problematischen Herrschaft ging, gilt auch für ihren Fall, dass Bestattungen Kollektivrituale sind, die der Gemeinschaft über den Tod eines oder auch mehrerer ihrer Mitglieder hinweghelfen sollen. Diese stabilisierende und Fortbestand versprechende Wirkung macht auch die besondere Bedeutung von Begräbnissen in politischen Umbruchsituationen aus. Das Verhältnis zum Verstorbenen bestimmt über die Ehren, die die Gemeinschaft bei einer Bestattung gewährt oder verweigert, definiert sie aber auch selbst.32 Deshalb wird in dieser Studie der Frage nachgegangen, welche Funktionen die Inszenierungen der Bestattungen von Pétain und Mussolini und deren mediale Reproduktionen für die Nachkriegsgesellschaften hatten. Im Kontext der Bestattungen begegneten sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und artikulierten ihre politischen, religiösen oder moralischen Wertvorstellungen. Hierin liegt die innenpolitische Bedeutung von Bestattungen, denn sie können je nach Ausgestaltung sowohl inkludierend wie exkludierend wirken. Dabei konnten vor allem die Regierungen durch die Gestaltungen der Bestattungen ihre eigenen Positionen zu den ehemaligen Regimeführern deutlich machen, und dies nicht nur direkt nach ihrem Tod, sondern jeweils noch einmal mit dem Abstand von mehreren Jahren nach Kriegsende. So erstreckt sich der Untersuchungszeitraum von 1945 bis in die 1970er Jahre, als eine erste Phase der Debatten mit den Wiederbestattungen abgeschlossen war und die Grabstätten ihre heutige Form erhielten. In diesem Zeitraum veränderten sich die medialen Rahmenbedingungen sehr, immer mehr Zeitungen und Zeitschriften mit immer mehr Fotografien und Bildmaterial erschienen, die den Eindruck der persönlichen Teilnahme an einer Bestattung vermitteln konnten, weshalb hier die Frage nach der Inszenierung so eng mit der der medialen Reproduktion verbunden wird. Es wird gezeigt, wie die Leichen von Mussolini und Pétain im Ringen um eine neue politische Kultur instrumentalisiert wurden. Wer beteiligte sich an den Bestattungen, de32 Dieses in den Gesellschaftswissenschaften verbreitete Verständnis, etwa bei Soeffner, Hans-Georg : Symbolische Formung. Eine Soziologie des Symbols und des Rituals, Weilerswist 2010, S. 45 ; Stollberg-Rilinger, Rituale, S. 67 ; Taylor, Lawrence : Introduction. The Uses of Death in Europe, in : Anthropological Quarterly 62 (1989), Nr. 4, S. 149–154, hier S. 146, geht zurück auf die Studie Hertz, Robert : Contribution à une ètude sur la représentation collective de la mort, in : Année sociologique 10 (1907), S. 48–137 (dt. Ausgabe : Beitrag zur Untersuchung der kollektiven Repräsentation des Todes, in : ders.: Das Sakrale, die Sünde und der Tod. Religions-, kultur- und wissenssoziologische Untersuchungen, hg. v. Stephan Moebius, Konstanz 2007, S. 65–179).
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ren Vorbereitungen, den Diebstählen ? Zu fragen ist auch, welche Reaktionen Bestattungen bei den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und den Angehörigen auslösten. Wie wirkten sie in der antagonistischen Situation nach den Bürgerkriegen auf das Verhältnis der politischen Lager – von reaktionären Kräften bis zu den Kommunisten ? Wie unterschieden sich die Bestattungen vor und nach der Entwendung der Leichen ? Inwieweit erhöhten die Begräbnisse die Spannungen noch, inwieweit schafften sie womöglich Annäherung ? Die Antworten auf diese Fragen erklären auch, weshalb es um die Gräber von Pétain und Mussolini bis heute nicht ruhig geworden ist. Dabei sind die gegenwärtigen neofaschistischen Totenkulte auf Yeu und in Predappio zwar ohne die in dieser Studie behandelten Ereignisse nicht vorstellbar, aber selbst nicht Teil der Untersuchung. Es geht auch nicht generell um das Fortleben der Personenkulte um Mussolini und Pétain, sondern diese werden nur in Bezug auf den Umgang mit den Leichnamen in die Analyse einbezogen. Die Untersuchung beschränkt sich nicht auf die Dynamik zwischen neofaschistischer Verehrung und staatlicher Restriktion, sondern ermöglicht über den ritualwissenschaftlichen Zugang eine breitere Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit der Vergangenheit.
1.2 Historische Hintergründe des Vergleichs Diese Studie ist als historischer Vergleich angelegt, welcher zunächst auf den in Italien und Frankreich zu beobachtenden Ähnlichkeiten in der anhaltenden Diskussion um die Gräber der ehemaligen Regimechefs sowie dem Phänomen des Diebstahls ihrer Leichname gründet.33 Die Untersuchung prüft, ob sich aus den Parallelen auch Muster und Unterschiede im Umgang mit den Leichnamen erkennen und Schlüsse auf Prozesse und Strukturen in den neuen poli33 Zur Entwicklung und zum Stellenwert des historischen Vergleichs als Ansatz in der Geschichtswissenschaft sei hier nur auf einige Überblicksdarstellungen hingewiesen : Haupt, Heinz-Gerhard ; Kocka, Jürgen : Historischer Vergleich : Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in : dies. (Hg.) : Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt a. M. 1996, S. 9–45 ; Haupt, Heinz-Gerhard : Historische Komparatistik in der internationalen Geschichtsschreibung, in : Budde, Gunilla ; Conrad, Sebastian ; Janz, Oliver (Hg.) : Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 137–149 ; Kaelble, Hartmut : Historischer Vergleich, in : Docupedia-Zeitgeschichte, 14. August 2012, URL : http://docupedia.de/zg/Historischer_Vergleich ?oldid=106431 [23.4.2018].
Historische Hintergründe des Vergleichs |
tischen Kulturen der Nachkriegsjahre ziehen lassen. Auf die Ähnlichkeiten der beiden Fälle ist schon hingewiesen worden. Nun soll zunächst der historische Kontext in Frankreich und Italien im Untersuchungszeitraum dargestellt werden, bevor der Stand der Forschung in und zu den jeweiligen Ländern kurz umrissen wird. 1.2.1 Historischer Kontext Der historische Kontext wird entlang von sechs Herausforderungen und strukturellen Merkmalen erörtert, die für die Entwicklung der politischen Kultur in beiden Ländern prägend waren. Dies soll die Unterschiede in den politischen Systemen nicht nivellieren, sondern die Faktoren, die den Umgang mit den Leichen beeinflussten, hervorheben. Abrechnung Nach dem Ende der Regime ging es nicht nur darum, mit den ehemaligen Regimechefs abzurechnen, sondern mit dem gesamten von ihnen aufgebauten Apparat und ihren Anhängern. So blieb die Frage nach der politischen Mitverantwortung nicht auf einige Wenige beschränkt, sie erfasste vielmehr weite Teile der Gesellschaft. Die politische Abrechnung verlief in unterschiedlichen Phasen, wobei die Ähnlichkeiten zwischen Frankreich und Italien so groß sind, dass sich in beiden Fällen der Oberbegriff »Säuberung« – also épuration bzw. epurazione – als Bezeichnung für die Prozesse im jeweiligen Land durchgesetzt hat.34 Die Säuberungen setzten bereits während des Befreiungskampfes ein und verschärften in beiden Ländern die Spannungen zwischen den antifaschistischen Widerstandskämpfern auf der einen Seite und den Kollaborateuren und überzeugten Faschisten auf der anderen Seite. Die Übergangsregierungen 34 Auf den ähnlichen Verlauf in beiden Ländern hat u.a. Hans Woller als Experte für die Abrechnung in Italien hingewiesen ; Woller, Hans : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 217. Er hat sich mit dem Sammelband : ders.; Henke, Klaus-Dietmar (Hg.) : Politische Säuberungen in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, auch für eine vergleichende Perspektive bei der Beschäftigung mit dem Thema eingesetzt. Dennoch werden die Prozesse überwiegend in nationaler Perspektive untersucht. Hier sei auf ein paar neuere Studien verwiesen, wie : Association Française pour l’Histoire de la Justice (Hg.) : La justice de l’épuration. À la fin de la Seconde Guerre mondiale, Paris 2008 ; Cointet, Jean-Paul : Expier Vichy. L’épuration en France 1943– 1958, Paris 2008 ; Woller, Hans : Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948, München 1996.
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implementierten dann nach der Befreiung juristische Verfahren. Diese sollten auch die gewalttätigen Übergriffe zwischen den Lagern eindämmen, doch verschärfte die Strafverfolgung die ablehnende Haltung der Kollaborateure gegenüber den neuen Machthabern weiter. Diese Verschärfung des Konflikts führte dazu, dass die italienische Regierung bereits im Juni 1946 ein Amnestiegesetz erließ, welches der epurazione ein Ende setzte.35 Auf Basis dieses Gesetzes entstand in den Jahren 1947/48 eine wahre Rehabilitierungswelle, in der »fast alle Sanktionen abgeschwächt oder ganz aufgehoben« wurden.36 Ähnliches war auch in Frankreich zu beobachten, obwohl dort das erste Amnestiegesetz erst 1951 erlassen wurde.37 Das Bedürfnis nach Abrechnung machte die Leichen der ehemaligen Staatchefs zu Mitteln der Auseinandersetzung zwischen Gegnern und beharrlichen Befürwortern der vergangenen Regime. Verfassung und Staatsform Neben der juristischen Abrechnung mit den alten Regimen begannen die Übergangsregierungen mit dem Aufbau von neuen politischen Systemen und ließen konstitutionelle Versammlungen wählen. In Frankreich stand dabei die Rückkehr zu republikanischen Prinzipien nicht in Frage, während im Königreich Italien die Wahl zur Konstituante mit einem Referendum über die zukünftige Staatsform verbunden wurde. Die italienische Bevölkerung entschied sich mit einer knappen Mehrheit für die Republik und so entstand die Repubblica Italiana, deren Verfassung am 1. Januar 1948 in Kraft trat.38 Das französische Volk hatte den ersten Verfassungsentwurf in einem Plebiszit abgelehnt, dennoch gelang es bereits im Oktober 1946, die Verfassung der Vierten Französischen Republik zu verkünden. Die Ausarbeitung der neuen Verfassung verlief in Frankreich also keinesfalls konfliktfrei, vielmehr war Charles de Gaulle bereits 35 Ginsborg, Paul : A History of Contemporary Italy. Society and Politics 1943–1988, London 1990, S. 92. 36 Woller, Hans : Der Rohstoff des kollektiven Gedächtnisses. Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien und ihre erfahrungsgeschichtliche Dimension, in : Cornelißen, Christoph ; Klinkhammer, Lutz ; Schwentker, Wolfgang (Hg.) : Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003, S. 67–76, hier S. 71. 37 Dazu bspw. Kritz, Neil : Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with Former Regimes, Bd. 2. Country Studies, Washington DC 1995, S. 122–125 und 199. 38 Eine kurze Einführung zur Entstehung der italienischen Verfassung bieten u. a. Hausmann, Friederike : Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute, Berlin 1997, S. 23–27 ; Jansen, Christian : Italien seit 1945, Göttingen 2007, S. 27–31 ; Woller : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, S. 224–227.
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vor der ersten Abstimmung als Ministerpräsident zurückgetreten, da er sich mit seinen Vorstellungen von einer starken Exekutive und einem Präsidialsystem nicht hatte durchsetzen können.39 Die Verfassungsdiskussionen beeinflussten den Umgang mit den Leichen Pétains und Mussolinis in zweifacher Hinsicht. Zum einen symbolisierten die neuen Verfassungen den endgültigen Bruch mit den ehemaligen autoritären Regimen, weshalb die reaktionären Kräfte die konstitutionelle Neuordnung anfochten. Zum anderen regelten die Verfassungen, welche Anknüpfungen an die alten Regime künftig überhaupt noch legal waren. Erosion der antifaschistischen Einheit Mit de Gaulle schied der Anführer des Freien Frankreichs und des Widerstands gegen die deutsche Besatzung aus der Übergangsregierung aus, die aus der Résistance hervorgegangenen war. Der Kampf gegen einen gemeinsamen Feind hatte sowohl in Frankreich wie auch in Italien Mitglieder unterschiedlicher politischer Lager eng zusammenarbeiten lassen. So waren sowohl Kommunisten als auch Christdemokraten in den Übergangsregierungen und den ersten regulär gewählten Regierungen vertreten. Die Kommunisten wurden jedoch mit dem beginnenden Kalten Krieg im Jahr 1947 in beiden Ländern aus den Regierungen gedrängt. Der Partito Comunista Italiana (kurz : PCI) wie auch der Parti Communiste Français (kurz : PCF) waren starke Parteien, die auch bei den folgenden Parlamentswahlen nicht marginalisiert, aber nachdrücklich auf eine oppositionelle Rolle beschränkt wurden.40 So löste sich in beiden Ländern die politische Ausrichtung vom antifaschistischen Konsens und wendete sich einem antikommunistischen Paradigma zu, was rechte und autoritäre Vorstellungen wieder erstarken ließ. Die Leichen Mussolinis und Pétains konnten in diesem Zusammenhang zu Kristallisationspunkten politischer Identitäten im wechselseitigen Abgrenzungsbestreben werden.
39 Hartmann, Peter Claus : Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (1450–2002). Ein Überblick, Berlin 22003, S. 132–140 ; Loth, Wilfried : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 21992, S. 133–137 ; ders.: Charles de Gaulle, Stuttgart 2015, S. 124– 145 ; Sirinelli, Jean-François : La France de 1914 à nos jours, Paris 2008, S. 243–245. 40 Loth : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, S. 139 ; Sirinelli : La France de 1914 à nos jours, S. 249 f.; bzw. Woller : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, S. 226.
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Veränderungen im Parteiensystem Vom Ausscheiden der Kommunisten aus der Regierung profitierte in Italien vor allem die christdemokratische Partei Democrazia Cristiana (kurz : DC) unter Alcide De Gasperi.41 Langfristig konnte sie sich zur bestimmenden Partei in der italienischen Politik entwickeln, die kontinuierlich bis 1994 stets an der Regierung beteiligt war. In Frankreich hingegen war die christdemokratische Partei, der Mouvement Républicain Populaire (kurz : MRP), zwar während der Vierten Republik ebenfalls eine der einflussreichsten Parteien, konnte sich jedoch in der Wählergunst nicht wesentlich von ihren Koalitionspartnern absetzen.42 Für das politische System in Frankreich bedeutete das Ausscheiden der Kommunisten aus der Regierung der drei größten und erfolgreichsten Parteien – Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten – eine Schwächung der Mitte-Links-Regierung. Die Kommunisten gingen 1947 zu einer oppositionellen Haltung gegenüber der Regierung über. Diese nahm auch die im selben Jahr gegründete neue Partei de Gaulles ein, der Rassemblement du Peuple Français (kurz : RPF). Die Gaullisten gewannen schnell eine breite Wählerbasis. Christdemokraten und Sozialisten waren zur Regierungsbildung nun auf die Radikalen und auf kleinere Parteien angewiesen. In der Folge kam es zu zahlreichen Regierungsumbildungen innerhalb der Koalitionen der Mitte. Bei den Wahlen im Sommer 1951 gewannen die Gaullisten an Einfluss im Parlament, während die Sozialisten ihren einbüßten. Bedeutete dies schon an sich einen Rechtsruck,43 kam hinzu, dass in diesen Wahlen nun auch wieder rechtsradikale Politiker angetreten und gewählt worden waren. Im Jahr 1951 war die erste rechtsradikale Gruppierung zurück im französischen Parlament, ihr soll41 Ganz unmittelbar u. a. dadurch, dass ihre Koalition mit den Liberalen nun höhere Hilfen aus den USA erhielt ; Jansen, Italien nach 1945, S. 23 f.; aber auch Allum, Percy : The Changing Face of Christian Democracy, in : Duggan, Christopher ; Wagstaff, Christopher (Hg.) : Italy in the Cold War. Politic, Culture & Society 1948–58, Oxford 1995, S. 117–130 ; Foot, John : Modern Italy, Houndmills 2003, S. 185–189 ; Ginsborg : A History of Contemporary Italy, S. 141 ff. 42 Dazu ausführlicher Lévêque, Pierre : Histoire des forces politiques en France, Bd. 3, De 1940 à nos jours, Paris 1997, S. 249–291 ; Vinen, Richard : Bourgeois Politics in France, 1945–1951, Cambridge 1995 ; Warner, Carolyn M.: Getting Out the Vote with Patronage and Threat. The French and Italian Christian Democratic Parties, 1944–1958, in : The Journal of Interdisciplinary History 28 (1998), S. 553–582. 43 Loth : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, S. 137–141 ; Wakeman : The Fourth Republic, S. 76 f.
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ten in den folgenden Jahren zahlreiche andere folgen.44 Etwa zeitgleich konnte auch der neofaschistische Movimento Sociale Italiano (kurz : MSI) in Italien Zugewinne in der Wählergunst verzeichnen. Zwar war die im Dezember 1946 gegründete Partei schon 1948 ins Parlament eingezogen, doch erst zu Beginn der 50er Jahre hatte sie einen ernsthaften parlamentarischen Kurs eingeschlagen und war bei den Wahlen auf lokaler wie nationaler Ebene erfolgreich.45 Dabei war der MSI keineswegs die erste rechte Partei, die bei Parlamentswahlen in Italien erfolgreich war. Schon bei den Wahlen 1946 war die Bewegung der Qualunquisten mit einem antikommunistischen, antidemokratischen Programm angetreten und hatte im Süden des Landes fast 10 Prozent erreicht.46 In Italien hatten sich so schon sehr früh nach dem Ende der faschistischen Regime wieder rechte Parteien gebildet und mit dem MSI auch eine äußerst stabile Struktur ausgebildet, während bei der parteipolitischen Organisation in Frankreich durchaus eine deutliche Zäsur und eine größere Instabilität zu beobachten ist. In beiden Ländern existierten nun Parteien, die sich auch im Parlament für einen veränderten Umgang mit den Leichen Pétains und Mussolinis einsetzen konnten. Die Entwicklung des Parteiensystems hatte damit unmittelbare Rückwirkungen auf den politischen Diskurs um die toten Regimechefs. Dekolonisation Das Königreich Italien war im Oktober 1943 als nazione cobelligerante (mitkriegführende Nation) auf die Seite der Alliierten gewechselt, was zusammen mit dem Widerstand der Partisanen gegen die deutsche Besatzung dazu führte, dass Italien einer längerfristigen alliierten Besatzung entgehen konnte ;47 Interventionen der westlichen Alliierten fanden dennoch statt und Italien musste im Friedensvertrag am 10. Februar 1947 unter anderem Reparationszahlungen und Territorialverlusten zustimmen. Dazu gehörte der Verzicht auf alle ehe44 Dazu insbesondere Pinol, Jean-Luc : Le temps des droites ?, in : Sirinelli, Jean-François (Hg.) : Histoire des droites en France, Bd. 1, Politique, Paris 2006, S. 291–389, hier S. 361 ff. 45 Caciagli, Mario : The Movimento Sociale Italiano-Destra Nazionale and Neo-Fascism in Italy, in : Beyme, Klaus von : Right-Wing Extremism in Western Europe, London 1988, S. 19–33, hier S. 23 ; Ginsborg : A History of Contemporary Italy, S. 99–105 ; Parlato : Giuseppe : Fascisti senza Mussolini. Le origini del neofascismo in Italia, 1943–1948, Bologna 2006, S. 172 ff. 46 Dazu auch Fritzsche, Peter : Die politische Kultur Italiens, Frankfurt a. M. 1987, S. 86 f.; Lepre, Aurelio : Storia della prima Repubblica. L’Italia dal 1942 al 1992, Bologna 1993, S. 63 f. 47 Offiziell endete die amerikanisch dominierte Militärregierung am 31. Dezember 1945. Woller : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, S. 214 f.; ders.: Einleitung, in : ders. (Hg.) : Italien und die Großmächte 1943–1949, München 1988, S. 7–22.
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maligen Kolonien in Afrika, auf die Inselgruppe Dodekanes in der Ägäis, auf Istrien und Fiume an der Adria und Gebiete im Grenzgebiet zu Frankreich sowie zunächst Triest. Die rechten Parteien agitierten in Italien zwar gegen die Gebietsabtretungen und die Annahme der Vertragsbedingungen, doch löste dies keine größeren Konflikte aus.48 Ganz anders verlief der Prozess der Dekolonisation hingegen in Frankreich und er hatte auch innenpolitisch viel gravierendere Folgen. Dabei ist selbstverständlich zu berücksichtigen, dass Frankreich am Ende des Zweiten Weltkriegs zu den Siegermächten gehörte und so machtpolitisch über eine ganz andere Ausgangssituation verfügte. Die traditionsreiche Kolonialmacht führte zunächst zwischen 1946 und 1954 einen Krieg gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in Indochina und dann von 1954 bis 1962 in Algerien. Der Algerienkrieg führte in Frankreich zu einer Staatskrise, die damit endete, dass der Staatspräsident René Coty General de Gaulle mit der Regierungsbildung beauftragte und dieser eine neue Verfassung erarbeiten ließ. Diese Verfassung trat am 4. Oktober 1958 in Kraft und begründete die Fünfte Republik, zu deren Präsident de Gaulle am 27. Dezember 1958 gewählt wurde.49 Damit war der Mann zurück an der Macht, dem viele der Rechten auf Grund seines Widerstandes gegen Pétains Ersuchen um einen Waffenstillstand 1940 und seine anschließende Ausrufung des Freien Frankreichs mit Vorbehalten begegneten.50 Dieses Ressentiment wandelte sich schnell zu offener Ablehnung, als deutlich wurde, dass de Gaulle den Unabhängigkeitsforderungen entgegenkommen würde. Der Widerstand drückte sich zum einen in der Gründung des bald wieder verbotenen Front national pour l’Algérie française durch Jean-Marie Le Pen und Mitstreiter wie Jacques Isorni und Jean-Louis Tixier-Vignancour aus,51 zum anderen durch den Putschversuch der Organisation de l’armée secrète 48 Einen knappen Überblick bieten Jansen : Italien seit 1945, S. 24–27, und Woller : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, S. 223 f. Ausführlicher Helmes, Markus : Italien im Kalten Krieg. Der Pariser Friedensvertrag von 1947, in : Zeitgeschichte 25 (1998), S. 5–35 ; Lorenzini, Sara : L’Italia e il trattato di pace del 1947, Bologna 2007. 49 Eine genauere Beschreibung bieten Loth, Wilfried : Von der IV. zur V. Republik, in : Kimmel, Adolf, Uterwedde, Henrik (Hg.) : Länderbericht Frankreich. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Wiesbaden 2005, S. 63–83 ; Sirinelli : La France de 1914 à nos jours, S. 319– 329 ; Vigreux : Croissance et contestations, S. 17–45. 50 So hatten Isorni und Tixier-Vignancour 1958 mit Hinweis auf ihre Treue zu Pétain gegen die Regierungsübernahme durch de Gaulle gestimmt ; Pinol : Le temps des droites ?, S. 367 f.; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 95 f. 51 Dazu Minkenberg, Michael : Geschichte des Rechtsradikalismus in der V. Republik, in : Ruß, Sabine ; Schild, Joachim ; Schmidt, Jochen W.; Stephan, Ina (Hg.) : Parteien in Frankreich.
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(kurz : OAS) am 22. April 1961 in Algerien sowie mehreren Attentatsversuchen auf den Staatspräsidenten, auch nachdem der Algerienkrieg im März 1962 beendet worden war.52 So wurden durch den Algerienkrieg auch die politischen Gegensätze zwischen den Anhängern von Pétains Politik und de Gaulle wiederbelebt. Die radikale Rechte erhielt dadurch so viel Rückenwind, dass Tixier-Vignancour sogar als rechter Präsidentschaftskandidat bei den Wahlen 1965 antrat. In der Dekolonisierungsdebatte sind Ausdifferenzierungen und Radikalisierungen innerhalb des rechten Lagers zu beobachten, die auch eine wichtige Rolle für den Umgang mit den Leichen der toten Regimechefs spielen. Meistererzählungen vom Widerstand Nach diesen heftigen Erschütterungen des politischen Systems zielte de Gaulle darauf, wieder die Einheit der Nation zu beschwören. Dazu griff er auf sein Selbstverständnis als Anführer der Widerstandsbewegung zurück und zeichnete das Bild eines im Widerstand gegen die Besatzung geeinten Frankreich, in dessen Tradition die Fünfte Republik stehe. Unter de Gaulle entstand ein Résistance-Mythos, der keinen Raum für konkurrierende Erinnerungen an die Jahre zwischen 1940 und 1944 zuließ.53 Eine ähnliche Kanonisierung der Widerstandsbewegung ist in den 60er Jahren auch in Italien zu beobachten. Auch hier wurde »[d]ie Resistenza zum Gründungsmythos des neuen Staates und der neuen Gesellschaft«.54 Dass Teile des rechten Lagers die Erinnerung an die Kontinuität und Wandel in der V. Republik, Opladen 2000, S. 268–288, hier S. 268, Shields : The Extreme Right in France, S. 112, Donegani, Jean-Marie ; Sadoun, Marc : 1958–1992. Le jeu des institutions, in : Sirinelli, Jean-François : Histoire des droites en France, Bd. 1, Politique, Paris 2006, S. 391–487, hier S. 403. 52 Zur Beilegung des Algerienkriegs Loth : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, S. 182– 187 ; Sirinelli : La France de 1914 à nos jours, S. 312–316 ; Vigreux : Croissance et contestations, S. 45–53. 53 Dazu u. a. Hüser, Dietmar : Das Gestern im heute. Zum Wandel französischer Geschichtspolitik und Erinnerungspolitik, in : Kimmel ; Uterwedde (Hg.) : Länderbericht Frankreich, S. 45–62, hier S. 52 f.; Rousso, Le syndrome de Vichy, S. 100–110 ; ders.: Vom nationalen Vergessen zur kollektiven Wiedergutmachung, in : Flacke, Monika (Hg.) : Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 239–240 ; ders.: La Seconde Guerre mondiale dans la mémoire des droites, in : Sirinelli, Jean-François (Hg.) : Histoire des droites en France, Bd. 2, Cultures, Paris 2006, S. 549–620, hier S. 589–595 ; Vigreux : Croissance et contestations, S. 103. 54 Petersen, Jens : Wandlungen des italienischen Nationalbewußtseins nach 1945, in : QFIAB 71 (1991), S. 699–748, hier S. 711. Zum Resistenza-Mythos ausführlicher Cornelißen, Christoph : Stufen der Vergangenheitspolitik in Deutschland und Italien seit 1945, in : Comparativ
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toten Regimechefs durch die Bestattungsdebatten politisch am Leben hielten, lässt sich interpretieren als Versuch, eine Gegenposition zu den Gründungsmythen der neuen politischen Systeme zu schaffen und durchzusetzen. 1.2.2 Forschungsstand Im Unterschied zur Beschäftigung mit den faschistischen und autoritären Regimen in Italien und Frankreich sind die Nachkriegsjahre von der jeweiligen nationalen Historiografie wie auch von der internationalen scientific community lange Zeit stiefmütterlich behandelt worden. Dennoch liegen inzwischen zahlreiche neuere, auch deutschsprachige Handbücher vor, die sich explizit mit der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen.55 Aus deutscher Perspektive sind dabei auch Vergleiche zwischen der deutschen Geschichte und einem der jeweiligen Länder üblich.56 Insbesondere in der Parteiengeschichte sind komparatistische Untersuchungen, etwa zur Rolle der kommunistischen Intellektuellen, der Christdemokraten oder der Entwicklung neuer rechtsradikaler 14 (2004), Nr. 5/6, S. 14–37 ; Klinkhammer, Lutz : Der Resistenza-Mythos und Italiens faschistische Vergangenheit, in : Afflerbach, Holger ; Cornelißen, Christoph (Hg.) : Sieger und Besiegte. Materielle und ideelle Neuorientierungen nach 1945, Tübingen/Basel 1997, S. 119131 ; Natoli, Claudio : Antifaschismus und Resistenza in der Geschichte des italienischen Einheitsstaates, in : Petersen, Jens ; Schieder, Wolfgang (Hg.) : Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur, Köln 1998, S. 307–327 ; zur anfänglichen Dominanz der kommunistischen Erinnerung an den Widerstand Sassoon, Donald : Italy after Fascism. The Predicament of Dominant Narratives, in : Bessel, Richard ; Schumann, Dirk (Hg.) : Life after Death. Approaches to a Cultural and Social History of Europe during the 1940s and 1950s, Cambridge 2003, S. 259–290. 55 Für Italien insbesondere Bd. 1. La costruzione della democrazia. Della caduta del fascismo agli anni cinquanta aus der Reihe von Barbagallo, Francesco (Hg.) : Storia dell’Italia repubblicana, 5 Bde. Turin 1994–1997 ; Ginsborg, Paul : Storia d’Italia 1943–1996. Famiglia, società, Stato, Turin 21998 ; Jansen, Christian : Italien seit 1945, Göttingen 2007 ; McCarthy, Patrick (Hg.) : Italy since 1945, Oxford 2000 ; Lepre, Aurelio : Storia della prima Repubblica. L’Italia dal 1942 al 1992, Bologna 1993. Für Frankreich : Cauchy, Pascal : La IVe République, Paris 2004 ; Requate, Jörg : Frankreich seit 1945, Göttingen 2011 ; Rioux, Jean-Pierre : La France de la Quatrième République, 2 Bde., Paris 2002 und 2006. Erst 1958 setzen ein : Atkin, Nicholas : The Fifth French Republic, Basingstoke 2004 ; Vigreux, Jean : Croissance et contestations, 1958–1981, Paris 2014. 56 Wobei dies durch die jeweiligen Fragestellungen, aber eben auch durch die Fortsetzung von Forschungsansätzen aus früheren Zeitabschnitten, wie der vergleichenden Faschismusforschung, zu erklären ist. Bspw. Rusconi, Gian Enrico ; Woller, Hans (Hg.) : Parallele Geschichte ? Italien und Deutschland 1945–2000 ; Miard-Delacroix, Hélène : Im Zeichen der europäischen Einigung 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011.
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Parteien nach 1945, etabliert.57 Während vergleichende und transnationale Fragestellungen sowie das Konzept der Verflechtungsgeschichte in Deutschland, Frankreich und dem angelsächsischen Raum sehr verbreitet sind, finden diese in der italienischen Zeitgeschichtsforschung noch wenig Anwendung.58 Auch haben weder cultural noch visual turn ähnlichen Einfluss auf die italienische wie auf die deutsche oder französische Forschung gehabt.59 In Italien 57 Bspw. Ignazi, Piero ; Ysmal, Colette : New and Old Extreme Right Parties. The French Front National and the Italian Movimento Sociale, in : European Journal of Political Research 22 (1992), S. 101–121 ; Kroll, Thomas : Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa. Frankreich, Österreich, Italien und Großbritannien im Vergleich (1945–1956), Köln u. a. 2007 ; Mammone, Andrea : Transnational Neofascism in France and Italy, New York 2015 ; Warner, Carolyn M.: Getting Out the Vote with Patronage and Threat. The French and Italian Christian Democratic Parties, 1944–1958, in : The Journal of Interdisciplinary History 28 (1998), S. 553–582. Hier sei auch auf die neueren Studien zu den rechtsradikalen Parteien in Italien bzw. Frankreich verwiesen : Bréchon, Pierre ; Mitra, Subrata Kumar : The National Front in France. The Emergence of an Extreme Right Protest Movement, in : Comparative Politics 25 (1992), S. 63–82 ; Conti, Davide : L’anima nera della Repubblica. Storia del MSI, Rom Bari 2013 ; Fieschi, Catherine : Fascism, Populism and the French Fifth Republic, Manchester 2004 ; Mitra, Subrata Kumar : The National Front in France – A Single-Issue Movement ?, in : Beyme : Right-Wing Extremism in Western Europe, S. 47–64 ; Parlato, Giuseppe : Fascisti senza Mussolini. Le origini del neofascismo in Italia, 1943–1948, Bologna 2006 ; Rioux, JeanPierre : Des clandestins aux activistes (1945–1965), in : Winock, Michel (Hg.) : Histoire de l’extrême droite en France, Paris 1993, S. 215–241 ; Ruzza, Carlo ; Fella, Stefano : Re-Inventing the Italian Right. Territorial Politics, Populism and ›Post-Fascism‹, London/New York 2009 ; Shields, James G.: The Extreme Right in France. From Pétain to Le Pen, London 2007 ; Sirinelli, Jean-François (Hg.) : Histoire des droites en France, 3 Bde., Paris 2006. 58 Budde ; Conrad ; Janz, Oliver (Hg.) : Transnationale Geschichte ; Dipper, Christof : Die italienische Zeitgeschichtsforschung. Eine Momentaufnahme, in : VfZ 63 (2015), S. 351–377, hier S. 375 ; Hudemann, Rainer : Frankreich – Histoire du Temps présent, in : Nützenadel, Alexander ; Schieder, Wolfgang (Hg.) : Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven in Europa, Göttingen 2004, S. 175–200, hier S. 196 ; Werner, Michael ; Zimmermann, Bénédicte : Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in : Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636 ; dies.: Beyond Comparison. Histoire Croisée and the Challenge of Reflexivity, in : History and Theory 45 (2006), S. 30–50. 59 Zum Einfluss von kulturwissenschaftlichen Ansätzen auf die Politikgeschichte bspw.: Hazareesingh, Sudhir : L’histoire politique face à l’histoire culturelle. État des lieux et perspectives, in : Revue historique, 2007, Nr. 642, S. 355–368 ; Mergel, Thomas : Kulturgeschichte des Politischen, in : Bösch, Frank ; Danyel, Jürgen (Hg.) : Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden, Göttingen 2012, S. 187–203 ; Ory, Pascal : L’Histoire culturelle, Paris 22008 ; Rödder, Andreas : Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in : HZ 283 (2006), S. 657–688 ; Stollberg-Rilinger, Barbara (Hg.) : Was heißt Kulturgeschichte des Politischen ?, Berlin 2005.
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wird eher an einer traditionellen Politikgeschichte festgehalten.60 Doch selbstverständlich gibt es Ausnahmen, darunter die Arbeiten des Turiner Historikers Sergio Luzzatto, der unter anderem eine wahrnehmungsgeschichtliche Studie zum Körper des toten Mussolini verfasst hat.61 Diese Arbeit hat die Idee zur vorliegenden Untersuchung maßgeblich beeinflusst, allerdings nimmt Luzzatto die Selbstinszenierung des Duce zum Ausgangspunkt und stellt daher stärker Bezüge zum alten Regime als zu der neuen demokratischen Republik her. Auch beschreibt er den Umgang mit dem Leichnam Mussolinis nicht systematisch, sondern konzentriert sich darauf, wie der tote Körper beschrieben wurde. Luzzattos Arbeit wurde in Teilen durch eine lokalgeschichtliche Studie zur Zwischenstation des Leichnams im Konvent von Cerro Maggiore ergänzt.62 Im Gegensatz zu diesem Ansatz wird im Folgenden die symbolische Kommunikation über die Leichen untersucht. Es geht nicht um die Rekonstruktion der Wahrnehmungen der toten Körper oder die Fortführung der Personenkulte an sich, sondern darum, welche Bedeutung und Funktion den Leichen in den Nachkriegsgesellschaften zugeschrieben wurden. In Frankreich hat sich im Jahr 2009 der französische Weltkriegshistoriker und Publizist Jean-Yves Le Naour mit dem Raub des Sarges Pétains befasst. Die Arbeit stellt keine Bezüge zu Luzzatto her und ist deutlich populärwissenschaftlicher angelegt.63 Die Rahmenbedingungen und einige Fakten zu den Fallbeispielen sind also bekannt, eine systematische Untersuchung der Bestattungen, Diebstähle und Wiederbestattungen gibt es jedoch weder in Italien noch in Frankreich. Eine Ausnahme bilden dabei höchstens meine eigenen Voruntersuchungen zum Fall Mussolinis.64 Allerdings gehören die Todesum60 Diese Einschätzung u. a. bei Dipper : Die italienische Zeitgeschichtsforschung, S. 366. Die Entwicklungen auf diesem Gebiet gerade für die Frühe Neuzeit beschreibt, Arcangeli, Alessandro : Cultural History in Italy, in : Rogge, Jörg (Hg.) : Cultural History in Europe. Institutions – Themes – Perspectives, Bielefeld 2011, S. 239–255. 61 Luzzatto, Sergio : Il corpo del duce. Un cadavere tra immaginazione, storia e memoria, Turin 1998. Die Studie ist auch in andere Sprachen übersetzt worden : The Body of Il Duce. Mussolini’s Corpse and the Fortunes of Italy, New York 2005, und Il Duce – Das Leben nach dem Tod, Frankfurt a. M. 2008. Im Folgenden wird im Regelfall auf die deutsche Ausgabe verwiesen. 62 Bonacina, Fabio : La salma nascosta. Mussolini a Cerro Maggiore dopo Piazzale Loreto (1946– 1957), Vignola 2004. 63 Le Naour, Jean-Yves : On a volé le Maréchal !, Paris 2009. Das Buch erschien in der Reihe »l’histoire comme un roman« bei Larousse, ist an ein größeres Publikum gewandt und verzichtet daher auf Fußnoten, bietet aber eine Bibliografie. 64 Zunächst meine Magisterarbeit Kümmel, Verena : Vom Umgang mit einem toten Diktator. Die sieben Stationen der Leiche Mussolinis, TU Darmstadt 2007, URL : http://tuprints.ulb.
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stände zum Bestandteil der in den beiden Nationen bereits ab Mitte der 60er Jahre erscheinenden wissenschaftlichen Biografien, diese blicken jedoch auf den Abschluss eines Lebenswegs oder das Ende eines autoritären Regimes und nicht auf den gesellschaftlichen Übergang. Dies führt zu sehr verkürzten Darstellungen und in einigen Fällen sehr harschen Urteilen über den nachsichtigen Umgang der Nachkriegsregierungen mit den Faschisten.65 tu-darmstadt.de/id/eprint/1343 [23.4.2018], und darauf aufbauend dies.: Von Dongo nach Predappio. Der Umgang mit der Leiche Benito Mussolinis, in : QFIAB 89 (2009), S. 317–351 ; dies.: Faustpfand und Ballast. Die Leiche Benito Mussolinis und die italienische Gesellschaft, in : Großbölting, Thomas ; Schmidt, Rüdiger (Hg.) : Der Tod des Diktators. Ereignis und Erinnerung im 20. Jahrhundert, Göttingen 2011, S. 59–79 ; dies.: Gruppenbild mit Leiche. Wie die Resistenza den Tod Mussolinis in einer Ausstellung präsentierte, in : Themenportal Europäische Geschichte (2012), URL : http://www.europa.clio-online.de/2012/Article=574 [23.4.2018]. 65 Einen Überblick über die Biografien (wissenschaftliche bis reaktionäre) zu Pétain seit seinem Tod bis 1989 bietet Laguerre, Bernard : Les biographies de Pétain, in : Azéma, Jean-Pierre ; Bédarida, François (Hg.) : Le régime de Vichy et les Français, Paris 1992, S. 45–56. Während populistische Arbeiten, wie die des französischen Journalisten Bourget, Pierre : Der Marschall. Pétain zwischen Kollaboration und Résistence, Frankfurt a. M. 1968, besonders S. 334 [Original : Paris 1965], die Todesumstände Pétains geradezu beklagten, erwähnt die bis heute wichtige Biografie Marc Ferros über Pétain dessen Tod nur beiläufig und den Leichenraub nicht einmal in der chronologischen Übersicht, Ferro, Marc : Pétain, Paris 1987, S. 658 und 728. Die neueren Biografien von Alméras, Philippe : Un Français nommé Pétain, Paris 1995 ; Atkin, Nicholas : Pétain, London 1998 ; Cointet, Michèle : Pétain et les Français 1940–1951, Paris 2002 ; Williams, Charles : Pétain. How the Hero of France became a Convicted Traitor and Changed the Course of History, Basingstoke/New York 2005, gehen hingegen ausführlicher auf seinen Tod und die Konflikte bei der Erinnerung an diesen Staatsmann ein. Doch auch in diesen Arbeiten werden die Translationsforderungen und der Leichendiebstahl als makaberes Nachspiel behandelt und nicht in den Kontext der Nachkriegsgesellschaft eingebettet. Ähnliches lässt sich für Biografien zu Mussolini nachweisen ; auch wenn Kirkpatrick, Ivone : Mussolini. A Study in Power, New York 1964 [dt. Mussolini, Berlin 1965] schon sehr früh die Todesumstände Mussolinis, die Zurschaustellung des Leichnams und die Restitution an die Familie beschrieb, liegt auch hier der Fokus auf dem Ende des Diktators und nicht auf dem Übergang zu einer neuen demokratischen Gesellschaft. Auch spätere Biografien behandeln den Diebstahl des Leichnams und die Überführung in den Geburtsort, wenn überhaupt, mehr wie ein Kuriosum, z. B. bei Smith, Denis Mack : Mussolini. Eine Biographie, München/ Wien 1983 ; Bosworth, Richard J. B.: Mussolini, London 2002 ; Schieder, Wolfgang : Benito Mussolini, München 2014. Ein sehr gutes Beispiel für die Konzentration auf das Ende des Diktators ist der französische Historiker Pierre Milza, der rund zehn Jahre nach seiner Mussolinibiografie und Luzzattos Arbeit über den toten Körper eine Studie vorlegte, die sich mit der Erschießung Mussolinis und den anhaltenden Spekulationen darüber beschäftigte, das weitere Schicksal des Leichnams aber nicht berücksichtigte ; Milza, Pierre : Mussolini, Paris 1999 ; ders.: Les derniers jours de Mussolini, Paris 2010. Einen Überblick über die Mussolinibiogra-
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Selbst Henry Rousso, der mit seiner Studie »Le syndrome de Vichy« im Jahr 1987 die Grundlage für die Aufarbeitung der Erinnerung an Vichy gelegt hat, berücksichtigte nur die Ereignisse rund um den Tod Pétains und fragte nicht, wie die Entwendung des Sarges in das von ihm konstatierte Aufbrechen der Erinnerung nach der Phase des Verdrängens von 1954 bis 1971 passte oder was die Wiederbestattung über die Erinnerungskultur unter Staatspräsident Pompidou aussagt.66 Dies ist jedoch kein Indiz für die Annahme, der Leichendiebstahl habe keine gesellschaftliche oder politische Relevanz gehabt, sondern wohl Roussos Erkenntnisinteresse geschuldet, das sich nicht mit den reaktionären Tendenzen der rechten Minderheit befasste, sondern auf die Entwicklung der die Geschichtsschreibung zum Vichy-Regime prägenden Themen ausgerichtet war. Dies waren für ihn seit 1970 die jüdische Erinnerung und die Beschäftigung mit dem Holocaust. Insgesamt ist die Forschung zur Erinnerungspolitik und Vergangenheitsbewältigung, die in beiden Ländern zum einen durch Pierre Noras Konzept der Lieux de Mémoire angestoßen und zum anderen durch die Arbeiten von Rousso und Pavone auf bisher verdrängte Aspekte der Besatzungszeit gerichtet worden war, über die Schicksale der Überreste der ehemaligen Regimeführer weitestgehend hinweggegangen und hat zunächst die mit ihnen verbundenen Erinnerungsorte untersucht. So gibt es Aufsätze zu Verdun und Vichy in den »Lieux de Mémoire«, in denen Pétain jedoch nur eine Nebenrolle einnimmt, während in der italienischen Version der Erinnerungsorte neben dem Piazzale Loreto, also dem Ort, an dem Mussolinis Leichnam 1945 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, auch Predappio als Geburts- und Bestattungsort Mussolinis behandelt wird.67 Dies scheint sich fien bietet Cardoza, Anthony L.: Recasting the Duce for the New Century. Recent Scholarship on Mussolini and Italian Fascism, in : JMH 77 (2005), S. 722–737. Eine gewisse Ausnahme bildet die Abhandlung Woller, Hans : Mussolini. Der erste Faschist. Eine Biografie, München 2016, S. 318–327, die nach Fertigstellung meiner Dissertationsschrift erschienen ist und auch keine detailliertere Untersuchung zum Umgang mit der Leiche enthält, die Stimmung in Predappio und die Pläne für ein Museum jedoch diskutiert. 66 Rousso unterschied dabei vier Phasen der Erinnerung an das Vichy-Regime in Frankreich : 1944–1954 unbeendete Trauerarbeit, 1954–1971 Verdrängung, 1971–1974 Zerbrechen des Résistance-Mythos und die Phase nach 1974 als Besessenheit mit der Vergangenheit. Auf Pétains Todesumstände und die Ansätze der Totenehrung geht er dabei ausführlich unter der Überschrift »Pétainisme« ein, Rousso, Henry : Le syndrome de Vichy de 1944 à nos jours, Paris 21990, S. 41–65. 67 Burrin, Philippe : Vichy, in : Nora, Pierre (Hg.) : Les Lieux de Mémoire. Les France, Bd. 1, Paris 1993 ; Prost, Antoine : Verdun, in : Nora, Pierre (Hg.) : Les Lieux de Mémoire. La Nation, Bd. 3, Paris 1986, S. 111–141 ; die dt. Übersetzungen Burrin, Philippe : Vichy. Die Anti-Re-
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auch in den Publikationen, die aus Anlass des 100. Jahrestages der Schlacht von Verdun erschienen sind, nicht grundsätzlich geändert zu haben.68 Die Literatur, die nach Abgabe dieser Dissertationsschrift im Januar 2016 erschienen ist, wurde jedoch nicht systematisch gesichtet und in diese Untersuchung aufgenommen. Während in der Geschichtswissenschaft seit den 1980er Jahren über alle Epochen hinweg die Untersuchung von Erinnerungskulturen zugenommen hat, erhielt die Erinnerungsforschung zu den nationalsozialistischen und faschistischen Regimen und ihren Kollaborateuren durch die Wiederaufnahme von Kriegsverbrecherprozessen in Frankreich, Deutschland und Italien besonderen Auftrieb. In Frankreich rückte dabei durch Angeklagte wie Paul Touvier, Maurice Papon und René Bousquet die französische Beteiligung an der Judendeportation und die Komplexität der Kollaboration ins Licht der Öffentlichkeit,69 nachdem mit Klaus Barbie einem der letzten deutschen Kriegsverbrecher in Frankreich der Prozess gemacht worden war. Demgegenüber wendete sich die italienische Justiz Mitte der 1990er Jahre erstmals der systematischen Verfolgung der deutschen Kriegsverbrechen in Italien zu.70 Der deutsche Zeithistoriker Lutz Klinkhammer und sein italienischer Kollege Filippo Focardi haben darauf hingewiesen, dass der italienische Staat die von Wehrmachtsangehörigen verübten Verbrechen verzögert verfolgte, da er befürchtet habe, im Gegenzug für die Kriegsverbrechen italienischer Soldaten zur Rechenschaft gezogen zu werden.71 Während sich die italienische Justiz mit den in Italien publik, in : Nora, Pierre (Hg.) : Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005, S. 136–156, und Prost, Antoine : Verdun, in : ebenda, S. 253–278 ; Dondi, Mirco : Piazzale Loreto, in : Isnenghi, Mario (Hg.) : I luoghi della memoria, Bd. 1, Simboli e miti dell’Italia unita, Rom 1996, S. 489–499 ; Baioni, Massimo : Predappio, in : ebenda, S. 501–511. 68 Krumeich, Gerd ; Prost, Antoine : Verdun 1916. Die Schlacht und ihr Mythos aus deutsch-französischer Sicht, Essen 2016, geht kurz auf die Mythisierung Pétains und die schwierige Erinnerung an ihn ein, S. 208–210. 69 Diese Einschätzung bei Altwegg, Jürg : Die langen Schatten von Vichy. Frankreich, Deutschland und die Rückkehr des Verdrängten, München 1998, S. 73. 70 Aus der Vielzahl der Publikationen sei hier zur Einordnung verwiesen auf Klinkhammer, Lutz : Ahndung von deutschen Kriegsverbrechen in Italien nach 1945, in : Rusconi, Gian Enrico ; Woller, Hans (Hg.) : Parallele Geschichte ? Italien und Deutschland 1945–2000, Berlin 2006, S. 89–107 ; Schreiber, Gerhard : Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung, München 1996 ; Staron, Joachim : Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999), Paderborn 2002. 71 Focardi, Filippo : Das Kalkül des »Bumerangs«. Politik und Rechtsfragen im Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Italien, in : Frei, Norbert (Hg.) : Transnationale Vergangen-
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begangenen Kriegsverbrechen auseinandersetzte, beschäftigte sich die italienische wie internationale Forschung zur italienischen Geschichte seit Mitte der 1990er Jahre ausführlich mit den Kriegsverbrechen der italienischen Armee und deren Ahndung.72 Insgesamt hat sich die Historiografie seitdem ausführlich mit der strafrechtlichen Aufarbeitung des Vichy-Regimes, des Faschismus – insbesondere der RSI – sowie der deutschen Besatzung beschäftigt. Neben den Kriegsverbrechen rückte sie dabei die Prozesse der innergesellschaftlichen Abrechnung in den Blick.73 Im Rahmen dieser Arbeiten wurden zwar auch die Todesumstände Mussolinis und die Verurteilung und Inhaftierung Pétains untersucht, doch nicht, wie mit ihnen nach ihrem Tod umgegangen wurde und welche längerfristigen Konsequenzen die Begräbnisse hatten. Über den reinen Abrechnungsgedanken hinaus blickt aber unter anderem der Forschungsansatz der Transitional Justice. Dieser löst sich stärker von der einzelnen nationalen Historiografie und achtet nicht nur auf formale und juristische Aspekte. Die gesellschaftliche Umgestaltung nach Konflikten besteht dieser Theorie zufolge aus den vier Säulen Friedenssicherung, Stabilisierung gesellschaftlicher Strukturen, Konsolidierung des demokratischen Regierungssystems sowie der Ermöglichung individueller und nationaler Versöhnung.74
Dieser Ansatz deckt sich zum Teil mit dem Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie, denn er fragt, wie Staatsführungen jenseits juristischer Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden und »auf welch unterschiedliche Art und Weise Gesellschaften nach Regimewechseln ihre offenen Rechnungen aus der Vergangenheit begleichen«75. Doch dabei konzentrieren sich diese Arbeiten auf institutionelle Entscheidungen, die gesellschaftliche und kulturelle Perspektive heitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 536–566, hier S. 538 f.; Klinkhammer : Ahndung von deutschen Kriegsverbrechen in Italien nach 1945, S. 97 ; aber für eine knappe Einordnung auch Woller, Hans : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 220 f. 72 Einen Überblick bietet das Schwerpunktheft des Journal of Modern Italian Studies 9 (2004) Nr. 3, darin u. a. Klinkhammer, Lutz ; Focardi, Filippo : The Question of Fascist Italy’s War Crimes : The Construction of a Self-Acquitting Myth (1943–1948), in : Journal of Modern Italian Studies 9 (2004), S. 330–348. 73 Auf die Säuberungen wurde beim historischen Kontext in 1.2.1 bereits eingegangen. 74 Lingen : ›Crimes Against Humanity‹, S. 374. Auch Kritz : Transitional Justice, oder Elster : Retribution and Reparation in the Transition to Democracy. 75 Elster, Jon : Die Akten schließen. Nach dem Ende von Diktaturen, Bonn 2005, S. 9.
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wird dabei meist nicht berücksichtigt. Genau diese kulturgeschichtliche Perspektive leuchtet die vorliegende Untersuchung stärker aus und kann die Folgen der unmittelbaren, zum Kriegsende in Bezug auf Pétain und Mussolini getroffenen Entscheidungen, wie etwa die Entwendung der Leichen und die Versammlungen an den Gräbern, über mehrere Jahrzehnte nachverfolgen. Dazu knüpft sie sowohl an die Studien zur Abrechnung wie zur Aufarbeitung der Vergangenheit an.76 Doch wird sich diese Untersuchung in erster Linie nicht mit memorialen Aspekten, wie der 1968 einsetzenden Praxis der französischen Staatspräsidenten, das Grab Pétains auf der Île d’Yeu zu Jahrestagen des Kriegsendes von 1918 mit einem Blumengesteck schmücken zu lassen, befassen.77 Auch wird nicht näher auf die gegenwärtige Debatte um ein Museum über den Faschismus in Mussolinis Geburtsort oder die dort besonders zu faschistischen Gedenktagen stattfindenden neofaschistischen Demonstrationen eingegangen.78 Vielmehr geht es in der vorliegenden Untersuchung um die Grundlage dieser erinnerungspolitischen Handlungen : die Bestattungen und die Entstehung der Gräber, in denen eine bestimmte Sicht auf die Verstorbenen verfestigt wurde. Wie gezeigt wird, handelte es sich dabei um Prozesse, die in Italien mit der Bestattung in Predappio 1957, spätestens jedoch mit der Umgestaltung der Familiengruft nach dem Bombenanschlag 1971, und in Frankreich mit der Wiederbestattung auf Yeu 1973 beendet wurden. Nach diesen Beisetzungen fungierten die Gräber als zentrale Orte des Totengedenkens für Neofaschisten und Rechtsradikale, zogen aber gleichzeitig auch Touristen und Kritiker an.
76 Zur Vergangenheitsbewältigung in Italien : Focardi, Filippo : La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Rom 2005 ; Moos, Carlo : Die ›guten‹ Italiener und die Zeitgeschichte. Zum Problem der Vergangenheitsbewältigung in Italien, in : Historische Zeitschrift 259 (1994), S. 671–694 ; und in Frankreich : Florin, Christiane : Philippe Pétain und Pierre Laval. Das Bild zweier Kollaborateure im französischen Gedächtnis. Ein Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung in Frankreich 1945–1995, Frankfurt a. M. 1997 ; Rousso, Henry ; Conan, Eric : Vichy, un passé qui ne passe pas, Paris 1994. 77 Williams : Pétain, S. 4 f.; Altwegg : Die langen Schatten von Vichy, S. 141. 78 Di Caro, Roberto : »Benito Mussolini val bene un museo«, in : L’Espresso, 26. Oktober 2015, URL : http://espresso.repubblica.it/attualita/2015/10/23/news/mussolini-val-bene-un-museo1.235880 [10.12.2015]. Die Rolle Predappios in der (neo)faschistischen Erinnerungskultur wurde durch Sofia Serenelli untersucht : Serenelli, Sofia : A town for the cult of the Duce : Predappio as a site of pilgrimage, in : Gundle ; Duggan ; Pieri (Hg.) : The Cult of the Duce, S. 93–109 ; dies.: ›It was like something that you have at home which becomes so familiar that you don’t even pay attention to it‹. Memories of Mussolini and Fascism in Predappio, 1922–2010, in : Modern Italy 18 (2013), Nr. 2, S. 157–175.
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1.3 Analytischer Schlüssel : Zeremoniell Ein Vergleich bedarf nicht nur eines vergleichbaren Untersuchungsgegenstandes, sondern auch eines methodischen Rahmens, der es ermöglicht, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede herauszuarbeiten. Im Folgenden soll daher zunächst dargestellt werden, welche konzeptuellen Angebote die historische Forschung für die Analyse des Umgangs mit toten Herrschern macht. Dazu werden zunächst die Forschungsfelder vorgestellt, die sich explizit mit Bestattungen befassen, bevor dann einige methodische Vorüberlegungen zur vergleichenden Analyse von Begräbnissen ehemaliger Diktatoren angestellt werden. Abschließend wird der hier gewählte analytische Zugang über das Zeremoniell begründet. 1.3.1 Forschungsfelder Herrscherbegräbnisse sind insbesondere in der Mediävistik und Frühen Neuzeitforschung populäre Forschungsgegenstände,79 werden aber von der Antike bis ins 19. Jahrhundert untersucht.80 Der Tod des Herrschers gilt sogar als eigenständiges ikonografisches Motiv, welches »für die Wahrnehmbarkeit sinnhafter Ordnung beziehungsweise Neuordnung politischer Machtsysteme« steht.81 Dabei rücken mit dem Übergang zu konstitutionellen und demokrati79 Die in diesem Zusammenhang theoretisch wohl bekannteste Arbeit ist Kantorowicz, Ernst : Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990. Weitere Beispiele sind Given-Wilson, Chris : The Exequies of Edward III and the Royal Funeral Ceremony in Late Medieval England, in : English Historical Review CXXIV (2009), Nr. 507, S. 257–282 ; Kolmer, Lothar (Hg.) : Der Tod des Mächtigen. Kult und Kultur des Todes spätmittelalterlicher Herrscher, Paderborn 1997 ; Meyer, Rudolf : Königs- und Kaiserbegräbnisse im Spätmittelalter. Von Rudolf von Habsburg bis Friedrich III., Köln 2000 ; Nagle, Jean : La civilisation du cœur. Histoire du sentiment politique en France du XIIe au XIXe siècle, Paris 1998 ; Schmidt, Maja : Tod und Herrschaft. Fürstliches Funeralwesen der frühen Neuzeit in Thüringen, Gotha 2002. 80 Assmann, Jan (Hg.) : Der Tod als Thema der Kulturtheorie. Todesbilder und Totenriten im Alten Ägypten, Frankfurt a. M. 2000 ; Bland, Olivia : The Royal Way of Death, London 1986 ; Gersmann, Gudrun : Ein König ohne Grab. Was geschah mit dem Leichnam Ludwigs XVI.? Versuch einer Rekonstruktion, in : Hoeres, Peter ; Owzar, Armin ; Schröer, Christina (Hg.) : Herrschaftsverlust und Machtverfall, München 2013, S. 181–192 ; Janz ; Klinkhammer (Hg.) : La morte per la patria ; Kampmann, Christoph ; Papenheim, Martin (Hg.) : Der Tod des Herrschers. Aspekte der zeremoniellen und literarischen Verarbeitung des Todes politischer Führungsfiguren, Marburg 2009 ; Rader : Grab und Herrschaft. 81 Zitzlsperger, Philipp : Tod des Herrschers, in : Fleckner, Uwe ; Warnke, Martin ; Ziegler, Hend-
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schen Regierungsformen die Staatsbegräbnisse und staatlichen Totenfeiern, die nicht auf den Herrscher und den Adel beschränkt waren, in den Fokus.82 Trotz dieser hohen Popularität des Themas und des starken Gegenwartsbezugs durch die Beobachtungen, die etwa bei den Bestattungen von Muammar al-Gaddafi, Saddam Hussein oder Slobodan Milošević gemacht werden konnten, stellt die Beschäftigung mit gestürzten Herrschern bisher ein Desiderat dieser Forschung dar. Auch in der Anthropologie ist dieses Thema bisher nur angerissen worden.83 Bestehende Ansätze helfen im Fall Pétains und Mussolinis nur partiell weiter. So wird der Forschungsansatz zu politischen Totenkulten, wie er in Deutschland durch Reinhart Koselleck geprägt wurde und sich auf das staatlich institutionalisierte Gedenken an für den Staat Gefallene bezieht,84 den Fällen von Mussolini und Pétain nicht gerecht, da sie nicht während einer Schlacht gefallen sind – Mussolini und seine Geliebte waren von den sie begleitenden Faschisten getrennt und erst am Tag nach ihrer Festnahme erschossen worden. rik (Hg.) : Handbuch der politischen Ikonographie, Bd. 2, München 2011, S. 440–447, hier S. 444. 82 Bspw. Ackermann, Volker : Nationale Totenfeiern in Deutschland. Von Wilhelm I. bis Franz Josef Strauß. Eine Studie zur politischen Semiotik, Stuttgart 1990 ; Ben-Amos : Funerals, Politics, and Memory in Modern France ; Kümmel, Verena : Bestattungszeremonien in der politischen Kultur der Julimonarchie, in : Francia 41 (2014), S. 177–199 ; Mühlhausen, Walter : Die Republik in Trauer. Der Tod des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert, Heidelberg 2005 ; Redlin, Jane : Säkulare Totenrituale. Totenverehrung, Staatsbegräbnis und private Bestattung in der DDR, Münster 2009 ; Reuter, Ursula : Trauerfeiern für Parlamentarier, in : Biefang, Andreas, Epkenhans, Michael ; Tenfelde, Klaus (Hg.) : Das politische Zeremoniell im Deutschen Kaiserreich 1871–1918, Berlin 2008, S. 327–340 ; Wendler, Joachim : Rituale des Abschieds. Eine Studie über das staatliche Begräbniszeremoniell in Deutschland, Stuttgart 2007. 83 So die bereits eingangs erwähnte Arbeit von Verdery : The Political Lives of Dead Bodies, und der Sammelband Borneman, John (Hg.) : Death of the Father. An Anthropology of the End in Political Authority, New York, Oxford 2004. 84 Koselleck, Reinhart ; Jeismann, Michael (Hg.) : Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994. Zur politischen Legitimation durch politischen Totenkult Hettling, Manfred : Nationale Weichenstellung und Individualisierung der Erinnerung politischer Totenkulte im Vergleich, in : ders.; Echternkamp, Jörg (Hg.) : Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, S. 11–42, hier S. 12, aber auch ders.: Totenkult statt Revolution. 1848 und seine Opfer, Frankfurt a. M. 1998 ; Janz, Oliver : Das symbolische Kapital der Trauer. Nation, Religion und Familie im italienischen Gefallenenkult des Ersten Weltkriegs, Tübingen 2009 ; Conti, Fulvio : The Religion of the Homeland. The Cult of »Martyrs of Freedom« in Nineteenth-century Italy, in : JMEH 12 (2014), S. 398–417.
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Pétain wird zwar häufig in Darstellungen zum Gefallenenkult des Ersten Weltkriegs erwähnt, weil er die gefallenen Soldaten befehligt hatte, aber sein eigenes Grab spielt in diesem Kontext keine Rolle. In Italien wie in Frankreich haben sich der politische Totenkult und die damit verbundene Forschung nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zunächst der Gegner und anschließend der Opfer der Regime, nicht ihrer Protagonisten angenommen.85 In diesem Zusammenhang hat der italienische Historiker Guri Schwarz, der sich mit den unterschiedlichen Opfergruppen beschäftigt hat, deutlich gemacht, wie sich der Wandel von einem heroisierenden Gefallenenkult vor dem Zweiten Weltkrieg zu einem mahnenden Gedenken im republikanischen Italien entwickelte.86 Ein Mentalitätswandel, den Reinhart Koselleck auch für die Bundesrepublik nachgewiesen hat, während in Frankreich die Mahnmale für die Toten der Résistance durchaus auch heroisierend wirken konnten.87 Selbst dem Forschungsfeld der politischen Bestattung sind die Beisetzungen Mussolinis und Pétains eigentlich nicht zuzuordnen, da darin bislang Bestattungen untersucht werden, in denen politischer Protest gegen ein herrschendes Regime zum Ausdruck kommt.88 Anders als die Forschung zum politischen Totenkult richtet dieser Ansatz sein Augenmerk nicht so sehr auf Grab- oder 85 Zur Pantheonisierung des Widerstandskämpfers Jean Moulin ; Ben-Amos, Avner : Panthéon, in : Sirinelli, Jean-François (Hg.) : Dictionnaire historique de la vie politique française au XXe siècle, Paris 1995, S. 746–752 ; Hellman, John : Wounding Memories : Mitterrand, Moulin, Touvier, and the Divine Half-Lie of Resistance, in : French Historical Studies 19 (1995), S. 461–486 ; zum auf de Gaulles Betreiben errichteten Widerstandsdenkmal am Mont Valérien Gilzmer, Mechthild : »A nos morts«. Wandlungen im Totenkult vom 19. Jahrhundert bis heute, in : Hettling, Manfred ; Echternkamp, Jörg (Hg.) : Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, S. 175–198, hier S. 186–188, oder zum Andenken an die griechischen und italienischen Opfer des Massakers von Kefalonia Klinkhammer, Lutz : Congiunture della memoria. La riscoperta degli eroi di Cefalonia, in : Janz ; ders. (Hg.) : La morte per la patria, S. 175–188. Wobei an die ›einfachen‹ gefallenen Soldaten durchaus auf den Gedenktafeln ihrer Gemeinden erinnert wird. 86 Schwarz, Guri : La guerra non più nobile. Trasformazioni del lutto e destrutturazione del mito della bella morte nell’Italia postfascista, in : Janz ; Klinkhammer (Hg.) : La morte per la patria, S. 213–240 ; Schwarz, Guri : Tu mi devi seppellir. Riti funebri e culto nazionale alle origini della Repubblica, Turin 2010. 87 Koselleck, Reinhart : Der Einfluss der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in : Wette, Wolfram (Hg.) : Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1992, S. 324–343. 88 Goldstein, Robert Justin : Political Funerals, in : Society 21 (1984), S. 13–17 ; Huges, Michael L.: Splendid Demonstrations. The Political Funerals of Kaiser Wilhelm I and Wilhelm Liebknecht, in : Central European History 41 (2008), S. 229–253.
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Denkmäler, sondern auf die Bestattungen und Trauerfeiern selbst. Die Bestattungen sind in allen hier vorgestellten Forschungsfeldern – den Herrscher- und Staatsbegräbnissen, dem politischen Totenkult sowie den politischen Bestattungen – Gegenstand der Untersuchung, auch wenn sie beim Totenkult,89 auf Grund seiner Erinnerungsfunktion, nicht ausschließlich betrachtet werden. 1.3.2 Methodische Vorüberlegungen Bestattungen sind Rituale par excellence, da sie bestimmten Regeln folgen. Sie führen zu einer Zustandsveränderung – im religiösen Sinn geht der oder die Verstorbene über in das Leben nach dem Tod und im sozialen Sinn wird die Krise der Gemeinschaft der Lebenden bewältigt, weshalb auch von der Bestattung als Trennungsritual gesprochen wird.90 Bestattungen sind außerdem aus dem alltäglichen Handlungsfluss herausgelöst und verweisen über sich selbst hinaus auf einen größeren Ordnungszusammenhang. Sie erfüllen damit die von der Frühneuzeithistorikerin Barbara Stollberg-Rilinger zur Definition von Ritualen in der Geschichtswissenschaft herausgestellten Kriterien.91 Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts unterlagen die Bestattungen in Zentraleuropa der kirchlichen Autorität. Die Vorschriften für katholische Bestattungen – denn Frankreich und Italien waren katholisch geprägte Länder und die Verstorbenen waren katholisch getauft und vermählt worden – war 1614 im Rituale Romanum schriftlich fixiert worden. Doch seit dem beginnenden 19. Jahrhundert ging die Regelung von Bestattungen in staatliche Hände über und es wurden verwaltungstechnische und hygienische Vorschriften erlassen.92 Insofern unterlagen die einzelnen Handlungen einer Bestattung seitdem nicht 89 Unter Totenkult werden allgemein alle Handlungen gegenüber einem Verstorbenen verstanden, die der Erinnerung dienen. Diese können wie bspw. bei Lenin kultische Züge annehmen oder sich auf Gruppen beziehen wie beim Gefallenenkult. Zur Begriffsbestimmung Art. »Totenkult«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur, Bd. 1, S. 333 und Bd. 3, S. 374. 90 Art. »Bestattung, allgemein«, in : ders. (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 44. 91 Stollberg-Rilinger, Barbara : Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen − Forschungsperspektiven, in : Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489– 527, hier S. 503 f. 92 Dazu etwa Petrantoni, Michele : La lunga strada per la sepoltura civile, in : ders. (Hg.) : Il Monumentale di Milano. Il primo cimitero della libertà, 1866–1992, Mailand 1992, S. 9–48 ; Klinge, Ines : Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung. Der Tod in der Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Dimension, Baden-Baden 1996.
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nur einem kirchlichen Regelwerk und lokalen volkstümlichen Traditionen, sondern mussten Vorschriften aus sehr unterschiedlichen Bereichen erfüllen. Die liturgischen Anweisungen hatten zwar weiterhin Bestand, doch erhielten die Kommunen das Bestattungsrecht und durch die laizistischen Bewegungen in Frankreich und Italien verlor die kirchliche Liturgie bei Bestattungen ihre Selbstverständlichkeit, wie etwa das Begräbnis von Victor Hugo zeigt. Hugo erhielt auf Beschluss des französischen Parlaments ein Staatsbegräbnis und wurde nach der Aufbahrung unter dem Triumphbogen im Pantheon beigesetzt, doch gab es keinen Gottesdienst, da der Schriftsteller sich dies verbeten hatte.93 In der Praxis ist der Gestaltungsspielraum bei Bestattungen also sehr breit, was eine komparatistische Analyse erschwert, will man die Fälle nicht ausschließlich aufeinander beziehen, sondern auch in den jeweiligen historischen und kulturellen Kontext einordnen. Um die so unterschiedlich gestaltbaren Bestattungen dennoch vergleichen zu können, werden in dieser Untersuchung die Bestattungen nicht als in sich geschlossene Rituale miteinander verglichen, sondern es wird die zusätzliche Referenzebene der allgemeinen Regeln, das Bestattungszeremoniell, eingeführt. Das Zeremoniell umfasst die »Gesamtheit der regelhaften Vorschriften bei feierlichen Handlungen«94 und bietet als solches einen Untersuchungsrahmen für die rituellen und zeremoniellen Handlungen rund um die Bestattungen.95 Dies soll die rituelle Dimension von Begräbnissen nicht schmälern oder sie zu rein repräsentativen Akten verklären,96 es dient einzig der Vergleichbarkeit der einzelnen Komponenten miteinander und dem, was bei anderen Herrscherbegräbnissen üblich gewesen ist. Insofern orientiert 93 Dazu bspw. Nash, Suzanne : Casting Hugo into History, in : Nineteenth-Century French Studies 35 (2006), S. 189–205, hier S. 201 ; sowie das Kapitel »The Moral Order : The Battle over Civil Funerals 1871–1877«, in : Ben-Amos : Funerals, Politics, and Memory in Modern France. 94 Schenk, Gerrit Jasper : Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich, Köln 2003, S. 66. 95 Simone Derix hat in ihrer Studie über Staatsbesuche darauf hingewiesen, dass diese rituelle und zeremonielle Handlungen in sich vereinen können. Dies erscheint auf Staatsakte im Allgemeinen übertragbar ; Derix, Simone : Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik. Deutschland 1949–1990, Göttingen 2009, S. 17. 96 Über die genaue Differenzierung von Zeremonie und Ritual herrscht in der historischen Forschung keine Einigkeit, doch zu den wichtigen Unterscheidungskriterien gehören die Partizipation am Ritual und die Repräsentation in der Zeremonie. Dazu u. a. Althoff, Gerd : Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 13 f.; Derix : Bebilderte Politik, S. 17 ; Paulmann, Johannes : Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000, S. 17 ; Stollberg-Rilinger : Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, S. 504.
Analytischer Schlüssel : Zeremoniell |
sich dieses Vorgehen an der Praxis der protokollarischen Vorschriften, wie sie für Bestattungen seit Jahrhunderten erlassen wurden.97 Bei Staatsbegräbnissen erarbeiten von der Regierung beauftragte Beamte oder Protokollabteilungen spezielle Ablaufpläne, welche individuelle Wünsche mit den liturgischen, juristischen und traditionellen Vorschriften, aber auch den repräsentativen Absichten des Staates und dessen Traditionen vereinen.98 So existierten etwa in Frankreich besondere Bestattungsregeln für Generäle und Marschälle, die religiöse und militärische Aspekte verbanden,99 welche als Referenz für die Bestattung von Pétain noch näher dargestellt werden.100 Das Zeremoniell funktioniert aber nicht nur als analytischer Schlüssel für die Bestattungen selbst, sondern auch für die Graböffnungen sowie die Ermittlungen, die als juristische Verfahren ebenfalls auf einem festen Regelwerk basierten. Dabei werden die Störungen der Totenruhe aber nicht mit den aus der Vormoderne bekannten rituellen Grab- oder Leichenschändungen verbunden,101 sondern scheinen an die Tradition der politischen Umbettungen im Kult um »große Männer« anknüpfen zu können.102 1.3.3 Eigenes Vorgehen Was gehört nun zu den allgemeinen Regeln für eine Bestattung ? Was macht ein Bestattungszeremoniell generell aus ? Dies soll im Folgenden genauer aus-
97 Erinnert sei hier an die soziale Differenzierung durch Vorschriften zum Bestattungsluxus und die Einführung von Bestattungsklassen im 19. Jahrhundert, Sörries, Reiner : Art. »Bestattungsluxus«, in : ders. (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 48–49, ausführlicher zu Frankreich Kselman, Thomas Albert : Death and Afterlife in Modern France, Princeton 1993, S. 231–270. 98 Dazu aus der deutschen Praxis, Hartmann, Jürgen : Staatszeremoniell, Köln u. a. 42007, S. 135–141. 99 Dazu Nettement, Alfred : Art. »Funérailles«, in : Grand dictionnaire universel du XIXe siècle. Français, historique, géographique, mythologique, bibliographique, Bd. 8, Paris 1872, S. 878–881, hier S. 879. 100 Dazu mehr in Kapitel 2.4.1. 101 Dazu bspw. Laqueur, Thomas Walter : The Work of the Dead. A Cultural History of Mortal Remains, Princeton 2015, S. 105 f. und 336. 102 In Frankreich ist dies von den Pantheonisierungen von Voltaire und Mirabeau über die Retour des cendres Napoleons bis in die Gegenwart zu verfolgen. Auch in Italien waren Translationen als Mittel der politischen Inszenierung und der Betonung bestimmter Erinnerungen üblich, z. B. die Translation Anita Riviero Garibaldis im Garibaldi-Jahr 1932, dazu Fogu, Claudio : The Historic Imaginary. Politics of History in Fascist Italy, Toronto 2003.
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geführt werden, damit das Bestattungszeremoniell die Folie für die späteren Befunde für den Umgang mit den Leichen bilden kann. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass sich die durch das Rituale Romanum geprägte Differenzierung in Handlungen am Sterbeort oder Trauerhaus, in der Kirche und/oder Leichenhalle und am Grab erhalten hat. Auch die juristischen und traditionellen Aspekte kreisen um diese drei Stationen. Dabei vermischen sich in der Praxis die liturgischen und weltlichen Aspekte jedoch auch. Zu den zivilrechtlichen Aspekten der Bestattung gehört die Feststellung des Todes durch einen Arzt, die Leichenschau und die Ausstellung der Sterbeurkunde. Bei ungeklärter oder unnatürlicher Todesart muss auch eine Obduktion, also eine Leichenöffnung, angeordnet werden.103 Ebenfalls zu den nicht kirchlichen Elementen gehört die Aufbahrung des Verstorbenen, um den Trauernden die Möglichkeit zu geben, den Toten noch einmal zu sehen. Man unterscheidet zwei Arten der Aufbahrung : die private im familiären häuslichen Rahmen und die öffentliche Aufbahrung, auch Exposition genannt, die sich aus der Inszenierung des Herrscherbegräbnisses herausbildete und auch in einer Kirche stattfinden konnte.104 Die bei der katholischen Bestattung vorgeschriebenen kirchlichen Handlungen werden Exequien – also Geleit – genannt. Sie beziehen sich auf den Zeitraum vom Tod bis zur Beisetzung und umfassen die Aussegnung des Verstorbenen am Sterbeort, die Überführung der Leiche in die Kirche, das Totenoffizium, das Requiem, die Beisetzung im eigentlichen Sinn sowie das Totengedenken.105 Dabei können diese einzelnen Aspekte in der Praxis in sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Kombinationen vorkommen. Auch deshalb werden die Bestattungen zur Untersuchung ihrer inszenatorischen Funktionen in die einzelnen Handlungen aufgegliedert. Für die Phase, die zwischen den ursprünglichen und den wiederholten Bestattungen liegen, ist eine derartige Ausdifferenzierung allerdings nicht möglich. Dort folgt die Analyse im Wesentlichen den Abläufen der Diebstähle, des Versteckens und der Ermittlungen, 103 Dazu Bauer, Franz : »Von Tod und Bestattung in alter und neuer Zeit«, in : HZ 254 (1992), S. 1–31, hier S. 17 f.; Art. »Leichenschau«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 202. 104 Art. »Exposition«, in : Sörries, Reiner (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur, Bd. 2 : Archäologisch-kunstgeschichtlicher Teil. Von Abfallgrube bis Zwölftafelgesetz, Braunschweig 2005, S. 92–93. 105 Löwenberg, Bruno : Art. »Exequien«, in : LThK2, Bd. 3, S. 1297 ; wobei auch die Liturgiereform 1969 keine für diese Untersuchung relevanten Änderungen daran vorgenommen hat.
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wobei für letztere die Strafprozessordnungen durchaus als Referenz dienen. Durch die Zerlegung der Analyse in einzelne Handlungen können darüber hinaus die einzelnen sie ausführenden und beeinflussenden Akteure deutlicher herausgearbeitet werden. Dies ist gerade für die Untersuchung konkurrierender Vorstellungen und des Prozesses der politischen Selbstverständigung relevant.
1.4 Quellen Der symbolisch-rituelle Charakter von Bestattungen macht sie für Fragen der gesellschaftlichen Ordnung und politischen Inszenierung interessant, gleichzeitig stellt der ephemere Charakter ihrer symbolischen Handlungen die Forschung vor ein Quellenproblem. Viele wichtige Aspekte gehen unmittelbar nach dem Vollzug der Handlungen verloren. Zwar bieten Fotografie und Film die Möglichkeit, die Handlungen im Moment ihrer Ausführung zu dokumentieren, doch auch diese Techniken vermitteln nur einen Teil des Rituals – sie dokumentieren nur Ausschnitte der Handlungen, die durch Aufnahmeperspektiven und Auswahl bereits einer ersten, oft impliziten Interpretation unterworfen sind. Die meisten Beschreibungen des Handlungsverlaufs entstehen jedoch nachträglich und es ist zu klären, wie zuverlässig und umfangreich diese sind. Das Problem der nachträglichen Berichterstattung besteht sowohl bei den textlichen wie den visuellen Zeremonialbeschreibungen, während Akten über die Planungen von Bestattungen nur den Soll-, aber nicht den Ist-Zustand erschließen helfen. Im Folgenden sollen die hier verwendeten Quellengruppen (Memorial- und Augenzeugenberichte, Zeitungsartikel und Bilder) vorgestellt und ihre methodischen Funktionen diskutiert werden. Wichtig ist dabei, dass die Quellen nicht nur als Zugang zur Rekonstruktion der Ereignisabläufe gesehen werden können, sondern im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen ebenfalls zum Untersuchungsgegenstand werden müssen, da sie häufig selbst Teil der Inszenierungen und damit der politischen Auseinandersetzungen waren. Dieser Doppelcharakter der Quellen wirft besondere methodische Probleme auf, die insbesondere im Zusammenhang mit der Verwendung von Bildern erörtert werden.
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1.4.1 Augenzeugenberichte und zeitgenössische Dokumente Da die italienischen und französischen Regierungen die Verantwortung für die Bestattungen von Mussolini und Pétain übernommen hatten, liegt es nahe anzunehmen, dass sie auch im Vorfeld darüber nachgedacht haben, wie die ehemaligen Regimechefs beigesetzt werden sollten. Doch es war nicht möglich, in den französischen und italienischen Staatsarchiven derartige Planungsunterlagen zu finden. Der renommierte italienische Historiker Sergio Luzzatto geht davon aus, dass viele Unterlagen über die Entscheidungen zum Umgang mit Mussolinis Leichnam verloren gegangen sind.106 Immerhin sind Dokumente zum Leichendiebstahl erhalten,107 jedoch geben auch diese keinen Aufschluss über Planungen oder Strategien. In Frankreich hingegen scheint es so, als seien die Planungen auf Grund sehr unterschiedlicher Zuständigkeiten, oder besser der Ablehnung von Zuständigkeit einzelner Ministerien, nie systematisch dokumentiert worden.108 Dies kann in manchen Aspekten jedoch durch Ereignisberichte von Beteiligten und die darin erhaltenen Dokumente kompensiert werden. Insbesondere der Verteidiger Pétains und Anwalt der Witwe, Jacques Isorni, hat in seinen zahlreichen Publikationen stets Dokumente abgedruckt, so dass Teile des Schriftverkehrs zwischen ihm und den einzelnen Regierungs-
106 Luzzatto : Il Duce, S. 331, Anm. 1. 107 Die einschlägigsten Bestände dazu sind im Archivio Centrale dello Stato (ACS), Ministero dell’Interno (MI), Gabinetto 1944–46 sowie Gabinetto 1957–60, und Presidenza del Consiglio dei Ministri (PCM), Gabinetto 1944–47 sowie Segreteria particolare del Presidente del Consiglio Alcide De Gasperi. Auch der Versuch, in den Beständen der Fondazione Ugo Spirito zumindest die Überlegungen der neofaschistischen Partei MSI zu ihrer Haltung in der Diskussion um den Leichnam nachvollziehen zu können, blieb erfolglos. Wobei dies, wie sich im Verlauf der Analyse zeigen wird, auch daran liegen mag, dass die Partei keine einheitliche Linie bei den Restitutionsforderungen verfolgte. 108 So beschreibt bspw. der französische Staatspräsident Vincent Auriol, wie sehr er sich dafür einsetzen musste, dass die von ihm gewährte Haftmilderung überhaupt veröffentlicht wurde, Auriol, Vincent : Journal du septennat, 1947–1954, Bd. 5 : 1951, hg. v. Laurent Theis. Paris 1975, S. 224. Der französische Historiker Jean-Yves Le Naour beklagt ebenfalls die unbefriedigende Aktenlage und stützt sich in seiner Darstellung des Diebstahls auf den Bestand 415 AP 3, fonds Pétain, der Archives nationales (Paris), ergänzt durch Dokumente aus Fountainebleau und dem Archiv des Départements Vendée ; Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 201. Aber gerade aus den Schilderungen des Anwalt Jacques Isorni über seine Bemühungen um die Revision des Prozesses gegen Pétain wird deutlich, wie sehr die Minister versuchten, sich einer Auseinandersetzung mit dem Fall Pétain zu entziehen, Isorni, Jacques : Lettre anxieuse au Président de la République française au sujet de Philippe Pétain, Paris 1975.
Quellen |
mitgliedern in dieser selektiven Form erhalten sind.109 Außerdem sind die Tagebücher des französischen Staatspräsidenten Vincent Auriol als historische Edition erschienen.110 Zudem hat der Gefängnisdirektor des Fort Pierre-Levée Erinnerungen an Pétains Haftzeit veröffentlicht, die einen Eindruck von den behördlichen Vorbereitungen für den Todesfall geben.111 Einblick in die Vorbereitung und die Durchführung der Umbettung Mussolinis geben insbesondere die Lebenserinnerungen seiner Witwe.112 Zu diesen Memoiren gesellen sich die Erinnerungen, die von Beteiligten an den Leichendiebstählen verfasst worden sind.113 Sie geben trotz aller Selbststilisierungen Auskunft über die Motivationen der Diebe und ihr Vorgehen, wie es weder die mediale noch die polizeiliche Berichterstattung können. Außerdem werden ergänzend weitere zeitgenössische Darstellungen und Erinnerungsliteratur, etwa von ehemaligen Widerstandskämpfern sowie von 109 Jacque Isorni publizierte neben seiner juristischen und politischen Tätigkeit sehr umfangreich. Hier nur die für Pétains posthumes Schicksal einschlägigsten Werke : Isorni, Jacques ; Lemaire, Jean : Requête en révision pour Philippe Pétain, Paris 1950 ; Isorni, Jacques : Souffrance et mort du maréchal Pétain, Paris 1951 ; Isorni, Jacques : Pétain a sauvé la France, Paris 1964 ; ders.: Philippe Pétain, 2 Bde., Paris 1972/1973 ; ders.: Lettre anxieuse au Président de la République française au sujet de Philippe Pétain ; ders.: Le condamné de la citadelle, Paris 1982 ; ders : Mémoires, 3 Bde., Paris 1984–1988. 110 Die Edition erschien unter Mitwirkung der renommierten französischen Historiker Pierre Nora, René Rémond u.a. und umfasst die sieben Jahre seiner Präsidentschaft. Auriol, Vincent : Journal du septennat, 1947–1954, 7 Bde., hg. v. Laurent Theis. Paris 1971–1978 und 2003 [Bd. 4]. 111 Die Veröffentlichung von Joseph Simons tagebuchartigem Erlebnisbericht veranlasste der Journalist Pierre Bourget von L’Aurore. In der rechten Tageszeitung hatte dieser bereits im Oktober 1959 eine darauf basierende sechsteilige Artikelserie publiziert. Rund 20 Jahre später veröffentlichte Bourget dann das gesamte Manuskript Simons mit einigen Ergänzungen, aber auch einem Anmerkungsapparat. Simon, Joseph : Pétain, mon prisonnier, hg. v. Pierre Bourget. Paris 1978. 112 Die Memoiren verfasste die Witwe Mussolinis nicht selbst, dennoch sind sie sowohl für die Rekonstruktion von Abläufen wie auch für die Frage der medialen Repräsentation Mussolinis interessant, Mussolini, Rachele : La mia vita con Benito, Mailand 1948 [zusammen mit Giorgio Pini ; Dt. Ausgabe : Mein Leben mit Benito, Zürich 1948] ; dies.; Pensotti, Anita : Benito, il mio uomo, Mailand 1958 [zuvor erschienen in Oggi] ; Pensotti, Anita : La restituzione dei resti di Mussolini nel drammatico racconto della vedova, Rom 1972 ; Mussolini, Rachele : Mussolini ohne Maske. Die Frau des Duce berichtet, hg. v. Zarca, Albert, Stuttgart 1974 [zuerst in Frankreich 1973 veröffentlicht]. 113 Mit dem Abstand von mehreren Jahrzehnten blickte jeweils ein Beteiligter auf die Entwendungen der Leichen zurück ; Leccisi, Domenico : Con Mussolini prima e dopo Piazzele Loreto, Rom 1991 ; Dumas, Michel : La permission du Maréchal. Trois jours en maraude avec le cercueil de Pétain, Paris 2004.
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Weggefährten Pétains, zur Rekonstruktion von Ereignissen und deren Rezeption herangezogen. Des Weiteren wird zur Einordnung der einzelnen Handlungen auf Verordnungen und Gesetze sowie Vergleiche mit anderen zeitnah durchgeführten staatlichen Trauerfeiern gesetzt. 1.4.2 Bedeutung von Zeitungen Für die Rekonstruktion und Analyse der durchgeführten Bestattungen mit ihren einzelnen Elementen und Handlungssequenzen werden ›Zeremonialbeschreibungen‹ aus zeitgenössischen Presseberichten verwendet und vereinzelt durch Memoiren ergänzt. Es wurde ein Sample zusammengestellt aus Zeitungen und Zeitschriften, die das gesamte politische Spektrum der jeweiligen Länder abdecken (Tabelle 2).114 Dabei handelt es sich um Tageszeitungen, Zeitungen von Interessenverbänden, Parteizeitungen, Wochenblätter, Magazinen und Illustrierten. Die Tageszeitungen und Zeitschriften wurden so ausgewählt, dass sie möglichst den gesamten Untersuchungszeitraum von 1945 bis zur Mitte der 70er Jahre abdecken, um so eine gewisse Kontinuität und Vergleichbarkeit des Quellenmaterials zu gewährleisten. Dabei ist die Auswahl nicht auf die jeweils landeseigene Berichterstattung begrenzt, damit die Analyse nicht auf nationale Eigenwahrnehmungen und Erzählmuster beschränkt bleibt. Ergänzend zu den französischen und italienischen Printmedien werden die Berichterstattungen in der britischen Tageszeitung »The Times«, dem amerikanischen Nachrichtenmagazin »Time« und dem amerikanischen Fotomagazin »Life« einbezogen. Zusammen mit dem deutschen »Spiegel« sollen diese internationalen Presseorgane als Folie für die Berichterstattung in Italien und Frankreich dienen und so die komparative Analyse der medialen Reproduktionen stützen. Bei der Presseanalyse wird dabei vor allem die Rezeption der Ereignisse im Vergleichsland besonders geprüft, um eventuelle gegenseitige Beeinflussungen oder eben Abgrenzungen herausarbeiten zu können. 114 In der Tabelle sind nur die Zeitungen aufgenommen, die systematisch gesichtet wurden. Auf Abend- und Regionalausgaben oder unterschiedliche Auflagen wird in den jeweiligen Anmerkungen hingewiesen. Aber da einige Zeitungen durch das Kriegsende, insbesondere in Italien, nicht kontinuierlich erschienen oder in anderen Fällen auf Artikel in anderen Zeitungen verwiesen wird, wurden auch Artikel aus »Le Canard enchaîné«, »L’Italia Libera«, »Minute«, »The New Yorker« und »The New York Times« einbezogen. Darüber hinaus sind vereinzelt auch Artikel bzw. Zeitungen in den Aktenbeständen enthalten. Die Auflistung erfolgt alphabetisch, da die Zeitungen zunächst als Quellen gleichberechtigt nebeneinanderstehen und erst in der Analyse auch ihre nationale Verbundenheit berücksichtigt wird.
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Tabelle 2 : Sample der zugrunde gelegten Zeitungen und Zeitschriften. Name
Erscheinungszeitraum
Typ
Aspects de la France
1946–1992
Tageszeitung
L’Aurore
1944–1985
Tageszeitung
Avanti !
1896–1993
Parteizeitung
Bulletin (ADMP)
1952–1958
Quartalsheft
Il Corriere della Sera
seit 1876
Tageszeitung
La Croix
seit 1883
Tageszeitung
Epoca
1950–1997
wöchentliche Illustrierte
L’Humanité
seit 1904
Parteizeitung
Le Figaro
seit 1826
Tageszeitung
France Illustration
1945–1955
Wochenblatt
L’Illustrazione Italiana
1837–1962
monatliches Magazin
Life
1935–1970
wöchentliches Magazin
Lotta Fascista
1946
Parteizeitung (Untergrund)
Le Maréchal (ADMP)
1957–1977
Quartalsheft
Le Monde
seit 1944
Tageszeitung
Oggi
seit 1939
wöchentliche Illustrierte
L’Osservatore Romano
seit 1861
Tageszeitung
Paris Match
seit 1949
wöchentliche Illustrierte
Paris-Presse
1944–1970
Tageszeitung
Il Popolo
1942–1994
Parteizeitung
Rivarol
seit 1951
Wochenblatt
Il Secolo d’Italia
seit 1952
Parteizeitung
Der Spiegel
seit 1947
Nachrichtenmagazin
La Stampa
Seit 1867
Tageszeitung
Time
seit 1923
Nachrichtenmagazin
The Times
seit 1785
Tageszeitung
L’Unità
1924–1991
Parteizeitung
Zur Auswahl gehört die neugegründete, aber schnell als unabhängig und kritisch geltende »Le Monde« ebenso wie der italienische »Corriere della Sera«, da
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beide überregional verbreitet wurden.115 Besondere Beachtung finden die Publikationen der Association pour défendre la mémoire du Maréchal Pétain (kurz : ADMP), die die Erinnerung an Pétain bewahren möchte und deren Blatt »Le Maréchal« trotz mehrerer Verlagswechsel bis in die Gegenwart mehrfach im Jahr erscheint.116 Nur in wenigen Ausgaben ist dagegen die Untergrundzeitung »Lotta Fascista« erschienen, die von den italienischen Leichendieben herausgegeben wurde und in der sie sich mit ihrer Tat brüsteten. Daneben werden sowohl die Artikel aus unterschiedlichen Parteizeitungen wie auch der katholischen Tageszeitungen »La Croix« und der italienischen Ausgabe des »Osservatore Romano« untersucht. Neben diesen eher textlastigen Zeitungen wurden Magazine und Illustrierte wie »Paris Match« oder »Oggi« in das Sample einbezogen. Diese Zeitschriften wurden zum Teil erst in der Nachkriegszeit gegründet, während ältere illustrierte Wochenblätter wie »France Illustration« und »L’Illustrazione Italiana« ihr Erscheinen in dieser Zeit einstellten, so dass beim Vergleich der Berichterstattung auch unterschiedliche journalistische Trends zu berücksichtigen sind. Zeitungen waren aber nicht auf die reine Beschreibung des Ablaufs der Bestattungen oder der Ermittlungen beschränkt, sie druckten ebenso Kommentare und Kritiken dazu ab. Hinzu kommt, dass die Massenmedien der Nachkriegsjahre die Beschreibungen der Bestattungen quasi für die gesamte Bevölkerung verfügbar machten. Sie trugen damit die Wirkung des Bestattungsrituals, in dem sich die Gemeinschaft ihrer eigenen Ordnung versichert,117 über das eigentliche Ereignis hinaus und machten es auch für Nichtanwesende
115 Zu einer ausführlicheren Beurteilung Liehr, Günter : Die französische Presselandschaft, in : Frankreich Jahrbuch, 1990, S. 173–192, hier S. 180. Der »Corriere della Sera« musste genauso wie »La Stampa« sein Erscheinen nach der Befreiung Mailands Ende April 1945 unterbrechen, bis die Redaktion von Faschisten befreit wurde. Von Mai 1946 bis 1959 erschien er unter dem Titel »Il Nouvo Corriere della Sera« weiter ; dazu Isnenghi, Mario : The political press, in : Cheles, Luciano ; Sponza, Lucio (Hg.) : The Art of Persuasion. Political Communication in Italy from 1945 to the 1990s, Manchester 2001, S. 113–123. Im Folgenden wird die Bezeichnung »Corriere« verwendet. 116 Als »Le Maréchal. Organe trimestriel de défense de l’armée et de la marine nationales«, Marseille 1957–77 (quartalsweise), als »Le Maréchal. Organe de l’Association pour défendre la mémoire du Maréchal Pétain«, Paris 1967 ff. (trimesterweise). Die Zeitung wurde 2015 noch auf der Homepage der ADMP als Mitgliederzeitung beworben : URL : www.admp.org [21.12.2015]. 117 Stollberg-Rilinger, Barbara : Rituale, Frankfurt a. M. 2013, S. 67.
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wenn nicht erfahrbar, so doch vorstellbar.118 Die symbolischen Handlungen des Rituals wurden nun einer noch größeren Öffentlichkeit vermittelt.119 1.4.3 Bedeutung von Bildern Die technischen Neuerungen bei Fotografie und Grafik in der Nachkriegszeit führten dazu, dass sich die Berichterstattung nicht auf vornehmlich textliche Darstellungen mit einzelnen Fotografien oder Illustrationen beschränken musste. Mit dem internationalen Durchbruch des Fotojournalismus erschienen zunehmend mehr Illustrierte, die ganze Bildsequenzen abdruckten.120 Damit nahm nicht einfach die Zahl der Bilder von Bestattungen zu, auch die visuelle Nachvollziehbarkeit der symbolischen Handlungen wurde gegenüber dem Text oder Einzelbild gesteigert. Dabei ist zu bedenken, dass Bilder und Bildsequenzen »ihrerseits auf die Wahrnehmung der Ereignisse und auf das Handeln der Akteure zurück[wirkten]«.121 Die Medien konnten aber auch neue Interpretationen und Sinninhalte erzeugen, die von den durchgeführten Handlungen
118 Zur Bedeutung von persönlicher Anwesenheit im Ritual Stollberg-Rilinger : Ritual, S. 226– 227. 119 Zum medienwissenschaftlichen Konzept der mediated publicness, das sich mit der Sichtbarkeit von Politik befasst, Thompson, John Brookshire : The Media and Modernity. A Social Theory of the Media, Cambridge 1995, S. 125–140. 120 Diese Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf Carrese, Vincenzo (Hg.) : Professione fotoreporter. L’Italia dal 1934 al 1970 nelle immagini della Publifoto, Mailand 1983 ; Dewitz, Bodo von ; Lebeck, Robert (Hg.) : Kiosk. Eine Geschichte der Fotoreportage. 1839–1973. A History of Photojournalism, Göttingen 2001 (Ausst.-Kat. Museum Ludwig), besonders S. 227–248 ; Grittmann, Elke : Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie, Köln 2007 ; Holzer, Anton : Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945, Darmstadt 2014 ; Ramsbrock, Annelie ; Zierenberg, Malte ; Vowinckel, Annette : Bildagenten und Bildformate. Ordnungen fotografischer Sichtbarkeit, in : dies., Fotografien im 20. Jahrhundert. Verbreitung und Vermittlung, Göttingen 2013, S. 7–17 ; Ritchin, Fred : Die Bildredaktion, in : Frizot, Michel (Hg.) : Neue Geschichte der Fotografie, Köln 1998 ; Schneider, Sigrid : Bildberichte. Fotografien aus dem Ruhrgebiet der Nachkriegszeit, in : Barbian, Jan-Pieter : Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 41–53. Sigrid Schneider sei auch für ihre hilfreichen Hinweise zur Analyse und Kontextualisierung von Fotografien und der Arbeit in/mit fotografischen Sammlungen gedankt. 121 Stollberg-Rilinger, Barbara : Einleitung, in : dies.; Weisbrich, Thomas (Hg.) : Die Bildlichkeit symbolischer Akte, Münster 2010, S. 9–21, hier S. 9.
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abwichen. Die erste Selektion erfolgte schon vor Ort durch die Fotografen und Reporter und wurde dann durch Redakteure fortgesetzt.122 Für die Zeremonialanalyse muss also auch das Spannungsfeld von Ritual und dessen bildlicher Fixierung berücksichtigt werden. Barbara Stollberg-Rilinger hat dies so ausgedrückt : »Zu fragen ist, wie sich materielle bildliche Darstellungen symbolischer Akte als Inszenierungen zweiter Ordnung zu den Inszenierungen erster Ordnung, den Akten selbst, verhielten.«123 Als Akte erster Ordnung sind hier die rituellen und zeremoniellen Handlungen selbst und als Akte zweiter Ordnung die bildlichen Darstellungen (überwiegend Fotografien) eben dieser Handlungen zu verstehen.124 Diesem Thema widmet sich die historische Forschung trotz des Booms der Bildwissenschaften und der intensiven theoretischen Reflexionen in der historischen Bildkunde nur zögerlich.125 Allzu oft werden Bilder auf »die Funktion der Illustration des 122 Zum Verhältnis von Ereignis und Bild bzw. Fotografie Boltanski, Luc : Die Rhetorik des Bildes, in : Bourdieu, Pierre ; Boltanski, Luc ; Castel, Robert ; Chamboredon, Jean-Claude (Hg.) : Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Frankfurt a. M. 1981, S. 137–163 ; Braun, Peter : Art. »Fotografie, kontextualisierte«, in : Schanze, Helmut (Hg.) : Metzler Lexikon Medientheorie und Medienwissenschaft, Stuttgart 2002, S. 122–123 ; Bredekamp, Horst : Bildakte als Zeugnis und Urteil, in : Flacke, Monika (Hg.) : Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 29–66, hier S. 29 ; Hunt, Lynn ; Schwartz, Vanessa R.: Capturing the Moment. Images and Eyewitnessing in History, in : Journal of Visual Culture 9 (2010), S. 259–271 ; Jäger, Jens : Fotografie als historisches Dokument, in : Fotogeschichte 2012, Nr. 124, S. 13–18, hier S. 18 ; Sontag, Susan : Das Leiden anderer betrachten, München 2003, S. 34 ; Steinseifer, Martin : Ereignisbilder - Zum Verhältnis von Indexikalität, Symbolizität und Ikonizität bei Pressefotografien, in : Boehm, Gottfried ; Egenhofer, Sebastian ; Spies, Christian (Hg.) : Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, München 2010, S. 411–436. Daraus ergeben sich für die Analyse der visuellen Quellen Fragen nach Rezeption, Suggestion, Bildauswahl und Bildalternativen. 123 Stollberg-Rilinger : Einleitung, in : dies.; Weisbrich (Hg.) : Die Bildlichkeit symbolischer Akte, S. 14. 124 Die filmischen Berichte oder Fernsehfeatures werden nicht in die Analyse einbezogen. Die Filmaufnahmen, die vor allem für die Ereignisse im Frühjahr 1945 in Mailand und den Raub und die zweite Beisetzung Pétains 1973 vorhanden sind, unterliegen anderen Verbreitungsmustern und hätten zu einer sehr ungleichen Verteilung des Quellenmaterials geführt. Dagegen werden Zeichnungen, die Ereignisse darstellen, von denen es keine Fotografie gibt, durchaus einbezogen. 125 Überlegungen dazu finden sich neben dem Münsteraner Sammelband etwa bei Ambos, Claus ; Rösch, Petra ; Weinfurter, Stefan ; Schneidmüller, Bernd : Bild und Ritual. Visuelle Kulturen in historischer Perspektive, Darmstadt 2010. Den wohl aktuellsten Überblick über die bildwissenschaftlichen Einflüsse auf die Geschichtsschreibung jenseits von iconic und visual turn bietet Wendler, Reinhard : Bilder als historische Quellen und Faktoren. Ästhetische Anschauung und historische Kontextualisierung, in : NPL 59 (2014), S. 373–388. Grund-
Quellen |
historischen Augenblicks« reduziert.126 Dabei werden Bilder bildwissenschaftlich – jenseits ihres Abbildungscharakters – ähnlich wie Rituale als »eine Form des sozialen Handelns« verstanden.127 Sie können kollektive Identitäten nicht nur stützen, sondern sogar stiften.128 Den visuellen Beschreibungen kommt im Rahmen der Analyse eine besondere Bedeutung zu, da Bilder semiotisch als Zeichen verstanden werden, die über sich selbst hinausweisen.129 Insofern ist zu untersuchen, ob es sich bei den Bildern der Bestattungen, Graböffnungen und Ermittlungen um über den abgebildeten Gegenstand hinausweisende Inszenierungen handelt. Bei der Quellenanalyse zu Ritualen ist in Anlehnung an den Kunsthistoriker Gottfried Boehm immer zu reflektieren, inwieweit die Abbildungen eigenständig Sinn erzeugen und ob durch das Layout sowie die Begleittexte die Logik verändert wird.130 Speziell der theoretischen Auseinandersetzung mit fotografischen Quellen hat sich die historische Bildwissenschaft in den vergangenen Jahren nachdrücklich gewidmet. Jenseits der historisch-kritischen Methode, mit der jede Quelle behandelt wird, unterscheidet der Kölner Historiker und Experte für Fotografie Jens Jäger im Wesentlichen drei Ansätze : Realienkundliche und soziologische Betrachtung, Ikonologie und Ikonografie sowie neuere kulturwissenschaftliche Ansätze.131 Christine Brocks unterscheidet diese kulturwissenschaftlichen Ansätze weiter nach stärker den konstruktivistischen Charakter legend dazu sind Tolkemitt, Brigitte ; Wohlfeil, Rainer : Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele, Berlin 1991 ; Roeck, Bernd : Visual turn ? Kulturgeschichte und die Bilder, in : Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 294–315 ; Paul, Gerhard (Hg.) : Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006. 126 Vgl. Dücker, Burckhard : Rituale. Formen – Funktionen – Geschichte, Stuttgart 2007, S. 197. 127 Übernahme aus Brocks, Christine : Bildquellen der Neuzeit, Paderborn 2012, aber mit Bezug auf Roeck, Bernd : Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit. Von der Renaissance zur Revolution, Göttingen 2004, S. 266 f.; Assmann, Jan 2004, S. 103. 128 Dazu Paul, Gerhard : Visual History, Version : 3.0, in : Docupedia-Zeitgeschichte, 13.3.2014, URL : https://docupedia.de/zg/Visual_History_Version_3.0_Gerhard_Paul #cite_ref-60 [23. 4.2018], S. 14. Ein Aspekt der auch in der Arbeit von Simone Derix zu den Staatsbesuchen in der BRD deutlich geworden ist, Derix : Bebilderte Politik, S. 360. 129 Luhmann, Niklas : Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1995, S. 49–50 ; Drechsel : Politik im Bild. Wie politische Bilder entstehen und wie digitale (2005), S. 40 ; Becker, Frank : Historische Bildkunde – transdisziplinär, in : Historische Mitteilungen 21 (2008), S. 95–110, S. 101. 130 Boehm, Gottfried : Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2007, insbesondere S. 34. 131 Jäger, Jens : Fotografie und Geschichte, Frankfurt/New York 2009, S. 79-103.
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von Fotografien betonenden zeichentheoretischen, semiotischen und bildrhetorischen Methoden einerseits und andererseits einer funktionalistischen Herangehensweise, die Fotografien als Form von sozialem Handeln betrachtet.132 Diese unterschiedlichen Ansätze machen die Vielschichtigkeit von Fotografien deutlich. Dabei sind sie methodisch selten trennscharf zu unterscheiden und alternieren häufig. In der Praxis kommt es auf die Fragestellung und das konkrete Bild an, wenn entschieden werden muss, wie die Methoden kombiniert werden.133 In der historischen Bildkunde werden fotografische Quellen häufig nach ihrer Materialität unterschieden. Die Betonung der Materialität ist zunächst wichtig, da sich in Fotografien manifestiert, »was in einer Gesellschaft als abbildungswürdig, als normal und abweichend, als schön oder hässlich angesehen wird«134. Die weitere Unterscheidung nach materieller Art, also etwa in Postkarte, Zeitungsbild oder Fotoabzug, gibt dann Aufschluss darüber, welcher Wert bestimmten Motiven zugestanden wurde. Doch wichtiger scheint es im Folgenden, die Fotografien und Illustrationen, die zur Analyse der inszenatorischen Funktionen der Bestattungen von Pétain und Mussolini und deren medialen Reproduktionen herangezogen werden, zunächst in publizierte und unpublizierte Bilder zu unterscheiden. Die meisten analysierten Bilder entstammen den untersuchten Zeitungen und Zeitschriften. Während Tageszeitungen wie »Le Monde« gar keine Fotografien publizierten, integrierten andere Blätter wie »The Times« oder der »Corriere della Sera« Einzelbilder. Die Zeitschriften hingegen nutzten Fotografien und Illustrationen einzeln, in Gruppen oder in zusammengehörigen Reportagen. Doch es werden nicht nur in Zeitschriften veröffentlichte Bilder zur bildwissenschaftlichen Interpretation herangezogen, sondern auch unpublizierte Bilder und ganze fotografische Reihen, wie sie in den Bildarchiven erhalten sind.135 Dabei sind diese unveröffentlichten Bilder nicht nur für die Rekonstruktion der Ereignisse, deren Abläufe und Fragen nach den verwendeten Symbolen, Arrangements und räumlichen Anordnungen wichtig, sondern auch für die Frage nach der Bildselektion. Nach Möglichkeit werden diese unterschiedlichen Bildformen auch in der vorliegenden Studie präsentiert, allerdings liegen manche Abbildungen nicht 132 Brocks, Christine : Bildquellen der Neuzeit, Paderborn 2012, S. 90–92, zur Fotografie insgesamt S. 83–104. 133 Dazu auch Jäger : Fotografie und Geschichte, S. 15. 134 Jäger, Fotografie und Geschichte, S. 14. 135 L’Archivio dell’Istituto Luce ; Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia ; Publifoto/Olycom ; Roger Viollet ; Ullstein Bild und Getty Images.
Aufbau der Arbeit |
in hinreichender Bildqualität vor. Manche Zeitungen aus den letzten Kriegstagen sind nur als Digitalisate verfügbar, deren Bildwiedergaben zu wünschen übrig lassen ; andere Zeitungen weisen deutliche Gebrauchsspuren auf. Dennoch werden auch diese Dokumente im Folgenden abgebildet, wenn die Motive nicht auf anderem Weg zur Verfügung standen – es findet eben nicht jedes Foto den Weg in eine Bilddatenbank.
1.5 Aufbau der Arbeit Mit dem Zeremoniell aus liturgischen, juristischen und traditionellen Regeln als Überbau existiert ein einheitlicher Rahmen für eine komparatistische Analyse. Die Fälle von Mussolini und Pétain können entlang der einzelnen Bestandteile des Zeremoniells miteinander verglichen werden. Zudem ermöglicht der Zugang über das Zeremoniell eine synchrone Betrachtung zeitlich verschobener Ereignisse. Da sich der Aufbau der Arbeit an den zeremoniellen Vorgaben für Bestattungen orientiert, gibt es eine Dreiteilung in die ursprünglichen Bestattungen, die Zäsur durch die Entwendung der Leichen und deren Wiederbestattungen. Innerhalb der drei Hauptkapitel werden die einzelnen Elemente jeweils für Pétain und Mussolini analysiert und dann kurz aufeinander bezogen, bevor das nächste Element betrachtet wird. So ergibt sich für die Kapitel folgende Untergliederung : Das erste Kapitel betrachtet zunächst die Todesumstände und Todesmeldungen, gefolgt von den Aufbahrungen der Leichen, der juristischen Feststellung des Todes, den eigentlichen Bestattungen, mit den möglichen Elementen Leichenzug, Gottesdienst und Beisetzung. Darauf folgt das Kapitel über die Diebstähle der Leichen, wobei hier neben den Graböffnungen und den Entwendungen der Leichen auch die Suche durch die Behörden und das parallele Verstecken der Gebeine durch die Diebe sowie die Wiedererlangung durch die Ermittlungsbehörden betrachtet werden. Im dritten Kapitel werden die Wiederbestattungen analysiert. Dabei werden hier selbstverständlich Handlungen der ursprünglichen Bestattung, wie die Aufbahrung und die Beisetzung, als Kernelemente des Zeremoniells für Bestattungen wiederholt, doch nicht zwangsläufig auch gleich gestaltet. Abschließend werden in einer Bilanz die durch den Vergleich herausgearbeiteten Muster in Form von fünf Dimensionen dargestellt.
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2 . TOD U N D BE S TAT T U NG 2.1 Todesumstände und Todesmeldung Wie ein Mensch stirbt, sagt oft nicht nur viel über sein Leben aus, sondern bedingt auch, wie er bestattet wird. Für Diktatoren gilt dies in besonderem Maße, da ihr Tod meist destabilisierend auf das politische System wirkt. Die Totenkulte um Lenin, Mao oder auch Kim Jong-Il sind Beispiele dafür, wie nachfolgende Regime Legitimation aus der ehrenvollen Bestattung und dem Totengedenken ziehen. Bei einem bereits abgesetzten Diktator und nach einem Regierungswechsel bestand kein Interesse daran, Kontinuitätslinien darzustellen. Im Gegenteil konnte es häufig nur um Abgrenzung und Neuanfang gehen. Deshalb beginnt die Betrachtung der Bestattungen von Philippe Pétain und Benito Mussolini auch jeweils mit einer kurzen Beschreibung, in welcher Situation sie zu Tode gekommen sind. Wie über den Tod dieser ehemaligen Staatschefs berichtet wurde, gibt Aufschluss darüber, wie sich die Gesellschaft zu ihnen positionierte und welche Meinungen in die Vorbereitungen der Bestattungen eingeflossen sind. 2.1.1 Pétain starb an Altersschwäche im Militärkrankenhaus Am Ausgang des Zweiten Weltkrieges befand sich der Staatschef von Vichy-Frankreich auf Schloss Sigmaringen. Als die Verteidigung Deutschlands zusammenbrach, gelangte Pétain im April 1945 mit seiner Entourage in die Schweiz. Von dort reiste er weiter nach Frankreich, wo bereits Prozesse gegen Mitglieder seiner Regierung begonnen hatten und ein Prozess in absentia gegen ihn vorbereitet wurde. Mit voranschreitender Libération Frankreichs hatte eine Phase der ›wilden‹ und juristischen Säuberungen eingesetzt, in der Personen für ihre Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern oder dem Vichy-Regime zur Rechenschaft gezogen wurden.1 Pétain wollte sich persönlich den 1 Die Zahl der Publikationen zu diesem Thema ist umfangreich, hier nur eine Auswahl : Association Française pour l’Histoire de la Justice (Hg.) : La justice de l’épuration ; Cointet : Expier Vichy ; Lottman, Herbert : The Purge. The Purification of French Collaborators after World War II, New York 1986 ; Rousso, Henry : The Purge in France. An Incomplete Story, in : Elster, Jon (Hg.) : Retribution and Reparation in the Transition to Democracy, Cambridge 2006, S. 89123, dieser Aufsatz basiert auf ders : L’Épuration. Die politische Säuberung in Frankreich, in : Woller, Hans, Henke, Klaus-Dietmar (Hg.) : Politische Säuberungen in Europa. Die Ab-
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Vorwürfen gegen seine Regierung und die Entscheidung zur Kollaboration stellen.2 Der Prozess wegen Verschwörung gegen die Republik und Einvernehmen mit dem Feind gegen ihn begann am 23. Juli 1945.3 Die Verteidigung führte Fernand Payen, unterstützt von Jacques Isorni und Jean Lemaire. Die beiden Letztgenannten werden Pétain bis zu seinem Tod begleiten und sein Andenken auch darüber hinaus verteidigen. Verhandelt wurde vor der Haute Cour de justice, bestehend aus hochrangigen französischen Juristen und einer Jury, die je zur Hälfte aus ehemaligen Abgeordneten und Widerstandskämpfern zusammengesetzt war.4 Das Urteil wurde am 15. August verkündet. Die Urteilsfindung fiel denkbar knapp aus, denn 14 Jurymitglieder sprachen sich für ein Todesurteil und 13 dagegen aus.5 So enthielt bereits der Richterspruch die Möglichkeit, Pétains Strafe in lebenslange Haft umzuwandeln, was Charles de Gaulle in seiner Funktion als Ministerpräsident der provisorischen Regierung auch tat.6 Pétain war auf Grund seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg, insbesondere der Verteidigung von Verdun, von Georges Clemenceau im November 1918 zum Marschall von Frankreich ernannt worden. Die Uniform des Maréchal de France, mit den sieben gestickten Sternen am Ärmel, trug Pétain während des Prozesses.7 Indem er dieses Symbol seines militärischen Ranges trug, un-
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rechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, S. 192–241. De Gaulle schrieb später in seinen Memoiren, dass Pétain aus freien Stücken nach Frankreich zurückkehrte und die französische Regierung nicht auf seine Ausreise gedrungen hätte ; de Gaulle, Charles : Mémoires de Guerre. Le Salut, 1944–1946, Paris 1959, S. 112 auch »Le retour de Pétain«, in : Le Monde, 26. April 1945, S. 1 ; Maudhuy, Roger : Les Grands Procès de la Collaboration, Saint-Paul 2009, S. 204. Zur Bedeutung des Prozesses für das französische Nationalbewusstsein Burrin : Vichy, S. 150– 151 ; Rousso, Henry : Vom nationalen Vergessen zur kollektiven Wiedergutmachung, in : Flacke, Monika (Hg.) : Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 226–248. Roy, Jules : Le grand naufrage, Paris 1966, berichtet über das Gerichtsverfahren, einen kürzeren Abriss bietet die Biografie von Lottman, Herbert : Pétain, Hero or Traitor. The Untold Story, Harmondsworth, Middlesex 1985, S. 349–370. Lottman : Pétain, S. 361–362. Richterspruch abgedruckt in Garçon, Maurice : Le procès du Maréchal Pétain. Compte rendu sténographique, Bd. 2, Paris 1945, S. 1117–1123. Dazu auch Cointet : Expier Vichy, S. 396 ; Lottman : Pétain, S. 368. Lottman : Pétain, S. 369 ; Rousso : Vom nationalen Vergessen zur kollektiven Wiedergutmachung, S. 232 ; Bourget : Der Marschall, S. 314 ; Maudhuy : Les Grands Procès de la Collaboration, S. 224. Das Detail mit den Sternen hebt vor allem die Bildunterschrift in »France puts Marshal Pétain
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terstrich er sein Selbstverständnis, dass er alles für Frankreich getan habe und erinnerte gleichzeitig an seine Verdienste aus der Zeit, bevor er 1940 zum Chef de l’État français wurde. Da Pétain auch zu indignité nationale, also zum Verlust seiner Ehren- und Bürgerrechte sowie der Einziehung seines Besitzes verurteilt worden war, durfte er seine Uniform nach dem Prozess nicht mehr anlegen.8 In der Haft musste er dennoch keine Sträflingskleidung, sondern konnte seine private Kleidung tragen.9 Obwohl Pétain die Verantwortung für seine Regierung übernommen hatte, endeten die Säuberungsprozesse nicht mit dem Urteil gegen ihn. Pierre Laval, der letzte Regierungschef in Vichy, wurde ebenfalls zum Tode verurteilt und am 15. Oktober 1945 hingerichtet.10 Laval war bereits in den 1930er Jahren mehrfach im Kabinett und Ministerpräsident gewesen. Angeklagt wurde er nun, da er im zweiten Halbjahr 1940 zunächst als stellvertretender Ministerpräsident und ab April 1942 als Ministerpräsident des Vichy-Regimes amtiert hatte.11 Damit galt er neben Pétain als der Hauptverantwortliche für die Kollaboration, die Verfolgungsmaßnahmen und die autoritäre Politik dieser Regierung und so wurde auch er zum Tode verurteilt. Dieses Todesurteil wurde vollstreckt, wohingegen der einstige Nationalheld begnadigt worden war. Doch nicht nur Pétains Todesstrafe wurde nicht vollstreckt, insgesamt wandelte die Regierung rund 70 Prozent der von den Sondergerichten ausgesprochenen Todesurteile um.12 Es handelt sich also nicht nur um eine Ungleichbehandlung on trial«, in : Life, 13. August 1945, S. 21–22, hier S. 21, hervor. Der Prozess gegen Pétain war der dritte vor der Haute Cour und einer der ersten gegen einen der Protagonisten des Zweiten Weltkriegs und erhielt sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene sehr viel Aufmerksamkeit. Neben den Journalisten wurden auch Fotoreporter in den Gerichtssaal gelassen, so dass es noch heute eine Vielzahl von Bildern zu dem Prozess in den Bilddatenbanken gibt. Neben dem »Life Magazine« vom 13. und 27. August 1945 berichtete z. B. L’Illustrazione Italiana Nr. 4–5, 12.–19. August 1945, S. 61 mit Fotografien vom Prozess. 8 Williams, Charles : Pétain. How the Hero of France became a Convicted Traitor and Changed the Course of History, Basingstoke/New York 2005, S. 512 ; Bourget : Der Marschall, S. 313. 9 Dazu Bourget : Der Marschall, S. 315, aber auch eines der wenigen Fotos, die von Pétain während seiner Haft gemacht wurden : Larré, Michel : Pétain in der Festung Portalet, ursprünglich veröffentlicht in : Images du Monde, 2. Oktober 1945, auch nachgedruckt in : Simon : Pétain, mon prisonnier, Bildteil S. 160–161, auch S. 348, Anm. 55. 10 Der Prozess gegen Laval begann am 4. Oktober 1945, für einen knappen Überblick Lottman : The Purge, S. 177–179. 11 Für einen Überblick über Lavals politische Laufbahn Rowley, Anthony : Laval, in : Yvert, Benoît (Hg.) : Premiers ministres et présidents du Conseil. Histoire et dictionnaire raisonné des chefs du gouvernement en France (1815–2007), Paris 2007, S. 502–511. 12 Rémond, René : Frankreich im 20. Jahrhundert. Erster Teil 1918–1958, Stuttgart 1994, S. 406.
