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German Pages 677 [681] Year 2020
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 84
Christian Schubel
Verbandssouveränität und Binnenorganisation der Handelsgesellschaften
Mohr Siebeck
Christian Schubel,
geboren 1961; rechtswissenschaftliches Studium in Jena; 1990 Promotion;
wissenschaftlicher Assistent in Jena und Heidelberg; 2001 Habilitation in Heidelberg; seit Oktober 2 0 0 2 Professor für Zivil- und Wirtschaftsrecht an der Andrassy-Universität Budapest.
978-3-16-157941-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-148132-1 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. ddb.
deabmftiar.
© 2003 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Claudia Wild in Stuttgart aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Bei der Verbandssouveränität handelt es sich um einen rechtsformübergreifenden Grundsatz des modernen Gesellschaftsrechts, der einerseits weitgehend anerkannt ist, obwohl er anscheinend keine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren hat, der aber andererseits zunehmend inhaltlich so ausgehöhlt wird, dass seine Leistungsfähigkeit in Zweifel zu ziehen ist. Da offenbar einer rein rechtsdogmatischen Herleitung des Grundsatzes Grenzen gesetzt sind, will die vorliegende Untersuchung die Verbandssouveränität nach der entwicklungsbezogenen Methode von Levin Goldschmidt analysieren, und zwar als ein gesellschaftsrechtliches Strukturprinzip, das zum einen der intensiven Einflussnahme Dritter Grenzen setzt und zum anderen bei der näheren Ausgestaltung der inneren Verbandsverfassung zu beachten ist. Eingehend untersucht wird deshalb die Entwicklung des Binnenorganisationsrechts der Handelsgesellschaften, insbesondere im Verlauf des 19. Jahrhunderts, wobei nicht nur die Entwicklung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum systematisch aufgearbeitet wird, sondern auch die gesellschaftsrechtliche Praxis Berücksichtigung findet. Die Abhandlung hat im Sommersemester 2001 der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Habilitationsschrift vorgelegen. Für die Veröffentlichung sind Rechtsprechung und Schrifttum bis Anfang 2003 eingearbeitet worden. Meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Hommelhoff danke ich herzlich, insbesondere für das stete Angebot zum geistigen Austausch und vielfältige wissenschaftliche Anregungen, die sich auch in der vorliegenden Untersuchung niedergeschlagen haben, sowie für persönliche und finanzielle Unterstützung, ohne die ich die Arbeit an dieser Schrift nicht hätte beenden können. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner den Herren Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Ulmer und Prof. Dr. Dr. h.c. Adolfs Laufs, die beide innerhalb kurzer Zeit ein Zweit- bzw. ein Drittgutachten angefertigt haben und so einen sehr zügigen Ablauf des Habilitationsverfahrens ermöglichten. Für die Gewährung von Stipendien zu danken habe ich der Marga und Kurt MöllgaardStiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Bei den Korrekturarbeiten habe ich auf die Hilfe von Frau Constanze Döring, Frau Katrin Hauck, Frau Barbara Köhler und Frau Ivona Kovacevic zurückgreifen können. Ihnen allen danke ich ebenso wie dem Verlag für die zügige Drucklegung. Wer sich mit dem deutschen Gesellschaftsrecht des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts intensiver beschäftigt, stößt immer wieder auf die Namen von Levin Goldschmidt, Hermann Makower, Hermann Staub, Jacob Friedrich Behrend, Viktor
VI
Vorwort
Ring, Veit Hermann Simon, Jacob Rießer und Max Hachenburg. Bei ihnen handelt es sich um deutsche Juristen jüdischer Herkunft, die mit ihren wissenschaftlichen Beiträgen ganz wesentlich zur Entstehung des modernen deutschen Gesellschaftsrechts beigetragen haben, deren Nachkommen jedoch - vereinzelt sogar noch sie selbst - nur wenige Jahrzehnte später Opfer nationalsozialistischer Verfolgung geworden sind. Ich widme das Buch deshalb dem ehrenden Gedenken der deutschen Gesellschaftsrechtler jüdischer Herkunft.
Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis § 1 Einführung
XXI 1
§2
Zum Ausgangspunkt der modernen gesellschaftsrechtlichen Entwicklung.
35
§3
Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien in der prälegislatorischen Phase
87
§4
Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
151
§ 5
Recht der nicht konzessionierten Gesellschaften
191
§6
Aufhebung des Konzessionssystems
245
§7
Ausgestaltung des Normativsystems
287
§8
Verfestigung des Verbandssouveränitäts-Konzepts im Aktienrecht
363
§9
Zur weiteren Entwicklung des Personengesellschaftsrechts
411
§ 1 0 Ausstrahlungen des Aktienrechts
465
§ 11 Die Verbandssouveränität als Grundsatz des allgemeinen Gesellschaftsrechts
553
Literaturverzeichnis
621
Register
647
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
§1 A.
Einflihrung
1
B e d e u t u n g der Verbandssouveränität i m m o d e r n e n gesellschaftsrechtlichen Schrifttum
1
I. II.
1 3
Rascher „Siegeszug" Grundsatz des allgemeinen Verbandsrechts
III. Begründung der Verbandssouveränität
B.
XXI
4
1. 2.
Herkömmliche Herleitung Ergänzende Überlegungen
4 5
3.
Übertragung des Selbstentmündigungsverbots gemäß § 138 BGB auf die juristische Person
6
D i e Kritik
9
I.
9 9
Alternative Konzepte 1. Die „Baha'("-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2. Verzicht auf den Verbandssouveränitäts-Grundsatz für das gesamte Vereinsrecht
12
3.
C.
Neubestimmung der Einflussmöglichkeiten außenstehender Dritter unter Rückgriff auf Institute des allgemeinen bürgerlichen Rechts . . . . II. Einwand geringer Leistungsfähigkeit III. Schleichende innere Erosion
13 18 19
Das Untersuchungsprogramm
21
I.
21
Nötige Fundierung der Verbandssouveränität
II. Unmittelbarer Ansatz am rechtsformübergreifenden Rechtsprinzip III. Zusammenhängende Betrachtung beider Wirkfelder
22 24
IV. Entwicklungsbezogene Analyse
27
X
Inhaltsverzeichnis
§2
Zum Ausgangspunkt der modernen gesellschaftsrechtlichen Entwicklung.
A.
Am Beginn der gesellschaftsrechtlichen Neuzeit I.
II.
...
35
Spätmittelalterliche Fernhandelsgesellschaften
35
1.
Nahezu unbeschränkte gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit
. . .
2.
Ungleiche Rechtsstellungen der einzelnen Gesellschafter
37
3.
Zuordnung von Kompetenzen
38 40
1.
Frühform der Aktiengesellschaft
40
2.
Oktroi und Reglement
41
3.
Innere Organisation
II.
C.
44 47
1.
Person und Wirken
47
2.
„Gesellschafts-Handlung unter Privaten"
48
3.
„Öffentliche Handlungs-Compagnien"
49
Das Gesellschaftsrecht im ALR, Code de Commerce und ABGB I.
35
Große Handelscompagnien
III. Einfluss der handelswissenschaftlichen Lehre von Johann Georg Büsch . . . .
B.
35
51
Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten
51
1.
Überblick
51
2.
Z u m Einfluss von Johann Georg Büsch
53
3.
Die „Einheitshandelsgesellschaft"
54
4.
Innere Organisation
55
Code de Commerce
57
1.
Überblick
57
2.
Offene Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft
59
3.
Aktiengesellschaft
60
III. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
61
Rechtsprechung und rechtswissenschaftliches Schrifttum bis gegen 1840. .
64
I.
Rechtsprechung
64
1.
Überblick
64
2.
Schiedsgerichtsbarkeit
67
3.
Cropp: „Vom correspondirenden Rheder"
69
II.
Handelsrechtliche Literatur
72
1.
73
Überblick
2.
Behandlung des Innenrechts
75
3.
Das Gutachten der Ältesten der Berliner Kaufmannschaft
77
III. Literatur des gemeinen deutschen Privatrechts
79
1.
Überblick
2.
Verweis auf das Recht der römischen Sozietät
79 80
3.
Die „Weiterentwicklung" des Kündigungsrechts
81
Inhaltsverzeichnis
D.
Resümee
§3
Konzessionierte Gesellschaften aufAktien
A.
Vom Oktroi- zum Konzessionssystem
B.
XI
85 in der prälegislatorischen Phase . . .
87 87
I.
Die staatliche Konzession
87
II.
Statuten im Konzessionsverfahren
90
III. Allgemeine rechtliche Regelungen
94
Statutenpraxis
97
I.
Frühe Gründungen
II.
Die preußischen Eisenbahn-Aktiengesellschaften
101
97 101
1.
Das Eisenbahnwesen als Impulsgeber
2.
Ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie
102
3.
Rheinisch-westfälische Statuten-Familie
107
4.
Erste praktische Erfahrungen
109
5.
Der preußische Staat als Gesellschafter
113
III. Aktiengesellschaften außerhalb Preußens
117
1.
Sachsen
117
2.
Hessische Staaten
122
3.
Übrige Staaten
127
IV. Das Binnenorganisationsrecht der Aktiengesellschaften in der prälegislatorischen Phase
C.
130
1.
Gesellschafter-Gestaltungsfreiheit und Einflussnahme der Konzessionsbehörden
130
2.
Grundzüge der Binnenorganisation
132
3.
Keine Verbandssouveränität bei konzessionierten Aktiengesellschaften. .
134
Beginnende wissenschaftliche Aufarbeitung
136
I.
Treitschke: Einige Fragen, Actiengesellschaften betreffend (1841)
137
II
Pohls: Das Recht der Actiengesellschaften (1842)
140
III. von Reden: Die Eisenbahnen Deutschlands (1843)
144
IV. Jolly: Das Recht der Actiengesellschaften (1847)
146
§4
Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
151
A.
Gescheiterte Entwürfe
151
I.
Sächsischer Aktiengesetzentwurf von 1836/37
152
II.
Württemberger Entwurf von 1839
153
XII B.
C.
D.
Inhaltsverzeichnis Das Preußische Aktiengesetz von 1843
156
I. II.
Vorgeschichte Konzessionierungs-Voraussetzungen 1. Verzicht auf eine Regelung im Gesetz 2. Ministerielle Instruktionen III Innere Organisation der Aktiengesellschaft 1. Lediglich rudimentäre gesetzliche Regelung 2. Allmähliche Ausfüllung durch ministerielle Instruktionen 3. Musterstatuten für Chausseebau-Aktiengesellschaften
156 157 157 159 160 160 163 164
Weitere E n t w ü r f e
167
I. Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1849) . . . II. Preußischer Entwurf eines Handelsgesetzbuches von 1857 III. Kritik der Entwürfe im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
167 169 172
Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch
175
I. II.
175 177 177 178
Die Nürnberger Beratungen Zum Streit um die staatliche Konzession 1. Die „Gegenthesen" 2. Hamburger Verhältnisse
3. Auswirkungen auf die Behandlung des Innenrechts III. Das Aktienrecht des A D H G B 1. Überblick 2. Staatliche Oberaufsicht 3. Innere Organisation
180 181 181 181 183
E.
Resümee
187
§5
Recht der nicht konzessionierten
A.
Rechtstatsächliche Z u s t ä n d e
191
I. II. III. IV.
191 193 195 198
Gesellschaften
Nicht konzessionierte Gesellschaften und industrieller Aufschwung Gesellschaften auf Aktien und andere Sonderformen Rechtsregime Statutarische Praxis
B. Rechtswissenschaftliches S c h r i f t t u m I. Überblick II. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit III. Innere Organisation 1. Leitbild und abweichende Gestaltungen
191
204 204 205 207 207
2. 3. C.
Inhaltsverzeichnis
XIII
Geschäftsführung und Zuständigkeit der nicht geschäftsführenden Gesellschafter Kontroll-, Kündigungs-und Ausschlussrecht
209 212
Gesetzentwürfe
214
I. Württemberger Entwurf von 1839 II. Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland III. Preußischer Entwurf eines Handelsgesetzbuches 1. Offene Handelsgesellschaft 2. Stille Handelsgesellschaft 3. Stille Handelsgesellschaft auf Aktien IV. Resümee
214 218 221 222 226 227 228
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
230
I.
Offene Handelsgesellschaft 1. Einführung des Einstimmigkeitsprinzips 2. Konsequenzen 3. Information der Gesellschafter und Kündigung des Gesellschaft II. Kommanditgesellschaft III. Kommanditgesellschaft auf Aktien IV. Ausdifferenzierung der Handelsgesellschaftsformen und gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit
230 230 232 234 235 238
§6
Aufhebung des Konzessionssystems
245
A.
Entwicklung der aktienrechtlichen Praxis
245
I. II.
245 247 247 248 250 253
D.
In der letzten Phase des Konzessionssystems Statutenpraxis 1. Allgemeine Entwicklungstendenzen 2. Innere Organisation 3. Generalversammlung 4. Minderheiten-und Sonderrechte III. Bestätigendes Resümee: Keine Verbandssouveränität unter dem Konzessionssystem IV. Die fremdverwalteten Aktiengesellschaften 1. Modell „Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft" - Statutenüberlagernder Vertrag 2. Modell „Rhein-Nahe Eisenbahngesellschaft" - unmittelbare statutarische Regelung 3. Wirtschaftliche Entwicklung der staatsverwalteten Bahnen
240
256 259 259 263 264
XIV
B.
Inhaltsverzeichnis
Rechtswissenschaftliches Schrifttum I. II.
Ablehnung des Konzessionssystems und Suche nach alternativen Schutzkonzepten Der aktienrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz als strikt individualistisch fundiertes Schutzkonzept 1. Herleitung und Inhalt 2. Aufnahme im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
268 269 272 272 274
3. Der Praxistest III. Behandlung verschiedener Einzelfragen 1. Kompetenzen der Generalversammlung 2. Die Gestaltungsfreiheit und ihre Grenzen 3. Aktionärsklage
275 277 277 278 279
Die Novelle des Aktienrechts vom 11.6.1870
280
I. Ubergang zum Normativsystem II. Auswirkungen auf die innere Organisation III. Einführung des Normativsystems und Verbandssouveränität
280 281 284
§7
Ausgestaltung des Normativsystems
287
A.
In Gründerjahren und großer Krise
287
B.
Rechtsprechung als Impulsgeber
291
I.
292 292 295
C.
Fortentwicklung des Aktienrechts durch das Reichsoberhandelsgericht . . . . 1. Verrechtlichung der inneren Organisation 2. Aktionärsklagen
3. Grenzen der Selbstentmündigung 4. Würdigung des Gesamtkonzepts II. Besondere Konfliktträchtigkeit der fremdverwalteten Aktiengesellschaften . . III. Der Streit um die Rumänische Eisenbahn 1. Zur Vorgeschichte 2. Das Urteil des Reichsgerichts 3.
C.
Reflexionen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
Die Aktienrechtsreform von 1884 I.
301 304 310 315 315 320 324
327
Reformschrifttum 327 1. Weitgehend übereinstimmende Kennzeichnung von Reformbedürfnis und -ansatz 327 2. Rechtfertigung des (geforderten) staatlichen Eingriffs in die Binnenorganisation der Aktiengesellschaft und erste Bestimmung der Reformschwerpunkte 330
XV
Inhaltsverzeichnis
II.
3.
Generalversammlungskompetenzen
4.
Begrenzung von Dritteinfluss
334 335
Wichtige Vorarbeiten
338
1.
Bericht der Eisenbahn-Enquete-Kommission (1873)
338
2.
Preußische Denkschrift (1876)
339
3.
Gutachten des Reichsoberhandelsgerichts (1877)
III. Das Gesetz vom 18.7.1884
342 345
1.
Ausdruck eines Konzepts gesetzlich abgesicherten Selbstschutzes
345
2.
Beschlussfassung durch die Generalversammlung
346
3.
Abschied von tradierten Schutzkonzepten
349
4.
Schutz vor übermäßigem Dritteinfluss
353
5.
Ablehnung des Modells der fremdverwalteten Aktiengesellschaften . . .
356
IV. Die Verbandssouveränität als wesentlicher Bestandteil eines praxisbezogenen gesetzgeberischen Gesamtkonzepts
357
363
§ 8
Verfestigung
A.
Weitere rechtstatsächliche E n t w i c k l u n g des Aktienwesens
363
B.
Z u s t ä n d i g k e i t e n der G e n e r a l v e r s a m m l u n g u n d Dritteinfluss
365
I.
Gesetzlich geregelte Kompetenzen
365
II.
Ungeschriebene Generalversammlungskompetenzen
368
1.
Erörterungen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums
368
2.
Die „Grubenbahn"-Entscheidung des Reichsgerichts
372
3.
Die „Melasse"-Entscheidung
375
4.
Verhandlungen des 27. Deutschen Juristentages
380
5.
Bedeutung ungeschriebener Generalversammlungskompetenzen für die
des Verbandssouveränitäts-Konzepts
im Aktienrecht
Realisierung der Verbandssouveränität
C.
382
III. Abwehr von Nichtgesellschafter-Einfluss
386
D a s Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897
391
I.
Eingeschränkter Reformansatz
391
II.
Nähere Bestimmung der ausschließlichen Generalversammlungskompetenz .
III. Strafvorschriften
393 399
IV. Fazit: Bestätigung des Verbandssouveränitäts-Konzepts durch den H G B Gesetzgeber
401
D.
E x k u r s : G e n e s i s der aktienrechtlichen Satzungsstrenge
402
E.
D e r G r u n d s a t z der Verbandssouveränität i m Aktienrecht
405
XVI
Inhaltsverzeichnis
§9
Zur weiteren Entwicklung des Personengesellschafisrechts
411
A.
Überblick
411
I.
Die rechtstatsächlichen Verhältnisse unter der Geltung des A D H G B
411
II.
Rechtsprechung
B.
413
III. Rechtswissenschaftliches Schrifttum
414
Rechtsprechung und rechtswissenschaftliches Schrifttum zur inneren Organisation der Personengesellschaften
415
I.
415
Keine nähere Ausfüllung des gesetzlichen Leitbildes 1.
Allgemeine Akzeptanz des gesetzlichen Grundmodells der Personengesellschaft
II.
415
2.
Der Gesellschaftergesamtheit vorbehaltene Entscheidungen
417
3.
Beschlussfassung der Gesellschaftergesamtheit
422
4.
Kommanditgesellschaft
426
Vom Leitbild abweichende vertragliche Regelungen
429
1.
Fehlende Reflexion der Gestaltungsfreiheit und ihrer Grenzen im Grundsätzlichen
429
2.
Beschlussfassung nach dem Mehrheitsprinzip
431
3.
Besondere vertragliche Regelung der Geschäftsführung und der Entscheidung von Grundsatzfragen
4.
43 5
Resümee: Auf dem Wege zur Entwicklung des tradierten personengesellschaftsrechtlichen Schutzinstrumentariums - Selbstorganschaft und Bestimmtheitsgrundsatz
III. Weitere Einzelfragen
C.
1.
Informationsrechte
440
2.
Aufkündigung, Austritt, Ausschluss
444
3.
Dritteinfluss
447
Das Handelsgesetzbuch von 1897
450
I.
Abgleichung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch bei stark beschränktem Reformansatz
450
II.
Grundzüge der inneren Organisation
451
1.
Gesetzliches Leitbild und Gestaltungsfreiheit
451
2.
Unterscheidung zwischen gewöhnlicher Geschäftsführung und darüber
3.
D.
438 440
hinausgehenden Angelegenheiten
452
Beschlussfassung durch die Gesamtheit der Gesellschafter
454
III. Keine Selbstregulierung bei schwerwiegenden Konflikten
456
IV. Kommanditgesellschaft
460
Verbandssouveränität bei Personengesellschaften
461
Inhaltsverzeichnis
XVII
§10 Ausstrahlungen des Aktienrechts
465
A.
Entwicklung des Genossenschaftsrechts bis zur Reform von 1889
465
I.
Einzelstaatliche Genossenschaftsgesetze
465
1.
Rechtstatsächliche Zustände Mitte des 19. Jahrhunderts
465
2.
Preußisches Genossenschaftsgesetz von 1867
467
3.
Sächsisches Gesetz über die juristischen Personen
469
4.
Vorläufiger Abschluss der Kodifikationsbemühungen im Genossenschaftsrecht
II.
471 471
1.
Musterstatuten
2.
Rechtsprechung
475
3.
Rechtswissenschaftliches Schrifttum
478
4.
Die Genossenschaften in der Wirtschaftskrise nach 1873
III. Das Reichsgenossenschaftsgesetz von 1889 1.
485
2.
Enge Anlehnung an die Regelungen der Aktiennovelle von 1884
487
3.
Vorstand und Aufsichtsrat
488
4.
Kompetenzen der Generalversammlung
490
5.
Minderheitenrechte und Schutz einer „unverfälschten Willensbildung" .
493
IV. Fazit: Übernahme des Verbandssouveränitäts-Konzepts
495
Das GmbHG vom 20.4.1892
497
I.
Zur Verortung der G m b H im System der Gesellschaftsformen
497
II.
Innergesellschaftliche Kompetenzverteilung
500
1.
Gesetzliches Leitbild
500
2.
Möglichkeiten und Grenzen abweichender statutarischer Gestaltung . .
503
3.
Ungeschriebene Kompetenzen der Gesellschafterversammlung
506
III. Beschlussfassung der Gesellschaftergesamtheit und Rechte der Minderheit . .
509
1.
Beschlussfassung der Gesellschaftergesamtheit: gesetzliche Regelung und abweichende gesellschaftsvertragliche Gestaltung
2.
C.
482 485
Innere Organisation der Genossenschaften als ein Schwerpunkt der Reform
B.
471
Ausfüllung der Gestaltungsfreiräume
Individual-und Minderheitenrechte
509 512
IV. Dritteinfluss
515
V.
520
Der Verbandssouveränitäts-Grundsatz im GmbH-Recht
Entstehung des BGB-Vereinsrechts
525
I.
Die Regelungen des Vorentwurfs „Juristische Personen" (1881 - 1 8 8 3 ) . . . .
526
II.
Beratungen der Ersten Kommission
530
III. Kritik am I. Entwurf
534
IV. Beratungen der Zweiten Kommission
535
1.
Ablehnung des Konzessionssystems
535
2.
Kompetenzen der Mitgliederversammlung
536
XVIII
V. D.
Inhaltsverzeichnis 3.
Beschlussverfahren, Individual- und Minderheitenrechte
537
4.
Reichweite der Gestaltungsfreiheit
539
.
Verbandssouveränität im Vereinsrecht
540
Herausbildung des rechtsform übergreifenden Geltungsanspruchs der Verbandssouveränität
541
I.
Zur Relevanz der Fragestellung und zum Gang der Untersuchung
541
II.
Fortbestand tradierter gesellschaftsrechtlichen Institute nach dem Inkrafttreten des B G B
542
III. Generalrevision des gesamten Gesellschaftsrechts am Ende des 19. Jahrhunderts
545
IV. Zuordnung der Verbandssouveränität zum allgemeinen Gesellschaftsrecht . .
548
§11
Die Verbandssouveränität
553
A.
Allgemeine Begründung
553
I.
Genesis der Verbandssouveränität
553
II.
Anliegen des Grundsatzes
558
1.
Ermöglichung von Selbstschutz zwecks weitgehender Selbstregulierung .
558
2.
Sorge um funktionsfähige Binnenorganisation
559
3.
Keine Übernahme von Demokratiemodellen
561
als Grundsatz
des allgemeinen
Gesellschaftsrechts
. .
III. Wesentlicher Inhalt
B.
Abstellen auf die Interessen der Mitgliedergesamtheit
2.
Vorgaben für die Ausgestaltung der Binnenorganisation
565
3.
Abwehr von Dritteinfluss
568
563
Überlegungen zur weiteren Entfaltung der Verbandssouveränität
570
I.
571
Zwingende Zuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit 1.
Nähere Bestimmung der unentziehbaren und unverzichtbaren
2.
Die „Holzmüller"-Doktrin vor dem Hintergrund der Verbandssouveränität
576
3.
Zu große Unbestimmtheit der Kompetenzzuordnung?
582
Gesellschafter-Kompetenzen als fortwährender Prozeß
II.
C.
563
1.
Verbandssouveränität und Gesellschafterschutz
571
584
III. Verbandssouveränität und Machtbalance
589
IV. Einbindung der weiteren Gesellschaftsorgane
594
V.
601
Faktische Fremdeinflüsse und die Eigendynamik rechtlicher Regulierung . . .
D i e Verbandssouveränität in der Privatrechtsordnung I. II.
604
Der fundamentale Einwand: zwingende Geltung der Verbandssouveränität als Privatautonomie-Verstoß
604
Zu den Aufgaben des modernen Gesellschaftsrechts
605
Inhaltsverzeichnis III. Selbstschutz versus Staatsaufsicht
XIX 610
1.
Nochmaliger Blick auf die historische Debatte
611
2.
Reflexionen in den Äußerungen des aktuellen Schrifttums
616
3.
Die Unentbehrlichkeit des zwingenden Geltungsanspruchs
617
Literaturverzeichnis
621
Register
647
Abkürzungsverzeichnis a. A. a.a.O. a.E. ABGB Abs. AcP ADB ADHGB AG AKEG AKO AktG ALR Anm. Art. Aufl. BAC BAEG BB Bd. BFEG BGB BGBl BGH BGHZ BHEG BHG BKEG BMEG BOIC BSFEG BStEG BVerfG BVerfGE bzw. ca. CREG
anderer Auffassung am angegebenen Ort am Ende Allgemeines Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie von 1811 Absatz Archiv für civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Aktiengesellschaft / Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Altona-Kieler Eisenbahngesellschaft Allerhöchste Kabinettsordre Aktiengesetz Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 Anmerkung Artikel Auflage Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie Berlin-Anhaltische Eisenbahngesellschaft Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Berlin-Frankfurter Eisenbahn-Gesellschaft Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (des Norddeutschen Bundes bzw. der Bundesrepublik Deutschland) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft Berliner Handels-Gesellschaft Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft Brandenburgisch-Ostindische Compagnie Breslau-Schweidnitz-Freiburger Eisenbahn-Gesellschaft Berlin-Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise zirka Chemnitz-Riesaer Eisenbahngesellschaft
XXII DB DEEG ders. DG d. h. dies. Diss. DJT DPVG DJZ DStR EI
Abkürzungsverzeichnis
EAC Einl. e.V. f./ff. FE
Der Betrieb (Zeitschrift) Düsseldorf-Elberfelder-Eisenbahngesellschaft derselbe Disconto-Gesellschaft das heißt dieselbe(n) Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Petroleumverkaufs-GmbH Deutsche Juristenzeitung Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Erste Lesung, 1888(1. Entwurf) Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Zweite Lesung, 1894/95 (2. Entwurf) Elb-Amerikanische Compagnie Einleitung eingetragener Verein folgende (Seite[n]) Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland von
FHEG FS Fußn. FWNB GBl GenG ggf. GmbH GmbHG GmbHR Großkomm. GS GVOB1 HGB hrsg. / Hrsg. HZ i.d.F. insb. i.S. IStR JbWg JuS JW JZ KG KK KMEG
1848/49 (Frankfurter Entwurf) Frankfurt-Hanauer Eisenbahn-Gesellschaft Festschrift Fußnote Friedrich-Wilhelms-Nordbahn Gesetzblatt Genossenschaftsgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter H a f t u n g Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter H a f t u n g GmbH-Rundschau Großkommentar Gedächtnisschrift / Gesetzessammlung Gesetz- und Verordnungsblatt Handelsgesetzbuch herausgegeben / Herausgeber Holdheims Zeitschrift in der Fassung insbesondere im Sinne Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht / Kommanditgesellschaft Kölner Kommentar Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft
E II
Abkürzungsverzeichnis KZgRw
Kritische Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft
LB
Leipziger Bank
LCEC
Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie
LDC
Leipziger Discontocasse
lit.
littera
LRS
Landrechtssatz
LZ
Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht
LZEG
Löbau-Zittauer Eisenbahngesellschaft
MAEG
München-Augsburger Eisenbahn-Gesellschaft
MHC
Magdeburger Handels-Compagnie
MHEG
Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft
Mio.
Million
MLEG
Magdeburg-Köthen-Halle-Leipziger Eisenbahn-Gesellschaft
Münch.Komm.
Münchener Kommentar
NDB
Neue Deutsche Biographie
NF
Neue Folge
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NMEG
Niederschlesisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft
Nr.
Nummer
OAG
Oberappellationsgericht
OEG
Oberschlesische Eisenbahngesellschaft
OHG
Offene Handelsgesellschaft
o.J.
ohne Jahresangabe
OKEP
Ornontowitzer A G ftir Kohlen- und Eisenproduktion
OLG
Oberlandesgericht
OLGZ
Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen
XXIII
OT
Obertribunal
OTE
Entscheidungen des Königlichen Geheimen Ober-Tribunals
OTEG
Oppeln-Tarnowitzer Eisenbahngesellschaft
PE
Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten von 1 8 5 7
PHGK
Preußische Handels-Gesellschaft zu Königsberg
preuß.
preußisch(e)
RB1
Regierungsblatt
(Preußischer Entwurf)
Rdn.
Randnummer
REG
Rheinische Eisenbahngesellschaft
RG
Reichsgericht
RGBl
Reichsgesetzblatt
RgEG
Rheingauer Eisenbahngesellschaft
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RIW
Recht des Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)
RJA
Reichsjustizamt
RJA-EI
Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1 8 9 5
R J A - E II
Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1 8 9 6
RNEG
Rhein-Nahe Eisenbahngesellschaft
(vom Reichsjustizamt erarbeitet) (vom Reichsjustizamt erarbeitet)
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
ROHG
Reichsoberhandelsgericht
ROHGE
Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts
RWG
Rhein-Weser-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft
RWK
Rheinisch-Westindische Kompagnie
S.
Seite
sächs.
sächsisch(es)
SAG
Sodener Aktien-Gesellschaft
SBEC
Sächsisch-Bayersche Eisenbahncompagnie
SBV
Schlesischer Bank-Verein
Seuff.A.
Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten
sog.
sogenannte (r)
SSEG
Sächsisch-Schlesische Eisenbahngesellschaft
Striet.A.
Archiv für Rechtsfälle, die zur Entscheidung des Königlichen
SZ
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische
Ober-Tribunals gelangt sind (Striethorst Archiv) Abteilung TaEB
Taunuseisenbahn
TEG
Thüringische Eisenbahngesellschaft
u. a.
unter anderem / und andere
u. a.m.
und anderes mehr
usw.
und so weiter
u.U.
unter Umständen
UmwG
Umwandlungsgesetz
VE-JP
Vorentwurf „Die juristische Person"
vgl.
vergleiche
VOB1
Verordnungsblatt
VSWG
Vierteljahresschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
WE
Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg von
WM
Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift)
1839/40 (Württemberger Entwurf) Z.
Zeile
z. B.
zum Beispiel
ZBLG
Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
ZGR
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht
Ziff.
Ziffer
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
zit.
zitiert
ZLGA
Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde
ZNR
Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte
ZPORG
Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart
Z R G Germ. Abt.
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtgeschichte, Germanistische Abteilung
Zs.f.dt.R.
Zeitschrift für deutsches Recht
ZSHG
Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte
ZUG
Zeitschrift für Unternehmensgeschichte
ZWLG
Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte
§ 1 Einführung
A. Bedeutung der Verbandssouveränität im modernen gesellschaftsrechtlichen Schrifttum I. Rascher „ Siegeszug " In einem 1973 erschienenen Festschriftbeitrag beschäftigte sich Herbert Wiedemann mit der Errichtung von Beiräten bei Personengesellschaften1. In der Praxis seien derartige Beiräte weit verbreitet, wenn auch mit verschiedenen Namen - Arbeitsausschuss, Verwaltungs- oder Aufsichtsrat, Gesellschafterausschuss — und unterschiedlichen Funktionen. Da die Beiräte in vielen Fällen ganz oder überwiegend mit Nichtgesellschaftern besetzt würden, könnten sie „bei weitreichenden Kompetenzen zum Einfallstor außergesellschaftlicher und — je nach der Gesellschaftsferne der Beiratsmitglieder — auch gesellschaftswidriger Einflüsse werden." Berührt werde mithin die zu den Grundproblemen des Gesellschaftsrechts gehörende Frage, „ob und wie weit sich ein Verband absichtlich einer Fremdsteuerung durch Nichtgesellschafter unterwerfen" könne 2 . Beantwortet wird diese Frage nach Ansicht Wiedemanns von einem gesellschaftsrechtlichen Strukturprinzip, das er als „Grundsatz der Verbandssouveränität" bezeichnet 3 . Jener Grundsatz besage „in einer sehr allgemeinen Formulierung", dass die Bestimmung des Schicksals einer Gesellschaft nicht außenstehenden Personen überlassen werden dürfe, welche nicht die gleichen Interessen verfolgten wie die Gesellschafter selbst und deren Rechtsübung man deshalb nicht ausreichend beschränken und kontrollieren könne. Stattdessen sollten die gesellschaftlichen Entscheidungen von Personen beherrscht werden, welche sich als Mitglieder oder als Organ mit den Belangen der Gesellschaft identifizierten; die man notfalls auch zu einer solchen Interessenwahrung verpflichten bzw. bei entsprechendem Fehlverhalten haftbar machen könne. Der Verbandssouveränität komme eine umfassende Breitenwirkung zu, da sie „auf allen Stufen der Gesellschaftsorganisation" - von der Vertrags- bzw. Satzungsgestaltung bis hin zur Geschäftsführung - gelte. Begründen ließen sich die der Privatautonomie hiermit gesetzten Beschränkungen vor allem mit dem im Gesellschaftsrecht erforderlichen Selbstschutz: Es müsse verhindert werden, dass sich die Gesellschafter durch Delegation von Entscheidungsbefugnissen an außenstehende Dritte ihres notwendigen Interes1 2 3
Wiedemann, Verbandssouveränität und Außeneinfluss, FS Schilling, S. 105 ff. Wiedemann, FS Schilling, S. 105. Zum Folgenden Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 111 f.
2
§ 1 Einfuhrung
senschutzes begäben4. Hinzu komme ein Abschichtungseffekt, der alle Verbände kennzeichne, weil diese immer auf eine Zentralisation von Vermögen und Organisationsgewalt angelegt seien: Die Vereinheitlichung des Vermögens dokumentiere sich im gesellschaftlichen Sondervermögen; die Vereinheitlichung der Organisation in einer unabhängigen Entscheidungszuständigkeit. Schon diese Begründungszusammenhänge machten deutlich, dass es sich beim Grundsatz der Verbandssouveränität um eine variable Schranke der Privatautonomie handle; in dem Sinne, dass nicht jeder Dritteinfluss für unzulässig erklärt werde, ebenso wie nicht jedem Verbandsmitglied in allen Angelegenheiten der Gesellschaft ein Stimmrecht zustehen müsse5. Schon vor Wiedemann hatte sich Arndt Teichmann in seiner Habilitationsschrift mit dem gleichen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz befasst, den er allerdings noch nicht als Verbandssouveränität bezeichnet, sondern als „Verbot der Fremdsteuerung für konzernunabhängige Gesellschaften" bzw. als „Prinzip der Selbststeuerung" . Dieses Prinzip erfordere, dass „allein die Mitglieder einer Gemeinschaft den Gesamtwillen bilden ..., daß ihnen allein die gestaltende Verantwortung für das Geschehen zusteht und diese Verantwortung nicht an außenstehende Personen abgetreten werden kann." 7 Beide Autoren bestimmen mithin den allgemeinen Inhalt des Grundsatzes im wesentlichen übereinstimmend, doch wird dieser von Teichmann anders hergeleitet: Der Gedanke, die Stimmbefugnis des Aktionärs sei ein „politisches Recht", das man nicht an Dritte abtreten dürfe, könne wegen der Gleichheit der Interessenlage „auf die Mitwirkung in einem Organ" übertragen werden. Das „politische Recht der aktiven Mitwirkung, zum Nutzen der Gesellschaft verliehen und zu ihrem Ablauf unbedingt erforderlich", setze die Mitgliedschaft notwendig voraus, denn die Mitgliedschaft als Legitimation der Mitwirkung gehöre zu den demokratischen Selbstverständlichkeiten, die sich an zahlreichen Stellen - an staatlichen Institutionen und in den Verbänden - nachweisen ließen . Teichmann begründet das Fremdsteuerungsverbot aber nicht nur mit dem „Hineindringen demokratischer Selbstverständlichkeiten in das Privatrecht"; er fügt ein zweites — ergänzendes - Argument hinzu: Zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft bestehe ein vielfältiges Beziehungsgeflecht, das u. a. durch Treuepflichten und eine verbandsinterne Disziplinargewalt gekennzeichnet werde. Jenes Geflecht bilde die Grundlage der jeweils zu treffenden Entscheidungen; es werde empfindlich gestört, wenn ein Dritter mitwirke, der außerhalb des Verbundes stehe und aus diesem nicht die Impulse für seine Maßnahmen empfange 9 . Im Anschluss an Teichmann und Wiedemann hat der Grundsatz der Verbandssouveränität im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum weite Verbreitung erfahren. Er erscheint nicht nur dort, wo es um die Kompetenzen eines mit Nichtgesellschaftern besetzten Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 114. Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 114. 6 Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 189 ff. 7 Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 196. 8 Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 191. Vgl. auch a.a.O., S. 108: Die Mitwirkung von Dritten an Aktionärsversammlungen widerspreche dem demokratischen Gebrauch. 9 Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 191 f. 4
5
A. Bedeutung der Verbandssouveränität
3
Beirates geht10, sondern ebenso bei der Beschäftigung mit Vereinbarungen über die Bindung des Stimmrechts zugunsten von außenstehenden Dritten bzw. diesem Personenkreis gewährten statutarischen Weisungs-, Zustimmungs- oder Bestellungsrechten 12 ; der näheren Ausgestaltung von Arbeitnehmerbeteiligungs-Modellen, bei denen den Belegschaftsvertretern keine Gesellschafterstellung eingeräumt werden soll13, sowie einer vereinbarten Mitbestimmung ; schließlich bei der Klärung von Grundfragen eines Konzernrechts für Personengesellschaften15. Nicht immer wird dabei explizit von der „Verbandssouveränität" gesprochen, doch machen die nähere Ausfüllung der jeweils gewählten Bezeichnungen sowie die Verweise auf Wiedemann bzw. Teichmann regelmäßig deutlich, dass es prinzipiell um den gleichen Grundsatz geht, auch wenn man bei den Einzelheiten — worauf zurückzukommen sein wird — durchaus voneinander abweichende Akzente setzt: Recht häufig werden die Begriffe „Verbandsautonomie" und „Verbandssouveränität" weitgehend synonym verwendet , verbreitet ist vom „Grundsatz der körperschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Selbstbestimmung" die Rede17, ferner gebraucht man „Vereinsautonomie" und „Vereinssouveränität" in diec18 sem iinne .
II. Grundsatz des allgemeinen Verbandsrechts Schon im eingangs erwähnten Festschriftbeitrag vertritt Wiedemann die Ansicht, die in erster Linie für das Recht der Personengesellschaften entwickelten Überlegungen könnten ebenso auf die GmbH Anwendung finden19. Heute ist nahezu unbestritten, dass es sich bei der Verbandssouveränität um einen Grundsatz des allgemeinen Verbandsrechts handelt, ein Strukturprinzip mithin, das nicht nur bei den Personengesellschaften sowie der GmbH, sondern ebenso bei der Aktiengesellschaft, der eingetragenen Genossenschaft und selbst im Vereinsrecht Geltung beansprucht 20 .
10 Vgl. etwa Mertens, FS Stimpel, S. 417, 420 f.; Reuter, FS 100 Jahre G m b H G , S. 631, 638 ff.; Rohleder, Beiräte, S. 73ff.; Teubner, ZGR 1986, 5 6 5 f f ; Voormann, Beirat, S. llOff. 11 Siehe z.B. Flume, Juristische Person, S. 240ff.; Herfi, Einwirkung, S. 166ff., 317ff.; Priester; FS Werner, S. 657,663. 12 Vgl. nurBeuthin/Gätsch, Z H R 156 (1992), 459,466; Herfi, Einwirkung, S. 1 1 7 f f , 130ff. 13 Hierzu Loritz, ZGR 1986, 310 ff. 14 Vgl. Hommelhoff, Z H R 148 (1984), 118, 120ff. 15 Etwa Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 94ff.; Löffler, Personengesellschaft, S. 28f.; Scbiessl, Personengesellschaft, S. 48 f.; U.H.Schneider, ZGR 1975,253, 269 f., 279. 16 Vgl. nur Reuter, FS 100 Jahre G m b H G , S. 631,638; Zöllner, FS 100 Jahre G m b H G , S. 85,120 f. 17 Siehe z.B. Beuthin/Gätsch, Z H R 156 (1992), 459, 466; Priester, FS Werner, S. 657, 663; Rohleder, Beiräte, S. 77; U.H.Schneider, ZGR 1975,253,269, 279. 18 Vgl. Flume, Juristische Person, S. 189 ff-, insb. 197, 242 f.; Steinbeck, Vereinsautonomie, insb. S. 31 ff. 19 Wiedemann, FS Schilling, S. 105, Fußn. 2. 20 Vgl. nur Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 96; K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3; Ulmer, in: Großkomm. H G B § 109, Rdn. 31; Wiedemann, in: Großkomm. AktG § 179, Rdn. 5 ff.
4
§ 1
Einfuhrung
Trotz der sehr verbreiteten Anerkennung der Verbandssouveränität hält man diese offenbar für einen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz, dessen Bedeutungsgehalt noch nicht endgültig vermessen worden ist. Mitunter wird jedenfalls die Erwartung geäußert, die nähere Bestimmung der Verbandssouveränität könne eventuell noch weitere Erkenntnisfortschritte bei der Bewältigung verschiedener Sachprobleme erbringen: beispielsweise bei der Sicherstellung des gedeihlichen Funktionierens der GmbH als Dauerrechtsverhältnis21 oder beim Abbau der Wissensdefizite um die Binnenstruktur von Personengesellschaften22.
III. Begründung der 1. Herkömmliche
Verbandssouveränität
Herleitung
Als Ausdruck der allgemeinen Anerkennung, welche die Verbandssouveränität im letzten Vierteljahrhundert in der gesellschaftsrechtlichen Literatur erfahren hat, lässt sich gewiss auch die Tatsache begreifen, dass man es verbreitet nicht mehr für erforderlich hält, die Geltung dieses Grundsatzes besonders herzuleiten; oft wird insoweit lediglich auf die eingangs referierten Beiträge von Teichmann und Wiedemann sowie auf andere Äußerungen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums weiter verwiesen23. Konkret hat jedoch der Begründungsansatz Teichmanns (Hineindrängen demokratischer Selbstverständlichkeiten ins Privatrecht) recht häufig nachdrückliche Kritik erfahren 24 . Er wird - soweit ersichtlich — heute nicht mehr explizit vertreten. Mehrheitlich begründet man die Verbandssouveränität stattdessen mit den beiden schon von Wiedemann herausgearbeiteten Aspekten: dem nötigen Selbstschutz der Gesellschafter und der bei allen selbständigen Verbänden erforderlichen Zentralisation einer unabhängigen Entscheidungszuständigkeit (Abschichtungseffekt)25. Weitgehend einig ist man sich auch in der Einschätzung, § 137 BGB könne zur Begründung der Verbandssouveränität nicht herangezogen werden .
21 So Hommelhoff, Gestaltungsfreiheit, S. 45, unter Verweis auf Zöllner, FS 100 Jahre G m b H G , S. 85, 119 ff. 22 Siehe K.Schmidt, GS Knobbe-Keuk, S. 307, 3 1 7 f . 23 Etwa Hommelhoff, Z H R 148 (1984), 118, 120; Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 94; Zöllner, FS 100 Jahre G m b H G , S. 85, 119 f. 24 Siehe schon Reuter, Schranken, S. 173 f.; ferner Flume, Personengesellschaft, S. 239; Loritz, Z G R 1986, 310, 325; Schockenhoff AcP 193 (1993), 35, 58; Steinheck, Vereinsautonomie, S. 3 4 f . 25 Vgl. Herß, Einwirkung, S. 53 ff. Andere verkürzen den Begründungsansatz Wiedemanns auf den Selbstschutzgedanken, so z. B. Löffler, Personengesellschaft, S. 28; Voormann, Beirat, S. 112 f. 26 Vgl. nur Ulmer, in: G r o ß k o m m . H G B § 109, Rdn. 31; Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 113f. Bei Voormann, Beirat, S. 113, heißt es, die Verbandssouveränität überschneide sich in ihren Auswirkungen mit § 137 BGB.
A. Bedeutung der
2. Ergänzende
Verbandssouveränität
5
Überlegungen
Bei genauer Betrachtung zeigt sich das Meinungsbild allerdings nicht so uniform, wie es auf den ersten Blick erscheint: So wird von Werner Flume hervorgehoben, die Autonomie der körperschaftlichen juristischen Person sei zwar auf die Mitglieder bezogen, doch stehe den Mitgliedern die Privatautonomie nur „um der juristischen Person willen" zu 27 . Auf diese Weise solle möglichst gewährleistet werden, dass „die Herstellung des Willens für die juristische Person in autonomer, auf das Interesse der juristischen Person gerichteter Entscheidung der Mitglieder" erfolge 28 . Die Befugnis, in dieser Weise an der Herstellung des Willens der juristischen Person mitzuwirken, sei mitgliedsgebunden, weil man nur einem Mitglied, nicht aber einem Dritten die Autonomie der Entscheidung über die Ausübung der Vereinsautonomie überlassen könne 29 . Auch bei den Personengesellschaften erfülle der einzelne Gesellschafter in der Mitwirkung am Geschehen der Gesellschaft nur seine Funktion als Mitglied der Gruppe, nicht anders als das Mitglied der juristischen Person. Was das Geschehen der Gesellschaft als solcher anbetreffe, gehe es daher ebenfalls nicht um die Wahrung der Selbstbestimmung für die einzelnen Gesellschafter, sondern nur um die Selbstbestimmung der Gesellschaft als Gruppe 30 . Im Recht der Personengesellschaften stellt sich für Flume die Problematik von Selbst- und Fremdbestimmung aber nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den einzelnen Gesellschafter, weil „die Unmittelbarkeit der Zugehörigkeit der Gesellschafter zur Gesellschaft als Gruppe der Willensbildung ihren personellen Bezug" verleihe. Hier gehe es daher um zwei miteinander verbundene Fragen: Einerseits sei zu untersuchen, inwieweit Nichtgesellschafter die Willensbildung in der Gesellschaft beeinflussen dürften; andererseits müsse geklärt werden, wieweit sich der Gesellschafter hinsichtlich seiner Stimmabgabe binden könne, ohne seine Selbstbestimmung preiszugeben 31 . Vollständig in den Hintergrund treten die Gesellschafter bei Gunther Teubner, für den der herkömmliche Begründungsansatz mit einem Konstruktionsfehler behaftet ist: Man stütze die organisationsbezogene Kategorie der Verbandssouveränität auf die individuenbezogene Kategorie der Gesellschafterinteressen; eine solche Reduktion der Souveränität des Verbandes auf die Parallelität von Individualinteressen werde jedoch der prinzipiellen Sphärentrennung von Organisation und Mitgliedern nicht gerecht. Da ein eigenständiges Organisationsinteresse anzuerkennen sei, lasse sich die Verbandssouveränität nur auf den Interessenschutz der Organisation stützen. Bezugspunkt der Verbandssouveränität habe deshalb der Verband als solcher zu sein 32 . Die Ansicht von Teubner hat sich nicht durchzusetzen vermocht 33 ; auch Wiedemann hat aber in Ergän-
27 28 29 30 31 32 33
Flume, Juristische Person, S. 201, 212. Flume, Juristische Person, S. 219. Flume, Juristische Person, S. 242. Flume, Personengesellschaft, S. 208. Flume, Personengesellschaft, S. 230. Teubner, ZGR 1986, 565, 567 ff. Ablehnend äußern sich u. a. Rohleder, GmbH-Beiräte, S. 81 f.; Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 47 f.
6
§ 1 Einfuhrung
zung seiner früheren Argumentation betont, bei der Verbandssouveränität gehe es nicht nur um den Individualschutz: Die gesetzliche oder statutarische Ordnung des Gesellschaftslebens setze eine grundsätzliche Interessenparallelität der Gesellschafter voraus. Zwar könne diese Ordnung einzelne Konflikte zwischen den Sozien durchaus bewältigen, doch sei sie einer Abhängigkeit von den Fremdinteressen eines Nichtgesellschafters, der keinen rechtlichen und psychologischen Bindungen unterliege, nicht gewachsen . Ferner müsse beachtet werden, dass die Gesellschafter beim Ausgestalten der Satzung nicht nur über die eigene, sondern ebenso über die Willensfreiheit anderer Personen, nämlich ihrer Rechtsnachfolger, verfügten. Auch dies sei ein Grund dafür, dem Verband institutionellen Selbstschutz vor der Möglichkeit zu gewähren, das Schicksal des Zusammenschlusses mit korporativer Wirkung in die Hände Dritter legen zu können 35 . Ergänzende Überlegungen finden sich noch bei anderen Autoren: Karl-Georg Loritz hebt hervor, die Verbandssouveränität wolle u. a. verhindern, dass die Einflussnahme Dritter auf eine Gesellschaft mit den Grundprinzipien der Eigentumsordnung kollidiere. Da auch das gesellschaftsrechtlich vermittelte Anteilseigentum Eigentum sei, läge ein Verstoß gegen diese Grundprinzipien vor, wenn die Gesellschafterrechte auf Dauer nicht den Gesellschaftern, sondern Dritten zustünden . Ähnlich grundsätzlich verortet Hans-Joachim Priester die Verbandssouveränität: Wer eine freie Verbandsbildung zulasse, komme nicht daran vorbei, die zwingende Alleinzuständigkeit der Mitglieder zur Gestaltung der Verbandsordnung vorzusehen. Dieser Entscheidungsbefugnis könnten zwar gesetzliche Grenzen gezogen werden - vor allem durch eine Vorgabe mehr oder weniger starrer Organisationsschemata. Aber innerhalb dieser Grenzen müsse die Entscheidungsfreiheit über den Satzungsinhalt von rechtlich verbindlichen Außeneinflüssen freigehalten werden37. Auf makroökonomische Zusammenhänge verweist Uwe H. Schneider. Aus Sicht der Wirtschaftsordnung habe die Verbandssouveränität die Funktion, für dezentrale Planungs- und Organisationseinheiten zu sorgen und damit die Voraussetzungen für die Entfaltung des Marktes mitabzusichern38.
3. Übertragung des Selbstentmündigungsverbots gemäß § 138 BGB aufdie juristische Person In ihrer vor allem dem Vereinsrecht gewidmeten - aber ausdrücklich nicht auf dieses Rechtsgebiet beschränkten — Habilitationsschrift hat sich Anja Steinbeck mit der Herleitung der Verbandssouveränität beschäftigt39. Da ihrer Ansicht nach die verschiede34
Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 371; vgl. auch ders., in: Großkomm. AktG § 179, Rdn. 9. Wiedemann in: Großkomm. AktG § 179, Rdn. 9. 36 Loritz, ZGR 1986, 310, 325f. 37 Priester, FS Werner, S. 657,666. 38 U.H.Schneider, ZGR 1975,253, 269. 39 Vereinsautonomie und Dritteinfluss: dargestellt an den Verbänden des Sports, 1999, S. 31 ff. Dazu, dass die Kernthesen der Arbeit über das Vereinsrecht hinausreichende Geltung beanspruchen, siehe insb. S. 32 f., auch S. 94 f., 97. 35
A. Bedeutung der
Verbandssouveränität
7
nen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vertretenen Begründungsansätze nicht überzeugen 40 , untersucht Steinbeck, inwieweit sich die Verbandssouveränität auf das Verbot der Selbstentmündigung gemäß § 138 BGB stützen lässt, ob nicht „die Erwägungen, die herangezogen werden, um einer natürlichen Person zu verbieten, ihre Privatautonomie aufzugeben, nutzbar gemacht werden können, um das Verbot der völligen Aufgabe der Selbstbestimmung durch einen Verein und damit den Grundsatz der Vereinsautonomie ... zu begründen." 4 1 Zwar stünden Teile der Literatur einer Parallele zwischen natürlicher und juristischer Person kritisch gegenüber, hauptsächlich mit dem Argument, die Privatautonomie einer natürlichen Person sei in grundsätzlich anderer Weise zu schützen als die Autonomie des Vereins; diese These verwundere jedoch, wenn man sich vor Augen führe, dass „im Bürgerlichen Gesetzbuch eine grundsätzliche Gleichstellung von natürlicher und juristischer Person angelegt" sei 42 . Ubertrage man die in der Diskussion um ein allgemeines Persönlichkeitsrecht der juristischen Person gebrauchten Argumente auf die Selbstentmündigungsproblematik, so komme es entscheidend darauf an, ob auch die juristische Person ein schutzwürdiges Interesse daran habe, vor übermäßiger Fremdbestimmung geschützt zu werden 4 3 . Insoweit sei zu berücksichtigen, dass es bei der juristischen Person - anders als bei der natürlichen - nicht nur um die Freiheit zur Gestaltung der rechtlichen Beziehungen zu außenstehenden Dritten, mithin um eine „Entmündigung im Außenverhältnis", gehe. Zusätzlich seien hier auch die inneren Beziehungen einer rechtlichen Regelung zugänglich, woraus die Möglichkeit einer Beeinflussung durch Dritte entstehe 44 . Zu fragen sei nun, ob auch dieser innerorganisatorische Freiheitsraum eines Vereins dem Verbot der Selbstentmündigung unterliege. Da ein selbständiges - von den Interessen der Mitglieder völlig abgelöstes - Vereinsinteresse nicht existiere, könne bei den Schutzerwägungen nur auf die Vereinsmitglieder abgestellt werden: In ihrem „Ausgangspunkt" gehe es der Vereinsautonomie um den Selbstschutz der Mitglieder; verhindert werden solle, dass sich diese durch die Delegation von Entscheidungsbefugnissen an außenstehende Dritte des erforderlichen Interessenschutzes begäben . Das Interesse der natürlichen Personen, übermäßige Fremdbestimmung abzuwehren, bestehe nämlich auch dann fort, wenn sich der Einzelne mit anderen zu einem Verein zusammenschließe; es kehre hier als Interesse des Vereins an körperschaftlicher Selbstbestimmung wieder. Da das Interesse der natürlichen Person, übermäßige Fremdbestimmung abzuwehren, nicht zur Disposition des Einzelnen stehe, müsse Gleiches für das Interesse des Vereins an körperschaftlicher Selbstbestimmung gelten. Folglich gelte das Verbot der Selbstentmündigung nach § 138 BGB auch im Rahmen der Vereinsautonomie 46 .
Vgl. Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 33 ff., 63. Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 43. 42 Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 43. 43 Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 44. 44 Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 45. Ähnlich (wenn auch reichlich naturalistisch) Voormann, Beirat, S. 113: „Die besondere Schutzbedürftigkeit der Gesellschaft ergibt sich daraus, daß ihr Entscheidungszentrum manipulierbar ist, vergleichbar allenfalls mit den Methoden einer Gehirnwäsche." 45 Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 46 f. 40
41
8
§ 1 Einführung
In der Sache läuft die auf § 138 BGB gestützte Begründung der Verbandssouveränität durch Steinbeck damit weitgehend auf die herkömmliche Herleitung hinaus, welche allerdings auf einen (zumindest in der Tendenz) recht eng verstandenen Selbstschutzgedanken (bloßes Verbot völliger Selbstentrechtung) verkürzt wird. Nicht sonderlich ertragreich erscheint auch der Versuch, für die nähere Bestimmung der Verbandssouveränität auf die Rechtslage bei der natürlichen Person zu blicken: Dort beschreibe man die Grenzen einer zulässigen rechtsgeschäftlichen Bindung regelmäßig mit allgemeinen Formeln, welche im Laufe der Zeit durch die Herausbildung von Fallgruppen (z. B. „Knebelungsverträge") eine Konkretisierung erfahren hätten. Darüber hinaus bedürfe es „einer wertenden Betrachtung im Einzelfall, bei der die konkreten Umstände und die Belange der Parteien zu berücksichtigen sind." 47 Im übrigen bleibt bei Steinbeck fast ohne jede Reflektion, dass die These, § 138 BGB untersage nicht nur die Selbstentmündigung natürlicher Personen, sondern ebenso die juristischer Personen, vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum in Auseinandersetzung mit der „Petroleum"-Entscheidung des Reichsgerichts48 intensiv diskutiert und von der weit überwiegenden Mehrheit der Diskussionsteilnehmer verworfen worden ist 49 . Robert Joss hielt der Kritik am Reichsgericht entgegen, zumindest in einer „verfeinerten Anwendung" ließe sich die Geltung der „Knebelungstheorie" begründen 50 : Stehe die Sittlichkeit eines Vertrages in Frage, so sei zu untersuchen, „inwieweit der Vertrag gegenüber den hinter der A.G. stehenden Menschen, d. h. ihren Aktionären und Gläubigern, unsittlich" sei. Angewendet auf den Petroleumfall würde „dieses feinere Kriterium ... wenigstens teilweise zum gleichen Ergebnis, wenn auch nicht zum gleichen Urteil, führen". Die in diesem Fall von der Gesellschaft eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen seien nämlich auch im Verhältnis zu den Aktionären als unsittlich anzusehen. Gerade bei Tochtergesellschaften komme sogar wegen „der üblichen Gefügigkeit der Verwaltung" eine Schädigung der juristischen Person praktisch nicht in Frage, so dass ausschließlich die Minderheitsaktionäre - und seltener die Gläubiger - „als in ihren Rechten unter Umständen vergewaltigte physische Personen" in Betracht kämen5 1 . Auch dieser modifizierte Ansatz ist jedoch auf Ablehnung gestoßen 52 .
Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 51. Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 53. 48 RGZ 82, 308. Zu dieser Entscheidung ausführlich unter § 9 B IV. 49 Zwar beruft sich Steinbeck für ihre Ansicht auch auf RGZ 82, 308, vgl. Vereinsautonomie, S. 51, Fußn. 201; für die Gegenmeinung wird jedoch lediglich auf einige neuere Beiträge sowie auf das Referat von Würdinger für den 42. Deutschen Juristentag von 1959 verwiesen, wo die Thematik aber nur ganz allgemein mit einer sehr knappen Bemerkung gestreift wird. Vgl. Verhandlungen des 42. DJT, Band II, F 15. Konkret wird die Anwendung von § 138 BGB auf die Selbstentmündigung juristischer Personen in dieser Zeit z. B. abgelehnt in den grundlegenden Untersuchungen von Ernst-Joachim Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 120 f., und Konstantin Simitis, Gute Sitten und ordre public, 1960, S. 37. Einen allgemeinen Uberblick über die Diskussion der Problematik im rechtswissenschaftlichen Schrifttum der 20er und 30er Jahre geben Friedländer, Konzernrecht, S. 38 ff.; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 2 f.; Spindler, Recht und Konzern, S. 76 ff. 50 Zum Folgenden Joss, Konzernrechtsfragen im deutschen und schweizerischen Recht, 1935, S. 97, 46 47
101.
B. Die Kritik
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B. Die Kritik I. Alternative Konzepte 1. Die „Bahd'f'-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Für einige Bewegung in der Diskussion um die weitere Fundierung des Grundsatzes der Verbandssouveränität hat die Anfang 1991 ergangene „Bahä'f-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gesorgt 53 . Mit diesem Beschluss soll das Gericht nach Ansicht des rechtswissenschaftlichen Schrifttums für den kirchlichen und religiösen Verein wesentliche Einschränkungen der Vereinsautonomie als mit dem Vereinsrecht des BGB für vereinbar erklärt haben 5 4 . Andere sprechen von einer Reduktion des Grundsatzes „auf ein Minimum, so dass von Autonomie eigentlich nicht mehr die Rede sein kann" 5 5 ; woraus sogleich für die Praxis der weitere Schluss gezogen wird, dass „künftig der Begriff ,Vereinsautonomie' in gerichtlichen Entscheidungen über die Satzungen kirchlicher Vereine keine Rolle mehr spielen darf." 5 6 Schließlich wird behauptet, das BVerfG habe festgestellt, in Ausübung der ihm zustehenden Vereinsautonomie könne ein Verein seine Selbstbestimmung auch durch Unterwerfung unter den Willen eines außenstehenden Dritten wesentlich beschränken 57 . Wenn die letztere Einschätzung zutrifft, so liegt der Entscheidung des BVerfG ein Konzept zugrunde, das sich vom bisher im rechtswissenschaftlichen Schrifttum weithin vertretenen Verständnis der Verbandssouveränität elementar unterscheidet. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich in diesem Verfahren mit der Verfassungsbeschwerde eines lokalen „Geistigen Rates" der Bahä'i, einer schiitischen Religionsgemeinschaft, zu beschäftigen. Dem „Geistigen Rat" war vom Registergericht die Eintragung ins Vereinsregister mit der Begründung verweigert worden, die von ihm vorgelegte Vereinssatzung widerspreche dem Grundsatz der Vereinsautonomie. Anstoß hatten die Gerichte u.a. an Satzungsvorschriften genommen, die dem „Nationalen Geistigen Rat der Bahä'i in Deutschland e.V." verschiedene Rechte vorbehielten: Der Nationale Rat sollte über den Ausschluss von Mitgliedern des örtlichen Rates befinden und ebenso über dessen „Zuständigkeit"; ferner bedurften Satzungsänderungen der Zustimmung des Nationalen Rates und schließlich war diesem ein konkurrierendes Auflösungsrecht eingeräumt worden. Den Einwenden des Registergerichts hatten die 51 Im Ansatz ähnlich auch schon A.Frowein, Knebelungsverträge bei juristischen Personen, 1927, S. 23: Der Begriff der unsittlichen Knebelung könne grundsätzlich nicht auf juristische Personen übertragen werden; eine Ausnahme müsse aber u.U. bei juristischen Personen mit stark personellem Charakter, wie z. B. eingetragenen Genossenschaften, gemacht werden, da mit der Knebelung einer solchen Gesellschaft gleichzeitig die Knebelung der sie bildenden physischen Personen verbunden sein könne. 52 Vgl. nur Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 120. 53 BVerfGE 83,341. 54 So Flume, JZ 1992, 238,240. 55 Schockenhoff, NJW 1992, 1013, 1017. 56 Schockenhoff NJW 1992, 1013,1018. 57 So Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 21,29, 53.
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Vertreter des „Geistigen Rats" entgegengehalten, die Einbindung eines örtlichen Rates in den hierarchischen Aufbau der Religionsgemeinschaft der Bahä'i sei zwingend durch deren Grundsätze und Prinzipien vorgegeben, welche auf göttlicher Offenbarung beruhten 5 8 . Zur Vereinsautonomie heißt es nun in der Entscheidung des BVerfG 59 , Ziel des Grundsatzes sei es, „der Privatautonomie vergleichbar, den Charakter des Vereins als eines vornehmlich von der Willensbestimmung und -betätigung seiner Mitglieder getragenen Personenverbandes zu wahren". In der Rechtsprechung werde hervorgehoben, diese Autonomie könne auch durch eine satzungsmäßige Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts des Vereins ausgeübt werden, weil es auf eine Beschneidung von Autonomie hinausliefe, falls man solche Regelungen für unzulässig erkläre 60 . Der Grundsatz der Vereinsautonomie — „wie er in Rechtsprechung und Schrifttum verstanden wird" — werde mithin von zwei „nicht notwendig parallel laufenden inhaltlichen Tendenzen" geprägt: Einerseits schütze er „die Autonomie in der Bildung und organisatorischen Gestaltung des Vereins nach der freien Selbstbestimmung der Mitglieder, wozu auch die Einfügung in eine hierarchisch organisierte Gemeinschaft gehören" könne, andererseits bewahre er die Selbstbestimmung der Mitglieder „vor einer Entäußerung, die die eigene Willensbestimmung nahezu vollständig zum Erliegen" bringe. Beide Tendenzen des Grundsatzes seien bei dessen Auslegung und Anwendung unter Berücksichtigung des konkreten Falles, „d. h. auch bezogen auf Zweckausrichtung und Eigenart des in Frage stehenden Vereins, zum Ausgleich zu bringen." Beachte man nun die Eigenart religiöser Vereine, die sich als Teil einer Religionsgemeinschaft organisieren, so liege es angesichts der vielfach zu beobachtenden glaubensgebundenen hierarchischen inneren Organisation von Religionsgemeinschaften nahe, dass sich der einzelne Verein in die Hierarchie seiner Gemeinschaft einfügen wolle. Hierin dürfe nicht ohne weiteres die Unterwerfung — unter eine die Selbständigkeit und Selbstverwaltung des Vereins im Kern treffende - Fremdbestimmung erblickt werden. Einschränkungen der autonomen Auflösungs-, Ausschließungs- oder Betätigungsbefugnis könnten deshalb „bei einem religiösen Verein, der sich als Teilgliederung einer Religionsgesellschaft konstituiert", nicht als eine mit der Vereinsautonomie unvereinbare Fremdbestimmung angesehen werden, „sofern sie der Sicherung der Einordnung in die größere Religionsgemeinschaften im Rahmen der bestehenden religionsrechtlichen Verknüpfung - etwa der Wahrung der Identität der Glaubenslehre und grundlegender glaubensbedingter Lebensführungspflichten — dienen und sich darauf begrenzen." Beanspruche die „übergeordnete Instanz" für sich nur eine Art Lehramt und entsprechende Jurisdiktionsbefugnisse, verbleibe dem Verein ein hinreichender Bestand an Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit 61 . Dieser allgemeine Ansatz wird BVerfGE 83, 3 4 1 , 3 4 9 . Z u m Folgenden BVerfGE, 83, 3 4 1 , 3 5 8 f. 6 0 Als Beleg für diese Ansicht w i r d auf KG, O L G Z 1974, 3 8 5 , 3 8 7 , u n d auf Dütz, 2. FS Herschel, S. 55, 7 3 f E verwiesen. Die G e g e n m e i n u n g m a c h t das Gericht lediglich an Flume, Juristische Person, S. 194 ff., fest. 6 1 BVerfGE 83, 3 4 1 , 3 6 0 f. 58
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vom BVerfG dann für die umstrittene Satzung konkret durchgeführt: Mit Blick auf die vom Registerrichter beanstandeten Vorschriften wird vom Gericht hervorgehoben, das dem „Nationalen Geistigen Rat" eingeräumte konkurrierende Auflösungsrecht ziele offensichtlich nicht darauf ab, jenem Rat, dem bei Auflösung des örtlichen Vereins dessen Vermögen zufließen solle, eine Zugriffsmöglichkeit auf fremdes Vermögen zu eröffnen 6 2 . Ferner wird dem Amtsgericht, an welches das BVerfG die Sache zur erneuten Entscheidung rückverweist, zur Prüfung aufgegeben, „ob das in der Satzung unbegrenzt formulierte Auflösungs- und Ausschließungsrecht durch den Nationalen Geistigen Rat schon durch den Zweck des Vereins und die Präambel der Satzung hinreichend eingeschränkt im Sinne der [vorangegangenen] Darlegungen ... erscheint oder ob es insoweit einer ausdrücklichen Festlegung in der Satzung bedarf." Bei einer wertenden Einordnung der Entscheidung ist zunächst hervorzuheben, dass sich das Bundesverfassungsgericht lediglich mit dem Vereinsrecht beschäftigt und nicht mit der Verbandssouveränität als rechtsformübergreifender Grundsatz. Obwohl das Gericht allgemein zum Vereinsrecht über den Meinungsstand in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichem Schrifttum berichtet, entscheidet es konkret nur für einen religiösen Verein als Teilgliederung einer hierarchisch aufgebauten Religionsgemeinschaft . Auch für einen solchen Verein hält das BVerfG an der Verbandssouveränität fest; es wird mithin keine allgemeine Ausnahme für religiöse Verbände statuiert, so sich diese in Privat-Rechtsformen organisieren 65 . Es lässt sich gewiss darüber streiten, ob die vom Gericht vertretene Anschauung den Grundsatz der Verbandssouveränität zu weitgehend entleert; anzuerkennen ist jedoch, dass sich der erkennende Senat um einen an den Umständen des konkreten Einzelfalles ausgerichteten sehr behutsamen „Eing r i f f bemüht hat. Wenn dennoch behauptet wird, bei einem kirchlichen Verein könnten alle wichtige Entscheidungen außenstehenden Dritten vorbehalten werden und es spiele auch überhaupt keine Rolle, ob die Fremdbestimmung aus religiösen Gründen unbedingt erforderlich sei oder nicht , dann ist das in etwa das völlige Gegenteil von dem, was das BVerfG in seiner Entscheidung ausdrücklich bestimmt hat. Zu beachten ist zudem, dass vom Gericht explizit hervorgehoben wird, bei einem religiösen Verein, der sich in eine hierarchisch organisierte Religionsgemeinschaft einordnen wolle, seien die übergeordneten Instanzen der Gemeinschaft nicht unbedingt als außenstehende - und damit von völlig abweichenden Interessen geleitete - Dritte anzusehen: Das Registergericht habe dies verkannt und deshalb „den Nationalen Geistigen Rat wie eine fremde, von anderen Zielen und Interessen bestimmte Organisation angesehen, die beherrschenden Einfluss ausübt, ohne die durch die religionsrechtliche Verknüpfung gegebene Einheit und Gemeinsamkeit zu beachten." Die zur Wahrung BVerfGE 83, 341,361 f. BverfGE 83, 341, 362. 64 Vgl. Flume,]Z 1992, 238, 239. 65 Dazu, dass Abweichendes bei den als Körperschaften öffentlichen Rechts organisierten Kirchen den Geltungsanspruch des Verbandssouveränitäts-Grundsatzes nicht berührt, siehe Flume, JZ 1992, 238, 239. 66 So Schockenhoff, NJW 1992,1013, 1018. 67 BVerfGE 83,341, 361. 62
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der Identität einer Glaubenslehre erforderliche Abhängigkeit eines religiösen Vereins als Teilgliederung einer größeren hierarchisch verfassten Gemeinschaft ist nach Ansicht des BVerfG mithin überhaupt keine Fremdbestimmung . In gewisser Weise erinnert diese Argumentation an jene Ausnahmen, die das rechtswissenschaftliche Schrifttum bei den Handelsgesellschaften verbreitet zugunsten von Treugebern und Nießbrauchern macht, welche wegen ihrer angeblich parallelen Interessen nicht als außenstehende Dritte anzusehen seien; mit der Folge, dass ihnen weitergehende Einflussmöglichkeiten gewährt werden könnten . Gegen eine solche pauschale Gleichsetzung bestimmter Nichtmitglieder mit den Mitgliedern eines Vereins lassen sich zweifellos Einwände erheben. Es geht aber nicht an, die Überlegungen des BVerfG auf die Formel zu verkürzen, das Gericht habe festgestellt, in Ausübung der Vereinsautonomie könne sich ein Verein auch dem Willen eines außenstehenden Dritten unterwerfen 70 . Um Missverständnissen vorzubeugen: Im Vereinsrecht wird durchaus die Ansicht vertreten, selbst die nahezu vollständige - rechtlich fixierte - Unterwerfung eines Vereins unter die prägende Einflussnahme Außenstehender stelle grundsätzlich eine zulässige Ausübung der Vereinsautonomie dar 71 , doch kann derjenige, der dieser Auffassung beitreten möchte, sich nicht auf das Bundesverfassungsgericht berufen.
2. Verzicht auf den Verbandssouveränitäts-Grundsatz für das gesamte Vereinsrecht Schon in einer ersten Stellungnahme zur „Bahä'{"-Entscheidung des BVerfG ist von Martin Schockenhoff der Standpunkt vertreten worden, die Vereinsautonomie gelte nicht für den gesamten Bereich der kirchlichen Vereine 72 . In einem weiteren Beitrag ist derselbe Autor hierüber noch hinausgegangen: Die Geltung eines - stärker oder schwächer formulierten — Grundsatzes der Vereinsautonomie lasse sich nicht begründen. Nicht nur die kirchlichen, sondern alle Vereine könnten daher „ihr Selbstbestimmungsrecht und die Letztzuständigkeit der Mitgliederversammlung zugunsten Vereinsfremder beschränken und sogar vollständig ausschließen." 73 Ob außerhalb des Vereinsrechts etwas anderes zu gelten habe, wird offen gelassen . Schockenhoff begründet seine Ansicht zunächst mit einem Verweis auf die Praxis des Vereinswesens: Diese zeige, dass Vereine in weitem Umfange an sich der Mitgliederversammlung zustehende Aufgaben auf andere Vereinsgremien oder sogar auf Fremde übertrügen. Manche Vereine gingen so weit, Nichtmitgliedern das Recht einzuräumen,
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So auch Flume, ]Z 1992,238,239. Vgl. einstweilen nur Priester, FS Werner, S. 657, 672 ff.; Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 118. So Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 21, 53. Vgl. nur Dütz, 2. FS Herschel, S. 55, 73 f. Schockenhoff, NJW 1992,1013,1018. Schockenhoff, AcP 193 (1993), 35,66. Schockenhoff, AcP 193 (1993), 35,38.
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unmittelbar ihre Satzung zu ändern oder den Verein aufzulösen 75 . Die Vereinsmitglieder hätten mit derartigen Gestaltungen überhaupt keine Probleme, sondern immer nur die Registerrichter; sämtliche bekannt gewordenen Entscheidungen zum Grundsatz der Vereinsautonomie gingen auf registerrichterliche Beanstandungen zurück und nicht auf Klagen von Vereinsmitgliedern 76 . Hinzu komme, dass die Gerichte zwar nahezu ausnahmslos von der Geltung der Vereinsautonomie ausgingen, diesen Grundsatz jedoch trotz der verbalen Ubereinstimmung höchst unterschiedlich handhabten. Mit den in der „Baha'("-Entscheidung des BVerfG getroffenen Aussagen sei der Grundsatz der Vereinsautonomie nun auf dem besten Weg, jedwede inhaltliche Bedeutung einzubüßen; er sei jetzt nicht mehr nur ein unbestimmter Rechtsbegriff, sondern verdiene tatsächlich die vielstrapazierte Bezeichnung „Leerformel" 77 . Versuche man demgegenüber den Begriff auszufüllen, so lasse sich die Verbandssouveränität als ein Grundsatz begreifen, der zum einen Fremdeinfluss abwehren und zum anderen der Mitgliederversammlung zumindest eine gewisse Letztzuständigkeit über die für den Verein grundlegenden Fragen unentziehbar vorbehalten wolle 78 . So verstanden, verstoße der Grundsatz aber gegen den klaren Wortlaut von § 40 BGB, der die § § 2 7 Abs. 1, 32 Abs. 1 Satz 1 BGB, welche der Mitgliederversammlung Kompetenzen zuwiesen, ausdrücklich für dispositiv erkläre 79 . Wer an der Vereinsautonomie festhalten wolle, müsse die Geltung des Grundsatzes daher besonders begründen. Doch könnten weder die von Rechtsprechung und Schrifttum angebotenen Herleitungen, noch weitere Begründungsansätze (Gewohnheitsrecht, richterliche Rechtsfortbildung, ungeschriebenes — aber begriffsnotwendiges — Merkmal des gesetzlichen Vereinsbegriffes) tatsächlich überzeugen 80 . Die Gerichte, die mit zunehmender Gefolgschaft der Literatur hinter „der Kulisse der verbalen Ubereinstimmung" den Grundsatz der Vereinsautonomie bereits demontiert hätten, seien deshalb aufgefordert, den Versuch, die Vereine entgegen § 40 BGB zur Autonomie zwingen zu wollen, endgültig aufzugeben 81 .
3. Neubestimmung der Einflussmöglichkeiten außenstehender Dritter unter Rückgriff auf Institute des allgemeinen bürgerlichen Rechts Christoph Weber fordert in seiner jüngst erschienenen Habilitationsschrift, welche zur Entwicklung eines „Allgemeinen Teils des Gesellschaftsrechts" beitragen möchte 82 , zwar nicht explizit zur Aufgabe der Verbandssouveränität auf, doch wird die eigenstän-
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Schockenhoff, KcV 193 (1993), 3 5 , 3 6 . Schockenhoff, AcP 193 (1993), 35, 53 77 Schockenhoff AcP 193 (1993), 3 5 , 4 3 f. 78 Vgl. insb. Schockenhoff AcP 193 (1993), 35, 39f. 79 Schockenhoff AcP 193 (1993), 35, 48; vgl. auch schon den., N J W 1992, 1013, 1018: „Mit d e m Wortlaut der vereinsrechtlichen Vorschriften, insbesondere des § 40 BGB, lässt sich dieser Grundsatz nur schwer vereinbaren." 80 Vgl. Schockenhoff, AcP 193 (1993), 3 5 , 4 9 ff. 81 Schockenhoff AcP 193 (1993), 35, 67. 82 C. Weber, Privatautonomie u n d Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 1. 76
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dige Bedeutung dieses Grundsatzes sehr nachdrücklich in Frage gestellt: Bei der Bestimmung des zulässigen Außeneinflusses auf eine Gesellschaft habe der „viel beschworene Grundsatz der Verbandssouveränität" in den Hintergrund zu treten, weil er den Blick auf die eigentlichen Wertungsmaßstäbe nur verschleiere83. Von Relevanz sei die Verbandssouveränität nämlich nur, als hinter ihr allgemeine Grenzen privatautonomer Preisgabe von Selbstbestimmung hervorschienen84: Der „wirkliche Stellenwert" des Grundsatzes sei dahingehend zu bestimmen, dass sich in ihm nicht ein „unantastbarer Interessen- und Haftungsverband" manifestiere, sondern lediglich das auf die Gesamtheit der Gesellschafter bezogene Verbot der Selbstentmündigung 85 . Dabei teilt Weber im Ausgangspunkt durchaus die vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum allgemein vertretenen Einschätzungen86: Richtig sei es, wenn darauf verwiesen werde, dass die Mitglieder einer Gesellschaft einen Interessenverband bildeten, da sie unter dem Dach der Gesellschaft einen gemeinsamen Zweck verfolgten, welchem sie ihre Individualinteressen unterordneten. Hiergegen lasse sich auch nicht einwenden, dass unter den Gesellschaftern nicht notwendigerweise eine völlige Interessenparallelität herrsche, denn Divergenzen zwischen einzelnen Gesellschaftern und der Mehrheit würden von der Rechtsordnung offensichtlich schon vorausgesetzt; diese stelle jedenfalls ein Instrumentarium zur Regulierung des Konfliktpotentials zur Verfügung. Die Einbeziehung Außenstehender in interne Entscheidungsprozesse stelle demgegenüber einen „zusätzlichen qualitativen Sprung" dar: Während sich ein Gesellschafter - zumindest im Grundsatz - dem gemeinsamen Interesse aller verpflichtet fühle und man ihn hierzu notfalls mit der Treuepflicht anhalten könne, sei für eine Entscheidungsfindung von Nichtgesellschaftern eine entsprechende Basis nicht ohne weiteres vorhanden; sie müsse mithin immer erst besonders hergestellt werden. Für zutreffend hält Weber ferner die Annahme, dass bei demjenigen, der von den Konsequenzen einer Entscheidung betroffen sei, ein Handeln im gemeinsamen Interesse unterstellt werden könne; insoweit gebe es daher tatsächlich einen Mechanismus der Selbststeuerung, eine Art vermuteter Richtigkeitsgewähr bei einem Handeln im eigenen Interesse: Schon das allen Gesellschaftern gemeinsame Ziel der Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft, und nicht erst die Perspektive drohender Haftung, wirke mithin regulierend auf die Entscheidungsfindung. Errichtet würde somit ein Selbstregulierungsmechanismus, auf dessen Funktionsfähigkeit das Gesellschaftsrecht prinzipiell vertrauen könne. Auch insofern bewirke die Einbeziehung von Nichtgesellschaftern erhebliche Modifikationen; denn wer nicht selbst von den Folgen einer Entscheidung betroffen sei, werde diese möglicherweise nach anderen Gesichtspunkten treffen als ein Gesellschafter. Zwar könne es sein, dass auch der Nichtgesellschafter die Interessen der einzelnen Gesellschafter und der Gesellschaft berücksichtige, doch bestehe keine Basis für eine „Präsumption interessenkonformen Verhaltens". Schon
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C. Weber, Außeneinfluss, S. 302 f. C. Weber, Außeneinfluss, S. 339. C. Weber, Außeneinfluss, S. 275. Zum Folgenden C. Weber, Außeneinfluss, S. 169 ff.
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deshalb sei den Gesellschaftern regelmäßig daran gelegen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu entscheiden. Unbestreitbar gehe auch die gesamte Gesellschaftsrechtsordnung von dieser typischen Interessenlage aus. Dies zeige sich z.B. daran, dass das Gesellschaftsrecht dort, wo es ausdrücklich Fremdorganschaft zugelassen habe, den Gesellschaftern entweder besondere Hilfsmittel zur Durchsetzung ihres Willens zur Verfügung stelle oder zumindest eine indirekte Kontrolle regele. All diese Aussagen lassen nach Ansicht Webers aber die entscheidende Frage unbeantwortet: Warum solle es den Gesellschaftern verboten sein, die Wahrnehmung von Drittinteressen im Rahmen der Willensbildung in ihrer Gesellschaft zuzulassen; immerhin zeige die Praxis doch, dass die Gesellschafter in vielen Fällen ihre Interessenlage offenbar abweichend beurteilten und deshalb eine Einbeziehung Dritter wünschten 87 . In einer nach dem Grundsatz der Privatautonomie ausgestalteten Gesellschaftsordnung gelte es, die Einbeziehung fremder Interessen in den internen Willensbildungsprozess einer Gesellschaft als Akt der Selbstbestimmung grundsätzlich zu respektieren; denn alles andere wäre „Zwangsfürsorge" und ,Ausdruck überzogenen paternalistischen Denkens". Wie jedes Privatrechtssubjekt müsse nämlich auch ein Gesellschafter selbst entscheiden können, welchen Einflüssen und Interessen er sich im Rahmen seiner Willensbildung aussetzen wolle. Dieser Ansatz schließe allerdings nicht generell aus, dass die Rechtsordnung einer Selbstentmündigung Grenzen ziehe, doch würden jene Grenzen nicht schon dann erreicht, „wenn sich Gesellschafter bei der Willensbildung dem Einfluß gesellschaftsfremder Interessen" öffneten88. Demgegenüber sei in der bisherigen Diskussion nicht immer hinreichend akzentuiert worden, dass auch die Preisgabe von Autonomie eine Variante der Wahrnehmung von Autonomie sei. Man habe aus dem Blick verloren, dass es nicht um die Autonomie der Gesellschaft und ihrer Mitglieder schlechthin, sondern um den Verzicht auf Selbstbestimmung durch eine ihrerseits autonome Entscheidung gehe 89 . Tatsächlich seien jedoch alle „gesellschaftsrechtlichen Argumentationsbausteine", mit denen bisher versucht worden sei, den zwingenden Charakter ungeschriebener Grundsätze wie Verbandssouveränität, Abspaltungsverbot und Selbstorganschaft zu untermauern, nicht tragfähig . Da der einzelne Gesellschafter auch dann, wenn er innerhalb eines Verbandes wirke, als Privatrechtssubjekt agiere, habe sich der Versuch einer Auflösung des Spannungsverhältnisses, das dem Begriff der Autonomie innewohne, stattdessen an den Vorgaben des allgemeinen Privatrechts zu orientieren91, wobei insbesondere zwei Aspekte Berücksichtigung zu finden hätten: Zunächst seien Einschränkungen der eigenen Handlungsfähigkeit unter dem Gesichtspunkt des Selbstschutzes desjenigen zu bewerten, der eine entsprechende privatautonome Entscheidung treffe; hierbei gehe es um das mitunter auch in der gesellschaftsrechtlichen Diskussion rezipierte Verbot der
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C.Weber, Außeneinfluss, S. 171 f. C. Weber, Außeneinfluss, S. 175. C. Weber, Außeneinfluss, S. 1. C. Weber, Außeneinfluss, S. 203. C. Weber, Außeneinfluss, S. 205.
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Selbstentmündigung. Bei der Frage nach den aus der Vorschrift des § 137 BGB zu ziehenden Folgerungen stehe dagegen der Schutz des Rechtsverkehrs im Vordergrund92. Obwohl also Weber ebenso wie Steinbeck zunächst vor allem auf das Selbstentmündigungsverbot abstellt, äußert er sich zurückhaltend zur möglichen praktischen Brauchbarkeit von § 138 BGB: Mit den aus dieser Norm hergeleiteten Erwägungen ließen sich ersichtlich nur Sonderfälle lösen 93 . Dagegen erscheine für die Suche nach Maßstäben zur Lösung des Außeneinfluss-Problems das Vertretungsrecht besonders geeignet, da man hier im Kern die gleiche Struktur wiederfinde, die auch die im Gesellschaftsrecht diskutierten Fälle kennzeichne: Indem der Geschäftsherr einem anderen Vertretungsmacht erteile, beziehe er diesen in seinen eigenen Zuständigkeitsbereich ein und eröffne ihm entsprechende Entscheidungskompetenzen. Die damit verbundene Einschränkung der Selbstbestimmung beruhe bei der allein interessierenden rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht auf einem Akt eben dieser Selbstbestimmung. Auch hier erweise sich mithin die Preisgabe von Autonomie zugleich als Ausprägung der Wahrnehmung von Autonomie 94 . Einer Durchsicht der Erörterungen von Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichem Schrifttum zur unwiderruflichen und zur verdrängenden Vollmacht entnimmt Weber zwei „in ihrer Zielrichtung unterschiedliche Schranken rechtsgeschäftlicher Selbstbindung", welche für einen „Transfer ins Gesellschaftsrecht" besondere Beachtung verdienten: Zum einen ergebe das Verbot der Selbstentmündigung die Unzulässigkeit einer dauernden und umfassenden Preisgabe der Selbstbestimmung; zum anderen folge aus § 137 BGB die Unzulässigkeit einer rechtsgeschäftlichen Trennung von Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis95. Die Grenzen, die Weber der privatautonomen Gestaltung auf den verschiedenen Problemfeldern mit Hilfe dieser ins Gesellschaftsrecht transferierten Gedanken zieht, können hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Nach seiner Ansicht ist es den Gesellschaftern jedenfalls generell möglich, sich einem deutlich intensiveren und auch rechtlich noch mehr verfestigten Fremdeinfluss zu unterwerfen, als dies die bisher im rechtswissenschaftlichen Schrifttum herrschende Meinung für möglich gehalten hat . Das unabdingbare Mindestmaß an Selbstbestimmung der Gesellschafter soll schon dann gewahrt sein, so es jene nur in der Hand haben, die vereinbarten Beschränkungen wieder rückgängig zu machen. Ausdrücklich hebt Weber gleich mehrfach hervor, dass es insoweit nicht auf einen halbwegs praktikablen „Rückholmechanismus" ankomme, sondern lediglich auf die „rechtliche" (gemeint ist: abstrakt-konstruktive) Möglichkeit 97 . Tatsächlich geht es ihm mithin nicht um einen — wenigstens der Idee nach - effektiven Selbstschutz der Gesellschafter, sondern bloß um eine prinzipielle „Widerruflichkeit der Preisgabe von Selbstbestimmung"98. Von der ursprünglichen Bestimmung
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C. Weber, Außeneinfluss, S. 211. Vgl. C. Weber, Außeneinfluss, S. 213ff. C.Weber, Außeneinfluss, S. 215. C. Weber, Außeneinfluss, S. 228. Vgl. nur die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse C. Weber, Außeneinfluss, S. 363 ff. Vgl. C. Weber, Außeneinfluss, S. 312, 323 f., 331. C. Weber, Außeneinfluss, S. 310.
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der Verbandssouveränität durch Teichmann und Wiedemann (vgl. unter A I . l . ) ist dieses Verständnis sehr weit entfernt. Es überrascht deshalb fast ein wenig, daß der Grundsatz nicht explizit aufgegeben wird. Die von Weber vertretene Auffassung unterscheidet sich von der im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vorherrschenden Ansicht nicht nur hinsichtlich der Wahl des Instrumentariums, mit dem die Grenzen bestimmt werden, die dem Fremdeinfluss im Gesellschaftsrecht gesetzt sind, und der Grenzziehung selbst; wohl noch gewichtiger ist ein dritter Aspekt: Weber geht es ausdrücklich nicht darum, die im Bereich einer Gesellschaft tätig werdenden Dritten auf eine Wahrnehmung der Interessen von Gesellschaft bzw. Gesellschafter zu verpflichten, ja nicht einmal um eine Abstimmung oder Harmonisierung der verschiedenen Interessen. Er will die Gesellschafter ermächtigen, auch einen in ihrer Gesellschaft weisungsfrei agierenden Nichtgesellschafter von einer Verfolgung der Gesellschaftsinteressen vollständig frei zu stellen": Es sei nicht einzusehen, „warum die Gesellschafter nicht das Pflichtenprogramm der Mitglieder ihrer Gesellschaftsorgane autonom festlegen könnten." 100 Wie ungeheuer folgenreich dieser Ansatz ist, zeigt sich dort, wo Weber die nötige Modifizierung jener Institute erörtert, über die im „Normalfall" der Gesellschafterschutz realisiert wird. So lehnt er es beispielsweise ausdrücklich ab, den mit einer unwiderruflichen Stimmrechtsvollmacht ausgestatteten Nichtgesellschafter über die Treuepflicht auf die Wahrung der Interessen der Gesellschaft und der Mitgesellschafter zu verpflichten, weil sonst „die mit der Zubilligung eines derartigen Einflusses verfolgte Zielsetzung konterkariert" werden würde1 1 . Zu verhindern sei lediglich ein Abstimmungsverhalten „zum Nachteil von Gesellschaft und Mitgesellschaftern, welches nicht durch die Verfolgung eigener Interessen des Dritten legitimiert" sei 102 . Nach dem gleichen Maßstab soll sich auch die Verantwortlichkeit von Nichtgesellschaftern richten, die Mitglied eines Beirats sind 103 . Dass auf diese Weise das gesamte tradierte gesellschaftsrechtliche Schutzinstrumentarium weitgehend leer laufen würde, wird nicht übersehen; dies sei jedoch hinzunehmen: Öffneten die Gesellschafter ihre Gesellschaft dem Einfluss von Nichtgesellschaftern, dann könnten sie nur in engen Grenzen darauf vertrauen, dass ihnen des Gesellschaftsrecht wirksame Mittel zu Beherrschung des Fremdeinflusses zur Verfügung stelle 104 .
Vgl. insb. C. Weber, Außeneinfluss, S. 162 ff. C.Weber, Außeneinfluss, S. 166. 101 C. Weber, Außeneinfluss, S. 271. 102 C. Weber, Außeneinfluss, S. 273. 103 Habe ein mit Nichtgesellschaftern besetzter Beirat die Aufgabe, gesellschaftsfremde Interessen wahrzunehmen, dann bestehe zwar eine allgemeine Pflicht der Beiratsmitglieder, die Belange der Gesellschaft zu berücksichtigen und keine persönlichen Vorteile zu ziehen, im Konfliktfall genössen die Gesellschafterinteressen aber nicht immer den Vorrang. C. Weber, Außeneinfluss, S. 328. 104 C. Weber, Außeneinfluss, S. 325. 99
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II. Einwand geringer
Leistungsfähigkeit
Im Rahmen einer Besprechung von Volker Voormanns Schrift über Beiräte von Handelsgesellschaften105, hat sich Mathias Habersack auch mit dem Versuch des Autors auseinandergesetzt, unter Rückgriff auf den Grundsatz der Verbandssouveränität zu klären, inwieweit Beiräte mit Nichtgesellschaftern besetzt werden dürfen . Nach Ansicht Voormanns schließt die Verbandssouveränität die Besetzung von Beiräten mit außenstehenden Dritten nicht generell aus 107 . Stattdessen setze sie der Privatautonomie nur eine variable Schranke, die im Einzelfall aufgrund von Wertungen ausgefüllt werden müsse. Auch wegen der höchst unterschiedlichen Ausgestaltung der verschiedenartigsten Räte sei es unmöglich, allgemeingültige Aussagen über die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Mitwirkung von Dritten zu treffen. Allerdings wird von Voormann sogleich doch noch ein Kriterium vorgestellt, das zuvörderst geeignet sein soll, die zulässige von der unzulässigen Mitwirkung zu scheiden: die Intention der Bestellung. Stelle der Dritte seine Tätigkeit ganz in den Dienst der Gesellschaft, so sei eine andere Betrachtungsweise geboten, als wenn er die ihm übertragenen Rechte lediglich als Mittel zur Erreichung eigener Zwecke verstehe. Die Grenzen des Zulässigen würden überschritten, wenn die Mitwirkung a priori auf Betreiben des Außenstehenden erfolgt sei oder der Sicherstellung von Ansprüchen aus einem Schuldverhältnis oder sonstigen fremden Interessen diene. Hier trete die Gefahr der Fremdsteuerung offen zutage mit der Folge, dass der gebotene Schutz der Unabhängigkeit die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter beschränke. Dies gelte selbst dort, wo die Befugnisse des Beirates nur gering seien, denn die Gesellschafter könnten sich beim Vorliegen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit auch einer nur „beratenden Stimme" de facto nicht entziehen 108 . Habersack hält diesen Überlegungen zwei Argumente entgegen: die fehlende Praktikabilität des Abgrenzungskriteriums sowie den nur eingeschränkten Bedeutungsgehalt der Verbandssouveränität109. Jener Grundsatz gebiete zum einen die Alleinzuständigkeit der Gesellschafter für Änderungen des Gesellschaftsvertrages, um sicherzustellen, dass die Einräumung von Organkompetenzen an Nichtgesellschafter jederzeit im Wege der Änderung des Gesellschaftsvertrages rückgängig gemacht werden könnte. Hiermit korrespondierend lege die Verbandssouveränität zum anderen die Grenzen externer Mitspracherechte von nicht als Organwalter bestellten Dritten fest, derer sich die Gesellschaft nicht einseitig durch Änderung des Gesellschaftsvertrages entledigen könne. Mithin verhindere der Grundsatz lediglich, dass ein mit Nichtgesellschaftern besetzter Beirat zur Mitwirkung bei der Änderung des Gesellschaftsvertrages berufen werde. Der Vorwurf mangelnder Praktikabilität scheint nicht nur Voormann zu betreffen 110 ; der
Der Beirat im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1990. Habersack, ZHR 155 (1991), 4X0,413f. 107 Zum Folgenden Voormann, Beirat, S. 115 f. 108 Voormann, Beirat, S. 119, vgl. auch S. 123. 109 Habersack, ZHR 155 (1991), 410, 413 f. Die fehlende Praktikabilität des Ansatzes von Voormann wird auch von Teubner, ZGR 1986, 565, 567, bemängelt. 105 106
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Verweis auf den eingeschränkten Bedeutungsgehalt setzt ohnehin grundsätzlicher an: In Frage gestellt wird letztlich die Leistungsfähigkeit des Rechtsprinzips.
III. Schleichende innere Erosion Weber stützt den von ihm entwickelten Ansatz, der in der Sache auf eine Aufgabe des Grundsatzes der Verbandssouveränität hinausläuft, u. a. auf eine eingehende Analyse der Rechtsprechung und der Äußerungen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums 111 . Dabei wird der im Schrifttum herrschenden Meinung Inkonsequenz vorgeworfen: Sie unterlaufe den von ihr an sich recht streng formulierten Grundsatz auf breiter Front, da sie immer neue Ausnahmesätze und Differenzierungen formuliere. Betrachtet man die Handhabung der Verbandssouveränität in der gesellschaftsrechtlichen Literatur genauer, so scheint auch der Hinweis auf die mangelnde Leistungsfähigkeit durchaus berechtigt zu sein: Ein erstes Indiz liefert insoweit das Maß des für zulässig gehaltenen Dritteinflusses. So wird beispielsweise der Standpunkt vertreten, nicht nur beim eingetragenen Verein, sondern ebenso bei der Genossenschaft, der GmbH und der Aktiengesellschaft könnten Satzungsänderungen von der Zustimmung eines Nichtgesellschafters abhängig gemacht werden 112 ; ferner soll ein Dritter bei einer GmbH mit zwei Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen mit gleichstarker Stimmberechtigung in einer Patt-Situation darüber befinden dürfen, ob die von einer Seite begehrte Änderung der Satzung vorgenommen wird oder nicht 113 . Überhaupt sei es generell möglich, einem Nichtgesellschafter unmittelbar in der Satzung Rechte zu gewähren114, bei der GmbH beispielsweise die Befugnis, den Geschäftsführer der Gesellschaft zu bestellen und abzuberufen 115 . Schließlich soll es den Gesellschaftern grundsätzlich gestattet sein, sich mittels Stimmbindungsvertrages den Vorgaben eines Außenstehenden zu unterwerfen und zwar nicht nur für einen genau bestimmten Einzelfall, sondern auch dauerhaft 11 .
1 i0 Ähnlich Dütz, 2. FS Herschel, S. 55, 75, der aber im Ergebnis noch intensiveren Fremdeinfluss für zulässig hält: Zu fragen sei nach dem allgemeinen rechtspolitischen Hintergrund der jeweiligen Drittbindung. 111 Vgl. C. Weber, Außeneinfluss, S. 29 ff., zur Verbandssouveränität insb. S. 47 ff. und S. 104 ff. 112 Vgl. Beuthin/Gätsch, Z H R 156 (1992), 459, 475 ff. Für den Verein ebenso Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 89 ff.; für die G m b H , falls der Dritte über ein besonderes Rechtsverhältnis an das Gesellschaftsinteresse gebunden sei, Herfs, Einwirkung, S. 89 ff. 113 § 53 Abs. 2 G m b H G dürfe entsprechend teleologisch reduziert werden, weil es der Norm um den Minderheitenschutz gehe und ein Gesellschafter oder eine Gesellschaftergruppe, der bzw. die 50 % der Stimmrechte besitze, keine Minderheit sei; so Herfs, Einwirkung, S. 76 ff. Zur Fragwürdigkeit dieser These siehe auch Ulmer, FS Wiedemann, S. 1297, 1317. 114 Vgl. Herfs, Einwirkung, S. 44, 61 ff. Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 81 f. hält für das Vereinsrecht ausdrücklich auch in der Satzung „ad personam" eingeräumte Drittrechte für zulässig. 115 So Beuthin/Gätsch, Z H R 157 (1993), 483,493 f.; Herfi, Einwirkung, S. 120 ff. 116 Siehe nur Rodemann, Stimmbindungsvereinbarungen, insb. S. 27ff., 175 ff. Zulässig, falls der Dritte über ein besonderes Rechtsverhältnis an das Gesellschaftsinteresse gebunden sei, Herfs, Einwirkung, S. 364 ff.
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Zu all diesen Fragen vertritt die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum herrschende Meinung zur Zeit (noch) einen anderen Standpunkt; nicht zu übersehen ist jedoch, dass es gerade jene neueren Arbeiten sind, die sich intensiver mit den Grenzen zulässigen Dritteinflusses auseinander setzen, welche ebendiese Grenzen unter verbaler Anerkennung der Verbandssouveränität immer weiter zu dehnen versuchen. Zum einen beruft man sich hierbei - wie die Fundamentalkritik (vgl. unter B) - auf die privatautonome Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter, die nicht grundlos über Gebühr beschränkt werden dürfe 1 1 7 . Zum anderen wird den Gesellschaftern regelmäßig das Recht vorbehalten, die im Gesellschaftsvertrag verankerten Einflussmöglichkeiten des Nichtgesellschafters ohne dessen Zustimmung auf dem Wege der Satzungsänderung wieder abzuschaffen — den Gesellschaftern soll in gewisser Weise das „letzte Wort" verbleiben 1 1 8 . Zum dritten schließlich versucht man, spezielle Instrumente zu entwickeln, welche gewährleisten sollen, dass für die Gesellschafter der Fremdeinfluss auch ohne Rückgriff auf das „schwere Schwert" der Satzungsänderung beherrschbar bleibt 1 1 9 . Zumindest aus einiger Distanz betrachtet scheint viel für derartige Konzepte zu sprechen: Dort, wo die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit bislang von einem zwingenden Rechtssatz unnötig beschränkt worden ist, werden neue Freiräume eröffnet, welche es den Gesellschaftern erlauben, die nähere Organisation ihres Verbandes privatautonom den Erfordernissen des Einzelfalles anzupassen. Für den erforderlichen Schutz der Gesellschafter sorgen flexible Instrumente eines modernen Gesellschaftsrechts. Nicht recht einsichtig ist unter diesen Umständen jedoch, warum überhaupt noch an der Verbandssouveränität festgehalten wird. Bei der Lektüre des neueren Schrifttums entsteht nicht selten der Eindruck, als sehe sich der jeweilige Autor insoweit gezwungen, formal einem Erfordernis der juristischen Dogmatik gerecht zu werden; einem älteren — eigentlich schon längst überholten — Dogma, an dem die herrschende Meinung aber noch immer festhalten möchte. Inhaltlich wird die Verbandssouveränität dabei immer mehr entleert. Zugespitzt lässt sich formulieren: Aus einem Grundsatz, der zum Inhalt haben sollte, die Bestimmung des Schicksals einer Gesellschaft dürfe nicht außenstehenden Dritten überlassen werden 1 2 0 , wird allmählich ein Prinzip, das den Gesellschaftern lediglich die (abstrakte) Möglichkeit offen halten möchte, sich aus einem Zustand totaler Fremdbeherrschung wieder in einen größerer Selbstbestimmung zu versetzen. Womöglich besteht hier sogar ein Zusammenhang: Vielleicht genießt die Verbandssouveränität gerade deshalb eine so breite Anerkennung, weil sie niemandem wirklich „im Wege steht". Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die Huldigung des überkommenen Dogmas die Suche nach effektiven Lö-
117 So heißt es bei Beuthin/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 460: Es werde nicht genug berücksichtigt, dass ein von der Verbandssatzung vorgesehener Dritteinfluss auf dem Willen einer qualifizierten Mehrheit beruhe, welchen man nicht ohne weiteres übergehen dürfe. 118 Vgl. Beuthin/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 476ff.; dies., ZHR 157 (1993), 483, 486, 491, 494; Rohleder, Beiräte, S. 187; Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 102 ff. 119 Auf die Beherrschbarkeit des Dritteinflusses stellt vor allem Herfi ab; vgl. Einwirkung, insb. S. 53 ff. Siehe auch Rohleder, Beiräte, S. 134 ff. 120 Vgl. Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 111 f.
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sungen unnötig erschwert. Ohnehin liegt die Frage sehr nahe, ob es denn zur Sicherung der allerletzten allein den Gesellschaftern vorbehaltenen Kompetenzen tatsächlich noch eines speziellen Rechtsprinzips bedarf, ob sich die entsprechenden Aussagen nicht stattdessen auch auf andere Grundsätze stützen ließen, eventuell auf ein Prinzip der Letztzuständigkeit der Gesellschafter in Satzungsangelegenheiten oder vielleicht doch auf das allgemeine Selbstentmündigungsverbot.
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I. Nötige Fundierung der
Verbandssouveränität
Der Uberblick über die Bedeutung der Verbandssouveränität im modernen rechtswissenschaftlichen Schrifttum ergab, dass es sich bei dieser um einen rechtsformübergreifenden Grundsatz des Gesellschaftsrechts handelt, der weitgehend anerkannt ist, obwohl er offenbar keine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren hat, der aber zunehmend inhaltlich so ausgehöhlt wird, dass seine Leistungsfähigkeit in Zweifel zu ziehen ist. Der Befund führt hin zum zentralen Anliegen dieser Untersuchung: Es ist zu untersuchen, ob sich die Verbandssouveränität fundieren lässt. Gelingt dies nicht, so ist für ihre Aufhebung zu plädieren; denn grundlegende Prinzipien des allgemeinen Gesellschaftsrechts sollten mehr sein als etwas, das bei der Beantwortung konkreter Fragen beiseite geschoben werden muss, damit es nicht den Blick auf die entscheidenden Wertungen verstellt 121 , oder das lediglich in Beiträgen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums als eine Art „dogmatische Hürde" Verwendung findet, die zunächst mit anderen „Leidensgenossen" auf die Bahn gestellt wird, um anschließend mit wenigen knappen Bemerkungen übersprungen zu werden 1 2 2 . Bereits dieser Ausgangspunkt legt es nahe, sich bei der Beschäftigung mit der Verbandssouveränität auf sehr grundsätzliche Fragestellungen zu konzentrieren und die ins Detail gehende Entfaltung des Grundsatzes gegebenenfalls weiteren Untersuchungen zu überlassen. So scheint es beispielsweise wenig sinnvoll zu sein, sich mit Einzelheiten der Mitwirkung von Nichtgesellschaftern in Beiräten zu beschäftigen, solange nicht geklärt ist, ob die Freiheit zur privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen im Gesellschaftsrecht generell überhaupt weiterreichenden Beschränkungen als im allgemeinen bürgerlichen Recht unterliegt. Der Untersuchung bedarf mithin: Gibt es tatsächlich eine eigenständig herzuleitende Verbandssouveränität oder lassen sich jene Wirkungen, welche die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum herrschende Meinung mit diesem Grundsatz verbindet, vielleicht besser als besondere Ausformung von Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, z.B. § 137 oder § 138 BGB, begreifen? Sollte der Nachweis eines speziellen gesellschaftsrechtlichen Rechtsprinzips gelingen, so ist zunächst dessen Verhältnis zu den Grundsätzen des allgemeinen bürgerlichen Rechts 121 122
Vgl. C. Weber, Außeneinfluss, S. 302 f. Vgl. nur das Vorgehen bei Beuthin/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459,464 ff.
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$ 1 Einflihrung
zu hinterfragen. Kommt die Verbandssouveränität eventuell nur dort zur Anwendung, wo die allgemeinen Grundsätze nicht greifen? Besonderer Betrachtung bedarf vor allem das Verhältnis zwischen Verbandssouveränität und Privatautonomie: Verfolgt insoweit das Gesellschaftsrecht tatsächlich ein Zwangsfürsorge-Konzept? Hat man es hier möglicherweise versäumt, bei der Ausweitung jener Freiheitsräume, die einer eigenverantwortlichen Wahrnahme privatautonomer Gestaltungsmacht eröffnet sind, mit anderen Rechtsgebieten Schritt zu halten? Sollte sich das Gesellschaftsrecht für den Bereich der inneren Verbandsordnung zukünftig vollends darauf beschränken, bestimmte als sinnvoll erachtete Organisationsmodelle anzubieten? Den Gesellschaftern wäre es dann nicht untersagt, all diese Regelungen abzuwählen. Sollte man also davon Abstand nehmen, die Mitglieder eines Verbandes zum Schutz ihrer vorgeblichen Interessen quasi zu zwingen, obwohl diese in der konkreten Situation ihre Interessen ganz anders definieren? Lässt sich eventuell stattdessen darauf abstellen, einen Schutz der Beteiligten dort, wo auf diesen mit Blick auf das öffentliche Interesse nicht ganz verzichtet werden kann - durch Eingriff staatlicher Institutionen, insbesondere der ordentlichen Gerichte zu gewährleisten? Gerade jene Autoren, die einerseits die Möglichkeiten außenstehender Dritter wesentlich erweitern wollen, auf die gesellschaftsinterne Willensbildung Einfluss zu nehmen, greifen nämlich andererseits zur Beherrschung des gesteigerten Konfliktpotentials auf das Wirken der Gerichte zurück 123 . Derartige - für die weitere Entwicklung des deutschen Gesellschaftsrechts gewiss fundamental bedeutsame - Fragen lassen sich nicht auf der Grundlage eines rein deduktiven Ansatzes beantworten. Bevor auf sie eingegangen werden kann, ist zu untersuchen, in welchen Bereichen die Verbandssouveränität wirkt und was sie dort jeweils bewirkt. Auch insoweit geht es allerdings nicht um die Klärung der diversen Detailfragen, sondern um die Bestimmung der wesentlichen Wirkrichtungen, wobei insbesondere auf die jeweilige Verortung des Grundsatzes im gesamten gesellschaftsrechtlichen Regelwerk zu achten ist.
II. Unmittelbarer Ansatz am rechtsformübergreifenden
Rechtsprinzip
Die nähere Ausrichtung der Untersuchung wird bestimmt durch eine erste Uberlegung: Eine um die Fundierung der Verbandssouveränität bemühte Untersuchung muss am Rechtsprinzip selbst ansetzen. Diese Feststellung ist nicht so selbstverständlich, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Bei genauer Analyse des rechtswissenschaftlichen Schrifttums zeigt sich nämlich, dass Autoren, welche die Reichweite der Verbandssouveränität näher bestimmen wollen, mitunter gar nicht vom Grundsatz selbst 123 So möchte beispielsweise Steinbeck die Vereinssatzungen und -Ordnungen aller Vereine mit mehr als 3000 Mitgliedern einer gerichtlichen Angemessenheitsprüfung unterwerfen, vgl. Vereinsautonomie, S. 204 ff. Nach Herß soll eine gerichtliche Inhaltskontrolle der Zweckgeeignetheit bzw. Zweckwidrigkeit von Gesellschafterbeschlüssen als Korrelat für die gesteigerten Einwirkungsmöglichkeiten eines Dritten dienen, z. B. wenn zugunsten des Dritten eine generelle Stimmbindung eingegangen worden ist, vgl. Einwirkung, S. 390 ff., 402 f.
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ausgehen, sondern vom ungeheuer facettenreichen Phänomen des Fremdeinflusses: So beschreibt beispielsweise Michael Rohleder zunächst allgemein die „Gefahren des Fremdeinflusses" 1 , um sich danach einer genaueren „Analyse des Fremdeinflusses" 125 zu widmen; später geht es um die nötige „Beherrschung des Fremdeinflusses" 12 , für die „Regulative des Fremdeinflusses" entwickelt werden 1 2 7 . Die Verbandssouveränität kommt erst ins Spiel, wenn eine „dogmatische Rechtsgrundlage" für diese Regulative gesucht wird bzw. der nicht zu regulierende Fremdeinfluss zurückgewiesen werden soll 1 2 8 . Auch Weber stellt eine Bestandsaufnahme der „Arten und Funktionen des Außeneinflusses im Gesellschaftsrecht" an die Spitze seiner Untersuchung, wobei es ihm nicht nur darum geht, die praktische Relevanz des Untersuchungsgegenstandes zu verdeutlichen — der Verweis auf die eingangs dargestellten praktischen Bedürfnisse wird zum wichtigen Argument in der Auseinandersetzung mit den Thesen der herrschenden Meinung: Der einleitende Überblick habe gezeigt, dass die Gesellschafter ein Interesse haben könnten, außenstehenden Dritten eine Teilhabe an der internen Willensbildung zu ermöglichen, ohne die Dritten auf die Wahrung der Gesellschaftsinteressen zu verpflichten 1 2 9 ; auch spräche die Bandbreite der - zu einer Einbeziehung von Nichtgesellschaftern führenden - Motive dagegen, diese Personen, so sie Mitglied eines Organs würden, einer Verantwortlichkeit nach dem Vorbild der § § 43 GmbHG, 93, 116 AktG zu unterwerfen 1 3 0 ; usw. Bedenken erweckt ein solches Vorgehen vor allem deshalb, weil die eingangs dargestellten Dritteinfluss-Varianten zwar unter verschiedenen Gesichtspunkten schematisiert werden, dafür aber ohne jede kritische inhaltliche Würdigung bleiben. So tragen dann letztlich Gestaltungen, deren rechtliche Zulässigkeit nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verbandssouveränität sehr zweifelhaft erscheint, zum argumentativen Fundament der gesamten Untersuchung bei 1 3 1 .
Vgl. Rohleder, Beiräte, S. 91 ff. Rohleder, Beiräte, S. 93 ff. 126 Rohleder, Beiräte, S. 103 ff. 127 Rohleder, Beiräte, S. 134 ff. 128 Vgl. Rohleder, Beiräte, S. 169, 173 ff., 187. Zwar hatte der Grundsatz der Verbandssouveränität zuvor schon Erwähnung gefunden, a.a.O., S. 76ff.; dabei wurden jedoch lediglich die entsprechenden Äußerungen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums referiert. 129 C. W e r , Außeneinfluss, S. 162. 130 C. Weber, Außeneinfluss, S. 165 f.; vgl. ferner S. 172 f. 131 Für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den in der Praxis anzutreffenden Gestaltungen hätte sich z.B. der Sachverhalt angeboten, welcher der Entscheidung BGHZ 119,191, zugrunde liegt: Die Hausbank einer Gesellschaft, die sich in einer schweren Krise befand, ließ sich von den Gesellschaftern deren Gesellschaftsanteile verpfänden; die Gesellschafter wurden zudem verpflichtet, vor allen wichtigen Entscheidungen die Zustimmung der Bank einzuholen; die unmittelbare Leitung der Geschäfte übernahmen unter faktischer Verdrängung der bisherigen Geschäftsführung zwei von der Bank benannte Unternehmensberater, welche in der Folgezeit durch umfangreiche Verkäufe von Warenvorräten die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber der Hausbank verringerten. Der BGH löste den Fall über eine Anwendung des Eigenkapitalersatzrechts; vgl. hierzu nur Altmeppen, ZIP 1993, 1677; Dreher, ZGR 1994, 114. Weber referiert den Sachverhalt nur allgemein, ohne ihn inhaltlich näher zu problematisieren, vgl. Außeneinfluss, S. 15 f. Später (S. 162) soll das „markante Beispiel" einer Hausbank, „der ein Recht zur Geschäftsführerbestellung eingeräumt wird und von deren Zustimmung wichtige geschäftliche Maßnahmen 124 125
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$ 1 Einführung
Eine nicht unmittelbar an der Verbandssouveränität als rechtsformübergreifenden Grundsatz, sondern stattdessen am Phänomen des Fremdeinflusses ansetzende Untersuchung verspräche vielleicht neue Erkenntnisse, würde es sich bei der Verbandssouveränität um etwas handeln, dessen Gehalt schon bis in die Details vermessen wäre, weshalb es nun lediglich um einen allerletzten „Feinschliff' zu gehen hätte. Dem ist aber nicht so; selbst die angebotenen Begründungen des Grundsatzes (vgl. unter A III) beschränken sich inhaltlich auf einige wenige allgemeine Aussagen, die gewiss die Punkte hinreichend benennen, an denen weiterführende Untersuchungen anzusetzen haben; hineingestellt in den rechtlich schwer zu erfassenden Fremdeinfluss erweisen sich diese Ansätze aber als recht verformbar. Die Verbandssouveränität wird so zur „argumentativen Manövriermasse", auf die nur noch zurückgegriffen wird, um Ergebnisse, die an sich ohne Rückgriff auf diesen Grundsatz entwickelt worden sind, mit rechtsdogmatischem Behang zu bekleiden.
III Zusammenhängende
Betrachtung
beider
Wirkfelder
Ein zweiter sehr zentraler Gedanke liegt der nachfolgenden Untersuchung zugrunde: Der Grundsatz der Verbandssouveränität ist in seiner ganzen Breite zu untersuchen. Zu klären ist deshalb nicht nur, inwieweit er einer intensiven Einflussnahme außenstehender Dritter Grenzen setzt, sondern ebenso seine Bedeutung für die nähere Ausgestaltung der inneren Verfassung der Verbände. Auch diese Überlegung bedarf näherer Erläuterung, wird der Verbandssouveränität vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum doch ganz verbreitet lediglich ein Dritteinfluss-abwehrender Bedeutungsgehalt zugeschrieben 132 . Allerdings gibt es durchaus auch Ansätze für eine weitergreifende Betrachtung: Schon in der von Wiedemann entworfenen Skizze der Verbandssouveränität klingt an, dass dieses Rechtsprinzip offenbar mehr beinhaltet als die schlichte Abwehr übermäßigen Dritteinflusses, als eine gewissermaßen „bloß negierende" Kernaussage. Betont wird nämlich, der Verbandssouveränität als gesellschaftlichem Strukturprinzip komme umfassende Breitenwirkung zu, sie wirke mithin auf allen Stufen der Gesellschaftsorganisation. Als erstes bliebe den Mitgliedern bei sämtlichen Verbandsformen die Alleinzuständigkeit zur Vertrags- bzw. Satzungsgestaltung reserviert, weil diese über die Grundlagen ihrer Gesellschaft autonom entscheidungsfähig sein sollten. Bedeutung besitze der Grundsatz aber auch für die Organisation der Geschäftsführung. Schon weil bei den Kapitalgesellschaften der Grundsatz der Fremdorganschaft gelte, sei insoweit zwar eine Mitwirkung von Nichtgesellschaftern möglich, doch wolle die Verbandssouveränität auch hier einen materiellen Selbstschutz der Gesellschafter ver-
abhängen", belegen, dass es nicht angehen könne, einen — intensiven Einfluss ausübenden — Dritten ohne weiteres auf die Verfolgung der Gesellschaftsinteressen zu verpflichten. 132 Vgl. nur Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1 A.32 (S. 20), 1 A.69 (S. 35); Herfi, Einwirkung, S. 55f.; Löffler, Personengesellschaft, S. 28 f.; Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 53 ff.
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bürgen: Es gehe um die „normative Einbindung der Organmitglieder unter Bezug auf die gesellschaftliche Zielfunktion und ihre Einführung in das organisatorische Gefüge der Gesellschaft." 133 Im Rahmen einer Beschäftigung mit der Aktienrechtsnovelle vom 18.7.1884 ist von Peter Hommelhoff herausgearbeitet worden, der historische Gesetzgeber habe ein Konzept verfolgt, das dem Grundsatz der Verbandssouveränität entscheidende Bedeutung beimesse: Alle das Wesen der Gesellschaft berührenden Angelegenheiten sollten einer Beschlussfassung der Generalversammlung vorbehalten bleiben. Die Entscheidungsmacht in diesem Bereich hätte den Aktionären weder durch den Gesellschaftsvertrag entzogen werden können, noch sei es diesen gestattet worden, sich insofern selbst ihrer Macht zu entäußern. Diesen „Gedanken eines unverzichtbaren Kerns an Verbandssouveränität" hätten die Verfasser der Novellen-Entwürfe auf eine rechtsdogmatische und eine rechtspraktische Erwägung gestützt. So habe man zunächst den Standpunkt vertreten, da die Aktiengesellschaft die organisierte Gesamtheit der Aktionäre sei, könne sie ihren Willen nur in der Generalversammlung der Aktionäre finden, dürften zumindest die grundlegenden Entscheidungen nur von dieser Versammlung getroffen werden und nicht von einzelnen Aktionären, anderen Gesellschaftsorganen oder gar externen Dritten. Hommelhoff betont, Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre seien von einer solchen Sicht der Dinge unterdessen längst abgerückt, insbesondere der enumerative Katalog der Hauptversammlungskompetenzen und die Machtverschiebungen in der konzernierten Gesellschaft hätten den Blick auf die Souveränitätsfrage verstellt. Allerdings sei dieser Aspekt bis heute noch nicht endgültig ausdiskutiert. Verweisen ließe sich insbesondere auf das umstrittene „Holzmüller"-Urteil des BGH 1 3 4 , das man mit seiner Stärkung und Sicherung der Aktionärskompetenzen wohl als einen Schritt zurück zur schon weitgehend abgeschriebenen Verbandssouveränität im Aktienrecht interpretieren könne. Rechtspraktische Erwägungen seien in das Konzept des Novellengesetzgebers von 1884 eingeflossen, weil man den Aktionären die Möglichkeit zum Eingriff und zur Abhilfe habe vorbehalten wollen für den Fall, dass die Gesellschaftsorgane zum Schaden der Gesellschaft wirkten. So gesehen sei „die unverzichtbare Verbandssouveränität zugleich ein Mittel, um die Verwaltungsorgane der Gesellschaft zu kontrollieren und davon abzuhalten, zum Nachteil der Gesellschaft zu handeln" 135 . Dass es der Verbandssouveränität nicht nur darum geht, die intensive Einflussnahme außenstehender Dritter zu verhindern, sondern dass der Grundsatz zugleich in den Bereich der inneren Organisation der Gesellschaft hineinwirkt, klingt noch bei weiteren Autoren an: So wird z. B. von Wolfgang Zöllner betont, richtig verstanden sei Verbandsautonomie Gesellschafterautonomie, mithin .Autonomie, wahrzunehmen durch ein Gesellschafterorgan". Sie stehe damit einem gerade für die G m b H wesentlichen Prinzip nahe: der Uberordnung der Gesellschafterversammlung. Zwar könne auch bei der 133
Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 112f. BGHZ83,122. 135 Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 89 f. Vgl. auch ders., Z H R 148 (1984), 118, 121: Im Interesse unverzichtbarer Verbandssouveränität müssten den Gesellschaftern einer G m b H in jedem Falle „die m a ß geblichen u n d prägenden Entscheidungen" verbleiben. 134
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§ 1 Einfuhrung
GmbH das Kompetenzgefüge weitgehend verändert werden bis hin zu einer der AG ähnlichen Zuständigkeitsverteilung, doch seien der Versammlung zum einen die Satzungsangelegenheiten unentziehbar zugeordnet, zum anderen müsse ihr in zahlreichen Konstellationen gleichsam das letzte Wort verbleiben13 . Detlef Kleindiek hebt hervor, die Verbandssouveränität würde allzu einseitig interpretiert, falls man sie auf ihre „formale Komponente (Schutz vor zu weitgehendem Einfluß von Nichtgesellschaftern)" reduziere. Vielmehr verfolge sie darüber hinaus auch einen materiellen Schutz von Gesellschaft und Gesellschaftern, indem sie die Entscheidungsträger in der Gesellschaft auf das Gesellschaftsinteresse verpflichte. Bedeutung gewinne diese „zweite Komponente der Verbandssouveränität" etwa als Korrektiv für die Teilhabe von Nichtgesellschaftern am Entscheidungsprozeß innerhalb des Verbands: Die Gesellschafter müssten zumindest die Grundlagenentscheidungen in der Gesellschaft selbst treffen und sich zudem das Recht vorbehalten, delegierte Kompetenzen — ggf. durch die Änderung des Gesellschaftsvertrags — wieder an sich zu ziehen; auch seien die Entscheidungen der Nichtgesellschafter in hinreichendem Maße an die Interessen von Gesellschaft und Gesellschafter rückzubinden 137 . Allerdings nimmt Kleindiek seinen Überlegungen sogleich den größten Teil der Durchschlagskraft, indem er die Verbandssouveränität zum bloßen Gebot herabstuft, das die Gesellschafter auch weitgehend aufheben dürften 138 . Die Auffassung, der Verbandssouveränität gehe es um mehr als um die bloße Abwehr übermäßigen Dritteinflusses, ist teilweise auf Kritik gestoßen. Insbesondere Teubner hat die Ansicht vertreten, in den Begriff der Verbandssouveränität sollten keine inneren Kompetenzverteilungsprobleme hineingetragen werden. Der Grundsatz beziehe sich ausschließlich auf die Entscheidungshoheit der Organisation und nicht auf die Entscheidungsbefugnisse der Gesellschaftsorgane oder der Gesellschafter als Mitglieder. Die verschiedenen Problemkreise könnten nicht einheitlich „dem Pauschalurteil der Verbandssouveränität" unterworfen werden, zumal die mit der positivrechtlichen Zuordnung von Kompetenzen verbundenen Fragen für die einzelnen Verbandsformen ohnehin unterschiedlich zu beantworten seien 139 . Dieter Reuter hat sich dem im Ansatz angeschlossen: Die Verbandssouveränität dürfe nicht mit der Regelungszuständigkeit der Mitglieder identifiziert werden, da sie lediglich die Zulässigkeit externer Abhängigkeiten begrenze140. Die Kritik Teubners ist insofern konsequent, weil dieser die Verbandssouveränität generell ausschließlich auf den Verband und nicht auf dessen Mitglieder bezieht. Jener Ansatz hat sich allerdings nicht durchzusetzen vermocht (vgl. A Zöllner, FS 100 Jahre GmbHG, S. 85, 119. Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 96 f. 138 Vgl. Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 97 f. In der Sache geht es Kleindiek jedoch nur um den Nachweis, dass auch Personengesellschaften konzernrechtliche Beherrschungsverträge abschließen dürften. Von „zwei Aspekten" der Vereinsautonomie spricht (für den Verein) zudem Sehockenhoff, AcP 193 (1993), 35, 40; der zweite Aspekt soll eine „Letztzuständigkeit der Mitgliederversammlung für alle grundlegenden Vereinsangelegenheiten" enthalten. Später wird aber der Grundsatz insgesamt abgelehnt, dazu unter B 1.2. 139 Teubner, ZGR 1986, 1986, 565, 569 f. 140 Reuter, FS 100 Jahre GmbHG, S. 631, 638. Vgl. auch Lößler, Personengesellschaft, S. 29: Eine bestimmte innergesellschaftliche Machtverteilung werde durch den Grundsatz der Selbstbestimmung nicht garantiert. 136 137
C. Das
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III.2.). Das spricht zwar noch nicht notwendig dagegen, mit Reuter den Verbandssouveränitäts-Grundsatz auf eine Dritteinfluss-abwehrende Funktion zu beschränken und die Fragen der innergesellschaftlichen Zuständigkeitsverteilung unter Rückgriff auf hiervon begrifflich zu trennende Erwägungen zu klären 141 . Selbst dieses Verständnis legt es jedoch nahe, bei einer Untersuchung der Verbandssouveränität zumindest die Grundzüge der inneren Verfassungsordnung mit einzubeziehen: Soll bestimmt werden, inwieweit sich die Gesellschafter selbst entrechten können, indem sie diejenigen Befugnisse, die ihnen nach dem gesetzlichen Normalstatut zukommen, auf außenstehende Dritte übertragen, so spricht gewiss einiges dafür, sich zunächst jener Wertungen zu vergewissern, die der gesetzlichen Zuordnung der Kompetenzen zugrunde liegen.
IV. Entwicklungsbezogene
Analyse
Die Behandlung, die der Verbandssouveränität in Teilen des rechtswissenschaftlichen Schrifttum widerfährt, ist ferner darauf zurückzuführen, dass einer rein rechtsdogmatischen Herleitung des Grundsatzes offensichtlich gewisse Grenzen gesetzt sind. Für die nähere Ausrichtung der Untersuchung legt dieser Befund einen dritten Gedanken nahe: Wenn die Verbandssouveränität anscheinend zu jenen Rechtsinstituten gehört, die sich - mit den Worten Levin Goldschmidts - durch die „dogmatische Isolierungs-Methode" nicht vollends erfassen lassen, so verspricht eventuell die von Goldschmidt Zeit seines Lebens zumeist bevorzugte „wahrhaft geschichtliche", „genetische" bzw. „Entwicklungs-Methode" mehr Erfolg 142 . Goldschmidt erläuterte seinen methodischen Ansatz dahingehend, es gäbe vielleicht Rechtssätze oder ganze Rechtsinstitute, welche für sich oder doch im Zusammenhang des Rechtssystems völlig verständlich seien, andere würden jedoch erst in einem bestimmten geschichtlichen Kontext ihre richtige Stellung finden 1 3 . Er gehe jedenfalls von der Überzeugung aus, dass die Rechtsinstitute und die einzelnen Rechtssätze „nicht lediglich in der starren Ruhe des immer nur unvollkommen gesetzlich fixirten Dogmas" betrachtet werden dürften, weil man sie eben nur „als Glied einer langen Entwickelungskette, also mit Vergangenheit wie Zukunft", richtig verstehen könne. Es handle sich bei einem derartigen Herangehen keineswegs bloß um die sogenannte „historische Interpretation", welche dazu diene, den Wortsinn oder den Gesetzeswillen sicherer zu ermitteln, „sondern um Erkenntniß von Prinzip und Zweck, endlich vollem Inhalt der Institute und Rechtssätze eben in ihrem geschichtlichen Zusammenhang."1 Vgl. Ä«iftr, FS 100 Jahre GmbHG, S. 6 3 1 , 6 3 8 f. Siehe nur Goldschmidt, ZHR 28 (1882), 441, 449f£, wo Goldschmidt seine Methodik der von Heinrich Thöl gegenüberstellt; ferner Goldschmidt, ZHR 26 (1881), 606, 607: Thal stelle das geltende Recht als ganz fertiges Produkt gesetzgeberischer Weisheit oder Ungeschicklichkeit, gleichsam ohne Vergangenheit und Zukunft, dar. Das publizierte Gesetzes- bzw. Reglementswort bilde so das ausschließliche Mittel für die Erkenntnis des geltenden Rechts. 143 Goldschmidt, ZHR 28 (1882), 4 4 1 , 4 5 2 . 144 Goldschmidt, ZHR 28 (1882), 441, 451. 141
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Auch wenn einzuräumen ist, dass die Ertragskraft von Goldschmidts genetischer Methode für die Erkenntnis des modernen — sich rasch entwickelnden — Gesellschaftsrechts generell nicht überschätzt werden sollte 145 , so bietet sich dennoch ihre Anwendung auf die Verbandssouveränität geradezu an: Weder Teichmann noch Wiedemann haben für sich in Anspruch genommen, den Grundsatz völlig neu entwickelt zu haben; offenbar gehen beide davon aus, dass dieser seit längerer Zeit dem geltenden Recht angehört; Hommelhoff ist sogar der Überzeugung, ihn schon im Konzept des Aktiennovellen-Gesetzgebers von 1884 ausmachen zu können. Zudem handelt es sich bei der Verbandssouveränität um einen ungeschriebenen Grundsatz, der dem Bereich des allgemeinem Gesellschaftsrechts zugeordnet wird, was die These nahe legt, das Rechtsprinzip habe sich in einem längeren historischen Prozess herausgebildet. Bei einem solchen Ausgangspunkt überrascht das im einschlägigen rechtswissenschaftlichen Schrifttum vorherrschende Vorgehen doch etwas: Es kennzeichnet die Situation wohl ganz gut, wenn eine umfangreiche Monographie, welche die Reichweite der Privatautonomie im Gesellschaftsrecht untersucht, einem Bereich mithin, dessen gesetzliche Grundlagen zu weiten Teilen aus den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stammen, überhaupt nicht auf die unterdessen leicht zugänglichen Gesetzesmaterialien und lediglich auf zwei Werke des rechtswissenschaftlichen Schrifttums aus der Zeit vor 1900 (Gierkes Genossenschaftstheorie und den zweiten Band von Savignys System des heutigen römischen Rechts) zurückgreift . Da der Autor für die Erläuterung von § 137 BGB zumindest die Motive zum I. BGB-Entwurf und die Protokolle der zweiten BGB-Kommission heranzieht , scheint er den Rückgriff auf historische Quellen im Prinzip durchaus für opportun zu halten, nur eben offensichtlich für das Verständnis des Gesellschaftsrechts als nicht unbedingt erforderlich. Eine andere Untersuchung, welche die Verbandssouveränität für das gesamte Vereinsrecht aufgeben will, benötigt für die Erörterung derjenigen Aspekte der Fragestellung, die unmittelbar mit dem Entstehungsprozess des BGB verbunden sind, nicht einmal mehr eine eigene Inaugenscheinnahme der Gesetzesmaterialien148. Bedenken verursacht aber nicht nur die vollständige Ausblendung entwicklungsgeschichtlicher Momente, sondern ebenso ein äußerst punktuell ansetzender Rückgriff 145 Nach Einschätzung von Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 61, 78, soll die Anwendung der genetischen Methode durch Goldschmidt der Rechtswissenschaft zwar etliche noch immer lesenswerte rechtshistorische Arbeiten eingebracht haben; der Ertrag für das geltende Handels- und Verkehrsrecht sei jedoch nicht leicht auszumachen. Weyhe, Goldschmidt, S. 495, hebt hervor, tatsächlich würden sich in den Werken Goldschmidts nur selten echte historisch-genetische Begründungen nachweisen lassen. Goldschmidt beginne zwar immer damit, die einzelnen Rechtsinstitute bis ins Detail in ihren historischen Wurzeln zu ergründen, sobald es jedoch um das geltende Recht gehe, breche er die historische Perspektive seiner Darstellung ab, um zu einer rein dogmatischen Argumentation überzugehen. Nur bei der Untersuchung von ungeschriebenen Rechtssätzen würden historische und dogmatische Elemente wirklich ineinander fließen. 146 So jedenfalls die Angaben des Literaturverzeichnisses bei C.Weber, Außeneinfluss, S. 367ff. Aus der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden dort 14 Beiträge des rechtswissenschaftlichen Schrifttums angeführt. 147 Vgl. C. Weber, Außeneinfluss, S. 224 f. 148 Vgl. die Auseinandersetzung Schockenhoffs, AcP 193 (1993), 35, 54, mit den Thesen Flumes.
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auf historische Fakten. Die Fragwürdigkeit dieses im rechtswissenschaftlichen Schrifttum recht verbreiteten Vorgehens lässt sich unschwer demonstrieren: U m die geschichtliche Dimension der Verbandssouveränität zu verdeutlichen, wird häufig auf die Entscheidung des Reichsgerichts in Sachen „Rumänische Eisenbahn" verwiesen. Das Urteil aus dem Jahr 1881 erklärt die Zustimmung der Generalversammlung der Rumänischen Eisenbahn AG zu einem Vertrag für nichtig, mit dem die gesamten Kompetenzen des AG-Vorstandes auf eine ausschließlich der rumänischen Regierung unterstehende „Fürstlich Rumänische" Direktion übertragen werden sollten. Tatsächlich scheinen die Erörterungen des Reichsgerichts den Verbandssouveränitäts-Grundsatz unmittelbar zu betreffen, doch lassen diejenigen, die sich auf das Urteil berufen 1 5 0 , völlig unberücksichtigt, dass man für die Rumänische Eisenbahn AG nur das Modell derjenigen Eisenbahnaktiengesellschaften übernehmen wollte, die von „Königlich Preußischen" Direktionen verwaltet worden sind. Hierbei geht es keineswegs um etwas absonderliche und unbedeutende Ausnahmefälle, sondern um Gesellschaften, die zu den größten deutschen Aktiengesellschaften des gesamten 19. Jahrhunderts gehörten: Insgesamt wurde um das Jahr 1880 herum auf diese Weise ein Aktionärsvermögen fremdverwaltet, das - in heutige Kaufkraft umgerechnet — fast einen dreistelligen Milliardenbetrag erreicht haben dürfte 1 5 1 . Beachtet werden muss nun, dass die preußischen Gesellschaften für diverse gerichtliche Auseinandersetzungen sorgten. Schon die amtlichen Entscheidungs-Sammlungen von Reichsoberhandelsgericht und Reichsgericht enthalten eine ganze Reihe von Urteilen, mit denen die Gerichte Streitigkeiten zwischen den Aktionären und den „Königlichen" Direktionen zu klären versuchten 152 : Nirgends wird dabei das von den Aktiengesellschaften gewählte Organisationsmodell als unzulässig gekennzeichnet. Unter diesen Umständen spricht (zumindest auf den ersten Blick) einiges für die Vermutung, die Entscheidung in Sachen „Rumänische Eisenbahn" stehe nicht für ein weitgehend unbestrittenes Rechtsverständnis, sondern eher für einen einmaligen „Ausreißer" der Rechtsprechung; vielleicht wollte das Gericht lediglich verhindern, dass sich die - am satzungsmäßigen Stammkapital gemessen - drittgrößte deutsche AG des 19. Jahrhunderts dem unmittelbaren Zugriff einer ausländischen Regierung unterwarf. Immerhin verwehrten alle wichtigen europäischen Staaten damals gerade Rumänien die internationale Anerkennung, weil sich dessen politische Führung weigerte, dem jüdischen Bevölkerungsteil gleiche bürgerliche Rechte einzuräumen 1 5 3 . Sonderliche Sympathien hat die rumänische Regierung bei einem Gericht, dessen Präsident Eduard von Simson jüdischer Herkunft war, wahrscheinlich nicht genossen.
RGZ 3, 123. Eingehende Erörterung findet die Entscheidung unter § 7 B III. Auf die Entscheidung verweisen u. a. Steinbeck, Vereinsautonomie, S. 46; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 3; Wiedemann, FS Schilling, 105. C. Weber, Außeneinfluss, S. 21, Fußn. 89, merkt an, der Fall sei „eher von historischem Interesse". 151 Ausführlich zu den fremdverwalteten Eisenbahn-AG unter § 6 A III und § 7 B II. 152 Vgl. nurROHGE 13, 119; 13, 124; 13,126; 17, 357; 22,19; RGZ 14, 127. 149 150
153
Vgl. einstweilen nur Stern, Gold und Eisen, S. 524ff.
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$ 1 Einführung
Es bedarf wohl keiner weiteren Beispiele, um zu belegen, dass eine Untersuchung, die den Grundsatz der Verbandssouveränität mittels einer entwicklungsbezogenen Analyse erschließen möchte, mehr als das Referat einiger ausgesuchter höchstrichterlicher Judikate zu liefern hat. Dies schon deshalb, weil es bei dieser Analyse um mehr gehen soll als um den schlichten Existenznachweis. Wirklich bereichert werden kann das Verständnis der Verbandssouveränität nur, wenn es gelingt aufzuzeigen, unter welchen Umständen der Grundsatz entstanden ist. Zu klären ist beispielsweise: Welche praktischen Probleme gaben den Anstoß zur Herausbildung des Rechtsprinzips? Gab es Alternativkonzepte? Wenn ja, warum vermochte sich die Verbandssouveränität gegen diese durchzusetzen? Da es um einen rechtsformübergreifenden Grundsatz geht, muss die Entwicklung verschiedener Gesellschaftsformen untersucht werden; zudem geht es nicht nur um den Einfluss außenstehender Dritter auf die Gesellschaften, sondern auch um die Grundzüge deren innerer Organisation: Wurden bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaftergesamtheit zur Entscheidung vorbehalten; wenn ja, welche? W i e gestaltete sich das Verhältnis zwischen der Gesellschaftergesamtheit bzw. dem Organ, in dem sie sich organisierte, zu den mit der Geschäftsführung beauftragten Personen? Inwiefern sind die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften darum bemüht gewesen, das Geschäftsführungsorgan speziell an den Gesellschafterwillen anzubinden? Und vor allem: Welche Freiräume wurden jeweils einer eigenverantwortlichen Ausgestaltung der gesellschaftsinternen Ordnung durch die Gesellschafter eingeräumt? Wo und inwieweit setzte man dagegen auf unmittelbare Eingriffe staatlicher Institutionen? In gewisser Weise ist damit die Geschichte von wesentlichen Teilen des inneren Gesellschaftsrechts in den Blick zu nehmen. Ein solcher Untersuchungsansatz trifft bei den verschiedenen historischen Epochen auf unterschiedliche Ausgangspunkte. Schon recht gut erschlossen erscheint die gesellschaftsrechtliche Entwicklung, insbesondere auf den Gebieten des Aktien- und des Konzernrechts, soweit es um die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts geht. Gerade in jüngerer Zeit sind hierzu eine ganze Reihe größerer Arbeiten entstanden, die nicht nur die verschiedenen Gesetzgebungsbestrebungen würdigen, sondern auch die einschlägige Rechtsprechung, Äußerungen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums sowie die gesellschaftsvertragliche Praxis so berücksichtigen, dass ein farbenreiches Gesamtbild entsteht 154 . Anders der Befund für die Zeitvor 1900. Hier ist der vor ca. drei Jahrzehnten angegangene Versuch, die Genesis des modernen deutschen Gesellschafts154 Siehe insb. Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 2 ff.; den., Machtbalancen im Aktienrecht, in: Schubert!Hommelhoff {Hrsg.), Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, S. 71 ff.; Laux, Die Lehre vom Unternehmen an sich, 1998, S. 59 fF.; K.W.Nörr, Zur Entwicklung des Aktien- und Konzernrechts während der Weimarer Republik, ZHR 150 (1986), 150ff.; ders., Zwischen den Mühlsteinen, 1988, S. 105 ff-; Riechers, Das .Unternehmen an sich', 1996; Schubert, Die Entwürfe der Weimarer Republik zur Reform des Aktienrechts, ZRG Germ. Abt. 103 (1986), 140 ff.; den., Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (1926 — 1931), Band 1, 1999, S. 13ff.; Spindler, Recht und Konzern, 1993; Ulmer, Hundert Jahre Personengesellschaftsrecht: Rechtsfortbildung bei OHG und KG, ZHR 161 (1997), 102; ferner Assmann, in: Großkomm. AktG, Einleitung, Rdn. 116 ff.; Dettling, Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965, 1996.
C. Das
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Untersuchungsprogramm
rechts n e u z u erschließen155, nur a u f d e m G e b i e t der K o d i f i k a t i o n s g e s c h i c h t e
kon-
sequent durchgeführt worden: D i e verschiedenen Gesetzesmaterialien sind unterdessen weitgehend neu herausgegeben und zumeist mit informativen Einführungen versehen w o r d e n 1 5 6 ; d a n e b e n g i b t es relativ viele E i n z e l b e i t r ä g e , d i e sich m i t d e r G e s e t z g e b u n g i m Gesellschaftsrecht beschäftigen157. Eine auch nur annähernd intensive Beschäftig u n g m i t R e c h t s p r e c h u n g u n d r e c h t s w i s s e n s c h a f t l i c h e n S c h r i f t t u m ist j e d o c h a u s g e b l i e b e n . I n g e w i s s e r W e i s e k o m m t d e m — v o n Helmut
Coing
herausgegebenen -
mentalen H a n d b u c h der Q u e l l e n u n d Literatur der neueren europäischen geschichte mithin Symbolcharakter
monuPrivat-
zu: D e r Arbeitsplan für die Aufarbeitung
der
Privatrechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts sah zunächst eine u m f a s s e n d e Beschäftig u n g m i t d e m Gesellschaftsrecht vor, in deren R a h m e n a u f die G e s e t z g e b u n g e b e n s o wie auf die Herausbildung der Gesellschaftsrechtswissenschaft u n d wohl auch auf die entsprechenden
Wechselbeziehungen
zwischen
Rechtsprechung
und
Rechtswissen-
s c h a f t e i n g e g a n g e n w e r d e n s o l l t e 1 5 8 . V o n d i e s e m s e h r a n s p r u c h s v o l l e n P l a n ist t a t s ä c h lich n u r jener Teil realisiert w o r d e n , d e r sich m i t d e r E n t w i c k l u n g der e i n s c h l ä g i g e n Gesetzgebung beschäftigt159.
1 5 5 Eingehender mit dem Aktienwesen des 19. Jahrhunderts beschäftigten sich zunächst die historischen Teile der Habilitationsschriften von Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 7 ff.; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, S. 53 ff.; sowie Grossfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968, S. 113 ff. Später folgten Einzelbeiträge, die sich speziell der geschichtlichen Entwicklung annahmen; vgl. insb. Reich, Die Entwicklung des deutschen Aktienrechts im neunzehnten Jahrhundert, in: Coing (Hrsg.), Ius Commune, Bd. 2, 1969, S . 2 3 9 f f . ; Horn, Aktienrechtliche Unternehmensorganisation in der Hochindustrialisierung (1860 - 1920), in: ders./Kocka (Hrsg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 123 ff.; Hopt, Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen der Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band V, 1980, S. 128 ff. 1 5 6 Vgl. u. a. Baums (Hrsg.), Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich Preussischen Staaten vom 9. November 1843, 1981; ders., (Hrsg.), Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuch für Deutschland (1848/49), 1982; Beuthien/Hüsken/Aschermann (Hrsg.), Materialien zum Genossenschaftsgesetz, 2 Bände, 1989; Institut für Genossenschaftswesen/Schubert, (Hrsg.), 100 Jahre Genossenschaftsgesetz. Quellen zur Entstehung und jetziger Stand, 1989; Schubert/Hommelhoff (Hrsg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985; Schubert/Schmiedel/Krampe (Hrsg.), Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1 8 9 7 , 2 Bände, 1986. 1 5 7 Siehe etwa: Baums-Stammberger, Der Versuch einer Aktiengesetzgebung in Sachsen 1836/37, 1980; HadAing, Die Initiativen des Reichsjustizamts und des Reichsjustizministeriums zur Gestaltung des Gesellschaftsrechts, in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, 1977, S. 263 ff.; Koberg, Die Entstehung der G m b H in Deutschland und Frankreich, 1992; Schubert, Die Abschaffung des Konzessionssystems durch die Aktienrechtsnovelle von 1870, Z G R 1981, 285 ff.; ders., Zur Entstehung der Genossenschaftsgesetze Preußens und des Norddeutschen Bundes (1863 — 1868), Z R G Germ. Abt. 105 (1988), 96ff.; ders., Das G m b H G von 1892 — „eine Zierde unserer Reichsgesetzsammlung", in: FS 100 Jahre G m b H G , 1992, S. 1 ff.; Servos, Die Personenhandelsgesellschaften und die stille Gesellschaft in den Kodifikationen und Kodifikationsentwürfen vom A L R bis zum A D H G B , 1984. 1 5 8 Vgl. W.Wilhelm, Quellen und Literatur der europäischen Privatrechtsgeschichte im 19.Jahrhundert - ein Arbeitsplan, in: Coing{Hrsg.), Ius Commune, Band 4, 1972, S. 240 ff., insb. 246 ff., 262.
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§ 1 Einfuhrung
Die wenigen Arbeiten aus neuerer Zeit, die sich unter Einbeziehung der Rechtsprechung und des rechtswissenschaftlichen Schrifttums intensiver mit der Entwicklung einzelner Institute des Gesellschaftsrechts in dieser Zeit beschäftigen, sind zumeist Fragen des Außenrechts der Gesellschaften, vor allem deren Rechtssubjektivität und Haftungsverfassung gewidmet 1 6 0 . Im gesamten Bereich des Innenrechts konzentriert sich das Interesse der gesellschaftsrechtlichen Literatur dagegen fast vollständig auf sehr wenige Aspekte: Vor allem auf die Entstehung der ADHGB-Vorschriften über den Aufsichtsrat bei der Aktiengesellschaft , auf zwei Urteile des Reichsoberhandelsgerichts zu den Klagerechten des einzelnen Aktionärs und auf die Diskussion um die Selbstorganschaft bei den Personengesellschaften . Insoweit lassen sich weder eingehende rechtsformübergreifende Untersuchungen einzelner Rechtsinstitute , noch neuere Arbeiten ausmachen, die darum bemüht sind, die Entwicklung des gesamten Innenrechts einer Gesellschaftsform zusammenhängend darzustellen 165 . Erste Indizien, wie Hommelhoffi Verweis auf die Aktiennovelle von 1884 und die häufige Berufung auf ein Reichsgerichtsurteil aus dem Jahr 1881, legen es nahe, mit der entwicklungsbezogenen Analyse der Verbandssouveränität bereits im 19. Jahrhundert anzusetzen. In dieser Zeit haben sich die Fundamente herausgebildet, auf denen das heutige Gesellschaftsrecht aufbaut: Bei den Personengesellschaften sowie der GmbH stammt sogar der gesetzliche Rahmen aus dieser Zeit und auch für die Aktiengesellschaft wird hervorgehoben, mit der Novelle vom 18.7.1884 sei das moderne Aktienrecht begründet worden . Schon weil es sich bei der Verbandssouveränität um einen ungeschriebenen Grundsatz handelt, kann die Analyse nicht bei einer Untersuchung der Gesetzgebung stehen bleiben. Gerade auf dem Feld des Unternehmensrechts kann ein wirklichkeitsnahes Bild der historischen Vorgänge nur dann freigelegt werden, wenn die wirtschafte- und gesellschaftsrechtliche Realität in ihrer ganzen Brei159 Die Entwicklung in Deutschland untersucht dabei Wolfgang Wagner, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Band III/3, 1986, S. 2969 ff. Vgl. zudem Coing, Europäisches Privatrecht, Band II: 19. Jahrhundert, 1989, S. 95 ff. 160 Siehe etwa K.Schmidt, Zur Stellung der oHG im System der Handelsgesellschaften, 1972; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, insb. S. 127ff., 214ff.; Meyer, Haftungsbeschränkungen im Recht der Handelsgesellschaften, 2000. 161 Etwa Wiethölter, Interessen, S. 270ff. Dazu unter § 4 D III.3. 162 Vgl. einstweilen nur Knobbe-Keuk, FS Ballerstedt, S. 239 ff. Ausführlich hierzu unter § 7 B I. 163 Siehe vorerst nur Werra, Selbstorganschaft, S. 19 ff; hierzu unter § 9 C II. 164 Zumindest angegangen wird ein solches Unterfangen von M.Emmerich, Die historische Entwicklung von Beschlussverfahren und Beschlusskontrolle im Gesellschaftsrecht der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung des Aktienrechts, 2000. Nach einem informativen Einstieg in das Gesellschaftsrecht des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit wird die Arbeit jedoch immer „kurzatmiger". Für das 19. Jahrhundert beschränkt sich die Untersuchung dann auf das Aktienrecht und verläuft auch insoweit fast vollständig in den schon vom älteren Schrifttum gezogenen Bahnen. Siehe hierzu insb. unter § 7 B I. 165 Aus dem älteren Schrifttum ragen insoweit heraus Schumacher, Die Entwicklung der inneren Organisation der Aktiengesellschaft im deutschen Recht bis zum Allgemeinen Deutschen Handels-Gesetzbuch, 1937, sowie die wirtschaftsgeschichtliche Arbeit von Bösselmann, Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens im 19. Jahrhundert, 1939. 166 Vgl. nur Hommelhoff, Eigenkontrolle, S. 102ff.; Zöllner in: KK AktG, l.Aufl., Einleitung, Rdn. 64.
C. Das
Untersuchungsprogramm
33
te Berücksichtigung findet167. Systematisch ist deshalb auch die Entwicklung der Rechtsprechung zu untersuchen, darüber hinaus das rechtswissenschaftliche Schrifttum. Da die Entwicklung des Gesellschaftsrechts des 19. Jahrhunderts wesentlich von der statutarischen Praxis mitgetragen worden ist, muss auch diese unbedingt in die Untersuchung einbezogen werden - immerhin berührt der Grundsatz der Verbandssouveränität die Reichweite der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit unmittelbar. Schließlich soll versucht werden, nicht bei der gesetzlichen oder statutarischen Norm stehen zu bleiben, sondern die rechtliche Regelung in gewisser Weise „zum Leben zu erwecken": Zumindest stichprobenartig ist zu untersuchen, wie sich bestimmte gesetzliche oder statutarische Vorschriften in der Praxis bewährt haben. Gerade in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat sich das wirtschaftsgeschichtliche Schrifttum verstärkt der Geschichte einzelner Unternehmen gewidmet; die aus dieser Beschäftigung hervorgegangenen Arbeiten - qualitativ weit höherwertiger als die bis dahin in diesem Bereich dominierende Unternehmens] ubiläums-Literatur, sind für die Aufarbeitung der Gesellschaftsrechtsgeschichte zu nutzen.
Hierzu Hommelhojf, FS Hattenhauer, insb. S. 242 f. Vgl. hierzu vor allem die eingehende Untersuchung von Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982) 1, 27 ff., die allerdings auf die Satzungen staatlich konzessionierter preußischer Aktiengesellschaften beschränkt bleibt. Zudem verzichtet Landwehr, der Satzungen aus der Zeit von 1824 bis 1870 (mithin fast einem halben Jahrhundert) in die Untersuchung einbezieht, auf jede zeitliche Periodisierung. Am Ende vermag er daher nur ein - am Maßstab des modernen Aktienrechts gemessen - „buntscheckiges Bild" zu konstatieren, das „alle nur denkbaren Organisationsmodelle" enthalte, a.a.O., S. 102 f. Entwicklungstendenzen innerhalb des Untersuchungszeitraumes, in dem sich das gesellschaftliche und auch das rechtliche Umfeld rasant änderte, werden nicht aufgezeigt. 167 168
§ 2 Z u m Ausgangspunkt der m o d e r n e n gesellschaftsrechtlichen E n t w i c k l u n g
A. Am Beginn der gesellschaftsrechtlichen
Neuzeit
Das deutsche Gesellschaftsrecht des 19. Jahrhunderts baut auf sehr verschiedenen — teils recht isoliert gewachsenen, teils miteinander verbundenen - Wurzeln auf, deren jeweiliger konkreter Einfluss noch immer weitgehend im Dunkeln liegt. Im Rahmen dieser Arbeit soll insoweit nur auf einige ausgesuchte Aspekte eingegangen werden, die in besonderer Weise geeignet scheinen, den Ausgangspunkt der modernen Entwicklung zu kennzeichnen.
/. Spätmittelalterliche Fernhandelsgesellschaften 1. Nahezu unbeschränkte gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit Während die von norddeutschen Kaufleuten gebildeten Gesellschaften im Spätmittelalter überwiegend den Charakter reiner Gelegenheitsgesellschaften haben 1 , entstehen zur gleichen Zeit im Süden Deutschlands Verbände, die über einen längeren Zeitraum erhalten bleiben. Zwar werden auch deren Gesellschaftsverträge zumeist nur auf drei bis sechs Jahre abgeschlossen, regelmäßig kommt es anschließend jedoch zum Abschluss eines weiteren (befristeten) Vertrages, so dass die Gesellschaften auf der Grundlage weitgehend übereinstimmender Vertragsserien Jahrzehnte, mitunter sogar länger als ein ganzes Jahrhundert fortbestehen . Für die vorliegende Untersuchung sind die süddeutschen Handelsgesellschaften gleich aus mehrfacher Sicht von besonderem Interesse: D a sie nicht nur für die Abwicklung eines oder einiger weniger Handelsgeschäfte eingegangen werden, bedarf ihre innere Organisation in erhöhtem Maße der vertraglichen Regelung. Neben den geschriebenen Vorschriften bilden sich bald ungeschriebene heraus, welche dann mitunter beim Neuabschluss in das geschriebene Recht übernommen werden — auf diese Weise vermag das Innenrecht der Gesellschaften eine relativ
1 Vgl. nur W.Ebel, Lübisches Kaufmannsrecht, S. 85 ff. Allerdings gab es Ausnahmen; siehe z. B. Jeanin, Z L G A 4 3 (1963), 19, 35 ff. zur Carstens-vom Brocke-Gesellschaft. 2 Beim neuerlichen Abschluss eines Vertrages lassen sich die Beteiligten überwiegend von der Vorstellung leiten, der alte Vertrag trete wieder in Kraft, die alte Gesellschaft werde mithin fortgesetzt. Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften, Teil I, S. 218 f.
36
§ 2 Zum Ausgangspunkt
hohe Regelungsdichte zu erreichen 3 . Zudem besitzen die erhalten gebliebenen Gesellschaftsverträge - was ihre rechtlichen Grundstruktur anbetrifft - ein erstaunliches Maß an Ähnlichkeit und zwar über alle damals bestehenden Rechtsgrenzen hinweg 5 . Allerdings werden die in den Gesellschaftsverträgen regelmäßig enthaltenen Kundmachungsformeln nicht wirklich vollzogen; die Verträge bleiben also geheim . Hinzu kommt, dass in ihnen die gerichtliche Entscheidung von Streitigkeiten fast immer abbedungen wird. Stattdessen vereinbart man Schiedsgerichte, die eher mit anderen Kaufleuten als mit gelehrten Juristen besetzt werden 7 . All dies hemmt zum einen die wissenschaftliche Verarbeitung der Materie. Zum anderen geben die süddeutschen Handelsgesellschaften zwar Anstöße für erste gesetzliche Regelungen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts 8 , beispielsweise im Rahmen der Nürnberger und Frankfurter Reformation 9 , insgesamt bleibt der von ihnen ausgehende Normierungsdruck - vor allem wegen des Ausschlusses des Gerichtsweges - lange Zeit eher gering 1 0 . Die Sozietätsverträge der süddeutschen Handelsgesellschaften stammen mithin aus einer Periode, in der die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit noch fast frei von jedweder rechtlichen Beschränkung ist; sie stehen daher für eine durch die Gesellschafter vollkommen eigenverantwortlich wahrgenommene Verbandssouveränität. Beachtet werden muss jedoch, dass es sich bei den süddeutschen Handelsgesellschaften um sehr exklusive Verbände handelt, die nahezu ausnahmslos auf dem Gebiet des Fernhandels tätig sind und jeweils - was die Kapitalkraft anbetrifft - zu den größten Gesellschaften ihrer Zeit gehören 1 1 . Die Gesellschaftsverträge erlauben also gewisse
3 Zumindest bei einigen Gesellschaften bildet sich mit zunehmendem Alter ein — als gesellschaftsinternes Gewohnheitsrecht geltender — Kernbestand der inneren Ordnung heraus; Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 219. 4 Im jüngeren Schrifttum sind vor allem von Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften, Teil II: Urkunden, etliche Gesellschaftsverträge veröffentlicht worden; vgl. auch die Publikation des Viatis-Peller-Vertrages von 1609/1615 bei Schultheiß, Scripta Mercaturae 2 (1968), 1, 12 ff. 5 Vgl. nur Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 27, 480, der allerdings auch erhebliche Unterschiede beim Aufbau und in der sachlichen Gewichtung hervorhebt, a.a.O., S. 195. 6 Hierzu Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 180 f., 196 ff. I M.Emmerich, Beschlusskontrolle, S. 44 ff.; Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 4 6 9 ff.; Schultheiß, Scripta Mercaturae 2 (1968), 1, 7. 8 Den unmittelbaren Anlass für das Nürnberger Appellations- und Gesellschaftsrechtsprivileg von 1464 und die Aufnahme gesellschaftsrechtlicher Regelungen in die Nürnberger Stadtrechtsreformation von 1479 bildeten offenbar die Streitigkeiten um die Arzt-Paumgartner-Gesellschaft; hierzu Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 141 ff. 9 Die Nürnberger Reformation von 1479 ist nachgedruckt bei Kunkel/Thieme/Beyerle, Quellen I, S. 1. Die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften enthält der 30. Titel, a.a.O., S. 73 ff. Z u m Gesellschaftsrecht der Frankfurter Reformation von 1578 siehe Coing, Frankfurter Reformation, S. 60 ff. Einen Uberblick über gesellschaftsrechtliche Vorschriften in anderen Gesetzeswerken dieser Epoche geben Lammel, Gesetzgebung, S. 601 ff., 664 ff.; Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 134 ff.; vgl. auch M.Emmerich, Beschlusskontrolle, S. 27 f. 1 0 Vgl. auch EG.A.Schmidt, Stadtrechtsquellen, S. 35: „Gesetzgeberisch geregelt wurden daher nur Fragen, die häufig vor Gericht praktisch wurden. Fragen des Gesellschaftsrechts waren aber nicht oft Gegenstand von Prozessen." I I Vgl. mit Schultheiß, Scripta Mercaturae 2 (1968), 1, zur Viatis-Peller-Gesellschaft.
A. Am Beginn der geselbchaftsrechtlichen Neuzeit
37
Rückschlüsse darauf, welcher binnenorganisatorischen Regelungsmodelle man sich damals bediente — dies ist deshalb von einiger Bedeutung, weil in Deutschland kaum Nachrichten über das Wirken der gewiss viel zahlreicheren kleinen Gesellschaften erhalten geblieben sind 1 2 . Generell darf der damalige Entwicklungsstand der gesellschaftsrechtlichen Praxis an ihnen jedoch nicht festgemacht werden , wie auch insgesamt die von diesen Gesellschaften ausgehenden Impulse auf die Entwicklung des Gesellschaftsrechts wohl eher gering geblieben sind.
2. Ungleiche Rechtsstellungen
der einzelnen
Gesellschafter
Das Regelungsniveau der inneren Organisation offenbart, dass sich diese Gesellschaften auf dem Wege von der Familien- zur (reinen) Vertragsgesellschaft befinden: Zwar ist der Familiengesichtspunkt noch von einiger Bedeutung, insbesondere bei der Auswahl der Hauptgesellschafter; die Gesellschaft entsteht jedoch nicht mehr durch Erbfall, sondern durch den Abschluss einer — zunehmend detaillierteren - vertraglichen Vereinbarung 14 . Schon das Nürnberger Privileg von 1464 1 5 macht mit seiner Differenzierung zwischen mitarbeitenden und nicht mitarbeitenden sowie zwischen beschränkt und unbeschränkt haftenden Personen deutlich, dass die einzelnen Gesellschafter unterschiedliche Rechtsstellungen inne haben konnten. Vor allem in der jüngeren Literatur wird deshalb zwischen Hauptgesellschaftern und sonstigen Beteiligten unterschieden; nur die Hauptgesellschafter seien Partner des Gesellschaftsvertrages, lediglich für sie gelte der Vertrag; kennzeichnend soll insoweit vor allem die Übernahme einer gesellschaftsvertraglichen Arbeitspflicht sein . Generell ist eine solche Differenzierung zweifellos hilfreich; im Einzelfall jedoch lässt sie sich mitunter nur schwer durchführen, dies belegt ein Blick auf den Gesellschaftsvertrag der Viatis-Peller-Gesellschaft vom 9.2.1609: Nach dem vorangestellten Eingangsteil und den ersten 17 Artikeln des eigentlichen Vertragstextes scheint offensichtlich zu sein, dass die Gesellschaft lediglich
zwei Hauptgesellschafter hat - Bartholome Viatis der Altere und Martin Peller. Im 18. Artikel wird dann die Rechtsstellung von Bartholome Viatis des Jüngeren geregelt. Dieser war schon vor 1609 am Kapitalanteil seines Vaters unterbeteiligt gewesen 17 . Fortan soll er daneben noch eine unmittelbare Beteiligung am Kapital der Gesellschaft besit-
12 Anhand von südeuropäischen, insb. italienischen Quellen wird die historische Entwicklung kleinerer Gesellschaften untersucht von Max Weber, Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, 1889; allerdings steht dabei die Entstehung der solidarischen Haftung der Gesellschafter sowie eines verselbständigten Gesellschaftsvermögens im Mittelpunkt. Nur sehr knapp werden Fragen der inneren Organisation, wie die nach den Befugnissen des geschäftsführenden Gesellschafters, gestreift; vgl. a.a.O., S. 101 ff.. 13 Dies geschieht jedoch nicht selten, vgl. nur Cl.Bauer, Unternehmung, insb. S. 111 ff. Das dort als allgemein beschriebene Niveau der Gesellschaftsrechtspraxis des 16. Jahrhunderts war — zumindest in Deutschland — in mancherlei Hinsicht noch nicht einmal am Anfang des 19. Jahrhunderts erreicht. 14 Vgl. Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 56f., 177f.; auch Cl.Bauer, Unternehmung, S. 66 f. 15 Das Privileg ist nachgedruckt bei: Cl.Bauer, Unternehmung, S. 127 ff. 16 Vgl. Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, insb. S. 243 f., 276.
38
$ 2 Zum Ausgangspunkt
zen, „damit er, der junge Viatis, seinem Versprechen nach desto eiferiger Ursach hab was in der Handlung für anderen zu verrichten ...". Er war also gewiss auch zu Arbeitsleistungen verpflichtet. Zudem durfte Viatis der Jüngere den Gesellschaftsvertrag unterschreiben und siegeln. Seine Rechtsstellung entsprach deshalb insgesamt wohl weniger der eines stillen Gesellschafters18 als vielmehr der eines minderberechtigten (Haupt-) Gesellschafters. Einer solchen Zuordnung liegen jedoch die — um eine genaue begriffliche Scheidung bemühten - Institute der modernen Gesellschaftsrechtsdogmatik zu Grunde, während bei spätmittelalterlichen Handelsgesellschaften ganz offenbar vielfältige Abstufungen der einzelnen Gesellschafter-Rechtsstellungen üblich waren; diese erlaubten es u.a., die jüngeren Familienmitglieder langsam in die Stellung eines vollberechtigten Hauptgesellschafters hineinwachsen zu lassen. Das Beispiel belegt mithin: In der damaligen Gesellschaftsrechtspraxis existieren weitgehend gleichberechtigte Rechtsstellungen - wenn überhaupt — nur innerhalb eines kleinen Kreises von Hauptgesellschaftern; diese werden um- und überlagert durch diverse Uber- und Unterordnungsverhältnisse. Letztere finden allerdings kaum Niederschlag in gesellschaftsvertraglichen Regelungen19: Da Unter- und Überordnung zumeist schon im Familienverband wurzeln, können sie bei der vertraglichen Regelung vorausgesetzt werden - nicht ausgeschlossen ist zudem, dass man ihre ausdrückliche Fixierung dem Familienmitglied zu „ersparen" sucht. Es gibt aber auch verschiedene Gesellschaftsverträge, die durch die bevorrechtigte Rechtsstellung einzelner - verbunden mit einer deutlichen Herabsetzung aller übrigen - Gesellschafter gekennzeichnet sind. Sie verankern mithin eine sogenannte „Regiererverfassung"20. Erkennbaren Einfluss auf organisatorische Ausgestaltung, sowohl was die Regelungstiefe als auch was das Organisationsmodell anbetrifft, hat die Anzahl der Gesellschafter: Bei größerer Gesellschafterzahl wird die Willensbildung zunehmend detaillierter geregelt, finden sich häufiger abgestufte Rechtsstellungen21.
3. Zuordnung
von
Kompetenzen
Die spätmittelalterlichen Gesellschaftsverträge kennen weder den Begriff der Geschäftsführung, noch die Unterscheidung von Geschäftsführung und Vertretung; dennoch sind sie in der Sache durchaus um die Regelung der Geschäftsführungsbefugnis bemüht 22 . Generell darf jeder Hauptgesellschafter allein handelnd die Gesellschaft ver17 Auch aus Sicht der modernen gesellschaftsrechtlichen Dogmatik ist es korrekt, wenn mit Blick auf die Unterbeteiligung im Gesellschaftsvertrag betont wird: „damit hat die Handlung nichts zu thuen". 18 So Schultheiß, Scripta Mercaturae 2 (1968), 1 , 7 .
Vgl. Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 350. Vgl. zur Einführung der Regierer-Verfassung bei der Fugger-Gesellschaft nur Rehme, ZRG Germ. Abt. 47 (1927), 487, 524ff. Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 347, meint insgesamt drei Typen der Willensbildungs-Organisation ausmachen zu können: Gleichberechtigte Leitung durch alle Gesellschafter; Leitung durch einen Regierer; Beauftragung eines Teiles der Gesellschafter mit der Geschäftsführung. 21 Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 244. 2 2 Hierzu Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 322 f. 19
20
A. Am Beginn der geselbchaftsrechtlichen Neuzeit
39
pflichten 2 3 ; einige Angelegenheiten - vor allem die Vergabe von Darlehen und Eingehung von Bürgschaften — werden aber häufig ausdrücklich von der normalen G e schäftsführung ausgenommen und einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterstellt 2 4 . Nicht mehr zur Geschäftsführung gehörende Grundlagen-Entscheidungen
bleiben
prinzipiell der (Haupt-)Gesellschaftergesamtheit vorbehalten. D a jedoch die süddeutschen Handelsgesellschaften den Fernhandel betreiben und sich ein Teil der Gesellschafter nahezu ständig auf Reisen befindet, ist es oft nicht möglich, vor wichtigen Entscheidungen — sei es am Sitz der Gesellschaft oder in einer Niederlassung im Ausland die Meinung aller übrigen Gesellschafter einzuholen. Schon dies verhindert letztlich wohl die Herausbildung einer Gesellschafterversammlung als ordentliches Organ der Gesellschaft 2 5 . Immerhin sind die Gesellschafter verpflichtet, sich zu der alle zwei oder drei Jahre stattfindenden Hauptrechnung einzufinden, auf der dann auch wichtige unternehmerische Beschlüsse gefasst werden
. D i e Z u s t i m m u n g aller Hauptgesellschaf-
ter ist erforderlich für Änderungen des Gesellschaftsvertrages und (einmalige) Abweichungen von demselben, für die Erhöhung (auch nur einzelner) Kapitalanteile und außerordentliche Entnahmen, für die vorzeitige Auflösung der Gesellschaft sowie die Aufnahme neuer (Haupt-)Gesellschafter 2 7 . Gerade die Verträge von Gesellschaften mit f ü n f und mehr Mitgliedern erklären für die Entscheidung weiterer Angelegenheiten ausdrücklich Mehrheitsbeschlüsse für zulässig 28 .
23 Vgl. HG.A.Schmidt, Stadtrechtsquellen, S. 51 f., 69 ff. Vgl. auch die Nürnberger Reformation von 1479 (Titel 30, Fünftes Gesetz) sowie Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 756 f., zur Frankfurter Reformation. In jüngeren Gesellschaftsverträgen finden sich mitunter ausdrückliche Regelungen; vgl. Artikel 5 des Viatis-Peller-Vertrages von 1609: „... einer dem anderen als Handelsgesellschafter Gwalt und Procura geben ...".
Vgl. auch Rehme, ZRG Germ. Abt. 47 (1927), 487, 526 f. So Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 363, a.A. CLBauer, Unternehmung, S. 72 ff, der allerdings offensichtlich die Verträge der speziellen Saigerhandeisgesellschaften im Blick hat. Einen Uberblick über diese Gesellschaften gibt Schmied, Kapitalbeschaffungsformen, S. 45 ff.; Strieder, Studien, S. 103 f. Gegen die Thesen Bauers ebenfalls M.Emmerich, Beschlusskontrolle, S. 43 f. 24
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Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 388 ff., 396. Siehe hierzu auch M.Emmerich, Beschlusskontrolle, S. 32 fF. 27 Vgl. nur Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 2 3 3 , 3 6 8 , 3 7 9 ff., 4 1 3 , 4 3 8 . 28 Vgl. nur den Meuting-Grander-Vertrag von 1436, nachgedruckt bei Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften II, S. Iff.: Beschluss der Rechnung (Zeile 51), Durchführung einer außerordentlichen Rechnung (Z. 62f.), Entscheidung von Streitigkeiten unter den Gesellschaftern (Z. 110 f.); sowie den Tychel-Ebner-Vertrag von 1531, nachgedruckt a.a.O., S. 72 ff.: wenn sich Schaden „einfindet" (Z. 35 ff.); wenn der jährliche Ertrag weniger als 4 % des eingelegten Kapitals beträgt (Z. 75 ff.). Der Imhof-Vertrag von 1527, nachgedruckt a.a.O., S. 60 ff., scheint Mehrheitsbeschlüsse sogar generell für zulässig zu halten (vgl. Z. 31), ausdrücklich erwähnt wird noch: Öffnung des Gesellschaftsbuches außerhalb der Rechnung (Z. 21ff.), Entscheidung, welcher Gesellschafter auf Reise zu gehen hat (Z. 113 f.), Anrechnung ungebührlicher Ausgaben für „zerung oder ander unkost" auf den Gewinnanteil des betreffenden Gesellschafters (Z. 189 ff).
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§2 Zum
II. Große
Ausgangspunkt
Handelscompagnien
1. Frühform der Aktiengesellschaft Obwohl bereits im 15. und 16. Jahrhundert Metallhandelsgesellschaften mit zahlreichen Mitgliedern entstehen, die als Vorläufer der modernen Aktiengesellschaften angesehen werden können 2 9 , wird die Genesis dieser Gesellschaftsform zumeist auf die großen Handelscompagnien des 17. und 18. Jahrhunderts zurückgeführt: Dies ist schon die Sicht des ersten deutschen Aktienrechtslehrbuchs 30 ; dem folgt man auch heute noch 3 1 . M i t Abstand am berühmtesten sind die 1602 erstandene Niederländisch-Ostindische Compagnie 3 2 und die Englisch-Ostindische Compagnie, welche sogar noch zwei Jahre älter ist. Allerdings bildet die englische Compagnie zunächst nur einzelne Gelegenheitsgesellschaften für Schiffsreisen nach Indien; erst einige Jahre später wird ihre Organisation dem niederländischen Vorbild entsprechend umgestaltet 33 . Da beide Compagnien - anders als die spätmittelalterlichen Handelsgesellschaften - nicht im Verborgenen wirken, kommt es zu vielen Folgegründungen 3 4 ; ihr rasch Legende werdender wirtschaftlicher Erfolg 35 jagt wahre Spekulationswellen durch Europa . Auch in den deutschen Staaten beschäftigt man sich mit der Gründung derartiger Gesellschaften. Niederländische, britische und französische Kaufleute und Abenteurer tragen immer wieder - mehr oder minder phantastische — Projekte an deutsche Fürsten, vor allem an die brandenburgischen Kurfürsten bzw. preußischen Könige, heran. Der größte Teil dieser Projekte scheitert rasch, manche leben längere Zeit fort, ohne irgendwann realisiert zu werden; nur einige wenige Compagnien entstehen tatsächlich 37 : 29 Zu derartigen Gesellschaften, wie der Allgemeinen Eisen-Handelskompagnie zu Sreyr von 1581, siehe nur Strieder, Studien, S. 125 ff. 30 Pohls, Das Recht der Aktiengesellschaften, 1842, S. 5 ff.; vgl. aus der älteren aktienrechtlichen Literatur auch Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, S. XXff.; Renaud, Aktiengesellschaften, S. 25 ff. 31 Vgl. Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 169; Kühler, Gesellschaftsrecht, § 2 1, G.Hueck, Gesellschaftsrecht, § 20 II, K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26 II 1; Wiethölter, Interessen, S. 61. Mitunter wird sogar die Auffassung vertreten, die Compagnien hätten schon alle Merkmale der modernen AG besessen, so insb. Ring, Handlungscompagnien, S. III, 23, 58, 233. Zwar ist nicht zu leugnen, dass sich in den Statuten einiger Compagnien des späten 18. Jahrhunderts schon Klauseln finden, die auch in den AG-Satzungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftauchen; ein solcher Vergleich löst jedoch Einzelbestimmungen aus einem insgesamt noch sehr verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Umfeld heraus. 32 Zu dieser siehe nur Wiethölter, Interessen, S. 59 f. 33 Hierzu Gmür, FS H.Westermann, S., 167, 170; Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, S. XIXf. 34 Überblicke über die bekanntesten Gründungen geben Fick, ZHR 5 (1862) 1, 44 ff.; Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 169, 179; Lehmann, Aktiengesellschaften I, S. 59f.; Wiethölter, Interessen, S. 56f. 35 Die Niederländisch-Ostindische Compagnien zahlte 40 Jahre lang im Durchschnitt 22 % Dividende, im Jahr 1610, also nur acht Jahre nach ihrer Gründung, sogar 75 %; Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, S. XIX; Wiethölter, Interessen, S. 57. 36 Farbige Schilderungen der Spekulationswut finden sich in der älteren Literatur, vgl. vor allem Wirth, Handelskrisen, S. 14 ff., 33 ff.; auch Renaud, Aktiengesellschaften, S. 26ff.; Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, S. XX. 37 Zu diversen nicht zustande gekommenen Unternehmungen siehe Ring, Handlungscompagnien, S. 39ff., 198ff.; Schück, Kolonial-Politik I, S. 8ff„ 48ff., 191. Vgl. auch den Überblick zu den in Deutschland errichteten Compagnien bei Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 171 ff.
A. Am Beginn der gesellschaftsrechtlichen
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Den großen ausländischen Vorbildern am nächsten kommt noch die BrandenburgischAfrikanische Compagnie (1682 bis gegen 1710) 3 8 und die Asiatische Handlungscompagnie (1751 — 1757) 3 9 . Zwar sind die unmittelbar praktischen Auswirkungen der deutschen Handelscompagnien nur sehr gering. Uber das „Compagniewesen" strahlt jedoch die weiterentwickelte gesellschaftsrechtliche Praxis der Niederlande, Frankreichs und Englands in das deutsche Rechtsleben hinein 4 0 ; man partizipiert - auch ohne nennenswerte eigene Praxis und ohne vertiefte rechtwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik — an einer Entwicklung, die u. a. darum bemüht ist, Missbräuche der Compagnie-Leitungen durch eine verbesserte innere Organisation zu verhindern .
2. Oktroi und Reglement Die Rechtsstellung der großen Handelscompagnien wird fast immer - wenn auch jeweils in einem durchaus unterschiedlichen Umfange - durch einen speziellen Oktroi geregelt. Ein solcher Oktroi ist zwar keine unabdingbare Voraussetzung für die Errichtung und den Fortbestand einer Compagnie, auf die schon aus strengen rechtsdogmatischen Gründen nicht verzichtet werden kann 4 3 . Nachweisen lässt sich, dass einige Compagnien auch ohne Oktroi entstanden sind 4 4 . Regelmäßig erstreben die Compagnie-Gründer aber einen Oktroi; denn mit diesem werden ihnen jeweils diverse Privilegien gewährt: sehr häufig Abgaben- und Zollbefreiungen; das Recht, eigenes Militärpersonal anwerben und ausrüsten zu dürfen; die Zusage, Compagnie-Angestellten nicht für die preußische Armee zu rekrutieren; die Befugnis der Direktoren und Hauptpartizipanten, Streitigkeiten in den Angelegenheiten der Compagnie und mit deren Personal unter Ausschluss der Gerichte selbst entscheiden zu können; mitunter sollen die Compagnien in Afrika und Asien mit den Eingeborenen im Namen des Kurfürsten Verträge schließen dürfen; schließlich wird der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie für das aus den Kolonien mitgebrachte Gold und Silber sogar das Münz38 Die letzten Besitzungen dieser Gesellschaft wurden 1718 an die Niederländisch-Westindische Compagnie verkauft; de facto hatte sie ihre Tätigkeit aber schon Jahre zuvor eingestellt; siehe hierzu Schück, Kolonial-Politikl, S. 134 ff. 39 Ausführlich zu dieser Compagnie, die in den Wirren des Siebenjährigen Krieges unterging, vor allem Ring, Handlungscompagnien, S. 72 ff. 40 Als Kurfürst Friedrich Wilhelm 1647 den ersten Oktroi-Entwurf in Auftrag gab, bestimmte er ausdrücklich, dieser solle sich am Muster der Niederländischen Compagnie orientieren, vgl. Schück, Kolonial-Politik I, S. 19. Später wurden von der staatlichen Verwaltung selbst bei abgelehnten Projekten die eingereichten Oktroi- und Satzungsentwürfe sorgfältig aufbewahrt, vgl. nur Ring, Handlungscompagnien, S. 16. 41 Einen Überblick über die Behandlung der Handelscompagnien im deutschen rechtswissenschaftlichen Schrifttum des 17. Jahrhunderts gibt Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 180. 42 Zu diesen Bestrebungen siehe R.Fischer, Aktiengesellschaft, S. 19 ff.; van Klaveren, VSWG 45 (1958), 433, 459ff.; Wiethölter, Interessen, S. 62f. 43 Vgl. Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 182 f. 44 Siehe nur Ring, Handlungscompagnien, S. 219 ff. zu einer in den Jahren ab 1781 in Emden wirkenden Asiatischen Handelscompagnie.