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des ehemaligen Staatschefs und seines Ministers, welche zum Teil in der andauernden Verehrung von Pétains Leistungen im Ersten Weltkrieg wurzelte, sondern auch darum, dass in Laval der eigentliche Kollaborateur identifiziert wurde. Diese Differenzierung zwischen Pétain und Laval zog sich wie ein roter Faden durch die Erinnerung und die frühen geschichtswissenschaftlichen Arbeiten zu Vichy.13 Doch diese Unterscheidung änderte nichts daran, dass der ehemalige Staats chef nun rechtmäßig wegen Hochverrats verurteilt war und bis zu seinem Lebensende inhaftiert wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt in Portalet wurde er im November 1945 auf die Insel Yeu vor der bretonischen Küste verlegt.14 Im Sommer des Jahres 1949 war Pétain so pflegebedürftig, dass die Festung von einem Gefängnis in ein Hospiz umgewandelt wurde. Nicht nur lösten Pfleger die Wärter ab, sondern auch der Direktor Joseph Simon wurde nun durch den ehemaligen Leiter eines Gefängniskrankenhauses, Charles Boulay, ersetzt.15 Zu diesem Zeitpunkt wurde auch erstmals festgelegt, wie beim Tod des Gefangenen verfahren werden sollte.16 Am 21. April hatte der Gemeindepfarrer Pétain bereits die letzte Ölung erteilt.17 Doch der Gefangene erholte sich wieder, bevor sich sein Gesundheitszustand so sehr verschlechterte, dass der französische Staatspräsident Vincent Auriol Anfang Juni 1951 aus medizinischen Gründen die Aufhebung der Haft bestimmte. Pétain wurde in ein Privathaus in Port-Joinville, der Hauptstadt der Insel, transportiert.18 Dort verstarb er am Morgen des 23. Juli 1951 in Anwesenheit seiner Ehefrau Eugénie, seines Stiefsohnes Pierre de Hérain, seiner Großnichte Yvonne de Moncourt, 13 Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 17. 14 Ferro : Pétain, S. 658. 15 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 289, Anm. 1 verweist darauf, dass neben dem Vornamen Charles, wie er von Isorni selbst in ders.: Souffrance et mort du Maréchal Pétain, S. 247 benutzt wird, auch Jean als Vorname von Boulay benutzt wurde. Joseph Simon bzw. Pierre Bourget nennen ihn Charles. 16 »Le Maréchal Pétain se remet difficilement de sa congestion pulmonaire«, in : Le Monde, 16. April 1951 ; Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 303 ; Simon : Pétain, mon prisonnier, S. 287 ff.; Williams : Pétain, S. 528. Dass dem Pétain behandelnden Arzt zwei Krankenschwestern zur Pflege des Gefangenen zur Seite gestellt wurden, war der Paris-Presse am 8. Mai 1949 eine Meldung auf der Titelseite wert gewesen : »Le médecin de Pétain est désormais assisté de deux infirmières«. 17 Severy, André : »Le maréchal Pétain a reçu les derniers sacrements«, in : Le Monde, 24. April 1951 ; »Pétain Sinking. Security Precautions at Île d’Yeu«, in : The Times, 23. April 1951, S. 4 ; auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 69. 18 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 347 ; Bourget : Der Marschall, S. 332 ; Williams : Pétain, S. 530–531 ; »Ex-Marshal Pétain«, in : The Times, 18. Juni 1951, S. 4.
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seines Urgroßneffen Louis-Dominique Girard und seiner Anwälte. Außerdem begleiteten zwei Nonnen seine letzten Stunden und beteten für ihn.19 Pétains Todesumstände entsprachen ganz dem Stereotyp einer Sterbeszene. Ein alter Mensch in seinem Bett, umgeben von seiner Familie und den ihn pflegenden Schwestern. Die Nonnen hatten auch religiösen Beistand geleistet, außerdem hatte der Sterbende von einem Priester die Sterbesakramente erhalten.20 Ein klassischeres Arrangement ist kaum vorstellbar und nichts deutete darauf hin, dass es sich um einen verurteilten Hochverräter handelte. Während die Familie die Situation am Sterbebett gestaltete, wirkte aber auch die Presse an dieser Verklärung mit, wie die Analyse der Todesmeldungen und Nachrufe zeigt. Diese erfolgten in der Tradition der großen Staatsmänner, nur wenige verwiesen auf seine Kollaboration mit dem NS-Regime. Den Verstorbenen im Kreise seiner Soldaten bei Verdun zeigte eine Aufnahme, die »Le Figaro« seinem Artikeln über das Ableben von »le Maréchal« beifügte.21 Hier wurden die Rolle Pétains bei der Verteidigung Verduns und die Wertschätzung seiner Soldaten betont, was durch die Kolumne, die Pétains Verdienste im Ersten Weltkrieg feierte, noch verstärkt wurde.22 Das Sonderheft der rechtsextremen Wochenzeitung »Rivarol« veröffentlichte aus Anlass des Todes eine Aufnahme von Pétain auf einem weißen Pferd (Abb. 1).23 Der Fokus ist so gewählt, dass Pétain wie ein Herrscher zu Pferde ins Bild gesetzt wurde. Auf dem Schimmel reitet der Marschall in voller Uniform einschließlich Marschallstab und Degen. Ikonografisch knüpft das Bild damit an die Tradition des klassischen Reiterbildnisses an.24 Die Umgebung ist nicht zu erkennen, doch handelt es sich nach einem Abgleich mit anderen Aufnahmen Pétains dabei um eine Szene während der Parade am 14. Juli 19 Floret, Robert : »Le maréchal Pétain est mort ce matin à 9 h. 22«, in : Paris-Presse, 24. Juli 1951, S. 1 ; Williams : Pétain, S. 532. 20 »C’est dans cette villa de Port-Joinville (île d’Yeu) que le Maréchal Pétain est mort le 23 juillet 1951, a 9 h 22«, in : France Illustration, 28. Juli 1951, Nr. 302, S. 78. 21 [Jean-Jaque] : »Le maréchal Pétain est mort hier matin à l’île d’ Yeu«, in : Figaro, 24. Juli 1951, S. 1. BU : »Le maréchal Pétain à Verdun au milieu des ›Poilus‹.« 22 »Le Rideau tombe«, in : Figaro, 24. Juli 1951, S. 1. 23 Rivarol. Philippe Pétain, dernier maréchal de France, Paris 1951, [Sonderheft]. Wurde dann auch für die Titelseite von Tracou, Jean : La Vie illustrée du maréchal Pétain, Paris 1951, verwendet, eines Erinnerungsalbums, wie sie nach Pétains Tod zahlreich verlegt wurden. 24 Warnke, Martin : Herrscherbildnis, in : Fleckner, Uwe ; Warnke, Martin ; Ziegler, Hendrik (Hg.) : Handbuch der politischen Ikonographie. Bd. 1 : Abdankung bis Huldigung, München 2011, S. 481–490.
Todesumstände und Todesmeldung | Abb. 1 : Titelseite, Rivarol, Sonderheft, [Juli] 1951.
1919 – der ersten Feier des Bastillesturms nach Ende des Ersten Weltkrieges. Auch die rechte Tageszeitung »L’Aurore« veröffentlichte eine Aufnahme des reitenden Pétains während der Parade, allerdings war das Bild auf Grund des Reliefs am Triumphbogen im Hintergrund und der Bildunterschrift klar zuzuordnen.25 So betonte das Motiv nicht nur die Person Pétains, sondern verwies auch auf den Triumph der Franzosen im Ersten Weltkrieg und auf den hohen Anteil, der Pétain daran zugeschrieben wurde. Die rechten Zeitungen lenkten die Erinnerung an Pétain so auch visuell auf seine Erfolge im Ersten Weltkrieg. Die politische Gegenseite veröffentlichte ein ähnlich emotionsgeladenes Motiv zusammen mit der Nachricht vom Tode Pétains. »L’Humanité« bildete eine Fotografie vom Treffen zwischen der französischen und der deutschen Regierung am 24. Oktober 1940 in Montoire-sur-le-Loir ab, bei dem Pétain Hitler die Hand schüttelte.26 Der ebenfalls linke italienische »Avanti !« druckte dieselbe 25 BU : »14 juillet 1919, défilé de la Victoire à Paris. Le maréchal Pétain, bâton de commandement à la hanche, précède les contingents de l’armée française qui vont défiler sous l’Arc de Triomphe«, in : L’Aurore, 24. Juli 1951, S. 2. 26 Abbildung, in : L’Humanité, 24. Juli 1951, S. 1.
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Szene, aber aus einer anderen Perspektive aufgenommen, nur mit der Bildunterschrift »Ricordo di Pétain« (Erinnerung an Pétain).27 Während die französische Bildunterschrift »Le symbole le plus ignoble de la politique de Pétain : la poignée de main de Montoire« (Das Symbol der abscheulichsten Politik Pétains : Der Handschlag in Montoire) das Bild noch in den Kontext der Entstehung in Montoire rückte und auf die symbolische Funktion explizit verwies, reduzierte die italienische Parteizeitung die Information noch weiter und appellierte nur an die Assoziationen der Betrachter. Hier wurde Pétain auf seine Entscheidungen zur Zusammenarbeit mit den Besatzern von 1940 reduziert.28 Jedoch hatte die sozialistische Parteizeitung bereits in einer vorherigen Ausgabe ausführlich über den Tod Pétains berichtet und explizit auf dieses Motiv Bezug genommen. In dem Artikel wurde nämlich erwähnt, dass »Ce soir«, eine französische kommunistische Abendzeitung, eben diese Aufnahme des Handschlags von Montoire damit kommentierte, dass so die Franzosen Pétain erinnern würden.29 Eine italienische Zeitung griff hier also zunächst die Bildberichterstattung ihrer Kollegen in Frankreich auf und thematisierte sie in ihrem Kommentar zum Tod des ehemaligen Staatschefs, anschließend publizierte sie das gleiche Bild. Damit reduzierte sie nicht nur die Erinnerung an Pétain auf seine Kollaboration mit Hitler, sondern beteiligte sich an der Verbreitung dieses wirkmächtigen Bildes. Wie sehr dieses Motiv nun zum Synonym für Pétains Kollaboration mit Hitler und damit für den Verrat geworden war, wird auch durch seine Verwendung in »Paris Match« deutlich. Die französische Illustrierte zeichnete in der Ausgabe nach seinem Tod Pétains Lebensweg in 16 Fotografien nach ; dazu gehörte auch eine Aufnahme des Handschlags von Montoire.30 So avancierte das Motiv 27 Abbildung, in : Avanti !, 27. Juli 1951, S. 4. Über Pétains Tod hatte die Zeitung der Sozialistischen Partei Italiens bereits am 24. Juli 1951 auf S. 6 berichtet. 28 Zu den Absprachen in Montoire 1940 Davies, Peter : France and the Second World War. Occupation, Collaboration and Resistance, London/New York 2001, S. 40 ; Fröhlich, Elke : Art. »Montoire, Treffen von«, in : Benz, Wolfgang, Graml, Hermann ; Weiß, Hermann (Hg.) : Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 2007, S. 645–646. Der Präsentationskontext der Aufnahme hatte sich nun vollkommen gewandelt, während die Abbildung in »L’Humanitè« wohl auf eine Aufnahme von Hitlers persönlichen Fotografen Heinrich Hoffmann zurückgeht und so der NS-Propaganda zuzuordnen war, dokumentierte sie nun immer noch die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland, jedoch mit geänderten Vorzeichen. Jetzt war es eine Anklage. Zu den Fotografien von Heinrich Hoffmann im Sommer 1940 : Herz, Rudolf : Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos, München 1994, S. 310 f. 29 »E’ morto a île d’Yeu l’ex maresciallo Pétain«, in : Avanti !, 24. Juli 1951, S. 6. 30 »16 Photographies résument l’extraordinaire destin de Philippe Pétain«, in : Paris Match, 4. August 1951, S. 13–21, hier S. 16.
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des Handschlags von Montoire elf Jahre nach dem Ereignis sowohl in Frankreich wie auch in Italien zum Schlüsselbild für die Zusammenarbeit Pétains mit Hitler, während es zeitgenössisch kaum Resonanz gefunden zu haben scheint.31 Auch das italienische Magazin »Oggi«32 konzentrierte sich auf die politischen Zäsuren in Pétains Leben und druckte eine Fotografie von Pétain in Uniform zusammen mit Pierre Laval im Jahr 1943. Dieses Bild unterstrich den Unterschied zwischen dem Soldaten und dem Zivilisten in der Regierung und erinnerte ebenfalls an die Kollaboration. Nicht auf eine einzige Abbildung beschränkte sich die ebenfalls italienische Wochenzeitschrift »Epoca«. Sie veröffentlichte zu dem Nachruf auf Pétain gleich fünf Bilder.33 Zwei Aufnahmen zeigten ihn, eine seine Frau und zwei Impressionen von der Insel, auf der er inhaftiert war. Durch diese Häufung von Bildern wurde die Person Pétains nicht auf ein Ereignis festgelegt. Mehrere Aufnahmen kombinierte auch »La Croix«, allerdings zeichneten diese den Lebensweg Pétains und transportierten auch eine klare Forderung, ohne diese jedoch im Text so klar zu formulieren.34 Denn als letztes in der Bildreihung stand eine Aufnahme des Turms des Beinhauses von Douaumont (Abb. 2), ganz so als sei dies das Ziel, auf welches Pétains Leben zugelaufen sei. Die Bildsequenz beginnt mit einer weiteren Aufnahme von der Parade am 14. Juli 1919, dann folgt eine Aufnahme von Pétain und General Foch sowie den Politikern Maginot und Millerand. Beide Aufnahmen betonen Pétains militärische Erfolge. Die dritte Aufnahme zeigt Pétain in Zivil während seiner Zeit als Staatschef von Vichy, gefolgt von einer Aufnahme aus dem Prozess 1945. Dann allerdings folgt noch ein Kopfbild Pétains, das situativ nicht verortet ist, ihn mit seinem Képi aber deutlich als Marschall von Frankreich ausweist. Dieses Bild wird in der Bildunterschrift vollkommen übergangen, dafür aber darauf hingewiesen, dass sich Pétain immer gewünscht habe, an der Seite seiner Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg zu ruhen, womit die Redaktion die letzte Aufnahme in der Bildauswahl of31 Zum Konzept der Schlüsselbilder zusammenfassend Paul, Gerhard : Das Jahrhundert der Bilder. Die Visuelle Geschichte und der Bildkanon des kulturellen Gedächtnisses, in : ders. (Hg.) : Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 1. 1900 bis 1949, S. 14–39, hier S. 31 f. Die Verbreitung des Motivs ist bisher noch nicht erforscht, doch zumindest die NS-Presse ordnete dem Treffen zwischen Hitler mit Franco einen Tag früher mehr Bedeutung zu und druckte diesen »Handschlag von Hendaye« auf dem Titelblatt des Illustrierten Beobachters vom 31. Oktober 1940 ab ; reproduziert in Herz : Hoffmann & Hitler, S. 346. 32 Roda, Enrico : »Pétain, generale pessimista fu spiato a calci sulla via della fama«, in : Oggi, 2. August 1951, S. 3–4. 33 Bauer, Eddy : »La morte la ha liberato«, in : Epoca, 4. August 1951, S. 16–17. 34 »Une vie longue et mouvementée«, in : La Croix, 24. Juli 1951, S. 6.
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Abb. 2 : Bildsequenz zum Nachruf auf Pétain abgedruckt in : La Croix, 24. Juli 1951, S. 6.
fenbar begründen wollte. Die Anordnung wirkt jedoch deutlich suggestiver, da der Lebensweg Pétains hier nicht gleichgewichtig dargestellt wurde. Vielmehr betonte das Kopfbild in der Mitte der unteren Bildreihe seine Position als Marschall deutlich und so nehmen vier der sechs Aufnahmen direkten Bezug auf den militärischen Ruhm Pétains. Vichy wird eigentlich nur in einer Aufnahme dargestellt, denn die Aufnahme aus dem Prozess, die Pétain wieder in Uniform zeigt, scheint in dieser Anordnung den Umgang mit dem verdienten Soldaten anzuprangern und nicht als Referenz auf seine Schuld zu verstehen zu sein. Diese Anordnung ist keinesfalls beliebig, sondern drückt einen tiefen Respekt vor dem Verstorbenen aus. Die katholische Tageszeitung offenbarte in den gewählten Bildern ihre Unterstützung dafür, Pétains Wunsch nach einer Bestattung in Douaumont zu erfüllen. Die anderen Zeitungen und Zeitschriften verließen sich bei den Nachrufen darauf, dass ein Einzelbild die Repräsentation von Zusammenhängen allein leisten konnte und nutzten dies zur Betonung eigener politischer
Todesumstände und Todesmeldung | Abb. 3 : Abbildungen aus Anlass des Todes von Pétain in : (I) The Times, 24. Juli 1951, S. 6 und (II) La Stampa, 24. Juli 1951, S. 1.
Aussagen.35 Einige Zeitungen wie »The Times«, »La Stampa« und sogar »L’Unita« beschränkten sich allerdings auf die Wiedergabe von Aufnahmen ohne situativen Kontext und verzichteten darauf, mit Assoziationen zu spielen (Abb. 3).36 Allerdings bezog die Parteizeitung der Kommunistischen Partei in Italien klar Stellung gegen Pétain, indem er im Artikel als ›Verräter‹ bezeichnet wurde.37 Das gaullistische Massenblatt »Paris-Presse« versieht seine Abbildung hingegen mit dem Zusatz : »La dernière photographie de maréchal Pétain à l’île d’Yeu avant son transfert« (Die letzte Fotografie von Marschall Pétain auf der Insel Yeu vor seiner Verlegung).38 Dies erzeugte eine gewisse Dramatik, da dem Bild des alten Mannes im Sessel so ein besonderer Stellenwert verliehen wurde. 35 Zum fragmentarischen Charakter des Mediums Fotografie Schneider, Sigrid : Bildberichte. Fotografien aus dem Ruhrgebiet der Nachkriegszeit, in : Barbian, Jan-Pieter (Hg.) : Die Entdeckung des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen 1946–1996, Essen 1997, S. 41–53, hier S. 11. 36 Die Abbildungen in The Times, 24. Juli 1951, S. 6 ; La Stampa, 24. Juli 1951, S. 1, und L’Unità, 24. Juli 1951, S. 6. 37 Boffa : »E’ morto Filipppo Pétain traditore del popolo francese«, in : L’Unità, Nr. 173, 24. Juli 1951, S. 3 ; ders.: »E’ morto Filipppo Pétain il soldato che tradì la sua Patria. La Sua politica fu l’anticomunismo. I cardinali francesi esaltano la politica filo-nazista del collaborazionista«, in : L’Unità (Nuova serie), 24. Juli 1951, S. 6. Hier handelt es sich um Artikel in unterschiedlichen Ausgaben von »L’Unità«, die norditalienische Regionalausgabe erschien als nuova serie. Die Artikel sind in den ersten fünf Absätzen identisch, danach werden unterschiedliche Aspekte betont. 38 Paris-Presse, 24. Juli 1951, S. 1.
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Die Rekonstruktion der Berichterstattung verdeutlicht, dass keinerlei Einheitlichkeit darin besteht, wie die Tageszeitungen die Todesmeldungen bebilderten. Doch wenn die Bilder eine eigene Aussage transportieren sollten, wie in »Avanti !«, konnte dies durch die Bildunterschriften betont werden, ansonsten wurde auf diese verzichtet oder sie fielen eher deskriptiv aus. Während die Kopfbilder keinen direkten Bezug auf die Biografie Pétains bieten, bezogen bereits die Titel klar Stellung. So wurde zwar in der Mailänder Ausgabe von »L’Unità« zu dem Bericht von Giuseppe Boffa eine Aufnahme von Pétain abgebildet, die ein Ausschnitt aus einer Prozessaufnahme sein könnte, aber auf Grund des gewählten Bildausschnittes ist dies nicht gleich zu erkennen, so dass die Artikelüberschrift die Erinnerung an den ›Verräter‹ Pétain leistet.39 Nachdem in den Reaktionen auf Pétains Tod zunächst vor allem eine Polarisierung zwischen dem Helden von Verdun und dem Verräter von Montoire festzustellen war, wählte die erst über eine Woche nach dem Begräbnis erscheinende französische Illustrierte »Paris Match« für das Titelbild am 4. August 1951 eine ganz typische Chiffre für den Tod einer wichtigen Persönlichkeit, nämlich die abgelegten Statussymbole der Person (Abb. 4).40 In der Darstellung ist ein blauer Mantel über einen Polsterstuhl in einem Arbeitszimmer drapiert, darauf liegen ein Képi und weiße Handschuhe, an der rechten Armlehne hängt ein Spazierstock.41 Auf den ersten Blick wirkt es, als sei der Besitzer der Gegenstände nur mal kurz aus dem Raum gegangen. Doch verweisen die Gegenstände hier auf die Person, die nie wieder an diesem Schreibtisch sitzen wird. Das Arrangement des leeren Stuhls und der abgelegten Objekte substituiert die Abbildung des Toten.42 Durch das Képi mit den 39 Abbildung zu Boffa, Giuseppe : »E’ morto Filipppo Pétain traditore del popolo francese«, in : L’Unità, Nr. 173, 24. Juli 1951, S. 3. 40 Eine ähnliche Form der Darstellung der Abwesenheit bzw. des Todes findet sich bspw. nach dem Tod Gladstones in der Illustrated London News, 28. Mai 1898, S. 781. Auch hier sind es Hut, Schirm und Spazierstock, die auf den Verstorbenen verweisen, beschrieben bei Mares, Detlev : Die visuelle Inszenierung des modernen Politikers. William Ewart Gladstone in der »Illustrated London News«, in : Raphael, Lutz ; Schneider, Ute (Hg.) : Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christof Dipper, Frankfurt a. M. 2008, S. 310–330, hier S. 327. 41 Paris Match, 4. August 1951, Umschlagseite, farbig : Le Maréchal Pétain, Cahier spécial : le reportage complet de ses obsèques – les meilleures photographies de sa vie – sa dernière lettre. BU : »Philippe Pétain a été enterré dans son uniforme de Maréchal de France«. Die Illustrierte erschien freilich erst nach der Bestattung Pétains und hat daher sicher nicht auf die Bestattung wirken können. 42 Zum Verhältnis von symbolischer Substitution zu mimetischer Repräsentanz Macho, Thomas : Tod und Trauer im kulturwissenschaftlichen Vergleich, in : Assmann, Jan : Der Tod als
Todesumstände und Todesmeldung | Abb. 4 : Titelseite, Paris Match, 4. August 1951.
drei Eichenlaubbändern war es auch ohne die Schlagzeile und den Bildtext möglich, die Assoziation zum Tode Pétains zu evozieren. Dass Pétain nach der Verurteilung seine Uniform nicht mehr hatte tragen dürfen, scheint für diese Repräsentation keine Rolle gespielt zu haben. Auffällig an den Bildern, die zusammen mit den Todesmeldungen erschienen sind, ist, dass sie Pétain nie mit seiner Frau zeigen, obwohl die ausschließlich textlichen Nachrufe die Witwe Pétains sehr wohl thematisierten. Diese betonten besonders ihre Treue, da sie zuletzt nicht mehr vom Sterbebett ihres Mannes gewichen sei.43 Pétain war nur wenige Wochen nach der Wahl zur Nationalversammlung, in der die neue gaullistische Partei am stärksten abgeschnitten hatte, gestorben.44 Eine neue Regierungsbildung hatte noch nicht stattgefunden, so dass das noch Thema der Kulturtheorie. Todesbilder und Totenriten im Alten Ägypten, Frankfurt a. M. 2000, S. 91-120, hier S. 105. 43 [Jean-Jacque] : »Le maréchal Pétain est mort hier matin à l’île d’ Yeu«, in : Figaro, 24. Juli 1951, S. 1 ; aber auch Le Monde, 27. Juli 1951, S. 7. 44 Loth : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, S. 137–141.
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regierende Kabinett von Henri Queuille die Entscheidungen über die Bestattung treffen musste. Der Ministerpräsident war jedoch durch das Wahlergebnis geschwächt. Im Umgang mit den Hinterbliebenen und der Presse konnte er nicht aus einer Position der Stärke heraus agieren. 2.1.2 Mussolini wurde ohne Prozess erschossen Um die Todesumstände Mussolinis ranken sich bis heute zahlreiche Spekulationen. Mussolini verließ Mailand Ende April 1945 nach erfolglosen Verhandlungen mit dem Nationalen Befreiungskomitee für Norditalien (Comitato di Liberazione Nazionale Alta Italia, kurz : CLNAI) und floh vor den vorrückenden alliierten Verbänden zusammen mit einer kleinen Gruppe von Vertrauten Richtung Norden. Dort, in der Nähe des Comer Sees, wurden sie jedoch am 27. April 1945 von Partisanen in einem deutschen Konvoi entdeckt und gefangen genommen. Zusammen mit seiner Geliebten Claretta Petacci wurde Mussolini von seinen Begleitern getrennt und zunächst in einem Bauernhaus bei Giulino di Mezzegra versteckt. Am nächsten Tag wurden sie dort von einigen Männern abgeholt, die mit ihnen vor den Ort fuhren und sie in der Hofauffahrt der Villa Belmonte erschossen. Auch die in Dongo festgehaltenen Faschisten, darunter der Parteisekretär Alessandro Pavolini, einige Minister der RSI, wie Ferdinando Mezzasoma und Paolo Zerbino, Mussolinis Sekretär Luigi Gatti und der Bruder Claretta Petaccis, Marcello Petacci, wurden am Nachmittag des 28. April 1945 ohne Prozess exekutiert.45 Das Ausbleiben eines richtigen Prozesses wurde von den Partisanen herabgespielt. So konnte man am 29. April in »Avanti !« lesen, dass ein formales Verfahren nicht mehr nötig gewesen sei, da sich das Volk sein Urteil über einen 45 In der Geschichtswissenschaft wird dieser Ablauf weitestgehend akzeptiert, Delzell, Charles : Mussolini’s Enemies. The Italian Anti-Fascist Resistance, Princeton 1961, S. 540 ; Milza : Les derniers jours de Mussolini ; Luzzatto : Il Duce, S. 70–81 ; Woller : Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948, S. 260 ff.; Collier, Richard : Mussolini. Aufstieg und Fall des Duce, München 1983, hier S. 365–378. Auch nachdem die Akten des Office of Strategic Services in den amerikanischen National Archives für die Kriegs- und Nachkriegsjahre freigegeben wurden, ändert sich an dieser Rekonstruktion der Abläufe nichts, Cavalleri, Giorgio ; Giannantoni, Franco ; Cereghino, Mario (Hg.) : La fine. Gli ultimi giorni di Benito Mussolini nei documenti dei servizi segreti americani, 1945–1946, Mailand 2009 ; Duggan, Christopher : Fascist Voices. An Intimate History of Mussolini’s Italy, London 2012, S. 414 f. Von Neofaschisten wurde die Darstellung jedoch immer wieder in Zweifel gezogen und durch antikommunistische Verschwörungstheorien angereichert, z. B. Pisanò, Giorgio : So starb Mussolini. Autopsie eines Verbrechens, Berg am Starnberger See 1998 (ital. Original 1996).
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langen Zeitraum hinweg gebildet habe.46 Auch der Mitbegründer der antifaschistischen Giustizia e Libertà, Carlo Levi, beschrieb die Erschießung von Mussolini als Ergebnis eines »tribunale del popolo« (Gericht des Volkes) und eine Selbstverständlichkeit der Gerechtigkeit.47 Am Tag vor der Hinrichtung hatte die Parteizeitung der Kommunisten »L’Unità« allerdings noch eine Verhandlung vor einem Strafgericht angekündigt.48 Dies zeigt, wie wichtig allen Beteiligten die Feststellung der Schuld von Mussolini war, doch offenbar bedurfte die Hinrichtung am Ende nicht der Legitimation durch einen echten Gerichtshof. Die Verantwortung für die Erschießung durch das Exekutionskommando übernahm das Befreiungskomitee für Norditalien am 29. April 1945.49 Der Editor von »Avanti !« und Sozialistenführer Pietro Nenni sah in dem Vorgehen des CLNAI den Vorteil, dass die Alliierten so nicht in Versuchung kommen konnten, Mussolini einen spektakulären Prozess zu machen.50 Er meinte, Mussolini habe keine weitere Bühne für seinen Personenkult geboten werden dürfen. Dies legt den Rückschluss nahe, dass bei der Entscheidung zur Erschießung Mussolinis Überlegungen zur Wirkung auf die der öffentlichen Meinung, also die politische Symbolwirkung, den juristischen Abwägungen übergeordnet wurden. Mit der Erschießung setzte sich der CLNAI jedoch über Absprachen mit den Alliierten und der Regierung in Rom hinweg. Die Partisanen hatten im Dezember 1944 zugestimmt, die Machtbefugnis in Norditalien bei deren Ankunft an die Alliierten abzugeben und Mussolini im Fall einer Gefangennahme zu übergeben, wie es auch im Waffenstillstand vereinbart worden war.51 Nun 46 »Giustizia è fatta«, in : Avanti !, 29. April 1945, S. 1. 47 Levi, Carlo : Morte dei morti, in : Contorbia, Franco (Hg.) : Giornalismo Italiano, Bd. 3, 1939–1968, Mailand 2009, S. 288–290, hier S. 288. Nachdruck des Artikels aus La Nazione del Popolo, 30. April 1945. 48 »Mussolini, Pavolini e Farinacci arrestati. Essi verranno giudicati e condannati da un Tribunale del Penale«, in : L’Unità (Nuova serie), 28. April 1945, S. 1. 49 Pavone, Claudio (Hg.) : Le brigate Garibaldi nella Resistenza. Documenti. Bd. 3, Dicembre 1944 – Maggio 1945, Mailand 1979, S. 703, und Woller, Abrechnung, S. 263. Aber auch »La dichiarazione del CLNAI« abgedruckt z. B. in : Avanti !, 30. April 1945, S. 1. 50 Nenni, Pietro : Vento del nord. Giugno 1944 – Giugno 1945, hg. v. Domenico Zucàro. Turin 1978, S. 356 [28. April 1945] ; dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 72 f.; Ventresca, Robert Anthony : Mussolini’s Ghost. Italy’s Duce in History and Memory, in : History and Memory 18 (2006), S. 86–119, hier S. 93 f. 51 Dazu Focardi : Das Kalkül des »Bumerangs«. Politik und Rechtsfragen im Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Italien, S. 538 ; Woller, Abrechnung, S. 252 f.
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handelten sie anders, nachdem innerhalb des Befreiungskomitees die Stimmen, die Mussolinis Tod forderten, immer lauter geworden waren.52 Dass auch bei den Alliierten ein Zwiespalt zwischen dem Verlangen nach Rache und juristischer Abrechnung bestand, veranschaulicht die folgende Episode aus dem britischen Unterhaus, die Heydecker und Leeb ihrer Darstellung zu dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg voranstellen. Außenminister Eden soll auf die Frage, ob »ein britischer Soldat, der Hitler antrifft, die Pflicht ihn zu erschießen oder ihn lebend zu fangen« habe, geantwortet haben, er sei bereit, »diese Entscheidung völlig dem betreffenden britischen Soldaten zu überlassen«.53 Zuvor hatte Eden die von der United Nations War Crimes Commission zusammengestellte Liste der strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehenden Kriegsverbrecher vorgestellt. Trotz der prinzipiell erklärten Absicht, die Kriegsverbrechen juristisch zu ahnden, wird hier deutlich, dass das Urteil für die Haupttäter zum einen nur die Todesstrafe sein und zum anderen bedenkenlos vor der juristischen Aufarbeitung vollzogen werden konnte. So verwundert es auch nicht, dass das eigenmächtige Handeln der Partisanen in Italien keine unmittelbaren negativen Folgen für sie hatte. Außerdem spricht aus der Exekution der faschistischen Führungsclique durch die Partisanen auch der Wunsch der Widerstandsbewegung, die Zügel selbst in der Hand zu behalten, statt sie den Alliierten zu übergeben. So sah Carlo Levi in der Erschießung Mussolinis auch »[…] la prima prova completa della capacità di autogoverno del popolo italiano« (den ersten umfassenden Nachweis für die Fähigkeit des italienischen Volkes zur Selbstbestimmung).54 Diese Selbstbestimmung strebte das zentrale Befreiungskomitee (Comitato di Liberazione Nazionale, kurz : CLN) in Rom an. Bestehend aus der kommunistischen, der sozialistischen und der liberalen Partei Italiens sowie dem laizistisch geprägten Partito d’Azione und der katholischen Democrazia Cristiana, verstand es sich nicht nur als Gegner des Faschismus, sondern auch als Gegenregierung zur königlichen Regierung, die seit Juni 1944 wieder in Rom residierte.55 So bemühte sich das Befreiungskomitee vor der Ankunft der Alli52 Ginsborg, Paul : A History of Contemporary Italy. Society and Politics 1943–1988, London 1990, S. 67 f. 53 Zitiert nach Heydecker, Joe J.; Leeb, Johannes : Der Nürnberger Prozeß, Köln 1995, S. 19. 54 Levi : Morte dei morti, S. 290. 55 Christian Jansen, Italien seit 1945, Göttingen 2007, S. 17 f.; Claudio Natoli, Antifaschismus und Resistenza in der Geschichte des italienischen Einheitsstaates, in : Petersen, Jens ; Schieder, Wolfgang (Hg.) : Faschismus und Gesellschaft in Italien. Staat – Wirtschaft – Kultur, Köln 1998, S. 307–327, hier S. 318.
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ierten, möglichst viele Städte und Provinzen in ihre Hand zu bekommen, um als Befreier des eigenen Landes auftreten zu können. Das Befreiungskomitee hatte Vorbereitungen getroffen, im Falle des Sieges zügig eine funktionsfähige Justiz in Form von Volkstribunalen und Militärgerichten sowie geordnete Verwaltungsstrukturen zu etablieren.56 In dem Wettstreit, Mussolinis Herrschaft ein Ende zu bereiten, wurden religiöse Erwägungen hintangestellt. Unmittelbar nach seinem Tod unterblieben jegliche religiöse Handlungen. Dabei sind sicher der rasche Zeitablauf und die Bürgerkriegssituation zu berücksichtigen.57 Zwischen dem Ausbruch der durch die Resistenza vorbereiteten Aufstände gegen die Repubblica Sociale Italiana am 25. April 1945 mit Zentrum in Mailand – die Mussolini zur Flucht aus der Stadt veranlasst hatten – und der Ergreifung Mussolinis waren nur zwei Tage und ein weiterer Tag bis zu seiner Erschießung vergangen. Bei einer offiziellen Hinrichtung in Folge eines Prozesses wäre einem katholischen Gefangenen traditionell die Möglichkeit zur Beichte gewährt worden.58 Doch Mussolini und Petacci wurden einfach erschossen, ohne dass man ihnen die Möglichkeit gab, sich auf den nahen Tod vorzubereiten – ein Umstand, der für die Bürgerkriegssituation durchaus typisch war. Dass alle Gefangenen, auch die Funktionäre, in Dongo erschossen und nicht gehängt wurden, wie das im Falle einer Verurteilung vor einem regulären Gericht zumindest für Zivilisten die Regel gewesen wäre, entspricht einer militärischen Vorgehensweise. Allerdings wurde den faschistischen Funktionären angeblich durch einen Kapuziner die Absolution in extremis vor der Erschießung erteilt.59 Hier wurde also versucht, der christlichen Tradition gerecht zu werden, während diese Möglichkeit dem ehemaligen Duce nicht gewährt wurde. Da die Sterbesakramente eigentlich
56 Woller : Abrechnung, S. 248 ff. 57 Zur Bürgerkriegssituation grundsätzlich Pavone : Una guerra civile. Aber auch zur Situation des Kriegsendes und der ersten Nachkriegsjahre Dipper, Christof : Deutsche und Italiener in der Nachkriegszeit, in : Matheus, Mathias (Hg.) : Deutsche Forschungs- und Kulturinstitute in Rom in der Nachkriegszeit, Tübingen 2007, S. 1–20 ; Ginsborg : A History of Contemporary Italy ; Lepre, Aurelio : Storia della prima Repubblica. L’Italia dal 1942 al 1992, Bologna 1993 ; Di Nolfo, Ennio : Von Mussolini zu De Gasperi. Italien zwischen Angst und Hoffnung 1943–1953, Paderborn 1993. 58 So geschehen in Nürnberg, wo die drei katholischen Verurteilten, Frank, Kaltenbrunner und Seyss-Inquart, die Beichte ablegten und die Kommunion erhielten, Heydecker, Der Nürnberger Prozeß, S. 488. 59 Dessy, Giovanni : La Cronaca degli eventi che condussero alla cattura di M., in : Cavalleri, Giorgio : La fine, S. 213–220, hier S. 218.
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den Beginn der Bestattung markieren, wird deutlich, dass für Mussolini keine herkömmliche Zeremonie intendiert war. Mussolinis Ende am Comer See erfolgte vollkommen unspektakulär, völlig ohne die von ihm zu Lebzeiten zelebrierten Inszenierungen,60 in aller Abgeschiedenheit und ohne religiösen Beistand. Natürlich war aber auch das eine Inszenierung, gewissermaßen eine Anti-Inszenierung. Der Duce starb fernab jeden Publikums in den Bergen, wie ein »normaler Soldat« oder Partisan durch Erschießung. Sein Status als ehemaliger Regierungschef und Befehlshaber wurde so negiert. Von diesen Ereignissen ist keine einzige Fotografie bekannt. Erst im Dezember 1945 veröffentlichte das Magazin »L’Illustrazione Italiana« Aufnahmen, die es nachträglich in Dongo gemacht hatte (Abb. 5).61 Mit der Bildstrecke unter dem Titel »Mussolini a Dongo« (Mussolini in Dongo) wurde versucht, Ereignisse mit Bildern nachzuempfinden, bei denen kein Fotograf zugegen gewesen zu sein scheint. Der wesentliche Punkt daran ist, dass hier etwas bildlich dargestellt werden sollte, das bereits vergangen war. Der Bildbericht konnte die Ereignisse nur implizit dokumentieren. Dass der Versuch aber überhaupt gemacht wurde, stützt die Annahme, dass Bildern in der von Unsicherheit geprägten Phase sehr hohe Bedeutung beigemessen wurde. Auf der Doppelseite werden in 13 Bildern die Schauplätze vom 27. und 28. April nachgezeichnet : Begonnen mit der Straße, auf der der Konvoi fuhr, in dem sich Mussolini versteckt hatte, über die Sonnenbrille, den deutschen Uniformmantel und Helm, mit denen er sich tarnen wollte, bis zum Bürgermeisteramt von Dongo ; ergänzt durch Innen- und Außenaufnahmen des Bauernhauses, in dem der ehemalige Duce und seine Geliebte versteckt wurden, und abschließend die Toreinfahrt der Villa Belmonte, in der die beiden starben. Die meisten Bilder sind menschenleer, was die Räume und Plätze unmittelbarer, aber auch offener für eigene Imaginationen erscheinen lässt. Denn außer dem Titel gibt es keinen die Bilder zusammenfügenden Text. Jede Fotografie hat einen Begleittext, 60 Dazu beispielhaft Falasco-Zamponi, Simonetta : Fascist Spectacle. The Aesthetics of Power in Mussolini’s Italy, Berkeley 2000 ; Nützenadel, Alexander : Staats- und Parteifeiern im faschistischen Italien, in : Behrenbeck, Sabine ; ders. (Hg.) : Inszenierung des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 127–147 ; Passerini, Luisa : Mussolini immaginario. Storia di una biografia 1915–1939, Rom 1991 ; Petersen, Jens : Mussolini – der Mythos des allgegenwärtigen Diktators, in : Nippel, Wilfried (Hg.) : Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, München 2000, S. 155–170 ; Schieder, Wolfgang : Benito Mussolini, in : ders. (Hg.) : Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008, S. 31–56. 61 »Mussolini a Dongo«, in : L’Illustrazione Italiana, 9. Dezember 1945, Nr. 21, S. 352–353.
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Abb. 5 : Doppelseite in : L’Illustrazione Italiana, 9. Dezember 1945, S. 352–353.
doch es erfolgt keine weitere textliche Kontextualisierung. Jedes Bild für sich vermag auch mit seiner Bildunterschrift kaum Spannung zu erzeugen, erst als Bildstrecke erzählen sie eine Geschichte. Eine Geschichte, die der italienischen Bevölkerung offenbar ein halbes Jahr nach Mussolinis Erschießung vor Augen geführt werden sollte. Die Fotografien der schmalen Straßen und der kargen Inneneinrichtung unterstrichen noch einmal, dass Mussolinis letzte Stunden ohne Prunk und in einer Region weitab seiner alten Machtzentren erfolgt war. Um den Tod Mussolinis und der anderen Faschisten bekannt zu machen, transportierten die Partisanen die Leichen in die lombardische Hauptstadt Mailand und verscharrten sie nicht anonym am Comer See. Die Todesmeldung wurde per Radio verbreitet und die Bevölkerung in Mailand konnte sich persönlich von der Wahrheit der Nachricht überzeugen.62 Durch das Vorgehen der Widerstandskämpfer wurde die Nachricht vom Tod des ehemaligen Duce schnell verbreitet. Als Erstes hatten die beiden italienischen Parteizeitungen »L’Unità« und »Avanti !« vom Tod Mussolinis berichtet, doch nur einen Tag später berichteten auch »The Times« und »Le Monde« darüber.63 Diese To62 Dondi, Mirco : Piazzale Loreto, in : Isnenghi, Mario (Hg.) : I luoghi della memoria, Bd. 1, Simboli e miti dell’Italia unita, Rom 1996, S. 489–499, hier S. 492. 63 »Mussolini tradotto a Milano e consegnato dai patrioti al CLNAI. Comincia a soffiare il vento
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desmeldungen erschienen alle ohne Bilder, keine der Tageszeitungen griff auf Bilder Mussolinis aus der Phase vor dem Zweiten Weltkrieg zurück, so wie sie es sechs Jahre später bei Pétain taten. Zum einen war die Wiedergabe von Fotografien in Tageszeitungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr verbreitet, zum anderen wurde mit der Person Mussolini derzeitig aber auch nichts Positives verbunden. In den Todesmeldungen über Mussolini wurden keine Verdienste herausgestellt, wie dies bei Pétain besonders mit Blick auf den Ersten Weltkrieg geschah, stattdessen bestand Einigkeit, dass Mussolini großes Leid über die italienische Bevölkerung gebracht und sich als Achsenpartner Hitlers mitschuldig gemacht habe. Mussolini befand sich zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs seiner Regierung und der Verteidigung noch auf italienischem Gebiet und wurde dort beim Versuch, das Land zu verlassen, gefangen genommen, während Pétain freiwillig nach Frankreich reiste, um dort die Verantwortung für seine Regierungszeit zu übernehmen. Die Situationen hätten kaum gegensätzlicher sein können. Pétain stellte sich der Justiz und Mussolini versuchte, vor ihr zu fliehen. Ihm wurde so auch kein juristisches Verfahren gemacht, während Pétains Todesurteil das Ergebnis eines Prozesses war, auch wenn dieser keine umfassende juristische Aufarbeitung darstellte.64 De Gaulle hatte den obersten Gerichtshof 1944 eigens für die juristische Abrechnung mit den politischen Hauptverantwortlichen eingerichtet.65 Auch ihm war wie der provisorischen Regierung in Italien sehr daran gelegen, möglichst schnell wieder Ordnung und Stabilität zu etablieren. Während die Umbruchsituation in Italien von den Partisanen dazu genutzt wurde, mit Mussolini ›kurzen Prozess‹ zu machen, hatte die französische Justiz Zeit, sich auf die Ankunft Pétains vorzubereiten, genauso wie die französische Regierung und Bevölkerung dann auch Zeit hatten, sich auf di Nord«, in : L’Unità (Nuova serie), 29. April 1945, S. 1 ; »Mussolini put to death by partisans. Body brought to Milan day before the allies enter«, in : The Times, 30. April 1945, S. 4 ; »L’exécution de Mussolini et de ses complices«, in : Le Monde, 1./2. Mai 1945, S. 2. 64 Pétain ist zwar als verurteilter Hochverräter gestorben, doch dass das kurze Gerichtsverfahren und die Beweisführung nicht der Anklagelast gerecht wurden, war bereits den Zeitgenossen bewusst. Fay, Sidney Bradshaw : Is Pétain a Traitor ?, in : Current History 9 (1945), Nr. 49, S. 207–212. Auf das Dilemma, dass einerseits die Schuld Pétains als Erfahrungswert feststand und eine Verurteilung erwartet wurde, andererseits die Zeit seit der Befreiung aber keinesfalls ausreichend gewesen war, um alle Beweise zusammenzutragen und zu beurteilen, verweist Lottman : The Purge, S. 176. 65 Eine komprimierte Erklärung des dreistufigen Systems der juristischen Abrechnung in Frankreich nach 1944 liefert Beigbeder, Yves : Judging War Criminals. The Politics of International Justice, New York 1999, S. 170–179.
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den Tod Pétains vorzubereiten. Die Resistenza handelte hingegen schnell. Wie Nenni meinte, ermöglichte die Erschießung Mussolinis es, die ›Vergangenheit zu vergessen‹ – ›um die Auferstehung des Landes‹ und ›die nationale Versöhnung‹ zu ermöglichen.66 Der italienische Blick scheint zu diesem Zeitpunkt also ganz auf die Zukunft und einen möglichst schnellen Wiederaufbau gerichtet gewesen zu sein. So wurde Mussolini ein gewaltsamer Tod bereitet, während Pétain ein natürlicher Tod gewährt wurde. Im April 1945 gab es niemanden, der Mussolini öffentlich verteidigte, über die Beurteilung seiner Person schien Einigkeit zu bestehen. Im Gegensatz dazu hatte der Prozess gegen Pétain verdeutlicht, wie widersprüchlich er betrachtet wurde und die Abmilderung des Todesurteils durch de Gaulle hatte dies noch unterstrichen. Dementsprechend ambivalent fielen die Nachrufe auf seine Person aus Anlass seines Todes sechs Jahre später aus.
2.2 Aufbahrung Bevor die eigentliche Beisetzung eines Toten erfolgen kann, sind im üblichen Verfahren zahlreiche Zwischenschritte erforderlich. So sind juristische Anforderungen, wie die Feststellung des Todes durch einen Arzt und gegebenenfalls eine Obduktion, zu beachten. Daran anschließend bietet die Aufbahrung zum einen den Hinterbliebenen die Möglichkeit, Abschied zu nehmen, und zum anderen Gelegenheit, die gesellschaftliche Position des oder der Verstorbenen durch die Gestaltung der Aufbahrung auszudrücken.67 Diese kann auf zwei Arten erfolgen : als private Aufbahrung im familiären Umfeld oder als öffentliche Exposition. Letzteres hat sich aus der Inszenierung von Herrschaftsbegräbnissen der Frühen Neuzeit entwickelt und erfolgt an repräsentativen Orten.68 Diese Form der Öffentlichkeit kann durch die mediale Inszenierung in Form 66 Nenni : Vento del nord, S. 357 f. [1. Mai 1945]. 67 Dazu etwa Sörries, Reiner : Kiste, Kutsche, Karavan. Auf dem Weg zur letzten Ruhe, Kassel 1999, S. 123. 68 Sykora, Katharina : Die Tode der Fotografie. Totenfotografie und ihr sozialer Gebrauch, München 2009, S. 147 ff.; Art. »Aufbahrung«, in : Sörries, Reiner (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur, Bd. 2 : Archäologisch-kunstgeschichtlicher Teil. Von Abfallgrube bis Zwölftafelgesetz, Braunschweig 2005, S. 92 f.; Rosentreter, Michael : Aufbahrungsrituale und ihre Bedeutung für die Trauerbewältigung in den westlichen Industriegesellschaften, in : Groß, Dominik (Hg.) : Die dienstbare Leiche. Der tote Körper als medizinische, soziokulturelle und ökonomische Ressource, Kassel 2009, S. 101–106.
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von Illustrationen, Fotografien, Filmen und Zeitungsberichten gesteigert werden. Aufbahrungen sind nicht auf einen Ort festgelegt, sondern können zunächst privat und dann öffentlich stattfinden. In vielen Fällen findet zusätzlich auch eine Aufbahrung in der Kirche als Teil des Gottesdienstes statt. Diese wird deshalb als Teil des Begräbnisses im engeren Sinn betrachtet. In den nicht kirchlichen Aufbahrungen wird ähnlich wie in den Todesmeldungen bereits von den Hinterbliebenen Stellung zu der verstorbenen Person genommen. Der politische Status zu Lebzeiten kann so bestätigt oder negiert werden. 2.2.1 Pétains Paradebett stand hinter verschlossenen Türen Während der Haft stand Philippe Pétain unter ärztlicher Aufsicht. Kurz vor seinem Tod sandten seine Ärzte regelmäßig bulletins de santé (Berichte über den Gesundheitszustand) an die Regierung.69 Dass der Tod des Gefangenen kurz bevorstand, war dem Regierungschef Henri Queuille also bekannt, als er durch Pétains Anwalt Jacques Isorni vom Wunsch der Witwe erfuhr, ein Totenporträt ihres Mannes anfertigen zu lassen. Er gab diesem Gesuch in einem Brief am 21. Juli statt und bestimmte, dass Beamte des Innenministeriums diese Bilder aufnehmen, da Journalisten nach einem Dekret vom 8. Juni 1951 keinen Zutritt zu dem Sterbehaus erhalten sollten.70 69 Diese wurden auch an die Medien weitergegeben und besonders in le Monde seit 1949 mehr oder weniger regelmäßig veröffentlicht, Le Monde, 5. Mai 1949 ; 21./24./27. April 1951 ; 18. Mai 1951 ; 1./4./5./6./7. und 9. Juni 1951. Aber auch die anderen Tageszeitungen, insbesondere die rechtskonservative L’Aurore, befassten sich mit dem bevorstehenden Tod des Gefangenen : Bernhard-Derosne, Jean : »Le maréchal Pétain est agonisant à l’île d’Yeu, où l’on attend d’un instant à l’autre l’issue fatale«, in : L’Aurore, 4. Juni 1951, S. 8 ; »Le Maréchal peut mourir d’un instant à l’autre«, in : L’Aurore, 23. Juli 1951, S. 8. Auch Isorni : Souffrance et mort du maréchal Pétain, S. 251. 70 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 344 und 366–368, inklusive dem Text des Briefes »Le président du conseil, ministre de l’intérieur, no 213/Cab. 51, Paris, le 21 juillet 1951« an Jaques Isorni, auch abgedruckt in ders.: Souffrance et mort du maréchal Pétain, S. 335 f. Die Fotoserie konnte nicht recherchiert werden, doch im Bestand der Bildagentur Roger Viollet ist ein Bild des im Totenbett aufgebahrten Pétain erhalten, das in diesem Zusammenhang entstanden sein müsste. Collection Roger-Viollet : »Le maréchal Philippe Pétain sur son lit de mort, 23. Juli 1951«, Bildnummer 13764-2. Dies entspricht Ullstein Bild, Bildnummer 41376402 und Getty Images, Nr. 56210956 und wird hier als Abb. 7 wiedergegeben. Die Aufnahme ist auch abgedruckt bei Isorni : Souffrance et mort du maréchal Pétain, zw. S. 222 und 223. Eine weitere Ansicht des Totenbettes ist abgedruckt als Abbildung Nr. 5 in Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2, Tafelteil zw. S. 424 und 425.
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Gedanken darüber, wie Pétain nach seinem Tod bestattet werden sollte, hatte sich die französische Regierung anscheinend erstmals im August 1949 gemacht, nachdem sie sich im Mai verpflichtet gefühlt hatte, mehr Krankenschwestern zur Pflege des Gefangenen abzustellen.71 Die Regierung Queuille I. (9/1948–10/1949) beauftragte den Gefängnisdirektor Boulay damit, im Fall von Pétains Tod die Ehefrau zu informieren und sie einer Obduktion durch einen Gerichtsmediziner zustimmen zu lassen. Die Leichenschau solle in Gegenwart von Honoratioren der Gemeinde, wie des Geistlichen, des Bürgermeisters und eines Arztes stattfinden. Die Nonnen sollten den Leichnam für die Beisetzung in ziviler Kleidung vorbereiten. In der Kapelle der Zitadelle sollte ein Gottesdienst in Anwesenheit des Sarges für die Familienangehörigen stattfinden. Anschließend, und das ist überraschend, sollte eine vorübergehende Bestattung im Inneren der Festung erfolgen. Weshalb hier nur eine provisorische Lösung ins Auge gefasst wurde und welche Dauer sie haben sollte, wurde nicht ausgeführt. Die Zitadelle wäre ein ungewöhnlicher Begräbnisort und dies war sicher auch den Politikern bewusst. Dass sie sie trotzdem als Übergangslösung in Betracht zogen, könnte daran liegen, dass sie befürchteten, dass ein für die Öffentlichkeit zugängliches Grab entweder zu einem Wallfahrtsort für Bewunderer Pétains oder zu einem Ort der Demonstrationen durch seine Gegner werden könnte. Vielleicht wollte die Regierung damit aber auch bewusst verhindern, dass die sterblichen Überreste Pétains aus ihrem Grab geraubt werden konnten, so wie es drei Jahre früher mit Mussolini geschehen war. Um trotz des unzugänglichen Bestattungsortes der Familie und der Öffentlichkeit Kenntnisnahme und Gewissheit über das Begräbnis zuzugestehen, sollte es Journalisten mit Ausnahmegenehmigungen möglich sein, an dem Gottesdienst und der Beisetzung teilzunehmen. Zusätzlich zur Familie sollte es auch Beamten der Regierung und einzelnen Militärangehörigen erlaubt sein, dem Begräbnis beizuwohnen. Während bei Polizisten und Militärs wohl die Kontrollfunktion im Zentrum stand, sollten die Reporter sicher als Zeugen und Berichterstatter fungieren. So zeigt sich, dass schon diese Planung der Obduktion, der Herrichtung der Leiche, des Gottesdienstes sowie der Beisetzung in Anwesenheit der Familie die grundlegenden Elemente einer Bestattungszeremonie beinhaltete und dass diese daher von der Regierung als unabdingbar angesehen wurden. 71 »Vorsicht«, in : Der Spiegel, 4. August 1949, S. 4 ; »Le médecin de Pétain est désormais assisté de deux infirmières«, in : Paris-Presse, 8. Mai 1949, S. 1 ; dazu auch Isorni : Le condamné de la Citadelle, S. 303.
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Im Oktober fand eine Regierungsumbildung statt. Georges Bidault löste Henri Queuille als Regierungschef ab. Unter dem Innenminister Jules Moch und dem Justizminister René Mayer, der eine war in der Resistance und der andere in der Exilregierung gewesen, wurden die Bestimmungen für das Vorgehen beim Ableben Pétains weiter ausgearbeitet und vertraulich dem Gefängnisdirektor auf der Île d’Yeu übermittelt.72 In den sechs Abschnitten Annonce du décès (Meldung des Todes), Autopsie, Toilette du défunt (Kleidung des Verstorbenen), Office religieux (Gottesdienst), Inhumation (Beerdigung), Garde de la citadelle (Bewachung der Zitadelle) wurden die vorherigen Regelungen präzisiert und ergänzt, aber auch verändert. So war vorgesehen, dass der Direktor den Tod an den Standesbeamten der Insel melden sollte. Selbst die Angaben zur Person wurden dabei schon vorgegeben, so auch, dass er als berufslos zu bezeichnen sei. Es sollten also weder sein militärischer Ehrentitel noch sein letztes Amt als Staatschef von Frankreich in die Akten aufgenommen werden. Neben der offiziellen Meldung beim Standesamt sollten auch die Ehefrau und der dem Innenminister unterstehende cabinet du directeur général de la Sûreté nationale informiert werden, schließlich sollte neben der Familie auch ein Beamter aus der obersten Polizeibehörde an der Beisetzung teilnehmen. An den Regelungen zur Autopsie wurde nichts verändert. Auch an der Zivilkleidung für den Verstorbenen wurde festgehalten, jedoch sollte seiner Frau gestattet werden, ihm noch etwas mit in den Sarg zu legen, das an seine früheren Würden erinnere, solange es keine militärische Kleidung sei. Dies kann nur als ein Zugeständnis an die Familie interpretiert werden, während die Einkleidung des Verstorbenen in Zivil darauf verwies, dass er seine militärischen Ehrentitel verwirkt habe. Fotografien vom Toten und der Bestattungszeremonie sowie die Abnahme einer Totenmaske wurden explizit verboten. Der Familie sollte weiterhin die Möglichkeit gegeben werden, in der Zitadelle einen Gottesdienst zu feiern. Zutritt sollten im Wesentlichen die Familie und die Verteidiger erhalten, aber auf gar keinen Fall Journalisten oder Fotografen. Darüber hinaus sollte es möglich sein, in der Kirche der Insel ei72 Die Niederschrift dieser geheimen Vorkehrungen vom 5. November wurde von Pétains Anwalt in vielen seiner Publikationen wiedergegeben. Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 308–310 ; ders.: Mémoires, Bd. 2, Annexe Nr. 6, S. 436–438. Auch Simon : Pétain, mon prisonnier, S. 298–300, unklar ist jedoch, ob er es von Isorni übernommen hat, oder in den Unterlagen seines Kollegen Charles Boulay gefunden hat, der zu diesem Zeitpunkt die Leitung des Fort Pierre-Levée innehatte. Der Inhalt dieser geheimen Vorkehrungen drang jedoch rasch an die Presse, wobei es nicht so scheint, als wäre das Dokument herausgegeben worden, »pétain. Wenn er morgen stirbt«, in : Der Spiegel, 2. Februar 1950, S. 16.
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nen Gottesdienst für den nicht anwesenden Verstorbenen zu zelebrieren. Dort könnten auch Journalisten teilnehmen, doch Demonstrationen jeglicher Art seien zu unterbinden. Auch in dieser vertraulichen Bestimmung wurde die Beisetzung in der Zitadelle als eine vorübergehende Lösung beschrieben. Eine Umbettung sei möglich, wenn diese ohne Störung der öffentlichen Ordnung erfolgen könnte.73 Das ist ein Hinweis darauf, dass die Politiker im Herbst 1949 offenbar davon ausgingen, dass ein öffentliches Begräbnis für Pétain nicht ohne Ausschreitungen und Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung erfolgen könnte. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass sie vorsahen, die Zitadelle bewachen zu lassen, solange die sterblichen Überreste Pétains dort ruhen würden. Dieser Aufwand, der sicher nicht endlos hätte betrieben werden können, und das isoliert gelegene Grab lassen es plausibel erscheinen, dass die Politiker einen Leichenraub wie in Mailand im April 1946 verhindern wollten. Gleichzeitig spiegelt sich hier auch die Ambivalenz, die schon bei den Prozessen gegen Pétain und Laval, aber auch in den Kommentaren zum Tod Pétains erkennbar war. Die Unterzeichner dieses vertraulichen Schreibens waren offenbar bereit, den Leichnam irgendwann der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch was mit dem Leichnam nach einer Exhumierung geschehen solle, wird nicht erörtert, nur darauf verwiesen, dass sich die Umstände ändern müssten und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung bestehen dürfe. Pétains Gesundheitszustand stabilisierte sich jedoch wieder und so blieb dieser Maßnahmenkatalog zunächst in der Schublade liegen. In der Zwischenzeit wandelte sich die Haltung der französischen Gesellschaft gegenüber Kollaborateuren und am 5. Januar 1951 trat ein Amnestiegesetz in Kraft, von dem Personen mit einem geringeren Strafmaß denn lebenslänglich profitierten.74 Der Straferlass konnte demnach nicht auf Pétain angewendet werden, dennoch hat die Forschung in der Diskussion, die zu dem Gesetz geführt hatte, den Beginn der Rehabilitation von Vichy festgemacht.75 Das erste Revisionsgesuch für Pétain hatte Isorni bereits ein Jahr nach dem Prozess, am 7. September 73 »Le corps sera provisoirement inhumé à l’intérieur de la citadelle, en présence des personnes qui auront assisté à l’office religieux dans la citadelle. L’exhumation pourra intervenir lorsque les circonstances le permettront sans qu’un trouble grave de l’ordre public puisse être redouté.« Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 310. 74 Kritz, Neil : Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with Former Regimes, Bd. 2, Country Studies, Washington DC 1995, S. 123. 75 So Shields, James : The Extreme Right in France. From Pétain to Le Pen, London 2007, S. 64 ; Kritz : Transitional Justice, S. 122–125.
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1946, an den Justizminister gestellt.76 Diesem waren noch mehrere gefolgt, doch alle ohne Erfolg. Erst als sich der Gesundheitszustand Pétains dramatisch verschlechterte, gewährte Staatspräsident Vincent Auriol am 8. Juni 1951 eine Haftlockerung aus medizinischen Gründen.77 Der Erlass trug neben der Unterschrift des Präsidenten auch die Unterschrift des Regierungschefs Henri Queuille, der nun seine dritte Regierung (3/1951–7/1951) leitete und unter dem die Vorkehrungen für das Eintreffen von Pétains Tod begonnen hatten. Allerdings war die Initiative zur Begnadigung weder vom Regierungschef noch vom Staatspräsidenten ausgegangen, sondern vom Vorsitzenden des Obersten Rats des Richterstandes (Conseil supérieur de la magistrature) Pierre Chaumié. In seinen Aufzeichnungen zeigte sich der Sozialist Auriol irritiert von Chaumiés Vorgehen, ohne Aufforderung durch ihn oder den Justizminister einen solchen Vorschlag ausgearbeitet zu haben. Der Präsident lehnte die Idee aber nicht grundlegend ab.78 Chaumié hatte mit seinem Entwurf eine neue Sicht auf die Forderungen der Anwälte und der Witwe nach Revision sowie die Berichte der behandelten Ärzte eröffnet. Dem Präsidenten war nach eigenen Angaben vollkommen klar, dass Isorni eine Begnadigung ablehnen und auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens pochen würde, etwas, das er und das Kabinett ablehnten, doch durch die Verlegung in ein Krankenhaus könne die Regierung Menschlichkeit beweisen, ohne Pétain freizulassen.79 Da am 17. Juni 1951 die Wahl zur Nationalversammlung stattfinden sollte, wurde erst nach der Schließung der Wahllokale bekannt gegeben, dass Pétain sein Lebensende nicht in einer Festung, sondern in einem Militärkrankenhaus verbringen würde.80 Auriol hat angeblich die Bekanntgabe seiner Entscheidung gegen den Widerstand der ihn beratenden Juristen durchsetzen müssen. Er war besorgt, die Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand Pétains könne als allgemeine Begnadigung verstanden werden, und wollte sichergehen, dass die Vertreter der Widerstandsorganisationen über den Schritt informiert würden, 76 »Requête en Révision pour Philippe Pétain«, in Isorni : Requête en révision pour Philippe Pétain, S. 17–18. 77 Das auf den 8. Juni 1951 datierte Dekret ist abgedruckt in : Isorni : Souffrance et mort du maréchal Pétain, S. 332–334 ; ders.: Le condamné de la citadelle, S. 424 f. bzw. ders.: Mémoires, Bd. 2, S. 441 f. Dazu auch Bourget : Der Marschall, S. 332 ; Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 69. 78 Die Einträge zum 25. April und 7. Mai in Auriol : Journal du septennat, Bd. 5, S. 184 f. und 196. 79 Ebenda, 5. Juni, S. 214 f. 80 »Le maréchal Pétain n’est plus ›détenu‹«, in : L’Aurore, 18. Juni 1951, S. 1 ; The Times, 18. Juni 1951, S. 4.
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da er diese nicht brüskieren wollte.81 Er betonte deshalb den Unterschied zwischen le décret de grâce und le transfert médical, also der Begnadigung und der Haftlockerung aus medizinischen Gründen.82 Ein weiterer Grund für seine eindeutige Distanzierung von einer Begnadigung darf in der Rémy-Affäre des Vorjahres gesehen werden, in der der Held der Resistance, Colonel Rémy, diese gefordert und gleichzeitig das Verhalten des Vichy-Regimes und der Kollaborateure rehabilitiert hatte.83 Pétains Anwalt bezeichnete das Vorgehen des Staatschefs als »gracier sans grâce et libérer sans liberté« (begnadigen ohne Begnadigung und freilassen ohne Freiheit).84 Dass es sich nicht um eine Begnadigung handelte, wurde dadurch deutlich, dass Pétain die Zitadelle zwar verlassen durfte, aber weiterhin von demselben Pflegepersonal betreut wurde wie zuvor im Fort Pierre-Levée. Für den Transport in ein Militärkrankenhaus war der alte Mann zu krank, daher wurde er am 29. Juni in ein Haus auf der Insel verlegt, welches offiziell zur Außenstelle des Militärkrankenhauses in Nantes erklärt wurde. Dort war für ihn in der Villa Luco ein eigenes Zimmer hergerichtet worden.85 Während die Regierung eine Revision des Urteils von 1945 zwar ablehnte, nahm sie mittlerweile eine mildere Position gegenüber Pétain ein. So passte sie die Handlungsvorschriften für den Todesfall erneut an und kam den Wünschen der Familie und der Verteidiger dabei sehr entgegen. Nun erhielt der Gefängnisdirektor die Anweisung, die Uniform des Marschalls in Ordnung zu bringen.86 Damit wurde einer der 1949 zentralen Punkte, dass Pétain in ziviler Kleidung und eben ohne dieses Symbol seiner militärischen Ehre bestattet würde, aufgehoben. An dem Verbot, den Verstorbenen zu fotografieren oder sein Ableben durch eine Totenmaske für die Nachwelt festzuhalten, war jedoch 81 Auriol : Journal du septennat, 19. Juni 1951, S. 224 f. 82 Isorni : Le condamné de la Citadelle, S. 355. 83 Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 83–86. 84 Isorni : Le condamné de la Citadelle, S. 356. 85 Der Staatspräsident hatte die Verlegung in die Hände des Justizministers gelegt und darauf gedrungen, sie so diskret wie möglich durchzuführen. Auriol : Journal du septennat, 29. Juni 1951, S. 253. Er zeigte sich mit dem Ablauf zufrieden, als er noch nicht wusste, dass ein Fotoreporter von der Verlegung Aufnahmen gemacht hatte. Eine Abbildung mit Beschreibung des Ablaufs findet sich in »16 Photographies résument l’extraordinaire destin de Philippe Pétain«, in : Paris Match, 4. August 1951, S. 13–21. Auch »Maréchal Pétain : Plus des bulletins de santé«, in : L’Aurore 2. Juli 1951, S. 3 ; »C’est dans cette villa de Port-Joinville (île d’Yeu) que le Maréchal Pétain est mort le 23 juillet 1951, a 9 h.22«, in : France Illustration, 28. Juli 1951, Nr. 302, S. 78. 86 Isorni : Le condamné de la Citadelle, S. 355.
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offenbar festgehalten worden. Queuille milderte aber auch dieses Verbot, als er dem Gesuch von Eugénie Pétain nachgab und die Aufnahme eines Totenporträts durch Beamte des Innenministeriums gestattete. Dass die Möglichkeit, den Verstorbenen zu fotografieren oder seinen Moment des Todes durch eine Totenmaske für die Nachwelt zu konservieren, so große Aufmerksamkeit von den Politikern erhielt, unterstreicht, welch hohen Stellenwert sie diesen Bildern beimaßen. Totenporträts und die Abbildung von Sterbebettszenen herausragender Persönlichkeiten haben eine lange Tradition, sie hatten im 19. Jahrhundert durch das Aufkommen der Fotografie und der illustrierten Zeitungen zusätzlich an Popularität gewonnen.87 Dabei verschob sich das Interesse von den Szenen der um das Sterbebett versammelten Familie und Freunde mit den letzten Momenten der ›Großen Männer‹ hin zu den Totenporträts mit dem im Bett aufgebahrten Verstorbenen. Die Anfertigung des Totenporträts war Teil des Zeremoniells, das Bild konnte dann aber wiederum im rituellen Totengedenken verwendet werden.88 So wurden beispielsweise vom französischen Präsidenten Adolphe Thiers wie auch vom italienischen König Viktor Emanuel II. Abbildungen auf dem Totenbett publiziert.89 Die französische Illustrierte »L’Illustration« druckte eine Lithografie des ehemaligen Ministerpräsidenten Léon Gambetta auf dem Totenbett sogar auf der Titelseite der Ausgabe vom 6. Januar 1883 ab.90 Während die Publikation derartiger Aufnahmen vor dem Ersten Weltkrieg und auch noch in der Zwischenkriegszeit üblich war,91 finden
87 Dazu Arndt, Christiane : Der reproduzierte Tod. Leichenfotografie im 19. Jahrhundert, in : Fotogeschichte 25 (2005), S. 47–56 ; Héran, Emmanuelle : Le dernier portrait ou la belle mort, in : ders. (Hg.) : Le Dernier Portrait, Paris 2002, S. 25–100 ; Richter, Isabel : Visual History als eine Geschichte des Todes. Fotografische Totenporträts im 19. Jahrhundert, in : Historische Anthropologie 18 (2010), S. 191–219, hier S. 215 ; Sykora, Katharina : Die Tode der Fotografie, Bd. 1, Totenfotografie und ihr sozialer Gebrauch, München 2009, S. 146 f.; Art. »Totenportrait«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 335–336 ; Knöll, Stefanie : Art. »Totenportrait«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 2, S. 376. 88 Zum Gebrauch von Bildern in Ritualen, Dücker : Rituale, S. 195. 89 Abgedruckt sind die Abbildungen »Adolphe Thiers sur son lit de mort« von Maison Braun, Bibliothèque municipale Colmar, in : Héran, Emmanuelle (Hg.) : Le Dernier Portrait, Paris 2002 (Ausst.-Kat. Musée d’Orsay), S. 50, Kat. 64 und »La morte del re Vittorio Emanuele« von D. Semeghini, in : L’Illustrazione Italiana Nr. 3, 20. Januar 1878, S. 44. 90 Héran : Le Dernier Portrait, S. 51, Kat. 69. 91 So machte am 8. März 1925 die Berliner Illustrirte Zeitung mit dem Bild »Reichspräsident Ebert auf dem Totenbett« auf.
Aufbahrung | Abb. 6 : Abbildung Pétains auf dem Totenbett, wie sie in Isorni : Souffrance et mort du maréchal Pétain abgedruckt wurde.
sich solche Bilder nach dem Zweiten Weltkrieg immer seltener in der Presse.92 Ob es eine Aufnahme des gerade verstorbenen Philippe Pétain aber nicht doch auf die Titelseiten geschafft hätte, wäre die französische Regierung nicht so sehr darauf bedacht gewesen, dies zu verhindern, muss offenbleiben. Es liegt aber nahe, schließlich veröffentlichte »Paris-Presse« am 27. Juli 1951 eine Aufnahme des am 20. Juli verstorbenen letzten deutschen Kronprinzen Wilhelm von Preußen im Totenbett auf der Titelseite.93 Da in dem dazugehörigen Artikel explizit auf den merkwürdigen Zufall verwiesen wurde, dass die sich in der Schlacht von Verdun gegenüberstehenden Befehlshaber – Wilhelm von Preußen und Philippe Pétain – im Abstand von nur wenigen Tagen verstorben waren, scheint es wahrscheinlich, dass die Zeitung auch das Aufbahrungsbild von Pétain publiziert hätte, wenn sie Gelegenheit dazu gehabt hätte. So scheint es sicher, dass das Totenporträt Pétains zunächst nicht für die Veröffentlichung, sondern zur Dokumentation und der privaten Erinnerung der Witwe vorge92 Art. »Totenportrait«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 335–336 ; Richter : Visual History als eine Geschichte des Todes, S. 215. 93 »Hussard de la mort«, in : Paris-Presse, 27. Juli 1951, S. 1.
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sehen war. Eine Aufnahme wurde dennoch schon im selben Jahr von Isorni in einer seiner Gedenkschriften über das Leben und den Tod seines Mandanten publiziert (Abb. 6).94 Diese Fotografie von der Aufbahrung im Totenbett zeigt den Oberkörper des Verstorbenen auf weiße Kissen gebettet. Sie ist nach Pétains Tod am 23. Juli 1951 entstanden. Die ihn pflegenden Nonnen hatten ihn für die Aufbahrung im privaten Kreis vorbereitet und ihn dazu in seine Uniform des Marschalls von Frankreich gekleidet, die er seit dem Prozessende nicht mehr hatte tragen dürfen. An die Uniform geheftet ist nur ein einziger Orden, der neben der Gürtelschließe fast nicht auffällt. Seine eingefallenen Augen sind geschlossen und die auf dem Bauch verschränkten Hände sind gerade noch am linken Bildrand zu erkennen. Das Ereignis ist räumlich nicht zuzuordnen, da der Hauptteil des Bildes von dem Leichnam und Kissen gefüllt wird. Dabei ist der Körper Pétains so aufgenommen worden, dass sich der Kopf zentral oberhalb der Bildmitte befindet. Dadurch erhält Pétain auf der Fotografie viel Präsenz, obwohl zu erkennen ist, dass die Uniform mit den Sternen auf den Ärmeln, die am unteren Bildrand noch sichtbar sind, ihm inzwischen viel zu groß ist. Darüber hinaus ist die einzelne Auszeichnung, die an seine Brust geheftet ist, nicht irgendein Orden, sondern die Médaille militaire, einer der höchsten militärischen Orden Frankreichs, verliehen für besondere Tapferkeit.95 Gerade die Kombination aus Uniform, militärischer Auszeichnung und nicht ambientiertem Raum unterbindet jegliche Rückschlüsse auf Pétains juristische Stellung als Hochverräter. Durch die Nahaufnahme ist nicht zu erkennen, ob sich im Raum besonderer Blumenschmuck oder religiöse Symbole befunden haben, hier erfolgte die vollkommene Konzentration auf Pétain, den Marschall von Frankreich. Dass der Bildausschnitt einen großen Einfluss auf die Wirkung haben kann, veranschaulicht die andere Aufnahme des Verstorbenen, bei der es sich um einen querformatigen Blick in das Sterbezimmer handelt (Abb. 7).96 Das Sterbebett steht in der Mitte des Raums, der Körper Pétains liegt in seiner Mitte, entlang der mittleren senkrechten Bildachse. Die Vertikale wird durch 94 Fotografie mit dem Titel »Le maréchal sur son lit de mort. 24 Juillet 1951«, abgedruckt in : Isorni, Jacques : Souffrance et mort du maréchal Pétain, Paris 1951, zw. S. 222 und 223, auch Ullstein Bild, Bildnummer 41376402, Credit : Ullstein Bild – Roger Viollet, The Marshal Philippe Pétain on his Deathbed, July 23, 1951 ; Getty Images, Nr. 56210956. 95 Art. »Médaille militaire«, in : Encyclopédie Larousse en ligne, URL : http://www.larousse.fr/ encyclopedie/divers/m%C3%A9daille_militaire/132522 [23.4.2018]. 96 »Sur son lit de mort«, in : Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2, Bildtafel zw. S. 424 und 425 mit dem Nachweis : Photo ministère de l’Interieur ; Collection Isorni.
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Abb. 7 : Abbildung Pétains auf dem Totenbett, in : Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2.
die Positionierung vor einem hellen Kaminsims zusätzlich gesteigert. Links und rechts des Bettes stehen sechs große Kerzenständer, dazwischen und vor dem Kopf- und Fußende Topfpflanzen. Zudem befinden sich zwei Kerzen auf dem Kaminsims, doch religiöse Symbole sind nicht zu erkennen. Auf Pétains Schoß liegt sein Képi mit seinen weißen Handschuhen darauf. Damit war seine Uniform vollständig und ohne sie wäre die Identifikation Pétains in diesem Bild fast nicht möglich, da seine Gesichtszüge kaum zu erkennen sind. Bei diesem Bild handelt es sich nicht um ein letztes Porträt von Pétain, wie in der anderen Aufnahme, sondern um das Bild seiner Aufbahrung. Der Blumenschmuck und die Kerzen vervollständigen die klassische Aufbahrungsszene. So bezeichnet Isorni später das Bett der Aufbahrung, als »un lit de parade«,97 mit diesem Terminus stellt er Pétain in die Kontinuität der großen Staatsmänner, für die Aufbahrungen auf Paradebetten seit dem Barock üblich waren.98 Doch zeitgenössisch bekamen dieses Arrangement nur wenige 97 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 372. 98 Art. »Lit de parade«, in : Grand dictionnaire universel du XIXe siècle, hg. v. Pierre Larousse, Bd. 10, S. 566.
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ausgewählte Personen zu sehen. Der Nachrichtendienst der Polizei und zahlreiche Polizisten waren bereits einige Tage zuvor auf die Insel gekommen und überwachten die Begräbnisvorbereitungen.99 Neben der Familie und den beiden Verteidigern, Isorni und Lemaire, wurde nur Georges Loustaunau-Lacau, der Abgeordnete des Departement Basses-Pyrénées, ehemaliger Offizier unter Pétain, aber auch Mitglied der Résistance, in das Sterbezimmer gelassen.100 Die Veteranen von Verdun, die auf die Insel gereist waren und ihrem ehemaligen Befehlshaber an seinem Totenbett die letzte Ehre erweisen wollten, wurden genauso abgewiesen wie die Journalisten, die über die Ereignisse berichten wollten.101 Dennoch wurde die Aufbahrung in zahlreichen Zeitungsartikeln erwähnt. Besonders ausführlich empfanden »Le Monde« und »Le Figaro« die Szene nach.102 Aber außer diesen Anmerkungen finden sich hier und in anderen Artikeln keine Bewertungen der Aufbahrung in Uniform.103 Einzig die kommunistische Parteizeitung »L’Humanité« kritisiert, dass Pétain, obwohl er wegen Hochverrats verurteilt wurde, nun mit allen Würdezeichen eines Marschalls von Frankreich bestattet werden sollte. Sie sieht darin einen Angriff auf die Leistung der Libération.104 Die Entscheidung, Pétain in der Uniform bestatten zu lassen, war vor der Wahl zur Nationalversammlung erfolgt. In das Parlament zog nun nicht nur de Gaulles Sammelbewegung Rassemblement du peuple français (kurz : RPF) als Fraktion ein, sondern auch die Pétain-Anhänger von L’Union des Nationaux Indépendants et Républicains (kurz : UNIR) mit vier Kandidaten, darunter Isorni für Paris.105 Das Wahlergebnis erschütterte den seit 1947 stets die Regierung 99 »L’état alarment du maréchal Pétain«, in : Figaro, 23. Juli 1951, S. 8. 100 [Jean-Jacques] : »La Mort du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 24. Juli 1951, S. 8 ; Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 377. 101 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 376 ; Williams : Pétain, S. 533. 102 Théolleyre, Jean-Marc : »Port-Joinville prépare les obsèques du maréchal Pétain. Les avocats ont protesté contre le refus des autorités transférer sa dépouille mortelle à Douaumont«, in : Le Monde, 25. Juli 1951, S. 3 ; [Jean-Jaque] : »La Mort du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 24. Juli 1951, S. 8. 103 »C’est dans cette villa de Port-Joinville (île d’Yeu) que le Maréchal Pétain est mort le 23 juillet 1951, a 9 h. 22«, in : France Illustration, 28. Juli 1951, Nr. 302, S. 78 ; Floret, Robert : »Le maréchal Pétain est mort ce matin à 9 h. 22«, in : Paris-Presse, 24. Juli 1951, S. 1 ; »Marshal Pétain. Death in the île d’Yeu«, in : The Times, 24. Juli 1951, S. 4 ; »La morte di Filippo Pétain«, in : La Nuova Stampa, 24. Juli 1951, S. 1. 104 »Pétain est enterré ce matin«, in : L’Humanité, 25. Juli 1951, S. 5. 105 Zu der kleinen rechten Gruppierung, die die Vierte Republik nicht überdauerte, Art. »Union des Nationaux Indépendants et Républicains (UNIR)«, in : Leclercq, Jacques : Dictionnaire de la mouvance droitiste et nationale de 1945 à nos jours, Paris 2008, S. 634 ; Art. »Jacques
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bildenden Zusammenschluss der »Dritten Kraft«, da für die daran beteiligten bürgerlichen Parteien die gaullistische Partei ebenfalls einen möglichen Koalitionspartner darstellte.106 Die Bildung einer neuen Regierung erwies sich daher als schwierig und so führte Henri Queuille weiter die Geschäfte. Gleichzeitig wurde deutlich, dass Pétain nur noch wenige Tage zu leben hatte. Vor der Wahl hatte die Haftlockerung nicht bekannt gegeben werden sollen, doch nun waren die rechten Kräfte im Parlament gestärkt und der Alterspräsident der Nationalversammlung hatte bei der ersten Sitzung der Legislaturperiode die Revision des Pétain-Prozesses gefordert.107 Mit dieser Verschiebung der politischen Situation konfrontiert, scheint der scheidende Ministerpräsident zu weiteren Zugeständnissen bereit gewesen zu sein. Weshalb genau er seine bisherige Haltung zu Fotografien Pétains dermaßen änderte, ist nicht belegbar, doch scheint es plausibel, dass Queuille dies unter dem Einfluss des Wahlergebnisses und dem sich abzeichnenden Rechtsruck tat. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er die Fotoerlaubnis mit Auriol oder den anderen Ministern abgestimmt hat, vielmehr scheint er gute Beziehungen zu Isorni unterhalten zu haben, denn auch über die Pläne des Präsidenten zur Begnadigung aus medizinischen Gründen hatte er Isorni vorzeitig informiert. Dadurch wiederum war die Beziehung zwischen Staats- und Regierungschef bereits vor dem Wahlausgang belastet,108 verschlimmern konnte er seine Position in der Regierung also kaum. 2.2.2 Mussolini wurde in zahlreichen Posen zur Schau gestellt Da schon die Erschießung Mussolinis nicht vorbereitet und koordiniert war, deutet nichts darauf hin, dass Vorüberlegungen für seine Bestattung angestellt worden wären. Vielmehr beschäftigten sich die Partisanen mit dem Schicksal der Toten aus den eigenen Reihen. Beispielhaft dafür war, dass sich bereits am 28. April 1945 einige Personen darum kümmerten, dass ein Platz nordöstlich des Mailänder Hauptbahnhofs umbenannt wurde, und dort in der Südisorni (1911–1995)«, in : URL : http://www.assemblee-nationale.fr/sycomore/fiche.asp? num_dept=3947#biographie [13.5.2013] ; Shields : The Extreme Right in France, S. 63 ; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 55 f. 106 Wakeman, Rosemary : The Fourth Republic, in : Berenson, Edward ; Duclert, Vincent ; Prochasson, Christophe (Hg.) : The French Republic. History, Values, Debates, New York 2011, S. 73–82, hier S. 76 f.; Loth : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, S. 137–141. 107 Garreau, Georges : »Transition probable. Le doyen Pébellier réclame la révision du procès Pétain«, in : Paris-Presse, 6. Juli 1951, S. 1. 108 Auriol : Journal du septennat, 19. Juni 1951, S. 224 f.
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West-Ecke Blumen niederlegten : Der Platz sollte im Gedenken an die dort am 10. August 1944 zur Vergeltung eines Partisanenanschlags erschossenen 15 Menschen »quindici martiri« (fünfzehn Märtyrer) heißen.109 Genau diesen Platz erreichte am 29. April 1945, nachts gegen drei Uhr, der Lastwagen mit den Leichen vom Comer See.110 Die Partisanen legten die Leichname der am Tag zuvor Erschossenen auf eben diesem Platz aus, der für sie und die Mailänder Bevölkerung zu einem Symbol der Kollaboration und zugleich des Martyriums der Partisanen geworden war. So wie im August 1944 sollten auch die sterblichen Überreste der Faschisten für einige Stunden auf dem Platz liegen bleiben. Dass die Partisanen, die Mussolini nach Mailand brachten, kalkuliert handelten, wird besonders auf einer Fotografie deutlich, die zeigt, wie die Leichen dicht neben- und übereinander auf dem Platz vor der Wand lagen, die zuvor in Erinnerung an die Märtyrer mit Blumen und Kränzen geschmückt worden war.111 Diese Anordnung war keinesfalls zufällig, sondern veranschaulichte den Anspruch der Partisanen, »Gerechtigkeit solle dort geübt werden, wo Unrecht geschehen ist«.112 Luzzatto hat die unterschiedlichen Erinnerungen an die Entscheidungsfindung der Partisanen untersucht und kommt zu dem Schluss, dass, egal welcher Version man Glauben schenkt, es sich bei dem Transport der Leichen auf den Piazzale Loretto um eine intendierte Inszenierung handelte, die er als Vergeltung charakterisiert.113 Den Widerstandskämpfern war bewusst, dass sie die Leichen nicht unbeaufsichtigt lassen konnten. Zum einen war der Hass auf das faschistische Regime sehr groß, zum anderen befanden sich noch viele Faschisten in der Stadt, die treu zu Mussolini standen. Für die Anhänger Mussolinis mussten die toten Körper der Faschisten auf dem Pflaster eine Provokation sein, was die Annahme nahelegt, dass sie, wenn sich die Gelegenheit ergeben hätte, diese von 109 »Giustizia è fatta«, in : Avanti !, 29. April 1945, S. 1. Auch Borgomaneri, Luigi : Milano, in : Collotti, Enzo (Hg.) : Dizionario della resistenza, Turin 2006, S. 162–170, hier S. 168 ; Luzzatto : Il Duce, S. 88–95. 110 Die Rekonstruktion der Ereignisse stützt sich auf Bonacina, Fabio : La salma nascosta. Mussolini dopo piazzale Loreto da Cerro Maggiore a Predappio (1946–1957), Vignola 2004, S. 23–38 ; Baima Bollone, Perluigi : Le ultimo ore di Mussolini, Mailand 2005, S. 197–199 ; Collier : Mussolini, S. 380 ff.; Dondi, Mirco : Piazzale Loreto 29 aprile. Aspetti di una pubblica esposizione, in : Rivista di storia contemporanea 19 (1990), S. 219–248 ; ders.: Piazzale Loreto ; Milza : Les derniers jours de Mussolini, S. 210–213. In diesem Absatz werden außerdem Passagen aus Kümmel : Von Dongo nach Predappio, S. 325–330, wiedergegeben. 111 Abgedruckt bei Cavalleri ; Giannantoni ; Cereghino (Hg.) : La fine, o. S. [S. 160]. 112 Luzzatto : Il Duce, S. 94. 113 Ebenda, S. 94 f.
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Abb. 8 : Abbildung der ›Aufbahrung‹ Mussolinis und seiner Entourage auf dem Piazzale Loreto in Mailand.
dort entfernt hätten. Umgekehrt waren die Leichen für die Antifaschisten Trophäen. Für die kleine Gruppe von Partisanen waren sie die Beweise dafür, dass sie den Diktator und seine Gefolgsleute getötet hatten, und daher hatten sie sicher ein großes Interesse daran, sie in ihrem Besitz zu behalten. Nachdem sich die Nachricht von Mussolinis Tod und der Ankunft seiner Leiche in Mailand verbreitet hatte, strömten Schaulustige auf den Platz. Sie betrachteten zunächst neugierig die am Boden liegenden Leichen und verspotteten sie. Mussolini lag mit dem Gesicht nach oben auf der Brust seiner Geliebten und jemand steckte ihm einen Stab mit einem faschistischen Symbol in die Hand (Abb. 8).114 Dieses ›Zepter‹ hob Mussolini aus der Masse der toten Körper hervor und unterstrich seine Machtlosigkeit. Andere Umstehende sol-
114 Hier Ullstein Bild, Bildnummer 1201497734. Das Motiv wurde in unterschiedlichen Ausführungen in der Literatur abgebildet in : Luzzatto : Il Duce, S. 111, und zwei weitere Aufnahmen derselben Szene bei Cavalleri ; Giannantoni ; Cereghino (Hg.) : La fine, zw. S. 160 und 161. Dazu auch Bonacina : La salma nascosta, S. 23 und 28, und Bosworth : Mussolini, S. 411. Nach »Mussolini Put To Death By Partisans« handelt es sich bei dem den Stab krönenden Dolch im Lorbeerkranz um das Emblem der faschistischen Sturmtruppen.
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len Mussolini beispielsweise als Zeichen ihrer Verachtung eine tote Maus in den Mund gelegt haben.115 Gegen zehn Uhr verloren die Partisanen fast die Kontrolle über die Leichen, als ein Mann vorsprang und auf Mussolinis Schädel eintrat. Viele Menschen folgten seinem Beispiel und traten auf die Leichen ein, beschimpften und bespuckten sie. Eine Frau soll sogar das Magazin einer Pistole auf den ehemaligen Duce entleert haben – einen Schuss für jedes ihrer fünf bei Luftangriffen getöteten Kinder, wie sie erklärte.116 Besonders die Leiche Mussolinis wurde immer weiter entstellt. Die Widerstandskämpfer versuchten vergeblich die Menge auf Distanz zu halten. Daher hängten sie gegen elf Uhr die Leichen von Benito Mussolini, Claretta Petacci, Alessandro Pavolini und weiterer Faschisten an Seilen kopfüber an dem Dachgebälk einer Tankstelle auf und entzogen sie so dem Zugriff der Menge.117 Denn die Schändungen der Leichen standen im Konflikt mit den Absichten der Resistenza, die für sich die Befreiung vom Tyrannen in Anspruch nehmen wollte und die Leichen als eine Art Faustpfand bei den Machtkämpfen mit der Regierung und den Alliierten betrachtete. Schon der Transport vom Erschießungsort nach Mailand diente dazu, ein möglichst großes Publikum zu erreichen und zu verdeutlichen, dass Mussolini durch Partisanen und nicht durch Alliierte getötet worden war. Die Widerstandskämpfer mussten die Leichen daher als eine Art Beweismittel schützen. Dass man die Leichen dabei nicht am Hals aufhängte und damit eine nachträgliche symbolische Tötung darstellte, wie es durchaus bei vormodernen Leichenbestrafungen praktiziert wurde, sondern mit den Füßen nach oben, deutet ebenfalls auf das Selbstverständnis der Partisanen, keine Konkurrenz um ihren Anspruch auf den Tyrannenmord aufkommen zu lassen. Durch das Aufhängen mit dem Kopf nach unten entstand 115 Dondi : Piazzale Loreto, S. 498. 116 »Death in Milan«, in : Time, 7. Mai 1945, S. 17 und 18 ; »Mussolini Put To Death By Partisans« ; auch Bonacina : La salma nascosta, S. 23 ; Dondi : Piazzale Loreto, S. 495, und Luzzatto : Il Duce, S. 95. 117 Die Angaben über die Identität der aufgehängten Leichen sind nicht einheitlich. Unbestritten sind die Namen Mussolini, Petacci und Pavolini und Starace, er wurde vor Ort erschossen ; Kirkpatrick : Mussolini, S. 573 (Mussolini, Clara, Barracu, Pavolini, Mezzasomma und Zerbino) und Bonacina : La salma nascosta, S. 23 ; Woller : Die Abrechnung, S. 261, und Bosworth : Mussolini, S. 410. Von den Aufnahmen des Ereignisses zu schließen, hingen maximal sieben Körper an dem Tankstellendach. Siehe dazu die Abbildungen Ullstein Bild, Bildnummer 40656714 ; Picture Alliance, World War II, Nr. 8147005 ; De Luna, Giovanni ; Mignemi, Adolfo (Hg.) : Storia fotografica della Repubblica sociale italiana, Torino 1997, S. 208, N. 239, S. 362, Nr. 462 und S. 363, Nr. 463 ; Bonacina : La salma nascosta, S. 28 unten.
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keine erneute symbolische Hinrichtung, sondern die Exposition der Leichen wurde unter der Regie der Partisanen fortgesetzt. Dabei wurden die Verstorbenen herabgewürdigt und erneut die Umkehrung der Macht versinnbildlicht. Die übrigen Hingerichteten blieben zwar am Boden liegen, wurden aber unter dem Gebälk gesichert.118 Wenig später brachten Partisanen Achille Starace, den ehemaligen Sekretär der Faschistischen Partei (1931–1939), auf den Platz.119 Er war am Vortag in Mailand aufgegriffen und von einem Tribunal zum Tode verurteilt worden.120 Nun wurde er auf dem Piazzale Loreto erschossen und zu den bereits kopfüber baumelnden Leichen gehängt.121 Die Körper befanden sich somit außerhalb der Reichweite der Schaulustigen und konnten nicht weiter geschändet werden. Trennungsritual Die Rekonstruktion der Ereignisse zeigt, dass auch dieses Zurschaustellen der sterblichen Überreste des ehemaligen Duce und seiner Begleiter eine Aufbah118 Zu sehen auf der Abbildung in Chessa, Pasquale : Dux. Benito Mussolini : una biografia per immagini, Mailand 2008, S. 387 unten. 119 Die Erschießung Staraces wird u. a. beschrieben bei Baima Bollone : Le ultime ore di Mussolini, S. 198 und 212 ; Collier : Mussolini, S. 381, und Kirkpatrick : Mussolini, S. 573. Außerdem »Another Fascist Dies. Partisans Shoot Mussolini’s Aid«, in : Life, 21. Mai 1945, S. 38, hier werden auch zwei Fotos der Exekution Staraces abgebildet, die nur mit wenig Abstand voneinander vom selben Standpunkt aus aufgenommen wurden. Starace steht in der rechten Bildhälfte mit dem Rücken zum Erschießungskommando, hinter dem sich eine Menschenmenge drängt. Am rechten unteren Bildrand sind Palmwedel zu erkennen, die Annahme, dass Starace, vor den aufgehängten Leichen salutierend, erschossen wurde, wie ich es in Kümmel : Von Dongo nach Predappio, S. 327, aber auch Baima Bollone, Collier und Milza : Les derniers jours de Mussolini, S. 210 behaupten, ist so nicht mehr haltbar. Dennoch erfolgte die Erschießung nach Angaben des amerikanischen Journalisten Philip Hamburger auf dem Piazzale Loreto, »Letter from Rome«, in : The New Yorker, 19. Mai 1945, S. 69–73. 120 »Teruzzi, John Amery e Starace arrestati«, in Avanti !, 29. April 1945, S. 1 ; »La fucilazione di Starace«, in : Avanti !, 30. April 1945, S. 1. 121 Von den kopfüber an dem Dachgebälk hängenden Leichen haben sich zahlreiche Aufnahmen erhalten. Starace erkennt man auf den Fotos daran, dass seine Arme wesentlich gerader nach unten hängen als bei den anderen, da er kurz nach dem Tod aufgehängt wurde, als sein Köper noch beweglich war. Besonders deutlich erkennt man dies auf den Abbildungen des Centro Documentazione Mondadori, in : Chessa : Dux, S. 387, Starace hängt (bei dieser Perspektive) ganz links, die anderen fünf Leichen haben deutlich abstehendere Arme. Ähnliche Abbildungen bei Mignemi ; De Luna : Storia fotografica della Repubblica sociale italiana, S. 208, 362 f., und Abbildung bei Luzzatto : Il Duce, S. 100, BU : »Die Leichen von Mussolini und Claretta Petacci. Mailand, Piazzale Loreto, 29. April 1945«.
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rung war. Auch sie bot den Überlebenden die Möglichkeit, sich vom Tod der Verstorbenen zu überzeugen und Abschied zu nehmen, allerdings verlief sie deutlich dramatischer, als dies normalerweise der Fall ist. Bei der Mailänder Bevölkerung herrschte Erleichterung und Freude darüber, dass ihre Stadt befreit worden war und Mussolini, den sie für den Krieg und die Kollaboration mit den Deutschen verantwortlich machte, endlich tot war. Bei dieser Exposition wurden die Toten nicht für ihre Familienangehörigen und Anhänger hergerichtet, sondern ganz im Gegenteil für ihre Opfer und Gegner. Die Situation eskalierte und der soziale Sinn der Aufbahrung drückte sich nicht in stiller Anteilnahme und Trauer, sondern im Triumph über die Toten aus. Die Ereignisse dieses Tages werden daher häufig als Trennungsritual bezeichnet, wobei die Trennung ein wesentlicher Bestandteil jedes Trauerrituals ist – hier hatten sich aber die Schwerpunkte verschoben.122 Während der Tod eines Menschen normalerweise eine Lücke in seiner Gemeinschaft verursacht und das Trennungsritual den Hinterbliebenen über den Verlust hinweghelfen soll, wurde der Tod der Repräsentanten der RSI und des faschistischen Regimes auf dem Piazzale Loreto nicht als Verlust verstanden. In dem Trennungsritual ging es nicht um die Bewältigung des Todes, sondern um die Bewältigung der Schuld. Nicht die Trauer, sondern die symbolische Bestrafung der Toten drückte sich in den Handlungen der Bevölkerung aus. In den einzelnen Elementen, die von dem Auslegen der Leichen, den karnevalesken Elementen über die Schändung hin zu der »Schandbild-Installation«123 der kopfüber hängenden Leichen reichten, drückt sich ein Ringen um die Leichen und die Deutungshoheit über Mussolinis Tod aus. Das »makabre Schauspiel auf dem Piazzale Loreto«, wie es Hans Woller nennt,124 war keine in sich geschlossene Inszenierung, sondern bestand aus einer Vielzahl von einzelnen symbolischen Handlungen, die nicht nur einer Akteursgruppe zugeordnet werden können. Zwar ermöglichten die Partisanen durch den Transport und die Exposition der Leichen auf dem Piazzale Loreto die Manifestation des Volkszorns an diesem Ort, doch büßten sie auch an Autorität ein, als sich die Situation verselbststän122 So Dondi : Piazzale Loreto, S. 496 ; oder »als rituelles Reinigungsbad« von Campi, Alessandro : Mussolini und die italienische Nachkriegsgesellschaft. Italien zwischen Erinnern und Vergessen, in : Cornelißen, Christoph ; Klinkhammer, Lutz ; Schwentker, Wolfgang (Hg.) : Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003, S. 108–122, hier S. 111. 123 Manow, Philip : Im Schatten des Königs. Die politische Anatomie demokratischer Repräsentation, Frankfurt 2008, S. 127. 124 Woller : Die Abrechnung, S. 263.
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digte. Nichts an der Art, wie die Partisanen mit ihren Waffen um die Leichen herumstanden, deutet darauf hin, dass sie auf die aktive Partizipation der Bevölkerung setzten. Sie wollten die Erschießung Mussolinis sowie der führenden Faschisten und damit ihren Erfolg bekannt machen, nicht die Tötung Mussolinis noch einmal nachempfinden und so die eigene Leistung schmälern. Die Übergriffe auf die Leichen waren weder organisiert noch geplant, vielmehr wollten die Partisanen, die den Piazzale Loreto ausgewählt hatten, die Leichen genauso für 24 Stunden dort auslegen, wie im August des Vorjahres die Faschisten die Leichen der »quindici martiri« dort liegen gelassen hatten. Erst durch das Aufhängen der Leichen und die Erschießung Staraces bestimmten die Partisanen wieder das Geschehen. Es ist also zwischen den Handlungen der Widerstandskämpfer und der Schaulustigen auf dem Piazzale Loreto zu unterscheiden. Zwar hatten die Widerstandskämpfer die Exposition der Leichen veranlasst, doch die Leichenschändung war nicht Teil dieser Initiative. Vielmehr waren die Angehörigen der Resistenza selbst von den Ereignissen des Piazzale Loreto schockiert und viele distanzierten sich davon, da sie das Vorgefallene als kompromittierend empfanden.125 Dies zeigt sich auch daran, dass Partisanen in ihren direkt nach dem Krieg erscheinenden Erinnerungsschriften den Piazzale Loreto häufig nur mit Bezug auf die 15 Märtyrer des Sommers 1944 erwähnten.126 Zeitungen Ähnlich erinnerungsscheu zeigte sich auch die Zeitung der Kommunistischen Partei Italiens in den Tagen nach dem Tod Mussolinis. Während sie ausführlich und stolz über die Gefangennahme und die Erschießung Mussolinis berichtete, werden die Ereignisse in Mailand am 29. April nicht eingehend beschrieben.127 125 Delzell : Mussolini’s Enemies, S. 543 ; Dondi : Piazzale Loreto, S. 493 ; Sassoon, Donald : Italy after Fascism. The Predicament of Dominant Narratives, in : Bessel, Richard ; Schumann, Dirk (Hg.) : Life After Death. Approaches to a Cultural and Social History of Europe during the 1940s and 1950s, Cambridge 2003, S. 259–290, hier S. 280. 126 Beispielhaft sei nur verwiesen auf Salvadori, Massimo : Storia della Resistenza Italiana, Venedig 1955 ; der Piazzale wird einzig auf S. 107 erwähnt, und Longo, Luigi : Viva l’Italia libera ! Der Kampf des italienischen Volkes für seine Befreiung vom Joch des italienischen und deutschen Faschismus, Berlin (Ost) 1963 ; auch hier nur Referenz auf die Erschießung im August 1944, obwohl die Gefangennahme Mussolinis von beiden besprochen wird. 127 »Mussolini, Pavolini e Farinacci arrestati« ; »Il partigiano che ha giustiziato il ›duce‹ racconta : ›Da una distanza di tre passi sparai 5 colpi contro Mussolini‹«, in : L’Unità (Nuova serie), 1. Mai 1945, S. 1 ; »Come sono stati giustiziati i complici di Mussolini«, in : L’Unità (Nuova serie), 1. Mai 1945, S. 2.
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Die christdemokratische Tageszeitung »Il Popolo« sprach die sterblichen Überreste zwar an, betonte aber, dass das italienische Volk die schreckliche Vergangenheit nun hinter sich lassen müsse und es keinen Hass mehr geben dürfe.128 So lenkten auch sie den Blick weg von den konkreten Ereignissen hin zu einem Neuanfang, jedoch ohne die Rechtmäßigkeit der Handlungen in Frage zu stellen. In »L’Italia libera«, der Zeitung des Partito d’Azione, wurde an zwei aufeinander folgenden Tagen die Zurschaustellung geschildert. Einmal wurde von einem stillen und besonnenen Trauerzug berichtet, am nächsten Tag hingegen von einem makabren Schauspiel. Die Beschreibung am 29. April kam sicherlich einer klassischen Aufbahrung am nächsten.129 Ihr zufolge defilierten die Menschen in einem stillen Trauerzug an den Leichen vorbei und, wie betont wurde, gab es keine »unbesonnene Geste gegen die Leichen«. Sergio Luzzatto sieht in dem Artikel den Beginn einer Tabuisierung der Ereignisse und den Versuch, diese sogar als »respektvolle Trauerkundgebung« zu charakterisieren.130 Doch liegt hier keine zynische Verkehrung der Ereignisse vor, vielmehr liegt die Annahme nahe, dass es sich um eine stilisierte Beschreibung handelt, die die Journalisten abdruckten, während die Ereignisse sich erst noch entfalteten. Der Artikel beschrieb den typischen Ablauf einer öffentlichen Aufbahrung, während er sich hauptsächlich mit der Ankunft der Alliierten beschäftigte. Denn am nächsten Tag ließ auch die Zeitung dieser am Befreiungskomitee beteiligten Partei keinen Zweifel daran, dass die Geschehnisse auf dem Piazzale Loreto sehr makaber gewesen seien und appelliert, sie nicht im Gedächtnis zu behalten. Die Erinnerung sollte gereinigt werden, so wie der Platz gereinigt worden sei.131 Die Leichenschändung wurde zwar nicht tabuisiert, aber stolz war die Partei eindeutig nicht auf den Vorfall und wollte ihn gerne vergessen. Einzig die Zeitung der Sozialistischen Partei Italiens »Avanti !« berichtete in Wort und Bild darüber, welch schrecklicher Anblick sich am 29. April in Mailand geboten hätte.132 Doch auch hier werden die einzelnen Handlungen nicht detailliert beschrieben, vielmehr werden sie gerechtfertigt. Dies geschieht durch Verweise auf die Märtyrer und die Demütigungen, die die Bevölkerung 128 Gonella, Guido : »Giustizia«, in : Il Popolo, 30. April 1945, auch abgedruckt in : Focardi, Filippo : La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Rom 2005, S. 120 f. Dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 106. 129 L’Italia libera, 29. April 1945, S. 2 ; Auszug zitiert bei Luzzatto : Il Duce, S. 108. 130 Luzzatto : Il Duce, S. 109. 131 L’Italia libera, 30. April 1945, S. 1. 132 Avanti !, 30. April 1945, S. 1 unten. [Leider ist die Qualität des Mikrofilms so schlecht, dass diese Abbildungen hier nicht wiedergegeben werden können.]
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erlitten habe. Die Gewalt des Vortages wird als Katharsis bezeichnet. Nun sei die Tragödie zu Ende und Mussolini tot, was gleich mehrfach betont wird. Begleitet wurde dieser Artikel von zwei Fotografien, die direkt nebeneinander ohne Bildunterschrift abgebildet wurden. Die linke zeigt eine Menschenmenge, die sich um etwas am Boden Liegendes drängt, doch es ist kaum zu erkennen, dass es sich dabei um menschliche Körper, geschweige denn um den ehemaligen Duce handelt. Auch rechts ist der Blick auf die Menschenmenge wiedergegeben, doch diesmal blicken die Menschen in Richtung der Kamera und von der Ursache ihres Zusammenkommens ist nichts zu erkennen. Die Aufnahme scheint aufgenommen worden zu sein, als die Leichen bereits an dem Dachgebälk aufgehängt worden waren. Keine der italienischen Zeitungen druckte also Bilder der hängenden Körper oder Nahaufnahmen der Hingerichteten ab, doch ist das Bild des mit dem Kopf nach unten aufgehängten Mussolini heute ein Sinnbild für das Ende des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs in Italien. Eine Abbildung des an den Füßen aufgehängten ehemaligen Duce findet sich sowohl in den frühen historischen Mussolinibiografien als auch in Handbüchern zur italienischen Geschichte oder in den Feuilletons.133 Zeitgenössisch wurde diese Szene jedoch nicht in italienischen Zeitungen oder Zeitschriften publiziert. Obwohl die Bildarchive voll sind mit Aufnahmen der Ereignisse vom 29. April 1945, sind nur wenige Veröffentlichungen nachweisbar. Es war das damals führende Fotomagazin »Life«, das in der Ausgabe vom 14. Mai zwei Fotos vom Piazzale Loreto abdruckte (Abb. 9 und 10).134 Das eine war eine ganzseitige Draufsicht auf den Leichnam des am Boden liegenden ehemaligen Diktators mit der Menschenmenge in der oberen Bildhälfte. Mussolinis Körper liegt an der vertikalen Bildmitte, mit den Füßen am unteren Bildrand, so dass seine Uniformhose deutlich zu erkennen ist, während sein eigentlich markanter Kopf im Schatten bleibt. Während die Szene selbst keine Gewalt zeigt, sind die Gewehre, die 133 Beispielhaft für die vielfältige und internationale Verbreitung des Motivs : Kirkpatrick : Mussolini, Bildtafel S. XIX unten ; Schiefer, Christian : I corpi di Benito Mussolini e Clara Petacci esposti in piazzale Loreto. Milano, 28 aprile 1945, in : Lucas, Uliano (Hg.) : Storia d’Italia. Annali 20. L’immagine fotografica 1945–2000, Turin 2004, Abb. 1 [S. 75] ; Casanova, Julián : El día que cayó el Duce, in : El Pais, 20. Juli 2008, URL : http://elpais.com/ diario/2008/07/20/domingo/1216525957 _850215.html [19.8.2013]. 134 Life, 14. Mai 1945, S. 40/40A. Die Fotografie »The first Dictator’s body« von Rex Ingraham [wahrscheinlich ist der Korrespondent Reg Ingraham gemeint] auf S. 40 zeigt die am Boden liegenden Leichen, in der Abbildung »Corpses« von der Mediterranean Allied Air Force auf S. 40A oben hingegen sieht man in einer Rückenansicht die Körper von fünf an den Füßen aufgehängten Personen ; unten die Abbildung »Cheap pine coffin«.
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links und rechts im Bildvordergrund zu sehen sind, deutliche Verweise auf die virulente Situation, in der das Foto aufgenommen wurde. Die an den Füßen aufgehängten Leichen sind in der anderen Abbildung zu sehen, jedoch nimmt sie nur ein Sechstel der Seite ein und ist mit mehr Abstand zu den Dargestellten aufgenommen worden. Wer dort abgebildet wurde, ist nur anhand der Bildunterschrift festzustellen. Ganz anders hingegen in der Ausgabe vom 9. Juli, in der in einem Artikel über Mussolinis Geliebte eine frontale Aufnahme wiedergegeben wurde, die sie und ihn nebeneinander mit den Köpfen nach unten hängend zeigte (Abb. 11).135 Zwar war bereits am 7. Mai 1945 im »Time«-Magazin eine Fotografie vom Piazzale Loreto publiziert worden, jedoch präsentierte diese nur die am Boden liegenden Leichen, hingegen nicht die mit den Köpfen nach unten baumelnden.136 Doch auch wenn die Aufnahme nur die Hingerichteten und die sie begaffenden Schaulustigen darstellte, so verwies die Bildunterschrift »Il Duce Dead. Later they hanged him head down« darauf, dass hier eine Momentaufnahme abgebildet wurde. Anders als bei »Life« wurde die Aufnahme von einem die Ereignisse ausführlich beschreibenden Augenzeugenbericht eines Korrespondenten begleitet. Der amerikanische Reporter bewertete die Ereignisse nicht juristisch, seine Beschreibung ist aber sehr emotional und bildhaft. Vor allem thematisierte er auch die Übergriffe auf die Leiche Mussolinis, die in dem Bild nicht zu erkennen waren. Die Erschießungen und die Zurschaustellung der Leichen auf dem Piazzale Loreto inklusive der Verspottung der Leichen und der Gewalt ihnen gegenüber beschrieb ebenfalls »Le Monde«. In dem Artikel über die Hinrichtung Mussolinis beurteilte der französische Korrespondent die Geschehnisse in Italien dennoch positiv und ist der Ansicht, dass die Partisanen durch die Erschießung Mussolinis vor dem Eintreffen der Alliierten die Würde der Nation wiederhergestellt hätten.137 Auch der Korrespondent der »Times« berichtete von seinen Erlebnissen auf dem Piazzale Loreto und bezeichnete die Anordnung der Leichen als »ghastly« und beschrieb, wie diese beschimpft, bespuckt und misshandelt wurden, aber er äußerte sich nicht über das Aufhängen der Leichen.138 Im Gegensatz zu den italienischen Zeitungen berichteten die internationalen Medien also sehr wohl über die Details der Aufbahrung und der Schän135 Life, 9. Juli 1945, S. 36. Erst auf dem Bild »The dead Claretta« von T. Stamatrice novissima (Rom) wird die Szene auf Mussolini und Petacci reduziert. 136 »Death in Milan«, in : Time, 7. Mai 1945, S. 17–18, Foto S. 17 (Associated Press). 137 »L’exécution de Mussolini et de ses complices«, in : Le Monde, 1./2. Mai 1945, S. 2. 138 »Mussolini Put To Death By Partisans«.