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§ 2 Zum
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regal übertragen 45 . Zentrale Bedeutung hat jedoch das Exklusivprivileg: Ausschließlich der jeweiligen Compagnie soll der Handel mit den im Oktroi bezeichneten Gebieten zustehen; allen anderen brandenburgischen Untertanen (und Fremden) wird für Zuwiderhandlungen die Konfiskation von Schiff und Gut angedroht; der Landesherr sagt für die Durchsetzung dieses Privilegs seine Hilfe zu 4 6 . Gerade die Exklusivität der in ihm gewährten Privilegien macht erst den Oktroi attraktiv und bewirkt, dass sein — oft nicht sonderlich bemittelter - Empfänger überhaupt auf die Akzeptanz möglicher Geldgeber hoffen darf 4 7 . Der „Preis", den die Gesellschafter für die Gewährung weitreichender Privilegien zu entrichten haben, besteht in sehr weitgehenden Eingriffen in das Verbandsleben. So existiert zumindest in der frühen Zeit keinerlei statutarische Gestaltungsfreiheit der Compagnie-Mitglieder, denn die Oktrois enthalten neben den Privilegien Vorschriften, welche dazu bestimmt sind, die inneren Verhältnisse der Compagnien zu regeln 48 ; der Oktroi übernimmt mithin auch die Funktion der Satzung. Selbst als man später beginnt, statutarische Regelungen außerhalb des eigentlichen Oktroi zu treffen, wird das M a ß staatlicher Einflussnahme kaum geringer, zumal diese Entwicklung in BrandenburgPreußen nicht geradlinig verläuft: Bei der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie gibt es zwar schon 1682/83 Oktroi und Reglement, doch ist auch das Reglement der Gesellschaft von Vertretern des Kurfürsten entworfen und der Compagnie dann „aufoktroyiert" worden 4 9 . Mehr Gewicht gewinnt die Unterscheidung, als Kurfürst Friedrich III. 1692 mit dem sogenannten „Transportkontrakt" (vgl. unter II.3) die Verhältnisse der Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie neu ordnet, denn nun wird explizit bestimmt, die Gesellschaft solle sich selbst ein Reglement geben 5 0 . Doch obwohl die Beteiligten rasch ein provisorisches Reglement entwerfen, enthält ein „Neuer Oktroi" vom 14.9.1692 5 1 erneut diverse Bestimmungen zur Verfassung der Compagnie 5 2 . 45 Zur Vergabe von Privilegien an Handelscompagnien vgl. Schück, Kolonial-Politik I, S. 356 ff.; sowie Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 13; Gmür, FS H. Westermann, S. 167, 184 f. 46 Im Oktroi vom 10.8.1651 für die Brandenburgisch-Ostindische Compagnie (BOIC), nachgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 23 ff., wird das Ausschließlichkeitsprivileg sogar gleich im 1. Artikel geregelt; vgl. auch Artikel 15 des Oktroi vom 8.11.1682 für die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie (BAC), nachgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 169 ff. Allgemein zu den Exklusivprivilegien Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 193 ff. 47 Nicht nachvollziehbar deshalb die Aussage von Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 119, das Oktroisystem habe eine auf den Schutz des Kleinaktionärs und den Erhalt des Wettbewerbs abzielende Doppelfunktion gehabt. 48 Vgl. nur die Art. 11, 15, 18, 21 ff. des BOIC-Oktroi vom 10.8.1651; sowie die Art. 6, 9ff. des Oktroi von Januar 1690 für eine (nicht zustande gekommene) Brandenburgisch-Amerikanische Compagnie, nachgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 349 ff. 49 Das Reglement vom 18.4.1683 ist nachgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 169 ff. 50 „Reglement unter sich mögen die neuen Interessenten nach Gefallen formiren, extendiren oder verändern", so Art. 14 des „Transport-Kontrakt" vom 27.2.1692, abgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 385 ff. 51 Nachgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 416 ff. 52 Vgl. Schück, Kolonial-Politik I, S. 238, wo jedoch keine Gründe für dies Vorgehen angegeben werden. Art. 12 des Oktroi deutet an, dass die in diesem enthaltenen statutarischen Vorschriften von den Partizipanten entworfen worden waren: „Weil aber die Interessenten verlanget, daß gewisse Puncta des Regle-
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Jedenfalls wird fortan den Compagnien regelmäßig im Oktroi aufgegeben, ihre Statuten zu entwerfen und zur Genehmigung vorzulegen 53 . Damit tritt scheinbar an die Stelle eines Systems, das den Gesellschaftern keinerlei Einfluss auf die Ausgestaltung der Verbandsverfassung einräumt, eine Ordnung, die den Mitgliedern der Compagnie ein gewisses M a ß an eigenverantwortlich wahrzunehmender statutarischer Gestaltungsfreiheit gewährt und sich weitgehend darauf beschränkt, für nicht hinnehmbar gehaltene Regelungen mittels eines punktuellen Eingriffs der staatlichen Behörde zu korrigieren. Doch die äußere Entwicklung täuscht: Im Juli 1751 erlässt der preußische König Friedrich II. einen Oktroi für die Asiatische Handlungscompagnie 5 4 . Die Art. 5 und 6 des Oktroi legen die innere Organisation der Gesellschaft eindeutig in die Hände ihrer Mitglieder 5 5 . Nur wenige Wochen später glaubt man jedoch, hiermit zu weit gegangen zu sein, und schreibt daher in einer besonderen - nur an die Direktoren der Compagnie gerichteten - Deklaration diesen vor, wie die Verfassung der Gesellschaft auszusehen habe 5 6 . Ebenso geht man später bei der Bengalischen Handlungs-Compagnie vor, so dass auch deren Rechtsstellung schließlich durch drei Regelungen bestimmt wird: von einem publizierten Oktroi, einem Reglement und einer geheimen königlichen Instruktion an die Direktoren der Gesellschaft, welche tief in die inneren Verhältnisse der Compagnie eingreift 57 . Die geheime königliche Instruktion an die Asiatische Handlungscompagnie enthält verschiedene Vorschriften, die Teil einer allgemeinen aktienrechtlichen Regelung hätten sein können 5 8 ; insoweit scheint ihr Inhalt, wenn auch nicht dessen Geheimhaltung vor den meisten Gesellschaftern, durchaus gerechtfertigt. Andere Vorschriften machen jedoch deutlich, dass Friedrich II. - anders als in den Art. 5 und 6 des Oktroi feierlich bekundet — nicht generell bereit ist, die Ordnung der inneren Verhältnisse der Compa-
ments, welche zwar eigentlich zum Octroy nicht gehören, dennoch mehreren Nachdrucks, Observanz und Autorität wegen dieser Unserer Concession inseriret werden mögten, ...". Im November 1694 einigt sich dann die Generalversammlung der Compagnie auf „Nieuw Reglement van de Brandenborgsche Africaensche Compagnie", nachgedruckt bei Schück, Kolonial-Politik II, S. 444 ff. 53 Vgl. auch Ring, Handlungscompagnien, S. 56. 54 Dieser ist abgedruckt bei Ring, Handlungscompagnien, S. 262 ff. 55 Art. 5 lautet: „Ueberlassen Wir lediglich bemeldter Compagnie die Einrichtung ihrer innerlichen Verfassung und die Direction ihres Commercii, auch Verwaltung ihrer Sachen zu Wasser und zu Lande; dergestalt, dass die Compagnie Niemanden anders als denen Interessenten derselben, in einer allgemeinen Versammlung von ihrem Thun und Lassen Rechenschaft zu geben verpflichtet seyn soll." 56 Die Deklaration ist abgedruckt bei Ring, Handlungscompagnien, S. 270 ff. Einleitend wird betont, zwar habe der König der Compagnie gnädig bewilligt, ihre innere Einrichtung „wie sie es zu Ihrem eigenen Wohl und Auffnahme am Zuträglichsten erachten möchte" zu veranstalten. Bei genauer Erwägung der Umstände habe er aber wahrgenommen, „dass es allerdings gut und heilsam seyn dürffte, denen dieserhalb von der Compagnie zu verfügenden Reglements unter andern auch folgende wichtige Puncta mit zu inseriren und festzusetzen". Zu den einzelnen Hintergründen dieses Vorgehens siehe a.a.O., S. 83. 57 Vgl. Ring, Handlungscompagnien, S. 157 f. 58 Vgl. nur: Den Direktoren ist es untersagt, ohne vorherige Zustimmung der Generalversammlung Darlehen aufzunehmen oder zu vergeben (Art. 8). Die Verteilung des Gewinns erfolgt gemäß der jeweiligen Höhe des Aktienbesitzes der Beteiligten; Verbot eines „Voraus" an die Hauptpartizipanten (Art. 11). Jährlich ist eine Bilanz zu errichten (Art. 12).
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gnien deren Mitgliedern zu überlassen 59 . Es fällt deshalb schwer, generell eine allmähliche Zurückdrängung des „starken monarchischen Einflusses" auf die Leitung der Compagnien auszumachen 60 . Zwar können die Gesellschafter auch unter dem Oktroisystem bei der Ausgestaltung der inneren Verhältnisse ihres Verbandes zunehmend ein gewisses M i n i m u m an Gestaltungsfreiheit wahrnehmen; nicht in jedem Falle wird die gesamte innere Ordnung oktroyiert . Das M a ß der obrigkeitlichen Einflussnahme auf die einzelne Gesellschaft hängt aber offenbar lediglich vom Interesse des jeweiligen Monarchen an dieser ab 6 2 , sowie von dessen „anderweitigen Beschäftigung" 63 . Wenn mithin die süddeutschen Handelsgesellschaften für eine von den Gesellschaftern vollkommen eigenverantwortlich wahrgenommen Verbandssouveränität stehen (vgl. unter A I . l ) , so markieren die preußischen Handelscompagnien unter diesem Gesichtspunkt den entgegengesetzten Extrempunkt auf der Skala denkbarer Gestaltungsalternativen.
3. Innere
Organisation
Die innere Organisation der verschiedenen Compagnien unterscheidet sich erheblich voneinander, was gewiss schon darauf zurückzuführen ist, dass insoweit allgemeine gesetzliche Vorgaben völlig fehlen. Die Vielfalt der Organisationsformen ist aber dennoch kein Ausdruck statutarischer Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter; „souverän" war lediglich die staatliche Behörde, die den Gesellschaftern die innere Verbandsverfassung im weitem Maße aufoktroyierte. Im Folgenden sollen einige - recht weit verbreitete - Grundzüge der Compagnie-Verfassung am Beispiel der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie dargestellt werden . Diese Gesellschaft kommt nicht nur den ausländischen Vorbildern vergleichsweise nahe; ihre innere Organisation durchläuft auch verschiedene Entwicklungsphasen . Zunächst sind an der 1682 errichteten Compagnie nicht nur der brandenburgische Kurfürst und einige seiner Höflinge, sondern auch ostfriesische Kaufleute beteiligt; nach der Auszahlung der letzteren im Jahr 1686 gerät die Gesellschaft jedoch völlig unter den Einfluss von Kurfürst Friedrich Wilhelm, der ohnehin mehr als die Hälfte der Aktien besitzt. Schon 1692 muss dessen 59 Art. 1 schreibt vor, dass jeder Direktor Eigentümer von mindestens 20 Aktien zu sein habe; gemäß Art. 3 soll sich z. B. die Compagnie für den Handel nach China nur eigener Schiffe bedienen dürfen. 60 So aber Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 186 f. 61 Deshalb erfasst die Definition von Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 168, „eine vom Souverän förmlich erklärte Gewährung einer Sonderstellung vom gemeinen Recht", das Wesen des Oktroisystems für die späte Periode wohl besser als die von Lammel, Gesetzgebung, S. 669, Oktroisystem bedeute, dass jede Gesellschaft ihr eigenes Gesetz erhalte, das ihre Verwaltung regle. 62 Ähnlich die Wertung von Ring, Handlungscompagnien, S. 233: Die Unabhängigkeit der Compagnie wird gewahrt, solange dies angängig erscheint. 63 Nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges überließ Friedrich II die Asiatische Handlungscompagnie, die sich durchaus erfolgreich entwickelt hatte, ihrem Schicksal, vgl. Ring, Handlungscompagnien, S. 130 ff. 64 Einen zusammenfassenden Überblick über die organisationsrechtlichen Vorschriften verschiedener Privilegienbriefe gibt Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 24 fif. 65 Zur Geschichte dieser Compagnie vgl. Schück, Kolonial-Politik I, S. 134 ff.; sowie Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 172 ff.
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Nachfolger Friedrich III. tätig werden, um den drohenden Bankrott des Unternehmens abzuwenden. Unter der Beteiligung niederländischer Kaufleute wird eine neue (nun mitunter Brandenburgisch-Afrikanisch-Amerikanisch genannte) Compagnie gegründet und auf diese sämtliche Aktiva und Passiva mittels Oktroi („Transportkontrakt") übertragen ; die Gesellschafter sollen sich nun selbst ein Reglement geben (vgl. unter II.2). Die vom Transportkontrakt und den nachfolgenden Regelungen veranlassten Änderungen der inneren Organisation der Gesellschaft sind mithin Ausfluss einer (zumindest tendenziell) erweiterten Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter . Die Aktionäre der Compagnie lassen sich in mehrere Klassen einteilen : Die (einfachen) Partizipanten haben bis 1692 nur das Recht auf Gewinnbezug; von da an sollen sie alljährlich zu einer Versammlung geladen werden, in welcher - nach der Rechnungslegung des Vorstandes — durch einen Mehrheitsbeschluss über die Verteilung der Gewinne entschieden werden soll. Tatsächlich findet eine solche Versammlung aber wohl nie statt 69 . Als Hauptpartizipant wird angesehen, wer Aktien im Wert von mindestens 1.000 Talern besitzt; an ein solches Aktienpaket wird vor 1692 das Stimmrecht in der Generalversammlung geknüpft 7 0 . Die Hauptpartizipanten wählen einen Teil der — Bewindhaber genannten - Direktoren und die wichtigsten Angestellten der Compagnie, erhalten jährlich eine Bilanz zugeschickt und dürfen über die Ausrüstung der Schiffe und die Abfassung der Compagnie-Reglements mitbestimmen. Hauptpartizipanten mit besonders großem Aktienbesitz („privilegierte Hauptpartizipanten") sind entweder automatisch Bewindhaber oder besitzen zumindest das (Vor-)Recht, einen Direktor ihrer Wahl zu ernennen. 71 Die Generalversammlung besteht zunächst aus sämtlichen Hauptpartizipanten; 1692 wird ihre Zusammensetzung dann speziell geregelt: Ihr gehören nun nur noch neun Partizipanten-Vertreter an 7 2 . Im Gegenzug versucht man die Stellung der „Versammlung von Neun" aufzuwerten. Ihre Mitglieder überprüfen eingehend die Geschäftsführung, beraten Änderungen des Reglements und gewichtigere unternehmeri-
Ausführlich Schück, Kolonial-Politik I, S. 236 ff. Offen ist allerdings, wie souverän die Mitglieder der Compagnie tatsächlich bei der Ausgestaltung der statutarischen Ordnung ihres Verbandes waren. Während Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 176, von der Umwandlung in eine „ordentliche Compagnie" spricht, welche weitgehend unabhängig von fürstlichem Einfluss gewesen sein soll, merkt Schück, Kolonial-Politik I, S. 354 f. an, zwar habe man die korporative Verfassung der Compagnie nun schärfer durchgebildet, der Einfluss des Staatsoberhauptes sei jedoch nicht wesentlich zurückgegangen. 68 Vgl. hierzu Schück, Kolonial-Politik I, S. 364 f. 69 Schück Kolonial-Politik I, S. 364. 70 Art. 6f. des BAC-Reglements vom 18.4.1683. 71 Nach Art. 16 des BAC-Oktroi vom 14.9.1692 sollen diejenigen, die wenigstens 10.000 Reichstaler in die Compagnie einlegten „zum Praemio sofort Bewindhaber sein", vorausgesetzt sie wohnen in Emden. Schon 1684 hatte man dem Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich für eine Beteiligung von 24.000 Talern das Recht gewährt, einen Direktor seiner Wahl zu ernennen, Schück, Kolonial-Politik I, S. 182 ff. 72 Zum komplizierten Auswahlverfahren für die „Versammlung von Neun" vgl. Schück, Kolonial-Politik I, S. 368. Im Jahr 1700 verzichtet der Kurfürst auf zwei seiner Vertreter in der Versammlung, so dass diese von da an nur noch sieben Mitglieder hat, a.a.O., S. 266f. 66
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sehe Entscheidungen 73 . Anders als heute tagen solche Versammlungen nicht in regelmäßigen Abständen, dafür jedoch über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder gar Monaten 7 4 . Hat die Generalversammlung auch das Recht, die Direktoren zu wählen, so bedarf diese zumeist der kurfürstlichen bzw. königlichen Bestätigung 75 . Gerade bei der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie werden allerdings die Vorschriften über die Zusammensetzung der Direktion mehrfach abgeändert. Generell ist die Stellung der Bewindhaber bei den Handelscompagnien durch Machtfülle und eine sehr weitgehende Unangreifbarkeit gekennzeichnet . Wenn ihnen ihr Amt nicht schon wegen eines großen Aktienbesitzes zusteht, so werden sie aus dem Kreis der Hauptpartizipanten - zumeist auf Lebenszeit - gewählt. Sie sind dann kraft eigenen Rechts zur Leitung der Gesellschaft befugt und handeln nicht als Repräsentanten der Aktionärsgesamtheit 77 ; abgesetzt werden können sie nur unter erschwerten Voraussetzungen. Das Beispiel der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie macht mithin deutlich: Dort, wo den Gesellschaftern ein gewisser Einfluss auf die Gestaltung der statutarischen Ordnung ihres Verbandes eingeräumt wird (bei der BAC ab 1692), lässt sich zwar ansatzweise das Bestreben ausmachen, auch der Gesellschaftergesamtheit einige Befugnisse zuzuordnen. Zu einer wirklichen Rückbindung der Geschäftsführung, die in den Händen der größten Gesellschafter liegt, an den Willen der Gesellschaftergesamtheit kommt es aber nicht. Daher ist die Verwaltung der in Deutschland gegründeten großen Handelscompagnien nicht nur durch ein hohes Maß an staatlicher Einflussnahme 78 , sondern darüber hinaus durch die Herrschaft einer kleinen Gruppe von Hauptgesellschaftern gekennzeichnet. Mitunter lassen sich zwischen diesen beiden Aspekten sogar unmittelbare Berührungspunkte ausmachen: So gibt es beispielsweise fast ständig Streitigkeiten unter verschiedenen Fraktionen der Hauptpartizipanten (und der diesen jeweils zugehörigen Direktoren) um die Vorherrschaft in der einzelnen Compagnie 79 . Dabei erbittet zumindest ein Teil der Beteiligten fast immer um die Un-
73 Art. 11 des BAC-Oktroi vom 14.9.1692 zählt Punkte auf, über die sich die Generalversammlung die Disposition „hauptsächlich reserviret": „1. Das Buchhalten; 2. Feststellung gewisser u n d gleicher Ga ges; 3. Das Anstellen, Absetzen u n d Continuiren der Gouverneurs, Directeuren, Capitainen, Buchhalter etc.; 4. Die Einkaufung der Cargaisonen, wo u n d durch wen dieselbe geschehen soll; 5. Der Punct der SeeAssecurantien; 6. Die Anzahl der equipirenden Schiffe,...". 74 Im Jahr 1694 dauert die BAC-Generalversammlung beispielsweise von August bis Dezember, vgl. Schück, Kolonial-Politik I, S. 2 4 2 ff. Vgl. auch Ring, Handlungs-Compagnien, S. 111 ff. zu einer Generalversammlung der Asiatischen Handlungscompagnie (15. Mai bis 8. Juni 1752), welche u. a. die unternehmerische Entscheidung trifft, die für den Handelsverkehr benötigten Schiffe künftig auf eigener Werft zu bauen. 75 Vgl. nur Art. 2 3 des Oktroi für die Asiatische Handels-Compagnie. Ebenso bei der Bengalischen Handlungscompagnie, vgl. Ring, Handlungscompagnien, S. 159. 76
Dies gilt vor allem für die niederländischen Compagnien. Z u den insoweit bestehenden Unterschieden zwischen niederländischer u n d britischer Praxis siehe van Klaveren, V S W G 4 5 (1958), 433, 441 ff. 77 78
Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 116.
Vgl. nur Ring, Handlungscompagnien, S. 182, zur Ordre König Friedrichs II. an die ostfriesische Regierung, sie möge einen Mehrheitsbeschluß von Gesellschaftern aus Braband verhindern. 79 Vgl. nur Ring, Handlungscompagnien, S. 100 ff; Schück, Kolonial-Politik I 251 ff.
A. Am Beginn dergesellschafisrechtlichen
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terstützung des Landesherren, so dass die Auseinandersetzungen regelmäßig den Staatseinfluss erhöhen 80 .
III. Einfluss der handelswissenschafilichen 1. Person und
lehre von Johann Georg Büsch
Wirken
Das deutsche rechtswissenschaftliche Schrifttum des 18. Jahrhunderts ordnet das Gesellschaftsrecht dem Recht der Handelsverträge zu 81 . Wie das ganze Handelsrecht steht es damit unter dem Einfluss handelswissenschaftlicher Lehren 82 . Eine große Wirkung, gerade auch auf die Juristen, haben die Schriften des Hamburger Ökonomen Johann Georg Büsch&i. Die Einstellung Büschs zu den Handelsgesellschaften und deren Recht scheint im Rahmen der vorliegenden Untersuchung gleich aus zwei Gründen einer näheren Ausleuchtung wert zu sein: Zum einen besuchen einige Juristen, die später — in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts - die Entwicklung des Gesellschaftsrechts wesentlich mitbestimmen, noch vor ihrem Studium die Hamburger Handelsakademie von Büsch-, verwiesen sei nur auf Georg Friedrich von Martens und Georg Arnold Heise. Hier lassen sich also sehr konkrete Berührungspunkte feststellen . Zum anderen wird Büsch gemeinhin eine unmittelbare Mitwirkung am Handels- und (Handels-) Gesellschaftsrecht des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 zugeschrieben 85 . Tatsächlich hat sich Büsch - auf ausdrückliche Aufforderung des preußischen Großkanzlers von Carmer — gemeinsam mit drei Kaufleuten aus Hamburg und Lübeck, von denen zwei Mitglieder von Handelsgesellschaften und der dritte Bevollmächtigter einer Assecuranz-Compagnie waren , eingehend mit dem Entwurf des Landrechts auseinandergesetzt 87 . Bekannt geworden war Büsch zuvor vor allem durch die 1792 in erster Auflage erschienene „Theoretisch-Praktische Darstellung der Hand80 So bitten die Direktoren der Asiatischen Handelscompagnie 1752 u m einen königlichen K o m m i s sar, der ihren Sitzungen beiwohnen möge. Vorausgegangen war eine turbulente Generalversammlung, welche die Autorität der Direktion erschüttert hatte. Hierzu Ring, Handlungscompagnien, S. 114. Diese u n d andere Ereignisse dürften die W e r t u n g einzelner Autoren, so z. B. O.Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 1002, erklären, welche die Handelscompagnien als „Staatsanstalten" ansehen: Privatpersonen seien n u r an d e m G e w i n n , nicht aber an der Verwaltung beteiligt gewesen. 81 Z u r Entwicklung der deutschen Handelsrechtswissenschaft im 18. J a h r h u n d e r t siehe Scherner, W i s senschaft, S. 940ff.; den., Z H R 136 (1972), 4 6 5 f f . Vgl. auch Buchda, Gesamthandlehre, S. 1 0 6 f f ; Gierke, Genossenschaftsrecht IV, S. 555, 5 5 8 f f . zur Behandlung der Gesellschaften im rechtswissenschaftlichen Schrifttum dieser Zeit. 82
Siehe Scherner, Wissenschaft, S. 955 ff.; ders., Z H R 136 (1972), 4 6 5 , 4 7 6 f f . Johann Georg Büsch (1728 — 1800) studiert zunächst in Göttingen Theologie. 1754 wird er Professor f ü r M a t h e m a t i k a m H a m b u r g e r akademischen G y m n a s i u m . Von 1772 bis zu seinem Tode leitet er d a n n die H a m b u r g e r Handelsakademie. Vgl. N e u e Deutsche Biographie, 3. Band, S. 3; Scherner, Wissenschaft, S. 957. Siehe zudem u n t e n unter C II. 83
84 Z u m Einfluss von Büsch auf V.Martens, Heise u n d auch Meno Pohls siehe Montag, S. 12 ff., 20, 61.
Lehrdarstellungen,
85 Vgl. n u r Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 16 („großer Einfluss"), sowie Baums, Gesetz über die Aktiengesellschaften, S. 18 f.; Scherner, Wissenschaft, S. 957.
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lung"; in diesem Werk geht er zum einen auf die „Gesellschafts-Handlung unter Privatpersonen" und zum anderen auf die „öffentlichen Handlungs-Compagnien" ein:
2. „ Gesellschafts-Handlung
unter Privaten "
Das Kapitel zur „Gesellschafts-Handlung" wird mit der Feststellung eingeleitet, es sei zwar nichts gewöhnlicher als eine Vereinigung mehrerer Personen zum gemeinschaftlichen Betreiben von Handelsgeschäften, „aber auch eben so gewöhnlich ist es, dieselben durch Unfälle und Mißhelligkeit getrennt zu sehen." 88 Da die Beispiele langjährig erfolgreicher Handelssocietäten weniger häufig als die gegenteiligen seien, will sich Büsch bei der Behandlung der Thematik mit den Argumenten auseinandersetzen, mit denen zumeist solche Gesellschaften errichtet würden. Erstens werde behauptet, eine Societät empfehle sich, wenn die Art des Handelsgewerbes ständige Reisen einer Person erforderten, zugleich jedoch auch jemand am Sitz der Handlung nötig sei. Hier sei es aber besser, den mit einer Gewinnbeteiligung versehenen Angestellten auf Reisen zu schicken. Habe man bei dessen Wahl gefehlt, so sei die Trennung leichter möglich als von einem Kompagnon, welche „selten ohne Rechtshändel" abgehe. Abgerundet wird diese Aussage mit eigenen Erfahrungen: „Mir sind mehrere Beispiele bekannt, da der verständigere Compagnon reiste und sein Genosse unterdessen zu Hause alles verdarb. Jener fand bei seiner Rückkunft alles zum Bankerott bereit." 89 Zweitens würden der große Umfang und die Schwierigkeit der Geschäfte angeführt. Dieses Argument sei jedoch am allerwenigsten zu akzeptieren: „Es gibt der Menschen gar viele, die ein ihre Kräfte übersteigenden Uebermaas der Geschäfte zu fühlen glauben, das sie nimmer fühlen würden, wenn sie Geist der Ordnung hätten, nebst der Fähigkeit die Beschäftigungen derjenigen, welche ihnen dienen, gehörig zu leiten und in Ordnung zu halten." 90 Drittens würden Handelsgesellschaften häufig von Personen ohne kaufmännische Fähigkeiten eingegangen, welche glaubten, ein ererbtes Geschäft fortsetzen zu müssen. Wer jedoch nicht selbst zur Führung eines Handelsgeschäfts fähig sei, der sei auch unfähig, seinen Kompagnon hinreichend zu kontrollieren91. Viertens schließlich würden Geschäfte, deren Kapitalbedarf den Besitz einzelner Männer übersteige, gewöhnlich viele Privat-Compagnien zustande bringen.
8 6 Deren Namen werden mit Georg Heinrich Sieveking (of fenbar der Amor einer am Ende des 18. Jahrhunderts sehr bekannten Abhandlung über das Wechselrecht), Ulrich Moller und Jürgen Heinrich Gädertz angegeben, vgl. Büsch, Darstellung II, 354. 87 Büsch, Darstellung II, S. 353 ff., berichtet hiervon selbst; seine Mitwirkung wird bestätigt von Suarez, Amtliche Vorträge, S. 155. Vgl. dazu unten unter B 1.2. 88 Bäsch, Darstellung I, S. 239. 89 Büsch, Darstellung I, S. 241. 90 Büsch, Darstellung I, S. 242. 91 Auch hier werden als Beleg (bzw. zur Abschreckung) wieder eigene Erfahrungen angeführt: Könnte „wenigstens dressig Exempel von grossen Handlungshäusern dieser Stadt aufzählen ..., die dadurch zu Grunde gegangen sind, daß die Witwen oder die unfähigen Söhne ... glaubten, sie müßten dessen Handlung fortsetzen. Ihre Unfähigkeit zu deren Geschäften sollte ein Compagnon ersezen. Der Erfolg war der Verlust des ganzen oder eines Teils ihres Vermögens,...". Büsch, Darstellung I, S. 244.
A. Am Beginn der gesellschaftsrechtlichen
Neuzeit
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Häufig überträfen dann aber die in den Haushalten der Partner verbrauchten Mittel die Gewinne der Gesellschaft: „So habe ich manche Handlungs-Societät verständiger und fleissiger Kaufleute sich endigen sehen, die vielleicht einzeln sich mögten in die Höhe gearbeitet haben, aber deren zu mässigen Gewinn die zweifache Haushaltung verschlang, bis sie durch einen unabwendlichen Bankerott, oder durch verhaßte Rechtshändel getrennt wurden." 92 Einem verständigen Kaufmann sei deshalb zu raten, generell nur das zu unternehmen, was er mit seinem eigenen Kapital machen könne. Habe er einen guten Ruf erworben, so könne er für einzelne Geschäfte immer die Beteiligung anderer Kaufleute gewinnen — der Gelegenheitsgesellschaft steht Büsch offenbar etwas aufgeschlossener gegenüber. Das Anliegen des Ökonomen Büsch besteht selbstverständlich nicht in einer juristischen Behandlung des Gegenstandes, seine Ausführungen sind deshalb auch nicht an einem solchen Maßstab zu messen. Die Art und Weise wie er die Thematik behandelt, lässt aber dennoch Rückschlüsse darauf zu, mit welchen Einstellungen, Wertungen und Vorurteilen man den „privaten" Gesellschaften am Ende des 18. Jahrhunderts zumindest von Seiten der Rechts- und Handelswissenschaft verbreitet gegenüber tritt: Büsch bietet seinen Lesern kaum mehr als eine pauschale Verdammung der Handelsgesellschaften an; es findet nicht einmal eine Abwägung von Vor- und Nachteilen der Beteiligung an einer Gesellschaft statt, schon gar nicht erfährt man, wie sich mögliche Risiken vermindern lassen. Allerdings ist Büsch - anders als seine drei Mitstreiter beim Revidieren des ALR - kein Kaufmann; auf fällt jedoch, dass jene drei Mitstreiter alle mit Gesellschaften verbunden sind (vgl. unter A III.l). Dies könnte daraufhindeuten, dass die Mitglieder von Handelsgesellschaften auch noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Souveränität ihrer Verbände ebenso vollkommen eigenverantwortlich wahrnahmen, wie in der Zeit der süddeutschen Handelsgesellschaften (vgl. unter AI). Eine breitere Öffentlichkeit und mit ihr die Gerichte sowie die Vertreter der Handels- und Rechtswissenschaft erfuhren von der Existenz der Gesellschaften nur im Zusammenhang mit größeren Unternehmenszusammenbrüchen, was wiederum für die entsprechenden Vorurteile gesorgt haben mag.
3. „ Öffentliche Handlungs-Compagnien
"
Erkennbar mehr Substanz als der Abschnitt über die privaten Handelsgesellschaften hat das Kapitel über die „öffentlichen Handlungs-Compagnien" zu bieten 93 ; gewiss auch, weil sich Büsch hier auf eigene Vorarbeiten stützen kann, die von ihm nun in Thesenform zusammengefasst werden : Öffentliche Handlungs-Compagnien seien Büsch, Darstellung I, S. 246 f. Dies ist hervorzuheben, weil Büsch nachgesagt wird, er habe „offensichtlich unter Adam Smiths Einfluss, einen Kreuzzug gegen die Aktiengesellschaften" (gemeint sind die Handelscompagnien) gepredigt; so Ring, Handlungscompagnien, S. 19. Wohl eher ließe sich ein solches Urteil über die Äußerungen von Büsch zu den privaten Handelsgesellschaften fällen. 94 Schon 1785 hatte er in Band 1 der von ihm gemeinsam mit Ebeling herausgegebenen Handlungsbibliothek einen langen Aufsatz „Uber die öffentlichen Handlungs-Compagnien" veröffentlicht. 92
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Gesellschaften, „welche sich unter der Autorität und den Begünstigungen der Regenten und Obrigkeiten" in der Absicht vereinigten, mit den von ihren Mitgliedern zusammengetragenen Geldern solche Handelsgeschäfte zu betreiben, welche mit dem Kapital einzelner Kaufleute nicht betrieben werden könnten. Das Vorliegen letzterer Voraussetzung werde jedoch regelmäßig zu schnell angenommen 95 . Büsch zählt dann fünf Gründe dafür auf, dass die Compagnien selten die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllten. An erster Stelle wird genannt: „Weil Fähigkeit und Einsicht nicht die Wahl derjenigen bestimmen, welche die Geschäfte derselben betreiben und dirigiren." 96 Zwar sei Geld das einzige Erfordernis für die Beteiligung an einer solchen Compagnie, ein recht hoher Grad von Handelskenntnissen sollte aber eigentlich für die Übernahme deren „oberster Direktion" erforderlich sein 97 . Stattdessen sei jedoch regelmäßig der Besitz einer größeren Anzahl von Aktien nötig, um zum Compagnie-Direktor gewählt zu werden. „Der fähigste Mann, dem aber seine Vermögensumstände nicht gestatten viele Aktien zu nehmen, ist daher von der Direktion ausgeschlossen."98 So würden die Direktoren fast allemal aus den ersten Ständen gewählt, in welchen Handelskenntnisse sehr selten seien, mit der natürlichen Folge: „Grosse Geschäfte werden von Leuten betrieben, welche die Charten zu mischen wissen, wie sie wollen, ohne daß die Teilnehmenden und Ober-Directöre sich die Fähigkeit erwerben, ihnen gehörig in die Charte zu sehen und ihr Spiel zu beurteilen." 99 Auch bei den Handelscompagnien lässt sich die wissenschaftliche Bearbeitung der Thematik durch Büsch durchaus als Reflex auf die rechts tatsächlichen Zustände begreifen: Das Compagniewesen ist zum einen geprägt durch einen überragenden Staatseinfluss vor allem auf die Ausgestaltung der statutarischen Ordnung - insoweit werden den Gesellschaftern allenfalls bestimmte Mitwirkungsbefugnisse eröffnet; und zum anderen durch eine erhebliche Misswirtschaft der bevorrechtigten geschäftsführenden Gesellschafter, auf deren Auswahl die Gesellschaftergesamtheit keinerlei Einfluss hat (vgl. unter A II). Unter diesen Umständen ist schon der besonderen Hervorhebung wert, dass sich Büsch nicht auf eine Generalkritik am Compagniewesen beschränkt 100 , sondern die Bedeutung der inneren Organisation für ein erfolgreiches Wirtschaften Büsch, Darstellung I, S. 250. Büsch, Darstellung I, S. 256. 97 Büsch, Darstellung I, S. 251. 98 Büsch, Darstellung I, S. 252. 99 Büsch, Darstellung I, S. 251. Als weitere Hauptmängel der Compagnien wird erwähnt, diese eröffneten ihre Geschäfte regelmäßig in einem zu großen Umfange und veranlassten in übertriebener Gewinnerwartung einen unangemessenen Aufwand. Zudem seien solche Gesellschaften schädlich für den Staat, vor allem „durch die denselbem so willig eingeräumten Monopolien" und wegen der Ausrichtung auf einen möglichst hohen Gewinn. A.a.O., S. 256 ff. Aufgeschlossener steht Büsch den Assekuranz-Compagnien gegenüber: Derartige Gesellschaften erzielten ihren Gewinn nicht auf Kosten der „Privatindustrie", sondern unterstützten diese, auch arbeiteten sie billiger als Privat-Versicherer und böten eine größere Sicherheit. A.a.O., S. 269 ff. 100 Insoweit hebt Büsch vor allem hervor, Handelscompagnien dürften nur das letzte Mittel sein, einen wichtigen und anders nicht erfolgreich zu betreibenden Gewerbezweig in Gang zu setzen. Auch lehnt er die Vergabe von Monopolen, die Befreiung von Abgaben sowie die Übertragung hoheitlicher Befugnisse strikt ab. Vgl. Darstellung I, S. 259 f. 95 96
B. ALR, Code de Commerce undABGB
51
der Handelscompagnien zumindest anklingen lässt. Detailliertere Vorstellungen darüber, wie diese Organisation besser als bisher ausgestaltet werden könnte, besitzt er aber wohl nicht. In seiner Aufzählung von zwölf Voraussetzungen, „ohne welche keine Handlungs-Compagnie errichtet werden m u ß " , streift er lediglich einen Aspekt der Problematik — die Anbindung der geschäftsführenden Personen an die Verbandsinteressen: D e r Gang der Geschäfte sollte denen der Privathandlung möglichst entsprechen, die Compagnie müsse „ihre Bedienten unter kurzen Fristen zur Abrechnung anhalten", das Gehalt der Angestellten könnte in einer Gewinnbeteiligung bestehen.
B. Das Gesellschaftsrecht im ALR, Code de Commerce
undABGB
I. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 1. Uberblick D i e gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts wurden von dessen Verfassern mehreren voneinander getrennten Regelungskomplexen zugeordn e t 1 0 1 : I m Zweiten Teil handelt der 6. Titel in insgesamt 2 0 2 Paragraphen „Von Gesellschaften überhaupt, und von Corporationen und Gemeinen insonderheit". Getroffen werden dabei zunächst einige wenige Regelungen über unerlaubte Gesellschaften ( § § 3 ff.) sowie über die Rechte erlaubter Privatgesellschaften ( § § 11 ff.) und privilegierter Gesellschaften ( § § 2 2 f f . ) . D e r weitaus überwiegende Teil der Vorschriften ( § § 2 5 ff.) beschäftigt sich mit den Korporationen. Alle Privatgesellschaften deren Zweck mit dem „gemeinen W o h l " bestehen kann, sind generell erlaubt (§ 2); diese G e sellschaften benötigen mithin keine definitiv erklärte Erlaubnis, können aber schon dann verboten werden, wenn sie „andern gemeinnützigen Absichten oder Anstalten hinderlich oder nachteilig sind" ( § 4 ) 1 0 2 . Von den erlaubten unterscheiden sich die „privilegierten" Gesellschaften zunächst durch die ausdrückliche staatliche G e n e h m i gung, die ihre Rechtsstellung absichert und näher ausgestaltet. D i e Rechte einer Korporation können jedoch nur solche genehmigten Gesellschaften erlangen, „die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zwecke verbunden haben" (§ 2 5 ) . W ä h r e n d der Korporation juristische Persönlichkeit z u k o m m t ( § 8 1 ) , wird diese der erlaubten Privatgesellschaft explizit abgesprochen (§ 13). D i e privilegierte Gesellschaft liegt insoweit zwischen den beiden Polen: Ihre Rechtsstellung kann vom einzelnen Privileg der einer Korporation angenähert werden; enthält das Privileg hierzu allerdings nichts, verbleibt es bei den Rechten der erlaubten Privatgesellschaft (§ 2 3 ) 1 0 3 . D e n n o c h hat die vergleichsweise ausführliche Regelung des Korporationsrechts auch Bedeutung für die er-
101 Zu den gesellschaftsrechtlichen Regelungen des ALR vgl. auch Roh, Gesellschaften, S. 18ff.; Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 2979 f. 102 Vom Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten (I. Teil, 2. Abt., 1. Titel) wurden diese Verbände deshalb — in der Sache wohl kennzeichnender — als „geduldete Gesellschaften" bezeichnet.
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laubten und die (mehr oder minder) privilegierten Gesellschaften: „Unter sich" sollen diese nämlich „die innern Rechte der Corporationen und Gemeinen" haben (§ 14); verwiesen wird damit u. a. auf die Vorschriften über „Berathschlagungen und Schlüsse" ( § § 5 1 ff.). Im Ersten Teil des Landrechts handelt der 3. Abschnitt des 17. Titels „Von Gemeinschaften, welche durch Vertrag entstehn". Hierbei geht es vor allen um das Recht der „besonderen Gesellschaften" (§§ 1 8 3 - 3 1 0 ) . Ferner enthält das im 8. Titel des Zweiten Teils geregelte Recht der Kaufleute Vorschriften für die Handelsgesellschaften ( § § 614 — 683). Schließlich finden sich im Gesetzbuch noch besondere Bestimmungen zur „Rhederey" (§§ 1420 ff. II 8) und zur bergrechtlichen Gewerkschaft (§§ 264 ff. II 16). Die Frage nach dem jeweiligen Verhältnis der verschiedenen Regelungskomplexe zueinander sollte Stoff für langwierige Diskussionen liefern. Ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist lediglich, auf die Handelsgesellschaften habe das Recht der besonderen Gesellschaften - so keine speziellere Regelung existiere — Anwendung zu finden (§ 614 II 8), nicht jedoch die Vorschriften zu erlaubten Privatgesellschaften und Korporationen (§ 16 II 6). Offen bleibt mithin vor allen das Verhältnis der Bestimmungen über die erlaubten Privatgesellschaften zu jenen über die besonderen Gesellschaften 104 sowie die Feinabstimmung zwischen den letzteren und dem Handelsgesellschaftsrecht. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wurde dargelegt, die Aufspaltung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften im Landrecht in ein Recht der besonderen und Handelsgesellschaften auf der einen und in das Korporationsrecht auf der anderen Seite fuße letztlich in römisch-rechtlichem Gedankengut: hier die Societät, dort die Universitas bzw. hier die societas bonorum, dort die societas personarum 1 0 5 . Der römischrechtliche Ausgangspunkt der Landrechts-Verfasser soll hier nicht angezweifelt werden, hervorzuheben ist jedoch, dass jenes Gedankengut sehr bald von anderen Erwägungen überlagert wurde 1 0 6 . Dennoch hielt man mit § 16 II 6 an der strikten Trennung zwischen Handelsgesellschaften und Korporationen fest 107 , obwohl sich zumindest einzelne Vorschriften des Korporationsrechts durchaus für eine subsidiäre Anwendung bei den Handelsgesellschaften angeboten hätten 1 0 8 . Aber: diese Trennung betraf nur das Gesetzesrecht; da die Gründer einer Handelsgesellschaft bei der Ausgestaltung deren 103 Immerhin stellte die Möglichkeit, die Rechtsstellung einer privilegierten Gesellschaft der einer Korporation anzugleichen, gegenüber den Vorschriften des Entwurfs einen Fortschritt dar. Nach diesem unterschieden sich geduldete und privilegierte Gesellschaft nur dadurch, dass letztere „unter dem besondern Schutz" und der Aufsicht des Staates stehen sollte; vgl. Entwurf 1/2, 1. Titel, §§ 6 f. 104 Die Diskussion hierüber wird ausführlich nachgezeichnet von Röh, Gesellschaften, S. 22 ff. 105 Vgl. Röh, Gesellschaften, S. 27 ff.; sowie Schumacher, Organisation, S. 5 ff-, der von einer Vermengung von Naturrechts- und römisch-rechtlichem Gedankengut ausgeht. 106 Schon die Vorschriften des Entwurfs handeln wie selbstverständlich von den Verpflichtungen und dem Vermögen der (besonderen) Gesellschafi, ja es wird sogar bestimmt, dass ein Gläubiger der Gesellschaft sich vor deren Auflösung generell nicht an das Privatvermögen der Gesellschafter halten kann; vgl. §§ 147 ff. Letztere Regelung wurde allerdings nicht ins ALR übernommen. 107 Schon deshalb enthielt der 6. Titel des II. Teils nicht das allgemeine Gesellschaftsrecht des ALR, so aber Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 2979. 108 Verwiesen sei nur auf die Vorschriften des Abschnitts über „Berathschlagungen und Schlüsse", § § 5 1 ff. und auf die Regelung der Sonderrechte in § 68.
B. ALR, Code de Commerce
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innerer Verhältnisse prinzipiell frei waren, konnten sie auch hierfür geeignete korporationsrechtliche Bestimmungen in den Gesellschaftsvertrag übernehmen.
2. Zum Einfluss von Jobann Georg Büsch Bei der Vielzahl gesellschaftsrechtlicher Regelungen überrascht ein wenig, dass das Allgemeine Landrecht keine besonderen Bestimmungen zu den Handelscompagnien enthält. Dies wird mitunter auf die Beteiligung von Büsch an den Gesetzgebungsarbeiten zurückgeführt 109 , doch lässt sich ein unmittelbarer Zusammenhang wohl ausschließen. Schon der Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten beschäftigte sich nicht mit den Handelscompagnien, obwohl man sich seinerzeit noch in Emden um die Gründung derartiger Gesellschaften bemühte 1 1 0 . Überhaupt spricht vieles gegen einen prägenden Einfluss Büschs auf die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Landrechts: Vergegenwärtigt man sich die Art und Weise, in der in seinen Werken die Gesellschaften behandelt werden (vgl. unter A III.2), so fällt die Vorstellung schwer, der Autor könne der „geistige Vater" rechtlicher Bestimmungen sein, welche die Materie in mehreren Hundert Paragraphen - teilweise arg ins Detail gehend — zu regeln versuchen. Auch wecken die übermittelten Fakten Zweifel an einer solchen Urheberschaft: Büsch berichtet selbst, er habe 1785 - auf die Veröffentlichung von Teilen des Entwurfs reagierend - Großkanzler v.Carmer
eine wechselrechtliche Abhandlung zugeschickt
und sei von diesem sogleich aufgefordert worden, „über das Ganze mit oder ohne Namen zu arbeiten." 1 1 1 . Tatsächlich enthielt das in jenem Jahr publizierte Teilstück des Entwurfs (I. Teil, 2. Abteilung) einen Abschnitt „Von Kaufleuten", welcher sich u.a. mit dem Wechsel- und Maklerrecht, nicht jedoch mit den Handelsgesellschaften beschäftigte 1 1 . Der Entwurf behandelte nämlich - anders als später das Allgemeine Landrecht - besondere und Handelsgesellschaften noch gemeinsam in einem Abschnitt, welcher aber erst Mitte 1 7 8 8 veröffentlicht wurde 1 1 3 . Das schließt Büschs Mit-
109 Vgl. Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 18f.; Martin, V S W G 56 (1969), 499, 510; ders., Frühindustrielles Gewerbe, S. 198; siehe zudem Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 16 f. 110 Nicht recht überzeugt daher auch die These von Gmür, FS H.Westermann, S. 167, 195, die Nichtregelung der Handelscompagnien sei darauf zurückzuführen, dass Friedrich II. zuletzt der Gründung solcher mit weitreichenden Privilegien versehenen Gesellschaften ablehnend gegenübergestanden habe. 111 Aus verschiedenen Gründen habe er der Aufforderung nicht nachkommen können, weshalb sich v. Carmer 1786 nochmals gemeldet hätte; Uber die Handlungsgesetze des Entwurfs seien bisher noch gar keine beachtenswerten Anmerkungen eingegangen. Büsch, Darstellung II, S. 353 ff. Folgt man dieser Schilderung, dann gehörte Büsch offenbar nicht zum Kreis der bekannten Gelehrten, an die sich v. Carmer schon mit Schreiben vom 24.4.1784 gewandt hatte. So aber Finkenauer, ZRG Germ. Abt. 103 (1996), 40,51. 112 Die 1785 veröffentlichte Abteilung des Entwurfs enthielt in ihrem Ersten Titel zudem das Korporationsrecht ( „Von den Rechten und Pflichten der Gesellschaften überhaupt"); hiermit bringt man Büsch aber nicht in Verbindung. Zur Entstehung dieses Abschnitts des Entwurfs Barzen, Entstehung, S. 136 ff. 113 Vgl. Entwurf, II. Teil, 3. Abteilung, S. 581 ff. „Von den Gemeinschaften, welche durch Vertrag entstehen". Zur Entstehung dieses Abschnitts siehe Barzen, Entstehung, S. 208 ff.
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arbeit am Gesellschaftsrecht zwar nicht notwendig a u s 1 1 4 , doch weisen auch die Äußerungen von Svarez eher a u f eine Mitarbeit a m Wechselrecht h i n 1 1 5 . Selbst wenn Büsch und seine Mitstreiter daneben einzelne Hinweise zu den gesellschaftsrechtlichen Regelungen gegeben hätten, wären sie nicht als Väter des ALR-Gesellschaftsrechts anzusehen: Sieht m a n einmal von der - die praktische Handhabbarkeit des Gesetzbuches gewiss erschwerenden — Abspaltung des Handelsgesellschaftsrechts ab, so übernahm das Allgemeine Landrecht, trotz mancher Änderungen im Detail, die schon i m Entwurf enthaltenen G r u n d l a g e n 1 1 .
3. Die „Einheitshandelsgesellschaft" D a s heutige Gesellschaftsrecht ist ganz wesentlich durch den numerus clausus der Rechtsformen und den d a m i t verbundenen Rechtsformzwang b e s t i m m t 1 1 7 . D a s H a n delsrecht des A L R kennt derartiges nicht; es regelt stattdessen nur eine „Einheitsgesellschaft", wobei selbst diese Einheitsgesellschaft nicht als eine voll ausgebildete Rechtsform begriffen werden darf. D i e Vorschriften des Gesetzes b e m ü h e n sich u m die Beantwortung diverser Fragestellungen, die mit der Errichtung, d e m Betreiben und der Auflösung einer Handelsgesellschaft verbunden sind; häufig stellen sie den Gesellschaftern einzelne alternative L ö s u n g e n zur Verfügung; mitunter erteilen sie auch - recht nachdrücklich formulierte - „ R e g e l u n g s a u f t r ä g e " 1 1 8 . D i e Einzelregelungen werden aber nicht zu verschiedenen, einander gegenüberstehenden Rechtsformen verdichtet.
1 1 4 Offenbar dauerte es noch lange, ehe sich Büsch tatsächlich an die Arbeit machen konnte, er berichtet nämlich, Gädertz aus Lübeck habe sich nur „dieses Geschäfts wegen", den ganzen Monat Januar 1790 in Hamburg aufgehalten. Büsch, Darstellung II, S. 354. Die Bemerkungen der Hamburger sollen tatsächlich erst Anfang 1790 in Berlin eingetroffen sein, als man den Extrakt der Monita schon abgeschlossen hatte. Ende 1790 bat v.Cramer Büsch nochmals um Monita zum überarbeiteten Kaufmannsrecht; diese gingen dann im Februar/März 1791 ein. Svarez hatte die Überarbeitung der Teile des Entwurfs, die das „Sachenrecht" (und damit auch die Abschnitte über die „besonderen Gesellschaften") enthielten, bereits im Juni 1790 abgeschlossen; im April 1791 befand sich dann auch schon das Kaufmannsrecht (einschließlich der Vorschriften über die Handelsgesellschaften) im Druck. Ausführlich hierzu Barzen, Entstehung, S. 217, 233 ff. 1 1 5 Dieser hebt in einer Anmerkung zu II 8 Sect. 8 - 10 A L R (Von Wechseln, Von Handelsbillets und Assignationen, Von Mäklern) hervor, die Abschnitte seien „von mehrern dazu besonders aufgeforderten ein- und ausländischen Sachverständigen, namentlich auch von dem Prof. Büsch in H a m b u r g revidirt" worden. Svarez, Amtliche Vorträge, S. 155. Bei den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften wird ein vergleichbarer Hinweis nicht gegeben. 1 1 6 Zur „Ehrenrettung" von Büsch sei ausdrücklich daraufhingewiesen, dass sich dieser, was die Einarbeitung seiner Anregungen in das Gesetz anbetrifft, eher zurückhaltend äußert: „wiewol ich damit gar nicht angeben will oder kann, als wäre dasselbe in seiner endlichen Ausfertigung ganz unsern Vorschlägen gemäß erschienen." Büsch, Darstellung II, S. 355. 1 1 7 Vgl. nur G.Hueck, Gesellschaftsrecht, § 1 III (S. 5); KSchmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 II; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, insb. S. 42, 93 f. 1 1 8 Vgl. nur § 297 I 17 zu den Folgen des Austritts eines Gesellschafters: „Zur möglichsten Vermeidung künftiger Streitigkeiten werden die Gesellschafter hierdurch angewiesen, sogleich nach angekündigtem Austritte sich mit dem Austretenden über die Grundsätze der künftigen Auseinandersetzung zu verabreden."
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Die Handelsgesellschaft des A L R ist also ebenso wenig eine O H G im heutigen (Rechtsform-) Sinne, wie die stille Gesellschaft als „zweite Gesellschaftsform" (nur) mit zwei Vorschriften, den § § 651, 6 5 2 II 8, von diesem Gesetz geregelt wird 1 1 9 ; ja selbst die Aussage, dem A L R sei die Kommanditgesellschaft noch unbekannt gewesen 1 2 0 , ist zwar nicht unbedingt falsch, wenn sie auf die Rechtsform als solche bezogen wird, sagt aber nur sehr wenig, weil das A L R bei den Handelsgesellschaften überhaupt keine verschiedenen Rechtsformen kennt. All diese Aussagen legen die „Elle" des heutigen Gesellschaftsrechts an Regelungen an, denen insoweit eine konträre Konzeption zugrunde liegt. Richtig ist dagegen, dass unter der Geltung des Landrechts Gesellschaften entstehen konnten, die in ihrer konkreten Ausgestaltung, einschließlich der an diese geknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen, mit einer „modernen" offenen Handelsgesellschaft vergleichbar sind; ebenso waren die Gründer aber schon damals in der Lage, eine „Kommanditgesellschaft" entstehen zu lassen. Später - bei der Darstellung der rechtstatsächlichen Verhältnisse - wird zu zeigen sein, dass sogar eine hierüber weit hinausgehende Vielfalt von Gestaltungen existierte 1 2 1 . Wertet man die Regelungen des A L R aus Sicht des modernen - durch einen numerus clausus der Rechtsformen geprägten — Gesellschaftsrechts, so genossen die Gesellschafter damals eine erheblich weiterreichende statutarische Gestaltungsfreiheit: Sie konnten sich die innere Ordnung ihres Verbandes aus den verschiedenen vom Gesetz angebotenen Einzelregelungen (quasi nach dem Baukastenprinzip) zusammensetzen. Allerdings waren die Gesellschafter unter dem A L R längst nicht mehr so souverän wie die Mitglieder der süddeutschen Handelsgesellschaften. Brachte das neue Gesetzeswerk doch ein recht umfangreiches Normengeflecht, das zumindest insoweit Geltung beanspruchte, als es im Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich abbedungen wurde. Darüber hinaus wurde die Freiheit der Gesellschafter zur näheren Ausgestaltung der Binnenorganisation ihres Verbandes aber auch von ersten zwingenden Rechtssätzen eingeschränkt. Dabei klingt die einsetzende Verfestigung der Verbandssouveränität als eines Rechtsprinzips, das u. a. der Gesellschaftergesamtheit gewichtige Entscheidungen zur Beschlussfassung vorbehalten und eine Anbindung der Geschäftsführung an den gesellschaftsinternen Willensbildungsprozess gewährleisten will, durchaus schon an:
4. Innere Organisation Bei der Erläuterung einzelner Regelungen des ALR-Gesellschaftsrechts greifen Beiträge aus neuerer Zeit mitunter ohne weiteres auf juristische Lehrbücher und Kommentare zurück, die teilweise fast ein ganzes Jahrhundert, zumindest aber ca. sechs Jahrzehnte jünger als das Gesetz selbst sind 1 2 2 . So entsteht ein Bild, das — sowohl in be119 So Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 61. Mit Blick auf die OHG wie hier Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 2989 f., der jedoch davon ausgeht, das ALR habe schon (eine dürftige) Regelung der stillen Gesellschaft als „reine Innengesellschaft" getroffen, a.a.O., S. 2987 f. 120 So Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 61, unter Verweis auf eine Entscheidung des preußischen Obertribunals aus dem Jahre 1857. 121 Hierzu vor allem unter § 5 A.
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zug auf das Erkennen der Probleme als auch auf deren Lösung - eine sehr lange Entwicklung vorweg nimmt und die Wirklichkeit der ersten zwei bis drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts nicht korrekt wiederzugeben vermag. Die in dieser frühen Zeit erschienenen juristischen Werke zu den Gesellschaften des Landrechts beschränken sich zumeist darauf, den Wortlaut des Gesetzes unverändert oder mit geringen Umstellungen ohne inhaltliche Relevanz wiederzugeben; sogar eine systematisierende Zusammenführung der allgemeinen Vorschriften über die Gesellschaften (I 17 § § 183 ff.) mit denen über die Handelsgesellschaften (II 8 § § 614 ff.) gelangt nicht über allererste Anfänge hinaus 1 2 3 . Am Anfang des 19. Jahrhunderts steht daher in Preußen den Gründern einer Gesellschaft nicht viel mehr als der Wortlaut des Gesetzes zur Verfügung. Immerhin weist das Gesetz, dem die strenge Unterscheidung zwischen Geschäftsführung und Vertretung noch unbekannt ist 1 2 4 , gleich mehrfach auf die Bedeutung des Gesellschaftsvertrages für die konkrete Organisation der Gesellschaft und des Wirkens ihrer Mitglieder hin: Bestimme der Vertrag nicht ein anderes, so seien alle Gesellschafter zum Betriebe der gemeinschaftlichen Angelegenheiten auf gleiche Art befugt und verpflichtet (§ 206 1 17). Während bei den Handelsgesellschaften generell jeder Gesellschafter allein tätig werden kann (§ 633 II 8), geht das Gesetz bei den übrigen Gesellschaften von einem gemeinschaftlichen Vollzug der Societätsgeschäfte als gesetzlichem Regelfall aus (§ 2 0 7 1 17) 1 2 5 . Möglich ist es, einzelne Gesellschafter von der Teilnahme an der Geschäftsführung auszuschließen 12 ; sollen jedoch Handlungen unternommen werden, „die den Grundsätzen des Societätsvertrages nicht gemäß sind", so sind auch die an sich ausgeschlossenen Gesellschafter zur Beratung und Beschlussfassung hinzu zu ziehen (§ 208 1 17) 1 2 7 . In § 209 117 ist von Fällen die Rede, „wo die Stimmenmehrheit entscheiden muß"; dann soll es im Zweifel auf die Personen und nicht auf die Hö122 Röh, Gesellschaften, S. 50 ff. verweist auf Förster/'Eccius, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts, Band II, 7. Aufl. 1896 und Johow in: Koch, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, Band II, 8. Aufl. 1886; Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 22ff. beruft sich u.a. auf Fischer, Preußens kaufmännisches Recht, 1856 und Brinckmann, Lehrbuch des Handelsrechts, 1853 — 1860. 123 Vgl. nur Schuncken, Das Preußische Handels- und Wechsel-Recht, I. Band, 1821, S. 143 ff.; Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts, IV. Band, 2. Aufl. 1844, S. 23 ff; selbst noch Hiersemenzel, Preußisches Handels-Recht, 1856, S. 20 bietet seinen Lesern kaum mehr als den mit einigen Zusätzen versehenen Gesetzestext, wobei die Zusätze zumeist lediglich weiteren Gesetzestext enthielten. 124 Hierzu Roh, Gesellschaften, S. 50; Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 22. 125 A.A. Röh, Gesellschaften, S. 50; Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 23, jeweils mit Verweis auf Koch/Johow, Landrecht II, S. 529, Anm. 70: § 207 verankere keine Gesamtgeschäftsführung, sondern wolle nur klarstellen, jeder Gesellschafter dürfe in der Gesellschaft mitarbeiten. Demnach würde § 207 etwas aussprechen, was von § 206 {gleiche Berechtigung der Gesellschafter beim Betrieb der gemeinschaftlichen Angelegenheiten) schon vorausgesetzt wird. 126 Während in den §§ 635 f. II 8 — schon modern — vom Ausschluss von dem Betriebe der Geschäfte die Rede ist, spricht § 208 1 17 insoweit noch von Mitgliedern, „die nur zum Geldbeitrage, nicht aber zum Betriebe der Geschäfte sich verbunden haben". Die Deutung, § 208 wolle Personen, welche nur Geldbeiträge leisteten, von der Geschäftsführung ausschließen, so Röh, Gesellschaften, S. 116, missversteht das Regelungsanliegen der Norm. Ebenso verfehlt ist die Behauptung, nach § 208 seien « « r d i e geldbeitragenden Gesellschafter zur Beschlussfassung hinzuzuziehen, a.a.O., S. 50.
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he der Beiträge ankommen. Das Recht der ALR-Gesellschaft ist also offen für Mehrheitsbeschlüsse; unklar ist jedoch, wie weit diese Öffnung ging. Auf § 208 1 17 wird die Behauptung gestützt, bei einer Beschlussfassung über Grundlagengeschäfte sei Einstimmigkeit erforderlich gewesen 1 2 8 , aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich dies jedoch nicht. Ebenso wenig kann dem Gesetz eine nähere Beschreibung derjenigen Geschäfte entnommen werden, die generell nicht „den Grundsätzen des Societätsvertrages gemäß" sind Jedoch findet ein Grundlagengeschäft noch eine ausdrückliche Regelung - die Zuführung neuer Beiträge. Hierbei räumt das Gesetz der Gesellschaftermehrheit eine sehr weite Handlungsfreiheit ein: Zwar ist kein Gesellschafter verpflichtet, mehr als die vereinbarten Beiträge zu leisten (§ 190 I 17); seinen Mitgenossen steht es jedoch generell frei, erhöhte Beiträge zuzuführen. Kann der Gesellschaftszweck nur noch auf diese Weise erreicht werden, so darf der widersprechende Gesellschafter sogar ausgeschlossen werden (§ 191 I 17); geht es lediglich um eine Erweiterung der Geschäfte, so können die mehrleistenden Gesellschafter einen entsprechend erhöhten Anteil am Gewinn verlangen (§ 195 I 17). Insoweit enthält das Handelsgesellschaftsrecht allerdings eine spezielle Regelung: „Sollen jedoch die Geschäfte der Societätshandlung durch neue Beiträge erweitert werden, so kann dies nur durch Uebereinstimmung sämmtlicher Mitglieder geschehen." 1 3 0 Insgesamt dürfte die Regelung der „Kapitalerhöhung" wohl eher auf eine recht weite Öffnung des Rechts der ALR-Gesellschaft für Mehrheitsbeschlüsse hindeuten.
II. Code de Commerce 1. Uberblick In den Jahren der napoleonischen Fremdherrschaft wird der Code de Commerce in weiten Teilen Deutschlands in Kraft gesetzt, wenn auch zumeist nur für eine vergleichsweise kurze Zeit 1 3 1 . In den linksrheinischen Gebieten sowie in Baden und auf dem Ter127 Koch/Johow, Landrecht II, S. 529, Anm. 71, betont, die ausgeschlossenen Mitglieder sollten nur mitberaten und mitbeschließen, ob die fragliche Handlung vorgenommen werde solle; sie müssten nicht an deren Ausführung mitwirken. 128 So Röh, Gesellschaften, S. 50. A.A. offenbar Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 23 f.; auch dieser verlangt allerdings für die Auflösung der Gesellschaft einen einstimmigen Beschluss, a.a.O., S. 59; ebenso für den Ausschluss eines Gesellschafters (hier Einstimmigkeit der übrigen Gesellschafter), a.a.O., S. 50. 129 Alle von Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 23, angeführten Beispiele sind dem späteren Schrifttum entnommen. Dies ist zudem mehrheitlich dem gemeinen Recht und nicht dem ALR gewidmet. 130 § 631 II 8; ansonsten wird wegen der Beiträge der Gesellschafter in § 630 auf die §§ 189 I 17 verwiesen. 131 Zur Einführung des französischen Rechts in Deutschland in jener Zeit vgl. nur Schubert, Französisches Recht, insb. S. 70ff.; vgl. auch den., ZRG Germ. Abt. 94 (1977), 129, 134ff. zur Aufhebung dieses Rechts nach 1813. Zur Entstehungsgeschichte des Code de Commerce Bergfeld, Bedeutung, S. 109 ff.
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ritorium des ehemaligen Herzogtums Berg bleibt es allerdings auch nach 1813/14 bei der Geltung des französischen Rechts. Im Preußen bezeichnet man den Code jetzt als Preußisch-Rheinisches Handelsgesetzbuch, lässt ihn inhaltlich jedoch weitgehend unverändert. In Baden hatte man sich zwar schon 1809 generell um eine eigenständige Rezeption der französischen Gesetze bemüht 1 3 2 , die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des - hier als Anhang zum Badischen Landrecht in Kraft gesetzten - Code de Commerce waren jedoch ohne Änderung geblieben . Das Gesellschaftsrecht ist in den Artikeln 18 ff. des Gesetzes geregelt. Anders als das Preußische Allgemeine Landrecht unterscheidet der Code verschiedene Gesellschaftsrechtsformen, deren deutsche Bezeichnungen variieren: Aus der société en nom collectiv wird die Gesellschaft unter einem vereinigten oder Gesamtnamen; aus der société en commandite die vertraute oder die Commandit-Gesellschaft; aus der société anonyme zunächst die unbenannte oder anonyme Gesellschaft. Allerdings werden in den Art. 18 ff. des Code die verschiedenen Gesellschaften mehr angedeutet, denn auch nur annähernd ausgeregelt. Vollständig ausgeklammert bleibt das gesamte Innenrecht. So mag denn fraglich sein, ob der Code - über die Bestimmung einiger charakteristischer Merkmale hinausgehend tatsächlich schon Handelsgesellschafts-Rechtsformen im modernen Sinne schafft 1 3 4 . Was die statutarische Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter anbetrifft, so scheinen das ALR und der Code de Commerce von recht konträren Regelungskonzepten auszugehen. Während das ALR auf jede Vorformung von verschiedenen Gesellschaftsformen verzichtet, sich dafür aber um eine möglichst erschöpfende Behandlung der Materie durch dispositive und teilweise auch zwingende Einzelbestimmungen bemüht, gibt der Code mit den Gesellschaftsformen der OHG, KG und AG auf einer ersten Ebene die Strukturen vor, überantwortet jedoch deren nähere Ausgestaltung dem von den Gesellschaftern abzuschließenden Vertrag. Tatsächlich enthält aber auch die gesetzliche Regelung des französischen Rechts eine Reihe zwingender Vorschriften und selbst darüber hinaus sind die Gesellschafter schon bald nicht mehr völlig souverän. Unter der Geltung des Code de Commerce erreicht nämlich die rechtswissenschaftliche Behandlung der gesellschaftsrechtlichen Materie schon frühzeitig ein weit höheres Niveau als auf dem Gebiete des Allgemeinen Landrechts 135 . Fast scheint es so, als ließe sich ein unmittelbarer Zusammenhang ausmachen: Gerade weil der Code nur kursorische Regelungen enthält, kann hier kein Lehrbuch und kein Kommentar lediglich mit puren Umstellungen des Gesetzeswortlauts gefüllt werden. Über diese wissenschaftlichen Arbeiten und zweifellos Hierzu Andreas, ZRG Germ. Abt. 31 (1910), 182 ff.; Schubert, Französisches Recht, S. 193 ff. Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 69. Zur Rezeption des Code de Commerce in Baden vgl. auch Bergfeld, Handelsrecht, S. 2858 ff. 134 So Reich, Entwicklung, S. 242, mit Blick auf die AG; von einem Festschreiben der für die Konstitution des neuen Gesellschaftstypus (AG) grundlegenden Merkmale spricht Assmann in; Großkomm.AktG, Einl. Rdn. 31; ähnlich schon Schmalz, Verfassung, S. 9f.; zurückhaltender Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 2990, 3005. Zum Aktienrecht des Code de Commerce vgl. zudem Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 223 ff. 135 Das gilt durchaus schon für Brauer, Erläuterungen über den Code Napoleon und die Großherzoglich Badische Bürgerliche Gesetzgebung, Bd. 4, 1810, S. 380 ff; noch mehr jedoch für Broicher/Grimm, Das Handelsgesetzbuch der Königlich Preußischen Rheinprovinzen, 1835, S. lOff. 132 133
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mit positiven Auswirkungen auf deren Qualität fließen zudem die Erkenntnisse einer zumindest auf dem Gebiet der Personenhandelsgesellschaften - reichen französischen Praxis in das deutsche (Gesellschafts-) Rechtsleben auf breiter Front ein
2. Offene Handelsgesellschaft und
Kommanditgesellschaft
Bei der „Gesellschaft unter einem Gesamtnamen" und der Kommanditgesellschaft wird der Verzicht auf eine detailliertere Regelung im Code de Commerce in gewisser Weise durch den Verweis auf das allgemeine Zivilrecht kompensiert 1 3 7 . Auch das Badische Landrecht hatte mit seinen Sätzen 1832 ff. die Regelungen des französischen Zivilgesetzbuches (mit wenigen Zusätzen) übernommen. Während diese Normen die vermögensrechtlichen Beziehungen noch relativ ausführlich regeln, werden Willensbildung und Geschäftsführung 138 eher nur gestreift: Gemäß Landrechtssatz (LRS) 1859 Ziffer 1 sind generell alle Gesellschafter zur (Einzel-)Geschäftsbesorgung berechtigt; jeder der Mitgesellschafter kann allerdings jeweils der Durchführung einer Maßnahme widersprechen und sie so verhindern. Durch eine besondere Regelung des Gesellschaftsvertrages kann die Geschäftsbesorgung einem oder mehreren der Gesellschafter übertragen werden - unter Ausschluss aller übrigen, die dann auch kein Recht zum W i derspruch mehr besitzen 139 . Die Befugnis zur Geschäftsführung soll „alle dazu gehörigen Handlungen" umfassen (LRS 1856); ihr Umfang bleibt also weitgehend ungeregelt 1 4 0 . Zwei Maßnahmen werden jedoch ausdrücklich von der normalen Geschäftsführung ausgenommen: Zum einen darf kein Gesellschafter „ohne Einwilligung der Andern an den gemeinschaftlichen Liegenschaften Neuerungen vornehmen" (LRS 1859 Ziffer 4). Zum anderen ist dem geschäftsführenden Gesellschafter untersagt, ohne Zustimmung seiner Mitgesellschafter Dritte in die Gesellschaft aufzunehmen (LRS 1861). Für eine generelle Unterscheidung zwischen Maßnahmen der normalen Geschäftsführung und Grundlagengeschäften, die in der Kompetenz sämtlicher Gesellschafter verbleiben, lassen sich keine Anhaltspunkte ausmachen . Aber immerhin wird schon 1810 die Frage aufgeworfen, ob, da nur Neuerungen an Liegenschaften aus-
136 Manche Bearbeiter beschränkten sich sogar auf eine Wiedergabe französischer Urteile und Instruktionen, so z. B. Thilo, Das Französische Civilgesetzbuch und Handelsrecht erläutert aus Urtheilen der französischen Gerichtshöfe, Gesetzen und andern Quellen, Band 3, 1841. Auch erschienen Werke, die in der Sache lediglich eine Ubersetzung französischer Lehrbücher waren, vgl. nur Schiebe, Lehrbuch des Handelsrechts mit Ausnahme des Seerechts - frei bearbeitet nach Pardessus, Cours de Droit Commercial, 1838. 137 Vgl. Art. 18 Code de Commerce; Art. 1873 Code Civil. 138 Das Badische Landrecht spricht zwar schon von der „Geschäftsbesorgung", unterscheidet aber auch noch nicht zwischen Geschäftsführung und Vertretung; vgl. Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 81 f. 139 LRS 1856 f., 1860. Möglich ist auch die Vereinbarung einer Gesamtgeschäftsführung, vgl. LRS 1858. 140 Vgl. Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 83. 141 So aber wohl Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 95, mit Verweis auf rechtswissenschaftliches Schrifttum aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts.
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drücklich untersagt seien, tatsächlich jede einseitige Änderung der Fahrnis erlaubt •142
sei Eine Kommanditgesellschaft wird nach Art. 23 Code de Commerce zwischen „verantwortlichen" und solidarisch verhafteten sowie solchen Gesellschaftern abgeschlossen, „die blos Kapital herschießen". Damit sind die Kommanditisten eigentlich schon durch die Legaldefinition der Gesellschaftsrechtsform von einer Beteiligung an der Geschäftsführung ausgeschlossen. Art. 27 des Code untersagt zudem die Bevollmächtigung des Kommanditisten im Einzelfall und Art. 28 droht den hiergegen verstoßenden Gesellschaftern eine vollständige Gleichstellung mit den Komplementären an. Diese Regelungen sorgen dafür, dass man in der älteren französischen Praxis zunächst ängstlich bestrebt ist, den Kommanditisten nicht nur aus der Geschäftsführung, sondern völlig aus dem Willensbildungsprozess der Gesellschaft herauszuhalten 143 . In Deutschland betont man dagegen schon frühzeitig, das Gesetz habe nicht die Absicht, den Kommanditisten „von der Mitberathung der HandelsAngelegenheiten, und von der Mitbestimmung in desfalsigen Versammlungen auszuschließen". Sei Abweichendes nicht vereinbart, müsse er immer dann hinzugezogen werden, wenn das Landrecht die Mitwirkung aller Gesellschafter fordere 144 . Verhindert werden solle nur das Handeln im Namen der Gesellschaft, bei der inneren Verwaltung unterliege seine Mitwirkung dagegen keinen Einschränkungen 1 4 5 . Dennoch bleibt das Tätigwerden des Kommanditisten in Angelegenheiten der Gesellschaft nicht ohne Risiko, gerade weil man noch nicht begrifflich zwischen Geschäftsführung und Vertretung differenziert 146 .
3. Aktiengesellschaft Während beim Innenrecht der Personenhandelsgesellschaften der Verweis auf die Regelungen zur zivilrechtlichen Gesellschaft wenigstens noch etwas weiter führt, wissen zur inneren Organisation der Aktiengesellschaft noch Mitte der 30er Jahre selbst begabte Kommentatoren nur wenig anzumerken: Das Handelsgesetzbuch enthalte über „die Art der Erwählung und Entlassung der Bevollmächtigten, über den Umfang 142 Vgl. Brauer, Erläuterungen III, S. 648 f.: Insoweit käme es auf die Umstände des Einzelfalles an; Maßnahmen, die gegen Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag, gegen „die Absicht oder den Vortheil der Gesellschaft" verstießen, seien unzulässig. Ein Vierteljahrhundert später wird hervorgehoben, der geschäftsführende Gesellschafter dürfe nicht freiwillig das gesamte Aktivvermögen der Gesellschaft deren Gläubigern zur Verfügung stellen oder Schenkungen zu Lasten dieses Vermögens vornehmen. Vgl. Schiebe, Handelsrecht, S. 544, Anm. 1014. 143 Vgl. nur die bei Thilo, Civilgesetzbuch und Handelsrecht III, S. 27 ff. zu den Art. 23, 27 f. angeführten Entscheidungen, welche teilweise schon die Teilnahme an innerer Verwaltung und Aufsicht mit beratender Stimme für unzulässig erklären. Kennzeichnend ist auch, dass es 1809 offenbar eines im Gesetzblatt publizierten Gutachtens des französischen Staatsrats (wiedergegeben bei Broicher/Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 17) bedurfte, um die Nichtanwendung der Art. 27 f. auf den Fall klarzustellen, in dem der Kommanditist (als Dritter) mit der KG ein Rechtsgeschäft abschließt. 144 So Brauer, Erläuterungen IV, S. 387. 145 So Broicher/Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 17; vgl. auch Schiebe, Handelsrecht, S. 558, Anm. 1031. 146 Vgl. Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 114.
B.ALR,
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ihrer Befugnisse, über die Beaufsichtigung ihrer Geschäftsführung, über die Abnahme der von ihnen zu legenden Rechnungen, über die Art und Weise, wie verbindliche Beschlüsse in denjenigen Fällen zu Stande kommen sollen, wo die Bevollmächtigten selbstständig zu handeln nicht befugt sind", keine besonderen Vorschriften. „Da nun aber bei der gewöhnlich großen Anzahl von Actionairen und der erleichterten Möglichkeit von Veränderungen in den Personen derselben, auf die Regeln des gemeinen Rechtes über die Berathung der Gesellschafts-Angelegenheiten nicht wohl zurückgegangen werden kann, so müssen in die Errichtungsurkunde oder in die als ein Theil derselben zu betrachtenden Statuten die erforderlichen Bestimmungen über die Organisation der Verwaltung aufgenommen werden." Auf die Darstellung des Innenrechts der Aktiengesellschaft wirkt sich offenbar aus, dass insoweit auch der Blick auf die Praxis des französischen Nachbarn nicht viel weiter führt 1 4 8 . Den Gründern einer Aktiengesellschaft wird unter der Geltung des Code de Commerce mithin nur ein sehr rudimentärer rechtlicher Rahmen angeboten; nicht zuletzt deshalb gehen die Urteile über den generellen Einfluss des Gesetzes auf die aktienrechtliche Praxis sehr weit auseinander
III Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für die gesamten Deutschen Erbländer der Osterreichischen Monarchie von 1811 haben für die Entwicklung des deutschen Gesellschaftsrechts nicht die gleiche Bedeutung erlangt wie die entsprechenden Bestimmungen im preußischen Allgemeinen Landrecht und im Code de Commerce. Gerade was die Ausgestaltung des Innenrechts der Gesellschaften anbetrifft, waren die Verfasser des ABGB jedoch um eine relativ eigenständige Lösung bemüht. Diese Vorschriften, die es schon wegen ihrer Origi1 4 7 So Broicher/Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 18. Immerhin erkennen die beiden Autoren, die später zu den Verfassern des Frankfurter Entwurfs von 1848/49 gehören sollten (vgl. unter § 4 C I), schon eine ganze Reihe von zu regelnden Problemen. Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Brauer, Erläuterungen IV, S. 389, bei der Kommentierung von Anhangs-Satz 31 lediglich auf die Landrechts-Sätze 1991 — 1996 („Von den Pflichten des Gewalthabers") verwiesen. Ein Verweis, der — was die Organisation der AG anbetrifft — k a u m etwas erbrachte. 1 4 8 Vgl. nur Thilo, Civilgesetzbuch und Handelsrecht III, S. 31 ff. wo die Artikel 29, 30, 33, 35 völlig unbesetzt geblieben sind u n d auch bei den übrigen Artikeln des Aktienrechts nur wenige Quellen mit unmittelbarem Bezug zur T h e m a t i k angeführt werden können. Selbst bei Schiebe, Handelsrecht, S. 570 ff., werden die inneren Verhältnisse der AG mehr allgemein beschrieben, denn juristisch erörtert: „Ueber die Rechte, welche den Actionären rücksichtlich der Aufsicht über die Verwaltung des Geschäfts u n d der Einsicht in den Status der Societät zustehen, lassen sich keine festen Regeln geben, weil die Statuten das Nöthige darüber bestimmen."A.a.O., S. 572, Anm. 1042. 1 4 9 Eine positive Einschätzung trifft Seitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 26: Trotz der nur sehr allgemeinen Fixierung der rechtlichen Grundlagen der AG habe der Code als erster Schritt sehr fördernd gewirkt. A.A. Sehrt, Niederrheinische Aktiengesellschaften, S. 30: Die mangelhafte gesetzliche Regelung des Aktienrechts habe nicht das rheinische Aktienwesen, sondern das Misstrauen gegen das Institut der AG befördert.
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§2 Zum
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nalität wert sind, hier in den Grundzügen nachgezeichnet zu werden, belegen einerseits, dass der österreichische Gesetzgeber früh von einer Regelungsbedürftigkeit der inneren Gesellschaftsverhältnisse ausging; andererseits stehen sie aber wohl auch für eine erhebliche Praxisferne. Das ABGB enthielt kein besonderes Handelsgesellschaftsrecht, sondern in den § § 1175 ff. nur Regelungen für eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, welche allerdings gemäß § 1216 ABGB auf die Handelsgesellschaften subsidiär Anwendung finden sollen. Da es vor dem ADHGB in Osterreich nicht mehr zur einer umfassenden Regelung der handelsrechtlichen Materie kam 1 5 0 , bildeten die § § 1175 ff- ABGB ftir die Handelsgesellschaften ein halbes Jahrhundert lang die wichtigste gesetzliche Grundlage 1 5 1 . Immerhin ist aber auch die Gesellschaft des ABGB eine Erwerbsgesellschaft (§ 1175 ABGB) und schon die kommentierenden Bemerkungen Zeillers machen deutlich, dass die Verfasser des Gesetzbuches die Verhältnisse der Handelsgesellschaften zumindest mitberücksichtigen wollten 1 5 2 . Der Wortlaut des Gesetzes scheint zunächst darauf hin zu deuten, dass dieses noch nicht zwischen der Verpflichtung der Gesellschafter zu Arbeitsleistungen und deren Berechtigung, am Willensbildungsprozess der Gesellschaft teilzunehmen, unterscheidet 1 5 3 . Erläuternd wird jedoch klargestellt, aus einer fehlenden Verpflichtung zur Mitarbeit folge nicht, dass die Gesellschafter „auch von der Einsicht des Geschäftsganges und der Rechnungen" sowie „von den Berathschlagungen über Gesellschaftsangelegenheiten ausgeschlossen" seien 1 5 4 . Gewöhnlich beinhalte der Ausschluss einzelner Gesellschafter von der „Besorgung der Geschäfte" zwar auch den Ausschluss dieser von Beratungen über die Geschäftsbesorgung. „So bald aber in solchen Berathschlagungen von den Grundsätzen der Gesellschaft, worauf alle Theilnehmer ihre Einwilligung beschränket haben, abgewichen werden soll," seien alle Gesellschafter zur Beratung hinzuziehen 155 . Für die Einzelheiten der Beschlussfassung wird von § 1188 auf die entsprechenden Vorschriften zur „Gemeinschaft des Eigentums" in den § § 833 ff. verwiesen. Diese Bestimmungen waren im Entwurf zum ABGB noch im gesellschaftsrechtlichen Abschnitt enthalten gewesen 15 ; bei ihrer Schaffung sind die Gesellschaften also durchaus mitbedacht worden. Unterschieden wird zunächst zwischen „Angelegenheiten, welche nur die ordentliche Verwaltung und Benutzung des Hauptstammes be150 Zu den verschiedenen Regelungsbemühungen vgl. nur Serpos, Personenhandelsgesellschaften, S. 118f. 151 Einen Überblick über die gegen 1835 geltenden speziellen Vorschriften für Handelsgesellschaften gibt Paurnfeindt, Handbuch der Handelsgesetze, 1836, S. 193 ff. Vgl. auch Rauch, 69 (1952), 239, 244 ff. zur Entwicklung des österreichischen Aktienwesens in dieser Zeit. 152 Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, III. Band, 2. Abt., 1813, S. 527 fF. Vgl. auch Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 117: Die Handelsgesellschaften waren Vorbild. 153 „Wer lediglich einen Geld- oder andern Beytrag verheißen hat, der hat weder die Verbindlichkeit, noch das Recht, auf eine andere Art zu dem gemeinschaftlichen Erwerbe mitzuwirken." § 1187 Satz 2. 154 Zeiller, ABGB III/2, S. 542. Diese Differenzierung war zunächst aber noch nicht Gemeingut. Teilweise beschränkte sich auch hier die zeitgenössische Handelsrechtsliteratur darauf, den Wortlaut des Gesetzes umzustellen; vgl. z. B. Fischer/Ellinger, Handelsrecht, S. 85. 155 Zeiller, ABGB III/2, S. 543. 156 Hierzu Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 115, Fußn. 4.
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treffen" (§ 833) und darüber hinaus gehenden „wichtigen Veränderungen ..., welche zur Erhaltung oder bessern Benutzung des Hauptstammes vorgeschlagen werden" (§ 834). Für die Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen ist diese Differenzierung ohne Bedeutung. Sowohl über Maßnahmen der ordentlichen als auch solche der außerordentlichen Verwaltung wird mit Mehrheit beschlossen 1 5 7 , wobei die Mehrheit jeweils nicht nach Köpfen, sondern nach den Anteilen am Gesellschaftsvermögen berechnet wird. Während sich die überstimmte Minderheit bei Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung ohne weiteres der Mehrheit fügen muss, sollen bei außerordentlichen Maßnahmen die Minderheitsinteressen mittels eines komplizierten Verfahrens geschützt werden: Die Minderheit kann zunächst von der Mehrheit verlangen, dass ihr für die sich aus der beschlossenen Maßnahme ergebenen Risiken eine Sicherheit gestellt wird; ist die Mehrheit hierzu nicht bereit, dürfen die überstimmten Gesellschafter austreten (§ 834). „Wollen sie nicht austreten; oder geschähe der Austritt zur Unzeit; so soll das Los, ein Schiedsmann, oder wofern sie sich darüber nicht einhellig vereinigen, der Richter entscheiden, ob die Veränderung unbedingt oder gegen Sicherstellung statt finden soll oder nicht." (§ 835) Damit kommt im Modell des ABGB der richterlichen Entscheidung zentrale Bedeutung zu: Der Richter muss beurteilen, ob die beschlossene Maßnahme „offenbar vorteilhaft, nachtheilig, oder bedenklich ist", denn hiervon soll die Verpflichtung der Mehrheit zur Sicherheitsleistung abhängig sein 1 5 8 . Bis dahin hat die Durchführung der Maßnahme zu unterbleiben. Obwohl die ABGB-Verfasser die Anstellung eines Fremdgeschäftsführers für möglich hielten 1 5 9 , beschäftigte sie die Frage nach einer generellen Eingrenzung seiner Befugnisse offenbar noch nicht. Die in den § § 833 f. ABGB gefundene Formel zur Unterscheidung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Verwaltung wäre insoweit vermutlich ohne praktischen Wert gewesen 1 . Auch die in der Zeillerschen Kommentierung getroffene Aussage, die von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter seien bei Abweichungen „von den Grundsätzen der Gesellschaft", zur Beratung hinzuziehen , hat wohl nicht die Fremdgeschäftsführung vor Augen. Uberhaupt blieb das Verhältnis zwischen dieser Abgrenzung und jener zwischen ordentli-
157 Zwar kann kein Gesellschafter durch einen Mehrheitsbeschluss zu höheren Beiträgen verpflichtet werden, ist der Gesellschaftszweck ohne diese Erhöhung aber nicht zu erreichen, dürfen die widersprechenden Mitglieder aus der Gesellschaft gestoßen werden (§ 1189). Ansonsten können sich die Gesellschafter, die zusätzliche Beiträge leisten, einen erhöhten Gewinnanteil vorbehalten, so Zeiller, ABGB III/2, S. 544. Ein einstimmiger Beschluss wird jedoch für die vorzeitige Auflösung der Gesellschaft gefordert, a.a.O., S. 565. 158 Vgl. Zeiller, ABGB II/2, S. 890. 159 Vgl. mit Zeiller, ABGB III/2, S. 550; sowie Servos, Personenhandelsgesellschaften, 160 Zeiller, ABGB II/2, S. 886 f., lässt sich bei seiner Erläuterung der außerordentlichen Verwaltung offenbar lediglich von der Eigentumsgemeinschaft und nicht von der Handelsgesellschaft leiten: Das „Ausleihen von Capitalien ohne Sicherheit, oder auf Waggeschäfte, neue Bauführungen, eine ungewöhnliche Bestellung oder Benützung eines Grundstückes". 161 Zeiller, ABGB III/2, S. 543.
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eher und außerordentlicher Verwaltung offensichtlich noch unerörtert 1 6 2 . Immerhin war man aber schon um eine Regelung der Rechenschaftspflichten bemüht Verglichen mit ALR und Code de Commerce regelt das ABGB die Binnenstruktur der Handelsgesellschaft zumindest in Teilbereichen bereits vergleichsweise intensiv vor. Allerdings weisen die ABGB-Vorschriften mehrfach explizit auf die Möglichkeit abweichender gesellschaftsvertraglicher Gestaltung hin . Auf einen sehr weitreichenden Eingriff staatlicher Institutionen in den gesellschaftsinternen Willensbildungsprozess läuft aber die Regelung des § 835 ADBGB hinaus. Während man unter dem preußischen und französischen Recht Konflikte unter den Gesellschaftern noch nahezu ausschließlich durch nicht-staatliche Schiedsgerichte lösen lassen will (vgl. unter C 1.2), überweist das ABGB dem ordentlichen Richter selbst die Durchführung unternehmerischer Maßnahmen zur Entscheidung.
C. Rechtsprechung und rechtswissenschafiliches I.
Schrifttum bis gegen 1840
Rechtsprechung
1. Uber blick Sammlungen obergerichtlicher Erkenntnisse aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts enthalten nur wenige Urteile zu den Handelsgesellschaften und auch diese beschäftigen sich zumeist nicht mit Problemen des Innenrechts; insoweit macht es keinen Unterschied, ob man auf das Gebiet des preußischen, französischen oder gemeinen Rechts blickt. So findet sich in den ersten fünf Bänden der Entscheidungssammlung zum preußischen Ober-Tribunal aus den Jahren 1837 — 1841 ein einziges gesellschaftsrechtliches Urteil: Erörtert werden die Wirkungen einer Lotto-Gemeinschaft . Im siebten Band folgt eine Entscheidung, in der vergleichsweise ausführlich diskutiert wird, ob eine auf sechs Jahre abgeschlossene Sozietät zu den Gelegenheits- oder zu den Dauergesellschaften zu rechnen ist. Uber den Einwand des Verklagten, er sei nicht ordentlicher, sondern nur stiller Gesellschafter gewesen, ging das Berufungsgericht dagegen mit der Bemerkung hinweg, als stiller Gesellschafter könne der Verklagte nicht angesehen
162 Die Aussagen, Fremdgeschäftsführer seien zur ordentlichen Verwaltung i.S.v. § 833 ABGB berechtigt gewesen, und diese „ordentliche Verwaltung" umfasse mehr als der Bereich des „gewöhnlichen Betriebs" gemäß § 116 HGB, vermag Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 127, nur auf Äußerungen im jüngeren Schrifttum zu stützen. Es lässt sich nicht belegen, dass man schon in den ersten drei bis vier Jahrzehnten des 19. Jahrhundert begonnen hatte, sich mit dieser Problematik intensiver auseinander zu setzen. 163 Vgl. vor allem § 1198 ABGB: „Die Mitglieder, denen die Verwaltung anvertraut ist, sind verbunden, über den gemeinschaftlichen Hauptstamm, und über die dahin gehörigen Einnahmen und Ausgaben ordentlich Rechnung zu führen und abzulegen." 164 Vgl. nur § § 1184 f. 1187 f. ABGB. 165 Entscheidungen des Königlich Geheimen Ober-Tribunals, hrsg. von Simon und Strampff, Berlin, 1837ff., Bd. 2, 133ff.
C. Rechtsprechung
und rechtswissenschaftliches
Schrifttum
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werden, „weil er nicht nach Verhältniß seines Einlage-Kapitals, sondern zu einem Drittel an dem Gewinn und Verlust habe Antheil nehmen sollen." Ansonsten blieb die dem Verklagten im Gesellschaftsvertrag eingeräumte Rechtsstellung unerörtert. Da die Entscheidungsgründe nicht vollständig abgedruckt worden sind, ist nicht übermittelt, wie das Ober-Tribunal hierüber dachte. Alle anderen in den Bänden 5 bis 10 (1841 1845) publizierten Urteile, die sich in etwa noch dem Gesellschaftsrecht zuordnen lassen, haben wenig unmittelbaren Bezug zur hier zu untersuchenden Thematik 1 6 7 . In den gesammelten Erkenntnissen des Badischen Ober-Hofgerichts finden sich zunächst durchaus einige gesellschaftsrechtliche Entscheidungen . Nachdem das Gericht dann aber klargestellt hatte, die Kompetenz der Schiedsgerichte für handelsgesellschaftliche Streitigkeiten gemäß Satz 51 des Anhangs zum Landrecht erstrecke sich auch auf Auseinandersetzungen, die erst nach Auflösung der Gesellschaft aufgekommen seien 1 9 , bleibt man von solchen Verfahren fortan weitgehend verschont 170 . Der besonderen Erwähnung wert ist dagegen eine Entscheidung des Kasseler Oberappellationsgerichts, in der über den Umfang des staatlichen Oberaufsichtsrechts über Korporationen gestritten wurde : Die Direktion der Leih- und Commerzbank zu Cassel, einer offenbar schon 1721 auf Aktien errichteten Gesellschaft, fordert im Juli 1841 ihre Aktionäre zum Empfang der von ihr festgesetzten (sehr hohen) Dividende auf. Der zuständige Regierungs-Kommissar rügt, ihm seien weder der entsprechende Beschluss noch die zugehörigen Vorakten zur „Visirung" vorgelegt worden, und verfügt deshalb die Vorlage der Akten und die Aussetzung des Beschlusses. Hiergegen klagt die Direktion mit der Argumentation, dass „nur objectiv dem Staatswohl Gefahr drohende Handlungen" Gegenstand der Staatsaufsicht wären, „vorliegend aber von einer solchen nicht die Rede sey, vielmehr lediglich eine Privatangelegenheit der Actionäre, die der Direction statutenmäßig zukommende Befugniß die Dividende zu bestimmen, in Frage stehe". 1 7 2 Das OAG verpflichtet die Direktion zur Vorlage der angeforderten Unterlagen, weil dies nur der Wahrnahme des staatlichen Aufsichtsrechts und nicht der Ein-
166 OT-Entscheidungen Bd. 7, 10, 13. 167 Von einigem Interesse ist vielleicht noch Bd. 7, 126 (Der Ausschluss aus einer erlaubten Privatgesellschaft fällt nicht in die Kompetenz der Polizeibehörde, sondern kann auf dem Rechtswege angefochten werden.) Vgl. auch Bd. 8, 129 (Solidarische Verpflichtung der Gesellschafter einer Handelsgesellschaft setzt nicht in jedem Fall den Abschluss eines schriftlichen Gesellschaftsvertrages voraus.); 9, 305 (Eine als Korporation erkannte Kirchengesellschaft benötigt zum Erwerb von Grundstücken die Erlaubnis des Staates.). 168 Jahrbücher des Großherzoglichen Badischen Ober-Hofgerichts zu Mannheim, hrsg. von v.Hohnhorst, Mannheim, 1823 ff. Vgl. Bd. 1 (1823), 273 f. zu Haftung der Sozien einer Handelsgesellschaft für eine noch unter dem alten Recht, d.h. vor 1810, eingegangenen Verpflichtung; Bd. 2 (1824), 157ff. zur sehr ausführlich erörterten Frage nach der Rechtsnatur eines Vertrages zur gemeinsamen Pacht einer Spielbank. 169 Bd. 3 (1825), 146; bestätigt durch Bd. 12 (1838/39), 467 f. 170 Vgl. etwa noch Bd. 11 (1836/37), 199; 14 (1842/43), 599, jeweils zur Frage, ob durch eine Klausel im Gesellschaftsvertrag jedes Rechtsmittel gegen Schiedssprüche ausgeschlossen sein sollte. 171 Neue Sammlung bemerkenswerther Entscheidungen des Ober-Appellations-Gerichtes zu Cassel, hrsg. von Strippelmann, 1842ff.,Teil III, 1. Abteilung (1843), S. 262ff. 172 Strippelmann, Sammlung, Teil III/1, S. 267.
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mischung in die Verwaltungsgeschäfte diene. Es gibt der Klage jedoch statt, soweit die Aussetzung der Dividendenzahlung angegriffen wird: Hierin liege ein Eingriff in die Verwaltungsrechte der Bank, da diese „schon vermöge der ihr vom Staatsoberhaupte verliehenen Persönlichkeit als befugt erscheint, durch ihre unter landesherrlicher Approbation erwählten, Directoren, innerhalb der Grenzen des ihr ertheilten Privilegs, selbstständig Beschlüsse zu fassen und zur Vollziehung zu bringen, ohne dazu der Genehmigung einer Staatsbehörde zu bedürfen". 173 Die Entscheidung des OAG Kassel deutet an, dass sich zu Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts das Verhältnis zwischen einer konzessionierten Aktiengesellschaft und der staatlichen Obrigkeit gewandelt hat. Während unter dem Oktroisystem der Einflussnahme des Staates auf eine Handelscompagnie praktisch keinerlei Grenzen gesetzt waren (vgl. unter A II), können nun die Gesellschafter ihren Verband zumindest in einem gewissen Ausmaß selbstverwalten. Wie weit ihre Souveränität dabei konkret reichte, wird später im Detail zu untersuchen sein (unter § 3). Gerade auf handelsrechtlichem Gebiet genoss die Rechtsprechung des 1820 errichteten Lübecker Oberappellationsgerichts für die vier Freien Städte Deutschlands besondere Autorität 174 . Bieten die Aufzeichnungen T&ö/f175 sowie die vom ersten OAGPräsidenten gemeinsam mit seinem Stellvertreter herausgegebenen Urteilsabhandlungen 176 einen halbwegs repräsentativen Querschnitt, so machte jedoch auch dieses Gericht keine Ausnahme: Obwohl an zahlreichen Rechtsstreitigkeiten Handelsgesellschaften beteiligt waren, erhielt das OAG in der Zeit vor 1840 nur sehr selten Gelegenheit, sich zu gesellschaftsrechtlichen Fragen zu äußern. Thöl selbst ordnet 9 von insgesamt 295 Entscheidungssätzen dem Abschnitt „Handelsgesellschaft" zu 177 ; darunter sind noch solche zur Gesellschaftsfirma und zur Eidleistung in der Liquidationsgesellschaft. Es bleiben mithin nur wenige - bei Thöl nicht näher erläuterte — Rechtssätze 178 . In der Sammlung von Heise und Cropp beschäftigt sich nur ein Beitrag, dafür aber sehr ausführlich, mit Fragen des Innenrechts. Auf ihn soll gesondert eingegangen werden (unter 1.3).
Strippelmann, Sammlung, Teil III/l, S. 270. Hierzu Bergfeld, Handelsrechtliche Entscheidungen, S. 72 ff.; Kusserow, Oberappellationsgericht, S. 92ff.; Landwehr, ZLGA 60 (1980), 21, 55 ff. 175 Thöl, Ausgewählte Entscheidungsgründe des Oberappeüationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, 1857. Die Sammlung beruht auf Notizen, die Thöl 1836 zu Akten der Jahre 1821 - 1836 angefertigt hat. 176 Heise/Cropp, Juristische Abhandlungen mit Entscheidungen des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, Erster Band 1827, Zweiter Band 1830. 177 Thöl, Entscheidungsgründe, S. 23 ff Auf Akten umgerechnet (mitunter werden einer Akte mehrere Sätze entnommen) stellt sich das Verhältnis wie folgt dar: 7 von 133 Handelsrechts-Akten enthalten gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. 178 Vgl.nurNr. 18 (In der Societät liegt oft ein Mandat an einen Socius); Nr. 19 (In Sachen von Wichtigkeit soll ein Socius den andern befragen) und Nr. 23 (Der firmierende Socius ist Institor). Bestätigt wird dies Bild durch die Untersuchungen von Kusserow, Oberappellationsgericht, S. 122ff., der weitere Sammlungen von Entscheidungen des OAG Lübeck ausgewertet hat; Fast alle dort angeführten Urteile stammen aus der Zeit kurz vor bzw. nach der Jahrhundertmitte. 173
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2.
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Schrifttum
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Schiedsgerichtsbarkeit
Die geringe Anzahl gesellschaftsrechtlicher Gerichtsentscheidungen aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts lässt sich auf verschiedene Ursachen zurückzuführen: Generell förderten die in vielen Gesellschaften damals noch dominierenden Familienbindungen andere Wege der Konfliktbewältigung 1 7 9 . In die gleiche Richtung wirkte die gerade bei Handelsgesellschaften verbreitete Tendenz, Gesellschaftsinterna unter keinen Umständen nach außen dringen zu lassen 180 . Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass die Tätigkeit der Schiedsgerichte nicht auf die kleineren „privaten" Handelsgesellschaften beschränkt blieb, bei denen die vollkommen eigenverantwortliche Ausübung der Verbandssouveränität durch die Gesellschafter eine lange Tradition besaß (vgl. unter A I ) , sondern auch das Aktienwesen erfasste. Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildete vermutlich die Regelung des Art. 51 Code de Commerce, nach der jede Streitigkeit „unter Gesellschaftern und wegen der Gesellschaft" von Schiedsrichtern zu entscheiden war. Diese Bestimmung strahlte nachweisbar auch auf die Gebiete anderen Rechts aus 1 8 1 . Allerdings war damit das Tätigwerden ordentlicher Gerichte nicht generell ausgeschlossen. Einerseits sollten verschiedene Fallgruppen von Streitigkeiten von der Vorschrift des Art. 51 ausgenommen sein , andererseits war nach Art. 52 Code de Commerce eine - an die ordentlichen Gerichte gehende - Appellation gegen das Schiedsurteil möglich. Ein solches Rechtsmittel konnte jedoch durch gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden 1 8 3 . Die Satzungen der wenigen deutschen Aktiengesellschaften aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts enthalten nur selten Schiedsgerichtsklauseln 1 ; die Situation ändert sich sehr rasch, als in den folgenden Jahren die Zahl der Neugründungen ansteigt. Bei den in den Jahren 1835 — 1845 entstandenen Aktiengesellschaften weisen ca. zwei Drittel der in den Gesetz- und Regierungsblättern publizierten Statuten solche — häufig Zur Praxis der nicht konzessionierten Gesellschaften in dieser Zeit vgl. unter § 5 A. Vgl. insoweit schon unter A I zu den süddeutschen Fernhandelsgesellschaften. 181 So betonen die Ältesten der Berliner Kaufmannschaft in einem 1829 für die preußische Gesetzesrevision erstatteten Gutachten (vgl. unter C II.3): „Die Bestimmungen des Französischen Handels-Gesetzbuches § 51 — 64, nach welchen jeder zwischen Handelsgesellschaftern über Gegenstände ihres gesellschaftlichen Verhältnisses entstandene Streit nur durch Schiedsrichter entschieden werden kann, so wie die Vorschriften über das Schiedsrichterliche Verfahren, finden wir höchst zweckmäßig." Gans, Beiträge, S. 194. 182 Hierzu gab es eine umfangreiche und mitunter widersprüchliche Rechtsprechung französischer Gerichte; vgl. Broicher/Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 29 f. 183 Zumindest das Badische Oberhofgericht hat aber erkennbar gezögert, Vertragsklauseln in diesem Sinne auszulegen; vgl. Jahrbücher Bd. 11 (1836/37), 199; 14 (1842/43), 599. Ohnehin wurde im Schrifttum die Auffassung vertreten, werde ein Streit trotz einer die ordentliche Gerichtsbarkeit ausschließenden Schiedsklausel vor ein Zivilgericht gebracht, so sei der Richter keineswegs inkompetent. Vgl. Bender; Frankfurter Privatrecht, S. 759. 184 Eine Ausnahme bildet insoweit das Statut der Rheinisch-Westindischen Kompagnie, abgedruckt bei Bender, Handlungs-Recht, S. 326 ff.: „Alle Streitigkeiten zwischen den Aktionairs in Sachen der Kompagnie sollen auf schiedsrichterlichem Wege entschieden werden; die Theilnehmer an dieser Gesellschaft versprechen, sich dieser Entscheidung zu unterwerfen, und auf allen andern Rechts-Rekurs zu verzichten." (§44). 179 180
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wortgleiche - Klauseln auf: Vor allem in Preußen und Sachsen sollen fast immer Schiedsgerichte entscheiden; dagegen verzichtet man in Hessen offenbar ganz auf sie 1 8 5 . W i r d vereinbart, Streitigkeiten unter den Aktionären sowie zwischen diesen und der Gesellschaft einer schiedsgerichtlichen Entscheidung zu unterstellen 18 , so schließt man - soweit ersichtlich ausnahmslos - jedes Rechtsmittel aus. Während in Preußen die Schiedsgerichte ohne weiteres zur Entscheidung befugt sind, sollen in Sachsen diejenigen Parteien, welche sich „über die factischen Umstände nicht einig" sind, zunächst an das Handelsgericht Leipzig verwiesen werden. „Von diesem ist über die Zulässigkeit der gebrauchten Beweismittel, nach abgehaltenem Productionstermine und Verfahren, (wobei allenthalben die Grundsätze des Handelsgerichtsprocesses Platz ergreifen), ein Gerichtsbescheid zu geben, oder rechtliches Erkenntniß einzuholen, nach dessen Publication, und nach Befinden erfolgter Purification, die Sache zur Hauptentscheidung an die Schiedsrichter zurückgegeben wird." 1 8 7 Einzelne Angelegenheiten, wie z. B. die Verfolgung von Regressansprüchen gegen Mitglieder des Direktoriums, werden mitunter ausdrücklich der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbehalten Eine außergewöhnliche Regelung trifft das Statut der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft: (§ 59) 1 8 9 . Die ordentlichen Gerichte sollen nur für drei Fallgruppen zuständig sein: die Nichtzahlung der festgestellten Dividende durch die Gesellschaft, die Nichtentlastung der Direktion nach Vorlage der Jahresrechnung 1 9 0 und die Inanspruchnahme der Aktionäre wegen rückständiger Einzahlungen. Alle anderen „Streitigkeiten zwischen einzelnen Aktionairs und den Verwaltungsbehörden der Gesellschaft, welche die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens im weitesten Sinne, oder die Anrechte der Aktionairs auf Mitwirkung bei dieser Verwaltung betreffen", dürfen weder zur richterlichen noch zur schiedsrichterlichen Entscheidung gebracht werden. Stattdessen soll hierüber entweder der Ausschuss der Gesellschaft oder das Plenum der Generalversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit entscheiden. Auf den ersten Blick scheinen eine derartige Regelung wie auch alle sonstigen in den Statuten der Aktiengesellschaften enthaltenen Schiedsklauseln vor allem die Sicherung einer souveränen Entscheidungsfreiheit der Gesellschafter zu bezwecken, wird doch auf diese Weise der Einfluss außenstehender Dritter, nämlich der staatlichen Gerichte von den Gesellschaften ferngehalten. Doch ist vor übereilten Schlüssen zu warnen, hatten doch selbst die unter sehr intensiven Staatseinflüssen stehenden Handelscompagnien früherer Jahrhunderte fast immer das Privileg erhalten, Streitigkeiten unter den Gesellschaftern sowie zwischen diesen und der Verwaltung selbst entscheiden zu könZur Statutenpraxis in dieser Zeit ausführlich unter § 3 B. Nur in wenigen Fällen versucht man auch außenstehende Dritte in „Eisenbahnangelegenheiten" auf die Inanspruchnahme eines schiedsgerichtlichen Verfahrens zu verpflichten. Vgl. z. B. § 73 des Statuts der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft, Preußische Gesetz-Sammlung 1842, 59. 187 So § 69 des Statuts der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie, Sächs. GVOB1 1837, 26. Entsprechende Vorschriften enthalten alle publizierten sächsischen Statuten aus dieser Zeit. 188 Vgl. § 72 des Statuts der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft, Preuß. GS 1851, 727. 189 Preußische Gesetz-Sammlung 1845, 168. 190 Waren Ausschuss und Direktion einverstanden, so konnte in diesem Fall jedoch auch ein Schiedsverfahren eingeleitet werden. 185 186
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nen ( vgl. unter A II). Auch Mitte des 19. Jahrhunderts sind die konzessionierten Aktiengesellschaften keinesfalls frei von staatlicher Einflussnahme: Fast immer müssen alle wichtigen Entscheidungen von der Konzessionsbehörde genehmigt werden; regelmäßig unterliegen die Gesellschaften außerdem noch einer weitergehenden Staatsaufsicht 191 . Es gibt Indizien dafür, dass es gerade die Konzessionsbehörden waren, die für die Aufnahme von Schiedsklauseln in die AG-Satzungen sorgten (vgl. unter § 7 B 1.4), zumindest untersagten sie derartige Regelungen nicht. Den Behörden dürfte es dabei kaum um eine Stärkung der Gesellschafter-Selbstverwaltung gegangen sein. Möglicherweise ging man davon aus, die kaum rechtlich reglementierte Staatsaufsicht ließe sich eher mit dem flexiblen Tätigwerden von Schiedsgerichten abgleichen als mit dem Wirken ordentlicher Gerichte 192 . Vielleicht glaubte man aber auch nur, den bestehenden Gerichten fehle das nötige Fachwissen, um gesellschaftsrechtliche Konflikte entscheiden zu können. Für die unter der Geltung des Allgemeinen Landrechts stehenden Teile der Monarchie ergeht jedenfalls am 3.4.1847 das Gesetz über die Errichtung von Handelsgerichten, das nicht nur die Streitigkeiten „aus Sozietätsverträgen zu Handels-, Fabrik-, Manufakturunternehmungen, während der Dauer und bei oder nach Auflösung der Sozietät" ausdrücklich in die Zuständigkeit der Handelsgerichte überweist (§19 Ziffer 7), sondern auch diejenigen Aktiengesellschaften, „welche auf Gewerbeoder Handels-Unternehmungen gerichtet sind" hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit generell den Handeltreibenden gleichstellt (§ 22). Allerdings wird dies Gesetz niemals tatsächlich ausgeführt 193 , so dass sich nach kurzem Zögern bald wieder in vielen AG-Satzungen Schiedsklauseln finden (vgl. unter § 6 A II. 1).
3. Cropp: „ Vom correspondirenden
Rheder"
Der erste Präsident des Lübecker Oberappellationsgerichts Georg Arnold Heise gibt in den Jahren 1827 und 1830 gemeinsam mit seinem Vizepräsidenten Friedrich Cropp zwei Bände „Juristischer Abhandlungen" heraus 194 , in denen vom OAG entschiedene Rechtsfälle zum Anlass genommen werden, die jeweilige Thematik einer eingehenden wissenschaftlichen Erörterung zu unterziehen. Wie Heise in der Vorrede freimütig einräumt 195 , stammen fast alle Beiträge aus der Feder Cropps, so auch der über den korrespondierenden Reeder 196 . In diesem umfangreichen Aufsatz, in dem der konkrete Ausführlich hierzu insb. unter § 3 A und § 6 A III. Auf fällt, dass gerade in den Statuten jener neugegründeten Eisenbahngesellschaften, an denen sich der preußische Staat ab 1844 als bevorrechtigter Großaktionär beteiligt (vgl. unter § 3 B II. 5), die Schiedsgerichtsklauseln völlig fehlen. 193 Dies wird von Bösselmann, Aktienwesen, S. 65 f. übersehen. Zu den Gründen der Nichtausführung des Gesetzes und zur späteren Errichtung von Handelsgerichten in einigen deutschen Staaten siehe Schubert, Gerichtsverfassung, S. 181 ff. 194 Zu Georg Arnold Heise siehe unter II.l. Friedrich Cropp (1790 — 1832) studierte in Göttingen und Heidelberg Rechtswissenschaft. Nachdem er sich in Heidelberg promoviert und habilitiert hatte, wurde er dort 1814 außerordentlicher und 1817 ordentlicher Professor. 1820 wechselte er dann an das Lübecker Oberappellationsgericht. Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, 4. Bd., S. 610ff. 195 Vgl. Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. VII f. 191
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Rechtsfall erst auf den letzten drei von über 30 Seiten Erwähnung findet, bemüht sich Cropp darum, die Rechtsstellung eines korrespondierenden Reeders und dessen Verhältnis zu den Mitreedern zu klären, wobei nicht nur das einschlägige rechtswissenschaftliche Schrifttum, sondern auch das preußische und mehrere ausländische Seerechte Beachtung finden. In den norddeutschen Seestädten ist in jener Zeit das gemeinsame Auftreten aller Mitreeder zur Ausnahme geworden, diese gehen stattdessen dazu über, die Geschäfte einem von ihnen, welcher dirigierender, buchführender oder korrespondierender Reeder genannt wird, zu übertragen. Das Rechtsverhältnis zwischen dem korrespondierenden und den anderen Reedern ist weitgehend ungeklärt; von den deutschen Rechten enthält hierzu nur das preußische einige wenige Bestimmungen 1 9 7 . In dem an das OAG gelangten Streitfall hatte ein korrespondierender Reeder ohne Konsultation seiner Mitreeder umfangreiche Reparaturarbeiten am Schiff in Auftrag gegeben. Schon auf der nächsten Fahrt war das Schiff jedoch erneut beschädigt worden, es entstanden mithin weitere Kosten und beim schließlichen Zwangsverkauf des Schiffes wurde nicht genug erlöst, um alle Gläubiger befriedigen zu können. Da der korrespondierende Reeder unterdessen insolvent geworden war, klagten Handwerker mit Forderungen aus der ersten Reparatur gegen eine Mitreederin. Die machte geltend, der korrespondierende Reeder hätte eigenmächtig gehandelt, der Gesellschaftergesamtheit seien die entsprechenden Maßnahmen nie zur Genehmigung vorgelegt worden. Das OAG Lübeck hatte sich in diesem Verfahren deshalb auch mit der Binnenorganisation eines Verbandes, insbesondere der gesellschaftsinternen Kompetenzverteilung zu beschäftigen. Derartige Fragestellungen beschäftigten die ordentlichen Gerichte in der damaligen Zeit nur in seltenen Ausnahmefällen (vgl. unter C 1.1). Vor diesem Hintergrund erstaunt, mit welchem Problembewusstsein von Cropp wesentliche Aspekte des Verhältnisses der Geschäftsführer eines Verbandes zur Gesellschaftergesamtheit und zu Dritten herausgearbeitet werden 1 9 8 : Cropp, der noch nicht zwischen Vertretung und Geschäftsführung begrifflich scheidet, hebt zunächst hervor, dass mit der damals verbreiteten Kennzeichnung des korrespondierenden Reeders als Factor noch nichts gewonnen wäre, „da der Wirkungskreis des Factors gleich dem jedes andern Mandatars sich nach der ertheilten Gewalt richtet; so entsteht noch immer die weitere Frage, welchen Umfang denn die ihm gegebene Vollmacht habe." 1 9 9 Daraus allein, dass die Reeder einen von ihnen zum Korrespondenten oder Buchführer bestellt hätten, folge noch nicht, dass diesem auch die Direktion in allen Arten von Schiffsangelegenheiten übertragen sein müsse . Üblicherweise regle man die Befugnisse des Korrespondenten in einem schriftlichen Kontrakt und rücke sie auch in den Reederbrief ein, den sich jeder Dritte, der sicher gehen wolle, vorHeise/Cropp, Abhandlungen I, S. 504 ff. V g l . § § 1431 f., 1519II8ALR. 198 Vgl. auch das hohe Lob von Goldscbmidt, ZHR 1 (1858), 1, 16, zu den Abhandlungen Cropps: „Diese Aufsätze sind mehr noch durch ihre Methode, als durch ihren vielfach bahnbrechenden Inhalt, Muster für die ganze Folgezeit geblieben...." 199 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 506. 200 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 507. 196
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legen lassen könne; der näheren Untersuchung bedürfe jedoch der Fall, in dem nichts ausdrücklich geregelt worden sei. Insoweit hebt Cropp in einem ersten Schritt einen unstrittigen Maximal- und einen ebenso außer Streit stehenden Minimalbereich ab: Klar sei einerseits, dass der korrespondierende Reeder „ohne specielle Autorisation der übrigen Rheder keine Macht habe, das Schiff zu veräußern"; auch müsse „man ihm denn auch die Befugniß absprechen, die Schiffsparte seiner Mitrheder ohne ihren besonderen Auftrag versichern zu lassen" 2 0 1 . Andererseits ergebe sich schon aus der Bestellung eines korrespondierenden Reeders, dieser solle zur Ausführung der gemeinsam gefassten Beschlüsse, zur Anweisung des Schiffers und zur Buchführung befugt sein
. Es
verbleibe aber ein Bereich, in dem zweifelhaft sei, ob der Korrespondent ohne einen entsprechenden Beschluss aller Reeder tätig werden dürfe: Könne er eigenmächtig den Zielort des Schiffes bestimmen, eine größere Reparatur anordnen oder ein Darlehen aufnehmen? Zwei Ansichten ließen sich insoweit vertreten. Zum einen könne man den Korrespondenten für umfassend befugt erachten: Der Schiffer, der in einem auswärtigen Hafen recht weitreichende Befugnisse habe, unterliege im Heimathafen vielen rechtlichen Beschränkungen, weil hier an sich alle Reeder gemeinsam tätig werden müssten; die Bestellung eines korrespondierenden Reeders solle deshalb in der Sache offenbar die angeordnete Unzuständigkeit des Schiffers kompensieren 2 0 3 . Für diese Ansicht scheine auch zu sprechen, dass es Dritten an einer passenden Gelegenheit fehlen würde, „sich von dem Einverstandensein der übrigen Rheder mit solchen an sich nicht unzweckmäßigen Verträgen und Anordnungen zu vergewissern, wenn sie nicht dem Buchführer durch das Verlangen nach einer besonderen Vollmacht ein beleidigendes Mistrauen zu erkennen geben, und sich dadurch dem Verluste ihrer Kundschaft aussetzen wollen." Setzten die Reeder einen von ihnen als Korrespondenten ein, so müssten sie auch die Folgen dessen Fehlverhaltens tragen „und nicht die ganz unschuldigen Dritten" Nach diesen engagierten - hier nur verkürzt wiedergegebenen - Ausführungen, überrascht es schon ein wenig, dass Cropp sich später als Anhänger der Gegenansicht zu erkennen gibt: Bestellten die Reeder einen Korrespondenten, so wollten sie den Geschäftsgang vereinfachen und jemanden haben „der für ihr Interesse wachsam sei"; keineswegs läge es dagegen in ihrer Absicht, „demselben dieses ihr Interesse zur freien Disposition anheim zu stellen." Deshalb obliege dem „Schiffsdirector" zwar die Durchführung der gefassten Beschlüsse und der laufenden Geschäfte. .Allein so wie eine wichtigere und zweifelhaftere Angelegenheit in Frage stände, so würde es ihm obliegen, die übrigen Rheder zusammen zu rufen, und einen gemeinsamen Beschluß derselben zu veranlassen." 205 Zwar müsse bei einer Verbindung mehrerer Teilnehmer, einer für
201
Heise/Cropp,
Abhandlungen I, S. 5 0 8 f. Letzteres wird damit begründet, dass viele Reeder das Ver-
lustrisiko selbst zu tragen wünschten, „um nicht ihren Frachtverdienst durch Assecuranzprämien zu schmälern". 202
Heise/Cropp,
Abhandlungen I, S. 510ff.
203
Heise/Cropp,
Abhandlungen I, S. 514.
204
Heise/Cropp,
Abhandlungen I, S. 5 1 6 f .
205
Heise/Cropp,
Abhandlungen I, S. 5 1 8 .
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die Vornahme kleinerer Geschäfte sowie für die Vorbereitung von Beschlüssen zu wichtigeren Angelegenheiten und deren Ausführung da sein; jedoch, dass „auch in diesen wichtigeren Dinge der Eine beschließe und eigenmächtig verfahre, das liegt nicht in der Natur der Sache, insofern nicht etwa im einzelnen Falle Gefahr auf dem Verzuge haftet" 206 . Angelegenheiten wie die Durchführung einer Hauptreparatur, die Entlassung des Schiffers oder die Aufnahme eines Darlehens würden die Reeder der eigenen Entscheidung vorbehalten wollen und nach dieser „mutmaßlichen Meinung" müsse „im Zweifel der Umfang der... dem Geschäftsführer erteilten Gewalt abgemessen werden" 2 0 7 . Folgerichtig lehnte OAG Lübeck in seiner Entscheidung eine Haftung der Mitreederin mit ihrem Privatvermögen ab, denn die Verbindlichkeiten rührten aus einer vom korrespondierenden Reeder eigenmächtig angeordneten Hauptreparatur her. Aus der Distanz von 175 Jahren lässt sich schwer beurteilen, ob die Entscheidung damals auch in der Sache überzeugte, zumal der Sachverhalt von Cropp nur sehr verkürzt wiedergegeben wird . Dies kann hier aber auch dahingestellt sein. Eine unbeschränkbare organschaftliche Vertretungsmacht war noch genauso unbekannt wie die begriffliche Trennung von Vertretung und Geschäftsführung. Die Beziehung zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft bzw. Gesellschaftergesamtheit wurde als Mandatsverhältnis konstruiert, wobei Befugnisse und Rechtsmacht des Vertreters in gleicher Weise ausdrücklich beschränkt werden konnten. Da lag es gewiss nicht allzu fern, auf einem allgemeinen Handelsbrauch beruhende (stillschweigende) Einschränkungen anzunehmen. Im Ergebnis behält Cropp jedenfalls der Gesellschaftergesamtheit bestimmte gewichtige Angelegenheiten zur Entscheidung vor und bindet insoweit den Geschäftsführer eng an die Beschlussfassung der Gesamtheit an, obwohl dieser selbst ein Gesellschafter und nicht ein außenstehender Dritter ist. Aus heutiger Sicht setzt sich Cropp mithin für ein recht hohes Maß an Verbandssouveränität ein.
II. Handelsrechtliche
literatur
Auf das juristische Schrifttum zum Gesellschaftsrecht des Allgemeinen Landrechts und des Code de Commerce wurde schon im Zusammenhang mit der Darstellung dieser gesetzlichen Regelungen eingegangen (unter B I und B II). Es bedarf mithin nur
206 HeiseiCropp, Abhandlungen I, S. 519. Auch sei davon auszugehen, dass „in solchen Fällen die Rheder sich lieber der kleinen Unbequemlichkeit einer Zusammenkunft unterziehen, als sich dem Risiko aussetzen wollen, durch die Maaßregeln ihres Buchführers in bedeutenden Schaden versetzt zu werden." 207 HeiseiCropp, Abhandlungen I, S. 520 f. Dort heißt es zudem: Werde der Korrespondent — wie allgemein üblich — nur für die laufenden Geschäfte bestellt, ergebe sich eine entsprechende Einschränkung schon „aus der Natur des ihm ertheilten Auftrages"; diese müsse ebenso beachtet werden, „als wenn sie dem Auftrag ausdrücklich beigefügt und demselben öffentlich bekannt gemacht wäre." 208 Immerhin hatte die Verklagte offenbar erst zwei Jahre nach der Reparatur und auch erst nach einer weiteren SchifFsreise ihren Gesellschaftsanteil durch Abandon aufgegeben, so dass eine (stillschweigende) Genehmigung der ersten Reparatur nicht generell ausgeschlossen erscheint.
C. Rechtsprechung
und rechtswissenschafiliches
Schrifitum
73
noch einer Darstellung der speziellen handelsrechtlichen und der Literatur zum gemeinen Recht.
1.
Uber blick
Insoweit ganz in der Tradition des älteren Schrifttums stehend (vgl. unter A III.l), ordnet die handelsrechtliche Literatur in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das Recht der Gesellschaften noch durchgängig der Darstellung einzelner handelsrechtlicher Verträge zu 2 0 9 . Sie folgt — auch hierin - dem System, das Georg Friedrich von Martens in seinem „Grundriß des Handelsrechts" entworfen hatte, welcher 1798 in erster, 1805 in zweiter und 1820 in dritter Auflage erschien 210 . Wie Büsch (vgl. A III) stellt v.Martens die „Privat-Handelsgesellschaften" (§§ 20 ff.) den „Großen Handelsgesellschaften" (§§ 26 f.) gegenüber. Zu den privaten Handelsgesellschaften rechnet er die „Société collective", die „Société en commandite" und die „Compagnie anonyme". In der 3. Auflage des „Handelsrechts" werden zusätzlich noch die „compagnies par actions" erwähnt 2 1 1 , wobei auf den Abschnitt über die „Großen Handelsgesellschaften" weiter verwiesen wird. Im Ansatz bricht V.Martens also die Gegenüberstellung von „Privaten" und „Großen" Gesellschaften schließlich auf; Konsequenzen für die Behandlung der Thematik zieht er hieraus allerdings nicht mehr. Ohnehin werden von ihm die verschiedenen Rechtsformen nur jeweils kursorisch beschrieben 212 . Mit der „Endigung der Handelsgesellschaft" (§ 24) und den „Folgen der Aufhebung" (§ 25) erfahren lediglich zwei Einzelthemen eine etwas vertiefte Erörterung. Die Behandlung der „Großen Handelsgesellschaften" (§ 26) und „Deren Rechte" (§ 27) stützt sich offenbar ganz wesentlich auf Büsch und geht nicht über diesen hinaus. In der 3. Auflage werden die Anmerkungen dann zwar um (zwei) Verweise auf den Code de Commerce ergänzt (Art. 29, 33) ; der Haupttext bleibt jedoch unverändert. Die „Grundsätze des engeren Handlungs-Rechts" von Johann Heinrich Bender erscheinen 1824 in Darmstadt. Der Autor, der nach seiner eigenen Aussage „hauptsächVgl. nur Montag, Lehrdarstellung, insb. S. 28, 36, 42. Der in Hamburg geborene Georg Friedrieb von Martens (1756 - 1821) besucht in seiner Heimatstadt die von Büsch geleitete Handelsakademie und studiert anschließend Rechtswissenschaft in Göttingen, wo er 1780 auch promoviert. 1784 wird er in Göttingen ordentlicher Professor für Natur- und Völkerrecht, doch gibt er 1808 seine Professur auf, um in den Staatsdienst zu wechseln. Dabei ist er u. a. ab 1816 Bundesgesandter des Königreichs Hannover in Frankfurt am Main. Vgl. Montag, Lehrdarstellung, S. 12 f.; sowie Köhler, Wissenschaft, S. 279; Scherner, ZHR 136 (1972), 465, 487 f. 211 v.Martens, Handelsrecht, S. 35. Zum Einfluss des Systems v.Martens, Montag, Lehrdarstellung, S. 28,62. 212 Schon diese Beschreibung macht aber deutlich, dass die „Société en commandite" genauso wenig der modernen Kommanditgesellschaft nahe steht, wie die „Compagnie anonyme" der heutigen Aktiengesellschaft entspricht. Bei v.Martens sind beide Gesellschaften reine Innengesellschaften, wobei die Compagnie anonyme mehr der Gelegenheitsgesellschaft zuneigt. Die Abgrenzung der einzelnen Rechtsformen voneinander wird nicht thematisiert. 213 v.Martens, Handelsrecht, S. 38. 214 Johann Heinrich Bender (1797 — 1859) studiert in Gießen Rechtswissenschaft, wo er auch promoviert und von 1819 - 1823 als Privatdozent wirkt. Anschließend ist er als Anwalt tätig, und zwar ab 209 210
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§ 2 Zum
Ausgangspunkt
lieh dem code de Commerce und dessen geistreichen Commentaren gefolgt" ist 2 1 5 , behandelt — anders als noch Martens — das Recht aller Gesellschaften unter einem gemeinsamen Obertitel: „Gesellschaftshandel" 216 . Unterschieden werden vier „Hauptarten": „Gesellschaft unter vereinigtem Namen", „Gesellschaft unter einem Namen", „Anonyme Gesellschaft" und „Gelegenheits-Gesellschaft". Den inhaltlichen Schwerpunkt der Darstellung setzt Bender eindeutig bei der „Gesellschaft unter vereinigtem Namen"; hierbei stützt er sich in erster Linie auf das Gesellschaftsrecht des Preußischen Allgemeinen Landrechts 217 . Bei der „Gesellschaft unter einem Namen" und der,.Anonymen Gesellschaft" lehnt sich Bender dagegen an den Code de Commerce an. Allerdings werden beide Gesellschaften nur kursorisch behandelt; auch scheint die Anonyme Gesellschaft als eine Art stille Gesellschaft auf Aktien begriffen zu werden 2 1 8 . Dennoch sollte das rechtswissenschaftliche Schrifttum in den folgenden Jahren sehr häufig auf Benders Behandlung der Aktiengesellschaft verweisen, wobei es allerdings nicht der Haupttext war, der Interesse fand: Bender fügte dem Abschnitt über die Anonymen Gesellschaften die vollständigen Statuten der Rheinisch-Westindischen Kompagnie bei 2 1 9 ; dies sollte offenbar weniger die aktienrechtlichen Erörterungen abrunden, als vielmehr das auf eine Förderung des deutschen Außenhandel gerichtete Anliegen der Compagnie publik machen helfen 2 2 0 . Die Einteilung der Handelsgesellschaften, die Meno Pohls221 1828 im ersten Band seiner „Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts" trifft 222 , ähnelt der von Bender. Zum einen gäbe es „particulaire" (Gelegenheits-)Gesellschaften, zum anderen „generelle", bei welchen man wiederum die „société collective", die „société en commandite" und die „société anonime" unterscheiden könne. W i e Bender sieht auch Pohls in der „société anonime" eine stille Gesellschaft, die - wenn sie als große Societät vorkomme - den Namen einer Aktiengesellschaft annehme 2 2 3 . Pohls orientiert sich jedoch sehr viel stärker als Bender am römischen Recht 2 2 4 1831 wieder in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Von 1836 bis zu seinem Tode ist er dann Zolldirektionsrat. Montag, Lehrdarstellung, S. 15 f. Vgl. auch die Würdigung des „Handlungs-Rechts" durch Goldschmidt, 7MK\ (1858), S. 1, 14: „das erste größere Werk, welches nach 120 jährigem Zwischenraum über das allgemeine Handelsrecht Deutschlands erschien". 215 Bender, Handlungs-Recht, S. IX. 216 Bender, Handlungs-Recht, S. 303 ff. 217 In den Anmerkungen dieses Abschnittes wird 25 mal auf das ALR, nur 7 mal auf den Code de Commerce verwiesen. 2 , 8 Vgl. Bender, Handlungs-Recht, S. 322: „Diese Gesellschaft besteht so, daß nur ein einziges Mitglied von den übrigen als Geschäftsführer bestellt wird, so daß alle übrigen versteckt bleiben, und ein Dritter gar keine Gesellschaft erkennen kann." 219 Zu dieser Gesellschaft und ihrer Satzung siehe unter § 3 B I. 220 Bender verweist in seiner Darstellung der anonymen Gesellschaft jedenfalls kein einziges Mal auf die Bestimmungen des Statuts. 221 Zur Person von Pohls siehe unter § 3 C III. 222 Pähls, Handelsrecht I, S. 210. 223 PöhU, Handelsrecht I, S. 224. 224 „Die Handlungssocietät muß, wo Particularrechte schweigen, aus dem Römischen Rechte beurtheilt werden." S. 210. In den Anmerkungen des Abschnitts überwiegen dann auch die Verweise auf das Römische Recht (27), mit deutlichen Abstand folgen solche zum ALR (12) und zum Code de Commerce (8).
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und erörtert vor der Behandlung einzelner Gesellschaftsrechtsformen „Grundsätze über die Societät im Allgemeinen". Innen- und Außenverhältnisse trennend, widmet er dem „Verhältniß der Compagnons unter einander" einen eigenen Unterabschnitt 225 . Bei der Bewertung der Aussagen, die im Handelsrecht von Georg Arnold Heise getroffen werden, ist eine gewisse Vorsicht geboten; denn dieses Werk erschien erst 1858 mit dem Untertitel: „Veröffentlichung nach dem Originalmanuskript der Vorlesungen 1814 - 1817 in Göttingen". Zumindest einige der Zwischenüberschriften wurden dabei offensichtlich „nachgebessert" 227 . Generell folgt Heise dem System v.Martens-, er beschränkt sich aber nicht wie dieser auf allgemeine Beschreibungen, sondern wirft auch Einzelfragen auf, die knapp beantwortet werden. Wie Pohls geht Heise vom Geltungsanspruch der „allgemeinen Regeln von Societäten überhaupt" aus, betont aber sogleich, „theils durch Gewohnheit, theils aus Gesetzen" kämen manche Eigenheiten vor 228 ; wiederholt wird vor allem auf Bestimmungen im ALR und im Code de Commerce verwiesen. Die „Anonyme Gesellschaft" ist auch für Heise eine reine Innengesellschaft 229 , welche zwar selten auf Dauer, „sehr häufig" jedoch zwecks Durchführung einzelner Unternehmungen gegründet werde. Büsch und v.Martens folgend, handelt Heise die „Großen Handelsgesellschaften" gesondert ab. Bei der Darstellung deren rechtlicher Verhältnisse geht er aber - den Bogen von den Großen Handelscompagnien zu den Aktiengesellschaften schlagend - über diese beiden hinaus 230 .
2. Behandlung des Innenrecbts Bei sämtlichen Autoren tritt die Beschäftigung mit den inneren Verhältnissen der Gesellschaften deutlich hinter die Darstellung des Außenrechts zurück. Noch immer wird die Binnenorganisation der „privaten" Gesellschaften offenbar von deren Mitgliedern völlig souverän ausgestaltet und zwar auf eine Weise, die Außenstehenden kaum Einblicke erlaubt. So sind es lediglich einzelne Fragmente, die sich zu diesem Themenbereich in den handelsrechtlichen Werken auffinden lassen: Bei der „offenen Handelsgesellschaft" betont nur Heise ausdrücklich, nicht jeder Gesellschafter müsse notwendig persönlichen Anteil an der „Betreibung der Geschäfte" nehmen; er versteht hierunter
225
Pohls, Handelsrecht I, S. 211 ff. D e r in H a m b u r g geborene Georg Arnold Heise (1778 - 1851) besucht in seiner Heimatstadt die Handelsschule von Büsch; in Jena u n d Göttingen studiert er Rechtswissenschaft. 1804 wird Heise Ordinarius an der Heidelberger Universität; 10 Jahre später kehrt er nach Göttingen zurück. Von 1820 bis zu seinem Tode ist er Präsident des Lübecker Oberappellationsgerichts. Vgl. StintzinglLandsberg, Geschichte, 3. Abt., 2. H b d . , S. 88ff. 226
227
So ist der § 2 1 , Heise, Handelsrecht, S. 54, mit „Die offene Handelsgesellschaft" überschrieben, während im nachfolgenden Text betont wird, für diese Gesellschaft finde sich kein eigener deutscher Name; weil sie die „gewöhnliche Gattung" sei, müsse m a n sie ordentliche Handelsgesellschaft nennen, a.a.O., S. 55. 228 Heise, Handelsrecht, S. 51. 229 ,Allgemeine Regel ist: sie gilt als wahre Societät unter den Parteien, nicht aber im Verhältniß zu Dritten." Heise, Handelsrecht, S. 60. 230 Heise, Handelsrecht, S. 67 ff.
§ 2 Zum Ausgangspunkt
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aber lediglich die Verpflichtung zur Mitarbeit und nicht ein Recht, am Willensbildungsprozess der Gesellschaft mitzuwirken231. Obwohl man insgesamt erstaunlich häufig auf Regelungen des französischen und des preußischen Rechts eingeht, wird nirgends auf die Möglichkeit verwiesen, der Vornahme einzelner Maßnahmen durch einen Mitgesellschafter zu widersprechen, oder auf die Verpflichtung, von der Geschäftsführung ausgeschlossene Mitglieder zur Beratung und Entscheidung von „Grundlagengeschäften" hinzuzuziehen232. Überhaupt findet die Willensbildung unter den Gesellschaftern nur in bezug auf die vorzeitige Auflösung der Gesellschaft Erwähnung; insoweit soll eine „gegenseitige Übereinkunft" bzw. „Bewilligung" nötig sein 233 . Dies Vorgehen erstaunt umso mehr, kann man doch den Äußerungen aller Autoren entnehmen, dass sie unterschiedliche Rechtsstellungen der Gesellschafter nicht für unmöglich hielten: Bei v.Martens heißt es, das Recht, die Gesellschaft zu vertreten (zu firmieren) könne allen Gesellschaftern zustehen, oder einzelnen von ihnen vorbehalten sein ; Bender erörtert die Vergabe dieses Rechts ebenfalls und weist zudem darauf hin, die „Stellung der einzelnen Theilnehmer, gegenseitige und zu Dritten" sei im Gesellschaftsvertrag zu regeln 235 , und Pohls äußert sich (als einziger) zur Verpflichtung des geschäftsführenden Compagnons, seinen Mitgesellschaftern - „auf Verlangen" - Rechenschaft zu legen 236 . Die innere Organisation der „Anonymen" und Aktien-Gesellschaften wird überall nur sehr allgemein beschrieben 237 ; nirgends gelangt man hier zur Erörterung von Rechtsfragen238; mitunter hat man den Eindruck, daß die rechte Vorstellung vom Untersuchungsgegenstand fehlt 239 .
231 „Wenn indessen nichts verabredet ward, so ist allerdings Jeder schuldig, auch an der Führung der Geschäfte persönlichen Antheil zu nehmen." Heise, Handelsrecht, S. 55. Später (S. 56) heißt es dann, einzelne Mitglieder könnten, „von der Befugnis, Namens der Uebrigen zu handeln und die Societät zu verpflichten, ausgeschlossen werden". 2 3 2 Auf fällt dies vor allem bei Bender, der viele Vorschriften des ALR übernimmt, die Regelungen der §§ 633 - 635 II 8 und der §§ 206 - 209 I 17 aber völlig übergeht. 2 3 3 So Bender, Handlungs-Recht, S. 318; Martern, Handelsrecht, S. 35; Pohls, Handelsrecht I, S. 214. Heise, Handelsrecht, S. 63, verlangt bei der Anteilsübertragung, die er als Auflösung der alten und Begründung einer neuen Gesellschaft ansieht, die Einwilligung aller Gesellschafter. 234 Martens, Handelsrecht, S. 33. 235 Bender, Handlungs-Recht, S. 305 f. 2 3 6 Vgl. Pohls, Handelsrecht I, S. 212, der dort zudem allgemein hervorhebt: „Die erste Pflicht die Compagnons gegen einander haben, ist die einer besonderen Treue."
Vgl. nur Heise, Handelsrecht, S. 69; Martens, Handelsrecht, S. 38 f.; Pohls, Handelsrecht I, S. 224. Dies überrascht zumindest bei Pohls und Heise, die ansonsten durchaus schon mit der Erörterung aktienrechtlicher Probleme beginnen; so diskutiert z.B. Pohls, Handelsrecht I, S. 225, die Haftung der (ersten) Zeichner und Heise, Handelsrecht, S. 70, geht auf die Frage ein, ob die Aktionäre im Konkurs der Gesellschaft die in den Vorjahren empfangenen Dividenden zurückzahlen müssen. 237
238
239 So formuliert Bender, Handlungs-Rechts, S. 323: „Kommen die Theilnehmer, Aktionäre, zusammen, um sich zu berathen, so entscheidet — gegen das gemeine Recht — Stimmenmehrheit: die Stimmen werden aber nach Aktien gezählt, so daß mehrere Aktien mehrere, wohl auch erst mehrere Actien eine einzige Stimme geben. Wie unpassend diese Einrichtung ist, leuchtet von selbst ein."
C. Rechtsprechung
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3. Das Gutachten der Ältesten der Berliner
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Kaufinannschaft
Gesondert ist noch auf ein Gutachten einzugehen, das von den Altesten der Berliner Kaufmannschaft Anfang 1829 im Rahmen der preußischen Gesetzesrevision vorgelegt worden ist 2 4 0 , und das als erste Arbeit angesehen wird, die sich in Deutschland mit dem Recht der Aktiengesellschaft in deutscher Sprache ausführlicher beschäftigt 241 . Die Verfasser des Gutachtens, die auf das Recht des ALR nur ganz am Rande Bezug nehmen, stellen zunächst heraus, Aktiengesellschaften seien ein „in neuerer Zeit sehr beliebt gewordenes Mittel", um große Unternehmungen wie z.B. Chaussee-Bauten oder Versicherungen zu verwirklichen. Allerdings könnten sie die wünschenswerten Zwecke verfehlen, „ja sogar den Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft und zwar sowohl den Actionairs als den Dritten, die mit ihnen contrahiren, nachtheilig werden, wenn sie bei ihrem Entstehen schlecht berechnet oder schlecht verwaltet" würden 2 4 2 . Es käme deshalb darauf an, Vorschriften aufzufinden, um mögliche Nachteile der Aktiengesellschaften abzuwenden. Hierbei sollte es auf folgende vier „Hauptgesichtspunkte ankommen: „I. Begründung. II. Innere Rechte und Verbindlichkeiten der Gesellschaftsmitglieder. III. Verhältniß der Gesellschaft als solche gegen Dritte. IV. Auflösung." 2 4 3 Die Gutachter äußern zu diesem Themenkreis sehr grundsätzliche konzeptionelle Überlegungen - drei Punkte verdienen dabei besonderer Hervorhebung: Erstens ist das Kaufmannschafts-Gutachten in den (gesellschafts-) rechtspolitischen Grundaussagen seiner Zeit weit voraus, wird doch in der Sache nicht nur das durch einen nahezu unbeschränkten Staatseinfluss gekennzeichnete Oktroisystem abgelehnt, sondern darüber hinaus eine erste Kritik an den beiden Aspekten formuliert, die später zu den prägenden Wesenszügen des Konzessionssystems preußisch-deutschen Zuschnitts gehören sollten: die fehlende rechtliche Bindung der staatlichen Behörde bei der Konzessionserteilung und die staatliche Aufsicht über die Tätigkeit der Aktiengesellschaften 244 . Von den Gutachtern wird insoweit betont, es ließe sich zwar sagen, der Staat habe dafür zu sorgen, dass die Aktiengesellschaften kein offenbares Wagnis darstellten, auch „die Administration zweckmäßig eingerichtet sey" usw. Eine Einmischung des Staates erscheine aber „wegen der Eigenthümlichkeit der kaufmännischen Geschäfte höchst schwierig, hemmend und am Ende doch unzureichend", weil nämlich auch nach Begründung der Gesellschaft Gefahren von dieser ausgingen und eine permanente Staatsaufsicht „durchaus nicht angemessen" sei 2 4 5 . Stattdessen sollte 240 Veröffentlicht wurde das Gutachten ohne einen speziellen Hinweis auf seine Verfasser in Gans, Beiträge zur Revision der Preußischen Gesetzgebung, 1830 — 1832, S. 177 ff. Die Urschrift des Gutachtens soll jedoch mit den Namen v.Kauffmann, Mendelssohn und Schulze unterschreiben worden sein, vgl. Schumacher, Organisation, S. 38, Fußn. 23. Zur Behandlung des ALR-Gesellschaftsrechts in der Gesetzesrevision vgl. auch Roh, Gesellschaften, insb. S. 13 f., 33 f., 40 ff. 241 Zum Gutachten siehe Assmann in: Großkomm.AktG, Einl. Rdn. 45 f.; Reich, Entwicklung, S. 248; Schumacher, Organisation, S. 38. 242 Gans, Beiträge, S. 178. 243 Gans, Beiträge, S. 180. 244 Siehe hierzu insb. unter § 3 A und § 6 A III.
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§ 2 Zum
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man den Aktiengesellschafts-Verträgen, „wegen der vielseitigen Verhältnisse, so wie der großen Anzahl der Mitglieder, die in der Regel Theil nehmen, und um das Publico mehr sicher zu stellen, eine gesetzliche Basis" geben 246 . Selbst wenn man eine staatliche Bestätigung der einzelnen Aktiengesellschaft weiterhin für erforderlich halte, bedürfe es allgemeiner Normen, schon um die Behörden zu binden, „damit die nachzusuchende Erlaubniß niemals Gegenstand einer bloßen Vergünstigung" werde. Zweitens fällt bei der Lektüre des Gutachtens sofort die Fülle der angesprochenen Detailprobleme auf, die weit über das vom zeitgenössischen handelsrechtlichen Schrifttum Angebotene (vgl. unter II.2) hinaus geht. Ganz offenbar hatte die Berliner Kaufmannschaft bereits nicht nur im Einzelfall Erfahrungen mit Aktiengesellschaften gesammelt. Das Fehlen rechtswissenschaftlicher Vorarbeiten macht sich allerdings auch beim Gutachten bemerkbar, dessen Systematik nur sehr grob ist (Gründung und Auflösung, innere und äußere Verhältnisse) und äuch nicht immer durchgehalten wird. Aufgeworfen werden jedenfalls u.a. folgende Fragen : Welche Abänderungen des Gesellschaftsvertrages benötigen der Zustimmung aller Gesellschafter und welche können durch die Mehrheit beschlossen werden? Welche Bestimmungen müssen unbedingt von den Gesellschaftsverträgen geregelt werden? Dürfen die „Vorsteher" unwiderruflich für die ganze Dauer der Gesellschaft bestellt werden? Die „inneren Rechte" sollen nach Ansicht der Gutachter zunächst nach dem Gesellschaftsvertrag beurteilt werden; in Ermangelung einer vertraglichen Regelung hätten allgemeine Grundsätze zur Anwendung zu kommen. In der nachfolgenden Aufzählung von zwölf derartigen Grundsätzen werden auch Aussagen zur inneren Organisation der Aktiengesellschaft getroffen: Die Angelegenheiten der Gesellschaft sollten mit der absoluten Mehrheit der Stimmen entschieden werden können, wobei die Beschlüsse alle Aktionäre binden würden . Generell gewähre jede Aktie eine Stimme, doch könne der Vertrag vorschreiben, dass erst mehrere Aktien eine Stimme ergäben. Es verstehe sich von selbst, dass ein Gesetz nicht vorschreiben könne, ob sich die Verwaltung der Gesellschaft nur durch Bevollmächtigte oder auch noch durch eine Direktion oder ein Komitee „einzelner dazu erwählter Mitglieder" zu vollziehen habe; selbst die allgemeine Vorschrift, dass ein solcher Ausschuss der Mitglieder zu wählen sei, erscheine bedenklich. Kein einzelner Aktionär habe zudem das Recht, sich in die Geschäftsführung einzumischen und Rechnungslegung zu fordern. Hierüber könne nur mit Stimmenmehrheit aller entschieden werden 250 . Gans, Beiträge, S. 182. Gans, Beiträge, S. 183. 247 Gans, Beiträge, S. 184. Gegen Ende des Gutachtens, a.a.O., S. 193, wird die Regelungsbedürftigkeit der Materie nochmals eindringlich hervorgehoben: „Wie dringend nothwendig Vorschriften über Actien-Gesellschaften sind, erhellet hiernach auf den ersten Blick um so mehr, als bereits so sehr viel dergleichen Gesellschaften bestehen, und zu besorgen ist, daß die große Lücke in der Gesetzgebung die nachtheiligsten Folgen herbeiführe." 248 Zum Folgenden vgl. Gans, Beiträge, insb. S. 183. 249 „Gehorsamst anheim" gestellt wird, ob manche Regelungen nur bei Einstimmigkeit und andere gar nicht abzuändern sein sollen. Gans, Beiträge, S. 186. 250 Vgl. Gans, Beiträge, S. 187. 245 246
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Schrifitum
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Drittens schließlich ist hervorzuheben, dass das Gutachten zwar einerseits gleich mehrfach die Regelungsbedürftigkeit des Aktienrechts betont, andererseits jedoch gerade mit Blick auf die innere Organisation der Gesellschaft dem Gesetzgeber Zurückhaltung anempfiehlt. Letzteres mag vielleicht schon darauf zurückzuführen sein, dass die innere Ordnung der den Verfassern des Gutachtens bekannten Aktiengesellschaften so sehr voneinander abwich, dass sie sich nicht in eine „Schablone" pressen ließ 2 5 1 . In der Konsequenz setzt man jedenfalls nicht auf weitgreifende gesetzgeberische Eingriffe oder gar auf das Wirken - rechtlich kaum gebundener — Konzessionsbehörden, sondern darauf, der für notwendig gehaltene gerichtliche bzw. notarielle Abschluss der Gesellschaftsverträge werde nach und nach zur Bildung von Normen führen, „die, aus der Natur der Sache und aus allgemeinen Rechtsprincipien hervorgehend, ein größeres Detail im Gesetz unnütz machen." 2 5 2 Abgelehnt wird mithin keinesfalls eine gewisse rechtliche Verfestigung der Binnenorganisation von Aktiengesellschaften, doch sollen die hierfür erforderlichen Anstöße aus einer recht souverän ausgeübten Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter hervorgehen.
III. literatur des gemeinen deutschen
Privatrechts
1. Uber blick Auch das dem gemeinen deutschen Privatrecht gewidmete rechtswissenschaftliche Schrifttum übergeht die Handelsgesellschaften nicht völlig, selbst die Aktiengesellschaft findet fast immer Erwähnung 2 5 3 . Allerdings werden mitunter nur eine Zusammenstellung des einschlägigen Schrifttums sowie einige gesetzliche Vorschriften der Partikularrechte angeboten 2 5 4 und nie viel mehr als eine sehr kursorische Behandlung der Thematik 2 5 5 . Deutlich gehaltvollere Arbeiten erscheinen erst unmittelbar vor der 251 Dies würde erklären, warum die Kaufmannschafts-Ältesten demgegenüber eher nachrangige Detailfragen wie „die Art und Weise, die Actionärs zu Berathungen aufzufordern", „den Modus der Insinuation der Vorladung zu den Versammlungen" oder gar „die Form die Stimmen zu sammeln, und die Abwesenheit der Actionairs zu constatiren" gesetzlich geregelt wissen wollen. Vgl. Gans, Beiträge, S. 188. 252 Gans, Beiträge, S. 188. 253 Unrichtig deshalb Reich, Entwicklung, S. 247, nur Mittermaier, sei damals auf die Aktiengesellschaft eingegangen. Ebenso korrekturbedürftig ist die Darlegung, sogar in dem von Weiske herausgegebenen Rechtslexikon für Juristen aller deutscher Staaten, 1839 ff., finde sich kein Hinweis auf die AG, a.a.O., Fußn. 33. Zwar enthält der 1. Band keinen speziellen Beitrag zu den Aktiengesellschaften, im 5. Band beschäftigt sich jedoch Brackenhoest unter dem Stichwort „Handel" in einem eigenen Unterabschnittrecht eingehend mit den Handelsgesellschaften und so auch mit der AG, vgl. S. 7 4 - 9 5 . 254 So Ortlojf, Grundzüge eines Systems des Teutschen Privatrechts, 1828, S. 457 ff.; Kraut, Grundriß zu Vorlesungen über das Deutsche Privatrecht, 1845, S. 482 f. 255 Vgl. Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts, 2. Aufl., 4. Band, 1801, S. 446f.; Hänelin: Curtius, Handbuch des im Königreich Sachsen geltenden Civilrechts, 4. Teil, 1819, S. 172 ff.; Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 4. Aufl. 1830; Maurenbrecher, Lehrbuch des heutigen gemeinen deutschen Rechts, 1832, S. 432 ff.; Eichhorn, Einleitung in das deutsche Privatrecht, 4. Aufl. 1836, S. 930 ff.; Philipps, Grundsätze des gemeinen Deutschen Privatrechts, 3. Aufl. 1846, 2. Band, S. 615 ff.; Hillebrand, Lehrbuch des heutigen gemeinen deutschen Privatrechts, 1849, S. òli ff.
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§ 2 Zum
Ausgangspunkt
Jahrhundertmitte 256 . Für die Beschäftigung mit dem Recht der Aktiengesellschaft ist kennzeichnend, dass sie noch bis in die 40er Jahre hinein wesentlich auf den Gründungs-Statuten der Rheinisch-Westindischen Kompagnie aufbaut 2 5 7 , die Bender in seinem Handlungs-Recht abgedruckt hatte (vgl. II.l). Unterdessen lag die Auflösung dieser Gesellschaft, deren Satzung man mehrfach geändert hatte, über ein Jahrzehnt zurück; in den Gesetz- und Regierungsblättern der verschiedenen deutschen Einzelstaaten waren wenigstens 30 AG-Satzungen publiziert worden, noch viel mehr auf andere Weise 258 . Aber auch die Behandlung der übrigen Handelsgesellschaften geht nicht sehr in die Tiefe. Was die innere Organisation anbetrifft, so wird zwar nicht übersehen, dass in der Praxis nicht in jedem Falle alle Gesellschafter einer „offenen" bzw. „eigentlichen" Gesellschaft deren Geschäfte besorgen (bzw. zur Firmierung berechtigt sind 2 5 9 ); mitunter hält man offenbar sogar eine „Fremdgeschäftsführung" für möglich . Die Rechtsstellung der von der Verwaltung ausgeschlossenen Gesellschafter und deren Verhältnis zum Geschäftsführer werden jedoch nur sehr selten und auch nur in bezug auf Einzelaspekte angesprochen: Jeder Gesellschafter müsse den anderen über die Verwaltung der ihm anvertrauten Geschäfte Rechnung legen . Ein Aufsichtsrecht über die Handlungen des geschäftsführenden Gesellschafters stehe den übrigen Gesellschaftern immer zu . Kein Sozius dürfe ohne Bewilligung der Compagnons an den gemeinschaftlichen Sachen Veränderungen vornehmen
2. Verweis auf das Recht der römischen Sozietät Fast immer erörtert man in den Werken zum gemeinen Recht dagegen, inwieweit die Grundsätze des römischen Rechts zur Sozietät bei der Behandlung der Handelsgesellschaften heranzuziehen seien: Bei der Aktiengesellschaft wird schon frühzeitig hervorgehoben, diese sei teilweise nach abweichenden Grundsätzen zu beurteilen 264 , später verweist man hier bei der Beantwortung von Einzelfragen immer seltener auf Regeln des römischen Rechts 265 . Bei den offenen bzw. ordentlichen Handelsgesellschaf2 5 6 Etwa Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl. 1847, 2. Band, S. 789 ff.; v.Holzschuher, Theorie und Ca suistik des gemeinen Civilrechts, 2. Band, Leipzig 1847, S. 803 ff; Reyscher, Das gemeine und württembergische Privatrecht, 3. Band, 1848, S. 395 ff. 257 Vgl. O r t l o f f , Privatrecht, S. 460; Maurenbrechen Gemeines Recht, S. 439; Kraut, Privatrecht, S. 483. 258 Zur Statutenpraxis dieser Jahre vgl. unter § 3 B. 259 Geschäftsführung und Vertretung werden noch nirgends begrifflich geschieden. 260 So CurtiuslHänel, Handbuch 4, S. 182 f. Vgl. auch Hillebrand, Privatrecht, S. 378; Maurenbrecher, Gemeines deutsches Recht, S. 435; Philipps, Privatrecht, S. 616. 261 CurtiuslHänel, Handbuch 4, S. 177 und 190 (zur AG); Mittermaier, Privatrecht, 4. Aufl., S. 976. 262 Mittermaier; Privatrecht, 4. Aufl., S. 979, unter Verweis auf Pardessus. 263 CurtiuslHänel, Handbuch 4, S. 178. 264 CurtiuslHänel, Handbuch 4, S. 190. 265 Die Frage nach der Anwendung einzelner römisch-rechtlicher Grundsätze auf die AG muss, von der — hier nicht zu erörternden — Diskussion um den Rechtscharakter der AG (societas, universitas oder modifizierte Sozietät) unterschieden werden.
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ten finden sich zwar einzelne Autoren, welche die Geltung römisch-rechtlicher Grundsätze nicht weiter problematisieren , verbreitet äußert man aber ein gewisses Unbehagen: „... wird sie nach den Regeln des römischen Rechts von der Societas beurtheilt, doch ist dieß nicht immer ohne Schwierigkeit" . Wenn man auch vorerst an der generellen Geltung des römischen Rechts festhält, so wird die Aufzählung - sich aus Gesetz oder Gewohnheit ergebender — partikularrechtlicher Abweichungen doch immer länger und gewichtiger . Da also selbst im gemeinrechtlichen Schrifttum der Verweis auf das römischen Recht fast nie konsequent durchgeführt wird, kann davon abgesehen werden, die Behandlung der Sozietät in der Literatur des Pandektenrechts umfassend zu untersuchen. Eingegangen werden soll aber auf ein Einzelproblem, bei dessen Lösung man sich noch lange regelmäßig auf die Geltung des römischer Grundsätze beruft: das Kündigungsrecht 269 . Zwar berührt die Kündigung einer Gesellschaft die unter dem Stichwort „Verbandssouveränität" im modernen gesellschaftsrechtlichen Schrifttum angesprochenen Themen nicht unmittelbar, doch lässt sich an der Entwicklung dieses Instituts zum einen veranschaulichen, wie die wirtschaftliche Entwicklung schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des (Handels-)Gesellschaftsrechts einen Bruch mit den das römische Recht tragenden Konzeptionen erzwang. Zum anderen wird deutlich, wie unvollkommen und praxisfern die vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum angebotenen Lösungen in dieser Zeit mitunter noch waren. Im Ergebnis blieb den Mitgliedern einer Gesellschaft damals nichts anderes übrig, als entweder die fraglichen Probleme im Gesellschaftsvertrag eigenverantwortlich zu regeln oder mit kaum zu kalkulierenden Risiken zu leben.
3. Die „ Weiterentwicklung"des
Kündigungsrechts
Schon vor zwei Jahrhunderten waren die Voraussetzungen, unter denen sich ein Gesellschafter von der Gesellschaft und seinen Mitgesellschaftern lösen konnte, zweifellos von einiger praktischer Bedeutung; dies belegen die anschaulichen Darlegungen von Büsch zur „Gesellschafts-Handlung unter Privaten", in denen mehrfach auf unfähige oder unehrliche Gesellschafter hingewiesen wird (vgl. unter A III.2). Doch auch jenseits dieser Fallgruppen gab es gewiss Fälle, in denen ein Gesellschafter an rascher Trennung interessiert war: Trotz seiner unbeschränkten Haftung mochte er sich auf einen 266 Etwa Eichhorn, Privatrecht, S. 930 („begründet ein Verhältniß, das unter den Regeln des römischen Rechts von der Societät steht") oder Hillebrand, Privatrecht, S. 377 („im Zweifel finden auf sie die Grundsätze, welche das römische Recht bezüglich der Societät kennt, Anwendung"). 2 6 7 So Phillips, Privatrecht, S. 616; vgl. auch Maurenbrecher, Gemeines Recht, S. 433: Es haben sich bei den „Handelsgesellschaften bedeutende Modifikationen nach dem Bedürfnisse des kaufmännischen Verkehres entwickelt". 268 Vgl. nur Mittermaier, Privatrecht, 4. Aufl., S. 976, 978. 269 So erörtert Heise, Handelsrecht, S. 61 ff, zur Kündigung nur einige handelsrechtliche Besonderheiten; ebenso Thöl, Handelsrecht, S. 144 ff. (zum Austritt wird lediglich auf das römische Recht verwiesen, vgl. S. 144, Fußn. 2); im Ansatz selbst noch Brinckmann, Lehrbuch des Handelsrechts, 1853 - 1860, S. 169 ff.
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$ 2 Zum Ausgangspunkt
Ausschluss von der Geschäftsführung, die ihm jetzt als viel zu riskant erschien, eingelassen haben; vielleicht war er - Mitglied einer Gesellschaft, in der Entscheidungen mittels Mehrheitsbeschluss getroffen werden konnten - es auch einfach nur leid, bei allen wichtigen Entscheidungen ständig von seinen Mitgesellschaftern „majorisiert" zu werden. Büsch hebt ferner hervor, die Trennung vom Kompagnon gehe selten ohne Rechtshändel ab 270 . Die Kündigung einer Gesellschaft war mithin auch ein die Juristen beschäftigendes Problem, dessen Brisanz sich allerdings erst bei genauer Betrachtung erschließt: Soweit das rechtswissenschaftliche Schrifttum des beginnenden 19. Jahrhunderts auf die Kündigung einer Gesellschaft einging, stellte es zunächst den Grundsatz heraus, auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Gesellschaften könnten fast zu jeder Zeit gekündigt werden 271 . Doch wurden damals Personengesellschaftsverträge der Tradition nach auf fünf bis zwölf Jahre abgeschlossen 272 . Besonderes Interesse verdient daher die Kündigung einer befristeten Gesellschaft. Anders als das moderne Gesellschaftsrecht mischte sich das römische Recht nicht in die inneren Verhältnisse einer bestehenden Gesellschaft ein, sondern stellte lediglich Regeln über die Auseinandersetzung bei Beendigung der Gesellschaft zur Verfügung 2 7 3 . Man konnte in Rom gewiss auch deshalb von der Entwicklung innenrechtlicher Vorschriften absehen, weil die societas der klassischen Zeit ein Konsensualkoni
trakt war: Sie wurde durch Willensübereinstimmung der Gesellschafter begründet und bestand nur solange, wie der Dauerkonsens vorhanden war 274 . Jeder Gesellschafter konnte die Gesellschaft jederzeit kündigen. Allerdings durfte er sich hierdurch nicht seinen Pflichten entziehen und seine Mitgesellschafter willentlich schädigen, z. B. indem er den Gewinn aus einem angebahnten Geschäft allein einzog 275 . Selbst dann machte er sich aber nur seinen Mitgesellschaftern gegenüber ersatzpflichtig; die Kündigung als solche war frei . Man verzichtete also darauf, die Gesellschafter an das — ohnehin für sehr streitanfällig gehaltene 277 - Gesellschaftsverhältnis zu fesseln, und beschränkte sich auf die Korrektur des Vertrauensbruchs, weil man der Auffassung war, unheilbar zerstörte Lebensbeziehungen sollten nicht durch öffentliche Autorität be270
Büsch, Darstellung I, S. 241. Vgl. aus dem handelsrechtlichen Schrifttum Bender; Handlungs-Recht, S. 317: Die einseitige Aufkündigung sei, wenn der Vertrag nicht widerspreche, erlaubt; nur müsse sie eine gehörige Zeit vorher erklärt werden. Pähls, Handelsrecht I, S. 214: Die Dauer der Gesellschaft richte sich nach dem Vertrag, sei darin nichts bestimmt, könne jeder Compagnon einseitig kündigen. 272 Vgl. schon unter A I . 1. 273 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 329; vgl. auch Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 333. Zu gewissen Ausnahmen Drosdowski, Verhältnis, S. 36fif.,45ff.; Misera, FS Nirk, S. 697 ff. Dem entspricht es, dass die inneren Angelegenheiten von Vereinen staatlich kaum geregelt wurden und sich auch die Klassiker nicht auf die Erörterung von Fragen des inneren Aufbaus von Körperschaften einließen. Käser, Römisches Privatrecht I, S. 303. 274 Etwa Honseil, Römisches Recht, S.129. Auch in der nachklassischen Zeit änderte sich hieran wenig, vgl. Käser, Römisches Privatrecht II, S. 411. 275 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 330; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 333. Vgl. auch den von Drosdowski, Verhältnis, S. 81 ff., erörterten Beispielsfall. 276 Wieacker, SZ 69 (1952), 302,315 f. 277 Vgl. Honseil, Römisches Recht, S.129. 271
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schwichtigt werden 278 . Allerdings förderte dies Konzept (zumindest mittelbar) auch eine durch die Gesellschafter eigenverantwortlich wahrzunehmende Selbstregulierung. Zwang doch die Beschränkung, Einzelansprüche allein durch Auflösung der Gesellschaft klagweise durchsetzen zu können, die Beteiligten häufig dazu, ihre Konflikte einvernehmlich zu klären 279 . Die gemeinrechtlichen Juristen des 19. Jahrhunderts standen vor der Aufgabe, das römische Gesellschaftsrecht auf das soziale und wirtschaftliche Umfeld ihrer Zeit anzuwenden; sie mussten die Quellen mithin nach den Bedürfnissen von Personengesellschaften interpretieren, die - anders als die römische societas - zumeist Außengesellschaften waren . Zudem dienten Gesellschaften zunehmend nicht mehr der Durchführung einzelner (Spekulations-)Geschäfte, sondern betrieben stattdessen immer größere gewerbliche Unternehmen 281 . Tendenziell wuchs daher das Bedürfnis, den Bestand der Gesellschaften stärker abzusichern; sei es, dass nicht mehr jedes Ausscheiden eines Gesellschafters notwendig die Auflösung der Gesellschaft herbeiführte 282 , sei es, dass die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verlassen, überhaupt eingeschränkt wurde. Innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne schlug sich diese Entwicklung in den Darlegungen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums nieder: Glück behandelte in seinen - auch von den Handelsrechtlern viel zitierten - Erläuterungen die Kündigung einer befristeten Gesellschaft nur ganz am Rande, stattdessen legte er vor allem die Rechtsfolgen von arglistigen Kündigungen und von Kündigungen in Abwesenheit der Partner dar 283 . Kündige ein Gesellschafter, um einen sicher erscheinenden Gewinn allein einzuziehen, so müsse er diesen Gewinn doch mit den anderen teilen; erleide er hierbei aber einen Schaden, trage er diesen allein. Dagegen nehme er nicht mehr teil am übrigen Gewinn, den die Gesellschaft seit seiner Aufkündigung erziele. Bei einer Kündigung zur Unzeit, „das ist, vor der im Contract bestimmten Zeit, wo die Societät nicht ohne Schaden aufgehoben werden konnte; so muss er den daraus erwachsenen Schaden ersetzen." 284 Habe der Gesellschafter in Abwesenheit die Gesellschaft gekündigt, so werde er erst dann von seinen Verbindlichkeiten frei, wenn die Nachricht bei der Sozietät eintreffe. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse er seinen Gewinn teilen, seinen Schaden gleichwohl allein tragen; zugleich nehme er nicht mehr an dem Gewinn der anderen teil, während ein Verlust jener noch auf gemeinschaftliche RechWieacker, SZ 69 (1952), 302, 316,342. Diesen Aspekt hebt vor allem Drosdowski, Verhältnis, S. 46, hervor. 280 Wieacker; SZ 69 (1952), 302, 306, spricht in diesem Zusammenhang von einer „wissenschaftlichen Nötigung". 281 Zur Praxis der nicht konzessionierten Gesellschaften vgl. unter § 5 A. 282 So zunächst im handelsrechtlichen Schrifttum Bender, Handelsrecht, S. 317; später auch in der gemeinrechtlichen Literatur Reyscher, Privatrecht III, S. 401; Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl., 1855, S. 296; Walter, System des gemeinen deutschen Privatrechts, 1855, S. 333. Andere Autoren betonten allerdings noch lange, auch wenn man bei Änderungen im Gesellschafterkreis die Gesellschaft faktisch als unverändert fortbestehend behandle, so liege juristisch doch eine neue Gesellschaft vor; vgl. Heise, Handelrecht, S. 63; Thöl, Handelsrecht, S. 144 f.; Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 97. 283 Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, XV. Theil, 1813, S. 469 f. 284 Glück, Erläuterung XV, S. 470. 278
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§2 Zum
Ausgangspunkt
nung gehe 285 . Die von Glück mit Blick auf verschiedene Fallgruppen herausgearbeiteten und jeweils - wohl noch halbwegs annehmbar — modifizierten Rechtsfolgen verschmolzen bei anderen Autoren zu sehr kurzen Formeln : Der Austretende habe allen Schaden zu ersetzen und gehe wegen des betrügerischen Rücktritts noch dazu aller Ansprüche an die Gesellschaft verlustig 287 . Den etwaigen Verlust habe der Kündigende mit zu tragen, ohne Anteil zu haben am etwa gemachten Gewinn 288 . Später wurden dann die kurzen Formeln wieder „phantasiereich" ausgefüllt 289 : Die vorzeitige Kündigung befreie den Betreffenden nicht von seinen Verbindlichkeiten gegen die Gesellschaft; er habe deshalb dieser jeden nachweisbaren Schaden zu ersetzen. Obwohl der Kündigende an den Erträgen des fortbetriebenen Geschäfts nicht mehr teilhabe, sei er verpflichtet, so sich schließlich bei der Schlussrechnung ein Verlust ergebe, diesen im einmal festgesetzten Verhältnis mitzutragen. Zudem dürfe er vor dem im Vertrag festgesetzten Endtermin nicht sein Kapital aus der Gesellschaft ziehen; eine noch rückständige Einlage sei einzuzahlen. Müsse die Gesellschaft eine Person einstellen, welche die Arbeit des kündigenden Gesellschafters übernehme, so habe dieser ihr die Kosten zu erstatten. Trügen die ehemaligen Mitgesellschafter die Mehrarbeit, sei ihnen dies vom Ausgeschiedenen besonders zu vergüten. Auch sei es durchaus möglich, dass dessen Haftung Dritten gegenüber fortdauere. Weniger einfallsreich war man dagegen bei der Bestimmung jener Umstände, die eine vorzeitige Kündigung rechtfertigen konnten. Zumeist war insoweit nur von „gerechten Ursachen" oder „erheblichen Gründen" die Rede . Die um eine nähere Ausfüllung bemühten Autoren blickten in erster Linie auf die Person des Kündigenden: Habe dieser durch Krankheit seine zum Fortbestand der Gesellschaft nötigen Kräfte verloren, dürfe er kündigen 291 . Unbeachtet blieb zunächst das Verhalten der Mitgesellschafter 292 . Das Kündigungsrecht wurde mithin vom gemeinrechtlichen Schrifttum in einer Weise umgestaltet, welche die vorzeitige Kündigung einer befristeten Gesellschaft zu einem nicht kalkulierbaren Risiko werden ließ. Im klassischen römischen Recht konnte man angesichts der jederzeit möglichen und an sich nicht zum Ersatz verpflichtenden Kündigung auf eine Regulierung der inneren Gesellschaftsverhältnisse verzichten. Nun Glück, Erläuterung XV, S. 470. Arg verkürzt auch schon Curtius/Hänel, Handbuch 4, S. 187, in der Sache Glück aber wohl noch ähnlich. 287 v. Wening-Ingenheim, Lehrbuch des Gemeinen Civilrechts, Erster Band, 3. Aufl. 1827, S. 566. 288 Göschen, Vorlesungen über das gemeine Civilrecht, Band 2, 1839, S. 412. 289 Zum Folgenden Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 93 f. 290 Vgl. nur Curtius/Hänel, Handbuch 4, S. 187; v.Holzschuher, Civilrecht II, S. 813f.; v.Wening-Ingenheim, Civilrecht I, S. 566; Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 94; ähnlich auch Göschen, Civilrecht II, S. 412 („wenn nämlich eine gewisse Nothwendigkeit dazu drängte"). Sintenis, Civilrecht II, S. 720, erwähnt noch, „getäuschte Erwartungen ..., welche den Umständen nach gehegt werden durften." 291 So Höpfiier, AcP 17 (1834), 262, 268, der zudem noch den Wegfall „der Voraussetzungen, unter denen allein der Vertrag geschlossen worden ist und bestehen kann", erwähnt. 292 Siehe dann aber Brinkmann, Handelsrecht, S. 171. Hierzu unter § 5 B III.3. Unter dem französischen Recht wurde dagegen schon frühzeitig hervorgehoben, schwerwiegende Pflichtverletzungen eines Gesellschafters gäben den übrigen Gesellschaftern das Recht, die Gesellschaft zu kündigen, vgl. Schiebe, Handelsrecht, S. 590 ff., Anm. 1067. 285
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D. Resümee
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aber waren die Gesellschafter auf Jahre an die Gesellschaft „gefesselt", ohne dass man — zumindest unter dem gemeinen Recht - mit der Entwicklung eines Innenrechts sonderlich voran gekommen war. Anders als preußische ALR (§§ 271 ff. 1 17) 2 9 3 und das osterreichische ABGB (§ 12 1 0) 2 9 4 kannte das gemeine Recht zunächst nicht einmal die Möglichkeit, einen seine Pflichten grob verletzenden Gesellschafter auszuschließen 295 .
D. Resümee Die bisherige Untersuchung hat den Ausgangspunkt der Entwicklung des modernen deutschen Gesellschaftsrechts veranschaulichen können: Ausmachen ließen sich zunächst mit den süddeutschen Handelsgesellschaften und den Großen Handelscompagnien zwei Extrempunkte. Die im 17. und 18. Jahrhundert in Brandenburg-Preußen gegründeten Handelscompagnien standen völlig unter dem Einfluss des jeweiligen Landesherren. Ihren Gesellschaftern verblieb kein nennenswerter Freiraum zur Ausgestaltung der statutarischen Ordnung; sie mussten darüber hinaus weitreichende Eingriffe des Staates in die Führung der Gesellschaftsgeschäfte hinnehmen. Die Compagniemitglieder waren mithin in der Ausgestaltung und Organisation des Verbandslebens völlig insouverän. Demgegenüber konnten die Gesellschafter der süddeutschen Handelsgesellschaften die Geschicke ihres Verbandes vollkommen eigenverantwortlich wahrnehmen. Ebenso souverän waren sie in der Ausübung der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit. Gerade deshalb kann aber für diese Periode noch nicht von der Existenz der Verbandssouveränität die Rede sein, jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem das moderne rechtswissenschaftliche Schrifttum die Verbandssouveränität versteht; d. h. als ein Rechtsgrundsatz, der die statutarische Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter (zumindest auch) beschränkt. Bei den süddeutschen Handelsgesellschaften wurde die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit nämlich prinzipiell durch keinerlei Rechtsgrundsätze beschränkt; die Gesellschafter waren mithin von Rechts wegen auch nicht daran gehindert, sich der intensiven Einflussnahme eines außenstehenden Dritten zu unterwerfen. Tatsächlich gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass sie von ihrer Gestaltungsfreiheit in dieser Weise Gebrauch gemacht haben: Zwar enthalten die Gesellschaftsverträge fast immer Regelungen, mit denen die Rechtsstellung der einzelnen Beteiligten so vielfältig abgestuft wird, dass sich in einzelnen Fällen nur schwer bestimmen lässt, ob eine Person noch (minderberechtigter) Hauptgesellschafter oder
293 Nach Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 49 f., erforderte der Ausschluss einen einstimmigen Beschluss der übrigen Gesellschafter. Bei den hierfür als Beleg herangezogenen Koch/Johow, Landrecht II, S. 537, Anm. 15, ist allerdings nur von der „Beschlußfassung der Uebrigen" die Rede. Im älteren Schrifttum stieß der Ausschluss auf Kritik: „Diese Satzungen sind unhistorisch und unpraktisch; man scheint dabei an die Korporationen gedacht zu haben." Koch, Lehrbuch des Preußischen gemeinen Privatrechts, Band II, 1846, S. 378, Anm. 16. 294 Hierzu Zeiller, ABGB III/2, S. 571 f. 295 Dafür erst Brinkmann, Handelsrecht, S. 177 ff.; Reyscher, Privatrecht III, S. 401. Vgl. unter § 5 B III.3.
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§ 2 Zum
Ausgangspunkt
schon ein nicht mehr zum eigentlichen Gesellschafterkreis gehörender Dritter ist. Über die für das weitere Schicksal der Gesellschaft bedeutsamen Fragen entscheidet aber immer nur ein relativ kleiner Kreis vollberechtigter Hauptgesellschafter. In den folgenden Jahrhunderten verläuft die Entwicklung zwischen den beiden Extrempunkten, wenn auch zunächst noch jeweils in deren unmittelbarer Nähe. Bei den Handelscompagnien erweitern sich die den Mitgliedern vorbehaltenen Gestaltungsfreiräume nur sehr partiell und fast immer auch nur temporär; ein qualitativer Umbruch lässt sich jedenfalls nicht ausmachen. Die Gesellschafter „privater" Gesellschaften sind noch bis ins 19. Jahrhundert hinein darauf angewiesen, die Verfassung ihres Verbandes nahezu vollständig eigenverantwortlich zu gestalten, wenn auch die großen Vernunftrechtskodifikationen erste Regelungen für die Binnenorganisation der Gesellschaften bringen. Jedoch ist im A L R sowie im A B G B nur jeweils eine Einheitsgesellschaft geregelt und der Code de Commerce, der von verschiedenen Gesellschaftsformen ausgeht, formt deren Strukturen nur sehr allgemein vor. Für die ordentlichen Gerichte ist das Gesellschaftsrecht bisher weitgehend terra incognita und von den Entscheidungen der Schiedsgerichte erfährt weder eine breitere Öffentlichkeit noch die rechtswissenschaftliche Lehre etwas. In den einschlägigen juristischen Werken wird das Gesellschaftsrecht denn auch zumeist nur kursorisch abgehandelt. Wenige noch heute beachtenswerte Einzelbeiträge lassen den Gesamteindruck unberührt. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass dennoch sehr bald eine dynamische, von der Praxis ausgehende Entwicklung einsetzt. Bei der Darstellung soll zwischen konzessionierten und nicht konzessionierten Handelsgesellschaften unterschieden werden. Aus der Distanz betrachtet, scheint diese Einteilung jener in Aktiengesellschaften und offene Handelsgesellschaften zu entsprechen. Als ausgebildete Rechtsformen gibt es aber beide zunächst noch nicht; und auch wenn man hiervon absieht ist - wie im Einzelnen zu zeigen sein wird — die Trennung nicht völlig deckungsgleich. Die Scheidung in konzessionierte und nicht konzessionierte Gesellschaften bietet sich für diese Untersuchung nicht zuletzt deshalb an, weil der die Konzession erteilende Staat auf die Ausgestaltung des Innenrechts Einfluss nehmen konnte; ansonsten vollzog sich dessen Entwicklung weiterhin frei von unmittelbaren staatlichen Eingriffen. Bei den konzessionierten Gesellschaften ist zu untersuchen, ob und wenn ja inwieweit die staatlichen Behörden von den ihnen eröffneten Einflussmöglichkeiten Gebrauch machten, welche Ziele sie dabei verfolgten, ob sie sich von bestimmten Ordnungsvorstellungen leiten ließen u. a.m. Demgegenüber lässt sich an Hand der Entwicklung nicht konzessionierter Gesellschaften vor allem klären, welche Konzeptionen in der Praxis des Gesellschaftswesen für die Binnenorganisation der Verbände ausgebildet worden sind.
§ 3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien in der prälegislatorischen Phase
A. Vom Oktroi- zum Konzessionssystem I. Die staatliche Konzession Häufig wird die geschichtliche Entwicklung des Aktienwesens als Abfolge einander ablösender Systeme dargestellt: D e r Epoche des Oktroisystems sei zunächst jene des Konzessionssystems nachgefolgt; schließlich sei man zum System der Normativbestimmungen übergegangen 1 . D i e Trennung zwischen Oktroi- und Konzessionssystem wird dabei vor allem am Vorhandensein einer abstrakten gesetzlichen Regelung festgemacht: W ä h r e n d die Errichtung einer Aktiengesellschaft unter dem Oktroisystem des Erlasses eines Spezialgesetzes zur Regelung ihrer Rechtsverhältnisse bedurft habe, sei unter dem Konzessionssystem die Rechtsform als solche mit allgemeiner W i r k u n g gesetzlich geregelt; der Staat behalte sich allerdings noch die Genehmigung jeder einzelnen Gesellschaft vor 2 . D e m C o d e de C o m m e r c e soll deshalb das Verdienst gebühren, erstmals das Konzessionssystem durchgeführt zu haben 3 . Das preußische Allgemeine Landrecht wäre demnach noch der Epoche des Oktroisystems zuzuordnen; in der Tat enthält es nur wenige Einzelnormen zu Aktien
und keine Vorschriften über die A G als Rechts-
form. D e n n o c h wird die Aktiengesellschaft - gerade im jüngeren Schrifttum 5 — i m m e r wieder vor dem Hintergrund der gesellschaftsrechtlichen Regelungen des A L R betrachtet. Das, wonach gesucht wird, kann es eigentlich schon per definitionem nicht geben: auf die Aktiengesellschaft anwendbare allgemeine Bestimmungen. In ähnlicher Weise dürften aber am Anfang des 19. Jahrhunderts um die Gründung einer Aktiengesellschaft bemühte Personen mitunter Ausschau nach einer Rechtsgrundlage gehalten haben. So veranschaulichen denn die Bemühungen des modernen rechtswissenschaftlichen Schrifttums die Probleme der damaligen Praxis.
1 Etwa Bösselmann, Aktienwesen, S. 74; R.Fischer, Aktiengesellschaft, S. 21 ff.; G.Hueck, Gesellschaftsrecht, § 20 II (S. 175fF.); Lavx, Lehre, S. 41 ff.; Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 2982f„ 3004f. 2 Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 121. Vgl. auch R.Fischer, Aktiengesellschaft, S. 23; Strauss, FS W.Schmidt, S. 3, 6 F. Gegen eine Unterscheidung von Oktroi- und Konzessionssystem Beitzke, ZHR 108 (1941), 32, 36 Ff. Dieser untersucht aber nicht die Periodisierung des historischen Aktienwesens, sondern verschiedene Systeme (des geltenden Rechts) zur Bildung juristischer Personen. 3 Grossfeld, Beurteilung, S. 237; Wagner, GesellschaFtsrecht, S. 2983 F. Zum Code vgl. unter § 2 B II. 4 Vgl. § 1 2 12, §793 I I I , §415 112 ALR. 5 Zur Unergiebigkeit des zeitgenössischen handelsrechtlichen Schrifttums zum ALR vgl. unter § 2 B 1.4.
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§ 3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien
Vor allem wird auf die Vorschriften über die „Corporationen und Gemeinen" (§§ 25 ff- II 6 ALR) geblickt: Dem Entwicklungsstand der AG gemäß habe das Landrecht nur einige wenige Vorschriften über die Korporation enthalten ; jene Bestimmungen hätten (nur) für genehmigte und privilegierte Aktiengesellschaften gegolten, denen auch noch die Rechte einer Korporation verliehen worden seien7. Hierzu ist anzumerken: Das ALR widmet den „Corporationen und Gemeinen" im 6. Titel des II. Teils 178 Paragraphen - die Dürftigkeit der gesetzlichen Regelung war also zweifellos nicht das größte Problem. Der Abschnitt enthält auch gewiss Vorschriften, die man auf Aktiengesellschaften zur Anwendung hätte bringen können (vgl. unter § 2 B 1.1). Bei genauer Betrachtung zeigt sich aber bald, dass für die Gründer einer AG die vollständige Unterstellung ihrer Gesellschaft unter die §§ 25 ff. II 6 ALR nicht wirklich attraktiv war. So banden z. B. die §§ 83 ff. Verfügungen über unbewegliches Vermögen der Korporation an die Zustimmung der „vorgesetzten Behörde"; wählte die Korporation „untüchtige" Beamte oder Vorsteher, verlor sie ihr Wahlrecht und die Stelle war von der Obrigkeit nach deren Wahl zu besetzen (§ 165); über die Amtsenthebung von Beamten und Vorsteher entschied der Staat (§§ 171 ff.); zur Erfüllung des Zwecks der Korporation oder einer von dieser schon rechtsverbindlich übernommenen Verpflichtung konnten durch Mehrheitsbeschluss Nachschüsse eingefordert werden (§ 65) - in diesen Fällen hafteten auch alle Mitglieder mit ihrem Privatvermögen (§ 96). 8 Zudem war die Anwendung der Vorschriften dieses Titels auf Handelsgesellschaften durch § 16 II 6 ALR ausdrücklich ausgeschlossen9; jene Bestimmung stand übrigens ebenso der Erhebung der Aktiengesellschaft zur „Privilegierten Gesellschaft" im Sinne der §§ 22 ff. II 6 ALR entgegen1 Nach der Systematik des Allgemeinen Landrechts bestand demnach keine Möglichkeit, einer erwerbswirtschaftlichen Aktiengesellschaft Korporationsrechte zu verlei6 7
Martens, Kritik, S. 10. Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1 , 4 f.; vgl. auch Bracht, Eisenbahnen, S. 25.