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Abb. 9 : Fotografie der auf dem Piazzale Loreto liegenden Leichen, in : Life, 14. Mai 1945, S. 40.
Abb. 10 : Artikel in : Life, 14. Mai 1945, S. 40A mit der Abbildung der fünf aufgehängten Leichen (oben) und des teilweise eingesargten Mussolini (unten). Abb. 11 : Abbildung von Mussolini und Petacci, in : Life, 9. Juli 1945, S. 36.
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dung der Leichen am 29. April 1945. Einzig die »New York Times« geht etwas ausführlicher auf das Aufhängen einiger Leichen ein, publizierte aber auch kein Bild davon.139 Die Bilder, die heute mit Mussolinis Tod assoziiert werden, entsprechen also keineswegs der zeitgenössischen Wahrnehmung. Die mit den Köpfen nach unten aufgehängten Leichen haben in der Berichterstattung nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren, wie dies heute geschieht. Das mag daran liegen, dass diese Praxis damals weniger ungewöhnlich wirkte, da sie im Zweiten Weltkrieg an den sterblichen Überresten von Partisanen in Osteuropa häufig angewendet wurde.140 Die gewalttätigen Übergriffe durch Zivilisten – von einzelnen Frauen und Männern – waren deutlich schockierender. Dass sich gerade in den italienischen Zeitungen und Zeitschriften nur vereinzelte Aufnahmen der Ereignisse vom Piazzale Loreto nachweisen lassen, scheint vor allem technische Gründe zu haben. Zum einen war die Publikation von Fotos in Tageszeitungen noch nicht so verbreitet und zum anderen mussten viele Zeitungen ihr Erscheinen gegen Ende des Krieges einstellen. Ein Publikationsverbot für die Aufnahmen des toten Mussolini in Italien, wie es die Alliierten 1946 in Deutschland für die Bilder der nach dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess Hingerichteten erlassen hatten, bestand nicht.141 So wurden die Fotografien vom toten Mussolini statt in den Zeitungen als Postkarten verbreitet, bis der Präfekt, Riccardo Lombardi, versuchte, auch dieses zu unterbinden.142 Postkarten Die Partisanen, die Mussolini am Comer See erschossen hatten, beabsichtigten den Tod Mussolinis und seiner Getreuen möglichst öffentlich zu machen. Sie bedienten sich dabei der Exposition der Leichen. Um dieses Ereignis wiederum für die Nachwelt zu dokumentieren, nutzten sie die Vervielfältigungsmöglichkeit, die ihnen Fotopostkarten boten. Bildpostkarten waren schon im Ersten Weltkrieg als Propagandamedium eingesetzt worden und während Mussolinis Herrschaft wurden sie sowohl vom Regime wie auch von privaten Verlagen veröffentlicht.143 Auch die Verbreitung der Nachricht vom Tod eines Herrschers 139 »Bodies Hung up by Feet«, in : The New York Times, 1. Mai 1945. 140 Zu dieser Praxis Traverso, Enzo : Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914– 1945, München 2008, S. 101. 141 Heydecker : Der Nürnberger Prozeß, S. 495 ; Dewitz ; Lebeck (Hg.) : Kiosk, S. 229. 142 Chessa : Dux, S. 20 ; Luzzatto : Il Duce, S. 111. 143 Zu Mussolini-Postkarten Sturani, Enrico : Analysing Mussolini Postcards, in : Modern Italy
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über das Medium der Postkarten knüpft an die Tradition aus dem 19. Jahrhundert an.144 Postkarten hatten dabei nicht nur den Vorteil, dass sie bis in den privaten Bereich vordringen konnten, sondern sie konnten besser aufbewahrt werden als Zeitungen. Im Faschismus waren Postkarten von Mussolini in allen möglichen Posen und Rollen gedruckt worden, nun fand diese Omnipräsenz in den zeitgenössischen Medien einen visuellen und symbolischen Abschluss durch die Bilder seines Todes. Die Veröffentlichungen der Resistenza blendeten dabei die gewalttätigen Übergriffe auf die Leichen aus.145 Die vom Corpo Volontari della Libertà freigegebenen Fotografien stammten von der Agentur Publifoto und trugen auf der Rückseite die Aufschrift »Milano 29 aprile | 1945 Giustizia di popolo – Foto approvata | Corpo Volontari della Libertà | Comando piazza di Milano | Ufficio Propaganda« (Mailand 29. April | 1945 Justiz des Volkes – Foto hat genehmigt | Freiwilligenkorps der Freiheit | Kommando Piazza di Milano | Propagandaamt), die bestätigte, dass die Karten von der Resistenza-Organisation freigegeben wurden. Zu den veröffentlichten Motiven gehörte die Nahaufnahme von Mussolini, bei der er mit dem Kopf auf Petaccis Oberkörper lag, umgeben von den Leichen der anderen faschistischen Funktionäre. Auf einer ähnlichen Aufnahme liegt der Stab, der Mussolini in die Hand gesteckt worden war, neben dem Leichnam (Abb. 12). Aber in dem Mailänder Archiv hat sich auch eine Postkarte mit dem Titel »Giustizia è fatta Milano 29-4-1945« (Gerechtigkeit ist geschaffen Mailand 29.4.1945) erhalten (Abb. 13). Darauf sind fünf an den Füßen aufgehängte Körper zu erkennen. Durch die auf die 18 (2013), S. 141–156 ; Zimmermann, Clemens : Das Bild Mussolinis. Dokumentarische Formungen und die Brechungen medialer Wirksamkeit, in : Paul, Gerhard (Hg.) : Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 225–242, hier S. 229 f. und allgemein zu Postkarten Hagenow, Elisabeth von : Die Postkarte als Medium der Politik. Eine Einführung, in : dies. (Hg.) : Politik und Bild. Die Postkarte als Medium der Propaganda, Hamburg 1994, S. 9–21 ; Jaworski, Rudolf : Augenblicke des Politischen. Die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik auf alten Fotopostkarten, in : Fotogeschichte 30 (2010), S. 39–44, und z. B. der Bildpostkarte von einer Hinrichtung vergleiche Gatterer, Claus : Unter seinem Galgen stand Österreich. Cesare Battisti, Porträt eines »Hochverräters«, Wien 1997 ; Holzer, Anton : Die Kamera und der Henker. Tod, Blick und Fotografie, in : Fotogeschichte 20 (2000), Nr. 78, S. 43–62. 144 Dazu Sykora : Die Tode der Fotografie, Bd. 1, S. 158. 145 Erhalten haben sich einige Postkarten im Insmli (Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia) im Bestand : Corpo volontari della libertà und Domenico Manera. Dazu auch Chessa : Dux, S. 20 ; Sturani : Analysing Mussolini postcards, S. 153, und die Abbildung bei Bonacina : La salma nascosta, S. 30.
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Abb. 12 : Vorder- und Rückseite einer Postkarte mit den auf dem Piazzale Loreto ausgelegten Leichen.
Fotografie gedruckten Nachnamen waren die Personen zu identifizieren.146 Auf der Abbildung ist die Masse nur im Hintergrund als passiver Zuschauer zu erkennen. Überhaupt nicht wahrzunehmen ist die Menschenmenge auf anderen Postkarten derselben Szene.147 Hier sind unter den sieben an den Füßen aufgehängten Körpern nur vereinzelte Köpfe zu sehen. Durch die Auswahl solcher Motive stellte sich die Resistenza gegen die Gewalt der Bevölkerung und rückte die Leichen bzw. den Tod in das Zentrum der Bildaussage. Im Fall Mussolini wurden damit die ›Schmach‹ des Diktators und der Triumph des Widerstandes dauerhaft festgehalten. Der Tod des Tyrannen wurde nicht nur durch die Aufbahrung auf dem Piazzale Loreto inszeniert, sondern auch durch die Zeitungen, Zeitschriften und den Rundfunk verbreitet, die Postkarten stellten darüber hinaus ein dauerhaftes Andenken an das Ende Mussolinis und des Faschismus dar. Die Partisanen haben in ihrem Umgang mit 146 Die Namen von links nach rechts : Celomini [in der Regel als Nicola Bombacci identifiziert], Mussolini, Petacci, Pavolini und Starace. Postkarte erhalten in : Insmli, Fondo : Manera Domenico, b. 1, fasc. 8, sezione fotografica, Serie : Piazzale Loreto, 29 aprile 1945. 147 Etwa Abbildung in Bonacina : La salma nascosta, S. 28 unten.
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Abb. 13 : Vorderseite einer Postkarte mit Identifikation der auf aufgehängten Leichen.
der Leiche Mussolinis die faschistischen Inszenierungsstrategien konsequent weitergeführt und sie so der durch den Faschismus geprägten Wahrnehmung der Italiener leichter zugänglich gemacht. Dass die Postkarten vom toten Duce nach dem Kriegsende in ganz Italien sehr beliebt waren, hat Luzzatto nachgewiesen.148 Über sie und nicht über die Presseberichterstattung wurde auch das Bild der kopfüber aufgehängten Leichen transportiert, jedoch war dieses nur ein Motiv unter vielen und nicht das Hauptthema ; außerdem erfolgte beim Bildausschnitt keine Konzentration auf Mussolini. Auch dies bestätigt, dass zeitgenössisch den hängenden Leichnamen nicht mehr Aufmerksamkeit beigemessen wurde wie den am Boden liegenden – das Aufhängen war eine Szene von vielen.
148 Luzzatto, Sergio : Il corpo politico, in : Lucas, Uliano (Hg.) : Storia d’Italia. Annali 20. L’immagine fotografica 1945–2000, Turin 2004, S. 523–547, S. 523 ; ders.: Il Duce, S. 110.
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Ausstellungen Neben den Zeitungen und den Postkarten wurden die Aufnahmen vom Piazzale Loreto der italienischen Bevölkerung ab Sommer 1945 in Ausstellungen über den Widerstand vor Augen geführt. 149 Diese Ausstellungen waren wie die Postkarten vom Corpo Volontari della Libertà initiiert worden.150 Die Partisanen wollten die Exposition der Leiche Mussolinis offenbar nicht in Vergessenheit geraten lassen, sondern nutzten jede Chance, daran zu erinnern, dass sie es gewesen waren, die Mussolini getötet hatten. Es ist nur logisch, dass auch in den Präsentationen ihres Kampfes ausschließlich Bilder gezeigt werden, in denen die Schaulustigen passiv bleiben. Von Mussolini gibt es kein klassisches Totenporträt wie von Philippe Pétain, das den Toten aufgebahrt in seinem Sterbebett darstellt. Aber in einigen Handlungen und Aufnahmen von Mussolini direkt nach seinem Tod kann eine Zitation dieser Tradition gesehen werden. Die Verkehrung der Aufbahrung wie auch des Totenporträts ist Teil der Bestrafung und Degradierung Mussolinis. Während Pétain zuletzt doch ein klassisches lit-de-mort-Arrangement gegeben worden war, bei dem der alte Mann friedlich im Bett drapiert wurde, so drückte die Anordnung von Mussolinis leblosem Körper auf dem Boden des Mailänder Platzes genau das aus, was eine Aufbahrung normalerweise zu verstecken versucht, nämlich die Agonie des Todes.151 Gesteigert wird der Eindruck dadurch, dass Mussolini eindeutig eines gewaltsamen Todes gestorben ist und das Ablegen der Leiche auf dem Boden zwischen den anderen toten Körpern an ein Massengrab erinnert. Die Personen, die an der Aufbahrung Mussolinis auf dem Piazzale Loreto teilnahmen, konnten ihren Gefühlen freien Lauf lassen und durch die Postkarten war es ihnen und der übrigen Bevölkerung möglich, einen Nachweis für den Tod des nun verhassten Duce zu besitzen. Demgegenüber fand die Aufbahrung Pétains im Verborgenen statt. In der Inszenierung und in dem erst später veröffentlichten Bild verweist nichts auf seine politisch umstrittene Position. Durch die Analyse der bildlichen Berichterstattung über die Ereignisse des 29. Aprils konnte gezeigt werden, dass die Partisanen als Reaktion auf die Es149 Mignemi, Adolfo ; Solaro, Gabriella (Hg.) : Un’immagine dell’Italia. Resistenza e ricostruzione. Le mostre del dopoguerra in Europa, Mailand 2005 ; Kümmel : Gruppenbild mit Leiche. 150 Mignemi ; Solaro (Hg.) : Un’immagine dell’Italia ; Azzaro, Pierluca : Italien. Kampf der Erinnerungen, in : Flacke, Monika (Hg.) : Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 343–364, besonders S. 344. 151 Héran : Le dernier portrait ou la belle mort, S. 39.
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kalation eine eigene Publikationsstrategie anwendeten, da sie nur Aufnahmen als Postkarten freigaben, die sie als Akteure zeigten und auf denen keine direkte Gewalt zu sehen war.
2.3 Leichenschau Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verbreitete sich in Europa die Regel, dass ein Arzt einen Totenschein ausstellen musste, bevor eine Bestattung stattfinden durfte.152 Dies sollte unter anderem der zunehmenden Angst, lebendig begraben zu werden, vorbeugen.153 Bestanden Zweifel an der Todesart, konnte eine Obduktion vorgenommen werden. Neben der äußeren Leichenschau, die jeder Bestattung vorausging, stellte die Obduktion eine Zäsur innerhalb des normalen Ablaufs dar. Die Leichenöffnung wurde nicht am Totenbett oder Ort des Todes durchgeführt, sondern im Leichenschauhaus. Sie ist damit eng verbunden mit der Ordnungskraft des Staates und von daher auch wichtig im Kontext der Wiedererrichtung und Aufrechterhaltung der Ordnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 2.3.1 Ein Militärarzt stellt den Totenschein von Pétain aus Die Bestimmungen für den Tod von Pétain hatten bereits in der ersten Version vom August 1949 eine Autopsie durch einen Rechtsmediziner vorgesehen. Am 23. Juli 1951 stellte der Stabsarzt Maître vom Militärkrankenhaus aus Nantes um 9 :45 Uhr den Totenschein für Philippe Pétain aus, der um 9 :22 Uhr gestorben war.154 Da der Verstorbene seit langer Zeit unter ärztlicher Überwachung gestanden hatte und an einer natürlichen Todesursache kein Zweifel bestand, wurde auf eine innere Leichenschau verzichtet. Der Leichnam verblieb in dem Sterbezimmer, aus dem er erst für die Beisetzung entfernt wurde. Der behandelnde Arzt sandte lediglich einen letzten Bericht an das Militärkrankenhaus in Nantes.
152 Bauer : Von Tod und Bestattung in alter und neuer Zeit ; Art. »Leichenschau« ; in : Sörries : Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 202. 153 Groß, Dominik : Die Entwicklung der inneren und äußeren Leichenschau in historischer und ethischer Sicht, Würzburg 2002, S. 24. 154 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 369–371.
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Der Totenschein war auch die Grundlage für die Ausstellung der Sterbeurkunde durch den Standesbeamten. Nach den Handlungsanweisungen aus dem Jahr 1949 sollte für den Verstorbenen dort kein Beruf angegeben werden, womit seine Anwälte jedoch nicht einverstanden waren. Sie gingen mit dem Stiefsohn Pétains, Pierre de Hérain, zum Bürgermeister, um zu erwirken, dass in dem Eintrag im Sterberegister der Insel als Beruf Marschall von Frankreich aufgenommen würde.155 Auch diese Abweichung von den ursprünglichen Plänen der Regierung wurde nach Rücksprache mit den Behörden in Paris umgesetzt.156 Eine Fotografie des Eintrags im Sterberegister wurde sogar in »Paris Match« veröffentlicht (Abb. 14). In der dazugehörigen Bildunterschrift wurde explizit darauf hingewiesen, dass dort auf Drängen der Anwälte »Maréchal de France« eingetragen worden war.157 Dies unterstreicht nicht nur, wie nachgiebig die inzwischen abgewählte Regierung war, sondern auch, welches Interesse der Sterbeurkunde zukam. Sie steht am Anfang der Fotoreportage von Jean Roy und Daniel Filipacchi, dann erst folgen Bilder des Leichenzugs und des Begräbnisses. Die Sterbeurkunde wurde so zum Symbol für Pétains Tod, ja sie ersetzte das Bild des Toten. Gleichzeitig wurde hier der formale Akt der Beglaubigung des Todes aber nicht mit dem Staat verbunden, sondern es wurden die Anwälte erwähnt. Durch den Hinweis, diese hätten die Bezeichnung Marschall von Frankreich in dem Dokument durchgesetzt, wird die Nachgiebigkeit des scheidenden Ministerrats offenkundig. Doch die Aufnahme der Formulierung in die Sterbeurkunde und das Bekanntwerden dieses Umstandes scheint noch eine andere Konsequenz gehabt zu haben : Während sich in der Korrespondenz der Regierung und der Presse vorher die Bezeichnung »l’ex-Maréchal Pétain« findet,158 war mit dieser Differenzierung auf Grundlage der Verurteilung zur 155 Ebenda, S. 370 f. 156 »Reso ufficialmente a Pétain il titolo di Maresciallo. Esso figurerà sulla sua tomba«, in : Corriere della Sera, 25. Juli 1951, S. 6. 157 Fotografie von Daniel Filipacchi abgedruckt in : Paris Match, 4. August 1951, S. 8 oben links. 158 Die geheimen Vorkehrungen vom 5. November 1949 in : Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 308–310, hier S. 8 ; Brief des Justizministers an den Verteidigungsminister vom 30. April 1949 und die Antwort vom 2. Mai 1949, ebenda, Annexe Nr. 9 und Nr. 10, S. 413–415. Aber auch »Le médecin de Pétain est désormais assisté de deux infirmières«, in : Paris-Presse, 8. Mai 1949, S. 1, oder »E’morto a île d’Yeu l’ex maresciallo Pétain«, in : Avanti !, 24. Juli 1951, S. 6. Die kommunistische »L’Humanité« vermied die Bezeichnung »Maréchal« für Pétain vollkommen. Le Monde dagegen verwendet den Titel Marschall fast durchgängig, auch wenn Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 80, nachweist, dass die Zeitung während der Diskussion um die Amnestiegesetze und die Freilassung Pétains 1948 auf die Formulierung »ex-maréchal« wechselte. In »The Times« kann diese Umstellung besonders deutlich
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Abb. 14 : Auszug aus dem Sterberegister wiedergegeben in : Paris Match, 4. August 1951, S. 8.
Entziehung der Ehrenrechte nun Schluss. Damit war ein erster Schritt zur informellen Rehabilitierung gemacht worden, schließlich wurde Pétain nun wieder in einem staatlichen Register als Marschall bezeichnet. 2.3.2 Mit der Obduktion Mussolinis kehrte wieder Ordnung ein Im Gegensatz zu Pétain wurden die Leichen Mussolinis, Petaccis und der anderen faschistischen Funktionäre in ein Leichenschauhaus gebracht. Die Partisanen nahmen die Körper am Nachmittag des 29. April, nach der Ankunft der amerikanischen Truppen in Mailand und auch auf Drängen des Mailänder Erzbischofs, Kardinal Schuster, von dem Tankstellengebälk ab.159 Auf Anbeobachtet werden, diese sprach von »the former Marshal«, als sie von dem Gesundheitszustand des Inhaftierten berichtete, aber nach seinem Tod verwendete dann auch die englische Tageszeitung den Titel Marshal. »Pétain Sinking. Security Precautions at Île d’Yeu«, in : The Times, 23. April 1951, S. 4, und »Funeral Of Marshal Pétain«, in : The Times, 26. Juli 1951 ; S. 5. 159 Für die Rekonstruktion des Ablaufs vor allem Baima Bollone : Le ultime ore di Mussolini, S. 198–200 ; aber auch Collier : Mussolini, S. 384 ; Ginsborg : A History of Contemporary Italy, S. 67 f.; Kirkpatrick : Mussolini, S. 573 ; Leccisotti, Tommaso : Il cardinale Schuster, Bd. 1, Mailand 1969, S. 162 f.; Luzzatto : Il Duce, S. 101–105 ; Milza : Les derniers jours de
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weisung des amerikanischen Militärgouverneurs für die Lombardei, Oberst Charles Poletti, und des Mailänder Präfekten, Riccardo Lombardi, wurden die Leichen in die Kühlkammern des Medizinischen Instituts der Universität von Mailand gebracht. Am folgenden Morgen führte Professor Caio Mario Cattabeni im Beisein von amerikanischen Ärzten und Repräsentanten des Befreiungskomitees die Autopsie an der Leiche von Benito Mussolini durch. Seit der Ankunft der Alliierten in Mailand bemühten sich beide Seiten um eine Wiederherstellung der Ordnung. Dass hier auf eine bestehende italienische Institution zurückgegriffen wurde, um den Tod Mussolinis offiziell zu bestätigen, unterstützte den italienischen Anspruch auf Eigenständigkeit. Außerdem dürfte es die Akzeptanz der Todesnachricht in der italienischen Bevölkerung gesteigert haben, dass ein italienischer Arzt die Todesart überprüfte und bestätigt. Die innere und äußere Leichenschau bestätigte, dass Mussolini erschossen worden und die überwiegende Zahl seiner Verletzungen postmortal entstanden war.160 Der Verstorbene sei körperlich ansonsten gesund gewesen, es wurden nur einige alte Narben gefunden. Mussolinis Kopf war durch die Leichenschändung entstellt worden. Von dem unbeschädigten Teil des Gehirns wurden Proben sowohl für das Medizinische Institut in Mailand wie auch für Winfred Overholser vom St. Elizabeths Hospital in Washington D.C. entnommen.161 Diese Proben sollten der Forschung dienen und standen nicht im Zusammenhang mit der Todesursache, so dass hier eine Einbeziehung amerikanischer Ärzte die Autorität der italienischen Mediziner nicht untergrub. Die Zurückhaltung der Alliierten, aktiv an der Obduktion mitzuwirken, mag dazu geführt haben, dass schon sehr früh Lücken im Autopsiebericht kritisiert wurden.162 Doch Professor Cattabeni stellte nicht nur den Tod Mussolinis formal fest und verfasste den Bericht, sondern schrieb auch wissenschaftliche sowie allgemein verständliche Publikationen über die Leichenschau an Mussolini und verschaffte seinen Untersuchungsergebnissen so mehr Öffentlichkeit.163 Mussolini, S. 222. 160 Der offizielle Autopsiebericht »Verbale di necroscopia n. 7241« ist abgedruckt bei Cavalleri : La fine, S. 233–237 ; Baima Bollone : Le ultime ore, S. 245–248 als Anm. 22. 161 Bosworth : Mussolini, S. 413, aber auch Baima Bollone : Le ultime ore, S. 203 oder Foot : »The Dead Duce«, S. 15. 162 Beobachtung von Luzzatto : Il Duce, S. 104. 163 Cattabeni, Caio Mario : Rendiconto di una necroscopia d’eccezione, in : Clinica Nuova, 15. Juli–1.°August 1945, S. 17–19. In Auszügen bei Baima Bollone : Le ultime ore, S. 253 f. als Anm. 26, für die anderen Aufsätze ebenda S. 201.
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Exposition Die Öffentlichkeit hatte zuvor bereits großes Interesse an der Obduktion gezeigt. Am Abend des 29. April und im Verlauf des 30. April versuchten zahlreiche Schaulustige, Partisanen, Journalisten und Fotografen noch einen Blick auf die Toten zu werfen und sich selbst von der Wahrheit der Todesnachricht zu überzeugen. In dieser Zeit sind zahlreiche Fotografien entstanden, die einen Eindruck davon vermitteln, wie allen voran die Leichen von Mussolini, Petacci und Starace auch im Leichenschauhaus noch zur Schau gestellt wurden. So waren die Leichen zunächst auf dem Boden ausgelegt und mit Identifikationszetteln versehen worden. Eine Aufnahme zeigt, wie sich ein Mann im hellen Hemd mit Halstuch und Gewehr über der Schulter über einen der Leichname beugt. Er liest den Zettel am Handgelenk des Körpers im Bildvordergrund. Von diesem sind nur der Oberkörper und die Oberschenkel zu erkennen. Er trägt ein weißes Unterhemd und eine Uniformhose, auch wenn sein Gesicht nicht zu erkennen ist, wird deutlich, dass es sich um Mussolini handelte (Abb. 15).164 Nach wie vor zog der Körper Mussolinis die Aufmerksamkeit auf sich, doch diesmal wurde er nicht verspottet. Die meisten Personen betrachteten die Leichen lediglich. Einige posierten neben dem Leichnam, als er auf dem Seziertisch lag, wie eine andere Fotografie dokumentiert.165 Hier stehen bürgerlich gekleidete Männer und Frauen im Autopsiesaal und posieren mit dem toten Mussolini. Für sie war die Fotografie Beweis ihrer Zeugenschaft. Nach der Autopsie wurden die Leichen in einfache Holzsärge gelegt, die halbgeschlossen erneut zur Schau gestellt wurden. Mussolini, Petacci, Starace und die anderen wurden halb nackt und in den zerrissenen, zerlumpten Kleidern, die sie bei ihrer Erschießung getragen hatten, in die Särge gelegt. Sie wurden weder in ein Leichenhemd gekleidet, noch wurden sie mit ihren militärischen Abzeichen bestattet.166 Mussolini erhielt einzig seine Uniformhose und Stiefel mit in den Sarg.167 Dies entsprach nicht der Aufbahrung eines toten Herrschers oder dem Umgang, der mit einem auf der Flucht Erschossenen zu erwarten gewesen wäre, sondern eher der Zurschaustellung eines Verbrechers. Besonders die einfachen Särge kontrastierten mit dem einstigen 164 »Un partigiano si fa fotografare mentre controlla l’identità del cadavere di Mussolini« abgedruckt in Chessa : Dux, S. 389, und zum Vergleich auch S. 388, unten, beides mit dem Nachweis Centro Documentazione Mondadori. 165 »Citizens Gazing at Body of Benito Mussolini«, Getty Images, Bettmann Nr. SF32212. 166 Bonacina : La salma nascosta, S. 39 und Anhang II, Abb. 4. 167 Ebenda und Abbildung bei Luzzatto : Il Duce, S. 103.
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| Tod und Bestattung Abb. 15 : Die toten Faschisten liegen im Leichenschauhaus auf dem Boden, aus : Chessa, Dux, S. 289.
Pomp des Duce-Kults. Durch die Aufbahrung im Leichenschauhaus und die einfachen Särge erhielt die Exposition einen offiziellen, aber abwertenden Charakter. Nicht nur wurden die Toten noch im Leichenschauhaus eingesargt, sie erhielten auch keine besondere Kleidung oder ein Leichentuch. Hier knüpfte die Inszenierung im Leichenschauhaus daran an, dass die Leichenöffnung einst ein privilegium pauperum gewesen war und bis ins 19. Jahrhundert vorwiegend an Verbrechern praktiziert wurde.168 Auch die Fotografien der toten Faschisten in ihren Särgen knüpften an eine bestehende Bildtradition an. So wurden schon die toten Mitglieder der Pariser Kommune im Mai 1871 in ihren offenen Särgen fotografiert.169 Im 168 Groß : Die Entwicklung der inneren und äußeren Leichenschau, S. 24. 169 Die beiden Reproduktionen bei Koetzle, Hans-Michael : André Adolphe Eugène Disdéri. Tote Kommunarden,1871, in : ders. (Hg.) : Photo Icons. Die Geschichte hinter den Bildern, Bd. 1, Köln 2002, S. 88–97, hier S. 88 f. und 92, oder Bajac, Quentin (Hg.) : La commune photographiée, Paris 2000, Kat.-Nr. 31, S. 70 und 112. Eine kurze Einordnung der Bedeutung der Fotografie in der Bildberichterstattung über die Kommune bietet Prokasky, Judith : Vom Ereignis zum Mythos. Die Pariser Commune in den Bildmedien 1871–1914, Weimar 2005, S. 32–34.
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Vergleich mit diesen Aufnahmen sind die Bilder der toten Faschisten beinah zurückhaltend. Die Särge der toten Kommunarden waren vollkommen geöffnet und standen in Zweierreihen fast senkrecht. Einen so unmittelbaren Blick auf die Hingerichteten bieten die Fotografien aus Mailand nicht, während sie gleichzeitig verdeutlichen, dass es den Schaulustigen durchaus möglich war, direkt an die Särge zu treten und die Leichen zu betrachten. Die frontalen Aufnahmen der Kommunarden wirken anklagend, auch wenn die ihnen beigegebenen Nummern deutlich machen, dass sie zur Identifikation dienten und in einem ordnungspolitischen Kontext entstanden sein dürften, während eine Aufnahme mit den noch offenen Särgen von Mussolini, Petacci und Starace ohne sie umringende Personen vor allem den Triumph über die Toten verdeutlicht.170 Unterstützt wird diese Wirkung dadurch, dass die Sargdeckel bereits auf die Särge gelegt sind, aber nur zur Hälfte hochgeschoben wurden. Die Aufnahme hat etwas Endgültiges, als sei es wirklich der letzte Blick auf die Hingerichteten, bevor die Deckel geschlossen werden. Allerdings waren die Särge auch in diesem Zustand längere Zeit für das im Leichenschauhaus versammelte Publikum zugänglich, wie andere Fotografien belegen. In den abgebildeten Zuschauern liegt auch der Unterschied zu den Aufnahmen der Aufbahrung im Sarg. Anders als bei den Erschossenen der Pariser Kommune sind in diesen Aufnahmen fast immer Personen zu erblicken, meist Mitglieder der Widerstandsbewegung, die ihre Waffen noch bei sich tragen. Doch auch in diesen Aufnahmen ist das Gefühl des Triumphs evident. So zeigen gleich mehrere Aufnahmen, wie sich ein Mann, der eine kurze Hosen mit Kniestrümpfen, ein Hemd mit einem Stern auf der Brust, ein Halstuch und einen Hut mit schmaler Feder trägt, gelassen auf den Sarg Mussolinis stützt.171 Seine linke Hand liegt dabei auf der Kante des Sarges, während er die rechte Hand in die Hüfte stemmt. Er und seine beiden Kameraden, die unterschiedliche Uniformen und Waffen tragen, blicken in den Sarg hinab. Nach den Ereignissen der Tage zuvor wirken die Partisanen in diesen Aufnahmen sehr gelassen. 170 Die Abbildung Publifoto/Olycom, Nr. 03-00004941 zeigt die Särge der drei Toten ausnahmsweise ohne sie umringendes Publikum. 171 Publifoto/Olycom, Nr. 03-00004939 und Nr. 03-00004940. Nr. 03-00004939 ist auch abgedruckt bei Luzzatto : Il Duce, S. 103. Die Bildunterschrift »Partisanen betrachten lächelnd den misshandelten Körper von Benito Mussolini. Leichenschauhaus von Mailand, 29. April 1945« ist dabei aus zwei Gründen unglücklich gewählt. Zum einen waren die Gesichter der drei Männer von der Kamera abgewendet und es ist nicht zu erkennen, ob sie wirklich lächelten. Zum anderen wurde die Aufnahme nach der Autopsie am 30. April gemacht und nicht direkt nach dem Transport ins Leichenschauhaus am 29. April.
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Doch nicht jedes Mitglied der Widerstandsbewegung steht so ruhig am Sarg Mussolinis. Auf einer anderen Aufnahme drängen sich fünf bis sechs Männer um den Sarg Mussolinis und haben dabei die Hand an der Waffe (Abb. 16). Sie blicken auf Mussolini herab, doch nicht in Triumph – auch wenn das Bild genau dies ausdrückt –, in ihren Blicken manifestiert sich vielmehr ihre Verachtung. Eine andere Abbildung in »Life« zeigte drei Männer und eine Frau auf einer Seite des Sargs, die sich leicht darüber beugen, diese Zurückhaltung liegt vielleicht aber auch an der Gegenwart eines Mönchs auf der anderen Seite des Sargs (Abb. 10).172 Gerade im Gesicht der Frau zeichnet sich bei dem Blick in den Sarg Freude ab. Die Vielzahl von Fotografien macht deutlich, wie sich der Umgang mit Mussolinis Leiche nach der Obduktion gewandelt hatte. Nun posieren keine Schaulustigen mehr mit den Leichen. Jetzt konnten sich die Partisanen und Partisaninnen von dem Ergebnis ihres Kampfes überzeugen. Die dabei entstandenen Aufnahmen dokumentieren diesen Ausgang und legen Zeugnis ab über den Triumph der Resistenza. Zwar war der Bevölkerung vor der Autopsie ausgiebig die Möglichkeit gegeben worden, die Leichen persönlich in Augenschein zu nehmen, doch zur Einsargung Mussolinis erhielten offenbar nur noch Mitglieder der Widerstandsbewegung und einige Fotografen Zutritt. Dass dies professionelle Fotografen und nicht einfach Partisanen mit Kameras waren, wird beim Blick auf die Bildnachweise deutlich. Die Aufnahmen stammen von den Fotoagenturen ›Publifoto‹ und ›Bettmann‹, für die etablierte Fotoreporter arbeiteten.173 Es war der Reporter der »New York Times«, der darauf hinwies, dass durch den Transport der toten Körper in das Leichenschauhaus sich nichts an der Schaulust der Bevölkerung geändert hatte. Statt auf den Piazzale Loreto strömte sie nun in das Medizinische Institut der Universität. Durch ihren institutionellen Charakter trug die Ortsveränderung zu einer Entemotionalisierung der Situation bei. Die Spirale der Gewalt und Vergeltung wurde so durchbrochen. Im Leichenschauhaus ging es darum, die Identität der Hingerichteten und ihre Todesart zu bestätigen. So nahmen die Schaulustigen, die Partisanen, Journalisten, Fotografen und Kameraleute die Leichen in Augenschein und die Ärzte untersuchten sie in ihrem mittelbaren und unmittelbaren Beisein. 172 Abbildung »Cheap pine coffin« von der Mediterranean allied air force, in : Life, 14. Mai 1945, S. 40A, entspricht seitenverkehrt »Mutilated Mussolini in a Casket«, Getty Images, Bettmann Nr. W2248. 173 Mignemi ; De Luna : Storia fotografica della Repubblica sociale italiana, S. 40.
Leichenschau | Abb. 16 : Abbildung des im Sarg aufgestellten Mussolini umringt von Männern.
Durch die Untersuchung der Ärzte konnte die Möglichkeit, dass es sich um eine Verwechselung bzw. einen toten Doppelgänger Mussolinis handelte, ausgeschlossen werden, denn derartige Gerüchte konnten in der unsicheren Lage des Bürgerkriegs schnell entstehen. Die Obduktion diente so als Beweis des Todes des Diktators, ganz so wie die öffentliche Exposition der Leiche. Darüber hinaus wurde die persönliche Vergewisserung auf dem Piazzale Loreto durch medizinisch-wissenschaftliche Beweise ergänzt. Durch eine Obduktion konnte eine Identifikation Mussolinis juristisch korrekt sowie wesentlich sicherer und glaubwürdiger erfolgen als durch den bloßen Augenschein. Dem Volkszorn, aber auch der willkürlichen Gewalt des Bürgerkrieges, wurde die Wiederherstellung der rechtsstaatlichen Ordnung entgegengesetzt. Daher stellte diese Autopsie eine Zäsur dar, in der die Situation vom Ausnahmezustand in geordnete Bahnen gelenkt wurde. Durch die Obduktion wurde das begonnene Zeremoniell des Piazzale Loreto, das auf Abrechnung und Vergeltung fußte, unterbrochen. Den durch die Bevölkerung vollzogenen spontanen Handlungen wurden die offiziellen medizinischen Maßnahmen entgegengesetzt. An diesem Wandel waren neben der Resistenza nun auch die Alliierten und italienische Behörden beteiligt, doch
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blieben die Leichen vordergründig unter Kontrolle der Partisanen, was besonders durch die Fotografien der Widerstandskämpfer bei den Särgen betont wurde. Hier wurde noch einmal der Zusammenhang zwischen Mussolinis Tod und dem bewaffneten Kampf der Partisanen evoziert. Die Alliierten verdrängten die Partisanen weder aus der Darstellung von Mussolinis Tod noch setzten sie sich selbst in Szene. So konnte die Resistenza sich auch von den Schändungen des Vortages distanzieren und als Vertreter der Ordnung präsentieren. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben im Todesfall hatte auch für die französische Regierung große Bedeutung, denn obwohl sie zwischenzeitlich sogar erwogen hatte, den Leichnam Pétains im Inneren von Fort Pierre-Levée zu bestatten, hatte sie stets vor, die notwendigen örtlichen Ordnungsbehörden einzubinden und einen Arzt den Tod feststellen zu lassen. Der medizinischen Feststellung des Todes wurde also sowohl bei Mussolini als auch bei Pétain eine wichtige Funktion durch die Regierungen zugestanden, obwohl sie sehr unterschiedlich verliefen und bei Mussolini erst nach der Zurschaustellung auf dem Piazzale Loreto erfolgte.
2.4 Beisetzung Schon die für eine ordentliche Bestattung grundlegende Wahl des Bestattungsortes verursachte bei Mussolini und Pétain Probleme. Die Regierungen zogen das Entscheidungsrecht über die Orte der Bestattung, das regulär den Angehörigen zugestanden hätte, an sich. Losgelöst von den Wünschen der Verstorbenen und ihrer Familien konnten die Vertreter der Regierungen aus einer Vielzahl von Begräbnisstätten, wie Kirchhöfen, kommunalen Friedhöfen mit ihren Unterabteilungen sowie Soldatenfriedhöfen, wählen.174 Auch die Gestaltung der Exequien, also der durch das Rituale Romanum geregelten Handlungen des Totengeleits, wurde durch sie organisiert. Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil sah das Rituale Romanum für Angehörige der katholischen Kirche die Aussegnung am Sterbeort, die Überführung in die Kirche, das Totenoffizium, die Totenmesse, die Beisetzung sowie das Totengedenken an den entsprechenden Gedenktagen vor.175 Auch nach der Reform 1969 blieb die prinzipielle 174 Für einen Überblick und die Differenzierung unterschiedlicher Bestattungsstätten, Rugg, Julie : Defining the Place of Burial. What Makes a Cemetery a Cemetery ?, in : Mortality 5 (2000), S. 259–275. 175 Probst, Ferdinand : Exequien, Tübingen 1856, besonders S. 87–134 ; Löwenberg, Bruno :
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Dreiteilung in Handlungen im Trauerhaus, der Kirche und am Grab erhalten, wurde jedoch praktisch auf eine Zweiteilung von Gottesdienst und Grab reduziert.176 Diese Bestandteile und Strukturierung der kirchlichen Bestattung dienen im Folgenden als Vergleichsbasis für die beiden Katholiken Pétain und Mussolini, da die kirchliche Bestattung sowohl in Frankreich als auch in Italien in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch die Regel und damit eine wichtige Referenz darstellte. Papst Pius XII. formulierte nach dem Zweiten Weltkrieg das Paradigma der christlichen Kultur und propagierte eine von christlichen Werten geprägte Gesellschaft.177 Außerdem hatten beide Regime im Gegensatz zu den laizistischen Traditionen beider Länder die Nähe zur katholischen Kirche gesucht. In Italien drückte sich dies unter anderem in den Lateranverträgen von 1929 oder der Einrichtung einer Gedenkstätte für faschistische Märtyrer in der Basilika von Siena 1938 aus.178 Auch in Frankreich war die Kirche eine wesentliche Stütze des Vichy-Regimes gewesen, welches sich wiederum um ein Konkordat mit dem Vatikan bemüht hatte.179 2.4.1 Ein ehrenvolles Begräbnis für Pétain An das Ideal der christlichen Gesellschaft knüpfte nach Pétains Tod auch der Sprecher der Versammlung der Kardinäle und Erzbischöfe von Frankreich (Assemblée des Cardinaux et Archevéques de France, kurz : ACA), Kardinal Achille Liénart, an, als er Gottesdienste für den Verstorbenen forderte. Gemeinsam Art. »Exequien«, in : LThK2, Bd. 3, Freiburg 1959, Sp. 1297 ; Art. »Bestattung, kirchlich«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur, Bd. 1, S. 45–46. 176 Zur Reform des Ordo Exequiarum Kaczynski, Reiner : Art. »Begräbnis«, in : LThK3, Bd. 2, Sp. 146–148. 177 Traniello, Francesco : Christliche Kultur, europäische Kultur. Entwicklungen und Wandlungen einer Idee im italienischen Katholizismus zwischen 1920 und 1950, in : Rusconi, Gian Enrico ; Woller, Hans (Hg.) : Parallele Geschichte ? Italien und Deutschland 1945–2000, Berlin 2006, S. 143–173. 178 Parsons, Gerald : Fascism and Catholicism. A Case Study of the Sacrario dei Caduti Fascisti in the Crypt of San Domenico, Siena, in : JCH 42 (2007), S. 469–484. 179 Atkin, Nicholas : Ralliés and résistants. Catholics in Vichy France, 1940–1944, in : Chadwick, Kay (Hg.) : Catholicism, Politics and Society in Twentieth-Century France, Liverpool 2000, S. 97–118 ; Besier, Gerhard : »Berufsständische Ordnung« und autoritäre Diktaturen. Zur politischen Umsetzung einer »klassenfreien« katholischen Gesellschaftsordnung in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, in : ders.; Lübbe, Hermann (Hg.) : Politische Religion und Religionspolitik. Zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit, Göttingen 2005, S. 79–110, hier S. 105–107 ; Le Moigne, Frédéric : Les évêques français de Verdun à Vatican II. Une génération en mal d’héroïsme, Rennes 2005, besonders S. 89 ff.
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mit den Erzbischöfen von Toulouse, Lyon und Rennes wandte er sich mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit, in der die Geistlichen nach eigenem Verständnis »paroles de paix« (Worte des Friedens) übermitteln wollten.180 Sie nahmen dabei sowohl Bezug auf Pétains herausgehobene Rolle im Ersten Weltkrieg als auch auf seine Position als Staatschef ab 1940. Seine Verantwortung relativierten sie, indem sie darauf verwiesen, dass es die Öffentlichkeit gewesen sei, die den bereits Vierundachtzigjährigen in dieses Amt berufen habe. So bezogen sie die Bevölkerung in die Verantwortlichkeit mit ein. Eine geschickte Vorgehensweise, wollten sie doch die Bevölkerung gegenüber Pétain milde stimmen, denn sie sprachen sich abschließend dafür aus, dass Messen für den Verstorbenen gefeiert werden. Sie betonten dabei ausdrücklich, dass diese nicht zu politischen Demonstrationen genutzt werden sollten. Aus ihrem Text geht dabei nicht hervor, ob sie Angst vor zu großer Gunsterweisung oder zu heftigen Protesten hatten, aber natürlich war schon die Aufforderung zu den Gottesdiensten ein politischer Akt, besonders für einen zum Tode verurteilten Staatsverräter. Auf diese Hypokrisie wies schon der zeitgenössische italienische Journalist Giuseppe Boffa hin,181 doch löste die Erklärung des französischen Episkopats keinen öffentlichen Widerstand aus. Einzig in der kommunistischen »L’Humanité« wurden die Bemühungen um den Seelenfrieden eines Mannes, der Schuld an Deportation und Leid so vieler getragen habe, zynisch kommentiert.182 Die vier unterzeichnenden Bischöfe beriefen sich in ihrer Forderung auf eine »tradition chrétienne et française« (christliche und französische Tradition). So verbanden sie die Nation mit der Religion, obwohl auch die Vierte Republik die Trennung von Staat und Kirche praktizierte. Sie beschränkten sich nicht darauf, ein christliches Begräbnis für Pétain zu fordern, sondern betonten, dass es auch Frankreich gut anstehen würde, dafür zu sorgen. Schließlich war nicht irgendein Greis gestorben, sondern ein einstiger Nationalheld und Staatschef und die katholische Kirche in Frankreich fühlte sich zu seinem Totengedenken verpflichtet. Diese Fürsprache der höchsten französischen Geistlichen für Pétain überrascht mit Blick auf die Unterzeichner zunächst, hatten sich zwei davon, näm180 »Une Déclaration des Cardinaux français«, in : Le Monde 25. Juli 1951, S. 3. Zunächst war die Erklärung als »Communiqué des cardinaux français«, in : La Croix, 24. Juli 1951, S. 1, erschienen, wurde dann aber auch von anderen Zeitungen aufgegriffen. 181 Boffa : »E’ morto Filippo Pétain il soldato che tradì la sua Patria«. 182 »Pétain est mort hier matin«, in : L’Humanité, 24. Juli 1951, S. 1/4.
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lich Pierre-Marie Gerlier, Erzbischof von Lyon, und Jules-Géraud Saliège, Erzbischof von Toulouse, im Spätsommer 1942 doch explizit gegen die Politik des Vichy-Regimes und Pétains gestellt, als sie öffentlich die Deportation von Juden aus Frankreich ablehnten.183 Aber die Judenverfolgung war nur ein Teilaspekt des Regimes und auch wenn zahlreiche Geistliche dem Vichy-Regime zunehmend kritisch gegenüber gestanden hatten, kam es nie zu einen vollkommenen Bruch zwischen der katholischen Kirche in Frankreich und der Regierung Pétains. Im Gegenteil hatte sich Kardinal Liénart, – damals noch nicht Präsident der ACA – dazu bereiterklärt, im Prozess gegen Pétain zu dessen Gunsten auszusagen. Allerdings war der Kardinal aus der ehemals besetzten Zone nicht persönlich vor dem Hohen Gerichtshof erschienen, sondern hatte lediglich schriftlich Zeugnis abgelegt. In seinem Brief hatte er weniger auf die Besatzungszeit als auf den Ersten Weltkrieg und Pétains Verdienste während dieser Zeit Bezug genommen.184 Die Erfahrung dieses Krieges verband die vier Bischöfe, die im Juli 1951 um christliche Nächstenliebe für Pétain warben. Sie verknüpften mit der Person Pétains prägende persönliche Erfahrungen und nicht nur den Bedeutungsgewinn, den die katholische Kirche im Vichy-Regime erfahren hatte. Der französische Zeithistoriker Frédéric Le Moigne vertritt sogar die These, dass Verdun die gesamte Generation der amtierenden französischen Bischöfe nachdrücklich geprägt habe.185 Diese biografische Prägung scheint daher nicht nur die vier Unterzeichner dazu veranlasst zu haben, zwischen den beiden polarisierenden Bildern von Pétain als Nationalheld und Staatsverräter zu vermitteln, obwohl die katholische Kirche schon durch ihre 183 Seibel, Wolfgang : Macht und Moral. Die »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich, 1940– 1944, München 2010, S. 176–191 ; und zur allgemeinen Rolle der katholischen Kirche im Vichy-Regime Atkin : Ralliés and résistants, S. 97–118 ; Burrin : Vichy. Die Anti-Republik, S. 140 ; Loth, Wilfried : Französischer Katholizismus zwischen Vichy und Résistance, in : Scherzberg, Lucia (Hg.) : Vergangenheitsbewältigung im französischen Katholizismus und deutschen Protestantismus, Paderborn 2008, S. 145–152, hier besonders S. 147 ; Ravitch, Norman : The Catholic Church and the French Nation 1589–1989, London/New York 1990, S. 91 ff. 184 »Lettre du cardinal Liénart«, in : Garçon : Le procès du Maréchal Pétain, Bd. 2, S. 879–881. Auch Le Moigne : Les évêques français de Verdun à Vatican II, S. 219 f. Liénart war genau wie Gerlier und Saliège als Militärkaplan eingesetzt gewesen. Fouilloux, Étienne : Église catholique et seconde guerre mondiale, in : Vingtième Siècle. Revue d’histoire 73 (2002), S. 111–124, hier S. 111, verweist darauf, dass Liénarts Bewunderung für den Marschall fast religiöse Züge angenommen habe, indem er ihn mit der Heiligen Jeanne d’Arc verglich. 185 Le Moigne : Les évêques français de Verdun à Vatican II ; dazu auch die Beurteilung von Fouilloux : Église catholique et seconde guerre mondiale, S. 115.
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offene Unterstützung des Vichy-Regimes an moralischer Autorität eingebüßt hatte.186 Die französischen Bischöfe setzten sich für die »réconciliation nationale« (nationale Aussöhnung) ein,187 wobei sich diese Aussöhnung hier nicht auf politische Lager beschränkte, sondern eben auch die Kirche mit einschloss, wie ihr Appell für eine christliche Bestattung Pétains in französischer Tradition verdeutlicht. Um das Anrecht Pétains auf ein christliches Begräbnis ging es auch in dem Artikel »La sépulture du Maréchal« im rechtsextremen »Aspect de la France« am 23. Juli 1951.188 Anders als die Kirchenvertreter führte der Autor vor allem Belege aus dem Kirchenrecht und nicht die Verdienste des Toten an, um den Anspruch zu untermauern. Damit verknüpfte er auch die Frage des Bestattungsortes und verwahrte sich gegen die einstigen Pläne der Regierung, den Leichnam im Inneren der Zitadelle zu bestatten. Vielmehr verlieh er der Erwartung Ausdruck, dass der für die Pfarrgemeinde der Insel Yeu zuständige Bischof von Luçon die notwenige Segnung des Ortes verweigern würde. Dies verdeutlicht, dass das rechte Lager nach wie vor bereit war, die katholische Kirche für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Die sehr direkten Forderungen nach einem christlichen Begräbnis für Pétain erwecken den Eindruck, als hätte es Zweifel gegeben, dass Pétain ein traditionelles christliches Begräbnis erhalten würde. Die Pläne der Regierungen seit 1949 lassen eine solche Absicht aber nicht erkennen. Einzig die Isolation der Grabstätte war erwogen worden, doch eine Messe für Pétain war stets Teil der Planungen gewesen. Außerdem befand sich Pétain zum Zeitpunkt seines Todes bereits nicht mehr in der Festung Pierre-Levée. Dass aber sowohl Vertreter der katholischen Kirche als auch ein der Action française nahestehender Autor derartige Appelle veröffentlichten, legt nahe, dass sie etwas von der medialen Aufmerksamkeit beim Tode Pétains auf sich ziehen und damit ihre eigenen Interessen vorantreiben wollten. Den französischen Bischöfen war es offenbar auch 186 So waren im Conseil national de la résistance sogar Listen über die Bischöfe angelegt worden, wobei Saliège als vertrauenswürdig, der Erzbischof von Bordeaux Feltin jedoch als Vichyist eingestuft worden waren. Die Erinnerungen des Historikers André Latreille, der bei der Erstellung der Listen mitgearbeitet hatte : ders.: De Gaulle, la Libération et l’Église catholique, [ND] Paris 2011, die Listen abgedruckt S. 43 f.; auch Atkins : Ralliés and résistants, S. 113 ; Cointet, Michèle : L’Église sous Vichy, 1940–1945. La repentance en question, Paris 1998, S. 353–356 ; Ravitch : The Catholic Church and the French Nation 1589–1989, S. 135. 187 Liénart hatte bereits im Prozess 1945 gefragt, ob »l’heure n’est-elle pas enfin venue de la réconciliation nationale«, in : »Lettre du cardinal Liénart«, S. 881. Auch Le Moigne, Les évêques français de Verdun à Vatican II, S. 220. 188 [Amicus] : »La sépulture du Maréchal«, in : Aspect de la France, 23. Juli 1951.
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ein persönliches Anliegen, doch drückten sie mit der Forderung nach einem christlichen Umgang mit den sterblichen Überresten des einstigen Marschalls von Frankreich vor allem ihren Geltungsanspruch aus. Die Institution Kirche verteidigte hier ihre Bedeutung für die französische Nation. Für die rechtsextreme Wochenzeitung ging es dagegen in der Sonderausgabe aus Anlass des Todes ihres Helden darum, die Erwartungen der Leserschaft zu erfüllen. Dazu gehörte, den unwürdigen Umgang mit Pétain durch die Regierung anzuprangern. Für den Verfasser des Artikels war die katholische Kirche, repräsentiert durch den Bischof von Luçon, ein wichtiger Verbündeter bei dem Vorhaben, den schmachvollen Handlungen der Regierung entgegenzutreten. Auf diese Unterstützung zu spekulieren, war keineswegs abwegig, hatte sich Kardinal Liénart doch als Mitglied des Comité d’honneur pour la Libération du Maréchal im April 1948 öffentlich für die Freilassung Pétains ausgesprochen.189 Leichenzug Die ersten Artikel über den Tod Pétains hatten für den Ablauf der Begräbnisfeier einen Leichenzug zur Kirche angekündigt, wo dann der Gemeindepfarrer Bailly, unterstützt durch Monseigneur Cazeaux, dem Bischof der örtlichen Diözese Luçon, den Gottesdienst abhalten würde.190 Da zeitgleich zu diesen Ankündigungen auch die Erklärung der Bischofskonferenz veröffentlicht wurde, überrascht es nicht, dass an dem Begräbnis am 25. Juli 1951 deutlich mehr Vertreter der überregionalen katholischen Kirche teilnahmen. Zu den anwesenden Nonnen und den Geistlichen der Insel gesellten sich gleich zwei Bischöfe, ein Generalvikar in Vertretung des Erzbischofs von Paris sowie der Generalsekretär des französischen Caritasverbands und oberster Gefangenenseelsorger.191 Dieser hatte bereits im Prozess gegen Pétain zu seinen Gunsten ausgesagt. Dabei hob der damalige Militärseelsorger 189 Das von Isorni und Lemaire gegründete Befreiungskomitee wurde vom Justizminister nach wenigen Tagen verboten, konnte aber dann einige wichtige Persönlichkeiten für sich gewinnen. Dazu Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 79–81. 190 [Jean-Jaque] : »La Mort du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 24. Juli 1951, S. 8 ; »Les obsèques«, in : Le Monde, 24. Juli 1951, S. 7 ; Floret, Robert : »Le maréchal Pétain est mort ce matin à 9 h. 22«, in : Paris-Presse, 24. Juli 1951, S. 1. 191 Chanut, Pierre : »A Port-Joinville, avec la Maréchal Pétain et le Général Weygand«, in : Aspects de la France, 27. Juli 1951, S. 2 ; [Jean-Jacques] : »Les obsèques du maréchal Pétain se sont déroulées hier matin à l’île d’Yeu dans le calme et le recueillement«, in : Le Figaro, 26. Juli 1951, S. 1/8, hier S. 8 ; Floret, Robert : »Le maréchal Pétain a été inhume ce matin. Le général Weygand conduisait le deuil avec Mme Pétain«, in : Paris-Presse, 26. Juli 1951, S. 1.
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die Unterstützung hervor, die er durch Pétain für die von ihm initiierte Kriegsgefangenenseelsorge erhalten habe, und betonte den Einsatz Pétains für die Freilassung französischer Soldaten aus deutscher Kriegsgefangenschaft.192 Die Anwesenheit von Abbé Rodhain und des Pariser Generalvikars Potevin kann dabei als Ausdruck der anhaltenden Verbundenheit des Klerus zum Militär und insbesondere zu Maréchal Pétain verstanden werden.193 Zum einen hatte Erzbischof Feltin, bevor er nach Paris berufen worden war, dem Erzbistum Bordeaux vorgestanden und dort die Révolution nationale Pétains unterstützt, und zum anderen waren die geistliche Betreuung der Kriegsgefangenen sowie die Militärseelsorge erst durch Pétains Unterstützung möglich geworden.194 Die Verbindungen zwischen Vichy-Regime und katholischer Kirche wurden des Weiteren dadurch deutlich, dass neben dem Bischof von Luçon mit dem Bischof von Angers, Henri-Alexandre Chappoulie, der ehemalige Beauftragte der ACA in Vichy an der Beisetzung teilnahm.195 So hatten die sich über die lokalen Geistlichen hinaus beteiligenden Kleriker zwar auch persönliche Bezüge zu dem Verstorbenen, dennoch erschienen sie in Yeu keinesfalls als Privatpersonen, sondern als Kirchenvertreter. Sie trugen ihren vollen Ornat und beteiligten sich aktiv an der Trauerfeier, anstatt dies dem Gemeindepriester zu überlassen und ihre persönliche Bewunderung für Pétain als Trauergäste im Publikum auszudrücken. Schließlich unterstanden beide Bischöfe dem Erzbischof von Rennes, der ebenfalls die Déclaration der Kardinäle zugunsten von Gottesdiensten für den Verstorbenen unterschrieben hatte. Um kurz nach elf Uhr verließ der Leichenzug, von einem Chorknaben mit Prozessionskreuz angeführt, das Trauerhaus für den nur 150 Meter langen Weg zur Kirche.196 Ihm folgten zunächst die beiden Bischöfe und Abbé Jean Ro192 »Déposition de M. l’Abbé Rodhain«, in : Garçon : Le procès du Maréchal Pétain, Bd. 2, S. 804–806. 193 Vereinzelt wurde der Namen auch Podevin geschrieben, hier wird aber der mehrheitlichen Schreibweise gefolgt. 194 Die Militärseelsorge wurde im Jahr 1941 durch die Vichy-Regierung erstmals institutionell anerkannt. Dazu Campenhausen, Axel, Freiherr von : Staat und Kirche in Frankreich, Göttingen 1992, S. 135, und Mabille, François : Les catholiques et la paix au temps de la guerre froide. Le mouvement catholique international pour la paix Pax Christi, Paris 2004, S. 50–52. 195 Marais, Jean-Luc : Art. »Chappoulie«, in : Dauzet, Dominique-Marie ; Le Moigne, Frédéric (Hg.) : Dictionnaire des évêques de France au XXe siècle, Paris 2010, S. 140–141 ; Halls, Wilfred Douglas : Politics, Society and Christianity in Vichy France Oxford 1995, S. 228. 196 Für die Uhrzeit [A. H.] : »Funérailles de Monsieur le Maréchal Pétain«, in : La voix de nos
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dhain, der Gefangenenseelsorger.197 Der in die Trikolore gehüllte Sarg wurde von Veteranen getragen.198 Während die Entscheidung dafür, dass der Verstorbene in seiner Uniform bestattet werden durfte, nur über Presseartikel bekannt gemacht wurde, war der in die Nationalflagge gehüllte Sarg öffentlich sichtbar. Die Verwendung der blau-weiß-roten Trikolore gab der Begräbniszeremonie einen offiziellen Charakter. Die Regierung hatte der Familie die Gestaltung der Bestattung erlaubt und so wurde das Staatssymbol offenbar mit ihrer Billigung verwendet,199 schließlich ist auf einer Abbildung in »Paris Match« zu sehen, wie ein Gendarm vor dem in die Nationalflagge gehüllten Sarg salutiert (Abb. 17).200 Wenn das Hoheitszeichen hier unbefugt genutzt worden wäre, hätte er sicher anders gehandelt. Vielmehr scheint es sich bei der Verwendung dieses so zentralen Nationalsymbols um ein weiteres Zugeständnis der Regierung zu handeln, auch wenn es dafür keinen schriftlichen Nachweis gibt.201 Mit der Trikolore wurde ein ehrendes Element, das in der militärischen und staatlichen Bestattungspraxis üblich war, in das Begräbnis für Pétain integriert. Eine weitere Ähnlichkeit zu militärischen Bestattungen wurde dadurch erreicht, dass der Sarg von ehemaligen Soldaten getragen wurde. Dabei handelte es sich um insgesamt acht Veteranen von Verdun und zwei ehemalige Kriegsgefangene des Westfeldzuges 1940. Diese schufen einen Bezug zu Pétains militärischer Karriere und zwar nicht nur zu seinem Erfolg 1916, sondern auch zu dem von ihm erwirkten Waffenstillstand 1940. Darüber hinaus trug einer der Veteranen das Képi Pétains und seine médaille militaire auf einem Kissen hinter dem Sarg clochers. Bulletin paroissial de l’île d’Yeu (Vendée), 15. August 1951, Nr. 39, o. S.; Williams : Pétain, S. 533. Die Nähe von Trauerhaus und Kirche betont Théolleyre, Jean-Marc : »Les avocats ont protesté contre le refus des autorités de transférer sa dépouille mortelle à Douaumont«, in : Le Monde, 25. Juli 1951, S. 3. 197 Foto von Daniel Filipacchi zur Reportage von Roy, Jean/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, in Paris Match, 4. August 1951, S. 8–12, hier S. 8 unten links. Aber auch beschrieben bei [A. H.] : »Funérailles de Monsieur le Maréchal Pétain«. 198 Chanut : »A Port-Joinville, avec le Maréchal Pétain et le Général Weygand«, S. 2 ; Russo, Alfio : »Sulla tomba del vegliardo eroe cordoglio sincero e riaccese polemiche. Cinquemila persone al funerale di Pétain, sepolto a Port Joinville, nell’isola di Yeu«, in : Corriere della Sera, 26. Juli 1951, S. 1. Auch Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 376 ; Williams : Pétain, S. 533. 199 Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 374. 200 Foto von Daniel Filipacchi zur Reportage »Les obsèques du Maréchal Pétain«, in : Paris Match, 4. August 1951, Nr. 124, S. 8–12, hier S. 8. 201 Für die Bedeutung der Trikolore für das kollektive Gedächtnis in Frankreich, Girardet, Raoul : Les trois couleurs, in : Nora, Pierre (Hg.) : Les Lieux de Mémoire. La République, Bd. 1, Paris 1984, S. 5-35.
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her.202 Beides waren militärische Symbole, die die Ehre eines Marschalls von Frankreich herausstellten und auf seinen Dienst für Frankreich verwiesen. Diese Symbole von nationalem Rang wurden durch regionale Elemente ergänzt. So bildeten die vier Mädchen, die in der Tracht der Vendée – schwarze Kleider mit weißen Spitzenhauben – beim Einzug in die Kirche vor dem Sarg gingen, die Rückbindung an die Kulturpolitik des Vichy-Regimes.203 In der Révolution nationale wurde Folklore und besonders das Tragen von Trachten wiederbelebt und gefördert.204 Bei offiziellen Feiern in der Freien Zone gehörten sie mit zu den Zeremonien und so ist auch ihre Integration in die Bestattung Pétains als ein Rückbezug zu den Inszenierungen des Vichy-Regimes zu interpretieren. Zum einen zeigen die anderen Aufnahmen, dass die Frauen der Insel keinesfalls mehr Tracht trugen und die Kleiderwahl der vier Frauen somit etwas Besonderes war und zum anderen war zwar die Teilnahme von jungen Frauen mit Blumen an Leichenzügen nichts Ungewöhnliches, doch waren diese meist weiß gekleidet. Hier wurde also ein übliches Element gerade von Staatsbegräbnissen mit dem Wertesystem von Vichy verbunden. Die Mädchen in Tracht waren sogar das einzige Motiv vom Tag der Bestattung, das in der Tageszeitung »Paris-Presse« publiziert wurde.205 Dass das Massenblatt sich ausgerechnet diese Aufnahme für die Titelseite aussuchte, unterstreicht die Besonderheit des folkloristischen Elements. Ob dabei die Zeitungsredaktion die Frauen in Tracht dem bei einem Begräbnis eines Marschalls zu erwartenden Militär entgegensetzen oder mit dem Motiv die reaktionäre Gestaltung der Bestattung veranschaulichen wollte, muss jedoch Spekulation bleiben. Dass es sich nicht um eine offizielle militärische Ehrenbestattung handelte, obwohl die Familie sich bemühte, militärische Elemente zu integrieren, wurde dadurch offensichtlich, dass kaum ein Teilnehmer am Leichenzug Uniform trug und keine militärischen Einheiten anwesend waren. Die Veteranen waren nur durch die Orden an ihren schwarzen Anzügen als solche zu erkennen und 202 Foto von Daniel Filipacchi in Roy/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 8 unten rechts und S. 9 ganzseitiges Bild. 203 Ebenda, Abbildung S. 9 und 10 unten. 204 Bspw. die Fotografien von Pétains Reise in die Provence 1941 bei Faure, Christian : Le projet culturel de Vichy. Folklore et révolution nationale, Lyon 1989, S. 74 f. Für die Bedeutung von Folklore in der Politik Pétains ebenfalls Faure : Le projet culturel de Vichy ; Corcy, Stéphanie : La vie culturelle sous l’Occupation, Paris 2005 ; Burrin : Vichy. Die Anti-Republik, S. 136–156. 205 BU : »Devant la maison mortuaire, des habitants de l’île d’Yeu, les femmes dans leur costume local récitent des prières«, in : Paris-Presse, 26. Juli 1951, S. 1.
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Abb. 17 : Abbildung vom Beginn des Leichenzugs, in : Paris Match, 4. August 1951.
die männlichen Verwandten trugen zivile Kleidung. Unter den Trauergästen waren nur vereinzelte Uniformen auszumachen. Gottesdienst Nach der Ankunft des Leichenzuges in der Pfarrkirche Notre Dame du Port wurde der Sarg mit der Trikolore aufgebahrt. Der Katafalk wurde ähnlich wie das Totenbett von Kerzenständern und Blumen umringt. Doch diesmal wurden Képi und Militärmedaille auf einem Schemel vor dem Sarg platziert.206 Anstelle einer Ehrenwache am Sarg standen vier Fahnenträger von Veteranenorganisationen mit ihren Flaggen im Querschiff. Das Innere der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Pfarrkirche war darüber hinaus mit schwarzem Stoff abgehangen und zusätzlich mit Trikoloren geschmückt.207 Die Trauerde206 Foto von Gordon Parks zu »The French Bury Pétain«, in : Life, 6. August 1951, S. 34 oben Mitte ; auch Foto von Daniel Filipacchi in Roy/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 10 oben. 207 Für diese und weitere Rekonstruktionen der Beerdigung : [Jean-Jacques] : »Les obsèques du maréchal Pétain se sont déroulées hier matin à l’île d’Yeu dans le calme et le recueillement«, in : Le Figaro, 26. Juli 1951, S. 1/8 ; Roy/Filipacchi : »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 8–12 ; Russo : »Sulla tomba del vegliardo eroe cordoglio sincero e riaccese polemiche«, S. 1
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koration wurde also auch hier durch das Nationalsymbol ergänzt. Die gesamte Symbolik drückte mit ihren Anleihen bei Militärbegräbnissen den Anspruch aus, hier einen Maréchal de France und keinen verurteilten Verräter zu bestatten. Vor dem Sarg saßen auf der einen Seite die Witwe und Nichten Pétains und auf der anderen Seite General Maxime Weygand, Vizeadmiral Jean Fernet und General Pierre Héring.208 Neben den dreien in Uniform traten die männlichen Familienmitglieder, wie der Stiefsohn Pierre de Hérain, in den Hintergrund. So stand die Familie nicht allein im Zentrum der Trauer, sondern teilte sich diese Position mit Vertretern der Armee, die enge Weggefährten und Mitarbeiter des Verstorbenen gewesen waren. Auf die Witwe Eugénie Pétain und General Weygand, der zusammen mit Pétain 1940 den Waffenstillstand befürwortet hatte, konzentrierte sich auch die Aufmerksamkeit der Fotografen, so sind aus dem Inneren der Kirche fast ausschließlich Aufnahmen mit ihnen darauf veröffentlicht worden.209 In der Trauergesellschaft befanden sich aber noch mehr ehemalige Weggefährten Pétains, darunter die Generäle Laure und Bergeret,210 der ehemalige Landwirtschaftsminister Pierre Caziot und die ehemaligen Staatssekretäre Henri Lémery, Jérôme Carcopino und Jean Jardel. Obwohl noch einige mehr anwesend waren, wird sich Pétains Verteidiger Isorni Jahre später darüber beklagen, dass sich so wenige der alten Weggefährten der Öffentlichkeit zeigten,211 was die Annahme nahelegt, dass sie sich durch nichts von der Masse der mit Abbildung ; Théolleyre, Jean-Marc : »Les obsèques du Marechal Pétain ont été célébrées ce matin à l’île d’Yeu«, in : Le Monde, 26. Juli 1951, S. 7 ; »Funeral Of Marshal Pétain Burial In Island Cemetery«, in : The Times, 26. Juli 1951, S. 5 ; »I funerali di Pétain«, in : La Stampa, 26. Juli 1951, S. 5 ; »I funerali di Pétain nell’isola di Yeu. L’ultimo maresciallo di Francia«, in : Il Popolo, 26. Juli 1951, S. 6 ; Isorni : Le condamné de la citadelle S. 378–380. 208 Die beiden Genannten waren Mitglieder der Vichy-Regierung gewesen. Fernet hatte als secrétaire général à la présidence du conseil in den Kabinetten von Laval 1940 und von Flandin fungiert. Weygand war zunächst 1940 Verteidigungsminister unter Laval und dann bis November 1941 Kommandeur der französischen Armee in Nordafrika gewesen. 209 Foto von Daniel Filipacchi in Roy/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 10 oben und Fotos von Gordon Parks zu »The French bury Pétain«, S. 34, oben links und rechts. Abbildung in L’Aurore, 26. Juli 1951, S. 1 Mitte, BU : »[D]ans la petite église Notre-Dame du Port, on reconnait Mme Pétain (à droite) et le général Weygand (à l’extrême gauche)«. 210 Théolleyre, Jean-Marc : »Les obsèques du Marechal Pétain ont été célébrées ce matin à l’île d’Yeu«, in : Le Monde, 26. Juli 1951. Auguste Laure war in allen vier Kabinetten als secrétaire général du chef de l’État tätig und Jean Bergeret war secrétaire d’État à l’Aviation unter Darlan gewesen. 211 Isorni : Le condamné de la Citadelle, S. 378.
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Trauergäste abhoben. Dagegen trugen einige der anwesenden Abgeordneten zum Ausweis ihrer politischen Stellung Schärpen in den Nationalfarben. Neben rechtspopulistischen Abgeordneten aus der Vendée war auch Isornis Parteikollege und ehemaliges Mitglied von Pétains Kabinett Paul Estèbe darunter.212 Insgesamt waren aber wenige Abgeordnete anwesend und viel bezeichnender ist, dass keine Vertreter der großen Parteien oder Minister der Nachkriegsregierungen an der Trauerfeier teilnahmen. Gerade die Abwesenheit von Regierungsvertretern verdeutlichte den Unterschied zu einem Staatsbegräbnis. Die Funktionsträger und Anhänger des Vichy-Regimes, auch Vichyisten genannt,213 blieben bei der Bestattung unter sich. So entdeckte der Korrespondent des »Corriere della Sera« unter den Trauernden die rechtsgerichteten Schriftsteller Alfred Fabre-Luce, der Jahre später in seinem Roman »Haute Cour« Präsident de Gaulle für im Amt begangene Verfehlungen vor einen fiktiven Gerichtshof stellen wird, und Paul Morand, der unter dem Vichy-Regime unter anderem für Filmzensur zuständig gewesen war.214 Anders als zunächst angekündigt, leitete nicht der Gemeindepfarrer die Totenmesse, sondern der ehemalige Beichtvater des Inhaftierten, der Generalvikar von Paris, Potevin.215 Er vertrat den Erzbischof von Paris. Damit zelebrierte der Stellvertreter des Mannes das Requiem für Pétain, der bei einem Staatsbegräbnis in der Hauptstadt die Messe für den ehemaligen Staatschef gehalten hätte. Seine Anwesenheit war keine liturgische Notwendigkeit, sondern Ausdruck der Verehrung, die der Erzbischof von Paris Pétain entgegenbrachte. So hatte Erzbischof Feltin, der seit 1949 auch Militärbischof war und damit im laizisti212 Ebenda ; Théolleyre : »Les obsèques du Marechal Pétain ont été célébrées ce matin à l’île d’Yeu«. Zur politischen Karriere Cotillon, Jérôme : Les entourages de Philippe Pétain, chef de l’Etat français, 1940–1942, in : Histoire@Politique. Politique, culture, société, no 8, mai-août 2009 ; dazu auch Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 56. 213 Dazu Hellman, John : Wounding Memories. Mitterrand, Moulin, Touvier, and the Divine Half-Lie of Resistance, in : French Historical Studies 19 (1995), S. 461–486, hier S. 466. Die Bezeichnung entspricht dem französischen »vichyste« und wird häufig synonym mit der Bezeichnung »pétainiste« verwendet. In dieser Untersuchung wird der von Henry Rousso vorgenommenen Unterscheidung zwischen »Pétainismus«, als der nachdrücklichen und dauerhaften Zustimmung zur Person Pétains und dem »Vichyismus«, als auf seine Regierung beschränkte Zustimmung, gefolgt. Rousso, Henry : Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1944, München 2009, S. 120–121. 214 Russo : »Sulla tomba del vegliardo eroe cordoglio sincero e riaccese polemiche«, S. 1. 215 Zu seiner Funktion als Beichtvater für den inhaftierten Pétain : Aron, Philippe : Histoire de l’Épuration. Des prisons clandestines aux tribunaux d’exception (septembre 1944–juin 1949), Paris 1969, S. 510–511 ; Simon : Pétain, mon prisonnier, S. 61 f. und 128.
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schen Staats eine »halb offizielle Stellung« innehatte,216 bereits mit seiner Forderung nach Haftentlassung Pétains aus Anlass eines Gedenkgottesdienstes am 35. Jahrestag des Schlachtbeginns von Verdun für Protest von Seiten ehemaliger Résistance-Mitglieder gesorgt.217 Dass er nun einen seiner engsten Mitarbeiter die Totenmesse für Pétain halten ließ, unterstreicht einerseits seine Treue zu Pétain und andererseits, dass er sich aus Sorge vor Protesten nicht traute, diese letzte Ehre persönlich zu entrichten. An einem ehemaligen Beichtvater des Verstorbenen störte sich hingegen niemand. Der für die Region zuständige Bischof Cazaux hielt die Ansprache, in der er darauf einging, wie sehr der Verstorbene die Meinung der französischen Öffentlichkeit spalte und betonte, dass Gott über Pétain urteilen werde. Als ehemaliger Soldat unter Pétain und Leiter der Diözese, in der dieser gestorben sei, hielt der Bischof es für seine Pflicht, daran zu erinnern, weshalb für den Verstorbenen gebetet werden solle. Er führte aus, dass über die Okkupation nicht die Leistungen Pétains vergessen werden dürften. Pétain habe sowohl im Ersten Weltkrieg als auch 1940 große Verdienste um die Nation errungen und sicherlich immer im Interesse Frankreichs zu handeln geglaubt. Deshalb rief Cazaux dazu auf, für Pétain zu beten, »[…] pour que Dieu pardonne les péchés et couronne les mérites de cette longue, glorieuse et tragique existence«218 ([…] möge Gott die Sünden vergeben und die Verdienste dieses langen, ruhmreichen und tragischen Lebens auszeichnen). Der wiederkehrende Verweis auf das Urteil Gottes ist hier nicht nur religiöse Formel, sondern auch politische Mahnung im Konflikt um die Rolle Pétains. Auch dieser Bischof versucht im Meinungsstreit um den Nationalhelden von 1916 und dem Staatsverräter nach 1940 zu vermitteln. Wie die Vertreter der ACA argumentiert auch er mit seiner eigenen Erfahrung als Soldat und vermischt so das christliche Ideal der Sündenvergebung mit militärischer Loyalität. Am Ende des Gottesdienstes sprach Potevin die Absolution und die Trauernden begaben sich in einer erneuten Prozession zum Friedhof. Da der Friedhof deutlich weiter von der Kirche entfernt lag als das Sterbehaus, wurde diese Überführung zum eigentlichen Leichenzug für Pétain. Die Führung übernahm der Bischof von Angers, nachdem der Bischof von Luçon die Ansprache im 216 Campenhausen : Staat und Kirche in Frankreich, S. 138. 217 Le Moigne, Frédéric : »1944–1951. Les deux corps de Notre-Dame de Paris«, in : Vingtième Siècle. Revue d’histoire 78 (2003), S. 75–88, hier S. 81–83. 218 Die »Allocution de Monseigner Cazaux« ist vollständig abgedruckt in [A. H.] : »Funérailles de Monsieur le Maréchal Pétain«, in : La voix de nos clochers. Bulletin paroissial de l’île d’Yeu (Vendée), 15. August 1951, o. S.
Beisetzung | Abb. 18 : Abbildung des Leichenzugs, in : Isorni, Souffrance et mort du maréchal Pétain.
Gottesdienst gehalten hatte. Die Geistlichen bildeten in ihren liturgischen Gewändern einen starken Gegensatz zu den Touristen, die als Schaulustige den Weg säumten (Abb. 18).219 Bischof Chappoulie trug Mitra und Chormantel sowie einen Krummstab und wurde von Cazaux und Potevin, die beide Birett und Mozetta trugen, flankiert. Damit waren sie deutlich feierlicher gekleidet als bei dem Gang vom Sterbehaus in die Kirche und trugen zusätzlich zu der festlichen Gestaltung des Begräbnisses bei. Ihnen folgten Veteranen mit Blumengebinden, dann der in die Flagge gehüllte Sarg. Hinter ihm her wurden wieder sein Képi und die Militärmedaille getragen. Darauf folgten die vier jungen Frauen in Tracht. Jede von ihnen hielt mit Trikolore-Bändern geschmückte Blumensträuße in den Armen.220 Am Rand neben den Veteranen und Sargträgern gingen die Nonnen des örtlichen Klosters, die den Verstorbenen gepflegt 219 Die Abbildung »Le cortège funèbre du maréchal Pétain vient de quitter l’église pour le cimetière« (Associated Press) in Isorni : Souffrance et mort du maréchal Pétain, zw. S. 238 und 239. 220 Dazu die Fotografie von Gordon Parks : »Henri P. Pétain, Death«, Getty Images 50527511, in : Collection Time & Life Pictures. Die weißen Hauben der jungen Frauen sind in der Bildmitte zu erkennen.
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hatten.221 Erst dann folgte die Familie, wobei die Witwe diesmal nicht zu Fuß mitging. Wie in der Kirche erhielten General Weygand, General Héring und Vizeadmiral Fernet die Plätze, die der Familie am nächsten waren. Daran schlossen sich die beiden Anwälte Isorni und Lemaire an, gefolgt von den Abgeordneten, den ehemaligen Ministern und der übrigen Trauergemeinde. Zumindest auf den Fotos von der Prozession sind keinerlei Sicherheitskräfte am Wegesrand zu erkennen. Die ordnende Funktion scheinen in diesem Zug die Nonnen eingenommen zu haben. Es wirkt, als habe sich die Regierung trotz aller Zugeständnisse soweit wie möglich von der direkten Mitwirkung an der Bestattung distanzieren wollen, so dass die Gendarmen, die zur Wahrung der Sicherheit auf die Insel gebracht worden waren, nicht als Ordnungskräfte in Erscheinung treten durften. Den Friedhof der Insel erreichte die Prozession gegen ein Uhr mittags. Grabstätte Pétains sterbliche Überreste zunächst auf der Atlantikinsel beizusetzen, auf der er auch inhaftiert gewesen war, hatte schon die erste Regierung Queuille im Jahr 1949 erwogen. Die Entscheidung, ihn nun auf dem dortigen Friedhof zu beerdigen, erfolgte hingegen, weil sich die scheidende Regierung Queuille nicht mehr als legitimiert ansah, über die Forderung der Familie nach einer Überführung auf den Soldatenfriedhof von Douaumont zu entscheiden.222 Pétain hatte mehrfach erklärt, nach seinem Tod bei den Gefallenen von Verdun ruhen zu wollen – auf dem Schlachtfeld, das seinen Ruhm und Aufstieg zum Nationalhelden begründet hatte. Zusammen mit dem damaligen französischen Präsidenten, Gaston Doumergue, hatte er 1920 den Grundstein für ein Monument gelegt, das als Ruhestätte für die in der Schlacht um Verdun Gefallenen dienen sollte.223 In den folgenden Jahren entstand dort ein großer Soldatenfriedhof für die deutschen und französischen Opfer der Schlacht. Im Zentrum der Anlage steht der Ossuaire de Douaumont. Dieses Beinhaus wurde 221 Am deutlichsten sind diese auf den Aufnahmen von Gorden Parks zu erkennen, Getty Images 50527510 und 50527511, in : Collection Time & Life Pictures. 222 [Jean-Jaque] : »La Mort du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 24. Juli 1951, S. 8 ; »Les obsèques«, in : Le Monde, 24. Juli 1951, S. 7 ; »C’est dans cette villa de Port-Joinville«, in : France Illustration, 28. Juli 1951, S. 73 ; »Marshal Pétain. Death In The Île d’Yeu«, in : The Times, 24. Juli 1951, S. 4. 223 Dazu Gräßler, Martin J.: Fort Douaumont. Verduns Festung, Deutschlands Mythos, München 2009, S. 116.
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auf private Initiative gebaut, ist aber seit der Einweihung im Jahr 1932, bei der Pétain ebenfalls anwesend war, zu einer nationalen Erinnerungsstätte geworden.224 Nach Pétains Tod versuchten sein Anwalt und seine Witwe dem Wunsch des Verstorbenen zu entsprechen und von der Regierung die Erlaubnis zu erwirken, Pétain in Douaumont beisetzen zu dürfen.225 Diese Zustimmung erhielten sie jedoch nicht, obwohl sie unter anderem Fürsprache vom Veteranenverein »Ceux de Verdun« erhalten hatten.226 In »Le Figaro« erklärte der Präsident der Anwaltskammer, Marcel Poignard, hingegen, dass der letzte Wille für die Familie eine moralische Verpflichtung, aber kein gesetzlicher Auftrag sei und die Behörden durch das Testament nicht an die Beerdigung in Verdun gebunden seien.227 Die französische Regierung verwies darauf, dass ihre Amtszeit bereits vorbei sei und für eine derartige Entscheidung die Bildung einer neuen Regierung abgewartet werden müsse. In Frankreich wurde den Marschällen und obersten Generälen traditionell eine besondere Begräbniszeremonie zugestanden.228 Erfolgreiche Feldherren wurden seit Napoleons Herrschaft mit Staatsbegräbnissen geehrt und konnten Gräber im Invalidendom erhalten.229 Diese Tradition setzten die Regierungen auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. So erhielten die Generäle Leclerc de Hautecloque und Giraud beide eine Bestattung im Hôtel des Invalides. Auch General de Lattre de Tassigny erhielt ein Begräbnis auf Kosten des Staates, allerdings wurde er in seinem Geburtsort bestattet. Die Bestattungskosten übernahm die Vierte Republik auch für die beiden ehemaligen Präsidenten Albert Lebrun und Léon Blum, die im Jahr 1950 verstorben waren. Dafür bedurfte 224 Wie die Schlacht um Verdun zum Kristallisationspunkt der nationalen Erinnerung in Frankreich wurde und welche Rollen dabei Pétain und dem Beinhaus zukommen, erklärt zusammenfassend Prost : Verdun, S. 253–278. Zeitgenössische Schilderungen in »Le Figaro« vom 8. August 1932. 225 Théolleyre, Jean-Marc : »Le maréchal Pétain est mort ce matin«, in : Le Monde, 24. Juli 1951, S. 1 ; ders.: »Les avocats ont protesté contre le refus des autorités de transférer sa dépouille mortelle à Douaumont«, S. 3 ; »Pétain est mort hier matin«, in : L’Humanité, 24. Juli 1951, S. 1/4. 226 »Les condoléances de ›Ceux de Verdun‹ à Mme Pétain«, in : Le Monde, 25. Juli 1951, S. 3. 227 »Le testament du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 24. Juli 1951, S. 8. 228 Alfred Nettement : Art. »Funérailles«, in : Grand dictionnaire universel du XIXe siècle, hg. v. Pierre Larousse, Bd. 8, Paris 1872, S. 878–881, hier S. 879. 229 Lindsay, Suzanne Glover : Mummies and Tombs. Turenne, Napoleon, and Death Ritual, in : The Art Bulletin 82 (2000), S. 476–502 ; Kümmel, Verena : Bestattungszeremonien in der politischen Kultur der Julimonarchie, in : Francia 41 (2014), S. 177–199. Einen Überblick über die französischen Staatsbegräbnisse bietet Ben-Amos : Funerals, Politics, and Memory in Modern France.
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es jedoch jeweils eines durch das Parlament verabschiedeten und vom Präsidenten bestätigten Gesetzes.230 Genau dieser Gesetzgebungsprozess war nun jedoch gestört, da sich aus der neu zusammengesetzten Nationalversammlung noch keine neue Regierung gebildet hatte. Allerdings betraf diese Regelung nur Ehrenbegräbnisse, daher ist anzunehmen, dass für die scheidenden Minister um Queuille eine Translation in die nationale Erinnerungsstätte einem Staatsakt für Pétain gleichkam und sie daher die Entscheidung dem Parlament überlassen wollten. Außerdem war ausgerechnet der amtierende Justizminister René Mayer vom Staatspräsidenten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden und sollte sich am 24. Juli einer Abstimmung in der Nationalversammlung stellen.231 Er war aber auch der Einzige, der durchgängig an den Vorbereitungen zum Umgang mit den sterblichen Überresten Pétains beteiligt gewesen war. Es liegt die Annahme nahe, dass er seine Kandidatur nicht mit einer derartigen Entscheidung in Verbindung bringen wollte. Gemäß der französischen Bestattungspraxis konnten Staatsbegräbnis oder Überführung auch nachträglich angeordnet werden, wie das wohl berühmteste Beispiel des retour de cendres Napoleons 1840 zeigt. So wurde auch das Begräbnis von Pétain auf der Île d’Yeu in einigen Berichten als vorläufig bezeichnet,232 genau wie die Planungen der Regierung von 1949 eine provisorische Bestat230 Loi no 47-2292 du 6 décembre 1947 portant que le général d’armée Leclerc de Hautecloque qui a bien mérité de la patrie sera inhumé à l’Hôtel national des Invalides, in : Journal officiel de la République française (JO), 7. Dezember 1947, S. 11950 ; Loi no 47-2293 du 6 décembre 1947 portant de crédits pour les funérailles nationales du général Leclerc de Hautecloque, in : ebenda ; Loi no 49-338 du 14 mars 1949 portant que le général d’armée Giraud (Henri-Honoré), qui a commandé en chef devant l’ennemi, sera inhumé dans l’Hôtel national des Invalides et portant ouvert de crédits pour ses funérailles nationales, in : JO, 15. März 1949, S. 2643–2644 ; Loi no 50-1616 du 31 décembre 1950 portant ouvert de crédit pour les obsèques d M. Albert Lebrun, ancien Président de le République français, in : JO, 1. Januar 1951, S. 7 ; Loi no 51-13 du 4 janvier 1951 portant ouvert de crédit pour les obsèques de M. Léon Blum, ancien président du conseil, in : JO, 5. Januar 1951, S. 228 ; Loi no 52-53 du 15 janvier 1952 portant ouvert de crédit pour les funérailles nationales du général de Lattre de Tassigny, in : JO, 16. Januar 1952, S. 659. 231 Griot, Jean : »M. René Mayer sollicitera demain l’investiture de l’Assemblée«, in : Le Figaro, 23. Juli 1951, S. 1/8. Garrett, Pierre-Frédéric : Mayer (René), in : Yvert, Benoît (Hg.) : Premiers ministres et présidents du Conseil. Histoire et dictionnaire raisonné des chefs du gouvernement en France (1815–2007), Paris 2007, S. 628–631. 232 So bspw. [Jean-Jaque] : »La Mort du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 24. Juli 1951, S. 8, aber auch im Gemeindebrief der Insel [A. H.] : »Funérailles de Monsieur le Maréchal Pétain«, in : La voix de nos clochers. Bulletin paroissial de l’île d’Yeu (Vendée), 15. August 1951, Nr. 39, o. S.
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tung vorgesehen hatten.233 Besonders bemerkenswert ist weniger die aufschiebende Haltung Queuilles, sondern dass in der Debatte um eine Beisetzung in Douaumont nicht darauf eingegangen wurde, dass es sich um einen Soldatenfriedhof für im Kampf gefallene Soldaten handelte und dass der Verstorbene diese Voraussetzung nicht erfüllte.234 Pétain war im hohen Alter an natürlichen Ursachen gestorben und darüber hinaus zu nationaler Unwürdigkeit verurteilt worden. Die Anfrage der Witwe hätte also umgehend mit dem Hinweis auf den mangelnden rechtlichen Anspruch abgelehnt werden können. Doch es wurde weder angesprochen, dass Pétain eigentlich nicht auf den Friedhof in Douaumont gehörte, noch, dass eine Translation in die nationale Erinnerungsstätte einer Rehabilitierung vom Urteil der nationalen Unwürdigkeit gleichgekommen wäre. Dass die scheidende Regierung stattdessen den Eindruck erweckte, die Überführung sei irgendwann möglich, legt die Interpretation nahe, dass sie in ihrer Übergangsposition keinerlei unwiderrufliche Entscheidung treffen wollten, weder wollten sie einen Konflikt mit den Anhängern Pétains noch mit dessen Gegnern eingehen. Gleichzeitig nutzten die Minister diese Situation nicht, um Mehrheiten für die Bildung einer neuen Regierung zu gewinnen. Beisetzung Für die Beisetzung von Pétain bildete die Trauergesellschaft einen großen Kreis um das offene Grab. Der Sarg wurde zunächst auf eine Bahre daneben gestellt. Der Bischof von Angers sprach umgeben von einer Vielzahl von Klerikern die Gebete, bevor der Sarg in das Grab gesenkt wurde. Die Flagge wie auch die Attribute des Marschalls wurden jedoch nicht mit bestattet. Als Erstes trat die Witwe an das Grab, bevor General Weygand zum Abschied ein Miniaturkreuz auf den Sarg warf. Dreimalige »Vive la France«- und »Vive le maréchal«-Rufe sollen die Zeremonie abgeschlossen haben.235 In der Menge um das Grab waren zahlreiche Fahnen der Veteranenverbände des Ersten Weltkrieges zu sehen, so zum Beispiel eine Trikolore mit der Aufschrift : »Prisonniers de guerre de Vendée« nah am Grab, die während der Beisetzung gesenkt waren. Die Veteranenverbände, darunter auch die »Nationale Union der Kämpfer« (Union Nationale des Combattants), spielten bei dem Begräbnis eine zentrale Rolle und trugen maßgeblich zu dem militärischen Cha233 Isorni : Le condamné de la Citadelle, S. 303, 307–310. 234 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 74 ; Rugg : Defining the Place of Burial, S. 270 f. 235 Théolleyre : »Les obsèques du Marechal Pétain ont été célèbre ce matin à l’île d’Yeu«.
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rakter der Veranstaltung bei. Dennoch beschränkte sich die Symbolik auf die Flagge auf dem Sarg, Képi und Militärmedaille, die Fahnen und Abzeichen der Veteranen und die einfachen Elemente der Trauerdekoration. Anstelle von Uniformen erhielt die lokale Tracht eine besondere Position in der Inszenierung. Das Bodenständige der Tracht wurde bei den vier jungen Frauen, die diese trugen, durch die Blumengebinde in ihren Armen verstärkt. Sie repräsentierten ein sehr traditionelles Element in der Bestattung und die reaktionäre Haltung der Vichyisten. Die beiden Anwälte Pétains traten bei der Beisetzung nicht weiter in Erscheinung, begründet möglicherwiese dadurch, dass sie zu sehr mit dem wegen Hochverrat verurteilten Pétain assoziiert wurden. Eine Erinnerung, die nicht verstärkt werden sollte. Vielmehr wurde auch bei der anschließenden Grabgestaltung darauf geachtet, hier einen Marschall von Frankreich zu ehren. Die Grabplatte trägt daher die Inschrift : »Philippe Pétain. Maréchal de France«. Das Grab ist ansonsten schlicht gestaltet und schließt mit einem einfachen weißen Kreuz ab.236 Insgesamt wirkt die Bestattung auf der Insel wie ein Kompromiss, in dem der Familie zwar gestattet wurde, das Andenken des Verstorbenen zu ehren, doch darüber hinaus keinerlei Anerkennung von Seiten des Staates erfolgte. Offenbar war es der Staat, der für das Grabmal Pétains gesorgt hatte. Jedenfalls wurde der Sarg bereits in den weißen Sockel herabgesenkt, der später mit der Platte verschlossen wurde.237 Diese Ambivalenz visualisierte das Magazin »Life« in seiner Berichterstattung eindrücklich. Während die französische Illustrierte »Paris Match« die Ereignisse nachzeichnete,238 wählten die Redakteure der amerikanischen Zeitschrift aus den zahlreichen Fotografien von Gordon Parks nur vier Stück aus.239 Im oberen 236 Bourget : Der Marschall, S. 333, stellt den Bezug zu den Kreuzen von Verdun her, diese haben aber Namenstafeln und erscheinen anders proportioniert. 237 Die Frage, wer das Grabmal finanziert und in Auftrag gegeben hatte, konnte nicht abschließend geklärt werden, aber eindeutig war es in Erwartung der Beisetzung bereits angelegt worden, denn Aufnahmen zeigen, wie der Sarg in den bereits stehenden Sockel gesenkt wurde. La Croix, 27. Juli 1951, S. 1 unten links, BU : »Les anciens combattants s’apprêtent à descendre le cercueil dans le caveau. Une simple dalle de béton, sans aucune inscription, le recouvra. Comme les autres monuments du cimetière, le caveau où repose le maréchal a été peint à la chaux«. 238 Die Bildreportage von Jean Roy und Daniel Filipacchi : »Les obsèques du Maréchal Pétain«, in : Paris Match, 4. August 1951, S. 8–12, nahm deutlich mehr Seiten ein, ohne eine bestimmte Aussage zu transportieren. 239 Links : His Chief of staff during German invasion, General Maxime Weygand, meditates at funeral. Mittig : His cap and Médaille Militaire lie on black cloth cushion at the foot of his
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Viertel der Seite ordneten sie drei Bilder wie ein Triptychon nebeneinander an. Dann folgte ein knapper Text und auf der unteren Seitenhälfte ist nur ein einziges Bild wiedergegeben. Schon dieses Spiel mit den Bildformaten schaffte eine Spannung, die die Motive noch stärker wirken ließ. In der oberen Bildreihe waren ein Bild von General Weygand mit gefalteten Händen, eine Nahaufnahme von dem auf einem Hocker vor dem Sarg drapierten Képi und der Militärmedaille sowie ein Bild von Eugénie Pétain in Unteransicht abgebildet. Die Abbildungen waren recht düster, so dass sie in Verbindung mit den eher statischen Bildinhalten sehr feierlich wirkten. Auf diese Weise entstand ein Kontrast zum unteren Bild. Dieses war nicht nur deutlich größer und hatte einen größeren Bildausschnitt, es war auch heller und zeigte, wie auf dem Friedhof auf die Ankunft der Prozession gewartet wurde. Die Frauen, die teils auf Grabplatten saßen, wirken fast gelangweilt, keine ist festlich gekleidet, nur eine bindet sich schnell ein Kopftuch um. Auf dieser Aufnahme ist nichts von der Verehrung für einen Nationalhelden, so wie sie die Bestattung beschwor, zu erkennen. Der Artikel versinnbildlicht mit Hilfe des Layouts den Anspruch nach Würde und nationaler Ehre, den die Familie einerseits versuchte zu erfüllen, und die zwar interessierte, aber keinesfalls ehrfürchtige Haltung der Öffentlichkeit, ohne dies explizit zu formulieren. Diese Art, Stimmungen wiederzugeben, stellte eine Stärke des Fotoessays dar und war eine Spezialität von »Life«.240 Im Gegensatz dazu bietet »Paris Match« eine Ereigniskette, die dem Zeitungspublikum das Gefühl der Zeugenschaft vermittelt, da die einzelnen Sequenzen des Ereignisses genau abgehandelt werden (Abb. 19 und 20). Es gibt eine Abbildung des Totenscheins, Abbildungen des Leichenzugs, aus der Kirche und von der Beisetzung. Da der Fotograf Daniel Filipacchi kein Foto der Aufbahrung im Totenbett machen durfte, wird eine Abbildung davon publiziert, wie Nonnen Kerzenständer für die Aufbahrung in das Sterbehaus bringen,241 so dass alle Bestandteile der Begräbniszeremonie dokumentiert wurden. flag-draped oaken coffin. Rechts : His Widow, aged and crippled, grieves dry-eyed during final services in the church at Port Joinville. Unten : Women sat somberly or stood on graves to get better view of cortege in sun-splashed, crowded cemetery where Pétain was entombed. Für die Auswahl, aus der die Redaktion wählen konnte, Getty, Time & Life Collection Bildnummern 50527509 bis 50527517 und »Gravediggers Pétains Funeral«, in : The Gordon Parks Foundation. Ausgewählt wurden die Bilder 50527512–15. 240 Das Beispiel der Bestattung Pétains deckt sich mit der allgemeinen Feststellung von Ritchin, Fred : »Zeitzeugen. Das Engagement des Fotojournalisten«, in : Frizot, Michel (Hg.) : Neue Geschichte der Fotografie, Köln 1998, S. 590–612, hier S. 602. 241 Foto von Daniel Filipacchi in Roy/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 8 oben rechts.
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Die Bildstrecke, die selbstverständlich auch durch die Redaktion choreografiert wurde, vermittelt so vielmehr den Eindruck einer Nacherzählung, während der Fotoessay zunächst so wirkt, als seien einfach Schnappschüsse zusammengefasst worden. Doch beide Formen der Bildberichterstattung lenken die Aufmerksamkeit auf bestimmte Elemente der Inszenierung und die Bestattung wurde durch die Zusammenstellung der Einzelbilder und deren Bildunterschriften bereits analysiert. Dies zeigt, dass die Abbildungen in den Illustrierten keinesfalls banal waren, wie Jean-Yves Le Naour in seiner Darstellung des Diebstahls von Pétains Leichnam meint.242 »Life« und »Paris Match« waren Anfang der 50er Jahre führend auf dem Gebiet des Fotojournalismus.243 Die anderen zeitgenössischen Illustrierten verzichteten fast vollständig darauf, ihrer Berichterstattung über den Tod und das Begräbnis des ehemaligen Staatschefs Aufnahmen der Ereignisse vom 25. Juli 1951 beizufügen. Sie veröffentlichten zwar Artikel, aber druckten höchstens ein Bild des Sterbehauses ab, so wie »France Illustration«.244 Die gaullistische Zeitung »Paris Presse« schaffte es hingegen, durch ihre tägliche Erscheinungsweise auch eine Art Bildgeschichte zu erzählen, so veröffentlichte sie zunächst das angeblich letzte Bild Pétains mit der Todesmeldung, am nächsten Tag dann Bilder von den Nonnen, wie sie das Sterbehaus betraten, vom Pfarrer der Insel und vom Friedhof, auf dem die Beisetzung erfolgen sollte, und vom Tag der Bestattung schließlich die Aufnahme der trauernden Mädchen.245 Die Tageszeitung hatte es selbstverständlich einfacher, die Chronologie der Ereignisse darzustellen, doch auch sie verwendete Bilder nicht als pure Nacherzählung, sondern als Verweise, wie das Beispiel der Bilder des Pfarrers und des Friedhofs zu dem Artikel über die Vorbereitungen der Bestattung verdeutlicht. Totengedenken Es war wieder eine Aufnahme aus »Paris Match«, die die andere Zeremonie zu Ehren Pétains im Bild festhielt (Abb. 21).246 Denn neben dem Begräbnis auf der Île d’Yeu wurde dem Verstorbenen auch an weiteren Orten Anerken242 Vgl. Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 71. 243 Dewitz ; Lebeck (Hg.) : Kiosk, S. 250–252. 244 »C’est dans cette villa de Port-Joinville«, S. 73. 245 BU : »Ci-dessus : deux sœurs pénètrent dans la maison mortuaire où elles veillèrent le maréchal. Ci-contre : le curé de l’île. En bas : le petit cimetière où reposera le vieillard«, in : Paris-Presse, 25. Juli 1951, S. 1. 246 Foto von Daniel Filipacchi in Roy/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 12 oben.
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Abb. 19 : Erste Doppelseite des Fotoessays zum Begräbnis Pétains, in : Paris Match, 4. August 1951, S. 8–9.
Abb. 20 : Zweite Doppelseite des Fotoessays zum Begräbnis Pétains, in : Paris Match, 4. August 1951, S. 10–11.
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| Tod und Bestattung Abb. 21 : Letzte Seite des Fotoessays zum Begräbnis Pétains mit den Veranstaltungen in Paris, in : Paris Match, 4. August 1951, S. 12.
nung gezollt. So wurden unter anderem zeitgleich zu dem Totengottesdienst in Port-Joinville auch Messen für ihn in anderen Städten gefeiert : darunter gleich in zwei Pariser Kirchen, in Lyon, Lille, Guérande und auf Madagaskar. Außerdem wurden auch an darauf folgenden Tagen Gedenkgottesdienste abgehalten.247 Doch die neben dem Begräbnis auf der Gefängnisinsel eindrucksvollste Respektbezeugung erfolgte am Grab des Unbekannten Soldaten in Paris. Dorthin strömten seit dem Bekanntwerden von Pétains Tod Menschen, um Blumen niederzulegen.248 Denn auch dieser Ort war eng mit der Erinnerung an Verdun verbunden. Unter dem Triumphbogen waren am 11. November 1920 stellvertretend für Tausende von Gefallenen des Ersten Weltkrieges die sterblichen Überreste eines anonym in der Schlacht um Verdun gefallenen Soldaten beigesetzt worden. Außerdem war der Arc de Triomphe seit der Trans247 [Jean-Jaque] : »Les obsèques du maréchal Pétain se sont déroulées hier matin à l’île d’Yeu dans le calme et le recueillement«, S. 1 ; Chanut : »A Port-Joinville, avec la Maréchal Pétain et le Général Weygand«, S. 2 ; »Deux messes sont dites à Paris et des fleurs déposées à l’Arc de triomphe«, in : Le Monde, 26. Juli 1951, S. 7. 248 Buren, Philippe : »L’unité française sous l’Arc de Triomphe«, in : Aspects de la France, 30. Juli 1951, S. 3 ; Roy/Filipacchi : »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 12 mit Abbildung ; »Les obsèques de Pétain ont donné lieu à d’indécentes manifestations antinationales couvertes par le gouvernement«, in : L’Humanité, 26. Juli 1951, S. 4 mit Abbildung ; »I funerali di Pétain«, S. 5.
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lation Napoleons beliebte Station bei Staatsbegräbnissen. So war dort nicht nur Victor Hugo aufgebahrt worden, sondern nur wenige Jahre zuvor General Leclerc und General Giraud, bevor sie im Invalidendom beigesetzt wurden.249 Auch an anderen nationalen Gedenktagen, wie der Feier zum Kriegsende am 8. Mai 1945, stand die Étoile im Zentrum der Feierlichkeiten. Dass sich die Anhänger Pétains an genau diesem Ort zum Gedenken an den Marschall und einstigen Staatschef versammelten, war also auch Ausdruck dessen, dass sie Pétain in der Tradition von Präsidenten, militärischen Befehlshabern und großen Bürgern sahen. Da die Regierung ihm diese Ehrung jedoch nicht zukommen ließ, organisierten sie am Abend des Begräbnisses eine eigene kleine Zeremonie, bei der am Grab für den Unbekannten Soldaten ein 20 Meter langes Kreuz aus Blumen gebildet wurde.250 Während über die Begräbniszeremonie zwar berichtet wurde, löste sie kaum emotionale Reaktionen aus, die Inszenierung auf der Étoile hingegen wurde zahlreich kommentiert. Denn neben der Niederlegung von Blumen wurden dort der Hitlergruß gezeigt und die Nationalhymne gesungen.251 Für den Staatspräsidenten Vincent Auriol stellte die Versammlung unter dem Triumphbogen eine Attacke auf den Geist der Résistance und die eigene Vergangenheit dar.252 Zudem beklagte er sich auch über das Verhalten der französischen Bischöfe sowie die hohe Beteiligung von Vichy-Vertretern an der Bestattung. 249 Beide Generäle wurden für ihre besonderen Verdienste bei der Befreiung Frankreichs geehrt. Für die Beschreibung der Aufbahrungen »Le corps du général Leclerc arrive ce soir à Paris«, in : Le Monde, 8. Dezember 1947 ; »Le corps du général Giraud sera déposé cet après-midi sous l’Arc de triomphe Les cloches de Paris sonneront le glas entre 18 h. 30 et 19 heures«, in : Le Monde, 17. März 1949. Für Hugo Ben-Amos, Avner : Les funérailles de Victor Hugo, in : Nora, Pierre (Hg.) : Les Lieux de mémoire, Bd. 1, Paris 1984, S. 473–521. 250 Die Fotografie des Kreuzes durch Daniel Filipacchi wurde nicht nur als Roy/ders.: »Les obsèques du Maréchal Pétain«, S. 12, abgedruckt, sondern auch auf der Titelseite der Sonderausgabe von Aspect de la France, 30. Juli 1951. Auch Isorni veröffentlicht Jahre später eine Aufnahme aus dem »Paris Match«-Archiv, aber datiert die Veranstaltung mit dem Kreuz auf den 21. Juli und nicht auf den Tag der Beerdigung wie die zeitgenössischen Berichte, Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2, Bildtafel zw. S. 424 und 425. 251 Besonders »Les obsèques de Pétain ont donné lieu à d’indécentes manifestations antinationales couvertes par le gouvernement«. Dort wurde auch eine Fotografie abgedruckt, die zeigt, wie in einer Gruppe von Personen viele die Arme zum Hitlergruß gehoben haben ; im Hintergrund sind Ornamente des Triumphbogens zu erkennen. 252 »Aujourd’hui, c’est une sorte d’attaque contre ce qui a été à nous autres la chose la plus chère, à vous comme à moi, une attaque contre l’esprit de la Résistance, les gerbes qui s’amoncellent sous l’Arc de Triomphe […]«. Zitiert nach Auriol : Journal du septennat, 25. Juli 1951, S. 350. Auch Isorni : Le condamné de la citadelle, S. 377.
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Obwohl er den Vichyisten keine Zukunft zugestand, beurteilte er die politischen Implikationen in der durch die Wahlen politisch destabilisierten Situation als demoralisierend und bedrohlich.253 Während sich auf der Gefängnisinsel die Familie und die Weggefährten des Verstorbenen versammelten und versuchten, zusammen mit einigen Geistlichen ein Ehrenbegräbnis nachzuempfinden, wurde in der Hauptstadt keine politische Zurückhaltung geübt. Dabei ist die Differenzierung, die »L’Humanité« zwischen den Personen auf der Île d’Yeu und denen am Grab des Unbekannten Soldaten herstellte, besonders aufschlussreich, denn dort wird zwischen ewig gestrigen »vichystes«254 (Vichyisten) und den »énergumènes fascistes«255 (fanatischen Faschisten) unterschieden. Als treibende Kräfte hinter der Blumenniederlegung unter dem Triumphbogen wurden dabei der ehemalige Pariser Stadtrat Charles Trochu und Georges Rivollet bezeichnet.256 Letzterer war erst vor kurzem wegen seiner Tätigkeit in der Partei Rassemblement National Populaire während des Vichy-Regimes zur »nationalen Unwürdigkeit« verurteilt wurden.257 Zuvor war er in den Jahren 1934/35 als Minister für die Veteranen zuständig gewesen, was ihn zum einen mit dem Ort und zum anderen mit den hier präsenten Veteranenverbänden verband. Trochu hatte für Isornis Partei UNIR bei den Wahlen zur Nationalversammlung kandidiert.258 Er zog zwar nicht in die Assemblée ein, dennoch liegt die Annahme nahe, dass er mit dieser Veranstaltung auch seine eigene Bekanntheit steigern wollte. Schließlich wurden nur er und Rivollet namentlich in den Berichten genannt. Anders als Isorni und Estèbe, die zu der Beisetzung auf Yeu gereist waren, hatten diese beiden keine persönlichen Verbindungen zu Pétain. So hatte ihre Kranzniederlegung mit »Vive la France«-Rufen und dem Singen der »Marseillaise« nicht die persönliche Note eines Kondolenzbesuches, sondern eine nationalistische. 253 Auriol : Journal du septennat, 25. Juli 1951, S. 344. 254 »Pétain est enterré ce matin suivi de la fine fleur de la collaboration. Les Français n’auraient toléré un transfert à Douaumont«, in : L’Humanité, 25. Juli 1951, S. 5. 255 »Les obsèques de Pétain ont donné lieu à d’indécentes manifestations antinationales couvertes par le gouvernement«, in : L’Humanité, 26. Juli 1951, S. 4. 256 »I funerali di Pétain«, in : La Stampa, 26. Juli 1951, S. 5 ; »Deux messes sont dites à Paris et des fleurs déposées à l’Arc de triomphe«, in : Le Monde, 26. Juli 1951, S. 7. 257 »M. Georges Rivollet est condamné à cinq ans de dégradation nationale«, in : Le Monde, 7. Juli 1950 ; Yvert, Benoît (Hg.) : Premiers ministres et présidents du Conseil. Histoire et dictionnaire raisonné des chefs du gouvernement en France (1815–2007), Paris 2007, S. 279 f. 258 [R.B.] : »La campagne de Me Isorni s’est terminée comme elle avait commencé. Bagarres et bombes lacrymogènes. A la Salle Wagram«, in : Le Monde, 18. Juni 1951, S. 3.
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Als letzte Ehrerweisung kann hingegen sicherlich die abendliche Blumenniederlegung in Form eines Kreuzes verstanden werden, auch dies war weder von der Familie noch der Regierung organisiert worden. Nach Angaben der »Times« sollen sich allein in der Nacht der Beerdigung 300 Menschen unter dem Triumphbogen versammelt haben, während es direkt nach den Gottesdiensten 500 Menschen gewesen sein sollen.259 Ob auch bei dieser Gelegenheit die Nationalhymne gesungen wurde, ist nicht überliefert. Auf den Fotografien von Daniel Filipacchi wirkt alles sehr gesittet und geordnet, das Publikum ist gut gekleidet und steht in gebührendem Abstand zu dem Kreuz aus Blumen. Ganz anders wirkt hingegen eine Aufnahme der Ereignisse am Tage, die »L’Humanité« veröffentlichte.260 Die darauf frontal abgebildeten Personen wirken agitiert, einige strecken den rechten Arm zum Hitlergruß hoch und andere scheinen zu singen. Es wirkt keinesfalls andächtig, wie eine Frau vorne links im Bild die Hand geballt hält, einzig ein Polizist steht ruhig da, was die Bewegung im Publikum noch deutlicher hervortreten lässt. Die Niederlegung der Blumen stellte jedenfalls keineswegs eine einheitliche Veranstaltung dar, sondern war in sich heterogen und scheint keiner einheitlichen Organisation unterlegen zu haben. Dass aber dort die Nationalhymne gesungen wurde und nicht auf der Insel Yeu, unterstreicht noch einmal, dass bei allen ehrenden Elementen Pétain ein sehr schlichtes Begräbnis erhalten hatte und dass die Personen am Grab des Unbekannten Soldaten ihn immer noch als Nationalhelden sahen, dem sie eine nationale Ehrung zugestanden hätten. Diese Einvernahme von nationaler Erinnerungsstätte und Nationalhymne hätte der Staatspräsident wahrscheinlich noch hinnehmen können, doch da dort sogar der Hitlergruß entrichtet wurde, bekam die Situation eine andere politische Dimension. Die kommunistische Parteizeitung betrachtete dies als Frevel an den durch das Grabmal geehrten Gefallenen, beklagte aber auch die mangelnde Durchsetzungsstärke der Regierung und deren zu weichen Kurs im Umgang mit Pétain. Im Gegensatz dazu sah das royalistische Wochenblatt »Aspects de la France« in der Versammlung eine »communauté nationale« (nationale Gemeinschaft), aus der sich besonders die Parlamentarier ausgeschlossen hätten.
259 »Parisians’s Tribute to Marshal Pétain. Spontaneous Ceremony«, in : The Times, 27. Juli 1951, S. 5 ; »Funeral Of Marshal Pétain Burial In Island Cemetery«, in : ebenda, 26. Juli 1951, S. 5. 260 Foto zu »Les obsèques de Pétain ont donné lieu à d’indécentes manifestations antinationales couvertes par le gouvernement«, in : L’Humanité, 26. Juli 1951, S. 4.
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Dies verdeutlicht abschließend noch einmal, was für unterschiedliche Ehrungen den Tod Pétains begleiteten und wie das Verständnis dieser Handlungen voneinander abwich, aber auch, dass diese Veranstaltungen nicht nur von der Familie und der Regierung gestaltet wurden, sondern deutlich mehr Akteure mitwirkten. Außerdem äußerte sich die scheidende Regierung nicht zu den Ereignissen und ihren Entscheidungen, was den Interpretationsspielraum noch erweiterte. 2.4.2 Ein Armenbegräbnis für Mussolini Nach Abschluss der Obduktion aller Leichen vom Piazzale Loreto wurden die sterblichen Überreste von Mussolini, Petacci und den anderen Faschisten nachts auf dem Cimitero milanese di Musocco auf Feld Nummer 16 in anonymen Armengräbern beigesetzt.261 Das Begräbnis war geheim und erfolgte ohne Ankündigung und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. Neben den Ordnungskräften, die die Gräber aushoben, war nur ein Priester anwesend, um die Gebete zu sprechen, und der Questore von Mailand, Agnesina,262 der die Beisetzung beaufsichtigte.263 Für die Rekonstruktion der Ereignisse stehen weder zeitgenössische Fotografien noch Artikel zur Verfügung, die Bestattung wurde in der Presse nicht thematisiert.264 Es scheint, als sei für die Presse spätestens mit der Einsargung alles erledigt gewesen. Doch für die italienischen Behörden hatte damit die Arbeit erst angefangen, sie mussten jetzt einen Bestattungsort für die Leichen finden. Da das Schicksal der Familie Mussolini noch nicht geklärt war, schließlich befanden sich die Witwe wie auch die Söhne in Gefangenschaft,265 konnten diese nicht in die Entscheidungen eingebunden werden. Die Leichen der am 28. April Erschossenen wurden nicht an ihre Familien übergeben, sondern verblieben im Zuständigkeitsgebiet des Mailänder Erzbistums und der Provincia di Milano, in dem sie auch obduziert worden waren. In 261 Bonacina : La salma nascosta, S. 214 ; Kirkpatrick : Mussolini, S. 573 ; Luzzatto : Il Duce, S. 134 f. 262 Art. »Agnesina, dott. Vincenzo«, in : Chi è ? Dizionario biografico degli italiani d’oggi, Rom 1948, S. 5. 263 Bonacina : La salma nascosta, S. 39. 264 Einzig in »Mussolini Dies, a Sneer and a Kick are his Epithaph«, in : Life, 14. Mai 1945, S. 40A, wird erwähnt, dass Mussolini in einem anonymen Grab beigesetzt wurde. 265 Pensotti, Anita : La restituzione dei resti di Mussolini nel drammatico racconto della vedova, Rom 1972, S. 12–19 ; Schuster, Ildefonso : Gli ultimi tempi di un regime, Mailand 1946, S. 183–186.