8 Große Zurückhaltung klingt denn auch im Gutachten der Berliner Kaufmannschafts-Ältesten an: „Die Erlangung der Rechte einer moralischen Person, wie das Landrecht letztere bestimmt, entspricht dem hier angedeuteten Zweck nicht, und es würde also dadurch nichts weiter erreicht seyn als Erleichterung der rechtlichen Möglichkeit, daß die Gesellschaft durch Vertreter repräsentirt werde." Gans, Beiträge, S. 182. „Die Vorschriften des Landrechts Theil II. Titel 6. und des §. 13. Titel 13. I.e. passen theils nicht, theils reichen sie nicht aus. "A.a.O., S. 192. 9 Die Satzungen und Konzessionsurkunden der im Geltungsbereich des ALR entstandenen Aktiengesellschaften verweisen nur in sehr seltenen Fällen auf II 6 ALR. Selbst in der von Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 5, Fußn. 16, als Beleg angeführten Konzessionsurkunde für die Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft, Preuß. GS 1851, 727, ist nur von der Verleihung der „Rechte einer Korporation" die Rede und zwar ohne jeden Verweis auf das ALR. Im Statut wird die Gesellschaft lediglich als „AktienGesellschaft" bezeichnet. Zu den üblichen statutarischen Definitionen siehe unter B II.2. Sogar eine zwingende Unterstellung der konzessionierten AG unter das in II 6 ALR geregelte Korporationsrecht behauptet M.Emmerich, Beschlusskontrolle, S. 77ff., 120; hieraus soll sich u.a. ergeben haben, dass sämtliche Beschlüsse der Gesellschaften einem staatlichen Genehmigungsvorbehalt unterlagen. Irgendwelche Belege, auf die sich diese Behauptung stützen ließe, werden jedoch nicht angeführt. Siehe demgegenüber zum Korporationsbegriff des ALR/. Schröder, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 3 9 9 , 4 1 8 ff. 10 Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 15 ff., sieht in der AG eine mit besonderen Privilegien versehene erlaubte Privatgesellschaft. Dem folgend: Schubert, Z R G Germ. Abt. 116 (1999), 152, 173.
A. Vom Oktroi- zum
Konzessionssystem
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hen 1 1 . Da aber das ALR die Aktiengesellschaft überhaupt ungeregelt ließ, war eine entsprechende spezialgesetzliche Regelung nicht prinzipiell ausgeschlossen. Tatsächlich ergingen auch nach dem Inkrafttreten des Landrechts im Jahr 1794 weiterhin besondere Oktrois für einzelne Gesellschaften . Weitgehend ungeklärt ist jedoch selbst heute noch, ob die Entstehung einer Aktiengesellschaft notwendig einen Oktroi voraussetzte: Die Aussage, nur ein landesrechtliches Privileg habe die für die AG typischen Rechtsfolgen (beschränkte Haftung und korporative Verfassung) herbeiführen können 1 3 , überzeugt nicht recht, da schon die Vorschriften des ALR über die Handelsgesellschaft eine körperschaftliche Ausgestaltung der inneren Gesellschaftsverhältnisse ermöglichten . Später wird zu zeigen sein, dass auch die Beschränkung der Haftung nach damaliger Anschauung kein unüberwindbares Problem darstellte 15 . Gewichtiger ist der Verweis auf das Unvermögen der Gesellschaft, Grundstücke im eigenen Namen zu erwerben, auf fehlende Wechsel- und Prozessfähigkeit , sowie auf die vielen Unzulänglichkeiten, die sich aus der zweifelhaften Rechtsstellung ergaben 17 . All dies stand der Errichtung einer Aktiengesellschaft ohne jede staatliche Bestätigung aber nicht generell entgegen. Die preußische Ministerialbürokratie soll denn auch noch lange die Auffassung vertreten haben, eine private Aktiengesellschaft benötige keine besondere staatliche Konzession 18 . Allerdings hat man gerade in dieser Zeit oft nicht hinreichend unterschieden zwischen den verschiedenen Funktionen, die einer „Konzession" zukommen konnten 1 9 : Die Konzession mochte der Verleihung von Rechtsfähigkeit dienen 2 0 , ebenso aber auch eine polizeirechtliche Genehmigung bzw. gewerberechtliche Zulassung zum Inhalt haben 2 1 . Bei der Konzessionierung von Aktiengesellschaften geht es zudem regelmäßig um die Gewährung besonderer Privilegien 22 : für eine gewisse AusschließlichVgl. Schumacher, Organisation, S. 8. Hierzu Martin, VSWG 56 (1969), 499, 500 ff., 527ff.; einen Überblick über die Gründungen in dieser frühen Phase geben auch Bösselmann, Aktienwesen, S. 189 ff; Thieme, jbWg 1960/11, S. 285 ff. 13 So Reich, Entwicklung, S. 244. 14 Hierzu unter § 2 B 1.4; vgl. auch Schumacher, Organisation, S. 30. 15 Vgl. unter § 5 A III. 16 Siehe Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 22. 17 Vgl. Schumacher, Organisation, S. 30 f. 18 Nach Bösselmann, Aktienwesen, S. 67 ff., soll sich die preußische Regierung nach 1820 endgültig für eine Konzessionspflicht entschieden haben. Vgl. auch Hopt, Grundlagen, S. 138 ff. Nach Durchsicht der einschlägigen Akten glaubt Martin, VSWG 56 (1969), 499, 535 f., für Mitte der 30er Jahre insoweit eine mehrstufige „Verhinderungsstrategie" der preußischen Ministerialbürokratie ausmachen zu können: Bei Anträgen von Aktiengesellschaften auf Konzessionierung habe sich diese zunächst für unzuständig erklärt. 19 Vgl. Beitzke, ZHR 108 (1941), 32,34 f.; vgl. auch Rosin, Gruchot's Beiträge 27 (1883), 108,112f. 20 Für die These, zu Beginn des 19. Jahrhunderts habe man in Deutschland eine staatliche Mitwirkung an der Gründung von Aktiengesellschaften vor allem aus rechtsdogmatischen Anschauungen über die Inkorporation für erforderlich gehalten habe (so Grossfeld, Beurteilung, S. 238) lassen sich jedoch keine Belege ausmachen. Vgl. demgegenüber Gmür, FS H.Westermann, S. 182 f. Nicht einmal der Wortlaut von § 25 II 6 ALR deutet auf die Notwendigkeit eines besonderen Vcrieihungs-/U'r.f hin. 21 Gewerberechtliche Bedeutung besaß die Konzession vor allem dort, wo wie im Königreich Bayern noch keine Gewerbefreiheit herrschte. Siehe hierzu Obenaus, Aktiengesellschaften, S. 43 ff. 11
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90
§ 3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien
keit des betriebenen Gewerbes, eine Freistellung von Steuern und Zöllen; bei den Eisenbahngesellschaften zudem und vor allem um das sogenannte Expropriationsrecht 2 3 . Als immer mehr Gründer behaupten, die von ihnen errichtete Gesellschaft könne ihr Unternehmen nur bei Verleihung besonderer Privilegien betreiben, beginnt man in Preußen nach Auswegen zu suchen. Z u m einen geht man dazu über, „Teilprivilegien" zu verleihen: Vor allem Korporationsrechte für Grundstücksgeschäfte
. Z u m anderen
„dehnt" man den „fortdauernden gemeinnützigen Zweck" im Sinne des § 2 5 II 6 A L R ; bei der Bearbeitung von Konzessionsanträgen wird deshalb jetzt häufig um die G e meinnützigkeit des Unternehmens gestritten 2 5 . O b w o h l eine entsprechende Anforderung dem System des C o d e de C o m m e r c e eigentlich fremd ist 2 6 , müssen schließlich auch im preußischen Rheinland die Gründer einer Aktiengesellschaft deren G e m e i n nützigkeit nachweisen 2 7 .
II. Statuten im Konzessionsverfahren I m Konzessionsverfahren wird nicht nur um die Gemeinnützigkeit der Gesellschaft und um Privilegien gestritten; man widmet sich auch den Statuten der neuen A G , die von deren Gründern der Behörde zur Genehmigung vorzulegen sind 2 8 . In einer sehr eingehenden Untersuchung der Satzungen preußischer Aktiengesellschaften aus dem Zeitraum von ca. 1 8 2 0 bis 1 8 7 0 ist Götz Landwehr
gleichwohl zu einem — zumindest
auf den ersten Blick überraschenden - Ergebnis gelangt: Zwar habe das Konzessionssystem dem Staat die Möglichkeit eröffnet, auf die Gestaltung der inneren Organisation der Gesellschaften einzuwirken, auch hätten es die staatlichen Behörden prinzipiell 22 Über das Ausmaß der Privilegien wurde zwischen Gründern und Genehmigungsbehörde mitunter intensiv verhandelt. So z. B. bei der Elb-Amerikanischen Compagnie, hierzu Ludwig, Scripta Mercaturae 26 (1992), S. 23, 38 f., oder bei der Nürnberg-Fürrher Eisenbahn, vgl. Mück, Deutschlands erste Eisenbahn, S. 73 ff. 23 Zur Bedeutung des Eisenbahnbaus für die Entwicklung des Enteignungsrechts in Deutschland siehe nur D.Grimm, Enteignungsrecht, S. 127ff. Dass gerade die Notwendigkeit, den Eisenbahngesellschaften das Enteignungsprivileg zu überlassen, zum relativ hohen Maß an staatlicher Einflussnahme während des Konzessionsverfahrens beigetragen habe, hebt Ziegler, Eisenbahnen, S. 24, hervor. 24 Vgl. Martin, VSWG 56 (1969), 499, 533ff. Schumacher, Organisation, S. 31, erwähnt noch ein Privileg, nach dem die Gesellschafter nur subsidiär für die Gesellschaftsschulden zu haften hatten. 25 Sehr anschaulich hierzu Martin, VSWG 56 (1969), 499, 530 ff. Auch als in Preußen 1833 erste Anträge auf die Konzessionierung von Eisenbahn-Aktiengesellschaften gestellt wurden, entledigte sich das zuständige Ministerium dieser zunächst, indem es unter Verweis auf die Kosten die Gemeinnützigkeit des Projekts anzweifelte; vgl. Berlin und seine Eisenbahnen, S. 133. 2 6 Sie wird auch nicht in der Kommentierung von Broicher/Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 19 ff., erwähnt. Diese geben nur eine Instruktion des (französischen) Innenministers vom 13.12.1808 wieder, nach der die Departements-Präfekten u. a. die Nützlichkeit des geplanten Unternehmens beurteilen sollten und sich ferner dazu zu äußern hatten, „ob die Unternehmung nicht gegen die Sitten, gegen die beim Handel nothwendige Rechdichkeit und gegen die gute Ordnung der Geschäfte im Allgemeinen zu seyn scheine". 27 Martin, VSWG 56 (1969), 499, 514; Rauch, ZRG Germ. Abt. 69 (1952), 239, 275 f.; Schumacher, Organisation, S. 9. 28 Vgl. nur § 1 Abs. 2 des preußischen Aktiengesetzes vom 9.11.1843, GS 1843,213.
A . Vom Oktroi- zum Konzessionssystem
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als ihre Aufgabe angesehen, im Genehmigungsverfahren entsprechend tätig zu werden, u m die Interessen der Aktionäre und der Gläubiger zu schützen; dennoch könnten der Konzessionspraxis „keinerlei Hinweise auf konkrete Ordnungsvorstellungen der staatlichen Bürokratie und auf eine wirkliche Einflussnahme auf die Gestaltung der Gesellschaftsverfassung" entnommen werden. Aus diesem Befund zieht Landwehr den Schluss, das Verfassungsrecht der Aktiengesellschaften sei nicht als eine schöpferische Leistung des Gesetzgebers anzusehen, sondern als Frucht einer über fünfzigjährigen praktischen Erfahrung mit dieser Gesellschaftsform 2 9 . W ü r d e die Einschätzung zutreffen, dann hätten die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft unter dem Konzessionssystem die innere Organisation ihres Verbandes in dessen Satzung weitgehend souverän bestimmen können. Das ihnen insoweit gewährte M a ß an Gestaltungsfreiheit hätte sich nicht nur ganz wesentlich von den entsprechenden Wirkungsmöglichkeiten der Mitglieder einer Großen Handelscompagnie abgehoben (vgl. unter § 2 A II); bei der eigenverantwortlichen Ausgestaltung der Gesellschafts-Binnenorganisation wären die Aktionäre in dieser Phase der aktienrechtlichen Entwicklung auch freier gewesen als in sämtlichen folgenden Perioden. Gegen die These Landwehrs spricht nicht schon, dass die preußischen Behörden, die in den ersten zwei, drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Ansicht vertreten hatten, private Aktiengesellschaften benötigten überhaupt keine staatliche Konzession, später nachdrücklich auf dem Konzessionserfordernis bestanden (vgl. unter A I ) . Da der Konzession unterschiedliche Funktionen zukamen, muss das Festhalten am Konzessionszwang nicht notwendig vom Wunsch veranlasst worden sein, auf die Binnenorganisation der Gesellschaften Einfluss nehmen zu können. Insbesondere ist es dem preußischen Staat (wie auch den anderen deutschen Einzelstaaten) offenbar vor allem darum gegangen, die Entwicklung des Aktienwesens insgesamt kontrollieren zu können 3 0 . Allerdings können häufig schon den Statuten der einzelnen Gesellschaft Hinweise auf ein Mitwirken der staatlichen Behörde bei der näheren Ausgestaltung der Satzung entnommen werden. So heißt es beispielsweise im Confirmationsdecret für die Leipziger Discontocasse lapidar: „die Errichtung einer auf Actien gegründeten Discontocasse allda in Gnaden genehmigt und den für diese Anstalt entworfenen Statuten, nachdem selbige in der von Uns für nöthig befundenen M a ß e abgeändert und eingerichtet worden, Unsere Bestätigung ertheilt, haben, ..." 3 1 . Anscheinend stand die Behörde auf dem Standpunkt, ändernde Eingriffe des Staates in die Statuten bedürften im Konzessionsverfahren weder einer näheren Begründung, noch der vorherigen Absprache mit den Gesellschaftern. Später entstanden die AG-Satzungen dann mitunter nachweisbar in einem längeren Abstimmungsprozess zwischen Konzessionsbehörde und Gesellschaft. Offengelegt wird ein solcher Prozess z. B. bei der Leipziger Bank in einem der eigentlichen Satzung
Vgl. Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1 ff., insb. 21 ff., 101 f. Vgl. allgemein zu den rechtspolitischen Zielen des Konzessionssystem aus dem neueren Schrifttum nur Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 122 ff. 31 Sachs. GS 1827, 135. 29
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§ 3 Konzessionierte
Gesellschafien auf Aktien
vorangestellten Absatz 32 : Zunächst habe die Staatsregierung die Errichtung einer Bank in Leipzig generell bewilligt; im Juli 1838 sei dann ein vom provisorischen Bankkomitee vorgelegter Statutenentwurf, der die vorläufige Genehmigung des Innenministeriums erfahren habe, veröffentlicht worden. Nach der Zeichnung der Aktien und der Konstituierung der Gesellschaft auf der ersten Generalversammlung vom 5.9.1838 wurde auf Veranlassung des Innenministeriums der Entwurf nochmals überprüft und schließlich von der zweiten Generalversammlung am 20.12.1838 endgültig festgestellt. Am 12.3.1839 bestätigte der sächsische König das Statut. Auch aus anderen deutschen Einzelstaaten wird berichtet, die Satzungen von Aktiengesellschaften seien in gemeinsamen Sitzungen von Gründern und Konzessionsbehörden beraten worden 33 . Zu beachten ist auch, dass sich der Einfluss des Staates auf die Satzung der Aktiengesellschaft unter dem Konzessionssystem nicht auf die Gründungsphase beschränkte, denn Satzungsänderungen bedurften unter diesem System immer der Genehmigung der staatlichen Behörde. In den Satzungen sächsischer Gesellschaften findet sich darüber hinaus mitunter noch die Klausel, über die Auslegung der Statuten entscheide die Konzessionsbehörde . All dies spricht jedoch nicht zwingend gegen die These Landwehrs; denn die staatliche Einflussnahme auf die Abfassung der Satzungen kann sich auf andere Punkte als die Binnenorganisation der Gesellschaften bezogen haben, möglicherweise auf die Bestimmungen zur Umlauffähigkeit und näheren Ausgestaltung der Aktien u. a.m. Indiz für ein solches lediglich punktuelles Interesse der Konzessionsbehörden an den Satzungsregelungen könnte die Tatsache sein, dass man seitens der staatlichen Behörden im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts noch (ganz im Sinne von Büsch; vgl. unter § 2 A III) der Ansicht ist, die gedeihliche Entwicklung einer Aktiengesellschaft lasse sich am besten durch eine sorgfältige Uberprüfung der Gründer und ihrer persönlichen Verhältnisse absichern 35 . Doch richtet sich der Blick der Behörden schon bald (zumindest auch) auf die innere Organisation der AG. In einem der bekanntesten Handelsrechts-Kommentare dieser Zeit wird die Funktion des Konzessionsverfahrens wie folgt beschrieben: „Die Ermächtigung der Staatsregierung soll bei einer Gesellschaft, deren Mitglieder von aller perSachs. GVOB1 1839, 56 Vgl .Jungmann-Stadler, ZBLG 60 (1997), 889, 917, zur Gründung der Bayerischen Hypothekenund Wechselbank. Vgl. auch unter B.I. zur Rheinisch-Westindischen Kompagnie. Gemäß § 5 der Allgemeinen Bestimmungen über das bei Eisenbahnen geltende Konzessionssystem in Osterreich vom 18.6.1838 (auszugsweise nachgedruckt bei: v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 3), sollten die Vertreter der Behörde auf eine freiwillige Übernahme der für praktikabel gehaltenen statutarischen Vorschriften durch die Gründer hinwirken. 34 Vgl. nur § 17 des Statuts der „Sächsisch-Bayerschen Eisenbahncompagnie", GVOB1 1843, 39, sowie § 18 des Statuts der Sächsisch-Schlesischen Eisenbahngesellschaft, GVOB1 1844, 244. 35 So ist die preußische Regierung bei der Gründung der Magdeburg-Leipziger Eisenbahngesellschaft völlig auf die Person des Magdeburger Bürgermeisters Francke fixiert, dazu Beyer, Anfänge, S. 155 f. Vgl. auch Jungmann-Stadler, ZBLG 60 (1997), 889, 890, über die Behandlung verschiedener Projekte zur Gründung einer Bank durch die bayerischen Behörden. Nach Art. 4 der französischen Instruktion vom 13.12.1808 haben die Behörden „die nöthigen Nachrichten über die Eigenschaften und die Moralität sowohl der Verfasser des Entwurfes, als [auch] der Bittsteller einzuziehen"; Broicher/Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 20. 32 33
A. Vom Oktroi- zum
Konzessionssystem
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sönlichen Verantwortlichkeit befreit sind, die Garantie gewähren, daß wirklich Capitalien in richtigem Verhältnisse zu der Ausdehnung des Unternehmens vorhanden, oder mit Sicherheit zu erwarten seyen; daß die Statuten in Ansehung der Geschäftsführung, Rechnungslegung, der Vertheilung des Gewinnes Bestimmungen enthalten, wodurch die Interessen aller Betheiligten gehörig gesichert werden; daß die Verwaltung der Gesellschaft den Mitgliedern und dem Publikum die erforderliche moralische Gewähr gebe." 36 Es sind deshalb Zweifel an der These Landwehrs anzumelden, auch deshalb, weil dieser die Nicht-Existenz staatlicher Ordnungsvorstellungen vor allem am Fehlen von Musterstatuten festzumachen scheint 37 . Unter einem System, das die Entstehung der einzelnen Gesellschaft an die — rechtlich nicht gebundene - Genehmigung einer staatlichen Behörde knüpfte, bedurfte es keiner Musterstatuten, um die Gesellschaftsgründer auf die Ordnungsvorstellungen der Konzessionsbehörde auszurichten: In vielen Fällen wurden die Satzungen konzessionierter Aktiengesellschaften in Gesetz- oder Regierungsblättern veröffentlicht. Es war den Gründern einer neuen Gesellschaft auf diese Weise ohne weiteres möglich, sich Kenntnisse über organisationsrechtliche Regelungen zu verschaffen, welche den großen Vorteil besaßen, bereits von den Behörden akzeptiert worden zu sein. Die Stärke des „Sogeffekts", der in einer Zeit, in der einschlägige gesetzliche Regelungen noch fehlten, von der Publikation bestätigter Satzungen ausgegangen sein dürfte, lässt vielleicht die folgende Gegenüberstellung erahnen: 1843 konnten die Vorschriften des ersten preußischen Aktiengesetzes auf ganzen sechs Seiten der Gesetzessammlung untergebracht werden; die Veröffentlichungen von Konzessionsurkunden, Statuten, Satzungsänderungen und -nachträgen, Regelungen für Anleihen sowie für die Ausgabe sog. Prioritäts-Aktien der Eisenbahngesellschaften nahmen insgesamt 82 Seiten ein. 1845 erreichen die entsprechenden Publikationen sogar einen Gesamtumfang von mehr als 180 Seiten. Aus der Gesetzessammlung drohte ein Mitteilungsblatt für das Aktienwesen zu werden. Allerdings reicht das in - von den Gründern angelegten — Statutensammlungen 38 dokumentierte Interesse an den Satzungen anderer Gesellschaften allein noch nicht aus, um den Einfluss der Konzessionsbehörden auf die Binnenorganisation der Aktiengesellschaften sicher zu belegen. Gewiss stand dahinter auch das Bestreben der Gesellschafter, an den von anderen auf diesem Gebiet gesammelten Erfahrungen zu partizipieren 39 . Noch mehr scheint das von Landwehr als Ergebnis seiner Untersuchung kon-
36 37
Broicker/Grimm,
Handelsgesetzbuch, S. 21.
Vgl. Landwehr, Z R G G e r m . Abt. 99 (1982), 1, 102, wo die Chausseebau-Aktiengesellschaften, für die Musterstatuten erlassen wurden (vgl. unter § 4 B III.3), vom allgemeinen Urteil ausgenommen werden. 38 Beispielsweise enthalten die Akten der München-Augsburger Eisenbahn gesammelte Statuten anderer Gesellschaften; vgl. Liebl, Privateisenbahn, S. 349. 39 U m an die entsprechenden Informationen heranzukommen, wird z. B. der Magdeburger Bürgermeister Francke Ehrenmitglied des Gründungskomitees für die Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie. Die hierdurch erlangten Informationen u n d das Statut dieser Gesellschaft gibt Francke an die preußische Regierung weiter; vgl. Beyer; Anfänge, S. 130, 150. Das Magdeburger Komitee wiederum bietet d e m 1. Direktor der Nürnberg-Fürther Bahn Platner die Mitgliedschaft an. Hierzu Mück, Deutschlands erste Ei-
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§ 3 Konzessionierte
Gesellschaften auf Aktien
statierte „buntscheckige" Bild aller nur denkbaren Organisationsmodelle 40 gegen eine prägende Einflussnahme zu sprechen. In der Tat dürften erheblich voneinander abweichende statutarische Regelungen zumindest tendenziell auf ein Fehlen staatlicher Ordnungsvorstellungen hinweisen; während umgekehrt das Aufzeigen weitgehend uniformer Satzungsbestimmungen nicht notwendig behördliche Eingriffe belegt, sich aber immerhin als Indiz für eine entsprechende Einflussnahme werten lässt. Endgültig klären lässt sich die Fragestellung insoweit letztlich nur, wenn es gelingt, Eingriffe der Konzessionsbehörden in die Ausgestaltung der Binnenorganisation der Aktiengesellschaften ganz konkret nachzuweisen. Da sich erst nach der Beantwortung dieser Frage sicher bestimmen lässt, wie souverän die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft unter dem Konzessionssystem bei der Ausgestaltung der statutarischen Binnenordnung ihres Verbandes tatsächlich waren, ist bei der Untersuchung der Statutenpraxis jener Zeit auf die Feststellung derartiger Eingriffe besonders zu achten (dazu sogleich unter B).
III Allgemeine rechtliche
Regelungen
Die allerersten Rechtsvorschriften über die Konzessionierung von Aktiengesellschaften entstehen allerdings zweifelsfrei nicht, weil man Grundzüge deren innerer Verfassung regeln will, ja nicht einmal die Rechtsform an sich gibt den Anstoß: Stattdessen geht es zunächst vor allem um die der Bahngesellschaft zu gewährenden Privilegien und um das Verhältnis der Eisenbahn zur Postverwaltung, der bisher die Personenbeförderung oblegen hatte. Eine erste Orientierung bieten hier jene Bestimmungen, die in Sachsen für die Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie erlassen werden 4 1 . In Preußen ergeht dann am 14.2.1836 eine Allerhöchste Kabinettsordre über die Bedingungen, „welche bei allen Eisenbahn-Unternehmungen im Preußischen Staate den weiteren Verhandlungen zum Grunde gelegt werden sollen" . Die Ordre enthält auch einige wenige aktienrechtliche Vorschriften: Recht detailliert wird die Haftung des Aktienzeichners geregelt (Ziffer 2) und zudem bestimmt, die Anlage von Zweigbahnen, die Emission neuer Aktien und die Aufnahme von Darlehen bedürfe der staatlichen Genehmigung (Ziffern 6f.). Der Staat ist zudem berechtigt, die Höhe des Reservefonds zu bestimmen (Ziffer 17 a.E.). Gemäß Ziffer 3 werden der Aktiengesellschaft durch die staatliche Genehmigung ihrer Statuten die Rechte „einer Korporation oder
senbahn, S. 148, 164; dieser berichtet auch über Beziehungen zwischen weiteren Eisenbahnkomitees, a.a.O., S. 164 ff. 40 Vgl. Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1,102 f . 41 So erwarten z. B. die Gründer der preußischen Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahngesellschaft die gleichen Privilegien, wie sie der Leipzig-Dresdner Gesellschaft gewährt worden sind, hierzu Steitz, KölnMindener Eisenbahn, S. 157 f., ebenso bei der Magdeburg-Leipziger Bahn, vgl. Beyer, Anfänge, S. 150; während sich die bayerische Regierung gerade bei der Frage der Postentschädigung am sächsischen Vorbild orientiert, vgl. Liebl, Privateisenbahn, S. 78, 132. 42 Nachgedruckt bei Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 288 f. Zur Entstehung der AKO vgl. auch Bracht, Eisenbahnen, S. 16 ff.
A. Vom Oktroi- zum Konzessionssystem
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einer anonymen Gesellschaft" erteilt; die Verhältnisse noch nicht genehmigter Gesellschaften sollen „nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften über Gesellschaftsund Mandats-Verträge" beurteilt werden. Ausdrücklich ist noch bestimmt, der Gesellschaft sei es überlassen, die für das Unternehmen erforderlichen Grundstücke zu erwerben (Ziffer 8); die innere Verfassung der A G bleibt dagegen völlig unbeachtet. Das knapp drei Jahre später erlassene Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen
über-
n i m m t zwar die aktienrechtlichen Vorschriften der A K O nahezu unverändert, geht aber nicht über diese hinaus
. Aufschlussreich insoweit auch ein Cirkular-Reskript des
preußischen Staatsministeriums, im dem die Oberpräsidenten der Provinzen über den A b l a u f und die inhaltlichen Schwerpunkte des Konzessionsverfahrens in Kenntnis gesetzt werden 4 5 : Z u überprüfen sind in erster Linie die allgemeine Nützlichkeit des Bahn und deren technische Ausführbarkeit ( § § 1, 5 Ziffer 1 und 2), aber auch „die Solidität der an die Spitze des Unternehmens getretenen Personen" und „die Vorschläge wegen Zusammenbringung der Fonds, wobei besonders die Maßregeln zu berücksichtigen sind, welche zu nehmen sein werden, um Aktienschwindel zu verhüten" (§ 5 Ziffer 6 und 7 ) . Aspekte der inneren O r d n u n g werden mit keinem W o r t erwähnt. In Bayern treten im Januar 1 8 3 6 Mitglieder verschiedener Eisenbahnkomitees an die Regierung mit dem Vorschlag heran, grundsätzliche Fragen der Konzessionierung von Bahngesellschaften gemeinsam zu erörtern. M i t der Bemerkung, ein solches Vorgehen sei „weder der Sache, noch der Stellung der Staatsregierung entsprechend", werden sie brüsk zurückgewiesen 4 6 . Schon wenige M o n a t e später ist die Regierung jedoch gezwungen, in die entgegengesetzte Richtung umzuschwenken: I m August 1 8 3 6 werden auf einer mehrtägigen Konferenz „Fundamental-Bestimmungen für sämmtliche Eisenbahn-Statute" erarbeitet 4 7 . Nach § 2 dieser Regelungen erhalten bayerische G e sellschaften „die Rechte konstituierter Korporationen, und können hiernach, von dem Augenblick ihrer wirklichen Konstituierung an, alle den Korporationen gesetzlich zustehenden Privatrechte ausüben und erwerben." D i e bayerische Vorschrift enthält sogar einige wenige Bestimmungen zur Satzung der A G und zur Willensbildung in der G e neralversammlung: Ausdrücklich bestimmt ist z . B . , die Beschlüsse der Gesellschaft würden mit Stimmenmehrheit gefasst; das Stimmrecht soll hierfür von den einzelnen
4 3 Vom 3.11.1838, Preuß. GS 1838, 505. Zu dessen Entstehung und Inhalt ausführlich Schubert, ZRG Germ. Abt. 116(1999), 152 ff. 44 Nach § 7 des Gesetzes ist nun auch zur Veräußerungen von Grundstücken die Genehmigung der Regierung einzuholen, dafür nimmt § 6 ausdrücklich den „Kauf auf Kredit" von der genehmigungsbedürftigen Darlehensaufnahme aus. Die von Kiefher, FS H.Westermann, S. 263 ff., insb. 268 ff. unmittelbar mit der Beteiligung Savignys am Gesetzgebungsverfahrens in Verbindung gebrachten Vorschriften des § 3 waren dagegen schon wortwörtlich in Ziffer 3 der AKO enthalten. Vgl. oben. 45 Vom 30.11.1838, Kamptz Annalen, 1838, 210ff. Nachgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 37 ff. Vgl. auch Bracht, Eisenbahnen, S. 33 f.; Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 82 f. 46 Liebl, Privateisenbahn, S. 53. 4 7 Hierzu Liebl, Privateisenbahn, S. 117; v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 2135 f. Die am 28.9. 1836 veröffentlichten Bestimmungen sind abgedruckt bei Liebl, a.a.O., S. 282; v.Reden, a.a.O. 1/1, S. 20 ff.
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§3 Konzessionierte
Geselbchaften
auf Aktien
Statuten so vergeben werden, dass „es nicht nach arithmetischer Berechnung des Aktienbesitzes, sondern nach Quoten desselben festgesetzt, und nicht einem einzelnen ein arithmetisches Ubergewicht an Stimmen in die Hände gelangt" (§ 8). Satzungsänderungen erfordern nicht nur eine staatliche Genehmigung, sondern auch die Zustimmung von % der anwesenden bzw. vertretenen Aktionäre (§ 15). Die Wahl „der die Gesellschaft leitenden Organe" bleibt zwar dem Statut überlassen (§ 7). Dies bedarf jedoch, wie auch jede Darlehensaufnahme und jede Aktienemission der Genehmigung der Regierung (§ 6), die zudem „zur Wahrung der öffentlichen Interessen" königliche Kommissare ernennt (§ 10). Sämtliche Streitigkeiten unter den Aktionären, zwischen diesen und der Gesellschaft sowie unter den verschiedenen Bahngesellschaften sollen nur durch Schiedsgerichte entschieden werden (§ 9). In den folgenden Jahren erlassen weitere Staaten des Deutschen Bundes vergleichbare Vorschriften. Verwiesen sei nur auf die österreichischen Allgemeinen Bestimmungen über das bei Eisenbahnen geltende Konzessionssystem , auf die Bekanntmachung „derjenigen Bedingungen, unter welchen Einzelne oder Privatgesellschaften gewärtigen können, daß ihnen die Anlegung von Eisenbahnen zur Verbindung der Nordsee und Ostsee durch das Herzogthum Schleswig und das Herzogthum Holstein werde gestattet werden" oder auf die Großherzoglich Hessische Verordnung, „die Actiengesellschaften für den Bau und Betrieb der Eisenbahnen betreffend" 50 . Obwohl es all diesen Vorschriften primär um die Regelung des Konzessionsverfahrens und nicht um die des Aktienrechts geht, enthalten sie fast immer einzelne aktienrechtliche Bestimmungen, an denen sich auch die Gründer von Aktiengesellschaften mit anderen Unternehmensgegenständen orientieren 51 . Der Übergang vom Oktroi- zum Konzessionssystem vollzieht sich mithin in einem längeren Prozess 52 .
Vom 18.6.1838, nachgedruckt bei: v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 3. Vom 18.5.1840, abgedruckt bei v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 1817 ff. Diese Regelung orientiert sich offenbar vor allem am preußischen Gesetz von 1838. In bezug auf die „Vertretung und Verwaltung" der Gesellschaft, „so wie über das Verhältniß der einzelnen Aktionäre zu der Gesellschaft, die Verteilung des Gewinns u.s.w." verweist § 7 ausdrücklich auf die Statuten. 50 Vom 17.9.1844, Großherzoglich Hessisches RB11844, 273. 51 Obenaus, Aktiengesellschaften, S. 29, verweist z. B. auf das Genehmigungsgesuch einer Zucker-AG, das man an den bayerischen Fundamentalbestimmungen ausgerichtet hatte. 52 Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt U.Müller, Infrastrukturpolitik, S. 252, der die Gründung von Aktiengesellschaften zum Bau von Chausseen untersucht: Die rechtlichen Grundlagen dieser Gesellschaften hätten schon vor 1843 nicht nur aus einzelnen Privilegien bestanden, sondern bereits einen gewissen Systematisierungsgrad aufgewiesen. Zu den Chaussebau-AG siehe unter § 4 B III.3. Von einer längeren Ubergangsperiode geht auch Bösselmann, Aktienwesen, S. 63, aus. 48
49
B. Statutenpraxis
B.
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Statutenpraxis
I. Frühe
Gründungen
Noch bis weit in die 30er Jahre hinein finden bei (neu-)konzessionierten Gesellschaften statutarische Vorschriften zur inneren Organisation Verwendung, welche sich erkennbar an die Verfassungspraxis der Großen Handelscompagnien anlehnen 53 . Beispielsweise wird nach dem am 18.6.1835 genehmigten Statut der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank 54 einmal im Jahr ein Bank-Ausschuss einberufen, dem jeweils die 40 größten Aktionäre angehören (§§ 25, 37) 5 5 . Das Zusammentreten einer Generalversammlung, an deren Beratungen alle Aktionäre teilnehmen können, sieht das Statut dagegen nicht vor 5 6 . Die Mitglieder des Bank-Ausschusses wählen aus ihrer Mitte ein siebenköpfiges Bank-Direktorium, welches wiederum einen ersten und einen zweiten Vorstand kürt. Insoweit lässt sich dem Gesetzgebungsverfahren für das Bankgesetz, das die rechtliche Grundlage für die spätere Bankgründung schafft 57 , übrigens ein Hinweis entnehmen, der die These Landwehrs von der weitgehend eigenverantwortlichen Ausgestaltung der inneren AG-Verfassung durch deren Gesellschafter (vgl. unter A II) zu stützen scheint: Als die Kammern des Landtages gesetzlich festschreiben wollen, Ausschuss und Direktorium seien „durch die Aktionäre" zu wählen, entspricht der König dem nicht - die Organisation der Gesellschaft könne den Aktionären nicht entwunden werden; sie bleibe mithin den Statuten vorbehalten. 58 . Außer der Wahl des Direktoriums werden dem Bank-Ausschuss nur wenige Zuständigkeiten ausdrücklich zugeordnet: Ihm ist umfassend Rechenschaft zu legen; auch kann der Ausschuss einzelne seiner Mitglieder mit der Prüfung und der „Superrevision" der Rechnungen beauftragen - über das Ergebnis dieser Prüfungen beschließt er endgültig (§ 38). Der Beschlussfassung durch den Ausschuss unterliegen ferner die vom Direktorium beantragten Satzungs- und „Reglements"-Änderungen. Dagegen enthält das Statut einen längeren Katalog von Kompetenzen, die vom Bank-Direktorium wahrzunehmen sind; genannt wird u. a. die Festsetzung der Dividende (§ 29).
5 3 Vgl. zum Aktienwesen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, insbesondere zur Organisation der Pommerschen Provinzial-Zuckersiederei Stettin von 1819, auch Martin, Frühindustrielles Gewerbe, S. 209 ff. 5 4 Das Statut wurde im Regierungs-Blatt für das Königreich Bayern, 1837, Spalte 501 ff. publiziert; in der Fassung von 1851 ist es zudem bei Hocker; Statuten, S. 1 ff. abgedruckt. 5 5 Bei ihrer Gründung hatte die Bank insgesamt 75 Aktionäre; vgl. Jungmann-Stadler, Z B L G 60 (1997), 889, 914. Nach Kapitalerhöhungen wurde die Mitgliederzahl des Bank-Ausschusses im Jahr 1851 auf 60 erhöht. 5 6 In der Sache ähnlich die im Januar 1839 genehmigten Statuten der österreichischen Wien-RaabBahn. Bei dieser gibt es zwar eine „Generalversammlung", doch dürfen an der Versammlung nur die jeweils 100 größten Aktionäre, die zudem österreichische Untertanen sein müssen, teilnehmen. Vgl. v.Reden, Die Eisenbahnen Deutschlands 1/1 S. 7 f. 5 7 GBl 1834, Spalte 81 ff. 5 8 Siehe hierzu Jungmann-Stadler, Z B L G 60 (1997), 889, 9 0 3 , 9 0 7 .
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§ 3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien
Bei den Abstimmungen im Bank-Ausschuss entscheidet generell die einfache Stimmenmehrheit; Satzungs- und „Reglements"-Änderungen dürfen jedoch nur dann der Staatsregierung zur Bestätigung vorgelegt werden, wenn mindestens 75 % der anwesenden Ausschussmitglieder für sie gestimmt haben (§ 38 Abs. 6). Die Auflösung der Gesellschaft ist völlig losgelöst vom allgemeinen Entscheidungsprozeß geregelt. Vor Ablauf des auf zunächst 99 Jahre bemessenen Privilegs59 kann sie „nur auf Verlangen von drei Viertheilen der Actionäre, die auch Besitzer von wenigstens drei Viertheilen der Bank-Actien sein müssen", vorgenommen werden (§81). Darauf, dass den Konzessionsbehörden zumindest in dieser frühen Periode noch jedwede Ordnungsvorstellungen fehlen, scheint die äußerst geringe Regelungstiefe hinzudeuten, die in dieser Zeit die Statuten konzessionierter Gesellschaften hinsichtlich der Binnenorganisation kennzeichnet. So wird z.B. im Statut der am 15.8.1824 konzessionierten Ritterschaftlichen Privat-Bank zu Pommern zwar eine Generalversammlung, in der alle Inhaber voller Aktien stimmberechtigt sind , zu den Organen der Gesellschaft gerechnet. Es findet sich sogar eine - allerdings sehr allgemeine Funktionsbeschreibung der verschiedenen Organe: „Die Direktion der Bank führt die Verwaltung, die Kuratoren haben die Kontrolle und die obere Leitung, der Generalversammlung allein stehen die organischen Bestimmungen zu, so wie die Wahl der Kuratoren und die Entscheidung der Beschwerden über dieselben." Darüber hinaus bleibt die Zuständigkeit von Direktion, Kuratorium und Generalversammlung und deren Verhältnis zueinander nahezu vollständig ungeregelt. Im besonderen Maße gilt dies für die Generalversammlung, der keinerlei weitere Einzelkompetenzen ausdrücklich zugeordnet werden. Bestimmt wird lediglich, bei der Beschlussfassung entscheide die Mehrheit; eine Bevollmächtigung sei nicht erlaubt (§ 24). Dies soll jedoch nicht für die Auflösung der Gesellschaft gelten; jene bedürfe eines Beschlusses der sämtlichen Aktionäre (§41). Nebulös bleibt auch die Regelung der - immerhin erwähnten — Kapitalerhöhung; nach § 8 setzt sie die Einwilligung von zwei Dritteln „der Teilnehmer" voraus (§ 8). 63 Etwas detailliertere Regelungen trifft der „Plan" der einige Monate später bestätigten Preußischen See-Assekurranzkompagnie 64 . Diese Gesellschaft besitzt neben der Generalversammlung nur noch ein aus fünf Aktionären bestehendes Direktorium . Jährlich im März tritt die Generalversammlung der Aktionäre zusammen; dieser ist dann die Bilanz und „eine Uebersicht von dem Zustande der Korporation" vorzulegen. Während die Verteilung des Gewinnes „nach dem Beschlüsse der Direktion" vorzuneh59
Vgl. § 11 des Statuts. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1824, 169. 61 § 24. Auch die mit weniger als einer vollen Aktie beteiligten Aktionäre haben allerdings Zutritt zur Generalversammlung. 62 § 23 des Statuts. 63 Von der modernen AG unterschied sich die Ritterschaftliche Privatbank zudem durch eine subsidiäre Haftung der Aktionäre (§ 6 des Statuts). 64 Die Gesellschaft wurde am 12.3.1825 bestätigt; vgl. Preuß. GS, 1825,41. 65 Das Direktorium bestellt zudem einen Bevollmächtigten zum Betrieb der laufenden Geschäfte ( § § 2 0 ff.). 60
B.
Statutenpraxis
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men ist (§ 26), werden vier der Direktoren von der Generalversammlung gewählt, wobei jedoch jährlich nur das Amt eines - ausgelosten — Direktors neu zu besetzen ist. Zudem darf die Generalversammlung immer nur einen der vier Kandidaten auswählen, die von der Direktion vorgeschlagen wurden. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit kann die Generalversammlung den einzelnen Direktoren ihr Vertrauen entziehen; keinen unmittelbaren Einfluss hat sie aber auf die Person des fünften Direktors. Dessen Bestellung und Abberufung ist statutarisch der Generaldirektion der Preußischen Seehandlungs-Sozietät zu Berlin vorbehalten (§§ 13, 15, 19 Abs. 3). Diese Rechte sind jedoch ausdrücklich mit der Gesellschafterstellung der Seehandlung verknüpft: Sie gelten nur, so lange diese noch Eigentümer von mindestens 50 Aktien ist (§ 13). Die sich aus dem Bestellungsrecht ergebenen Einflussmöglichkeiten der Seehandlung sind nicht unerheblich, obliegt doch die Geschäftsführung jeweils immer nur zwei Direktoren, wobei einer der gesondert bestellte zu sein hat (§ 16). Die Direktion bestimmt u. a. die Befugnisse der Agenten, welche die Gesellschaft an auswärtigen Handelsplätzen bestellt, „jedoch nur nach den allgemeinen Festsetzungen der Generalversammlung" (§ 29). In der Generalversammlung herrscht das Majoritätsprinzip; für die ihr zugeordnete Satzungsänderung werden keine qualifizierten Beschlussanforderungen aufgestellt (§ 36). Die Dauer der Gesellschaft ist zunächst auf 15 Jahre begrenzt (§ 2). Soweit „die Interessenten" danach nicht ausdrücklich die Auflösung beschließen, verlängert sie sich um weitere 15 Jahre; anschließend ist nicht nur ein Fortsetzungsbeschluss „der Interessenten", sondern zudem eine Genehmigung der kompetenten Staatsbehörde erforderlich. Ergibt sich bei der jährlichen Rechnung, dass der größte Teil der Einschüsse verbraucht ist, dann können „die Interessenten" auch schon innerhalb der ersten 15 Jahre „durch Stimmenmehrheit" die Auflösung der Gesellschaft beschließen. Demgegenüber illustriert die Gründung der Rheinisch-Westindischen Kompagnie im Jahr 1821, wie intensiv die Konzessionsbehörden im Einzelfall auf die Ausgestaltung der Satzung Einfluss ausüben: Dabei nehmen die Gründer der Gesellschaft die Abfassung der Statuten durchaus ernst - der Entwurf wird von einem provisorischen Direktorium erarbeitet und anschließend in einer Generalversammlung der Aktionäre ausführlich beraten . Dennoch muss man sich von den zuständigen Konzessionsbehörden sagen lassen, die eingereichte Fassung der Statuten genüge in keiner Weise den rechtlichen Anforderungen. D a die Behörde jedoch das Zustandekommen der Gesellschaft für sehr wünschenswert hält, teilt sie den Gründern in einem 11-seitigen Gutachten sowohl die vom Code de Commerce aufgestellten Voraussetzungen für eine Konzession mit, als auch, welche Komplexe ihrer Meinung nach vom Statut „erschöpfend und klar" geregelt werden sollten: Die Statuten würden in der bisherigen Fassung „mehr die Form als das Wesen" der beabsichtigten Gesellschaft behandeln. Nötig sei es aber, dem Wesen gerecht zu werden, und deshalb müsse man auf folgende Gegenstände eingehen: Zweck und Bildung der Gesellschaft; Rechte und Pflichten der Gesellschaft und ihrer Mitglieder; Bestimmungen über den Geschäftsgang; die Verwaltung; die Kontrolle der Verwaltung und die „Comptabilität"; die Generalversammlung . Später 66
Hierzu u n d z u m F o l g e n d e n Oehm, D i e Rheinisch-Westindische K o m p a g n i e , S. 3 8 ff.
100
§3 Konzessionierte Geselbehaften auf Aktien
diskutieren Vertreter von Kompagnie und Behörde nochmals die überarbeiteten Vorschriften der Satzung. Die Statuten entstehen mithin aus einem längeren Dialog mit einer offenbar recht kompetenten und auch in der Sache bemühten Konzessionsbehörde heraus. Deren Tätigkeit strahlt später über den Einzelfall hinaus aus: Nicht nur die Kompagnie selbst, sondern auch ihre Satzung werden zum Vorbild für die Gründung einer ganzen Reihe ähnlicher Gesellschaften, so vor allem für die 1822 gegründete sächsische „Elb-Amerikanische Compagnie" 68 und den 1824 errichteten Deutsch-Mexikanischen Bergwerksverein . Die Rheinisch-Westindische Kompagnie besitzt drei Organe: Generalversammlung, Direktorial-Rat und Direktion. In der Generalversammlung, die mit Stimmenmehrheit entscheidet, gewährt zwar schon eine einzige Aktie eine Stimme, für die Abgabe von zwei Stimmen ist dagegen bereits der Besitz von fünf Aktien notwendig, usw. — kein Aktionär darf mehr als vier Stimmen ausüben (§ 13). Zuständig ist die Generalversammlung zunächst für die Wahl der Direktoren und Direktorialräte 70 ; auch für deren vorzeitige Abberufung (§§ 25, 32). Ausdrücklich werden ihr daneben zur Entscheidung nur noch - sehr unbestimmt - „etwaige Vorschläge" von Direktion und Rat (§11) sowie Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen beiden Organen zugeordnet (§ 24) 71 . Allerdings ist man andererseits unter dem Titel „Von der Geschäfts-Führung im Allgemeinen" bemüht, das Wirken von Direktion und Rat an konkrete statutarische Vorhaben anzubinden 72 . Will die Verwaltung von diesen abweichen — dies sollte sich häufig als erforderlich erweisen - , so ist zunächst eine Satzungsänderung nötig. Eine breitere Einbeziehung der Generalversammlung scheint also gesichert, so man davon ausgeht, dass nur diese über Satzungsänderungen entscheiden darf. Die Bestimmungen des Statuts sind aber insoweit nicht eindeutig 73 , und tatsächlich beschließen Direktion und Rat bald eigenmächtig, die Zahl der maximal auszugeben67
Vgl. Oehm, Die Rheinisch-Westindische Kompagnie, S. 42. Die Statuten der EAC sollen 1825 die staatliche Approbation erhalten haben. Sie waren zuvor von den Direktoren der Gesellschaft eigenmächtig geändert worden, weil diese glaubten, die ursprüngliche Fassung habe der Generalversammlung ihnen gegenüber zu viele Rechte eingeräumt. In der sächsischen Gesetzessammlung ist das Statut der EAC nicht publiziert worden. Aufgelöst wurde die Gesellschaft, als 1828 die betrügerische Geschäftsführung eines vollziehenden Direktors bekannt wurde. Zur Geschichte der EAC siehz Kiesewetter, Industrialisierung, S. 57ff.; Ludwig, Scripta Mercaturae 26 (1992), S. 23, 34 ff., 45. 69 Auch „Deutsch-Amerikanischer Bergwerksverein" genannt; hierzu Oebm, Die Rheinisch-Westindische Kompagnie, S. 93 ff.; Sehrt, Niederrheinische Aktiengesellschaften, S. 24 f. 70 § 10. Allerdings hat die Versammlung nur das Recht, zwischen jeweils zwei vom Direktorial-Rat bzw. der Direktion vorgeschlagenen Kandidaten auszuwählen (§§ 26, 33). 71 § 16 erwähnt noch die einmalige (nach der ersten Bilanz) zu treffende Entscheidung, ob der Direktion ihre Geschäftsführung vergütet werden solle. 72 Z. B. bestimmt § 38, die Kompagnie habe auf von ihr geleistete Vorschüsse pro Monat ein halbes Prozent Zinsen zu berechnen; nach § 39 dürfen bei einer ausländischen Niederlassung die ausstehenden Forderungen nie höher als ein Sechstel des Stammkapitals sein, usw. 73 Nach dem Wortlaut von § 12 („Ueber die der General-Versammlung gemachten Vorschläge wird durch Stimmenmehrheit entschieden, und alle Vorschläge zur Veränderung an den Statuten sollen an eine in der Generalversammlung ... für diesen Zweck erwählende, Kommission verwiesen, und von dieser gebilligt werden, ehe für die landesherrliche Sanktion für dieselben nachgesucht werden kann.") scheint 68
B. Statutenpraxis
101
den Aktien von 2.000 auf 1.000 herabzusetzen 74 ; erst sechs Monate später lassen sie sich dieses Vorgehen von der Generalversammlung genehmigen 7 5 . In den folgenden Jahren jedoch werden Satzungsänderungen immer schon vor ihrem Vollzug der Generalversammlung zur Entscheidung vorgelegt; auch folgt diese mitunter nicht den Vorschlägen der Verwaltung 7 6 . Wo allerdings keine Abänderung der Statuten nötig ist, da lassen Direktion und Rat auch große und sehr riskante Unternehmen zuvor nicht von der Generalversammlung beraten - so entschließt man sich 1826 dazu, die bisher auf Mittel- und Südamerika beschränkten Aktivitäten der Gesellschaft auf Südostasien auszuweiten; dieses Unternehmen endet als schwerer geschäftlicher Fehlschlag 77 . Erst als die Kompagnie immer tiefer in die Krise gerät, setzt ein Wandel ein: Anfang 1831 gelangen Direktion und Rat zur Auffassung, zur Rettung der Gesellschaft sei es notwendig, alle unrentablen Niederlassungen zu schließen und sich auf das „Kerngeschäft" in Mexiko zu konzentrieren. Obwohl die Durchführung dieses Konzepts eigentlich keine Satzungsänderung erfordert, berufen sie eine außerordentliche Generalversammlung zwecks Beratung und Beschlussfassung ein 7 8 .
II. Die preußischen
Eisenbahn-Aktiengesellschaften
1. Das Eisenbahnwesen als Impulsgeber Bei den im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts konzessionierten Aktiengesellschaften lassen sich mithin, was das Innenrecht anbetrifft, noch erhebliche Unterschiede ausmachen; auch ist die zumeist nur geringe Regelungstiefe der statutarischen Vorschriften nicht zu übersehen. Schon wenige Jahre später — um das Jahr 1840 herum - ändert sich in Preußen die Situation ganz entscheidend. Impulsgeber ist das sich rasant entwickelnde Eisenbahnwesen 79 . Nach längerem Zögern ringt man sich in Preußen zum Entschluss durch, Aktiengesellschaften, die sich — zumindest vorerst - fast vollständig privat finanzieren, den Bau von Eisenbahnen zu gestatten 80 . Im Herbst 1837 erhalten innerhalb von wenigen Wochen fünf Gesellschaften die endgültige Konzession 81 ; noch vor dem Erlass des Aktiengesetzes vom 9.11.1843 folgen sieben weitere Gesellschafwohl die Deutung nicht völlig ausgeschlossen, die Generalversammlung könne nur mittelbar, durch Wahl der letztlich beschließenden Kommission, Einfluss nehmen. So denn auch in der Tat Sehrt, Niederrheinische Aktiengesellschaften, S. 53. 74 Die RWK besitzt noch kein ziffernmäßig genau bestimmtes Stammkapital. Ihr Statut (§ 3) enthält dagegen lediglich eine Höchstgrenze, bis zu der Aktien ausgegeben werden können. Die Aktien werden dann nach und nach von der Direktion verkauft. 75 Oehm, Die Rheinisch-Westindische Kompagnie, S. 56 f., 60. 76 Vgl. nur Oehm, Die Rheinisch-Westindische Kompagnie, S. 67, 79 f., 83, 92 f., 99. 77 Hierzu Oehm, Die Rheinisch-Westindische Kompagnie, S. 86 f., 96 f., 104 f. 78 Oehm, Die Rheinisch-Westindische Kompagnie, S. 109. 79 Häufiger wird (allgemein) hervorgehoben, der Eisenbahnbau habe bei der Entwicklung des Aktienwesens als Katalysator gewirkt, vgl. nur Assmann in: Großkomm.AktG, Einl. Rdn. 44; jedenfalls beim statutarischen Innenrecht lässt sich dieser Prozess sicher nachweisen. 80 Siehe hierzu nur Henderson, Entstehung der preußischen Eisenbahnen, S. 142 ff.
102
§ 3 Konzessionierte Geselbehafien auf Aktien
t e n 8 2 . Z u d e m ist b e i e i n e r R e i h e v o n G e s e l l s c h a f t e n i m N o v e m b e r 1 8 4 3 das K o n z e s s i o n s v e r f a h r e n s c h o n s e h r w e i t f o r t g e s c h r i t t e n - a u s v e r s c h i e d e n e n G r ü n d e n w e r d e n sie j e d o c h erst s p ä t e r e n d g ü l t i g b e s t ä t i g t 8 3 . N a c h d e m d i e S a t z u n g e n d e r e r s t e n f ü n f G e s e l l s c h a f t e n l e d i g l i c h in d e n A m t s b l ä t t e r n d e r v o n d e r S t r e c k e n f ü h r u n g b e r ü h r t e n R e g i e rungsbezirke veröffentlicht worden waren, erfolgt ab 1 8 3 9 ein vollständiger A b d r u c k in d e r „ G e s e t z - S a m m l u n g f ü r d i e K ö n i g l i c h e n P r e u ß i s c h e n S t a a t e n "
. Untersucht
m a n d i e S a t z u n g e n dieser G e s e l l s c h a f t e n , so lassen s i c h r e c h t s c h n e l l z w e i g r ö ß e r e „ S t a tuten-Familien" ausmachen: eine rheinisch-westfälische und eine
ostelbisch-magde-
burger.
2. Ostelbiscb-magdeburger Statuten-Familie I n n e r h a l b der ostelbisch-magdeburger S t a t u t e n - F a m i l i e sind die B e z i e h u n g e n zumeist sehr e n g 8 5 . V o n den jeweils j ü n g e r e n Gesellschaften werden n i c h t n u r sehr verbreitet Einzelvorschriften der älteren Statuten ü b e r n o m m e n , sondern m e h r f a c h sogar eine gesamte — nur geringfügig modifizierte - Satzung
. O b w o h l sämtliche Gesell-
s c h a f t e n u n t e r d e r G e l t u n g des A l l g e m e i n e n L a n d r e c h t s e r r i c h t e t w e r d e n ,
findet
sich
81 Am 21.8. erhalten die Rheinische Eisenbahngesellschaft (REG - das Statut ist abgedruckt in: GS 1855, 40) und die Rhein-Weser-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft (RWG - Statut ist nachgedruckt bei: Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 291 ff.) die Konzession. Am 23.9. folgen die Düsseldorf-ElberfelderEisenbahngesellschaft (DEEG, GS 1847, 302) und die Berlin-Potsdamer-Eisenbahn; am 13.11. schließlich noch die Magdeburg-Köthen-Halle-Leipziger Eisenbahn-Gesellschaft (MLEG, GS 1851, 727) 8 2 Berlin-Sächsische Eisenbahn-Gesellschaft — nach kurzer Zeit in Berlin-Anhaltische-Eisenbahn-Gesellschaft unbenannt (BAEG, GS 1839, 178); Berlin-Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft (BStEG, GS 1840, 305); Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft (BKEG, GS 1841, 31); Berlin-Frankfurter Eisenbahn-Gesellschaft (BFEG, GS 1841, 95); Oberschlesische Eisenbahngesellschaft (OEG, GS 1841, 235); MagdeburgHalberstädter Eisenbahngesellschaft (MHEG, GS 1842, 59); Breslau-Schweidnitz-Freiburger EisenbahnGesellschaft (BSFEG, GS 1843, 54). 8 3 Die Statuten der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft (NMEG, GS 1843, 374), der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft (KMEG, GS 1844, 22), der Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft (BHEG, GS 1845, 168) und der Thüringischen Eisenbahngesellschaft (TEG, GS 1844, 420) werden schon vor Erlass des Aktiengesetzes errichtet. Bei ihnen findet sich teilweise nicht einmal in der jeweils nach dem 9.11.1843 - ergangenen Konzession ein Verweis auf das neue Gesetz. An N M E G , K M E G und T E G beteiligt sich allerdings der preußische Staat schon bei der Gründung unmittelbar; dies schlägt sich auch in weitreichenden Modifikationen der Gesellschaftsverfassung nieder. Auf diese Satzungen ist deshalb später gesondert einzugehen (vgl. unter II. 5). 8 4 Auch die Statuten der zu den ersten fünf Gesellschaften gehörenden DEEG, R E G und M L E G werden später in der Gesetzessammlung abgedruckt (vgl. Fußn. 26). In dieser finden sich mithin nur nicht die Satzungen von RWG (diese hatte sich inzwischen aufgelöst) und Berlin-Potsdamer Bahn (diese war von der Potsdamer-Magdeburger Eisenbahn-Gesellschaft, GS 1845, 555 übernommen worden). 8 5 Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Berlin-Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft (BStEG) ein, deren Errichtung sich offenbar relativ unabhängig von der aller übrigen Gesellschaften vollzog. Die BStEG, die ihren Sitz in Stettin hatte, war schon am 10. Juli 1836 vorläufig konzessioniert worden. Da sich jedoch die Zeichnung ihres Kapitals sehr hinzog, konnte die endgültige Konzession erst am 12.10.1840 erteilt werden; vgl. hierzu Berlin und seine Bahnen, S. 175 ff.; Klee, Eisenbahngeschichte, S. 61 f. 8 6 Vgl. nur jeweils die Statuten von M L E G und M H E G , von BAEG und B F E G sowie von O E G und BSFEG.
B. Statutenpraxis
103
bei der statutarischen (Selbst-) Bestimmung ihres rechtlichen Charakters nirgends ein Verweis auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des Landrechts 87 . Unterschiede lassen sich ausmachen, was die Stellung des geschäftsführenden Organs (hier zumeist als Direktion bezeichnet) und dessen Verhältnis zu dem Organ anbetrifft, welchem die Kontrolle der Geschäftsführung und zudem eine mehr oder minder ausgeprägte „Oberleitung" obliegt (Verwaltungsrat bzw. Ausschuss) 88 . Mit weitgehender Uniformität ist jedoch die Stellung der Generalversammlung geregelt: Bei einigen Gesellschaften sind alle Aktionäre berechtigt, an den Generalversammlungen teilzunehmen , bei anderen nur diejenigen, die im Besitz von mindestens fünf Aktien sind 90 . Ein solcher Ausschluss der Kleinaktionäre wird von den Konzessionsbehörden offenbar ohne weiteres hingenommen. Als man aber bei der Gründung der Oberschlesischen Eisenbahn nur die Besitzer von 10 und mehr Aktien zur Generalversammlung zulassen will 91 , erhebt die staatliche Genehmigungsbehörde Einspruch: Die Konzession wird nur unter der Maßgabe erteilt, dass „auch solche Aktionaire, welche sich im Besitze von weniger als zehn Aktien befinden, berechtigt sein sollen, an den General-Versammlungen Theil zu nehmen" 92 . Die Gesellschaft ändert darauf hin ihre Satzung in der Weise, dass zwar alle Aktionäre an der Generalversammlung teilnehmen dürfen, stimmberechtigt jedoch nur jene mit mindestens 10 Aktien sind 93 . Derartige Einschränkungen des Stimmrechts, die sich auch in den Statuten aller anderen Gesellschaften finden 94 , sollen dafür sorgen, dass nur Personen, die ein größeres Interesse am Schicksal der AG haben, an der Willensbildung mitwirken 95 . Überall finden sich zudem eine (zumeist degressiv gestaffelte) Abstufung der jeweiligen Stimmberechtigung sowie recht niedrig angesetzte Höchststimmgrenzen, die verhindern sollen, dass der Einfluss einzelner Aktionäre auf die Gesellschaft zu groß wird . Auf eine solche Be87 Die Gesellschaften definieren sich entweder als „mit Korporationsrechten versehene Gesellschaft", so OEG und BSFEG, als „Allerhöchst genehmigte Aktien-Gesellschaft", so BFEG, oder schlicht als Aktien-Gesellschaft (ohne jede weitere Erläuterung), so MLEG und M H E G . 88 So unterscheidet sich z. B. die Organisation der beiden schlesischen Gesellschaften von der aller übrigen dadurch, dass neben der Generalversammlung nicht zwei Organe (Direktion und Verwaltungsrat) existieren, sondern nur ein (einheitlicher) Verwaltungsrat, der allerdings in Direktion und Ausschuss unterteilt wird. Während der Ausschuss bei der OEG nur einen recht einflusslosen Annex der Direktion bildet, ist er bei der BSFEG - zumindest der statutarischen Ordnung nach - eine übermächtige „Oberleitung". 89
Vgl. § 28 BSFEG; § 27 BFEG; § 27 BAEG; § 25 BStEG. Bei der erst Anfang 1845 endgültig konzessionierten BHEG wird die Teilnahmeberechtigung aller Aktionäre dann offenbar schon für selbstverständlich gehalten; sie wird jedenfalls nicht mehr ausdrücklich hervorgehoben. 90 So § 24 MLEG; § 25 M H E G ; vgl. auch § 26 TEG. 91 Vgl. § 2 8 OEG. 92 Allerhöchste Bestätigungs-Urkunde vom 2.8.1841, GS, 233, 234. 93 Nachtrag zum Statut der OEG, GS 1842, 82. 94 Bei M H E G , MLEG, BStEG und BSFEG reicht allerdings schon der Besitz von fünf Aktien zur Teilnahme an den Abstimmungen aus. 95 Vgl. Pohls, Actiengesellschaften, S. 198 f., der derartige Regelungen ablehnt; vgl. dazu unter C II. 96 Bei der MLEG kann ein einzelner Aktionär maximal 5 Stimmen haben, bei OEG, BSFEG, BStEG und BFEG höchstens 10 und bei der M H E G 20. Bei der M H E G wird zudem für die drei Städte Magdeburg, Braunschweig und Halberstadt eine Ausnahme gemacht. Diesen sollen, solange sie im Besitz von je-
104
§3 Konzessionierte Gesellschafien auf Aktien
grenzung des Stimmrechts wird zunächst nur bei der Berlin-Anhaitischen EisenbahnGesellschaft verzichtet, wohl mit Blick auf den Großaktionär Königlich Preußische Seehandlung, der bereits 5.000 Aktien gezeichnet hat (diese gewährten 500 Stimmen) und die Zeichnung weiterer Aktien erwägt 97 . Genauso geht man etwas später bei der Berlin-Hamburger Bahn vor, welche zwei Großaktionäre hat: die Großherzoglich Mecklenburgische Regierung und den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Generalversammlungen sämtlicher Gesellschaften sollen ihre Beschlüsse generell mit Stimmenmehrheit der Anwesenden treffen. Ausnahmen gelten für Wahlen, wo teilweise schon eine relative Mehrheit ausreicht, sowie für einige besonders schwerwiegende Maßnahmen: Hierzu wird bei allen Gesellschaften die Auflösung gerechnet, mehrheitlich auch die Satzungsänderung 98 , darüber hinaus vereinzelt noch Kapitalerhöhung, Anleihen-Aufnahme und Aufhebung älterer Generalversammlungsbeschlüsse 99 . Für die Annahme des auf eine solche Maßnahme gerichteten Antrags ist bei allen Gesellschaften die Zustimmung von mindestens 2A der anwesenden Stimmen nötig, bei BAEG und BFEG müssen in der Generalversammlung zudem mindestens % der Stimmen sämtlicher Aktien vertreten sein . Die Satzungen der ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie enthalten immer einen Katalog von Maßnahmen, die in jedem Fall der Beratung und Beschlussnahme durch die Generalversammlung unterliegen sollen 101 : - die Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrats (bzw. des Ausschusses) 102 ; - die Ausdehnung der Geschäfte der Gesellschaft über die statutarisch festgelegten Grenzen, insbesondere die Anlage von Zweig- und Verbindungsbahnen;
weils mindestens 1000 Aktien sind, je 50 Stimmen z u k o m m e n ( § 2 5 ) . Z u m Zweck derartiger Bestimmungen vgl. schon Pohls, Actiengesellschaften, S. 199 f. 97 Diese erste (mittelbare) Beteiligung des preußischen Staates an der Finanzierung einer Bahn war darauf zurückzufuhren, dass der ursprünglich für einen Streckenverlauf von Berlin nach Riesa vorläufig konzessionierten Gesellschaft (daher zunächst „Berlin-Sächsische" Bahn) später nur ein Bau Berlin — Dessau — Kothen gestattet wurde. Die Beteiligung der Seehandlung sollte die jener Aktionäre ersetzen, welche mit der neuen Bahnrichtung nicht einverstanden waren; vgl. hierzu Berlin u n d seine Eisenbahnen, S. 161 f. Bracht, Eisenbahnen, S. 39 ff. 98 Insoweit bilden nur die beiden Magdeburger Gesellschaften eine Ausnahme. 99 So bei der BAEG (§ 33) u n d der B F E G (§ 34). Bei der BStEG gehören zu den schwerwiegenden M a ß n a h m e n außer Auflösung u n d Satzungsänderung die Anlage von Zweigbahnen u n d die „Vereinigung mit anderen Eisenbahn-Unternehmungen, wegen gegenseitiger Benutzung der Bahnen" (§ 59). Letzteres zielt wohl nicht auf eine Fusion mit anderen Gesellschaften, sondern auf eine vertraglich eingeräumte Mitbenutzung der Gleisanlagen, die auch in § 6 der Satzung angesprochen wird. Ähnlich auch die Regelung bei der B H E G . 100 Bei der BStEG ist die %-Mindestbeteiligung nur für die Beschlussfassung über die Auflösung erforderlich. Bei allen drei Gesellschaften finden sich mehr oder minder komplizierte Vorschriften für den Fall, dass die nötige Teilnahme an der Generalversammlung verfehlt wird. 101 Auch der Generalversammlung der BStEG werden die entsprechenden Kompetenzen zugeordnet (vgl. vor allem die § § 4 1 , 4 4 , 47, 57 der Satzung), jedoch nicht in einem Katalog zusammengefasst. 102 Bei der BAEG (Ziffer 42) bleibt die E r n e n n u n g des Verwaltungsratsvorsitzenden u n d seines Stellvertreters dem Präsidenten der Königlichen Seehandlung vorbehalten, solange die Seehandlung Eigentümer von mindestens 1000 Aktien ist. Bei der M H E G sind die Städte Magdeburg, Halberstadt u n d Braunschweig berechtigt, je ein Mitglied des Ausschusses (von insgesamt 21) zu ernennen, o h n e dass dieses Recht ausdrücklich an einen Mindest-Aktienbesitz geknüpft ist.
B.
Statutenpraxis
105
— die Vermehrung des Aktienkapitals sowie die Aufnahme von Darlehen und Anleihen (über das im Statut vorgesehene Maximum hinaus); — die Abänderung oder Ergänzung des Statuts; — die Aufhebung der Beschlüsse früherer Generalversammlungen 1 0 3 ; — die Auflösung der Gesellschaft 1 — Gegenstände, die der Versammlung durch den Verwaltungsrat 105 oder auf Antrag einzelner Aktionäre zur Beschlussfassung vorgelegt werden; — die Entscheidung über Einwände, die der Verwaltungsrat gegen die von der Direktion vorgelegte Bilanz erhebt und die von jener nicht ausgeräumt werden können. Die große inhaltliche Ubereinstimmung dieses Katalogs und vor allem die Tatsache, dass die verschiedenen Satzungen insoweit nahezu wortgleiche Formulierungen enthalten, scheinen auf eine entsprechende Einflussnahme der Konzessionsbehörden hinzudeuten. Nicht einheitlich ist dagegen bei diesen Gesellschaften zum einen die über die Wahl des Verwaltungsrates hinausgehende Personalkompetenz der Generalversammlung geregelt. Nur bei drei Gesellschaften (OEG, BStEG, BFEG) obliegt ihr auch die Wahl der Direktion, die bei den anderen in die Zuständigkeit des Verwaltungsrats fällt. Die Generalversammlung der BFEG kann zudem den Rücktritt der Direktion fordern; diese ist dann zum Rücktritt verpflichtet (§ 50). Bei der BSFEG und BStEG beschließen zwar auch die Generalversammlungen über die Entlassung der Direktoren, jedoch nur auf Antrag von Ausschuss bzw. Verwaltungsrat. Bei den beiden Magdeburger Gesellschaften entscheidet die Versammlung endgültig über die vom Verwaltungsrat ausgesprochene Suspension einzelner seiner Mitglieder 1 0 6 . Zum anderen bestehen beim Decharge-Recht nicht unwesentliche Unterschiede: Nur die Generalversammlungen der beiden schlesischen Gesellschaften beschließen nach der jährlichen Rechnungslegung, ob der Direktion Decharge zu erteilen ist 1 0 7 ; bei allen anderen ist hierfür der Verwaltungsrat zuständig. Darüber hinaus ist noch teilweise speziell vorgeschrieben, dass die Generalversammlung die Entlastung des Gründungskomitees genehmigt 1 0 8 bzw. selbst diesem Komitee Decharge erteilt 1 0 9 . In den Satzungen der ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie wird die Zuständigkeit der Generalversammlung nicht nur durch die positive Zuordnung bestimmter Gegenstände bestimmt. Geregelt ist zudem ein langer Katalog von gewichtigen Maßnahmen, die ausdrücklich in die Kompetenz des Verwaltungsrats gestellt, der Beschlussfas103 Diesen Punkt enthält der Katalog in den Satzungen der beiden Magdeburger Gesellschaften (MLEG, MHEG) nicht. Er findet sich auch nicht im Statut der BStEG. 104 Die Auflösung kann jedoch nur durch eine - ausdrücklich zu diesem einen Zweck einberufene — Generalversammlung beschlossen werden. Nahezu wortgleiche Klausel in allen Satzungen: § 74 MHEG; § 73 MLEG; je § 10 BSFEG und OEG, je § 69 BFEG und BAEG; § 60 BStEG. § 61 BHEG bindet die Zulässigkeit der Auflösung an das Vorliegen weiterer Voraussetzungen. 105 Ein Vorlagerecht der Direktion sehen nur die Satzungen von BFEG (§ 26 B Ziffer 6), BStEG ( § 5 7 Ziffer 4) und MHEG (§ 29 Ziffer 7) ausdrücklich vor. 106 § 34 MLEG; § 38 MHEG; vgl. auch § 41 BHEG. 107 Jeweils § 24 Ziffer 3 OEG, BSFEG. 108 Ziffer 70 Abs. 2 BAEG 109 Jeweils § 7 OEG, BSFEG.
106
§3 Konzessionierte Geselbchafien auf Aktien
sung durch die Generalversammlung somit definitiv entzogen werden 110 . Hierzu gehören u. a.: — die Entscheidung, die ursprünglichen Aktionäre (Zeichner) bei der Übertragung ihrer Anteile aus ihren Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft zu entlassen, so auf die einzelnen Aktien schon mindestens 40 % eingezahlt sind ; — die Anlegung des zweiten Bahngleises; — die Übernahme des Transportes auf anderen Eisenbahnen und die Einräumung der Mitbenutzung der eigenen Gleisanlagen 112 ; — die Bestimmung über Bildung und Verwendung des Reservefonds; — die Festsetzung der Bahn- und Transportgelder; — Entscheidung über wesentliche Abweichungen von der geplanten Streckenfüh113
rung ; — die Festlegung der Dividendenzahlung 114 . Teilweise ist dem Verwaltungsrat daneben noch Wahl 1 1 5 und Abberufung der Direktion 1 1 sowie die Entscheidung über deren Besoldung 117 ausdrücklich zugeordnet; ferner die „Feststellung sämmtlicher Etats" 118 bzw. der „Verwaltungs-Etats" 119 . Als bei der Gründung und Konzessionierung der Breslau-Schweidnitzer-Freiburger Eisenbahn-Gesellschaft noch nicht abzusehen ist, ob man das für die Errichtung der Bahnlinie eingeplante Baugeld in Höhe von 1.500.000 Talern tatsächlich durch Aktien110 Auch insoweit bildet das Statut der BStEG, das d e m Verwaltungsrat nur einen Teil dieser Befugnisse ausdrücklich zuordnet, eine Ausnahme. 111 Bei der M H E G war diese Entscheidung schon in § 5 des Statuts positiv getroffen worden. 112 Im M H E G - S t a t u t wird in diesem Z u s a m m e n h a n g (§ 42 Ziffer 9) zusätzlich noch der Abschluss von Verträgen, „wodurch der Betrieb anderen Eisenbahngesellschaften oder Personen überlassen wird", erwähnt. Sind allerdings auch nur 3 der insgesamt 21 Ausschussmitglieder der Auffassung, der Abschluss eines derartigen Vertrages sei für die Gesellschaft nicht zweckmäßig, so können sie insoweit eine Entscheid u n g der Generalversammlung verlangen. 113 Allerdings geht es insoweit nur u m Abweichungen zwischen den einzelnen statutarisch bestimmten H a u p t p u n k t e n der Bahnstrecke. Als bei der Konzessionierung der O E G nur die Streckenführung zwischen Breslau u n d O p p e l n schon endgültig feststeht, die Weiterführung der Bahn bis an die österreichische N o r d b a h n mithin noch offen bleibt, da behält m a n die „definitive Feststellung der H a u p t p u n k t e " für den zweiten großen Streckenabschnitt explizit einer Beschlussfassung der Generalversammlung vor (§ 27 Ziffer 2). 114 Bei den beiden Magdeburger Gesellschaften wird diese Zuständigkeit nicht dem Verwaltungsrat zugeordnet; stattdessen trifft das Statut eine wohl als abschließend gedachte Regelung ( § 1 6 M L E G ; § 17 M H E G ) . Auch bei diesen Gesellschaften entscheidet aber der Verwaltungsrat über die Z u f ü h r u n g zum Reservefonds (vgl. oben), so dass er durchaus auf die H ö h e der zu verteilenden Gewinne Einfluss nehmen kann. 115 Bei drei Gesellschaften obliegt diese der Generalversammlung (vgl. oben). Bei der B H E G wählt der Ausschuss fünf von insgesamt sieben Direktoren; die beiden übrigen werden von der Mecklenburgischen Regierung u n d d e m H a m b u r g e r Senat ernannt, die beide Großaktionäre der Gesellschaft sind u n d auf das Benennungsrecht kurz nach der Eröffnung der Bahn verzichten; vgl. Then, Eisenbahnunternehmer, S. 52. 116 117
§ 39 Ziffer 1 M L E G ; § 42 Ziffer 1 M H E G ; Ziffer 41 BAEG; § 4 7 Ziffer 14 B H E G . Ziffer 38 - 1 BAEG; § 39 Abs. 1 M L E G ; § 70 M H E G ; § 50 B H E G .
118
§ 39 Ziffer 3 BFEG; § 4 7 Ziffer 4 B H E G .
119
§ 39 Ziffer 2 M L E G ; § 42 Ziffer 2 M H E G .
B.
Statutenpraxis
107
Zeichnung wird aufbringen können, da ermächtigt man den Verwaltungsrat statutarisch, notfalls die Aufbringung des Baugelds durch eine andere — vom Rat selbst auszuwählende — Finanzierungsmaßnahme sicherzustellen 120 . An einer derart weitreichenden Ermächtigung stößt sich jedoch die Konzessionsbehörde. Die BestätigungsUrkunde vom 10. Februar 1843 genehmigt das Statut daher nur mit der Maßgabe: „zu §§ 4, 39 des Statuts, daß die für einen Theil des Grund-Kapitales in Aussicht genommene Ausfertigung von Prioritäts-Aktien oder sonstigen auf den Inhaber lautenden Papieren nur unter Unserer besonderen Genehmigung stattfinden darf." 121 Voreilig wäre es, allein aus den recht umfangreichen Kompetenzen, die den Verwaltungsräten (bzw. Ausschüssen) jeweils ausdrücklich zugeordnet werden, den Schluss zu ziehen, bei diesen Räten handele es sich nicht um ein Organ zur Beaufsichtigung der unmittelbaren Geschäftsführung, sondern um eine Art „Oberleitung". Zumindest teilweise sind die Satzungen nämlich bestrebt, die Aufsichtsfunktion des Verwaltungsrats deutlich herauszustellen: „Ein Hauptgeschäft des Ausschusses ist eine Kontrolle der Verwaltung. Er kann deshalb jederzeit Einsicht in die Bücher, Akten und Korrespondenzen des Direktoriums verlangen. Auch muss ihm dasselbe alle drei Monate einen Geschäftsbericht erstatten, und außerdem auf Erfordern über jeden Verwaltungsgegenstand die nöthige Auskunft und Nachweisung ertheilen."
3. Rheinisch-westfälische Statuten-Familie In dieser Familie ist die „Bandbreite" der statutarischen Regelungen erheblich weiter. Drei der vier Gesellschaften werden kurz nacheinander innerhalb der ersten Gruppe bestätigt; ihnen ist also eine Übernahme bereits konzessionierter Statuten ohnehin nicht möglich. Da aber die entsprechenden Satzungsentwürfe teilweise schon längere Zeit vor der endgültigen Konzessionierung im Umlauf gewesen sind, lassen sich auch hier Verbindungen nachweisen: So entsteht das Statut der DEEG unter Mitwirkung von Ludolf Camphausen, der hierbei seine für die Rheinische Eisenbahngesellschaft angefertigten Vorarbeiten nutzt 123 . Die Satzung der Rhein-Weser-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft wird 1836 in großer Eile geschaffen, um die Genehmigung einer ElberfeldWittener Eisenbahngesellschaft zu verhindern 124 . Man zögert deshalb offenbar nicht, hinsichtlich vieler Einzelvorschriften auf den DEEG-Entwurf zurückzugreifen 125 . Als sich die Gründer der Bonn-Kölner Eisenbahngesellschaft 1840 an die Abfassung der 120
Vgl. § § 4, 39 Ziffer 12 BSFEG. GS 1843, 53. 122 § 40 M L E G . In § 52 Abs. 1 BStEG heißt es: „Der Verwaltungsrath hat keine unmittelbare W i r k samkeit nach außen, sondern ist in nachfolgend bestimmter Art der Vertreter der innern Rechte der Gesellschaft gegen das Direktorium, übt die Kontrolle der ganzen Geschäftsführung u n d hat insbesondere darauf zu wachen, daß überall das Beste der Gesellschaft wahrgenommen u n d die Vorschriften des Statuts befolgt werden." Vgl. auch § § 38 f. BAEG. 123 Vgl. nur Landwehr, Z R G Germ. Abt. 99 (1982), 1, 95 f. 124 Hierzu Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 169 fF. 125 Die Ü b e r n a h m e mag auch damit motiviert gewesen sein, dass die D u r c h f ü h r u n g des Rhein-WeserProjektes die Beteiligung der Aktionäre jener Elberfeld-Wittener Gesellschaft erforderte u n d m a n sich 121
108
$3 Konzessionierte
Gesellschaften auf Aktien
Satzung machen, da bedienen sie sich der Statuten von REG und DEEG. Allerdings sind sie bemüht, den Eindruck wortwörtlicher Übernahme zu vermeiden: Fein säuberlich wird Satz für Satz umgestellt. Formell entstehen drei Gesellschaften unter dem als Preußisch-Rheinisches Handelsgesetzbuch fortgeltenden Code de Commerce und eine unter dem ALR 1 . Auf den Inhalt der Statuten wirkt sich dieser Unterschied jedoch nicht aus 1 2 7 . Bei keiner Gesellschaft setzt die Teilnahme an der Generalversammlung den Besitz von mehr als einer Aktie voraus; stimmberechtigt sind allerdings auch hier zumeist nur die Besitzer mehrerer Aktien 1 2 8 ; lediglich bei der RWG (§ 20) gewährt bereits eine einzelne Aktie eine Stimme. Auch bei diesen Gesellschaften ergibt sich die Höhe der jeweiligen Stimmberechtigung aus einem abgestuften System, existieren Höchststimmgrenzen 1 2 9 . Bei den drei rheinischen Bahnen findet sich die Bestimmung, in einer zur Beratung über die Auflösung der Gesellschaft einberufenen Generalversammlung gewähre jede Aktie eine Stimme 1 3 0 . Ansonsten gelten für die Beschlussfassung die auch bei den ostelbisch-magdeburger Gesellschaften zu findenden Regelungen (vgl. oben). Sieht man von der etwas später entstandenen Bonn-Kölner Bahn ab, so fehlen bei den rheinischen Gesellschaften die - die ostelbisch-magdeburger Statuten mitprägenden - längeren Kataloge der Generalversammlungszuständigkeiten. Vorschnell wäre jedoch der Schluss, die rheinisch-westfälischen Generalversammlungen hätten weniger Kompetenzen gehabt. Ausnahmslos sollen auch sie die Mitglieder des Verwaltungsrats (bzw. des Administrationsrats) wählen 1 3 1 , sowie über Satzungsänderungen 132 ; Kapitalerhöhungen 1 3 3 , Anleihenaufnahme 1 3 4 und über die Auflösung 1 3 5 der Gesellschaft entscheiden. Darüber hinaus obliegt den Generalversammlungen teilweise die Wahl der Direktion 1 3 und die Bestimmung deren Gewinnbeteiligung 1 3 7 , die Entscheidung über die deshalb bewusst an deren Satzung orientierte. Diese soll wiederum dem DEEG-Statut entsprochen haben; vgl. Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 169. 126 Die RWG hatte ihren Sitz in Minden. 127 Nur in § 1 REG wird bei der statutarischen (Selbst-)Definition ausdrücklich auf die §§ 29 - 37 des Code Bezug genommen; die DEEG definiert sich ohne einen solchen Verweis als „anonyme Gesellschaft", die BKEG als „zu den anonymen Gesellschaften nach Maaßgabe des rheinischen Handelsgesetzbuches" gehörenden „Aktienverein". Die RWG will eine „Korporation" darstellen, die sich „nach Vorschrift des Theil II Tit. 6 des Allgemeinen Landrechts" gebildet habe (§ 1). Dies bleibt jedoch der einzige Verweis auf das ALR. 128 Nötig sind 3 (DEEG), 4 (REG) bzw. 5 Aktien (BKEG). 129 Bei der BKEG können max. 5 Stimmen, bei der RWG 6 und bei der REG 55 ausgeübt werden. Bei der DEEG fehlt zunächst eine solche Begrenzung; sie wird jedoch schon 1846 durch Satzungsänderung eingeführt und auf max. 5 Stimmen festgesetzt. 130 § 29 Abs. 2 REG; § 34 DEEG; § 58 BKEG. 131 § 47 REG; § 15 DEEG; § 28 BKEG; § 18 RWG. Bei der REG wählt die Generalversammlung zudem Präsident und Vizepräsident des Administrationsrates (§ 48). 132 § 28 REG; § 32 c) DEEG; § 56 e) BKEG; § 17 b) RWG. 133 § 24 REG; § 32 a) DEEG; § 56 a) BKEG; § 17 a) RWG. 134 § 25 REG; § 32 a) DEEG; § 56 b) BKEG; § 17 a) RWG. 135 § 29 REG; § 34 DEEG; § 56 f ) BKEG; § 43 RWG. 136 § 59 REG; § 28 BKEG. 137 § 75 REG; § 18 DEEG; § 45 Abs. 2 BKEG.
B. Statutenpraxis
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Dividendenzahlung 1 3 8 und selbst die Genehmigung von Bahn- und Frachttarifen 139 . Die Beschlussfassung über die Anlage von Zweigbahnen wird bei der kleinen DEEG (§ 32 b) und bei der — offenbar den ostelbisch-magdeburger Katalog übernehmenden — BKEG ( § § 3, 56) in die Zuständigkeit der Generalversammlung gestellt; bei der BKEG zudem die „Betheiligung bei andern Eisenbahnen oder Vereinigung zu gegenseitiger Benutzung" (§ 56 d). Dagegen entscheidet nur die Generalversammlung der DEEG über die Decharge der Direktion 1 4 0 . Die Zuständigkeit des Verwaltungs- bzw. Administrationsrates wird in den einzelnen Satzungen unterschiedlich detailliert geregelt 1 4 1 . Soweit ausdrückliche Regelungen existieren, werden diesen Räten jedoch keine weitergehenden Kompetenzen als bei den ostelbisch-magdeburger Gesellschaften zugeordnet. Auch im Rheinland lassen sich die Binnenorganisation der AG betreffende Eingriffe der Konzessionsbehörden nachweisen: Als die Düsseldorfer-Elberfelder Eisenbahngesellschaft 1840 um die staatliche Genehmigung einer Kapitalerhöhung durch Ausgabe von 6.000 neuen Aktien zu 100 Talern bittet, da wird ihr zunächst nur die Ausgabe von 5.000 Aktien gestattet. Die übrigen 1.000 Aktien sollen erst später ausgegeben werden dürfen; wofür der Vorstand - wie ausdrücklich festgelegt wird - nochmals die Zustimmung der Generalversammlung einholen muss. Offenbar wollte die Behörde eine zu weitreichende Ermächtigung der Verwaltung zu Lasten der Generalversammlung verhindern.
4. Erste praktische
Erfahrungen
In den Satzungen der ersten preußischen Eisenbahngesellschaften wird die Binnenorganisation deutlich detaillierter als bei den im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gegründeten Aktiengesellschaften geregelt. Dabei ist man u. a. ersichtlich darum bemüht, die Zuständigkeitsbereiche der verschiedenen Gesellschaftsorgane voneinander abzugrenzen. Generell werden der Generalversammlung von allen Satzungen die für das weitere Schicksal der Gesellschaft wesentlichsten Angelegenheiten zur Beschlussfassung vorbehalten; rasch bildet sich ein Bereich von Kernkompetenzen heraus, die immer der Generalversammlung explizit zugewiesen werden. Da sich hier überhaupt keine abweichenden Regelungen ausmachen lassen und die einzelnen Satzungsvorschriften zumindest ähnlich, wenn nicht sogar wortgleich sind, spricht einiges für eine entsprechende
138 § 8 DEEG; § 16 BKEG. Bei der RWG ist die Zuführung zum Reservefonds und die Dividendenverteilung statutarisch geregelt (§ 13); bei der REG entscheidet der Administrationsrat über den Umfang der Zuführungen zum Reservefonds. 139 § 22 f. DEEG; § 34 f. RWG. 140 § 28. Bei der RWG soll dies einer besonderen - von der Generalversammlung ernannten — Kommission obliegen. 141 Während bei der DEEG der Verwaltungsrat in zwei Paragraphen abgehandelt wird, ist bei der REG relativ ausführlich geregelt, welche Entscheidungen der Administrationsrat zu treffen und zu genehmigen hat, vgl. vor allem § § 54 f., 72. 142 Vgl. die Allerhöchste Bestätigungsurkunde vom 22.9.1840, Preuß. GS, 1847, 309 f.