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Mailand stand eine Vielzahl von Friedhöfen zur Auswahl. Für die Beisetzung der faschistischen Führungsriege wählten Kardinal Schuster und der Questore den Cimitero Maggiore.266 Dieser Friedhof war Ende des 19. Jahrhunderts zur Entlastung der städtischen Friedhöfe in einem Gebiet namens Musocco erbaut worden und sollte die ›altri cittadini‹, also die anderen Bürger aufnehmen, die nicht wohlhabend und angesehen genug waren für den Cimitero Monumentale, den bürgerlichen Ehrenfriedhof in der Mailänder Innenstadt.267 So wurde Mussolini nicht nur anonymisiert, sondern quasi an den Rand geschoben und der Öffentlichkeit entzogen, liegt sein Grab doch nicht im Herzen Mailands, sondern auf einem Massenfriedhof am Stadtrand. Dabei wurde aber an einem rechtsstaatlichen Vorgehen festgehalten und nicht auf im Krieg übliche Formen der Bestattung zurückgegriffen, denn alle erhielten ein anonymes Einzelgrab und wurden nicht zusammen in ein Massengrab geworfen.268 Mussolini wurde daher nicht anders behandelt als die übrigen Leichen, sein Grab unterschied sich nicht von den Gräbern der anderen Faschisten oder dem Petaccis. Hier setzte sich also fort, was mit dem Einsargen begonnen hatte : Mussolini wurde nicht als eine besondere Persönlichkeit gekennzeichnet. Der einstige Duce erhielt ein ganz einfaches anonymes Begräbnis, genau wie jene, die bis zuletzt an seiner Seite geweilt hatten. Auch sind wie bei der Leichenschau Parallelen zu dem Umgang mit Armen und Verbrechern festzustellen, denn sowohl das anonyme Begräbnis als auch die Beisetzung bei Nacht wurden in der Regel bei Hingerichteten und armen Leuten durchgeführt.269 Die Beisetzung Mussolinis kann deshalb als konsequente Fortsetzung der Argumentation der Partisanen betrachtet werden : zunächst wurde Mussolini hingerichtet – wenn auch ohne Prozess –, dann wurde eine Leichenöffnung durchgeführt und abschließend erhielt er ein Armenbegräbnis. Dem Bemühen um ein rechtlich korrektes Vorgehen bei der Bestattung stand die religiöse Dimension der Bestattung gegenüber. Die Beisetzung Mussolinis entsprach nicht den Exequien der katholischen Kirche. Die Leiche erfuhr keine Überführung in eine Kirche, es fand kein Totenoffizium und auch 266 Leccisi : Con Mussolini prima e dopo Piazzale Loreto, S. 247. 267 Melano, Oscar Pedro : Il Monumentale di Milano. Guida all’architettura e alle opere d’arte, Mailand 1994, S. 8. 268 Delzell, Charles : Mussolini’s Enemies. The Italian Anti-Fascist Resistance, Princeton 1961, S. 542, gibt außerdem an, dass Petacci und Mussolini die Grabnummern 166 und 167 gehabt hätten. 269 Dazu Art. »Bestattung«, in : Dassmann, Ernst ; Klauser, Theodor (Hg.) : Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, S. 194–219, hier S. 212.
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keine Messe statt. Einzig bei dem Begräbnis, also am Grab selbst, wurden wohl Gebete gesprochen.270 Mussolini erhielt also keine ausführliche christliche Bestattung, sondern eigentlich nur eine Beisetzung auf einem Friedhof. Zusammen mit den einfachen Holzsärgen weckt dies Assoziationen mit einem Armenbegräbnis. Mussolini wurden nicht nur die memorialen Ehren, beispielsweise das Aufstellen eines Grabsteins, sondern auch die religiösen verwehrt. Das Begräbnis diente einzig der Beseitigung der Leichen. Es bot keinen Anknüpfungspunkt für Totenfürsorge oder Totengedenken an diesem Ort. Es scheint intendiert gewesen zu sein, durch die nicht identifizierbaren Gräber zu verhindern, dass der Personenkult des Faschismus zu einem Totenkult auf diesem Friedhof umgeformt würde. Die reine Deposition der sterblichen Überreste Mussolinis betont sowohl auf der politischen wie auf der religiösen Ebene die Ächtung des Toten und eine Verneinung des Totengedenkens.271 Dennoch stellte die anonyme Bestattung eine sehr begrenzte damnatio memoriae Mussolinis dar. Zwar wurden ab 1943 im Süden Italiens auch Statuen oder ähnliche Darstellungen von Mussolini zerstört, doch, wie Jens Petersen betonte, war dies keine Entwicklung, die mit dem Vorrücken der Befreiung Schritt hielt, sondern bereits 1944 ins Stocken geriet und mit der Befreiung Norditaliens nicht wieder verstärkt aufgenommen wurde.272 Außerdem hätte eine wirkliche damnatio memoriae, die sich auf alle Hinterlassenschaften, Darstellungen und Erinnerungsstücke einer Person bezieht, der Praxis der Erinnerungspostkarten vom Piazzale Loreto widersprochen und die Legitimationsstrategie des Befreiungskomitees untergraben. Obwohl die Rahmenbedingungen für die Bestattungen von Pétain und Mussolini, wie die Todesumstände und der Abstand zu dem jeweiligen Regime und dem Ende des Weltkrieges, sehr unterschiedlich waren, sind dennoch einige Gemeinsamkeiten im Umgang mit diesen ehemaligen, in Ungnade gefallenen ›Führern‹, die in Teilen der Bevölkerung aber noch großes Ansehen genossen, festzustellen. Zum einen trafen die Behörden die Entscheidung über den Bestattungsort und zum anderen wurde in beiden Ländern spätestens nach der Aufbahrung darauf geachtet, dass die gesetzlichen Vorgaben zum Umgang mit 270 Bonacina : La salma nascosta, S. 39. 271 Ries : Damnatio memoriae, S. 237–248. 272 Petersen, Jens : Kontinuität und Verdrängung. Kunst des italienischen Faschismus nach 1945, in : Czech, Hans-Jörg ; Doll, Nikola (Hg.) : Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930–1945, Dresden 2007, S. 444–449.
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Verstorbenen eingehalten wurden. Außerdem waren in beiden Fällen Vertreter der katholischen Kirche beteiligt, auch wenn diese in Frankreich eine deutlich aktivere Rolle als in Italien spielten. Die französischen Bischöfe wollten nicht nur die Regierung unterstützen, sie wollten selbst gestalten und waren dem Verstorbenen gegenüber positiv eingestellt. In Mailand hingegen agierte Kardinal Schuster nach dem gescheiterten Vermittlungsversuch zwischen dem noch lebenden Mussolini und dem Befreiungskomitee im Hintergrund. Die Ehren eines Begräbnisses durch den Erzbischof von Mailand ließ er Mussolini nicht zukommen, sondern sandte einen einfachen Geistlichen, um die Gebete am Grab der Hingerichteten zu sprechen. So wurde die Leiche Mussolinis, der als Regierungschef der Republik von Saló zu Tode gekommen war, wie die eines Verbrechers behandelt, während der wegen Hochverrats verurteilte Pétain am Ende ein öffentliches, christliches Begräbnis mit militärischen Ehrenelementen und Gedenkfeiern im ganzen Land erhielt. Da die Bestattung Mussolinis im Geheimen erfolgt war, hatten seine Anhänger nicht einmal die Möglichkeit, Ersatzhandlungen ähnlich der Zeremonie unter dem Triumphbogen für Pétain abzuhalten. Die Partisanen gaben bis auf die Leichenschändung auf dem Piazzale Loreto die Deutungshoheit über den Tod und den Umgang mit dem toten Mussolini nicht aus der Hand. In Frankreich hingegen formulierten neben der Familie, häufig vertreten durch die Anwälte, auch die ACA, die Veteranenverbände und das rechte Lager Forderungen, wie mit Pétain umgegangen werden solle. Diese Erwartungen an die Regierung wurden dabei häufig in den Tageszeitungen, aber auch den eigenen Publikationsorganen, wie den nationalistischen Zeitungen »Aspects de la France« und »Rivarol« oder der katholischen »La Croix«, veröffentlicht. Doch blieb es nicht bei der Formulierung von Forderungen, sondern die unterschiedlichen Akteure griffen tatsächlich in die Gestaltung der Bestattung Pétains ein. Während sich Vertreter der katholischen Kirche und einige Veteranen für die von der Familie organisierte und von der Regierung überwachte Beisetzung zur Verfügung stellten, gestalteten andere Veteranen und Rechtsradikale eine alternative Zeremonie am Grab des Unbekannten Soldaten. Darüber hinaus boten zahlreiche Kirchen in Frankreich Gedenkgottesdienste für Pétain an. Hier wird deutlich, dass die These von Christiane Florin, wonach sich die Meinung über Pétain im Jahr 1951 in drei Positionen – nämlich in Pétainisten, Versöhner sowie diejenigen, die Pétain als Feindbild benötigten – unterteilen ließe, nicht differenziert genug ist.273 Vielmehr ging es in den Inszenierungen nicht nur 273 Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 94.
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um die Ansichten von Pétain, sondern auch um die eigene Positionierung in der Nachkriegsgesellschaft. Dabei war die Veranstaltung unter dem Triumphbogen nicht einfach eine Ersatzveranstaltung für all jene, die nicht auf die Atlantikinsel reisen konnten, wie es der Historiker Le Naour beschreibt.274 Vielmehr entwickelten die ›Hinterbliebenen‹ am Grab des Unbekannten Soldaten eigene Ausdrucksformen, um mit dem Tod des ehemaligen Staatschefs zurechtzukommen, ähnlich wie auf dem Piazzale Loreto. Während sich die Emotionen in Italien vor allem in Gewalt entluden, changierte die Stimmung in Frankreich zwischen stiller Anteilnahme und faschistisch-nationalistischer Nostalgie. In Italien wurde während der gesamten Bestattung die Konzentration auf die Schuld Mussolinis und den Triumph der Widerstandsbewegung gerichtet, wohingegen in Frankreich von den Todesmeldungen bis zur Beisetzung Pétains kein Konsens über die Bewertung des Toten geschaffen werden konnte. Nicht einmal die Anhänger waren sich vollkommen einig, wie er geehrt werden sollte. Dass die Spannung in der Gesellschaft immer noch sehr ausgeprägt war, wird daran deutlich, dass Louis-Dominique Girard, der ehemalige Stabschef Pétains, der als dessen Urgroßneffe an den gesamten Begräbnisfeierlichkeiten auf der Insel Yeu teilgenommen hatte, nun unter dem Titel »L’appel de l’île d’Yeu. La paix franco-française«275 die Fortsetzung von »La guerre franco-française« veröffentlichte und darin nicht nur die Politik von Pétain rechtfertigte, sondern eine gesellschaftliche Aussöhnung beschwor. Da er aber gleichzeitig die Legitimität der Vierten Republik in Frage stellte, wird ersichtlich, wie groß die politischen Gegensätze waren und dass die kompromissreiche Beisetzung auf der Île d’Yeu noch nicht zu einer Aussöhnung der Vichyisten mit dem neuen politischen System geführt hatte.
274 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 72. 275 Girard, Louis-Dominique : L’appel de l’île d’Yeu. La paix franco-française, Paris 1951.
3. DI E B S TA H L DE R L E IC H E N A L S V E R Ä N DE RU NG S I M PU L S 3.1 Diebstahl Gräber waren seit der Antike besonders geschützte Stätten und ihre Beschädigung oder Zerstörung gesellschaftlich nicht akzeptiert.1 Mit der Entwicklung der modernen Strafgesetzgebung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Grabschändung rechtlich gefasst und sanktioniert.2 So konnte auch das Ausgraben einer Leiche fortan nur unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen erfolgen. Dennoch zeigen die Schändungen der Gräber Mussolinis und Pétains sowie Anton Musserts oder auch des ehemaligen zypriotischen Präsidenten Tassos Papadopoulos im Dezember 2009, dass Leichendiebstahl nach dem Zweiten Weltkrieg kein absolutes Tabu war. Auf Grund der gesellschaftlichen Ächtung stellte er aber einen sehr radikalen Schritt dar. Immerhin wurde in das Totengedenken eingegriffen und die durch die Bestattung geschaffene Gewissheit über den Verbleib des Leichnams zunichte gemacht. Die gesellschaftliche Funktion des abgeschlossenen Bestattungsrituals wurde so gestört. Dabei können die Motivationen für die Entwendung der Überreste sehr unterschiedlich sein, wie etwa die Erpressung von Lösegeld für Papadopoulos oder die Forderungen nach einer Umbettung Pétains zeigen. Die Graböffnungen und Entwendungen der Leichen können auch im Sinne einer Ritualkritik die Unzufriedenheit mit den ursprünglichen Bestattungen ausdrücken.3 Es wird gezeigt, wie in der Entwendung der Leichen die Kritik und 1 Art. »Grabschändung«, in : Sörries : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. Bd. 1 : Volkskundlich-kulturgeschichtlicher Teil, S. 128. 2 So im napoleonischen Code pénal von 1810, ursprünglich publiziert als Code des délits et des peines, Teil 3, § III, Art. 358–360. Dies bildet bis heute den Kern der Gesetzgebung zum Schutz von Leichnam und Grabstätte sowohl in Frankreich wie in Italien. Enthalten sind hier die Delikte Grabschändung, Sachbeschädigung und Störung der Totenruhe. Die Entwendung eines Leichnams wird nicht explizit behandelt. Da es keinen juristisch gefassten Begriff gibt, wird die Tat im Folgenden als Leichendiebstahl umschrieben. 3 Ute Hüsken betont, dass es kaum Rituale gibt, die nicht ohne Abweichungen verlaufen. Ein Ritual kann aber auch nachträglich scheitern, wenn die Kritik daran zu stark wird, Hüsken, Ute : Ritualfehler, in : Brosius, Christiane ; Michaels, Axel ; Schrode, Paula (Hg.) : Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen 2013, S. 129–134. und Grimes, Ronald L.; dies.: Ritualkritik, in : ebenda, S.159–164.
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der Widerstand gegen die Gestaltung der Bestattungen Pétains und Mussolinis kulminierten. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die den Leichendiebstählen vorausgegangenen Beisetzungsrituale von Pétain und Mussolini fehlgeschlagen waren.4 Das Ausgraben der Leichname der ehemaligen Regimechefs griff sowohl die Verantwortlichen für die ursprünglichen Bestattungen als auch die amtierenden Regierungen an : zum einen, da die illegalen Exhumierungen die staatliche Ordnungsmacht ignorierten, zum anderen, da die Diebe jeweils die politische Partizipation der radikalen Rechten beanspruchten. Die Diebstähle verdeutlichten, dass weder die Verehrung des Duce durch radikale Faschisten noch die Pétains durch die Vichyisten durch die ursprünglichen Bestattungen beendet worden waren. Die italienischen und französischen Behörden waren nicht nur juristisch dazu verpflichtet, die Leichname und die Grabschänder zu suchen, sondern es lag in ihrem Interesse, deutlich zu machen, dass sie die Ordnung wiederherstellen konnten. Parallel zur Suche mussten die Regierungen darüber nachdenken, wie sie eine Bestattung nach dem Auffinden der Leichen gestalten würden. Im Folgenden soll daher zunächst dargestellt werden, unter welchen Bedingungen die Leichen gestohlen wurden, bevor dann die Suche und schließlich die Wiedererlangung der Leichname von Pétain und Mussolini analysiert werden. 3.1.1 Versuch einer illegalen Translation Pétains Am 19. Februar 1973 wurde entdeckt, dass Pétains Grabmal beschädigt und der Sarg gestohlen worden war. 22 Jahre lang war die Totenruhe von Pétain nicht gestört worden. Die nach seinem Tod gegründete Association pour défendre la mémoire du maréchal Pétain (kurz : ADMP) versammelte sich zu seinen Todes- und anderen Gedenktagen an seinem Grab und jährlich kamen rund 80.000 Menschen auf den kleinen Friedhof der Atlantikinsel.5 Diese Vereinigung zur Bewahrung des Gedenkens an Pétain hatte sich nur wenige 4 Zum Misslingen von Ritualen Stollberg-Rilinger : Rituale, S. 211–218. 5 Berichte dazu finden sich in den Ausgaben von »Bulletin«, 2 (1952) ; 9 (1954) ; 14 (1955) ; 20 (1957) und von »Le Maréchal«, 5 (1957) ; 14 (1960) ; 23 (1961) ; 30 (1962) ; 36 (1963) ; 43 (1964) ; 49 (1965) ; 53 (1966) ; 66 (1968) ; 73 (1969) ; 84 (1971). Außerdem wurden an runden Jahrestagen der Schlacht von Verdun, dem Waffenstillstand sowie an Pétains 100. Geburtstag besondere Zeremonien durch die ADMP organisiert. Die Angabe von 80.000 Personen stammt von Dumas, Pierre : »Mystère à l’île d’Yeu. On a volé le cercueil du Maréchal Pétain !«, in : L’Aurore, 20. Februar 1973, S. 1/3, hier S. 3.
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Monate nach Pétains Tod gegründet.6 Den Ehrenvorsitz hatte General Weygand bis zu seinem Tod im Jahr 1965 inne, während General Héring den Vorsitz des Comité directeur mit Admiral Jean Decoux, Admiral Jean-Léon-Marie Fernet und Edmond Lefebvre du Prey als Stellvertreter übernahm. Ebenfalls Mitglieder des Lenkungsausschusses waren die beiden Anwälte Jaques Isorni und Jean Lemaire. Louis-Dominique Girard, der Urgroßneffe und ehemalige Stabssekretär Pétains, der bereits mehrere Bücher zur Rechtfertigung des Vichy-Regimes publiziert hatte, wurde Generalsekretär.7 Die Rehabilitierung des Vichy-Regimes war ein wesentlicher Aspekt der Arbeit der ADMP, sei es in den individuellen Publikationen der Mitglieder, sei es in ihrer quartalsweise erscheinenden Zeitschrift.8 Insofern handelt es sich um eine dem Vichyismus verpflichtete Organisation, deren Wirkungsabsicht deutlich über die Zustimmung zu Pétain hinausging.9 Selbst verstand die ADMP dies jedoch als Verteidigung Pétains und machte es sich zur Aufgabe, das Parlament zur Umsetzung seines letzten Willens zu bringen.10 Damit war aber nicht nur die Beisetzung in Douaumont gemeint, sondern auch die moralische und juristische Revision des Urteils. Dies veranschaulicht nicht nur die Formulierung in den Statuten der Vereinigung, sondern auch ein Artikel von General Héring in der Erstausgabe des »Bulletin« mit dem Titel »Revision«.11 Für dieses Ziel setzten sich die 6 Die ADMP wurde am 6. November 1951 gegründet und besteht bis heute. Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 59 und 336 ; Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 77–93 ; Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, besonders S. 95. 7 Bulletin, 1 (1952), S. 3/4. Zum Einfluss von Girards Publikationen, Leonhard, Jörn : Mythisierung und Mnesie – Das Bild Philippe Pétains im Wandel der politisch-historischen Kultur Frankreichs seit 1945, in : Berger Waldenegg, Georg Christoph ; Loetz, Francisca (Hg.) : Führer der extremen Rechten. Das schwierige Verhältnis der Nachkriegsgeschichtsschreibung zu »grossen Männern« der eigenen Vergangenheit, Zürich 2006, S. 109–129, hier S. 112. 8 Zunächst als »Bulletin. Association pour défendre la mémoire du Maréchal Pétain« von Juli 1952 bis Dezember 1958 in Paris herausgegeben, dann durch »Le Márechal« abgelöst. Dieses wird bis heute in Marseille publiziert, inzwischen auch online. Weitere Beispiele für revanchistische Publikationen der Mitglieder über Pétain sind zu finden in Laguerre : Les biographies de Pétain, z. B. Héring, Pierre : La Vie exemplaire de Philippe Pétain, Paris 1956 ; Fernet, Jean Léon Marie : Aux côtés du Maréchal Pétain. Souvenirs (1940–1944), Paris 1953. 9 Die ADMP war ein Sammelbecken von Pétainisten, Vichyisten und Kollaborateuren, doch die in der Satzung verankerte Verteidigung von Pétains Regierung entspricht der Zustimmung zur Politik des Vichy-Regimes – dem einige der Mitglieder der ADMP selbst angehört hatten –, die Henry Rousso als Vichyismus definiert hat. Rousso, Henry : Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940–1944, München 2009, S. 120 f. 10 »Statuts, Article 2.4«, in : Bulletin, 1 (1952), S. 2. 11 Héring, Pierre : »Revision«, in : Bulletin, 1 (1952), S. 5.
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Mitglieder der Vereinigung in zahlreichen Organisationen und Parteien ein, wobei sie die Notwendigkeit der nationalen Aussöhnung proklamierten, wie sowohl Marc Ferro als auch Christiane Florin in ihren Studien hervorgehoben haben.12 Während sich die ADMP dabei vor allem auf die Spannungen durch die Épuration bezog, war das politische System in Frankreich in den 1950er Jahren auch durch die Dekolonisation vor große Herausforderungen gestellt, die schließlich zu schweren Unruhen, zur Staatskrise und Ernennung de Gaulles zum Ministerpräsidenten führten, der die Verfassung änderte und damit das Ende der diskreditierten Vierten Republik besiegelte. Durch den anschließenden Rückzug aus Algerien verstärkten sich die Konflikte zwischen Gaullisten und dem nationalistischen rechten Spektrum weiter, die bis auf de Gaulles Widerstand gegen Pétain 1940 zurückreichten. Die Spannungen wurden der Öffentlichkeit konkret vor Augen geführt, als im Jahr 1962 Jacques Isorni und Jean-Louis Tixier-Vignancour gemeinsam Mitglieder der Terrorgruppe OAS verteidigten.13 Beide, der Verteidiger Pétains und Tixier-Vignancour, ein ehemaliges Mitglied der Vichy-Administration sowie Abgeordneter in der Dritten und Vierten Republik, waren für ihre rechten Überzeugungen bekannt.14 Während bei Isorni die Grenzen zwischen seiner Tätigkeit als Anwalt, seiner Arbeit für die ADMP und seinem politischen Mandat als Abgeordnetem in der Vierten Republik verschmolzen,15 ging Tixier-Vignancour sogar noch einen Schritt weiter und ließ sich für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1965 als 12 Ferro : Pétain, S. 693 ; Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 95. 13 Diese Untergrundbewegung wurde von französischen Militärs im Verlauf des Algerienkriegs gegründet, um die Unabhängigkeit Algeriens zu verhindern. Die beiden Anwälte verteidigten sowohl ihren Anführer General Raoul Salan wie auch die de-Gaulle-Attentäter von Petit-Clamart, Shields : Extreme Right, S. 115 f. 14 Tixier-Vignancour waren 1945 für 10 Jahre die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden und er hatte daher nicht so früh wie Isorni kandidieren können, seine Aktivitäten für die extreme Rechte hatte er aber bald wieder aufgenommen und sich z. B. bei Jeune Nation beteiligt. Die historische Forschung hat ihm bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Für einen Überblick über seinen politischen Werdegang Perrineau, Pascal : Art. »Tixier-Vignancour, JeanLouis«, in : Sirinelli, Jean-François (Hg.) : Dictionnaire historique de la vie politique française au XXe siècle, Paris 1995, S. 1015 f.; Art. »Tixier-Vignancour«, in : Coston, Henry (Hg.) : Dictionnaire de la politique française, Bd. 2, Paris 1972, S. 177–186 ; und Shields : Extreme Right, S. 125 ff. Biografisch haben sich mit ihm bisher vor allem andere Juristen beschäftigt, so Bouclier, Thierry : Tixier-Vignancour. Une Biographie, Paris 2004. 15 Isorni war vom 17. Juni 1951 bis 1. Dezember 1955 für Centre républicain d’action paysanne et sociale et des démocrates indépendants und vom 2. Januar 1956 bis zum 8. Dezember 1958 für Indépendants et paysans d’action sociale als Deputierter in der Assemblée nationale vertreten.
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Kandidat der rechtsradikalen Parteien gegen de Gaulle aufstellen.16 Im Wahlkampf wurde die Frage der Überführung Pétains nach Douaumont zunächst durch den Anwalt Isorni befeuert und dann von dem Kandidaten Tixier-Vignancour politisch instrumentalisiert. Isorni hatte im Jahr 1964 ein Buch publiziert, in dem Pétains lebenslange Rolle als Verteidiger Frankreichs behauptet wurde.17 In einer Besprechung dazu stellte der französische Literaturnobelpreisträger François Mauriac fest, dass er selbst durchaus eine Überführung des Leichnams von Pétain befürworte, wenn die gesellschaftliche Stimmung dafür bereit sei, dass er aber eine Revision des Prozessurteils ablehne.18 Mauriac betonte dabei, dass zunächst ein gesellschaftliches Klima entstehen müsse, das überhaupt eine Translation Pétains zulasse. Damit verweist er auf die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz und argumentiert ähnlich wie die Politiker, die 1951 über einen möglichen Bestattungsort zu befinden hatten. Selbstverständlich blieb diese Erklärung eines der führenden französischen Schriftsteller nicht ohne Reaktionen,19 vor allem spielte sie aber den beiden Juristen in die Hände, denn François Mauriac war nach 1941 in Paris auf Seiten der Pétain-Gegner gewesen, also als des Pétainismus unverdächtig, tendierte seit 1948 aber als entschiedener Antikommunist wieder zur Rechten.20 Gleichzeitig verschaffte der Nobelpreisträger mit seinem Urteil der Diskussion über die Translation Vorschub ; im Oktober und November fanden sich zahlreiche Stellungnahmen dazu in der französischen und internationalen Presse.21 Isorni zeigte sich zunächst gegenüber »Paris-Presse« mit den Schlussfolgerungen des prominenten Schriftstellers zufrieden und betonte, dass es ihm um eine fei16 Zur Bedeutung des Antigaullismus für die rechte Opposition Rémond, René : Les droites en France, Paris 1982, S. 256–257. 17 Isorni, Jacques : Pétain a sauvé la France, Paris 1964. 18 Die ursprüngliche Buchbesprechung erschien in »Figaro littéraire«, wurde dann aber von weiteren Zeitungen aufgegriffen, bspw. M. François Mauriac souhaite le transfert à Douaumont des cendres du maréchal Pétain«, in : Le Monde, 2. Oktober 1964 ; Marque, Henri : »La nouvelle affaire Pétain. Mauriac réclame le transfert à Douaumont«, in : Paris-Presse, 3. Oktober 1964, S. 1–2 ; »Rehabilitating Victor Of Verdun«, in : The Times, 28. Oktober 1964, S. 9. 19 Eine Zusammenstellung der Reaktionen in der Presse findet sich bei Herzlich, Guy : »L’article de M. François Mauriac suscite des réactions diverses«, in : Le Monde, 3. Oktober 1964. 20 Mauriac hatte 1964 gerade erst seine de-Gaulle-Biografie veröffentlicht. Mauriac, François : De Gaulle, Berlin 1965. 21 Als Beispiel seien hier genannt der Leserbrief des Pariser Anwalts Jean-Marc Dejean de La Bâtie »La dépouille du maréchal Pétain«, in : Le Monde, 29. Oktober 1964, und der Artikel »Bidault Supports Appeals For Pétain Rehabilitation«, in : The New York Times, 11. November 1964, in dem sich der wegen seiner Aktivitäten in der OAS im Exil befindende ehemalige Ministerpräsident Georg Bidault für die Translation aussprach.
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erliche Wiedergutmachung gehe und nicht um eine übereilte Umbettung.22 Am darauf folgenden Wochenende legte Isorni, ganz im Sinne des pflichtbewussten Verteidigers, noch einmal nach, indem er Pétains testamentarische Bestattungswünsche in derselben Zeitung veröffentlichen ließ.23 Allerdings beschränkte sich »Paris-Presse« nicht darauf, die Kopie des Testaments zu veröffentlichen, sondern die Zeitschrift ergänzte dies mit weiteren Fotografien und Reproduktionen, so dass der eigentliche Text des letzten Willens erst auf Seite zwei zu lesen war, während auf der Titelseite unter der Überschrift »Le testament de Pétain« eine handschriftliche Notiz Pétains zu sehen war, die sich bei näherer Betrachtung als Äußerung zur Résistance herausstellte. Dass so mit den Erwartungen des Publikums gespielt und das visuell auffälligere Dokument auf die erste Seite gesetzt wurde, ist für ein verkaufsorientiertes Massenblatt sicher nicht verwunderlich, hat aber auch eine inhaltliche Komponente. Durch die Verbindung der im Rahmen des Prozesses entstandenen Notiz, die unter dem Teaser »J’étais moi-même un Résistant« (Ich selbst war ein Widerständler) abgedruckt wurde, mit dem letzten Willen Pétains, wurde zugleich ein vermeintlicher Grund für die Erfüllung der Wünsche des Verstorbenen geboten. Schon der erste Punkt in diesen »Notes sur la Résistance« war mehrdeutig : »J’ai toujours résisté aux Allemands« (Ich habe mich den Deutschen immer widersetzt). Diese Formulierung passt zum einen zu der vor allem durch den ehemaligen Widerstandskämpfer Colonel Rémy geprägten Vorstellung von Pétain als dem Schild und de Gaulle als dem Schwert Frankreichs, zum anderen proklamiert sie eine Kontinuität in Pétains Verhalten und rekurriert auf seine Erfolge im Ersten Weltkrieg gegen die Deutschen.24 Die Notiz stimmte so auf die Forderungen des Testaments über die Bestattung ein, denn in den 1938 aufgesetzten Bestimmungen hatte jeder Punkt Bezug zu Verdun und dem Ersten Weltkrieg. Dabei hatte Pétain sich nicht auf die Wahl eines Bestattungsortes und die Gestaltung des Gottesdienstes beschränkt, sondern noch weitergehende Angaben zur Gestaltung des Totengedenkens gemacht. Unter anderem ging er auf die 22 »Isorni répond à Mauriac«, in : Paris-Presse, 4./5. Oktober 1964, S. 2. 23 Benedetti, Jean : »Le testament de Pétain. Exclusif : Me Isorni, l’avocat du maréchal, l’a remis ce matin à Jean Benedetti«, in : Paris-Presse, 9. Oktober 1964, S. 1/2. Auch »Me Isorni avait cité le testament du maréchal Pétain dans une proposition de novembre 1954«, in : Le Monde, 10. Oktober 1964. 24 Leonhard : Mythisierung und Mnesie S. 113 ; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 48 f. Eine Lesart von Pétains Regierung, die vor allem durch Robert Paxtons bahnbrechende Studie, Paxton, Robert Owen : Vichy France. Old Guard and New Order, 1940–1944, New York 1972, wiederlegt wurde.
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damalige Absicht der Stadt Verdun ein, ihm ein Denkmal zu errichten. Er machte sogar einen Vorschlag, welche Plastik sie aufstellen sollte, bat aber darum, dies erst nach seinem Ableben zu tun.25 Pétain hatte für eine Reiterstatue bei François Victor Cogné, einem Bildhauer, der in den 1930er Jahren viele öffentliche Aufträge erhalten hatte, Modell gesessen.26 Sowohl als das Modell geschaffen wurde als auch zu dem Zeitpunkt, an dem Pétain diesen Wunsch zu Papier brachte, waren sein Ruhm als Retter von Verdun und erfolgreichem Generalstabschef durch nichts in Frage gestellt gewesen. Doch »Paris-Presse« präsentierte die Unterlagen von Isorni nicht unkommentiert. Der Journalist Jean Benedetti stellte im das Testament ergänzenden Artikel heraus, dass dieses Dokument 13 Jahre vor Pétains Tod verfasst worden war und sich die Wünsche des Verstorbenen nachträglich gewandelt haben könnten. In der Ausgabe am nächsten Tag konfrontierte er Isorni sogar mit späteren Ausführungen Pétains aus den Vernehmungen 1945, wonach es ihm am wichtigsten gewesen sei, seine Ehre zu wahren, und ein Grab in Douaumont überhaupt nicht mehr angesprochen worden sei. Der Anwalt entgegnete darauf, dass er davon ausgehe, dass sich am Geist des im Testament ausgedrückten Wunschs nichts geändert habe.27 An dieser Stelle zeigt sich, wie sehr sich die Translationsforderung inzwischen verselbstständigt hatte und dass Isorni Einwände ablehnte. In dem Testament, das nun erstmals in seinem Wortlaut wiedergegeben wurde, fallen noch andere Aspekte auf, die weder Pétains Verteidiger noch die historische Forschung bis dato thematisiert hatten. Denn offenbar schätzte Pétain die Aussichten für seinen größten Wunsch einer Beisetzung im Cimetière 25 »Testament de Monsieur le Maréchal Pétain concernant ses obsèques. Paris, le 18 avril 1938«, in : Paris-Presse, 10. Oktober 1964, S. 2. 26 Zu Cognés Tätigkeit für Pétain und das Regime, Corcy, Stéphanie : La vie culturelle sous l’Occupation, Paris 2005, S. 291, und Bertrand Dorléac, Laurence : Art of the Defeat. France 1940–1944, Los Angeles 2008, S. 127–130. Zum Modell Bourget, Pierre : Un certain Philippe Pétain, Tournai 21966, S. 116 ; Peschanski, Denis : Images de la France de Vichy 1940–1944. Images asservies et images rebelles, Paris 1988, S. 12 f. und 146. Spears, Sir Edward Louis : Assignment to Catastrophe. II. The Fall of France, London 1954, S. 89–90, beschreibt, wie Pétain ihm »a beautiful bronze or bronzed terra-cotta group« nach einer Unterredung am 6. Juni 1940 vorführte und dass diese an Pétains Rolle bei den Meutereien in der französischen Armee 1917 erinnern sollte. 27 »[…] je considère que le désir exprimé le 18 avril 1938 par le maréchal n’a plus jamais été, dans son esprit, remis en cause.« Isorni zitiert bei Benedetti, Jean : »Pour Pétain : Douaumont, non Verdun, peut-être en 1966«, in : Paris-Presse, 10. Oktober 1964, S. 1–2, hier S. 2. Zuvor erwähnter Kommentar zum Testament ders.: »Le testament de Pétain«.
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national de Douaumont bereits 1938 selbst als schwierig ein. Er fügte nämlich hinzu : »[O]u à proximité de ce cimetière, sur l’emplacement que désignera le gouvernement d’accord avec le conseil d’administration de l’ossuaire«28 (oder in der Nähe dieses Friedhofes, an der Stelle, die die Regierung in Abstimmung mit dem Vorstand des Beinhauses bestimmen wird). Das ist gleich aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen macht dies deutlich, dass Pétain die Regierung für die Wahl seines Bestattungsortes verantwortlich sah, was sicherlich aus seinem Status als Marschall von Frankreich resultierte. Hier ist anzumerken, dass dies bei einer Veröffentlichung vor der Bestattung 1951 die Position der Familie in ihren Forderungen gegenüber der Regierung geschwächt hätte, was wiederum ein Grund dafür gewesen sein mag, weshalb Isorni dieses Dokument nicht früher veröffentlichte. Zum anderen zeigt diese Passage auf, dass Pétain durchaus mit einer Alternative zum Beinhaus einverstanden gewesen wäre, solange der Bezug zur Schlacht von Verdun gewahrt geblieben wäre. Er antizipierte hier einen Einwand, der auch 1951 angeführt wurde, wonach der Soldatenfriedhof von Douaumont für die Gefallenen des Krieges und nicht für später verstorbene Teilnehmer gedacht war. Diese Offenheit des Wunsches ging in der späteren politischen Debatte um die Beisetzung Pétains vollkommen unter. Von Isorni wie auch der Witwe und der ADMP wurde ausschließlich eine Translation nach Douaumont gefordert. Alle beriefen sich dabei auf den letzten Willen Pétains, ohne diesen jedoch exakt wiederzugeben, was wiederum deutlich macht, dass es hier nicht nur um die Person Pétains ging, sondern er politisch instrumentalisiert wurde : Er stand exemplarisch für das Vichy-Regime ; eine Überführung von dessen Staatschef auf einen nationalen Ehrenfriedhof hätte auch eine symbolische Begnadigung der Kollaborateure bedeutet, weshalb sich gerade diese so sehr für die Überführung stark machten. Die Überführung nach Douaumont, aber hauptsächlich die Rehabilitierung Pétains forderte Tixier-Vignancour auch, als er in der folgenden Woche einen ersten Auftritt nach der Ankündigung seiner Kandidatur für das Präsidentenamt absolvierte.29 Ob Isorni und Tixier die Veröffentlichung des 28 »Testament de Monsieur le Maréchal Pétain concernant ses obsèques. Paris, le 18 avril 1938«, in : Paris-Presse, 10. Oktober 1964, S. 2. 29 »Tixier : ›Le partis sont les invalides de l’histoire‹«, in : Paris-Presse, 13. Oktober 1964, S. 2. In der Forschung werden unterschiedliche Zeitpunkte genannt, ab wann bekannt war, dass Tixier-Vignancour kandidieren würde. Goguel, François : L’élection présidentielle française de décembre 1965, in : Revue française de science politique 16 (1966), S. 221–254, hier S. 222, und Vigreux, Jean : Croissance et contestations, 1958–1981, Paris 2014, S. 157 f., datieren es auf den April 1964, während Berstein, Serge : La France de l’expansion. 1. La Republique
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Buches über Pétain und die Kandidatur aufeinander abgestimmt hatten oder ob Tixier-Vignancour hier nur eine Chance ergriff, um mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, kann nicht abschließend geklärt werden. Einig waren sich die beiden Anwälte jedenfalls darin, dass einer Umbettung eine Revision des Urteils wegen Landesverrats vorausgehen müsse. Diese Forderung war zentral für Tixier-Vignancours Programm und wurde bei den öffentlichen Auftritten regelmäßig wiederholt.30 Im Gegensatz zu Tixier-Vignancour äußerte sich der Präsident im Wahlkampf überhaupt nicht zu Urteilsrevision und Umbettung. Erst bei den Feiern zum 50. Jahrestag der Schlacht von Verdun im Mai 1966 ging de Gaulle, der erneut erfolgreich aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen war, in seiner Ansprache auch auf Pétain ein und betonte, dass trotz seiner späteren Fehler »la gloire qu’il acquit à Verdun, qu’il avait acquise à Verdun vingt cinq ans auparavant et qu’il garda en conduisant ensuite l’armée française à la victoire ne saurait être contestée ni méconnue par la patrie.«31 Die Hervorhebung der Verdienste Pétains im Ersten Weltkrieg ließ die Hoffnungen auf eine mögliche Translation bei den Rechtskonservativen und den extremen Rechten wieder erstarken,32 obwohl de Gaulle Pétain für seine Rolle im Zweiten Weltkrieg in derselben Rede scharf verurteilte. Im Gegensatz zu den französischen Rechten sah der Korrespondent der englischen »Times« in der Rede daher eine endgültige Absage an die Translationsforderungen.33
gaullienne (1958–1969), Paris 1989, S. 276, und Broche, François : Les dessous d’une campagne. Election présidentielle de 1965, in : Espoir 145 (2005), S. 8–21, hier S. 8, darauf hinweisen, dass er selbst seine Kandidatur bereits auf einem Bankett der unterschiedlichen rechten Gruppierungen in Montbrison am 17. November 1963 angekündigt hatte. 30 »Rehabilitating Victor Of Verdun«, in : The Times, 28. Oktober 1964, S. 9 ; Shields : The Extreme Right, S. 129. 31 »[D]er Ruhm, den er in Verdun erwarb, den er in Verdun fünfundzwanzig Jahre vorher erworben hatte und den er behielt, indem er die französische Armee in den Sieg führte, kann vom Vaterland nicht in Frage gestellt oder ignoriert werden.« Charles de Gaulle, Discours à l’ossuaire de Douaumont, 29. Mai 1966, Transkription der Rede in : Charles de Gaulle – paroles publiques, http://www.ina.fr/fresques/de-gaulle/fiche-media/Gaulle00255/ceremonie-a-l-ossuaire-de-douaumont.html [21.12.2012], auch abgedruckt in : »Le général de Gaulle rend hommage à ›la gloire‹ du maréchal Pétain mais écarte le transfert de ses cendres à Douaumont«, in : Le Monde, 31. Mai 1966. Dazu auch Krumeich : Verdun 1916, S. 209. 32 »Me Isorni à l’île d’Yeu : Philippe Pétain ira solennellement au cimetière de Douaumont«, in : Le Monde, 31. Mai 1966 ; »Vingt-neuf associations demandent le transfert de la dépouille mortelle du maréchal Pétain à Douaumont«, in : Le Monde, 7. Juni 1966. 33 »Marshal Pétain’s shadow lies over Verdun«, in : The Times, 30. Mai 1966, S. 6.
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Vor diesem Hintergrund könnte auch der Umstand, dass der Staatspräsident zum 50. Jahrestag des Waffenstillstands von Compiègne am 10. November 1968 durch den Präfekten der Vendée einen Kranz auf dem Grab Pétains niederlegen ließ, als Bestätigung der Grabstätte auf der Atlantikinsel gesehen werden.34 Doch sowohl Isorni wie auch Tixier-Vignancour zogen offenbar Hoffnung aus dieser Geste und instrumentalisierten sie nicht nur zur Unterstützung ihrer Forderungen. Isorni bezeichnete sie als Beginn und auch Tixier-Vignancour wollte sie gegenüber George Pompidou so verstanden wissen, als er mit ihm über die Unterstützung für dessen Präsidentschaftskandidatur 1969 verhandelte,35 da die Rechtsradikalen in Frankreich Ende der 60er Jahre so zerrissen waren, dass sie keinen Kandidaten aufstellten.36 Dabei war er taub für Pompidous Ablehnung einer Translation, da dieser sich unter anderem durch de Gaulles Vorbild gebunden sah. Der ehemalige Staatspräsident hatte nicht nur die Ehrung Pétains durch eine Überführung auf den Soldatenfriedhof abgelehnt, sondern generell die staatliche Würdigung der Verantwortlichen für den Waffenstillstand von 1940 unterbunden. So weist der britische Militärhistoriker Anthony Clayton darauf hin, de Gaulle sei es gewesen, der General Weygand bei dessen Tod im Jahr 1965 ein Begräbnis mit militärischen Ehren verwehrt habe, obwohl dieser von dem Hohen Gerichtshof nach dem Krieg freigesprochen worden war und ihm eine Trauerfeier im Invalidendom bereits 1929 zugestanden worden sei.37 Den Dualismus in de Gaulles Haltung gegenüber der Erinnerung an Pétain, wobei er einerseits versöhnliche Gesten tätigte, eine Überführung des Leichnams aber andererseits immer ablehnte, erkannte selbst die italienische neofaschistische Zeitung »Il Secolo d’Italia«.38 Die fran34 Diese Ehrung erhielten die Generäle des Ersten Weltkriegs, die nicht im Invalidendom bestattet waren. So im Artikel »Le chef de l’État a fait déposer une gerbe sur la tombe du maréchal Pétain«, in : Le Monde 12. November 1968. Dazu auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 122 f.; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 385. 35 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 123 ; Tixier-Vignancour, Jean-Louis : Des républiques, des justices et des hommes, Paris 1976, S. 359. 36 Unter anderem fehlte ihnen dort ein einigender Konterpart, da de Gaulle nicht mehr kandidierte. Bell, David Scott : Parties and Democracy in France. Parties under Presidentialism, Aldershot 2000, S. 128 ; Rémond : Les droites en France, S. 334. 37 Auch war den noch aktiven Militärs die Teilnahme an dem Begräbnis untersagt worden, die Veteranen und Generäle des Zweiten Weltkriegs nahmen hingegen zahlreich teil. Clayton, Anthony : General Maxime Weygand, 1867–1965. Fortune and Misfortune, Bloomington 2015, S. X f. und 138 f. 38 [C. C.] : »Scomparsa la salma del Maresciallo Pétain«, in : Il Secolo d’Italia, 20. Februar 1973, S. 1/8, hier S. 8.
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zösischen Rechtsradikalen wollten ihn offenbar nicht wahrhaben, hätte eine Akzeptanz doch das Ende ihrer Translationsforderungen bedeutet. Vielmehr drückten die Vorsitzenden der ADMP in ihrer Zeitung »Le Maréchal« wenige Wochen nach de Gaulles Tod am 9. November 1970 ihren Respekt für die Lebensleistung des Verstorbenen aus, verbanden damit aber auch die Erinnerung an Pétains Leistungen und Opfer für das Vaterland. Sie vertraten die Ansicht : »La France, incontestablement, doit réparation au Maréchal Pétain«39 (Frankreich ist Marschall Pétain unzweifelhaft Wiedergutmachung schuldig). Diese Wiedergutmachung sahen sie in der Translation nach Douaumont, die, wie sie behaupteten, ganz im Sinne de Gaulles sei. Dazu beriefen sie sich auf die Autorität von Colonel Rémy, einem der bekanntesten Spione des Freien Frankreich ; dass er und de Gaulle sich jedoch genau über die Frage der Rehabilitation Pétains überworfen hatten, ließen sie freilich unerwähnt.40 Als dann im Jahr 1971 auch noch eine Umfrage der Regionalzeitung »Sud-Ouest« zur Beurteilung des Prozesses und der Umbettung ergab, dass sich eine Mehrheit der französischen Bevölkerung eine Translation nach Douaumont vorstellen könnte, sahen sich die Aktivisten für die Umbettung bestätigt ; jedenfalls wurde diese Meinungsumfrage von ihnen sofort aufgegriffen und später als Referenz angeführt.41 39 Lacaille, Henri : »La mort du Général de Gaulle. Le problème de la translation des Cendres du Maréchal Pétain«, in : Le Maréchal, 81 (1971), S. 1. Reproduziert in Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 65 ; er geht jedoch nicht auf die Forderung ein, sondern auf die Hommage, die dem Staatspräsidenten gezollt wurde. 40 Colonel Rémy, mit bürgerlichem Namen Gilbert Renault, verließ den RPF 1950, nachdem er von de Gaulle für seine Darstellung, wonach Pétain Frankreich von innen und de Gaulle von außen verteidigt habe, zurechtgewiesen worden war, trat später der ADMP bei und publizierte zahlreiche nationalistische Schriften. Ausführlicher dazu Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 48–55 ; Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 82–86. 41 Le Maréchal, 85 (1971). Dazu auch die Auswertung von Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 122–124, wobei auch sie nicht mit dem ursprünglichen Datenmaterial arbeitet und so eine quellenkritische Auswertung nur bedingt möglich war. Nach Lancelot, Marie-Thérèse : »Enquêtes politiques effectuées par l’IFOP et la SOFRES (année 1971)«, in : Revue française de science politique 22 (1972), S. 694–706, hier S. 700, wurde die aus drei Fragen bestehende Umfrage »Opinion des Française sur le transfert des cendres du maréchal Pétain a Douaumont« vom Meinungsforschungsinstitut SOFRES [Société française d’enquêtes par sondages] zwischen dem 1. und 7. September 1971 in einer landesweiten Stichprobe von 1.000 Personen ab 21 Jahren durchgeführt. Die Umfrage wird auch angeführt von Odette de Hérain in : »La disparition du cercueil de l’ancien chef d l’État français«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11 ; Isorni : Lettre anxieuse au Président de la République au sujet de Philippe Pétain, S. 24 ; Tixier-Vignancour : Des républiques, des justices et des hommes, S. 359 ; aber auch von der Presse, »Un sondage de la SOFRES. Les Français et la translation à Douaumont«, in : La Croix, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Sondage«, in : L’Aurore, 20. Februar 1973, S. 3 ; Pujo, Pierre : »Le
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Doch in dieser Umfrage wurde eine Revision des Prozesses deutlich kritischer gesehen als die Umbettung Pétains. So war Justizminister René Pleven im Einklang mit der öffentlichen Meinung, als er am 18. Oktober 1972 alle Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Pétain als unannehmbar zurückwies.42 Während Isorni bis dahin auf politische Partizipation, Publizistik und juristische Verfahren gesetzt hatte, wuchs die Ungeduld innerhalb der ADMP und Robert de Périer spaltete l’Association nationale Pétain-Verdun (kurz : ANPV) ab.43 Wie der Name verrät, hatte diese Organisation nur die Überführung Pétains nach Verdun zum Ziel. Aber auch eine andere Gruppe war das Warten und Taktieren nun offenbar leid und nahm die Umbettung deshalb selbst in die Hand. Sie begab sich am 18. Februar 1973 auf die Île d’Yeu und öffnete in der Nacht das Grabmal Pétains.44 Da es sich dabei nicht um ein einfaches Erdgrab, sondern um eine auf einem Sockel befestigte Grabplatte mit einem Mensonge démocratique. Des lendemains d’élections qui ne chanteront pas«, in : Aspects de la France, 1. März 1973, S. 1/3, hier S. 1 ; Dominique [Lucchini], Pierre : »Réapparition du Maréchal«, in : Rivarol, 1. März 1973, S. 16, und »The Body Snatchers«, in : Time, 5. März 1973, S. 12–13. 42 Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 324 f ; Isorni : Lettre anxieuse au Président de la République au sujet de Philippe Pétain, Paris 1975, S. 34–38. 43 Von dieser 1972 gegründeten Vereinigung spaltete sich 1976 noch einmal eine Lokalgruppe in Nantes ab. Art. »Association nationale Pétain-Verdun (ANPV-1)«, »Association nationale Pétain-Verdun (ANPV-2)« und »Association pour défendre la mémoire du maréchal Pétain (ADMP)«, in : Leclercq, Jacques : Dictionnaire de la mouvance droitiste et nationale de 1945 à nos jours, Paris 2008, S. 53 f. und 56 f. 44 Die Rekonstruktion des Diebstahls ist anhand von Augenzeugenberichten und unter Mitwirkung des Historikers Jean-Yves Le Naour im Jahr 2012 für die Fernsehdokumentation »Docs interdits« verfilmt und am 26. November 2012 bei France 3 erstmals ausgestrahlt worden : On a volé le Maréchal !, Condon Cédric / Jean-Yves Le Naour, produziert von Emmanuel Migeot (Kilaohm productions), 52 Min., 2012. Die hier folgende Beschreibung der Ereignisse bezieht die Verfilmung nicht direkt mit ein, sondern stützt sich auf die zeitgenössischen Text- und Bildquellen. Allen voran »La pierre tombale du Maréchal Pétain a été descellée par des inconnus«, in : Le Monde, 20. Februar 1973 ; »La recherche du cercueil du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 21. Februar 1973, S. 1/8 ; »Le cercueil du maréchal Pétain a disparu«, in : La Croix, 20. Februar 1973, S. 1 ; »La Disparition du cercueil du Maréchal Pétain«, in : La Croix, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Le cercueil de Pétain a disparu de l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 20. Februar 1973, S. 2 ; »Pétain’s coffin vanishes from island tomb«, in : The Times, 20. Februar 1973, S. 1 ; Bocchi, Lorenzo : »Rubata la salma di Pétain. L’altra notte della Tomba nel cimitero dell’isola di Yeu«, in : Corriere della Sera, 20. Februar 1973, S. 15 ; »Rubata nell’isola di Yeu la salma di Pétain«, in : La Stampa, 20. Februar 1973, S. 12 ; »Trafugata in Francia la salma di Pétain«, in : L’Unità (Nuova serie), 20. Februar 1973, S. 11 ; Caviglioli, François : »Comment on vole un maréchal«, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 30–33/83.
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Gewicht von 800 kg handelte,45 war mit Michel Dumas ein Steinmetz rekrutiert worden, der über die nötigen Kenntnisse verfügte, um das Grabmal zu öffnen und den Sarg ohne Beschädigungen zu bergen.46 Die Grabschänder wollten nicht, dass das Verschwinden des Sarges sofort bemerkt würde und bemühten sich, keine Spuren zu hinterlassen. Sie ließen deshalb auch keinen Hinweis auf ihre Identität oder ihre politische Motivation zurück. Doch dem Friedhofswächter fiel bereits am nächsten Morgen auf, dass etwas mit dem Grabmal nicht stimmte, da er die Farbabweichung des Zements bemerkte, mit dem die Diebe versucht hatten, ihre Einbruchsspuren zu verbergen. Sie hatten die Grabplatte aufgestemmt, den Sarg aus der Grabkammer gehoben und anschließend die im Rahmen entstandene Öffnung mit Hilfe einer Zeitung und Zement wieder verschlossen. Als der Friedhofsaufseher entdeckte, dass sich jemand an dem Grabmal zu schaffen gemacht hatte, informierte er die Behörden. Währenddessen hatten die Leichendiebe mit dem Sarg in einem Renault Estafette per Fähre bereits das Festland erreicht.47 Da die Grabschänder das Grab wieder verschlossen hatten, ließ sich zunächst nur vermuten, dass der Leichnam Pétains entwendet worden sei. So musste die Polizei das Grabmal noch einmal öffnen, bevor der Präfekt des Departements Vendée, Roger Gaston Ninin,48 am Nachmittag des 19. Februar bestätigen konnte, dass der Sarg aus dem Grab gestohlen worden war. Während die Diebe versucht hatten, so wenig destruktiv wie möglich vorzugehen, und ihre Tat nicht dokumentierten, sind von der Öffnung des Grabes durch die Behörden Aufnahmen entstanden. Jedoch sind diese keinesfalls spektakulär, da keine den Blick in das leere Grab zeigt. Auf der Abbildung in der katholischen Tageszeitung »La Croix« sind die weiße Grabplatte und das Kreuz am Kopf des Grabes zu erkennen, durch die Perspektive vom Fuß 45 Angegeben bei »Le cercueil de Pétain a disparu de l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 20. Februar 1973, S. 2 ; »Rubata nell’isola di Yeu la salma di Pétain«, in : La Stampa, 20. Februar 1973, S. 12, und Caviglioli, François : »Comment on vole un maréchal«, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 30–33/83, hier S. 31. 46 Der Bestatter und Steinmetz Michel Dumas, geboren 1932, hat seine Erinnerungen an den Diebstahl veröffentlicht, Dumas, Michel : La permission du Maréchal. Trois jours en maraude avec le cercueil de Pétain, Paris 2004. Darin beschreibt er (S. 11–25) u. a., wie er von Tixier-Vignancour, den er bereits einige Jahre kannte, im Januar 1973 für dieses Vorhaben angeworben wurde. 47 »La pierre tombale du Maréchal Pétain a été descellée par des inconnus«, in : Le Monde, 20. Februar 1973 ; Dumas : La permission du Maréchal, S. 86. 48 Roger Gaston Albert Ninin, Jahrgang 1919, war seit August 1972 préfet de la Vendée. Art. »Ninin«, in : Who’s who in France, 1975–1976, Paris 1975, S. 1252.
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des Grabes und mit den umstehenden Personen ist die Öffnung des Grabes nur indirekt ersichtlich.49 Offensichtlicher, aber auch nur angedeutet, ist die Entweihung des Grabmals auf einer Abbildung in »Paris Match«, da dort das zwar geschlossene, aber mit deutlichen Spuren einer Öffnung versehene Grabmal am vorderen Bildrand zu sehen ist, während dahinter Polizisten stehen (Abb. 22).50 Dass von dem eigentlichen Diebstahl keine Fotografien existierten, kompensierte die Illustrierte mit einer Zeichnung (Abb. 23). Auf dem Cover der Ausgabe vom 3. März – also zu einem Zeitpunkt, an dem die Täter bereits gefasst und der Sarg wieder bestattet worden war – waren insgesamt sechs Männer zu sehen, wie sie das Grab öffneten und den Sarg davon trugen.51 Dabei ist der Bildausschnitt so gewählt, dass am vorderen Bildrand der Rücken eines Mannes im braunen Jackett und einer sehr hohen Stirn zu sehen ist. Er weist mit seiner rechten Hand zum rechten Bildrand, während direkt vor ihm zwei Männer einen Holzsarg tragen und drei andere auf der linken Bildhälfte die Grabplatte halten. Das Grab Pétains mit dem weißen Kreuz, den Plaketten am Sockel und den Zypressen vor der Friedhofsmauer dürfte für das Zeitungspublikum deutlich erkennbar gewesen sein, schließlich waren Fotografien des Grabes seit 1952 auch als Postkarten bzw. Souvenirs im Umlauf.52 Da die Täter zum Zeitpunkt der Publikation schon überführt waren, war es möglich, den Anführer der Gruppe im braunen Jackett zu identifizieren ; es handelte sich dabei um Hubert Massol.53 Die Grafik bündelt den Handlungsablauf in der Nacht vom 18. auf den 19. Februar 1973. Sie ist eine reine Fiktion, in der die Männer Grabplatte und Sarg in unnatürlicher und in Anbetracht der Gewichte unrealistischer Haltung vor sich halten. Hinzu kommt, dass zeitgenössische Berichte und einer der Grabschänder lediglich von fünf Personen
49 La Croix, 21. Februar 1973, S. 1, BU : »Dans le cimetière de l’île d’Yeu, les enquêteurs examinent la tombe profanée du maréchal Pétain«. 50 Paris Match, 3. März 1973, S. 30/31, BU : »Premier indice pour les enquêteurs : les abords de la tombe soigneusement balayés. Il ne s’agit donc pas de profanateurs, mais au contraire d’admiration du maréchal«. 51 »On a volé Pétain. Nos enquêteurs racontent tous les dessous de l’Affaire«, in : Paris Match, 3. März 1973, Titelseite, farbig. 52 Werbeanzeige in : Bulletin, 1 (1952), S. 7. Auch Dumas : La permission du Maréchal, S. 44. 53 Hubert Massol war am 21. Februar 1937 in Castres im Departement Tarn geboren. »M. Hubert Massol«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11. Auch wenn er aus Südfrankreich stammt und inzwischen in Paris lebt, nennt ihn Dumas auf Grund seiner Kleidung nur »le Breton«, Dumas : La permission du Maréchal, S. 67.
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Abb. 22 : Aufnahme des aufgebrochenen Grabmals auf der Insel Yeu, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 30 f.
sprechen anstatt von sechs.54 Dass die Illustrierte von diesen Angaben abwich, kann viele Gründe gehabt haben. Neben widersprüchlichen Informationen sei darauf hingewiesen, dass neben den tatsächlichen Grabschändern der Kreis der Unterstützer deutlich größer war und eine Person auch für die indirekte Beteiligung angeklagt worden war. Insofern scheint es naheliegend, dass die Abbildung auch deshalb hier keinen Anspruch auf Genauigkeit erhebt, sondern auf die größere Anzahl der Unterstützer verweist. Unabhängig von den Gründen für die Darstellung ist diese aber ein Beleg für die Wirkmächtigkeit von Bildern, denn obwohl die Quellen von fünf Dieben des Sarges berichten, werden in einer späteren Verfilmung des Leichendiebstahls sechs Personen dar54 Angabe bei Sarazin, James : »Cinq personnes sont maintenues en garde à vue«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11 ; Bocchi, Lorenzo : »La quiete ritrovata di Pétain«, in : Corriere della sera, 23. Februar 1973, S. 17 ; Dumas : La permission du Maréchal, S. 61, 63 und 82.
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gestellt.55 Dabei war der Historiker Jean-Yves Le Naour an der Produktion beteiligt und er beschreibt in seiner eigenen Studie zu dem Leichendiebstahl nur fünf Personen, wobei allerdings herausgestellt wird, dass im Hintergrund deutlich mehr Personen involviert waren.56 Hier zeigt sich, dass die Visualisierung der Illustrierten so prägend war, dass von ihr auch rund 40 Jahre später nicht abgewichen werden konnte. Reaktionen Dass der Sarg Pétains aus dem Grab auf der Atlantikinsel gestohlen worden war, wurde noch am selben Tag von den Behörden veröffentlicht. Die Reaktionen auf diese Bekanntmachung drückten unabhängig vom politischen Lager Bestürzung aus. Die Schwiegertochter, Odette de Hérain, verurteilte den 55 »On a volé le Maréchal !«, Condon Cédric/Jean-Yves Le Naour, produziert von Emmanuel Migeot (Kilaohm productions), 52 Min., 2012. Erstausstrahlung am 26. November 2012 bei France 3 in der Fernsehdokumentation »Docs interdits«. 56 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 134.
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Diebstahl des Leichnams scharf. Da sie nach dem Tod der Witwe, Eugenie Pétain, am 30. Januar 1962 und des Stiefsohns, Pierre de Hérain, am 25. September 1972 nun als nächste Angehörige galt, druckten ihre Stellungnahme besonders viele Zeitungen ab.57 Sie bezeichnete die Tat als dumm und herzzerbrechend und äußerte sogar die Befürchtung, die Diebe würden jede Spur von Pétain vernichten wollen. Wie sie zu diesem Schluss kam, ist nicht ersichtlich, schließlich war das Grabmal nicht zerstört, sondern vielmehr in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt worden. Aber auch der Anwalt der Familie, Isorni, verwies neben der Möglichkeit, dass es sich um von der Regierung enttäuschte Bewunderer Pétains handele, auf die Verhinderung einer Umbettung nach Douaumont.58 Dies war zwar ebenso spekulativ, aber so lenkte er die Aufmerksamkeit wieder auf die Translation. Auch Pétains Nichte Berthe verband ihre Hoffnung auf das baldige Auffinden des Leichnams mit dem Wunsch, dass er anschließend in Douaumont bestattet würde.59 Diese Hoffnung wurde durch eine Verlautbarung Jean-Louise Tixier-Vignancours bekräftigt, wonach sich die Diebe des Leichnams bei ihm gemeldet hätten und diese dem Präsidenten die Gelegenheit geben wollten, sich für eine endgültige Beisetzung in Douaumont zu entscheiden.60 Dies klang freilich wie eine Erpressung nach dem Prinzip : Der Leichnam wird nur herausgegeben, wenn er danach in Douaumont bestattet wird. Le Naour spricht in diesem Zusammenhang daher auch von Kidnapping und Hélène Miard-Delacroix von dem entführten Sarg,61 was weder mit dem juristischen Status eines Leichnams vereinbar ist noch die ursprüngliche Intention der Diebe berücksichtigt, wonach die Entwendung nicht entdeckt werden sollte. 57 Bspw. »La belle-fille du maréchal Pétain porte plainte pour violation de sépulture«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Après la surprise, réprobation unanime«, in : La Croix, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Scomparsa la salma del Maresciallo Pétain«, in : Il Secolo d’Italia ; »Pétain’s Coffin Vanishes from Island Tomb« ; Pancaldi, Augusto : »Perché il trafugamento della salma di Pétain ? Un’ ›Operazione‹ che sembra andare a beneficio dei gollisti’, in : L’Unità (Nuova serie), 21. Februar 1973, S. 6. 58 Bocchi : »Rubata la salma di Pétain. L’Altra notte della Tomba nel cimitero dell’isola di yeu«. 59 »La belle-fille du maréchal Pétain porte plainte pour violation de sépulture«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11. 60 So zitiert in »M. Tixier-Vignancour : j’ai été informé que le cercueil avait été transféré il y a un mois dans le secteur de Verdun«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11. Die exaktere Übersetzung lautet : »[U]m dem französischen Staatspräsidenten zu ermöglichen, über seine endgültige Beerdigung in Douaumont zu entscheiden«. 61 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 143 ; Miard-Delacroix, Hélène : Im Zeichen der europäischen Einigung 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011, S. 222.
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Vielmehr wurde diese Interpretation von Gabriel Macé in der Satirezeitung »Le Canard enchaîné« eingeführt, als er über die Motive der Diebe und ihren Kult um militärische Führerfiguren spekulierte.62 Geplant hatten die Diebe jedoch keine Entführung, sondern eine Translation, erst als diese scheiterte, gingen sie dazu über, Forderungen an die Regierung zu stellen, bei denen sie den Sarg mit den Gebeinen Pétains als Druckmittel einsetzten. Dennoch war die Entwendung des Sarges eine Drohgebärde gegenüber den Behörden und erregte so kurz vor dem 57. Jahrestag des Beginns der Schlacht von Verdun selbstverständlich Aufmerksamkeit. Darüber hinaus sollten am 4. und 11. März Parlamentswahlen stattfinden. Eine Diskussion um Pétain und seinen Platz in der französischen Geschichte konnte Staatschef Pompidou zu diesem Zeitpunkt, zu dem bereits seine Führungsschwäche beklagt wurde und das Bündnis Union de la Gauche den Gaullisten die Stimmen streitig machte, nicht gebrauchen.63 Hinzu kam, dass ein erneutes Aufbrechen des Konflikts um die Épuration zu weiteren Unruhen hätte führen können, deutete doch nach der Presseerklärung Tixier-Vignancours alles darauf hin, dass es sich bei den Dieben des Sarges um Anhänger Pétains handelte. Die Regierung schwieg öffentlich zu den Ereignissen, einzig der Präfekt Ninin äußerte sich gegenüber der Presse, verwies aber darauf, dass er für eine Translation nicht verantwortlich sei.64 In die Zuständigkeit des Departements Vendée fiel nur die Ermittlung wegen Störung der Totenruhe und Entwendung des Sarges. Der Präfekt war am 19. Februar gegen 17 Uhr an die Öffentlichkeit getreten, um die Spekulationen über den Leichendiebstahl zu bestätigen, dagegen hatte sich der Anwalt Tixier-Vignancour bereits am frühen Nachmittag an die Presse gewandt, um von einem anonymen Anruf zu berichten, wonach ihm der Anrufer versicherte, den Sarg bereits einen Monat früher entwendet und in den Bereich von Verdun gebracht zu haben.65 Diese Behauptung war möglich, da die Gruppe bei der Graböffnung kaum Spuren hinterlassen hatte. Doch dass Tixier-Vignancour sogar vor den Behörden mit der Nachricht der Entwendung des Leichnams an die Medien trat und die Aufmerksamkeit auf Verdun lenkte, ist besonders bemerkenswert, denn dieses Telefonat hat es nach Angaben des 62 Macé, Gabriel : »C’est Pétain qu’il nous faut. Les os de Vichy«, in : Le Canard enchaîné, 21. Februar 1973, S. 1. 63 Loth : Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, S. 214. 64 »Le cercueil de Pétain a disparu de l’île d’Yeu«, in : L’Humanité. 65 »M. Tixier-Vignancour : j’ai été informé que le cercueil avait été transféré il y a un mois dans le secteur de Verdun«, in : Le Monde ; »Pétain’s Coffin Vanishes from Island Tomb« ; auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 142.
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Grabschänders Dumas so nie gegeben.66 Vielmehr trat nun der Hintermann und Initiator des Diebstahls in Erscheinung, der auf diese Weise sicherstellte, dass die Entwendung des Leichnams öffentlich wurde. Gleichzeitig verschaffte er den Männern mit dem Sarg Zeit, die sie durch die frühzeitige Entdeckung verloren hatten. Dass die Öffnung des Grabes entdeckt worden war, hatte die auf Yeu das Museum zum Andenken an Pétain betreibende Familie Nolleau bereits morgens an unterschiedliche Personen aus dem Umkreis der ADMP gemeldet.67 Gleichzeitig lenkte Tixier-Vignancour damit die Aufmerksamkeit weg von der Straftat, dem eigentlichen Diebstahl, auf die neuerliche Beisetzung. Die illegale Öffnung des Grabes und der anschließende Transport des Sarges waren Mittel zum Zweck auf dem Weg nach Douaumont.68 Die Erfolgsaussichten für eine Translation nach Douaumont wurden von den monarchistischen Wochenblättern »Aspect de la France« sowie »Rivarol« als politisch aussichtslos eingestuft und »Rivarol« lehnte eine Umbettung ohne offizielle Revision des Urteils ab.69 Demgegenüber fürchteten die Verbände der ehemaligen Widerstandskämpfer um die Integrität des Soldatenfriedhofs.70 Für viele von ihnen kam eine Beisetzung Pétains in Douaumont einer Rehabilitation gleich, die sie entschieden ablehnten. Auch wenn die Störung der Totenruhe über die politischen Lager hinweg Bestürzung hervorrief und die Umfragen inzwischen eine mehrheitliche Akzeptanz für eine Umbettung ergaben, wurde doch immer noch deutlicher Widerstand dagegen artikuliert. Keinesfalls kann von einem einhelligen gesellschaftlichen Klima gesprochen werden. Vielmehr übten selbst Anhänger Pétains wie die ADMP und nationalistische Vereinigungen Kritik an dem Vorgehen der Grabschänder, so dass die Exhumierung wie auch die Translation sowohl von links wie auch von rechts abgelehnt wurde, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen. Gerade Verbände, die sich mit der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen und deren Gedenken beschäftigten, wie beispielsweise der Mouvement contre le ra66 Dumas : La permission du Maréchal, S. 101. 67 »Enlèvement du cercueil du Maréchal et son retour à l’île d’Yeu«, in : Le Maréchal, 90 (1973), S. 3. 68 Der Anwalt behauptete später, der ursprüngliche Plan habe vorgesehen, den Sarg direkt nach Douaumont zu bringen und durch die geschaffenen Tatsachen eine Bestattungsfeier zu ermöglichen, Tixier-Vignancour : Des républiques, des justices et des hommes, S. 359. 69 »Pétain à Douaumont ? Nous n’en serions pas là si le Pouvoir avait accepté la revision de l’Histoire«, in : Aspects de la France, 22. Februar 1973, S. 1 ; [R.] : »Au-delà de la tombe, le Maréchal leur fait peur«, in : Rivarol, 22. Februar 1973, S. 1/4. 70 »Le cercueil de Pétain a disparu de l’île d’Yeu«, in : L’Humanité. Auch »Stupéfaction et indignation«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Pétain’s Coffin Vanishes from Island Tomb«.
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cisme, l’antisémitisme et pour la paix, erinnerten daran, dass Pétain wegen Hochverrats verurteilt worden sei und unter anderem die Verantwortung für die Kollaboration, die Repressionen gegen die Résistance und die Deportationen trage.71 Die historiografische Auseinandersetzung mit Pétains Rolle als Staats chef war zu diesem Zeitpunkt in Frankreich noch nicht weit fortgeschritten. Nur langsam wurden die Einflüsse der internationalen Forschung aufgegriffen und verdrängten die apologetischen Schriften von Pétains Weggefährten und Bewunderern.72 Tatsächlich war Robert Paxtons vielbeachtete Studie über das Vichy-Regime, die herausarbeitet, wie die französische Seite die Kollaboration mit Deutschland aktiv gesucht hatte, erst wenige Tage zuvor bei Editions du Seuil auf Französisch publiziert worden.73 Die Entwendung des Sarges in einen direkten Zusammenhang mit der Publikation zu setzen, wäre sicherlich übertrieben. Der Versuch einer Translation nach Douaumont stellte eher eine Gegenwehr gegen die allgemein einsetzende kritische Betrachtung des Vichy-Regimes und der Person Pétains dar.74 Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass die Verklärung der Résistance in den 1960er Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte. Dazu gehörte unter anderem die Überführung Jean Moulins ins Pantheon am 19. Dezember 1964.75 Demnach wurden in Frankreich selbst mit 71 »Les réactions«, in : Le Monde, 22. Februar 1973, S. 10 ; »Les anciens déportés : ›Nous ne to lérerons jamais‹« und »Le MRAP : ›Un verdict définitif‹«, in : L’Humanité, 21. Februar 1973, S. 8. 72 Ausführlicher dazu Leonhard : Mythisierung und Mnesie, S. 115–119 ; auch Laguerre, Bernard : Les biographies de Pétain. Tatsächlich hatte Jacques Isorni erst 1972 den ersten Band seiner verherrlichenden Biografie über Pétain veröffentlicht, Isorni : Philippe Pétain, 2 Bde., Paris 1972/1973. 73 Paxton, Robert Owen : La France de Vichy, 1940–1944, Paris 1973 (engl. Original 1972). Eine der frühesten französischen Rezensionen dazu Gillet, Paul : »Le courrier de l’histoire. L’avènement des technocrates«, in : Le Monde, 1. Februar 1973. Zu den Auswirkungen dieser Arbeit auf die französische Forschung Martens, Stefan : Frankreich zwischen »Histoire contemporaine« und »Histoire du temps présent«, in : VfZ 55 (2007), S. 583–616, hier S. 601– 604 ; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 287–295 ; Temkin, Moshik : ›Avec un certain malaise‹. The Paxtonian Trauma in France, 1973–74, in : JCH 38 (2003), S. 291–306. 74 Hier sei noch erwähnt, dass die aktive Rolle der Vichy-Regierung in der Kollaboration bereits durch die 1968 erfolgte Übersetzung von Eberhard Jäckels Arbeit über Hitlers Frankreichpolitik einem französischen Publikum vor Augen geführt wurde, auch wenn dieses Buch nicht denselben Einschlag hatte wie Paxtons spätere Arbeit. Jäckel, Eberhard : La France dans l’Europe de Hitler, Paris 1968 (dt. Original : Frankreich in Hitlers Europa. Die deutsche Frankreichpolitik im 2. Weltkrieg, Stuttgart 1966). 75 Auf den Zusammenhang von Mythisierung der Résistance und der Überführung Moulins ins Pantheon hat zuletzt Vigreux, Jean : Croissance et contestations, 1958–1981, Paris 2014, S. 103, hingewiesen.
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größerem Abstand zum Zweiten Weltkrieg auch andere Leichen im Ringen um die ›offizielle‹ Erinnerung instrumentalisiert. 3.1.2 Zerstörung des geheimen Grabes Mussolinis Trotz aller Bemühung, den Begräbnisort geheim zu halten, gelang es einer kleinen Gruppe Neofaschisten, das Grab des einstigen Duce ausfindig zu machen. Diese Gruppe wurde von Domenico Leccisi angeführt, der zuvor die im Untergrund agierende neofaschistische Gruppierung Partito Fascista Democratico (kurz : PFD) gegründet hatte.76 Da schnell bekannt geworden war, dass Mussolini auf dem Feld Nummer 16 des Friedhofs Musocco lag, hatte Leccisi nur noch das richtige Grab identifizieren müssen.77 Danach stahlen er und zwei Komplizen in den frühen Morgenstunden des 23. April 1946 den Leichnam Benito Mussolinis vom Friedhof.78 Die anderen toten Faschisten interessierten die Diebe nicht, sie öffneten einzig das Grab Nummer 384.79 In dem leeren Sarg ließen sie eine Erklärung sowie einen Brief des PFD und einen Stiefel Mussolinis zurück, während sie den zweiten im Grab liegenden Stiefel und die
76 Leccisi : Con Mussolini, S. 225–236 ; Luzzatto : Il Duce, S. 134 ; Lembo, Daniele : Fascisti dopo la Liberazione. Storia del Fascismo e dei fascisti nel dopoguerra in Italia. Dalla Repubblica Sociale al Movimento Sociale Italiano 1945–1956, Pavia 2007, S. 57. Eine Einordnung des PFD in die Entstehungsphase der ersten neofaschistischen Gruppierungen bietet Parlato, Giuseppe : Fascisti senza Mussolini. Le origini del neofascismo in Italia, 1943–1948, Bologna 2006, S. 157–164 und 228. Mit der Bezeichnung »Neofaschisten« werden in Italien alle sich nach 1943 bzw. 1945 auf den Faschismus beziehenden Personen oder Parteien bezeichnet. Dabei werden bestehende Kontinuitäten nicht berücksichtigt. Der am 20. Mai 1920 in Molfetta (Bari) geborene Domenico Leccisi war dieser Kontinuität verpflichtet. Auch wenn er zum Zeitpunkt der Gründung der RSI erst 23 Jahre alt war, hat er sich sowohl als Journalist als auch Soldat aktiv für den Faschismus eingesetzt. Dieses Engagement wurde durch das Kriegsende und den Tod seines Duce nicht unterbrochen und so arbeitete er im Untergrund weiter. 77 Carioti, Antonio : Gli orfani di Salò. Il »Sessantotto nero« dei giovani neofascisti nel dopoguerra. 1945–1951, Mailand 2008, S. 44, weist darauf hin, wie sehr Leccisi die Identifikation des richtigen Grabes dramatisiert. Andererseits zeigt der an der Zuordnung der Gebeine gescheiterte Diebstahl des Leichnams von Anton Mussert 1956, wie wichtig es war, dass keine Zweifel an der Identität des Leichnams aufkommen. 78 Leccisi : Con Mussolini, S. 250. Die Gruppe bestand neben Leccisi aus Mauro Rana und Antonio Parozzi. Allerdings verwendeten sie alle Decknamen ; so war Leccisi Marco, Rana war Feruccio und Parozzi war Rino. Dabei ist es besonders auffällig, dass Leccisi selbst in seinen Jahrzehnte später veröffentlichten Memoiren die Personen meist mit ihren Decknamen bezeichnet. 79 Leccisi : Con Mussolini, S. 247 ; Pensotti : La restituzione dei resti, S. 24.
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Uniformhose mitnahmen.80 Leccisi beschrieb dieses Zurücklassen eines Erinnerungsstückes später als eine bewusste Entscheidung, da durch den Abgleich der Stiefel die Authentizität des Leichnams hätte nachgewiesen werden können.81 Außerdem ließen die Diebe ihre Werkzeuge zurück, so dass sich den Friedhofsarbeitern am nächsten Morgen eine chaotische Szene bot, die keinen Zweifel daran ließ, dass hier ein Leichnam illegal exhumiert worden war. Die Arbeiter informierten die Behörden, damit die Identität der verschollenen Leiche festgestellt werden konnte. Daran, dass die Täter Neofaschisten waren, konnte durch das Bekennerschreiben kein Zweifel bestehen,82 auch wenn sie anonym blieben. Zwar musste überprüft werden, ob der entwendete Leichnam wirklich der von Mussolini war, doch dies wurde bald bestätigt. Die Graböffnung erfolgte in der Nacht von Ostermontag auf Dienstag. Nach eigenen Angaben war der Diebstahl eigentlich für Mussolinis ersten Todestag am 28. April geplant gewesen, doch in der Nacht vom 22. auf den 23. April nutzten die Diebe die Gunst der Stunde, um die Leiche unentdeckt aus der Stadt zu schaffen, als sich alle Sicherheitskräfte in Mailand auf den am Sonntagabend ausgebrochenen Aufstand im Gefängnis San Vittore konzentrierten.83 Offenbar war ihnen das Datum nicht so wichtig wie eine möglichst ungehinderte Flucht. Interpretationen, wonach die zeitliche Nähe des Verschwindens der Leiche zum Osterfest als Inszenierung der Auferstehung Mussolinis parallel zum Osterwunder zu verstehen sei, erweisen sich damit als Projektion christlicher Werte auf die Leichendiebe,84 die diese selber nirgends erkennen lassen. Vielmehr spielen diese Auslegungen der neofaschistischen Verehrung des Duce 80 Die Beschreibung des Leichendiebstahls basiert auf »I resti di Mussolini trafugati dai fascisti«, in : Avanti !, 24. April 1946, S. 2 ; »Hanno trafugato il cadavere di Mussolini. Lasciate che i morti seppelliscano i loro morti«, in : La Nuova Stampa, 24. April 1946, S. 1 ; »Nuove provocazioni fasciste sono avvenute ieri a Milano«, in : L’Unità, Nr. 98, 24. April 1946, S. 1 ; »Quale via ha preso il cadavere di Mussolini ? Il ratto di Musocco«, in : La Nuova Stampa, 25. April 1946, S. 1 ; »La polizia indaga fra cento affossatori. La scomparsa del cadavere di Mussolini«, in : L’Unità, Nr. 99, 25. April 1946, S. 2 ; »La fossa nel cimitero di Musocco a Milano da dove ignoti fanatici hanno asportato il cadavere di Mussolini. Si ricopre la fossa dopo il trafugamento«, in : L’Illustrazione Italiana, 5. Mai 1946, S. 298 ; »A Milan le corps de Mussolini a été enlevé par des inconnus«, in : Le Monde, 24. April 1946, S. 8 ; »Mussolini’s Body Stolen. Taken From Secret Grave«, in : The Times, 24. April 1946, S. 3 ; sowie Kirkpatrick : Mussolini, S. 573 ; Leccisi : Con Mussolini, S. 259–262 ; Luzzatto : Il Duce, S. 145. 81 Leccisi : Con Mussolini, S. 261 f. 82 Das Repro des Briefes vom 23. April 1946 ist abgedruckt bei Leccisi : Con Mussolini, S. 388. 83 »Mussolini’s Body Stolen. Taken From Secret Grave«, in : The Times, 24. April 1946, S. 3. Dazu auch Leccisi : Con Mussolini, S. 249 f. 84 Dazu auch Bosworth : Mussolini, S. 414 ; Luzzatto : Il Duce, S. 145.
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als »Heiligem« in die Hände und basieren auf einer sehr freien Interpretation der Auferstehung Christi, denn Mussolinis Grab wurde nicht an Ostern, sondern am Tag danach leer vorgefunden. Während das mitgebrachte Manifest, der Brief und die Vorverlegung des Diebstahls darauf hindeuten, dass die Tat gründlich vorbereitet worden war, konterkariert Leccisi diesen Eindruck, wenn er rückblickend beschrieb, wie er sich erst nach der Tat Gedanken über ein Versteck für die Leiche gemacht habe.85 Auch dass die Diebe die Leiche in einer Plane über den Friedhof geschleift haben und später in Gummisäcke steckten, entspricht nicht dem ehrfürchtigen Anspruch des Manifests, über den Leichnam Mussolinis wachen zu wollen, bis eine glanzvolle Bestattung möglich sei.86 Vielmehr scheint es, als sei mit der Zerstörung des Grabes im Namen der neuen neofaschistischen Partei bereits ein Ziel erreicht worden. Das anonyme Grab wurde vollkommen verwüstet und die Grabstätte chaotisch hinterlassen. Die Diebe zerstörten die nicht akzeptierte Grabstätte, was neben der Entwendung des Leichnams einen zusätzlichen Aspekt der Kritik an dem vollzogenen Ritual darstellte. Die ursprüngliche Grabstätte existierte nicht mehr, was die Wiederbestattung an derselben Stelle erschwerte. Gerade die italienischen Medien halfen, dieses Motiv zu verbreiten, da sie Fotografien der verwüsteten Grabstelle veröffentlichten. So zeigte eine Aufnahme in »L’Illustrazione Italiana«87 ein Loch im Boden, in das ein nach vorne gebeugter Arbeiter blickt (Abb. 24). Ein weiterer Arbeiter befindet sich in der Grube. Außerdem ist auch auf dieser Aufnahme ein Polizist zu erkennen, so wie auf der Aufnahme vom Diebstahl auf der Île d’Yeu. Anscheinend fungieren die Polizisten in beiden Abbildungen als Verweis auf die Ermittlungen, auch wenn der Polizist hier hinter dem Arbeiter nur zu erahnen ist, während der ebenfalls auf der Fotografie zu erkennende Fotograf, der seine Kamera auf den Tatort gerichtet hat, wohl den Nachrichtenwert des Diebstahls unterstreicht. Diese rund zwei Wochen nach der Entwendung der Leiche veröffentlichte Fotografie visualisierte die Zerstörung des bisherigen Grabes und verwies in der Bildunterschrift darauf, dass das Grab nun abgedeckt werde. Auch »Avanti !« veröffentlichte eine Aufnahme des geschändeten Grabes.88 Das Loch im Boden mit den daneben 85 Leccisi : Con Mussolini, S. 265. 86 Aus dem Manifest zitiert »I resti di Mussolini trafugati dai fascisti«. 87 »La fossa nel cimitero di Musocco a Milano da dove ignoti fanatici hanno asportato il cadavere di Mussolini. Si ricopre la fossa dopo il trafugamento«, in : L’Illustrazione Italiana, 5. Mai 1946, S. 298. 88 »La fossa come è stata trovata ieri mattina : intorno si vedono gli attrezzi dei trafugatori«, in :
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liegenden Werkzeugen ist hier im Bildvordergrund zu sehen und der Abstand zu den Grabsteinen im Hintergrund ist so groß, dass ohne den begleitenden Artikel und die Bildunterschrift kein Zusammenhang zu dem Grab Mussolinis erkennbar wäre. Dort sieht man einfach eine ausgehobene Grube im Boden, in die zwei Fotografen blicken, einer davon in Militäruniform. So banal Mussolinis Bestattungsort auf den Aufnahmen wirkt, so unspektakulär waren auch die Berichte über die Entwendung der Leiche. Eine richtige Sensationsmeldung war der Diebstahl neben den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Neofaschisten und Kommunisten sowie dem ersten Jahrestag der Befreiung nicht, und obwohl, wie auf den Aufnahmen zu erkennen, auch zahlreiche Fotografen vor Ort gewesen waren, wurden nur wenige Bilder davon zeitnah publiziert. In keinem der Artikel kommt die Witwe oder ein Familienmitglied zu Wort, vielmehr wird einfach auf die Pressemeldung der Stadtverwaltung von Mailand Bezug genommen und auf die begonnene Untersuchung verwiesen. Ob die Redakteure absichtlich so zurückhaltend über die Tat berichteten, um den Neofaschisten mit Blick auf das Referendum über die zukünftige Staatsform am 2. Juni nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken und dem Ansehen Italiens kurz vor der Pariser Friedenskonferenz ab dem 29. Juli nicht zu schaden, kann nur vermutet werden. Ein Indiz dafür ist, dass »L’Unità« am 30. April titelte »La pace di Parigi si difende a Roma” (Der Frieden von Paris wird in Rom verteidigt)89 und weiter ausführte, dass die Regierung die beschämenden Taten der Anhänger Mussolinis beenden werde. Vor diesem Hintergrund kommt den veröffentlichten Aufnahmen eine besondere Bedeutung zu, denn die Redakteure der kommunistischen Tageszeitung und der in Mailand verlegten Wochenzeitung entschieden sich, die Fotografien trotzdem zu veröffentlichen und so das Verbrechen in aller Drastik darzustellen. Anstelle der nüchternen Pressemeldung zeigten sie das geschändete Grab und machten die Anonymität des Gräberfeldes vollkommen zunichte. Dass die Grabschänder mit ihrem Diebstahl Aufsehen erregen wollten, ist offensichtlich, schließlich hatten sie bereits in der ersten Ausgabe ihrer Parteizeitung »Lotta fascista« (Faschistischer Kampf ) im März verkündet : »Il Fascismo non è morto !« (Der Faschismus ist nicht tot !).90 Leccisi war zugleich Avanti !, 24. April 1946, S. 2. Den Fotoreporter in Uniform zusammen mit zwei Mailänder Stadtpolizisten zeigt auch eine Abbildung von Publifoto in : Leccisi : Con Mussolini, S. 387, bzw. Luzzatto : Il Duce, S. 147. 89 »La pace di Parigi si difende a Roma«, in : L’Unità (Nuova serie), 30. April 1946, S. 1. 90 »Proclama«, in : Lotta fascista. Organo clandestino del partito fascista democratico, 1946, Nr. 1, S. 1, in : ACS, MI, Gabinetto 1944–46, busta 226, fasc. 23050, Milano, movimento
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Abb. 24 : Abbildung von Mussolinis zerstörtem Grab, in : L’Illustrazione Italiana, 5. Mai 1946, S. 298.
Anführer der Diebesbande, Parteichef und Chefredakteur. Dem Präfekten der Stadt Mailand hatte er in einem Brief vom 6. April die Wiederbelebung des Faschismus bereits angekündigt.91 Dieses Schreiben drückte einen klaren Geltungsanspruch dieser nur 250 Anhänger zählenden neofaschistischen Gruppierung aus,92 gleichzeitig stellte der Vorstand Forderungen an den Präfekten, darunter die Freilassung von politischen Gefangenen aus eben dem Gefängnis, in dem der Aufstand ausbrach, in dessen Schatten Leccisi und seine Helfer den Leichnam entwendeten. Sie hatten ihren Worten Taten folgen lassen und den Anführer des Faschismus aus seinem Grab befreit und so sinnbildlich auch den Faschismus. Dass die Leichen von Pétain und Mussolini aus ihren Gräbern gestohlen wurden, ist die offenkundigste Gemeinsamkeit beim Umgang mit den toten ehemaligen Herrschern. Gemeinsam war beiden Fällen, dass die Diebstähle durch rechtsextreme Bewunderer der Verstorbenen initiiert worden waren, jefascista ; auch reproduziert bei Leccisi : Con Mussolini, S. 391. Der italienische Publizist Daniele Lembo betont, dass die Zeitung komplett von Leccisi verfasst wurde, Lembo : Fascisti dopo la Liberazione, S. 58. 91 Repro des Briefs vom Partito Fascista Democratico. Comitato Direttivo Centrale, datiert 6. April 1946, eingegangen 11. April 1946, Nr. 029.6996, in : ACS, MI, Gabinetto 1944–46, busta 226, fasc. 23050. 92 Parlato : Fascisti senza Mussolini, S. 158.
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doch unterschieden sie sich im Ablauf, dem Ausmaß der Grabschändung und der Zielsetzung deutlich voneinander. Während die Diebe auf Yeu alles taten, damit der Diebstahl der Leiche so spät wie möglich entdeckt würde, und ein intaktes Grabmal hinterließen, um unbemerkt nach Douaumont zu gelangen, hatten Leccisi und seine Kumpane das als Schande empfundene Grab Mussolinis geleert und verwüstet. Da die Anhänger Pétains an der Bestattung mitgewirkt und sich an dem Grab zu Gedenkfeiern versammelt hatten, hatten sie ein anderes Verhältnis zum Grabmal als die Anhänger Mussolinis, die das anonyme Grab als Demütigung begriffen und daher zerstörten. Die Grabschändung und Entwendung von Mussolinis Leichnam war eine direkte Reaktion auf die Gestaltung der Bestattung durch das Befreiungskomitee und den Mailänder Erzbischof 1945 und kann daher neben der Werbung für den PFD auch als Ritualkritik gewertet werden. Dies gilt aber nicht für den Diebstahl des Sargs von Pétain, denn es war nicht nur ein langer Zeitraum seit der Beisetzung vergangen, sondern Pétainisten und Vichyisten hatten an dem Bestattungsritual teilgenommen oder später durch andere Handlungen das Grab legitimiert. So zog die französische »Le Monde« nach Bekanntwerden des Verschwindens von Pétains Leiche den Vergleich mit den Diebstählen der Leichen von Mussolini sowie Evita Peron, leitete aber aus den Beispielen keine Schlussfolgerungen für die Situation in Frankreich ab.93 Insofern kann der Diebstahl an Mussolini schwerlich als Vorbild für die Anhänger Pétains fungiert haben, höchstens als Inspiration, falls sie den Fall kannten, was aber anzunehmen ist, obwohl der jüngste unter ihnen, Hubert Massol, im Jahr 1946 erst neun Jahre alt gewesen war.94 Doch die Entwendung des Leichnams durch »Faschisten« wurde in der Berichterstattung zur Translation im Jahr 1957 erneut thematisiert.95 Darüber hinaus ist zu fragen, was jenseits des Konzepts des Diebstahls für die Franzosen überhaupt als vorbildlich hätte gelten können, schließlich führte die Tat in Italien nicht zu einer umgehenden Umbettung Mussolinis, so wie sie sie für Pétain anstrebten. 93 [J. N.] : »Le vol du cercueil de Mussolini«, in : Le Monde, 21. Februar, S. 11. 94 Das Alter der Beteiligten wird angegeben bei Sarazin, James : »Cinq personnes sont maintenues en garde à vue«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11. Die Diebe waren größtenteils um die vierzig Jahre alt, einzig die Hintermänner Jean-Louis Tixier-Vignancour und François Boux de Casson waren Mitte sechzig und bereits in der Dritten Republik politisch tätig gewesen. 95 In der franz. Presse bspw. bei d’Hospital, Jean : »Le corps de Mussolini vient d’être rendu à sa famille par les pouvoirs publics«, in : Le Monde, 2. September 1957, S. 9 ; »La dépouille de Mussolini rendue à sou épouse«, in : Paris-Presse, 31. August 1957, S. 1.
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Im Unterschied zu den italienischen Neofaschisten stellten die Diebe P étains, nachdem ihr ursprünglicher Plan einer Überführung nach D ouaumont gescheitert war, konkrete Forderungen an die Regierung und ordneten sich keiner bestimmten politischen Partei zu. Demgegenüber hinterließen die italienischen Grabschänder ein Flugblatt ihrer Partei und eine Art politisches Bekennerschreiben. Dennoch drückten beide Gruppen ihren Widerspruch gegen die Gestaltung der Bestattungen und die damit verbundene Wertezuschreibung deutlich aus.
3.2 Suche und Versteck Während die Kritik an den Beisetzungen noch als Bestandteil des Rituals verstanden werden kann,96 gehören weder die Suche noch das Verstecken der Überreste von Pétain und Mussolini zum Bestattungszeremoniell. Da die Störung der Totenruhe durch die illegalen Exhumierungen und die Zerstörung von Grabmälern jedoch gegen die Totenschutzregelungen im Strafrecht Frankreichs sowie Italiens verstießen,97 konnte auf etablierte Verfahrensregeln der Strafverfolgung zurückgegriffen werden. Diese Gesetze waren auch den Personen, die die Leichen aus ihren Gräbern entfernt hatten, bekannt, so dass sie bestimmte Handlungen der Polizei antizipieren konnten. Gleichzeitig mussten sie sich selbst jedoch an keine Vorgaben halten. Im Folgenden geht es daher besonders darum, wie die Diebe diesen Freiraum gestalteten und inwieweit die Behörden auf Grund der Identität der Leichen von den üblichen Ermittlungsformen abgewichen sind. 3.2.1 In Paris bittet ein Leichendieb zur Pressekonferenz Die auf Yeu stationierten Gendarmen waren als erste zu den verdächtigen Spuren am Grabmal Pétains gerufen worden. Sie benachrichtigten danach den Pro96 Zum Begriff der Ritualkritik Grimes ; Hüsken : Ritualkritik ; dort arbeiten sie heraus, dass es kaum Rituale gibt, die nicht ohne Abweichungen verlaufen und dass, wenn die daraus resultierende Kritik zu stark wird, Rituale auch scheitern können. 97 Code pénal (1810), Livre III, Titre II, Art. 358 bis 360 sowie Codice Penale (1930), Livre II, Titolo IV, Art. 407 bis 413. So stellt Labbée, Xavier : La condition juridique du corps humain avant la naissance et après la mort, Lille 1990, S. 228, heraus, dass Exhumierungen nach französischem Recht durch die örtliche Verwaltung genehmigt werden mussten. Allgemein auch Klinge : Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, S. 67.
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cureur de la République (Oberstaatsanwalt) sowie den Unterpräfekten in Les Sables-d’Olonne. Von dort gelangte die Information von der Grabschändung auf der Atlantikinsel über den Präfekten zum Innenministerium, zur Regierung und zum Präsidenten. Der Oberstaatsanwalt Roger Hauret und der Ermittlungsrichter Louis Calvet reisten selbst auf die Insel, um sich vom Verschwinden des Sarges Pétains zu überzeugen und die Ermittlungen aufzunehmen. Auch die Kriminalpolizei von Angers wurde eingeschaltet. Die Gendarmerie der Insel hatte zwischenzeitlich einen Hinweis auf die Estafette erhalten, so dass eine gezielte Fahndung nach dem Kleintransporter eingeleitet wurde. Gleichzeitig wurde die Polizei in der Region um Verdun in Bereitschaft versetzt und vor dem Beinhaus von Douaumont patrouillierten Gendarmen, um eine Überführung des Leichnams ohne Genehmigung zu verhindern.98 Nach Schätzung des »Time«-Magazins war fast die Hälfte der französischen Polizeikräfte auf der Suche nach dem geraubten Sarg und den Tätern.99 Das Ausmaß der Strafverfolgung wie der landesweite Einsatz von Polizei und Gendarmerie standen dabei in keinem Verhältnis zu dem geringen Strafmaß von bis zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 1.800 Francs für Grabschändung. Sowohl »L’Aurore« wie »Le Monde« erwähnten den möglichen Strafrahmen, doch »Le Monde« merkte an, dass der Gesetzgeber den möglichen politischen Charakter von Grabschändungen bei der Festsetzung wohl nicht bedacht hätte.100 Die Diskrepanz zwischen politischen Implikationen und strafrechtlichem Rahmen war offensichtlich. Gerade konservative Zeitungen wie »Le Figaro« und »La
98 Caviglioli : »Comment on vole un maréchal«, S. 32 f.; »La recherche du cercueil du maréchal Pétain«, in : Le Figaro, 21. Februar 1973, S. 1 ; »La belle-fille du maréchal Pétain porte plainte pour violation de sépulture«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Pétain : Nouveaux développements du scénario«, in : L’Humanité, 21. Februar 1973, S. 8 ; Mannucci, Loris : »Vane le ricerche della polizia per i ›trafugatori‹ di Pétain. Francia, acceso clima preelettorale«, in : La Stampa, 21. Februar 1973, S. 12 ; »Forse Pétain a Verdun tra i suoi soldati«, in : Il Secolo, 21. Februar 1973, S. 7 ; Wigg, Richard : »Police hunt fails to trace Pétain coffin«, in : The Times, 21. Februar 1973, S. 5. Auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 138–140. 99 Ca. 45.000 Polizisten schätzt »The Body Snatchers«, in : Time, 5. März 1973, S. 12 f. Paris Match gab an, dass »dix sections de la direction centrale de la P.j. [police judicaire, also der Kriminalpolizei] sont mobilisées ainsi que la brigade criminelle«, in Caviglioli : »Comment on vole un maréchal«, S. 33, und allein für die Absicherung des Beinhauses von Douaumont sollen zwei Kompanien der Gendarmerie eingesetzt worden sein, berichtet »Douaumont : L’ossuaire interdit au public«, in : L’Aurore, 22. Februar 1973, S. 18. 100 »Les peines encourues«, in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11 ; »Ce qu’ils risquent«, in : L’Aurore, 20. Februar 1973, S. 3 ; aber auch »Le Code prévoit une peine de prison (de trois mois à un an)«, in : La Croix, 21. Februar 1973, S. 11 wies auf das Strafmaß hin.
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Croix« veröffentlichten Aufnahmen, die die Anstrengungen der Ermittlungsbeamten demonstrierten.101 Gleichzeitig hatten die Diebe, nachdem ihr ursprünglicher Plan der unbemerkten Entwendung des Sarges nicht funktioniert hatte, umdisponieren müssen. So fuhr ein Teil der Gruppe mit dem Kleintransporter und dem darin befindlichen Sarg nach Paris. Dort wendeten sie sich an Tixier-Vignancour, der sie zusammengebracht und im Hintergrund die Fäden gezogen hatte, wie der Beteiligte Dumas in seinen Memoiren betont.102 Am Abend des 19. Februar trafen Massol und Dumas den Anwalt in seiner Wohnung, wo sie mit ihm das weitere Vorgehen berieten.103 Nachdem Tixier-Vignancour ihnen eine Adresse in Saint-Ouen, einem Ort in der nördlichen Pariser Banlieue, gegeben hatte, bat er die beiden angeblich : »Si les choses tournent mal, ne parlez surtout pas de moi. Je risquerais d’être radié du barreau et je ne pourrais pas vous défendre« (Wenn sich die Dinge zum Schlechten wenden, sprechen Sie bloß nicht von mir. Ich liefe Gefahr, aus der Anwaltskammer ausgeschlossen zu werden, und ich könnte Sie nicht verteidigen).104 Obwohl der Anwalt sich bereits öffentlich in die Berichterstattung über den Diebstahl eingeschaltet hatte, wollte er nicht direkt mit der Tat in Verbindung gebracht werden. Dieses doppelte Spiel ermöglichte es ihm auch weiterhin, mit den Behörden Informationen auszutauschen, obwohl sowohl er als auch Isorni offenbar von der Polizei beschattet wurden.105 Nach dem Treffen mit dem Hintermann trennten sich Dumas und Massol. Der Steinmetz kehrte in seine Werkstatt zurück, während der andere die Estafette und den Sarg versteckte.106 Doch bereits am nächsten Tag, dem 20. Februar, wurden drei Personen, darunter Michel Dumas, festgenommen und verhört.107 Am folgenden Tag fand die Polizei den blauen Kleintransporter, in
101 Le Figaro S. 1 am 21. und 22. Februar und La Croix, 23. Februar 1973, S. 1. 102 Dumas : La permission du Maréchal, S. 27–34 und 51–60. 103 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 154 ; Dumas : La permission du Maréchal, S. 104 f. 104 Zitiert nach Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 154, der selbst jedoch keine Quelle dazu angibt. Michel Dumas zitiert dies nicht. 105 Dumas : La permission du Maréchal, S. 104 ; Isorni : Mémoires, Bd. 3, S. 311. 106 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 157 ; Dumas : La permission du Maréchal, S. 104 f. 107 Dumas : La permission du Maréchal, S. 106–117 ; Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 159. Außerdem vernommen wurden die Helferin Solange Boche und der ehemalige Abgeordnete François Boux de Casson, »La mystérieuse Estafette bleue signalée à l’île d’Yeu retrouvée hier après-midi dans le 16e arrondt«, in : Le Figaro, 22. Februar 1973, S. 14 ; »La nouvelle affaire Pétain. ›Moi seul sais ou est le cercueil‹«, in : L’Aurore, 22. Februar 1973, S. 18.
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dem der Sarg von der Insel transportiert worden war. Doch vom Sarg und seinem Inhalt fehlte noch jede Spur. Gleichzeitig mischte sich Jacques Isorni in die Ermittlungen ein, nachdem er zunächst bemüht gewesen war, sich und die ADMP von der Öffnung des Grabes zu distanzieren.108 Doch die Position der Vereinigung und seine eigene als Verteidiger der Erinnerung an Pétain waren durch die illegale Exhumierung und den Erpressungsversuch am Staatspräsidenten bedroht, dem konnte er nicht tatenlos zusehen. Hätten die Grabschänder damit Erfolg gehabt, hätte dies eine schwere Niederlage für Isorni bedeutet. Er wollte keine Überführung des Sarges ohne eine juristische Revision und diese sollte durch ihn erreicht werden. Anstelle einer Bestattung in Douaumont empfahl er eine provisorische Beisetzung im Invalidendom. Mit diesem Vorschlag knüpfte er an die bereits dargestellte traditionelle Bestattungspraxis für die Marschälle und obersten Generäle Frankreichs an, hielt aber die Möglichkeit einer späteren Umbettung offen. Da der letzte Marschall von Frankreich, Alphonse Juin, erst sechs Jahre zuvor im Invalidendom beigesetzt worden war, gab es eine klare Referenz und es bedurfte keiner Erklärung der positiven Konnotation einer Beisetzung in der Chapelle des Invalides. Seine Idee hatte Isorni zuvor Tixier-Vignancour unterbreitet, obwohl er ihn im Verdacht hatte, in den Diebstahl verwickelt zu sein, wie er in seinen Memoiren beschreibt.109 Nach Isornis Angaben sei Tixier-Vignancour von seinem Vorschlag auf der Stelle begeistert gewesen und hätte nur eine Stunde gebraucht, um die Idee mit den Dieben abzustimmen. Daraufhin habe Jean Lemaire, Isornis Partner bei der Verteidigung Pétains, darauf bestanden, dass sie sich mit ihrem Vorschlag an den Innenminister Raymond Marcellin wendeten. Sie vereinbarten, Stillschweigen zu bewahren, bis sie Marcellin kontaktieren könnten, doch Tixier-Vignancour wandte sich noch am selben Tag an die Öffentlichkeit.110 In einigen französischen und internationalen Zeitungen war am Mitt108 »Les déclarations. Me Isorni«, in : Le Figaro, 21. Februar 1973, S. 8 ; »Me Isorni : partisans du maréchal ou agents provocateurs ?«, in : Le Monde, 22. Februar 1973, S. 10. Die italienischen Neofaschisten scheinen Isornis Verhalten kritisch zu sehen, »Scomparsa la salma del Maresciallo Pétain«, in : Il Secolo d’Italia, 20. Februar 1973, S. 1/8, hier S. 8. 109 Isorni : Mémoires, Bd. 3, S. 310, auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 159. 110 Isorni : Mémoires, Bd. 3, S. 311. Es ist besonders auffällig, dass einzig Isorni in seinen Memoiren erwähnt, dass auch Jean Lemaire involviert war, während die Zeitungen lediglich Isorni und Tixier-Vignancour zitieren. Lemaire blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1986 dem juristischen Kampf für die Rehabilitation Pétains verpflichtet, aber auch stets im Schatten Isornis.
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woch, dem 21. Februar zu lesen, dass Tixier-Vignancour zusammen mit Isorni zwischen der Regierung, den Leichendieben und der Familie vermitteln wolle und den Vorschlag einer vorübergehenden Beisetzung im Invalidendom unterstütze.111 Warum Tixier-Vignancour sich auf Isornis Initiative einließ, obwohl sie nicht seinem ursprünglichen Ziel entsprach, und weshalb er die Idee so umgehend an die Presse weitergab, ist letztlich nicht zu klären. Es liegt nahe anzunehmen, dass er die Zügel nicht aus der Hand geben wollte und deshalb auf Isornis Vorschlag einging. Immerhin bot ihm dieser Vermittlungsvorschlag eine Alternative zu dem gescheiterten Plan einer Umbettung im Verborgenen und verschleierte gleichzeitig seine eigene Beteiligung am Leichendiebstahl. Der Innenminister ging auf den Vorstoß der Juristen jedoch gar nicht ein. Die drei hatten offenbar aus Marcellins hartem Vorgehen gegen die Linksradikalen in Folge der Studentenunruhen und Streiks 1968 und der persönlichen Beziehung von Isorni zu ihm fälschlicherweise geschlossen, dass er so große Sympathien für ihre politische Haltung habe, dass er sie unterstützen werde.112 Stattdessen griff Hubert Massol die Idee einer provisorischen Beisetzung im Invalidendom auf und erklärte in einer von ihm einberufenen Pressekonferenz am 21. Februar, dass er als der Kopf der Gruppe, die den Sarg entwendet habe, der Einzige sei, der wisse, wo dieser sich befinde. Er werde das Versteck erst preisgeben, wenn der Staatspräsident schriftlich versichere, Pétain bis zur Rehabilitierung und Umbettung nach Douaumont in der Krypta des Invalidendoms beizusetzen.113 111 »Pétain : Nouveaux développements du scénario« ; Wigg, Richard : »Police hunt fails to trace Pétain coffin«, in : The Times, 21. Februar 1973, S. 5 ; Le indagini sul rapimento della salma di Pétain, in : L’Osservatore Romano, 22. Februar 1973, S. 7. Auch Isornis selbst : Mémoires, Bd. 3, S. 309 f., sowie Dumas : La permission du Maréchal, S. 125. 112 Vigreux : Croissance et contestations, S. 210, stellt heraus, dass Innenminister Raymond Marcellin, auch wenn er als ›der Knüppel‹ verschrien war, doch großen Respekt vor dem Gesetz hatte. 113 Ausführlich über die Pressekonferenz berichteten : »Le chef du commando qui a enlevé le cercueil de Pétain arrêté a Paris alors qu’il tenait une conférence de presse«, in : L’Aurore, 22. Februar 1973, S. 1/18 ; Sarazin, James : »Cinq personnes sont maintenues en garde à vue«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11 ; »Pétain : Un cercueil pour marchander«, in : L’Humanité, 22. Februar 1973, S. 6 ; [C. G.] : »›Un acte de foi‹«, in : Rivarol, 1. März 1973, S. 9 ; Bocchi, Lorenzo : »›Ho rubato la salma di Pétain‹. Forse risolto il mistero che ha turbato una Francia già inquieta«, in : Corriere della Sera, 22. Februar 1973, S. 19 ; »Si consegna il nostalgico che ha ›liberato‹ Pétain. Ma la salma ancora non si trova«, in : La Stampa, 22. Februar 1973, S. 13 ; »Ritrovata la salma di Pétain«, in : Il Popolo, 22. Februar 1973, S. 12 ; »Marshal Pétain’s remains to be returned to island grave after police discovery of coffin«, in : The Times, 22. Februar 1973, S. 5.
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Massol hatte die Journalisten in das Café »Le Cristal« unweit des Triumphbogens gebeten. Dort stellte er sich und die Forderungen seiner Gruppe vor, bevor die Polizei das Treffen beendete und Massol festnahm. Auf der Pressekonferenz sprach erstmals einer der Leichendiebe direkt mit Journalisten, ohne die Vermittlung Tixier-Vignancours. Ob dieser Schritt mit jenem abgestimmt war, muss offenbleiben ; die Rekonstruktion der Ereignisse durch Le Naour legt jedoch nahe, dass der Anwalt auch darüber Bescheid wusste.114 Isorni zeigte sich hingegen davon überrascht und kritisierte Massol dafür, den Präsidenten öffentlich so unter Druck gesetzt zu haben.115 Hubert Massol wurde durch diesen Auftritt jedenfalls schnell bekannt. Vermutlich lag darin seine Intention, da er sich den Journalisten als Vorstandsmitglied und Kandidat der rechts-nationalistischen Partei Alliance Républicaine pour les Libertés et le Progrès (kurz : ARLP) für die anstehenden Parlamentswahlen am 4. März vorstellte. Also auch im Fall von Pétain suchten die Diebe öffentliche Aufmerksamkeit für ihre eigenen politischen Ziele. An dieser Stelle wurde für die Zeitgenossen erstmals die enge Verbindung zu Jean-Louis Tixier-Vignancour augenfällig, schließlich hatte der Anwalt diese Partei nach seiner Niederlage in der Präsidentschaftswahl 1965 gegründet.116 Doch die umfangreicheren politischen Verstrickungen sowie die genaue Rolle des Parteivorsitzenden wurden weder von den zeitgenössischen Medien, den französischen Behörden noch von der historischen Forschung bisher eingehender betrachtet. Weshalb etwa leugnete Massol bei der Pressekonferenz, dass seine Partei und der Parteivorsitzende von seiner Initiative gewusst hatten ? Offenbar hatte er jedenfalls keine Skrupel, die Verbindung zur Partei öffentlich zu machen. Direkt nach der Festnahme Massols bestritt Tixier-Vignancour ebenfalls, Kenntnis von dessen Plan gehabt zu haben,117 obwohl dies kaum glaubwürdig war ; schließlich hatte er sich zum Sprachrohr der Diebe machen lassen und wollte dabei die Stimme seines Vertrauten nicht erkannt haben. Die kommunistische »L’Humanité« bemerkte, dass Tixier-Vignancour »apparait à 114 Dazu Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 162. Auch der Jurist Bouclier stellt dies als abgestimmt dar, obwohl er Tixier-Vignancours Beteiligung sonst herunterspielt, Bouclier : Tixier-Vignancour, S. 288. 115 Isorni in : »Pétain : Un cercueil pour marchander«. 116 Die Partei hatte nur bis in die 1970er Jahre Bestand. Dazu Leclercq, Jacques : Dictionnaire de la mouvance droitiste et nationale de 1945 à nos jours, Paris 2008, S. 30 ; Perrineau, Pascal : Le Front national : 1792–1992, in : Winock, Michel (Hg.) : Histoire de l’extrême droite en France, Paris 1993, S. 273–298, hier S. 243 ; Shields : The Extreme Right in France, S. 133 f. 117 »Pétain : Un cercueil pour marchander«.
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chaque détour de cette affaire« (bei jeder Wendung dieser Angelegenheit auftaucht). Pierre Viansson-Ponté erwähnte in »Le Monde« nur, dass ein Anwalt und Politiker eine seltsame und zweideutige Rolle bei den Vorkommnissen gespielt habe.118 Der Historiker Le Naour ist auf Grund eines Berichts über die Ermittlungen in Les Sables-d’Olonne der Auffassung, dass die Polizisten Anweisung erhalten hätten, in diese Richtung nicht weiter zu ermitteln, da die Regierung den Vorsitzenden einer bei den bevorstehenden Parlamentswahlen antretenden Partei, auch wenn es nur eine Splitterpartei sei, nicht verhaften wollte. Er folgert, dass die französische Regierung Tixier-Vignancour vor dem Hintergrund der Zersplitterung der rechten Parteien nicht mehr für so einflussreich hielt, ihn aber sicher dennoch im Auge behalten wollte.119 Auch wenn diese Beobachtung im Gegensatz zu dem bisher attestierten demonstrativen Bemühen der Regierung um ein korrektes Ermittlungsverfahren steht, so unterstreicht die plausible Interpretation gleichzeitig, wie sehr die Regierung unter Pierre Messmer zum einen darum bemüht war, die Affäre schnell und ohne viel Aufhebens abzuwickeln, und zum anderen den Leichendieben nicht geben wollte, wonach sie strebten, nämlich Aufmerksamkeit für ihre politischen Ambitionen. In seinen 1976 erschienen Memoiren gab sich Tixier-Vignancour dann deutlich offener und beschrieb, wie sich seine Parteifreunde mit seinem Einverständnis zum Handeln entschlossen hätten.120 Zwar bekannte sich der Anwalt nicht direkt zur Beteiligung an einer Straftat, lenkte aber erneut die Aufmerksamkeit auf seine Mitwisserschaft und die Partei hinter den Dieben. Doch mit dem Abstand von drei Jahren erzeugte die Beteiligung eines ehemaligen Präsidentschaftskandidaten an der illegalen Exhumierung kein politisches oder juristisches Interesse mehr. Offenbar waren die Behörden und Medien entschlossen, Tixier-Vignancours Streben nach öffentlicher Aufmerksamkeit nicht weiter zu unterstützen. Hingegen konzentriert sich die Berichterstattung im Februar 1973 auf den deutlich jüngeren Hubert Massol. Dieser Umstand wurde selbstverständlich dadurch begünstigt, dass Massol sich alleine mit der Presse traf. Einige Zei118 Ebenda, in : L’Humanité 22. Februar 1973, S. 6, sowie Viansson-Ponté, Pierre : »De dangereux imbéciles«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 1/11, hier S. 1. 119 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 170 f. 120 »Mes amis de l’Alliance républicaine décidèrent d’agir avec mon plein accord. Un petit commando fut constitué et procéda à une reconnaissance des lieux, avec prise de mesures. La date du 19 février 1973 fut retenue pour l’enlevèrent, dans la nuit du dimanche au lundi.« Tixier-Vignancour : Des républiques, des justices et des hommes, S. 359.