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Einflussnahme der Konzessionsbehörden, welche offenbar die Kernkompetenzen der Generalversammlung als „satzungsfest" ansehen: Jene Angelegenheiten will man unbedingt der Gesamtheit der Aktionäre zur Beratung und Beschlussfassung vorbehalten; mit der weiteren Folge, dass die Vorstände und Verwaltungsräte der Gesellschaften insoweit unzuständig sind. D o c h lassen sich bei den Details durchaus auch Unterschiede ausmachen: Stellt man die - die Stellung der Generalversammlung ausgestaltenden — Regelungen beider Statuten-Familien gegenüber, so ist mit Blick auf die ostelbisch-magdeburger Gesellschaften einerseits die vergleichsweise starke Stellung des Verwaltungsrats hervorzuheben. Nicht wenige gewichtige Kompetenzen werden der Generalversammlung ausdrücklich zugunsten des Verwaltungsrats entzogen. Es ist daher wohl auch kein Zufall, dass nirgends der Generalversammlung ein allgemeines Abberufungsrecht gegenüber dem Verwaltungsrat eingeräumt wird
. Andererseits jedoch hat die vergleichsweise detaillierte
Aufteilung der Kompetenzen zwischen beiden Organen eine Reduzierung der „Grauzone", in der die jeweilige Zuständigkeit völlig offen bleibt, zur Folge. Z u d e m fasst man bei den ostelbisch-magdeburger Gesellschaften den Unternehmensgegenstand jeweils recht eng
und behält eine Ausdehnung der Geschäfte, vor allem aber auch die
praktisch bedeutsame Anlage von Zweig- und Verbindungsbahnen, ausdrücklich der Beschlussfassung der Generalversammlung v o r 1 4 5 . Einem
unternehmungsfreudigen
Verwaltungsrat sind somit gewisse Grenzen gesetzt, vor deren Überschreitung er sich der Zustimmung seiner Generalversammlung versichern muss. Betrachtet man nur die statutarischen Vorschriften, so k o m m e n den Generalversammlungen der rheinisch-westfälischen Gesellschaften keinesfalls signifikant weniger Kompetenzen zu; gerade bei den kleineren Gesellschaften ( D E E G und B K E G ) dürfte sich eher das Gegenteil konstatieren lassen. Dieses erste Bild bedarf jedoch einer Korrektur: Z u berücksichtigen ist zunächst, dass in der rheinisch-westfälischen StatutenFamilie die Beschreibung des statutarischen Unternehmensgegenstandes zumeist sehr weit ausfällt 1 4 6 . Hinzu k o m m t , dass der für die Bahngesellschaften wohl bedeutsamste
143
Lediglich bei den beiden Magdeburger Gesellschaften und bei der B H E G soll die Generalver-
sammlung über die vom Verwaltungsrar ausgesprochene Suspension einzelner seiner Mitglieder entscheiden. 144
Exemplarisch insoweit die Erläuterungen in § 2 B F E G : „Die Bahn soll von Berlin, vorbei bei Kö-
penick und über Fürstenwalde nach Frankfurt hin erbaut werden und im Wesentlichen die Richtung inne halten, welche vom Staat bereits genehmigt ist. Sie soll zur Benutzung von Transporten mit eisernen Schienen belegt, und in der vom Komite* vorgeschlagenen Art konstruirt werden. Wesentliche Abänderungen der Richtungslinie und der Konstruktion der Bahn, so wie die Einrichtung von Zweigbahnen oder sonstigen Kommunikationswegen, bleiben späteren Beschlüssen, unter Genehmigung des Staates, vorbehalten. ..." 145
A m Beispiel der Berlin-Stettiner Eisenbahngesellschaft wird erkennbar, welche D y n a m i k der Bau
von Zweigbahnen entfalten konnte: Gegründet wird die Gesellschaft zum Bau einer 1 3 4 k m langen Stammbahn, die 1 8 4 3 den Betrieb aufnimmt. 1 8 8 0 unterhält die B S t E G ein Netz zumeist zweigleisig ausgebauter Bahnen, das sich u. a. bis Stralsund und Danzig erstreckt und eine Gesamtlänge von 9 5 6 km hat; vgl. Berlin und seine Eisenbahnen, S. 175 ff. 146
Entweder sind die entsprechenden Bestimmungen sehr lapidar: „um eine Eisenbahn zur Verbin-
dung des Rheins mit der Weser zu begründen" (§ 1 R W G ) , oder es finden sich diverse „Erweiterungsklau-
B. Statutenpraxis
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Fall einer schwerwiegenden unternehmerischen Maßnahme, die wesentliche Erweiterung des Streckennetzes der Gesellschaft durch Bau von Zweig- und Verbindungsbahnen, nur bei B K E G und D E E G definitiv einen Beschluss der Generalversammlung voraussetzt. All' dies führt insbesondere bei den beiden größeren Gesellschaften (REG, RWG) zu einer erheblichen „Grauzone", innerhalb derer die Zuordnung von Kompetenzen völlig offen bleibt. Hieraus ergeben sich nicht nur zusätzliche Risiken, sondern - im Verhältnis von Verwaltungsrat und Direktion zur Generalversammlung — auch ein großes Konfliktpotential: Obwohl sich bei der 1837 für eine Strecke von Köln bis an die belgische Grenze konzessionierten Rheinischen Eisenbahngesellschaft (REG) die endgültige Fertigstellung der Stammbahn immer wieder verzögert und die Gesellschaft deshalb in immensen finanziellen Schwierigkeiten ist 1 4 7 , engagiert sich ihr Vizepräsident David Hansemann seit 1840 sehr für das Projekt einer Bahn von Köln über Düsseldorf, Duisburg und Soest nach Minden - in den Jahren 1842/43 führt er dann die Konzessionsverhandlungen mit den Berliner Ministerien' 4 8 . Schon die Kosten für die damit verbundenen Vorarbeiten überschreiten die finanziellen Potenzen der R E G deutlich, weshalb in der Generalversammlung vom 31.12.1842 Hansemanns Planungen kritisiert werden: Die Gesellschaft sei für die Errichtung der 86 km langen Strecke zur belgischen Grenze gegründet worden - der Bau einer mehr als 250 km langen Bahn nach Minden sei daher ein völlig neues Unternehmen, dessen Verwirklichung zumindest erst einmal eine Satzungsänderung voraussetze, welche wiederum gemäß § 28 der Satzung schon in der Einladung anzukündigen sei . Trotzdem lässt sich Hansemann durch einfachen Generalversammlungsbeschluss zur Fortführung der Verhandlungen ermächtigen und zwar unter Verweis auf § 7 der Satzung; jene Vorschrift gestatte eine Beteiligung an anderen Bahngesellschaften 150 . Die preußischen Behörden bestehen dann allerdings auf der Gründung einer neuen Gesellschaft, der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft. Sie befürchten wahrscheinlich, bei einer Durchführung des neuen Projektes durch die in finanziellen Schwierigkeiten steckende R E G könnten staatliche Begünstigungen für den Neubau zumindest teilweise auch dem schon bestehenden Geschäftsbetrieb zugute kommen 1 5 1 . sein", die u. a. den Gesellschaften (bzw. ihrer Direktion) in späteren Zeiten sogar die Beteiligung am Flugzeug- und Automobilbau gestattet hätten: „Sollte in Folge weiterer Vervollkommnung in den Transportmitteln eine noch bessere oder wohlfeilere Förderung der Transporte, als auf Eisenschienen möglich werden, so kann die Gesellschaft auch das neue Förderungsmittel herstellen und die Bahn, demselben angemessen, nach Anleitung des § 4 benutzen." (§ 6 R E G ; vgl. auch § 6 B K E G ) . 1 4 7 Im Jahr 1839 wurde die Gesellschaft erst in letzter Minute von der belgischen Regierung vor dem Bankrott gerettet, welche unabsetzbare Aktien in Wert von 1 Mio. Taler aus einer Kapitalerhöhung übernahm. Auch hierbei hatte sich die Direktion eigenmächtig über einen Beschluss der Generalversammlung hinweggesetzt; vgl. Kumpmann, Rheinische Eisenbahn, S. 202 ff. 1 4 8 Ausführlich hierzu Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 2 0 2 ff. 149 Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 249. 1 5 0 „Die Gesellschaft kann mit den Unternehmern von Eisenbahnen, die in direkter Verbindung mit ihrer (der Gesellschaft) Bahn stehen oder errichtet werden, Verträge wegen der gegenseitigen Benutzung schließen, oder auch in solchen Eisenbahnen sich betheiligen." 1 5 1 Genau dies lag auch in Hansemanns Absicht; vgl. Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 244.
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Während es Hansemanns REG im September 1843 doch noch gelingt, den Betrieb auf ihrer Stammbahn aufzunehmen, scheitert mit der Rhein-Weser-Eisenbahn-AktienGesellschaft (RWG) die größte der im Herbst 1837 konzessionierten Gesellschaften vollständig: Die Errichtung dieser Gesellschaft wird unter hohem Zeitdruck betrieben, um die endgültige Bestätigung eines Elberfeld-Wittener Konkurrenzprojektes zu verhindern (vgl. oben). In der Eile bleiben Einzelheiten des Streckenverlaufs völlig offen. Wegen des genauen Bauplanes entsteht nun Streit im Verwaltungsrat und in der Generalversammlung 152 . Letztere nimmt schließlich einen recht unklar formulierten Kompromissvorschlag an. In dieser Situation versucht der Verwaltungsrat offenbar, die „Flucht nach vorn" anzutreten. Um die weitere Bauausführung zu beschleunigen, greift er zu einer weitreichenden Ermächtigung der Direktion: Diese darf sich u. a. einen Sitz in Düsseldorf nehmen; eigentlich sollte gemäß § 2 der Satzung Minden Sitz der Verwaltung sein. Ferner werden die auf die ersten ausgeschriebenen Raten eingegangenen Gelder der Direktion ohne weiteres zur Verfügung gestellt, obwohl die Satzung den Abschluss von Geschäften ab einer bestimmten Wertgrenze an die Zustimmung des Verwaltungsrats bindet. Zu einem Zeitpunkt, an dem selbst eine Teilinbetriebnahme der Strecke noch längst nicht absehbar ist, kauft die (wohl nicht sonderlich fähige) Direktion von den ihr zur Verfügung gestellten Geldern in England sogleich Lokomotiven. Zudem lässt sie den Bahnbau in Köln beginnen, während ein großer Teil der Aktionäre davon ausgeht, die Generalversammlung habe sich für einen Baubeginn bei Minden ausgesprochen. Die Eigenmächtigkeit von Verwaltungsrat und Direktion verärgert viele Aktionäre; massenhaft wird die Einzahlung der ausgeschriebenen Raten verweigert. Drei Tage vor der für den 18.6.1838 einberufenen Generalversammlung beschließt der Verwaltungsrat daraufhin, allen Aktionären, die noch nicht wenigstens 10 % eingezahlt haben, den Zutritt zu dieser Versammlung zu verweigern 153 . Unklug war ein solches Vorgehen schon deshalb, weil sich die ihres Stimmrechts „beraubten" Gesellschafter jetzt erst recht auch aller Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber enthoben glauben: Weitere Einzahlungen gehen jedenfalls nicht ein. Als geradezu fatal soll sich der Ausschluss der übergroßen Aktionärsmehrheit jedoch aus einem anderen Grund erweisen: Die Generalversammlung müsste eigentlich über dringende Satzungsänderungen entscheiden. Gemäß § 25 des Statuts setzt dies aber voraus, dass in der Versammlung mindestens % sämtlicher Aktien vertreten sind . Die Handlungsunfähigkeit ihrer Generalversammlung lässt die RWG in den folgenden Monaten und Jahren immer mehr in Agonie versinken. Man klagt die verweigerten Einzahlungen zwar erfolgreich bei einzelnen Aktionären ein, wegen der massenhaften EinZahlungsverweigerung verlängert dies Vor-
152
Hierzu und zum I olgenden siehe Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 182 ff. Zu jener Zeit waren nur auf 5.500 der insgesamt 25.000 Aktien (zu je 200 Taler) 10 % und auf weitere 17.500 Aktien 5 % eingezahlt worden; Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 189. 154 Zwar hätte sechs Wochen später eine zweite Generalversammlung ohne jede Mindestbeteiligung der Aktionäre mit einfacher Mehrheit über die Satzungsänderungen beschließen können, der Verwaltungsrat der Gesellschaft mochte eine solche Versammlung zunächst aber nicht einberufen. 153
B. Statutenpraxis
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gehen letztlich nur den „Todeskampf' der Gesellschaft; zum Schluss ist sie nicht einmal mehr in der Lage, die eigene Auflösung geordnet herbeizuführen155. Das Scheitern der RWG ist gewiss nicht primär auf Mängel der statutarischen Bestimmungen zur inneren Organisation der Gesellschaft zurückzuführen. Bezweifelt werden muss schon, ob eine rein private Finanzierung eines solch' großen Projektes damals in Deutschland überhaupt möglich war15 ; zudem hatte man die Zahlungsfähigkeit der Zeichner nicht hinreichend überprüft, usw. Krise und unaufhaltsamer Verfall der Gesellschaft werden durch die unzureichend ausgeregelte Verfassung der Gesellschaft aber erkennbar gefördert: die „Bindung" von Direktion und Verwaltungsrat an einen statutarisch weitgehend unbestimmt gebliebenen Unternehmensgegenstand; die — selbst dem Statut widersprechende — umfassende Ermächtigung der Direktion; das einer wirksamen Kontrolle entzogene eigenmächtige Vorgehen des Verwaltungsrats; die statutarischen Vorschriften, die in einer entscheidenden Situation Satzungsänderungen verhindern oder zumindest erschweren157.
5. Der preußische Staat als Gesellschafter Die preußische Regierung, die zunächst ausschließlich auf eine rein private Finanzierung des Bahnbaus gesetzt hatte, erkennt allmählich, dass einige - aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen wünschenswerte - Projekte ohne unmittelbare staatliche Unterstützung (zumindest vorerst) nicht zustande kommen werden. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. revidiert man daher die Eisenbahnpolitik: Erste Staatsbeteiligungen haben zwar noch einen eher symbolischen Charakter 158 , schon 1843 wird dann aber ein Eisenbahnfonds geschaffen, der vor allem der Realisierung von fünf ausgesuchten Vorhaben dienen soll 159 . Während das größte dieser Projekte, die sogenannte „Ostbahn" von Berlin nach Königsberg, gleich als reine Staatsbahn errichtet wird, entscheidet man sich bei den übrigen für den „gemischt-wirtschaftlichen" Weg. Die unmittelbare staatliche Beteiligung an Eisenbahnaktiengesellschaften erreicht damit eine neue Qualität: Zunächst übernimmt der preußische Staat bei der Zur weiteren Entwicklung siehe Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 194 ff. Die Köln-Mindener Eisenbahngesellschafc, die einige Jahre später tatsächlich eine Verbindung zwischen Rhein und Weser errichtete, unterstützte der preußische Staat, indem er für 1.860.000 Taler Aktien zeichnete und für die übrigen Aktien eine Zinsgarantie in Höhe von 3,5 % übernahm; vgl. Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 255. 157 Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 201, sieht dagegen vor allem die fehlende gesetzliche Regelung zur Kapitalaufbringung als folgenreich an. Selbst eine Volleinzahlung der Aktien hätte aber nicht die vollständige Durchführung des Projektes abgesichert (sondern vermutlich lediglich das Ausmaß der Schäden erhöht): Während die RWG-Gründer von Baukosten in Höhe von 5,6 Mio. Talern ausgingen, errechnete man später für die Köln-Mindener Bahn Kosten von mehr als 13 Mio. Taler. Auch die RWG wäre gewiss von weiteren Kapitalzuführungen abhängig geworden; ob dann von einem Missmanagement geschädigte Aktionäre dem schlechten Geld gutes hinterher geworfen hätten, darf wohl bezweifelt werden. 158 Die Regierung soll einige Aktien der Berlin-Anhaltischen und der Berlin-Stettiner Gesellschaft erworben haben; so Henderson, Entstehung der preußischen Eisenbahnen, S. 147. 159 Hierzu Bracht, Eisenbahnen, S. 81, 87; Henderson, Entstehung der preußischen Eisenbahnen, S. 147 f. 155
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Gesellschaften auf Aktien
Oberschlesischen Eisenbahngesellschaft den siebenten Teil einer Kapitalerhöhung, mit der die Weiterführung der Bahn bis zur österreichischen Grenze finanziert werden soll. Aus diesem Anlass werden verschiedene Satzungsänderungen vorgenommen 1 6 0 , welche die späteren Regelungen wegen der staatlichen Beteiligung an neuerrichteten Gesellschaften schon andeuten, insgesamt aber — was die Intensität des Staatseinflusses anbetrifft - noch nicht das dort erreichte Ausmaß aufweisen . Nur wenige Tage nach dem Erlass des Aktiengesetzes wird am 27.11.1843 die Niederschlesisch-Märkische Eisenbahn-Gesellschaft (NMEG) konzessioniert . Weder in der Konzessionsurkunde, noch im Statut selbst findet sich ein Verweis auf die Regelungen des neuen Gesetzes 163 . Bei der NMEG übernimmt der preußische Staat den siebenten Teil des zunächst auf 8 Mio. Taler festgesetzten Stammkapitals 1 6 4 . Die wegen der Staatsbeteiligung getroffenen statutarischen Regelungen erlangen „Vorbild-Funktion" für weitere Gesellschaften (zunächst KMEG und TEG) 1 6 5 . Auf den ersten Blick scheint die Beteiligung des preußischen Staates die Stellung der Generalversammlung nicht geschwächt zu haben, im Gegenteil: Das Statut übernimmt viele Vorschriften aus den Satzungen von BSFEG und BFEG, darunter auch den für die ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie typischen Katalog der Generalversammlungskompetenzen ( § 3 1 ) . Darüber hinaus hat diese Versammlung bei der NMEG sogar erstmals generell das Recht, Mitglieder von Direktion und Verwaltungsrat abzuberufen (§§ 50, 60, 69) 1 6 7 . Eine genauere Analyse verdeutlicht jedoch den übermächtigen Einfluss des Staates, der zum einen gesellschaftsrechtlich vermittelt ist: Der Aktionär Staat unterliegt nicht wie alle anderen Aktionäre der Begrenzung des Stimmrechts auf maximal 10 Stimmen - dem von ihm bestellten Kommissar steht immer der sechste Teil der übrigen in einer Generalversammlung vertretenen Stimmen zu . Ferner ist der Staat berechtigt, die Vorsitzenden von Direktion und Verwaltungsrat zu ernenVgl. GS 1843,310. Die OEG erhält eine „Doppel-Verfassung" mit einem vergleichsweise „staatsfreien" Alt- und einem staatlich dominierten Neu-Bereich. Das Zusammenspiel beider Bereiche gestaltet sich — schon nach der statutarischen Regelung - so kompliziert, dass hier auf die Darstellung von Einzelheiten verzichtet werden muss. 162 GS 1843,371. 163 Stattdessen wird in der Konzessionsurkunde noch auf die Vorschriften des Eisenbahngesetzes von 1838 verwiesen. Bei der am 18.12.1843 konzessionierten Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft (KMEG, GS 1844, 21) verweisen Urkunde und Statut jeweils auf die Art. 37 ff. des Preußisch-Rheinischen Handelsgesetzbuches; bei der am 20.8.1844 bestätigten Thüringischen Eisenbahngesellschaft (TEG, GS 1844, 419) findet sich wenigstens in der Urkunde ein erster Verweis auf das Aktiengesetz von November 1843. 164 Zuvor waren - in den Jahren 1838 und 1841/42 - zwei Versuche, das Projekt vollständig privat zu finanzieren, gescheitert; hierzu Berlin und seine Eisenbahnen, S. 191 f. 165 Schon als sich Hansemann Mitte 1843 um staatliche Unterstützung für das Projekt der Köln-Mindener Bahn bemühte, wurde er hinsichtlich der hiermit verbundenen Bedingungen auf die NMEG verwiesen; vgl. Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 255 f., 266. 166 Vgl. oben unter II.2. Ebenso verfuhr man bei der TEG (§ 39); das Statut der KMEG ist dagegen insoweit wesentlich an die Satzung der Rheinischen Eisenbahngesellschaft (vgl. unter II.3) angelehnt. 167 Die Generalversammlung der TEG konnte nur 9 der 12 Mitglieder des Ausschusses wählen und abberufen (§ 29 Ziffer 3), die der KMEG entschied endgültig über die Entlassung von Direktoren. 160 161
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nen 1 6 9 . Zum anderen bedarf nahezu jede bedeutendere Maßnahme der Gesellschaft der Zustimmung des preußischen Finanzministeriums: Nicht nur die Satzungsänderung oder die Anlage von Zweigbahnen, sondern beispielsweise auch die Einstellung des für die Bauleitung zuständigen technischen Direktors 170 . Motiviert sind diese Eingriffsrechte vor allem mit einer Zinsgarantie, die der preußische Staat den Aktionären gewährt hat 1 7 1 : Sollte die Gesellschaft nach der Fertigstellung der Bahn nicht genug Gewinn erwirtschaften, um den Nennbetrag der Aktien mit mindestens 3,5 % zu verzinsen, so hat der Staat die nötigen Zuschüsse zu leisten 1 7 2 . Für den Fall, dass in drei aufeinander folgenden Jahren Zuschüsse zu zahlen sind (oder diese in einem Jahr mehr als 1 % des Aktienkapitals betragen), ist das Finanzministerium berechtigt, die Verwaltung des Bahnbetriebes zu übernehmen 1 7 3 . Selbst wenn man von diesen - speziell motivierten - Regelungen einmal absieht, deutet sich schon im Statut der NMEG an, dass die staatliche Beteiligung an der Gesellschaft die Stellung deren Verwaltung zu Lasten der Generalversammlung gestärkt hat: Bereits bei Errichtung der Gesellschaft wird eine Übernahme der Berlin-Frankfurter Bahn und eine Zweigbahn von Breslau nach Sachsen angestrebt, die Verhandlungen wegen beider Projekte können aber nicht mehr rechtzeitig abgeschlossen werden. Gemäß § 3 der Satzung sollen nun Direktion und Verwaltungsrat mit Zustimmung des Finanzministeriums die genauen Ubernahmebedingungen aushandeln; insoweit wird, wie auch im Fall der Zweigbahn nach Sachsen, eine Mitwirkung der Generalversammlung ausdrücklich ausgeschlossen und zwar auch mit Blick auf hierfür erforderliche Kapitalerhöhungen (§ 39 Ziffer 1 und 2) . Während für eine derart weitreichende Ermächtigung von Direktion und Ausschuss bei der NMEG immerhin noch ein konkre-
168 § § 4 0 , 41. Da eine schrittweise Amortisation der übrigen Aktien beabsichtigt ist, soll sich das Stimmrecht des Staates später weiter erhöhen. Entsprechende Regelungen finden sich auch bei der KMEG (§ 35) und der TEG (§ 25). Bei der TEG ist allerdings keine Amortisation der privaten Anteile beabsichtigt. 169 § § 47, 57, 62. Bei der TEG ernennen die drei beteiligten Staaten (Preußen, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Coburg-Gotha) je ein Mitglied der Direktion, das zugleich dem Verwaltungsrat angehört, und bestimmen ferner, welche dieser Personen Vorsitzender von Direktion und Verwaltungsrat werden soll (§§ 35, 46, 50); bei der KMEG benennt das preußische Finanzministerium einen (von insgesamt sieben) Direktoren und zudem aus dem Kreis der — von der Generalversammlung gewählten — Administrationsräte Präsident und Vizepräsident dieses Rates. Ausdrücklich ist jeweils bestimmt, die staatlich ernannten Personen bräuchten — anders als die übrigen Mitglieder von Direktion und Verwaltungsrat — nicht Aktionär der Gesellschaft zu sein. 170 § 71. Ist das Finanzministerium mit den von der Gesellschaft vorgeschlagenen Kandidaten nicht einverstanden, kann es die entsprechenden Amter selbst besetzen; so auch § 75 KMEG. Bei der TEG gilt dies dann sogar hinsichtlich aller „höheren technischen Beamten, einschließlich Sektions-Ingenieure" (§ 58). 171 Auch die Zinsgarantie vermag aber wohl nicht zu erklären, warum beispielsweise nach § 4 5 KMEG die Geschäftsordnung der Generalversammlung vom Finanzministerium bestätigt werden musste. 172 § 25. Vgl. auch § 17 KMEG; § 20 TEG garantierte 3 % Zinsen. 173 § 14. Bei der KMEG: 5 Jahre nacheinander Zuschüsse oder in einem Jahr mehr als 1,5 %. Eine vergleichbare Vorschrift fehlt bei der TEG, wohl wegen der Beteiligung von Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Coburg-Gotha.
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ter Anlass besteht, übernimmt das Statut der TEG diese Regelungen ohne einen solchen: Der Streckenverlauf ist genau bestimmt und kein größeres Zweigbahn-Projekt noch offen. Man geht bei der TEG sogar noch einen Schritt weiter: Sollte sich ein — über das in der Satzung festgelegte Stammkapital hinausgehender — zusätzlicher Kapitalbedarf ergeben, „so wird dieser Mehrbedarf nach der Bestimmung der drei hohen Regierungen entweder durch die Erhöhung des Aktienkapitales oder durch eine Anleihe aufgebracht" 175 . Das an sich der Generalversammlung vorbehaltene Recht, über Kapitalerhöhungen und Aufnahme von Anleihen zu beschließen (§ 29 Ziffer 2), wird damit in der Sache wesentlich entwertet Andere Punkte bestätigen diese Tendenz: Während im Statut der BSFEG, das offenbar als wichtigste Vorlage für das der N M E G gedient hat, die Generalversammlung dem Gründungskomitee Decharge erteilt (§ 7), obliegt diese bei der N M E G dem Verwaltungsrat (§ 13). Bei der Wahl von Verwaltungs- bzw. Administrationsrat in der Generalversammlung dürfen generell die Direktoren nicht mitstimmen — sie sollen sich ihre Kontrolleure mithin nicht selbst aussuchen können. Ausdrücklich ist jedoch bei N M E G und KMEG bestimmt, dass dies nicht für den vom Staat ernannten Direktor gilt (jeweils §44); bei der TEG sind die staatlich ernannten Direktoren sogar automatisch Mitglieder des Verwaltungsrates - sie wirken also nicht nur an der Wahl ihrer Direktionskollegen mit, sondern kontrollieren bzw. entlasten sich auch selbst. Aufschlussreich schließlich noch eine weitere Veränderung: In der Konzessions- und Bestätigungsurkunde der N M E G wird angeführt, die Generalversammlung habe am 3., 4. und 5. August 1843 über das Statut Beschluss gefasst. Bei den älteren Gesellschaften tauchte das in der Urkunde angegebene Datum am Ende der Satzung noch einmal auf - an diesem Tage sei das Statut unterschrieben worden. Anders bei der N M E G , wo es am Ende des Statuts heißt: „Berlin, den 26. August 1843. Die Direktion der Niedersehl esisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft. (Folgen die Unterschriften). Der Verwaltungsrath der ,..". 177 Der Königlichen Konzessions- und Bestätigungsurkunde der N M E G lässt sich entnehmen, dass in Preußen die Geschichte der staatlichen Beteiligung an Eisenbahnaktiengesellschaften sogleich mit einem — bis dahin wohl unbekannten - Einzeleingriff in die inneren Verhältnisse der Gesellschaft beginnt: „... indem Wir zugleich bestimmen, daß es bei den in der oben erwähnten General-Versammlung erfolgten Wahlen der Mitglieder der Direktion und ihrer Stellvertreter, so wie der Mitglieder des Verwaltungsraths sein Bewenden haben soll. Dabei setzen wir jedoch, da in dieser General-
174 Vgl. auch § 7 Abs. 1: „Die definitive Feststellung des benöthigten Kapitals erfolgt durch die Gesellschaftsvorstände unter Zuziehung des Königlichen Finanzministerii mit Ablauf des ersten vollen Betriebsjahres." 175 § 7. Zuvor ist der endgültige Kapitalbedarf von der Direktion - unter Zustimmung des Verwaltungsrates und Genehmigung der Regierungen — festzustellen. 176 Ähnlich auch die Regelung bei der K M E G (§§ 15,27f.). 177 In der Konzessions- und Bestätigungs-Urkunde für die T E G , GS 1844, 419, heißt es, das Statut werde so genehmigt, wie es am 3. und 5.8.1844 von Direktion und Verwaltungsrat der Gesellschaft vollzogen worden sei. Die Generalversammlung wird insoweit nicht mehr erwähnt.
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Versammlung von einzelnen Theilnehmern gegen die Feststellung des Statutes und gegen die Vornahme der Wahlen Widerspruch erhoben worden ist, hierdurch fest, daß den eben bezeichneten widersprechenden Theilnehmern vorbehalten bleibt, innerhalb vier Wochen nach Publikation der gegenwärtigen Konzessions- und Bestätigungsurkunde mittelst Zurücklieferung der erhaltenen Zusicherungsscheine an die Direktion der Gesellschaft gegen Rückempfang der geleisteten Anzahlungen aus der Gesellschaft auszuscheiden, sofern dieselben aber von diesem Vorbehalte nicht Gebrauch machen, das obige Statut und die erfolgten Wahlen auch für sie unbedingt verbindlich sein sollen." 178 Auch später wird die erste gemischt-wirtschaftliche Neugründung nicht zu einer Erfolgsgeschichte: Schon im Jahr 1848 muss der Staat für die garantierte Verzinsung der Aktien 350.000 Taler zahlen; gemäß § 14 des Statuts ist er damit berechtigt, die Verwaltung der Gesellschaft zu übernehmen 1 7 9 . Als sich Mitte 1849 die Betriebsergebnisse immer noch nicht positiver gestalten, macht er von diesem Recht Gebrauch. Eingesetzt wird eine „Königliche Verwaltung der Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn". Zunächst leisten die Gesellschaftsorgane hiergegen Widerstand: Sie verweigern die Herausgabe von Akten und Schlüsseln; auch wird der Fiskus wegen Besitzstörung verklagt. Als sie damit jedoch nicht durchdringen und zudem gegen die Direktionsmitglieder erhebliche Strafandrohungen verhängt werden, kommt die Königliche Verwaltung zum Zuge. Obwohl es dieser rasch gelingt, wieder günstigere Betriebsergebnisse zu erwirtschaften, wollen sich die Aktionäre mit der Situation nicht dauerhaft abfinden. Die Generalversammlung vom 16. Oktober 1851 beschließt, die Bahn dem Staat zum Kauf anzubieten. Als erste Privatbahn wird die NMEG dann am 25-/26. Juni 1852 vom preußischen Staat erworben 1 8 0 .
III Aktiengesellschaften außerhalb Preußens 1. Sachsen Untersuchungen zur Aktienrechtspraxis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich nahezu ausschließlich mit der Entwicklung in Preußen 1 8 1 . Auch in weiteren Staaten des Deutschen Bundes ist jedoch insoweit für die Jahre nach 1835 eiGS 1843,372. Vgl. hierzu und zum Folgenden Berlin und seine Eisenbahnen, S. 194 ff. 180 Der preußische Handelsminister von der Heydt hatte seinen für das Finanzressort zuständigen Kollegen von Bodelschwingh zuvor darauf hingewiesen, man müsse die günstige Gelegenheit wahrnehmen, weil die Verwaltung der Gesellschaft ansonsten wegen der sich abzeichnenden Verbesserung deren wirtschaftlicher Lage bald wieder an die Eigentümer zurückfalle; Then, Eisenbahnunternehmer, S. 49. Zur v.d.Heydts Politik der „schleichenden Verstaatlichung" vgl. auch Ziegler, Eisenbahnen, S. 47 ff. 181 So Bösselmann, Aktienwesen im 19. Jahrhundert; Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1 ff.; ders., Organisationsstrukturen; Schumacher, Organisation; Sehrt, Niederrheinische Aktiengesellschaften. Vgl. auch Bracht, Eisenbahnen, S. 51 ff; M.Emmerich, Beschlusskontrolle, S. 86 ff Vgl. demgegenüber zum Aktienwesen im Königreich Bayern Obenaus, Aktiengesellschaften, insb. S. 63 ff. 178
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Gesellschaften auf Aktien
ne e r s t a u n l i c h e D y n a m i k n a c h w e i s b a r : A n erster Stelle ist h i e r d a s K ö n i g r e i c h S a c h s e n zu n e n n e n 1 8 2 . D o r t w a r n i c h t n u r 1 8 2 2 d i e o b e n e r w ä h n t e E l b - A m e r i k a n i s c h e C o m p a g n i e g e g r ü n d e t w o r d e n (vgl. u n t e r I.), s o n d e r n s c h o n drei J a h r e z u v o r d i e L e i p z i g e r F e u e r - V e r s i c h e r u n g s - A n s t a l t 1 8 3 . I m J a h r 1 8 3 7 scheitert d a n n z w a r d e r V e r s u c h e i n e r A k t i e n g e s e t z g e b u n g 1 8 4 , d i e G r ü n d u n g s p r a x i s zeigt sich h i e r v o n a b e r r e c h t u n b e e i n d r u c k t . N o c h 1 8 3 7 w i r d i m sächsischen Gesetz- u n d V e r o r d n u n g s b l a t t n u r d i e Bestätig u n g einer n e u e n A k t i e n g e s e l l s c h a f t , d e r L e i p z i g - D r e s d n e r E i s e n b a h n c o m p a g n i e , verk ü n d e t , n a c h zwei G e s e l l s c h a f t e n i m J a h r 1 8 3 8 folgen j e d o c h 1 8 3 9 acht, 1 8 4 0 sechs u n d 1 8 4 1 vier w e i t e r e G e s e l l s c h a f t e n 1 8 5 . Z a h l e n m ä ß i g d o m i n i e r e n d a b e i in S a c h s e n a n d e r s als in P r e u ß e n - n i c h t E i s e n b a h n - , s o n d e r n I n d u s t r i e g e s e l l s c h a f t e n
. Bei d e n
w e n i g e n i m Gesetz- u n d V e r o r d n u n g s b l a t t v o l l s t ä n d i g a b g e d r u c k t e n S t a t u t e n h a n d e l t es sich z w a r a u s s c h l i e ß l i c h u m s o l c h e v o n B a n k e n u n d E i s e n b a h n g e s e l l s c h a f t e n 1 8 7 . D a d e r e n H a u p t i n i t i a t o r e n j e d o c h a u c h a n d e r G r ü n d u n g etlicher w e i t e r e r A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n beteiligt w a r e n 1 8 8 , d ü r f t e n d i e B a h n - u n d B a n k e n - S a t z u n g e n v i e l e R e g e l u n g e n
182 Zur industriellen Entwicklung Sachsens in dieser Zeit siehe nur Kiesewetter, Industrialisierung, S. 391 ff. 183 Vgl. die Verordnung der Landesregierung vom 16.9.1819 die Errichtung der Leipziger Feuer-Versicherungs-Anstalt betreffend, GS, 217. Die Statuten wurden jedoch nicht in der Gesetzsammlung publiziert. 184 Hierzu unten unter § 4 A. 185 Für das Jahr 1842 findet sich kein Hinweis auf die Konzessionierung einer Aktiengesellschaft; danach stiegen die Zulassungszahlen wieder leicht an: 1843 — zwei, 1844 — vier und 1845 — drei Gesellschaften. Nach Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 50, die sich u. a. auf sächsische Landtagsakten beruft, sollen bei der Vorlage des Aktienrechtsentwurfs im Jahr 1836 schon mindestens 18 Aktiengesellschaften bestanden haben. Insoweit wird aber auch auf Gesellschaften verwiesen, die erst später endgültig konzessioniert wurden, so z. B. der Aktien-Maschinenbau Verein zu Uebigau (Dezember 1838) oder die Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie (März 1837). 186 Neben den schon genannten Gesellschaften werden u. a. konzessioniert: 1838 - Actienverein der Societätsbrauerei zu Dresden; 1839 — Dresdner Zuckersiedereicompagnie, Sächsische Elbschiffahrtsgesellschaft, Actienverein für das Steinkohlewerk zu Gittersee, Sächsische Maschinenbaucompagnie zu Chemnitz, Hainicher Steinkohlebauverein; 1840 - Maschinenweberei zu Aue, Sächsische Fabrik-Werkzeug-Gesellschaft; Leipziger Asphaltcompagnie; 1841 — Actienverein der Kammgarnspinnerei zu Pfaffendorf, Zwickauer Steinkohlebauverein; 1843 — Sächsische Eisencompagnie (Cainsdorfer Königin-MarienHütte). Bis einschließlich 1845 werden publiziert: Leipziger Discontocasse (LDC, ÖS 1827, 136); Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie (LCEC, GVOBl 1837, 27); Leipziger Bank (LB, GVOB1 1839, 56; dies Statut ist zudem - mit mehreren späteren Nachsätzen - abgedruckt bei Hocker, Statuten, S. 293 ff.); „Sächsisch-Bayersche Eisenbahncompagnie" (SBEC, GVOBl 1843, 39); Sächsisch-Schlesische Eisenbahngesellschaft (SSEG, GVOBl 1844, 244); Löbau-Zittauer Eisenbahngesellschaft (LZEG, 1845, 121); Chemnitz-Riesaer Eisenbahngesellschaft (CREG, GVOBl 1845, 155). Von allen anderen Gesellschaften werden zumeist nur kurze Auszüge aus den Satzungen publiziert: Regelmäßig die Vorschriften über die Verjährung von Dividendenansprüchen und über das Verfahren zur Kraftloserklärung verlorengegangener Aktien. 188 So war z.B. Gustav Harkort nicht nur Vorsitzender des Direktoriums der LDEC, sondern u.a. auch Großaktionär der Pfaffendorfer Kammgarnspinnerei und des Zwickauer Steinkohlebauvereins. Sein Direktionskollege bei der LDEC Albert Dufour-Feronce war ebenfalls an der Pfaffendorfer Kammgarnspinnerei wesentlich beteiligt und gründete zudem u. a. die Lugau-Niederwürschnitzer Steinkohle AG sowie eine Bergbaugesellschaft in Arnstadt (Thüringen). (Vgl. zum Wirken von Harkort und Dufour-Feronce
B. Statutenpraxis
119
enthalten, die in der damaligen sächsischen Aktienpraxis verbreitet Verwendung fanden. Ohnehin fällt auf — wie sogleich im Einzelnen zu zeigen sein wird —, dass in Sachsen die „Bandbreite" der anzutreffenden organisationsrechtlichen Vorschriften bedeutend enger als in Preußen ist. Zum einen ist dies gewiss auf die noch intensiveren personellen Verflechtungen in der sächsischen Gründungspraxis zurückzuführen, zum anderen wirkt auch das Vorgehen der Konzessionsbehörden auf eine Angleichung hin: Nach dem Scheitern des Aktiengesetzentwurfes entwirft die Verwaltung nämlich Musterstatuten, die den um eine Bestätigung nachsuchenden Gesellschaften vorab zur Verfügung gestellt werden 1 8 9 . Darüber hinaus lassen sich auch im Königreich Sachsen ganz konkrete Eingriffe in die Binnenorganisation der Gesellschaften nachweisen. So heißt es z. B. in einer die Sächsisch-Schlesische Eisenbahngesellschaft (SSEG) betreffenden Erklärung der sächsischen Regierung 1 9 0 : „Die innere Organisation des Actienvereins ist Sache des demnächst zu entwerfenden und vorzulegenden Gesellschaftsstatuts. Es wird jedoch in dieser Hinsicht im Voraus bestimmt: ...". Dass die Regierung in ihrer Erklärung verlangte, ein Direktionsmitglied der SSEG direkt ernennen zu können, ist noch ohne weiteres verständlich, denn der Staat hatte angekündigt, ein Drittel der Aktien zu übernehmen. Sie schrieb darüber hinaus der Gesellschaft aber u. a. auch vor, die Direktion habe aus insgesamt drei Mitgliedern und einem Stellvertreter zu bestehen; die nicht vom Staat ernannten Direktoren seien zudem vom Ausschuss (also nicht von der Generalversammlung) zu wählen. Bei sämtlichen sächsischen Gesellschaften, deren Statuten publiziert werden, berechtigt schon der Besitz einer einzigen Aktie nicht nur zur Teilnahme an der Generalversammlung, sondern - insoweit abweichend von der preußischen Praxis - zudem zur Beteiligung an allen Abstimmungen. Beim Besitz mehrerer Aktien ergibt sich auch hier die jeweilige Stimmberechtigung aus einem abgestuften System; maximal 10 Stimmen kann ein einzelner Aktionär ausüben 1 9 1 . Als es im Jahr 1842 bei der Sächsisch-Bayerschen Eisenbahncompagnie zur ersten staatlichen Beteiligung kommt, da schlägt sich diese sogleich in einer gesonderten Regelung des Stimmrechts nieder: Der königlich sächsischen Regierung stehen immer 40 und der von Sachsen-Altenburg 10 Stimmen zu 1 9 2 . Später - bei SSEG, LZEG und CREG - übernimmt man insoweit weitgehend das preußische Vorbild (vgl. II.5). Auch die Generalversammlungen der sächsischen Aktiengesellschaften fassen ihre Beschlüsse grundsätzlich mit der Mehrheit der anwesenden Aktionäre; die Satzungen der Eisenbahngesellschaften stellen erhöhte Anforderungen nur an den Auflösungsbeschluss: Insoweit muss jeweils eine bestimmte Anzahl nur Beyer, Anfänge, S. 105 ff.) Vorsitzender des Ausschusses war sowohl bei der LDEC als auch bei der Leipziger Bank August Otearius. 189 Martin, VSWG 56 (1969), 499, 509; vgl. auch Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 88. 190 Vgl. § 13 der Erklärung der Königlich Sächsischen Regierung vom 20.9.1843 über die Bedingungen ihrer Mitwirkung bei dem Sächsisch-Schlesischen Eisenbahnunternehmen, GVOB1 1844, 265. 191 Bei der LDC lag die Höchstgrenze schon bei 4 Stimmen. 192 § 49 SBEC. Beide Regierungen hatten zusammen ein Viertel des Stammkapitals von insgesamt 6 Mio. Talern gezeichnet. Da schon 251 Aktien zu 100 Talern 10 Stimmen gewährten, war bei der SBEC auch das Stimmrecht des Staates trotz einer gewissen Privilegierung noch stark eingeschränkt.
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§ 3 Konzessionierte
Gesellschaften auf Aktien
von Aktien in der Versammlung vertreten sein; zudem bedarf der Beschluss einer 3/4-Mehrheit193. Sieht man von der schon 1827 konzessionierten Leipziger Discontocasse ab, so besitzen alle Gesellschaften an Organen außer der Generalversammlung noch jeweils einen Ausschuss und ein Direktorium 1 9 4 . Alle Satzungen sind bemüht, die Zuständigkeit der einzelnen Organe voneinander abzugrenzen; dabei werden immer auch der Generalversammlung verschiedene Kompetenzen zugeordnet. Bei sämtlichen Eisenbahngesellschaften findet sich insoweit ein nahezu wortgleicher Katalog 1 9 5 . Ihre Generalversammlungen haben den jährlichen Rechnungsabschluss zu genehmigen, die Mitglieder des Ausschusses zu wählen 1 9 sowie über Satzungsänderungen 197 , die Auflösung und über Anträge einzelner Aktionäre zu beschließen. Auch Ausschuss und Direktion haben das Recht, Angelegenheiten zur Beratung vor die Generalversammlung zu bringen — die Statuten von SSEG und LZEG schreiben zudem vor, Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen beiden Organen seien von der Generalversammlung zu entscheiden 198 . Dagegen wird in Sachsen - anders als bei den ostelbisch-magdeburger Bahnen - nirgends die Anlage von Zweig- und Verbindungsbahnen definitiv in die Zuständigkeit der Generalversammlung gestellt. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass die Satzungen der sächsischen Gesellschaften ausnahmslos einen sehr eng gefassten Unternehmensgegenstand enthalten und zwar ohne jede Erweiterungsklausel 199 . Geplante Zweigbahnen werden dabei schon erwähnt 2 0 0 . Ohnehin erreicht man mit einer Ferneisenbahn in Sachsen recht schnell die Landesgrenzen; eine Fortführung der Stre-
193 Bei der Leipziger Bank (§ 74) unterliegen auch Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen und die Verlängerung der zunächst auf 10 Jahre begrenzten Dauer der Gesellschaft qualifizierten Beschlussanforderungen (Anwesenheit mindestens eines Viertels der Aktionäre; Vertretung mindestens eines Viertels des Aktienkapitals). In späteren Nachträgen zum Statut werden diese allerdings immer weiter herabgesetzt, vgl. Hocker, Statuten, S. 316, 319. Unverändert bleiben die hohen Anforderungen an einen Beschluss zur vorzeitigen Auflösung (§ 115: „auf den Antrag von drei Viertheilen der in einer Generalversammlung anwesenden Actionäre, die auch Besitzer von % der Bankactien sein müssen"). Das Statut der Leipziger Discontocasse hob nur die Entscheidung über die Abberufung eines Direktors heraus — diese wurde mit 2/3 der anwesenden Stimmen getroffen (§ 20).
Bei der Discontocasse fehlt der Ausschuss. § 14 LDEC; § 51 SBEC; § 50 SSEG; § 47 LZEG; § 47 CREG. 196 Allerdings wählt die Generalversammlung der Eisenbahngesellschaften nirgends alle Ausschussmitglieder; ein Drittel oder ein Viertel dieser gelangen durch Kooptation in den Ausschuss. 197 Zumeist wird in einer Vorschrift außerhalb des Katalogs ausdrücklich betont, auch Abänderungen der Statuten, die lediglich in „zeitweiligen Ausnahmen" bestünden, bedürften der Zustimmung der Generalversammlung; vgl. § 98 SBEC, § 98 SSEG, § 94 LZEG, § 91 CREG. 198 § 50 SSEG; § 47 LZEG. 199 Lediglich in § 1 der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie ist — etwas unbestimmt — von einer möglichen „Verlängerung bis zur Landesgrenze" die Rede. Diese Vorschrift führt jedoch nicht zu einer Ausschaltung der Generalversammlung. Eine Versammlung vom 30.7.1844 beschließt, auf den Bau einer Bahn von Dresden zur böhmischen Grenze zu verzichten; später entstehen Zweigbahnen immer auf der Grundlage von Generalversammlungsbeschlüssen; vgl. A. Wiedemann, Sächsische Eisenbahnen, S. 39, 77 f., 117 ff. 200 In § 1 des Statuts der BSEC erscheint z. B. die nur etwa 9 km lange Zweigbahn von Werdau nach Zwickau. 194 195
B. Statutenpraxis
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cke über diese hinaus setzt langwierige zwischenstaatliche Verhandlungen voraus: Keiner sächsischen Gesellschaft steht mithin ein annähernd so großes Hinterland wie z. B. der Berlin-Stettiner Eisenbahngesellschaft zur Verfügung. Gewichtiger dürfte jedoch ein weiterer Unterschied sein: Nirgends wird bei den sächsischen Gesellschaften die Entscheidung über Kapitalerhöhung und Aufnahme größerer Anleihen ausdrücklich in die Kompetenz der Generalversammlung gestellt. Entsprechende Vorschriften werden keinesfalls nur einfach „vergessen" — gerade bei den älteren Gesellschaften existieren nämlich Regelungen, welche insoweit Direktion und Ausschuss sehr weitgehend ermächtigen. Recht lapidar heißt es beispielsweise in § 60 des Statuts der Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie: „Sollte das, nach § 2 bestimmte Actiencapital ... zur vollständigen Herstellung und Betriebe der Eisenbahn nicht hinreichen, so hat das Direktorium, unter Zustimmung des Ausschusses, den noch fehlenden Bedarf 1.) durch Anleihe, oder 2.) durch Ausgabe neuer Actien, und, nach Befinden durch beides aufzubringen. Die Totalsumme der Anleihe darf den dritten Theil des wirklich eingezahlten Actiencapitals nicht übersteigen." 201 Auch in der Satzung der Sächsisch-Bayerschen Eisenbahncompagnie findet sich — im langen Katalog der Direktionskompetenzen — die Vorschrift, die Direktion könne „nach Bedürfniß" unter Zustimmung des Ausschusses (und Genehmigung der beteiligten Regierungen) Darlehen bis zur Höhe eines Drittels des Grundkapitals aufnehmen (§ 89 lit. c) . Die Statuten jüngerer Gesellschaften übernehmen dann zwar mit dem gesamten Katalog auch diese Vorschrift nahezu wortwörtlich; die Ermächtigung wird jedoch in ihrem Umfange teilweise kräftig - auf ein Zwölftel des Grundkapitals — zurückgeschnitten 203 . Bei den sächsischen Banken ist die Aufzählung der Generalversammlungskompetenzen noch etwas länger als bei den Bahngesellschaften ; dies ist schon deshalb besonders hervorzuheben, weil sich die schon 1827 konzessionierte Discontocasse insoweit erkennbar von den anderen Gesellschaften jener Zeit (vgl. oben unter I.) abhebt. Zuständig sind die Generalversammlungen von Leipziger Bank und Discontocasse zunächst für all jene Maßnahmen, die auch bei den Bahngesellschaften Angelegenheit der Generalversammlung sind 205 . Darüber hinaus wird bei beiden Gesellschaften noch 201 Der Gesellschaft wird die Konzession allerdings nur unter dem Vorbehalt erteilt, Finanzierungsmaßnahmen nach § 60 des Statuts bedürften der Einwilligung des Innenministers; vgl. Dekret vom 20.3.1837, GVOB1. 1837, 26. Tatsächlich muss die Gesellschaft noch im Jahr 1837 ihr Stammkapital von 1,5 auf 4,5 Mio. Taler verdreifachen, was einen erheblichen Kurssturz der Aktien zur Folge hat, vgl. Heyer, Anfänge, S. 162 f.; A. Wiedemar/n, Sächsische Eisenbahnen, S. 15 ff. 202 Da auch bei der SBEC die Baukosten viel zu niedrig angesetzt worden sind — allein der Bau des Göltzschtal-Viaduktes verschlingt mehr als 2 Mio. Taler - sprengt der Kapitalbedarf sehr schnell selbst die Grenzen dieser weiten Ermächtigung. Die SBEC kann ihre finanziellen Schwierigkeiten nicht bewältigen und wird deshalb schon am 1.4.1847 vom sächsischen Staat übernommen; vgl. A. Wiedemann, Sächsische Bahnen, S.23ff.; 41 ff. 203 Vgl. § 88 lit. c SSEG; § 84 lit. c LZEG; weniger einschneidend (auf ein Viertel) die Einschränkung in § 8 4 lit. cCREG. 204 Vgl. § 69 LB; § 18 LDC. 205 Da es bei der Discontocasse keinen Ausschuss gibt, werden dort die Direktoren von der Generalversammlung gewählt und abberufen.
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§ 3 Konzessionierte
Gesellschaften auf Aktien
ausdrücklich die Kapitalerhöhung in die Kompetenz der Generalversammlung gestellt sowie die Verlängerung der — zunächst auf 5 ( L D C ) bzw. 10 (LB) Jahre begrenzten Dauer der Bank ; bei der Discontocasse zudem noch die „Ergänzung und Abänderung früherer Beschlüsse" sowie „Streitigkeiten über Ansprüche einzelner Actionärs an die Anstalt". Bei der Leipziger Bank bedarf schließlich die Bestimmung des Gewinnanteils, der dem vollziehenden Direktor zukommen soll, der Zustimmung der Generalversammlung (§ 101).
2. Hessische Staaten Auch im Kurfürstentum und im Großherzogtum Hessen sowie im Herzogtum Nassau und in der Freien Stadt Frankfurt entstehen schon in den Jahren 1838 bis 1845 Aktiengesellschaften zum Bau und Betrieb von Eisenbahnen 2 0 7 . Bei einigen dieser Gesellschaften werden nicht nur die Konzession, sondern ebenfalls die Statuten in den Gesetz- bzw. Regierungsblättern oder in Sammelwerken publiziert 2 0 8 . Die Satzungen der in den Jahren 1844/45 bestätigten drei südhessischen Aktiengesellschaften (RgEG, SAG, FHEG) stimmen in ihrem wesentlichen Regelungsgehalt weitgehend überein — sämtliche Konzessionen werden vom gleichen Frankfurter Bankhaus beantragt 2 0 9 . Alle drei Gesellschaften sollen — verglichen mit den großen preußischen und sächsischen Bahnen oder mit der F W N B — nur ein kleineres Unternehmen betreiben 2 1 0 ; auch ihre Satzungen haben einen vergleichsweise geringen Umfang. Letzteres ist schon allein darauf zurückzuführen, dass die südhessischen Gesellschaften außer der Generalversammlung nur noch ein Organ besitzen 2 1 1 . Was die Stellung der einzelnen Aktionäre und der Generalversammlung anbetrifft, so bleiben die Satzungen jedoch nicht hinter der Regelungstiefe preußischer und sächsischer Statuten zurück: Die Teilnahme an der
§ 25 LDC; § 69 Ziffer 7 LB. Zur Frühzeit von Eisenbahnpolitik und -bau in diesen Staaten siehe vor allem Brake, Die ersten Eisenbahnen in Hessen, 1991, passim. 208 Rheingauer Eisenbahngesellschaft (RgEG, VOB1. Nassau, 1845, 71); Sodener Actien-Gesellschaft (SAG, VOB1. Nassau, 1845, 103); Frankfurt-Hanauer-Eisenbahn-Gesellschaft (FHEG, das Statut ist abgedruckt bei: v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 1760ff.); Friedrich-Wilhelms-Nordbahn (FWNB, abgedruckt a.a.O., S. 1736ff.). Auszugsweise wird bei v.Reden, a.a.O., 1/1, S. 24ff., das Statut der schon Mitte 1838 konzessionierten Taunuseisenbahn von Frankfurt nach Wiesbaden (TaEB) abgedruckt. 209 Die Konzessionen für RgEG und SAG werden ausschließlich den Gebrüdern Bethmann erteilt; an der Gründung der FHEG sind zudem noch die Häuser von Bernus du Fay und Nikolaus Schmidt beteiligt. Diese drei Banken betreiben auch die Errichtung der FWNB gemeinsam. 210 Die SAG ist keine reine Eisenbahngesellschaft: Sie soll nicht nur die Strecke von Höchst nach Soden betreiben, sondern in Soden zudem ein Kurhaus und eine Badeanstalt, ferner die dortige Mineralwasserquelle ausbeuten. Die zum Bau einer Bahn von Biebrich nach Rüdesheim gegründete RgEG scheitert sehr rasch - schon im Oktober 1846 wird sie aufgelöst; hierzu Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 81 ff. 211 Die jeweilige Bezeichnung lautet: SAG — Vorstand; RgEG und FHEG — Verwaltungsrat. In allen drei Gesellschaften wird daneben ein Ausschuss zur Prüfung der Jahresrechnung gewählt. Im Statut der FHEG findet sich zwar ein Abschnitt zur „Direktion" (§§ 44ff.). Unter diesem Titel werden jedoch nur die Vorschriften über einen kaufmännischen und einen technischen Oberbeamten zusammengefasst. 206 207
B.
Statutenpraxis
123
Generalversammlung setzt immer den Besitz mehrerer Aktien voraus 2 1 2 ; alle teilnahmeberechtigten Aktionäre sind dann aber sogleich stimmberechtigt und können zudem in den Verwaltungsrat bzw. die Direktion gewählt werden 2 1 3 . Auch bei ihnen ergibt sich die jeweilige Stimmberechtigung aus einem abgestuften System; kein Aktionär kann mehr als 10 Stimmen ausüben 2 1 4 . Es existieren weder erhöhte Stimmberechtigungen für Staat oder Kommunen, noch Ernennungs- oder Vorschlagsrechte. Ausdrücklich ist bestimmt, die Generalversammlung fasse ihre Beschlüsse beim Fehlen abweichender statutarischer Vorschriften — mit der Mehrheit der vertretenen Stimmen 2 1 5 . Der besonderen Hervorhebung wert ist die Aufzählung derjenigen Gegenstände, die man „zur Berathung und Beschlußnahme" der Generalversammlung zuordnet; sie geht deutlich über den „Mindestkatalog" (Wahl des Verwaltungsrates, Satzungsänderung, Auflösung) hinaus . Erwähnt werden zudem Jahresbericht und -rechnungen, Festlegung der Dividende, Zuführung zum und Verwendung des Reservefonds, Kapitalerhöhung und Anleihenaufnahme sowie die „Erweiterung der Unternehmung" 2 1 7 . Der letzte Punkt wird in allen Statuten noch näher ausgeführt: „Erweiterung der Unternehmung durch Anlegung von Zweigbahnen, oder Verbesserung der bestehenden Anlagen und Bauten" 2 1 8 . D a sich diese Bestimmungen nahezu wortwörtlich schon im Statut der 1838 konzessionierten Taunuseisenbahn finden lassen, scheint die Statutenpraxis im südhessischen Bereich, was die Stellung der Generalversammlung anbetrifft, ohne direkte Einflüsse aus Preußen oder Sachsen vergleichbare Regelungen hervorzubringen 2 1 9 : Auch hier wird erkennbar versucht, die Entscheidung aller für das Schicksal der Gesellschaft wichtigen Fragen der Beratung und Beschlussfassung durch
212
N a c h § 2 8 S A G f ü n f Aktien; nach § 2 7 R g E G u n d § 2 8 F H E G j e zehn. S o a u c h § 3 4 T a E B .
213
G e r i n g f ü g i g abweichend insoweit nur die S A G , bei der zwar schon f ü n f Aktien zur T e i l n a h m e u n d
S t i m m a b g a b e berechtigten, j e d o c h die Wahl in den Vorstand — wie bei d e n anderen Gesellschaften - den Besitz v o n zehn Aktien voraussetzt (§ 3 4 ) . 214
§ 27 RgEG; § 28 SAG; § 28 F H E G ; § 34 TaEB.
215
§ 3 1 R g E G ; § 3 2 S A G ; § 3 4 F H E G . Qualifizierte Beschlussvoraussetzungen galten für die „Erwei-
terung der U n t e r n e h m u n g " , K a p i t a l e r h ö h u n g u n d A n l e i h e n a u f n a h m e , S a t z u n g s ä n d e r u n g sowie Auflösung. D i e A n n a h m e des Beschlusses setzte in diesen Fällen jeweils eine % - M e h r h e i t voraus, bei der Aufl ö s u n g m u s s t e n z u d e m n o c h zwei Drittel der Aktien repräsentiert sein; hier gewährte jede Aktie eine S t i m me. Vgl. § 3 3 R g E G ; § 3 3 S A G ; § 3 6 F H E G . 216
V g l . § 3 2 R g E G ; § 3 3 S A G ; § 3 6 F H E G ; § § 4 4 f. T a E B .
217
§ 3 6 F H E G u n d § 3 3 T a E B erwähnen ferner „die A b ä n d e r u n g der T a r i f e " .
218
S o § 3 2 R g E G . In § 3 3 S A G wird die Anlage v o n Z w e i g b a h n e n nicht erwähnt; in § 3 6 F H E G er-
scheint dagegen n o c h die A n l a g e des 2. Gleises. 219
H i e r f ü r spricht auch, dass bei der T a u n u s e i s e n b a h n die A u f z ä h l u n g der G e g e n s t ä n d e , a u f die sich
die „ W i r k s a m k e i t der G e n e r a l - V e r s a m m l u n g " erstrecken soll (§ 4 4 ) , zwei Punkte enthält, die in d e n Satzungen der ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie nicht erscheinen: „die B e r a t h u n g u n d E n t s c h e i d u n g über die L e g i t i m a t i o n der T h e i l n e h m e r in zweifelhaften Fällen", sowie „die G e n e h m i g u n g u n d N o t a m i n i rung der J a h r e s r e c h n u n g über E i n n a h m e u n d A u s g a b e , nach vorhergegangener P r ü f u n g durch d e n Ausschuß". V ö l l i g a u t o n o m vollzog sich aber auch die E n t w i c k l u n g in H e s s e n nicht: D a s aus Vertretern der Bankhäuser bestehende erste Frankfurter E i s e n b a h n k o m i t e e hatte schon 1 8 3 5 V e r b i n d u n g zu anderen K o m i t e e s a u f g e n o m m e n . V g l . v.Reden, Eisenbahnen D e u t s c h l a n d s 1/2, S. 1 6 7 1 zur E n t s t e h u n g der T a u nuseisenbahn.
124
§3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien
die Generalversammlung vorzubehalten. Allerdings ist auf einen Aspekt aufmerksam zu machen, der dies Urteil sogleich relativiert: Alle skizzierten Vorschriften gelten nur für den Bereich der sogenannten „definitiven" Verwaltung. Für die „provisorische" Verwaltung, die jeweils bis zur vollständigen Beendigung der Bauarbeiten andauert, finden dagegen Sonderregelungen Anwendung. Insoweit konzentriert sich die Wahrnähme sämtlicher Kompetenzen ausschließlich auf den von einer provisorischen Generalversammlung gewählten Bauausschuss 220 bzw. auf die Konzessionäre 221 , d.h. auf die gründenden Bankhäuser. Gerade in der häufig sehr kritischen Bauphase bleiben die Aktionäre mithin von jeglicher Mitwirkung in den Gesellschaftsangelegenheiten ausgeschlossen 222 . Obwohl auch die Gründung der kurhessischen Friedrich-Wilhelm-Nordbahn (FWNB) von den schon mehrfach erwähnten Frankfurter Bankhäusern betrieben wird, unterscheidet sich die Satzung der FWNB erheblich von denen der südhessischen Gesellschaften. Dafür stimmt das FWNB-Statut in weiten Teilen nahezu wortwörtlich mit dem Statut einer anderem Gesellschaft überein: der in Preußen konzessionierten Thüringischen Eisenbahn (TEG). Die FWNB soll die durch die TEG errichtete Bahn (Halle - Naumburg - Erfurt - Eisenach - Gerstungen) über Kassel zur westfälischen Grenze weiterführen; da scheint es den Gründern offenbar nahe zu liegen, auch gleich das TEG-Statut zu übernehmen. Die Satzung der FWNB belegt also, dass die statutarische Praxis bei den preußischen Eisenbahn-Aktiengesellschaften sogar unmittelbar in andere deutsche Staaten ausstrahlt; jedoch: Die TEG gehört zu den Gesellschaften, an denen sich der preußische Staat schon bei der Gründung als Gesellschafter beteiligt. Ihre Satzung ist völlig auf diese staatliche Beteiligung zugeschnitten (vgl. unter II.5). In Kurhessen dagegen verweigert die Regierung den Privatbahnen jegliche finanzielle Unterstützung , dennoch möchte man offenbar nicht auf all jene Rechte verzichten, die das TEG-Statut der preußischen Regierung (und denen von Sachsen-Weimar-Eisenach sowie von Sachsen-Coburg-Gotha) einräumt. Obwohl der kurhessische Staat zunächst nicht eine einzige Aktie besitzt 224 , lässt er sich das statutarische Recht einräumen, drei von insgesamt sieben Direktionsmitgliedern, darunter den Vorsitzenden der Direktion und dessen Stellvertreter zu ernennen (§§ 51, 56) 225 , wobei diese Direktoren gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehören sollen (§41). Doch damit nicht genug: Die kurhes-
220
Vgl. § § 24 f. RgEG. So nach § § 2 5 f. SAG; § § 2 3 f. F H E G . 222 Die Aktien der F H E G sind allerdings erst nach der Errichtung der Bahn ausgegeben worden. W ä h rend des Baus hatte die Gesellschaft also nur drei Gesellschafter, nämlich die konzessionierten Bankhäuser. Vgl. Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 119. Über die provisorische Verwaltung der Taunuseisenbahn, bei der die erste Generalversammlung ebenfalls erst nach Bauende stattfand, berichtet v.Reden (Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 1673): „Dieses hatte zur Folge, daß die Aktionäre, welchen gar keine Mittheilungen gemacht wurden, ungerechnet des möglichst beschleunigten Vorschreitens des Baues, z u m Theil mißtrauisch u n d übellaunig wurden. Diese Verstimmung theilte sich dem Kourse der Aktien mit u n d machte sich in öffentlichen Blättern Luft." 223 Vgl. Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 129. 224 § 16 des Statuts regelt ein besonderes Amortisationsverfahren. Danach soll ein Drittel des über 6 % hinausgehenden Gewinnes für den Ankauf von Aktien zugunsten des Staates verwandt werden. 221
B. Statutenpraxis
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sische Regierung beansprucht auch sämtliche Eingriffsrechte, die in Preußen mit der Gewährung einer staatlichen Zinsgarantie verbunden werden (vgl. unter II.5) , ohne selbst allerdings den FWNB-Aktionären eine Zinsgarantie zu bieten. Selbst damit wähnt man sich aber noch nicht am Ziel: Die Regierung sieht es als notwendig an, einen überwiegenden Einfluss auf die Direktion zu gewinnen. Man fordert von den Gründern Listen der stimm- und passiv wahlberechtigten Aktionäre an 227 . Bankier Bernus du Fay zeigt sich kooperationsbereit und bietet der Regierung die Ausstattung ihrer Wunschkandidaten mit den nötigen Aktien an . Das Zusammenspiel von gesellschaftsrechtlich vermittelter (Benennungsrechten) und faktischer Einflussnahme führt schließlich dazu, dass vier der sieben Direktionsmitglieder Staatsbeamte sind. In der Konsequenz wird die Friedrich-Wilhelms-Nordbahn damit zur ersten Eisenbahn-Aktiengesellschaft, die trotz einer rein privaten Finanzierung de facto sehr weitgehend staatlich verwaltet wird. Doch bleibt diese Diskrepanz nicht lange unbemerkt 229 : Die noch Ende Oktober 1844 weit überzeichnete Aktie der FWNB sackt innerhalb weniger Tage auf deutlich unter pari ab; zudem beginnen sogleich Auseinandersetzungen zwischen der staatlich dominierten Direktion und Teilen der Aktionäre. Kritisiert wird - ohne Angabe von Details - das Statut der FWNB, welches vor der Aktienzeichnung nur auszugsweise und auch noch nicht in der endgültigen Fassung publiziert worden sei 230 . Weil dies Vorgehen einen Vertrauensverlust bewirkt habe, wird wie einige Jahre zuvor bei der Rhein-Weser-Bahn (vgl. unter II.4) - dazu aufgerufen, keine weiteren Raten auf die Aktien einzuzahlen 231 . Die Direktion hält dem entgegen, man dürfe nicht das Statut zum Sündenbock machen, denn dies enthalte nichts, was sich nicht auch in anderen Satzungen finde232; schuld am Einbruch der Aktien seien
225 Zu drei staatlich ernannten Direktoren ist es bei der TEG wohl nur gekommen, um jedem der drei an dieser beteiligten Staaten die Benennung eines Mitglieds der Direktion zu ermöglichen. Ansonsten begnügt sich in Preußen und Sachsen der Staat damit, einen Direktor zu stellen. 226 An etlichen Stellen gehen die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten bei der FWNB sogar noch weit über das bei der TEG erreichte Ausmaß hinaus. So ist dem Staat nach § 58 TEG die Bestätigung aller höheren technischen und kaufmännischen Angestellten vorbehalten, bei Ablehnung der von der Gesellschaft benannten kann er eigene Kandidaten durchsetzen. Die Gründer der FWNB übernehmen diese Vorschriften wortwörtlich (§ 64), fügen aber noch einen weiteren Satz an: „Auch ist, wenn von der Direktion eine Person bei der Bahn angestellt worden wäre, welche der kurfürstl. Regierung nicht genehm wäre, diese Person, auf deshalbige Aufforderung der Kurf. Regierung, wieder zu entlassen." 227 Hierzu Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 125 f. Die Stimmberechtigung setzt den Besitz von fünf, die Wahl in den Verwaltungsrat zehn und die in die Direktion zwanzig Aktien voraus (§§ 32, 42, 52). 228 Das Gründerkonsortium soll darauf gehofft haben, bei entsprechendem Wohlverhalten auch die Finanzierung der staatlichen Main-Weser-Bahn abwickeln zu dürfen; so Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 117f. 229 Vgl. Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 126 f. 230 Angedeutet wird dies auch in einem Schreiben, das Berliner Aktionäre am 28.11.1844 an die FMNB-Direktion richteten (nachgedruckt bei v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 1750f.): „Wenn gleich nicht zu leugnen ist, daß mancher Punkt in den Statuten zu Befürchtungen Anlaß geben könnte ...". 231 Vgl. den bei Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 126, Anm. 64, wiedergegebenen Zeitungsartikel. 232 So auch das bei v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 1752ff., abgedruckte Antwortschreiben der Direktion an die Gruppe Berliner Aktionäre.
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§3 Konzessionierte
Gesellschafien auf Aktien
dagegen jene Hasardeure, die - ohne sich wirklich um statutarische Vorschriften zu kümmern - „blind" auf eine staatliche Zinsgarantie und auf ein rasches Steigen der Aktien spekuliert hätten 2 3 3 . Wenn auch Einzelheiten der damaligen Auseinandersetzungen heute nicht mehr zu klären sind, so belegen die Vorgänge doch, dass sich in der Praxis des Aktienwesens offenbar langsam ein Verständnis für grundlegende Zusammenhänge der verfassungsmäßigen Ordnung dieser Verbände herauszubilden begann: Selbst unter einem Konzessionssystem, das die Durchführung von Maßnahmen wie Satzungsänderungen und Kapitalerhöhungen zumeist an die Genehmigung staatlicher Behörden band, hatten über die für das Schicksal einer Gesellschaft wichtigsten Fragen zunächst deren Mitglieder zu entscheiden. Weiterreichende Eingriffe wurden nur akzeptiert, wenn im Gegenzug hierfür eine materielle Kompensation gewährt wurde. Die FWNB-Direktion hatte an sich nicht unrecht: Wesentliche Bestimmungen des Statuts sind so ungewöhnlich nicht; man vergleiche nur die Satzung der Thüringischen Eisenbahn. Dort jedoch gestalten sie die Rechtsstellung eines Großaktionärs aus, der den übrigen Gesellschaftern eine Mindestverzinsung deren Investments garantiert. Bei der F W N B dominiert mit dem kurhessischen Staat dagegen ein Nichtgesellschafter und zwar ohne jede Kompensation 2 3 4 . Die weitere Entwicklung der Gesellschaft bestätigt jedenfalls die bei ihrer Gründung geäußerten Befürchtungen 2 3 5 : Im Jahr 1848 droht die Fertigstellung des Baus zu scheitern, da die Gesellschaft nicht nur überschuldet, sondern auch mehrfach de facto zahlungsunfähig ist. Selbst Direktion und Verwaltungsrat klagen nun über tiefe Eingriffe in die Autonomie der Gesellschaft, welche zu zusätzlichen Aufwendungen gefuhrt hätten und daher eine Mitschuld an der wirtschaftlichen Situation trügen. Staatliche Hilfen ermöglichen die vollständige Eröffnung der Strecke, doch bleibt auch dann die erhoffte Rentabilität aus
233 Von einer Entscheidung des OAG Dresden in Sachen FWNB wird im Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle 6 (1846), S. 201, berichtet: Die Abnahme und Bezahlung von Aktien war mit dem Argument verweigert worden, die schließlich zustande gekommene Gesellschaft sei nicht die ursprünglich projektierte. Das OAG vermochte dem nicht zu folgen: Beklagter habe durch den Ankauf von Aktien einer Eisenbahn, die noch nicht konzessioniert, ja noch nicht einmal definitiv beschlossen gewesen sei, stillschweigend zu erkennen gegeben, dass „er sich den Chancen habe unterwerfen wollen, welche die nähere Bestimmung und Ausfuhrung des Unternehmens für die dabei Betheiligten hervorbringen mochte." 234 Gewiss ist es möglich, dass sich die Mehrheit der Zeichner nicht wirklich an Einzelheiten der statutarischen Ordnung stieß, sondern vielmehr auf eine Zinsgarantie spekuliert hatte (so auch Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 127). Angesichts der damaligen politischen Verhältnisse war es aber gewiss sinnvoller, nicht offen einen Rückzug des kurfürstlichen Staates aus der Gesellschaft, sondern stattdessen eine gewisse finanzielle Kompensation zu fordern. Zudem spricht einiges dafür, dass die Fehlspekulation von den - die Statuten entwerfenden - Gründern bewusst provoziert wurde: Sie übernahmen eine verfassungsmäßige Ordnung, die bis dahin nur bei jenen Aktiengesellschaften Verwendung gefunden hatte, bei denen es zu einer staatlichen Beteiligung und zur Gewährung einer Zinsgarantie gekommen war, und veröffentlichten das Statut vor der Zeichnung nur auszugsweise. Bernus du Fay rühmte sich jedenfalls in einem Schreiben an das kurhessische Innenministerium, er habe die Gesellschaft zu Bedingungen zustande gebracht, die weder Preußen noch Sachsen zu stellen wagten; wiedergegeben bei Brake, a.a.O., S. 127, Anm.
66. 235
Zum Folgenden ausführlich Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 128 ff.
B. Statutenpraxis
3.
Übrige
127
Staaten
S o w e i t a u s weiteren d e u t s c h e n E i n z e l s t a a t e n v o n d e n in dieser Z e i t k o n z e s s i o n i e r t e n A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n S t a t u t e n ( v o l l s t ä n d i g o d e r a u s z u g s w e i s e ) zur V e r f ü g u n g stehen, h a n d e l t es sich bei d e n G e s e l l s c h a f t e n ebenfalls z u m e i s t u m s o l c h e z u m B a u u n d B e trieb v o n E i s e n b a h n e n . Z w a r w e r d e n n a c h w e i s b a r a u c h a n d e r e A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n geg r ü n d e t , in d e n G e s e t z - , R e g i e r u n g s - o d e r V e r o r d n u n g s b l ä t t e r n teilt m a n a b e r - w e n n ü b e r h a u p t — n u r k u r z m i t , d i e b e t r e f f e n d e G e s e l l s c h a f t h a b e eine „ ö f f e n t l i c h e A n e r k e n n u n g " e r f a h r e n o d e r ein „ P r i v i l e g i u m " e r h a l t e n 2 3 7 ; sehr selten f i n d e t sich eine vollständ i g e P u b l i k a t i o n der S a t z u n g 2 3 8 . A n E i s e n b a h n a k t i e n g e s e l l s c h a f t e n entsteht bis g e g e n 1 8 4 5 u . a . n o c h d i e H a m b u r g - B e r g e d o r f e r E i s e n b a h n 2 3 9 , in Ö s t e r r e i c h d i e N o r d - u n d die Wien-Raab-Bahn
, sowie im Königreich Bayern die schon a m 1 9 . 2 . 1 8 3 4 konzes-
sionierte N ü r n b e r g — F ü r t h e r Eisenbahn
, d i e M ü n c h e n - A u g s b u r g e r u n d d i e Pfälzer L u d w i g s -
. A n E r e i g n i s s e n reich ist v o r a l l e m d i e kurze G e s c h i c h t e d e r M ü n c h e n -
2 3 6 Zwar zahlt die Gesellschaft ab 1852 Dividenden, doch bleiben die Ausschüttungen der FWNB weit hinter denen anderer Bahnen zurück: Bis 1867 durchschnittlich 2,26 %. Vgl. v.Mayer, Eisenbahnen, S. 280. 2 3 7 Vgl. nur die öffentliche Anerkennung der ,»Aktien-Gesellschaft ftir Neckar-Dampfschifffahrt", RB1 Württemberg 1841, 519, oder das „Privilegium ftir die Dampfboot-Actien-Gesellschaft zu Lindau", RB1 Bayern 1835, 841. Entsprechend wird zunächst auch bei der ersten deutschen Eisenbahn verfahren: „Privilegium für die Aktiengesellschaft zur Errichtung einer Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth", RB1 1834,169. 2 3 8 Im Regierungs-Blatt für das Königreich Bayern werden 1836, 147 ff., die Statuten der „Aktien-Gesellschaft für den bayerischen Verbindungscanal zwischen der Donau und dem Main" veröffentlicht und 1837 (Beilage zu Nr. 52) die der „Actiengesellschaft zum umfassenden Betriebe der königl. bayer. privilegirten Walzmühle". Nach Zulassung der Aachener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft: in Bayern publiziert man dort auch deren Satzung, RB1 1834, 278 ff. Zur Gründung dieser Gesellschaft, die schon im Juni 1825 vom preußischen König konzessioniert worden ist, siehe Sehrt, Niederrheinische Aktiengesellschaften, S. 19. 2 3 9 Die Sammlung der Verordnungen der freyen Hanse-Stadt Hamburg, 16. Band (1840/41), S. 73 ff, enthält allerdings nur die Konzession vom 25.5.1840 und nicht die Statuten. Diese sind auszugsweise nachgedruckt bei v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 30 f.; vgl. auch a.a.O., 1/2, S. 1778 ff. zur Entstehungsgeschichte der Bahn. 2 4 0 Bei v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 7 ff. werden die wichtigsten Satzungsvorschriften der beiden österreichischen Bahnen gegenübergestellt. Sie enthalten verschiedene Besonderheiten: So werden bei der Wien-Raab-Bahn zur Generalversammlung nur die 100 größten Aktionäre berufen, welche zudem österreichische Untertanen sein müssen; bei beiden Bahnen hat jeder Teilnehmer an den Generalversammlungen — unabhängig von der Höhe seines Aktienbesitzes — lediglich eine Stimme, die auch nur persönlich ausgeübt werden kann. 2 4 1 Die Statuten dieser Gesellschaft sind vom Königlichen Landrichter Wellmer entworfen und ohne Abänderungen von der Generalversammlung und der Genehmigungsbehörde akzeptiert worden. Wellmer hat sich nach seiner eigenen Aussage weder auf eine gerichtliche Praxis noch auf irgendwelche Muster stützen können. Mück, Deutschlands erste Eisenbahn, S. 69, 76. Ein Abdruck der ersten Satzung, die anderen Gesellschaften offenbar nicht zum Vorbild dient, findet sich a.a.O., Anhang, S. 13 ff Erst eine spätere Fassung wird im RB11839, Spalte 225, publiziert. 2 4 2 Die Errichtung dieser Gesellschaft zieht sich von 1837 an über nahezu ein Jahrzehnt hin. Beim Entwurf ihrer Statuten orientiert man sich an denen der Rheinischen Eisenbahn; vgl. Sturm, Eisenbahnen, S. 57 ff.
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§ 3 Konzessionierte Gesellschaßen auf Aktien
Augsburger Eisenbahn-Gesellschaft, die als einzige von fünf Ende 1835 in Bayern vorläufig bestätigten Bahngesellschaften ihr Projekt realisieren kann 2 4 3 : Schon beim Abfassen der Statuten konkurrieren zwei starke Aktionärsgruppierungen - eine aus Augsburg und eine aus München - miteinander: Im Dezember 1836 reicht man deshalb bei der Regierung gleich zwei Statutenentwürfe zur Bestätigung ein 244 . Die nach einjährigen Auseinandersetzungen schließlich genehmigten statutarischen Vorschriften regeln die innere Organisation durchaus mit der sächsischer und preußischer Eisenbahn-Aktiengesellschaften vergleichbar 245 ; wie bei den südhessischen Gesellschaften findet sich aber auch bei der MAEG eine gesonderte provisorische Verwaltung für die Bauphase (§§ 16 ff.). Für derartige Vorschriften hatten sich die Münchener stark gemacht, während die Augsburger darauf drangen, auch in der Bauphase jährliche Generalversammlungen durchzuführen, auf denen die Direktion Rechenschaft legen sollte: Zuvor hatten sich die Münchener bei der Festlegung des Verwaltungssitzes durchgesetzt (München) - ihr dominierender Einfluss auf die Direktion ist daher für die Augsburger absehbar gewesen. Die Konzessionsbehörde folgt im Ansatz den Vorstellungen der Münchener, versucht aber den Bedenken der Augsburger mit einer paritätischen Besetzung des provisorischen Verwaltungsrates, dem die Kontrolle der Direktion obliegt, Rechnung zu tragen (§ 17). Von der Zweckmäßigkeit dieser Lösung ist die Behörde offenbar selbst überzeugt, jedenfalls siedelt sie die Kompetenzen des Regierungskommissars primär auf der Ebene des Verwaltungsrates an (§ 15). Nach der Bestätigung der Gesellschaft zeigt sich bald, dass der Kommissar wie der ganze Verwaltungsrat weitgehend „in der Luft hängt", da der Rat mit seinen geringen Befugnissen keine wirksame Kontrolle der Direktion gewährleisten kann So stehen sich dann während der gesamten Bauphase auf der einen Seite eine recht eigenmächtig agierende Direktion und auf der anderen Seite eine große Gruppe von Aktionären, die sich jedes Einflusses auf das Schicksal der Gesellschaft beraubt fühlen, gegenüber. Immer wieder eskalierten Streitigkeiten zwischen Aktionären und der Verwaltung, zwischen Verwaltungsrat und Direktion, aber auch innerhalb dieser beiden Organe 247 . Im Sommer 1839 gerät die MAEG schließlich derart in Finanzierungs243 Während das Statut der München-Augsburger Eisenbahn-Gesellschaft (MAEG) im RB1 1837, Spalte 501, publiziert wird (nachgedruckt bei: Liebl, Privateisenbahn, S. 286 ff.), scheitern die Gesellschaften Augsburg-München, Nürnberg-Hof, Augsburg-Lindau und München-Salzburg jeweils in einer so frühen Phase, dass es nicht mehr zu einer Veröffentlichung der Satzung im Regierungsblatt kommt. Auch der Nürnberg-Nordgrenze-Eisenbahngesellschaft, deren Statuten publiziert werden, RB1 1839, 313 ff., wird schon bald wieder die Konzession entzogen, da die Gesellschaft nicht fristgemäß mit dem Bau beginnen kann, vgl. RB1 1840, 966. Zur Entwicklung der bayerischen Privatbahnen bis gegen 1845 vgl. auch v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 2232 ff. 244 Ausführlich hierzu und zum Folgenden Liebl, Privateisenbahn, S. 122 ff. 245 Die bayerische Regierung orientierte sich bei der Ausgestaltung der Konzessionsbedingungen, insbesondere zur Entschädigung der Post, immer wieder an den für die Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie erlassenen Regelungen, vgl. Liebl, Privateisenbahn, S.78 f. Auch die Satzung der LDEC mag beachtet worden sein, einfach übernommen hat man sie allerdings nicht. 246 Als die Streitigkeiten zwischen den Aktionären immer heftiger wurden, setzt die Regierung im Februar 1839 durch, dass der staatliche Kommissar auch Zutritt zu den Beratungen der Direktion hat; Liebl, Privateisenbahn, S. 149.
B. Statutenpraxis
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Schwierigkeiten, dass ihr nicht einmal mehr befreundete Bankhäuser Kredit gewähren wollen. Da die Bitte um staatliche Unterstützung abgelehnt wird, beschließt die Direktion, eine Anleihe in Höhe von 1,1 Mio. Gulden aufzulegen 2 4 8 . Das bayerische Innenministerium vertritt zunächst die Auffassung, eine solche Maßnahme bedürfe in jedem Fall der Beratung und Genehmigung durch eine Generalversammlung. Hierauf mag sich die Direktion jedoch nicht einlassen; sie argumentiert, die Einberufung einer Generalversammlung sei mit Monatsfrist bekannt zu machen, inzwischen drohe die Gesellschaft zahlungsunfähig zu werden. Die Behörde ringt sich darauf hin zu einer Neubewertung der Rechtslage durch: Bereits die vorläufige Konzession von November 1835 habe die Gründer zu einer Baufinanzierung ihrer Wahl ermächtigt. So kann man zwar die Bahn fertig stellen, auch nach der Aufnahme des Betriebes dauern die Streitigkeiten jedoch fort 2 4 9 ; bald bietet man deshalb dem bayerischen Staat die Bahn zum Kauf an, der sie 1844 auch tatsächlich übernimmt. Der besonderen Hervorhebung wert ist schließlich noch das Statut der am 11.3.1843 konzessionierten Altona-Kieler Eisenbahngesellschaft (AKEG); nicht nur wegen seines erheblichen Umfanges 2 5 0 : Dies Statut enthält in gewisser Weise eine Zusammenfassung des Anfang der 40er Jahre erreichten Erkenntnisstandes in bezug auf die rechtlichen Regelungen zur inneren Organisation einer Aktiengesellschaft. Seinen Verfassern liegen offenbar die neuesten Satzungen anderer Eisenbahngesellschaften vor; man vergleicht die verschiedenen Organisationsmodelle und Einzelvorschriften miteinander, wählt geeignet erscheinende Regelungen aus einem Statut aus und ergänzt diese durch Bestimmungen aus einer anderen Satzung oder durch eigene Gedanken 2 5 1 . In ihren Grundzügen folgt die Organisation der AKEG weitgehend dem in der ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie üblichen Aufbau: Prägnant insoweit die langen Kompetenzkataloge für Generalversammlung (§ 44) und Ausschuss (§ 64). Hier lehnt man sich offensichtlich vor allem an das Statut der Berlin-Frankfurter Eisenbahngesellschaft (BFEG) an 2 5 2 . Nicht wenige Regelungen stimmen aber auch wortwörtlich mit
Hierzu ausführlich Liebl, Privateisenbahn, S. 158 ff., 233ff. Zum Folgenden Liebl, Privateisenbahn, S. 244 f. 249 Auf der ersten ordendichen Generalversammlung Ende Dezember 1840 wird die Gesellschaft von den Münchenern kräftig majorisiert: Kein einziger Augsburger wird mehr in den Verwaltungsrat gewählt. Die Konzessionsbehörde betrachtet diese Entwicklung mit einigem Entsetzen, ist aber letztlich hilflos. Hierzu Liebl, Privateisenbahn, S. 265 f. 250 Das Statut wird vollständig publiziert in: Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1843, S. 109 ff-, 119ff„ 133 ff. Zur Geschichte der AKEG siehe Karich, ZSHG 119 (1994), 149; v.Mayer, Eisenbahnen I, S. 211 ff.; vgl. auch v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 1824 ff. zu weiteren frühen Privatbahnprojekten in Schleswig-Holstein. 251 Die endgültige Fassung der Satzung wird von der zweiten Generalversammlung der AKEG Ende November 1842 angenommen und anschließend ohne Änderungen staatlich bestätigt; hierzu Karich, ZSHG 119 (1994), 149,170f. 252 Das Statut der BFEG, das immer wieder als Vorlage für andere Satzungen dient, verdankt seine „Popularität" vermutlich Meno Pohls, der das BFEG-Statut im Anhang seines Anfang 1842 erschienenen Werkes über das Recht der Aktiengesellschaften abdruckt. Bei der AKEG ist manche Einzelvorschrift aber auch aus der Satzung der Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft (MHEG) übernommen worden. 247
248
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§3 Konzessionierte
Gesellschafien auf Aktien
solchen aus der Satzung der Sächsisch-Bayerschen Eisenbahncompagnie (SBEC) überein 2 5 3 ; von diversen Einzelbestimmungen abgesehen, folgt die AKEG der sächsischen Praxis u. a. darin, dass bei ihr schon der Besitz einer einzigen Aktie die Stimmberechtigung gewährt und die Wahl in Ausschuss und Direktion ermöglicht 2 5 4 . Während ein „Privataktionär" bei der AKEG nicht mehr als 10 Stimmen abgeben kann 2 5 5 , stehen der dänischen Regierung für ihre 5000 Aktien 54 sowie den Städten Altona (4000 Aktien) und Kiel (3000 Aktien) 44 bzw. 34 Stimmen zu, allerdings nur so lange, wie sie ihre Anteile nicht veräußern. Unikatscharakter hat folgende Vorschrift: „Wenn indessen bei Communen - Altona und Kiel - von der Majorität der Actionaire dissentiren, aber unter sich einverstanden sind, so erfolgt die Entscheidung der betreffenden Frage nicht in der General-Versammlung, sondern dieselbe wird Sr. Majestät dem Könige zur allerhöchsten Beschlußnahme vorgelegt." (§ 40).
IV. Das Binnenorganisationsrecht
der Aktiengesellschaften in der Phase
1. Gesellschafter-Gestaltungsfreiheit der Konzessionsbehörden
prälegislatorischen
undEinftussnahme
Während das Aktienrecht heute bis ins Detail hinein gesetzlich geregelt ist und diese Vorschriften zudem fast immer zwingende Geltung beanspruchen, gab es vor ca. 160 Jahren nur einige wenige und zudem äußerst punktuell ansetzende aktienrechtliche Regelungen (vgl. A III). Zumindest auf den ersten Blick scheint daher die prälegislatorische Phase der Aktienrechtsentwicklung durch eine nahezu unbeschränkte statutarische Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet zu sein. Allerdings mussten die Gesellschafter nicht nur die von ihnen entworfene Satzung, sondern auch jede beabsichtigte Satzungsänderung den Konzessionsbehörden zur Genehmigung vorlegen. Insoweit ist jedoch die These vertreten worden, die staatliche Bürokratie hätte bezüglich der Binnenorganisation der Aktiengesellschaft keinerlei Ordnungsvorstellungen besessen . Das gesamte Verfassungsrecht dieser Gesellschaft wäre demnach Frucht souverän ausgeübter Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter.
253 Dies ist schon deshalb bemerkenswert, weil das am 22.6.1842 endgültig bestätigte Statut der SBEC erst Anfang Januar 1843, also nach der definitiven Feststellung der AKEG-Satzung, im sächsischen Gesetzblatt publiziert worden ist; den Gründern der AKEG muß ein Entwurf des SBEC-Statuts vorgelegen haben. 254 In letzterer Hinsicht geht man bei der AKEG sogar noch über § 75 SBEC hinaus (ein Direktor hatte dort fünf Aktien zu hinterlegen). Allerdings sind von den Aktionären der AKEG oftmals nur halbe oder gar Viertelaktien erworben worden; vgl. Karich, ZSHG 119 (1994), 149, 169. Nahezu wortgleich mit § 55 SBEC bestimmt § 49 AKEG die Funktion des Ausschusses: „Der Ausschuß, welcher die Direction beaufsichtigt, auch derselben berathend zur Seite steht...". 255 10 Stimmen hatte, wer 600 Aktien besaß; schon 100 Aktien gewährten 5 Stimmen (§41). 256 So Landwehr, ZRG Germ.Abt. 99 (1982), 1,101 f. Dazu unter A II.
B.