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tungen veröffentlichten Aufnahmen von der Pressekonferenz, die ihn entweder umringt von Journalisten oder Nahaufnahmen von ihm zeigten.121 Dabei sind die Unterschiede bei der Bildauswahl sehr aufschlussreich, da so bestimmte Stimmungen transportiert wurden. Im Wesentlichen sind zwei Bilder zu unterscheiden. Zum einen handelt es sich um eine Aufnahme der United Press International (kurz : UPI), aus welcher unterschiedliche Ausschnitte gewählt wurden, zum anderen um eine Fotografie, die anscheinend ausschließlich in »Paris Match« veröffentlicht wurde.122 Den größten Bildausschnitt der durch UPI vertriebenen Aufnahme zeigte der »Corriere«. Dort sitzen drei Männer an einem Tisch (Abb. 25), einer hält dem Mann in der Bildmitte ein Mikrofon hin, während sich der andere am linken Bildrand Notizen zu machen scheint. Einzig der Mann im Zentrum, der einen dunklen Anzug bzw. Mantel mit Krawatte trägt, ist der Kamera zugewendet, er blickt dabei aber scharf nach rechts. Dieser Mann ist Hubert Massol und durch seine Körperhaltung wirkt es, als habe etwas außerhalb des Bildausschnittes seine Aufmerksamkeit erregt. Dies korrespondiert mit Isornis Bericht, wonach Massol bei der Pressekonferenz verkündete, dass er damit rechne, jetzt festgenommen zu werden.123 Auf die Unterbrechung der Pressekonferenz durch die Polizei verwies denn auch die Bildunterschrift, die die Abbildung begleitete. Doch diese Informationsebene ging der Aufnahme in dem Moment verloren, in dem die Bildredaktionen von »The Times« und »Time« beschlossen, nur ein Kopfbild Massols zu veröffentlichen. Anstelle eines richtigen Porträts verwendeten beide ein Detail aus dieser Aufnahme (Abb. 26 und 27).124 In »Time« ist der Bildausschnitt so gewählt, dass die Krawatte sowie das Revers von Massols Mantels noch zu erkennen sind. Dadurch wirkt Massol unzugänglich, aber gleichzeitig harmoniert die Abbildung so mit den anderen beiden Aufnahmen, mit denen zusammen sie den Artikel über den Diebstahl und die wiederholte Beisetzung Pétains 121 Abbildungen in : Corriere della Sera, 22. Februar 1973, S. 19, Bildnachweis : Tel. ANSA-UPI [Agenzia Nazionale Stampa Associata – United Press International], BU : »Parigi – Hubert Massol, l’uomo che afferma di aver rubato la salma di Pétain, durante la conferenza-stampa interrotta della polizia« ; The Times, 22. Februar 1973, S. 5, BU : »M. Hubert Massol, self-proclaimed leader of the graveyard ›commandos‹« ; Paris Match, 3. März 1973, S. 31 oben, BU : »Hubert Massol, le cerveau du rapt : ›Mes deux grands-pères étaient à Verdun‹« ; Time, 5. März 1973, S. 12/13, Bildnachweis : UPI [United Press International], BU : »Suspect Hubert Massol«. 122 Dies sind die Aufnahmen veröffentlicht in Corriere della Sera, 22. Februar 1973, S. 19 und Paris Match, 3. März 1973, S. 31 oben. 123 Isorni : Mémoires, Bd. 3, S. 313. 124 Abgedruckt in The Times, 22. Februar 1973, S. 5 und Time, 5. März 1973, S. 12–13.
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Abb. 25 : Abbildung der UPI von Massol während der Pressekonferenz, in : Corriere della Sera, 22. Februar 1973. Abb. 26 : Abbildung Massols, in : Time, 5. März 1973, S. 12–13. Abb. 27 : Abbildung Massols, in : The Times, 22. Februar 1973, S. 5.
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begleitet.125 Durch die Anordnung der drei Abbildungen wirkt es, als würde Massol missbilligend auf die Wiederbestattung Pétains auf Yeu blicken. Gleichzeitig wird durch die Bildauswahl im »Time«-Magazin noch etwas anderes augenfällig, nämlich dass Massol einen Schnurrbart trug, der dem von Pétain sehr ähnlich war. Dies erweckt den Eindruck, dass Massol ein dermaßen großer Bewunderer Pétains war, dass er sogar versuchte, sich ihm äußerlich anzugleichen. Bei »The Times« ist der Bildausschnitt vollkommen auf den Kopf konzentriert, was Massol regelrecht verschlagen wirken lässt. Durch die Bildunterschrift werden gleichfalls Zweifel an seiner Person evoziert, die Bezeichnung »selbsternannter Anführer« klingt nicht so, als sei ihm zu trauen. Die ausländischen Zeitungen stellten Massol visuell negativer dar als die französischen, welche ihm auch innerhalb der Abbildungen mehr Raum zugestanden. So beinhaltet die in »Paris Match« veröffentlichte Aufnahme von Massol einen weiteren Bildausschnitt, der zeigt, dass deutlich mehr Personen um den kleinen Tisch gruppiert waren (Abb. 28). Insgesamt sind sechs Personen, wenn auch bei manchen nur der Hinterkopf zu sehen ist, zu erkennen.126 Sie sind alle auf Massol ausgerichtet, der diesmal links der vertikalen Bildachse sitzt. Er ist dem Mann und der Frau zu seiner Linken zugewandt und wirkt aufmerksam und recht entspannt. Hier hat er nichts Verschlagenes, vielmehr scheint er eine angeregte Unterhaltung mit den Pressevertretern zu führen. Der einzige Hinweis darauf, dass die Unterhaltung nicht sehr lange dauern dürfte, ist – wie auf dieser Aufnahme sehr deutlich zu erkennen –, dass Massol seinen Mantel nicht abgelegt hat, die ihn Umgebenden aber schon. Dieses Anbehalten seines Mantels gibt dem Interview etwas Kurzfristiges und kann wohl auch als Verweis darauf verstanden werden, dass Massol tatsächlich davon ausging, dass die Polizei die Pressekonferenz schnell beenden würde. Daraus jedoch abzuleiten, dass dieser Termin einzig dazu da war, die unausweichliche Festnahme herbeizuführen, wie dies Le Naour nach seiner Schilderung des Ablaufs nahelegt, erscheint zu eindimensional.127 Zwar ist es richtig, dass Massol die Optionen ausgegangen waren. Da seine Komplizen inzwischen alle vernommen worden waren, was überdies zum Auffinden des Kleintransporters geführt hatte, konnte er nicht mehr hoffen, den Leichnam doch noch allein 125 Die anderen Abbildungen links oben BU : »Marshal Philippe Pétain (1939)« ; links unten BU : »Reburial of the body at the île d’Yeu«, in : »The Body Snatchers«, Time, 5. März 1973, S. 12–13. 126 Insgesamt sollen zehn bis zwölf Journalisten bei der Pressekonferenz gewesen sein, so »›Un acte de foi‹«. 127 Vgl. Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 163.
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Abb. 28 : Abbildung von Massol während der Pressekonferenz, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 31.
nach Douaumont zu bringen. Daraus ergibt sich aber nicht die Notwendigkeit, sich selbst der Polizei und der Öffentlichkeit zu stellen. Wenn es einzig darum gegangen wäre, mit den Behörden in Kontakt zu treten, weil diese angeblich in Aussicht gestellt hatten, dass die bereits Festgenommenen freigelassen würden, wenn der Sarg herausgegeben würde,128 dann hätte Tixier-Vignancour genauso gut einen weiteren Anruf der Grabschänder vortäuschen können. Die Pressekonferenz ermöglichte es Massol vielmehr, über seine Motivation zu sprechen und Aufmerksamkeit auf seine Person und seine eigenen politischen Ambitionen zu lenken. Schließlich arbeitete er in der Werbebranche und dürfte sich sehr genau überlegt haben, was er der Presse wie mitteilen wollte.129 So hatte schon das Café, in das er die Journalisten bestellte, eine symbolische Wirkung, und diese ging deutlich über eine vermeintliche Kontinuität mit dem Treffpunkt des rechtsextremen Geheimbunds Organisation secrète d’action révolutionnaire hinaus, wie Le Naour vermerkt.130 Denn das Café lag in der Avenue 128 Tixier-Vignancour : Des républiques, des justices et des hommes, S. 360. 129 Dies gibt jedenfalls »Le Monde« an ; »M. Hubert Massol«. Auch Figueras, André : Pétain et la Résistance, Paris 1989, S. 93. 130 Die Gruppe, auch bekannt als La Cagoule, traf sich dort in den 1930er Jahren, Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 161.
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de la Grande Armée keine 200 Meter vom Arc de Triomphe und damit auch vom Grabmal des Unbekannten Soldaten entfernt. Massol hielt die Pressekonferenz also in Sichtweite eines der zentralen Orte des Totengedenkens der französischen Nation ab,131 der mit dem Militär und auch der Person Pétains in besonderer Weise verbunden war.132 Die Verbindung Pétains zum Arc de Triomphe war stets positiv konnotiert gewesen. »Rivarol« befand sogar, es würde in der Natur der Sache liegen, wenn sich die Überreste Pétains in der Nähe des Unbekannten Soldaten befinden würden. Das nationalistische Wochenblatt griff die von Massol angebotene Assoziation auf und interpretierte sie ganz in seinem Sinne, schließlich zeigte es auch eine Grafik des Triumphbogens begleitend zum Beitrag. Der Triumphbogen diente Massol so als Kulisse und tatsächlich veröffentlichte die rechte Tageszeitung »L’Aurore« auch ein Bild des Leichendiebs mit dem Wahrzeichen im Hintergrund (Abb. 29).133 Die Abbildung zeigt Massol in Begleitung mehrerer Männer auf der Straße gehend. Er führt die Gruppe mit aufrechter Haltung an. Sein Körper befindet sich in der Bildmitte und nur wenig links von der Mittelachse des Triumphbogens. Durch diese Anordnung wirkt Massol bedeutend und er scheint sich des Arrangements auch bewusst zu sein, denn er blickt als einziger direkt in die Kamera. Obwohl auch von rechts Kritik an der Graböffnung geäußert wurde, inszenierte »L’Aurore« Massol also keineswegs negativ. Durch diese vermeintlich rein beschreibende Berichterstat131 Auf die Nähe zum Ètoile wies zeitgenössisch »Pétain body reburied in island grave«, in : The Times, 23. Februar 1973, S. 6 hin. Auch Dumas : La permission du Maréchal, S. 125. Für die Bedeutung des Triumphbogens, unter dem sich das Grabmal des Unbekannten Soldaten befindet und Victor Hugo aufgebahrt wurde, insbesondere Ackermann, Volker : »›Ceux qui sont pieusement morts pour la France …‹. Die Identität des Unbekannten Soldaten«, in : Koselleck, Reinhart ; Jeismann, Michael : Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 281–314 ; Rouge-Ducos, Isabelle : L’Arc de Triomphe de l’Etoile. Panthéon de la France guerrière, art et histoire, Dijon 2008, S. 278–331. »Le Cristal« wirbt im Übrigen heute mit dem Triumphbogen, URL : http://www.le-cristal.com [10.3.2015]. 132 Zum einen durch seine Teilnahme an Paraden und Gedenkfeiern, die dort stattfanden, wie z. B. die Siegesparade am 14. Juli 1919. Zum anderen durch die Gedenkfeier, die unter dem Triumphbogen am Tag seiner Bestattung stattfand, wie beschrieben in Kapitel 2.1.1 ; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 58 aber auch Abb. 6 in Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2. 133 Abbildung in L’Aurore, 22. Februar 1973, S. 1, BU : »›Je suis le chef du commando qui a délivre la dépouille mortelle du maréchal Pétain. Le cercueil est en notre possession, et moi seul sais où il se trouve. J’ai pris des risques, c’est une question d’honneur, un acte de foi …‹ Peu après ces déclarations, faites devant les journalistes, prés de l’Étoile, Hubert Massol était arrêté (ci-dessus) et conduit quai des Orfèvres«.
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Abb. 29 : Abbildung Massols am Tag der Presskonferenz mit Triumphbogen im Hintergrund, in : L’Aurore, 22. Februar 1973, S. 1.
tung in Frankreich blieb eine Skandalisierung der Täter und – für die Zukunft noch wichtiger – ihrer Forderungen aus. Doch auch durch die Einzelheiten seiner Lebensgeschichte, die er preisgab, stellte Massol einen Bezug zu der militärischen Vergangenheit Frankreichs und Pétains her. So verwies er nicht nur auf seinen eigenen Einsatz in Algerien, sondern auch darauf, dass seine beiden Großväter in Verdun gekämpft hatten und dass einer von ihnen ihn zur Verehrung des Marschalls erzogen habe.134 Genau diese Verehrung habe ihn und seine Komplizen dazu bewogen, den Sarg selbst umzubetten. Politische Gründe hätten dabei keine Rolle gespielt.135 Dies wiederum war eine rhetorische Behauptung, mit der Massol Pétains Rolle im Vichy-Regime und seine Verurteilung ausblendete und einfach alles auf eine Frage der Ehre reduzierte – für ihn sei die Verehrung des ›maréchal Pétain‹ selbstverständlich. Er unterschied dabei nicht zwischen dem Sieger von Verdun und dem Chef de l’État français,136 sondern lenkte die Aufmerksamkeit letztlich auf den Nationalhelden von 1918. Dass die illegale Exhumierung 134 Caviglioli : »Comment on vole un maréchal«, hier S. 83, und [C. G.] : »›Un acte de foi‹«. 135 Ebenda ; »Marshal Pétain’s remains to be returned to island grave after police discovery of coffin«. 136 [C. G.] : »›Un acte de foi‹« ; auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 162.
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aber eine hochgradig politische Tat war, macht nicht nur der parteipolitische Hintergrund Massols und Tixier-Vignancours deutlich, sondern diese These wurde schon von den zeitgenössischen Medien diskutiert. So schrieb Pierre Pellissier in »Le Figaro«, der Diebstahl des Sarges habe für die Regierung ein einzigartiges Problem verursacht, und auch im »Osservatore Romano« wurde er als ein delikates Problem gedeutet, das den Präsidenten vor eine schwere Entscheidung stelle.137 Während keine der italienischen Zeitungen einen direkten Vergleich zum Umgang mit Mussolini zog, verwies doch der konservative »Il Popolo« darauf, dass der Staatspräsident nun abwägen müsse, welcher Interessensgruppe er nachgeben würde.138 Pierre Dominique Lucchini bezeichnete die illegale Exhumierung in »Rivarol« sogar explizit als »dernier écho d’une guerre civile«139 (letztes Echo eines Bürgerkrieges) und nimmt damit Bezug auf den Konflikt innerhalb der französischen Gesellschaft zwischen Anhängern des Vichy-Regimes und der Resistance. Dass dieses Zerwürfnis auf Seiten der extremen Rechten immer noch schmerzlich empfunden wurde, zeigt auch der Leitartikel von »Rivarol«, der durch die Öffnung von Pétains Grab nun die »heure de grande réconciliation nationale«140 (Stunde der großen nationalen Versöhnung) gekommen sah. Während die politische Mehrheit die Tat als Problem betrachtete, postulierte die nationalistische Rechte wieder die Notwendigkeit einer politischen Aussöhnung, knüpfte also an die Konflikte der direkten Nachkriegsjahre an. Beide Aspekte verband der Premierminister in seiner Presseerklärung, wonach jenseits des politischen Problems »l’ensemble des Français« (die Gesamtheit der Franzosen) durch die Grabschändung mit einem abscheulichen Vorgehen konfrontiert worden sei.141 Pierre Messmer von der gaullistischen Partei beschwor so die Einheit der Bevölkerung und reduzierte den Diebstahl des Leichnams auf ein moralisches Problem. Damit ging er nicht direkt auf den Vorwurf des immer noch schwelenden Bürgerkriegs ein, sondern betonte 137 Pellissier, Pierre : Des aspects politiques, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 12 ; »La salma di Pétain è stata riportata all’isola di Yeu«, in : L’Osservatore Romano, 23. Februar 1973, S. 7. 138 »La salma di Pétain nell’isola d’Yeu. Dopo il ritrovamento«, in : Il Popolo, 23. Februar 1973, S. 8. 139 Dominique [Lucchini], Pierre : »Réapparition du Maréchal«, in : Rivarol, 1. März 1973, S. 16. 140 [R.] : »Au-delà de la tombe, le Maréchal leur fait peur«, in : Rivarol, 22. Februar 1973, S. 1/4, hier S. 4. 141 Pierre Messmer zitiert in : »M. Pierre Messmer : ›Un procédé particulièrement odieux‹«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11 ; auch »Messmer : ›un procédé particulièrement odieux‹«, in : L’Aurore, 22. Februar 1973, S. 18 sowie »Pétain : Un cercueil pour marchander«.
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die emotionale Verbindung, die sowohl von der extremen Rechten wie von der extremen Linken geteilt wurde. Insgesamt erfüllte die Pressekonferenz für Hubert Massol drei Funktionen. Die offensichtlichste war, vom Staatspräsidenten die Zusage einer vorübergehenden Beisetzung im Invalidendom zu fordern, damit verbunden waren die vielen Aspekte, die an die militärischen Verdienste Pétains erinnerten, und schließlich diente sie der Verknüpfung mit dem Wahlkampf und der eigenen Kandidatur Massols. Es scheint, als habe Massol der Presse alles für ihn Wichtige mitteilen können, bevor die Polizei ihn festnahm. 3.2.2 In Italien ringen Leichendiebe und Ermittler um die Informationshoheit Da die Diebe in ihrem Bekennerschreiben angekündigt hatten, Mussolini werde eines Tages das römische Kapitol ersteigen,142 befürchteten die Sicherheitsbehörden, Mussolinis Leichnam werde nach Rom gebracht. Deshalb wurden in der Hauptstadt besondere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und die großen Einfallstraßen besonders überwacht.143 Durch die zeitliche Nähe zu seinem ersten Todestag am 28. April 1946 stand aber nicht das Kapitol im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern vielmehr das daneben liegende Nationaldenkmal. Die Ermittler sorgten sich vor einer Zurschaustellung des Leichnams auf dem Grab des Unbekannten Soldaten,144 war doch in der ersten Ausgabe von »Lotta fascista« die Platzierung Mussolinis auf dem Altar des Vaterlandes als Gegenbild zu den schändlichen Ereignissen auf dem Piazzale Loreto entworfen worden.145 Da dieses Monument neben Mussolinis ehemaligem Amtssitz, dem 142 Die wörtliche Wiedergabe variiert in den unterschiedlichen Artikeln etwas, Repro von »Comunicato del PFD«, Lotta fascista, Nr. 2, in : Leccisi : Con Mussolini, S. 392, auch S. 273 ; ebenfalls zitiert in »I resti di Mussolini trafugati dai fascisti«. 143 »Le Strade verso Roma bloccate«, in : Corriere d’Informazione, 24./25. April 1946 ; »Dopo il ratto di Mussolini. Dove l’hanno messo ?«, in : Avanti !, 25. April 1946, S. 2 ; »Le vie intorno a Roma bloccate dalla polizia«, in : La Nuova Stampa, 25. April 1946, S. 1 ; »Rome en état d’alerte. Les fascistes italiens voudraient amener le corps de Mussolini sur›l’autel de la Patrie‹«, in : Paris-Presse, 25. April 1946, S. 1. 144 »La polizia alla caccia del cadavere scomparso. Potente schieramento di forze per impedire manifestazioni neofascisti il 28 aprile«, in : La Nuova Stampa, 26. April 1946, S. 1 ; »Attempts To Celebrate Mussolini’s Death Minor Incidents In Italy«, in : The Times, 30. April 1946, S. 3. 145 »Piazzale Loreto«, in : Lotta fascista, 1 (1946) S. 4, in : ACS, MI, Gabinetto 1944–46, busta 226, fasc. 23050. Auf das Kapitol als angemessenen Ort für Mussolini wird auch im »Comunicato del PFC«, in : Lotta fascista, 1946, Nr. 2, S. 1, reproduziert im Meridiano d’Italia, 6. November 1949, S. 1, verwiesen.
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Palazzo Venezia, lag, hätte eine Translation dorthin eine Rückkehr Mussolinis in sein altes Machtzentrum bedeutet und durch die Verbindung mit dem Altar des Vaterlandes sowie dem Grabmal des Unbekannten Soldaten Mussolinis Tod in eine Reihe mit den fürs Vaterland Gestorbenen gestellt146 – eine Ehrung, die die Regierung Mussolini keinesfalls zukommen lassen wollte. Auch hätte auf diese Weise die Kontinuität des faschistischen Totenkults fortbestanden.147 Dies lag ebenfalls nicht im Interesse der ersten Regierung De Gasperis. Daher wurden umgehend der stellvertretende Chef der italienischen Polizei, Mario De Cesare, der Chef der Squadra mobile, Marocco, sowie Kommissar Emilio Santillo aus Rom nach Mailand geschickt, um sich ein Bild der Lage zu verschaffen und die dortige Questura bei den Ermittlungen zu unterstützen.148 Diese wurden von Vincenzo Agnesina geleitet. Der Mailänder Polizeipräsident 146 Der Altare della Patria mit dem Grabmal des Unbekannten Soldaten ist Bestandteil des Monumento Nazionale a Vittorio Emanuele II an der Piazza Venezia. Zusammen mit dem Palazzo Venezia hatte das Nationaldenkmal bei den Aufmärschen und Inszenierungen des Faschismus eine zentrale Bedeutung gehabt. Darüber hinaus hatte Mussolini den Bereich um den Kapitolshügel im Sinne seiner faschistischen Stadterneuerung entscheidend geprägt und ihm sein heutiges Aussehen gegeben. Unter anderem war dort 1926 mit dem Ara dei caduti fascisti auch ein Denkmal für die Gefallenen des »Marsches auf Rom« errichtet worden, an dem parallel zum Grabmal für den Unbekannten Soldaten Kränze niedergelegt wurden, das nach Roberta Suzzi Valli jedoch nie zu einem wirklichen Pilgerziel geworden war und daher für die Diebe als Ort wohl auch nicht besonders interessant gewesen sein dürfte. Dazu Bauer, Franz J.: Rom im 19. und 20. Jahrhundert. Konstruktion eines Mythos, Regensburg 2009, S. 239–246 ; das letzte Kapitel von Brice, Catherine : Le Vittoriano. Monumentalité publique et politique à Rome, Rom 1998 ; Nützenadel, Alexander : Staats- und Parteifeiern im faschistischen Italien, in : Behrenbeck, Sabine ; Nützenadel, Alexander (Hg.) : Inszenierung des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 127–147, besonders, S. 142–144 ; Suzzi Valli, Roberta : Il culto dei martiri fascisti, in : Janz, Oliver, Klinkhammer, Lutz (Hg.) : La morte per la patria. La celebrazione dei caduti dal Risorgimento alla Repubblica, Rom 2008, S. 101–117, hier besonders S. 113 ; Tobia, Bruno : Il Vittoriano, in : Isnenghi, Mario (Hg.) ; I luoghi della memoria, Bd. 1, Simboli e miti dell’Italia unita, Rom 1996, S. 243–254 ; Tobia, Bruno : L’altare della patria, Bologna 1998. 147 Zum faschistischen Totenkult Reichardt, Sven : Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002, S. 537–541 ; Tobia, Bruno : Monumenti ai caduti. Dall’Italia liberale all’Italia fascista, in : Janz ; Klinkhammer (Hg.) : La morte per la patria, S. 45–62. 148 »Sulla salma di Mussolini si sta creando il romanzo«, in : La Nuova Stampa, 26. April 1946, S. 1 ; Luzzatto : Il Duce, S. 151 f.; Leccisi : Con Mussolini, S. 273. Die Schreibweisen des Namens Marocco varriiert dabei zwischen den Zeitungsartikeln und den Publikationen von Leccisi und Luzzatto (Marrocco), da jedoch im World Biographical Information System ein Domenico Marocco, funzionario statale, verzeichnet ist, wird im Folgenden diese Schreibweise verwendet.
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hatte während Mussolinis Regierungszeit Karriere gemacht und war bis zum Leiter von dessen persönlicher Schutztruppe aufgestiegen. In dieser Funktion setzte er der Verhaftung Mussolinis am 25. Juli 1943 durch Carabinieri jedoch nichts entgegen.149 Demgegenüber war der Präfekt der Stadt Mailand, Ettore Troilo, Kommandant bei den Partisanen gewesen. Er war kurz vor dem Vorfall auf dem Friedhof bei Innenminister Romita dadurch aufgefallen, dass er die neofaschistischen Aktivitäten in Mailand in ihrer politischen Dimension bagatellisierte und die Neofaschisten als einfache Verbrecher bezeichnete.150 Diese personelle Zusammensetzung scheint mit ein Grund dafür gewesen zu sein, weshalb die Ermittlungen vor Ort nicht den lokalen Behörden überlassen wurden, sondern die römischen Beamten die Untersuchungen sowohl in der Hauptstadt als auch in Mailand übernahmen. Währenddessen teilte sich die kleine Gruppe der Grabschänder auf. Mauro Rana brachte die Leiche, unterstützt von seiner Frau Silvia, zunächst in ein von ihnen angemietetes Häuschen in Madesimo im Veltlin.151 So befand sich das erste provisorische Versteck des Leichnams gut 60 Kilometer nördlich von dem Ort, an dem Mussolini erschossen worden war, ganz nah an der Schweizer Grenze, mitten im Nirgendwo. Gleichzeitig rührte Leccisi in Mailand aber die Werbetrommel für den Leichendiebstahl und die Wiederkehr des Faschismus. Er kümmerte sich um die Veröffentlichung der zweiten Ausgabe von »Lotta fascista« und informierte Journalisten lokaler und überregionaler Zeitungen über den Diebstahl.152 In seinen Memoiren zeigte er sich über die Menge der daraufhin zum Friedhof strömenden Journalisten und Fotografen sehr zufrieden. Dies beweist, wie wichtig ihm die mediale Aufmerksamkeit war. Hinter dem Streben nach Öffentlichkeit sieht Luzzatto den Wunsch Leccisis, die Erinnerung an die Lehren des lebendigen Duce wachzurufen und den Neofaschismus aus dem Untergrund an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen.153 Allerdings lag Leccisis Kerninteresse sicherlich darin, den PFD bekannter zu machen. Die illegale Exhumierung lässt sich als Werbemaßnahme für die bis149 Was ihm die Verachtung Leccisis einbrachte, Leccisi : Con Mussolini, S. 285. Eine detailliertere Beschreibung der Biografie bei Luzzatto : Il Duce, S. 164 f. 150 Einschätzung von Luzzatto : Il Duce, S. 136. Allerdings wies die Präfektur in einem Schreiben vom 30. März 1946 sehr wohl auf eine nationalistische Gruppe hin, die sich in Mailand, Turin und Rom organisiere, Brief der Prefettura di Milano, N. 031/5953, in : ACS, MI, Gabinetto 1944–46, busta 226, fasc. 23050. 151 Leccisi : Con Mussolini, S. 265 f. und 274 f. 152 Ebenda, S. 266 ; Luzzatto : Il Duce, S. 146–151. 153 Ebenda, S. 145.
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her im Untergrund agierende Partei verstehen, denn bis zum Ende des Jahres 1945 hatte sich bereits eine Vielzahl von Gruppierungen gebildet, die in der Tradition der faschistischen Partei nun wieder Anteil an der italienischen Politik nehmen wollten.154 Auch gab es seit Anfang Februar 1946 in Mailand mit dem »Meridiano d’Italia« ein neofaschistisches Wochenblatt.155 Gegen diese Gruppen und Initiativen galt es sich zu profilieren, und wie konnte man den Anspruch auf legitime Nachfolge besser demonstrieren als mit dem Duce selbst ? So reiste Leccisi am 17. Mai nach Rom, um sich mit einigen ehemaligen faschistischen Funktionsträgern zu treffen, die ebenfalls begonnen hatten, sich wieder politisch zu organisieren.156 Doch wie der italienische Publizist Antonio Carioti herausgearbeitet hat, kamen die beiden Persönlichkeiten, Leccisi und Pino Romualdi, der stellvertretender Sekretär des Partito Fascista Repubblicano gewesen war und nun in Rom im Zentrum der neuen Gruppierungen stand, nicht miteinander klar.157 Aber Leccisi nutzte den Aufenthalt in der Hauptstadt offenbar auch dazu, sich mit Journalisten zu treffen. Dies wird durch einen Artikel in »Paris-Presse« nahegelegt, in dem der Korrespondent von einem Abendessen mit dem Leiter des Pressebüros der Demokratischen Faschistischen Partei berichtete.158 Obwohl Leccisi selber dieses Treffen nicht erwähnt, darf angenommen werden, dass es sich bei dem Leiter des Pressebüros um ihn gehandelt hat. Schließlich erklärte dieser dem Reporter, dass der PFD gegenwärtig zu den wichtigsten faschistischen Gruppierungen gehöre. Er erneuerte auch den Anspruch, Mussolini aufs Kapitol zu bringen, wobei er auch eingestand, dass die Überreste durch den Transport nicht mehr ganz vollständig seien. Auch hier nutzte Leccisi das Gespräch mit dem französischen Journalisten vor allem dazu, die Bekanntheit seiner Partei zu stärken, gleichzeitig heizte er die Spekulationen über den Verbleib Mussolinis und die Identität der Diebe weiter an. Zwar versicherte er, dass der Leichnam an einem sicheren Ort sei, aber die Drahtzieher könnten sich schon im Ausland befinden. So reiste Leccisi keinesfalls ergebnislos aus Rom ab. Während die landesweiten 154 Diese Gruppierungen behandeln u. a., Bull, Anna Cento : Neo-Fascism, in : Bosworth, Richard J. B. (Hg.) : The Oxford Handbook of Fascism, Oxford 2010, S. 586–605, hier S. 588/ f.; Parlato : Fascisti senza Mussolini, besonders S. 156–169 und schematische Darstellung S. 412. 155 Carioti : Gli orfani di Salò, S. 49. 156 Leccisi : Con Mussolini, S. 300–304. 157 Carioti : Gli orfani di Salò, S. 49. 158 Cobreau, Jean : »Le chef du ›Bureau de presse fasciste‹ m’avoue : ›Nous avons perdu des morceaux du corps de Mussolini‹«, in : Paris-Presse, 18. Mai 1946, S. 1.
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italienischen Zeitungen kurz vor dem Referendum sehr zurückhaltend in ihrer Berichterstattung waren, hatte er es in Frankreich auf die Titelseite eines Massenblattes gebracht. Aus seinen Erinnerungen an diese Reise wird deutlich, dass er sich als Vertreter der neofaschistischen Gruppierungen in Norditalien und nicht nur des PFD verstand. Unklar bleibt, ob er auch nach Unterstützung beim Verstecken der Leiche Mussolinis suchte, denn zwischenzeitlich waren ihm die Ermittler bereits dicht auf den Fersen. Schon am 29. April war Mario Rana, einer der drei Leichendiebe, verhaftet worden.159 Doch Leccisi schreibt, er sei sich sicher gewesen, dass sein Freund den Polizisten nicht verraten würde, wo sich die Leiche befand, so dass er genügend Zeit hätte, um sich ein anderes Versteck zu überlegen.160 Aber nur drei Tage später rief Rana ihn an, um ihm ein Angebot der Ermittler zu unterbreiten, wonach die Regierung bereit sei, auf Forderungen der Leichendiebe einzugehen, wenn sie im Gegenzug den Leichnam übergeben würden. Des Weiteren würden sie sich verpflichten, Mussolini in geweihter Erde und an einem geheimen Ort zu begraben, gleichzeitig würde die Sache ohne Folgen für die Beteiligten bleiben. Die Ermittler hätten außerdem versichert, dass sie einen Mediator, wenn er am nächsten Tag zu einem Treffen kommen würde, nicht behelligen würden.161 Daraufhin traf sich Leccisi selbst am 2. Mai mit den Vertretern des Innenministeriums, Marocco und Satillo. Getrieben war er dabei von der Vorstellung »di convincere il governo della necessità di porre termine alla guerra civile« (die Regierung von der Notwendigkeit zu überzeugen, dem Bürgerkrieg ein Ende zu bereiten). Allerdings war er selbst an den andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Kommunisten beteiligt. Er wollte sich außerdem für eine möglichst breite Amnestie einsetzen, schließlich hatte die Regierung nach einem Vorstoß des Königshauses eine Amnestieregelung für einen Zeitpunkt nach den Wahlen versprochen.162 Für seine Verhandlungsposition betrachtete er die Leiche als »un pegno prezioso«163 (ein kostbares Pfand). Die beiden Beamten wiederholten jedoch einzig das Angebot der Regierung, wonach die Leiche ein würdevolles Begräbnis in geweihter Erde an einem geheimen Ort 159 Leccisi : Con Mussolini, S. 278 ; Carioti : Gli orfani di Salò, S. 44. Der Name Ranas wird allerdings erst im Juli in der Presse genannt, »Arrestato un trafugatore della salma di Mussolini. Il cadavere sarebbe seppellito vicino«, in : Avanti !, 11. Juli 1946, S. 1. 160 Leccisi : Con Mussolini, S. 280. 161 Leccisi : Con Mussolini, S. 281. 162 Woller : Die Abrechnung, S. 380. 163 Beide Zitate Leccisi : Con Mussolini, S. 283.
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erhalten würde, bis sie an die Familie herausgegeben werden könne, gesetzt den Fall, man werde die Leiche zurückerhalten.164 Außerdem kündigte Marocco an, dass sie nach Rom zurückkehren und die weiteren Ermittlungen vom Polizeipräsidenten geführt würden. Auf dieses Angebot ging Leccisi nicht ein, sondern sorgte für ein neues Versteck für den Leichnam Mussolinis. Bei der Suche kam ihm zugute, dass er seit März Kontakt zu zwei Mönchen aus dem Convento di Sant’Angelo hatte.165 Die kleine Klosteranlage der Franziskaner befindet sich an der Via della Moscova Ecke Corso di Ponte Nuova, also im Viertel Brera in der Mailänder Innenstadt. Die Forschung hat der Lage des Klosters bislang keine Beachtung geschenkt, dabei liegt es keine 500 Meter entfernt vom Stammsitz des »Corriere della Sera«, der etablierten italienischen Tageszeitung,166 und keine 600 Meter vom Sitz des »Popolo d’Italia«, der Zeitung, die Mussolini gegründet hatte und die bis 1943 die faschistische Parteizeitung war. Daher erscheint es plausibel, dass die barocke Klosterkirche wegen ihrer Lage unweit der ehemaligen Wirkungsstätte Mussolinis ausgewählt worden war. So brachten die Neofaschisten Mussolini nicht nur ins Herz Mailands, sondern auch an den Ort seines politischen Aufstiegs zurück. Gleichzeitig hatten sie vielleicht auch die Hoffnung, die räumliche Nähe zu der Tageszeitung, die nach der Befreiung Mailands unter Aufsicht der Alliierten und des Comitato di Liberazione Nazionale fortgeführt worden war, würde im Fall der Enthüllung des Versteckes sowohl die Journalisten wie auch die aus dem Befreiungskomitee hervorgegangene Regierung demütigen. Die Parallelen zum Verlauf von 1945 sind dabei frappierend, doch gibt es eben keine bekannten Äußerungen, die Aufschluss über die Absichten hinter dieser Mailänder Rückführung geben könnten. Allerdings scheint die Unterbringung der Leiche an einer so zentralen Stelle der Stadt als Symbol des Triumphes über die Partisanen und den Piazzale Loreto lesbar zu sein. Schließlich betonte Leccisi rückblickend, dass sie mit ihrer Tat dem Spott des Piazzale Loreto etwas entgegensetzen wollten.167 164 Leccisi : Con Mussolini, S. 284–286. 165 Ebenda, S. 289. Sant’Angelo ist die umgangssprachliche Bezeichnung für das Kloster, eigentlich ist es Santa Maria degli Angeli geweiht, daneben findet sich dafür auch die Bezeichnung Angelicum. 166 Zur Situation des Corriere della Sera am Kriegsende Murialdi, Paolo : La stampa italiana dalla Liberazione alla crisi di fine secolo, Rom 32003, S. 28 ; wobei der Corriere nach der Liberazione zunächst als »Corriere d’informazione« und dann ab dem 9. Mai 1946 unter dem Titel »Il Nuovo Corriere della Sera« erschien. 167 Leccisi : Con Mussolini, S. 267.
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Der Entscheidung für dieses Versteck war sicherlich durch die Sympathien, die die Mönche dem Bestreben nach einem christlichen Begräbnis, wenn nicht gar dem Neofaschismus, entgegenbrachten, begünstigt worden. Leccisi selbst schreibt, dass er sich ursprünglich an sie gewandt habe, weil er sich von ihnen Hilfe für in Not geratene ehemalige Kameraden erhofft habe. Einige Zeitungen, darunter vor allem »L’Unità«, meldeten später, dass die beiden Mönche in weitere illegale Geschäfte, wie Geldfälschung, verwickelt gewesen seien.168 Der Historiker Luzzatto wies in diesem Zusammenhang darauf hin, das Pater Alberto Parini durch seinen Bruder, der während der Italienischen Sozialrepublik Bürgermeister und Präfekt von Mailand gewesen war, mit der Funktionselite des Faschismus verbunden war, während der Prior von Sant’Angelo, Pater Enrico Zucca, in Mailand eine sehr bekannte und angesehene Persönlichkeit gewesen sei.169 Dies wird auch dadurch deutlich, dass der über jeden Verdacht des Sympathisierens mit den Faschisten erhabene ehemalige Leiter des Corpo Volontari della Libertà, General Raffaele Cardona, sich als Leumundszeuge für Pater Zucca anbot.170 Die beiden Patres hatten jedenfalls ein offenes Ohr für Leccisi, als er nach dem Zusammentreffen mit den römischen Ermittlern am 2. Mai zu ihnen kam und von dem Angebot der Regierung berichtete. Leccisi beschreibt sogar, wie Pater Parini versucht habe, ihn davon zu überzeugen, dieses Angebot anzunehmen.171 Dies kam für den Grabschänder aber nicht in Frage, vielmehr betonte er gegenüber den Geistlichen, wie schändlich es sei, dass Mussolini ohne spirituellen Trost gestorben sei und kein christliches Begräbnis erhalten habe.172 Hier wird zum ersten Mal der Aspekt des christlichen Begräbnisses durch die Neofaschisten angeführt. Sie verwendeten dieses Motiv aber erst, als die Regierung selbst es mit ihrem Angebot angesprochen hatte und sie um die Unterstützung der Mönche warben. Doch auch hier scheint das genuine Interesse der 168 »Falsa carità cristiana dei frati neofascisti«, in : L’Unità, Nr. 192, 14. August 1946, S. 1 ; »I due frati neofascisti deferiti alla Corte d’Assise«, in : L’Unità, Nr. 193, 15. August 1946, S. 2 ; »I resti del cadavere di Mussolini in un baule nella Certosa di Pavia«, in : Avanti !, 13. August 1946, S. 2, sowie Leccisi : Con Mussolini, S. 289 ; Luzzatto : Il Duce, S. 162. 169 Luzzatto : Il Duce, S. 159 und 163. 170 Mosconi, Anacleto : »Profilo biografico di p. Enrico Zucca«, in : Studi Francescani 84 (1987), S. 247–258, hier S. 255. 171 »Ritornò di lì a poco con Padre Parini che iniziò subito un lungo discorso per convincermi della opportunità di aprire delle trattative con il governo [ … ]«, in : Leccisi : Con Mussolini, S. 291. 172 Den Transport in das Kloster und die Vorgespräche beschreibt Leccisi : Con Mussolini, S. 291–297.
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Leichenräuber nicht in der Ehrung des Toten gelegen zu haben. Sie versteckten den Leichnam in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai zwar in der Matthäuskapelle, einer der insgesamt 16 Seitenkapellen der Klosterkirche, doch die Überreste waren in zwei Gummisäcke gehüllt und wurden ohne weiteren Schutz oder Schmuck unter eine Falltür geschoben. Auch wenn Leccisi rückblickend schreibt, Mussolini habe »quasi sotto l’altare«173 geruht, also an einer Stelle, an der normalerweise Heilige bestattet wurden, kann dies den Eindruck, dass es den Leichendieben in erster Linie gar nicht um die Würdigung des einstigen Duce ging, nicht aufheben. Für sie scheint wichtiger gewesen zu sein, dass die Leiche sich nun wieder in Mailand, dem Ursprungsort des Faschismus, und in einer Kirche befand, denn so verhinderte Leccisi, dass die Regierung für sich beanspruchen konnte, die Leiche zurück auf heiligen Boden gebracht zu haben. Ermittlungen Während zunächst nichts über die Verhaftung Ranas und über das Angebot der Regierung an Leccisi an die Öffentlichkeit gedrungen war, hatten »La Stampa« und der »Corriere« Anfang Mai gemeldet, dass Mussolini wieder in Mailand sei und dass bereits am 26. April zwei Informanten zum Präfekten gekommen seien, woraufhin mehrere Verhaftungen stattgefunden hätten.174 Zwei der Verhafteten hätten gestanden, in den Diebstahl verwickelt zu sein, eine dieser Personen dürfte Mauro Rana gewesen sein. Außerdem berichteten die Artikel mit Bezug auf den Ermittlungsbeamten Marocco, dass die Diebe bereit seien, das Versteck preiszugeben, vorausgesetzt, der Leichnam werde in der Gruft der Familie Mussolini in Predappio begraben. An diesen Bedingungen, die nach Angaben Maroccos von den Dieben formuliert worden waren, fällt vor allem auf, dass sie einzig auf den Bestattungsort, nicht aber auf die Form Bezug nehmen, also nicht von »ehrenvoll« oder »christlich« oder Ähnlichem die Rede ist. Da beide Artikel sich im Wortlaut sehr gleichen, darf angenommen werden, dass sie auf einer Pressemeldung der Polizei basieren, dass hier also die Regie173 »[Q]uasi unter dem Altar«, Leccisi : Con Mussolini, S. 296. 174 »La salma dell’ex duce si trova a Milano«, in : La Nuova Stampa, 9. Mai 1946, S. 1 ; »La salma trafugata sarebbe ancora a Milano. La confessione di due dei colpevoli«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 9. Mai 1946, S. 2. Noch früher berichtet die französische Paris-Presse von Verhaftungen, »L’enlèvement du cadavre de Mussolini. Onze néo-fascistes arrêtés. Le chef du complot serait un certain Pollini«, 5./6. Mai 1946, S. 1, und »Ou est le corps de Mussolini ? A bord d’un cargo en route pour Livourne ou à Milan ? Douze suspects arrêtés«, 10. Mai 1946, S. 1.
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rung den von Leccisi gestreuten Informationen und Desinformationen ihre Sicht und ihre ersten Erfolge entgegenstellte. Allerdings veränderte sich die Berichterstattung in Italien, je näher die Wahl zur konstituierenden Versammlung am 2. Juni rückte. Über die Razzia am 17. Mai, bei der zwölf Männer und vier Frauen des Exekutivausschusses des PFD verhaftet wurden,175 schwiegen die großen italienischen Zeitungen. In Frankreich hingegen wurde über diese Festnahmen als Vorsichtsmaßnahmen im Vorfeld der Wahlen berichtet.176 Die anstehende Entscheidung über die Staatsform scheint ursächlich für die zurückhaltende Berichterstattung über die Suche nach den Überresten und den Dieben gewesen zu sein. Einzig die kommunistische Parteizeitung »L’Unità« berichtete wenige Tage vor dem Referendum noch über eine Razzia gegen Monarchisten in Rom und Mailand.177 Hier diente die Assoziation mit dem Leichendiebstahl dazu, den politischen Gegner zu diskreditieren, bevor über die Zukunft der Monarchie abgestimmt würde. Der PFD selbst veröffentlichte im Mai die dritte Ausgabe der »Lotta fascista«, die Untergrundzeitung wurde unter anderem in einer Aktion auf dem Mailänder Domplatz verteilt.178 Auch diesmal ging es darum, materiell wie inhaltlich zu zeigen, dass der Faschismus nicht tot ist. Erst im Juli erschienen wieder Artikel, die über den Stand der Ermittlungen berichteten. So liegt die Annahme nahe, dass die Behörden die Presse absichtlich nicht über die Entwicklungen informierten, damit das Thema Mussolini während der letzten Tage des Wahlkampfs und direkt nach der Entscheidung für die Republik die politischen Spannungen nicht zusätzlich befeuerte. Hinzu kam, dass im Juni das von dem kommunistischen Justizminister Palmiro Togliatti ausgearbeitete Amnestiegesetz erlassen wurde, dessen nachsichtiger Umgang mit Faschisten Meldungen über Polizeischläge gegen die Neofaschisten ad absurdum geführt hätte. So berichtet »Avanti !« erst am 11. Juli von der Festnahme Ranas, gibt aber auch einige Angaben wieder, die Rana zum Diebstahl gemacht haben soll.179 Offenbar hofften die Behörden, nun bald am Ziel zu sein, und gaben daher In175 Dazu Luzzatto : Il Duce, S. 155 ; Carioti : Gli orfani di Salò, S. 45. 176 »Les fascistes ne marcheront pas sur Rome«, in : Paris-Presse, 24. Mai 1946, S. 1. 177 »Il movimento monarchico ›Tricolore‹ maschererebbe l’attività dei fascisti di Milano«, in : L’Unità (Nuova serie), 26. Mai 1946, S. 1. 178 Korrespondenz zwischen Troilo und dem Innenministerium in : ACS, MI, Gabinetto 1944– 46, busta 226, fasc. 23050. 179 »Arrestato un trafugatore della salma di Mussolini. Il cadavere sarebbe seppellito vicino«, in : Avanti !, 11. Juli 1946, S. 1.
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formationen aus den Vernehmungen Ranas heraus.180 Doch Domenico Leccisi konnte erst am 31. Juli festgenommen werden und der dritte im Bunde, Antoni Parozzi, noch einen Tag später.181 Dies führte aber nicht zur umgehenden Herausgabe der Leiche, denn die Diebe bekannten sich zwar zu der Tat und zu dem Bombenanschlag auf das Gebäude der Kommunistischen Partei sowie die Druckerei von »Avanti !« und »L’Unità« am 30. Mai, doch sie verrieten nicht, wo sie die Überreste verborgen hatten. 182 Es waren die Mönche, die sich nach den Berichten über die Festnahmen und Spekulationen, die Leiche könnte sich in ihrem Kloster befinden, an die Polizei wandten.183 Nach einem Artikel in »L’Unità« soll es eine Durchsuchung des Klosters gegeben haben, bei der jedoch nichts gefunden worden sei.184 Einige Tage später kamen dann beide Mönche in die Questura, um mit dem Polizeipräsidenten über die Rückgabe des Leichnams zu sprechen.185 Pater Parini forderte von der Regierung, dass sie »doveva solennemente impegnarsi a dare alla salma di Mussolini, qualora venisse riconsegnata, una sepoltura cristiana ed occulta«186 (sich feierlich verpflichte, Mussolinis Leichnam ein christliches und geheimes Begräbnis zu geben, sobald er zurückgegeben werde). Dies entsprach dem Angebot, das die Regierung Leccisi gemacht hatte, ohne explizit eine spätere Herausgabe an die Familie zu fordern. Für Pater Parini scheint dem christlichen Begräbnis hier die höchste Bedeutung zugekommen zu sein. Questore Agnesina versicherte nach Rücksprache mit seinem römischen Vorgesetzten, dass diese Bedingungen eingehalten würden.187 180 »Oggi si saprà forse dov’è la salma di Mussolini«, in : La Nuova Stampa, 11. Juli 1946, S. 4. Der Corriere berichtet nur wenige Tage später von Maroccos Abreise nach Mailand, »La salma di Mussolini. Nuovi fermi e confronti per le indagini sul trafugamento«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 18. Juli 1946, S. 2. 181 Dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 157 ; Leccisi : Con Mussolini, S. 299. 182 »Arresto e confessioni di neofascisti«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 4. August 1946, S. 2 ; »I trafugatori del cadavere di Mussolini arrestati«, in : L’Unità (Nuova serie), 4. August 1946, S. 4. 183 »Il cadavere di Mussolini forse all’Angelicum ? La salma delle ipotesi«, in : L’Unità (Nouva serie), 8. August 1946, S. 2. 184 »La polizia sapeva ma padre Zucca è fuggito. Inchiesta sul cadavere«, in : L’Unità, Nr. 188, 9. August 1946, S. 2. 185 Bonacina : La salma nascosta, S. 58 ; Leccisi : Con Mussolini, S. 320 ; Il Duce, S. 159 ; »Retrouvée à la Chartreuse de Pavie la dépouille de Mussolini a été transportée à Milan«, in : Paris-Presse, 14. August 1946, S. 3. 186 Parini, Alberto : Verità. Cronistoria di una salma famosa e diario di 42 giorni di carcere, hg. v. Pasquale Scarpa, Mailand 1947, S. 66 ; auch zitiert bei Leccisi : Con Mussolini, S. 321. 187 Dazu Luzzatto : Il Duce, S. 159 ; Leccisi : Con Mussolini, S. 321.
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Dass die Untersuchungen in Mailand durch direkt dem Innenministerium unterstellte Ermittler aus Rom nicht nur unterstützt, sondern phasenweise geleitet wurden, stellt einen wesentlichen Unterschied zu dem Vorgehen in Frankreich dar. Dort waren die Polizisten jeweils in ihren regionalen Zuständigkeiten tätig, so dass die Pariser Polizeibehörde die Ermittlungen in der Hauptstadt führte und die Kriminalpolizei von Angers in der Vendée. Obwohl auch die französische Regierung den Fall schnell aufklären wollte, setzte sich das Innenministerium nicht über Zuständigkeitsgrenzen hinweg. Die Regierung sah sich in der sehr angespannten Situation in Norditalien, in der nicht nur der allgemeine Gegensatz von Faschisten und Antifaschisten, sondern auch von Funktionselite und politischen Ämtern sowie die Unsicherheit über die künftige Staatsform zum Ausdruck kommen, offenbar gezwungen, ihr vertraute Personen in die Ermittlungen vor Ort einzubinden. Demgegenüber lassen sich in dem Vorgehen der Diebe zahlreiche Gemeinsamkeiten erkennen ; zum einen bei ihren Motiven, zum anderen bei ihren öffentlichen Auftritten. So wurden beide illegalen Exhumierungen während eines Wahlkampfes durchgeführt, um mediale Aufmerksamkeit für die jeweiligen Parteien zu erzeugen, denen die Leiter der Leichendiebe angehörten. Insbesondere diese Anführer zogen langfristig Kapital für ihre politischen Karrieren aus den Diebstählen. Auf der symbolischen Ebene bezogen die beiden Gruppierungen um Leccisi und Massol die militärischen Nationaldenkmäler in ihre Außendarstellung ein. In Frankreich wurden neben dem Soldatenfriedhof in Douaumont, der sehr eng mit dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg verbunden ist, der Invalidendom wie auch der Triumphbogen in die Inszenierung des Raubes einbezogen. Allerdings wurde der Invalidendom nicht von den Dieben selbst in die Diskussion eingebracht, sondern von Isorni. In Italien hingegen stellten die Verschwörer selbst die Verbindung zum Kapitol und dem nahegelegenen Altar des Vaterlandes her. Da in Italien aber gar keine Anstalten gemacht wurden, die Überreste Mussolinis tatsächlich nach Rom zu transportieren, hat auch dies eine ähnlich rhetorische Qualität wie Massols Pressekonferenz unweit des Grabs des Unbekannten Soldaten in Paris. Beides gibt Einblick in das nationalistische Selbstverständnis und das Sendungsbewusstsein der beiden Protagonisten, Domenico Leccisi und Hubert Massol. Mit der Vereinnahmung dieser Denkmäler provozieren sie selbstverständlich auch die Nation, also die gesellschaftliche Mehrheit, die die Monumente in anderen Kontexten verwendete. Insofern kann das Rekurrieren auf die Nationaldenkmäler als Teilaspekt des Ringens um historische Deutungshoheit und politische Geltung gesehen werden, wozu
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in Frankreich, nachdem das große Ziel der Translation verfehlt worden war, eine Pressekonferenz gegeben wurde, während in Italien eine richtige Kampagne, bestehend aus Untergrundzeitung, Informationsaustausch mit Journalisten und Anschlägen auf linke Institutionen, geführt wurde. Dies führte, wie Archivmaterial belegt, aber nicht nur zu medialer Aufmerksamkeit, sondern auch dazu, dass die neofaschistischen Gruppierungen nach dem Verschwinden der Leiche Mussolinis vom Innenministerium als Bedrohung wahrgenommen und landesweit beobachtet wurden.188 Sie wurden nun wegen ihrer aktuellen politischen Aktivitäten und nicht nur wegen Vergehen während des Faschismus – sowohl unter der Regierung Mussolinis im Königreich Italien von 1922 bis 1943 wie auch der RSI – beobachtet und gesucht. Der Diebstahl der Leiche trug zu diesem Wandel in der behördlichen Wahrnehmung bei, in ihm drückten die Neofaschisten ihre politische Emanzipation aus. Zwar waren die Beteiligten überwiegend bereits in das alte Regime verwickelt gewesen und hatten auch reaktionäre Absichten, dennoch gelang es ihnen erst mit der Aufmerksamkeit, die ihnen durch den Leichendiebstahl zukam, als ›neue‹ politische Kraft wahrgenommen zu werden. Freilich war die Ausgangssituation in Frankreich eine andere, dort hatte es sogar schon einen rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten gegeben, doch hatten sich die rechten Gruppierungen anschließend zersplittert. Tixier-Vignancour gründete direkt nach der Präsidentschaftswahl die Alliance Républicaine pour les libertés et le progrès, von der sich im September 1971 die Alliance républicaine indépendante et libérale abkoppelte.189 Im Jahr 1969 war bereits der Ordre Nouveau entstanden, aus dem sich 1972 dann der Front National (kurz : FN) mit Jean-Marie Le Pen als Vorsitzendem entwickelte.190 Im Wahlkampf 1973 bedurfte es daher nicht nur der Profilierung gegen die Konservativen und sonstigen Strömungen, sondern auch gegen andere rechtsradikale Parteien. In dieser Konkurrenzsituation scheint es plausibel, dass Tixier-Vignancour von 188 ACS, MI, Gabinetto 1944–46, busta 226, fasc. 23050 ; die Berichte der Präfekten in ebenda, busta 217 ; Gabinetto – Partiti politici 1944–1966, busta 82 und 87 ; ACS, MI, DGPS 1944– 46, busta 46 ; auch Carioti : Gli orfani di Salò, S. 45 ; Luzzatto : Il Duce, S. 136 f. 189 Art. »Alliance républicaine indépendante et libérale«, in : Coston, Henry (Hg.) : Dictionnaire de la politique française, Bd. 2, Paris 1972, S. 17 ; »M. Hubert Massol«. Auf Grund der namentlichen Ähnlichkeit sah sich die Alliance républicaine indépendante et libérale veranlasst, sich öffentlich von der ›verbrecherischen Handlung‹ zu distanzieren, »Les réactions et les commentaires«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11. 190 Dazu Vigreux, Jean : Croissance et contestations, 1958–1981, Paris 2014, S. 211. Ausführlich zur Parteigründung des FN, Camus, Jean-Yves : Front national. Eine Gefahr für die französische Demokratie ?, Bonn 1998, S. 10–16.
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seiner Forderung nach juristischer Rehabilitation Pétains abrückte und allein auf die Translation des Sarges setzte, um zumindest einen Teilerfolg verbuchen zu können. Dies unterschied ihn von Jacques Isorni, welcher zwar nach der Graböffnung zu einem Kompromiss bereit gewesen war, der jedoch nie von der Revisionsforderung abwich. Isorni war Alternativen gegenüber gar nicht so verschlossen, wie Florin ihn darstellte.191 Aus der Abgrenzung gegen andere Gruppierungen ergibt sich auch eine weitere Parallele zwischen den beiden Fällen, nämlich die Art, in der die beiden Anführer der Leichendiebe die mediale Aufmerksamkeit auf sich bündeln und aus ihrer Tat langfristig politisches Kapital schlagen konnten. So schafften es Domenico Leccisi und Hubert Massol, nicht nur in der Berichterstattung über die Täter eine herausgehobene Position zu beanspruchen, sondern sie werden später auch politische Ämter für rechtsradikale Parteien besetzen, während ihre übrigen Komplizen nur noch wenig Beachtung erhalten.192 Der Partito Fascista Democratico konnte zwar seinen Wunsch nach einer führenden Position innerhalb der vielen neofaschistischen Gruppierungen nicht verwirklichen und ging Ende 1946 in der neuen neofaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano (kurz : MSI) auf,193 doch saß Leccisi für diese von Pino Romualdi und Giorgio Almirante gegründete Partei ab 1951 in der Kommunalverwaltung der Stadt Mailand und dann von 1953 bis 1963 in der Abgeordnetenkammer in Rom.194 Während sich die Mailänder Untergrundbewegung nicht gegen die römische behaupten konnte, machte sich doch auch der MSI den toten Mussolini für die Außendarstellung zu eigen. So gilt die Kurzform von MSI auch als Code für »Mussolini Sempre Immortale« oder »Mussolini
191 Vgl. Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 325. 192 Leccisi hat dies später noch dadurch befördert, dass er in seinen Memoiren zwar die wahre Identität seiner Komplizen nannte, aber dann doch die Decknamen für die Erzählung verwendet, Leccisi, Con Mussolini. Auch Michel Dumas verwendete meist nur Beschreibungen wie »le Breton« für Massol, Dumas : La permission du Maréchal, S. 67. Sowohl in Frankreich wie in Italien ist nicht ganz klar, wie viele Personen tatsächlich in die Diebstähle verwickelt waren. 193 Dazu Parlato : Fascisti senza Mussolini, S. 238 ff.; Lembo : Fascisti dopo la Liberazione, S. 93–100. 194 Leccisi : Con Mussolini, S. 303. Zur MSI auch Art. »Movimento Sociale Italiano«, in : Gilbert, Mark ; Nillson, Robert (Hg.) : Historical Dictionary of Modern Italy, Lanham 1999, S. 239–240 ; Parlato : Fascisti senza Mussolini, sowie Ruzza, Carlo ; Fella, Stefano : Re-inventing the Italian Right. Territorial Politics, Populism and ›Post-Fascism‹, London/New York 2009.
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Sei Immortale«.195 Das Parteizeichen, ein verschobenes Rechteck mit der Aufschrift MSI und einer darüber flackernden Flamme in den Farben der italienischen Flagge, wird als verschlüsselte Darstellung des fiktiven Sarges Mussolinis mit dem ewigen Licht darüber interpretiert.196 Durch dieses Parteisymbol erhielt der tote Mussolini eine dauerhafte Präsenz. Gleichzeitig schuf die Partei eine Symbolsprache, die das Fehlen einer bekannten Grabstätte kompensierte. Hubert Massol hatte seine Kandidatur für die Abgeordnetenwahlen im März 1946 zurückziehen müssen ; er war zwar nicht inhaftiert, doch war auch das Strafmaß noch nicht festgesetzt worden.197 Er blieb der Verehrung Pétains und auch der Politik treu, obwohl sich die ARLP nicht langfristig auf der politischen Bühne behaupten konnte und er es nicht bis ins Parlament schaffte. So nutzte er zunächst seine neu gewonnene Bekanntheit dafür, eine Bewegung der französischen und europäischen Versöhnung (Mouvement de la réconciliation française et européenne) zwischen rechtsextremen Gruppierungen zu organisieren.198 Hierbei stellte der Anspruch auf Versöhnung zugunsten der Kollaborateure die Kontinuität zu der illegalen Exhumierung her. Dann übernahm er den Vorsitz der Association nationale Pétain-Verdun, also der Organisation, die sich von der ADMP abgespalten hatte, um sich ausschließlich für die Translation Pétains nach Verdun einzusetzen.199 In den späten 1980er Jahren wurde er für den Front National Gemeinderat in Asnières-sur-Seine und
195 »Mussolini für immer unsterblich« oder »Mussolini du bist unsterblich«, Bosworth : Mussolini, S. 421, Koff, Sondra ; Koff, Stephen : Italy from the First to the Second Republic, London 2000, S. 41. 196 Luzzatto : Il Duce, S. 165. 197 »M. Hubert Massol renonce à sa candidature aux élections législatives«, in : Le Monde, 27. Feburar 1973, S. 31 ; »Pétain : quatre des auteurs de l’ ›opération cercueil‹ libérés«, in : L’Humanité, 26. Februar 1973, S. 7. 198 »La Réconciliation française et européenne veut aider l’extrême droite à surmonter ses divisions«, in : Le Monde, 26. Mai 1975. 199 Massol übernahm dieses Amt, nachdem der Gründer Robert de Périer wegen Veruntreuung zurücktreten musste. Unter Massols Leitung führte die ANPV Feiern am Grab Pétains durch, wie z. B. zum Gedenken an den Waffenstillstand am 11. November, »L’Association nationale Pétain-Verdun en Pétain à l’île d’Yeu«, in : Le Monde, 12. November 1980. Gemeinsam mit der ADMP forderte sie weiterhin die Translation Pétains nach Douaumont, »Pour le transfert des cendres du maréchal Pétain«, in : Le Monde, 12. November 1981. Durch Massol vollkommen aus der Vereinigung verdrängt, gründete Robert de Périer in Nantes erneut eine namensgleiche Association, die ebenfalls bis heute besteht, Art. »Association Nationale Pétain-Verdun (ANPV – 1)« und Art. »Association Nationale Pétain-Verdun (ANPV – 2)«, in : Leclercq : Dictionnaire de la mouvance droitiste, S. 53–55.
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profitierte so von dem politischen Aufstieg des FN,200 bevor er sich 1999 der Splitterpartei Mouvement National Républicain von Bruno Mégret anschloss und für diese weiter bei regionalen Wahlen antrat. 201 Schließlich ist er seit 2009 Präsident der ADMP, also der Organisation, die seine Tat zunächst scharf kritisiert hatte, da ihre Mitglieder eine illegale Exhumierung für unangemessen hielten. Dies zeigt zum einen, wie sehr die Verehrer Pétains doch zusammenhielten. Zum anderen wird ersichtlich, dass sich der nicht zu einer Weltkriegsgeneration gehörende Massol durch seinen Einsatz für die Umbettung so viel Ansehen erworben hatte, dass er quasi das Erbe Isornis als unentwegter Verteidiger Pétains antreten konnte. Massols politischer Werdegang war beispielhaft für die Personalisierung und Unbeständigkeit der Organisationsstruktur im französischen Parteiensystem, doch er hatte sich durch die Graböffnung für die extreme Rechte profiliert und konnte daraus politisches Kapital ziehen.202
3.3 Wiedererlangung Neben der Suche und Verhaftung der an den illegalen Exhumierungen Beteiligten stand natürlich das Auffinden der entwendeten Leichen im Zentrum des Interesses. Ihr Verschwinden war ein Angriff auf die Autorität der Regierungen und stellte gleichzeitig die Gewissheit über den Verbleib der Toten in Frage. Solange die Überreste nicht wiedergefunden wurden, bestand Gelegenheit für Spekulationen und sogar alternative Bestattungen. Die Diebstähle hatten die sozialstrukturierende Wirkung der Bestattungsrituale für die Nachkriegsgesellschaften gestört. Dies bedeutete, dass die Regierungen die Leichname ausfindig machen mussten, auch wenn sie nicht bereit waren, auf die Bedingungen der Leichendiebe bzw. ihrer Helfer einzugehen. 200 Der FN gewann an Bedeutung seit er im September 1983 in den Gemeinderat von Dreux und 1986 in die Nationalversammlung eingezogen war, Camus : Front national, S. 10 f. 201 Die Wahlergebnisse abgedruckt in Le Monde, ab 7. Juni 1988 bis 11. Juni 2007 ; auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 183. 202 Zum stetigen Wandel im französischen Parteiensystem mit seinen Wahlbündnissen Hüser, Dietmar : Französische Parteien zwischen dem 19. und 21. Jahrhundert. Aufbruch der Tradition und Grenzen des Wandels, in : Ruß, Sabine ; Schild, Joachim ; Schmidt, Jochen ; Stephan, Ina (Hg.) : Parteien in Frankreich : Kontinuität und Wandel in der V. Republik, Opladen 2000, S. 15–33, hier S. 21–24 ; Kempf, Udo : Das politische System Frankreichs. Eine Einführung, Wiesbaden 42007, S. 169–175 ; Tümmers, Hans : Das politische System Frankreichs. Eine Einführung, München 2006, S. 112–129.
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3.3.1 Pétain in der Vorstadt Massol wurde wie seine in Paris festgenommenen Komplizen zur Vernehmung in das Pariser Polizeipräsidium am Quai des Orfèvres gebracht.203 Dort willigte er noch am selben Abend ein, die Polizisten zum Versteck des Leichnams zu führen. Ob er dies tat, weil er tatsächlich glaubte, dass Pétain dann in den Invalidendom gelangen würde, oder weil er keine Alternative mehr sah, ist letztlich nicht zu klären. Der Historiker Le Naour kommt zu dem Schluss, dass der Dieb des Sarges nach den Gesprächen mit den Ermittlern keinen anderen Ausweg für sich wie auch für die Überreste Pétains gesehen habe.204 Selbst gab Massol an, dass das Ziel der Operation erreicht worden sei. Offenbar war er der Meinung, dass nach der Aufmerksamkeit, die die illegale Exhumierung erzeugt hatte, eine Rückführung Pétains an den ursprünglichen Bestattungsort nicht möglich sei.205 Mitten in der Nacht fuhr Massol daher mit insgesamt fünfzehn Polizisten nach Saint-Ouen, wo er den Sarg in einem weißen Lieferwagen in einer Garage in einem Hinterhof verborgen hatte. Der verschlossene Sarg wurde noch vor Ort untersucht und anschließend mit einem Krankenwagen in das Militärkrankenhaus Val-de-Grâce in Paris gebracht.206 So war der Sarg mit den Überresten Pétains innerhalb von drei Tagen wiedergefunden worden. Da die Behörden sich auch um eine umgehende Wiederbestattung bemühten, trat die Nachricht von dem Auffinden des Sarges in einigen Berichten hinter die erneute Beisetzung zurück, aber selbstverständlich bedingte das eine das andere und so wurde der Ermittlungserfolg sowohl national wie international zur Kenntnis genommen. Die Behörden hatten schließlich auch eine Pressemeldung über das Auffinden des Sarges herausgegeben. Dabei wies die englische »Times« ausdrücklich darauf hin, dass, obwohl der Sarg in der Gegend von Paris gefunden worden sei, die Nachricht von dem Leiter der Ermittlungen in Angers publik gemacht 203 Die Umstände, unter denen der Sarg wiedergefunden wurde, werden beschrieben auf Basis folgender Artikel : Sarazin : »Cinq personnes sont maintenues en garde à vue« ; »Les circonstance de la découverte«, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 12. 204 Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 163. 205 »J’estime, avait-il dit, que le but de l’opération a été atteint. Il est désormais pratiquement impossible vis-à-vis de l’opinion et du peuple français tout entier de revenir en arrière …« zitiert in : »Les circonstances de la découverte«. 206 »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 23. Februar 1973, S. 2, auch Dumas : La permission du Maréchal, S. 131.
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wurde.207 Gleichzeitig zeigte sich »L’Aurore« über die Verschwiegenheit der Pariser Beamten verwundert und verwies darauf, dass sie angewiesen worden seien, keine genaueren Informationen an die Presse weiterzugeben.208 Dies wiederum unterstreicht, wie sehr das Innenministerium versuchte, die Berichterstattung zu steuern, und den Eindruck erwecken wollte, den Vorfall trotz seiner politischen Sprengkraft vordergründig wie jede andere Ermittlung zu handhaben. Während es hauptsächlich »Le Figaro« war, der die laufenden Untersuchungen auch bildlich darstellte, war es der italienische »Corriere«, der als einzige Tageszeitung auch ein Bild von dem Fundort publizierte.209 Allerdings ist auf der Abbildung nur die Häuserfront mit der Einfahrt zu dem Innenhof, in dem sich das Versteck des Sarges befand, zu sehen. Die Aufnahme hätte überall entstanden sein können und nichts verwies dabei auf Pétain – ein unauffälligeres Versteck ist kaum vorstellbar. Unterdessen stritten sich die Verwandten Pétains öffentlich darüber, wo dieser wiederbestattet werden sollte und wer dies überhaupt entscheiden dürfe. Dieser Konflikt war durch die Konzentration der Berichterstattung auf die Frau von Pétains Stiefsohn, Odette de Hérain, mit verursacht worden. Jedenfalls missfiel es offenbar dem Familienzweig Morcourt, in den Pétains ehemaliger Mitarbeiter Louis-Dominique Girard eingeheiratet hatte, so sehr, dass zwar die Schwiegertochter und die Tochter eines Halbbruders befragt wurden, aber nicht sie selbst, dass sie an »Le Monde« schrieben und auch gleich mehrere Klagen anstrengten.210 Girard, der Mitglied der ADMP und bis 1960 auch ihr Sekretär sowie Verfasser zahlreicher reaktionärer Publikationen war, wurde einzig von »Rivarol« zitiert. Dort bezeichnete er die unbefugte Öffnung des Grabes als Skandal und für die christliche Kultur ungehörig.211 Nun konkurrierte er mit Isorni nicht nur publizistisch, sondern auch im Anspruch, die Interessen 207 »Marshal Pétain’s remains to be returned to island grave after police discovery of coffin«, in : The Times, 22. Februar 1973, S. 5. 208 »La nouvelle affaire Pétain. ›Moi seul sais où est le cercueil‹«. 209 Bocchi, Lorenzo : »La quiete ritrovata di Pétain. Si è conclusa la macabre vicenda durata più’ di cento ore«, in : Corriere della Sera, 23. Februar 1973, S. 17. BU : »Parigi – In alto, l’entrata dell’autorimessa dove il camioncino contenente le spoglie del Maresciallo aveva trovato rifugio«. 210 Wobei der Brief nicht von der Großnichte Yvonne de Morcourt, geb. Pomart, selbst, sondern von deren Ehemann Robert Petyst de Moncourt stammt, »Une lettre de M. de Morcourt, mari d’une petite-nièce du maréchal«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11. 211 [R.] : »Au-delà de la tombe, le Maréchal leur fait peur«, hier S. 1.
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der Familie und damit die Erben Pétains zu vertreten.212 Es verwundert daher auch nicht, dass Isorni später der Familie Morcourt vorwarf, mit der Regierung gemeinsame Sache gemacht zu haben, wobei weder die Nichte, Berthe Pétain, noch die Besitzrechte der Schwiegertochter am Grabmal berücksichtigt worden seien.213 Selbst blendete Girard dabei allerdings auch einen Aspekt aus, nämlich dass es neben der Rückkehr nach Yeu und der Translation nach Douaumont auch die Option gegeben hätte, Pétain in das Familiengrab auf dem Friedhof Montparnasse in Paris zu bestatten, wo inzwischen dessen Ehefrau und Schwiegersohn bestattet waren. Diese Alternative wurde von der Schwiegertochter erwogen und in der Berichterstattung vor allem in italienischen Zeitungen aufgegriffen.214 Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Variante, die 1957 in Italien für die Grabstätte Mussolinis gewählt wurde, auf den französischen Fall keinen Einfluss hatte. Dort konzentrierte sich alles auf Douaumont und Pétains Rolle im Ersten Weltkrieg. Obwohl mit ihnen argumentiert wurde, spielten die Ansprüche und Wünsche der Familie eine untergeordnete Rolle, da es nicht allein um die Bestattung eines toten Politikers ging, sondern darum, eine Lösung für den Gegensatz zwischen Nationalheld und verurteiltem Hochverräter und im übertragenen Sinne zwischen Patriotismus und Kollaboration zu finden. 3.3.2 Mussolini in der Kartause Für die Überreste Mussolinis vereinbarte Pater Parini eine richtige Übergabe und führte die Polizei nicht einfach zu dem Versteck. Am Abend des 12. August übergab er in der Kartause von Pavia eine Truhe mit dem Leichnam an Questore Agnesina und den Leiter des Ufficio politico, Lancellotti.215 Die rö212 »Marshal Pétain’s remains to be returned to island grave after police discovery of coffin«. 213 Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2, S. 524 f. 214 [I. M.] : »Trovata la salma di Pétain e risepolta nell’isola Yeu«, in : La Nuova Stampa, 23. Februar 1973, S. 14 ; »Il feretro di Pétain ›condannato‹ all’esilio. Riportato nell’Isola di Yeu«, in : Il Secolo d’Italia, 23. Februar 1973, S. 7. Aber auch in Frankreich fand die Alternative Erwähnung, Mirad, Lucien : »Un seul membre de la famille – M. Girard petit-neveu du maréchal – assistait à la cérémonie«, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 12 ; »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu«, in : L’Humanitè, 23. Februar 1973, S. 2. 215 »Il cadavere di Mussolini ritrovato nella Certosa di Pavia«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 13. August 1946, S. 1 ; »I resti del cadavere di Mussolini in un baule nella Certosa di Pavia«, in : Avanti !, 13. August 1946, S. 2 ; »Le corps de Mussolini est retrouvé dans la cellule d’un moine italien«, in : L’Humanité, 14. August 1946, S. 3 ; auch Bonacina : La salma nascosta, S. 58 ; Luzzatto : Il Duce, S. 159 f.
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mischen Beamten waren an diesem letzten Schritt der fast viermonatigen Ermittlungen nicht mehr beteiligt. Die Wiedererlangung der Überreste konnte so den regionalen Polizeikräften zugerechnet und der Eindruck eines funktionierenden Sicherheitsapparates vermittelt werden. Dies kann auch in den auf Pressemeldungen basierenden Zeitungsartikeln nachvollzogen werden, in denen zunächst der römische Beamte Marocco zitiert wurde, während, als der erfolgreiche Abschluss der Ermittlungen sicher schien, Agnesina selbst Erklärungen abgab.216 So verweisen auch die meisten Zeitungsartikel darauf, dass der Mailänder Polizeichef derjenige war, der die Leiche wieder in Besitz nahm. Allerdings waren bei der Übergabe keine Journalisten oder Fotoreporter dabei, so dass diese Information wohl auf Angaben der Questura basiert.217 Dafür, dass das Kartäuserkloster, welches rund 30 Kilometer südlich von Mailand liegt, absichtlich als Ort der Übergabe zwischen den Mönchen und der Polizei ausgesucht worden war, spricht zum einen der zeitliche Abstand zwischen dem Besuch Parinis im Polizeipräsidium und zum anderen der räumliche Aspekt. So lagen zwischen dem Tag, an dem die Franziskanermönche ihre Aussage bei der Polizei machten, und dem tatsächlichen Auffinden der Leiche zwei Tage, und nur Pater Parini durfte am 10. August das Polizeirevier verlassen, während sein Superior dortbehalten wurde.218 Beides, die Zeitspanne von zwei Tagen und die kurzzeitige Inhaftierung Pater Zuccas, sprechen dafür, dass Pater Parini den Auftrag hatte, die Leiche zwischen dem 10. und 12. August an einen geeigneten Ort für die Übergabe zu bringen, ohne zu viel Aufsehen zu erregen. Denn anders als Sant’Angelo lag die Kartause eben nicht in unmittelbarer Nähe zu dem Redaktionssitz einer der größten italienischen Tageszeitungen. Sie lag nicht einmal in der mit Mussolinis Biografie so eng verbundenen Stadt Mailand. Die Certosa di Pavia war insoweit ein neutraler Ort, wenn auch ein recht bekannter und zumindest heute bei Touristen sehr beliebter. Insofern verwundert es nicht, dass der Prior der Kartause, Pater Lamberto, großen Wert 216 »I trafugatori della salma. Dichiarazioni del questore«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 8. August 1946, S. 2. 217 Dazu und zu der Übergabe im Allgemeinen auch »Il cadavere di Mussolini nascosto da due frati. L’enigma risolto alla Certosa di Pavia«, in : L’Unità, Nr. 191, 13. August 1946, S. 1 ; »La salma di Mussolini ritrovata nella Certosa di Pavia. Sensazionale scoperta della polizia milanese«, in : L’Unità, (Nuova serie), 13. August 1946, S. 1 ; »La salma di Mussolini è stata ritrovata«, in : La Nuova Stampa, 13. August 1946, S. 1 ; »Retrouvée à la Chartreuse de Pavie la dépouille de Mussolini a été transportée à Milan«, in : Paris-Presse, 14. August 1946, S. 3 ; »Les restes de Mussolini ont été retrouvés à Pavie«, in : Le Monde, 14. August 1946 ; »Mussolini’s Body Found In A Monastery. Friars Implicated«, in : The Times, 14. August 1946, S. 3. 218 Leccisi : Con Mussolini, S. 324.
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darauf legte zu betonen, dass die Kiste nur wenige Stunden in seinem Kloster verbracht habe.219 Die Kartause sollte nicht zu eng mit dem Verschwinden Mussolinis aus seinem Grab verbunden werden, weshalb die Presse auch ausführlich über den Tathergang, die Beteiligten und die Vorgänge im Kloster Sant’Angelo informiert wurde. Dabei fällt an dem Vorgehen des Franziskanermönchs außerdem auf, dass auch er sich nicht die Mühe gemacht hatte, einen echten Sarg für Mussolini zu besorgen, sondern ihn in eine leicht zu transportierende Truhe steckte. Immerhin brachte er aber schon dadurch den Überresten mehr Respekt entgegen als die Diebe der Leiche. Insgesamt wird der Verstrickung der Mönche in den Berichten über das Auffinden des Leichnams sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, wobei deren Motivation jedoch sehr unterschiedlich dargestellt und bewertet wurde. So titelte die kommunistische »Unità« »Falsa carità cristiana dei frati neofascisti«220 (Falsche christliche Barmherzigkeit der neofaschistischen Mönche) und stellte die Mönche als kriminell dar, während in »La Stampa« und im »Corriere« die religiösen Aspekte und die Rolle des Bistums bei diesem Vorfall durchaus diskutiert wurden. Auch der sozialistische »Avanti !« erwähnte, dass der Vorgesetzte Pater Zuccas bei den Vernehmungen geholfen hatte und diesen zu einem Geständnis bewegt habe,221 wodurch der Eindruck, die Mönche hätten ohne das Wissen ihrer Mitbrüder oder Vorgesetzten gehandelt, untermauert wurde. So betonte auch dieser Geistliche, dass die beiden aus christlicher Barmherzigkeit gehandelt hätten, und entzog sie damit der öffentlichen Kritik. Daran, dass die Regierung auf die Forderung Parinis und auch der Diebe nach einem anständigen Begräbnis eingegangen war, wurde jedoch an keiner Stelle Kritik geübt. Die Familie Mussolinis und ihre Ansprüche auf den Leichnam wurden bei der Wiedererlangung des Leichnams überhaupt nicht thematisiert. Nach der Ankündigung der Regierung, die Leiche zunächst nicht an die Verwandten herauszugeben, schien dieser Aspekt nicht mehr relevant. Hingegen erhielten die Diebe in Italien Unterstützung beim Verstecken der Leiche, etwas, was den Dieben in Frankreich in den wenigen Tagen nicht gewährt wurde. Während sich die französischen Bischöfe nach Pétains Tod sehr nachdrücklich für 219 »La salma di Mussolini è stata ritrovata« ; »La salma di Mussolini è stata ritrovata« ; »Les restes de Mussolini ont été retrouvés à Pavie«. 220 »Falsa carità cristiana dei frati neofascisti«, in : L’Unità, Nr. 192, 14. August 1946, S. 1. 221 »I resti del cadavere di Mussolini in un baule nella Certosa di Pavia«.
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eine angemessene Bestattung eingesetzt hatten, blieben sie nach der illegalen Exhumierung im Jahr 1973 überraschend stumm und unterstützten weder die Forderung nach einer Umbettung noch verurteilten sie die Störung der Totenruhe.222 Auch in Italien schwiegen zwar die hohen kirchlichen Würdenträger, allerdings unterstützten zwei Franziskanermönche die Grabschänder, damit der Leichnam Mussolinis eine bessere Bestattung erhalte, als die, die er zuvor erfahren hatte. Dass Kardinal Schuster, der die Bestattung im Jahr 1945 mit in die Wege geleitet hatte, sich im Sommer 1946 trotz Bitten des Polizeipräsidenten nicht persönlich um eine Vermittlung bemühte,223 kann wohl auch damit begründet werden, dass er die Unterstützung der Mönche auch als Kritik an seinen Entscheidungen verstand. Außerdem ging die katholische Kirche auf Distanz zu den beiden Mönchen, so dass der Vatikan sie auch vom Beichtgeheimnis für die Ermittlungen entband.224 Für die italienische Regierung bestand hingegen keine direkte personelle Kontinuität zu der Entscheidung über die Beisetzungsform Mussolinis. Italien hatte inzwischen sogar eine neue Staatsform. Für die erste republikanische Regierung war das Wiederauffinden der Leiche sehr wichtig, da es bewies, dass sie entschieden gegen die Neofaschisten vorging, die es in Italien immer noch gab. Eine Botschaft, die sowohl für die inneritalienischen Entwicklungen wie auch für die Verhandlungen der Friedenskonferenz in Paris eine hohe Bedeutung besaß. Zudem konnte die am 18. Juni 1946 proklamierte Republik Italien auf diese Weise ihre Stabilität und Rechtsstaatlichkeit unter Beweis stellen. So legten beide Regierungen großen Wert darauf, die Bevölkerung über Ermittlungsfortschritte zu informieren. Insbesondere in Frankreich wurde versucht, den Eindruck zu erwecken, man würde sich an die normalen Verfahrensregeln für die Ermittlungen zur Störung der Totenruhe halten, obwohl es offensichtlich war, dass es sich um eine groß angelegte nationale Fahndung handelte. Die Inszenierungen der Ermittlungen dienten in beiden Ländern dazu, die intakte staatliche Ordnungsmacht, die von solchen Ordnungswidrigkeiten nicht angefochten wurde, darzustellen. 222 Jedoch soll Kardinal Feltin, der sich im Ruhestand öfter in dem Nonnenkloster in Thiais aufhielt, dem Ort, in dem der Steinmetz Michel Dumas sein Geschäft hatte, diesen dorthin zu einem Treffen eingeladen haben. Der inzwischen Neunzigjährige wollte von dem Leichendieb über die Tat berichtet bekommen, nahm ihm die Beichte ab und erteilte ihm die Absolution. Aus den Schilderungen Dumas’ erscheint es, als habe der Kardinal in Erinnerungen an Pétain geschwelgt, was unterstreicht, dass er zu ihm eine sehr nostalgische Haltung einnahm. Dumas : La permission du Maréchal, S. 172–174. 223 »La salma di Mussolini è stata ritrovata«. 224 »Le restes de Mussolini ont été retrouvés à Pavie«, in : Le Monde, 14. August 1946.
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Auch Frankreich hatte seit der Beisetzung Pétains 1951 eine einschneidende Verfassungsänderung vollzogen, doch lag diese zum Zeitpunkt der Graböffnung schon 15 Jahre zurück. De Gaulle als der die Fünfte Republik prägende Präsident war bereits seit drei Jahren tot. Die Witwe Pétains war im Jahr 1962 gestorben und so stellten vor allem Jacques Isorni und die ADMP als Verteidiger Pétains eine Kontinuität dar. Aus diesem Selbstverständnis mischte er sich in die Verhandlungen über eine mögliche Translation ein und versuchte, den Leichendiebstahl mit seinen eigenen Interessen zu verbinden. Gleichzeitig artikulierte sich aber auch Widerstand gegen jegliche Form von Ehrung oder Rehabilitation für Pétain. Dies war in Italien nur ein Jahr nach Kriegsende nicht zu beobachten. Das Land befand sich noch mitten in der »Säuberungsphase«, auch wenn bereits das erste Amnestiegesetz ausgearbeitet wurde. In Frankreich hingegen war in den 1960er Jahren die Erinnerung an die Resistance zum bestimmenden Narrativ geworden und die rechtsradikale Bewegung war trotz der Präsidentschaftskandidatur im Jahr 1965 zersplittert und zu einer medialen Randerscheinung verkommen. Die illegale Exhumierung Pétains erscheint vor diesem Hintergrund wie ein Auflehnen gegen das Vergessen und eine Selbstvergewisserung zugleich. Dass die Motivation in der gegenwärtigen politischen Situation lag, wird dadurch untermauert, dass der Sarg Pétains nicht von Menschen gestohlen wurde, die mit ihm viele persönliche Erinnerungen verbanden, sondern von Personen, die zu jung waren, um sich an das Vichy-Regime, geschweige denn die Schlacht von Verdun zu erinnern. Im Gegenteil, einige waren nicht einmal in Frankreich oder den französischen Überseegebieten geboren. Die italienischen Verschwörer hatten hingegen überwiegend selbst in faschistischen Gruppierungen gekämpft. Daher ist es plausibel, dass sie wirklich die Erinnerung an den schändlichen Tod und die Zurschaustellung Mussolinis auf dem Piazzale Loreto auslöschen wollten und deshalb das Grab zerstörten. Sie standen hinter den politischen Botschaften ihrer Untergrundzeitung und setzten sich für das Wiederaufleben des Faschismus ein. In Frankreich hingegen handelte es sich um eine bunt zusammengewürfelte Gruppe und, wenn wir Michel Dumas’ Beschreibung seiner Anwerbung durch Tixier-Vignancour Glauben schenken, dann stand nicht die politische Überzeugung, sondern das jeweilige Können bei der Auswahl der Komplizen im Vordergrund. So wurde Dumas beteiligt, weil er ein Steinmetz war, Solange Boche, weil sie mit einem Kleintransporter auf die Insel reisen konnte, ohne dabei aufzufallen. Der ehemalige konservative Abgeordnete Boux de Casson wurde einbezogen, weil sich sein Anwesen zum Wechseln der Fahrzeuge eignete und so weiter. Es handelte sich um eine sich gut ergänzende
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Diebesbande oder auch ein »Commando«225 (Einsatzkommando), wie es Massol in seinem Interview ausdrückte. Insofern kann es tatsächlich sein, dass es sich in den Augen einiger Beteiligter nicht um eine politische Tat handelte, für ihn und vor allem für den Hintermann Tixier-Vignancour aber schon. Sie waren die Parteimitglieder und sie wollten mit der unbemerkten Translation Pétains dessen Beisetzung in Douaumont erzwingen. Damit hätten sie nicht nur Präsident Pompidou zum Handeln gezwungen, sie hätten auch etwas erreicht, was anderen wie Jacques Isorni in Jahrzehnten nicht gelungen ist. Doch ihr Plan scheiterte frühzeitig. Dagegen scheinen die italienischen Verschwörer, obwohl über die Verstrickung von ehemaligen Faschisten wie Carlo Scorza spekuliert wurde, autonom gehandelt und kein wirkliches Endziel für den Leichnam Mussolinis gehabt zu haben. Die Entwendung der Überreste war für sie Mittel zum Zweck und dieser Zweck war neben der Vernichtung des Grabes die politische Emanzipation des Neofaschismus.226 Tixier-Vignancour und Massol konnten zwar ihr Hauptziel nicht erreichen, doch durch die Pressekonferenz(en) gewannen beide Aufmerksamkeit für sich und ihre Partei. Die wesentliche Gemeinsamkeit der illegalen Exhumierungen in Frankreich und Italien besteht darin, dass die Initiatoren mit ihren Parteien politische Partizipation anstrebten und durch die Aktionen sowohl einen bestimmten politischen Standort besetzen wie auch möglichst viel Bekanntheit erlangen wollten. Leccisi gelang dies, ohne von anderen Neofaschisten für seine Methode angegriffen zu werden, im Gegenteil, Aktionen wie die Kaperung des Senders »Radio Roma« durch römische Neofaschisten, um die faschistische Hymne »Giovinezza« zu spielen,227 nahmen Leccisis Strategie zum Vorbild. In Frankreich hingegen übten neben der Familie auch zahlreiche Anhänger von Pétain, Vichy-Nostalgiker sowie nationalistische und monarchistische Zeitungen Kritik am Vorgehen Massols. Die Tat brachte die rechten Gruppierungen in Frankreich nicht näher zusammen.
225 »›Un acte de foi‹« oder »›Ho rubato la salma di Pétain‹«. Massol scheint den Begriff gewählt zu haben, um die militärischen Bezüge zu steigern. 226 Dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 165. 227 Paris-Presse, 2. Mai 1946, S. 1.
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4. RÜC K F Ü H RU NG ODE R Ü BE R F Ü H RU NG 4.1 Erneute Aufbahrung Die Diebstähle der Überreste Pétains und Mussolinis sowie die Zerstörung von dessen Grab störten nicht nur die Totenruhe, sondern stellten auch den bisherigen Umgang mit den Verstorbenen in Frage. Sie negierten sowohl den praktischen Zweck wie den sozialen Sinn der vorausgegangenen Bestattungen, nämlich die Leichname Pétains und Mussolini beizusetzen und der Gesellschaft Gewissheit über deren Verbleib zu geben – auch wenn dies nicht zwangsläufig gleichzusetzen ist mit öffentlich zugänglichen Gräbern.1 Für die französischen und italienischen Sicherheitsbehörden stellte sich, nachdem sie die Leichname wieder in Besitz genommen hatten, daher die Frage, was mit diesen geschehen sollte und wie erneute Bestattungen ablaufen könnten. Dabei galt es nicht nur, die veränderten politischen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, sondern auch die juristischen und religiösen, denn nach christlichem Verständnis waren bei einer Wiederbestattung auch die Exequien erneut notwendig. Das bedeutete, dass nun die Bestattungsfeiern mit Gottesdienst, Leichenzug zur Grabstätte sowie die eigentliche Beisetzung durchzuführen wären. Es eröffnete zugleich die Möglichkeit, die einzelnen Elemente des Zeremoniells anders als zuvor auszugestalten.2 Es hieß aber auch, dass die Behörden recht frei darin waren, wie sie die Überführung der Überreste von dem jeweiligen Ausgangspunkt zur abschließenden Bestattung durchführten.3 Im Folgenden 1 Damit einher ging auch die Aufhebung der Leichenabwehr ; hier handelte es sich zwar nicht um lebende Leichen, dennoch hatten die Überreste durch die Entwendung aus dem Grab ein Eigenleben entwickelt, das es nun zu bannen galt. Zu den vier Funktionen einer Bestattung Sörries : Art. »Bestattung, allgemein«, in : ders. (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Bd. 1, S. 44–45, hier S. 44. 2 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass dies einen entscheidenden Unterschied zu mehrstufigen Bestattungspraxen darstellt, wie sie in Frankreich und Italien besonders vor dem 20. Jahrhundert ebenfalls existierten. Dabei wurden die Knochen von Verstorbenen nach der Verwesung in ein Beinhaus umgebettet. Auch wenn in den hier betrachteten Fällen mögliche Umbettungen bereits 1945 bzw. 1951 erörtert worden waren, so waren die Bestattungen doch in sich abgeschlossen gewesen. 3 Wobei das Zweite Vatikanische Konzil hier keine tiefgreifenden Veränderungen für die Bestattungspraxis brachte und daher kein Unterschied in der Betrachtung der Wiederbestattung von Mussolini, der vor dem Konzil umgebettet wurde, und Pétain, der erst nach dem Konzil wiederbestattet werden musste, gemacht werden muss.
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wird daher zunächst betrachtet, wie die wiedererlangten Überreste zur Schau gestellt wurden, bevor der Transport zu den Bestattungsorten sowie die erneute Beisetzung daraufhin untersucht werden, was im zweiten Anlauf anders gemacht wurde. Dabei liegt besonderes Augenmerk darauf, wie die Regierenden die sich ihnen bietenden Chancen für Veränderungen nutzten. Wen bezogen sie nun in die Gestaltungen mit ein, gaben sie die Verantwortung für die Bestattung sogar ab ? 4.1.1 Pétains Sarg mit Trikolore bedeckt und von Gendarmen getragen Die französische Regierung schien zunächst völlig nach dem Grundsatz zu handeln, dass die Wiederbestattung auch die Wiederholung der Exequien inklusive einer Aufbahrung in der Kirche erforderte, als sie Pétains Sarg nach dem dreitägigen Intermezzo in die Kirche Val-de-Grâce auf das Gelände des Pariser Militärkrankenhauses brachte. Allerdings dauerte diese Aufstellung nur wenige Stunden und fand ohne Trauergäste statt, einzig Louis-Dominique Girard, der Großneffe Pétains, der zu den Apologeten des Vichy-Regimes gehörte, scheint als Vertreter der Familie auch ins Innere der Kirche vorgelassen worden zu sein.4 Auch wird in den Artikeln über die Bestattung beschrieben, dass der Sarg von Gendarmen bewacht worden sei. Dass es sich dabei tatsächlich nicht nur um eine Sicherheitsmaßnahme, sondern um eine Art Ehrenwache gehandelt hat und dies nicht nur die Wunschvorstellung der Bewunderer Pétains aus dem Umfeld der ADMP war,5 wird durch Aufnahmen vom öffentlichen Teil, nämlich der Verladung des Sarges für den Transport, untermauert. Die Fotografien, die am Morgen des 22. Februar 1973 entstanden, zeigen, wie ein mit der französischen Trikolore bedeckter Sarg von vier Männern in Uniform aus der
4 Er beschreibt jedenfalls, wie er vor dem aufgebahrten Sarg gestanden habe, »Les réactions et les commentaires«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11, sowie »Le cercueil du maréchal a regagné son caveau dans le cimetière de l’île d’Yeu«, in : L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 1/3. Allgmeine Beschreibungen zur Station in Val-de-Grâce bieten auch »Le cercueil de Philippe Pétain a été rapporté par avion à l’île d’Yeu. Après avoir été déposé au Val-de-Grace«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 1 ; »Le maréchal Pétain réinhumé à l’Île d’Yeu«, in : La Croix, 23. Februar 1973, S. 1 ; »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 23. Februar 1973, S. 2 ; [I. M.] : »Trovata la salma di Pétain e risepolta nell’isola Yeu«, in : La Nuova Stampa, 23. Februar 1973, S. 14. 5 Die Ehrenwache wird zwar nur in der Zeitung der ADMP erwähnt, doch erscheint eine Bewachung nach dem Diebstahl sehr plausibel, »Enlèvement du cercueil du Maréchal et son retour à l’île d’Yeu«, in : Le Maréchal, Nr. 90 (Avril–Mai 1973), S. 3.
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Kirche getragen wird.6 In diesem Übergang vom Kircheninneren zum Weitertransport des Sarges ist die Aufbahrung impliziert und wird öffentlich sichtbar. Val-de-Grâce war dabei zwar ein eng mit dem Militär verbundener Ort, doch war die Kirche bisher keine feste Station bei Bestattungsfeiern von nationalem Rang. Allerdings war der letzte Marschall von Frankreich, Alphonse Juin, im Januar 1967 im dortigen Krankenhaus verstorben und zunächst im Bett aufgebahrt worden.7 Dann wurde sein Sarg aber, wie für die Marschälle von Frankreich üblich, zur Aufbahrung in den Invalidendom gebracht.8 Die Kirche des Militärkrankenhauses war von Juins Begräbnis unberührt geblieben, so dass die Entscheidung der Regierung, Pétain zunächst dorthin zu bringen, aufzeigt, wie sehr sie sich auf die militärische Vergangenheit Pétains konzen trierte, ihn aber gleichzeitig nicht in andere nationale Traditionen integrierte.9 6 Insgesamt sechs Aufnahmen, abgedruckt in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 1, BU : »Découvert à minuit dix dans le garage d’un immeuble de Saint-Ouen, le cercueil de Philippe Pétain quitte la chapelle du Val-de-Grâce où il a été déposé pendant quelques heures. Transportée en avion, la dépouille mortelle a regagné l’île d’Yeu à 11 h. 30 hier matin« ; L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 3, BU : »Le cercueil du maréchal Pétain quitte le Val de Grâce, Destination : l’île d’Yeu« ; Paris Match, 5. März 1973, S. 32, BU : »Départ du Val-de-Grâce : un passant crie ›Vive Pétain !‹, en saluant militairement« ; Corriere della sera, 23. Februar 1973, S. 17, BU : »In basso, la bara di Pétain lascia la cappella dell’ospedale militare Val de Grace per fare ritorno all’isola di Yeu« ; sowie Ausschnitte aus dieser Fotografie in : Il Secolo d’Italia, 23. Februar 1973, S. 7, BU : »Il feretro del Maresciallo Pétain avvolto nel tricolore«, und in : The Times, 23. Februar 1973, S. 6, BU : »The coffin of Marshal Pétain is carried from the Military Hospital in Paris, where it has rested since being recovered from a northern suburb of the city«. Die Bilder sind entweder anonym oder im Fall von Paris Match nur mit Gruppennachweis (Bernard Jourdes, Michel Le Tac, Richard Jeannelle, Charles Courrière, Gamma, Turbe) veröffentlicht worden, eine Zuordnung war leider nicht möglich. 7 Eine Aufnahme der an sich sehr traditionellen Totenbettszene wurde publiziert in Paris Match, 4. Februar 1967, S. 36 f. BU : »Dans une chambre austère, son képi et son bâton font briller leurs étoiles«. 8 Dazu Clayton, Anthony : Three Marshals of France, London 1992, S. 194–197 ; »Le ministre des armées prononcera aux Invalides l’éloge funèbre du maréchal Juin en présence du général de Gaulle«, in : Le Monde, 1. Februar 1967, S. 16. Die dortige Aufbahrung im geschlossenen Sarg erfuhr deutlich mehr mediale Reproduktion. 9 Leider sind die nationalen Trauerfeierlichkeiten für den am 26. Mai 1957 in Paris ermordeten Ali Chekkal und die Bedeutung des Attentats auf den ehemaligen Vizepräsidenten der algerischen Nationalversammlung für die Erinnerung an den Algerienkrieg noch nicht erforscht worden. Daher kann hier nicht beurteilt werden, ob es für die Inszenierung von Pétain in Val-de-Grâce eine Rolle gespielt hat, dass zuvor der von der algerischen Unabhängigkeitsbewegung umgebrachte Gegner der Dekolonisation am 29. Mai 1957 feierlich vor den Stufen der Barockkirche aufgebahrt worden war. Kurze Beschreibung in : »Les obsèques de M. Ali Chekkal sont célébrées officiellement cet après-midi«, in : Le Monde, 30. Mai 1957.
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Abb. 31 : Aufnahme des Ehrenspaliers für den Sarg Pétains vor Val-de-Grace, in : L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 3.
Abb. 30 : Abbildung wie Pétains Sarg Valde-Grâce verlässt, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 1.
Während nicht einmal die Schwiegertochter Pétains Zugang zum Sarg in der Kirche erhielt,10 konnten sich Reporter und Passanten um halb neun Uhr auf dem Innenhof von Val-de-Grâce davon überzeugen, dass sich der Sarg nun in der Obhut von Polizei und Gendarmerie befand. Die von »Le Figaro« veröffentlichte Fotografie hielt den Moment fest, in dem der Sarg auf den Schultern der Ehrenwache gerade das Hauptportal der Barockkirche verließ und die 10 Mme de Hérain behauptete, erst nachträglich von dieser Gelegenheit erfahren zu haben, Mirad, Lucien : »Un seul membre de la famille – M. Girard, petit-neveu du maréchal – assistait à la cérémonie«, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 12.
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anwesenden Sicherheitskräfte vor dem mit der Nationalflagge bedeckten Sarg salutierten (Abb. 30). Im Portikus wendete sich die Formation mit dem Sarg nach links und ging durch ein Spalier aus sechs Gendarmen in Paradeuniform die Seitentreppe hinab (Abb. 31). Dort warteten bereits ein dunkler Kombi und eine fünfköpfige Motorradeskorte. Es wurden also einige militärische Ehrenzeichen integriert, die von der Platzierung in der Kirche des Militärkrankenhauses über die Nationalflagge auf dem Sarg bis zur Ehrenformationen reichten. So gesehen war der Umgang mit den Überresten des Marschalls von Frankreich respektvoll, bot der Bevölkerung aber keinen Raum zur Verehrung, wie es eine öffentliche Aufbahrung getan hätte. So wurde auch bei dieser zweiten Aufbahrung der Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit gegeben, am Sarg Pétains vorbeizudefilieren. In diesem Zusammenhang fungierten die in Paris entstandenen Aufnahmen, bis auf die Fotoreportage in »Paris Match« und die zweiseitige Berichterstattung der konservativen »Aurore« (Abb. 31), allein zur Visualisierung in Artikeln, die die gesamte Wiederbestattung thematisierten. Auf Grund des zügigen Ablaufes wurde die Präsentation des Sarges in Paris nicht zum Gegenstand eigener Artikel. Die Szene wurde vielmehr von Bildredaktionen herausgegriffen, um sowohl das Auffinden des Sarges wie auch die Beisetzung zu veranschaulichen. Dabei wird erneut deutlich, wie variierende Aufnahmewinkel und Bildausschnitte unterschiedliche Wirkungen evozieren. Dies zeigt sich gerade bei dem Vergleich der Abbildungen im »Corriere«, »Il Secolo d’Italia« und der »Times«, die auf derselben Aufnahme basieren. Es geht um die Szene, in der der Sarg die Seitentreppe hinab getragen wurde. In der Abbildung in der englischen »Times« ist einzig die Treppe mit dem Sarg, den Spalier stehenden Gendarmen und der im Vordergrund wartenden Motorradformation zu sehen, während der Bildausschnitt in der Parteizeitung des MSI so gewählt wurde, dass auch noch der Kofferraum des wartenden Leichenwagens zu erkennen ist ; im »Corriere« passte sogar noch ein Teil des Polizeibuses ins Bild (Abb. 32). Auf diese Weise wirkte dieselbe Handlung in den beiden italienischen Zeitung weniger respektzollend als praktisch, denn in diesen Abbildungen wurde durch die wartenden Fahrzeuge explizit, dass es sich um einen kurzen Vorgang handelte. Eindeutig hervorgehoben wurde dies in der Fotografie, die »Paris Match« veröffentlichte. Hier steht der als Leichenwagen fungierende dunkle Kombi mit geöffneter Heckklappe im Fokus (Abb. 33). Zwar sind ebenfalls die Motorradeskorte und die Ehrenformation zu erkennen, doch alle Aufmerksamkeit ist auf das Einladen des Sarges und damit einen sehr funktionalen Aspekt gerichtet. In »L’Aurore« hingegen wird eine Fotografie abgedruckt (Abb. 31), die
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Abb. 32 : Ehrenspalier für den Sarg Pétains, in : Corriere della sera, 23. Februar 1973, S. 17.
zwar auch den Sarg auf der Seitentreppe zeigt, aber nicht die Motorradeskorte und die wartenden Fahrzeuge. In dieser Aufnahme aus einer erhöhten Position wurde, ähnlich wie bei der Abbildung in »Le Figaro« (Abb. 30), der barocken Architektur viel Raum zugestanden. Sie dient als Kulisse dafür, wie der in die Trikolore gehüllte Sarg durch ein Spalier die Seitentreppe herabgetragen wurde. Die beiden konservativen französischen Tageszeitungen konzentrierten sich in ihrer Bildauswahl also auf eine sehr respektvolle Darstellung der Verladung, wohingegen die nichtfranzösischen Zeitungen offenbar ein Agenturbild verwendeten. Allerdings verbarg »L’Aurore« nicht, dass der Sarg eben nicht die Haupttreppe, sondern nur die Seitentreppe herabgetragen worden war. Auch dies stellt eine Abstufung in der Ehrerweisung dar. Trotz dieser unterschiedlichen fotografischen Perspektiven darf aber nicht übersehen werden, dass die Regierung die Verladung des Sarges in dieser Form überhaupt sichtbar machte. Nachdem das Kircheninnere nicht zugänglich war, hätte der Sarg auch durch einen Seitenausgang und über das Krankenhausgelände entfernt werden können. Stattdessen markiert die in dieser Form inszenierte Verladung des Sarges den Beginn der Wiederbestattung. An den Diebstahl des Sarges erinnerte nichts mehr, die Szene hätte so auch direkt nach dem Tod Pétains stattfinden können. Doch während bei der ursprünglichen Aufbahrung in seinem Sterbezimmer Angehörige und Freunde zugelassen waren, die Veröffentlichung von Fotografien aber nicht, waren die Fotografen diesmal
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Abb. 33 : Abbildung der Verladung von Pétains Sarg, in : Paris Match, 5. März 1973, S. 32.
offenbar zu der Verladung des Sarges eingeladen worden. Zumindest legen die Fotografien und Berichte die Annahme nahe, dass die Behörden die Presse im Vorfeld informiert hatten und so die Öffentlichkeit suchten. Damit setzten sie ihr bereits während der Ermittlungen gezeigtes Verhalten fort, die Presse und besonders die Bildberichterstatter an ihren Fortschritten teilhaben zu lassen. Dass sie dies bei der Übergabe des Sarges nicht taten, unterstreicht umso deutlicher, dass sie bemüht waren, die Kontrolle über die entstehenden Bilder zu behalten. Der Sarg hätte aber auch vollkommen geheim zur Wiederbestattung transportiert werden können. Damit wäre aber zu keinem Zeitpunkt demonstriert worden, wer den Sarg wiederbeschafft hatte ; so diente auch diese Zurschaustellung der Präsentation der ordnungsstiftenden Staatsgewalt, jedoch ohne Bezug zum Diebstahl oder den Dieben. Auf Grund der Scharnierfunktion der Aufnahmen zwischen Wiederauffindung und Beisetzung wird die Unterbringung des Sarges in der Militärkirche in den meisten Berichten über die erneute Beisetzung Pétains erwähnt und in einigen Fällen auch kurz beschrieben. Gerade »L’Humanité« geht dabei genauer auf die Inszenierung ein und benutzt die Verwendung der Nationalflagge als Aufhänger auf der Titelseite, kritisiert dieses Ehrenzeichen aber nicht explizit.11 11 »Drapeau Tricolore et gerbe de Pompidou«, in : L’Humanité, 23. Februar 1973, S. 1. Der
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Dass nicht einmal die kommunistische Parteizeitung, die sich zuvor sehr gegen eine Translation auf den Soldatenfriedhof nach Douaumont ausgesprochen hatte, die militärischen Ehrerweisungen vor Val-de-Grâce ablehnte, ist ein Indiz dafür, wie ausgeprägt der Respekt vor den militärischen Verdiensten Pétains aus dem Ersten Weltkrieg selbst bei den Linken immer noch war. Insgesamt war das Vorgehen der dem Verteidigungsministerium, und damit dem Ministerium, das Philippe Pétain 1934 selbst geleitet hatte, unterstellten Gendarmen geprägt davon, dem Status Pétains als Marschall von Frankreich Genüge zu tun, ohne ihm daraus eine wirkliche Ehrung zuteilwerden zu lassen. So wurde die Form gegenüber den Bewunderern Pétains, insbesondere den Kriegsveteranen, gewahrt, ohne jedoch durch eine öffentliche Aufbahrung der Bewunderung einen Raum zu bieten oder durch Salutschüsse oder die Verladung des Sarges auf ein offenes Fahrzeug weitere Elemente eines militärischen Ehrenbegräbnisses zu integrieren. 4.1.2 Der improvisierte Sarg Mussolinis wird präsentiert und vermessen Deutlich weniger ehrenvoll, dafür aber ebenso öffentlichkeitswirksam gestalteten die italienischen Behörden die Präsentation des Sarges Mussolinis nach dem hunderttägigen Verschwinden seiner Leiche. Auch dies war keine konventionelle Aufbahrung, vielmehr wurde diesmal die Truhe, in die Pater Parini die Überreste gebettet hatte, in einer Pressekonferenz nur eineinhalb Stunden nach der Übergabe gegen 22 Uhr am 12. August 1946 in der Mailänder Questura den versammelten Reportern präsentiert.12 Zuvor hatten die Polizisten das Behältnis geöffnet und darin die in zwei Gummisäcke gehüllten Überreste Artikel betrachtet die Gestaltung der gesamten Wiederbestattung sehr kritisch, wie in Kapitel 4.3.2 genauer dargestellt wird. 12 »Il cadavere di Mussolini ritrovato nella Certosa di Pavia«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 13. August 1946, S. 1. Für die folgende Beschreibung der Ereignisse auch »I resti del cadavere di Mussolini in un baule nella Certosa di Pavia«, in : Avanti !, 13. August 1946, Nr. 193, S. 2 ; »Il cadavere di Mussolini nascosto da due frati. L’enigma risolto alla Certosa di Pavia«, in : L’Unità, Nr. 191, 13. August 1946, S. 1 ; »La salma di Mussolini ritrovata nella Certosa di Pavia. Sensazionale scoperta della polizia milanese«, in : L’Unità (Nuova serie), 13. August 1946 N. 188, S. 1 ; »La salma di Mussolini è stata ritrovata«, in : La Nuova Stampa, 13. August 1946, S. 1 ; »Retrouvée à la Chartreuse de Pavie, la dépouille de Mussolini a été transportée à Milan«, in : Paris-Presse, 14. August 1946, S. 3 ; »Les restes de Mussolini ont été retrouvés à Pavie«, in : Le Monde, 14. August 1946 ; »Mussolini’s Body Found In A Monastery. Friars Implicated«, in : The Times, 14. August 1946, S. 3, sowie Baima Bollone : Le ultime ore, S. 204 ; Bonacina : La salma nascosta, S. 71 ; Luzzatto : Il Duce, S. 159 f.
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und eine Erklärung des Partito Fascista Democratico, welche die Authentizität der Gebeine bezeugen sollte, gefunden.13 Das Bekennerschreiben war auf den 7. Mai 1946 datiert und mit Leccisis Pseudonym »Marco« unterzeichnet. Darin erläuterte er, dass er und seine Freunde den Leichnam Mussolinis am 23. April vom Cimitero di Musocco gestohlen und am 7. Mai aus dem Versteck in Madesimo nach Mailand geholt hätten. Die Überreste des Duce sollten im Convento di Sant’ Angelo verbleiben, bis der Faschismus wieder an der Macht sei und sie auf dem Kapitol beigesetzt werden würden. Dass dieses Schreiben bereits am 7. Mai direkt bei der Leiche versteckt worden war, verdeutlicht, dass die Neofaschisten sicher gehen wollten, dass der Leichnam identifiziert und sein Verschwinden der faschistischen Gruppierung zugeschrieben würde, sollte er irgendwie von ihnen getrennt werden. Auch hier zeigt sich die Bemühung des PFD, möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Polizei versuchte nicht, dies zu verhindern, sondern gab den Inhalt der Erklärung und damit den Verlauf der Ereignisse aus Sicht der Diebe an die Journalisten weiter. Schließlich konnte sie bei der Pressekonferenz ihren Ermittlungserfolg in Form der Truhe mit den Überresten Mussolinis präsentieren und so die Aussichtslosigkeit der neofaschistischen Aspirationen darstellen. Die Presse war nicht zur Übergabe der Gebeine in die Certosa di Pavia geladen worden, sondern erhielt die Gelegenheit, die geschlossene Truhe im Polizeigebäude in Augenschein zu nehmen. Damit übte Questore Agnesina eine Bildkontrolle aus, die vor allem den Ermittlungserfolg der Behörden zur Geltung brachte und die Neofaschisten wie auch die Kirche aus dem Spiel ließ. Die Überreste Mussolinis waren wieder in der Obhut des Staates, der bewiesen hatte, dass er mit den neofaschistischen Übergriffen fertig wurde. Außerdem demonstrierte der visuelle Eindruck der Truhe, die eine Höhe von 60 cm, eine Breite von 40 cm und eine Länge von 90 cm hatte, dass von neofaschistischer Seite mit den Überresten Mussolini keineswegs respektabel und pietätvoll umgegangen worden war. Die Kiste war so klein, dass sie kaum groß genug für einen menschlichen Körper zu sein schien. Der einstige Duce, der sich selbst so gerne inszeniert hatte und durch räumliche oder mediale Effekte überlebensgroß erschienen war, steckte nun in dieser kleinen Truhe. Daraus konnte man schließen, dass von ihm keine Gefahr mehr ausging. Doch so eindrücklich dieses Motiv auch war, zeitgenössisch sind kaum Abbildungen der Truhe nachweisbar. Von den untersuchten Tageszeitungen publizierte einzig der »Corriere« eine Fotografie der auf dem Fußboden stehenden 13 Inhalt wiedergegeben bei Leccisi : Con Mussolini, S. 324 f.
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Truhe, obwohl sich im Bestand der Mailänder Fotoagentur Publifoto mehrere Aufnahmen erhalten haben.14 Das Motiv war aber so eindrücklich, dass es alle Artikel mehr oder weniger detailliert textlich beschrieben. Während bei der Zurschaustellung auf dem Piazzale Loreto der Leichnam Mussolinis noch als Objekt im Zentrum stand und Fotografien den toten Diktator darstellten, wurde nun lediglich das Behältnis, in dem er sich befand, ausgestellt und schon der Bericht über diese Aufbahrung wurde offenbar für ausreichend erachtet, um Gewissheit über den Verbleib zu geben. Statt einer derartigen Vergewisserung über den Tod Mussolinis wie durch die Fotografien der Leichen auf dem Piazzale Loreto oder nach der Obduktion wurde mit der Truhe eine Entpersonalisierung vorgenommen. So wurde gegenüber 1945 nicht nur der tote Körper Mussolinis dem Blick der Öffentlichkeit entzogen, sondern dadurch, dass seine Gebeine nicht in einem Sarg, sondern provisorisch in einer Truhe aufbewahrt und so der Presse präsentiert wurden, erinnerte nichts an die Person Mussolini. Die Truhe war allerdings ein Behältnis, das nicht von den Ermittlern, sondern von den mit den Leichendieben zusammenarbeitenden Mönchen gewählt worden war. Mit der Zurschaustellung der Truhe stellten die Polizisten der Questura auch die geringe Wertschätzung bloß, die die Personen, die beanspruchten, aus christlicher Nächstenliebe zu handeln, den Überresten zukommen ließen. Die Pressekonferenz diente also nicht nur, wie es Luzzatto beschreibt, der Selbstinszenierung der Politik, sondern auch einer Inszenierung Mussolinis ex negativo und der Diskreditierung der am Verschwinden des Leichnams Beteiligten.15 Die Pressekonferenz markierte das Ende der Ermittlungen. Trotzdem wurde die Truhe mit den Überresten am nächsten Tag zur Obduktion in das Leichenschauhaus gebracht, in dem auch die erste Obduktion stattgefunden hatte.16 14 Il Nuovo Corriere della Sera, 13. August 1946, S. 1, BU : »Il baule con la salma di Mussolini trasportato alla Questura di Milano. I resti sono avvolti in due sacchi gommati«. Andere Fotografien aus dem Bestand von Publifoto, abgebildet bei Luzzatto : Il Duce, S. 161, und bei Kirkpatrick : Mussolini, S. XX oben. 15 Vgl. Luzzatto, Il Duce, S. 160. 16 »I due frati neofascisti deferiti alla Corte d’Assise«, in : L’Unità, Nr. 193, 15. August 1946, S. 2 ; »L’identità della salma di Mussolini accertata dall’esame necroscopico. I frati trafugatori tradotti al carcere di S. Vittore«, in : L’Unità (Nuova serie), 15. August 1946, S. 1 ; »I due fraticelli dell’Angelicum da ieri ospiti di San Vittore. Nuova regola al convento«, in : Avanti !, 14. August 1946, Nr. 194, S. 2 ; »I resti di Mussolini all’Obitorio per gli accertamenti medico-legali«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 14. August 1946, S. 2 ; »I resti di Mussolini sul tavolo dell’obitorio«, in : La Nuova Stampa, 15. August 1946, S. 4, auch Baima Bollone : Le ultime ore, S. 204 ; Bonacina : La salma nascosta, S. 71.