Statutenpraxis
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Gewiss: ohne jeden Zweifel ist die Bedeutung der aktienrechtlichen Praxis gerade auch für die Entwicklung des Binnenorganisationsrechts in der prälegislatorischen Phase als sehr hoch zu veranschlagen. In den auf die Gründung des Deutschen Zollvereins folgenden Jahren entwickelt sich das Aktienwesen in Deutschland sehr dynamisch. Wesentliche Impulse gehen dabei von den sich rasch ausbreitenden Eisenbahnen aus, weil eine Reihe deutscher Einzelstaaten Bau und Betrieb dieser Bahnen Gesellschaften überlässt, die ausschließlich oder überwiegend privat finanziert werden. Dies führt zu einer bis dahin unbekannten Verbreitung statutarischer Vorschriften; denn die Satzungen der Eisenbahnaktiengesellschaften werden nicht nur in Gesetz- bzw. Regierungsblättern vollständig publiziert, sondern häufig auch in gedruckter Form potentiellen Zeichnern zur Verfügung gestellt. Schon weil die Bahnstrecken und das Werben um Anleger nicht an den Grenzen der deutschen Einzelstaaten Halt macht, beginnt sich trotz der staatlichen Zersplitterung und losgelöst von der Vielfalt der Rechtsordnungen eine erstaunlich geschlossene Aktienrechtspraxis herauszubilden: Vor allem die Entwicklung in Preußen, Sachsen und in den Freien Städten strahlt insoweit breit aus. W i e das Aktienwesen insgesamt, so entwickeln sich auch jene Vorschriften, die der inneren Organisation von Aktiengesellschaften dienen. Zwar orientieren sich die Gründer einer neuen AG bei der Abfassung deren Satzungsregelungen fast immer an den Statuten schon bestehender Gesellschaften, doch geben bekannt gewordene Mängel der verschiedenen Regelungsmodelle Anlass zu deren schrittweisen Weiterentwicklung. Recht schnell verabschiedet man sich auf diese Weise von der Organisationsschablone der Großen Handelscompagnien und formt allmählich Grundzüge einer Binnenordnung heraus, die selbst heute noch die moderne Aktiengesellschaft prägen. Dennoch: die genaue Analyse der statutarischen Praxis hat gezeigt, dass die These von der binnenorganisatorischen Abstinenz der Konzessionsbehörden nicht zu halten ist. Schon deshalb nicht, weil sich zumindest in den beiden deutschen Staaten mit der ausgeprägtesten aktienrechtlichen Praxis dieser Zeit, den Königreichen Preußen und Sachsen, Eingriffe der staatlichen Behörden in die innere Organisation einzelner Aktiengesellschaften nachweisen lassen. Und worauf sollte die Anweisung der Konzessionsbehörden, auch die Eigentümer von weniger als 10 Aktien seien wenigstens zur Teilnahme an der Generalversammlung zuzulassen 257 bzw. über die Restsumme der zunächst nicht in vollem Umfange genehmigten Kapitalerhöhung habe zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal die Generalversammlung zu beraten und zu beschließen 258 , zurückzuführen sein, wenn nicht auf sehr konkrete Ordnungsvorstellungen. Insofern führt das Abstellen auf die (Nicht-) Existenz behördlich verfasster Musterstatuten in die Irre 259 : Da die Statuten konzessionierter Gesellschaften in Gesetz- und Amtsblättern publiziert werden, bedarf es zur Verbreitung der von den Konzessionsbehörden bevorzugten Organisationsmodelle keiner Musterstatuten. Die Gründer einer AG sowie die staatlichen Institutionen weniger entwickelter Provinzen können sich problemlos über
237 258 259
Vgl. Preuß. GS 1841,234. Vgl. Preuß. GS 1847, 309 f. Hierauf aber offenbar abstellend
ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 101. Vgl. unter A II.
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§ 3 Konzessionierte
Gesetbchaften auf Aktien
die bereits akzeptierten statutarischen Vorschriften informieren. Schließlich spricht auch die Tatsache, dass sich innerhalb nur weniger Jahre in Deutschland eine weitgehend geschlossene Aktienrechtspraxis herausbildet, eher für intensive Eingriffe der Konzessionsbehörden; ohne eine solche Einflussnahme hätten sich wohl weitaus mehr Regelungen mit Unikatscharakter auffinden lassen. Die Entwicklung der Binnenorganisation der Aktiengesellschaft in der prälegislatorischen Phase ist also sowohl durch eine relativ eigenverantwortliche Wahrnahme der statutarischen Gestaltungsfreiheit durch die Gesellschafter zurückzuführen, als auch auf Eingriffe der Konzessionsbehörden, die diese Freiheit beschränken. Die jeweiligen Einzelbeiträge der beiden Komponenten sowie deren Zusammenspiel scheinen spezieller Untersuchung wert zu sein. Die Antwort hierauf dürfte aber nicht leicht fallen, ist doch die Praxis dieser Zeit durch mannigfaltige Aspekte gekennzeichnet: Beispielsweise deuten einerseits wortgleiche Kataloge von Generalversammlungskompetenzen bei Aktiengesellschaften aus dem östlichen Preußen recht stark auf eine entsprechende Einflussnahme der staatlichen Bürokratie hin (vgl. II.2); andererseits finden sich aber ähnliche Kataloge bei fast zeitgleich gegründeten Gesellschaften in anderen deutschen Staaten (vgl. III.2 und III.3), was wiederum die These nahe legt, derartige Regelungen seien damals schon relativ fester Bestandteil der Gestaltungspraxis gewesen. Dort, wo ganz konkrete Einzeleingriffe der Konzessionsbehörden nachgewiesen werden konnten, da wurden nicht komplexere Organisationsmodelle positiv vorgegeben, sondern die vollständige statutarische Entmündigung von Kleinaktionären sowie weitgehende Ermächtigungen des Gesellschaftsvorstandes zu Lasten der Generalversammlung untersagt. Dies könnte daraufhindeuten, dass sich die staatlichen Behörden in dieser Periode weitgehend darauf beschränkt haben, bestimmte Mindeststandards an Gesellschafterschutz durchzusetzen, ansonsten aber den Gesellschaftern die zweckmäßige Einrichtung der AG-Organisation überlassen haben . Ein derart (selbst-) beschränkter Ansatz würde auch den Verzicht auf Musterstatuten erklären.
2. Grundzüge der Binnenorganisation In der prälegislatorischen Phase sind die Statuten der konzessionierten Aktiengesellschaften in zunehmendem Maße darum bemüht, die grundsätzlichen Funktionen der einzelnen Gesellschaftsorgane und die von ihnen im Einzelnen wahrzunehmenden Kompetenzen festzulegen: Die Generalversammlung wird als das Gesellschaftsorgan ausgestaltet, an dessen Wirken alle Aktionäre teilhaben können. Zwar wird auch noch 260 Insofern ist noch einmal die Bestimmung der Funktionen des Konzessionsverfahrens durch Broicheri Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 21, in Erinnerung zu rufen: „Die Ermächtigung der Staatsregierung soll bei einer Gesellschaft, deren Mitglieder von aller persönlichen Verantwortlichkeit befreit sind, die Garantie gewähren, daß wirklich Capitalien in richtigem Verhältnisse zu der Ausdehnung des Unternehmens vorhanden, oder mit Sicherheit zu erwarten Seyen; daß die Statuten in Ansehung der Geschäftsführung, Rechnungslegung, der Vertheilung des Gewinnes Bestimmungen enthalten, wodurch die Interessen aller Betheiligten gehörig gesichert werden; daß die Verwaltung der Gesellschaft den Mitgliedern und dem Publikum die erforderliche moralische Gewähr gebe.'1
B. Statutenpraxis
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gegen 1845 das Recht, an der Generalversammlung teilzunehmen und in dieser mitzustimmen, häufig an den Besitz einer gewissen Anzahl von Aktien geknüpft; anders als bei den Handelscompagnien, bei denen mitunter nur eine genau bestimmte Anzahl der jeweils größten Aktionäre geladen wurde, verliert aber nun kein Aktionär mehr seine Teilnahme- und Stimmberechtigung nur, weil ein anderer zusätzliche Aktien erwirbt. Sehr verbreitet sind auch Höchststimmrechtsbeschränkungen; selten darf ein einzelner Aktionär mehr als 10 Stimmen ausüben . Verhindert werden soll, dass die Gesellschaft unter den Einfluss eines einzelnen oder einiger weniger Aktionäre gerät. Nur im Ausnahmefall werden diese Beschränkungen zugunsten beteiligter Kommunen durchbrochen; regelmäßig aber zugunsten des Staates, so sich dieser unmittelbar an einer Gesellschaft beteiligt. Die Kompetenzen der Generalversammlung werden in den Statuten zumeist in Katalogen zusammengefasst. Immer wird die Wahl des Verwaltungsrats bzw. Ausschusses sowie die Entscheidung über Satzungsänderungen und Auflösung in die Zuständigkeit der Generalversammlung gestellt; zumeist geht man aber hierüber deutlich hinaus: Direktion und/oder Verwaltungsrat haben der Generalversammlung die Jahresrechnungen vorzulegen und über die Entwicklung der Gesellschaft zu berichten; die Versammlung entscheidet dann - zumindest mittelbar — über die Entlastung der Verwaltung. Wo die Dauer der Gesellschaft bei der Gründung auf eine bestimmte Zeitspanne festgesetzt wird, hat die Generalversammlung über die Verlängerung der Gesellschaft zu beschließen. Die meisten Satzungen ordnen ihr auch die Entscheidung über Kapitalerhöhung und Aufnahme von Anleihen sowie die Ausweitung des Unternehmensgegenstandes ausdrücklich zu. Zudem hat sie mitunter Meinungsverschiedenheiten zwischen Direktion und Verwaltungsrat zu entscheiden, seltener dagegen die Höhe der Dividendenzahlungen festzustellen, über Zuführung zum und Verwendung des Reservefonds zu bestimmen, die Direktion zu wählen und gegebenenfalls abzuberufen, auch deren Gewinnbeteiligung festzulegen. Nur im Ausnahmefall werden der Generalversammlung Angelegenheiten zugeordnet, die eindeutig in den Bereich der (gewöhnlichen) Geschäftsführung fallen, wie dies beispielsweise bei der Entscheidung über Bahntarife der Fall ist. Die Aufzählung von Kapitalerhöhung und Änderung des Unternehmensgegenstandes erscheint aus heutiger Sicht überflüssig, weil beide Satzungsänderungen voraussetzen, für welche die Generalversammlung ohnehin zuständig ist. Damals jedoch machte eine solche Regelung durchaus Sinn, denn die Statuten waren bemüht, den Unternehmensgegenstand möglichst „offen" zu beschreiben (üblich insoweit vor allem diverse Erweiterungsklauseln); auch waren statutarische Bestimmungen verbreitet, die schon 261 Vgl. Martin, VSWG 56 (1969), 499, 523 f., bei 40 untersuchten Aktiengesellschaften aus Sachsen und Preußen habe eine solche Beschränkung nie gefehlt. Auch die bayerischen Fundamental-Bestimmungen von 1836 verlangen eine solche Regelung (vgl. A III); bei der Nürnberg-Fürther Eisenbahn wird diese nachträglich durch Satzungsänderung eingeführt; hierzu Mück, Deutschlands erste Eisenbahn, S. 163 f. 262 Häufig finden sich Vorschriften, die dem Verwaltungsrat gestatten, der Direktion Entlastung zu erteilen, falls von der Generalversammlung keine Einwände gegen die Jahresrechnungen erhoben worden waren.
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§ 3 Konzessionierte
Gesellschaften auf Aktien
von Anfang an zu bestimmten Kapitalerhöhungen ermächtigten: Da unter dem Konzessionssystem Satzungsänderungen von den zuständigen staatlichen Behörden genehmigt werden mussten, versuchte man auf diese Weise, die nötige Genehmigung gleich bei der Gründung zu antizipieren . Dennoch sollte die Generalversammlung über die Durchführung einer solchen Maßnahme beschließen, wie auch die Statuten ihr zunehmend die Beschlussfassung zur Anlage von Zweig- und Nebenbahnen sowie über die „Verbesserung von Anlagen und Bauten" zuordnen - insoweit war regelmäßig keine Satzungsänderung notwendig. Man ließ sich mithin in der Praxis nicht von einer rein formellen Sichtweise leiten, nach der die Gesellschafter als Partner des Gesellschaftsvertrages auch dessen Abänderung vereinbaren müssen, sondern bezog materielle Wertungen ein: Der Generalversammlung sollte die Beratung und Entscheidung aller für das Schicksal der Gesellschaft wichtigen Fragen vorbehalten bleiben. Im Verlauf des Jahrzehnts von ca. 1835 bis gegen 1845 werden die Kataloge, die der Zusammenfassung der Generalversammlungskompetenzen dienen, länger. Hieraus ist nicht unbedingt zu schlussfolgern, man habe die Zuständigkeit der Generalversammlung immer weiter ausgedehnt; zumindest aber wird diese nun rechtssicherer beschrieben: Die Grauzone bei der Zuteilung von Kompetenzen, welche nicht selten durch eigenmächtige Direktoren oder Verwaltungsräte ausgefüllt worden war, schrumpft. Die Anbindung der Mitglieder von Vorständen, Räten und Ausschüssen an das Interesse der Gesellschaft wollen zudem nahezu alle Satzungen mit der Festlegung gewährleisten, jene Personen müssten im Besitz einer gewissen (zumeist recht hohen) Anzahl von Aktien der AG sein.
3. Keine Verbandssouveränität bei konzessionierten
Aktiengesellschaften
Da der AG-Generalversammlung von fast allen untersuchten Statuten ein erstaunlich übereinstimmender Kernbereich von Angelegenheiten zur Beschlussfassung zugewiesen wird, liegt die These scheinbar nahe, der Grundsatz der Verbandssouveränität habe sich bereits in dieser Periode (zumindest ansatzweise) ausgeprägt: Das Rechtsprinzip, das seinen Geltungsanspruch damals vor allem auf das Wirken der Konzessionsbehörde, vielleicht aber sogar auch schon auf eine bereits gewohnheitsrechtlich verfestigte Gestaltungspraxis stützen konnte, habe dafür gesorgt, dass der in der Generalversammlung organisierten Gesellschaftergesamtheit die für das weitere Schicksal des Verbandes wichtigsten Angelegenheiten zur souveränen Entscheidung vorbehalten geblieben seien. Schnell zeigt sich jedoch, dass die Gesellschafter bei ihren Beschlüssen nicht wirklich souverän waren. Gerade der Kernbereich jener - der Generalversammlung fast immer vorbehaltenen — Entscheidungen (insb. Änderung der Satzung, Kapitalerhöhung, Auflösung, aber auch die Aufnahme von Anleihen, die Anlage von Zweig-
263 Bei einigen älteren Gesellschaften verzichtete man sogar ganz darauf, in der Satzung ein bestimmtes Grundkapital festzusetzen; hierzu Bösselmann, Aktienwesen, S. 121 ff. Schon bald jedoch akzeptierten die Konzessionsbehörden ein solches Vorgehen nicht mehr und banden auch Maßnahmen wie Kapitalerhöhung und Ausweitung des Unternehmens ausdrücklich an ihre Zustimmung.
135
B. Statutenpraxis
bahnen u. a.m.) bedurfte einer Bestätigung durch die Konzessionsbehörden, die hierin rechtlich völlig ungebunden waren. Dieser Befund führt zur Erkenntnis, dass es den Kompetenz-zuweisenden Regelungen des damaligen Aktienrechts - anders als der Verbandssouveränität als rechtsformübergreifender Grundsatz des modernen
Gesell-
schaftsrechts — nicht u m die Gewährleistung des erforderlichen Selbstschutzes der Gesellschafter gegangen sein kann
, sondern lediglich u m ein möglichst effektives Funk-
tionieren der verschiedenen Gesellschaftsorgane in ihrem Zusammenspiel 2 6 5 . Dass in der prälegislatorischen Periode noch der R a u m für die Herausbildung der Verbandssouveränität fehlte, erhellt auch der Blick auf das zweite Wirkfeld des Grundsatzes - der Schutz vor einer intensiven Einflussnahme außenstehender Dritte. Zwar lassen sich einerseits viele Regelungen anführen, die deutlich machen, dass nach damaliger Ansicht die Aktiengesellschaft eine reine „Veranstaltung" der Gesellschafter sein sollte: Beispielsweise darf zumeist nur ein selbst stimmberechtigter Aktionär Vertreter nicht erschienener Aktionäre sein, wobei es fast immer bei der (Höchst-) Begrenzung der Stimmenanzahl verbleibt; mitunter wird die Vertretung sogar generell für unzulässig erklärt
. Die Wahl in das Direktorium oder den Ausschuss setzt fast immer den
Besitz mehrerer Aktien voraus
. Relativ häufig gewährt man dem Staat für eine Zins-
garantie Benennungsrechte und andere Befugnisse, doch geht die Zinsgarantie fast immer mit einer wesentlichen Beteiligung an der Gesellschaft einher
. Abgesehen hier-
von werden in einigen wenigen Fällen K o m m u n e n und staatlichen Einrichtungen Sonderrechte für die Benennung von Direktions-
und
Verwaltungsratsmitgliedern
eingeräumt 2 6 9 , auch dann aber nahezu ausnahmslos ausdrücklich an den Besitz eines
2 6 4 Zur Begründung der Verbandssouveränität im neueren rechtswissenschaftlichen Schrifttum unter § 1 A III. 2 6 5 Dies wiederum mag auch erklären, warum die preußischen Konzessionsbehörden, die nachweisbar versucht haben, weitreichende Ermächtigungen von Direktion und Verwaltungsrat zu Lasten der Generalversammlung zu verhindern, offenbar ohne weiteres bereit waren, eine Stärkung der Verwaltung zu Lasten der Generalversammlung hinzunehmen, sobald sich der Staat an einer AG erheblich beteiligte. Da der Großaktionär Staat regelmäßig nicht den üblichen Begrenzungen des Stimmrechts unterlag, hätte er seinen Einfluss an sich auch in der Generalversammlung ausüben können. Effektiver war es aber gewiss, direkt über Vorstand und Verwaltungsrat bzw. Ausschuss Einfluss zu nehmen.
Vgl. § 19 LDEC („Durch Bevollmächtigte zu erscheinen ist unzulässig."). Gerade was die Besetzung dieser Organe anbetrifft, findet sich vor allem in sächsischen Statuten verbreitet eine Klausel, die wahrscheinlich (auch) bezweckt, die Gesellschaft nicht zu sehr unter den Einfluss Dritter geraten zu lassen: Handlungsgesellschafter einer der Direktion bereits angehörigen Person dürfen nicht in die Direktion gewählt werden. So § 74 lit. d SBEC; § 73 lit. d SSEG; jeweils § 70 lit. d LZEG, CREG; vgl. auch schon § 21 Ziffer 5 LDEC. Eine solche Vorschrift enthält auch § 46 Abs. 5 der (preußischen) Thüringischen Eisenbahngesellschaft, § 52 der kurhessischen Friedrich-Wilhelm-Nordbahn; § 68 lit. d der Altona-Kieler-Eisenbahn. 2 6 8 Bei der Pfälzer Ludwigsbahn darf der bayerische Staat die Hälfte der Verwaltungsratsmitglieder ernennen und bei der Besetzung der Direktion mitbestimmen, obwohl er kein größeres Aktienpaket übernimmt. Er gewährt den Aktionären aber eine Zinsgarantie. Hierzu v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/2, S. 2297 ff.; Sturm, Eisenbahnen, S. 82 ff. 2 6 9 Keinesfalls erhalten die Kommunen, durch welche die Bahnen führen, generell Sonderrechte. Bei der Gründung der Leipzig-Dresdner Gesellschaft beeilt sich der Leipziger Magistrat, 200 Aktien zu übernehmen, um überhaupt „mitreden zu können"; vgl. Beyer, Anfänge, S. 127. Augsburg zeichnet für 266
267
136
§ 3 Konzessionierte
Geselbchaften auf Aktien
oft sehr großen Aktienpakets geknüpft. Ansonsten ist man bestrebt, den Einfluss einzelner Aktionäre auf die Gesellschaft zu beschränken (vor allem durch die Begrenzung der Stimmberechtigung); da hätte man wohl kaum Nichtgesellschaftem gewichtigere Einwirkungsmöglichkeiten zuerkennen können. Andererseits jedoch werden die wichtigsten Grundlagenentscheidungen an die Zustimmung eines außenstehenden Dritten, der staatlichen Konzessionsbehörde, geknüpft. Insofern muss nun beachtet werden, dass in dieser Zeit über das Wirken der Konzessionsbehörden keinesfalls lediglich eine allgemeine — gewissermaßen öffentlich-rechtliche - Aufsicht realisiert worden ist, die den privatrechtlichen Grundsatz der Verbandssouveränität aus Sicht der Rechtsdogmatik nicht berühren würde 270 . Denn die Behörden konnten ihre Befugnisse rechtlich ungebunden ausüben, ihnen war es deshalb möglich, gesellschaftsfremde und sogar gesellschaftsschädliche Interessen Dritter (insbesondere des Fiskus) durchzusetzen271. Auch hinsichtlich der Abwehr von Fremdeinflüssen kann für diese Periode mithin noch nicht von einer Herausbildung der Verbandssouveränität gesprochen werden.
C. Beginnende wissenschaftliche Aufarbeitung Die Entwicklung der Aktiengesellschaften verläuft nicht konfliktfrei. Vor allem die bei Bahngesellschaften auftretenden Konflikte machen selbst einem breiten Publikum deutlich, dass die Organisation einer Gesellschaft, die Einrichtung und nähere Ausgestaltung der verschiedenen Organe, die Zuordnung von Kompetenzen usw. durchaus das Gedeihen des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens beeinflussen können. Mit der Ausbreitung der Eisenbahnaktiengesellschaften wird zudem der „Deckel" der Schiedsgerichtsklauseln zumindest partiell „weggesprengt": Spektakuläre ProzessSerien wie im Falle der Rhein-Weser-Eisenbahn-AG272 führen nun auch die juristische Öffentlichkeit an die Problematik heran. Es entstehen erste rechtswissenschaftliche Arbeiten, die sich ausführlich mit aktienrechtlichen Fragestellungen beschäftigen. Es gibt bereits einige Beiträge des neueren Schrifttums, die frühe aktienrechtliche Werke auf Aussagen zur Organisation von Aktiengesellschaften hin untersuchen; Gegenstand dieser Untersuchungen sind jeweils Schriften von David Hansemann, Ludolf Camphausen und Gustav Mevissen17^. Eine solche Auswahl lässt sich gewiss gut begrün200.000 fl. Aktien der MAEG, bekommt jedoch nur für 85.000 fl. Aktien zugeteilt. Liebl, Privateisenbahn, S. 97. 270 Zum Verhältnis von öffentlich-rechtlicher Wirtschaftsaufsicht und Verbandssouveränität vgl. Wiedemann, FS Schilling, S. 105, 112. 271 Beispiele für ein derartiges Vorgehen werden angeführt unter § 6 A III. 272 Gerade die sächsischen Gerichte waren lange mit diesen Verfahren beschäftigt; fast ein Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch der Rhein-Weser-Eisenbahn-AG wird immer noch von neuen Entscheidungen berichtet . Vgl. nur die im Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle 2 (1842) 329ff., 345fE; 4 (1844), 289ff.; 7 (1847), 73 ff., dokumentierten Prozess-Serien. 273 Vgl. schon Schumacher; Organisation, S. 22ff.; zudem Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 87 ff.; Lauenstein, Bestrebungen, S. 9 ff.; Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 18 f.; Schmalz, Verfassung, S. 14 ff.
C. Beginnende
wissenschaftliche
137
Aufarbeitung
den, denn diese Herren waren an der Gründung und Verwaltung etlicher Aktiengesellschaften beteiligt 2 7 4 . Jedoch gewichtet die Wahl gleich in doppelter Hinsicht überaus einseitig: Zum einen betrachten alle drei die Organisation der Aktiengesellschaft aus der gleichen sozialen Rolle; sie gehören zu den großen Gründerpersönlichkeiten, welche zunächst die Entstehung einer Gesellschaft initiierten, dann aktiv an der Gründung teilnahmen und schließlich an zentraler Stelle wesentlich die Verwaltung „ihrer" Gesellschaft mitbestimmten. Zum anderen sind sie - zumindest in dieser frühen Phase — ausschließlich der preußischen Rheinprovinz zuzuordnen; die Untersuchung zur statutarischen Praxis (oben unter B.) hat jedoch deutlich gemacht, dass Impulse auf die Weiterentwicklung des Aktienrechts auch von anderen Teilen Deutschlands ausgingen. Hinzu kommt ein weiteres: Gerade die Schriften von Hansemann und Camphausen dienten zumeist der Vorbereitung ganz konkreter Gründungen und nicht einer sich vom Einzelfall lösenden wissenschaftlichen Beschäftigung. Ganz bewusst sollen deshalb im folgenden Werke vier anderer Autoren nähere Betrachtung finden: Diese waren schon zu einer Zeit um die Bewältigung praktischer Fragen bemüht, in der sich die den Aktiengesellschaften gewidmeten rechtswissenschaftlichen Beiträge zumeist ausschließlich mit der Frage nach der Rechtsnatur dieser Gesellschaften beschäftigten 275 .
/. Treitschke: Einige Fragen, Actiengesellscbaften
betreffend
(1841)
Georg Karl Treitschke (1783 — 1855) ist zunächst Oberhofgerichts- und KonsistorialAdvokat in Leipzig, bevor er ab 1835 als Appellationsrat in seiner Geburtsstadt Dresden wirkt 2 7 6 . 1846 wird er Geheimer Justizrat im Justizministerium und schließlich bekleidet er Anfang 1849 in der ersten bürgerlichen Regierung Sachsens sogar das Amt des Justizministers, wenn auch nur interimistisch für wenige Wochen 2 7 7 . Schon 1825 legt Treitschke unter dem Titel „Die Lehre von der Erwerbsgesellschaft nach römischen, österreicherischen, sächsischen und französischen Rechten" eine große gesellschaftsrechtliche Monographie vor; noch bekannter macht ihn die überarbeitete Zweitauflage dieses Werkes, die 1844 als „Die Lehre von der unbeschränkt obligatorischen Gewerbegesellschaft und von den Commanditen" erscheint 278 . Sein Aufsatz „Einige Fragen,
274 Vgl. nur die eindrucksvolle Aufzählung bei Blumberg, Finanzierung, S. 199 f.; Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 87ff. Anm. 400,426,452. 275 Vgl. nur den Überblick von Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 38 ff., zur sächsischen aktienrechtlichen Literatur; sowie Reich, Entwicklung, S. 255 f. 276 Treitschke ist in jungen Jahren als Autor zweier „politischer Possenspiele" hervorgetreten; einige wenige biographische Angaben finden sich daher bei Brümmer, Deutsches Dichter-Lexikon, Zweiter Band, 1877, S. 435, wo er allerdings als Karl Georg Treitschke bezeichnet wird. Kurz erwähnt wird er ferner bei G.Schmidt, Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 131 f. 277 Dies wird zwar nirgends im Schrifttum hervorgehoben, das Sächsische GVOB1 enthält jedoch einige Vorschriften von Januar/Februar 1849, u.a. die Genehmigung eines Satzungsnachtrags für die Leipziger Bank (S. 25), die von Treitschke in diesem Amte (mit-)unterzeichnet worden sind. 278 Hierzu siehe unter § 5 B.
138
§3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien
Actiengesellschaften betreffend" wurde 1841 in der Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft publiziert 2 7 9 . Im Ton überaus verbindlich gehalten stellt Treitschke gleich auf den ersten Seiten seines Beitrages jene drei Aspekte in Frage, die das Aktienwesen seiner Zeit wesentlich kennzeichnen. So setzt er sich zum einen nachdrücklich für eine gesetzliche Regelung des Aktienrechts ein, denn die Aktiengesellschaft bedürfe „mehr als irgend ein andres Rechtsverhältniß, die Wechsel ausgenommen, der Ordnung und Regelung durch Landes-Gesetze". Die deutschen Regierungen glaubten immer noch, auf die Einführung allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen verzichten zu können, weil jede Gesellschaft sich ihr Statut genehmigen lassen müsse. Doch ersetzten die Statuten die gesetzliche Regelung nicht, da sie zumeist nur „eine Menge Anordnungen über einzelne denkbare Vorkommnisse" enthielten und keine allgemeinen Grundsätze „über das Wesen des obwaltenden Rechtsverhältnisses", auf deren Grundlage man sich in der „unendlichen Menge nicht ausdrücklich vorgesehener Verwicklungen" zurecht finden k ö n n e . 2 8 0 Zum anderen plädiert Treitschke zwar nicht ausdrücklich für eine Aufhebung des Konzessionssystems; mit seinen Darlegungen stellt er aber die Effektivität des Wirkens der staatlichen Behörden in Frage, zumindest soweit es um die Kontrolle der AG-Satzungen geht: Die rechtlichen Bestimmungen vieler Statuten seien so verfasst, dass sich vielleicht behaupten ließe, durch sie seien „schon mehr Streitigkeiten hervorgerufen als vermieden worden". 2 8 1 Drittens schließlich wendet sich Treitschke gegen die gerade in Sachsen verbreitete schiedsgerichtliche Praxis (vgl. unter § 2 C 1.2): Es sei zu bedauern, dass die im Innern der Aktiengesellschaften entstehenden Streitigkeiten fast immer von Schiedsgerichten entschieden würden und zwar unter Ausschluss der Appellation an ordentliche Gerichte. Üblicherweise gewähre nämlich bei Lücken in der Gesetzgebung das sogenannte Juristenrecht noch einen gewissen Ausgleich. Die Sprüche der Schiedsgerichte jedoch stünden aus verschiedenen Gründen der Herausbildung eines entsprechenden (Aktien-)Gewohnheitsrechts eher entgegen 2 8 2 . In der Sache geht es Treitschke also um eine stärkere Verrechtlichung des Aktienwesens durch allgemeine gesetzliche Regelungen und durch die Spruchtätigkeit ordentlicher Gerichte. Eine solche Verrechtlichung beschränkt vordergründig vor allem die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter, darüber hinaus werden aber ebenso die Konzessionsbehörden gebunden; diese werden wenigstens ein Stück weit aus der einzelnen Gesellschaft zurückgedrängt, wenn nicht sogar tendenziell das Konzessionssystem in Frage gestellt wird, zumindest in seiner bisher praktizierten Form. Diese Konsequenz vom normativ stärker ausgestalteten System zum Normativsystem wird von
Treitschke
allerdings noch nicht gezogen.
Zs.f.dt.R. 5 ( 1 8 4 1 ) , 3 2 4 - 3 5 3 . Treitschke, Zs.f.dt.R. 5 ( 1841), 3 2 4 f . 281 Treitschke, Zs.f.dt.R. 5 ( 1841), 3 2 4 , 3 2 5 . 2 8 2 Die Unzulänglichkeiten der Schiedsgerichte werden so kenntnisreich geschildert, dass der Leser fast den Eindruck gewinnen könnte, der Autor sei selbst schon als Schiedsrichter tätig gewesen; vgl. Treitschke, Zs.f.dt.R. 5 ( 1841), 3 2 4 , 3 2 5 f f . . 279 280
C. Beginnende
wissenschaftliche
Aufarbeitung
139
Im Anschluss an seine sehr grundsätzlichen Eingangsüberlegungen beschäftigt sich Treitschke mit verschiedenen Einzelfragen, wobei seinen Erörterungen teilweise Entscheidungen des OAG Dresden zugrunde liegen. So war die unter dem Titel „Von den Wirkungen der Veräußerung nicht bezahlter Actien" erörterte Haftung des AktienZeichners von der Rhein-Weser-Eisenbahngesellschaft an die sächsischen Gerichte herangetragen worden 283 . Beschäftigt hatte sich das Oberappellationsgericht auch schon mit der (Nicht-)Haftung der Aktionäre einer nicht konzessionierten Aktiengesellschaft . Bei der Klärung der Frage, ob Aktionäre mittels Mehrheitsbeschluss' zu Nachschüssen verpflichtet werden dürfen, kann sich Treitschke dagegen nicht auf Erkenntnisse ordentlicher Gerichte stützen; insoweit sei ihm aber ein Fall „vorgekommen", in dem ein sämtlich mit Rechtsgelehrten besetztes Schiedsgericht geteilter Meinung gewesen sei: Zunächst wird die These verworfen, durch die Zuerkennung juristischer Persönlichkeit stelle man die Aktiengesellschaft den Gemeinheiten gleich; auch die AG dürfe mithin ihren Mitgliedern „Abgaben" auferlegen 285 . Unter dem Titel „Von einer andern dunkeln Bestimmung, die den Statuten nicht selten vorkommt" geht es dann - praktisch bedeutsamer - um die Auslegung jener Satzungsklauseln, nach denen die Beschlüsse der Aktionäre mit Stimmenmehrheit gefasst werden können. Ausgegangen wird dabei vom Gedanken, Grundlage einer Aktiengesellschaft sei letztlich der von den Gesellschaftern abgeschlossene Vertrag. Der Staat könne diesen wohl bestätigen und in seiner Ausführung überwachen, er habe aber weder das Interesse noch die Befugnis, die Mitglieder über den Vertrag hinaus zu verpflichten. Hieraus folge, „daß zu allen Beschlüssen über die zu Ausführung des Unternehmens zu ergreifenden Maßregeln völlige Einigkeit aller Theilnehmer nothwendig ist, es sei denn durch ausdrückliche Verabredung ein andres, und daß hierin der Wille der Mehrheit den Ausschlag geben solle, bestimmt." 286 Allerdings ist Treitschke Realist genug, diesem an die Spitze gestellten Grundsatz keine größere praktische Bedeutung zuzusprechen. Die Einführung des Mehrheitsprinzips für „Maßregeln der Verwaltung und Geschäftsführung" sei „zum Fortgang des Unternehmens politisch unumgänglich nothwendig" und werde daher in allen Statuten gewiss ausgemacht sein 287 . Derartige Klauseln will Treitschke aber sehr zurückhaltend auslegen: Führe das Statut einzelne Gegenstände an, bei denen Mehrheitsbeschlüsse erlaubt seien, so dürfe hieraus nicht deren generelle Zulässigkeit geschlussfolgert werden. Enthalte die Satzung eine Klausel, nach der die Generalversammlung ihre Beschlüsse mit Mehrheit fasse, so gelte dies im Zweifelsfall nur für Entscheidungen über Verwaltungsangelegenheiten sowie über „industrielle und merkantilische Operationen", keinesfalls jedoch für solche, „wodurch die in dem ursprünglichen Societäts-Contract liegenden Verbindlichkeiten der Actionäre verändert wer-
283 284 285 286 287
Treitschke, Treitschke, Treitschke, Treitschke, Treitschke,
Zs.f.dt.R. Zs.f.dt.R. Zs.f.dt.R. Zs.f.dt.R. Zs.f.dt.R.
5 ( 1841), 5 ( 1841), 5 ( 1841), 5 (1841), 5 (1841),
324, 329ff. Vgl. hierzu unter B 11.4. 324, 346 ff. Hierzu unter § 5 A III. 324, 335 ff. 324, 340 f. 324,342.
140
§ 3 Konzessionierte Gesellschaften auf Aktien
den". Auch bei einer solchen Klausel könne daher die Erhöhung oder Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft nicht von der Mehrheit beschlossen werden 288 . Viele Statuten zählten jedoch - dies gesteht Treitschke wiederum sofort zu - die Vermehrung des Gesellschaftskapitals ausdrücklich zu den Gegenständen, über die mit Stimmenmehrheit entschieden werden dürfe. Sogar diese Klausel eröffne der Mehrheit aber nicht die Möglichkeit, Nachschüsse einzufordern, denn die Kapitalerhöhung ließe sich auch durch die Ausgabe neuer Aktien oder die Einbehaltung von Gewinnen durchführen. Zwar berührten diese Maßnahmen gleichfalls die Interessen der Aktionäre, weshalb die Satzungen für ihre Durchführung zumeist eine größere als die einfache Mehrheit verlangen würden, allerdings in einem deutlich geringeren Maße. Einer solchen — die Teilnehmer weniger beschwerenden - Auslegung sei der Vorzug zu geben; solle der Mehrheit tatsächlich das Recht eingeräumt werden, Nachschüsse einzufordern, so müsse dies im Statut mit eindeutigen Worten geschehen. Vorsichtige würden dann zweifellos Bedenken tragen, dem Aktienverein beizutreten. Treitschke versucht mithin, den einzelnen Aktionär durch die Entwicklung eines „aktienrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes" zu schützen. Ein Vierteljahrhundert später wird dieser Ansatz von Achilles Renaud zu einem weitgreifenden Konzept des Gesellschafterschutzes ausgebaut, das in gewisser Weise mit der Verbandssouveränität konkurriert (vgl. unter § 6 B II). Insgesamt kennzeichnet die Darlegungen Treitschkes ein Vorgehen, das im damaligen rechtswissenschaftlichen Schrifttum zum Gesellschaftsrecht relativ selten anzutreffen war: Einerseits bleibt der Autor nicht bei der Herleitung rechtlicher Grundsätze stehen - der Blick richtet sich immer wieder auf die aktienrechtliche Praxis; andererseits wird diese Praxis aber nicht nur beschreibend dargestellt. Versucht wird, für einen weitgehend rechtsfreien Raum erste Rechtsprinzipien zu entwickeln; Rechtsprinzipien, die erkennbar auch zum Schutz der Aktionäre beitragen sollen. Es verbleibt allerdings noch bei der Beschäftigung mit einzelnen ausgesuchten Fragestellungen.
II. Pohls: Das Recht der Actiengesellschaften
(1842)
Der in Hamburg geborene Meno Pohls (1798 — 1849) studiert in Berlin und Heidelberg Rechtswissenschaft289. Nach der Promotion im Oktober 1820 kehrt er in seine Heimatstadt zurück, um sich dort als Anwalt niederzulassen. Schon bald darauf beginnt Pohls mit der Veröffentlichung einer ganzen Reihe juristischer Schriften; sein bekanntestes Werk ist zunächst die „Darstellung des gemeinen deutschen und des ham-
288
„Es wäre ein Widerspruch, wenn m a n annehmen wollte, daß in denselben Statuten, worin der für eine Actie zu erlegende Betrag genau bestimmt ist, zugleich irgend einem Theile der Actionäre nachgelassen sei, willkürlich die Einlagen der Andern zu erhöhen oder die eigenen herabzusetzen, sobald nur darin Gleichheit beobachtet werde." Treitschke, Zs.f.dt.R. 5 ( 1841), 324, 341. 289 Einige wenige biographische Angaben zu Pohls konnte Montag, Lehrdarstellung , S. 17 ff., zusammentragen.
C. Beginnende
wissenschaftliche
Aufarbeitung
141
burgischen Handelsrechts für Juristen und Kaufleute" 290 . 1842 erscheint dann „Das Recht der Actiengesellschaften mit besonderer Rücksicht auf Eisenbahngesellschaften", welches gemeinhin als erstes deutsches Lehrbuch zum Aktienrecht gerühmt wird 2 9 1 . Sogleich erlangt dies Werk auch unmittelbar praktische Bedeutung: Es wird der Allerhöchsten Kabinettsorder vom 31.1.1842 beigefügt, die dem Preußischen Staatsrat den Entwurf eines Aktiengesetzes zur abschließenden Beratung zuleitet . Schon äußerlich verdeutlicht „Das Recht der Actiengesellschaften", wie rasant sich nicht nur das Aktienwesen selbst, sondern auch dessen wissenschaftliche Aufarbeitung innerhalb nur weniger Jahre entwickelt hat. Auf 294 Seiten wird versucht, die Thematik eingehend und systematisch zu bearbeiten 293 , hinzu kommt noch ein sehr informativer Anhang, der u. a. die Statuten mehrerer Gesellschaften sowie vergleichbare russische und englische Regelungen enthält. Der Umfang der Arbeit erstaunt schon deshalb, weil Pohls seine Untersuchungen nicht unmittelbar an gesetzliche Regelungen des Aktienrechts anlehnen konnte. Er beklagt auch selbst, die Gesetzgebung im Handelsrecht habe nicht Schritt gehalten mit dem, was in anderen Rechtszweigen geleistet worden sei. Wo keine direkten gesetzlichen Bestimmungen vorhanden seien, müsse daher, „soweit dies thunlich, auf gemeines Recht recurrirt, und dasjenige angewendet werden, was dieses für verwandte Materien festgesetzt hat. Nächstdem kommen allgemeine Rechtsgrundsätze in Betracht. Wo man sich - , was freilich häufig der Fall seyn wird, - ganz verlassen sieht, da bleibt denn nichts übrig, als auf die Natur der Sache zurückzugehen." Als Quelle der Entscheidung, wenn auch nur im Einzelfall, kämen schließlich noch die Statuten der Gesellschaft in Frage. Obwohl neugegründete Aktiengesellschaften gerade in seiner Heimatstadt Hamburg keiner staatlichen Bestätigung bedürfen 295 , gibt sich Pohls als Anhänger des Konzessionssystems zu erkennen: „Allein es läßt sich nicht übersehen, daß eine Staatsaufsicht auf ein Institut, das durch seine Ausdehnung einmal tief in das Leben eingreift, und denn doch auch schon zu Misbräuchen geführt hat, wesentlich zweckmäßig ist, und es ist ein reines Verkennen wahrer Freiheit, wenn man die Freiheit des Verkehres beeinträchtigt glaubt, durch heilsame Vorkehrungen zur Verhütung von Misbräuchen und selbst von Schwindeley und Betrug." 296 Der staatlichen Bestätigung der einzelnen
4 Bände, Hamburg 1828 - 1834; zu diesem unter § 2 C II. Etwa Grossfeld, Beurteilung, S. 239. In einer Anmerkung zum — auf November 1841 datierten — Vorwort teilt Pohls mit, er habe gerade Treitschkes Aufsatz erhalten, könne diesen aber nicht mehr berücksichtigen. 292 Die Order ist nachgedruckt bei Baums (Hrsg.), Gesetz über die Aktiengesellschaften, S. 131 f. Zur Entstehung des preußischen Aktiengesetzes von 1843 vgl. unter § 4 B. 293 Die vier Kapitel sind überschrieben mit: Von der Actiengesellschaft überhaupt; Von der Verfassung der Actiengesellschaft; Von den Rechtsverhältnissen der Actiengesellschaft; Von der Auflösung der Actiengesellschaft. Nicht ganz hinein passt der Untertitel „Von Eisenbahngesellschaften insbesondre", in dem sich Pohls auf 75 Seiten mit Einzelheiten des Rechts der Eisenbahnen beschäftigt. 294 Pohls, Actiengesellschaften, S. 12. Zur „Natur der Sache" als Rechtsquelle im handelsrechtlichen Schrifttum des frühen 19. Jahrhunderts siehe auch Montag, Lehrdarstellung, S. 87 ff 295 Hierzu unter § 4 D II.2. 296 Pohls, Actiengesellschaften, S. 8, vgl. auch S. 22 ff. 290 291
142
§ 3 Konzessionierte
Gesellschaften auf Aktien
Aktiengesellschaft wird eine doppelte Funktion, eine wirtschaftspolitische und eine Anleger-schützende, zugeschrieben: Erster Zweck der Konzessionsprüfung habe die Untersuchung zu sein, „ob denn der Zweck der Gesellschaft wirklich ein solcher sey, daß seine Erreichung größere Mittel erfordert, und darüber, ob denn nicht die Privatindustrie darunter leide." 297 . Der zweite Punkt, den der Staat bei der angestrebten Gründung einer Aktiengesellschaft ins Auge fasse, sei „die beabsichtigte innere Einrichtung derselben". Die Errichtung der Gesellschaft habe die Benutzung fremden Vermögens zur Folge; der Staat müsse deshalb darauf achten, dass nicht das Vertrauen, die Unerfahrenheit Dritter missbraucht werde: „Die Rechtlichkeit der beabsichtigten Gesellschaft ist es, von der sich der Staat zu überzeugen hat." 298 Diese Aussage weckt die Erwartung auf nähere Ausführungen zur Binnenorganisation der AG, doch wirken die folgenden Darlegungen recht blass: Es wird vor Schwindelgründungen gewarnt; betont, der Staat habe zu prüfen, ob denn „die Mittel der Gesellschaft dem beabsichtigten Zweck angemessen" seien und tatsächlich zur Verfügung stünden; schließlich heißt es, der Zweck der Gesellschaft dürfe nicht gegen die Gesetze und die guten Sitten verstoßen. „Was dagegen die innere Einrichtung der Gesellschaft betrifft, so läßt sich im Allgemeinen nur sagen, daß sie dem Zwecke zu dessen Realisirung sie errichtet wird, entsprechen müsse." 299 Eventuell empfehle sich in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf die Verwalter und Geschäftsführer, ob diese die nötige Garantie für den Bestand der Gesellschaft gewährten. Jedoch kehrt Pohls später noch einmal mit erheblich fassbareren Aussagen zur inneren Organisation der Aktiengesellschaft zurück. 300 . Relativ eingehend widmet er sich dabei der Willensbildung in der Generalversammlung und deren Kompetenzen 301 . Abgelehnt werden von ihm u. a. die in der Praxis weit verbreiteten statutarischen Regelungen, welche die Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung an den Besitz mehrerer Aktien binden. Die Begründung, der Besitzer mehrerer Aktien habe ein größeres Interesse, für das Beste der Gesellschaft zu sorgen, greife nicht durch, „theils, weil denn doch jeder einmal ein Interesse hat, theils, weil sehr leicht gerade das Interesse der größeren Actieninhaber demjenigen der kleineren entgegen seyn kann, theils endlich, weil überhaupt jede unverhältnismäßige Stimmenhäufung in einer Person ver-
297 Pohls, Actiengesellschaften, S. 42. Zwar folgt dem eine engagierte Rede gegen das „Monopolisiren", gegen das „An sich Reißen" ganzer Handelszweige, doch setzt Pohls keinesfalls Aktiengesellschaft und Monopol gleich; ebenso engagiert hatte er nämlich zuvor die AG als solche gegen nationalökonomische Kritik, u. a. von Adam Smith, verteidigt. Vgl. a.a.O., S. 8 ff. 298 Pähls, Actiengesellschaften, S. 46. 299 Pohls, Actiengesellschaften, S. 48. 300 Beeindruckend schon, worauf er seine Darlegungen stützt; in den Anmerkungen erscheinen nicht nur Vorschriften aus ALR, ABGB und Code de Commerce, sondern auch jene des Württemberger Handelsgesetzbuch-Entwurfes (dazu unter § 4 A II.); daneben wird auf die Statuten verschiedener Aktiengesellschaften, auf die Handelsgesetzbücher der Niederlande, Portugals und Spaniens sowie auf ein russisches Reglement von 1837 verwiesen. Dagegen erscheint in den Anmerkungen zu diesem Abschnitt nur eine einzige gerichtliche Entscheidung: Stadtgericht Berlin in Sachen Rhein-Weser-Eisenbahn-AG; vgl. Pohls, Actiengesellschaften, S. 189 Fußn. 9. 301 Pohls, Actiengesellschaften, S. 1 9 4 - 2 1 1 .
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werflich erscheint." Zudem zielten derartige Bestimmungen regelmäßig darauf ab, die betroffenen Aktionäre nicht nur von der Abstimmung, sondern auch von der Mitberatung, ja selbst von der schlichten Teilnahme an der Generalversammlung auszuschließen 3 0 2 . Die Stärkung der Rechte des einzelnen Gesellschafters bezweckt zudem die Bemerkung, es verstehe sich, „daß die Einsicht der Bücher und Papiere der Gesellschaft keinem Actionisten verweigert werden" dürfe. 3 0 3 Zu den Kompetenzen der Generalversammlung wird von Pohls angemerkt, die Versammlung werde in der Regel wenigstens einmal im Jahr zusammenkommen, um die Bilanz des letzten Rechnungsjahres entgegen zu nehmen und die nötigen Wahlen zu treffen. Zudem sei sie außerordentlich immer dann einzuberufen, wenn „Handlungen vorzunehmen und Mittheilungen zu machen sind, über welche nur der Gesammtheit der Actionisten eine Entscheidung zustehet." 304 Insoweit entscheide das Statut der Gesellschaft über die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen von Generalversammlung und Ausschuss. „Allgemein, der Natur der Sache nach, gehören im Grunde alle diejenigen Gegenstände vor die Generalversammlung, von denen man nicht sagen kann, daß sie innerhalb der Grenzen der gewöhnlichen Geschäftsführung (die dem Beamten anheimfällt) und der gewöhnlichen Geschäftsleitung (durch die Direction) liegen." 3 0 5 Hierzu gehörten: die Rechnungsablage, die Wahl von Direktion und Ausschuss, Satzungsänderungen und die „Vermehrung des Actienkapitals". Zwar schließt Pohls abweichende statutarische Regelungen nicht generell aus, sondern betont nur, diese seien als wahre Ausnahmen anzusehen und duldeten keine Ausdehnung; schon die Erörterung der einzelnen Punkte macht dann aber deutlich, wie eng insoweit die entsprechenden Spielräume seiner Meinung nach bemessen sind 3 0 6 ; konsequent daher die abschließende Feststellung: „Nothwendig an die Generalversammlung gebracht werden müssen alle diejenigen [Anträge], die (wie es mit den bisher von 1—4 Aufgezählten der Fall) in die Verfassung der Gesellschaft eingreifen." 3 0 7 Darüber hinaus stünde es Direktion und Ausschuss zwar generell frei, weitere - an sich in ihrer Kompetenz stehende - Gegenstände zur Beratung und Beschlussfassung vor die Generalversammlung zu bringen; deren Entscheidung dann für Direktion und Ausschuss bindend sei. In besonders wichtigen Angelegenheiten dürften beide Organe aber nur auf der Grundlage eines Generalversammlungsbeschlusses handeln 3 0 8 . Hierzu seien u. a. alle Maßnahmen zu rechnen, zu deren Vornahme die Direktoren einer Spezialvollmacht bedürften - exemplarisch wird auf Art. 1988 Code Civil verwiesen: Ver-
Pohls, Actiengesellschaften, S. 199. Pohls, Actiengesellschaften, S. 255. 304 Pohls, Actiengesellschaften, S. 194. 305 Pohls, Actiengesellschaften, S. 195. 306 Bei der Rechnungsablage könne zunächst der Ausschuss mit der Prüfung der Abrechnung beauftragt werden, doch greife dessen Entscheidung (Billigung oder Monitur) nicht dem Beschluss der Generalversammlung vor. Zudem übertrage man „zuweilen" die Wahl der Direktion auf den Ausschuss. Pohls, Actiengesellschaften, S. 196. 307 Pohls, Actiengesellschaften, S. 197. 308 Pohls, Actiengesellschaften, S. 197,220. 302 303
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äußerung unbeweglicher Güter 3 0 9 . Zudem hätte die Direktion zwar für eine Unterbringung und Nutzbarmachung des Gesellschaftskapitals in der herkömmlichen Weise zu sorgen, jedoch: „Außergewöhnliche, nicht durch den gewöhnlichen Geschäftsgang angedeutete, also z. B. besonders gefährliche Benutzung der Capitalien gehört nicht dahin." 3 1 0 Bereits im ersten deutschen Aktienrechtslehrbuch klingen mithin schon ein unentziehbarer Kompetenzbereich der Generalversammlung und damit korrespondierende Vorlagepflichten des Vorstandes an. Angesichts des Einflusses des Werkes von Pohls auf die damalige Praxis ist dieser Befund von einiger Bedeutung.
III. von Reden: Die Eisenbahnen Deutschlands (1843) Friedrich Wilhelm von Reden ( 1 8 0 4 - 1 8 5 7 ) wird zumeist als einer der besten Statistiker seiner Zeit geehrt. Die zu seinen bekanntesten Werken zählende umfangreiche Materialiensammlung zum frühen Eisenbahnwesen 311 vermochte vor 150 Jahren Personen, die sich an die Gründung einer Bahngesellschaft machten, zweifellos wertvolle Hilfe zu leisten; sie wirkt jedoch aus heutiger Sicht mehr als schier endlose Aneinanderreihung von Fakten ohne jede vertiefende Systematisierung denn als eine wissenschaftliche Bearbeitung der Thematik. In der Fülle der gesammelten Materialien geht völlig unter, dass sich v. Reden in manchen Punkten durchaus darum bemüht hat, die Ergebnisse seiner Detail-Untersuchungen zu verallgemeinern und zwar auch in bezug auf die Organisation einer Eisenbahnaktiengesellschaft; ja er äußerte sogar seine persönliche Auffassung zum „besten" inneren Aufbau solcher Gesellschaften 312 . Dies Urteil ist von besonderem Gewicht: Der promovierte Jurist v. Reden, der ab 1834 sechs Jahre lang Generalsekretär des hannoverschen Gewerbevereins gewesen war, wurde im M a i 1841 Spezialdirektor der Berlin-Stettiner Eisenbahngesellschaft, welche immer zu den wirtschaftlich erfolgreichsten preußischen Bahnen gehören sollte. In seine Amtszeit bei der BStEG fielen u. a. die schrittweise Eröffnung der Stammbahn und grundlegende Entscheidungen zur Weiterführung der Strecke über Stettin hinaus 3 1 3 . Die vom preußischen Unterrichtsministerium offerierte ordentliche Universitätsprofessur für Staatswissenschaften ablehnend, wechselte v. Reden 1843 ins Berliner Ministerium des Auswärtigen, wo er - unmittelbar dem Minister unterstellt - mit Gewerbe-, Handels- und Verkehrsangelegenheiten betraut gewesen sein soll . v. Reden konnte also bei seiner Vgl. Pohls, Actiengesellschaften, S. 248 f. U.a. sei der Direktion daher untersagt, in Staatspapieren zu spekulieren. Pohls, Actiengesellschaften, S. 186. 311 Die Eisenbahnen Deutschlands. Statistisch-geschichtliche Darstellung ihrer Entstehung, ihres Verhältnisses zu der Staatsgewalt, so wie ihrer Verwaltungs- und Betriebs-Einrichtungen. Das zumeist in sieben oder elf Bänden gebundene Werk erschien ab 1843 in mehreren Lieferungen. 312 Vgl. v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 109 ff. 313 Vgl. Berlin und seine Eisenbahnen, S. 178. 314 Später war v.Reden Abgeordneter im Frankfurter Parlament, weshalb er nach 1849 aus dem aktiven preußischen Staatsdienst entfernt wurde; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Band 27, S. 513 ff.; Brockhaus, Conversations-Lexikon, 10. Aufl., 12. Band, 1854, S. 615 f. 309 310
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wissenschaftlichen Arbeit, mit der er gewiss auch die statutarischen Regelungen neu entstehender Gesellschaften beeinflusste, auf umfangreichen Praxiskenntnissen aufbauen. In die Thematik einführend betont er, die „Verwaltung der Eisenbahnangelegenheiten" geschehe fast bei allen deutschen Eisenbahnen in vier „Hauptabstufungen": Generalversammlung, Verwaltungsrat bzw. Ausschuss, Direktorium sowie besondere Gesellschafts-Beamte315. Es folgt eine lange Liste von Befugnissen, welche sich regelmäßig die Generalversammlung vorbehalte . Der von v. Reden zusammengestellte Katalog ist zwar „idealtypisch", weil wohl nirgends einer Generalversammlung ausdrücklich alle diese Kompetenzen zugeordnet wurden; er enthält aber diejenigen Regelungen, die sich in jener Zeit am häufigsten finden. Aufgezählt werden auch die üblichen Befugnisse des Verwaltungsrats (des Ausschusses)317; in diesem Rat sieht v. Reden primär eine Behörde, welche die Generalversammlung gegenüber der Direktion vertrete, zudem kontrolliere und koordiniere. Jedoch gäbe es auch Statuten, die dem Verwaltungsrat eine „höhere Stellung" als der Direktion zuwiesen 318 , v. Reden ist dagegen der Auffassung, „daß eine möglichst selbstständige unabhängige Stellung der Direktion der eigenthümlichen Natur einer Eisenbahnunternehmung am besten zusagt; wodurch auch weder die gesetzgebende Gewalt der Generalversammlung, noch die kontrollirende Stellung des Verwaltungsrathes beeinträchtigt wird." 319 Zweckmäßig sei eine einfache Organisation, bei der sich die Generalversammlung „nur die wichtigsten organischen Beschlüsse und die Wahl der Vorstände" vorbehalte, die Befugnisse des Verwaltungsrates auf „eine wirksame obere Kontrolle der Direktion" zugeschnitten würden, und die Direktion „mit möglichst ausgedehnter Gewalt als Gesammtheit" geregelt werde, also „mit Bestimmungen, welche ein Uebergewicht einzelner Mitglieder namentlich des Vorsitzenden, auf das unabweisbare Uebergewicht des Geistes beschränken, auch einen raschen geregelten Geschäftsgang sichern." 320
315 Der „Spezialdirektor" war zumeist der „erste Beamte der Gesellschaft" und kein Mitglied der Direktion. 3 1 6 Aufgezählt wird: „1) die Wahl der Mitglieder der zwei nächsten Behörden, deren Suspension u.s.w.; 2) die Vermehrung des Gesellschafts-Kapitals; 3) Ergänzungen und Abänderungen des Statuts; 4) Ausdehnung der Geschäfte der Gesellschaft, z. B. durch Anlage von Zweigbahnen, Chausseen; 5) Bestimmung über Dividenden und Reservefonds; 6) Verlängerung und Übertragung der Konzession; 7) Auflösung der Gesellschaft; 8) Prüfung der Jahresberichte und Jahresrechnungen; 9) Entscheidung über Differenzen zwischen den beiden folgenden Instanzen". v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 109. 317 Zu den 14 genannten Punkten gehören auch die „Genehmigung der Anlage eines zweiten Gleises" sowie die „Bestätigung von Verträgen über die außergewöhnliche Benutzung der Bahn". v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands V\, S. 109f. 318 Dies geschehe mit der Übertragung folgender Rechte: „1) Die Wahl und die Entfernung der Direktions-Mitglieder; 2) die alleinige Entscheidung über die Etats; 3) die Bestimmung über Dividende und Reservefonds; 4) die Dechargierung der Rechnungsführer; 5) Festsetzung der Tarife; 6) das Recht, die Gesellschaft in allen ihren Verhältnissen zu den Landesbehörden und Privaten zu vertreten." v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 110. 319 v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 110. 320 v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 111.
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Offenbar hatte der Spezialdirektor v. Reden mit der statutarischen Verfassung „seiner" Gesellschaft gute Erfahrungen gemacht, denn die Satzung der Berlin-Stettiner Bahn versuchte - wie damals nur wenige andere 3 2 1 - erkennbar die Direktion vor unmittelbaren Eingriffen in die Geschäftsführung zu schützen: „Die Direktoren verwalten die Angelegenheiten ihres Amts nach bester Einsicht und eigener Ueberzeugung ..." ( § 4 1 ) . ,Als Verwalter der gemeinsamen Angelegenheiten der Gesellschaft ist das Direktorium derselben gegenüber selbstständig und ohne weitere Rückfragen an den Verwaltungsrath oder an die General-Versammlung, als in den ausdrücklich nachfolgend bestimmten Fällen berechtigt, Alles und Jedes, wozu irgend die Gesellschaft befugt ... auszuführen und zu vollziehen ..." (§ 42) 3 2 2 . „Der Verwaltungsrath hat keine unmittelbare Wirksamkeit nach außen ..." (§ 52). Obwohl v. Reden die Direktion vor Eingriffen in die unmittelbare Geschäftsführung schützen will, soll nach seinen Vorstellungen die Generalversammlung nicht machtlos sein. Im Gegenteil: Uber die definitive Zuordnung der grundsätzlichen Entscheidungen in die Kompetenz der Generalversammlung versucht er offenbar auch eine zu große Machtfülle beim Verwaltungsrat zu verhindern, weil eine solche Machtfülle zumindest tendenziell die Unabhängigkeit der Direktion bedroht. Den Darlegungen v.Redens, die sich auf langjährig erworbene Praxiskenntnisse stützen, liegt mithin bereits ein großer Leitgedanke zugrunde, der Jahrzehnte später zu einem der zentralen Motive der Aktienrechtsreform von 1884 3 2 3 und des von dieser umgesetzten Verbandssouveränitäts-Konzepts werden wird: Die innere Organisation der Aktiengesellschaft sollte durch eine gewisse Machtbalance der verschiedenen Gesellschaftsorgane gekennzeichnet sein.
IV. Jolly: Das Recht der Actiengesellschaften
(1847)
Der in Mannheim geborene Julius Jolly (1823 - 1891) studiert in Berlin und Heidelberg Rechtswissenschaft. Schon 1847 habilitiert er sich, ebenfalls in Heidelberg. Als Liberaler vermag er jedoch nach 1849 in der akademischen Laufbahn nicht aufzusteigen. So wechselt er schließlich in die Politik. Nach dem preußischen Sieg bei Königgrätz wird Jolly Ende Juli 1866 badischer Innenminister. Von 1868 bis 1876 ist er dann sogar Regierungschef des Großherzogtums; er gilt noch heute als einer der fähigsten und tatkräftigsten badischen Politiker des 19. Jahrhunderts. 3 2 4 Schon 1847 erscheint in der
321 In den Satzungen mehrerer 1844/45 konzessionierter sächsischer Gesellschaften wird betont, dass der Ausschuss „weder in seiner Gesammtheit, noch durch deputirte Mitglieder berechtigt ist, Anordnungen im Geschäftsbetriebe zu treffen"; auch könnten Vorschläge des Ausschusses „soweit sie nicht die Befolgung statutarischer Bestimmungen betreffen, nur consultativ sein". § 69 lit. i SSEG; vgl. auch jeweils § 66 lit. i LZEG und CREG. 322 Im Gegenzug war im BStEG-Statut aber auch ausdrücklich bestimmt, dass die Gesellschaft das Recht habe, „ein jedes Mitglied des Direktorii zu jeder Zeit von seinem Amt zu entfernen." Hierüber hatte auf Antrag des Verwaltungsrates die Generalversammlung zu entscheiden (§41). 323 Zur Aktiennovelle vom 18.7.1884 siehe unter § 7 C. 324 Zu Julius j o l l y siehe nur Neue Deutsche Biographie, 10. Band, S. 589 ff
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Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft sein Beitrag „Das Recht der Actiengesellschaften"; eine Abhandlung von monographischem Umfang 325 . Jolly berücksichtigt u. a. die Werke von Pohls und Treitschke, zudem die Statuten von ca. 10 - zumeist süddeutschen - Aktiengesellschaften. Ohne Erwähnung bleibt dagegen das preußische Aktiengesetz von 1843. Eingehend werden zunächst Begriff und Wesen der Aktiengesellschaft untersucht; später widmet sich Jolly dann aber auch deren innerer Organisation. Dabei schwankt der Stil der Darstellung allerdings erheblich: Der vertieften, ja mitunter arg in die Breite gehenden Erörterung von Einzelfragen folgen kursorische Beschreibungen und umgekehrt. Wenig Beachtung findet die jeweilige Zuständigkeit der verschiedenen Organe. Eher beiläufig wird lediglich erwähnt, aus dem Umfange der dem Vorstand eingeräumten Befugnisse ergebe sich, wann ein Beschluss sämtlicher Aktionäre erforderlich sei; im Zweifel müssten alle den Bereich der normalen Geschäftsführung überschreitenden Fragen der Generalversammlung vorgelegt werden . Die Kompetenzen des Ausschusses bzw. Administrationsrates bleiben völlig unbeachtet; ausführlich wird dagegen die Frage diskutiert, ob in Aktiengesellschaften dem Grundsatz nach bei der Beschlussfassung stets Einstimmigkeit nötig sei oder nicht. Zwar erklärten wohl alle AGStatuten ausdrücklich Mehrheitsbeschlüsse für zulässig, ohnehin machten Klauseln, die das Stimmrecht an den Besitz mehrerer Aktien bänden oder eine Abstufung der Stimmberechtigung regelten, deutlich, dass es in dieser Gesellschaft nicht auf die Zustimmung eines jeden Aktionärs ankommen solle. Hieraus könne jedoch nicht geschlussfolgert werden, selbst wenn eine positive Ubereinkunft fehle, sei nie Stimmeneinhelligkeit nötig - Pöhk mache es sich mit seiner Behauptung, in der Generalversammlung der AG entscheide schlechtweg die Mehrheit, zu einfach 327 . Allerdings gelangt dann auch Jolly zur Auffassung, „daß abgesehen von besonderen Statuten, bei Ausübung der Rechte und Verbindlichkeiten, welche die Actionäre durch Eingehung des Gesellschaftsvertrages sich gegenseitig eingeräumt, resp. übernommen haben, Stimmenmehrheit entscheidet, während zu einem Beschlüsse, welcher die festgesetzten Rechte oder Verbindlichkeiten ändert, Stimmeneinhelligkeit zu fordern ist." 328 In den allermeisten Fällen sei die Zuordnung zu einer der beiden Gruppen gewiss leicht zu treffen 329 : So komme es bei Wahlen, bei der Festsetzung der Dividenden und bei der Entscheidung wichtiger, aber an sich dem Bereich der Geschäftsführung zugehöriger, Fragen lediglich auf die Zustimmung der Mehrheit an. Einstimmigkeit sei dagegen erforderlich bei der Änderung des Zwecks, bei der vorzeitigen Auflösung der Gesellschaft oder deren Fortsetzung über den vereinbarten Endtermin hinaus, bei Kapitalerhöhung und -herabsetzung, es sei denn, eine solche Maßnahme werde von Zs.f.dt.R„ 11 ( 1 8 4 7 ) , 3 1 7 - 4 4 9 . Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847),317,410,sieheferner 370f„403. 327 Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317,398 f, 401. 328 Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317, 401. Begründet wird die generelle Geltung des Mehrheitsprinzips vor allem mit der Erwägung, die Gesellschaft könne unmöglich ihren Zweck erreichen, wenn schon der Widerspruch eines einzigen Aktionärs die Beschlussfassung verhindere. A.a.O., S. 402 f. 329 Zum Folgenden Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317, 403 ff. 325 326
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Anfang an vom Gesellschaftsvertrag in Aussicht gestellt. Einstimmigkeit sei aber auch nötig, falls ein Darlehen „zum ausgedehnteren Betriebe des Geschäftes" aufgenommen werden solle. In der Aufnahme eines solchen Darlehens liege nämlich eine Überschreitung der Grenze, welche ursprünglich für die von der Gesellschaft auszuführenden Rechtsgeschäfte gezogen worden sei. Kein Aktionär brauche sich gefallen zu lassen, dass hierdurch die Kraft der AG teilweise auf ein anderes Ziel als das ursprüngliche verwendet werde. Schließlich verlangt Jolly noch Einstimmigkeit für Beschlüsse über den Umfang, die Bildung und die Verwendung des Reservefonds sowie über die Entlastung des Vorstandes 330 . So sehr Jollys Konzept auf den ersten Blick durch konsequente Strenge beeindruckt - selbst bei striktester Umsetzung wäre es praktisch weitgehend folgenlos geblieben: Es wird nämlich mit der Bemerkung entschärft, erkläre das Statut für eine Frage, bei der es an sich auf Einstimmigkeit ankomme, eine (qualifizierte) Mehrheit für genügend, so habe dies auch für alle anderen nicht ausdrücklich erwähnten (Einstimmigkeits-) Fälle zu gelten 331 . Während all diese Ausführungen nicht wesentlich über das hinausgehen, was man auch bei anderen zeitgenössischen Autoren nachlesen kann, gelingt es Jolly bei einem anderen Punkt, den Aktionärsklagen, neue Akzente zu setzen, deren Nachwirken sich noch über Jahrzehnte hinweg nachweisen lässt: Hervorgehoben wird zunächst, jeder Aktionär habe ein Recht darauf, „daß das beabsichtigte gemeinschaftliche Unternehmen in Gemäßheit der Statuten betrieben werde, daß also auch alles dazu Erforderliche ... gehörig geschehe." Der Vorstand verwalte die Rechte der Aktionäre; „es wäre ein Eingriff in die Rechte derselben, wenn eine Mehrheit von ihnen die Minorität zu dem Anerkenntniß zwingen könnte, der Vorstand habe seine Verbindlichkeiten gegen den Einzelnen erfüllt, während dieß vielleicht wirklich oder wenigstens nach der Vorstellung jener nicht der Fall ist." Auch wenn das Statut die Decharge des Vorstandes ausdrücklich dem Befinden der Mehrheit überlassen habe, brauche sich der einzelne Aktionär nicht zu beruhigen, so er dem Vorstand einen dolus nachweisen könne 333 . „Glaubt ein Einzelner, der Vorstand der Gesellschaft habe sich einer Rechtsverletzung schuldig gemacht, ohne daß die statutenmäßig zur Kontrole berufene Behörde oder die etwa zusammengetretenen Actionäre selbst in ihrer Gesammtheit diese Ansicht theilen, so steht es ihm frei zur Beseitigung der behaupteten Rechtsverletzung den Schutz des Richters anzurufen." In gleicher Weise könne jeder Aktionär vorgehen, wenn sich die Generalversammlung statutenwidrig verhalte, z. B. Beschlüsse mit einfacher statt mit der an sich erforderlichen qualifizierten Mehrheit fasse. 334
Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317,406 f. Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317,407. 332 Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317, 393 f. Vgl. zum Folgenden auch Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 226 f. 333 Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317,406. 334 Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317, 422. Um solche Rechtswidrigkeiten rückgängig zu machen, habe sich der Betroffene „an die Gesellschaft als Ganzes, repräsentirt durch ihren Vorstand" zu halten. A.a.O., S. 423. 330 331
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Größere praktische Bedeutung erlangen die Aktionärsklagen erst ein Vierteljahrhundert später in der Praxis des Reichsoberhandelsgerichts (vgl. § 7 B 1.2). Auf die Schiedsgerichte, die um die Jahrhundertmitte herum das Aktienwesen noch prägen, geht Jolly dagegen nicht ein. Für den fehlenden Bezug zur aktienrechtlichen Praxis steht wohl zudem die - nicht näher ausgeführte - Feststellung: Bei Rechtsverletzungen „erwache" beim einzelnen Aktionär auch wieder das Recht auf Einsicht in die Bücher und auf spezielle Rechnungslage, welches ansonsten nur von der Generalversammlung und einer besonderen Kontrollbehörde wahrgenommen werden könne 3 3 5 .
335
Jolly, Zs.f.dt.R., 11 (1847), 317, S. 424f.
§ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
A. Gescheiterte Entwürfe Schon in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden in deutschen Einzelstaaten Entwürfe für eine gesetzliche Regelung des Aktienrechts vorgelegt. Im Königreich Sachsen beschäftigten sich in den Jahren 1836/37 beide Kammern der Stände mit einem „Gesetz-Entwurf, die Actienvereine betreffend" 1 . Das Gesetz scheiterte, weil sich Regierung und Stände nicht über eine eher nebensächliche Frage verständigen konnten 2 . In Württemberg legte der Obertribunalrat von Hofacker
1839 einen im Auftrag
der Regierung angefertigten Entwurf für ein Handelsgesetzbuch vor 3 , das unter dem Titel „Von einigen besonderen Arten, Handel zu treiben" u. a. auch die Handelsgesellschaften zu regeln suchte. Zwar wurde in Württemberg wegen dieses Entwurfes nie ein formelles Gesetzgebungsverfahren eingeleitet, gleichwohl fand er erhebliche Beachtung . So gab er auch das Vorbild für den Entwurf einer Handels- und Wechselordnung für das Herzogtum Nassau von 1842 ab; dieser enthielt im 3. Kapitel des Dritten Titels ebenfalls Bestimmungen für Handelsgesellschaften. Der Entwurf aus Nassau übernahm jedoch die Bestimmungen des württembergischen so weitgehend, dass ihm nur geringe eigenständige Bedeutung zukommt 5 . Auf ihn soll hier daher nicht eingegangen werden.
1
Der Entwurf ist mit Motiven und weiteren Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren nach-
gedruckt bei: Baums-Stammberger, 2
Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 121 ff.
Die Stände vertraten die Auffassung, Zeichner von noch nicht voll eingezahlten Inhaberaktien soll-
ten sich durch Abandon der restlichen EinZahlungsverpflichtungen entledigen können; die Regierung lehnte dies ab. Vgl. Baums-Stammberger,
Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 85 f.; Wagner, Gesellschafts-
recht, S. 3 0 0 6 . Ein solches Abandon-Recht wurde dann wenige Monate später von vielen Aktionären der Rhein-Weser-Eisenbahn-AG - gerade von solchen aus Sachsen — geltend gemacht. Vgl. hierzu unter § 3 B 11.4. 3
Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg mit Motiven, I. Theil Entwurf
des Handelsgesetzbuches, Stuttgart 1839,11. Theil Motive, Stuttgart 1840. 4
Neuere Würdigungen des Württembergischen HGB-Entwurfes finden sich bei Bergfeld,
recht, S. 2 8 6 9 f f . ; den.,
Ius commune, Bd. 7, S. 2 2 6 f f . ; Mayer,
Handels-
Beitrag, S. lOOff.; Raisch, Abgrenzung,
S. 7 0 ff. 5
Vgl. zum Entwurf einer Handels- und Wechselordnung siehe nur Raiseh, Abgrenzung, S. 86 f.; Ser-
vos, Personenhandelsgesellschaften, S. 169 f.
152
§ 4 Aktiengesetzgebung
unter dem
Konzessionssystem
I. Sächsischer Aktiengesetzentwurf von 1836/37 Der sächsische Gesetzentwurf ist mit nur neun Paragraphen nicht viel umfangreicher als die einschlägigen Bestimmungen des Code de Commerce, an denen sich die Verfasser des Entwurfs offensichtlich orientierten 6 . Inhaltlich geht der Entwurf daher auch nicht wesentlich über die in besonderen Regelungen für Eisenbahnaktiengesellschaften enthaltenen Vorschriften (vgl. unter § 3 A III) hinaus. Insbesondere bleibt wie beim Code - die gesamte innere Organisation der Aktiengesellschaft unberücksichtigt. Die Motive verweisen zur Ergänzung der Entwurfs-Regelungen auf die „allgemeine Gesetzgebung" und die „speziellen Statuten" 7 ; wobei unter „allgemeiner Gesetzgebung" die Grundsätze über die „Verträge überhaupt" und über den Gesellschaftsvertrag verstanden werden 8 . Hiergegen wandte sich der vom Leipziger Ordinarius Carl Friedrich Günther verfasste Bericht der Ersten Deputation der Ersten Stände-Kammer 9 . Recht ausführlich wird im Bericht dargelegt, warum die gemein- bzw. römischrechtlichen Grundsätze über den Gesellschaftsvertrag noch nicht einmal auf die unbestätigte Aktiengesellschaft Anwendung finden könnten 1 0 . Auch die Art und Weise, in der von den Motiven versucht wird, den Verweis auf die „speziellen Statuten" näher auszuführen, vermittelt den Eindruck, den Entwurfsverfassern habe - zumindest was die innere Organisation der Aktiengesellschaft anbetrifft noch die rechte Vorstellung der einschlägigen Regelungsprobleme gefehlt. Insoweit wird unter den Sätzen, „die in allen Statuten von Aktienvereinen vorkommen werden", nur erwähnt: „die Art der Verwaltung durch ein besonderes Direktorium, mit welchem insbesondere auch die Regierung sich vernehmen kann" 1 1 . Diesen und ähnliche Sätze, wird betont, hätte man vielleicht in einer Verordnung zusammenstellen können, „allein die Zahl solcher Sätze läßt sich nicht erschöpfen, und da sich bei jedem einzelnen wieder eine Menge Modifikationen denken lassen, so schien es weit angemessener, der Regierung vorzubehalten, bei Prüfung der Statuten in jedem einzelnen Falle das zu bemerken, was ihr beizufügen oder hinwegzulassen zweckmäßig scheint." 12 Auch die Vorschläge des Deputationsberichts reichen hier nicht sehr viel weiter: Das Gesetz solle von den Statuten eine ausdrückliche Bestimmung zur Vertretung der Gesellschaft fordern (§ 2b), zudem müsse die Aufzählung der Auflösungsgründe in § 7 um den Zusatz
Vgl. Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 54 ff. Vgl. Motive, nachgedruckt bei: Baums-Stammberger; Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 127. 8 Vgl. Motive, bei Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 124. 9 Carl Friedrich Günther (1786 — 1864) wurde in Leipzig geboren, wo er auch ab 1803 Rechtswissenschaft studierte und 1808 promovierte. 1825 wurde er ordentliches Mitglied der Leipziger Spruchfakultät und 1828 Ordinarius. Als Rektor der Universität vertrat er diese in der Ersten Ständekammer. Zur Person Günthers vgl. Brockhaus, Conversations-Lexikon, 10. Aufl., 7. Band, 1852, S. 318; zum Bericht der Deputation siehe Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 68 ff.; zur historischen Einordnung der Lehren Günthers femer J.Schröder, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/83), 399, 456 ff. 10 Bericht der ersten Deputation der ersten Kammer, den Gesetzentwurf wegen der Actienvereine betreffend, nachgedruckt bei Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 132ff. 11 Motive, bei Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 128. 12 Motive, bei Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 128 f. 6 7
A. Gescheiterte
Entwürfe
153
„durch gemeinschaftliche Beschlußnahme aller Teilnehmer" ergänzt werden 13 . So liegt denn die historische Bedeutung des sächsischen Entwurfs von 1836/37 weniger in der arg rudimentären Regelung der konzessionierten Aktiengesellschaft, als vielmehr in den Gedanken, die im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Rechtsstellung der nicht konzessionierten Gesellschaft geäußert wurden. Anders als der Code de Commerce löste der sächsische Entwurf dies Problem nicht einfach dadurch, dass eine generelle Konzessionspflicht für alle Aktiengesellschaften angeordnet wurde. Offenbar sollten weiterhin auch unbestätigte Gesellschaften bestehen dürfen. Hierauf wird noch zurückzukommen sein (unter § 5 A).
II. Württemberger Entwurf von 1839 Obertribunalrat von Hofacker hatte den Auftrag gehabt, seinem Entwurf die Vorschriften des Code de Commerce zugrunde zu legen; darüber hinaus berücksichtigte er u. a. auch die Regelungen des ALR sowie des spanischen, des portugiesischen und des niederländischen Handelsgesetzbuches in besonderer Weise . Nach dem Vorbild des Code unterscheidet der Entwurf drei Arten von Gesellschaften: die offene Gesellschaft (bzw. die Gesellschaft unter einem Handlungsnamen), die stille Gesellschaft und die Aktiengesellschaft; allerdings ist v. Hofacker darum bemüht, die verschiedenen Gesellschaften bedeutend ausführlicher als im französischen Gesetzbuch zu regeln: Das Kapitel zum „Gesellschaftshandel" enthält insgesamt 107 Artikel, von denen 31 der Aktiengesellschaft gewidmet sind (Art. 243 - 273). Hinzu kommen die weiterführenden Erläuterungen der Motive, die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum und in späteren Gesetzgebungsverfahren immer wieder Aufmerksamkeit fanden 15 . Die Errichtung einer Aktiengesellschaft bedarf der staatlichen Genehmigung (Art. 244) und mit dieser wird eine neue Rechtsperson geschaffen . Zwar habe man in Württemberg bisher eine solche Genehmigung nicht verlangt, da aber die Aktienunter13
Bericht, bei Baums-Stammberger,
Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 142, 146.
14
Vgl. nur Goldschmidt, H a n d b u c h des Handelsrechts, Bd. 1, S . 6 6 f . ; Wächter, Württembergisches Privatrecht I, S. 9 6 3 f. Karl LudwigWilhelm Hofacker (1798 - 1864) ist zunächst Extraordinarius für Strafrecht an der Universität Tübingen, d a n n Oberjustizrat am Eßlinger Gerichtshof. 1825 wird er zum ersten Mal in die württembergische K a m m e r gewählt. Bekannt macht ihn sein Wirken als „außerordentlicher Regierungskommissar" u n d Staatsaufseher über das Studentenwesen an der Tübinger Universität (1825 1829). Später wird er Richter am Stuttgarter Obertribunal u n d schließlich Präsident des dortigen Kassationsgerichtshofs. Vgl. Brandt, Parlamentarismus, S. 94, 106 f.; N D B Band 9, S. 375. 15 Wenn bei einer Gesamtbeurteilung des Entwurfes der lehrbuchhafte Charakter des Textes beklagt wird, dessen Sinn sich zudem oft erst mit Hilfe der Motive erschließen lasse, vgl. Bergfeld, Ius c o m m u n e , Bd. 7, S. 2 2 6 , 2 4 7 ; ähnlich auch schon Wächter, Württembergisches Privatrecht I, S. 964, so lässt sich dies Urteil auf die Vorschriften über die A G nicht übertragen. Hier orientierte sich v.Hofacker vor allem am Wetboek van Koophandel von 1838; die Motive enthalten ca. 30 Verweise auf dies Gesetz. 16 Art. 256. Der Streit u m die Rechtsnatur der Aktiengesellschaft wird in den Motiven erwähnt, nicht aber entschieden, vgl. S. 2 2 4 f. Die Hauptsache sei, „daß Rechte u n d Verbindlichkeiten nur der Gesellschaft zustehen, u n d daß die einzelnen Mitglieder nicht einmal pro rata Antheil daran haben". So bezeichnet v.Hofacker die A G d a n n zwar als Korporation, S. 219, betont aber andererseits, bei der A G würden die
154
§ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
nehmungen in neuerer Zeit „so weitgreifend und großartig" geworden seien, könne eine „Cognition der Regierung im Interesse der Regierten nur wünschenswerth seyn" 17 . Unerörtert lässt v. Hofacker, ob es bei der staatlichen Konzession um den Schutz des Publikums (der Anleger), der Konkurrenten, der Gläubiger oder der Aktionäre gehen soll. Immerhin bestimmt der Entwurf in Art. 245 jedoch, die Genehmigung könne nur verweigert werden, wenn die Gesellschaft „der Sittlichkeit oder öffentlichen Ordnung" widerstreite oder ihre „besonderen Bestimmungen" gegen das Gesetzesrecht der Art. 247 ff. verstießen. Erläuternd wird betont, diese Vorschrift solle der Konzessionsbehörde als Anhaltspunkt dafür dienen, dass eine Genehmigung niemals willkürlich zu versagen sei, schon weil die Beförderung der Industrie im Interesse der Regierung liege; zudem müsse verhindert werden, dass die Beschränkungen zu weit gingen 18 . Dennoch hat auch v. Hofacker offenbar nicht vor, das Konzessionsverfahren auf die Prüfung einiger weniger formeller Voraussetzungen zu beschränken: Natürlich könne die Regierung ihre Genehmigung „nur nach Erwägung der Verhältnisse" erteilen. Umgekehrt soll eine „willkürliche Aufhebung vor der Zeit" nur mit staatlicher Erlaubnis möglich sein 19 . Ausdrücklich wird auch „die Abänderung der bei der Errichtung festgesetzten Bestimmungen" für genehmigungspflichtig erklärt. Hierunter versteht v. Hofacker allerdings nur „Grundzüge der Gesellschaft", wie z. B. die „Zeit, auf welche die Gesellschaft eingegangen ist". Die vollständigen Statuten, „welche immer viel Reglementäres und Administratives enthalten müssen", könnten auch nach der Errichtung der Gesellschaft entworfen werden; die Regierung habe insoweit nur auf eine Abstimmung mit den genehmigten Grundzügen zu achten. Hier klingt mithin eine gewisse Ausweitung der den Gesellschaftern zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung überlassenen Freiräume an. Näher ausgeführt wird die Unterscheidung von „Grundzügen" und „Statuten" nicht. Schon dies deutet darauf hin, dass dem — der staatlichen Bürokratie angehörigen Entwurfsverfasser nähere Kenntnisse über die Binnenorganisation der Aktiengesellschaft fehlten. Der Entwurf übergeht jedenfalls die innere Organisation der AG zwar nicht vollständig, doch verbleiben die - ohnehin etwas antiquiert wirkenden Aussagen zum Innenrecht — an der Oberfläche. Unterschieden wird lediglich zwischen dem „Verein der Aktionäre" und den „mit der Verwaltung Beauftragten" ; deren jeweilige Zuständigkeit handeln Gesetz und Motive beiläufig mit einigen unsystematisierten Mitglieder anders als bei den Korporationen oder Gemeinden nicht einmal subsidiär haften. Vgl. hierzu Bergfeld, Ius commune, Bd. 7, S. 226, 241 f. 17 WE-Motive, S. 218. 18 WE-Motive, S. 218. Auch bei diesen Regelungen gab das Wetboek van Koophandel von 1838 (Art. 37) das Vorbild ab; mit diesem wurde die ursprünglich ermessensfreie Konzession in eine gebundene umgestaltet. Hierzu Holthöfen Gesellschaftsrecht Niederlande, S. 3453 f. 19 Vgl. WE-Motive, S. 218. Im Gegenzug untersagt Art. 246 aber auch der Regierung die Aufhebung der AG, bloß „weil die Verwalter die bei der Errichtung festgesetzten Bedingungen nicht eingehalten haben." 20 In Art. 265 ist noch von Personen die Rede, „welche an der Verwaltung nicht selbst Theil nehmen, wenn sie auch mit der Aufsicht über die Verwalter beauftragt sind." Die WE-Motive, S. 228, 232, erwähnen „Collegien, Directionen, Ausschüsse" sowie „Aufsichtsbehörden".
A. Gescheiterte Entwürfe
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Bruchstücken ab: Nach dem Gesetzeswortlaut „vertritt" der Verein der Aktionäre die Aktiengesellschaft (Art. 256), in den Motiven wird aber betont, aus dem Zusammenhalt dieser Norm mit dem folgenden Artikel ergebe sich, dass der Verein „eigentlich" nur regiere und anordne. Da die Verwaltung hiervon getrennt sei, könne der Verein nur ausnahmsweise eine Verwaltungshandlung vornehmen; auch dürften sich die nicht zur Verwaltung bestellten Aktionäre nicht in die Verwaltung einmischen 21 . Im Zweifel beauftrage die Generalversammlung die Verwalter; wenigstens ihr müsse es deshalb auch freistehen, diese - vorbehaltlich einer Entschädigung - wieder zu entlassen (Art. 257 Abs. I). 2 2 Nach Art. 266 beschließt die Generalversammlung über die Verlängerung der Gesellschaft, in ihr kann den Aktionären die jährliche Rechnung gelegt werden (Art. 262) 23 ; Art. 256 betont schließlich noch, der Verein der Aktionäre könne nicht willkürlich über das Vermögen der Gesellschaft und deren Auflösung verfügen. Darüber hinaus wird der Generalversammlung von den Motiven noch die Annahme der Satzung und deren Änderung zugeordnet . Die Verwaltung ist gemäß Art. 254 berechtigt, den Veräußerer einer noch nicht voll eingezahlten Aktie aus seinen Verbindlichkeiten gegenüber der Gesellschaft zu entlassen; Art. 263 verpflichtet die Verwaltung, den Aktionären einen Verlust der Hälfte des Einlagekapitals zur Kenntnis zu bringen. Im Verein der Aktionäre entscheidet im Zweifel Stimmenmehrheit (Art. 256 Abs. 2). Sehe das Statut nichts anderes vor, so gewähre jede Aktie eine Stimme, doch könne kein Aktionär mehr als sechs Stimmen auf seine Person vereinigen 25 . Bei einigen Entscheidungen, die nach Auffassung v. Hofackers an sich Einstimmigkeit unter den Aktionären verlangen würden, will der Entwurf die Beschlussfassung erleichtern: So brauchen einer Verlängerung der Gesellschaft nur % der anwesenden Aktionäre zustimmen (Art. 266) . Die Erhöhung des Grundkapitals kann zwar zunächst durch den Widerspruch einzelner Aktionäre verhindert werden; es ist aber möglich, die Widersprechenden gegen Abfindung aus der Gesellschaft zu drängen (Art. 271) . Die Herabsetzung des Grundkapitals soll dagegen einen einstimmig gefassten Beschluss (und die Genehmigung der Regierung) voraussetzen 28 , und auch die Auflösung der 21
WE-Motive, S. 226 f. Die Widerruflichkeit der Verwalter sei eine gesetzliche Bestimmung, die selbst durch die Gründungsakte nicht abgeändert werden könne. WE-Motive, S. 227. 23 Möglich ist es gemäß Art. 262 aber auch, jedem Aktionär eine Rechnungsübersicht zuzuschicken oder eine solche Ubersicht zur Einsicht auszulegen. Diese Rechnungslegung fällt ohnehin nicht unbedingt mit der „Abnahme und Anerkennung" der Rechnung zusammen; für letztere können vom Statut besondere Regelungen getroffen werden; vgl. Art. 265, WE-Motive, S. 232. 24 WE-Motive, S. 220,225. 25 Art. 267. Hat die Gesellschaft insgesamt weniger als 100 Aktien, so darf sogar kein Aktionär mehr als drei Stimmen inne haben. 26 Vgl. auch WE-Motive S. 232. 27 Begründet wird die Regelung u. a. damit, ein solcher Beschluss der Mehrheit könne „ohne Ungerechtigkeit" die Widersprechenden nicht binden. Es müsse aber verhindert werden, dass ein einzelner Aktionär in der Lage sei, willkürlich eine Vermehrung des Gesellschaftskapitals zu vereiteln. WE-Motive, S. 235. 28 WE-Motive, S. 230. In der Sache entstünde eine neue Gesellschaft mit verringerten Fonds. 22
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§ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
Gesellschaft vor der Zeit kann gegen den Widerspruch Einzelner nicht „von der größten Majorität beschlossen werden", es sei denn, das Vermögen der Gesellschaft genüge dem Gesellschaftszweck nicht mehr 2 9 . Nach Art. 2 7 9 soll jeder Streit unter den Gesellschaftern in Gesellschaftsangelegenheiten von Schiedsrichtern entschieden werden, „wenn die Parteien nicht darauf verzichten". Nur so sei es möglich, die Streitigkeiten schnell zu erledigen 30 .