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Unter den Augen von Juristen, wie dem Procuratore generale della Repubblica, Barrecca, und dem Untersuchungsrichter Asmondi sowie dem Vize-Quästor und weiteren Polizisten führte Professor Antonio Cazzaniga, der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts, zusammen mit Antonino Astuni und Erminio Bossi die Obduktion durch.17 Die Pathologen bestätigten die Identität der Überreste. In der Wiederholung der Obduktion keine eineinhalb Jahre nach Mussolinis Tod, die trotz des Begleitschreibens der Leichendiebe stattfand und obwohl die Überreste durch Pater Parini übergeben worden waren, kam erneut das Bemühen der Regierung und der Behörden um korrektes, nicht angreifbares Vorgehen zum Ausdruck. Obduktion Die Obduktion ermöglichte eine seriöse Identifikation der Leiche mit den Mitteln des Verwaltungsstaates, ohne dabei auf einen öffentlichen Vergleich von Stiefeln oder ähnlichem Beiwerk zurückzugreifen, wie es die Neofaschisten wohl gewünscht hatten. Weder der Leichnam Mussolinis noch andere Dinge aus dem Grab Nummer 384 wurden der Öffentlichkeit präsentiert. Der improvisierte Sarg war das Einzige, das fotografiert werden durfte. Dies führte allerdings auch dazu, dass die Truhe zu einer Art Chiffre für die Überreste Mussolinis wurde. So veröffentlichte der Journalist des »Corriere Lombardo«, Pasquale Scarpa, im Jahr 1947 eine auf seinem Interview mit Pater Parini aus dem Herbst 1946 und einer Artikelsammlung basierende Schrift, die eine Grafik der Truhe als Titelbild hatte und die »Verità« (Wahrheit) über das Verschwinden der Überreste versprach (Abb. 34).18 Dabei waren Mussolinis Überreste nach der Obduktion gar nicht zurück in die Truhe gebettet worden. Vielmehr legten die Gerichtsmediziner sie in eine andere mit Zink und Stahl verstärkte Kiste, die die Abmessungen von 50 cm auf 60 cm auf 110 cm hatte und damit ein wenig größer war als die Truhe, in die der Priester sie gesteckt hatte. Durch den Transfer der Überreste in ein anderes Behältnis, über den die Zeitungen ebenfalls berichteten, markierten die Behörden ihren Ordnungsanspruch. Nun be17 »I resti di Mussolini verranno affidati ai familiari«. L’Unità wies ausdrücklich darauf hin, dass der Leichenbeschauer derselbe sei wie bei der ersten Obduktion, allerdings schrieben sie den Namen des leitenden Gerichtsmediziners falsch und scheinen ihn mit seinem Schüler Cattabeni verwechselt zu haben, »L’identità della salma di Mussolini accertata dall’esame necroscopico« ; auch Baima Bollone : Le ultime ore, S. 202. 18 Parini, Alberto : Verità. Cronistoria di una salma famosa e diario di 42 giorni di carcere, hg. v. Pasquale Scarpa. Mailand 1947 ; Umschlaggestaltung farbig.
Erneute Aufbahrung | Abb. 34 : Buchcover von Parini : Verità, Mailand 1947.
stand auch keine physische Beziehung mehr zu der Entwendung der Überreste und die Diebe der Leiche konnten keinen Einfluss mehr auf die Gestaltung für sich beanspruchen. Es wurde aber auch keine Aufwertung durch einen regulären Sarg vorgenommen. Die italienischen Autoritäten vermieden zu diesem Zeitpunkt jedes Ehrenzeichen für Mussolini. In Bezug auf das Zeremoniell ist festzustellen, dass, auch wenn die Zurschaustellung der Truhe nicht einer klassischen Aufbahrung entspricht, die Pressekonferenz und die Obduktion zusammen die Zäsur bildeten, die sowohl den Abschluss der Ermittlungen markierte wie auch die Grundlagen für eine Wiederbestattung schuf. Abschließend bleibt festzuhalten, dass beide Aufbahrungen von staatlichen Stellen durchgeführt und gestaltet wurden. Die Ermittlungsbehörden übten dabei eine Informations- und Bildkontrolle aus, indem sie Presse und Öffentlichkeit erst nach den Übergaben der Überreste über den Vorgang informierten. Diese Information verbanden sie jeweils mit der Zurschaustellung der wiedererlangten Behältnisse mit den Gebeinen. Doch die Kontrastierung der beiden Aufbahrungen demonstriert ebenso, wie unterschiedlich beide Regierungen auf die Herausforderung der Wieder-
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bestattung reagierten. Die Präsentationen der Behältnisse mit den Überresten von Pétain und Mussolini erfüllten unterschiedliche politische Funktionen, während sie innerhalb des Zeremoniells beide zwischen dem Verschwinden der Gebeine und der Wiederbestattung vermittelten. Pétains Aufbahrung war der eindeutige Auftakt für eine erneute Bestattung, inklusive militärischer Ehrenzeichen, während die Truhe mit den Überresten Mussolinis zunächst einmal den Ermittlungserfolg der Behörden und damit das Ende der Suche demonstrierte. Die am 18. Juni 1946 proklamierte Republik Italien bewies mit dem Wiederauffinden der Leiche, auch auf internationaler Ebene, dass sie zur strafrechtlichen Verfolgung der Neofaschisten fähig war. Dies führte zu einer Präsentation der wiederbeschafften Überreste, in der die Distanz zu dem ehemaligen Diktator besonders betont wurde. Eine Botschaft, die sowohl für die inneritalienischen Entwicklungen als auch für die Verhandlungen in Paris eine hohe symbolische Bedeutung besessen haben dürfte, schließlich befand sich der Ministerpräsident seit dem 29. Juli auf der Pariser Friedenskonferenz und Pietro Nenni führte die Regierungsgeschäfte in seiner Abwesenheit. In Frankreich hingegen, wo Parlamentswahlen anstanden und die gaullistische Partei starke Stimmenverluste fürchtete, wird in der Aufbahrung eine Verbindung zu Pétains Rolle als Held von Verdun und seiner Position als Marschall von Frankreich hergestellt. Die Verdienste Pétains im Ersten Weltkrieg wurden von keinem politischen Lager in Frage gestellt und für die Bestattungen der Marschälle von Frankreich gab es zeremonielle Vorgaben, an die zwar nicht direkt angeknüpft wurde, zu denen aber Bezüge hergestellt wurden. Dass diese allerdings so zurückhaltend wie möglich ausfielen, verdeutlicht, wie sehr die französische Regierung darum bemüht war, den gesellschaftlichen Konsens nicht zu gefährden, indem sie dem Chef de l’État français zu viel Ehrenzeichen zukommen ließ. Auch hatten die Diebe um Hubert Massol es den Ordnungskräften sehr leicht gemacht, direkt zu der Wiederbestattung überzugehen, da sie den Leichnam nicht aus seinem Sarg entfernt hatten. Die italienischen Verschwörer hatten das Grab Mussolinis vollkommen zerstört und den Leichnam zudem länger in ihrem Besitz gehabt. Die italienischen Behörden setzten nach vier Monaten mit der Zurschaustellung des von den Mönchen improvisierten Sargs eine deutlichere Zäsur, die französische Regierung tat genau das Gegenteil und griff auf bewährte Elemente im Umgang mit verstorbenen Marschällen zurück. In Frankreich wurden die politischen Implikationen der Aufbahrung und Beisetzung Pétains durch den Staat so kurz vor den Parlamentswahlen von der Mehrheit der französischen Journalisten nicht thematisiert.
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4.2 Tr ansport Nachdem die Ermittler die Überreste dermaßen öffentlich wiederbeansprucht hatten, konnten sie sie nun an den Bestattungsort transportieren. Dafür musste zunächst ein Bestattungsort festgelegt werden. Dies stellte keine leichte Aufgabe dar, da es dazu in beiden Ländern zahlreiche konkurrierende Vorstellungen gab, wie die Reaktionen auf die Forderungen der Leichendiebe bereits gezeigt hatten. Deshalb wird im Folgenden zunächst die Ortswahl betrachtet, bevor der Transport an das ausgewählte Ziel analysiert wird. Da es sich bei diesen Überführungen nicht einfach um den Transport von einem Sterbeort zu einem Friedhof oder einer Kirche handelte, sie also nicht durch das Zeremoniell geregelt waren, hatten die Regierungen bei diesem Schritt in der Wiederbestattung den größten Gestaltungsspielraum. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um den zeitlich asymmetrischsten Abschnitt im Umgang mit den Leichnamen, da sich die italienische Regierung für eine abschließende Entscheidung mehrere Jahre Zeit ließ. Dies führt dazu, dass im Folgenden ebenfalls untersucht werden muss, was in der Zwischenzeit mit dem Leichnam Mussolinis geschah und wer sich alles an der Entscheidungsfindung beteiligte. 4.2.1 Pétain und die Leichendiebe kehren in die Vendée zurück Da Massol und seine Komplizen die Überführung Pétains nach Douaumont angestrebt hatten, war die Diskussion über den angemessenen Bestattungsort bereits durch die Graböffnung ausgelöst worden. Dabei reichten die in den Tageszeitungen abgedruckten Meinungsäußerungen von der bedingungslosen Befürwortung der Translation auf den nationalen Soldatenfriedhof durch die rechten Kreise, die sich in »Rivarol« und »Aspect de la France« ausdrückten, bis zur entschiedenen Ablehnung, wie sie etwa von Georges Marchais, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, durch Verweis auf die damit einhergehende Rehabilitierung eines wegen Hochverrats Verurteilten und die Ursachen dieses Urteils begründet wurde.19 Dieses Für und Wider um das Beinhaus von Douaumont hatte ausgerechnet Pétains Verteidiger Isorni mit seinem Vorschlag einer provisorischen Bestattung im Invalidendom zu schlichten versucht. Auch dass innerhalb der Familie offenbar keine Einigkeit darüber 19 »›Réhabiliter Pétain serait réhabiliter la trahison‹ déclare M. Georges Marchais«, in : Le Monde, 23. Februar 1973, S. 11.
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bestand, wo Pétain bestattet sein sollte, untergrub die vermeintliche Zwangsläufigkeit einer Translation weiter und erweiterte den Handlungsspielraum der Regierung. Gerade Louis-Dominique Girard setzte sich für die Bestattung auf der Insel Yeu ein und begründete dies damit, Pétain hätte zu Lebzeiten die Insel ohne Erlaubnis nicht verlassen, da ein Soldat seinen Posten nicht verlasse.20 Ähnlich argumentierte auch »Rivarol« : Die Zeitung wies darauf hin, Pétain selbst habe gegenüber seiner Frau geäußert, dass er auf Yeu bleibe, bis ihn Frankreich nach Douaumont führen würde.21 Die nationalistische Zeitung stellte damit die Verbindung zwischen der Translation und der nationalen Einheit her, während sich Girard stärker auf die Umstände der Exhumierung bezog. Seine Ablehnung gründete darauf, dass Pétains Gebeine die Insel illegal verlassen hätten, wobei es weniger um die juristische Dimension, als um die Frage ging, ob Pétain selbst die Initiative seiner Bewunderer gutgeheißen hätte oder nicht. Der Neffe übte so erneut Kritik am Verhalten der Leichendiebe. Diese hatten allerdings ein unversehrtes Grabmal auf der Insel Yeu zurückgelassen und so eine zügige Rückführung dorthin überhaupt erst ermöglicht. Durch die öffentlichen Äußerungen einzelner Familienangehöriger konnten die Behörden behaupten, die Rückführung nach Yeu erfolge auf Wunsch der Familie.22 Allerdings konnte die Regierung letztlich frei entscheiden, welchen Wünschen der weitläufigen Familie sie folgte, hatte doch die Nichte Pétains, Berthe Pétain, bereits unmittelbar nach dem Leichendiebstahl ihre Hoffnung auf eine Beisetzung in Douaumont zum Ausdruck gebracht, während die Schwiegertochter zwischen Douaumont und dem Friedhof Montparnasse schwankte.23 Die französische Regierung suchte sich aus den unterschiedlichen Vorstellungen der Familienmitglieder diejenige heraus, die ihr genehm war, und legitimierte ihr Vorgehen durch den öffentlichen Hinweis auf den Wunsch der Familie.24 Dabei war Girard zwar von einem Teil der Blutsverwandtschaft zum Vertreter der Familie erklärt worden, doch zum einen war 20 »Le cercueil du maréchal a regagné son caveau dans le cimetière de l’île d’Yeu«, S. 3 ; Paris Match, 3. März 1973, S. 26–27. 21 [R.] : »Au-delà de la tombe, le Maréchal leur fait peur«, S. 4. 22 »Marshal Pétain’s Remains to be Returned to Island Grave after Police Discovery of Coffin«, in : The Times, 22. Feburar 1973, S. 5. 23 »La belle-fille du maréchal Pétain porte plainte pour violation de sépulture« in : Le Monde, 21. Februar 1973, S. 11. 24 Auf den Wunsch der Familie nehmen The Times : »Marshal Pétain’s Remains to be Returned to Island Grave after Police Discovery of Coffin« und »La salma di Pétain à stata riportata all’isola di Yeu«, in : L’Osservatore Romano, 23. Februar 1973, S. 7, direkt Bezug.
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er ›nur‹ angeheiratet und zum anderen gab es auch innerhalb der Gruppe der meist weiblichen Blutsverwandten unterschiedliche Wünsche.25 Während sein Status innerhalb der Familie also durchaus nicht eindeutig war, bot sich Girard jedoch als Kontaktperson der Regierung und sichtbarer Vertreter der Familie bei der Wiederbestattung auf Grund seiner Zugehörigkeit sowohl zur Familie wie eben auch zur ADMP an ; somit verband er die beiden Interessengruppen und stellte durch seine eigene Vichy-Vergangenheit auch noch eine Identifikationsfigur für die Kollaborateure dar. Die Hervorhebung der Familie durch die französische Regierung entsprach sowohl dem traditionellen Verständnis von Totenfürsorge wie auch administrativen Vorschriften, die der Familie viel Verantwortung für den Verstorbenen zusprachen. Dem Erpressungsversuch der Leichendiebe wurde der Wunsch ›der Familie‹ entgegengehalten. Die Legitimierung durch die Angehörigen wurde dadurch unterstrichen, dass Louis-Dominique Girard den Sarg als Vertreter der Familie bei der Rückführung von Val-de-Grâce auf die Insel Yeu begleitete. Die dem Verteidigungsministerium unterstehenden Gendarmen brachten Pétains Leichnam am Morgen des 22. Februar zum Militärflugplatz Villacoublay 15 Kilometer südwestlich von Paris. Von dort wurde er zunächst mit einem Flugzeug des Militärs in die Vendée transportiert und dann per Hubschrauber auf die Insel Yeu geflogen,26 wo der Sarg noch vor Mittag ankam.27 Damit waren die Überreste Pétains keine 12 Stunden nach der Wiederauffindung zurück auf der Atlantikinsel, von der sie entwendet worden waren. 25 Inwieweit sich Girard auf Grund seines Geschlechts mit seiner Haltung, die eng mit seinem eigenen publizistischen Schaffen zu tun hatte (Girard, Louis-Dominique : L’appel de l’île d’Yeu. La paix franco-française, Paris 1951) gegen die weiblichen Verwandten mit näheren Blutsbanden durchsetzen konnte, kann hier nur vermutet werden. Zur Bedeutung der Familie in Frankreich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Segalen, Martine ; Zonabend, Françoise : Familien in Frankreich, in : Burguière, André ; ders.; Klapisch-Zuber, Christiane ; ders. (Hg.) : Geschichte der Familie. Bd. 4. 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1998, S. 169– 209, und im rechten Wertekanon Dupâquier, Jacques ; Faure-Chamoux, Antoinette : La famille, in : Sirinelli, Jean-François (Hg.) : Histoire des droites en France, Bd. 3, Sensibilités, Paris 2006, S. 15–48. 26 Dabei gibt es unterschiedliche Angaben darüber, wo der Sarg umgeladen wurde. »Enlèvement du cercueil du Maréchal et son retour à l’île d’Yeu«, in : Le Maréchal, Nr. 90 (Avril–Mai 1973), S. 3, gibt an, die Umladung habe in Saumur stattgefunden, während »Trovata la salma di Pétain e risepolta nell’isola Yeu«, in : La Stampa, 23. Februar 1973, S. 14, sie in Les Sables-d’Olonne lokalisiert. Für den Ablauf der Bestattung ist das allerdings unerheblich. 27 »Le Cercueil de Pétain a retrouvé sa place au cimetière de l’île de Yeu«, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 1.
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Der schnelle Ablauf macht deutlich, dass es nach dem Auffinden des Sarges nicht mehr zu ausführlichen Diskussionen über das Vorgehen gekommen sein kann, sondern bereits über die anschließenden Schritte entschieden worden war. Dass der Sarg nach Yeu geflogen und nicht etwa per Auto oder Zug transportiert wurde, machte eine weitere Beschleunigung der Ereignisse möglich.28 Die Entscheidung für den Flug reduzierte die Möglichkeit zur Anreise für die Bewunderer Pétains. Außerdem wurde die Fährverbindung nach Yeu eingeschränkt, um die Zahl der Teilnehmenden an der Begräbnisfeier kontrollieren zu können.29 Neben zeitlichen Aspekten hatte der Transport durch die Luft aber auch eine räumliche Dimension, die besonders im Vergleich mit anderen Translationen deutlich wird : Da die Route nicht über Land führte, konnten sich entlang der Strecke auch keine Menschenansammlungen bilden. Die bei Staatsbegräbnissen gewünschte Beteiligung der Öffentlichkeit, wie beispielsweise bei der Retour des cendres von Napoleon 1840,30 sollte im Fall Pétains vermieden werden. Bei den nationalen Trauerfeiern wurden der Bevölkerung spezielle Orte der Andacht geboten, so beispielsweise auch bei der Überführung des Unbekannten Soldaten am 10. November 1920, bei der der Sarg nach der nächtlichen Ankunft in Paris zunächst in einer ephemeren Trauerkapelle im Bahnhof Denfert-Rochereau aufgebahrt wurde, so dass die Bevölkerung bis morgens an ihm vorbeidefilieren konnte.31 Im Fall Pétains wurde dieses Vorgehen umgekehrt und die Überreste der Öffentlichkeit entzogen. Zwischen Valde-Grâce und Port Joinville waren sie nicht mehr zugänglich. Die Überführung wurde so nicht zu einem Leichenzug quer durch das Land, sondern sie war ein reiner Transport, für den jedoch aus Sicherheitsgründen und zur Beschleunigung eine Militäreskorte und Militärflugzeuge eingesetzt wurden. Durch diese militärischen Elemente wurde die staatliche Hoheit betont, der Eindruck der Gestaltung durch die Regierung wurde augenfällig. Dennoch erweckte der schnelle Transport nicht den Eindruck einer militärischen Ehrbekundung.
28 Im Gegensatz zu dem nur 3 Stunden dauernden Transport von Paris nach Port Joinville mit Militärflugzeugen würde dieselbe Strecke mit dem Auto gegenwärtig rund 6 Stunden in Anspruch nehmen. 29 »Marshal Pétain’s remains to be returned to island grave after police discovery of coffin«. 30 Dazu Tulard, Jean : Le retour des cendres, in : Nora, Pierre (Hg.) : Les Lieux de Mémoire. La Nation, Bd. 3, Paris 1986, S. 81–110, für den Transport von Cherbourg nach Paris auch Kümmel, Verena : Bestattungszeremonien in der politischen Kultur der Julimonarchie, in : Francia 41 (2014), S. 177–199, hier S. 192 f. 31 Ackermann : »Ceux qui sont pieusement morts pour la France …«, S. 283 f.
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Abb. 35 : Abbildung der Ankunft von Pétains Sarg auf Yeu, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 33.
Ankunft auf Yeu Die Abschottungsstrategie der Regierung ging weitgehend auf. Einzig »Paris Match« gelang es, eine Aufnahme von der Ankunft des Sarges auf der Insel zu veröffentlichen (Abb. 35).32 Auf der Abbildung ist auf der linken Bildhälfte der dunkle Militärhubschrauber mit der französischen Kokarde am Heck, geöffneter Seitentür und davor vier salutierenden Soldaten zu sehen. Die rechte Bildhälfte dominiert ein weißer Kombi, in dessen von der Kamera abgewandten Kofferraum der Sarg geschoben wurde. Hinter dem Fahrzeug, auf dessen Dachgepäckträger ein Taxi-Schild montiert war, standen noch zahlreiche Personen, die der Verladung zusahen. Dabei bilden die beiden Bildhälften einen starken, fast sprechenden Kontrast, mit den in Reihe stehenden und salutierenden Soldaten vor dem dunklen Hintergrund des Helikopters auf der linken und den nicht in besonderer Formation neben dem hellen Peugeot Kombi wartenden Personen auf der rechten Seite. Durch diese Bildkomposition wird der Übergang des Sarges aus den Händen des Militärs in die private Sphäre versinnbild32 Caviglioli : »Comment on vole un maréchal«, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 31–33/83, hier S. 33, BU : »Île d’Yeu : le taxi ramenant le corps est conduit par l’ex-chauffeur de la maréchale«.
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licht. Allerdings täuscht dies darüber hinweg, dass sich unter den Wartenden auch Repräsentanten des Staates in Zivil, wie der Präfekt der Vendée, Ninin, befanden.33 Die Bildunterschrift der »Paris Match« verstärkte den privaten Aspekt, da sie darauf hinwies, dass der Taxifahrer auch stets die Ehefrau Pétains gefahren habe. Dass nun ein Taxi für den Transport des Sarges zur Kirche genutzt wurde und nicht etwa ein Leichenwagen vom Festland, passt sowohl zu der Beobachtung, dass hier bewusst alle Gemeinsamkeiten mit einem klassischen Leichenzug so gering wie möglich gehalten werden sollten, als auch zu dem Eindruck, dass alles sehr schnell vonstattengehen sollte, weshalb ein Taxi zum Transport ausreichen musste. Vom Landeplatz wurde der Sarg in die Kirche gebracht, wo eine Messe gefeiert werden sollte. Dass dieser Transport nach Port Joinville nicht aufwändiger ausgestaltet wurde und sich darin grundlegend von dem sehr umfangreichen Leichenzug vom Sterbehaus in die Kirche im Sommer 1951 unterschied, zeigt, dass kein Anlass bestand, mit dem ursprünglichen Leichenzug zu konkurrieren ; die Regierung war sogar bemüht jede Assoziation mit einem Leichenzug durch das Land zu vermeiden. Rückkehr der Diebe in die Vendée Dagegen brachten die Behörden die wegen des Leichendiebstahl Festgenommenen parallel zum Transport von Pétains Leichnam über den Landweg zur Anklageeröffnung in die Vendée. Hubert Massol, Michel Dumas, Pierre Garau und François Boux de Casson wurden in einem Autokonvoi der Gendarmerie vom Gefängnis La Santè aus zum Gericht in Les Sables-d’Olonne gebracht.34 Dort eröffnete der Untersuchungsrichter Louis Calvet ihnen am 24. Februar den Prozess wegen Grabschändung.35 Allerdings wurden sie bis zur Hauptverhandlung wieder auf freien Fuß gesetzt und konnten Les Sables-d’Olonne verlassen. Im Fall der Angeklagten wurde nicht so zügig agiert wie beim Umgang mit der Leiche Pétains. Die Ermittlungsbeamten mussten sogar eine Verlängerung 33 »Le maréchal Pétain réinhumé jeudi matin au cimetière de l’île d’Yeu«, in : La Croix, 23. Februar 1973, S. 11. 34 Dumas : La permission du Maréchal, S. 158–165. 35 »M. Hubert Massol renonce à sa candidature aux élections législatives« ; Miard, Lucien : »Un mois avant l’enlèvement du cercueil le conducteur de l’estafette était venu reconnaître les lieux«, in : Le Figaro, 26. Februar 1973, S. 17 ; »Pétain : quatre des auteurs de l’ ›opération cercueil‹ libérés«, in : L’Humanité, 26. Februar 1973, S. 7 ; »Four charged in Pétain case«, in : The Times, 26. Februar 1973, S. 4.
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des Polizeigewahrsams beantragen ;36 die Leichendiebe wurden erst überstellt, als Pétain bereits wiederbestattet war. Dabei wurde der Konvoi möglichst von der Presse und der Öffentlichkeit abgeschottet. Dieser nachsichtige Umgang der Behörden mit den Grabschändern kontrastiert mit der hohen Polizeipräsenz während der Suche, bei der demonstriert wurde, dass diese Störung der Totenruhe sehr ernst genommen wurde. Aber nun, da der Sarg wiedergefunden war, schien das staatliche Interesse an der öffentlichkeitswirksamen Strafverfolgung schnell nachzulassen. Obwohl zunächst die Hälfte der französischen Sicherheitskräfte mobilisiert worden war, zog sich die rechtliche Aufarbeitung der Tat hin. Zwar wurde mit der Überstellung nach Les Sables-d’Olonne die juristische Zuständigkeit eingehalten, der Fall wurde aber auch aus der Hauptstadt in die Provinz verlegt und damit nicht nur geografisch an den Rand geschoben. Schließlich wurden nur fünf der Beteiligten – gegen Armand Garau war eine Woche später noch Anklage erhoben worden37 – überhaupt angeklagt, und statt einer Verhandlung kam es in Folge des Amnestiegesetzes vom 16. Juli 1974 im Juli 1975 zur Einstellung des Grabschändungverfahrens.38 So wurde nicht nur die Rolle des sehr bekannten Anwalts und rechtsradikalen Politikers Tixier-Vignancours in der Sache nicht weiter untersucht, sondern die gesamte Straftat nicht weiter verfolgt. Dabei scheinen sich hier zwei Interpretationen verbinden zu lassen : zum einen, dass die Wiedererlangung und erneute Beisetzung des Sarges für die Regierung wesentlich wichtiger als die juristische Aufarbeitung war, und zum anderen, dass den Leichendieben nicht noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit geboten werden sollte. 4.2.2 Mussolinis Leichnam erwartet an einem geheimen Ort seine Beisetzung im Familienkreis Nach der erneuten Einsargung Mussolinis war die Kiste mit den Überresten zurück in die Questura gebracht worden, bis aus Rom weitere Anordnungen
36 »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 23. Februar 1973, S. 2. 37 »Une cinquième personne est inculpée de violation de sépulture«, in : Le Monde, 2. März 1973, S. 36. 38 Bei dem Gesetz handelte es sich um Loi no 74-643 du 16 juillet 1974 portant amnistie veröffentlicht in : JO, 17. Juli 1974, S. 7443–7445. Zur Einstellung des Verfahrens »Non-lieu pour les auteurs de l’enlèvement du cercueil de Philippe Pétain«, in : Le Monde, 18. Juli 1975 ; auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 182.
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ergehen würden.39 In der Hauptstadt hatte Pietro Nenni, der in Abwesenheit von De Gasperi die Regierungsgeschäfte führte, die Staatssekretäre des Ministerpräsidenten und des Innern angewiesen, zusammen mit dem Chef der Polizei auszuarbeiten, wie die Wiederbestattung erfolgen könnte. Gleichzeitig hatte sich die Witwe Mussolinis an die Regierung gewandt und darum gebeten, ihr den Leichnam zu übergeben. Diese Bitte wurde nicht abgelehnt, doch wurde der Witwe gegenüber und auch in der Presse erklärt, dass im Augenblick noch zu große Schwierigkeiten mit der öffentlichen Ordnung bestünden und der Sarg deshalb zunächst in ein temporäres Grab gebracht würde, bis er zu gegebener Zeit an die Familie herausgegeben werden könne.40 Damit knüpfte die Regierung an die Zusicherungen an, die sie schon während der Verhandlungen mit den Dieben und den Mönchen in Aussicht gestellt hatte. Allerdings begründete sie den Aufschub sehr allgemein mit Schwierigkeiten der öffentlichen Ordnung und ließ die Familie im Unklaren, unter welchen Bedingungen die Rückgabe tatsächlich erfolgen würde. Dabei war der Verweis auf die Schwierigkeiten mit der öffentlichen Ordnung eine sehr milde Beschreibung des immer noch schwelenden Bürgerkriegs zwischen Faschisten und Partisanen in Oberitalien. Offenbar wollte die Regierung die Spannungen nicht betonen oder gar verstärken. Zeitgenössisch war bekannt, dass die öffentliche Ordnung tatsächlich, gerade in Norditalien, noch nicht wiederhergestellt war. Dies war durch die zahlreichen Übergriffe durch ehemalige Faschisten und Neofaschisten rund um die Abstimmung über die Staatsform deutlich geworden. In diese reihte sich die illegale Exhumierung des Leichnams Mussolinis ein, aber durch den damit verbundenen Anspruch auf politische Partizipation stach der Diebstahl aus den üblichen Angriffen heraus. Insoweit hatten Leccisi und seine Komplizen zwar den Anstoß dafür gegeben, über die Rückgabe Mussolinis an seine Familie nachzudenken, sie waren aber ungleich mehr dafür verantwortlich, dass diese nicht erfolgte. 39 »I resti del cadavere di Mussolini in un baule nella Certosa di Pavia«, in : Avanti !, 13. August 1946, Nr. 193, S. 2. 40 Zum einen die Angaben der Witwe, Mussolini, Rachele ; Pensotti, Anita : Benito il mio uomo. La verità sulla salma, in : Oggi, 12. September 1957, S. 14–21, hier S. 16, bzw. dies.: Benito, il mio uomo, Mailand 1958, S. 296 ; zum anderen die Berichte in der Presse »I due frati neofascisti deferiti alla Corte d’Assise«, in : L’Unità, Nr. 193, 15. August 1946, S. 2 ; »L’identità della salma di Mussolini accertata dall’esame necroscopico«, in : L’Unità (Nuova serie), 15. August 1946, S. 1 ; »I resti di Mussolini all’Obitorio per gli accertamenti medico-legali«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 14. August 1946, S. 2 ; »I resti di Mussolini verranno affidati ai familiari«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 15. August 1946, S. 2.
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Vor dem Hintergrund der zahlreichen neo- wie auch antifaschistischen Anschläge seit dem Kriegsende41 ist es nachvollziehbar, dass die Behörden diesem Konflikt keine neue Nahrung in Form eines öffentlichen Grabes für Mussolini geben wollten. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Regierung in dieser Situation dennoch öffentlich ihre Absicht bekundete, die Überreste Mussolinis an die Familie zurückzugeben ; nur wenige Zeitungen griffen dies auf und lehnten das Vorhaben nicht einmal grundsätzlich ab. Dabei handelte es sich freilich um der amtierenden Regierung wohlgesonnene Blätter, wie den »Corriere« und »L’Unità«. Diese Berichterstattung macht es noch bemerkenswerter, dass dies bisher in der historischen Forschung übergangen wurde.42 Sergio Luzzatto geht in seiner einflussreichen Studie über die Entscheidung, was mit Mussolinis Leichnam geschehen solle, schnell hinweg und schreibt lapidar, die Regierung habe die Herausgabe des Leichnams an die Familie verweigert.43 Dies ist zwar nicht prinzipiell falsch, zutreffend ist es aber auch nicht, denn die Übergabe an die Familie wurde auf unbestimmte Zeit verschoben und nicht kategorisch ausgeschlossen. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass die italienische Regierung die Familie in die Diskussion um die Bestattung einbrachte und nicht etwa die Angehörigen Mussolinis selbst. Das Vorgehen der Regierung entsprach dem Bemühen um einen Interessenausgleich zwischen antifaschistischen Überzeugungen und den konservativen, traditionalistischen und reaktionären Kräften, für welche die christliche Bestattung und die Familie einen besonderen Stellenwert hatten. Dieses Bemühen um Ausgleich ähnelt dem, welches Hans Woller für die Regierung aus Christdemokraten, Kommunisten, Sozialisten und Republikanern bereits für die Entstehung des Amnestiegesetzes vom 22. Juni 1946 herausgearbeitet hat.44 Nun wurde dieselbe Vorgehensweise auf die Galionsfigur des Faschismus angewendet. 41 Dazu Kapitel 3.1.2 sowie Carioti : Gli orfani di Salò ; Parlato : Fascisti senza Mussolini. 42 Weder die Biografen Mussolinis, die die Bestattung, wenn überhaupt, im Nachklapp thematisieren, noch die Arbeiten, die sich mit der Formierung des Neofaschismus befassen, haben dieses frühe Zugeständnis der antifaschistischen Regierungskoalition bisher beachtet. Dies schließt mich selber ein, Kümmel : Von Dongo nach Predappio ; dies.: Faustpfand und Ballast. Die Leiche Benito Mussolinis und die italienische Gesellschaft. 43 Vgl. Luzzatto : Il Duce, S. 167, aber auch Duggan, Christopher : Fascist Voices. An Intimate History of Mussolini’s Italy, London 2012, S. 428–429, oder ebenfalls mit Bezug auf Luzzatto, Schieder, Wolfgang : Der italienische Faschismus 1919–1945, München 2010, S. 110. 44 Woller : Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien, S. 381, und ders.: Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, S. 219.
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Dass die Autoritäten eine familienbezogene Lösung für das Problem des angemessenen Umgangs mit dem Leichnam Mussolinis in Aussicht stellten, fügt sich auch in die gesellschaftliche Situation des Jahres 1946, in der viele Familien nicht nur auf die Heimkehr ihrer Angehörigen aus Kriegsgefangenschaft hofften, sondern sich auch noch um die Identifikation und Translation ihrer toten Angehörigen bemühten. Massengräber wurden wieder geöffnet, um die darin begrabenen Partisanen zu identifizieren und sie ihren Familien zurückzubringen.45 Die gefallenen Faschisten wurden dabei zwar erst spät berücksichtigt,46 es war aber offenbar ein allgemeiner gesellschaftlicher Wunsch, die vermissten Toten zu identifizieren und in die Heimat zu überführen.47 Die Ungewissheit über den Verbleib der Angehörigen wurde als unerträglich empfunden. Der konservative italienische Journalist und Publizist Indro Montanelli griff dieses Empfinden auf und verstärkte es mit seinem Buch »Qui non riposano«, was wörtlich übersetzt heißt : »Hier ruhen sie nicht«. Die deutschsprachige Ausgabe trägt dagegen den Titel »Drei Kreuze«,48 der unmittelbar auf die christliche Konnotation des Themas verweist. Diese wurde gesteigert durch die der Erzählung zugrundeliegenden Struktur dreier von einem Priester weitergegebener
45 Dazu ausführlicher Belco, Victoria C.: War, Massacre, and Recovery in Central Italy, 1943– 1948, Toronto 2010, S. 355–379. 46 Berichte dazu finden sich in : ACS, PCM, Gabinetto 1944–1947, fasc. 19-1 87089, Salme di fascisti e collaborazionisti uccisi nei giorni della Liberazione. Der früheste stammt aus dem November 1946. Ab 1952 kümmert sich der MSI auf lokaler Ebene in Bologna und Forli systematisch um die Unterstützung bei der Suche nach Gefallenen der RSI : Appunto per la presidenza del Consiglio dei ministri vom 15. Juli 1952, Betr.: attività del MSI, in : ACS, MI, Gabinetto – Partiti politici 1944–1966, Busta 87, fasc. 195/P/94 Movimento sociale italiano. Caduti della Repubblica Sociale durante il periodo insurrezionale. Statistica. 47 Dazu, wie die ›unbeweinten Beisetzungen‹ bis 1960 in der italienischen Presse diskutiert wurde, Baldassini, Cristina : L’ombra di Mussolini. L’Italia moderata e la memoria del fascismo (1945–1960), Soveria Mannelli 2008, S. 273–277. 48 Montanelli, Indro : Qui non riposano. Una tragedia italiana, Mailand 1945 ; die deutsche Ausgabe : Drei Kreuze. Eine italienische Tragödie, Zürich 1946. Zur genaueren Einordnung Campi, Alessandro : Mussolini und die italienische Nachkriegsgesellschaft. Italien zwischen Erinnern und Vergessen, in : Cornelißen, Christoph ; Klinkhammer, Lutz ; Schwentker, Wolfgang (Hg.) : Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003, S. 108–122, hier S. 115–118 ; Klinkhammer, Lutz : Der »Duce« im Schatten Hitlers ? Mussolini im Lichte der italienischen Historiographie, in : Berger Waldenegg, Georg Christoph, Loetz, Francisca (Hg.) : Führer der extremen Rechten. Das schwierige Verhältnis der Nachkriegsgeschichtsschreibung zu »grossen Männern« der eigenen Vergangenheit, Zürich 2006, S. 89–107, hier S. 96 f.; Luzzatto : Il Duce, S. 133 f.
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Lebensbeichten in Form von Nachlässen. Montanelli klagte nicht an, sondern widmete dieses Buch allen gestorbenen Italienern. In diese gesellschaftliche Stimmung, in der zum einen an die christliche Nächstenliebe appelliert und zum anderen um die Heimkehr der lebenden wie der toten Angehörigen gebangt wurde, reihte sich die Entscheidung der Regierung ein, die Leiche Mussolinis »irgendwann« an die Familie zurückzugeben. Dabei war die Familie Mussolini seit dem Kriegsende kaum öffentlich in Erscheinung getreten. Die Witwe Rachele Mussolini hatte sich mit zwei Kindern auf die Insel Ischia im Golf von Neapel zurückgezogen.49 Doch wie Briefe von Mussolinis Sohn Vittorio an den Erzbischof von Mailand zeigen, hatte die Familie bereits aus der Internierung heraus versucht, Fürsprecher für sich zu gewinnen.50 Inwieweit sie diese fand, ist nicht ersichtlich, aber Kardinal Schuster sollte noch einige Jahre den Umgang mit dem Leichnam Mussolinis mitprägen. Bestattungsort Die Entscheidung zur provisorischen Beisetzung stellte die Regierung vor die Aufgabe, eine geeignete Stätte zu finden, die sowohl geweiht als auch geheim zu halten war. Für die Suche wandten sich die Behörden wie schon im Jahr zuvor an den Erzbischof von Mailand, Kardinal Schuster. Dieser ließ durch den Sekretär des Kapuzinerordens in der Lombardei, Pater Carlo, nach geeigneten Begräbnisstätten suchen.51 Gemeinsam entschied man sich schließlich für den Convento dei frati cappucini di Cerro Maggiore rund 20 Kilometer
49 Im September, also kurz nachdem die italienische Regierung erklärt hatte, die Überreste an die Familie herauszugeben, brachte das Magazin »Life« ein Feature über die Familie Mussolinis, in dem das beschauliche und bescheidene Leben auf Ischia beschrieben wurde, »Mussolini Family« in : Life, 23. September 1946, S. 48. 50 »XCIII – Altra lettera di Vittorio Mussolini (1° maggio 1945)« und »XCII – Lettera di Vittorio Mussolini (11 maggio 1945)«, in : Schuster, Ildefonso (Hg.) : Gli ultimi tempi di un regime, Mailand 1946, S. 183–186. 51 Passanisi, Enzo : »Per undici anni la salma di Mussolini fu custodita nella cappella d’un convento a Cerro Maggiore«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 31. August 1957, S. 2 ; »Fu il card. Schuster ad affidarla ai frati«, in : La Nuova Stampa Sera, 31. August / 1. September 1957, S. 1. Aber auch die Erinnerungen des Paters, der mit bürgerlichem Namen Domenico Varischi hieß, welche er später in einer nationalen Tageszeitung veröffentlichte, »Il Diario di Padre Carlo« in : Bonacina : La salma nascosta, S. 134–144, hier S. 135 ; ursprünglich abgedruckt in : Il Giorno, 4.–6. September 1957.
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nordwestlich von Mailand.52 Dorthin brachten Questore Agnesina sowie einige Polizisten und ein Vertreter des Erzbischofs die Überreste am 25. August.53 Für die Auswahl des Ortes hatten die staatlichen Autoritäten fast zwei Wochen gebraucht. Dies zeigt, dass keine Vorbereitungen getroffen worden waren, obwohl eine provisorische Bestattung bereits im Mai angesprochen worden war. Es ist offensichtlich, dass die italienische Regierung die Wiederbeschaffung der Überreste als vordringlich betrachtete, während die langfristige Lösung der Bestattungsfrage vernachlässigt wurde. Schließlich entstand ein Provisorium, welches erneut innerhalb der Provinz Mailand und des Mailänder Erzbistums lag. Während die römischen Behörden zwar die Anordnungen gaben und sich auch in die Ermittlungen eingemischt hatten, überließen sie doch die konkrete Umsetzung den Autoritäten vor Ort. Sie ließen den Leichnam in der Nähe des Sterbeortes und der ursprünglichen Begräbnisstätte. Dass Kardinal Schuster erneut in die Auswahl einer Grabstätte einbezogen wurde, obwohl Mönche zuvor den Leichnam für die Neofaschisten verborgen hatten, lässt darauf schließen, dass deren Handlungen nicht mit dem Bistum oder der katholischen Kirche im Allgemeinen in Verbindung gebracht wurden und die Beziehungen zwischen den staatlichen und kirchlichen Behörden vertrauensvoll fortgesetzt wurden. Die Wahl war auf das Kloster in Cerro Maggiore gefallen, da es nahe bei Mailand lag und dort wenige Brüder lebten. Diese wurden in dem Glauben gelassen, dass die Kiste, welche in eine kleine Kapelle gestellt wurde, Akten des Ordens enthalte.54 Die Deponierung der Gebeine entsprach dem vorübergehenden Charakter, den diese Station haben sollte. Doch Mussolinis Leichnam wurde dort nicht einfach verwahrt wie in einem Lagerhaus, sondern es wurde vielmehr eine Art Totenwache über ihn gehalten. Zwar wurden nicht die Gebete des Totenoffiziums (Officium defunctorum) für ihn gesprochen und es wachte auch niemand direkt an seinem Sarg, so wie dies den Exequien entsprochen hätte,55 doch die Kapuziner hielten Fürbitten für Mussolini. Dies beschreibt Pater Carlo jeden52 Passanisi : »Per undici anni la salma di Mussolini fu custodita nella cappella d’un convento a Cerro Maggiore« ; auch Kirkpatrick : Mussolini, S. 573 ; Leccisi : Con Mussolini, S. 328 ; Bonacina : La salma nascosta, S. 71 und 77–80 ; Luzzatto : Il Duce, S. 167. 53 »Mussolini In His Family Tomb«, in : The Times, 31. August 1957, S. 6 ; »Depuis dix ans, le corps de Mussolini était ›au secret‹ dans un couvent«, in : Paris-Presse, 2. September 1957, S. 1 ; auch »Il Diario di Padre Carlo«, S. 135. 54 Bonacina : La salma nascosta, S. 78–86. 55 Kunz, L.: »Totenoffizium«, in : LThK, Bd. 10, Sp. 277.
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falls rückblickend. Er habe bei der Aufbahrung der Überreste in der Kapelle ein Fürbittengebet gesprochen und habe gelegentlich in der kleinen Kapelle in Cerro Maggiore die Messe gefeiert.56 Durch die Geheimhaltung der gesamten Verbringung nach Cerro Maggiore, also nicht nur des Ortes, sondern auch des Zeitpunkts sowie der beteiligten Personen, wusste die Öffentlichkeit nichts über den Verbleib des Leichnams. Das bedeutete, dass einzig der praktische Zweck der Bestattung, also die Beseitigung des Leichnams, erfüllt worden war.57 Es gab keine zeitgenössischen Belege oder Aufnahmen über den Ablauf. Agnesina gab im Jahre 1949 in einem Interview an, dass die Unterbringung der Überreste Mussolinis durch einen Priester an einem luogo sacro, also an einem heiligen Ort, erfolgt sei.58 Diese Aussage zeigt, dass die Behörden trotz der Geheimhaltung eine Versicherung über die Einhaltung der religiösen Gepflogenheiten später notwendig erachteten. Die Wiederbestattung der Überreste war nach dem Raub nicht abgeschlossen worden, sondern nur aufgeschoben. In den folgenden Jahren beschäftigten zahlreiche Publikationen über den lebenden Mussolini wie auch die Spekulationen über den Toten die Italiener. So veröffentlichte die Illustrierte »Oggi« im Mai und Juni 1946 die Liebesbriefe, die Benito Mussolini, der mit Rachele bereits eine gemeinsame Tochter hatte und mit ihnen zusammenlebte, vor dem Ersten Weltkrieg an die Anarchistin Leda Rafanelli geschrieben hatte.59 Die Zeitschrift publizierte auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten häufig über Mussolini. Sie brachte im Sommer 1951 eine Serie mit dem Titel »Mussolini e il fascismo in fotografie«, die Fotografien von Mussolini und faschistischen Inszenierungen reproduzierte, aber nicht kritisch kommentierte. Die Serie setzte damit die bereits während des Faschismus geübte Praxis der Bildserien über Mussolini, die wesentlicher Bestandteil des Kultes um Mussolini gewesen waren, bruchlos fort.60 Ein weiteres Beispiel für den andauernden Kult um Mussolini ist 56 »Il Diario di Padre Carlo«, S. 135 ; »Fu il card. Schuster ad affidarla ai frati«. 57 Art. »Bestattung, allgemein«, in : Sörries (Hg.) : Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Bd. 1, S. 44. 58 »La salma di Mussolini sepolta in luogo sacro«, in : La Nuova Stampa, 3. November 1949, S. 1 ; »La salma di Mussolini non è stata rimossa«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 3. November 1949 ; »Que sont devenus les restes de Mussolini ?«, in : Le Monde, 10. November 1949 ; auch Bonacina : La salma nascosta, S. 92 f. 59 Monforte, G.: »Lettere a Leda. Inediti di Mussolini«, in : Oggi, 14. Mai 1946, S. 3–4, 28. Mai 1946, S. 5–6, und 4. Juni 1946, S. 5–6. 60 Zur Rolle der Illustrierten im Mussolini-Kult besonders die neueren Arbeiten von Nitz, Wenke : Führer und Duce. Politische Machtinszenierungen im nationalsozialistischen Deutschland
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die ab 1951 von Neofaschisten herausgegebene Werkausgabe der »Opera Omnia di Benito Mussolini«.61 Eine derartige Veröffentlichung seiner Schriften repräsentierte ein Fortleben von Mussolinis Ideen über den Tod hinaus und knüpfte an den Duce-Kult des Faschismus an, während der Krieg und der Bürgerkrieg als prägende Erfahrungen der italienischen Gesellschaft ausgeklammert wurden. Während diese Belege für Mussolinis ungebrochene Präsenz in den Medien genügen sollen, werden im Folgenden aus der Flut der Publikationen diejenigen herausgegriffen, die sich mit der Bestattungsfrage befassten.62 Dabei wird dargestellt werden, wie der Leichnam und die Familie des Verstorbenen einerseits für politische Ziele instrumentalisiert wurden und wie die Witwe gleichzeitig kontinuierlich auf die Restitution der Überreste ihres Gatten hinarbeitete. In diesem Kontext ist zunächst noch einmal auf den einstigen Unterstützer der faschistischen Expansionspolitik Indro Montanelli einzugehen. Er gilt als der Publizist, der »die Konstruktion eines memoirenhaften, christliche Nachsicht übenden, unpolitischen Mussolini-Bildes«63 am meisten befördert hat. Mit seinem Buch »Il buonuomo Mussolini«, welches im Jahr nach dem Diebstahl und der provisorischen Bestattung Mussolinis erschien, fachte er die Diskussion über den angemessenen Umgang mit dem Leichnam erneut an.64 Dabei kann dieser Titel – auf Deutsch »Der gute Mensch Mussolini« – stellvertretend für Montanellis gesamtes Œuvre der Nachkriegszeit stehen. Durch ihn wurde Mussolini zu einem »Mann, dem man nach Kriegsende eher nachsichtig und im faschistischen Italien, Köln u.a. 2013, und Gundle, Stephen ; Duggan, Christopher ; Pieri, Giuliana (Hg.) : The Cult of the Duce. Mussolini and the Italians, Manchester 2013. 61 Mussolini, Benito : Opera omnia di Benito Mussolini, hg. v. Edoardo Susmel und Duilio Susmel, 44. Bde., Florenz 1951–1980. Ausführlicher hierzu Petersen, Jens : Der Ort Mussolinis in der Geschichte Italiens nach 1945, in : Dipper, Christof (Hg.) : Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder, Berlin 2000, S. 505–524, hier S. 518 f. 62 Für eine ausführlichere Darstellung des literarischen wie auch des journalistischen Phänomens in der Nachkriegszeit Luzzatto : Il Duce, Kapitel 4 und 6, S. 167–215 und 241–279. Aber auch Campi : Mussolini und die italienische Nachkriegsgesellschaft, S. 108–122 ; Klinkhammer : Der »Duce« im Schatten Hitlers ?, S. 89–107. 63 Campi : Mussolini und die italienische Nachkriegsgesellschaft, S. 115. Zu derselben Einschätzung kamen Klinkhammer : Der »Duce« im Schatten Hitlers ?, S. 96 f.; Gundle, Stephen : The Aftermath of the Mussolini Cult : History, Nostalgia and Popular Culture, in : ders.; Duggan, Christopher ; Pieri, Giuliana (Hg.) : The Cult of the Duce. Mussolini and the Italians, Manchester 2013, S. 241–256, hier S. 246. 64 Dazu Campi : Mussolini und die italienische Nachkriegsgesellschaft, Anm. 7, S. 122 ; Luzzatto : Il Duce, S. 171–175. Zwischenzeitlich hatte Montanelli noch weitere Zeitungsartikel und ein Buch über einen Diener Mussolinis im Palazzo Venezia veröffentlicht.
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und mitleidsvoll begegnen müsse, als ihm mit ideologischem Hass und moralischer Intransigenz nachzustellen«65. Dabei war Montanelli kein Nostalgiker. Indem er sich gegen die Frontstellung von Antifaschismus und Faschismus in der italienischen Politik und Gesellschaft wandte, bekämpfte er eigentlich die Dominanz der Resistenza bei der Deutung der Vergangenheit. Da nur ein Bruchteil der italienischen Bevölkerung tatsächlich als Partisanen gekämpft hatte, während viele, wie Montanelli selbst, im ventennio des faschistischen Regimes Mussolini gefolgt waren, erfuhren seine Ausführungen viel Akzeptanz und Zustimmung.66 Die Reaktionen auf Montanellis Schriften legen den Schluss nahe, dass nach 1946 nicht nur über ein öffentliches und christliches Begräbnis für den ehemaligen Duce diskutiert wurde, sondern dass Teile der Bevölkerung zunehmend ein Begräbnis erwarteten. Als nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung im Januar 1948 die neue Regierung die durch die Konstituante nicht abschließend geregelten Übergangsbestimmungen gegen die Verherrlichung des Faschismus zu diskutieren begann, verwendete die neofaschistische Partei die Bestattungsfrage Mussolinis, um das Vorgehen der Regierung zu diskreditieren. Der Movimento Sociale Italiano musste durch die Gesetzesinitiative seine eigene Existenz gefährdet sehen, schließlich ging es darum, die Reorganisation der faschistischen Partei Mussolinis und damit ihrer Vorgängerorganisation zu verhindern.67 So stellte ausgerechnet der Leichendieb und MSI-Politiker Domenico Leccisi im Oktober 1949 in dem neofaschistischen Wochenblatt »Meridiano d’Italia« die Frage, weshalb der Leichnam Mussolinis noch immer verborgen werde.68 Leccisi war am 4. April 1947 wegen Geldfälschung zu sechs Jahren Haft verurteilt worden – für die Grabschändung hätte er höchstens zwei Jahre bekommen –, aber nach den Wahlen im April 1948 amnestiert worden.69 In seinem Artikel ging er selbstverständlich auf den Diebstahl der Leiche und die sich anschließenden Entscheidungen der Regierung ein. Daran anschließend stellte er mit Pathos dar, wie der Witwe durch die Geheimhaltung des Bestat65 Campi : Mussolini und die italienische Nachkriegsgesellschaft, S. 115. 66 Zur Bedeutung Montanellis für die italienische Erinnerungskultur auch Baldassini : L’ombra di Mussolini, S. 78–88. 67 Dazu Kapitel 3.2.2 sowie Art. »Movimento Sociale Italiano«, in : Historical Dictionary of Modern Italy, S. 239–240 ; Parlato : Fascisti senza Mussolini ; Ruzza ; Fella : Re-inventing the Italian Right. 68 Leccisi, Domenico : »Perché si occulta la salma di Mussolini«, in : Meridiano d’Italia, 23. Oktober 1949, S. 1. 69 Dazu auch Leccisi : Con Mussolini, S. 329–331 ; Luzzatto : Il Duce, S. 257.
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tungsortes ein Ort zur Trauer vorenthalten werde. Er forderte, »i sentimenti ed il culto di Donna Rachele per il Suo Morto, debbono essere rispettati, compresi, sostenuti«70 (die Gefühle und der Kult der Donna Rachele für ihren Toten müssen eingehalten, verstanden, unterstützt werden). Der Leichendieb konnte hier an öffentliche Äußerungen Rachele Mussolinis anknüpfen, die zwar die Insel Ischia bisher nicht verlassen hatte, aber mit Interviews und Memoiren ihren Beitrag zur faschistischen Erinnerungsliteratur leistete. So publizierte sie im Jahr 1948 mit Hilfe von Mussolinis einstigem Biografen, dem Journalisten und Mitglied der neofaschistischen Partei MSI, Giorgio Pini, das Buch »La mia vita con Benito«, dessen 34 Kapitel von Ende Mai bis Anfang Juli regelmäßig in der Abendausgabe von »La Nuova Stampa« erschienen.71 Darin idealisierte sie vor allem den privaten Menschen Benito, ohne weiter auf die Todes- und Bestattungsumstände einzugehen. Sich selbst präsentierte sie als trauernde Witwe, die sich alleine um die Kinder kümmern müsse. So stellte sie ihr eigenes Schicksal auf dieselbe Ebene wie das von über 125.000 Italienerinnen, die durch den Krieg ebenfalls verwitwet waren.72 In ihren Darstellungen wurde die Normalität der Rückgabe eines toten Gatten an seine Witwe betont und so die politische Tragweite der Restitution des ehemaligen Diktators herabgespielt. Leccisi drückte denn auch großen Respekt vor Mussolinis Witwe aus und forderte diesen gleichzeitig auch von der Regierung ein. Er verharrte in seinem Artikel aber nicht bei dem Vorwurf, die Behörden würden einer Witwe und deren Familie den Ort zum Trauern verweigern, sondern stellte das Verhalten der Regierung gegenüber den Kollaborateuren und besonders dem bekanntesten toten Faschisten als unversöhnlich und unchristlich dar.73 Diese Interpretation des Regierungshandelns wurde nach Meldungen über die Identifikation des Grabes Mussolinis intensiviert. Denn nur eine Woche später hatten unter anderem das Wochenmagazin »L’Europeo« und der »Corriere Lombardo« eine Meldung veröffentlicht, wonach Mussolini unter fal70 Leccisi : »Perché si occulta la salma di Mussolini«. 71 Mussolini, Rachele : Mia vita con Benito, Mailand 1948 ; »La mia vita die Rachele Mussolini«, in : La Nuova Stampa Sera, 31. Mai–1. Juli 1948, jeweils Titelseite. Auch Luzzatto : Il Duce, S. 274–276. 72 Dazu Willson, Perry : Women in Twentieth-Century Italy, Basingstoke 2009, S. 110. 73 »[…] dopo le elezioni del 18 aprile, continuare ad indulgere alla faziosità, all’odio ed alla vendetta, infine alla più crassa ed abbrutente ignoranza, sino al punto di non permettere che sia data sepoltura […] i soli dettami della nostra coscienza di cristiani e di italiani«. Leccisi : »Perché si occulta la salma di Mussolini«.
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schem Namen auf dem größten Friedhof der Hauptstadt, dem Campo Verano, bestattet worden sei. Obwohl diese Nachricht bereits am nächsten Tag als Falschmeldung entlarvt wurde,74 löste sie eine rege Debatte über das Verhalten der Regierung aus. Der Ministerpräsident und sein Büro verfolgten die Äußerungen in der neofaschistischen Presse dazu genau,75 nachdem zunächst der Polizeipräsident von Mailand der italienischen Nachrichtenagentur »Agenzia Nazionale Stampa Associata« ein Interview über den Verbleib des Leichnams gegeben hatte. Dabei hatte er besonders betont, dass die Bestattung durch einen Priester an einem geweihten Ort erfolgt sei.76 Diese erneute Akzentuierung des Christlichen kann nicht nur als Reaktion auf die Spekulationen um den Verbleib der Leiche, sondern auch auf die moralischen Vorwürfe, wie sie unter anderem Leccisi erhob, gewertet werden. Während für die großen überregionalen Zeitungen die Frage nach dem geheimen Grab Mussolinis damit erledigt war, spekulierten die neofaschistischen Organe im November 1949 über die Angst, die die Regierung offenbar vor den Toten habe. Die dem Movimento Sociale Italiano nahestehende »La Rivolta Ideala” titelte etwa »I morti fanno paura !« (Die Toten machen Angst) und die damalige Parteizeitung des MSI »Lotta politica« veröffentlichte einen Artikel über die »Paura di Mussolini« (Angst vor Mussolini).77 Die Artikel nehmen stets auf rechtliche Regulierungen durch die Regierung Bezug, ohne diese jedoch konkret zu benennen. So ist in einer der neofaschistischen Zeitungen zu lesen, »[…] una legge può vietare di pensare in determinati modi, ma nessuna legge può impedire il rispetto dei morti«78 (ein Gesetz kann das Denken in gewisser Weise verbieten, aber kein Gesetz kann die Achtung der Toten verhindern). Der Vorwurf des ängstlichen Verhaltens der Regierung ist damit in den Kontext der Gesetzgebung gegen die Verherrlichung des Faschismus einzubetten, die sich aus der Übergangsbestimmung XII zur 1948 in Kraft getretenen Verfassung der Italienischen Republik entwickelte und im Juni 1952 zum Legge 74 »Smentita la sepoltura del ›salmone‹ al Verano«, in : L’Unità (Nuova serie), 30. Oktober 1949, S. 2 ; »Fantastiche le notizie sulla tomba dell’ex-dittatore«, in : La Nuova Stampa, 30. Oktober 1949, S. 3 ; »Que sont devenus les restes de Mussolini ?«, in : Le Monde, 10. November 1949 ; auch Luzzatto : Il Duce, S. 242 f. 75 Die Ausschnittsammlung der Kanzlei des Ministerpräsidenten in ACS, PCM, Segreteria particolare del Presidente del Consiglio Alcide De Gasperi 1945–1953, busta 5. 76 »La salma di Mussolini sepolta in luogo sacro« ; »La salma di Mussolini non è stata rimossa«. 77 »I morti fanno paura !«, in : La Rivolta Ideale, 10. November 1949, S. 1 ; »Paura di Mussolini«, in : Lotta politica. Giornale del Movimento Sociale Italiano, 3. November 1949, S. 1. Beide erhalten in : ACS, PCM, Segreteria particolare, busta 5. 78 »Paura di Mussolini«, ebenda.
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Scelba führte.79 Die Neofaschisten stellten der juristischen Debatte über die Verherrlichung des Faschismus die moralische Verpflichtung des Totengedenkens gegenüber. In ihrer Parteizeitung versuchten sie die Unbarmherzigkeit der mehrheitlich christdemokratischen Regierung vorzuführen. Dazu veröffentlichten sie den Brief, den der damalige Innenminister, Mario Scelba, auf eine Anfrage der MSI zur Restitution Mussolinis verfasst hatte, zusammen mit der als offener Brief formulierten Reaktion des Generalsekretärs der Partei.80 Der MSI-Chef Giorgio Almirante hatte in der Anfrage an die gesellschaftliche und christliche Wertegemeinschaft appelliert, doch der Innenminister antwortete, dass er weder den Anstand noch christliche Gebote (wörtlich »norme del vivere civile e ai precetti eterni della cristianità«) in Gefahr sehe, schließlich würden als Folge der faschistischen Politik sehr viele Angehörige nicht wissen, wo sich ihre Toten befänden. Hinter der Anfrage Almirantes vermutete er vielmehr den Versuch, politische Aufmerksamkeit zu erringen. Während der Innenminister so die manipulatorischen Absichten Almirantes zu entlarven suchte, wendete der Anführer des MSI die Antwort des Innenministers wieder gegen die Regierung, indem er sie als Ausdruck einer verängstigten Regierung darstellte. Die Regierung sei durch blinden antifaschistischen Groll in einer Spirale der Rache gefangen.81 Diese Kontroverse zeigt, dass zu diesem Zeitpunkt noch keinesfalls von einer Abschwächung des Antagonismus von Neofaschismus und Antifaschismus in 79 Gesetz vom 20. Juni 1952, Nr. 645 ; Norme di attuazione della XII disposizione transitoria e finale (comma primo) della Costituzione, in : GU, Nr. 143, 23. Juni 1952. Das Gesetz trägt den Namen des damaligen Innenministers Mario Scelba (1901–1991) von der DC und verbot die Wiederbelebung der faschistischen Partei. Dazu Ceccanti, Stefano ; Clementi, Francesco : Italy, in : Thiel, Markus (Hg.) : The ›Militant Democracy‹ Principle in Modern Democracies, Farnham 2009, S. 209–218, hier S. 212 ; Hausmann, Friederike : Kleine Geschichte Italiens seit 1943 bis heute, Berlin 52002, S. 40 ; Hof, Tobias : Staat und Terrorismus in Italien 1969– 1982, München 2011, S. 112 f.; Klamt, Martin : Die Europäische Union als Streitbare Demokratie. Rechtsvergleichende und europarechtliche Dimensionen einer Idee, München 2012, S. 98 ; Conti, Davide : L’anima nera della Repubblica. Storia del MSI, Rom Bari 2013, S. 8–10. Faschistische und monarchistische Aktivitäten waren bereits durch das Gesetz vom 3. Dezember 1947, Legge 3 dicembre 1947, n. 1546 ; Norme per la repressione dell’attivita’ fascista e dell’attivita’ diretta alla restaurazione dell’istituto monarchico, in : GU, Nr. 13, 17. Januar 1948, eingeschränkt. 80 Almirante, Giorgio : Paura dei morti : incapacità di vita. Scelba nega una tomba a Mussolini, in : Lotta politica, 26. November 1949, S. 1, in : ACS, PCM, Segreteria particolare, busta 5. 81 »Il vostro cieco rancore antifascista vi fa prigionieri di quella spirale della vendetta […]«, zitiert in dem Brief, datiert Roma, 14 novembre 1949 ; All’on. Dott. Giorgio Almirante, Oggetto : Interrogazione : Nr. 666/696, in : ebenda.
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der italienischen Politik die Rede sein konnte, auch wenn die Phase der antifaschistischen Einheit der Parteien beendet war. In einem Artikel über den Mythos Mussolini, welcher im »Meridiano d’Italia« erschien, beschwor der Leiter des neofaschistischen Wochenblattes Franco Servello die ungebrochene Anziehungskraft Mussolinis und die Wiedergeburt des Faschismus.82 Dieser Artikel drückte damit genau das aus, was die anderen Autoren als unbegründete Sorge der Regierung darstellten, und war nicht geeignet, die Sorge um eine Verherrlichung des Faschismus zu reduzieren. Vielmehr markierte der Informationsdienst des Büros des Ministerpräsidenten gerade diese Passagen. Dass gleichzeitig mit dem Artikel ein Brief der Witwe Mussolinis an den Ministerpräsidenten publiziert wurde, in dem sie sich über dessen mangelnde Informationsbereitschaft beklagte, sollte wohl das moralische Fehlverhalten der Regierung unterstreichen.83 Allerdings zeigte die Witwe Verständnis dafür, dass die Regierung zu diesem Zeitpunkt den Leichnam nicht an die Familie herausgeben könne. Offenbar verfolgten also die Witwe und die neofaschistischen Politiker keineswegs identische Strategien gegenüber der Regierung. Vielmehr instrumentalisierte die neofaschistische Zeitung die Witwe, um die Unbarmherzigkeit der Regierung darzustellen, denn diese sei nicht einmal bereit, einer Witwe den Bestattungsort ihres Mannes mitzuteilen. Die italienische Regierung, die seit 1947 nicht mehr aus einer antifaschistischen großen Koalition bestand und in der nach dem Wahlerfolg 1948 die Christdemokraten tonangebend waren,84 sah Ende des Jahres 1949 den Zeitpunkt noch nicht gekommen, den Leichnam Mussolinis an die Familie herauszugeben, und beobachtete den MSI mit Argwohn. Die Witwe gab später an, De Gasperi habe ihre Anfrage mit der Begründung abgelehnt, es gebe noch zu viele Faschisten.85 Doch das Misstrauen hinderte die Christdemokraten nicht, sich bei der Ausgestaltung der Legge Scelba, dem Gesetz, das alle Nachfolgeorganisatio82 Servello, Franco M. [Francesco Mario] : »Il mito Mussolini«, in : Meridiano d’Italia, 13. November 1949, S. 1, sowie Presidenza del Consiglio dei ministri, Servizio informazioni, div. Rassegne e comunicati : Rassegna dei periodici, Nr. 260, Jahr 2, 11. November 1949, enthalten in : ebenda. 83 »Lettera di Donna Rachele al Presidente del Consiglio«, in : Meridiano d’Italia, 13. November 1949, S. 1, enthalten in : ebenda. 84 Zur fundamentalen Bedeutung der Wahlen vom 18. April 1948 der Forschungsüberblick von Risso, Linda : »18th April 1948. Italy between continuity and rupture«, in : Modern Italy 16 (2011), S. 101–104. 85 »C’erano ancora troppi fascisti«, in : Mussolini ; Pensotti : »Benito il mio uomo. [VIII] La verità sulla salma«, in : Oggi, 12. September 1957, S. 14–21, hier S. 18 ; bzw. dies.: Benito, il mio uomo, S. 297.
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nen der Faschisten verbieten sollte, dafür einzusetzen, dass der MSI nicht durch das Gesetz erfasst würde. Dem MSI wurde von den Christdemokraten die Funktion zugebilligt, »die äußerste Rechte parteipolitisch zu binden« ; gleichzeitig wurde seine entschieden antikommunistische Haltung begrüßt.86 Durch die anhaltend großen sozialen Probleme der Nachkriegszeit hatten die Monarchisten und Neofaschisten besonders in den Städten des Südens großen Zulauf erhalten. Dies und die Abwendung der Großgrundbesitzer nach der Agrarreform kostete die DC Stimmen und schwächte ihre Mehrheitsstellung. Nachdem sie in den Parlamentswahlen im April 1948 noch fast 50 Prozent der Stimmen und die absolute Mehrheit der Sitze in der Kammer gewonnen hatte, erreichte sie bei den Kommunalwahlen 1951–52 nur noch 35,1 Prozent.87 Gleichzeitig konnte das rechtsradikale Bündnis aus Neofaschisten und Monarchisten in Stadtparlamente im Süden einziehen und sogar drei Bürgermeister stellen. Auf Grund dieser nachteiligen Entwicklung für die Regierungspartei versuchte unter anderem der Vatikan, De Gasperi und die Partei zu einer Annäherung an die Rechte zu bewegen. Die katholische Kirche übte großen Einfluss auf die Politik der DC aus und hatte sich zu deren Gunsten bereits 1948 in den Wahlkampf eingemischt. Besonders bei den Lokalwahlen in Rom 1952 befürworteten Vertreter des Papstes eine Allianz der Democrazia Christiana mit dem Movimento Sociale Italiano. Das lehnte De Gasperi zwar ab, doch dies verhinderte nicht die politische Etablierung der neofaschistischen Partei.88 Bei den Wahlen 1953 wurden die Neofaschisten des MSI mit 5,8 Prozent der Stimmen und 29 Abgeordneten zu einer deutlich wahrzunehmenden politischen Kraft, während die Christdemokraten Stimmenverluste 86 Hausmann : Kleine Geschichte Italiens, S. 40. Auch Caciagli, Mario : The Movimento Sociale Italiano-Destra Nazionale and Neo-Fascism in Italy, in : Beyme, Klaus von, Right-Wing Extremism in Western Europe, London 1988, S. 19–33, hier S. 23 ; Conti : L’anima nera della Repubblica, S. 7 f.; Duggan : Fascist Voices, S. 423 ; Sircana, Giuseppe : Art. »michelini, Arturo«, in : Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 74, Rom 2010, S. 227–230, hier. S. 227. 87 Ginsborg, Paul : Storia d’Itala 1943–1996. Famiglia, società, Stato, Turin 21998, S. 167. 88 Ebenda, S. 167 f.; Altgeld, Wolfgang ; Lill, Rudolf : Kleine italienische Geschichte, Bonn 2005, S. 447 ; Lepre : Storia della prima Repubblica, S. 144 f.; McCarthy, Patrick : The Church in Post-War Italy, in : ders. (Hg.) : Italy since 1945, New York 2000, S. 133–152, hier S. 136 ; Conti : L’anima nera della Repubblica, S. 7 f. De Gasperi war dem Vatikan nicht nur konfessionell verbunden, sondern die Partei profitierte als Nachfolger der einstigen katholischen Partei »patito popolare italiano« von der öffentlichen Zustimmung der Kirche. De Gasperi hatte während der 1930/40er Jahren als Mitarbeiter in der vatikanischen Bibliothek Zuflucht gefunden, weshalb er auch selbst enge Verbindungen in den Kirchenstaat hatte. Seine Beziehung mit dem Heiligen Stuhl war dennoch nicht immer einfach.
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von 8,4 Prozent erlitten.89 Dabei kamen die Stimmen für den MSI überwiegend aus dem Süden des Landes, wo die Unzufriedenheit mit der Politik der DC sehr groß war. Zudem hatte die Bevölkerung dort keine persönliche Erfahrung mit dem Faschismus der Italienischen Sozialrepublik gemacht, aus dem sich zahlreiche Vertreter des MSI rekrutierten, weshalb den Neofaschisten dort mit weniger Misstrauen begegnet wurde.90 Reportagen und Bilderserien In den frühen 50er Jahren etablierte sich in Italien das Magazin »Epoca«, welches auf dem Vorbild des »Life«-Magazins basierte und zahlreiche Artikel und Reportagen, besonders von Roberto De Monticelli, über Mussolini und seine Leiche publizierte.91 Neben Berichten über angebliche Begräbnisstätten beschäftigten sich De Monticelli und seine Kollegen damit, wo Mussolini bestattet würde, wenn er an die Familie herausgegeben würde. Die Beiträge über die Angehörigen Mussolinis waren stets sehr empathisch und trugen so dazu bei, das Schicksal der Familie nachvollziehbar zu machen. Dabei handelte es sich eben nicht nur um Berichte über die Familie, sondern die Familie und insbesondere die Witwe Rachele verstanden es, die Presse auch für ihre Restitutionsforderungen zu instrumentalisieren. Im Sommer 1951 veröffentlichte »Epoca« unter dem Titel »Un podere per Donna Rachele e una tomba per Benito« (Ein Bauernhof für Donna Rachele und ein Grab für Benito) fünf Fotografien von Verwandten Mussolinis sowie eine Aufnahme aus dem Inneren einer Gruft auf dem Friedhof von Predappio, Mussolinis Heimatort, wo eine Nische für die Rückkehr des Leichnams freigehalten wurde.92 Dieses Arrangement von Bildern und kurzen Begleittexten 89 Wobei der MSI in der Lage war auch in den folgenden Jahrzehnten ein Stimmenniveau von rund 5 % zu halten, während die Monarchisten, die 1953 mit 6,9 % ebenfalls zu den Wahlgewinnern gehört hatten, anschließend an politischer Bedeutung verloren. Dazu Fritzsche : Die politische Kultur, S. 91 ff.; Ginsborg : Storia d’Itala 1943–1996, S. 169 f., oder Luzzatto : Il Duce, S. 262 f. 90 Ginsborg : A History of Contemporary Italy, S. 144 f. 91 Roberto De Monticelli war 1919 in Florenz geboren und arbeitet seit 1945 als Journalist, Theaterkritiker und Schriftsteller. Neben Epoca schrieb er auch für Il Giorno und später für den Corriere della sera. Dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 243–247. 92 Die Abbildungen zeigen : Einzelaufnahmen von Pietro Mussolini, dessen Tochter Carla, Mussolinis Söhne, Edda Mussolini Ciano sowie ein Gruppenbild im Haushalt Mussolini und den Blick in die Familiengruft. »Un podere per Donna Rachele e una tomba per Benito«, in : Epoca, 18. August 1951, S. 50–/51.
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appellierte an den Familiensinn, indem es den Gedanken der Rückkehr der Familie Mussolini in ihre Heimat mit dem der Überführung des Leichnams und dem familiären Totengedenken verband. Im nächsten Jahr griff De Monticelli das Motiv der Heimat auf, indem er darstellte, dass in Predappio alles für die Translation Mussolinis bereit sei.93 Dieser Bildbericht befasst sich zunächst mit der Herstellung eines Sarkophags für Mussolini, wendet sich dann dessen designiertem Aufstellungsort und den für den Friedhof zuständigen Personen zu, bevor der Ort Predappio in die Präsentation einbezogen wird. Dieser Logik folgen sowohl die Abbildungen, die von der lokalen Fotoagentur Fotowall aus Bologna stammten, wie auch der Text von De Monticelli. Zunächst geht es um den Steinsarg, den die Witwe bei dem ortsansässigen Steinmetz bestellt hatte und dessen Kosten von der Familie Mussolinis getragen würden. So sollte demonstriert werden, dass sich die Witwe auf eine Rückgabe der Überreste vorbereitete. Sie kehrte mittlerweile sogar für kürzere Aufenthalte nach Predappio zurück, gab ihr Haus auf Ischia aber nicht auf. Doch beschränkte sich die Idealisierung der Heimatverbundenheit nicht auf die Familie, vielmehr erzeugte der Artikel eine Synthese von örtlichen Akteuren, die im Text beschrieben wurden, und der Einfachheit des Lebens in Predappio, das durch die Bilder visualisiert wurde. Die Heimatverbundenheit wurde durch das erste und auch größte Foto besonders betont (Abb. 36). Dort ist zu sehen, wie ein Ochsengespann einen großen Steinblock über eine Wiese zieht. Die Bildunterschrift wie auch der Text verwiesen darauf, dass aus diesem in der Nähe gebrochenen Stein der Sarg deckel hergestellt werden solle. Die beiden übrigen Bilder der Doppelseite zeigen, wie ein Detail für die Verzierung angefertigt wird und wie zwei Männer den Steinblock aus dem ersten Bild bearbeiten. In neorealistischer Manier wird dargestellt, welche Mühen die lokalen Arbeiter aufbringen, um den zukünftigen Sarkophag Mussolinis herzustellen. Das nächste Set von Abbildungen gilt dem Gemeindepfarrer, dem Friedhofswächter und der Innenansicht der Gruft mit den Sarkophagen von Mussolinis Eltern und der leeren Nische für ihn. Der Reporter legt im Text großen Wert auf die Feststellung, dass Mussolinis Sarkophag genauso aussehen werde wie die vier bereits dort stehenden, bis auf den kleinen Unterschied, dass die Rutenbündel an den Ecken die Fasces der Italienischen Sozialrepublik seien. Da die Witwe und die Kinder den Steinsarg bestellt hatten, liegt es nahe, dass sie auch diese Anpassung in Auftrag gegeben hatten. Während an den Sarkophagen von Mussolinis Eltern, seinem Sohn 93 De Monticelli, Roberto : »Tutto è pronto a Predappio«, in : Epoca, 26. April 1952, S. 14–18.
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Abb. 36 : Abbildung vom Transport des Steins für Mussolinis Sarkophagdeckel, abgebildet in : Epoca, 26. April 1952, S. 14–15.
Bruno und auch dessen Frau Gina einheitlich Fasces angebracht worden waren, die zum Symbol für den Faschismus geworden waren und seit 1929 auf dem Staatswappen Italiens zu sehen gewesen waren – nämlich Liktorenbündel, aus denen das Beil einer Axt seitlich herausragt –, wurden für Mussolinis Sarg Fasces gefertigt, bei denen die Axt oben aus dem Bündel herausschaute.94 Allein chronologisch lässt sich diese Abweichung nicht erklären, da auch Gina erst nach der Absetzung Mussolinis und auch dem Ende der RSI verstorben war. Während De Monticelli in dem Text nur darauf verweist, der Faschismus von Salò sei sozialistischer ausgerichtet gewesen, liegt der Schluss nahe, dass diese Abänderung Benito Mussolini von seinen Verwandten distinguieren und auch Bezug auf seine Rolle als Staatschef der RSI nehmen sollte. In Salò hatte er zumindest nominell sein höchstes politisches Amt innegehabt. Doch da auf den Aufnahmen aus der Werkstatt des Steinmetzes nur Einzelteile des Steinsargs zu sehen waren, wirkte dies nicht wie ein faschistischer Schrein. Zudem fanden sich neben diesen faschistischen Symbolen Kreuze auf Teilen des Sarkophags. Diese Verbindung von faschistischer und christlicher Symbolik entsprach den vier bereits in der Gruft stehenden Sarkophagen. Die Bilder verstärkten so den im Text vermittelten Anschein, dass es sich bei der Gestaltung um nichts 94 Eine ausführlichere Besprechung der Bedeutung dieses Symbols und seiner unterschiedlichen Verwendungen bieten Falasca-Zamponi : Fascist Spectacle, S. 95–99 ; Art. »Fasces«, in : Rabbow, Arnold : dtv-Lexikon politischer Symbole, München 1970, S. 76–78.
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Außergewöhnliches handele und der Leichnam Benito Mussolini bei seiner Übergabe an die Familie in die bereits bestehende Rauminszenierung integriert werden würde. Auch De Monticellis Beschreibung des Steinmetzes, des Gemeindepfarrers sowie des Friedhofswärters, die in die Vorbereitungen für die Rückführung Mussolinis eingebunden waren, klang wenig bedrohlich – vielmehr charakterisierte er sie als vom Lauf der Geschichte abgehängt.95 In eine ähnliche Richtung argumentierte er auch zwei Jahre später in dem Artikel »Incontro con gli ex« (Treffen mit den Ehemaligen). Hier beschrieb er, wie zurückgezogen die ehemaligen Größen des faschistischen Regimes, wie Marschall Pietro Badoglio, Luigi Federzoni oder Renato Ricci, mittlerweile lebten.96 Zu der Auswahl gehörten neben den männlichen Politikern auch Rachele Mussolini mit ihren Kindern Anna Maria und Romano sowie Edda Mussolini Ciano. Der Artikel vermittelte den Eindruck, es handele sich hier um politisch uninteressierte Personen, die einfach in Ruhe leben wollten. In Predappio, so arbeitet De Monticelli bereits im Jahr 1952 heraus, fehlte den Einwohnern zu ihrem Seelenfrieden einzig die Heimkehr und Beisetzung Mussolinis. Dass der gesamte Ort irgendwie aus der Zeit gefallen war, wurde durch eine faschistische Postkarte, die unter anderem die Casa del Fascio und das Geburtshaus Mussolinis zeigte und im Tabakwarengeschäft verkauft wurde, visualisiert. Durch die Reproduktion wurden weitere Geschichten in die Reportage integriert, nämlich die von Predappios Blütezeit während des Faschismus, als städtebauliches Vorzeigeprojekt und Pilgerziel für die Mussolini-Verehrung sowie die der wirtschaftlichen Schwierigkeiten nach der Absetzung Mussolinis 1943.97 Dieser Artikel machte auch klar, dass neben denen, die eine Translation forderten, da sie an dem Andenken Mussolinis interessiert waren, einige der Einwohner vor allem darauf hofften, der Tourismus werde dadurch wieder zunehmen.98 95 Hierzu auch Luzzatto : Il Duce, S. 245–247. 96 De Monticelli, Roberto : »Incontro con gli ex«, in : Epoca, 10. Oktober 1954, S. 38–42. 97 Den wirtschaftlichen Wandel arbeitet besonders Serenelli, Sofia : A Town for the Cult of the Duce : Predappio as a Site of Pilgrimage, in : Gundle, Stephen ; Duggan, Christopher ; Pieri, Giuliana (Hg.) : The Cult of the Duce. Mussolini and the Italians, Manchester 2013, S. 93– 109, heraus. Für die Bedeutung während des Faschismus Baioni, Massimo : Predappio, in : Isnenghi, Mario (Hg.) : I luoghi della memoria, Bd. 1, Simboli e miti dell’Italia unita, Rom 1996, S. 501–511 ; Dogliani, Patrizia : Predappio, in : Grazia, Victoria De und Luzzatto, Sergio (Hg.) : Dizionario del fascismo, Bd. 2, Turin 2003, S. 414–415 ; Duggan : Fascist Voices, S. 225–227. 98 Diese Beobachtung schilderte auch Alfredo Panicucci im November 1954 in seinem Artikel »Celebrano la messa sulla tomba di Mussolini«, in : Epoca, 7. November 1954, S. 27–30.
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Mit diesen und anderen Berichten fachten De Monticelli und »Epoca« nicht nur die Debatte um die Rückgabe der Leiche weiter an, sondern sie boten einen Einblick in die mögliche Gestaltung von Mussolinis letzter Ruhestätte und in die Haltung der Einwohner gegenüber dem einstigen Duce. Damit wurde das Risiko von Widerstand und Konflikten wegen der Ausgestaltung, das für die Regierung mit einer Herausgabe der Leiche verknüpft war, dahingehend überschaubarer, dass die Intentionen der vor Ort Beteiligten bereits öffentlich bekannt waren. Auffällig ist jedoch, dass derartige Artikel, die durchaus auf eine Überführung des Leichnams hinwirkten, in einer Illustrierten erschienen und nicht etwa einer dem MSI nahestehenden Zeitung.99 Zu erklären ist dieser Umstand nicht einfach damit, dass die Zeitschrift das publikumswirksamere Organ war, sondern es kann festgestellt werden, dass sich die Neofaschisten nach den Rückgabeforderungen im Jahr 1949 nicht mehr sonderlich für die Restitution einsetzten. Zwar initiierte Vanni Teodorani, ein Abgeordneter des MSI und zugleich über seine Ehefrau Rosa mit der Familie verbunden, im Dezember 1954 eine Petition, die die Rückgabe von Mussolinis Überresten an die Familie forderte, doch wurde dieses Gesuch weder von der Familie noch von Seiten der Neofaschisten unterstützt.100 Sein Vorstoß verlief im Sande. Dies zeigt, dass sich die Neofaschisten nicht an den Bemühungen um die Rückführung beteiligten. Zwar hatten sie unter Almirante den Aufschub der Wiederbestattung in ihre Angriffe auf die Regierung integriert und so instrumentalisiert, doch nach dem Wechsel an der Parteispitze, insbesondere nach der Wahl Michelinis zum Vorsitzenden im Jahr 1954, schlug die Partei einen gemäßigteren Kurs ein.101 Dagegen ist die Zurückhaltung der Familie Mussolini bei der Petition dadurch zu erklären, dass es nach dem Rücktritt De Gasperis 1953 im folgenden Jahr zwischen dem Ministerpräsidenten Scelba und der Witwe Mussolinis erste Gespräche über die Bedingungen einer Restitution gegeben hatte, wonach diese streng geheim zu halten und nur im Verborgenen durchzuführen war.102 Wie 99 1952 hatte Franz Turchi die Tageszeitung »Il Secolo d’Italia« gegründet, die Geschäftsführung hatte sein Sohn Luigi inne. Turchi war Mitglied der MSI und wurde 1953 zum Senator gewählt. Während der RSI war er Präfekt gewesen. 100 Vanni Teodorani war als Journalist für den »Popolo d’Italia« tätig gewesen und half Mussolini während der RSI bei der Organisation des Militärs. Dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 264. 101 Wobei die konfrontativer ausgerichteten Strömungen in der Partei nicht verschwanden, Conti : L’anima nera della Repubblica, S. 10 f.; Pardini, Giuseppe : Fascisti in democrazia. Uomini, idee, giornali (1946–1958), Florenz 2008. 102 Pensotti, Anita : La restituzione dei resti di Mussolini nel drammatico racconto della vedova, Rom 1972, S. 40 f.
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Luzzatto dargestellt hat, waren die Pläne dennoch Anfang 1955 bekannt geworden und die politische Zeitschrift »Il Mondo« hat die Christdemokraten dafür kritisiert, auch nach so vielen Jahren noch keine abschließende Lösung für die Bestattung des Leichnams Mussolinis gefunden zu haben. Gleichzeitig prophezeite die Zeitschrift Scelbas Vorhaben das Scheitern, da er nicht Neofaschisten und Antifaschisten gleichzeitig zufrieden stellen könne. So plane Scelba die Beisetzung in Predappio wieder nachts stattfinden zu lassen – wie schon die Beisetzung auf dem Cimitero milanese di Musocco –, damit sich die Linke nicht provoziert fühle.103 Dieses Drängen der Regierung auf öffentliche Zurückhaltung und nicht etwa eine patriarchalische Rollenzuweisung an den mit ihr zusammenlebenden Sohn Romano scheint der Grund dafür zu sein, dass sich die Witwe aus den Medien zurückzog und ihren Sohn in den folgenden Jahren die Anfragen von Journalisten regeln ließ. Zumindest zwischen 1954 und 1956 ist diese Tendenz deutlich zu beobachten. So reiste im November 1954 Alfredo Panicucci nach Predappio, offenbar motiviert durch einen Bericht, dass Edda Mussolini Ciano beabsichtige, den Papst um Unterstützung zur Freigabe des Leichnams ihres Vaters zu bitten. Romano Mussolini erklärte dem Journalisten bei dieser Gelegenheit, er wisse weder etwas von den Plänen seiner älteren Schwester noch vom Verbleib der Leiche seines Vaters. Er beschrieb außerdem, wie belastend die Spekulationen über den Aufenthaltsort des Leichnams seien und dass die Familie nicht einmal zu Allerseelen in der Lage sei, Blumen auf das Grab des Vaters zu legen.104 Damit betonte der jüngste Sohn Mussolinis nicht nur das familiäre und christliche Totengedenken, sondern machte auch deutlich, dass der Familie, also dem Umfeld der Witwe, die Spekulationen wie auch die Alleingänge von einzelnen Familienmitgliedern nicht recht waren. Diese Äußerung nährte die Spekulationen zusätzlich. Im darauf folgenden Januar gab die Tageszeitung »La Stampa« einige in der Romagna grassierende Gerüchte über den Verbleib der Überreste Benito Mussolinis wieder,105 darunter die Annahme, der Leichnam sei inzwischen schon heimlich in die Familienkapelle nach Predappio überführt worden. Ein anderes Gerücht besagte, er befinde sich in der Kirche des Geburtsortes, ein weiteres, er werde in einer Einsiedelei am Monte Paolo in der Nähe von Forlì verborgen. Diese Gerüchte 103 Luzzatto : Il Duce, S. 281 f. 104 Panicucci : »Celebrano la messa sulla tomba di Mussolini«, S. 28. 105 »La salma di Mussolini sarebbe già a Predappio«, in : La Nuova Stampa Sera, 10. Januar 1955, S. 7.
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hatten zur Folge, dass sowohl in Predappio wie auch in dem kleinen Ort Montepaolo nahe dem Kloster zahlreiche Schaulustige einfielen.106 Daraufhin veranlasste der Anwalt von Rachele Mussolini, dass Fremde keinen Zutritt zur Gruft der Familie erhalten sollten. Dies wirkt vordergründig so, als hätte sich die Witwe der Sensationslust verweigert, allerdings verhinderte sie auf diese Weise auch, dass sich die Schaulustigen davon überzeugen konnten, dass Mussolini nicht in der Familiengruft ruhte. Gleichzeitig wiesen die Mönche die Gerüchte nicht eindeutig zurück und auch die Regierung dementierte diesmal nichts. Aus diesem Grund brachen im Frühjahr 1956 zwei Fotojournalisten in die Einsiedelei ein, um die Überreste ausfindig zu machen.107 Der Einbruch die Festnahme der beiden Fotografen Sergio Abati und Mario Lucentini fanden international Beachtung. So berichteten unter anderem »Le Monde« mit Bezug auf die Nachrichtenagentur Reuters und »Der Spiegel« darüber.108 Schließlich hatten die beiden Kirchenfrevler tatsächlich ein Behältnis unter den Altarstufen gefunden, es allerdings nicht bergen können. Bereits kursierende Gerüchte schienen dadurch bestätigt. In der Folge kamen nun viel mehr Menschen nach Monte Paolo, um Kerzen anzuzünden, zu beten und Blumen niederzulegen.109 All dies waren Handlungen, die aus der katholischen Liturgie bzw. aus dem Bestattungszeremoniell entlehnt waren und dort Abschied ausdrücken, aber auch dem Totengedenken dienen. Die ursprünglich auf das Seelenheil des Toten gerichteten Aktionen können sowohl die Ehrung des Verstorbenen als auch eine Bewältigungsmaßnahme für die ausführende Person bedeuten, hier aber auch politisch instrumentalisiert werden. Deutlicher wird dieser Aspekt in der Ehrenwache, die sich nach dem Einbruch Tag und Nacht vor der Klosterkirche postierte.110 Die Männer bemühten sich durch ihre Kleidung, an die militärische Tradition der Faschisten anzuknüpfen. Sie demonstrierten so ihre Verehrung für Mussolini und den Faschismus, blieben aber, da sie keinen Zugang zum Kircheninneren 106 Ghirotti, Gigi : »Ancora vuota la tomba nel cimitero di Predappio. Turisti e curiosi in attesa con le macchine fotografiche«, in : La Nuova Stampa, 11. Januar 1955, S. 5. 107 »La sepoltura di Mussolini. Smentite le ›rivelazioni‹ di due giornali romani«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 29. März 1956, S. 4 ; auch Luzzatto : Il Duce, S. 241. 108 »Le corps de Mussolini serait caché dans la crypte d’un monastère franciscain«, in : Le Monde, 30. März 1956 ; »Die bekannte Leiche«, in : Der Spiegel 17 (1956), 25. April 1956, S. 46–48 ; für Italien »Ricercati a Roma i fotografi che avrebbero violato il sepolcro di Mussolini«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 4. April 1956, S. 4. 109 »Die bekannte Leiche«, S. 47. 110 Ebenda.
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erhielten, distanziert von den emotionaleren und individuelleren Gesten im Inneren. Dennoch sahen sich die Franziskaner des Klosters Vorwürfen und Angriffen von Links ausgesetzt, sie hätten die Neofaschisten in deren Verehrung unterstützt.111 Nicht zuletzt hatte ein junger Mönch die Gerüchte angefacht, da er überzeugt war, dass sich die Leiche in einer Kiste in der Einsiedelei befände. Er soll seinem Prior schwere Vorwürfe gemacht haben, dass es »keine christliche Nächstenliebe [sei], die wehrlosen Reste eines Menschen, der eine unsterbliche Seele habe, auf solche Art zu verstecken.«112 Da der Vorsteher des Klosters aber auf die Vorwürfe nicht einging, soll der Mönch später seine Vermutungen an Journalisten weitergegeben haben.113 So hat auch in Montepaolo ein Franziskanermönch sein Handeln mit seinem Verständnis von christlicher Nächstenliebe gerechtfertigt und einen anderen Umgang mit der Leiche Mussolinis gefordert, ganz ähnlich wie es Pater Parini in Sant’Angelo für sich in Anspruch genommen hatte. Dies ist sicherlich nicht allein aus den franziskanischen Ordensregeln und der Sorge um das Seelenheil des Toten zu erklären, da die überragende Mehrheit der italienischen Franziskaner sich nicht in die Begräbnisdebatte einmischte. Es hatte jedoch, wie unter anderem Simonetta Falasca-Zamponi herausgearbeitet hat, gerade bei einigen Franziskanern während des Faschismus eine glühende Bewunderung für Mussolini gegeben, die offensichtlich noch nachwirkte.114 Beide Fälle demonstrieren aber vor allem, dass bei der Entscheidung über den Umgang mit Mussolinis Leichnam nicht nur politische Aspekte berücksichtigt werden mussten. Die vermeintliche Lokalisierung der Gebeine nutzte die Familie Mussolinis, um erneut die Herausgabe zu fordern.115 Dies erfolgte zum einen auf dem Rechtsweg zwischen dem Anwalt der Familie und dem Innenministerium, zum anderen öffentlich, indem Romano erklärte, die Familie wünsche sich eine Bestattung in der Familiengruft. 111 So Luzzatto : Il Duce, S. 241. 112 »Die bekannte Leiche«, S. 47. 113 »Die bekannte Leiche«, S. 47. 114 Dazu Falasca-Zamponi : Fascist Spectacle, S. 65. Zu beachten ist auch Mussolinis Beteiligung an den Feierlichkeiten zum 700. Todestag von Franz von Assisi im Jahr 1926, dazu etwa Kertzer, David : The Pope and Mussolini. The Secret History of Pius XI and the Rise of Fascism in Europe, London/New York 2014, S. 100. 115 »Dichiarazioni di Tambroni sulla sepoltura di Mussolini«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 31. März 1956, S. 4.
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Kulmination im Sommer 1957 Die zahlreichen, fast unüberschaubaren Meldungen über die angeblichen Bestattungsorte Mussolinis, die seit 1946 erschienen waren – Rom, Mailand, Certosa di Pavia, Montepaolo, und viele mehr –, machten deutlich, dass das Problem des praesente cadavere bzw. der absentia keineswegs überwunden war. Die Folge war, dass die Presse mit den Spekulationen die Sensationslust des Publikums bedienen konnte und die Restitutionsforderungen der Familie nicht endeten. Im April 1957 löste der Prozessbeginn gegen ehemalige Partisanen eine Zunahme an Artikeln über Mussolini und das Schicksal seiner Leiche aus. Zwar waren Prozesse gegen ehemalige Widerstandskämpfer keineswegs ungewöhnlich,116 doch das Gericht in Padua sollte klären, ob die Resistenza-Mitglieder Wertgegenstände aus dem Staatsvermögen der Italienischen Sozialrepublik, die sie von Mussolini nach dessen gescheiterter Flucht konfisziert hatten, veruntreut hatten.117 Im Umfeld der Verhandlungen wurde erneut viel über die Todesumstände Mussolinis berichtet. Darüber hinaus begann »Oggi« im Juli, eine Serie mit Erinnerungen Rachele Mussolinis an ihren Ehemann zu publizieren.118 Hier trat die Witwe das erste Mal seit Langem wieder selbst in der Presse in Erscheinung. Die Illustrierte verfolgte mit dieser Serie ein klares politisches Ziel, nämlich das Ende des Hasses zwischen Antifaschisten und Neofaschisten, wie die italienische Historikerin Cristina Baldassini herausgearbeitet hat.119 Das auflagenstarke Boulevardblatt setzte dabei auf die emotionale Wirkung der Witwe und des vermeintlichen Einblicks in ihr Privatleben. Jede einzelne der sechzehn Folgen war reich bebildert und diese Bilder stellten häufig einen Bezug zu Predappio her. So wurde explizit darauf hingewiesen, dass Rachele die Interviews mit der Journalistin Anita Pensotti, welche die Grundlage für die Serie bildeten, im Wohnhaus der Familie in Predappio, 116 Dazu Dogliani, Patrizia : Constructing Memory and Anti-Memory. The Monumental Representation of Fascism and its Denial in Republican Italy, in : Bosworth, Richard J. B.; Dogliani, Patrizia (Hg.) : Italian Fascism. History, Memory and Representation, London 1999, S. 11–30, hier S. 25. 117 Die wohl aktuellste Rekonstruktionen der Ereignisse um das verschwundene Vermögen und den Prozess bietet Milza : Les derniers jours de Mussolini, besonders S. 282–289. 118 Mussolini, Rachele ; Pensotti, Anita, »Benito il mio uomo di Rachele Mussolini«, in : Oggi, 25. Juli (Nr. 30)–7. November 1957 (Nr. 45). Die insgesamt 16 Folgen wurden stets auf dem Cover angekündigt und fünfmal wies das Titelbild einen Bezug dazu auf. 119 Baldassini : L’ombra di Mussolini, S. 285–290.
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der Villa Carpena, führte. Gerade im ersten Teil der Serie, in der sich Rachele an die gemeinsame Jugend in Predappio erinnerte, wurden Aufnahmen des von der Illustrierten engagierten und auf Berühmtheiten spezialisierten Fotografen Dion Jarach verwendet. Anstelle von Hollywoodstars setzte dieser nun die Siebenundsechzigjährige an unterschiedlichen Stellen ihres Heimatortes in Szene.120 Einmal stand sie unter dem Ortsschild von Predappio, dann im Garten ihres Hauses, ein anderes Mal im Geburtshaus ihres Mannes oder sie war von einigen ihrer Kinder umgeben. Außerdem waren auf zwei der Fotografien Darstellungen von Benito mit im Bild, so dass sowohl der Bezug zu Predappio als auch zu Mussolini sehr plakativ war. Auch in den nächsten Ausgaben wurde die Verbindung der Familie Mussolinis mit dem Ort immer wieder visualisiert, während Rachele in den Texten die Virilität ihres Mannes rühmte. Neben Fotografien der erinnerten Ereignisse wurden stets auch aktuelle Aufnahmen von Rachele oder anderen Familienmitgliedern eingefügt. Diese wurden mit einer besonderen Intention arrangiert, was ein Titelbild von Anfang August verdeutlicht, auf dem sich die Witwe, mit einem schwarzen Kleid und Pumps bekleidet, auf eine Schaufel stützt. Sie steht dabei auf einem Feldweg. Die Bildunterschrift behauptet, sie sei bei einer Pause von der Gartenarbeit zu sehen, denn sie habe einfache Gewohnheiten (Abb. 37).121 Abbildung und dazugehöriger Text sollten die Bodenständigkeit der Witwe demonstrieren, mit der Schaufel als Symbol für die Bearbeitung des heimischen Bodens. Allerdings funktioniert diese Inszenierung nur bedingt, denn Rachele ist nicht passend für die beschriebene Arbeit gekleidet. Ihre Pumps sind nicht einmal schmutzig. Bei genauer Betrachtung trägt sie diese Kleidung auf mehreren Abbildungen, die in der Serie veröffentlicht wurden. Für die Publikation in der Illustrierten wurden also offenbar Szenen gestellt, die das Alltagsleben Racheles vorführen sollten. Die Fotografien hatten jedoch nicht die neorealistische Qualität des Bildberichtes über den Sarkophag, stattdessen sind die Arrangements porträtistisch und auf die Person Racheles fokussiert, deren Präsenz in Predappio keineswegs selbstverständlich war ; schließlich hatte sie selbst mehrfach betont, wie zufrieden sie mit ihrem Leben auf Ischia sei. Offensichtlich sollte dieser Eindruck nun revidiert werden. Dass 120 Mussolini ; Pensotti : »Benito il mio uomo [I]«, in : Oggi, 25. Juli 1957, S. 12–14. Die zahlreichen Fotografien wurden für die im Anschluss erschienene Buchausgabe der Erinnerungen stark reduziert und zum Teil auch ausgetauscht, Mussolini ; Pensotti : Benito, il mio uomo, Mailand 1958. 121 Mussolini ; Pensotti : »Benito il mio uomo, [II] Il mio viaggio di nozze con Benito«, in : Oggi, 1. August 1957, S. 12–22.
Transport | Abb. 37 : Titelseite mit Rachele Mussolini, in : Oggi, 1. August 1957.
für die Bebilderung ihrer Lebenserinnerungen nicht lediglich auf existierende Bilder zurückgegriffen wurde, ermöglichte es der Witwe, sich selbst in Szene zu setzen. So plakativ wie in dieser Serie war die Verbindung von Predappio mit der Witwe Mussolinis bisher nicht dargestellt worden. Diese starke Konzentration auf die Herkunft der Familie sollte geradezu die Zwangsläufigkeit einer Beisetzung Mussolinis in Predappio suggerieren. Die zur Schau gestellten bescheidenen Lebensverhältnisse fungierten dabei beschwichtigend – sie präsentierten eine rein auf das Private ausgerichtete Familie und leugneten politische Ansprüche. Mussolini war im Sommer 1957 medial bereits sehr präsent, als am 7. August gemeldet wurde, es seien vermeintliche Tagebücher Mussolinis aufgetaucht. Auch wenn diese umgehend als Fälschungen enttarnt wurden, so trugen die Berichte selbstverständlich zur Diskussion über die Erinnerung an Mussolini bei.122 Am folgenden Wochenende vermeldeten einige italienische Zeitungen 122 »Sequestrato un presunto ›diario‹ di Mussolini«, in : La Nouva Stampa, 7. August 1957, S. 8 ; »Alleged Mussolini Diaries«, The Times, 8. August 1957, S. 5 ; »I diari di Mussolini sono un falso come quello del carteggio De Toma ?«, in : La Nuova Stampa, 9. August 1957, S. 1 ;
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Gerüchte, der Ministerpräsident Adone Zoli habe die Übergabe des Leichnams an die Familie angekündigt. Während »L’Unità« berichtete, einer ihrer Journalisten habe diese Information direkt vom Ministerpräsidenten und mit der Überführung sei zwischen dem 15. und 18. August zu rechnen, bezog sich »La Stampa« auf die Berichterstattung in der Parteizeitung der DC und anderer Zeitungen.123 »La Stampa« stellte vor allem heraus, dass »Il Popolo« einen Zusammenhang zwischen der Übergabe des Leichnams an die Familie und Gesprächen Zolis mit dem MSI als absolut unhaltbar bezeichne, die Restitution aber nicht dementiere. Dagegen verwies die kommunistische Parteizeitung darauf, Vertreter des MSI hätten Zoli umgehend ihre Dankbarkeit ausgedrückt. Die linke Opposition warf den Christdemokraten vor, den Neofaschisten zu sehr entgegenzukommen. Diese Einschätzung wurde zur Erklärung der Restitution, die Ende August 1957 stattfand, in geschichtswissenschaftlichen Darstellungen aufgegriffen. Dabei wird häufig der Eindruck erweckt, die Überführung sei vollkommen überraschend und wie aus dem Nichts erfolgt und sei alleine mit der schwachen Position der christdemokratischen Minderheitsregierung unter dem ebenfalls aus der Region um Predappio stammenden Ministerpräsidenten Adone Zoli zu erklären.124 Diese Erklärungen lassen zum einen die – hier rekonstruierte – geradezu kampagnenartige Werbung der Familie und der Illustrierten »Epoca« und »Oggi« für eine Überführung nach Predappio wie auch die schon viel länger andauernde inoffizielle Praxis der Unterstützung von christdemokratischen Minderheitsregierungen durch die neofaschistische Partei außer Acht. Vielmehr wird suggeriert, der Ministerpräsident habe den Leichnam herausgegeben, um seine Regierung durch die Stimmen des MSI zu stützen und indirekt einer Bekannten aus Kindertagen einen Gefallen zu tun. Während die ältere Forschung mit Blick auf die Wahlergebnisse stets die prekäre Lage der Regierung Zolis betonte,125 argumentieren neuere Bewertungen der Regierungszeit Zolis, diese habe von früheren Regierungen ungelöste »Sono falsi i ›diari‹ di Mussolini sequestrati dai carabinieri a Vercelli«, in : L’Unità, Nuova serie, Nr. 220, 9. August 1957, S. 1/7 ; »Come furono falsificati i diari di Mussolini«, in : Epoca, 18. August 1957, S. 22–24. Dazu auch Bonacina : La salma nascosta, S. 95. 123 »Il gruppo Gonella-Rapelli attacca l’on. Fanfani per le discriminazioni all’interno della DC«, in : L’Unità, Nuova serie, Nr. 220, 9. August 1957, S. 1–2 ; »Anche la salma di Mussolini forma motivo di polemica«, in : La Nuova Stampa Sera, 9./10. August 1957, S. 7. Internatio nal wurde die Meldung kaum wahrgenommen und wenn, dann als Dementi, so »Mussolini ne sera pas rendu à sa famille«, in : Paris Presse, 10. August 1957, S. 1. 124 Vgl. Bosworth : Mussolini, S. 416 ; Luzzatto : Il Duce, S. 282 ; Mammarella, Giuseppe : Italy after Fascism. A Political History 1943–1965, Notre Dame 1966, S. 57. 125 Bspw. Mammarella : Italy after Fascism, S. 57.
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Probleme angegangen und bewältigt.126 Letztere Interpretation passt zu dem bei der Translation zu beobachtenden Verhalten des Kabinetts Zolis. Bereits das frühere Versprechen zur Rückgabe an die Familie war von einer Regierung unter christdemokratischer Führung gegeben worden. Seit 1946 hatte sich das politische Klima, welches zum Kriterium für die Rückgabe erklärt worden war, grundlegend gewandelt. Die Kommunistische Partei war unter dem Einfluss des beginnenden Kalten Kriegs 1947 aus der Regierung gedrängt worden. Während sie nun als Bedrohung für die Demokratie und die gesellschaftliche Ordnung betrachtet wurde, zogen Neofaschisten in Stadtverwaltungen, das Parlament und den Senat ein. Unter den derart veränderten Vorzeichen akzeptierten christdemokratische Regierungen den MSI zur Stimmenbeschaffung. Sowohl das Kabinett Pella (17. August 1953 bis 12. Januar 1954) als auch die Regierung Segni in ihren letzten zwei Monaten (6. Juli 1955 bis 6. Mai 1957)127 und das Kabinett Zoli (19. Mai 1957 bis 1. Juli 1958) erhielten Stimmen von den Neofaschisten und Monarchisten, ohne die sie ihre Minderheitenregierungen nicht hätten aufrechterhalten können.128 Schon unmittelbar nach der Abstimmung über die Regierungsbildung Zolis hatte der MSI aber deutlich gemacht, dass er kein sicherer Verbündeter war, wollte er Zoli doch unmittelbar nach dem Votum zum Rücktritt zwingen.129 Der Staatspräsident akzeptierte Zolis Rücktrittsgesuch allerdings nicht und so musste der Politiker, der seine antifaschistische Vergangenheit gerne betonte, eine Regierung führen, die nur auf Grund der Stimmen von Neofaschisten zustande gekommen war.130 Luzzatto und andere leiten aus dieser schwachen Position des Kabinetts ab, die Restitution des Leichnams habe dazu gedient, »die Neofaschisten zufriedenzustellen«131 und mit Neofaschisten ist hier der MSI gemeint. So naheliegend dieser Erklärungsansatz ist, geht er doch, wie im Folgenden gezeigt werden 126 Auch wenn in einer Festschrift über Zoli sicherlich ein wohlwollender Blick angenommen werden darf, so zeigt diese Bewertung durch einen Ökonomen doch, dass es auch andere Bewertungskriterien als die Stimmverteilung gibt. Gambetta, Guido : Introduzione, in : ders.; Mirabella, Salvatore (Hg.) : Adone Zoli. Un padre della Repubblica, Bologna 2010, S. 13–17, hier S. 16. 127 Kogan, Norman : A Political History of Postwar Italy, New York 1966, S. 122. 128 Dazu Caciagli : The Movimento Sociale Italiano-Destra Nazionale and Neo-Fascism in Italy, S. 20 ; Jansen : Italien seit 1945, S. 23 f. und 125 ; Mammarella : Italy after Fascism, S. 57 ; Ruzza ; Fella : Re-inventing the Italian Right, S. 13 f. 129 Luzzatto : Il Duce, S. 284 f. 130 Galli, Carlo : Politica e società al tempo del Governo Zoli (1957–1958), in : Gambetta ; Mirabella, (Hg.) : Adone Zoli, S. 18–21 ; Kogan : A Political History of Postwar Italy, S. 122 f. 131 Luzzatto : Il Duce, S. 282.
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soll, an den Ereignissen und wohl auch an den Absichten Zolis vorbei. Selbstverständlich wäre der MSI mit der Rückgabe zufrieden gewesen, doch hatte sich die Partei lange nicht für die Restitution eingesetzt und konnte daher die Beisetzung nicht einmal als ihren Verdienst darstellen. Die Regierung hingegen konnte sich als versöhnlich demonstrieren und so sicherlich Stimmen von der (extremen) Rechten gewinnen. Mehr noch zeigten die Neofaschisten in Predappio, dass viele von ihnen dem Faschismus verhaftet blieben und dass sie reaktionärer waren, als ihr Parteichef Arturo Michelini glauben machen wollte.132 In Zolis Kabinett waren alle Strömungen der DC vereint und so kann nicht von einer grundsätzlichen Hinwendung zur Rechten ausgegangen werden. Vielmehr war auf einem Parteitag im Juli 1957 bereits die Öffnung nach links zur Sozialdemokratischen Partei erörtert worden.133 Somit ist keine eindeutige Kausalität zwischen der Sicherung von Stimmen und der Übergabe der Überreste an die Familie Mussolini nachzuweisen. Vielmehr haben Journalisten wie De Montecelli, die Familie, Illustrierte und christdemokratische Politiker jahrelang auf die Translation hingewirkt. Auch sind bisher keine Belege für Absprachen entdeckt worden. Demgemäß beanspruchte selbst der ehemalige Vorsitzende des MSI, Giorgio Almirante, in seiner Darstellung der Parteigeschichte keine Schlüsselposition für den MSI in der von ihm als historisches Ereignis für das italienische Volk beschriebenen Überführung Mussolinis.134 Daher erscheint die Begründung der Rückgabe der Überreste als rein machtpolitisches Instrument zum Stimmenerhalt nur begrenzt tragfähig, schließlich hatte sich der MSI auch in den Jahren zuvor nicht besonders für die Übergabe und Wiederbestattung Mussolinis engagiert. Erst im Rahmen des Prozesses gegen die kommunistischen Partisanen in Padua im Sommer 1957 wurde das Thema auch von den Neofaschisten wieder aufgegriffen, und nachdem die Gerüchte über die bevorstehende Rückführung bekannt geworden waren, beteiligte sich auch die Parteizeitung »Il Secolo d’Italia« an der Imagekampagne zugunsten Predappios. Als der vermeintliche Zeitpunkt gekommen war und es keine Anzeichen für eine Translation gab, begann die Parteizeitung des MSI, 132 Sircana : Art. »michelini, Arturo«, S. 227. 133 Ebenda ; Rossi, Mario Giuseppe : Una democrazia a rischio. Politica e conflitto sociale negli anni della guerra fredda, in : Barbagallo, Francesco (Hg.) : Storia dell’Italia repubblicana. Bd. 1. La costruzione della democrazia. Della caduta del fascismo agli anni cinquanta, Turin 1994, S. 911–1005, hier S. 1003 ; Art. »Zoli, Adone«, in : Gilbert ; Nillson (Hg.) : Historical Dictionary of Modern Italy, S. 383. 134 Almirante, Giorgio ; Palamenghi-Crispi, Francesco : Il Movimento sociale italiano, Mailand [ca. 1958].
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fast täglich Statusmeldungen aus dem Ort zu veröffentlichen, die offenbar Druck auf die Regierung ausüben sollten, endlich die Gebeine herauszugeben.135 Doch der Ministerpräsident erklärte auf Nachfragen von Journalisten, dass allein die Familie ein Recht habe, sich mit der Frage der Überführung zu befassen.136 Daraufhin warf »Il Secolo d’Italia« ihm vor, die Familie Mussolini müsse sich nur mit dieser Frage beschäftigen, weil die Nachkriegsregierungen ihr in völliger Missachtung christlicher Grundsätze und der öffentlichen Meinung den Leichnam vorenthielten. Die Zeitung leitete daraus eine Verpflichtung der Regierung zur Herausgabe der Gebeine ab. Im gleichen Artikel warf sie dem Ministerpräsidenten vor, er ignoriere aus antifaschistischer Borniertheit heraus die nationale Bedeutung der Überführung ; diese Ignoranz könne sich auch rächen. Diese Drohungen blieben aber vage und, was für die Frage der geheimen Absprachen noch wichtiger ist, Zoli wurde nicht vorgeworfen, getroffene Vereinbarungen verletzt zu haben. Stattdessen bemühte der Artikel noch einmal das Motiv des unversöhnlichen Antifaschismus und verwies so auf den Antagonismus, der bisher der Übergabe des Leichnams an die Familie im Wege gestanden hatte, wobei die Schuld dafür ausschließlich den Christdemokraten angelastet wurde. Auf Absprachen zwischen MSI und DC deuteten diese Äußerungen jedenfalls nicht hin. Die Spekulationen über eine bevorstehende Restitution endeten am 30. August, als die Pressestelle des Innenministeriums bekannt gab, dass der Leichnam des ehemaligen Duce in Predappio an seine Witwe übergeben worden sei.137 Welche Absprachen im Vorfeld der Translation getroffen worden waren, wurde den Medien jedoch nicht mitgeteilt. Nach Recherchen Sergio Luzzattos soll die Regierung in Abstimmung mit der Witwe die Überführung am 15. August befürwortet haben, da an dem traditionellen Ferienbeginn keine Zeitungen erschienen. Weil Rachele aber auf eine Aufbahrung bestanden 135 In Il Secolo d’Italia : Scalmo, Leo : »›Si faccia religioso silenzio‹ dice il Parroco di Predappio. La consegna della salma del Duce non è ancora avvenuta«, 17. August 1957, S. 1/6 ; ders : »Serena attesa nel paese del Duce. ›Perché non ce lo danno ancora‹«, 18. August 1957, S. 1/3 ; »Delusione e amarezza regnano a Predappio«, 20. August 1957, S. 1/6 ; Scalmo, Leo : »›Sarebbe il più gran dono‹ dicono i compaesani del Duce«, 21. August 1957, S. 1. 136 »Vietato parlare della salma del Duce. L’ultima trovata di Zoli«, in : Il Secolo d’Italia, 24. August 1957, S. 1. 137 »Consegnata ai familiari la salma di Mussolini«, in : Avanti !, 31. August 1957, Nuova Seria, S. 1 ; Cervi, Mario : »La salma di Mussolini consegnata alla vedova nel cimitero di S. Cassiano«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 31. August 1957, S. 1 ; »La salma di Mussolini restituita ai familiari«, in : Il Popolo, 31. August 1957, S. 1.
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hätte, sei es zu einer Verzögerung gekommen.138 In den Memoiren der Witwe wird hingegen der Eindruck erweckt, sie habe auf diesen erneuten Vorstoß zur Rückgabe zunächst keine großen Hoffnungen gesetzt. Sie beschreibt, wie der ehemalige faschistische Bürgermeister Predappios und Cousin von Adone Zoli, Pietro Baccanelli, sie auf Ischia aufgesucht habe, um ihr mitzuteilen, dass der Ministerpräsident die Restitution des Leichnams beschlossen habe, sie aber inzwischen nicht mehr zu viel Vertrauen in solche Versprechen gesetzt habe.139 Dass sie keine Hoffnung mehr auf die Rückgabe hatte, erscheint vor dem Hintergrund ihrer eigenen Bemühungen um öffentliche Anteilnahme unwahrscheinlich, vielmehr gehörte dies zu ihrer Stilisierung als trauernde Witwe und war eine Spitze gegen die vorangegangenen Ministerpräsidenten. Als dann ein Kommissar der Insel Ischia zu ihr gekommen sei, um die Rückgabeabsicht zu bestätigen, ihr aber gleichzeitig Geheimhaltung auferlegt habe, habe sie ihm ihren Wunsch unterbreitet, an den Ort gebracht zu werden, wo der Leichnam bisher verborgen war, um ihn in einen einfachen, aber würdevollen Sarg umzubetten.140 Sie behauptete, Agnesina habe ihr 1955 erzählt, wie die Gebeine ihres Mannes aufbewahrt würden. Nachdem sie schon den Sarkophag in Auftrag gegeben hatte, erweckte sie in den Memoiren den Anschein, sie habe sich auch um Einflussnahme auf die Gestaltung der Restitution bemüht. Die Serie in »Oggi« war ein anderes Beispiel für ihre Versuche, die Regierung zu beeinflussen. Dass sie aber noch während der Veröffentlichung der Erinnerungen an ihren Mann dessen Leichnam zurückerhalten würde, scheint sie nicht gewusst zu haben. Zumindest hätte »Oggi« dann sicherlich in dem Heft, das direkt nach der Restitution erschien, einen Platz dafür reserviert. So brachte die Illustrierte die Folge über die Bestattung erst am 12. September und damit fast zwei Wochen nach dem Begräbnis.141 In dieser Version ihrer Memoiren erhob Rachele Mussolini aber erstmals den Vorwurf, sie habe sich von der Regierung nicht angemessen in die Vorbereitungen eingebunden gefühlt. Insofern ist nicht klar, ob sich die italienische Regierung überhaupt um eine Abstimmung 138 Luzzatto : Il Duce, S. 288. 139 Dazu die rückblickende Rekonstruktion der Ereignisse durch Anita Pensotti : La restituzione dei resti, S. 51–56, und Pasqui, Umberto : Storie di Forlì, Forli 22014, S. 177–179. 140 Dieser Aspekt tritt bei Rachele immer wieder auf, Mussolini ; Pensotti : »Benito il mio uomo. [VIII]« ; bzw. dies.: Benito, il mio uomo, S. 305 f., und Pensotti : La restituzione dei resti, S. 52. 141 In der ersten Ausgabe nach dem Begräbnis erschien die Folge »[VII] I miei rapporti con la regina Elena«, in : Oggi, 5. September 1957, S. 18–27. Auch »[VIII] La verità sulla salma«, in : Oggi, 12. September 1957, S. 14–21.
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mit der Witwe bemüht hat oder ob sie diese lediglich über die bevorstehenden Schritte informierte. Als in »Il Popolo« angekündigt wurde, dass mit einer Reise Zolis nach Ischia zu rechnen sei, da er dort den Staatspräsidenten besuche,142 hatte dies offenbar in Rachele die Hoffnung gestärkt, dass der Ministerpräsident bei dieser Gelegenheit auch mit ihr sprechen würde.143 Doch er hatte anscheinend zu keinem Zeitpunkt direkt mit der Witwe Mussolinis Kontakt, sondern stets Mittelsmänner eingesetzt. Während er betonte, die Frage der Restitution sei eine Angelegenheit der Familie Mussolini, wollte er selbst offenbar nicht noch enger mit dieser Familie in Verbindung gebracht werden und so die Gerüchte um einen persönlichen Gefallen weiter anheizen. Erst nachdem Zoli Ischia wieder verlassen hatte, soll erneut ein Kommissar zu Rachele gekommen sein, um ihr mitzuteilen, dass ihre Präsenz in Predappio benötigt werde. Sie habe dem Beamten jedoch erklärt, dass die Reise ziemlich umständlich sei und sie nicht garantieren könne, unidentifiziert zu bleiben. Der Kommissar soll daraufhin nach Rücksprache mit dem Präfekten von Neapel erklärt haben, dass man sich um ihren Transport nach Predappio kümmern werde.144 Am Morgen des 29. August wurde sie dann per Polizeiboot auf das Festland und von dort in ihr Haus bei Predappio gebracht. Während die Zeitungsberichte über die Herausgabe des Leichnams suggerierten, die Witwe sei in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Bett und nach Predappio gebracht worden, nimmt die Witwe selbst dieser Dramatisierung die Wirkung. Anstatt das ihr entgegengebrachte Mitgefühl auszukosten, beschrieb sie, wie sie mit den Beamten verhandelt und so Einfluss auf die Ereignisse genommen habe.145 Während Rachele Mussolini und ihre Ghostwriterin Anita Pensotti in den Memoiren, die 1957 erschienen, sicherlich die Absicht hatten, die Rolle Racheles im Leben Benito Mussolinis und darüber hinaus auszuschmücken, erscheint ihre Schilderung der Ereignisse, wonach sie vor der Translation informiert wurde, glaubhaft. 142 »Zoli rientrato a Roma«, in : Il Popolo, 26. August 1957, S. 1 ; sowie »Lungo colloquio di Gronchi con Zoli e Pella ad Ischia. In preparazione del viaggio del Presidente in Persia«, in : L’Unità, Nr. 204, 28. August 1957, S. 1. 143 So zumindest dargestellt bei Mussolini ; Pensotti : Benito, il mio uomo, S. 307, und Pensotti : La restituzione dei resti, S. 53. 144 Mussolini ; Pensotti : Benito, il mio uomo, S. 308 ; Pensotti : La restituzione dei resti, S. 54. 145 »Mussolini ha una tomba«, in : Epoca, 8. September 1957, S. 26–30, hier S. 26 ; Hospital, Jean d’ : »Le corps de Mussolini vient d’être rendu à sa famille par les pouvoirs publics«, in : Le Monde, 1./2. September 1957, S. 9 ; Cervi, Mario : »La cerimonia del riconoscimento«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 31. August 1957, S. 1.
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Ankunft in Predappio Bereits am Tag vor Racheles Reise nach Predappio hatten sich Agnesina, der nun in Rom bei der Behörde zum Erhalt der öffentlichen Sicherheit tätig war, sowie Pater Carlo, der den Konvent als Zwischenstation zur Verwahrung der Gebeine Mussolinis ausgewählt hatte, nach Cerro Maggiore begeben, um die Kiste mit den Gebeinen Mussolinis aus ihrem Versteck zu holen und unter Geheimhaltung nach Predappio zu transportieren.146 Über den Bestattungsort hatte es spätestens seit der Meldung in »Epoca«, die Witwe habe in Predappio einen Sarkophag in Auftrag gegeben, keine Zweifel mehr gegeben. Die Überführung der Leiche wurde nicht zelebriert, sondern so geheim und unauffällig wie möglich gehalten.147 Dabei wurde nicht einmal ein Leichenwagen für den Transport verwendet, sondern ein normaler PKW, auf dessen Rücksitzbank die Kiste mit den Gebeinen deponiert wurde.148 Es erfolgte also kein Leichenzug, der als Ausdruck der Ehrung hätte gedeutet werden können oder der der Bevölkerung zwischen Mailand und Forlì die Gelegenheit gegeben hätte, sich entlang des Weges zu platzieren, um ähnlich wie bei der Translation des Unbekannten Soldaten durch Italien in den 1920er Jahren dem Transport beizuwohnen.149 Gleichzeitig entzog dies auch den Kommunisten ein Anschlagsziel, schließlich hatten sich diese bisher am kritischsten gegenüber der Herausgabe der Leiche geäußert.150 Doch zu wirklichen Demonstrationen vor dem Friedhof scheint es rund um den ursprünglich genannten Überführungstermin nicht gekommen zu sein. Der Transport des Leichnams über Mailand nach Predappio wurde auch von einem Vertreter der Mailänder Questura, einigen Carabinieri und den beiden Pathologen Cazzaniga und Cattabeni begleitet. Diese Abordnung übergab im Beisein von Vertretern der Questura in Forlì der Witwe Mussolini gegen Mittag des 30. August 1957 auf dem abgeriegelten Friedhof San Cassiano die Kiste 146 »Il Diario di Padre Carlo«, in : Bonacina : La salma nascosta, S. 135. 147 So betonte Rachele Mussolini immer wieder, dass ihr verboten wurde mit irgendjemand, selbst mit ihren Kindern, über die Verhandlungen und später über die Translation zu sprechen, Pensotti : La restituzione dei resti, S. 52–54. 148 Pensotti : La restituzione dei resti, S. 65 und 68, und »Il Diario di Padre Carlo«, in : Bonacina : La salma nascosta, S. 138 f. 149 Zur Überführung des Unbekannten Soldaten nach Rom zum 4. November 1921 Reichardt : Faschistische Kampfbünde, S. 537–541 ; Tobia : Monumenti ai caduti, S. 45–62 ; sowie Kapitel 3.2.2. 150 »La salma di Mussolini consegnata stasera !«, in : L’Unità (Nuova serie), 17. August 1957, S. 1.
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mit den Überresten ihres Mannes.151 Die Präsenz dieser ranghohen Beamten macht deutlich, dass die italienische Regierung die Übergabe juristisch korrekt durchführen wollte und alle in das Verfahren der Umbettung involvierten Stellen bei der Herausgabe an die Familie dabei sein sollten, ohne die Regierung direkt in Erscheinung treten zu lassen. Zudem zeigte die Anwesenheit der Mönche, dass die Regierung hier nicht alleine handelte, sondern eine enge Zusammenarbeit mit den Kapuzinern und dem Erzbistum Mailand bestanden hatte. Darauf wiesen anschließend auch die Zeitungsberichte dezidiert hin. Die Mönche waren außerdem ein beliebtes Fotomotiv für die offenbar bereits auf die Ankunft des Leichnams wartenden Fotoreporter. So sind im Bestand der in Mailand beheimateten Fotoagentur Publifoto einige Aufnahmen erhalten, die die Ankunft des schwarzen Packard und das Ausladen der Kiste durch die Mönche zeigen.152 Auf den meisten dieser Abbildungen ist im Hintergrund etwas von einer Ziegelwand und einem Holzverschlag zu erkennen. Auf anderen sieht man die Männer in überwiegend hellen Anzügen. Beides weist darauf hin, dass die Ankunft in Predappio keineswegs besonders festlich war. So wurden diese Aufnahmen zeitgenössisch kaum veröffentlicht, einzig »Oggi« und »Il Secolo« griffen auf sie zurück. Eine Aufnahme des Autos zusammen mit weiteren Fotografien vom Mittag des 30. August diente »Oggi« dazu, die Übergabe zu visualisieren, während der Text sich stärker mit den Ereignissen im Vorfeld beschäftigte.153 In der neofaschistischen Tageszeitung hingegen wurde nach der Berichterstattung über die Beisetzung Mussolinis eine Fotografie von Pater Carlo beim 151 Für die Rekonstruktion der Ereignisse Cervi : »La cerimonia del riconoscimento« ; »La salma di Mussolini restituita ai familiari. La consegna à avvenuta ieri al cimitero di S. Cassiano«, in : Il Popolo, 31. August 1957, S. 1 ; Furlani, Guglielmo : »Omaggio di popolo alla salma del Duce«, in : Il Secolo d’Italia, 31. August 1957, S. 1/3 ; Rosso, Francesco : »I resti mortali di Benito Mussolini restituiti dal governo ai familiari«, in : La Nuova Stampa, 31. August 1957, S. 1 ; »La salma di Mussolini consegnata alla vedova«, in : L’Unità (Nuova serie), 31. August 1957, S. 1 ; »Consegnata ai familiari la salma di Mussolini« ; Chaize, Paul : »Rendus à sa famille par le gouvernement, les restes de Mussolini ont été inhumés chrétiennement hier«, in : Le Figaro, 2. September 1957, S. 3 ; »Mussolini In His Family Tomb. Remains Restored To Widow«, in : The Times, 31. August 1957, S. 6 ; »Mussolinis Gebeine. Die Kiste im Kloster«, in : Der Spiegel 37 (1957), S. 48–49 ; sowie Bonacina : La salma nascosta, S. 101 ; Luzzatto : Il Duce, S. 288–289 ; Pensotti : La restituzione dei resti, S. 67. 152 Fotografie publiziert in : Luzzatto : Il Duce, S. 289, Bonacina : La salma nascosta, S. 139 sowie Publifoto/Olycom, »Salma di Benito Mussolini«, Bild-Nr.: 03-00001585 und 0300001587. 153 »La Macchina camuffata«, abgedruckt in : Mussolini ; Pensotti : Benito il mio uomo [VIII], S. 14–21, Abb. S. 14.
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Handschlag mit Vincenzo Agnesina veröffentlicht (Abb. 38).154 Unter der Überschrift »Padre Carlo : il fedele custode della salma di Mussolini«155 (Pater Carlo : der treue Hüter des Leichnams Mussolinis) beschreibt der die Abbildung umgebende Artikel die Rolle, die der Mönch beim Verstecken des Leichnams gespielt habe. Allerdings beginnt der Text damit, die enge Verbindung herauszustellen, die der Kapuziner mit dem Senator des MSI und Gründer der Zeitung, Franz Turchi, und dessen Sohn Luigi habe, da Pater Carlo einst Luigi Turchi und andere Faschisten vor der Erschießung durch amerikanische Soldaten bewahrt habe. Nachdem der Mönch so bereits als den Neofaschisten wohlgesonnene Person eingeführt wurde, wurde er für sein Bemühen um einen respektvollen Umgang mit dem Leichnam gelobt. Er sei so integer, dass selbst Agnesina betont habe, niemand sonst hätte dieses Geheimnis bewahren können. In Bild und Text wurde so nicht nur dargestellt, dass die staatlichen Behörden auf die Unterstützung der katholischen Kirche angewiesen gewesen waren, sondern die Person, die nach dieser Lesart für das Versteck Mussolinis gesorgt hatte, wurde gleichzeitig von den Neofaschisten vereinnahmt. Statt die Regierung für den bisherigen Umgang mit dem Leichnam oder die rein funk tionale Gestaltung der Überführung zu kritisieren, beschrieb dieser Artikel, wie ein den Mitgliedern des MSI schon lange gewogener Mönch ›treu‹ über den Leichnam gewacht habe. Während die Witwe auch nach der Überführung und Beisetzung noch mit der Regierung haderte, begann die neofaschistische Partei mit der Verklärung der Ereignisse und konzentrierte sich auf die Verehrung Mussolinis. Auch »Epoca« veröffentlichte eine Aufnahme von Agnesina und Pater Carlo vor dem schwarzen Auto (Abb. 39). Im Gegensatz zu der Abbildung in »Il Secolo« werden die beiden und ein weiterer Mann hier jedoch nicht frontal beim Händedruck gezeigt, sondern in einer weniger strengen Komposition, in der Agnesina halb mit dem Rücken zur Kamera steht und sich zur Seite wendet, während der Mönch über etwas zu lachen scheint.156 Auf dieser Abbildung 154 BU : »Il Questore Agnesina si congratula a Predappio con Padre Carlo : … ›avete saputo conservare il segeto. Il solo segreto intatto del dopoguerra‹. (Telefoto al ›Secolo‹)«, in : Il Secolo d’Italia, 1. September 1957, S. 3 ; dieses entspricht Publifoto/Olycom, Bild-Nr.: 0300001587(403313). Auch BU : »L’ispettore generale Agnesina saluta il frate che ha accompagnato la salma. (Telefoto al ›Corriere della Sera‹)«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 31. August 1957, S. 2. 155 »Padre Carlo : il fedele custode della salma di Mussolini«, in : Il Secolo, ebenda. 156 Epoca, 8. September 1957, S. 30 unten. BU : »Agnesina, voltato per metà di spalle, è appena disceso dall’auto nera americana con la quale la salma di Mussolini à stata trasportata fino
Transport | Abb. 38 : Abbildung von Pater Carlo und Agnesina in Predappio, in : Il Secolo d’Italia, 1. September, S. 3.
erscheinen die Beteiligten nicht nur gleichberechtigt, sondern auch kooperativ. Diesen Eindruck bestätigen auch die auf der Seite wiedergegebenen Erinnerungen Agnesinas an das Versteck und die Überführung Mussolinis.157 Die Illustrierte vermittelte so ihrem Publikum durch kleine Variationen in der Bildauswahl einen ganz anderen Eindruck von den Geschehnissen in Predappio. Ihre Präsentation legte den Schluss nahe, dass hier Staat und Kirche sehr eng und einvernehmlich zusammengearbeitet hatten, ohne dabei unterschiedliche Motive zu verfolgen. Doch Pater Carlos’ und Agnesinas Aufgabe endete nicht einfach mit dem Transport auf den Friedhof San Cassiano in Predappio. Zu der Übergabe an die Witwe gehörten eine erneute Leichenschau sowie ein Protokoll. Die Umbettung von Mussolinis Leiche im Sommer 1957 war von der Regierung angeordnet worden und als solche ein offizieller Rechtsakt. Daher wurde wie bei den vorangegangenen Verlagerungen der Überreste auch diesmal unter Zeugen a Predappio. Acconto a lui è padre Carlo da Milano, al secolo Domenico Valischi, il frate cappuccino che aveva in consegna i resti nel proprio Convento, a Cerro Maggiore«. 157 »Il racconto di Vincenzo Agnesina«, in : Epoca, 8. September 1957, S. 30.
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Abb. 39 : Abbildung von Pater Carlo und Agnesina in Predappio, in : Epoca, 8. September 1957, S. 30.
die Identität des Leichnams überprüft und bestätigt. Dies wurde durch die personellen Kontinuitäten zu den Jahren 1945 und 1946 nicht nur erleichtert, sondern der Vorgang erhielt dadurch auch mehr Glaubwürdigkeit. So organisierte Agnesina nun das dritte Mal den Transport und brachte die beiden Gerichtsmediziner Caio Mario Cattabeni, der die Leichen des Piazzale Loreto 1945 obduziert hatte, und Antonio Cazzaniga, der die Obduktion nach dem Diebstahl 1946 durchgeführt hatte, in die Romagna – eine Region, die nicht mehr in deren Zuständigkeitsgebiet gefallen sein dürfte.158 Doch die lokalen Behörden waren durch Vertreter der Questura in Forlì ebenfalls an der Übergabe beteiligt. 158 Baima Bollone : Le ultimo ore di Mussolini, S. 204 f., betont, dass beide Mediziner bei allen drei Obduktionen beteiligt waren. Dies hat sich aber nicht bestätigen lassen.
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Da die beiden Pathologen mit nach Predappio gereist waren, erscheint der von Rachele Mussolini in ihren Memoiren formulierte Anspruch, die Öffnung des Sarges und die Leichenbeschauung sei dieses Mal nur auf ihr Drängen erfolgt, nicht plausibel. Allerdings soll Agnesina eine bereits fertig ausgearbeitete relazione sulla cerimonia della consegna, also den Bericht über die Übergabezeremonie, mit sich geführt und von ihr nur noch eine Unterschrift verlangt haben.159 Doch egal ob die Öffnung des Sarges nun auf den Wunsch der Witwe oder der Regierung erfolgte, so weist der gesamte Ablauf darauf hin, dass die Regierung großen Wert auf ein rechtlich korrektes Vorgehen in Form eines Übergabeformulars legte. Gleichzeitig gewährleistete die Beteiligung der Kapuzinerbrüder, dass auch die religiösen Anforderungen erfüllt wurden. So beschrieb Pater Carlo, wie er die Kiste mit den Überresten mit Weihwasser besprengte und kurz in Stille gebetet wurde, bevor die Ärzte und ihre Helfer begannen, die Holzverkleidung und den Zinksarg zu öffnen.160 Die Gerichtsmediziner verglichen die vor ihnen liegenden Überreste genau mit den Befunden der beiden vorausgegangenen Obduktionen und Agnesina verfasste ein neues Protokoll.161 Dass Rachele Mussolini nach der Begräbnisfeier behauptete, die Leichenbeschauung initiiert zu haben, könnte zwei Gründe gehabt haben. Zum einen, dass sie sich schlicht weigerte, den Bericht über die Zeremonie der Lieferung zu unterzeichnen, da er nach ihren Angaben eine Formulierung enthielt, die ihre Dankbarkeit gegenüber der Regierung zum Ausdruck bringen sollte.162 Zum anderen, dass auch für die Witwe und die Familie Mussolini eine Leichenschau wichtig war – dies nicht nur, weil sie sicher gehen wollten, keinen leeren Sarg oder Ähnliches zu erhalten, sondern um erneut ihren Einfluss auf die Gestaltung der Translation und ihre Unabhängigkeit gegenüber der Regierung zu demonstrieren. Tatsächlich veröffentlichten sowohl »Oggi« wie auch »Epoca« Fotografien, die Agnesina beim Tippen des Protokolls zeigten.163 »Epoca« ging sogar noch 159 Pensotti : La restizutione dei resti, S. 70. 160 »Il Diario di Padre Carlo«, in : Bonacina : La salma nascosta, S. 141, und »Mussolinis Gebeine. Die Kiste im Kloster«, in : Der Spiegel 37(1957), S. 48–49, hier S. 48. 161 Dazu Bonacina : La salma nascosta, S. 101. 162 Pensotti : La restituzione dei resti, S. 70. 163 BU : »Agnesina scrive il verbale«, in : Oggi, 12. September 1957, S. 17 ; BU : »Solo pochi hanno potuto assistere a questa scena nella camera mortuaria del cimitero di San Cassiano : mentre il parroco benedice la salma, il questore Agnesina, seduto al tavolo, scrive a macchina il verbale di consegna«, in : Epoca, 8. September 1957, S. 26 unten links.
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einen Schritt weiter und publizierte ein Bild der Kiste ohne Deckel. Allerdings ist der Inhalt der Kiste durch die sie bedeckende Folie nicht zu erkennen.164 Während die italienischen Illustrierten der Übergabe einschließlich der Obduktion also besondere Aufmerksamkeit schenkten, veröffentlichte »Il Secolo d’Italia« kein einziges Bild aus dem Inneren der Leichenhalle. In Anbetracht der zahlreichen Aufnahmen, die die neofaschistische Parteizeitung publizierte, scheint es Absicht zu sein, dass keine Fotografien veröffentlicht wurden, die die Aktivität der Regierung zeigten. Die einzige Ausnahme war die Abbildung des Handschlags zwischen Pater Carlo und Agnesina, die jedoch vor allem den Beitrag des Mönchs visualisieren sollte. Die Witwe beschrieb rückblickend, dass sie bei der Öffnung des ungewöhnlichen Sarges festgestellt habe, dass man ihrem Mann nicht einmal ein Kreuz mitgegeben hatte. Pater Carlo habe ihr daraufhin ein kleines Holzkreuz gereicht, das sie auf den Sarg gelegt habe.165 Dieses Detail demonstriert, welche geringe Bedeutung die christlichen Elemente und insgesamt der pietätvolle Umgang mit Mussolini nach 1945 zunächst für die Vertreter der jeweiligen italienischen Regierungen gehabt haben. Dass der unförmige Sarg ohne jeglichen Schmuck auch für die Überführung verwendet wurde, zeigte, dass die Regierung keinerlei Interesse daran hatte, Mussolini zu ehren. Das Material war so gewählt, dass es in deutlichem Kontrast zu den lackierten, polierten und häufig mit christlichen Symbolen versehenen Särgen stand, wie sie aus dem landestypischen Funeralprunk bekannt waren. Wenn Mussolinis Witwe nun ein Kreuz auf die Kiste mit den Gebeinen ihres Mannes legte, so ist dies eine Aufwertung des ungewöhnlichen Sarges und Ausdruck von Tradition, also des Bemühens um einen normalen, achtungsvollen Umgang mit dem Toten, im Gegensatz zu der bisherigen Gestaltung. Die Spannung zwischen dem respektvollen, aber eben auch religiösen Traditionen entsprechenden Umgang mit der von der Regierung als Rechtsakt verstandenen Übergabe der Überreste erfasst eine Abbildung, auf der ein Priester den Leichnam im geöffneten Sarg segnet, dabei aber von einem Mann in Uniform, der hinter ihm steht, genau beobachtet wird (Abb. 40). Die Aufnahme wurde, obwohl sie in starkem Gegenlicht entstanden ist und der Kopf des Priesters kaum erkennbar ist, sowohl in »Oggi« 164 BU : »Venerdì a mezzogiorno, quando Rachele ha ricevuto la salma, la cassa era ricoperta da un semplice foglio di cellofan. Sotto di esso si scorgeva lo scheletro di Benito Mussolini, con le ginocchia ripiegate fin quasi al mento«, in : Epoca, ebenda unten rechts. 165 Pensotti : La restituzione dei resti, S. 78 f., und »Il Diario di Padre Carlo« in : Bonacina : La salma nascosta, S. 143.
Transport | Abb. 40 : Priester an der geöffneten Kiste und Agnesina an der Schreibmaschine abgebildet, in : Oggi, 12. September 1957, S. 16 f.
wie in »Epoca« abgedruckt.166 Offensichtlich empfanden die Bildredakteure beider italienischer Illustrierter diese Szene für so bedeutend, dass sie sie trotz der minderen Qualität verwendeten. Obwohl Rachele angeblich erwogen hatte, die Gebeine ihres Mannes schon vor dem Transport in einen würdigeren Sarg umzubetten, gibt es keinen Hinweis darauf, dass sie dies tatsächlich versucht hatte. Das kleine Kruzifix, das die Kiste aufwertete und an einen traditionellen Sarg erinnerte, blieb das einzige Zugeständnis, der Witwe. Auch den Vorschlag eines Neffen, Mussolini die Uniform eines Corporale delle Camicie Nere, also eines Korporals der Schwarzhemden, beizugeben, soll sie auf Anraten Pater Carlos verworfen haben.167 Allerdings kann die Überlegung, den Überresten nach zwölf Jahren eine Uniform beizulegen, als Respekterweis verstanden werden. Innerhalb der Familie gab es offenbar ein Bedürfnis nach einem respektvollen Umgang mit dem Leichnam, doch hatte nicht einmal die Witwe eine konkrete Vorstellung davon, wie dieser genau aussehen sollte. Dass sie auf militärische bzw. faschistische Embleme 166 Oggi, 12. September 1957, S. 16–17 und Epoca, 8. September 1957, S. 26 unten links. 167 So zumindest rekonstruiert es Bonacina : La salma nascosta, S. 102.
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im Sarg verzichtete, kann an der Anwesenheit der Regierungsvertreter gelegen haben, mag aber auch darauf hindeuten, dass diese paramilitärische Ehrung ihres Mannes für die Witwe keine Bedeutung hatte. Schließlich wurde der Sarg wieder verschlossen, so dass dieses Element für die sich bereits am Friedhof versammelnden Schaulustigen nicht ersichtlich gewesen wäre. Das Kreuz und der schriftliche Verweis auf diese Geste hingegen fügten sich in die Stilisierung Racheles als treue und trauernde Witwe, die sich um das Seelenheil ihres Mannes sorgte. Allerdings erhielt Mussolini noch eine weitere »Grabbeigabe«, nämlich kleine Stücke seines eigenen Gehirns, welche ihm bei der Obduktion im Jahre 1945 entnommen worden waren. Hierbei handelte es sich um eine Rückgabe der Proben, die im Gerichtsmedizinischen Institut der Universität Mailand verblieben waren. Die anderen Proben waren zu Untersuchungszwecken von den Alliierten mit in die Vereinigten Staaten genommen worden.168 Die Leichenschau, die mit der Übergabe an die Witwe einherging, bedeutete nochmals eine Zäsur im Umgang mit der Leiche, denn Mussolini war bereits für Cerro Maggiore in ein neues dauerhaftes Behältnis gelegt und dort von einem Priester zur Ruhe gebettet worden. Die erneute Störung der Totenruhe und Obduktion unterbrachen den damit begonnenen Zyklus, wie schon der Raub und die Autopsie im Jahre 1946 eine Unterbrechung der Totenruhe und des begonnenen Zeremoniells dargestellt hatten. Die Regierungsvertreter zogen sich nach dieser Autopsie zurück und überließen die Leiche ganz der Familie. Damit konnte diese selbst über die Gestaltung und den Ablauf des weiteren Zeremoniells entscheiden, eine Tatsache, die den Zäsurcharakter zusätzlich verstärkte. In den Erinnerungen Rachele Mussolinis, wie sie die Journalistin Anita Pensotti festgehalten hat, wird deutlich, wie sehr die Witwe sich darum bemühte, auf die Gestaltung der Restitution Einfluss zu nehmen oder zumindest so zu wirken, als habe sie dies getan. Während der Transport Pétains von der Aufbahrung in Val-de-Grâce auf seine Gefängnisinsel keine drei Stunden gedauert hatte, benötigte der Transport Mussolinis von der Aufbahrung bei der Pressekonferenz bis zum Friedhof seines Heimatortes elf Jahre. In der Zwischenzeit hatte sich die Kiste mit seinen Gebeinen zwar nicht physisch bewegt, doch fiktiv hatte Mussolini viele Gräber gehabt. Dabei machten diese Spekulationen über seine Grabstätte zum einen das Interesse und den Wunsch nach Gewissheit über seinen Verbleib in der 168 Bonacina : La salma nascosta, S. 101 ; Pensoti : La restitutione dei resti di Mussolini nel drammatico racconto della vedova, S. 71 ff., mehr zur Vorgeschichte in Kapitel 2.3.2.
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Bevölkerung deutlich, zum anderen aber auch, dass nur eine kleine Minderheit dem Faschismus verhaftet blieb. Vielmehr existierte eine große Gruppe, die weder dem Neofaschismus noch dem Antifaschismus zuzurechnen war. Gerade auf diese Personen müssen die fortwährenden Gerüchte über die Bestattungsorte Mussolinis irritierend gewirkt haben, denn mit jeder Meldung wurden sie daran erinnert, dass sie selbst eine faschistische Vergangenheit hatten, die aber – egal, welches Verhältnis sie zum Regime gehabt hatten – noch nicht bewältigt war. Für ihre Selbstvergewisserung war es wichtig, die eigene faschistische Vergangenheit dadurch hinter sich zu lassen, dass Mussolini endgültig bestattet wurde.169 Sowohl in Frankreich als auch in Italien beeinflussten die Familien der toten Regimeführer, wohin die Leichname transportiert wurden. Doch während es in Italien der Witwe Mussolinis, die von vielen immer noch ehrenvoll als Donna Rachele bezeichnet wurde, gelang, den Eindruck zu vermitteln, dass es sich bei der Familie Mussolini um eine geschlossene Einheit handele und sie mit diesem Familiensinn auch die Überführung des Toten in den Heimatort begründete,170 konnte die französische Regierung den Dissens innerhalb der Verwandtschaft Pétains dazu nutzen, sich einen Bestattungsort auszusuchen und gleichzeitig die Unterstützung der Familie zu proklamieren. Die Legitimation wurde dadurch zur Schau gestellt, dass ein Familienvertreter beim Transport anwesend war, wohingegen die Witwe Mussolinis den Sarg nur in Empfang nehmen durfte. In Italien arbeitete die Regierung mit einem dritten Akteur zusammen, nämlich dem Erzbistum Mailand. Diese Kooperation bestand seit 1945 und wurde bis zur Restitution fortgesetzt. Die Mönche zogen sich auch zusammen mit den Regierungsvertretern aus Predappio zurück und überließen die Begräbnisfeier dem örtlichen Priester. In Frankreich hatten weder die katholische Kirche noch die Blutsverwandten so eng mit der Regierung zusammengearbeitet. Mussolinis Witwe war von der Regierung zum Warten gezwungen worden, doch auch der Großneffe Pétains war nicht aktiv in die Gestaltung 169 Dazu auch Luzzatto : Il Duce, S. 170. 170 Zur Rolle Rachele Mussolinis für die Familie, Canali, Mauro : Art. »Guidi, Rachele«, in : Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 61, Rom 2003, S. 285–289 ; Motti, Lucia : Art. »Rachele Mussolini«, in : De Grazia ; Luzzatto (Hg.) : Dizionario del fascismo. Bd. 2, S. 195– 200 ; Collura, Matteo : »Edda e Rachele, un inferno in famiglia«, in : Corriere della Sera, 2. September 2001, S. 27. Dass es in der Familie Mussolini dazu gehörte, ein Familienbild zu konstruieren, das mit der Realität wenig zu tun hat, hat unlängst Paul Ginsborg noch einmal betont, Ginsborg, Paul : Die geführte Familie. Das Private in Revolution und Diktatur 1900–1950, Hamburg 2014, S. 243–246.
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des Transports eingebunden, sondern trat neben den militärischen Elementen kaum in Erscheinung. Überhaupt keine Präsenz zeigten in Frankreich die Vereinigungen, die sich dem Andenken an Pétain verschrieben hatten. In Italien, wo es keine solchen Vereinigungen gab – das Gesetz Scelba sollte genau solche Initiativen unterbinden –, hatte die neofaschistische Partei mehrere Jahre Zeit gehabt, sich mit der Frage der Translation Mussolinis zu beschäftigen, doch verfolgte sie diese nicht konsequent. Die Neofaschisten beriefen sich nur auf den Leichnam Mussolinis, wenn es ihnen tagespolitisch angemessen erschien. Trotz des Unterschieds in der zeitlichen Gestaltung und im Charakter des Bestattungsortes lassen sich also zwischen den beiden Fällen deutliche Gemeinsamkeiten feststellen. Zu diesen gehört neben der Bemühung um juristische Korrektheit auch die Abschottung des Transportes, einmal per Flugzeug und Taxi, das andere Mal in dem ungewöhnlichen Sarg in einem privaten Auto. In beiden Ländern wurde den Verstorbenen also bei der letzten Etappe vor der Wiederbestattung die Ehre eines Leichenwagens verweigert. So wurde der funktionale Aspekt des Transports betont, gleichzeitig jede Ehrung oder Bezüge zu Staatsbegräbnissen negiert. Doch während in Frankreich die Ermittlungsbeamten den Sarg in Empfang nahmen und die Wiederbestattung als Abschluss des Verfahrens überwachen wollten, reisten Agnesina und die Mönche ab und überließen so der Witwe das Feld. Obwohl die lokalen Sicherheitskräfte vor Ort blieben, markiert dies doch einen grundsätzlichen Unterschied in der Gestaltung. Mussolini wurde der Familie überlassen, während Pétain im Beisein ›der Familie‹ in sein Grab zurückgebracht wurde.
4.3 Bestattung Den Wiederbestattungen stand nun weder in Frankreich noch in Italien etwas entgegen. Die Sicherheitskräfte beider Länder hatten die Leichen an ihre Bestimmungsorte gebracht und dort an Verwandte und lokale Autoritäten übergeben. Während dem Leichnam Mussolinis bisher jegliche Ehren vorenthalten worden waren und ihm zunächst nur ein Armengrab zugestanden wurde, hatte Pétain bereits 1951 ein christliches Begräbnis mit Prozessionen, einer heiligen Messe mit gleich zwei Bischöfen und eine öffentliche Beisetzung erhalten. Insofern ist zu prüfen, ob der Akt der Wiederbeisetzung ebenfalls so aufwändig zelebriert wurde. In Italien hingegen konnten die Angehörigen nun erstmals die Begräbnisfeier mitgestalten. Im Folgenden wird daher analysiert, welchen Einfluss die Familien auf die Form der Bestattungen nahmen und welche an-
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deren Akteure daran beteiligt waren. Schließlich war nach dem Diebstahl der Gebeine Mussolinis von unterschiedlichen Seiten immer wieder eine christliche Beisetzung gefordert worden. Wurde diese Erwartung nun erfüllt ? Oder überwogen doch die Reminiszenzen an die Zeit des Faschismus, wie sie in der Gestaltung des Sarkophags zu erkennen waren ? Die Analyse orientiert sich an dem durch die Exequien und Bestattungs traditionen vorgegeben Ablauf, beginnend mit der Prozession zur Kirche, über die Aufbahrung in der Kirche und den Gottesdienst, mit dem anschließenden Leichenzug zur Grabstätte und der Beisetzung. Außerdem wird auch untersucht, ob es Veranstaltungen des Totengedenkens gab, die in direktem Bezug mit den Begräbnisfeiern standen. 4.3.1 Pétain kehrt in sein dauerhaftes Provisorium zurück Das als Leichenwagen fungierende Taxi brachte den Sarg in einem Konvoi von Polizeifahrzeugen zur Kirche in Port Joinville, wo schon die erste Totenmesse für Pétain zelebriert worden war.171 Von einer Prozession zur Kirche, bei der Gemeinde und Priester den Verstorbenen abholen, kann also diesmal nicht gesprochen werden. Vielmehr warteten die Inselbewohner in der Kirche auf die Ankunft des Sarges und der ihn begleitenden Beamten des Departements. Vier Einheimische trugen den immer noch in die französische Flagge gehüllten Sarg in die Kirche, wo er vor dem Altar aufgestellt wurde. Dass diesen Ehrendienst nun niemand von den anwesenden Gendarmen übernahm, obwohl in Val-deGrâce der Sarg von ihnen getragen worden und auch der Transport durch das Militär erfolgt war, zeigt, dass hier keine weiteren Ehrungen intendiert waren, sondern mit der Ankunft auf Yeu die Sicherheitskräfte nur noch der Überwachung des Begräbnisses dienten. Die Aufbahrung in der Kirche wies zahlreiche Bestandteile auf, die schon 1951 verwendet worden waren ; so standen vier Kerzenständer um den Sarg und die Insignien des Marschalls wurden auf Kissen präsentiert. Dazu gehörten das Képi, die Militärmedaille sowie die weißen Handschuhe.172 Publiziert 171 Da der Zugang zur Insel eingeschränkt worden war, waren nur wenige Korrespondenten vor Ort, weshalb die Beschreibung der Ereignisse dort meist sehr knapp gehalten wurde. Ausnahmen stellten vor allem »Pétain n’est pas allé à Douaumont«, und Caviglioli, François : »Comment on vole un maréchal«, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 26–29 und 31–33/83, und Miard, Lucien : »Un seul membre de la famille«, in : Le Figaro, 23. Februar 1973, S. 12, dar. 172 Ebenda, sowie »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 23. Februar 1973, S. 2.
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wurde nur eine Aufnahme aus dem Inneren.173 Auf dieser ist der Blick vom Altarraum in das Kirchenschiff zu sehen. Der Sarg unter der Trikolore mit Goldborte steht am rechten Bildrand, auf den Stufen davor liegen Blumen. Am linken Bildrand stehen zwei alte Männer mit einer blau-weiß-roten Standarte, auf der zwar kein Abzeichen zu erkennen ist, die aber durch den Kontext und die anderen beiden Aufnahmen der Doppelseite den Kriegsveteranen des Ersten Weltkriegs zuzuordnen ist. Außerdem zeigt die Aufnahme gut gefüllte Bankreihen im Kirchenraum, doch diesmal sind weder Mädchen in Tracht noch Generäle im Publikum zu erkennen. Vielmehr verwiesen auch einige textliche Beschreibungen darauf, dass überwiegend Seeleute und Fischer das Publikum bildeten. Selbst von der Familie waren keine weiteren Angehörigen auf die Insel gereist, einzig der Großneffe, der 1951 schon an den Trauerfeierlichkeiten teilgenommen hatte, war anwesend. Nicht einmal Jacques Isorni war anwesend, was sicherlich nicht nur an der Kurzfristigkeit, sondern in erster Linie an seiner Ablehnung der Wiederbestattung auf Yeu gelegen haben dürfte. Die Messe wurde diesmal nicht von Bischöfen gefeiert, sondern von dem Gemeindepfarrer. Dieser las aus den Paulusbriefen, wie sowohl »L’Aurore« »Le Figaro« und »Paris Match« vermerkten.174 Die Referenz auf die Bibelstelle wurde jedoch nicht dazu verwendet, um die religiösen Aspekte zu erörtern, sondern um darauf hinzuweisen, dass sich der Inselpfarrer um eine angemessene Predigt für die ungewöhnliche Situation bemüht habe, wenn auch gerade die konservative »Aurore« darauf hinweist, die Messe sei sehr kurz gewesen. Hingegen ist auffällig, dass gerade die italienischen Zeitungen auf die religiöse Gestaltung der Beisetzung als solche hinwiesen, während sich die französischen und internationalen Zeitungen überwiegend mit dem Hinweis auf die Rückkehr nach Yeu zufrieden gaben.175 In Italien, wo nach dem Diebstahl der Leiche Mussolinis die Forderung nach einem christlichen Begräbnis zentral gewesen war, wurde diese Erwartung nun anscheinend auf Pétain übertragen, ohne dass dezidierte Bezüge zwischen den beiden Fällen hergestellt wurden. Noch auffälliger ist jedoch, dass gerade die konfessionell ausgerichteten Zeitungen 173 Paris Match, 5. März 1973, S. 28 unten, BU : »›Dieu nous a donné des frères et nous avons, hélas, inventé la haine‹ a prêché l’abbé Gindreau, curé de l’église Notre-Dame du Port«. 174 »Le cercueil du maréchal a regagné son caveau dans le cimetière de l’île d’Yeu«, S. 3 ; Miard : »Un seul membre de la famille« ; Caviglioli : »Comment on vole un maréchal«, S. 32. 175 Bocchi, Lorenzo : »La quiete ritrovata di Pétain. Si è conclusa la macabre vicenda durata più di cento ore«, in : Corriere della Sera, 23. Februar 1973, S. 17 ; »Trovata la salma di Pétain e risepolta nell’ isola Yeu«, in : La Stampa, 23. Februar 1973, S. 14 ; »Il feretro di Pétain ›condannato‹ all’esilio. Riportato nell’Isola di Yeu«, in : Il Secolo d’Italia, 23. Februar 1973, S. 7.
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sehr lapidar über die kirchliche Trauerfeier für Pétain hinweggingen. »L’Osservatore Romano« berichtete zwar von der Wiederbestattung Pétains, allerdings beschäftigte er sich nicht mit der religiösen Zeremonie, sondern mit den politischen Implikationen der Entscheidung des Staatspräsidenten.176 Selbst die französische »La Croix«, die ansonsten ausführlich über die Ereignisse berichtet, vermerkte nur, es habe eine Messe gegeben.177 In Anbetracht der vehementen Anteilnahme der französischen Bischöfe und Kardinäle am Schicksal des Leichnams nach Pétains Tod ist es auffällig und erklärungsbedürftig, dass weder die katholischen Zeitungen noch die französische Bischofskonferenz auf die Entweihung des Grabes oder die Bedingungen der Wiederbestattung eingingen. Dies ist nicht einmal als Zurückhaltung zu bezeichnen, sondern geradezu als Umkehrung des Verhaltens von 1951. Dass sich diesmal keine Vertreter der katholischen Kirche in die Diskussion um den angemessenen Bestattungsort und die damit verbundene Erinnerung an Pétain einmischten, dürfte unter anderem damit begründet werden, dass die früheren Protagonisten nicht mehr im Amt waren. Ein Umdenken hatte bei ihnen nämlich nicht eingesetzt. So soll beispielsweise Kardinal Feltin, der seit 1966 im Ruhestand war, den an dem Diebstahl des Sarges beteiligten Steinmetz Michel Dumas zu sich in das Kloster von Thias eingeladen haben.178 Aus den Schilderungen des Steinmetzen geht hervor, wie sehr der inzwischen selbst neunzigjährige Kirchenmann Pétain bewunderte. Dies wiederum unterstreicht noch einmal, dass Feltin sowohl in den 1950er Jahren wie auch 1973 aus persönlicher Bewunderung für Pétain und nicht unbedingt aus einer kirchlichen oder christlichen Haltung heraus gehandelt hat. Im Gegensatz dazu wies der 28 Jahre jüngere Bischof von Verdun, Pierre Boillon, nach der Entwendung des Sarges darauf hin, dass die Entscheidung über eine Beisetzung in Douaumont allein bei der Regierung liege.179
176 »La salma di Pétain à stata riportata all’isola di Yeu«, in : L’Osservatore Romano, 23. Februar 1973, S. 7. 177 »Les quatre auteurs de l’enlèvement du cercueil du maréchal Pétain inculpés aujourd’hui«, in : La Croix, 24. Februar 1973, S. 14. 178 Dumas : La permission du Maréchal, S. 172–174 ; dazu auch Albert, Marcel : Die katholische Kirche in Frankreich in der Vierten und Fünften Republik, Rom 1999, S. 199. 179 »La Recherche du cercueil du maréchal Pétain«, in : La Croix, 22. Februar 1973, S. 11. Boillon beschrieb sich selbst als Widerstandskämpfer, der auch deutsche Soldaten getötet habe, »Hohlspiegel«, in : Der Spiegel 49 (1968), S. 226.
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Leichenzug Nach dem Gottesdienst geleitete die versammelte Gemeinde gemeinsam mit dem Großneffen Pétains, dem Präfekten der Vendée, dem Oberstaatsanwalt und dem Ermittlungsrichter den Sarg in einem Leichenzug zum Friedhof. Auch davon veröffentlichte »Paris Match« eine Aufnahme.180 Der Kondukt wurde dabei von einem etwas erhöhten Punkt aufgenommen. Am rechten vorderen Bildrand sind die Hinterköpfe der den Zug Säumenden zu sehen, den Frisuren nach handelt es sich dabei überwiegend um Frauen, während im Leichenzug Männer die Mehrheit bildeten. So wird dieser auch von einer Gruppe von Männern angeführt, denen zwei Flaggen vorausgetragen wurden. Die Bildunterschrift weist sie als die Veteranen des Ersten Weltkrieges von der Insel aus. Wie in der ursprünglichen Prozession 1951 erwiesen die ehemaligen Kriegsteilnehmer so dem Marschall von Frankreich und Helden von Verdun noch einmal Respekt. Zwar waren nach so vielen Jahren keine Uniformen mehr zu sehen, doch dominierte ihre Formation der in geordneten Reihen gehenden Männer mit den beiden Standarten die untere Bildhälfte und hob sich deutlich von der ungeordneten Menschenmenge, die dem Auto mit dem Sarg folgte, ab. Weshalb der Sarg nicht zum Friedhof getragen, sondern in einem geschlossenen Fahrzeug gefahren wurde, ist zeitgenössisch von der Presse nicht thematisiert worden. Ob dies mit dem Wandel der Gepflogenheiten, dem hohen Alter der Veteranen oder anderen Vorgaben zusammenhing, muss offenbleiben. Es nahm der Prozession jedoch etwas von der Ehrfurcht, die der Leichenzug im Jahr 1951 gehabt hatte, bei dem der mit der Nationalflagge bedeckte Sarg noch von Kriegsteilnehmern durch die engen Straßen getragen worden war. Einzig die Gestecke wurden noch vor dem Auto hergetragen, so dass der Prozessionscharakter erhalten blieb, auch wenn der Sarg nicht besonders in Szene gesetzt wurde. Während die französische Illustrierte Bilder des Leichenzugs abdruckte, ging sonst nur die Zeitung der ADMP auf den Leichenzug ein und betonte, dass sich eine Menschenmenge versammelt habe, um den »sterblichen Überresten des Marschalls« das letzte Geleit zu geben.181 Auch die Vereinigung betonte, dass Veteranen den Konvoi angeführt hätten, was belegt, dass die Aufnahme 180 Paris Match, 5. März 1973, S. 28 oben, BU : »›On peut bien donner un petit coup d’adieu au maréchal‹ a dit Adolphe Friau, quatre-vingt ans, et porte-drapeau des anciens de 14–18 de l’île d’Yeu«. 181 »… la dépoile mortelle du Maréchal …«, zitiert nach : »Enlèvement du cercueil du Maréchal et son retour à l’île d’Yeu«, in : Le Maréchal, Nr. 90 (Avril–Mai 1973), S. 3.
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in »Paris Match« die Reihenfolge des Zuges in Gänze wiederzugeben versuchte und dass auch ihr die Beteiligung der ehemaligen Weltkriegssoldaten wichtig war. Beisetzung Allerdings waren die Veteranen der Redaktion von »Le Maréchal« offenbar nicht so wichtig, dass sie deren Beteiligung mit einer Abbildung unterstrichen hätten, vielmehr publizierte die Zeitung der ADMP auf der Titelseite der Quartalsausgabe eine Aufnahme, die die Menschenmenge auf dem Friedhof zeigte (Abb. 41).182 Zwar waren auch auf diesem Bild die beiden Standarten der Veteranen am vorderen linken Bildrand deutlich zu erkennen, doch standen sie nicht im Zentrum des Arrangements. Stattdessen war diese Fotografie zweigeteilt, die obere Bildhälfte bildete mit den hohen Bäumen außerhalb der Friedhofsmauer den Hintergrund für die Menschenansammlung bei der Beisetzung in der unteren Bildhälfte. Ein kahler, stark verzweigter Baum wurde dabei wie ein Trauersymbol in Szene gesetzt, während der Sarg und das geöffnete Grabmal am unteren Bildrand kaum auffallen. Durch den Aufnahmewinkel stechen die Képis der in der Menge verteilten Gendarmen besonders hervor. Dabei wirkt es zunächst so, als seien die Polizisten ein wesentlicher Teil der Trauergemeinschaft, sie stehen jedoch nicht in Formation, sondern ihre typischen Kopfbedeckungen sind über den gesamten Bildausschnitt verteilt. Trotzdem vermittelte die Aufnahme, die die ADMP präsentierte, den Eindruck einer offiziellen staatlichen Beisetzung. Der Eindruck wird durch den Begleittext gesteigert, da dort von einer Ehrenwache die Rede ist, ohne jedoch auszuführen, wer diese bildete. Die Vereinigung zur Verteidigung des Andenkens an Pétain machte hier ihrem Auftrag alle Ehre, indem sie die Zeremonie so positiv wie möglich beschrieb, während sie in der Tagespresse kaum Erwähnung fand. Immerhin wird die Anwesenheit der hohen Beamten des Departements in den meisten Artikeln erwähnt, obwohl diese weder in den Ablauf eingriffen noch visuell in Erscheinung traten. Sowohl in der Aufnahme, die die ADMP verwendete, wie auch auf einer Abbildung des Grabes mit dem Sarg darüber in »L’Aurore« (Abb. 42)183 waren der Präfekt und die Juristen, anders als die 182 Ebenda, S. 1, BU : »Réinhumation du Maréchal à l’île d’Yeu le 22 février 1973«. 183 L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 1, BU : »Il y avait du soleil, hier après-midi, à l’île d’Yeu, quand la tombe blanche s’est refermée sur la dépouille mortelle du maréchal Pétain, inhumé pour la seconde fois […]«.
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| Rückführung oder Überführung Abb. 41 : Abbildung der Beisetzung Pétains 1973 (mit starken Gebrauchsspuren), in : Le Maréchal, Nr. 90, S. 1.
Gendarmen, nicht von der Menge zu unterscheiden. Im Artikel der ADMP wird auf ihre Anwesenheit nicht einmal verwiesen, was verdeutlicht, dass ihre Präsenz von den Verteidigern Pétains nicht als Ehre verstanden wurde oder zumindest als solche zu demonstrieren war. Vielmehr zeigt dies, dass die Beamten in erster Linie zur Überwachung des Begräbnisses anwesend waren, was wiederum nicht zu der von der ADMP beschworenen würdigen Atmosphäre passt. Die ADMP-Beschreibung der Beisetzung auf dem Friedhof unterschied sich grundlegend von den Details, die andere Zeitungen und Magazine veröffentlichten. Nicht nur wurde die Anwesenheit des Präfekten nicht erwähnt, sondern auch die religiöse Zeremonie wurde lediglich summarisch genannt. Selbst auf ihr ehemaliges Vorstandsmitglied Louis-Dominique Girard verwies die ADMP nicht namentlich, sondern nur auf einen Vertreter der Familie. Dies mag an internen Spannungen zwischen den Mitgliedern gelegen haben, zeigt aber dennoch, dass auch der Vereinigung die Präsenz der Familie wichtig war. Die Engführung auf die Veteranen und die Familie sowie die Überzeichnung der militärischen Ehrenelemente zeigt, dass die Vereinigung kein Interesse an einer detaillierten Beschreibung der Ereignisse hatte, sondern ein ganz eigenes, sehr einseitiges Bild der Veranstaltung entwarf. Die Darstellung gipfelte in der
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Abb. 42 : Abbildung des Absenkens des Sarges von Pétain 1973, in : L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 1.
Beschreibung der Grabgestecke mit den Schleifen des Staatspräsidenten, der Familie und der ADMP selbst.184 Während »Le Maréchal« die Fülle der Blumen am Grab betonte, bemerkte »La Croix«, dass es sehr wenig Blumen gegeben habe.185 Was dabei als viel oder wenig gelten mag, ist irrelevant, bedeutend ist, dass die anderen Zeitungen die Beisetzung keineswegs als ehrenvoll darstellten, Lorenzo Bocchi betonte im »Corriere” sogar, die erste Beerdigung sei wesentlich beeindruckender gewesen.186 Hingegen stilisierte die ADMP die Beisetzung in ihrer eigenen Zeitung zu einer Ehrenbestattung. Im Gegensatz dazu wirkt es so, als hätte die katholische Tageszeitung die Wirkung der Beisetzung sogar herabspielen wollen, da sie nicht nur auf die geringe Anzahl von Blumen hinwies, sondern auch betonte, dass die Gebete, die der ehemalige Beichtvater Pétains, Abbé Ponthoreau, am Grab sprach, unter dem Lärm eines überfliegenden Flugzeuges 184 »Enlèvement du cercueil du Maréchal et son retour à l’île d’Yeu«, in : Le Maréchal, Nr. 90 (Avril–Mai 1973), S. 3. 185 »Les quatre auteurs de l’enlèvement du cercueil du maréchal Pétain inculpés aujourd’hui«, in : La Croix, 24. Februar 1973, S. 14. 186 Bocchi : »La quiete ritrovata di Pétain«.
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kaum zu verstehen gewesen wären.187 Auch an dieser Stelle wirkt es so, als hätte »La Croix« versucht, die religiösen Elemente zwar zu erwähnen, sie aber nicht wie einen Respekterweis aussehen zu lassen. Dabei handelte es sich hier um eine der wenigen direkten Parallelen zu der ursprünglichen Bestattung, da der Priester, der die Absenkung des Sarges begleitete, bereits 1951 dabei gewesen war und Pétain auch persönlich während seiner Haft betreut hatte. Für die Gebete am Grab war der immer noch mit der Nationalflagge bedeckte Sarg über dem geöffneten Grabmal aufgebockt worden. Die Fahnenträger hatten hinter dem Grabkreuz Aufstellung genommen und Louis-Dominique Girard, die Repräsentanten der Insel, der Verbände sowie die Vertreter der Regierung standen um das Grab, während der Priester am Sarg die Grabrede hielt. Diese Szene verwendete unter anderem »L’Aurore« am nächsten Tag als Aufmacher, was noch einmal das Interesse am toten Pétain gerade in rechts-konservativen Kreisen unterstreicht.188 Eine auf den Sarg konzentrierte Aufnahme veröffentlichte das amerikanische »Time«-Magazin (Abb. 43). Durch die Fokussierung auf den Sarg mit der Flagge darüber, dem Grabkreuz, den Standarten der Veteranenverbände und den ernsten Mienen der umstehenden Männer in dunklen Anzügen wirkte diese Abbildung noch würdevoller als die in der französischen Tageszeitung, auf der auch zu sehen war, wie dicht sich die Menge um das Grab drängte. Doch dadurch, dass in beiden Bildern zu erkennen ist, dass der Sarg auf Bohlen über einem geöffneten Grab stand, schwang die Erinnerung an die Graböffnung in den Abbildungen mit. Dies passte insbesondere zu der Kombination der Abbildungen in »Time«, da es in dem Artikel vor allem um die Graböffnung sowie die Entwendung des Sarges ging und die Wiederbestattung neben einem Porträt des Diebes Massol abgedruckt wurde.189 Nach der Grabrede des Priesters schickte sich auch der Vorsitzende der ANPV an, eine Rede am Grab zu halten, allerdings hinderte Louis-Dominique Girard ihn daran.190 Doch allein, dass Robert de Périer offenbar eine Rede vorbereitet hatte und versuchte, sie zu verlesen, verdeutlicht, dass er eine aktive 187 Während »La Croix« den Namen Pontheau schreibt, wird hier die Schreibweise Ponthoreau verwendet, was den Angaben von »Funérailles de Monsieur le Maréchal Pétain«, in : La voix de nos clochers ; Simon : Pétain, mon prisonnier, S. 92, 101 und 128, und Tournoux, Jean-Raymond : Pétain und de Gaulle, Düsseldorf 1966, S. 253, entspricht. 188 L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 1. 189 »The Body Snatchers«. 190 »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu«, in : L’Humanité, 23. Februar 1973, S. 2 ; »Incident …«, in : L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 3.
Bestattung | Abb. 43 : Abbildung der Beisetzung Pétains 1973, in : Time, 15. März 1973, S. 12–13.
Rolle bei der Beisetzung beanspruchte. Die 1972 von der ADMP abgespaltene Gruppierung wollte sich offenbar anders als ihre Ursprungsorganisation nicht mit einem Grabgesteck zufriedengeben. Dass ausgerechnet der Großneffe Pétains, der selbst ein Apologet des Vichy-Regimes war, die Ansprache mit der Begründung verhinderte, dass de Pèrier den Toten nicht einmal gekannt habe,191 zeigt, wie sehr Girard auf seine persönliche Beziehung zu Pétain setzte und kein Interesse daran hatte, sich seine herausgehobene Position in der Zeremonie von einer der Vereinigungen zum Gedächtnis an Pétain streitig machen zu lassen. Der Moment der Grabrede bildete für die ANPV die letzte Gelegenheit in der Beisetzung in Erscheinung zu treten, denn die Möglichkeit, mit einem Grabgesteck auf sich aufmerksam zu machen, hatten sie schon direkt nach der Graböffnung genutzt und ein Gebinde auf dem leeren Grab niedergelegt.192 Sie hatten damit ihre Verehrung für Pétain und ihre Bestürzung über den Umgang mit seinen Gebeinen ausdrücken wollen, doch nun reichte dies nicht mehr zur Distinktion. Neben dem Gesteck des Staatspräsidenten 191 »Incident …«, in : L’Aurore, 23. Februar 1973, S. 3. 192 »La recherche du cercueil du maréchal Pétain«, in : La Croix, 22. Februar 1973, S. 11.
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verloren schon die Kränze der Familie, der ADMP und der Veteranenverbände an Bedeutung. Dass der Vorsitzende der ANPV versuchte, durch eine Rede in die ansonsten ganz auf die Exequien, also die religiösen Aspekte reduzierte Beisetzung einzugreifen, verdeutlicht, dass die Beisetzung für ihn auch eine Möglichkeit der Profilierung gegenüber den anderen Verbänden war. Reaktionen Doch außer dem Versuch, eine Grabrede zu halten, kam es zu keinen Zwischenfällen oder Abweichungen von den religiösen Elementen einer Bestattung. Die Medien gingen kaum auf die Gestaltung ein. Der konservative »Figaro« sprach der Zeremonie jegliche Feierlichkeit ab, attestierte ihr aber »une simplicité presque militaire et poignante« (eine fast militärische und ergreifende Einfachheit).193 Die englische »Times« betonte vor allem, wie rasch die französische Regierung gehandelt habe.194 Einzig das Grabgesteck mit der Widmung des Staatspräsidenten sowie die Kritik daran fanden in mehreren Artikeln besondere Erwähnung.195 »L’Humanité« sowie der sozialistische Politiker Daniel Mayer griffen Pompidou für diese Geste an.196 Das Gesteck aus Anemonen und Mimosen war mit einer blau-weiß-roten Schleife mit der Aufschrift »Le Président de la République« geschmückt und unterschied sich nur in der Zusammenstellung der Blumen von dem Gebinde, das de Gaulle zum 50. Jahrestag des Waffenstillstands von Compiègne auf dem Grab Pétains hatte niederlegen lassen.197 Für die kommunistische Zeitung ging diese Ehrung jedoch zu weit, denn für sie trug die 193 Miard : »Un seul membre de la famille«. 194 »Pétain Body Reburied in Island Grave«. 195 »Les quatre auteurs de l’enlèvement du cercueil du maréchal Pétain inculpés aujourd’hui« ; »La quiete ritrovata di Pétain« ; »Pétain body reburied in island grave«. 196 »Une gerbe de Pompidou sur le cercueil de Pétain qui a été réinhumé à l’île d’Yeu« ; »La réinhumation de Philippe Pétain. M. Daniel Mayer s’élève contre l’envoi d’une gerbe par le Président de la République«, in : Le Monde, 24. Februar 1973, S. 8. 197 Für die Bedeutung der Geste innerhalb der französischen Politik bis Mitterrand Rousso, Henry ; Conan, Eric : Vichy, un passé qui ne passe pas, Paris 1994, S. 53–58. Miard-Delacroix : Im Zeichen der europäischen Einigung 1963 bis in die Gegenwart, S. 222, weist darauf hin, dass Mitterrand auch am 22. September 1984 auf dem Grab einen Kranz niederlegen ließ, als er selber an einer Kranzniederlegung mit dem deutschen Kanzler Helmut Kohl in Douaumont teilnahm. Die Szene der sich die Hände reichenden Staatsmänner ist in Deutschland so umstritten wie bekannt, und dabei wurde Mitterrands doppelte Kranzniederlegung bisher in die Interpretationen nicht einmal mit einbezogen.
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gesamte Zeremonie einen quasi-offiziellen Charakter. Dieser entstand für sie nicht ausschließlich durch das Gesteck des Staatspräsidenten, das, wie auch die deutlich rechtslastigere »Aurore« anmerkte, als Gruß der Fünften Republik an den Chef von Vichy verstanden werden könne,198 sondern auch durch die Präsentation der Insignien des Marschalls von Frankreich sowie die Verwendung der Nationalflagge. »L’Humanité« bezeichnete die Gestaltung der Bestattung als »scandaleuse«, wobei sie die Geste Pompidous besonders hervorhob und dem Präsidenten indirekt vorwarf, den Vichy-Nostalgikern und der rechtsextremen Bewegung in die Hände zu spielen, so wie er es schon mit der Begnadigung Paul Touviers im Jahr 1971 getan habe. Gerade durch den Verweis auf den Milizionär Touvier verknüpfte die Zeitung der kommunistischen Partei Frankreichs die Bestattung mit dem jüngsten Skandal zur Vergangenheitsbewältigung in Frankreich, in dem nicht nur der Staatspräsident zu einer Rechtfertigung gezwungen worden, sondern auch die anhaltende Unterstützung von Kreisen der Katholischen Kirche für die wohlwollende Behandlung von Kollaborateuren und dem Vichy-Regime offensichtlich geworden war.199 Pompidou, der sich im Wahlkampf 1969 die Aussöhnung der Franzosen auf die Fahne geschrieben hatte und bemüht war, aus der gaullistischen Partei eine Massenpartei zu machen,200 hatte aus Sicht seiner Kritiker mit der Begnadigung und seiner Stellungnahme dazu sein Desinteresse an einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit deutlich gemacht. Dabei bezog er diese Vergangenheit in der Pressekonferenz am 21. September 1972 nicht ausschließlich auf das 198 »Le cercueil du maréchal a regagné son caveau dans le cimetière de l’île d’Yeu«. 199 Paul Touvier war während der épuration wegen seiner Rolle als Milizchef in Lyon in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Nachdem dieses Urteil verjährt war, setzten sich Vertreter der katholischen Kirche in Frankreich – darunter auch der Pétain-Bewunderer Jean Rodhain und Kardinal Gerlier, der sich für die angemessene Bestattung Pétains ausgesprochen hatte – für eine Begnadigung ein, die ihm sein eingezogenes Vermögen zurückerstatten sollte. Als bekannt wurde, dass Pompidou diesem Gnadengesuch zugestimmt hatte, führte dies im Frühjahr 1972 zu landesweitem Widerspruch, der sich bei der Nachricht verstärkte, dass Touviers Vermögen auch aus dem Eigentum von deportierten Juden bestand. Touvier verschwand wieder im Untergrund, bevor er wegen der Ermordung von Juden in Lyon erneut angeklagt wurde. Obwohl immer weitere Beweise gegen ihn gesammelt wurden, kam es erst in den 1990er Jahren zu einem Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wobei Touvier erst in der Revision 1994 verurteilt wurde. Dazu Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 138–149 ; ders ; Conan : Vichy, un passé qui ne passe pas, S. 109–172 ; Rémond, René : Touvier et l’église. Rapport de la commission historique, Paris 1992, sowie Hellman, John : Wounding Memories : Mitterrand, Moulin, Touvier, and the Divine Half-Lie of Resistance, in : French Historical Studies 19 (1995), S. 461–486, hier S. 472. 200 Dazu Rémond : Touvier et l’église, S. 214-216.
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Vichy-Regime, sondern betrachtete die innerfranzösischen Konflikte vom Beginn des Zweiten Weltkriegs über die Säuberungen bis hin zu den Anschlägen des OAS.201 Die historische Forschung hat Pompidous Verständnis von ›Vergangenheitsbewältigung‹ bisher nicht systematisch analysiert. In ihrer Studie zur Vergangenheitsbewältigung in Frankreich am Beispiel der beiden führenden Kollaborateure urteilte Christiane Florin : Er inszenierte Versöhnung nicht – wie de Gaulle – als großzügige, sondern als beiläufige Geste. Dabei ging er deutlich weiter als sein Vorgänger, denn er bezog jene ein, die in Vichy eine führende Rolle gespielt hatten. Er umgab sich beispielsweise mit Beratern, deren Vichy-Vergangenheit kein Geheimnis war.202
Deutlich mehr Aufmerksamkeit haben die Wirtschafts- und Außenpolitik seiner fünfjährigen Präsidentschaft gefunden.203 Danach war Pompidou vollkommen auf den ›Fortschritt‹ konzentriert. Diese »Blick nach vorne und nicht zurück«-Mentalität passt auch zu Pompidous Äußerungen in Bezug auf die jüngste Vergangenheit Frankreichs, wie das Befremden gegenüber der Glorifizierung der Resistance, die er 1971 gegenüber dem »New York Times Magazine« ausgedrückt hatte und die ihm Kritik im eigenen Land einbrachte.204 Während in der Forschung Pompidous Politik der Aussöhnung bisher vor allem als eine Politik des Vergessens, der totalen Passivität verstanden wurde, der es einzig darum gegangen sei, einen Schleier des Vergessens über die unangenehmen Aspekte der Vergangenheit zu breiten,205 sprechen die aufwändige Gestaltung der Verladung des Sarges und das Grabgesteck des Präsidenten doch für eine Bereitschaft zur aktiven Gestaltung und gegen das Vergessen. 201 Ausschnitte der Rede vom 21. September 1972 unterschiedlich lang zitiert bei Rémond : Touvier et l’église, Annexe 32, S. 380 f.; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 145 f., und Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 125. 202 Ebenda, S. 124. 203 Die Überblicksdarstellungen Vigreux : Croissance et contestations, S. 185–281 ; Berstein, Serge ; Rioux, Jean-Pierre : La France de l’expansion. 2. L’apogée Pompidou (1969–1974), Paris 1995. 204 Auch dies wird sowohl von Rémond : Touvier et l’église, S. 215 ; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 136 f., wie auch Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 124, thematisiert. 205 Bspw. Golsan, Richard Joseph : The Legacy of World War II in France. Mapping the Discourses of Memory, in : Fogu, Claudio ; Kantsteiner, Wulf ; Lebow, Richard Ned : The Politics of Memory in Postwar Europe, Durham 2006, S. 73–101, hier S. 81 f.; Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 126 ; Rousso : Le syndrome de Vichy, S. 138.
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Florin stellte heraus, Pompidou habe die Ansicht vertreten, der »ganze Pétain« verdiene die Dankbarkeit Frankreichs, während de Gaulle nur den «Helden von Verdun« gewürdigt hatte.206 Wenn diese Einschätzung korrekt ist, dann hätte der Diebstahl Pompidou die ideale Gelegenheit verschafft, dieses Versäumnis zu korrigieren. Doch selbst wenn die Aufbahrung und das Grabgesteck darauf hindeuten, dass der Präsident Pétain ehren wollte, so beschränkte er die ehrenden Elemente auf die militärische Vergangenheit des Verstorbenen und würdigte keinen Aspekt, der mit Vichy in Verbindung stand. Vielmehr wurde durch die Gestaltung der Wiederbestattung unter Pompidous Präsidentschaft die zweigeteilte Erinnerung an Pétain, also an den »Helden von Verdun« wie an den »Kollaborateur«, verfestigt. Im Wahlkampf zur Nationalversammlung war Pompidou mit einem Linksbündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Radikalen konfrontiert, dem mit dem Spitzenkandidaten François Mitterrand sogar Chancen auf einen Wahlsieg zugerechnet wurden. Gleichzeitig formierte sich am rechten Rand mit dem Front National eine weitere Partei. In dieser Situation so kurz vor dem Wahltermin scheint der Präsident sich für einen Umgang mit dem Sarg Pétains entschieden zu haben, der weder als ein Zugeständnis nach rechts (an die Diebe der Leiche und die Nostalgiker) noch nach links (an die die Translation und sämtliche Ehrungen ablehnenden Kommunisten) gewertet werden konnte. Mit anderen Worten : Er entschied sich für einen Kompromiss, der ihm zwar Kritik von den Kommunisten einbrachte, doch hatte er deren Hauptforderung, Pétain nicht nach Douaumont zu überführen, erfüllt. Vor dem Hintergrund seiner Äußerungen aus dem Vorjahr verwundert es nicht, dass das Gesteck mit der Schleife des Präsidenten besondere Aufmerksamkeit hervorrief. Dabei wandte sich »L’Humanité« gegen die gesamten ehrenden Elemente und beklagte das inkonsistente Verhalten der Regierung aus Ablehnung der Überführung auf der einen Seite und »Quasi«-Ehrenbegräbnis auf der anderen Seite. Insofern war der Artikel in der kommunistischen Parteizeitung der wohl analytischste Pressebericht über die Bestattung, da er die Widersprüche in der gesamten Gestaltung ansprach und nicht nur einzelne Aspekte, wie die Aufbahrung, die religiöse Trauerfeier oder die Anwesenheit der hohen Beamten des Departements, herausgriff. Andererseits reichen die ehrenden Elemente bei der Wiederbestattung weder an die ursprüngliche Bestattung noch an den Pomp des Staatsbegräbnisses für den letzten Marschall von Frankreich, Alphonse Juin, heran. Insbesondere beteiligten sich keine hohen 206 Florin : Philippe Pétain und Pierre Laval, S. 124 f.
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Würdenträger des Staates, des Militärs, der Kirchen oder des diplomatischen Korps an der erneuten Trauerfeier auf Yeu. Nicht einmal ein Marschallsstab wurde als Insignie präsentiert. Die Charakterisierung als ›quasi-offiziell‹ ist insofern übertrieben, da Pétains Wiederbestattung inszenatorisch nur vereinzelte Anlehnungen an ein Ehrenbegräbnis enthielt. Der Sozialist Daniel Mayer hingegen konzentrierte seine Kritik auf das Verhalten des Staatspräsidenten. Dabei liegt es nahe anzunehmen, dass er, als führendes Mitglied der Résistance, die Geste als eine persönliche Beleidigung empfand. Schließlich hatte er auch dem ersten Kabinett Queuille angehört, das sich 1949 für eine improvisierte Beisetzung Pétains im Verborgenen ausgesprochen hatte, und er hatte sich 1951 für ein Verbot der neugegründeten ADMP starkgemacht.207 Nun beklagte er in seiner Funktion als Präsident der Französischen Liga für Menschenrechte die Entscheidung des Staatspräsidenten, den Chef de l’État français zu ehren. Er vertrat aber auch die Meinung, Pompidou habe durch seine Handlung deutlich gemacht, dass er nur einen geringen Teil der Franzosen repräsentiere.208 Dies wiederum kann auch als Argument im aktuellen Wahlkampf verstanden werden, in dem das linke Wahlbündnis unter François Mitterrand von der Sozialistischen Partei, der auch Mayer angehörte, in den Umfragen die Regierungsmehrheit der Gaullisten bedrohte. In erster Linie machen die Kritiken jedoch deutlich, dass für die Linke keine Differenzierung zwischen dem Chef des Vichy-Regimes, dem »Helden von Verdun« oder einem Marschall von Frankreich möglich war, so wie sie in der Inszenierung zum Ausdruck kam. Der Monarchist Pierre Pujo widersprach Mayer und beanspruchte mit Verweis auf die Umfrage aus dem Jahr 1971, dass Pompidou im Sinne der Mehrheit der französischen Bevölkerung gehandelt habe ; allerdings verortete er dessen Geste als Wahlkampfkalkül und Ausdruck von Schuldgefühlen.209 Die Beurteilung der Gestaltung der Bestattung war somit stark durch die Tagespolitik geprägt und die Geste des Staatspräsidenten wurde zwar auf Seiten der extremen Rechten zur Kenntnis genommen, doch als halbherzig empfun207 Journal officiel de la République Française. Débats parlementaires, Assemblée Nationale (kurz : JOAN), Nr 137 (1951), 279. Sitzung am 14. November 1951, S. 8028. Aus dem Verbot wurde nichts, doch Mayer und Isorni gerieten in den folgenden Jahren im Parlament noch öfter aneinander, unter anderem bei den Debatten über Amnestieregelungen oder das Wahlrecht. 208 »Les quatre auteurs de l’enlèvement du cercueil du maréchal Pétain inculpés aujourd’hui« ; »M. Daniel Mayer s’élève contre l’envoi d’une gerbe par le président de la République«. 209 Pujo : »Le mensonge démocratique«, S. 1.
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den. Diese Kreise hielten unverändert an der Forderung einer Translation nach Douaumont fest. Auch Pétains Großneffe, Louis-Dominique Girard, hatte trotz seines Einsatzes für die Wiederbestattung auf Yeu die Hoffnung auf die Überführung nach Verdun noch nicht aufgegeben. Dass diese Äußerung Girards jedoch nur vom italienischen »Corriere« wiedergegeben wurde,210 zeigt, dass für die meisten der untersuchten Zeitungen, bis auf die rechtsextremen, der Vorfall mit der Beisetzung abgeschlossen war. Dass dabei für einige der knappe Verweis auf das Begräbnis genügte, während »Paris Match« allein 18 Journalisten und Fotoreporter für die Berichterstattung über das Verschwinden und die Wiederbestattung einsetzte, veranschaulicht vor allem, dass die Illustrierte mit einem starken gesellschaftlichen Interesse an den Ereignissen rechnete. Dies wiederum belegt, dass die reine Vergewisserung, dass Pétains Sarg wieder auf Yeu ruhe, nicht ausreichte, sondern eine Nachfrage nach Bildern der durchgeführten Handlungen bestand. Die Berichterstattung über Begräbnisse gehörte zwar zum festen Repertoire des Magazins, doch waren die Fotoreportagen sehr aufwändig und mussten gut vorbereitet werden. Im Fall von Pétain bedeutete dies, dass die Reporter an unterschiedlichen Orten auf die Entwicklungen der Ermittlungen warten mussten, ohne zu wissen, ob sie überhaupt zum Einsatz kommen würden. Für die Redaktion stelle Pétain offenbar eine so große Story dar, dass sie bereit war, solche Ausgaben zu tragen. Da nur wenige Fotografen rechtzeitig auf Yeu waren, gelang ihr so eine exklusive Bildstrecke. Doch wird im Vergleich zu der Berichterstattung über das Staatsbegräbnis für Marschall Alphonse Juin sechs Jahre zuvor deutlich, dass »Paris Match« zwar sehr aufwändig über Pétain berichtete, dabei allerdings ein ganz anderes Layout verwendete. Während die Aufnahmen von der Trauerfeier für Juin häufig doppelseitig und sogar farbig wiedergegeben worden waren, wurden die meisten Abbildungen von der Wiederbestattung deutlich kleiner abgedruckt ; offenbar wollte selbst die Illustrierte die Geschehnisse nicht glorifizieren. Stattdessen rückte sie die Veteranen ins Zentrum ihrer Berichterstattung, indem sie zunächst eine Luftaufnahme abdruckte, die sich fast über eine Doppelseite erstreckte und zeigte, dass die Menschenmenge sich auf dem Friedhof zwar dicht um das Grab Pétains drängte, aber gar nicht so groß war, dass sie den ganzen Friedhof füllen würde. Vielmehr waren die Reihen zwischen den Gräbern im oberen rechten Teil der Aufnahme leer (Abb. 44).211 Auf der nächsten Doppelseite präsentierte 210 Bocchi : »La quiete ritrovata di Pétain«. 211 Paris Match, 3. März 1973, S. 26 f. BU : »Le maréchal inhumé une seconde fois à l’île d’Yeu.
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Abb. 44 : Luftaufnahme der Beisetzung 1973, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 26–27.
»Paris Match« dann drei Aufnahmen von Veteranen (Abb. 45) : auf der einen Seite die halbseitigen Abbildungen des von Kriegsteilnehmern angeführten Leichenzugs und darunter die alten Männer neben dem in der Kirche aufgebahrten Sarg. Abgeschlossen wurde die Fotoreportage auf der folgenden Seite mit einer ganzseitigen Nahaufnahme eines sichtlich ergriffenen Veteranen, der zum letzten Geleit für seinen ehemaligen Kommandeur noch einmal seine Orden von Verdun angelegt hatte.212 Durch ihre Konzentration auf die Veteranen stellte die Illustrierte das Wesen der Bestattung dar, denn die Veteranen waren die Adressaten der Inszenierung und ihnen wurde darin Raum zur Partizipation gegeben. Die wesentlichen Elemente der Wiederbestattung entsprachen denen der ursprünglichen Begräbnisfeier, fielen jedoch insgesamt noch bescheidender aus. Auch kam es Il n’aurait jamais accepté une permission irrégulière pour quitter l’île, dit son petit-neveu, Louis Dominique Girard. Un soldat ne quitte pas son poste«. 212 Paris Match, 3. März 1973, S. 29. BU : »Sa médaille de Verdun sur le cœur, Maurice-Auguste Mons, 82 ans, pleure. Il avait 24 ans aux combats du Mort-Homme. ›Quand Monsieur Pétain commandait‹«.
Bestattung | Abb. 45 : Doppelseite zur Wiederbestattung Pétains, in : Paris Match, 3. März 1973, S. 28–29.
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diesmal nicht zu parallelen Trauerfeiern im ganzen Land, was zeigt, dass die Anteilnahme der Bevölkerung am Schicksal Pétains nicht mehr so groß war wie sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch die Gestaltung der Bestattung hatte so nicht nur Kritik von Linken und Indifferenz von Royalisten provoziert, sondern auch grundsätzliche Ablehnung durch die Verteidiger Pétains. Isorni wandte sich noch am Nachmittag der Beisetzung in einem Brief, den er zugleich an die Medien gab, an den Staatspräsidenten.213 Er klagte, Staatspräsident und Innenminister hätten mit der Wiederbestattung das Gesetz und die Besitzrechte der Schwiegertochter missachtet. Während der veröffentlichte Brief Isornis als dessen Versuch gewertet werden muss, eine sichtbare – wenn auch ablehnende – Rolle im Zusammenhang mit dieser Bestattung zu übernehmen, nutzte das Innenministerium ihn für den Hinweis, dass die Polizei auf Bitten des Ermittlungsrichters von Les Sables-d’Olonne bei der Bestattung präsent gewesen sei. Damit betonte das Ministerium erneut die Rolle der örtlichen Behörden. Gleichzeitig machte diese Äußerung aber auch deutlich, dass die Polizisten zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Unterstützung des Ermittlungsverfahrens, in dessen Rahmen der geraubte Gegenstand an den Ausgangsort zurückgebracht wurde, fungierten. Der Kommentar zeigt, dass die Regierung trotz ihrer offensichtlichen Beteiligung, wie dem Grabgesteck, nach wie vor die formalen Aspekte des Ermittlungsverfahrens in den Vordergrund rückte und sich gegen Kritik verwahrte. Isorni war durch die Bestattung keineswegs beschwichtigt worden, allerdings unternahm er erst nach dem Tod Pompidous und dem Amtsantritt des neuen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing einen erneuten Vorstoß, ein Revisionsverfahren für Pétain zu eröffnen. Dazu wandte er sich zunächst an den Médiateur de la République, den Bürgerbeauftragten für Angelegenheiten mit der Verwaltung des Staates, und unterbreitete ihm, welche unterschiedlichen Entscheidungen die Justizminister zu seinen Anträgen getroffen und wie sie sich gegenseitig widersprochen hätten.214 Doch auch diesmal kam der Anwalt auf dem juristischen Weg nicht weiter. Daraufhin veröffentlichte er 213 »Me Jacques Isorni : en violation de la loi …«, in : Le Monde, 24. Februar 1973, S. 8 ; auch abgedruckt in : Isorni, Lettre anxieuse au Président de la République au sujet de Philippe Pétain, S. 45. 214 Isorni : Lettre anxieuse au Président de la République au sujet de Philippe Pétain, S. 112–117. Auch Ferro : Pétain, S. 692 f., der herausstellt, dass René Mayer als Justizminister der Wiederaufnahme des Revisionsverfahrens zugestimmt hatte, doch René Pleven diese Entscheidung bereits 1961 widerrufen hatte.
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einen Bericht über seine bisherigen Revisionsgesuche einschließlich einiger Briefe an unterschiedliche Regierungsmitglieder sowie deren Reaktionen.215 Doch auch dieser Versuch, öffentlichen Druck zu erzeugen, änderte nichts an dem Bestattungsort Pétains. Nach Henry Rousso wurden danach noch einmal 1979 und 1981 Revisionanträge durch Jean Lemaire und Jacques Isorni gestellt,216 während die Vereinigungen ADMP und ANPV ihre Bemühungen um die Translation bis heute fortsetzen.217 Dabei musste sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Frage befassen, wie weit Isorni, die Association pour défendre la mémoire du maréchal Pétain und die Association nationale Pétain Verdun bei der Verteidigung des Gedenkens an Pétain gehen durften, nachdem sie in »Le Monde« eine Anzeige veröffentlicht hatten,218 in der insbesondere Pétains Rolle im Vichy-Regime dermaßen verklärt wurde, dass eine Vereinigung ehemaliger Widerstandskämpfer Strafanzeige gegen die Urheber einreichte.219 Die Folge war, dass, nachdem das Pariser Berufungsgericht am 26. Januar 1990 die Anzeige als öffentliche Verteidigung der Zusammenarbeit mit dem Feind eingestuft hatte, Isorni und der Vorsitzende der ADMP, François Lehideux, zunächst vor den Kassationsgerichtshof in Paris und danach vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zogen, da sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt sahen. Dieser Rechtsauffassung folgte der Gerichtshof in Straßburg am 23. September 1998 schließlich. Diesen juristischen Teilerfolg, der die Arbeit der Vereinigungen ADMP und ANPV absicherte, erlebte Pétains Verteidiger Jacques Isorni jedoch nicht mehr, da er drei Jahre zuvor verstorben war.
215 Isorni : Lettre anxieuse au Président de la République au sujet de Philippe Pétain. 216 Rousso, Le syndrome de Vichy, S. 60. 217 Inzwischen nutzen diese Vereinigungen auch das Internet für ihre Agitation, bspw. http:// www.admp.org/ und http://la-flamme.fr/tag/anpv/. 218 Isorni, Jacques : »Français, vous avez la mémoire courte«, in : Le Monde, 13. Juli 1984, S. 9. 219 Für eine detailliertere Beschreibung und die juristische Bedeutung Voorhoof, Dirk : Europäischer Menschenrechtsgerichtshof. Drei kürzlich gefällte Urteile über das Recht auf freie Meinungsäußerung und Mitteilungsfreiheit, in : ir is 10(1998), http://merlin.obs.coe.int/ iris/1998/10/article3.de.html ; Fronza, Emanuela : Der strafrechtliche Schutz des Gedenkens. Bemerkungen zum Tatbestand der Holocaust-Leugnung, in : Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 11 (2010), S. 244–273 ; Anonym : Case of Lehideux and Isorni v. France, in : The International Journal of Human Rights 3 (1999), S. 122–125. Auch Jean-Yves Le Naour geht auf die Aufregung nach der Anzeige in Le Monde ein, er erwähnt jedoch weder die Beteiligung der ANPV noch die europäische Dimension, Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 190 f.
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4.3.2 Mussolinis Heimkehr in den ›Schoß der Familie‹ Nach zwölf Jahren konnte die Witwe Rachele Mussolini ihren verstorbenen Mann am von ihr ausgewählten Ort bestatten. Sie hatte Inspektor Agnesina allerdings zusichern müssen, dass die Beisetzung direkt nach dem Trauergottesdienst stattfinden würde.220 So waren zwar die hohen Staatsbeamten abgereist, es blieben aber zahlreiche Sicherheitskräfte zurück, um den Ablauf des Begräbnisses zu überwachen, gegebenenfalls einzugreifen und in Anbetracht der herbeiströmenden Menschenmenge für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.221 Sie regelten unter anderem den Zugang zum Friedhof wie auch zur dortigen Familienkapelle, in die Mussolinis Sarg zunächst gebracht wurde.222 Dass Rachele Mussolini die Kiste in die Kapelle und nicht in die am Friedhof gelegene Kirche bringen ließ, deutet zum einen darauf hin, dass für sie die Verbindung mit der Familie wichtiger war als ein möglichst ungehinderter Zugang der Mussolini-Anhänger und anderer Schaulustiger. Denn die Kapelle der Familie Mussolini, die dem Eingang des Friedhofs gegenüberlag und in einen Winkel der Friedhofsmauer eingepasst war, bot mit ihrem kleinen Andachtsraum und dem Altarbereich nur wenig Raum für ein Défilée vor der dort aufgebahrten Kiste mit den Überresten Mussolinis. Zum anderen stellte die Witwe so sicher, dass die Gebeine in ihrem Einflussbereich blieben, denn zu der nur über das Friedhofsgelände zugänglichen Kapelle ließ sich der Zugang besser kontrollieren. Da die Kapelle der Familie gehörte, konnte sie zudem über die Gestaltung bestimmen. 220 Cervi, Mario : »Celebrato senza incidenti il rito in suffragio di Mussolini nella cappella del cimitero di San Cassiano«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 1. September 1957, S. 1 f.; Rosso, Francesco : »Piccoli tafferugli a Predappio provocati da pochi fanatici«, in : La Nuova Stampa Sera, 31. August/1. September 1957, S. 1/7 ; auch Luzzatto : Il Duce, S. 290. 221 Der Innenminister wurde über die Entwicklungen vor Ort durch den Präfekten von Forlì durch Telegramme informiert, ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220, Mussolini, famiglia – carteggio – salma, sottofasc. 11220/3. 222 Bspw. die Polizisten auf den Aufnahmen in der Sammlung der Agentur »Visioni Editoriali Diffuse Ovunque« (kurz : Vedo) im Bestand des fotografischen Archivs des Istituto Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00052783, Beschreibung : Una gran folla di gente all’esterno di una chiesa di Predappio dove si commemora la salma di Benito Mussolini, s/w, 6 × 6 ; und Bildnummer : FV00052821, Beschreibung : Dei banchi di souvenir sul ciglio di una strada, delle guardie controllano, s/w, 6 × 6. Oder auch die Abbildung in : Il Secolo d’Italia, 1 September 1957, S. 8 Mitte oben, BU : »La polizia ha chiuso i cancelli del cimitero di Predappio ma la folla preme e passerà«.
Bestattung | Abb. 46 : Abbildung des Transports der Kiste mit Mussolinis Überresten in die Familiengruft, abgedruckt in : Oggi, 12. September 1957, S. 15.
Leichenzug Um in die Familienkapelle zu gelangen, wurde die Kiste von der Leichenhalle über den Friedhof getragen. Als Sargträger fungierten aber nicht die anwesenden Polizisten, sondern Männer, die wohl aus der Umgebung stammten. Jedenfalls ist auf einer Abbildung, die sowohl in Racheles Memoiren wie in der »Oggi«-Serie über sie veröffentlicht wurde (Abb. 46),223 zu sehen, wie sieben Männer, davon einige in Anzügen, andere hemdsärmelig, die Kiste vor der Umfassungsmauer und einer Gruppe Schaulustiger hertrugen. Dabei werden sie von einem Polizisten beobachtet, während ihnen die in schwarz gekleidete Witwe und weitere Personen folgen. Dieser improvisierte Leichenzug kommt vollkommen ohne besondere Symbole aus. Alleine durch die Trauer tragende
223 Mussolini ; Pensotti : Benito, il mio uomo, Abb. zw. S. 272 und 273, BU : »La cassa contenente i resti di Mussolini viene trasportata a braccia nel cimitero di Predappio. Proveniva dal convento di Crerro Maggiore, vicino a Milano, dove era rimasta per dodici anni«. Auch abgedruckt in : Oggi, 12. September 1957, S. 15.
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Frau hinter dem von Männern getragenen, wenn auch ungewöhnlich aussehenden Sarg wird der Unterschied zum Transport einer einfachen Kiste deutlich. Aufbahrung in Kapelle Für die Aufbahrung wurde die Kiste auf einem Katafalk vor dem Altar in der Familienkapelle aufgestellt.224 Der grobe, unförmige Sarg Mussolinis hob sich deutlich von dem Andachtsraum mit dem auffälligen Altar, den Büsten von Mussolinis Eltern, seinem Sohn Bruno und dessen Frau sowie einer kleinen Pestsäule ab. Durch den Kontrast der Kiste, auch zu dem mit schwarzem Tuch mit Goldborde geschmückten Katafalk, wirkte diese Aufbahrung zunächst nicht ehrfürchtig, sondern anklagend, als würde präsentiert, wie schlecht Mussolini behandelt worden sei. Doch das Arrangement blieb nicht lange so schmucklos. In der ursprünglichen Anordnung am Nachmittag des 30. August stand die Kiste auf dem Katafalk, während an den vier Ecken Kerzenständer mit vier hohen schmalen Kerzen und dazwischen kleinere Kandelaber platziert waren. Vor dem Katafalk standen Vasen mit Blumen, Palmblättern und Getreide und auf dem Sarg lagen Sträuße (Abb. 47).225 Die einfachen Sträuße verschwanden später unter Blumengestecken, ohne dass dies jemanden störte. 224 Die folgende Beschreibung stützt sich im Wesentlichen auf die Artikel Cervi : »La cerimonia del riconoscimento« ; [U.I.] : »Nessuna pressione politica all’origine della decisione«, in : Il Nuovo Corriere della Sera, 31. August 1957, S. 1 ; Rosso, Francesco : »I resti mortali di Benito Mussolini restituiti dal governo ai familiari«, in : La Nuova Stampa, 31. August 1957, S. 1 ; Rosso : »Piccoli tafferugli a Predappio provocati da pochi fanatici« ; Furlani, Guglielmo : »Omaggio di popolo alla salma del Duce«, in : Il Secolo d’Italia, 31. August 1957, S. 1/3 ; »Nel Nome di Mussolini a Predappio l’Italia ha ritrovato se stessa. Moltitudine di Predappio intorno al sacrario di San Cassiano«, in : Il Secolo d’Italia, 1. September 1957, S. 1 ; Scalmo, Leo : »Da Forio d’Ischia a Villa Carpena«, in : ebenda, S. 1/8 ; »La salma di Mussolini consegnata alla vedova«, in : L’Unità (Nuova serie), 31. August 1957, S. 1 ; »Mussolinis Gebeine. Die Kiste im Kloster«, in : Der Spiegel 37 (1957), S. 48–49. 225 Die Abbildungen in : Mussolini ; Pensotti : Benito, il mio uomo, zw. S. 304 und 305 ; im Bestand des Istituto Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00052811, Bildnummer : FV00052872 und FV00052874, Beschreibung : L’altare con la salma di Mussolini in un urna di legno, s/w, 6 × 6 ; Ullstein Bild, Bildnummer : 00112809, BU : »− der zur offiziellen Beisetzung in der Heimatgemeinde Predappio (Provinz Forlì, Romagna) freigegebene Sarg Mussolinis – 30.08.1957« und »Nella cappella del cimitero«, in : La Nuova Stampa, 31. August 1957, S. 1 oben rechts, BU : »In attesa della tumulazione, la cassa quadrata con resti di Mussolini è stata collocata, su due cavalletti, nella cappella di famiglia, accanto ai sarcofaghi dei genitori (Telefoto)«.
Bestattung | Abb. 47 : Katafalk in der Familienkapelle kurz nach der Rückgabe an die Familie 1957.
Vielmehr waren die Sträuße wohl die günstigste und am schnellsten zu beschaffene Form von floralem Schmuck. Da die Witwe durch die Informationspolitik der Regierung keine Dekoration hatte vorbereiten können, wurde so zunächst mit einfachen Mitteln eine Aufbahrung organisiert. Unter den Sträußen auf dem Sarg lag eine Flagge, die so drapiert war, dass sowohl die drei Farbstreifen wie auch links und rechts das Holz der Kiste zu erkennen waren. Die örtliche Katholische Aktion (Azione Cattolica), also ein Laienverband und keine Priester, bekannte sich dazu, die italienische Trikolore auf den Sarg gelegt zu haben.226 Sie bezeichnete dies als eine Geste der »pietà cristiana«. Inwieweit die Nationalflagge jedoch christliche Barmherzigkeit ausdrückte, erklärten sie nicht, vielmehr zeigt sich hier erneut, wie christliche Werte zur Legitimation eines ehrenden Umgangs mit Mussolini herhalten mussten. Gleichzeitig stellte die Flagge eine Verbindung zur einstigen politischen Position Mussolinis dar, schließlich war die Tricolore ein wesentlicher Bestandteil faschistischer Inszenierungen gewesen ; die nun von faschistischen Staatsemblemen befreite Nationalflagge wurde den in 1950er Jahren in Italien 226 »Restituì dio all’Italia e l’Italia a Dio«, in : Il Secolo d’Italia, 3. September 1957, S. 1.
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kaum benutzt.227 Sie war das erste deutlich ehrende Element in der bisherigen Gestaltung der Aufbahrung, das auf die politische Dimension dieser Bestattung Bezug nahm. Außerdem ist dies ein Beleg dafür, dass die Kiste nun bereits frei zugänglich war und die Gäste an der Gestaltung mitwirken konnten. So zeigen Aufnahmen in »Paris Match« und »Epoca«, wie Besucher der Kapelle vor dem Katafalk weinten und ihre Namen auf die Kiste schrieben.228 Gleichzeitig nahm die Zahl der Blumen und Gestecke rund um die Kiste zu und das erste Gesteck mit Schleife traf von der Ortsgruppe des MSI aus dem nahegelegenen Ravenna ein.229 Allerdings wurde die Kapelle am Abend wieder verschlossen und zwei Carabinieri blieben bis zur Öffnung am nächsten Morgen als Wachen zurück. Gottesdienste Noch bevor die Witwe und ihre Angehörigen am Morgen des 31. August zur Kapelle kamen, las dort ein Kaplan die Messe, während zwei Männer Wimpel von Kampfeinheiten der RSI über die Kiste hielten.230 Wie in einigen Artikeln betont wurde, hatte der Geistliche Beziehungen zur RSI und der neofaschistischen Partei,231 was zusammen mit den faschistischen Militaria zeigt, dass die Bewunderer Mussolinis und insbesondere die ehemaligen Kämpfer der RSI sich nicht damit zufriedengaben, Blumen am Katafalk abzulegen. Stattdessen versuchten sie, die Trauerfeier aktiv mitzugestalten, wobei ihre Handlungen 227 Dogliani : Constructing Memory and Anti-Memory, S. 20. 228 Die Fotoreportagen »Mussolini est mort une seconde fois«, in : Paris Match, 14. September 1957, S. 56–59 ; Anonym : »Mussolini ha una tomba«, in : Epoca, 8. September 1957, S. 26–31, Fotos von Emilio Ronchini/Giancolombo, Breveglieri, Farabola. 229 Cervi : »La cerimonia del riconoscimento«, auch Bonacina : La salma nascosta, S. 113, sowie die Abbildung Ullstein Bild, Bildnummer : 00112809, auf der die Schleife deutlich zu erkennen ist. 230 Die Aufnahmen Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00052966, Beschreibung : Una folla intorno all’altare con i cimeli fascisti, s/w, 6 × 6 ; Bildnummer : FV00053090, Beschreibung : Degli uomini con in mano degli stemmi fascisti posti sulla bara di Mussolini davanti all’altare della chiesa di Predappio, s/w, 6 × 6 ; und die Abbildung in : Il Secolo d’Italia, 1. September 1957, S. 8 Mitte mittig, BU : »Un momento della cerimonia religiosa al Cimitero di Predappio : i labari dei combattenti repubblicani s’inchinano sulla cassa che racchiude la salma del Duce«. 231 Der Kaplan hieß Don Burzzese, Rosso : »Piccoli tafferugli a Predappio provocati da pochi fanatici« ; Cervi : »Celebrato senza incidenti il rito in suffragio di Mussolini nella cappella del cimitero di San Cassiano« ; Scalmo : Da Forio d’Ischia a Villa Carpena, S. 1.
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sowohl Mussolini ehrten als auch die Erinnerung an die Italienische Sozialrepublik und den damit einhergehenden Bürgerkrieg wachriefen. Ein örtlicher Mönch und die Polizisten beendeten den improvisierten Gottesdienst. Damit verhinderten sie, dass die religiöse Liturgie mit faschistischen Elementen verbunden wurde, so wie es für den Liktorenkult des Faschismus üblich gewesen war.232 Hier stellte sich ein Geistlicher aktiv gegen die Instrumentalisierung der Liturgie, allerdings hielten er und sein Amtsbruder dies, wie die weitere Analyse der Gottesdienste zeigen wird, nicht konsequent durch. Kurz danach betrat die Witwe die Kapelle und viele der dort Versammelten begrüßten sie mit dem »römischen Gruß«. Damit verstießen sie gegen die Legge Scelba, was jedoch von den Polizisten nicht unterbunden wurde.233 Vielmehr berichtete der Präfekt von Forlì am Abend an den Innenminister, dass zwei Gottesdienste für Mussolini gefeiert worden seien und dass unter den Teilnehmenden neben der Witwe mit Senator Franz Turchi und Pino Romualdi zwei ranghohe Vertreter der MSI gewesen seien,234 doch versicherte er, es habe keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben.235 Dass er sowohl den Versuch einer »faschistischen« Messe wie auch den römischen Gruß für nicht erwähnenswert hielt, obwohl er sich der Anwesenheit von Journalisten und Fotografen bewusst war und damit rechnen musste, dass sie darüber berichten würden, spricht dafür, dass er dies insgesamt nicht für problematisch hielt. 232 Die maßgebliche Studie dazu stammt von Gentile, Emilio : Il culto del littorio. La sacralizzazione della politica nell’Italia fascista, Rom 1993. Eine deutschsprachige Zusammenfassung bieten Gentile, Emilio : Der Liktorenkult, in : Dipper, Christof ; Hudemann, Rainer ; Petersen, Jens (Hg.) : Faschismus und Faschismen im Vergleich. Wolfgang Schieder zum 60. Geburtstag, Köln 1998, S. 247–261, und Baumeister, Martin : Faschismus als »politische Religion«, in : Schlemmer, Thomas ; Woller, Hans (Hg.) : Der Faschismus in Europa. Wege der Forschung, München 2014, S. 59–72. 233 Bspw. die Abbildung in Paris Match, 14. September 1957 S. 57, BU : »Autour du cercueil les derniers fascistes entourent Rachele Mussolini ; ils prêtent une dernière fois à leur ancien chef leur serment de fidélité« ; identisch mit Luzzatto : Il Duce, S. 290, BU : »Rachele Mussolini und Dutzende von Neofaschisten erweisen dem Duce anläßlich der Rückerstattung der Leiche die Ehre«. Predappio, 31. August 1957, (Publifoto/Olympia). 234 Franz (Francesco) Turchi saß seit 1953 für den MSI im Senat, wo er die Neofaschisten noch bis 1972 repräsentieren würde. Der Journalist hatte 1952 mit »Il Secolo d’Italia« die maßgebliche Parteizeitung des MSI gegründet. Pino Romualdi stammte aus Predappio und gehörte zu den Gründern des Movimento Sociale Italiano. Für die Partei saß er ab 1953 im Parlament. 235 Prefetto Camera an das Innenministerium, Forlì 31/8/1957, Telegramm-Nr. 20016, in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220, Mussolini, famiglia – carteggio – salma, sottofasc. 11220/3.
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Unter den Personen, die Rachele begleiteten, waren neben ihrem Sohn Romano und ihrem Enkel Marzio Ciano unter anderem die Vertreter der neofaschistischen Partei zugegen. Diese hatten, wie schon der Ortsverband von Ravenna, einen großen Kranz mitgebracht, der zunächst draußen vor dem Eingang der Kapelle aufgestellt wurde, so dass ihr Kranz und ein weiterer das Portal flankierten.236 Offensichtlich wollten die beiden MSI-Vertreter ihrer Partei durch ihre Anwesenheit, und indem sie die Nähe von Rachele Mussolini suchten, sowie durch die Stiftung eines aufwändigen Kranzes eine herausgehobene Position bei den Begräbnisfeierlichkeiten sichern.237 Turchis Parteizeitung »Il Secolo« steigerte diesen Eindruck, da sie nicht nur Fotografien druckte, auf denen Turchi im Bild war (Abb. 48), sondern textlich herausstellte, dass der Senator in der Villa Carpena beherbergt worden sei und ihm die Witwe eine exklusive Schilderung der Ereignisse gegeben habe.238 Auf dem Friedhof waren am frühen Morgen bereits so viele Menschen versammelt gewesen, dass sich die Witwe und ihre Entourage nur langsam einen Weg bahnen konnten. Nun begann der Gemeindepfarrer mit dem offiziellen Gottesdienst in der Familienkapelle, während ein anderer Priester eine Gedenkmesse in der Kirche San Cassiano abhielt.239 Ob sie sich dazu entschlossen hatten, um möglichst viele Personen an der Trauerfeier teilhaben zu lassen, ist zwar nicht belegt, erscheint aber plausibel. Jedenfalls erhielt Mussolini so nicht nur einen Gottesdienst an seinem ›Sarg‹, sondern auch noch einen Trauergottesdienst in der größeren Kirche neben dem Friedhof. Dabei feierte der Priester die Messe, der für die Bewohner der Gemeinde Predappio und damit auch für Benito Mussolini kirchenrechtlich zuständig war. Auch hier scheint die Familie auf die Wahrung des Eindrucks von Normalität und Tradition gesetzt zu haben, denn sie war nur bei dieser Hauptmesse anwesend.
236 Eine Aufnahme in Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00052783, Beschreibung : Una gran folla di gente all’esterno di una chiesa di Predappio dove si commemora la salma di Benito Mussolini, s/w, 6 × 6. 237 Die Aufnahmen von der Ankunft Rachele Mussolinis auf dem Friedhof, bspw. in Epoca, 8. September 1957, S. 27, auf welcher Franz Turchi mit seiner markanten dunklen Brille direkt links hinter der Witwe zu erkennen ist. 238 Scalmo : »Da Forio d’Ischia a Villa Carpena«, sowie die Abbildungen in : Il Secolo d’Italia, 1. September 1957, S. 8. 239 Die Angaben zu den Messen sind nicht sehr detailliert und so ist nicht klar, ob sie parallel oder zeitlich versetzt stattfanden, Cervi : »Celebrato senza incidenti il rito in suffragio di Mussolini«.
Bestattung | Abb. 48 : Abbildungen zur Beisetzung in Predappio aus : Il Secolo d’Italia, 1. September 1957, S. 8.
Einige Männer in schwarzen Hemden drängten in den Gedenkgottesdienst in der Kirche San Cassiano und bildeten auf der dortigen sehr hohen Treppe zum Altarraum ein Spalier. Da sich die Journalisten auf die Ereignisse im Umfeld der Witwe konzentrierten, ist über dieses Intermezzo nicht viel überliefert, doch »Paris Match« veröffentlichte eine Aufnahme, die diese Form der Ehrenwache ohne Sarg zeigte (Abb. 49 links). Schon die Bildunterschrift bezeichnete
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Abb. 49 : Doppelseite zur Beisetzung Mussolinis, in : Paris Match, 14. September 1957, S. 56–57.
die Inszenierung als Ehrenwache und die Männer als »Schwarzhemden«.240 Allerdings trugen die Männer sehr unterschiedliche schwarze Hemden, manche kurzärmelig, manche langärmelig, einer sogar einen Overall, und auch bei den Hosen herrschte keine Einheitlichkeit. Sie schienen zwar um Uniformität und damit um eine Anlehnung an die faschistischen Kampfbünde bemüht gewesen zu sein, doch trug keiner Militärabzeichen oder gar die inzwischen verbotenen Insignien der RSI.241 Obwohl es sich offensichtlich nicht um Uniformen handelte, reproduzierte und verfestigte die französische Illustrierte mit ihrer Bildunterschrift die inszenatorische Absicht der Mussolini-Anhänger. Das Foto erinnerte an Bilder von faschistischen Inszenierungen. Jedoch verfolgte die Redaktion von »Paris Match« mit ihrer Bildauswahl auch eine eigene Aussage. So veröffentlichte sie diese Abbildung zusammen mit der von den zum faschistischen Gruß erhobenen Armen aus der Kapelle auf einer Doppelseite und vermittelte so den Eindruck, es habe sich um eine neofaschistisch geprägte Ver240 Paris Match, 14. September 1957, S. 56, BU : »Pendant la messe des morts, dans l’église de San Cassiano, les chemises noires montent une garde d’honneur sur les marches de l’autel«. 241 Zu den faschistischen Kampfbünden und insbesondere ihrer Uniformierung Reichardt : Faschistische Kampfbünde, S. 574–579 ; Falasca-Zamponi : Fascist Spectacle, S. 101–104.
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Abb. 50 : Doppelseite zur Beisetzung Mussolinis, in : Paris Match, 14. September 1957, S. 58–59.
anstaltung gehandelt (Abb. 49). Möglich war dies, da die Abbildung nicht die Personen im Kirchenschiff zeigte, sondern ganz auf die Männer auf der Treppe und den Altar am oberen Bildrand fokussierte. Durch den gewählten Bildausschnitt konnte nicht überprüft werden, ob auch die anderen Kirchenbesucher dem faschistischen Totenkult mit seinen Uniformen und Flaggen verhaftet waren. Auch wird durch den Zuschnitt und die Bildunterschrift suggeriert, es handele sich hierbei um den Hauptgottesdienst, doch dieser fand in der kleineren Familienkapelle praesente cadavere statt. Die persönliche Abschiednahme am Sarg Mussolinis wird in »Paris Match« auf der nächsten Doppelseite dargestellt (Abb. 50).242 Hier finden sich Bilder von Männern, die die Kiste küssen, ihren Namen hineinritzen oder einfach darauf gestützt weinen – alles Ausdrucksformen von Verbundenheit und Abschiednahme. Abgeschlossen wird der Bericht mit einer Aufnahme von Edda Mussolini Ciano am Sarg ihres Vaters. Nach der Seite mit den neofaschistischen Auswüchsen war diese der persönlichen Trauer und Abschiednahme ge-
242 »Mussolini est mort une seconde fois«, in : Paris Match, 14. September 1957, S. 56–59, hier S. 58 f.
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widmet, als wolle die Illustrierte deutlich machen, dass mit der Beisetzung Mussolinis nun auch seine Anhänger zur Ruhe kommen würden. In der Familienkapelle wiederum kam es während des Gottesdienstes zu Rangeleien zwischen den Besuchern und den Fotografen, weil sich die Mussolini-Anhänger durch die Fotografen gestört fühlten,243 woraufhin die Fotoreporter und Journalisten die Kapelle verlassen mussten, bevor der Priester mit dem Abendmahl die Messe abschloss. Damit war die Forderung nach einem Trauergottesdienst, den Rachele Mussolini mit Inspektor Agnesina ausgehandelt hatte und der im Zusammenhang mit dem Leichendiebstahl immer wieder gefordert worden war, erfüllt und die Polizisten drängten umgehend darauf, die Kiste nun beizusetzen. Doch die Witwe hatte kurz zuvor angekündigt, dass sie die Aufbahrung noch ein paar Tage fortsetzen wolle, damit mehr Besucher die Kiste sehen könnten. Dies widersprach der Abmachung, die sie mit Agnesina getroffen hatte, und deutet darauf hin, dass auch sie von dem Menschenandrang überwältigt war und versuchte, ihm gerecht zu werden. Offensichtlich hatte sie keinen detaillierten Plan, wie die Beisetzung gestaltet werden sollte. Spontane Ehrerweisungen gegenüber dem ehemaligen Duce wurden dadurch besonders einfach, da es keinen klaren Ablaufplan gab. Die Sicherheitskräfte bestanden auf der umgehenden Beisetzung, während die Vertreter der MSI damit drohten, in diesem Fall in ihren Zeitungen gegen diese Behandlung zu agitieren. Daraufhin wurde, wie im »Corriere« berichtet, ein Kompromiss geschlossen, welcher deutlich macht, dass die italienischen Behörden offenbar kein Interesse daran hatten, die Situation eskalieren zu lassen, aber auch nicht, jedem Ansinnen der Witwe nachzugeben : Während Rachele Mussolini den Friedhof verließ, wurde die Kiste in die Krypta unter der Kapelle überführt und dort noch einmal aufgebahrt.244 Dazu trug eine Gruppe der versammelten Mussolini-Anhänger die Kiste in das Untergeschoss.245 Ob243 U.a. Rosso, Francesco : »Gazzarra di gruppi neofascisti durante le esequie di Mussolini«, in : La Stampa, 1. September 1957, S. 1 ; L.S. [Scalmo, Leo] : »Inizia il pellegrinaggio«, in : Il Secolo d’Italia, 1. September 1957, S. 1/8 ; »Scuffling At Tomb Of Mussolini Police Precautions Taken«, in : The Times, 2. September 1957, S. 8. 244 Cervi : »Celebrato senza incidenti il rito in suffragio di Mussolini«. 245 Epoca, 8. September 1957, S. 31, BU : »La cassa viene trasportata nel sotterraneo della cappella privata di Mussolini, dove resterà ancora per ore in attesa di essere inumata. Si è conclusa, così, una vicenda durata quasi dodici anni. Recentemente Rachele aveva scritto al Presidente Zoli invocando la restituzione della salma. Zoli è di Predappio ed il padre di Rachele lavorava come fattore nelle terre di proprietà dell’attuale Presidente del Consiglio al tempo in cui la futura signora Mussolini era bambina«. Die Vorlage dazu dürfte die Aufnahme sein, die sich bei Getty Images findet : »The Coffin Of Mussolini«, Bildnummer : 141556529,
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wohl die Carabinieri also die Initiatoren dieser erneuten Verlegung der Kiste waren, beobachteten sie den Transport nur und trugen den unförmigen Sarg auch diesmal nicht selbst. So vermieden sie den Eindruck, sie würden das Begräbnis aktiv mitgestalten oder gar Mussolini militärische Ehren erweisen. Aufbahrung in der Krypta Für die Verlegung der Aufbahrung war die Kiste abgeräumt worden, nur die Trikolore und das kleine Kruzifix waren auf ihr belassen worden. In der Krypta wurde das Behältnis erneut auf dem Katafalk aufgebahrt. Dieser stand in der Mitte des Raums, in dessen Ecken die Sarkophage von Mussolinis Verwandten standen und in dessen Nische sich der für ihn angefertigte Sarkophag befand. Dort im Untergeschoss wurden die Kränze der MSI und der Familie aufgestellt und die Blumengestecke wieder auf den Katafalk gelegt. Auch wurde ein Bild des Verstorbenen, in einer für ihn typischen Uniform und dem rechten Arm zum »römischen Gruß« erhoben, am Fuß der Kiste arrangiert (wie in Abb. 50).246 Es war im Verlauf des vergangenen Tages bereits in der Kapelle aufgestellt worden. Dieses Bild stellte eine weitere Reminiszenz an Mussolinis Regierungszeit und die damit verbundene Militarisierung der Gesellschaft dar. Zwar war die Verwendung eines Porträts in der Bestattung sowie der Grabgestaltung in Italien üblich – so prangten auch über den anderen Sarkophagen in der Krypta Porträts der toten Verwandten –, doch war es kein Porträt wie bei seinen Verwandten, sondern eine ganzfigurige Darstellung. Er wurde auch hier von den ihn umgebenden Bestatteten abgehoben. Außerdem war aus der Unmenge von Aufnahmen Mussolinis eine ausgewählt worden, die ein Beispiel für die militarisierte Politikinszenierung des Faschismus war und eine Verbindung zu den faschistischen Kampfeinheiten darstellte. Da es keinen Masterplan bzw. kein offizielles Protokoll für das Begräbnis gab, konnten die Mussolini-Anhänger Elemente des faschistischen Totenkults einbringen. Trotz ihres recht eklektischen Charakters machten die rückwärtsgewandten Gesten
Beschreibung : The coffin containing the remains of Benito Mussolini is moved from the family chapel to the crypt in San Cassiano in Pennino, in the presence of Pino Romualdi and other nostalgic fascists. Predappio, 31st August 1957 (Photo by Emilio Ronchini/Mondadori Portfolio via Getty Images). 246 Cervi, »Celebrato senza incidenti il rito in suffragio di Mussolini«, bezeichnet die Uniform als »divisa di caporale d’onore della milizia«, ganz eindeutig ist dies aber nicht zu erkennen, da mögliche Abzeichen auf dem linken Arm im Schatten liegen.
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deutlich, dass die Ausführenden ihre Verbindung zu Mussolini vor allem im faschistischen Kampf sahen. Auch die Familie beteiligte sich an der eklektischen Einbeziehung von faschistischen Symbolen, wie der nun fertiggestellte und in situ befindliche Sarkophag für Mussolini veranschaulicht. Wie bereits in der Fotoreportage 1952 zu erkennen gewesen war, hatte sich der Steinmetz an den anderen Steinsärgen in der Krypta orientiert, aber die Liktorenbündel an den Ecken anders geformt. Nun war sichtbar, dass er auch dem Deckel eine andere Form gegeben hatte. Dieser war nicht leicht gewölbt, sondern flach mit Voluten an den Schmalseiten und erinnerte so an antike Vorbilder, was selbstverständlich den Sarkophag noch stärker von den anderen absetzte, zugleich aber auch als Reminiszenz an Mussolinis Vorliebe für antikisierende Formen gesehen werden kann. Insofern knüpfte der Steinsarg an die Formensprache des faschistischen Totenkultes an, verzichtete aber auf zu provokative Elemente wie die Lorbeerkränze für Märtyrer, und setzte stattdessen auf Kreuze. Freilich war die Verbindung von faschistischen und christlichen Symbolen nichts Neues, doch da die Forderung nach einem christlichen Begräbnis bzw. einem pietätvollen Umgang mit den Überresten die Spekulationen über Mussolinis Bestattungsort stets begleitet hatten, ist die reichhaltige Verzierung des Steinsarges mit Kreuzen zugleich konventionell und herausfordernd. Beisetzung Bevor Mussolini in diesen Sarkophag gebettet wurde, sollten auch seine bisher noch nicht eingetroffenen Kinder Vittorio Mussolini und Edda Ciano die Gelegenheit erhalten, ihrem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Da die Witwe ihre Kinder nicht früher über die Rückgabe der Leiche hatte informieren dürfen, mussten sie erst aus den unterschiedlichen Teilen Italiens anreisen.247 Am Sonntagabend fuhr die Witwe dann gemeinsam mit ihren Kindern und weiteren Verwandten noch einmal auf den Friedhof, um der Beisetzung Mussolinis beizuwohnen.248 »Il Secolo« beschrieb dies als einen privaten Akt der Andacht, nachdem die Besucher gegangen waren.249 Doch erfolgte diese Bei247 Wobei die jüngste Tochter Anna Maria, die nach der Erkrankung an Kinderlähmung schon während des Regimes selten in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen war, auf Ischia blieb. Scalmo : »Inizia il pellegrinaggio«, S. 1 ; Pensotti : La restituzione dei resti, S. 87. 248 Diese fand am 1. September 1957 und nicht, wie Luzzatto schreibt, am 31. August statt, vgl. Luzzatto : Il Duce, S. 290. 249 Scalmo : »Inizia il pellegrinaggio«.
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setzung keinesfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn nachdem es am Vortag zu Reibereien zwischen den Mussolini-Anhängern und den Fotografen gekommen war, waren nun einige Reporter ausdrücklich zur Teilnahme an der Beisetzung aufgefordert worden.250 Der medialen Zeugenschaft wurde hier also der Vorzug gegeben vor der Anwesenheit der Einheimischen und Mussolini-Bewunderern. Allerdings durften auch sechs Männer in »Schwarzhemden« als Ehrenwache an der Beisetzung teilnehmen. Sie standen links und rechts der Kiste, während die Witwe und die nächsten Angehörigen vor der Kiste standen ; die anderen Anwesenden mussten sich in der Gruft verteilen. Dass der MSI-Abgeordnete Pino Romualdi zu den Anwesenden gehörte, wurde übrigens von der Presse nicht weiter thematisiert, allerdings erwähnte es der Präfekt in seinem Bericht an das Innenministerium.251 Dies deutet zum einen darauf hin, dass die Presse die Beteiligung des MSI nicht betonen und ihm noch mehr Bedeutung geben wollte, zum anderen aber auch darauf, dass die Sicherheitskräfte durchaus die politischen Implikationen der Bestattung und der Beteiligung daran im Blick hatten. Trotz der Beteiligung der Journalisten und Fotografen wurden jedoch nur wenige Aufnahmen von der Beisetzung veröffentlicht, wobei sich sowohl »La Stampa« wie auch »Paris Match« (wie Abb. 50) auf die Angehörigen vor der Kiste konzentrierten.252 Die Turiner Tageszeitung setzte dabei sogar auf das recht teure, dafür aber schnelle Telefoto-Verfahren, bei dem die Fotografie per Telefonleitung an die Redaktion gesendet wurde, damit die Zeitung eine Abbildung der Beisetzung auf der Titelseite der nächsten Abendausgabe am
250 Für die folgenden Ausführungen Rosso, Francesco : »Tumulata la salma di Mussolini nella marmorea cripta di San Cassiano«, in : La Nuova Stampa Sera, 2./3. September 1957, S. 1 ; Scalmo, Leo : »Continua il pellegrinaggio del popolo per rendere omaggio alla tomba di Mussolini. A Predappio incessante afflusso di folla proveniente da ogni regione«, in : Il Secolo d’Italia, 3. September 1957, S. 1/8 ; »L’inhumation de la dépouille de Mussolini à Predappio s’est déroulée sans incident«, in : Le Monde, 3. September 1957, S. 3 ; sowie das Telegramm von Prefetto Camera an das Innenministerium, Forlì 1/9/1957 H. 23.15, Telegramm-Nr. 20112, in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220, Mussolini, famiglia – carteggio – salma, sottofasc. 11220/3, Mussolini salma. 251 Telegramm-Nr. 20112. 252 La Nuova Stampa Sera, 2./3. September 1957, S. 1, BU : »Rachele Mussolini con la figlia Edda e gli altri congiunti assiste alla tumulazione della salma nella cripta della tomba di famiglia. (Telefoto a ›Stampa Sera‹)« ; Paris Match, 14. September 1957, S. 58 rechts, BU : »Sa réplique vivante : Sa fille Edda, Ex-comtesse Ciano, Elle vit dans l’aisance après avoir vendu les mémoires de son mari«.
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2. September veröffentlichen konnte.253 Die Zeitung war demnach um eine zeitnahe Veröffentlichung der Nachricht sowie des dazugehörigen Bildes bemüht war. Dabei verwendete sie eine Aufnahme, die wirkt, als sei sie über den Kopf des Priesters hinweg mit Blick auf die Kiste und die davor versammelten Angehörigen sowie zwei »Schwarzhemden« aufgenommen worden. Dieses Bild wurde von einem Artikel begleitet, der die Beisetzung näher beschrieb und dabei sowohl die religiösen wie auch die familiären Aspekte eingehend betrachtete. Die Beisetzung wurde so durch eine Darstellung der aufgebahrten Kiste mit den trauernden Frauen der Familie davor versinnbildlicht. Andere unveröffentlichte Aufnahmen, die aus abweichenden Positionen aufgenommen wurden (Abb. 51),254 zeigen hingegen, wie trügerisch diese Präsentation der Trauer tragenden Frauen war. Außer Rachele, die schon die letzten Tage nur im schwarzen Mantel und mit schwarzer Kopfbedeckung zu sehen gewesen war, trugen auch ihre Tochter Edda sowie die Nichte Rosa Teodorani Trauer und alle Frauen hatten Kopftücher auf. Auch die meisten Männer hatten eine dunkle Krawatte angelegt, dennoch entspricht die Gruppe am Fuß des unförmigen Sargs keinesfalls einer typischen Trauergesellschaft. Dieser Eindruck kann auch durch die an typische Funeralszenen angelehnte Beschreibung in der neofaschistischen Parteizeitung, wonach sich die Familie um Fassung bemüht habe, sich Rachele und Edda dann aber doch in die Arme gefallen seien und der Enkel Marzio Ciano geweint habe, nicht geändert werden.255 Die Familienmitglieder in der ersten Reihe wirken vielmehr stoisch denn emotional, während die Männer im Hintergrund dem Geschehen interessiert, aber nicht trauernd folgen. Zwar betonte auch der Reporter von »La Stampa«, das Edda Ciano um Fassung gerungen habe, er wies aber darauf hin, welch unterschiedliche Gefühle sie am Grab ihres Vaters, der ihren Ehemann hatte hinrichten lassen, gehabt haben dürfte. Die Betonung der Trauer der Familie entsprach der von der Witwe vor der Restitution verfolgten Strategie und war letztendlich durch ihre Entscheidung, den Reportern den Zugang zur Beisetzung zu 253 Für die Entwicklung dieses Vertriebwegs Gürsel, Zeynep Devrim : A Short History of Wire Service Photography, in : Hill, Jason E.; Schwartz, Vanessa R. (Hg.) : Getting the Picture. The Visual Culture of the News, London 2015, S. 206–211. 254 Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00053125, Bildbeschreibung : Rachele, Edda Ciano e Vittorio Mussolini con amici e parenti davanti alla bara ricoperta con una bandiera e dei fiori, s/w, 6 × 6. Aber auch Bildnummer : FV00053003 ; Bildnummer : FV00053036 und Bildnummer : FV00053048. 255 Scalmo : »Inizia il pellegrinaggio«, S. 1/8.
Bestattung | Abb. 51 : Die Familie Mussolini am Katafalk kurz vor der Beisetzung.
gewähren, erst möglich geworden. Insofern fügen sich diese Bilder und Berichte der Trauer tragenden Witwe im Kreis ihrer Familie in Racheles (Selbst-) Stilisierung als trauernde Witwe ein. Darüber hinaus hatte sie auch stets die Bedeutung des Grabes für die Familie betont. Nun waren es die Männer der Familie, die die Kiste vom Katafalk in den Sarkophag trugen und nicht etwa die Ehrenwache der Ex-Milizionäre.256 So erwiesen die Angehörigen Mussolini die letzte Ehre, bevor der Sarkophag geschlossen und durch den Priester, der zuvor die Totengebete gesprochen und die Absolution erteilt hatte, gesegnet wurde.257 Der Fokus der abschließenden 256 Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00053071, Bildbeschreibung : Un gruppo di persone tra i quali Vittorio Mussolini nei pressi della bara ricoperta con una bandiera italiana ; Bildnummer : FV00052967, Bildbeschreibung : Viene trasposratata [sic !] l’urna con le spoglie di Mussolini, intorno una gran folla con i fotografi, s/w, 6 × 6. 257 Dies legt jedenfalls folgende Aufnahme nahe : Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00053037, Bildbeschreibung : Un fotografo riprende il sacerdote durante la benedizione sulla bara di Mussolini, s/w, 6 × 6.
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Beisetzung lag damit auf der Teilnahme der Familie an der religiösen Zeremonie, wobei es der Witwe offenbar sehr wichtig war, dass gerade ihre Tochter Edda an der Beisetzung teilnahm, da dies die Einheit der Familie am besten symbolisierte. Ob sie mit der Beteiligung Eddas und der damit präsentierten Überwindung der innerfamiliären Konflikte zudem an eine weiter angelegte Vergebung für ihren Ehemann appellieren wollte, ist nicht dokumentiert, doch liegt diese Interpretation nahe, da Rachele auf die Teilnahme Eddas großen Wert gelegt hatte und sie auch während der Beisetzung stets an ihrer Seite hatte. Doch die Inszenierung der nur auf die christliche Beisetzung und ein sicheres Grab bedachten Familie wurde gestört, als nach dem Segen des Priesters durch das vereinzelte Rufen faschistischer Parolen wieder Bezug zu faschistischen Beisetzungen geschaffen wurde.258 Anschließend löste sich die Versammlung zwar schnell auf, doch auch dieses Intermezzo macht evident, dass es während der Bestattung konkurrierende Inszenierungsabsichten gab. Die Witwe hatte einigen »Schwarzhemden« die Teilnahme an der Beisetzung als Ehrenwache gestattet und dürfte damit gerechnet haben, dass diese nicht passiv bleiben, doch sie und die Familie beteiligten sich nicht an ihren Handlungen. So trug auch keiner der männlichen Verwandten ein schwarzes Hemd, obwohl beispielsweise Vanni Teodorani, der Ehemann von Arnaldos Tochter Rosa, der sich 1954 mit einer Petition für die Restitution der Gebeine stark gemacht hatte, während der Aufbahrung in der Kapelle noch in einem dunklen Polohemd fotografiert worden war, als er sich zum Kuss der Kiste über den Katafalk beugte.259 Dass er zur Beisetzung einen hellen Anzug trug, obwohl er Mitglied des MSI war und, wie Luzzatto beschreibt, sogar eine Veteranenvereinigung für Soldaten der RSI ins Leben gerufen hatte, zeigt, dass die Familie hier scharf zwischen der Repräsentation der Familie und den Neofaschisten unterschied.260
258 Nach Angaben von Rosso : »Tumulata la salma di Mussolini nella marmorea cripta di San Cassiano«, riefen sie »Duce, sei più vivo che mai« und »Presente«, was der faschistischen Liturgie entsprach, dazu Gentile : Der Liktorenkult, S. 252. 259 Teodorani war auf Grund seiner journalistischen Tätigkeit für das neofaschistische Blatt »Asso di Bastoni«, aus der sich auch einige Prozesse ergaben, einem breiteren Publikum bekannt. So war er sowohl auf Fotografien von der Beisetzung zu sehen wie auch Gegenstand einer kleinen Bildserie in : Epoca, 8. September 1957, S. 28 f. untere Reihe. 260 Dazu Luzzatto : Il Duce, S. 264.
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Reaktionen auf das Begräbnis Diese (begrenzte) Distanzierung der Familie von den Neofaschisten wurde jedoch in der zeitgenössischen Presse nicht unbedingt derart beschrieben. Im Gegenteil, der neofaschistische »Secolo d’Italia« versuchte, die Familie zu vereinnahmen, indem er die enge Beziehung zwischen den Vertretern der Partei, insbesondere dem Direktor des Blattes, Franz Turchi, und der Familie betonte sowie die vielen neofaschistischen Ehrenerweisungen gegenüber dem zu Bestattenden wie auch seiner Familie herausstellte. Außerdem beschwor die Parteizeitung des MSI die Pilgerfahrt nach Predappio und knüpfte auf diese Weise begrifflich an den faschistischen Kult um die Grablege an. Demgegenüber betonten die Reporter von »La Stampa« und dem »Corriere«, es habe zwar Neofaschisten bei den Trauerfeierlichkeiten gegeben, diese seien aber nicht weiter ins Gewicht gefallen. Francesco Rosso machte sich sogar darüber lustig, wie die Mitglieder der MSI Ausreden dafür erfunden hätten, weshalb nicht mehr von ihnen anwesend seien.261 Die beiden auflagenstarken italienischen Tageszeitungen beurteilten die Übergabe der Gebeine an die Familie dabei durchaus positiv. In »La Stampa« war zu lesen, dass »il gesto di distensione fatto dal governo, restituendo la salma ai familiari, è avvenuto nel momento più opportuno«262 (die von der Regierung gemachte Geste der Entspannung, die Überreste an die Angehörigen zurückzugeben, zum richtigen Zeitpunkt stattfand), und der »Corriere« urteilte, dass »l’ordinamento democratico in Italia è sufficientemente consolidato«263 (die demokratische Ordnung in Italien ausreichend konsolidiert ist). Dabei berichtete für den »Corriere« mit Mario Cervi ein Freund und enger Vertrauter Indro Montanellis, der nicht nur selbst als Infanterieoffizier der italienischen Armee im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte, bis er in Griechenland in Gefangenschaft geriet, sondern der später auch gemeinsam mit Montanelli zahlreiche Darstellungen zum faschistischen Italien veröffentlichen sollte. Insofern ist der Berichterstatter einer der meinungsbildendsten Zeitungen in der revisionistischen Tradition von Montanellis »Qui
261 Er schätzte, dass rund dreitausend Menschen zwischen Freitagnachmittag und Sonntagabend die Kiste gesehen hätten, doch die »Schwarzhemden« hätten nur eine Minderheit dargestellt. Den Gerüchten, wonach Züge und Busse mit den Mussolini-Anhängern am Durchkommen nach Predappio gehindert worden seien, schenkte er keinen Glauben. Rosso : »Tumulata la salma di Mussolini nella marmorea cripta di San Cassiano«. 262 Ebenda. 263 »Nessuna pressione politica all’origine della decisione«.
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non riposano« zu verorten und es darf angenommen werden, dass er der Restitution gegenüber positiv eingestellt war. Die Parteizeitung der DC berichtete dagegen deutlich zurückhaltender und nur knapp über die Übergabe sowie die erfolgte Beisetzung.264 Hier wurde zum einen großer Wert auf die Schilderung der Unterbringung in den vergangenen Jahren gelegt und zum anderen betont, dass die Restitution ein reiner Akt christlicher Barmherzigkeit gewesen sei und es keinerlei andere Motive dafür gebe. Noch kürzer fielen die Artikel über die Restitution in »Avanti !« und »L’Unità« aus,265 bis die kommunistische Parteizeitung bekanntgab, dass sie die Ereignisse in Predappio nicht länger ignorieren könne und von der Regierung eine Erklärung zu einer ebenfalls veröffentlichten Fotografie verlangte (Abb. 52).266 Die Aufnahme zeigte die vor dem Altar der Familienkapelle aufgebahrte Kiste mit zwei links und rechts stehenden Carabinieri, die beide ein Gewehr hielten. Die Kommunisten zeigten sich irritiert, dass es auf der Fotografie so aussehe, als würden Soldaten der Republik Italien einem Verräter und Verbrecher militärische Ehren entrichten. Von Zoli und Tambroni forderten sie eine Erklärung, betonten aber gleichzeitig, dass sie schon die Entscheidung, sich überhaupt mit Mussolinis Überresten zu befassen, für falsch hielten. Diese Haltung hatten sie schon zum Ausdruck gebracht, als die ersten Gerüchte über eine Übergabe aufgekommen waren, doch nun verknüpften sie ihre Kritik noch stärker mit den vielen Opfern, die die Kommunisten, Sozialisten, aber auch Christdemokraten während des Faschismus gebracht hatten. Damit beschworen sie noch einmal den antifaschistischen Konsens. Doch anders als die Kommunisten, die weiterhin über Mussolini schweigen wollten, hatte die Regierung Zolis den zahlreichen Spekulationen über den Verbleib der Überreste mit der Übergabe ein Ende gesetzt. Durch die Restitution brach die italienische Regierung 1957 aus dem aus, was Lutz Klinkhammer als »antifaschistische Verweigerung, sich mit Mussolini zu beschäftigen«,
264 »La salma di Mussolini restituita ai familiari. La consegna à avvenuta ieri al cimitero di S. Cassiano« ; »La salma di Mussolini tumulata ieri«, in : Il Popolo, 2. September 1957, S. 6. 265 »Consegnata ai familiari la salma di Mussolini« ; »La salma di Mussolini consegnata alla vedova«. 266 »Di questo chiediamo conto all’›antifascista‹ Zoli«, in : L’Unità (Nuova serie), 1. September 1957, S. 2. Hier abgebildet die der Abbildung in der Zeitung entsprechenden Aufnahme Ullstein Bild, Bildnummer : 00112810, Bildbeschreibung : »Benito Mussolini. Bewaffnete Polizisten halten Wache an dem zur offiziellen Beisetzung in der Heimatgemeinde Predappio (Provinz Forlì, Romagna) freigegebenen Sarg Mussolinis – 30.08.1957«.
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Abb. 52 : Aufnahme von am Sarg Mussolinis wachenden Carabinieri, die der Abbildung in L’Unità, 1. September 1957, S. 2 entspricht.
beschrieben hat.267 Der allgemeine historiografische Befund lautet, dass sich die italienische Gesellschaft in den 1950er Jahren nicht aktiv mit der diktatorischen Vergangenheit auseinandergesetzt hat, Mussolini aber dennoch in den Magazinen ein Dauerthema war. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass die Geschichtswissenschaft sich bisher die Interpretation der zeitgenössischen politischen Opposition zur Herausgabe der Gebeine Mussolinis als Zugeständnis an die Neofaschisten zu eigen gemacht hat und nicht hinterfragt hat, wie das Wiederauftauchen des physisch greifbaren Mussolini zu diesem Beschweigen und dem Streben nach Befriedung der gesellschaftlichen Spannungen passte. Schließlich war 1946 angekündigt worden, dass der Leichnam an die Familie herausgegeben würde, wenn die gesellschaftliche Ordnung wiederhergestellt und die politischen Konflikte soweit beruhigt wären. Statt die Frage der Restitution weiter zu verschleppen und damit den Spekulationen 267 Klinkhammer : Der »Duce« im Schatten Hitlers ? Mussolini im Lichte der italienischen Historiographie, S. 90.
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freien Raum zu lassen, wagte Zoli die Übergabe und die großen Tageszeitungen attestierten ihm, zum richtigen Zeitpunkt gehandelt zu haben. So kam auch der konservative französische »Figaro« zu dem Urteil, dass diese Entscheidung der christdemokratischen Regierung schon seit einiger Zeit in der Luft gelegen habe und dadurch begründet sei, dass man in dem Mussolini-Mythos keine Gefahr mehr sehe.268 Den abschließenden Charakter der Beisetzung und deren ruhigen Verlauf betonten ebenfalls die Berichte in »The Times«, »Le Monde«, »Paris-Presse« und »Epoca«.269 Die letztgenannte Illustrierte, die bereits über die Vorbereitungen in Predappio berichtet hatte, erzeugte den Eindruck eines endgültigen Abschlusses vor allem durch die Abfolge der Bilder, bei der sie noch einmal einen Bogen vom Erschießungsort über Aufnahmen der Übergabe durch Agnesina und den Mönch sowie Nahaufnahmen der Witwe und anderer männlicher Verwandter bis hin zum Transport in die Gruft schlug. Die Kommunisten waren also die einzigen, die die Gestaltung der Bestattung kritisch beurteilten. Doch während die Berichterstatter, die vor Ort gewesen waren, in erster Linie betonten, dass es nicht zu neofaschistischen Ausschreitungen gekommen war, richtete »L’Unità« ihr Augenmerk darauf, wie die Regierung bzw. die Republik in Predappio in Erscheinung getreten war. Dazu bezog sie sich auf eine Fotografie, die sie zunächst in einem dokumentarischen Verständnis verwendete, indem die Abbildung als Zeugnis für das Verhalten der Carabinieri verwendet wurde. Doch da sie in dem Artikel die Regierung fragte, wie ein derartiges Motiv habe aufgenommen werden können, verwies sie bereits auf die Notwendigkeit, das Bild zu kontextualisieren. Da sie diesen Kontext nicht herstellen konnte oder vielmehr wollte, publizierte sie die Fotografie entgegen ihrer gängigen Praxis ohne Bildunterschrift. Indem die kommunistische Parteizeitung die Regierung ohne Vorabklärung mit der Veröffentlichung konfrontierte, wird deutlich, dass sie diese mit der Fotografie belasten wollte. »L’Unità« wollte von der Regierung wissen, ob die Carabinieri den offiziellen Auftrag hatten, Mussolini militärische Ehren zu erweisen, oder wie es zu einer derartigen Aufnahme kommen konnte. Ohne Kenntnis des Entstehungszusammenhangs – die Carabinieri waren nachts als Wachen bei der Kiste geblieben, während es am Abend des 30. August einigen Reportern erlaubt worden 268 Chaize : »Rendus à sa famille par le gouvernement les restes de Mussolini ont été inhumés chrétiennement hier«. 269 »Mussolini In His Family Tomb. Remains Restored To Widow«, Hospital : »Le corps de Mussolini vient d’être rendu à sa famille par les pouvoirs publics« ; »La dépouille de Mussolini rendue à sou épouse«, in : Paris-Presse, 31. August 1957, S. 1 ; »Mussolini ha una tomba«.
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war, nach der Schließung der Gruft dort Aufnahmen machen270 – blieben letztlich genau die Elemente einer militärischen Ehrenwache bestehen : Sarg, Soldaten, Gewehre, Trauerschmuck und sogar ein Altar. Auch wenn es sich nur um einen unförmigen Sarg und zwei Soldaten mit nicht einmal geschulterten Gewehren handelte, so stimmten die bildnerischen Mittel mit den Elementen einer Ehrenwache überein. Die bildimmanente Logik entsprach einer militärischen Ehrenbestattung. Dabei waren an dem Abend noch mehr Aufnahmen von den Carabinieri entstanden, die jedoch nicht veröffentlicht wurden,271 was der wohlwollenden Berichterstattung der Mehrheit der italienischen und Internationalen Presse entspricht. Hier wird deutlich, welche Bedeutung eine einzelne Fotografie für die Bewertung eines Ereignisses entwickeln konnte. Doch der daraus abgeleitete Vorwurf, die Regierung habe Mussolini militärische Ehren erwiesen, entfaltete keine Sprengkraft. So berichtete zwar »The Times« darüber, dass »L’Unità« die Regierung deshalb kritisierte habe,272 doch an der Kritik beteiligte sich das konservative Blatt nicht. Schließlich hatten sich die Sicherheitskräfte während der öffentlichen Feierlichkeiten nicht an den ehrenden Handlungen beteiligt, sondern diese nur beobachtet und auf die Einhaltung von Absprachen geachtet. Dass dann Einzelne der polizeilichen Bewachung eine Form gaben, die der zeremoniellen Ehrenwache entsprach, ließen sich die anwesenden Fotografen offensichtlich nicht entgehen, doch die meisten Zeitungen thematisierten diese individuellen Respektserweisungen nicht. Die Regierung reagierte allerdings mit einer Untersuchung auf die Veröffentlichung der Aufnahme.273 Denn die Aufnahmen der Carabinieri am Katafalk Mussolinis und die dahinterliegenden individuellen Ausdrücke von Respekt- und Ehrerweisung offenbarten, dass es unter den Sicherheitskräften der Republik Mussolini-Sympathisanten gab. Die Kontinuität der Eliten gerade im Bereich der italienischen Justiz ist inzwischen gut erforscht und Vincenzo 270 Scalmo : »Da Forio d’Ischia a Villa Carpena«. Die Bewachung durch die Carabinieri erwähnten auch Cervi : »Celebrato senza incidenti il rito in suffragio di Mussolini« ; Rosso : »Piccoli tafferugli a Predappio provocati da pochi fanatici«. 271 Auch Istituto Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00053147, FV00053161, FV00053163, Beschreibung : Due carabinieri sugli attenti davanti alla bara di Mussolini ; Bildnummer : FV00053160, Beschreibung : Due carabinieri sugli attenti davanti alla bara di Mussolini. 272 »Scuffling At Tomb Of Mussolini. Police Precautions Taken«. 273 »Inchiesta ministeriale sulla ›veglia‹ a Mussolini !«, in : L’Unità (Nuova serie), 3. September 1957, S. 2.
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Agnesina ist selbst ein gutes Beispiel dafür.274 Doch während er die Aufgabe, Mussolinis Leichnam zu verstecken, über elf Jahre erfüllt hatte, verwischten diese Carabinieri innerhalb von Stunden die Grenze zwischen staatlicher und privater Trauer – eine Unterscheidung, auf der Rachele Mussolini ihr Bemühen um die Restitution über Jahre aufgebaut hatte, indem sie ausschließlich die Möglichkeit zur familiären Trauer forderte. Mit der familiären Trauer legitimierte letztlich auch der Ministerpräsident die Restitution und schließlich betonten zahlreiche Artikel, dass Mussolini nun an seine Familie zurückgegeben worden sei. In diese Narration von Familie, Heimat und Privatheit konnten die Neofaschisten, insbesondere wenn sie sich auf den Faschismus bezogen, integriert werden, nicht jedoch die Repräsentanten der Republik Italien. Eine Ehrenwache durch Carabinieri für Mussolini hätte eine symbolische Rehabilitierung Mussolinis bedeutet, da dies eine staatliche Ehrung gewesen wäre. Doch die Frage, wie es zu der vermeintlichen Ehrenwache der Carabinieri für Mussolini gekommen war, verlor für die Kommunisten in Anbetracht der Berichte über zunehmende neofaschistische Besucherzahlen und Kundgebungen in Predappio an Bedeutung.275 In den nächsten Wochen kamen täglich Hunderte, sonntags auch Tausende von Besuchern nach Predappio.276 Diese Form des Totengedenkens erregte nicht nur den Widerstand der Kommunisten, vielmehr erhielt der Innenminister aus unterschiedlichen politischen Lagern, darunter auch vom Regionalausschuss der eigenen Partei, Aufforderungen, etwas gegen die neofaschistischen Auswüchse zu unternehmen.277 Dabei wies der Sekretär der Christdemokraten der Provinz Forlì, Gino 274 Dazu Luzzatto, Il Duce, S. 164, mit Verweis auf Claudio Pavones Paradigma der »continuità della Stato«. 275 Insbesondere »Interrogazione di Boldrini sulle gazzarre fasciste«, in : L’Unità (Nuova Serie), 11. September 1957, S. 2 ; »Proteste unitarie in tutta la Romagna per le intollerabili provocazioni fasciste«, in : ebenda, 24. September 1957, S. 2, und Sabatini, Angelo : »La vigilanza popolare nel Forlivese blocca il ›Pellegrinaggio‹ fascista«, in : ebenda, 30. September 1957, S. 1 ; aber auch »Risse fra comunisti e ›pellegrini‹ di Predappio«, in : La Stampa, 23./24. September 1957, S. 9. 276 Die Telegramme der Präfektur Forlì in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220, Mussolini, famiglia – carteggio – salma ; sowie Rosso : »Tumulata la salma di Mussolini nella marmorea cripta di San Cassiano« ; Luzzatto : Il Duce, S. 293/294. Wobei der Präfekt von Forlì anders als Rosso allein für den 1. September von 2.500 Personen ausgeht, Telegramm-Nr. 20112, Forlì 1/9/1957, in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220/3. 277 Brief von Democrazia Cristiana. Comitato provinciale di Forlì, Il Segretario an Ministro dell’Interno, Betreff : Situazione della Provincia in seguito ai pellegrinaggi di fascisti alla tomba di Mussolini a Predappio, Forlì 24/9/1957, S. 2, oder den Bericht über die Beschwerden der Republikaner durch die Prefettura di Forlì, Betreff : Sezione di Forlì del PRI Protesta per
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Mattarelli, deutlich darauf hin, dass es nicht um die Restitution ging, sondern um deren Folgen. In seinen Ausführungen ist eindeutig erkennbar, dass er kein Verständnis für das Verhalten der Sicherheitskräfte hatte. So beschreibt er, dass sie »Schwarzhemden« zwar den Zutritt zum Friedhof verweigerten, dies aber nur dazu führe, dass diese Personen dann im Unterhemd zur Gruft gingen. Die erneute Kritik an dem Verhalten der Carabinieri verweist darauf, dass die Sicherheitskräfte vor Ort immer noch sehr tolerant gegenüber den Neofaschisten waren. Ursächlich dafür erachtete Luzzatto, dass die Präfekten durch das antikommunistische Paradigma so auf die Verfolgung der Kommunisten konzentriert waren, dass sie andere Verstöße gegen die Rechtsordnung ausblendeten.278 Bei der Beisetzung drückte sich diese Außerachtlassung darin aus, dass die zur Überwachung abgestellten Carabinieri nicht gegen die Präsentation des »römischen Grußes« und faschistischer Symbole vorgingen. In den Wochen nach der Restitution ließen sie dann die Neofaschisten auf dem Friedhof gewähren und schützten sie sogar vor den Gegendemonstranten. Sie veränderten ihr Verhalten erst, nachdem der öffentliche Druck durch Beschwerden beim Innenminister sowie Protesten und Demonstrationen in der Region immer größer geworden war. Nun wurden Anzeigen wegen Verstößen gegen die Legge Scelba und aufrührerischem Verhalten erstattet.279 Das Verhalten der Carabinieri ist hierbei jedoch nicht das Bemerkenswerte − schließlich attestiert Paul Ginsborg der gesamten Verwaltung des italienischen Staates Ineffizienz und eine gestörte Funktionsweise in diesem Jahrzehnt −, 280 sondern dass sich auf die massive Präsenz der Neofaschisten hin gesellschaftlicher Widerstand formierte, der deutlich über die kommunistischen Organisationen hinausging. Das dadurch erwirkte konsequentere Vorgehen der Sicherheitskräfte führte zu einem Rückgang der Besucherzahlen : Waren im September an den Wochentagen noch durchschnittlich 260 Besucher gekommen, waren es im Oktober unter der Woche im Schnitt nur 126 Personen pro Tag (Tabelle 3).281 Um presunte provocazioni »neofasciste«, 17/9/1957, 2 S. mit Anhang, in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220/3. 278 Luzzatto : Il Duce, S. 296 f. 279 Beispielhaft der Bericht vom 29. September wonach 25 Personen wegen Tragens eines schwarzen Hemdes oder Entrichtung des römischen Grußes verhaftet wurden. Repressione manifestazioni neofascisti e sedizione nel cimitero San Cassino di Predappio, 29.9.1957, in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220/3. 280 Ginsborg : Storia d’Italia 1943–1996, S. 199. 281 Telegramme der Präfektur Forlì in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220/3 ; Rosso : »Tumulata la salma di Mussolini nella marmorea cripta di San Cassiano« ; Luzzatto : Il Duce, S. 293 f.
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den konstanten Zustrom von Besuchern aufrecht zu erhalten, organisierte der MSI die Anreise für Regionalgruppen und spezielle Veranstaltungen, allerdings waren die staatlichen Stellen inzwischen deutlich aufmerksamer. So wurde beschlossen, mögliche Kundgebungen zum Jahrestag des Marsches auf Rom, am 28. Oktober, der während des Faschismus stets feierlich begangen worden war und ab 1930 ein Nationalfeiertag war,282 zu verbieten.283 Den Totenkult um Mussolini in Predappio, der über Souvenirs wie die unvermeidlichen Postkarten284 weiter verbreitet wurde, konnte die Regierung so freilich nicht unterbinden. Es scheint, als habe der Ministerpräsident sich auf die Erfüllung eines Versprechens aus dem Jahr 1946 und die damit verbundene Beendigung der Spekulationen über den Verbleib von Mussolinis Leichnam konzentriert und darüber die möglichen Konsequenzen von neofaschistischen Kundgebungen und kommunistischen Gegenkundgebungen vernachlässigt. Ob er die Gefahr eines neofaschistischen Totenkults, vor dem die Kommunisten eindringlich gewarnt hatten, unterschätzt hatte und deshalb keine strengeren Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen hatte oder ob er ihn billigend in Kauf nahm, ist nicht klar, doch sah sich die Regierung auf Grund des öffentlichen Protests schließlich gezwungen, die massive neofaschistische Präsenz in Predappio zu regulieren. Doch was bisher von der Historiografie überhaupt nicht berücksichtigt wurde, ist der Umstand, dass zu Beginn des Jahres 1957 das italienische Verfassungsgericht die Rechtlichkeit der Legge Scelba bestätigt und Klagen dagegen zurückgewiesen hatte.285 Dementsprechend konnte sich Zoli sicher sein, dass der Staat über die nötigen rechtlichen Mittel verfügte, um gegen die Verherrlichung des Faschismus vorzugehen, sollte die Restitution zu solchen Auswüchsen führen. Vor diesem Hintergrund scheint es durchaus möglich, Zoli habe die neofaschistischen Manifestationen rund um die Restitution in Kauf genommen, da die Neofaschisten so selbst ihr Image als verfassungstreue Demokraten demontierten. 282 Zu den im Faschismus üblichen Formen, diesen Tag zu begehen, Nützenadel : Staats- und Parteifeiern im faschistischen Italien, S. 139. 283 Capo della Polizia al Gabinetto dell’on. Ministro, Betreff : MSI-Adunata di iscritti e simpatizzanti del Movimento a Predappio per il 28 ottobre, Roma 26/10/1957, in : Forlì in : ACS, MI, Gabinetto 1957–60, busta 42, fasc. 11220/3. 284 Postkarten des Sarkophags Mussolinis sind nicht nur bis heute in den Kiosken in Predappio erhältlich, sondern auch auf eBay und anderen Auktionsplattformen. 285 Sentenza della Corte Costituzionale, Nr. 1/1957 (16. Janurar 1957). Zur Einordnung des Urteils Ceccanti ; Clementi : Italy, S. 212 f.; Klamt : Die Europäische Union als Streitbare Demokratie, S. 98.
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Eindeutig richteten sich auch die öffentlichen Proteste nicht gegen die Beisetzung in Predappio per se, sondern gegen die »Pilgerfahrten« der Neofaschisten. Hier formierte sich eine öffentliche, nicht nur kommunistische Kritik an neofaschistischen Kundgebungen, wie sie zuvor nicht üblich war, sich dann jedoch bei dem großen Parteitag des MSI in Genua 1960 wieder formieren sollte.286 Daraufhin beendete die DC auch ihre Praxis, ihre Minderheitenregierungen durch den MSI stützen zu lassen, und entzog damit der neofaschistischen Partei ihre parlamentarische Bedeutung. Luzzatto hat darüber hinaus auf den Zusammenhang mit »den heftigen Auseinandersetzungen um die Gedenkstätten für die Widerstandskämpfer, zu denen es im Sommer 1960 kommen sollte«,287 hingewiesen. Allerdings stellt er dies als eine rein kommunistische Kritik dar und berücksichtigt die Beteiligung anderer antifaschistischer Gruppierungen kaum. Doch lassen sich die Ereignisse rund um die Wiederbestattung Mussolinis in die Renaissance des Antifaschismus einordnen, deren Anfang Filippo Focardi in der Rede des Staatspräsidenten Gronchi im Jahr 1955 macht und deren Durchbruch im Jahr 1960 folgt.288 Die auffälligste Parallele zwischen den von der Struktur her so unterschiedlichen Wiederbestattungen ist, dass die einzige Kritik an der Gestaltung der Beisetzungen von den kommunistischen Parteizeitungen geäußert wurde. Das überrascht nicht vor dem Hintergrund, dass die Kommunisten sich in beiden Ländern als die Protagonisten der Widerstandsbewegung verstanden, nun aber politisch in eine isolierte Position gedrängt worden waren. Dennoch ist es bezeichnend, dass die Auslöser für die Kritik in beiden Ländern sehr ähnlich waren, sie allerdings anders als bei den Meldungen zu Pétains Tod nicht mehr aufeinander Bezug nahmen.289 Die Kommunisten störten sich jeweils an den staatlichen Ehrerweisungen gegenüber den ehemaligen Regimechefs. Während 286 Bei Demonstrationen gegen den Parteitag des MSI in Genua kam es in einigen italienischen Städten zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen sowie Demonstranten und der Polizei, bei denen auch Menschen getötet wurden, da Ministerpräsident Tambroni ein hartes Vorgehen gegen die antifaschistischen Demonstrantinnen und Demonstranten angeordnet hatte. Fernando Tambroni kostete dies sein Amt und die politische Karriere. Dazu u.a. Jansen : Italien seit 1945, S. 150 f.; Kogan : A Political History of Postwar Italy, S. 168–172 ; Woller : Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, S. 276–278. 287 Luzzatto, Il Duce, S. 295. 288 Focardi, Filippo : La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Rom 2005, S. 39–41. 289 »L’Humanité« ging 1957 überhaupt nicht auf die Beisetzung Mussolinis ein und obwohl »L’Unità« durch die zeitliche Nähe zum Diebstahl 1973 dem Fall Pétain mehr Aufmerksamkeit schenkte, berichtete auch sie nicht über die Beisetzung.
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Tabelle 3 : Besucherzahlen auf dem Friedhof San Cassiano basierend auf Präfekturberichten Telegramm Nr. *
Datum 30.8.–1.9. (Fr.–So.)
Besucher
Telegramm Nr.
3.000
22274
1.10.
80
22354
2.10.
80
[…]
Datum
Besucher
20285
4.9.
100
22412
3.10.
130
20350
5.9.
400
22500
4.10.
180
22553
5.10.
190
[…] *
8.9. (So.)
3.500
[…] 20681
10.9.
350
*
6.10. (So.)
1.800
22724
7.10.
80
22848
8.10.
110
20748
11.9.
270
22940
9.10.
140
20795
12.9.
220
23012
10.10.
95
20878
13.9.
300
23076
11.10.
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Quelle : Eigene Erhebung. Telegramme der Präfektur Forlì in : Rom, ACS, MI, Gabinetto 1957– 60, busta 42, fasc. 11220/3, Mussolini.
Bestattung | * Rosso, Francesco : »Tumulata la salma di Mussolini nella marmorea cripta di San Cassiano«, in : La Nuova Stampa Sera, 2./3. September 1957, S. 1 ; Luzzatto : Il Duce, S. 293 f. und 298.
die Ehrungen durch die Familien und auch die Bewunderer mehr oder weniger hingenommen wurden, verursachten die Respektbekundungen des französischen Staatspräsidenten und der italienischen Sicherheitskräfte den medialen Protest. In beiden Fällen ging es darum, dass durch die Gesten von Repräsentanten des Staates die Grenzen zu Staatsbegräbnissen weiter verwischt wurden, denn da offizielle Trauerfeiern von den Staatsoberhäuptern angeordnet werden mussten, agierten die Regierungen bei den Bestattungen von Mussolini und Pétain sowieso schon in einem Graubereich. Als dann auch noch Angehörige von Militäreinheiten als Ehrenwachen auftraten und der französische Präsident zwar nicht persönlich an der Bestattung teilnahm, aber ein Grabgesteck sandte, verschwammen die Grenzen zum Staatsbegräbnis weiter. Vor dem Hintergrund, dass die Forschung davon ausgeht, dass offizielle Trauerfeiern »die herausragenden Ereignisse für die Repräsentation gemeinsamer Wertvorstellungen und nationaler Identifikationsmuster darstellten«290, ist der Protest der Kommunisten nur zu gut nachzuvollziehen, denn aus ihrer Perspektive ermöglichte das inkonsistente Verhalten der beiden Regierungen den italienischen Neofaschisten wie den französischen Pétainisten die Fortsetzung ihrer Kulte – in Italien gab es ihnen sogar erst einen offiziellen Ort. Die Gestaltung der Wiederbestattungen prägen bis heute das Verhältnis weiter Teile der Öffentlichkeit zu den beiden Grabstätten und den darin Bestatteten. Die in Frankreich bereits 1951 vorgenommene Unterscheidung zwischen dem Pétain von Verdun und dem von Vichy wurde auch von Pompidou nicht überwunden, sondern nur verfestigt. Und in Italien wurde die Herausgabe an die Familie nicht mit Maßnahmen gegen den neofaschistischen Totenkult verbunden. Solche Maßnahmen werden bis heute nicht ergriffen. Zwar war in Italien die Debatte über das Grab beendet worden, was in Frankreich mitnichten der Fall war, doch wurde von der Regierung nicht konsequent gegen die Entfaltung des neofaschistischen Totenkultes vorgegangen. Diesem Problem begegnete das Kabinett Messmer aktiver, da es den Zugang zur Wiederbestattung regulierte, was durch die Lage des Bestattungsortes erleichtert wurde. Außerdem hatte das Totengedenken auf Yeu bereits Tradition und nahm keine neue Dimension an. Demgegenüber hatte in Predappio offenbar die Möglichkeit bestanden, dass sich jeder auf seine Art in die Gestaltung 290 Tobia : Die Toten der Nation, S. 67.
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| Rückführung oder Überführung
der Bestattung einbringen konnte. Dies war durch den Rückzug der hohen Regierungsvertreter, die Rachele Mussolini nach der Restitution weitgehend freie Hand gegeben hatten, ermöglicht worden, da auch die Witwe keine feste Vorstellung davon hatte, wie die Bestattung ihres Gatten ablaufen sollte. Allerdings bleibt zu bemerken, dass sich die Teilnehmer beider Bestattungen gegenseitig kontrollierten ; so stoppte der Großneffe Pétains den Vorsitzenden der ANPV bei einer Grabrede und ein Geistlicher aus Predappio verhinderte eine »faschistische« Messe. Hinzu kam, dass die Partei von Tixier-Vignancour bei der Beisetzung auf Yeu nicht einmal präsent war. Die Wiederbestattung auf Yeu konterkarierte die Forderungen der Alliance Républicaine pour les Libertés et le Progrès, die nicht in der Lage war, daraus politisches Kapital zu schlagen. Der MSI war zwar bei der Beisetzung durch zwei hohe Mitglieder, Trauerschmuck und die Parteizeitung vertreten, doch fielen diese neben den »Schwarzhemden« eigentlich kaum auf. Die neofaschistische Partei war bei der Beisetzung nicht durch ihren Vorsitzenden oder viele Mitglieder präsent und verschwand hinter faschistischer Nostalgie, wobei zumindest Teile des MSI diese Nostalgie auch noch dadurch beförderten, dass sie »Wallfahrten« organisierten. Allerdings schlug sich auch dies nicht in Stimmgewinnen nieder. Im Gegenteil, bei der Parlamentswahl im darauf folgenden Jahr – bis zu der Zolis Minderheitenregierung durchgehalten hatte – lag ihr Wahlergebnis sogar unter dem der Kommunalwahl von 1953. Insofern konnten auch die Neofaschisten kein unmittelbares politisches Kapital aus der Beisetzung schlagen. Vielmehr scheint es, als sei es in beiden Fällen den Regierungsparteien gelungen, Wähler der extremen Rechten für sich zu gewinnen : In Frankreich dadurch, dass Pompidou zwar nichts an dem Bestattungsort änderte, dies aber anscheinend im Einklang mit den Wünschen der Familie entschied und zudem die nationale Bedeutung Pétains als »Helden von Verdun« durch die militärischen Ehrenzeichen, die Beteiligung von Veteranen des Ersten Weltkriegs und den Kranz in der Tradition de Gaulles anerkannte. In Italien dadurch, dass Zoli mit der Restitution den Gebeinen Mussolinis nun erstmals ein öffentliches Grab im Kreis seiner Familie und mit nachvollziehbaren christlichen Riten zugestand.
5. BI L A N Z
Wie lassen sich die Funktionen der Bestattungsinszenierungen und deren medialer Reproduktionen für die Nachkriegsgesellschaften zusammenfassen ? Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass es sich hier nicht um normierte und zentral koordinierte Zeremonien handelte, wie von regulären Trauerfeiern gewohnt, sondern um prozesshafte Entwicklungen, an denen unterschiedliche Gruppen beteiligt wurden. Während politische Inszenierungen in der Regel auf die Sichtbarkeit von Macht abzielen oder zumindest in diesem Sinn interpretiert werden, konnte gezeigt werden, wie die amtierenden Regierungen in Italien und Frankreich zwar die Verantwortung für die Bestattungen nie ganz aus der Hand gaben, selbst aber nicht in diesen Bestattungen präsent sein wollten. Diese Zurückhaltung gilt allerdings nicht für die Ermittlungen, in denen die staatliche Ordnungsmacht sehr deutlich in Erscheinung trat und dies auch medial inszeniert wurde. In Frankreich war es bereits beim ursprünglichen Begräbnis Pétains gelungen, eine umfängliche Zeremonie abzuhalten, welche trotz der Störung der Totenruhe nicht entwertet wurde, sondern 1973 in bescheidenerem Rahmen einfach wiederholt wurde. Dabei war dies, wie dargestellt, keinesfalls den minutiösen Vorbereitungen der französischen Regierung zuzuschreiben, sondern vielmehr ihrer Zurückhaltung, durch die sich Angehörige, Bewunderer und Weggefährten Pétains in die Gestaltung der Bestattung einbringen konnten. So erhielt die Familie die Erlaubnis zur privaten Aufbahrung des Verstorbenen in Uniform, die Vertreter des französischen Episkopats konnten die liturgischen Aufgaben übernehmen und die Veteranenverbände ihrem ehemaligen Befehlshaber die letzte Ehre erweisen. Auf diese Weise wurde das Grab auf der Atlantikinsel Yeu von den Pétainisten akzeptiert, während die Regierung die Beisetzung zunächst als provisorisch bezeichnete. Damit zeigte sich in der Gestaltung, dass die französische Regierung auf Distanz zu dem ehemaligen Regimechef ging. Allerdings hatte das scheidende Kabinett Queuille faktisch den Forderungen nach einer Überführung nach Douaumont Tür und Tor geöffnet, obwohl die Beisetzung den religiösen und auch vielen traditionellen Anforderungen entsprochen hatte. Am massivsten waren die Forderungen nach einer Translation ins Beinhaus von Douaumont aus dem Lager der Rechtsradikalen und Vichyisten, von Jacques Isorni und Jean-Louis Tixier-Vignancour sowie der ADMP vorgebracht worden und nicht etwa von den Anciens Combattants,
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also den ehemaligen Soldaten, unter denen der Marschallskult am langlebigsten war. Durch die vielen unterschiedlichen Haltungen von Pétains Anhängern zu dessen Begräbnisort konnte die französische Regierung nach dem Diebstahl an der Grabstätte festhalten. Sie betonte allerdings gegenüber 1951 stärker das soldatische Gedenken durch die Einbeziehung von Val-de-Grâce und dem Militär. Zuvor war dies auf die Veteranen beschränkt geblieben, nun wurde das aktive Militär in die Ehrung einbezogen. Die Translationsforderungen verstummten zwar auch nach 1973 nicht, doch fanden sie immer weniger Unterstützung, wurde doch immer deutlicher, dass es dabei nicht um soldatisches Gedenken, sondern die Rehabilitation des Vichy-Regimes ging. So wird die aktuelle Petition zur Translation nach Douaumont neben der ADMP vor allem von rechtsradikalen Gruppen wie der Jeune Nation getragen. In Italien hatte die Regierung erst 1957 genug Vertrauen in die Stabilität der politischen Ordnung, um sich selbst aus der Ausgestaltung der Bestattung zurückzuziehen und den Angehörigen diese Aufgabe zu überlassen. Zuvor hatte die Regierung die Entscheidungen nur in Abstimmung mit dem Erzbischof von Mailand getroffen. Mit dem anonymen Grab sollte Mussolini aus der Öffentlichkeit verschwinden und seinen Anhängern der Ort zum Totenkult genommen werden. Da es aber nicht gelang, den Ort geheim zu halten, konnten die Neofaschisten das Grab zerstören und die Überreste entwenden. Die Bestattung konnte daher auch nicht am selben Ort wiederholt werden, da dieser durch die Berichterstattung über den Diebstahl nun über die Grenzen der Stadt und Italiens hinaus bekannt war. Eine öffentliche Beisetzung wollte die Regierung der jungen Republik Italien jedoch noch nicht riskieren, weshalb sie zwar die Restitution an die Familie zusicherte, aber zunächst eine Zwischenunterbringung für den Leichnam vornahm. Auf diese Weise ermöglichte sie Spekulationen über den Verbleib der Überreste und den Zeitpunkt der Übergabe, sie machte aber auch deutlich, welche Bedingungen erfüllt werden müssten, damit eine Beisetzung durch die Familie stattfinden könne, nämlich dass von dem Begräbnis keine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgehen dürfe. Die politischen und terroristischen Anschläge der Neofaschisten gingen in den folgenden Jahren zurück, als der MSI einen parlamentarischen Kurs einschlug. Die Restitution zeigte allerdings, dass das Grab Mussolinis zwölf Jahre nach Kriegsende durchaus die öffentliche Ordnung bedrohen konnte, wenn auch nur auf regionaler Ebene, da die Bevölkerung, der traditionell links wählenden Romagna gegen die neofaschistischen »Pilgerfahrten« protestierte und sich daraus gewalttätige Auseinandersetzungen entwickelten. Die Bestattung selbst wurde dabei aber nicht in Frage gestellt. Strittig war nicht, dass Mussolini ein
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Grab und damit einen Ort des Totengedenkens erhalten sollte, sondern wie sein Andenken dort gestaltet wurde. Die Diskussion darüber hatte die Regierung zuvor unterbunden, indem sie dem Leichnam des Duce kein öffentliches Grab zugestanden hatte. Hier zeigt sich, dass die Leichen der ehemaligen Regimechefs zu einem Medium politischer Auseinandersetzungen über die Vergangenheit und Zukunft in der italienischen und französischen Nachkriegsgesellschaft wurden. In den Bestattungen und den Debatten darüber setzten sich die Beteiligten mit der Vergangenheit auseinander und konstruierten gleichzeitig die ›sichtbare‹ Erinnerung an die Toten oder versuchten es wenigstens, wie die Partisanen mit dem anonymen Grab für Mussolini 1945. Dabei konnte sich jeder, der wollte, an dem Prozess beteiligen, wie etwa der Briefwechsel zwischen dem französischen Staatspräsidenten Vincent Auriol und einem Veteranen zeigt.1 Die Regierungen beider Länder ließen zu, dass die unter Eindruck des Kriegsendes getroffenen Entscheidungen über die Bestattungen verändert wurden, und sie gaben nach und nach den Anhängern und Familien die Möglichkeit, sich an der Gestaltung der Begräbnisse zu beteiligen. Die Diebstähle der Überreste stellten dabei nur die offensichtlichste Form der Auseinandersetzung dar, bei der es neben der Frage nach dem Bestattungsort in erster Linie um politische Anerkennung und die Popularisierung rechtsradikaler Parteien ging. Durch den analytischen Zugang der Studie über das Zeremoniell, der insbesondere innerhalb der zeitgeschichtlichen Forschung kaum praktiziert wird, konnten die Aushandlungsprozesse über mehrere Jahrzehnte und nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit nachgezeichnet werden. Die komparatistische Betrachtung hat dabei einige strukturelle Ähnlichkeiten aufgedeckt, die über die einzelnen Handlungen hinausreichen. Dies waren vor allem die ambivalente Rolle der rechtsradikalen Gruppierungen, die Bedeutung der Familie, die Position der katholischen Kirche in den jeweiligen Ländern, die militärischen Aspekte in Frankreich und die medial vermittelte Teilnahme an den sozialen Handlungen. Ihre Bedeutung für die Gestaltung der Bestattungen durch die Regierungen sollen nun abschließend noch einmal zusammengefasst werden. Zuvor wird jedoch auch die Rolle der kommunistischen Parteien summarisch dargestellt.
1 Einträge am 4. und 5. Juni in Auriol : Journal du septennat, S. 213–215.
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Kommunistische Ablehnung jeglicher Ehrungen Kaum Einfluss auf die Gestaltung der Bestattungen konnten die kommunistischen Parteien – der Partito Comunista Italiano und der Parti Communiste Français – als wichtige Oppositionsparteien in beiden Ländern nehmen. Beide lehnten jegliche Form von Ehrung für die toten Regimechefs ab und schlossen sich schon durch diese Totalverweigerung von der Debatte aus. Es überrascht daher nicht, dass sie weder die Einrichtung von öffentlichen Grabmalen verhindern konnten noch ihren Bedenken gegenüber der Etablierung von Totenkulten durch entsprechende Gegenmaßnahmen Rechnung getragen wurde. Einzig in Italien waren die Kommunisten im April 1945 an der anonymen Beisetzung Mussolinis beteiligt, die aber eben nur von kurzer Dauer war. Gerade als die Entscheidung zur Restitution Mussolinis anstand, war die Kommunistische Partei Italiens in ihrem Ansehen wie in ihrem Selbstverständnis moralisch geschwächt : Im Vorjahr waren zunächst auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion die Verbrechen Stalins angeprangert worden, im Herbst hatte die Sowjetunion den Volksaufstand in Ungarn niedergeschlagen. Der PCI distanzierte sich zwar im Dezember 1956 vom Vorgehen der Mutterpartei in Ungarn, doch änderte dies am Ausgangsproblem wenig.2 In einer ähnlichen Position befand sich 1973, also rund fünf Jahre nach der Niederwerfung des Prager Frühlings, die Kommunistische Partei Frankreichs. Rechtsradikale Gruppierungen und Totenkult Der Einfluss der rechtsradikalen Gruppen war, kaum verwunderlich, demgegenüber wesentlich größer. Er drückte sich zunächst und spektakulär im Diebstahl der Leichen aus, der die Wiederbestattungen notwendig machte. Bis es so weit war, verschaffte ihnen der Diebstahl erhöhte Aufmerksamkeit und die Gelegenheit, mit amtlichen Stellen in Kontakt zu treten. Auch wenn sie dabei dank der postfaschistischen Zeitstimmung wenig erreichten, diente das der Festigung der eigenen, freilich vielfach gespaltenen Gefolgschaft. Trotzdem wurden die Wiederbestattungen keineswegs durch die rechtsradikalen Organisationen geprägt. Weder der neofaschistische Movimento Sociale Italiano noch die Association pour défendre la mémoire du maréchal Pétain konnten dabei besonders in Erscheinung treten, auch wenn einzelne Mitglieder mit den obli2 Jansen : Italien seit 1945, S. 119–121 ; Kroll : Kommunistische Intellektuelle in Westeuropa, S. 221–242 und 483–502.
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gatorischen Grabgestecken vertreten waren. Auch hatten diese Vereinigungen weniger an den von den Regierungen reglementierten Begräbnissen Interesse als an den Gräbern als Orte des Gedenkens und der Versammlung ihrer Anhänger. Doch auch hier ist zu differenzieren, denn das Grab Mussolinis in Predappio bot vor allem der reaktionären Strömung innerhalb des MSI und anderer neofaschistischer Gruppierungen ein Ventil, während die Parteiführung an einem parlamentarischen Integrationskurs festhielt. So konnten die zuvor an unterschiedlichen Orten gefeierten neofaschistischen Gedenkveranstaltungen, an denen auch immer einige Abgeordnete des MSI teilgenommen hatten, nun in Predappio in Gegenwart des Sarkophags stattfinden. Zuvor war beispielsweise der Gedenkgottesdienst zu Mussolinis elftem Todestag in der römischen Kirche Sant’Agostino unter Beteiligung des ehemaligen Parteivorsitzenden Augusto De Marsanich sowie Franz Turchi und Vanni Teodorani gefeiert worden.3 Die neofaschistische Partei konnte bei ihren Feiern an den ausgeprägten faschistischen Totenkult anknüpfen, während sich die ADMP wie auch die ANPV nicht auf eine für das Vichy-Regime übliche Praxis beziehen konnten, sondern in erster Linie an dem aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangenen Gefallenenkult orientierten.4 Dadurch verloren die Vichyisten allerdings an Profil gegenüber den Veteranenverbänden, die das Grab ebenfalls in ihr Andenken an den Ersten Weltkrieg integrierten. Die bis heute von der ADMP geforderte Überführung der Überreste in das Beinhaus von Douaumont bei Verdun geht über das Totengedenken für Pétain hinaus, denn mit ihr würde auch eine Rehabilitation des wegen Hochverrats verurteilten Pétain und damit im übertragenen Sinn auch seines Regimes einhergehen.5 Dabei bleibt Hubert Massol als Präsident der ADMP der Forderung nach der Translation treu, die er bereits beim Diebstahl des Sarges 1973 vertreten hatte, doch verband er schon damals andere Ziele damit. Zum einen versuchte Massol, wie auch Leccisi in 3 Diese drei präsentierten sich bei diesem Anlass den Fotografen. Aufnahmen in Istituto Luce, Istituto Luce, Fondo Vedo : 1956, Messa in suffragio di Mussolini nella chiesa di Sant’Agostino a Roma – 28.04.1956. 4 Ben-Amos : La commémoration sous le Régime de Vichy, S. 406, stellt heraus, dass das Vichy-Regime im Wesentlichen die Gedenkformen der III. Republik fortgeführt hat. 5 Es gibt eine Vielzahl von Internetseiten dazu, aber die wohl aktuellste Initiative ist die von Hubert Massol im Sommer 2014 gestartete Petition an den damaligen französischen Staatspräsidenten François Hollande zum Transfert des cendres du Maréchal Philippe Pétain à Douaumont, die über eine Onlineplattform unterzeichnet werden konnte, URL : https://www. change.org/p/pour-le-transfert-des-cendres-du-mar%C3%A9chal-philippe-p%C3%A9tain%C3%A0-douaumont [21.9.2015] sowie über eine Facebookseite. Die inzwischen geschlossene Petition hat 1.633 Unterschriften erhalten.
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Italien, seine Sicht auf die Vergangenheit zu verteidigen, wobei er diese nicht nur durch die Beisetzung auf Yeu, sondern auch durch die zunehmend kritische Auseinandersetzung mit dem Vichy-Regime bedroht sah. Leccisi störte vor allem das anonyme Grab. Zum anderen haben die Leichendiebe zwar in beiden Ländern einen respektvolleren Umgang mit den ehemaligen Regimechefs gefordert, in erster Linie aber um mediale Aufmerksamkeiten gebuhlt. Mit ihren spektakulären Aktionen befeuerten sie die Erinnerung an die Regime und lenkten die Aufmerksamkeit auf die eigenen rechtsextremen Gruppierungen. Insbesondere die persönlichen Karrieren der Anführer der Diebesbanden wurden durch die mit den Diebstählen verbundene Berichterstattung befördert. Darüber hinaus fanden beide Diebstähle zu Zeitpunkten statt, in denen es auch um Profilierung innerhalb des rechtsradikalen Spektrums ging. Der MSI war wenige Monate, nachdem Mussolinis Leichnam in sein Versteck gebracht worden war, gegründet worden. Dieser explizit neofaschistischen Partei trat auch der PFD bei, also die für den Diebstahl des Leichnams verantwortliche Partei. Aus dem Diebstahl hatte der MSI daher keinen direkten Vorteil ziehen können. Er konnte aber, wann immer er die Regierung in Verlegenheit bringen wollte, an die versprochene Rückgabe der Überreste an die Familie erinnern. Die Partei des ehemaligen Mitarbeiters der Vichy-Regierung und Präsidentschaftskandidaten Tixier-Vignancour war durch die Gründung des Front National in Bedrängnis geraten. Die Initiative zur geheimen Translation im Februar 1973 benutzte den toten Pétain erneut zum Stimmenfang. Demgegenüber äußerten sich weder Jean-Marie Le Pen noch andere Mitglieder des Front National zu dem Diebstahl. Sie definierten ihre Partei, die in der Parteienforschung als rechtsextreme Partei neuen Typus betrachtet wird, nicht durch Reminiszenzen an das Vichy-Regime.6 Dagegen verkörperten Tixier-Vignancour und seine Alliance Républicaine pour les Libertés et le Progrès, aber besonders der MSI den alten Typus rechtsradikaler Parteien. Sie trieben das Unterscheidungsmerkmal »Nostalgie« mit den Leichendiebstählen auf die Spitze. So überließ der FN die Pflege des Totengedenkens bereitwillig den Vereinigungen ADMP und ANPV, wobei es freilich personelle Überschneidungen zwischen den Vereinigungen und dem FN gab, während in Italien zumindest einzelne Mitglieder der MSI bei der Beisetzung in Erscheinung traten und anschließend Fahrten nach Predappio organisierten. Im Fall Pétains beteiligte 6 Ignazi, Piero ; Ysmal, Colette : New and Old Extreme Right Parties. The French Front National and the Italian Movimento Sociale, in : European Journal of Political Research 22 (1992), S. 101–121.
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sich einzig das dem FN nahestehende Wochenblatt »Minute« aktiv an der Diskussion über die Wiederbestattung und eröffnete direkt am 28. Februar 1973 eine Petition zur Überführung nach Douaumont. Doch diese fand offenbar nicht den erhofften Erfolg, jedenfalls wurde die Petition nur in zwei Ausgaben abgedruckt.7 Während die neue rechtsradikale Partei in Frankreich den Totenkult im Wesentlichen den traditionellen Vereinigungen überließ, gab es Vergleichbares in Italien nicht. Dort forderte vor allem die Witwe die Restitution und pflegte später den Totenkult. Unterstützt und dazu animiert wurde sie sowohl von der Familie und Teilen der lokalen Bevölkerung wie auch von rechtsextremen Gruppen, aber ebenso von Journalisten und Journalistinnen, die immer wieder über das Schicksal von Rachele Mussolini berichteten. Räumliche und familiäre Dimension Bis zu ihrem Tod 1979 spielte Rachele Mussolini eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung des Grabes ihres Mannes und seiner Vermarktung. Ihr Kampf um die Rückgabe ihres Mannes wurde von den italienischen Boulevardblättern dokumentiert, wenn nicht gar inszeniert. Auch nach der Beisetzung Mussolinis in ihrem gemeinsamen Heimatort suchte sie oft die mediale Aufmerksamkeit. So setzte sie sich zunächst bei der amerikanischen Regierung für die Rückgabe von Gehirnproben ein, die bei der Obduktion 1945 entnommen worden waren.8 Nachdem sie diese im März 1966 zurückerhalten hatte, wurden sie in einer kleinen Truhe in einem Schaukasten über dem Sarkophag präsentiert, wo inzwischen auch eine Büste Mussolinis aufgestellt worden war. Nicht nur die Gruft der Familie wurde mit Memorabilien ausgestattet, sondern ebenso das Restaurant, das die Witwe in der Nähe eröffnet hatte.9 Das Grab Mussolinis wurde für die Wirtschaft der Region sehr wichtig, was sich insbesondere nach dem Bombenanschlag im Dezember 1971 zeigte. Die Attentate von rech7 »Lettre ouvert au Président de la république. Pétition nationale pour le transfert à Douaumont du vainqueur de 1914–1918«, in : Minute, Nr. 568, 28. Februar–5. März 1973, S. 47–48, und Minute, Nr. 569, 7.–13. März 1973, S. 19. 8 Ausführlicher ausgeführt in Kapitel 2.3.2, aber auch Bosworth : Mussolini, S. 413 ; Baima Bollone : Le ultime ore, S. 203, oder Foot : The Dead Duce, S. 15 ; Mussolini : Mussolini ohne Maske, S. 214. 9 »Donna Rachele«, in : Der Spiegel, 25. März 1963, S. 118 ; Hamblin, Dora Jane : »Visit to Mamma Mussolini. Il Duce’s Durable Widow Runs a Small-Town Restaurant in Italy«, in : Life, 11. Februar 1966, S. 39–44.
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ten wie linken Terrorgruppen hatten bereits seit mehreren Jahren Tote und Verletzte gefordert sowie Schäden in Italiens Städten verursacht, der Anschlag in Predappio erregte daher nicht viel Aufsehen. Dennoch war die Gruft für Touristen geschlossen worden, doch die ortsansässigen Gastronomen und Hoteliers überzeugten den sozialistischen Stadtrat nach etwa einem halben Jahr, die Gruft in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wieder für Besucher und Besucherinnen zugänglich zu machen.10 Für die Ferieninsel Yeu hingegen stellte die Verbindung mit Pétain keine besondere ökonomische Ressource dar. Zwar präsentiert das kleine Museum in Port-Joinville einige Erinnerungsstücke an Pétains Zeit auf der Insel, darunter das angebliche Sterbebett,11 und freilich ist die Insel ein Anziehungspunkt für Pétain-Anhänger und -Anhängerinnen, aber sie kann nicht darauf reduziert werden, wohingegen Predappio unauflöslich mit Mussolini verbunden ist.12 Während sich die Familiengruft für Predappio und die Familie Mussolini zum maßgeblichen ökonomischen Standortfaktor entwickelte, ist die touristische Anziehungskraft von Yeu grundsätzlich anders beschaffen und geht weit über die Verbindung mit Pétain hinaus. Ob sich die Beobachtung, dass die positive touristisch-ökonomische Wirkung solcher Orte auch ihre Akzeptanz bei der ortsansässigen Bevölkerung erhöht, generalisieren lässt, müsste eingehender untersucht werden. Die französische und die italienische Regierung waren bei der Wahl der Bestattungsorte sehr unterschiedliche Wege gegangen. Mussolini war im Unterschied zu Pétain nie rechtskräftig verurteilt worden, weshalb seine Familie seine 10 [N.S.] : »Deciso dalla giunta di sinistra[.] Predappio restaura tomba del duce i turisti«, in : La Stampa Sera, 10. August 1972, S. 2 ; Goldoni, Luca : »Predappio in cerca di turista restaura la tomba di Mussolini«, in : Corriere della Sera, 10. August 1972, S. 11 ; S.C.: »Devastata la tomba di Mussolini«, in : Corriere della Sera, 27. Dezember 1971, S. 13. Der Anschlag Ende Dezember 1971 wurde ›maoistischen‹ Tätern zugeschrieben, in Untersuchungen zum italienischen Linksterrorismus wurde er bisher aber kaum beachtet. Zum Spannungsfeld zwischen Rechts- und Linksterrorismus in Italien Hof : Staat und Terrorismus in Italien 1969–1982. 11 Bspw. die Beschreibung in Targan, Edmund : Hiddensee und/et l’Île d’Yeu, Hamburg 2012, S. 104. Viele der Objekte waren von der Witwe vor ihrer Abreise an den Hotelier Nolleau übergeben worden, »De nombreux souvenirs du maréchal Pétain vont être réunis a Port-Joinville«, in : La Croix, 28. Juli 1951, S. 2. Allerdings weist Targan : Hiddensee und/et l’Île d’Yeu, S. 113, auch darauf hin, dass der Präfekt der Vendée 1955 das Anbringen einer Gedenktafel am Sterbehaus verboten hatte. Die touristische Vermarktung des Verstorbenen wurde also offenbar reglementiert. 12 Sofia Serenelli hat dies auch für die Zeit nach 1957 eindrücklich herausgearbeitet, Serenelli, Sofia : ›It was like something that you have at home which becomes so familiar that you don’t even pay attention to it‹. Memories of Mussolini and Fascism in Predappio, 1922–2010, in : Modern Italy 18 (2013), S. 157–175 ; dies.: A Town for the Cult of the Duce.
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Gebeine so nachdrücklich zurückfordern konnte. Im Gegensatz zu Rachele Mussolini und dem Rest der Familie hatten die Witwe Pétains, Eugénie, und die Verwandten und Weggefährten aber schon an der ursprünglichen Bestattung auf Yeu teilnehmen und deren Gestaltung prägen können. Dass Eugénie anscheinend nie mehr nach Yeu und an das Grab ihres Mannes zurückkehrte,13 kann zwar als Ablehnung der Grabstätte betrachtet werden, doch übernahm dafür die ADMP das Totengedenken auf der Insel und gedachte dabei auch der Hingabe und Treue, die Eugénie ihrem Mann entgegengebracht habe.14 Die damals bereits über siebzigjährige Witwe ließ die Verteidiger ihres Mannes an dessen posthumer Rehabilitierung arbeiten und zog sich selbst aus der Öffentlichkeit zurück. Sie bemühte sich auch nicht darum, später in seiner Nähe bestattet zu werden, was verdeutlicht, wie gering sie das Grab auf Yeu offenbar schätzte. Die familiäre Dimension einer Grabstätte ordnete sie dem nationalen Gedenken in Douaumont unter. Im April 1957, also noch vor der Restitution der Gebeine Mussolinis, suchte Isorni im Namen der Witwe bei Staatspräsident René Coty um die Translation Pétains in das Beinhaus nach. Dieser Wunsch wurde abgelehnt und die erneute Anfrage bei General de Gaulle im nächsten Jahr änderte erst recht nichts daran.15 Da es sich bei Pétain um einen verurteilten Hochverräter handelte, war die Forderung nach einer Umbettung, getragen von der Familie und der ADMP, keine rein private Angelegenheit, da die Translation in eine nationale Erinnerungsstätte einer Rehabilitation Pétains gleichgekommen wäre. Diese juristische Dimension existierte bei Mussolini nicht und so musste sich die italienische Regierung zwar von der kommunistischen Parteizeitung vorwerfen lassen, Mussolini unangemessene Ehren erwiesen zu haben, doch ohne eine gerichtliche Verurteilung hatte sie kaum ein Argument, die Überreste nicht an die Angehörigen herauszugeben. Es ist dennoch bemerkenswert, dass trotz der zeitlichen Nähe der Vorstöße Isornis und Eugénies zur Überführung Mussolinis nichts darauf hinweist, dass sie sich aufeinander bezogen. Die ADMP verfasste nicht einmal selbst eine Stellungnahme zu der Überführung Mussolinis, sondern übernahm dazu einen Artikel aus dem literarischen Wo13 Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2, S. 523, Anm. 1. 14 Beispielhaft der Bericht über die »Pilgerfahrt« der ADMP aus dem Département Charente-Maritime, »Le premier pèlerinage départemental de l’ADMP«, in : Bulletin, Nr. 2, Oktober 1952, S. 5 ; auch Le Naour : On a volé le Maréchal !, S. 34 und 39. 15 Briefwechsel abgedruckt in : Bulletin, Nr. 24, Juli 1958, [S. 2–4] ; »Mort de Mme Philippe Pétain«, in : Le Monde, 31. Januar 1962 ; »Hommage a Madame la Maréchale Pétain«, in : Le Maréchal, Nr. 26, 1962 ; »Mme. Pétain«, in : The Times, 31. Januar 1962, S. 15.
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chenblatt des Theaterregisseurs Jacques Hébertot. In diesem wurde die Beisetzung Mussolinis durch seine Familie zum Anlass genommen, die Translation Pétains nach Douaumont zu fordern.16 Die Vereinigung zur Erinnerung an Pétain erachtete die Restitution Mussolinis an die Familie und die Beisetzung im Heimatort nicht als besonders wichtig oder gar exemplarisch, schließlich strebte sie nach einer Translation auf einen nationalen Soldatenfriedhof. Dabei gab es selbstverständlich sowohl zwischen den rechtsextremen Politikern beider Länder als auch zwischen Isorni und Rachele Mussolini Kontakte. Isorni zeigte sich in seinen Memoiren sichtlich stolz darauf, die Witwe des Duce 1963 persönlich getroffen zu haben.17 Doch stellte die Presse nur beim Diebstahl Pétains eine Verbindung zum Fall Mussolinis her, aber auch zum Fall Evita Perons. Vorbildlich wurde keine der Gestaltungen für das jeweils andere Land, schließlich verfolgten sowohl die Regierungen als auch die Anhänger und Verwandten der Verstorbenen in den beiden Ländern sehr unterschiedliche Ziele. In Frankreich hatte die Regierung schon bei der ursprünglichen Bestattung auf ein frei zugängliches, aber entlegenes Grab gesetzt und Zugeständnisse an die Familie und die Veteranenverbände gemacht. Die Familie und die Pétain-Anhänger nutzten nach der Verurteilung und Haft das Begräbnis als einen ersten Schritt der Rehabilitation, indem sie möglichst viele ehrende Elemente und Bezüge auf Pétains Status als Marschall von Frankreich integrierten, gleichzeitig gründeten sie auf diesen Status ihre Forderung nach der Translation nach Douaumont sowie der Revision des Hochverraturteils. Nach dem Tod Eugénies entstand jedoch Uneinigkeit innerhalb der Familie und mit den Verteidigern, die für Eugénie die Rehabilitation hatten erkämpfen sollen. Die Rolle der Witwe nahm nun nicht die Schwiegertochter ein, so wie es die normale Erbfolge nahegelegt hätte, sondern Girard, ein angeheirateter Großneffe, der jedoch sowohl zum inneren Kreis des Vichy-Regimes wie zur ADMP gehört hatte. Für ihn gab es, anders als für die Schwiegertochter und Isorni, keine Alternative zur offiziellen Überführung nach Douaumont. Er stimmte der Fortsetzung des Status quo auf Yeu wohl zu, um die Verlegung des Sarges an einen dritten Ort zu verhindern. Damit hielt er, der die revisionistische Schrift »L’appel de l’île d’Yeu. La paix franco-française« verfasst hatte, gleichzeitig an einem Ort fest, der an die Vichy-Vergangenheit erinnerte und verhin-
16 «Le retour des cendres», in : Bulletin, Nr. 22, Oktober 1957, S. 4/6. 17 Er widmete ihr ein ganzes Kapitel, Isorni : Mémoires, Bd. 3, S. 99–112.
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derte, dass diese durch eine Translation vollkommen durch das Andenken des »Helden von Verdun« überlagert wurde.18 Die Inszenierung der Bestattung Mussolinis, in der vor allem sein Heimatort, die Familiengruft und seine trauernden Angehörigen hervorgehoben wurden, führte hingegen zu einer scheinbaren »Privatisierung« des Diktators. Daran änderten auch die Neofaschisten mit ihren Reminiszenzen an den Faschismus nichts. Im Gegenteil, die vermeintlich private Atmosphäre ermöglichte sehr individuelle Abschiedsgesten, wie das Küssen des Sargs oder das Einritzen des Namens, das Niederlegen von faschistischen Symbolen oder von Mussolini-Bildern durch Einzelne. Diese Gesten stärkten wiederum den scheinbar privaten Charakter der Inszenierung gegenüber den straff durchorganisierten Inszenierungen des faschistischen Totenkults. Mussolinis Gebeine kehrten an den Ort zurück, der eng mit der Familie Mussolinis, aber auch mit seiner Politik verknüpft war. Er wurde in dem Ort bestattet, in dem er geboren worden war, von dem aus er nach Mailand gegangen war, wo er die Squadre und die Faschistische Partei gegründet hatte. Von Mailand kehrte der tote Mussolini nach Predappio zurück. Damit war das von Mussolinis Witwe propagierte Ziel einer Bestattung in der Familiengruft erreicht worden. Gleichzeitig hatte sich die italienische Regierung so sehr von dem Geschehen vor Ort distanziert, dass es allein dem Präfekten oblag, zu beurteilen, wann er bei den neofaschistischen Ehrungen einschritt. Insofern bot die Regierung den Neofaschisten und der Familie 1957 zwar den Rahmen, ihre anhaltende Verehrung für den Faschismus darzustellen und damit ihre reaktionären Überzeugungen selbst zu entlarven, sie unternahm aber nichts, um dies auf die Bestattung zu begrenzen. In der Folge werden auch wir heute durch die Aufmärsche in Predappio immer wieder daran erinnert, welche Anziehungskraft der Kult um den Duce nach wie vor hat. Dass Eugénie Pétain mit dem Bestattungsort ihres Mannes trotz christlicher und durchaus aufwändiger Bestattung nicht einverstanden war, hatte sie umge18 Die Interpretation des Wochenblatts »Minute«, wonach Girard der wahre Verteidiger Pétains und Isorni nur ein Opportunist sei, ignorierte die persönlichen Ambitionen des Publizisten Girard und seine Konkurrenz mit Isorni, auch wenn die Zeitung die Veröffentlichung seiner Pétain-Biografie im Jahr 1971 erwähnte. Girards Monogafien in der Übersicht : Girard, Louis-Dominique : Montoire, Verdun diplomatique. Le secret du Maréchal, Paris 1948 (ND 1976) ; ders.: La guerre franco-française. Le Maréchal républicain, Paris 1950 ; ders.: L’appel de l’île d’Yeu. La paix franco-française, Paris 1951 ; ders.: Mazinghem ou la vie secrète de Philippe Pétain, Paris 1971. »La Querelle autour d’un tombeau«, in : Minute, Nr. 568, 28. Februar–5. März 1973, S. 11–12.
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hend klar gemacht, dennoch überließ sie die Bemühungen um die Translation in erster Linie den Juristen. Anders als die Witwe Mussolinis oder Pétains Neffe Louis-Dominique Girard veröffentlichte sie keine Memoiren. Lediglich im Herbst 1959, also zwei Jahre, nachdem Rachele Mussolinis Erinnerungen an ihren Mann in einer reich bebilderten Serie erschienen waren, ließ sie ihre Erinnerungen an ihr Leben mit Philippe Pétain in »L’Aurore« veröffentlichen.19 Die konservative Tageszeitung konzentrierte ihre Berichterstattung dabei ausschließlich auf die Vergangenheit und druckte anders als »Oggi« keine aktuellen Fotos ab, die die Witwe inszenierten. Selbst nutzte Eugénie diese Artikel auch nicht dafür, nachdrücklich eine Umbettung zu fordern, vielmehr beklagte sie sich über ihre unzureichende Versorgung als Soldatenwitwe.20 Im Vergleich zu Rachele hielt sich Eugénie, wie die anderen Angehörigen, aus der medialen Diskussion über die Bestattung zurück und wirkte daher erheblich passiver. Insgesamt muss festgestellt werden, dass zwar beide Witwen versuchten, auf den Umgang mit ihren verstorbenen Gatten Einfluss zu nehmen, sie dabei aber sehr unterschiedliche Strategien verfolgten. Eugénie, die ein Grab zum Totengedenken hatte, ging nie dorthin und forderte stattdessen eine Überführung auf einen Nationalfriedhof, während Rachele nicht einmal wusste, wo ihr Mann bestattet war, und dann alles daransetzte, ihn im Heimatort zu bestatten. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Mussolinis Witwe irgendwann einen anderen Ort für das Grab erwogen hätte, obwohl die Neofaschisten um Domenico Leccisi 1946 den Anspruch auf ein nationales Grabmal im Herzen der Hauptstadt erhoben hatten. Mussolinis Witwe konzentrierte sich hartnäckig darauf, zu erfahren, wo ihr Mann bestattet war, sie führte dazu vor allem familiäre und christliche Werte an. Die politische Dimension spielte sie stets herab, ganz anders als dies der MSI gekonnt hätte oder als dies Isorni und die ADMP getan haben. Katholische Kirche und christliche Werte Auf christliche Werte bezogen sich sowohl die französischen Bischöfe, als sie sich für die öffentliche Bestattung Pétains einsetzten, als auch die Mönche, die 19 Die treibende Kraft hinter der Serie dürfte der Journalist Pierre Bourget gewesen sein, der kurz danach auch eine Serie mit dem Gefängnisdirektor Simon Josef und in den Sechzigern eine Monografie über Pétain veröffentlichte. Bourget, Pierre ; Pétain, [Annie] Eugénie : »Mon mari, le Maréchal« (9 Teile), in : L’Aurore, 10./11.–20. Oktober 1959. 20 Bourget, Pierre ; Pétain, Annie : »Mon mari, le Maréchal (IX)«, in : L’Aurore, 20. Oktober 1959, S. 8.
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beim Verbergen von Mussolinis Leichnam halfen. Doch hatte die katholische Kirche zu beiden Regimen ein schwieriges Verhältnis unterhalten. Einerseits hatte Mussolini mit den Lateranverträgen den Kirchenstaat anerkannt und den Katholizismus zur Staatsreligion erklärt, der Vatikan hatte Mussolini im Gegenzug zu nationalem wie internationalem Ansehen verholfen. Auch Pétain hatte der katholischen Kirche unter dem Vichy-Regime wieder zu Ansehen und Einfluss verholfen und viele Geistliche unterstützten deshalb seine Regierung, doch hatte sich auch zunehmend Widerstand gegen die Judendeportationen und die Politik des Regimes formiert. Obwohl die französische Kirche für ihre Unterstützung Pétains nach Kriegsende kritisiert worden war, gaben die französischen Bischöfe und Kardinäle eine gemeinsame Empfehlung für ein Begräbnis Pétains ab. Nach dem Leichendiebstahl und der inzwischen vorangeschrittenen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hielt sich die französische Bischofskonferenz aus weiteren Debatten über die Translation heraus. In Italien mischte sich während der Befreiung Mailands einzig der Erzbischof in die Ereignisse ein, als er zunächst die Entfernung der Leichen vom Piazzale Loreto forderte und anschließend die geheime Beisetzung organisierte. Die Bischöfe beider Länder reagierten also keinesfalls einheitlich auf den Tod der ehemaligen Regimechefs. Ihr Verhalten spiegelt vielmehr das unterschiedliche Verhältnis der katholischen Kirche zu den jeweiligen Regierungen wider. Nach dem Ende des Krieges setzten viele Italiener für einen nationalen Neubeginn ihre Hoffnungen in die katholische Kirche.21 Während der Vatikan großen Einfluss auf die christdemokratische Partei in Italien hatte, blieben die französischen Christdemokraten auf Distanz zum Episkopat.22 Immerhin war es der Parteigründer Georges Bidault gewesen, der die schwarze Liste mit
21 Diese Einschätzung vertreten u. a. Campani, Carlo : Nationale Identität und Gedenken an den antifaschistischen Widerstand im republikanischen Italien, in : Behrenbeck, Sabine, Nützenadel, Alexander (Hg.) : Inszenierung des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 171–190, hier S. 178 ; Di Nolfo, Ennio : Von der Konfrontation zur Partnerschaft. Italien und der Vatikan 1943–1948, in : Woller (Hg.) : Italien und die Großmächte 1943–1949, S. 179–206 ; Formigoni, Guido : L’Italia dei cattolici. Fede e nazione dal Risorgimento alla Repubblica, Bologna 1998, S. 133 ; Klimó, Árpád von : Der Wandel des ›mondo cattolico‹ (1945–1958). Neuere Forschungen zum italienischen Laienkatholizismus in der Nachkriegszeit, in : Historisches Jahrbuch 126 (2006), S. 465–491, S. 469. 22 Wobei auch die Kirche mit der Partei nicht allzu viel anfangen konnte, wie Warner : Die katholische Kirche als politischer Akteur in Italien, Frankreich und Deutschland, S. 286–288, betont.
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den nichtvertrauenswürdigen Bischöfen angelegt hatte.23 Nach dem Diebstahl des Sarges auf Yeu versuchten die französischen Bischöfe nicht, die Regierung durch öffentlichen Druck zu beeinflussen, sondern der Erzbischof von Verdun signalisierte, dass er der Entscheidung der Regierung folgen würde. Eine derart enge Zusammenarbeit, wie sie das Erzbistum von Mailand und der dortige Kapuzinerorden mit den italienischen Behörden entwickelte, wurde in Frankreich jedoch nicht erreicht. Sie war hier auch nicht nötig, da die französische Regierung weder für mangelnde Pietät kritisiert worden war noch ein Versteck für den Leichnam Pétains gebraucht hatte. Insofern war die französische Regierung in ihrem Umgang mit dem toten Pétain – abgesehen von den Gottesdiensten – dem laizistischen Grundsatz treu und stets unabhängig von der Kirche geblieben, während das Vorgehen der italienischen Regierung ohne die Unterstützung der katholischen Kirche in Form Kardinal Schusters zwar nicht unmöglich, aber sicherlich noch umstrittener gewesen wäre. Dass es innerhalb der katholischen Kirche keine einheitliche Vorstellung davon gab, wie mit dem Leichnam eines ehemaligen Diktators umgegangen werden soll, wurde insbesondere dadurch deutlich, dass die Diebe um Domenico Leccisi durch die Franziskanermönche von Sant’Angelo unterstützt wurden. In beiden Ländern agierte die katholische Kirche jedoch gerade in den unmittelbaren Nachkriegsjahren als politischer Akteur und nahm entscheidenden Anteil an der Gestaltung der ursprünglichen Bestattungen. Militärische Dimension Vonseiten der italienischen Armee haben – wenn überhaupt – nur die Carabinieri, die den Katafalk nach der Restitution bewachen sollten, dem toten Mussolini besondere Ehren erwiesen. Die Veteranen, die zum Begräbnis in Predappio kamen, waren Mitglieder der faschistischen Miliz bzw. der Kampfverbände der Republik von Salo gewesen. Die Uniform der Miliz hatte Mussolini häufig bei öffentlichen Auftritten getragen24 und so seine Verbundenheit mit den eigenen Kampfbünden statt mit der Armee des Königreichs Italien ausgedrückt. Pétain hingegen trug auch als Staatschef meist seine Marschallsuniform und erinnerte damit kontinuierlich an seine Verdienste für Frankreich sowie sein soldatisches Selbstverständnis. Sein Ansehen in der Armee und bei den Veteranen 23 Halls : Politics, Society and Christianity in Vichy France, S. 369–371. 24 Luzzatto, Sergio : L’immagine del duce. Mussolini nelle fotografie dell’Istituto Luce, Rom 2001, S. 68 ; Schieder : Benito Mussolini, S. 11.
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hatte selbst durch den Waffenstillstand von 1940 und die Kollaboration mit Deutschland kaum Schaden genommen. Dies war bei seiner Beisetzung 1951 durch die hohe Präsenz von Veteranen und ehemaligen Militärangehörigen zum Ausdruck gekommen. Die zusammengelegten französischen Streitkräfte wurden zunächst durch die Kriege in Indochina und Algerien gefordert und dann durch die Anschläge der Organisation de l’armée secrète vor eine Zerreißprobe gestellt wurden. Die Disziplin der Soldaten war schwer angeschlagen.25 Vor diesem Hintergrund könnte die Betonung der militärischen Elemente und die Integration von Soldaten in die Wiederbestattung auch als der Versuch der Regierung gedeutet werden, dem Militär Respekt entgegenzubringen. Durch die Einhaltung militärischer Konventionen achtete die Regierung einerseits die militärischen Verdienste Pétains sowie die militärischen Traditionen und gab gleichzeitig der Armee die Gelegenheit, Pétain ihren Respekt auszudrücken, was ihr 1951 noch verwehrt geblieben war. Medien und visuelle Dimension Die Rolle der Printmedien ging weit über die Reproduktion der Inszenierungen der Bestattungen hinaus. Sie wurden zum einen von den Leichendieben dafür genutzt, ihre Forderungen zu verbreiten und Druck auf die Regierungen aufzubauen, wobei – wie im Zusammenhang mit der Pressekonferenz gezeigt wurde – die französischen Zeitungen dem Grabräuber Massol sehr bereitwillig eine Bühne für seine Inszenierung boten und diese weiter unterstützten. Zum anderen griffen gerade die italienischen Magazine, offensichtlich in enger Verbindung mit der Witwe, aktiv in die Debatte um die Bestattungen ein. Die Zeitschrift »Epoca« verfolgte mit der Bildserie zum Sarkophag, der für Mussolini vorbereitet wurde, einen ganz eigenen Ansatz der Meinungsbildung. An keiner Stelle spricht sich der Autor dieses Artikels deutlich für oder gegen eine Restitution aus, er geht mit den Bewohnern Predappios keineswegs gnädig um, doch durch die Abbildungen wurde dem Publikum das potentielle Grab des ehemaligen Diktators als plausible Möglichkeit suggestiv vor Augen geführt. Dabei wirken die Fotografien der Menschen und der einfachen Grablege keineswegs heroisierend, sondern verharmlosend. Der Angst vor einem Kult, wie er im Faschismus um Predappio bestanden hatte, wirkten diese Bilder entgegen.
25 Paxton, Robert Owen : Parades and Politics at Vichy. The French Officer Corps under Marshal Pétain, Princeton 1966, S. 421–424.
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Wie zu erwarten haben beide Regierungen versucht, die Berichterstattung über die Bestattungen und Ermittlungen zu kontrollieren. Dabei erhielt die Bildkontrolle einen besonderen Stellenwert, wie insbesondere an der privaten Aufbahrung Pétains gezeigt wurde, von der in Artikeln ausführlich berichtet wurde, von der aber keine Fotos erscheinen sollten. Doch ging es bei der Aufnahme des Verstorbenen nicht nur um die Reproduktion eines Ereignisses, sondern die Anfertigung des Totenporträts war eine traditionelle symbolische Handlung bei Bestattungen. Die Regierung hatte zunächst versucht, über die Vorgaben für das Begräbnis zu verhindern, dass Bilder des Verstorbenen aufgenommen und verbreitet würden. Schließlich entsandte der Regierungschef Queuille einen Beamten, um die Aufbahrung auf dem Totenbett zu fotografieren und so die Verbreitung der Aufnahmen kontrollieren zu können. Mit diesem Vorgehen wurde dem Zeremoniell Genüge getan, ohne dass die klassischen Memorialbilder ungehindert verbreitet werden konnten, wie es mit den Aufnahmen von Mussolinis Leichnam auf dem Piazzale Loreto auf Postkarten geschehen war. Bei den Aufnahmen des toten Pétain überschnitt sich die Kontrolle der Bilder mit der des Zeremoniells. Doch auch zu Beginn der 1950er Jahren konnte die Veröffentlichung der Fotografien nicht dauerhaft verhindert werden. Abschließend soll daher noch einmal auf zwei Momente eingegangen werden, in denen sich die Inszenierungen zweiter Ordnung, also mediale Reproduktionen, von der Inszenierung erster Ordnung losgelöst und verselbständigt haben. Einmal geschah dies mit dem Titelbild zum Leichendiebstahl von Pétain, bei der die Illustration des Ereignisses offenbar ästhetisch so überzeugend war, dass es in einer späteren Fernsehdokumentation nachgestellt wurde, obwohl es offenbar nicht den Zeugenaussagen entsprach.26 Im Fall der Aufnahmen der Carabinieri am Katafalk Mussolinis zog die kommunistische Parteizeitung die Integrität der Sicherheitskräfte und die Intentionen der Regierung in Frage, indem sie die Abbildung bewusst ohne Bildunterschrift abdruckte und so den Assoziationen des Publikums überließ. Das Motiv wies alle Elemente einer öffentlichen Aufbahrung auf, doch in Wirklichkeit handelte es sich weder um einen öffentlichen Moment noch um eine Ehrenwache im eigentlichen Sinn. Die Carabinieri sollten in der Gruft die Aufsicht führen, während den Pressefotografen die Gelegenheit für Aufnahmen gewährt wurde. Da das Motiv von Soldaten am Sarg so eindeutig mit dem zeremoniellen Element der Eh26 Die Illustration stimmte dabei nicht mit den Zeugenberichten überein, wie beschrieben in Kapitel 3.1.1.
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renwache verbunden war, verwendeten die Kommunisten die Abbildung, um ihre prinzipielle Kritik an der Regierungsentscheidung zur Restitution auszudrücken. Insbesondere die Bildserien machten dagegen deutlich, wie durch Visualisierungen die konstituierende Wirkung von Bestattungen nachgeahmt werden konnte. Die Bildsequenzen von »Paris Match« und »Epoca« vermittelten den Leserinnen und Lesern nicht nur ›Einblicke‹ in die Begräbnisse von Pétain und Mussolini, sondern erzeugten eine visuelle Nachvollziehbarkeit der gemeinschaftsstiftenden Wirkung der Bestattungsrituale. Im Fall von Mussolinis Restitution hatte die französische »Paris Match« sicher kein Interesse daran, bei der Verfestigung eines italienischen Gemeinschaftsgefühls zu helfen, aber sie zeigte, wie sich in dem Begräbnisritual Mussolinis ein von den Dargestellten geteiltes Wertesystem ausdrückte ; sie entwarf das Bild von nostalgischen Faschisten. Zusammenfassung Während französische Rechtsradikale die Translation Pétains sogar zum Wahlkampfthema machten, wurde der Vorwurf der unangemessenen Bestattung durch die Regierung sowohl in Frankreich wie in Italien häufig dann vorgebracht, wenn es darum ging, deutlich zu machen, dass die Konflikte des Kriegsendes noch nicht beigelegt worden seien. So symbolisierte die Restitution Mussolinis die versprochene Aussöhnung zwischen Partisanen und Faschisten, verdeutlichte zudem aber die Grenzen dieses Prozesses. Demgegenüber machten der Diebstahl und die Reaktionen darauf deutlich, dass in der Grande Nation dieser Gegensatz sogar 22 Jahre nach Pétains Tod und fast 30 Jahre nach der Befreiung Frankreichs noch bestand. Des Weiteren verdeutlichte die Reaktion der Regierung, die zwar die Translation ablehnte, gleichzeitig aber dem Marschall von Frankreich Respekt zollte, dass der Personenkult um Pétain noch immer fortbestand. Keine der Beisetzungen war in der Lage gewesen, zu verhindern, dass die ausgeprägten Kulte um Mussolini und Pétain in Totenkulte übergingen. Anders als die italienische behielt die französische Regierung allerdings ihre kritische Haltung nicht bei und integrierte stattdessen den Mythos des »Helden von Verdun« in die Wiederbestattung. Damit verfestigte sie die zweigeteilte Erinnerung an den Pétain von 1918 und den von 1940 weiter. So liegt auf Yeu ein in Ungnade gefallener Marschall von Frankreich bestattet. Insofern ermöglichten die öffentlichen Bestattungen der beiden Regimechefs die rechtsradikalen Totenkulte. Gleichzeitig repräsentierten sie aber die unterschiedlichen Erinnerungen an die Regime und verhinderten damit, dass
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die Rolle von Pétain und Mussolini dabei vergessen wurde, da über die Gräber und die dortigen Demonstrationen weiterhin diskutiert wurde. Sowohl die Regierungen in Italien als auch in Frankreich haben die Entscheidung über den Bestattungsort und damit auch über den Zugang zum Grab nie aus der Hand gegeben. Dabei waren sie stets bemüht, nicht den Eindruck von Staatsbegräbnissen entstehen zu lassen, obwohl es die Staatsregierungen waren, die die Verantwortung für die Bestattungen übernommen hatten. Die Untersuchung des Umgangs mit den Leichen von Pétain und Mussolini hat damit eine bisher in der historischen Forschung zu Herrscher- und Staatsbegräbnissen vernachlässigte Form von Bestattungen in den Blick genommen und nachgewiesen, wie sehr auch diese politisch inszeniert wurden. In ihnen wiesen die nachfolgenden Regierungen den Verstorbenen einen Platz außerhalb der neuen Systeme zu. Die so ausgedrückte Ablehnung der ehemaligen Regime durch die Regierungen bezogen die Anhänger der Verstorbenen auf sich selbst. Es waren aber auch diese Anhänger, die aktiv um ihren Platz in den neuen Ordnungen und die Umgestaltung der Bestattungen rangen. Inwieweit dies auch in anderen Übergangsphasen nach Systemwechseln zu beobachten ist, werden andere Studien untersuchen müssen. Als politische Bestattungen verdienen die Begräbnisse von abgesetzten oder gestürzten Herrschern jedenfalls mehr wissenschaftliche Beachtung.
A BK Ü R Z U NG S V E R Z E IC H N I S
AC Azione cattolica Assemblée des Cardinaux et Archevéques de France ACA ACS Archivio Centrale dello Stato (Rom) Association pour défendre la mémoire du maréchal Pétain ADMP Alleanza Nationale AN ANPV Association nationale Pétain-Verdun ARLP Alliance Républicaine pour les Libertés et le Progrès Ausst.-Kat. Ausstellungskatalog BU Bildunterschrift CLN Comitato di Liberazione Nazionale Comitato di Liberazione Nazionale Alta Italia CLNAI DC Democrazia Cristiana DGPS Direzione Generale della pubblica sicurezza fasc. Fascicolo FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FN Front National GU Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana HZ Historische Zeitschrift Institut français d’opinion publique IFOP Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia Insmli JCH Journal of Contemporary History JModH The Journal of Modern History JMEH The Journal of Modern European History JO Journal officiel de la République française JOAN Journal officiel de la République française. Débats parlementaires, Assemblée Nationale LThK Lexikon für Theologie und Kirche L’Unione Cinematografica Educativa LUCE MI Ministero dell’Interno MRP Mouvement Républicain Populaire MSI Movimento Sociale Italiano ND Nachdruck NPL Neue politische Literatur OAS Organisation de l’armée secrète PCF Parti Communiste Français PCI Partito Comunista Italiana PCM Presidenza del Consiglio dei Ministri PdA Partito d’Azione
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| Abkürzungsverzeichnis PFD Partito Fascista Democratico PJ Police judiciaire PLI Partito Liberale Italiana PS Direzione Generale della Pubblica Sicurezza Partito Socialista Italiana PSI QFIAB Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken RPF Rassemblement du Peuple Français Repubblica Sociale Italiana RSI Société française d’enquêtes par sondages SOFRES sottofasc Sottofascicolo UNIR Union des Nationaux Indépendants et Républicains UPI United Press International Visioni Editoriali Diffuse Ovunque Vedo Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte VfZ
V E R Z E IC H N I S DE R TA BE L L E N Tab. 1 : Umgang mit Diktatoren und Kollaborateuren des Zweiten Weltkriegs in Europa S. 14 f. Tab. 2 : Sample der zugrunde gelegten Zeitungen und Zeitschriften S. 15. Tab. 3 : Besucherzahlen auf dem Friedhof San Cassiano basierend auf Präfekturberichten S. 314.
A BBI L DU NG S N AC H W E I S
Ich danke allen Rechteinhabern für die gewährte Abdruckgenehmigung. Dort, wo trotz sorgfältiger Recherche kein Nachweis gefunden wurde, bitte ich um Benachrichtigung. Abb. 1 : Entnommen aus Rivarol 1951. Abb. 2 : Entnommen aus La Croix, 24. Juli 1951. Abb. 3 : Entnommen aus (I) The Times, 24. Juli 1951 und (II) La Stampa, 24. Juli 1951. Abb. 4 : Entnommen aus Paris Match, 4. August 1951. Abb. 5 : Entnommen aus L’Illustrazione Italiana, 9. Dezember 1945. Abb. 6 : Ullstein Bild, Bildnummer : 41376402. Abb. 7 : Entnommen aus Isorni : Philippe Pétain, Bd. 2. Abb. 8 : Ullstein Bild, Bildnummer : 1201497734. Abb. 9 : Entnommen aus Life, 14. Mai 1945. Abb. 10 : Entnommen aus Life, 14. Mai 1945. Abb. 11 : Entnommen aus Life, 9. Juli 1945. Abb. 12 : Insmli, Fondo : Manera Domenico, b. 1, fasc. 8. Abb. 13 : Insmli, Fondo : Manera Domenico, b. 1, fasc. 8. Abb. 14 : Entnommen aus Paris Match, 4. August 1951, S. 8. Abb. 15 : Entnommen aus Chessa : Dux. Abb. 16 : Ullstein Bild, Bildnummer 1011076562. Abb. 17 : Entnommen aus Paris Match, 4. August 1951. Abb. 18 : Entnommen aus Isorni, Souffrance et mort du maréchal Pétain. Abb. 19 : Entnommen aus Paris Match, 4. August 1951. Abb. 20 : Entnommen aus Paris Match, 4. August 1951. Abb. 21 : Entnommen aus Paris Match, 4. August 1951. Abb. 22 : Entnommen aus Paris Match, 3. März 1973. Abb. 23 : Entnommen aus Paris Match, 3. März 1973. Abb. 24 : Entnommen aus L’Illustrazione Italiana, 5. Mai 1946. Abb. 25 : Entnommen aus Corriere della Sera, 22. Februar 1973. Abb. 26 : Entnommen aus Time, 5. März 1973. Abb. 27 : Entnommen aus The Times, 22. Februar 1973. Abb. 28 : Entnommen aus Paris Match, 3. März 1973. Abb. 29 : Entnommen aus L’Aurore, 22. Februar 1973. Abb. 30 : Entnommen aus Le Figaro, 23. Februar 1973. Abb. 31 : Entnommen aus L’Aurore, 23. Februar 1973. Abb. 32 : Entnommen aus Corriere della sera, 23. Februar 1973. Abb. 33 : Entnommen aus Paris Match, 5. März 1973. Abb. 34 : Entnommen aus Parini : Verità, 1947.
Abbildungsnachweis |
Abb. 35 : Entnommen aus Paris Match, 3. März 1973. Abb. 36 : Entnommen aus Epoca, 26. April 1952. Abb. 37 : Entnommen aus Oggi, 1. August 1957. Abb. 38 : Entnommen aus Il Secolo d’Italia, 1. September. Abb. 39 : Entnommen aus in : Epoca, 8. September 1957. Abb. 40 : Entnommen aus Oggi, 12. September 1957. Abb. 41 : Entnommen aus Le Maréchal, 1973. Abb. 42 : Entnommen aus L’Aurore, 23. Februar 1973. Abb. 43 : Entnommen aus Time, 15. März 1973. Abb. 44 : Entnommen aus Paris Match, 3. März 1973. Abb. 45 : Entnommen aus Paris Match, 3. März 1973. Abb. 46 : Entnommen aus Oggi, 12. September 1957. Abb. 47 : Istituto Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00052811. Abb. 48 : Entnommen aus Il Secolo d’Italia, 1. September 1957. Abb. 49 : Entnommen aus Paris Match, 14. September 1957. Abb. 50 : Entnommen aus Paris Match, 14. September 1957. Abb. 51 : Istituto Luce, Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari, 31.08.1957 : Bildnummer : FV00053125. Abb. 52 : Ullstein Bild, Bildnummer : 00112810.
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QU E L L E N- U N D L I T E R AT U RV E R Z E IC H N I S Archivalien Archivio Centrale dello Stato, Rom Ministero dell’Interno Direzione Generale della pubblica sicurezza 1944–46, busta 46. Gabinetto 1944–46, busta 217, 218 und 226. Gabinetto – Partiti politici 1944–1966, busta 82 und 87 (Movimento sociale italiano). Gabinetto 1957–60, busta 42, fascicolo 11220, Mussolini, famiglia – carteggio – salma. Presidenza del Consiglio dei Ministri Gabinetto 1944–1947, fasc. 19-1 87089, Salme di fascisti e collaborazionisti uccisi nei giorni della Liberazione. Segreteria particolare del Presidente del Consiglio Alcide De Gasperi 1945–1953, busta 5.
Archivio Fondazione Ugo Spirito (In den Akten des MSI konnten keine Pläne für den Umgang mit Mussolinis Leichnam gefunden werden).
Archives départementales de Vendée Périodiques historiques : La voix de nos clochers. Bulletin paroissial de l’île d’Yeu (Vendée).
Archivio Storico dell’Istituto Luce Fondo Vedo : 1957, Commemorazione di Benito Mussolini a Predappio con tutti i familiari. Fondo Vedo : 1956, Messa in suffragio di Mussolini nella chiesa di Sant’Agostino a Roma, 28.4.1956.
Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia Corpo volontari della libertà, Serie : Manifestazioni per la caduta di Mussolini. Manera Domenico, sezione fotografica, Serie : Piazzale Loreto, 29 aprile 1945. Ergänzend die Datenbanken von : Publifoto/Olycom Roger Viollet
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Zeitgenössische Zeitungen, Zeitschriften und Jahrbücher Artikel aus zeitgenössischen Zeitschriften sind im Literaturverzeichnis nicht gesondert aufgeführt. Die mit * gekennzeichneten Titel wurden nur punktuell zu bestimmten Ereignissen einbezogen und nicht systematisch gesichtet.
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Parteizeitungen und politische Vereinigungen Avanti ! Le Maréchal (ADMP) Bulletin (ADMP) Meridiano d’Italia* L’Humanité La Rivolta Ideale* L’Italia Libera* Il Popolo Lotta fascista (PFD) Il Secolo d’Italia (MSI) Lotta politica (MSI)* L’Unità
Wochenzeitungen, Zeitschriften und Illustrierte Le Canard enchaîné* The New Yorker*
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| Quellen- und Literaturverzeichnis Epoca Oggi France Illustration Paris Match L’Illustrazione Italiana Rivarol Life Der Spiegel Minute* Time
Gesetzesblätter Journal officiel de la République française (JO) Gazzetta Ufficiale della Repubblica Italiana (GU)
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PE R S ON E N R E G I S T E R Auf Registereinträge für »Mussolini, Benito« und »Pétain, Phillipe« wird ebenso verzichtet wie für in Anmerkungen genannte Personen. Agnesina, Vincenzo 140 f., 186, 194, 202 f., 216, 232 f., 256, 258-265, 268, 288, 298, 308, 310 al-Gaddafi, Muammar 10, 41 Almirante, Giorgio 197, 238, 245, 254 Antonescu, Ion 14, 17 Auriol, Vincent 49, 61, 82, 89, 137, 319 Barbie, Klaus 37 Bárdossy, László 14, 16 Bergeret, Jean 124 Bidault, Georges 80, 329 bin Laden, Osama 9 f. Blum, Léon 129 Boche, Solange 173, 206 Boffa, Giuseppe 68, 116 Boulay, Charles 61, 79 f. Bousquet, René 37 Boux de Casson, François 173, 206, 226 Calvet, Louis 172, 226 Carcopino, Jérôme 124 Cattabeni, Caio Mario 108, 258, 262 Cazaux, Mgr Antoine-Marie 118-120, 126 f., Caziot, Pierre 124 Cazzaniga, Antonio 218, 258, 262 Chappoulie, Bischof Henri-Alexandre 120, 126 f., 131 Ciano, Marzio 294, 297, 302 Clemenceau, Georges 59 Cogné, François Victor 151 Colonel Rémy (Gilbert Renault) 83, 150, 155 Coty, René 30, 325 De Gasperi, Alcide 28, 186, 228, 239 f., 245 De Monticelli, Roberto 241-245 Degrelle, Léon 14
Dumas, Michel 157 f., 163, 173, 206, 226, 271 Estèbe, Paul 125, 138 Feltin, Kardinal Maurice 120,125, 271 Fernet, Vizeadmiral Jean 124, 128, 147 Filipacchi, Daniel 106, 133, 139 Franco, Francisco 13 f., 22 Gambetta, Léon 84 Garau, Armand 227 Garau, Pierre 226 Gatti, Luigi 70 Gatti Rana,Silvia (Pseudonym: Lidia) 187 Gaulle, Charles de 26–28, 30 f., 42, 59, 76 f., 88, 128, 148–150, 153–155, 206, 278, 280 f., 316, 325 Gerlier, Kardinal Pierre-Marie 117 Girard, Louis-Dominique 62, 144, 147, 201 f. 209, 222 f., 274, 276 f., 283, 326, 328 Giraud, Henri 129, 137 Gronchi, Giovanni 313 Hácha, Emil 14 Hérain, Odette de 160, 201 Hérain, Pierre de 61, 106, 124, 161 Hitler, Adolf 13 f., 20, 63–65, 72, 76 Horthy, Miklós 11, 13 Hugo, Victor 44, 137 Hussein, Saddam 41 Isorni, Jacques 30, 48 f., 59, 78, 81 f., 85–89, 105, 124 f., 127 f., 138, 147–152, 154–156, 161, 173–176, 178, 195, 197, 199, 201 f., 206 f., 221, 270, 286 f., 317, 325–328 Jarach, Dion 250
Personenregister | Jardel, Jean 124 Juin, Alphonse 174, 210, 281, 283
Mussolini, Vittorio 231, 300 Mussolini Ciano, Edda 244, 246, 297, 300, 302, 304
Keitel, Wilhelm 16 Lattre de Tassigny, Jean-Marie Gabriel de 129 Laure, Auguste 124 Laval, Pierre 14, 60 f., 65, 81 Le Pen, Jean-Marie 30, 196, 322 Lebrun, Albert 129 Leccisi, Domenico (Pseudonym: Marco) 165–170, 185, 187–195, 197, 207, 216, 228, 235–237, 321 f., 328, 330 Leclerc de Hautecloque, Philippe 129, 137 Lefebvre du Prey, Edmond 147 Lemaire, Jean 59, 88, 128, 147, 174, 287 Lémery, Henri 124 Lenin, Wladimir Iljitsch 22, 58 Levi, Carlo 71 f. Liénart, Kardinal Achille 115, 117, 119 Lombardi, Riccardo 100, 108 Marcellin, Raymond 174 f. Marchais, Georges 221 Marocco, Domenico 186, 189 f., 192, 203 Massol, Hubert 158, 170, 173, 175–185, 195, 197–200, 207, 220 f., 226, 276, 321, 331 Mattarelli, Gino 310 f. Mauriac, François 149 f. Mayer, Daniel 278, 282 Mayer, René 80, 130 Messmer, Pierre 177, 184, 315 Mezzasoma, Ferdinando 70 Milošević, Slobodan 41 Mitterrand, François 281 f. Moncourt, Yvonne de 61 Montanelli, Indro 230 f., 234 f., 305 Moulin, Jean 164 Mussert, Anton Adriaan 15, 18 f., 145 Mussolini, Anna Maria 244 Mussolini, Rachele 231, 233, 236, 241, 244, 247, 249–251, 255, 257 f., 263, 265–267, 288 f., 294, 298, 302–304, 310, 316, 323, 325 f., 328 Mussolini, Romano 244, 246, 248, 294
Napoleon I. 129 f., 137, 224 Nenni, Pietro 71, 77, 220, 228 Ninin, Roger Gaston 154, 157, 162, 226, 272 Obama, Barack 9 Overholser, Winfred 108 Papadopoulos, Tassos 19, 145 Papon, Maurice 37 Parini, Pater Alberto 191, 194, 202–204, 215, 218 f., 248 Parks, Gordon 132 f. Parozzi, Antonio (Pseudonym: Rino) 194 Pavelić, Ante 11, 15 Pavolini, Alessandro 70, 92 Payen, Fernand 59 Pensotti, Anita 249, 257, 266 Périer, Robert de 156, 276 f. Peron, Evita 170, 326 Petacci, Claretta 70, 73, 92, 99, 101–103, 107, 109, 111, 140 f. Pétain, Berthe 161, 202, 222 Pétain, Eugénie «Annie» 61, 84, 124, 133, 161, 325–328 Pini, Giorgio 236 Pius XII. 115, 240, 246 Pleven, René 156, 286 Poletti, Charles 108 Pompidou, Georges 36, 154, 162, 207, 278–282, 286, 315 f. Potevin, (Generalvikar) 191 f., 125–127 Preußen, Wilhelm Prinz von 85 Queuille, Henri 70, 78–80, 82, 84, 89, 128, 130 f., 282, 317, 332 Quisling, Vidkun 11, 15, 18 Rana, Mauro (Pseudonym: Ferruccio) 187, 189, 192–194 Rivollet, Georges 138 Rodhain, Abbé Jean 120 f.
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| Personenregister Romita, Giuseppe 187 Romualdi, Pino 188, 187, 293, 301 Saliège, Kardinal Jules-Géraud 116–118 Scelba, Mario 245 f. Schuster, Kardinal Alfredo Ildefonso 107, 141, 143, 205, 231 f., 330 Simon, Joseph 61 Starace, Achille 93, 95, 103, 109, 111 Szálasi, Ferenc 15 Tambroni, Fernando 306 Teodorani, Rosa 302 Teodorani, Vanni 245, 304, 321 Thiers, Adolphe 84 Tiso, Jozef 11, 15 Tixier-Vignancour, Jean-Louis 30 f., 148 f.,
152–154, 161–163, 173–177, 181, 184, 196, 206 f., 227, 316 f., 322 Togliatti, Palmiro 193 Touvier, Paul 37, 279 Trochu, Charles 187 Troilo, Ettore 169, 187, 191 f. Tsolakoglou, Georgios 14 f. Turchi, Franz 260, 293 f., 305, 321 Viktor Emanuel II. 84 Weygand, Maxime 124, 128, 131, 133, 147, 154 Zerbino, Paolo 70 Zoli, Adone 252–257, 306, 308, 312, 316 Zucca, Pater Enrico 191, 203 f.
VOM NATIONALSOZIALISTEN ZU HITLERS TODFEIND
Albrecht Hagemann Hermann Rauschning Ein deutsches Leben zwischen NSRuhm und Exil 2018. 645 Seiten mit 17 s/w-Abb., gebunden. € 40,– D | 42,– A ISBN 978-3-412-51104-3
Das Leben Hermann Rauschnings liest sich wie eine Achterbahnfahrt durch das extreme 20. Jahrhundert: als Senatspräsident der Freien Stadt Danzig zählte er zu den prominenten Nationalsozialisten, bis ihn sein Bruch mit Hitler zu dessen Todfeind machte. Er floh ins Exil in die Schweiz, nach Frankreich, England und schließlich in die USA. Seine Bücher „Die Revolution des Nihilismus“ und „Gespräche mit Hitler“ wurden Bestseller, auch wenn diese Gespräche so nie stattgefunden haben. Nachdem der Versuch eines politischen Comebacks nach dem Zweiten Weltkrieg scheiterte, ging er zum zweiten Mal und endgültig ins Exil in die USA, von wo aus er sich bemühte, die politische Entwicklung in Deutschland publizistisch zu beeinflussen. Anhand bislang weithin unbekannter Quellen erschließt die Biographie von Albrecht Hagemann die Höhen und Tiefen eines Lebens, das exemplarisch für die Zerrissenheit und Abgründigkeit der Epoche zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik steht.
EINE SCHONUNGSLOSE AUFARBEITUNG DER VERGANGENHEIT
Klaus Kellmann Dimensionen der Mittäterschaft Die europäische Kollaboration mit dem Dritten Reich 2018. ca. 720 Seiten, gebunden. ca. € 50,– D | ca. 52,– A ISBN 978-3-205-20053-6 erscheint im Oktober 2018
Klaus Kellmann hat sich einer sensiblen Aufgabe gestellt. Er erforschte die unterschiedlichen Formen von Kollaboration mit dem NS-Regime in 24 europäischen Ländern. Der vorliegenden Band bietet nun eine erstmalige Gesamtschau auf ein verstörendes Kapitel europäischer Geschichte. Kellermann beschränkt sich dabei nicht auf Einzelanalysen jener Staaten, die bis 1944/45 der deutschen Terrorherrschaft unterworfen waren. Vielmehr möchte er mit seinen Ausführungen, vor allem zum Thema »Europäisches Gedächtnis und europäische Identität«, an der Gestaltung des Europa von Morgen mitwirken. Denn ohne die schonungslose Aufarbeitung der Vergangenheit – so ist der Autor überzeugt – wird es kein gemeinsames europäisches Narrativ und auch keine gemeinsame europäische Erinnerungskultur als identitätsstiftende Elemente geben.