B. Das Preußische Aktiengesetz von 1843 I. Vorgeschichte In gewisser Weise beginnt die Geschichte des ersten deutschen Aktiengesetzes im Dezember 1835, als pommersche Kaufleute in Stettin eine Aktiengesellschaft, die Neue Stettiner Zuckersiederei, gründen 3 1 . Die Gründung einer A G zur Gewinnung von Rübenzucker ist zu dieser Zeit an sich schon nicht mehr sonderlich spektakulär; in vielen Teilen Deutschlands entstehen in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts vergleichbare Unternehmen. Die Zuckerindustrie gehört neben dem Eisenbahnwesen zu jenen Branchen, in denen sich die Aktiengesellschaften rasch verbreiten, was auch darauf zurückzuführen ist, dass gerade Gesellschaften zur Zuckergewinnung häufig ganz auf die staatliche Konzession verzichten 32 . Die Gründer der Neuen Stettiner Zuckersiederei beabsichtigen jedoch, diesen Weg nicht zu gehen; sogleich bemühen sie sich in Berlin um die Verleihung von Rechtsfähigkeit. Auch dies allein hebt die Stettiner Gründung aber noch nicht heraus, denn in Preußen existieren schon einige konzessionierte Aktiengesellschaften zur Zuckergewinnung; zumindest eine „Teilprivilegierung" (vgl. unter § 3 A I) ist mithin nicht völlig ausgeschlossen. In der Tat bietet die Berliner Ministerialbürokratie schon im April 1 8 3 6 Korporationsrechte zum Erwerb von Grundstücksrechten an. Hiermit gibt sich die Neue Zuckersiederei jedoch nicht zufrieden, man verlangt die Verleihung von Korporationsrechten schlechthin. In einer Zeit, in der A G Gründungen durchaus am fehlenden Entgegenkommen der Ministerialverwaltung scheitern können, scheint ein solches Vorgehen nicht sonderlich klug zu sein; allein, die Gründer der Neuen Zuckersiederei wissen, mit welcher Argumentation sie Druck auf die Berliner Ministerien ausüben können: In Stettin gibt es schon seit 1819 eine Aktiengesellschaft zur Zuckergewinnung, und bei der Konzession der „Pommerschen Provinzial-Zucker-Siederei" hatte der preußische Staatskanzler Hardenberg
ausdrücklich bestimmt, dieser Gesellschaft stünden we-
Hiervon sei bei einem Verlust von 50 % des Grundkapitals auszugehen. WE-Motive, S. 233. WE-Motive, S. 240. Ausdrücklich wird dort auch betont, die Frage über den rechtlichen Bestand der Gesellschaft werde vom Gesetz nicht den Schiedsrichtern zugewiesen. 31 Die Entwicklungen, die zur Entstehung des preußischen Aktiengesetzes führten, sind ausführlich und überaus lesenswert dargestellt worden von Martin, V S W G 56 (1969), 499 ff., zum Folgenden insb. 5 0 4 , 5 3 4 ff. 3 2 Hierzu unter § 5 A. 29
30
B. Das Preußische Aktiengesetz von 1843
157
der der Anspruch auf die alleinige Zuckerproduktion noch besondere Vorrechte zu 3 3 . Die Konzessionsbehörde steckt mithin in einem Dilemma; denn verweigert sie der Neuen Zuckersiederei die Korporationsrechte, so privilegiert sie in der Sache unzweifelhaft die erste Gesellschaft. Andererseits kann sie dem Gesuch der Neuen Zuckersiederei nicht einmal mit der Argumentation stattgeben, Zucker sei ein besonderes Konsumgut, dessen Herstellung gemeinnützig sei - der Zuckerbedarf in Stettin und Umgebung wird schon von der ersten Gesellschaft gedeckt. Die Behörde könnte die Gemeinnützigkeit lediglich an der Schaffung von Arbeitsplätzen und an der Abführung von Steuern festmachen 3 4 , dann aber wäre die T ü r zur generellen Lösung weit offen. So wird zwar am 1 3 . 7 . 1 8 3 7 die Verleihung von Korporationsrechten an die Neue Zuckersiederei abgelehnt 3 5 ; schon am gleichen Tag jedoch erlässt der preußische König eine Allerhöchste Kabinettsordre, in der die beschleunigte Beratung eines allgemeinen Gesetzes über Aktiengesellschaften angeordnet wird. Obwohl es noch eine ganze Weile dauert, bis dies Gesetz tatsächlich ergeht, ist der Stein „ins Rollen" gebracht; und dass ihn die Bürokratie nicht wieder zum Stehen bringt, dafür sorgen schon die Herren aus Stettin, die den König mit Eingaben und Schreiben geradezu bombardieren 3 6 .
II. Konzessionierungs-
Voraussetzungen
1. Verzicht auf eine Regelung im Gesetz Der königlichen Ordre von Juli 1837 zufolge soll das Aktiengesetz eine Lücke im Allgemeinen Landrecht schließen; noch der Entwurf des Staatsministeriums 37 beschränkt deshalb den Geltungsbereich des Gesetzes auf jene Provinzen, in denen das A L R gilt. Nachdem die vereinigten Abteilungen (für Justiz und Finanzen) des Königlichen Staatsrats auf die Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht hatten, die sich aus einer solchen Beschränkung ergeben würden 3 8 , ergeht das Aktiengesetz von 1 8 4 3 für die gesamte preußische Monarchie. In den Gebieten des französischen Rechts löst es mithin das Aktienrecht des Code de Commerce ab. Trotz längerer Vorarbeit fällt das Aktiengesetz nicht sonderlich umfangreich aus; es enthält lediglich 3 0 - zumeist sehr kur-
33
Martin, V S W G 56 (1969), 499, 530.
Gerade hierauf wurde von der Neuen Zuckersiederei später immer wieder verwiesen; vgl. Martin, V S W G 56 (1969), 499, 538f., 541. 3 5 Der Neuen Zuckersiederei wird vorgeschlagen, auf der Grundlage des Rechts der ALR-Gesellschaft entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag zu treffen; dies war nicht ganz so abwegig wie Martin, V S W G 56 (1969), 499, 536, glaubt. Vgl. unter § 5 A. 3 6 Zu den Vorarbeiten für eine Kodifizierung des Aktienrechts in Preußen siehe Schumacher, Organisation, S. 45 ff. Die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens sind nachgedruckt bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 45 ff. Als das Staatsministerium im Januar 1842 den Entwurf für ein Aktiengesetz vorlegt, verweist es im Begleitschreiben, a.a.O., S. 48, ausdrücklich auf die Neue Stettiner Zuckersiederei. 37 Nachgedruckt bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 96 ff. 3 8 Gutachten der vereinigten Abteilungen, nachgedruckt bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 134 ff., 136 f. 34
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§ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
ze — Paragraphen. Schon § 1 Satz 1 verankert das Konzessionssystem, denn Aktiengesellschaften „mit den im gegenwärtigen Gesetze bestimmten Rechten und Pflichten können nur mit landesherrlicher Genehmigung errichtet werden." Man beabsichtigt zwar kein Verbot derjenigen Aktiengesellschaften, die nicht um eine Bestätigung nachgesucht haben, „die Eigenschaft juristischer Personen" erhalten die Aktiengesellschaften jedoch nur durch die staatliche Genehmigung 39 . Die Vorschriften des Aktiengesetzes binden die staatliche Genehmigung einer AG nicht an den Nachweis deren Gemeinnützigkeit, was vor allem dem Votum des neuernannten Staatsministers für Gesetzrevision von Savigny auf der Sitzung des Staatsrates vom 14.6.1843 zu verdanken sein soll . Ob auch nicht gemeinnützige Aktiengesellschaften eine Konzession sollten erlangen können, war zuvor im Gesetzgebungsverfahren heftig umstritten gewesen41, zumal man dies Problem zumeist noch mit der Frage verband, inwieweit das Ermessen der Konzessionsbehörde zu beschränken sei. Ganz bewusst wurde Abstand von einer Regelung nach Vorbild des Wetboek van Koophandel (und des Württemberger Entwurfs, vgl. unter A II) genommen 42 . Im Staatsrat wollte man dem freien Ermessen keine Grenze setzen; keinesfalls sollte es einen Anspruch auf Konzessionierung geben 43 . Mehrheitlich wurde daher beschlossen, die Bedingungen, unter denen eine Konzession erfolgen könne, in einer Verwaltungs-Instruktion zu regeln. Das preußische Aktiengesetz schloss mithin die Genehmigung nicht gemeinnütziger Aktiengesellschaften zwar nicht aus , es beantwortete die Frage aber auch nicht definitiv positiv.
39 § 8 Aktiengesetz. Bei den Beratungen im Staatsrat wird allerdings hervorgehoben, dass auch nicht bestätigte Aktiengesellschaften einzelne Korporationsrechte durch besonderes Privileg verliehen bekommen können, vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S.186.
Vgl. Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 31 ff., 168 ff. So hatte es die Kommission für die Revision des Handelsrechts abgelehnt, auf die Gemeinnützigkeit abzustellen, vgl. die Motive zum Entwurf der Kommission, bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 65 f. Justizminister Mühler und Finanzminister Grafvon Alvensleben legten einen Alternativentwurf mit einer Parallelregelung vor, vgl. a.a.O., S. 70 ff., 102 ff.: Danach konnten nur die gemeinnützigen Aktiengesellschaften sämtliche Korporationsrechte erlangen, allen übrigen Gesellschaften sollte die besondere Rechtsform einer „privilegierten Gesellschaft" offen stehen, deren Mitglieder subsidiär für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften hatten. Bei den Beratungen im Staatsministerium beschloss man, die Konzession auf gemeinnützige Gesellschaften zu beschränken vgl., a.a.O., S. 89, 96; hiergegen wiederum sprachen sich mehrere Gutachten und die vereinigten Abteilungen des Staatsrats aus, a.a.O., S. 111, 120, 137 ff. 40 41
4 2 Auf Art. 37 Wetboek gehen u. a. ein: die Motive zum Entwurf der Handelsrechts-Revision-Kommission, und das Gutachten der vereinigten Abteilungen, vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 64f., 142.
Vgl. nur Protokoll, bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 177 ff. Im Plenarbeschluß des Staatsrats heißt es, „die Ausführung der Abtheilungen, daß die Beschränkung auf einen gemeinnützigen Zweck nicht angemessen sey", habe keinen Widerspruch gefunden. Vgl. bei: Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 193. 43 44
B. Das Preußische Aktiengesetz von 1843
2. Ministerielle
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Instruktionen
Die schon bei den Beratungen des Aktiengesetzes im Staatsrat in Aussicht gestellte Verwaltungs-Instruktion zur näheren Bestimmung derjenigen Bedingungen, unter denen Aktiengesellschaften konzessioniert werden können, erging am 22. April 184 5 4 5 . Die Regelungen dieser Instruktion werden höchst unterschiedlich bewertet. Zum einen ist - gewiss zu plakativ - die Rede von „Normativbestimmungen gegen die sonstigen Aktiengesellschaften", die auf den „engagierten Gegner des Aktienwesens" v. Bodelschwingh zurückzuführen seien und eine „Renaissance der Gemeinnützigkeitsvorstellungen" gebracht hätten . Zum anderen wird hervorgehoben, keinesfalls habe mit der Instruktion die „Gemeinnützigkeit" als Voraussetzung für eine Konzessionierung von Aktiengesellschaften „durch die Hintertür" wieder Einzug gehalten: Ziffer 1 der Instruktion stelle nicht auf die Gemeinnützigkeit der Aktiengesellschaft ab, sondern nur darauf, dass diese „aus allgemeinen Gesichtspunkten nützlich und der Beförderung werth" erscheine. Insoweit werde also nur (negativ) gefordert, dass die Gesellschaft nicht dem gemeinen Wohl zuwider laufe, eine (positive) Gemeinnützigkeit sei dagegen nicht nötig. Die Instruktion lasse sich deshalb sehr wohl mit der Grundtendenz des Aktiengesetzes von 1843, das alle Aktiengesellschaften als konzessionsfähig angesehen habe, vereinen 47 . Letztere Wertung verschweigt jedoch weitere Regelungen der Instruktion: Vor allem bei Gewerbe- und Handelsunternehmen soll zusätzlich überprüft werden, ob das beabsichtigte Unternehmen ein so beträchtliches Kapital erfordere, dass „es von Einzelnen nicht wohl in angemessenem Umfange begründet und betrieben werden" könne; zudem sei wichtig, ob es um die Erschließung eines neuen Industriezweiges gehe. Ausdrücklich heißt es dann: „In Ermangelung dieser Voraussetzungen, namentlich dann, wenn von neuen Etablissements in einem schon einheimischen Industrie- oder Geschäftszweige die Rede ist, der füglich von Einzelnen verfolgt und ausgebildet werden kann, wird auf Anträge wegen Genehmigung der Errichtung von Aktiengesellschaften nicht einzugehen sein." 48 Die Verfasser der Instruktion ließen sich mithin von wirtschaftspolitischen Vorstellungen leiten, nach denen die Rechtsform .Aktiengesellschaft" lediglich subsidiär Verwendung finden sollte. Wenn also auch nicht mehr der „fortdauernde gemeinnützige Zweck" im Sinne des § 25 II 6 ALR Voraussetzung für die Konzessionierung einer Aktiengesellschaft war, so
45 Instruktion die Grundsätze in Ansehung der Konzessionirung von Aktiengesellschaften betreffend, Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1845, 121, nachgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 41 ff. 46 So Martin, 56 (1969), 499, 526f. Ernst von Bodelschwingh-Velmede (1794 - 1854) war zunächst Oberpräsident der Rheinprovinz gewesen; 1842 wechselte er als Finanzminister nach Berlin. Schon im Sommer 1844 übernahm er jedoch die Leitung des Innenministeriums. Die Instruktion von April 1845 trägt deshalb auch gar nicht seine Unterschrift. 47 Siehe Rauch, Z R G Germ. Abt. 69 (1952), 239, 284 f. 48 An noch höhere Voraussetzungen wird die Genehmigung von Gesellschaften mit Inhaberaktien gebunden: über den Kreis örtlicher Wirksamkeit u n d Nützlichkeit hinausgehend; im höheren Interesse des Gemeinwohls besondere Begünstigung verdienend; ohne Inhaberaktien voraussichtlich nicht zur Ausführung k o m m e n d . Vgl. Ziffer II der Instruktion.
160
§ 4 Aktiengesetzgebung
unter dem
Konzessionssystem
wollte man sich in Preußen insoweit doch zumindest nicht im Ermessen binden lassen. Erst mehr als ein ganzes Jahrzehnt später stellt eine weitere Instruktion 49 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Vorschrift von April 1845 fest, der Nachweis gemeinnütziger Bestrebungen könne nicht immer überzeugend geführt werden, weshalb es bei den „sehr vermehrten Anträgen" aus neuster Zeit stattdessen angemessen erscheine, die Genehmigung von solchen Bedingungen abhängig zu machen, „welche geeignet sind, das Publikum möglichst gegen Täuschungen zu sichern und demselben von der Geschäftsverwaltung wenigstens einige Kenntniß zu geben." Damit deutete sich einerseits zwar eine Umgewichtung der Funktionen der Konzession an - aus einem Instrument der Wirtschaftspolitik sollte eines des Gläubiger- und Anlegerschutzes werden; doch war andererseits die Konzession von Aktiengesellschaften noch immer nicht endgültig frei gegeben worden. Schon wenige Monate später untersagte eine weitere Instruktion 5 0 die Bestätigung von Gesellschaften, die lediglich den Zweck hätten, „bereits bestehende gewerbliche Anlagen im Privatinteresse der Besitzer oder der Gläubiger durch Umgestaltung in eine Aktien-Unternehmung vortheilhaft zu verwerthen und das darin verwendete Kapital durch Umwandlung in Aktien an die Börse zu bringen". Unter dem Aktiengesetz von 1843 bestand also nicht nur kein an die Erfüllung bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen gebundener Anspruch auf Konzessionierung, lange Zeit blieben diese Voraussetzungen überhaupt nahezu völlig offen. Immerhin stieg ab 1844 die Zahl der konzessionierten Aktiengesellschaften an; am 27.2.1846 erhielt dann auch die Neue Stettiner Zuckersiederei endlich ihre Konzession \
III. Innere Organisation der Aktiengesellschaft 1. Lediglich rudimentäre gesetzliche
Regelung
Das Gesetz verankert in seinen wenigen Normen einen recht weitreichenden Einfluss des Staates. So ist das Statut der landesherrlichen Bestätigung vorzulegen (§ 1 Satz 2); eines solchen Aktes bedürfen ebenfalls Satzungsänderungen und die Verlängerung der Gesellschaft (§ 4) sowie der Auflösungsbeschluss (§ 28 Ziffer 3) 5 2 . Allerdings
49 Erlass vom 7.3.1856, die bei Konzessionierung von Aktien-Gesellschaften zu stellenden Bedingungen betreffend, Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1856, 72; abgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 79 f. 50 Vom 7.7.1856, die Prüfung der Anträge auf Genehmigung der Errichtung von Aktien-Gesellschaften für Gewerbe und Handels-Unternehmungen zu nehmenden Rücksichten betreffend, Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1856, 209; Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 89 f. 51 Vgl. nur die Übersicht bei Thieme, JbWg 1960/11, 285, 294ff., wo noch die zahlreichen in jenen Jahren gegründeten Eisenbahnaktiengesellschaften unberücksichtigt bleiben. 52 Die letztere Regelung war vom Gutachten der vereinigten Abteilungen verlangt worden: „Da Fälle vorkommen können, wo einer Gesellschaft im öffentlichen Interesse bei Ertheilung der Konzession die dauernde Erfüllung der Gesellschaftszwecke zur Pflicht gemacht wird, so dürfte es nothwendig seyn, hierauf bei Abfassung des Gesetzes Rücksicht zu nehmen." Vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 91, 156, ferner 204 f.
B. Das Preußische Aktiengesetz von 1843
161
wurde mit diesen Regelungen lediglich einer ohnehin verbreiteten Praxis entsprochen (vgl. oben unter § 3 B.). Ferner ist der Vorstand der AG verpflichtet, der zuständigen Regierungsbehörde alljährlich eine Bilanz zu übersenden (§ 24). Ergibt sich aus dieser Bilanz, dass die Gesellschaft die Hälfte ihres Grundkapitals eingebüßt hat, so kann die Behörde die Bücher der Gesellschaft einsehen und u.U. deren Auflösung verfügen (§ 25 Abs. 2) 53 . Schon vor dem Hintergrund all dieser Vorschriften stößt die Wertung, das Aktiengesetz von 1843 habe eine „weitgehende Gesellschaftsautonomie" vorgesehen und dieser vor allem die innere Verfassung der Gesellschaft überlassen 54 , auf erhebliche Zweifel. Zwar lässt das Gesetz die innere Organisation der AG in der Tat weitgehend ungeregelt: In § 2 wird aufgezählt, was der Gesellschaftsvertrag insbesondere enthalten muss; so auch nach Ziffer 7 „die Art und Weise, wie das Stimmrecht von den Mitglieder ausgeübt wird" und nach Ziffer 8 „die Gegenstände, über welche schon durch einfache Stimmenmehrheit oder nur durch eine noch größere Anzahl von Mitgliedern Beschluss gefasst werden kann". Zudem muss das Statut gemäß § 2 Ziffer 5 Auskunft geben über die „Art der Vertretung und die Formen für die Legitimation der Vertreter". § 10 verweist hinsichtlich der „Rechte und Pflichten der Aktionaire gegeneinander" zunächst auf die Satzung; subsidiär sollen jeweils „die am Sitz der Gesellschaft geltenden gesetzlichen Vorschriften über Gesellschaftsverträge zur Anwendung" kommen 5 5 . Schließlich enthält das Gesetz in § 19 noch eine definitive Regelung: „Die Geschäfte der Gesellschaft werden durch einen, nach Vorschrift des Statuts bestellten Vorstand verwaltet...". Diese arg rudimentären Regelungen überraschen zunächst sehr, hatte man in Preußen 1843 doch schon einige praktische Erfahrungen mit der Organisation von Aktiengesellschaften gesammelt; zudem lässt sich nachweisen, dass die Behörden bei der Konzessionierung von Aktiengesellschaften mitunter selbst auf Einzelheiten der statutarischen Vorschriften zur inneren Organisation Einfluss nahmen 5 6 . Die Zurückhaltung des preußischen Gesetzgebers ist aber auf andere Ursachen zurückzuführen als auf die Überzeugung, man müsse den Gründern einer Aktiengesellschaft bei der Ausgestaltung deren innerer Verhältnisse eine möglichst weitreichende Autonomie gewähren: Im Ver53 Im Gutachten der vereinigten Abteilungen wird hervorgehoben, die Regierungsbehörde sei unbedingt verpflichtet, die Bücher der Gesellschaft einzusehen, vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaft e n ^ . 154. 54 Reich, Entwicklung, S. 251; ähnlich schon Rauch, Z R G G e r m . Abt. 69 (1952), 239, 281: Auf der Grundlage sozietätsrechtlicher Vorstellungen habe m a n bewusst davon abgesehen, die innere Organisation der Gesellschaft zu regeln, u m so „Freiheit in der Gebundenheit" zu schaffen. Assmann in: Großk o m m . A k t G , Einl. Rdn. 59, begründet dagegen die Nichtregelung u. a. damit, dass sich in der Praxis u n d in den Gutachten noch kein einheitliches Konstruktionsmodell habe durchsetzen können 55 Bei den Beratungen im Staatsministerium war vorgeschlagen worden, in den Katalog der vom Statut zu regelnden Gegenstände auch noch „die Rechte u n d Pflichten der Aktionäre gegen einander" aufzunehmen, Protokoll, Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 91. N a c h d e m diese Klausel in verschiedenen Entwürfen enthalten gewesen war, hielt m a n sie schließlich doch für entbehrlich. 56 Vgl. oben unter § 3 B IV. Die Materialien belegen, dass den Verfassern des Gesetzes die Statuten verschiedener Gesellschaften zumindest allgemein bekannt waren, vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 93, 150 f. Deshalb ist wohl weniger der Katalog von Regelungsaufträgen an sich bemerkenswert, so Hopt, Grundlagen, S. 143, als vielmehr dessen geringer Umfang.
162
§ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
lauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, weshalb eine allgemeine gesetzliche Regelung denn überhaupt nötig sei. D a ohnehin jede Gesellschaft um die staatliche Bestätigung nachzusuchen habe, könne man doch das Nötige jeweils im Statut der Gesellschaft regeln und dieses dem Publikum durch Veröffentlichung im Amtsblatt zur Kenntnis bringen 5 7 . Dem hielt man allgemein entgegen, das Verhältnis der Aktiengesellschaft zu Dritten erfordere eine generelle Regelung 5 8 ; doch stützte diese Überlegung nicht unbedingt ein näheres Eingehen des Gesetzes auf die Binnenorganisation der A G . Andererseits war aber auch das Gegenargument, die mit dem inneren Aufbau der Aktiengesellschaften gesammelten Erfahrungen seien zu frisch, um in Gesetzesform gegossen zu werden 5 9 , letztlich ebenso wenig ausschlaggebend, wie die Tatsache, dass das Aktiengesetz zunächst als Sonderregelung zum Allgemeinen Landrecht konzipiert worden ist und deshalb auf dessen gesellschafts- und korporationsrechtlichen Vorschriften hätte aufbauen können 6 0 . Die Motive zum Entwurf des Aktiengesetzes betonen dagegen, es seien insoweit „allgemein gesetzliche Normen nicht füglich aufzustellen" . Dieser Einwand wie auch das pauschale Infragestellen eines gesetzlichen Regelungsbedürfnisses deuten darauf hin, dass die Mehrheit der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure die bestehende Situation in ihren prägenden Grundzügen gar nicht ändern möchte. Während es den Konzessionsbehörden bisher möglich gewesen war, in jedem Einzelfall in die innere Organisation der A G einzugreifen und zwar ohne rechtlich gebunden zu sein, hätte eine allgemeine gesetzliche Regelung der Binnenorganisation sich nicht auf die konkreten Verhältnisse einzelner Gesellschaften in ihrer Individualität beziehen können. Notwendig allgemein gehalten hätten gesetzliche Vorschriften daher — auch unter einem Konzessionssystem — auf der Ebene der einzelnen Gesellschaft zu erweiterten Freiräumen deren Gesellschafter gegenüber den staatlichen Gestaltungsvorgaben geführt. Der Intensitätsgrad der staatlichen Einflussnahme wäre deutlich zurückgegangen, schon weil das Gesetz auch die Konzessionsbehörden gebunden hätte: Der Binnenorganisation der Aktiengesellschaften gewidmete gesetzliche Vorschriften — auf den ersten Blick ein eindeutiger Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter, in deren Möglichkeiten, die innere Ordnung ihres Verbandes eigenverantwortlich auszugestalten - hätten unter den Bedingungen des preußischen Konzessionssystems letztlich nicht die Souveränität der Gesellschafter beschränkt, denn diese waren gar nicht souverän (vgl. unter § 3 IV.3), sondern die der Konzessionsbehörden. Die Verfasser des Aktiengesetzes wollen demgegenüber den Einfluss der staatlichen Behörden nicht zurücknehmen. Ausdrücklich wird daran erinnert, dass nicht nur die Errichtung einer A G der staatlichen Genehmigung bedürfe, sondern ebenso das Statut zur Bestätigung vorgelegt
57
Vgl. nur bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 57, 73, 156.
Vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 73, 157. Dies Argument klingt im Gutachten der vereinigten Abteilungen an, vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 156. 6 0 Auf die gesetzlichen Vorschriften über Gesellschaftsverträge verweist denn auch § 10 des Gesetzes. Diesbezüglich gelangte man allerdings nie zur Erörterung von Einzelheiten. 6 1 Vgl. Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 74. 58
59
B. Das Preußische Aktiengesetz von 1843
163
werden müsse, „weil dieses die Bedingungen enthalte, unter welchen die Gesellschaft zugelassen werde" . Von einem solchen Ansatz aus lässt sich dann ohne weiteres die Konsequenz ziehen, dass auch jede Änderung der Satzung von der Konzessionsbehörde sanktioniert werden muss. Weil jede Gesellschaft, die ein Unternehmen betreibt, das sich rasant entwickelt, früher oder später zu Änderungen ihrer Satzung gezwungen ist, lässt sich schon auf diesem Wege eine permanente Oberhoheit der Behörde über die Gesellschaft absichern: Denn da die Behörden rechtlich nicht gebunden sind, können sie die Zustimmung zur beantragten Satzungsänderung von der Erfüllung nahezu beliebiger Forderungen abhängig machen (vgl. hierzu unter § 6 A III).
2. Allmähliche Ausfiillung durch ministerielle
Instruktionen
Trotz des Verzichts auf eine gesetzliche Regelung der AG-Binnenorganisation ergehen in den folgenden Jahren eine Reihe von allgemeinen Bestimmungen für diesen Bereich, allerdings in Form verwaltungsinterner Vorschriften. Schon nach der Instruktion vom 22.4.1845 sollten die Konzessionsbehörden überprüfen, „ob die Gesellschaft durch die Art ihrer Begründung eine genügende Bürgschaft gegen Täuschungen und Beeinträchtigung des Publikums gewähre" (Ziffer III). Die näheren Ausführungen hierzu fallen allerdings reichlich dürftig aus: Zum einen soll es auf die „Zugänglichkeit der zusammenzubringenden Fonds für die Begründung und den Betrieb des Unternehmens in dem beabsichtigten Umfange" ankommen, zum anderen - noch ganz im Sinne von Johann Georg Büsch — „auf die Zuverlässigkeit und Solidität Derjenigen, welche an die Spitze des Unternehmens treten". Die innere Organisation der Aktiengesellschaft wird mit keinem Wort erwähnt. Offenbar tut sich die staatliche Bürokratie schwer, die im Einzelfall gemachten Erfahrungen zu verallgemeinern. Um vieles konkreter dann die Instruktion vom 29.3.1856 „wegen der bei Bestätigung der Statuten von AktienGesellschaften festzuhaltenden allgemeinen Grundsätze" 63 , die einige jener Bestimmungen zusammenfassen will, „welche hierbei unter den Ressort-Ministerien vereinbart und häufiger zur Anwendung gebracht worden sind". Aufgezählt werden insgesamt 57 Punkte 6 4 , von denen allerdings nur wenige Bezug zur inneren Organisation der AG aufweisen: Der Zweck der Gesellschaft sei im Statut bestimmt anzugeben; die Angabe „Geschäfte, welche sich an die vorstehenden anschließen" genüge nicht (Ziffer 9). Die Kumulation einer übermäßigen Zahl von Stimmen bei einer Person müsse verhindert
62 Vgl. Protokoll zur Beratung des Staatsministeriums am 10.7.1841, bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 91. § 1 AktG bringt schließlich beide Aspekte (Genehmigung der Gesellschaft, Bestätigung des Statuts) deutlich zum Ausdruck. 63 Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1856, 93; nachgedruckt bei Weinbagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 80 ff. 64 Reich, Entwicklung, S. 254, wertet die Instruktion daher zu Recht als „wichtigen Beitrag auf dem Weg der Ablösung des Konzessions- durch das (materielle) Normativsystem." Vgl. auch Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99(1982), l , 2 2 f .
164
$ 4 Aktiengesetzgebung
unter dem
Konzessionssystem
werden (Ziffer 16 Satz 2) 6 5 . Die Entscheidung, ob eine Generalversammlung zu berufen und worüber ein Beschluss dieser Versammlung zu fassen sei, dürfe nicht lediglich in das Ermessen des Verwaltungsrats gestellt werden. Auch Aktionären, welche einen gewissen Teil des Aktienkapitals repräsentierten, müsse in dieser Hinsicht eine Einwirkung gestattet werden (Ziffer 29). Sollten von einer Generalversammlung Satzungsänderungen bzw. die Auflösung oder Verlängerung der Gesellschaft beschlossen werden, so sei dies immer in der Einladung anzugeben (Ziffer 31). Das Mandat der Verwaltungsrats-Mitglieder sei unter dem Rheinischen Recht stets widerruflich (Ziffer 38). Ehrenmitglieder dürften nicht in den Verwaltungsrat aufgenommen werden (Ziffer 39). Nicht zu gestatten seien unverhältnismäßig hohe Tantiemen für die VorstandsMitglieder. Hier müsse eventuell der Generalversammlung die nähere Bestimmung vorbehalten bleiben (Ziffer 41). Schon bald fanden diese Vorschriften noch weitere Ergänzung. Eine Instruktion vom 14.5.1857 bemüht sich beispielsweise, die Aufnahme von Anleihen durch die AG zu regeln: Nicht den Verwaltungsräten oder anderen Organen bzw. Beamten der Gesellschaft, sondern lediglich einer Generalversammlung, in deren Einladung auf diesen Gegenstand hingewiesen worden sei, stehe die Entscheidung hierüber zu.
3. Musterstatuten für
Chausseebau-Aktiengesellschaften
Obwohl das Gesetz von 1843 die innere Organisation der AG nahezu ungeregelt lässt, finden sich in den Satzungen vieler Gesellschaften gleiche oder zumindest ähnliche Vorschriften (vgl. unter § 3 B). Vermutet wird deshalb, die preußischen Konzessionsbehörden hätten den Gründern Musterstatuten zur Verfügung gestellt 67 . Belegen lässt sich ein solches Vorgehen aber nur bei den Chausseebau-Aktiengesellschaften: In Preußen waren schon in den 20er Jahren einige Aktiengesellschaften zur Errichtung und Unterhaltung von Chausseen gegründet worden; in der Zeit von 1839 bis 1857 entstanden mindestens 82 weitere Gesellschaften und zwar vor allem in den preußischen Provinzen Brandenburg und Schlesien . Vergleichsweise bekannt ist das Musterstatut für Chausseebau-AG von 1853 ; diesem ging aber bereits ein Musterstatut aus dem Jahr 1842 voraus . Trotz dieser speziellen Regelungen unterstanden die Chausseebaugesellschaften uneingeschränkt dem Aktiengesetz von 1843 (§ 3 Muster65 Diese Bestimmung war schon in einer Instruktion vom 7.3.1856, abgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 79 f., enthalten gewesen. 66 Abgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 90 f. 67 Vgl. Landwehr, Organisationsstrukturen, S. 275 f. 68 Zum preußischen Aktienchausseewesen siehe Gador, Entwicklung des Straßenbaues, S. 40 ff., 95 ff., 168 ff., dem der Nachweis von insgesamt 99 Chausseebau-AG gelungen ist, sowie U.Müller, Infrastrukturpolitik, S. 243 ff. 69 Der mit erläuternden Anmerkungen versehene „Entwurf zum Statute für Aktien-Gesellschaften zur Ausführung von Chausseebauten" wurde am 19.1.1853 vom preußischen Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten von der Heydt veröffentlicht. Es ist abgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, Anhang, S. 49 ff. Vgl. hierzu Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 24 f. 70 Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung, 1842, 156.
B. Das Preußische Aktiengesetz von 1843
165
Statut-1853). Die Musterstatuten ersetzten mithin nicht das Aktiengesetz, sondern dienten in gewisser Weise dessen Ausfüllung 7 1 . Ihre Regelungen gestatten deshalb Rückschlüsse auf die - die Aktiengesellschaften allgemein betreffenden - Ordnungsvorstellungen der Berliner Ministerialbürokratie, zumal sich schon bei der Gliederung Ubereinstimmungen mit den Satzungen der im Ostteil der Monarchie gegründeten Eisenbahngesellschaften ausmachen lassen 7 2 . Nach dem Musterstatut-1842 besteht die innere Organisation der AG aus der Generalversammlung und einem Chaussebau-Komitee (Ausschuss), dem auch der Direktor der Gesellschaft angehört; das Musterstatut-1853 sieht Generalversammlung, Direktion und eine „Rechnungs-Revision-Kommission" vor, doch letztere hat lediglich die von der Direktion vorgelegte Rechnung zu prüfen; sie ist also kein Organ zur fortlaufenden Kontrolle und Beaufsichtigung der Direktion 7 3 . Beide Statuten bestimmen, die Generalversammlung fasse ihre Beschlüsse mit absoluter Mehrheit, nach dem Musterstatut- 1842 darf jeder Aktionär an den Abstimmungen teilnehmen, gemäß dem Musterstatut-18 53 nur der Besitzer mehrerer Aktien . 1842 sieht man eine feste Obergrenze für die Stimmberechtigung vor (max. 7 Stimmen); elf Jahre später wird lediglich auf die Möglichkeit hingewiesen, die jeweilige Stimmberechtigung degressiv ansteigen zu lassen. Die Aufzählungen jener Gegenstände, welche der Beschlussfassung durch die Generalversammlung unterliegen, lesen sich wie eine Modifikation der bei den ostelbischmagdeburger Eisenbahngesellschaften anzutreffenden Klauseln, was die oben geäußerte These stützen dürfte, bei den Bahngesellschaften hätten insoweit die Konzessionsbehörden Einfluss genommen (vgl. § 3 B II.2.). Gemäß § 2 4 Musterstatut-1842 umfasst die Kompetenz der Generalversammlung: die Wahl des Direktors und der übrigen Komiteemitglieder (mit Ausnahme der vom Staat entsandten); die Festsetzung der Remuneration für die Gesellschaftsbeamten; die Beschlussfassung über Kapitalerhöhungen, Aufnahme von Darlehen, Satzungsänderungen und die Auflösung der Gesellschaft; die Prüfung der vorgelegten Jahresrechnungen sowie die Dechargeertei71 Dass nur für die Chausseebau-AG Musterstatuten entworfen wurden, ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Statuten dieser Gesellschaften, anders als die konzessionierter Eisenbahn'Aktiengesellschaften, nicht im Gesetzblatt publiziert worden sind. 7 2 Das Musterstatut von 1853 ist in folgende Abschnitte unterteilt: I. Name, Zweck und allgemeine Bestimmungen über die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft; II. Verhältnis der Gesellschaft zum Staate; III. Fonds der Gesellschaft, Rechte und Pflichten der Aktionaire; IV. Verfassung der Gesellschaft und Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Bei der 1845 konzessionierten Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft, Preuß. GS 1845, 168, hatte die Gliederung diese Form: I. Bildung, Zweck und Fonds der Gesellschaft; II. Rechte und Pflichten der Aktionairs; III. Verfassung der Gesellschaft und Verwaltung ihrer Angelegenheiten; IV. Allgemeine Bestimmungen. 7 3 Das Statut regelt die Kommission - anders als die Direktion - auch nur vergleichsweise knapp ( § § 52ff.). 74 Deren Anzahl wird offen gelassen; vgl. § § 30, 36. In einer Anmerkung wird jedoch daraufhingewiesen, das Statut könne auch schon dem Besitzer einer einzigen Aktie Stimmrecht gewähren. Binde man jedoch das Stimmrecht an den Besitz mehrerer Aktien, so sei es „angemessen", ausdrücklich auszusprechen, dass eine Person mit weniger Aktien, „zwar in der Generalversammlung erscheinen, aber nur eine berathende Stimme ausüben dürfe".
166
$ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
lung. § 28 Musterstatut-1853 erwähnt zudem: wesentliche Abweichungen von der geplanten Streckenführung; Aufhebung früherer Generalversammlungsbeschlüsse; Feststellung der Dividenden; Veräußerung und Verpfändung von Immobilien. Darüber hinaus hat nach diesem Statut die Generalversammlung immer dann zu entscheiden, wenn die Grenzen der gewöhnlichen Geschäftsführung, die der Direktion obliegt, überschritten werden (§ 28 Ziffer 8 f. i.V.m. § 47). Näher ausgeführt wird dies noch für die Aufnahme von Darlehen; insoweit kann die Direktion nur in dringenden Fällen und bei zeitlich begrenzten Liquiditätsengpässen tätig werden, ansonsten muss die Generalversammlung beschließen (§ 46). Ebenso ist die Entscheidung über eine Verpachtung der „Chausseegeld-Hebestellen" der Versammlung vorbehalten. W ä h r e n d an nicht wenigen anderen Stellen des Musterstatuts von 1853 in Anmerkungen besonders hervorgehoben wird, es könnten auch abweichende Regelungen getroffen werden, finden sich derartige Hinweise bei den Zuständigkeitsbestimmungen nicht. Die Kernkompetenzen sollten offenbar der Generalversammlung nicht entzogen werden dürfen. Nach dem Musterstatut-1853 erfordert weder der Beschluss über Satzungsänderungen, noch der über irgendeine andere Frage eine qualifizierte Mehrheit; das Musterstatut-1842 verlangt zumindest für den Auflösungsbeschluss eine Zweidrittel-Mehrheit (§ 59). Das Musterstatut-1842 regelt auch die Zuständigkeit des Komitees in einem langen Katalog ( § § 34 f.); anschließend wird betont, das Komitee dürfe ebenfalls in allen übrigen Angelegenheiten beschließen, soweit diese nicht ausdrücklich der Generalversammlung vorbehalten seien (§ 36). Recht eingehend wird auch das Verhältnis des Direktors zum (Gesamt-)Komitee geregelt: „Derselbe handelt bei seiner Geschäftsführung in der Regel nach den Beschlüssen des Komite, an welche er gebunden ist, sofern sie nicht den Bestimmungen des Statuts oder des mit dem Staat abzuschließenden Vertrags zuwiderlaufen. ..." M a g sich der Direktor einem Beschluss des Komitees nicht fügen, hält das Komitee aber an seinem Beschluss fest, so ist der Direktor berechtigt, die Generalversammlung einzuberufen, die endgültig entscheidet (§ 46). Nach beiden Statuten hat die Direktion bzw. das Komitee in der ordentlichen Generalversammlung einen Bericht über die Geschäfte des letzten Jahres zu erstatten und Rechnung zu legen, „nebst Uebersicht über den jedesmaligen Zustand des Unternehmens" 7 5 . 1842 können Aktionäre, die zusammen mindestens zur Abgabe von sieben Stimmen berechtigt sind, beantragen, einen bestimmten Gegenstand in der Generalversammlung zum Vortrag zu bringen (§ 26); 1853 soll es jedem Aktionär gestattet sein, „seine Ansichten über die Interessen der Gesellschaft zu entwickeln" ( § 3 5 ) . Das Musterstatut von 1842 enthält eine Schiedsklausel: „Streitigkeiten, welche in den Angelegenheiten der Gesellschaft, zwischen einzelnen Aktionairen unter einander, oder zwischen der Gesellschaft und einzelnen ihrer Mitglieder entstehen, sollen ... nur durch ein schiedsrichterliches Verfahren geschlichtet werden." (§ 54 Abs. 1). Allerdings wird ausdrücklich bestimmt, „Regreß-Ansprüche" gegen den Direktor und die übrigen Mitglieder des Komitees könnten nur auf dem „gewöhnlichen Rechtswege" geltend gemacht werden ( § 5 1 ) . 75
Vgl. § § 34, 48 Musterstatut-1853; § 44 Musterstatut-1842.
167
C. Weitere Entwürfe
C. Weitere
Entwürfe
I. Entwurfeines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland
(1849)
D e r v o m R e i c h s j u s t i z m i n i s t e r i u m i m April 1 8 4 9 v e r ö f f e n t l i c h t e E n t w u r f eines allg e m e i n e n H a n d e l s g e s e t z b u c h e s für D e u t s c h l a n d
w u r d e v o n e i n e r K o m m i s s i o n erar-
beitet, die a u c h aus rechtswissenschaftlicher S i c h t sehr p r o m i n e n t besetzt war. D i e b e i -
den Kölner Appellationsgerichtsräte Johann Karl Anton Broicher und Franz Ferdinand Grimm
h a t t e n s c h o n 1 8 3 5 g e m e i n s a m e i n e n K o m m e n t a r z u m C o d e de C o m m e r c e
v e r f a s s t 7 7 . D e s s e n k n a p p e A n m e r k u n g e n z u m R e c h t der A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n g e h e n w e i t ü b e r das hinaus, was das h a n d e l s r e c h t l i c h e S c h r i f t t u m , i n s b e s o n d e r e das in P r e u ß e n , in j e n e r Z e i t zu d i e s e m T h e m a beizutragen v e r m o c h t e us Johann
Heinrich
ThöF9
. D e r Rostocker Ordinari-
h a t t e i m J a h r 1 8 4 7 die 2 . A u f l a g e seines sehr b e k a n n t e n
L e h r b u c h e s z u m H a n d e l s r e c h t vorgelegt. D e s s e n A b s c h n i t t ü b e r die A k t i e n g e s e l l s c h a f t 8 0 belegt, dass Thöl
n i c h t n u r das d e u t s c h e a k t i e n r e c h t l i c h e S c h r i f t t u m k a n n t e ,
s o n d e r n a u c h die e i n s c h l ä g i g e n R e g e l u n g e n ausländischer H a n d e l s g e s e t z b ü c h e r 8 1 . In der S a c h e g e h e n seine — an der O b e r f l ä c h e v e r b l e i b e n d e n — D a r l e g u n g e n j e d o c h k a u m ü b e r das d a m a l s i m h a n d e l s r e c h t l i c h e n S c h r i f t t u m Ü b l i c h e h i n a u s u n d zwar gerade in b e z u g a u f die i n n e r e O r g a n i s a t i o n der Aktiengesellschaft
.
D i e K o m m i s s i o n 8 3 folgt bei d e n a k t i e n r e c h t l i c h e n B e s t i m m u n g e n ( 3 . T i t e l , Art. 7 3 - 1 0 7 ) z u m e i s t d e m V o r b i l d des p r e u ß i s c h e n Aktiengesetzes, m i t u n t e r a b e r a u c h d e m
7 6 Der Entwurf- im rechtswissenschaftlichen Schrifttum zumeist als „Frankfurter Entwurf' bezeichnet — ist von Baums neu herausgegeben und mit einer Einführung versehen worden. 77 Broicher/Grimm, Das Handelsgesetzbuch der Königlich-Preußischen Rheinprovinzen, Köln 1835. Jobann Karl Anton Broicher (1805 - 1881) ist später von 1851 — 1855 Richter am Rheinischen Revisionsund Kassationshof in Berlin und danach bis 1870 Erster Präsident des Rheinischen Appellationsgerichtshofes in Köln. Franz Ferdinand Grimm (1806 — 1895) ist längere Zeit im preußischen Justizministerium tätig, dann Generalstaatsanwalt am Preußischen Obertribunal und schließlich von 1866 — 1880 Vizepräsident des Obertribunals. Zu beiden Baums, Handelsgesetzbuch, S. 37 f.
Vgl. oben unter § 2 B II.3. Der 1807 in Lübeck geborene Johann Heinrich Thöl studiert in Leipzig und Heidelberg Rechtswissenschaft. 1829 promoviert er in Heidelberg; schon ein Jahr später folgt die Habilitation in Göttingen. Von 1842 bis 1849 ist er Ordinarius an der Universität Rostock, danach bis zu seinem Tode (1884) in Göttingen. Als Vertreter Hannovers nimmt er ab 1857 an den Nürnberger Beratungen für ein A D H G B teil. 78
79
S. 1 6 2 - 1 7 1 . Allerdings werden weder der Württembergische Entwurf noch das preußische Aktiengesetz von 1843 erwähnt. Nur allgemein verweist Thöl zudem auf die „Statuten der Aktiengesellschaften". 80 81
8 2 Der kursorischen Beschreibung der AG-Organisation folgt eine knappe rechtliche Würdigung: „Juristisch diese Verhältnisse aufgefaßt, so steht unter der Generalversammlung, als der Principalschaft, unmittelbar ein oder mehrere Institoren, und unter derselben mittelbar und unmittelbar unter diesen wieder ein oder mehrere Institoren, und so weiter fort, wobei denn die Procura einem Einzelnen allein, oder nur in der Gesammtheit mit mehreren ertheilt ist. Es sind dies lauter dem römischen Recht bekannte und daher auch noch jetzt unterworfene Verhältnisse ...". Thöl, Handelsrecht, S. 166 f. 8 3 Viertes Mitglied der Kommission war der Unterstaatssekretär im Reichsministerium der Justiz Christian Widenmann. Zu diesem siehe Baums, Handelsgesetzbuch, S. 37.
168
§ 4 Aktiengesetzgebung
unter dem Konzessionssystem
des Württemberger Entwurfes. So übernimmt Art. 75 für den notwendigen Inhalt des Gesellschaftsvertrages die Regelung des § 2 Aktiengesetz weitgehend wortwörtlich; die Vorschrift über das Stimmrecht in der Generalversammlung (Art. 97) entstammt dagegen dem Württemberger Entwurf (Art. 267, vgl. oben unter A II) bzw. dem Wetboek van Koophandel. Erstaunlich rigide die Regelung der Konzessionierung: Weder versucht man - wie beim Württemberger Entwurf - das Ermessen der Behörde zu binden, noch räumt man - wie unter dem preußischen Aktiengesetz — wenigstens ein, dass es neben den konzessionierten auch unbestätigte Gesellschaften geben könne: „Eine Aktien-Gesellschaft besteht nicht, wenn nicht der Gesellschaftsvertrag von der Regierung desjenigen Einzelstaates genehmigt ist, in welchem sie errichtet wird." 84 In den Motiven wird dies zunächst mit wettbewerbspolitischen Gründen begründet: Könnten Aktiengesellschaften zu jedem erlaubten Zweck errichtet werden, ohne dass eine Genehmigung erforderlich sei oder ohne dass diese aus anderen als privatrechtlichen Gründen verweigert werden dürfe, so könne „das kleine Gewerbe gegen die Uebermacht des Capitata nicht geschützt werden, welches ein jedes Gewerbe an sich reißen und den darauf gegründeten Wohlstand ganzer Gegenden untergraben kann." 85 Bei Aktiengesellschaften bestünde zudem keine persönliche Verantwortlichkeit der Gesellschafter. „Wo aber diese Garantie fehlt, da müssen andere Garantien geschaffen werden." In den Motiven wird nun insoweit - wie in der preußischen Verwaltungsinstruktion vom 22.4.1845 (vgl. unter B III.2) - zunächst auf die Unternehmer, deren Person und Vermögen Gewähr für den guten Fortgang der Sache leisten müssten, und auf das Grundkapital der Gesellschaft, das im richtigen Verhältnis zum Gegenstand der Unternehmung zu stehen habe, verwiesen. Daneben wird aber auch hervorgehoben, der Vertrag müsse „in Beziehung auf die Organisation der Gesellschaft die nöthigen und zweckmäßigen Bestimmungen" enthalten. Zwar könne man die Ansicht aufstellen, diese Dinge seien den Beteiligten zu überlassen; denn diesen bliebe ja die freie Wahl, Aktionär zu werden oder eben nicht. „Allein eines Theils ist es Thatsache, daß es Betrügern und Projektenmachern nicht selten gelungen ist, durch Aktien-Unternehmungen, welche keine solide Basis hatten, das Publikum zu benachtheiligen; anderen Theils ist es dem Einzelnen fast unmöglich, sich von der Lage der Sache bei Aktien-Gesellschaften eine eigene Ueberzeugung zu verschaffen; es liegt daher in dem eigenen Interesse solider Aktien-Gesellschaften, daß durch eine Prüfung von Seiten der Staatsregierung ihre Solidität gewissermaßen festgestellt werde; und dieses Interesse ist zugleich wieder ein öffentliches, insofern von der Unternehmung ein allgemeiner Nutzen zu erwarten ist." 87 Diese Ausführungen scheinen eine ausschließlich auf den Einzelfall bezogene und deshalb sehr intensive Einflussnahme der Konzessionsbehörden rechtfertigen zu wollen, doch die Verfasser des Frankfurter Entwurfs lösen sich insoweit von dem Konzept, das dem preußischen Aktiengesetz zugrunde liegt (vgl. unter B III. 1): Sie betrach84 Art. 74 Abs. 1. Der folgende Absatz 2 verlangt sogleich auch für Satzungsänderung, Fortsetzung u n d Auflösung der Gesellschaft staatliche Genehmigung. 85 Motive, bei Baums, Handelsgesetzbuch, S. 153. 86 Motive, S. 153. 87 Motive, S. 154.
C. Weitere Entwürfe
169
ten erstmals die innere Verfassung der Aktiengesellschaft als gesetzgeberische Aufgabe: Die gute Organisation sei „ein sehr wichtiger Punkt" und es frage sich deshalb, ob es möglich sein werde, in dieser Beziehung nähere Vorschriften in das Gesetz aufzunehmen. Allerdings sahen sich die Kommissionsmitglieder nicht in der Lage, diese Frage selbst zu beantworten. Es werde von besonderem Interesse sein, hierzu „die Ansicht derjenigen Sachverständigen zu vernehmen, welche Gelegenheit gehabt haben, den Organismus von Aktien-Gesellschaften und das Fördernde und Störende in demselben durch Erfahrung kennen zu lernen." Dort, wo der Entwurf einzelne die innere Organisation der AG betreffende Bestimmungen enthält, war die Kommission sogleich bereit, diese Regeln der Disposition der Gesellschafter zu entziehen. So bemerken die Motive zu Art. 97 (max. sechs Stimmen pro Aktionär, beträgt die Gesamtzahl der Aktien weniger als 100 sogar nur max. drei Stimmen pro Aktionär): Das Gesetz dürfe die Regelung des Stimmrechts nicht völlig der Ubereinkunft der Beteiligten überlassen; denn es müsse verhindert werden, dass „an die Stelle einer Beschlußnahme der Gesellschaft der Wille einzelner Personen treten könne, welche eine gewisse Anzahl von Aktien an sich gebracht haben und nun leicht geneigt sein können, nicht das Interesse der Gesellschaft, sondern ihr eigenes zu verfolgen." 89 .
II. Preußischer Entwurf eines Handelsgesetzbuches von 1857 Zwar war dieser Entwurf an sich Produkt langjähriger Bemühungen, die dahin gingen, auf der Grundlage von ALR und Code de Commerce ein einheitliches preußisches Handelsrecht zu schaffen; fertiggestellt wurde er aber letztlich in sehr großer Eile, denn Preußen wollte bei den nach Nürnberg einberufenen Beratungen zur Vorbereitung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches unbedingt einen eigenen Entwurf vorlegen 90 . Da seit 1843 in ganz Preußen ohnehin ein einheitliches Aktienrecht galt, hat man diesen Gegenstand gewiss weder bei den Vor- noch bei den abschließenden Arbeiten vorrangig behandelt. Der Entwurf übernimmt denn auch weitgehend die Vorschriften des Aktiengesetzes von 1843; immerhin berücksichtigt er aber auch ausländische Handelsgesetzbücher sowie die Regelungen im Württemberger und im Frankfurter Entwurf. Wie der Frankfurter so handelt auch der Preußische Entwurf die Gesellschaften nicht mehr unter den verschiedenen kaufmännischen Geschäften ab,
88 Motive, S. 154. Zumindest Johann Karl Anton Broicher beteiligte sich, wenn auch wohl erst einige Jahre später, selbst an der Leitung einer Eisenbahn-Aktiengesellschaft; vgl. Then, Eisenbahnunternehmer, S. 246. 89 Auch hier sollen Sachverständige entscheiden, ob sich sonstige zweckmäßige Bestimmungen treffen lassen. Motive, S. 161. 90 Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten nebst Motiven, Erster Theil: Entwurf, Berlin 1857, Zweiter Theil: Motive, Berlin 1857. Zur Vorgeschichte des Entwurfs siehe Bergfeld, Handelsrecht, S. 2880ff.; zum Aktienrecht vgl. Reich, Entwicklung, S. 258 f. Angaben zu den Mitgliedern der Sachverständigenkommission finden sich bei Goldschmidt, Handbuch des Handelsrecht, Bd. 1, S. 96 f.
170
$ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
sondern in einem eigenen Abschnitt, dem Zweiten Buch. Der den Aktiengesellschaften gewidmete Vierte Titel dieses Buches (Art. 178 — 205) ist noch einmal in mehrere Abschnitte unterteilt: Allgemeine Grundsätze; Von der Errichtung der Aktiengesellschaft; Von dem Rechtsverhältnis der Aktionäre; Von dem Vorstande; Von der Auflösung der Gesellschaft. W ä h r e n d die gesetzlichen Regelungen zum Vorstand weitgehend in dem entsprechenden Unterabschnitt zusammengefasst sind, fehlt eine vergleichbare - relativ geschlossene - Behandlung der Generalversammlung. Die sie betreffenden Bestimmungen finden sich über den ganzen Titel verstreut; nicht einmal die wichtigsten Kompetenzen der Generalversammlung werden in einen Katalog eingeordnet. In der Systematik bleibt der Entwurf mithin deutlich hinter der Statutenpraxis und auch hinter dem Musterstatut für Chausseebau-Gesellschaften zurück. Dennoch enthält er einige neue - die Zuständigkeit der Generalversammlung betreffende — Einzelregelungen: Gemäß Art. 180 können eine „Abänderung des Gegenstandes der Unternehmung der Gesellschaft" sowie deren Auflösung „durch Uebertragung ihres Vermögens und ihrer Schulden an eine andere Aktiengesellschaft gegen Gewährung von Aktien der letztern" nur dann mit Stimmenmehrheit beschlossen werden, wenn dies vom Gesellschaftsvertrag ausdrücklich gestattet wird. In den Motiven wird hierzu bemerkt, Abänderungen des Gesellschaftsvertrages setzten „streng genommen" immer Einstimmigkeit unter den Aktionären voraus. Da dieser Grundsatz bei den Aktiengesellschaften aber nicht praktisch durchführbar sei, führe das Bedürfnis dazu, Majoritätsbeschlüsse als Regel anzunehmen. Nur wo die Änderung in der Sache auf die U m w a n d l u n g des alten in einen neuen Vertrag hinauslaufe, sei „an dem Erforderniß der Einwilligung aller Kontrahenten festzuhalten, sofern nicht im Gesellschaftsvertrag selbst ausdrücklich das Gegentheil bestimmt" werde 9 1 . Neu ist ferner die Vorschrift des Art. 183, nach der die Sacheinlage eines Gründungsgesellschafters von der Generalversammlung genehmigt werden muss. Aus der Statutenpraxis stammt schließlich die Bestimmung, welche es Aktionären mit Aktien im Gesamtwert von 10 % des Grundkapitals gestattet, die Einberufung einer Generalversammlung zu verlangen (Art. 192) 9 2 . Festhalten will der Preußische Entwurf an der Notwendigkeit der staatlichen Konzession; nirgends wird auch nur versucht, das Ermessen der Behörde zu beschränken. Hierbei greift die Argumentation der Motive mitunter so weit aus, dass sie sich fast wie ein „Manifest des Konzessionssystems" liest. W ä h r e n d beim Frankfurter Entwurf immerhin in den Motiven die Bedeutung der inneren Organisation einer Aktiengesellschaft und deren gesetzliche Regelungsbedürftigkeit herausgearbeitet werden, setzen die Verfasser des Preußischen Entwurfs vollkommen auf die Aufsicht staatlicher Behörden, die in der Lage sein sollen, unmittelbar und ungebunden auf die einzelne Gesellschaft und ihr Statut zuzugreifen. Deshalb werden beispielsweise gesetzliche Beschrän-
PE-Motive, S. 90. Vgl. auch Ziffer 29 der Instruktion vom 29.3.1856. Die Regelung der Instruktion vom 14.5.1857, die Aufnahme von Darlehen bedürfe eines Beschlusses der Generalversammlung (dazu unter B III.2), erscheint dagegen noch nicht im Entwurf. 91
92
C. Weitere
Entwürfe
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kungen des Stimmrechts, wie sie im Frankfurter (Art. 97) oder im Württemberger Entwurf (Art. 267) enthalten gewesen waren, ausdrücklich abgelehnt: Den sich aus einer übergroßen Anhäufung von Aktien in einer Hand ergebenen Gefahren könne nur mit der staatlichen Prüfung jedes einzelnen Statuts entgegen getreten werden 9 3 . An anderer Stelle wird betont, es sei notwendig, Satzungsänderungen an die staatliche Genehmigung zu binden, „um der Minorität gegen mögliche Benachtheiligungen durch Majoritätsbeschlüsse den geeigneten Schutz zu gewähren." 94 Ferner soll die Genehmigung des Auflösungsbeschlusses notwendig sein, weil durch „eine unzeitige Auflösung" der Gesellschaft unter Umständen das öffentliche Interesse gefährdet werden könne. 9 5 An anderer Stelle heißt es, bei einem teilweisen Verlust des Grundkapitals könnten die besonderen Umstände, die eine Liquidation der Gesellschaft nötig machten, am sichersten von der Staatsregierung gewürdigt werden 9 6 . Die auf eine umfassende Staatsaufsicht setzende Grundtendenz der Motive zum Preußischen Entwurf kumuliert schließlich in der Behauptung, der Staatsregierung stünde generell ein - regelmäßig durch den Regierungskommissar wahrgenommenes — Recht zur Oberaufsicht über den Geschäftsbetrieb der Aktiengesellschaften zu 9 7 . Die Einsetzung eines „beständigen Kommissarius" „zur Ausübung des Aufsichtsrechts des Staates über das Unternehmen" war schon von § 4 6 des Eisenbahngesetzes von 1838 verlangt worden. Die Gesellschaft sollte sich in allen ihren Beziehungen zur Staatsverwaltung an den Kommissar wenden; dieser war befugt, den Vorstand der Gesellschaft einzuberufen und an dessen Sitzungen teilzunehmen. Vergleichbare Regelungen für Bahngesellschaften gab es auch in anderen Staaten, wobei allerdings mitunter ausdrücklich betont wurde, der Regierungskommissar übe sein Amt aus, „ohne auf die Leitung der Geschäfte oder auf irgend einen Zweige der Gebahrung einen berathenden oder entscheidenden Einfluß zu nehmen" 9 8 . Außerhalb des Eisenbahnwesens erscheint der Regierungskommissar zunächst kaum, und auch in den Beratungen, die zum Erlass des Aktiengesetzes von 1843 führten, findet er keine Beachtung. Nach den Regelungen des Gesetzes braucht die einmal genehmigte Gesellschaft - so sie nicht ihre Satzung ändern oder sich auflösen will - der Konzessionsbehörde lediglich jedes Jahr eine Bilanz zusenden (§ 24); nur wenn sich aus der Bilanz ergibt, dass die Gesellschaft die Hälfte ihres Grundkapitals verloren hat, ist die Behörde verpflichtet, die Bücher der Gesellschaft einzusehen und u.U. deren Auflösung zu verfügen (§ 25 - vgl. unter B III.l). In den 50er Jahren erreichen dann aber die Eingriffe des preußischen Staates in die Souveränität der Aktiengesellschaften eine neue Qualität: Eine Verwaltungsinstruktion vom 8.6.18 5 2 9 9 verlangt von den Behörden zum einen, bei den schon bestehenden Gesellschaften ein ständiges Einsichtsrecht „als Ausfluß des ihnen zustehenden OberaufPE-Motive, S. 92 f. PE-Motive, S. 93. 95 PE-Motive, S. 97. 96 PE-Motive, S. 96. 97 PE-Motive, S. 96. 98 So § 10 Abs. 3 der Allgemeinen Bestimmungen über das bei Eisenbahnen geltende Konzessionssystem in Österreich vom 18. Juni 1838; nachgedruckt bei v.Reden, Eisenbahnen Deutschlands 1/1, S. 1 ff. 93 94
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§ 4 Aktiengesetzgebung
unter dem Konzessionssystem
sichtsrechts zu behaupten und nöthigenfalls mit Energie auszuüben". Zum anderen soll bei Neugründungen von Aktiengesellschaften generell auf die Aufnahme einer Bestimmung bestanden werden, welche dieses Recht unzweideutig feststellt100. Ziffer 52 der Instruktion vom 29.3.1856 verpflichtet die Behörden dann, bei älteren Gesellschaften, deren Statut noch keine „Kommissarklausel" enthält, die Genehmigung von Satzungsänderungen von der Aufnahme einer entsprechenden Regelung abhängig zu machen. Die in der Genehmigungskompetenz für Satzungsänderungen ohnehin schon - zumindest der Möglichkeit nach - angelegte staatliche Oberaufsicht (vgl. B III. 1) wird mithin genutzt, um zu noch intensiveren Formen der Staatsaufsicht überzugehen. An diese Entwicklung anknüpfend, verschaffen die Verfasser der Motive zum Preußischen Entwurf dem staatlichen Oberaufsichtsrecht Eingang in das Gesetzeswerk, obwohl der Wortlaut der gesetzlichen Regelung weder ein solches Recht noch den Regierungskommissar kennt 101 . Dass es die Aufsicht über das Aktienwesen ist, die nach den konzeptionellen Vorstellungen, auf die der Preußische Entwurf aufbaut, für den Verzicht auf allgemeine gesetzliche Bestimmungen zur inneren Organisation sorgt, wird an anderer Stelle der Motive indirekt bestätigt: Der Entwurf enthält nämlich Regelungen zur konzessionsfreien Rechtsform einer „stillen Handelsgesellschaft auf Aktien". In den Motiven wird anerkannt, dass bei den Ähnlichkeiten zwischen dieser Gesellschaft und der AG vergleichbare Gefahren für das Publikum und die Aktionäre bestehen: „Der Schutz, welcher bei der Aktiengesellschaft hiergegen in der landesherrlichen Genehmigung ihres Statuts und in der fortdauernden staatlichen Oberaufsicht gegeben ist, fällt bei der stillen Gesellschaft auf Aktien fort. Deshalb muß das Gesetz durch geeignete Vorschriften über die Form der Errichtung und die Organisation solcher Gesellschaften die erforderliche Vorsorge treffen." 102
III. Kritik der Entwürfe im rechtswissenschaftlichen Schrifttum Dem Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches widmet der Heidelberger Dozent Carl Heinrich Ludwig Brinckmann (1809 — 1855) 103 mehrere Beiträge; eingegangen wird dabei auch auf den Abschnitt über die Handelsgesellschaften104. Einlei" „Cirkular-Erlaß an sämmtliche Königliche Regierungen u n d an das Polizei-Präsidium hieselbst, die Sicherung des Oberaufsichts-Rechts des Staats bei Feststellung der Statuten von Aktien-Gesellschaften betreffend", Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1852, S. 142. 100 Diese sollte lauten: „Die Königliche Regierung ist befugt, einen Kommissarius zur W a h r n e h m u n g des Aufsichtsrechts für beständig oder für einzelne Fälle zu bestellen. Dieser Kommissarius kann nicht nur den Gesellschafts-Vorstand, die General-Versammlung oder sonstige Organe der Gesellschaft gültig zusammenberufen u n d ihren Berathungen beiwohnen, sondern auch jederzeit von den Büchern, Rechnungen, Registern, u n d sonstigen Verhandlungen u n d Schriftstücken der Gesellschaft Einsicht nehmen." 101 In den PE-Motiven, S. 96, heißt es nur: „Allgemeine gesetzliche Bestimmungen können in dieser Beziehung nicht füglich gegeben werden." 102 PE-Motive, S. 83. Vgl. unter § 5 C III.3. 103 D e r in H a m b u r g geborene Brinckmann studiert Rechtswissenschaft, u. a. in Heidelberg (1834/36), u n d arbeitet anschließend längere Zeit als Anwalt in seiner Heimatstadt. 1846 habilitiert er sich in Heidel-
C. Weitere
Entwürfe
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tend urteilt Brinckmann, die Handelsgesellschaften seien zwar ausführlich, aber nicht mit Glück behandelt. „Unkenntniß des Handelswesens verräth sich oft. Die Bestimmungen sind fast nur Ausflüsse des leidigen, mit dem deutschen Handelsleben unverträglichen, französischen Polizei- und Bevormundungssystems." 105 In bezug auf die Aktiengesellschaften bleibt Brinckmann dann jedoch jeglichen Einzelbeleg für dieses Urteil schuldig, denn im Verlauf des Beitrages gelangt er bei seiner Kritik nicht über das Firmenrecht der offenen Handelsgesellschaft und den bei dieser anzumeldenden und zu publizierenden Tatsachen hinaus. Immerhin berücksichtigt Brinckmann das Aktienrecht des Frankfurter Entwurfs in seinem Lehrbuch des Handels-Rechts, das ab 1853 in mehreren Lieferungen erscheint 106 . Auch dort werden die Regelungen allerdings nicht im Zusammenhang besprochen; nur im Anmerkungsapparat finden sich Verweise auf einzelne Vorschriften des Entwurfs. Dieser teilt also in gewisser Weise die Behandlung, die der Autor dem Aktienrecht insgesamt zukommen lässt: Sogar an modernen Maßstäben gemessen, dürften die Darlegungen Brinckmanns zum Aktienrecht auf den ersten Blick wissenschaftlichen Ansprüchen durchaus genügen. Der umfangreiche Anmerkungsapparat belegt die Kenntnis des einschlägigen Schrifttums, einschließlich der Werke von Treitschke, Pohls und Jolly, ausländische Gesetze und inländische Entwürfe werden berücksichtigt, auch zu den Regelungen des preußischen Aktiengesetzes finden sich gleich mehrere kritische Äußerungen 1 0 7 . W ä h rend jedoch einzelne sehr spezielle Fragestellungen, wie z. B. das Verhältnis zwischen den Projektanten einer AG und den Aktienzeichnern, eingehend erörtert werden , behandelt Brinckmann die innere Organisation der Aktiengesellschaft sehr kursorisch. So wird z. B. für „ausführliche Bestimmungen über die Wahl der Vertreter einer Handelsgesellschaft und über die Rechte und Pflichten derselben" auf das Statut der Rheinisch-Westindischen Kompagnie weiter verwiesen 109 . Über die Generalversammlung liest man zunächst nur, diese stehe über der Verwaltung, weshalb die Verwaltung in der Regel jährlich über die Geschäftsführung und den Fortgang des Unternehmens Rechenschaft zu legen habe 1 1 0 . Diese Vernachlässigung der inneren Organisation der AG berg, wo er auch von 1847 bis zu seinem Tode als Dozent für Handels-, Wechsel- und Seerecht tätig ist. Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, Band 3, S. 333; Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 61, 66 ff. 104 Die Lehre von den Handelsgesellschaften nach dem Entwürfe eines Handelsgesetzbuchs für Deutschland, AcP 34 (1851), 151 ff. 105 AcP 34 (1851), 151. 106 Da Brinckmann 1855 überraschend verstirbt, bleibt sein Handelsrecht zunächst unvollendet. Später wird das Werk dann von Wilhelm Endemann fortgesetzt. Der Abschnitt über die Handelsgesellschaften stammt aber noch von Brinckmann. 107 So wird auf S. 233 in Fußn. 5 bemerkt, § 8 dieses Gesetzes „stemple" die AG zur juristischen Person; aufS. 235, Fußn. 11, heißt es ferner, die Unklarheit über Begriff und Wesen der Firma hätte das preußische Gesetz dahin geführt, in § 2 für die AG eine Firma vorzuschreiben. 108 Brinckmann, Handelsrecht, S. 240 - 243. 105 Brinckmann, Handelsrecht, S. 248, Fußn. 22. 110 Einige wenige Einzelaussagen finden sich noch über den ganzen Abschnitt verstreut: Eine Verzinsung der Einlagen soll einen einstimmigen Beschluss der Aktionäre voraussetzen, und die Aufnahme von Darlehen zumindest einen Beschluss „der Gesammtheit der Aktionäre". Unter Verweis auf Pohls heißt es schließlich recht lapidar: „Uebrigens kann durch Stimmenmehrheit nichts beschlossen werden, was gegen
174
$ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
ist a u c h d a r a u f z u r ü c k z u f ü h r e n , dass s i c h Brinckmann
zwar f ü r das r e c h t s w i s s e n s c h a f t l i -
c h e S c h r i f t t u m u n d den W o r t l a u t der Gesetze interessiert hat, n i c h t aber für die Statutenpraxis1
11;
z u d e m bleibt die R e c h t s p r e c h u n g — die in den Tagen einer R h e i n - W e s e r -
E i s e n b a h n - A G selbst a u f d i e A u f m e r k s a m k e i t e i n e r b r e i t e n Ö f f e n t l i c h k e i t
rechnen
konnte - nahezu unberücksichtigt112. I m J a h r 1 8 5 7 m a c h t s i c h e i n w e i t e r e r j u n g e r H e i d e l b e r g e r D o z e n t , Levin schmidtlli,
Gold-
daran, den P r e u ß i s c h e n E n t w u r f eines Handelsgesetzbuchs in der Kriti-
s c h e n Z e i t s c h r i f t f ü r d i e g e s a m t e R e c h t s w i s s e n s c h a f t zu b e s p r e c h e n 1 1 . D e n S c h w e r p u n k t s e i n e r a u s f ü h r l i c h e n E r ö r t e r u n g e n setzt Goldschmidt
eindeutig beim
Gesell-
s c h a f t s r e c h t ; a u f ü b e r 1 1 0 S e i t e n b e s c h ä f t i g t er s i c h m i t d e n V o r s c h r i f t e n des E n t w u r f s f ü r d i e o f f e n e u n d d i e stille H a n d e l s g e s e l l s c h a f t ( d a z u u n t e r § 5 C ) , a u c h a u f d i e stille H a n d e l s g e s e l l s c h a f t a u f A k t i e n g e h t er e i n . D a n n j e d o c h e n d e t d i e B e s p r e c h u n g g a n z a b r u p t : „ D e r b e a b s i c h t i g t e n A u s d e h n u n g d i e s e r E r ö r t e r u n g e n a u c h a u f d e n 4 . T i t e l des R e v i d i r t e n E n t w u r f s , w e l c h e r d i e A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n regelt, setzt, z u m e i n e m B e d a u e r n , d e r Z w e c k dieser Z e i t s c h r i f t e i n e G r e n z e . " 1 1 5
den ursprünglichen Zweck oder gegen die Verfassung der Gesellschaft ist". Vgl. Brinckmann, recht, S. 253, 255.
Handels-
111 Außer auf das bei Bender, Handelsrecht, abgedruckte Statut der Rheinisch-Westindischen Kompagnie wird in den Anmerkungen noch einmal auf das Statut der Berlin-Frankfurter Bahn verwiesen (dies hatte Pohls dem Anhang seines Werkes beigefügt) und zweimal auf einen Nachtrag zum Statut der Oberschlesischen Eisenbahn, wobei als Quelle die preußische Gesetzessammlung angegeben wird. Die im gleichen Jahrgang der Sammlung publizierten vollständigen AG-Satzungen bleiben dagegen unerwähnt. 112 Wesentlich berücksichtigt werden nur zwei Urteile des OAG Lübecks, die beide im ersten Band der Entscheidungssammlung dieses Gerichts für Hamburger Rechtssachen publiziert wurden. 113 Der in Danzig geborene Levin Goldschmidt (1829 — 1897) studiert zunächst Medizin, ab 1848 dann Rechtswissenschaft in Berlin, Bonn und Heidelberg. 1851 promoviert er an der Universität Halle, nach dem Referendariat in seiner Heimatstadt folgt 1855 die Habilitation in Heidelberg. Dort ist er anschließend als Privatdozent tätig, ehe er 1866 außerordentlicher und — mit Unterstützung von Julius Jolly — endlich auch ordentlicher Professor wird. 1870 wird GoLlschmidt als Rat an das Reichsoberhandelsgericht nach Leipzig berufen; 1875 nimmt er dann einen Ruf an die Berliner Universität an. Zur Person Goldschmidts siehe nur Weyhe, Levin Goldschmidt, passim.
4(1857),105-192,289-363. Goldschmidt, KZgRw, 4 (1857), 289, 363. Die Nichtbearbeitung des Aktienrechts war wohl nicht auf Vorgaben der Herausgeber der Zeitschrift zurückzuführen. Als Goldschmidt später im Auftrag des badischen Justizministeriums ein Gutachten über den Entwurf eines A D H G B erstellt, behandelt er die Vorschriften über die Gesellschaften auf insgesamt 34 Seiten; hiervon sind nur vier der AG gewidmet. Vgl. Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs, S. 78 — 81. Auf die Regelungen des Preußischen Entwurfs für die Handelsgesellschaften geht zudem Ladenburg, Z H R 1 (1858), 132 ff., kurz ein; von ihm werden allerdings nur einige sehr grundsätzliche Fragen wie die Systematik der Handelsgesellschaften und deren Rechtspersönlichkeit erörtert. 114 115
D. Das Allgemeine Deutsche
D. Das Allgemeine Deutsche
Handelsgesetzbuch
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Handelsgesetzbuch
I. Die Nürnberger Beratungen Am 18. Dezember 1856 beschloss die Deutsche Bundesversammlung, eine Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für die deutschen Bundesstaaten einzuberufen 11 . Genau vier Wochen später trat diese Kommission in Nürnberg zu ihrer (I.) vorbereitenden Sitzung zusammen 1 1 7 , und beim nächsten Treffen fassten die Kommissionsmitglieder den Beschluss, ihren Beratungen den preußischen Handelsgesetzbuch-Entwurf zugrunde zu legen; einem Entwurf der österreichischen Regierung wollte man „gleichwohl fortwährend volle Beachtung" zuwenden . Das Aktienrecht wurde Mitte März 1857 auf fünf Sitzungen zum ersten Mal durchberaten; im November 1857 folgte die 2. Lesung, man brauchte für die Aktiengesellschaft erneut nur fünf Treffen. Noch knapper fiel die 3. Lesung aus: Ende November 1860 besprach man auf zwei Sitzungen unter anderen einige wenige aktienrechtliche Normen. Nachdem die Kommission der Bundesversammlung am 14.3.1861 mitgeteilt hatte, sie habe ihre Arbeit abgeschlossen, empfahl die Versammlung den Regierungen der deutschen Einzelstaaten, dem Entwurf „baldmöglichst und unverändert" Gesetzeskraft in ihren Ländern zu verschaffen 119 . In Sachsen und Preußen trat das ADHGB schon zum 1.3.1862 in Kraft 1 2 0 ; das Aktiengesetz von 1843 verlor damit allerdings nicht jede Bedeutung. Es galt bis 1864 noch für die sogenannten Civil-Aktiengesellschaften 121 . Die das Aktienrecht regelnden Artikel 207 bis 249 des ADHGB werden vom neueren rechtswissenschaftlichen Schrifttum eher zurückhaltend beurteilt: Die aktienrechtlichen Vorschriften dieses Gesetzes seien zwar gegenüber dem Aktiengesetz von 1843 um ein Viertel vermehrt worden, doch habe sich das ADHGB inhaltlich nur wenig von seinem preußischen Vorbild entfernt 122 . Auf stärkeres Interesse stoßen dagegen die 116 Der Beschluss ist abgedruckt bei v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. XIVf. Zur Vorgeschichte des ADHGB vgl. auch Bergfeld, Handelsrecht, S. 2948 ff. 117 Eine Übersicht über sämtliche Mitglieder der Kommission findet sich bei v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. XXXVIII ff. Friedrich von Hahn (1823 - 1897) studiert in Jena und Heidelberg. 1846 promoviert er in Heidelberg; schon ein Jahr später folgt die Habilitation in Jena. Dort wird er 1850 zum außerordentlichen Professor ernannt. Als Vertreter mehrerer Thüringer Staaten nimmt er an der Nürnberger Konferenz teil; nach seiner Rückkehr aus Nürnberg erhält er 1862 in Jena eine ordentliche Professur und wird zugleich Mitglied des Jenaer Gesamt-Oberappellationsgerichts. 1872 wechselt v.Hahn an das Reichsoberhandelsgericht, ab 1879 ist er dann am Reichsgericht tätig, wo er 1891 zum Präsidenten des 6. Zivilsenats ernannt wird. Vgl. Steinmetz u. a., Geschichte der Universität Jena I, S. 445 f.; DJZ 1897, 139.
Lutz, Protokolle, S. 6. Vgl. Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Bd. 1, S. 125; v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. XXXVI ff.; bei beiden findet sich auch der Beschluss der Bundesversammlung abgedruckt. 120 Zur Einführung des ADHGB in Preußen ausführlich Goldschmidt, ZHR 5 (1862), 515 ff. 121 Für diejenigen Aktiengesellschaften, „bei welchen der Gegenstand des Unternehmens nicht in Handels-Geschäften besteht", erging erst am 15.2.1864 ein besonderes Gesetz; Preuß. GS 1864, 57. 122 So Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 3007. Vgl. auch Bracht, Eisenbahnen, S. 28: Keine nennenswerten Veränderungen. 118
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unter dem Konzessionssystem
Diskussionen der Nürnberger Konferenz; wobei allerdings weniger Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der einzelnen Normen interessieren, als vielmehr der Streit um Prinzipien: Auf der Konferenz soll ein entscheidender Kampf ausgefochten worden sein, und dieser Kampf um die Beibehaltung oder Abschaffung des Konzessionssystems habe den Hauptpunkt der Diskussion gebildet 123 . Tatsächlich gelangte die Kommission auf ihrer Sitzung vom 13. März 1857, nachdem schon verschiedene Vorschriften diskutiert worden waren, zu Artikel 181 des Preußischen Entwurfs, dessen erster Absatz bestimmte, Aktiengesellschaften könnten nur mit staatlicher Genehmigung errichtet werden (vgl. unter C II). Die Protokolle vermerken 124 , nun hätten zuerst die Vertreter Hamburgs das Wort ergriffen und einen Vortrag zur Kenntnis der Versammlung gebracht. Der Vortrag sollte den Antrag auf Streichung von Art. 181 Abs. 1 begründen; ein Eventualantrag ging dahin, Hamburg ersatzweise das Recht vorzubehalten, sein wohlbewährtes System als partikularrechtliche Ausnahme auch ferner beizubehalten. Nach einer kurzen Debatte sei dann allseitig anerkannt worden, „daß bezüglich der Frage, ob die Errichtung von Aktiengesellschaften von der Einholung der landesherrlichen Genehmigung abhängig zu machen sei oder nicht, zwei Systeme einander gegenüber ständen, und daß jedes von beiden nach den in den verschiedenen Staaten bestehenden Verhältnissen gerechtfertigt sei." Von keinem Staate könne deshalb erwartet werden, dass er sein System aufgebe, um sich ein anderes anzueignen. Die Zulässigkeit einer partikularrechtlichen Ausnahme habe in der Kommission mithin keiner Abstimmung bedurft. Erörtert wurde nur noch die genaue Fassung des Art. 181 sowie die Frage, wie man die Vorschriften des — auf die Etablierung eines konsequenten Konzessionssystems abzielenden — Entwurfs weiter beraten solle. Mit 14 gegen 1 Stimme sei schließlich beschlossen worden, „das System des Entwurfes vorerst bei der Berathung und Beschlußfassung über die einzelnen Bestimmungen in Betreff der Aktiengesellschaften beizubehalten" und erst am Ende des Titels eine Regelung für partikularrechtliche Ausnahmen zu treffen. Dann nahm man das Vortragsmanuskript der Hamburger zu den Protokollen 125 und ging zur Beratung weiterer Vorschriften über. Dramaturgische Überhöhungen sind gewiss zulässig; bei nüchterner Betrachtung fällt es allerdings recht schwer, die Atmosphäre eines Entscheidungskampfes auszumachen. Dennoch waren die geschilderte Diskussion und der in ihr gegründete Beschluss nicht ohne Folgen für die Behandlung des Innenrechts der Aktiengesellschaft auf der Nürnberger Konferenz und im ADHGB. Es ist deshalb näher auf den Vortrag der Hamburger Abgeordneten einzugehen, dessen - ebenfalls sehr weitgreifende — Aussagen wohl in gewisser Weise die „Gegenthesen" zu den grundsätzlichen Anmerkungen 123 So Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 134; ähnlich Lehmann, Aktiengesellschaften I, S. 78 f.; Reich, Entwicklung, S. 260; vgl. zudem Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 3007. 124 Lutz, Protokolle, S. 3 1 4 f f . 125 D e r Vortrag wurde als A n h a n g zur Sitzung vom 13.3.1857 abgedruckt; vgl. Lutz, Protokolle, S. 319 ff. Er s t i m m t zumindest in seinen Kernaussagen nahezu wörtlich mit einem Gutachten der H a m burger Commerzdeputation vom 18.2.1857 für den Senat der Hansestadt überein. Das Gutachten ist wiedergegeben bei Baasch, Die Handelskammer zu H a m b u r g II/1, S. 574 f.,
D. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch
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in den Motiven zum Preußischen Entwurf (vgl. unter C II) darstellen, vielleicht gar erst von diesen Anmerkungen veranlasst worden sind 1 2 .
II. Zum Streit um die staatliche Konzession 1. Die „Gegenthesen" Einleitend wird hervorgehoben, die Bestimmungen des Entwurfs müssten „als höchst zeitgemäß und rathsam erachtet werden", soweit sie bezweckten, für die Aktiengesellschaften „gewisse gesetzliche Regeln festzustellen, namentlich solche, die aus der Anerkennung der Aktiengesellschaft als eines selbstständigen, von den Personen der einzelnen Gesellschafter verschiedenen Subjekts von Rechten und Verbindlichkeiten hervorgehen". Der Entwurf habe sich hiermit allerdings nicht zufrieden gegeben, sondern mit gleicher oder fast noch größerer Aufmerksamkeit „eine dem eigentlichen Handelsrecht als solchem durchaus fern liegende Seite des Aktienwesens in seinen Kreis gezogen." 1 2 7 Er unternehme den Versuch, im Interesse des Publikums „fürsorgliche Präventivmaßregeln" vor den Missbräuchen des Aktienwesens zu treffen. Zwar wäre es im höchsten Grade wünschenswert, diese Übelstände zu verhindern; die Gesetzgebung könne hierzu aber nichts beitragen, ohne gleichzeitig der freien und kräftigen Entwicklung des „commerziellen Associationswesens" weit größere Nachteile zuzufügen; „so daß das Heilmittel schlimmer wäre, als das Uebel selbst." 1 2 8 Je mehr sich nämlich die Gesetzgebung darum bemühe, den Einzelnen vor den Folgen eigener Unvorsichtigkeit zu schützen, desto langsamer und schwächer entwickle sich die erforderliche Umsicht beim Publikum. Es sei jedoch „eine ebenso unrichtige wie schädliche Meinung, dass die umsichtige und im steten Bewusstsein der eigenen Verantwortlichkeit stattfindende Wahrnehmung geschäftlicher Interessen durch die Betheiligten selbst bei Aktiengesellschaften durch noch so spezielle und strenge Vorschriften der Gesetzgebung hinsichtlich der Art der Verwaltung irgendwie ersetzt werden könne." 1 2 9 Statt auf die „obervormundschaftliche Fürsorge des Staates" möchten die Hamburger auf das ihrer Meinung nach einzig wirksame Mittel, die eigene Erfahrung des Publikums, setzen. Bevor sich dies zur Beteiligung an Aktiengesellschaften entschließe, möge es selbst prüfen, „ob die Persönlichkeiten in den Verwaltungen, die Statuten der betreffenden Gesellschaften, die bekannten Vermögensverhältnisse derselben ihm die wünschenswerthe Garantie" verschafften 1 3 0 . Der Staat könne sich in dieser Beziehung zurückhalten, weil ja niemand gezwungen werde, Aktiengesellschaften Kredit zu geben und schon gar nicht, sich an diesen zu beteiligen. „Deutlicher Beweis" dafür, dass eine
126
Gleich mehrfach nimmt der Vortrag jedenfalls Bezug auf Aussagen der Motive; Lutz, Protokolle,
S. 322. 127 128 129 130
Lutz, Lutz, Lutz, Lutz,
Protokolle, Protokolle, Protokolle, Protokolle,
S. S. S. S.
319. 320. 321. 322.
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§ 4 Aktiengesetzgebung
unter dem
Konzessionssystem
freie Gestaltung des Aktienwesens an sich keinesfalls gemeinschädlich wirke, seien die Verhältnisse in Hamburg. Dort erfordere die Bildung von Aktiengesellschaften keine obrigkeitliche Genehmigung, sondern nur eine Anzeige beim „Firmenbureau", und selbst die Unterlassung der Anzeige werde lediglich mit einer mäßigen Ordnungsstrafe belegt. In Hamburg existierten auch keine sonstigen Vorschriften „über die Art der Verwaltung"; jene bliebe dem freien Ermessen der Beteiligten überlassen. 131 „Zahlreiche Aktiengesellschaften für das Assekuranzwesen, für Dampfschifffahrts-Unternehmungen, Fabriken, das Bankwesen und viele andere Zwecke" seien daher ohne jede obrigkeitliche Genehmigung und Kontrolle entstanden 1 3 2 . Dennoch sei das Hamburger Publikum auch in Krisenzeiten keineswegs von größeren Missbräuchen betroffen worden als die Aktionäre in anderen Staaten. Die Vertreter Hamburgs stellten auf der Nürnberger Konferenz ein Konzept vor, das auf eine gesetzliche Regulierung des Aktienrechts nahezu vollständig verzichten wollte. Es war zwar nicht speziell für die innere Ordnung der Aktiengesellschaft entworfen worden, sondern griff darüber hinaus, dennoch berühren die konzeptionellen Vorstellungen der Hamburger die AG-Binnenorganisation in besonderer Weise: Die Gesellschafter sollen die Verfassung vollkommen eigenverantwortlich ausgestalten können; die Souveränität des Verbandes wäre mithin weder durch allgemeine gesetzliche Vorgaben noch durch besondere Eingriffe oder Genehmigungsvorbehalte der Konzessionsbehörden beschränkt. Vorgeschlagen wurde die Schaffung von Verhältnissen, wie sie in etwa im späten Mittelalter bei den süddeutschen Handelsgesellschaften geherrscht haben (vgl. unter § 1 A I). Gerade vor dem Hintergrund des damaligen Aktienwesens in Preußen, Sachsen und anderen deutschen Einzelstaaten 133 , fasziniert das offensichtlich der Privatautonomie im höchsten Maße verpflichtete Konzept noch aus einer Distanz von fast 150 Jahren. Umso mehr interessiert der „Praxistest": W i e wirkte sich das konträre Regulierungsmodell auf die Entwicklung des Hamburger Aktienwesens - vor allem im Vergleich mit dem Preußens und Sachsens - aus?
2, Hamburger Verhältnisse Die auf sehr liberalem Gedankengut gegründeten Hamburger Verhältnisse im Aktienrecht sind Legende 1 3 4 , doch diese Überhöhung sollte nicht zu unkritisch übernommen werden. Korrekt ist gewiss die Aussage, die Verordnung vom 28.12.1835 1 3 5 habe die Gründer einer Aktiengesellschaft nur zur Anmeldung derselben verpflichtet; ansonsten bleibt im Vortrag der rechtliche Rahmen jedoch völlig offen. Die Hamburger Aktiengesellschaften sollen denn auch durch die Vereinbarung „sehr künstlicher KlauLutz, Protokolle, S. 321. Lutz, Protokolle, S. 323. 133 Vgl. u n t e r § 3 B u n d § 6 A . 134 Siehe schon Fick, ZHR 5 (1862), 1, 61: Das allein richtige Prinzip, „die ganze und volle Freiheit der Privatautonomie", gelte fast einzig nur in den beiden deutschen Republiken (Hamburg und Bremen). Aus dem jüngeren Schrifttum vgl. nur Reich, Entwicklung, S. 245; Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 3007. 135 Sammlung der Verordnungen der freyen Hanse-Stadt Hamburg, Bd. 14, S. 307 ff. 131 132
D. Das Allgemeine Deutsche
Handelsgesetzbuch
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sein" versucht haben, sich gegen die Unterstellung unter das gewöhnliche Sozietätsrecht zu schützen 136 . Dann aber dürfte sich ihre Rechtsstellung nicht sonderlich von den nicht konzessionierten Aktiengesellschaften in Preußen und Sachsen unterschieden haben 1 3 7 . Noch zurückhaltender ist der Verweis auf die zahlreichen in Hamburg gegründeten Aktiengesellschaften zu beurteilen. Außerhalb des Versicherungswesens soll es nach der Napoleonischen Ära in Hamburg während mehrerer Jahrzehnte nur zur Gründung einer Aktiengesellschaft zur Zuckerproduktion gekommen sein (um 1835) 1 3 S ; nicht konzessionierte Zuckersiederei-Gesellschaften waren in jenen Jahren jedoch alles andere als außergewöhnlich 1 3 9 . Im Oktober 1838 forderte ein provisorisches Komitee zur Beteiligung an einer Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn AG auf. Obwohl noch im gleichen Jahr die erste Generalversammlung tagte, dauerte es bis Ende Mai 1840, ehe die „Versammlung Erbgessener Bürgerschaft" die kurze Bahn genehmigte und den Aktionären Konzession erteilte 140 . Auch in Hamburg war die Gründung einer privaten Eisenbahn-AG offenbar nicht sehr viel leichter als in Preußen oder Sachsen 1 4 1 . Selbst der nicht selten anzutreffende Verweis auf die vielen Hamburger Assekuranz-Compagnien bedarf einer gewissen Relativierung. Nicht wenige dieser Gesellschaften sind gewiss schlichte „Witwen-Kassen" u.a. gewesen 1 4 3 . Derartige Verbände benötigten auch in Preußen keine Konzession, denn schon nach § 42 II 19 ALR hatten die vom Staat „ausdrücklich oder stillschweigend genehmigten" Armen- und sonstigen Versorgungsanstalten „die Rechte moralischer Personen"
So Gierke, Genossenschaftsrecht I, S. 1003. Vgl. unter § 5 A. 138 Martin, VSWG 56 (1969), 499, 511 f. Auch später - bis zur Einführung des ADHGB im Jahr 1866 — sollen in Hamburg außer einer größeren Anzahl von Assekuranzkompagnien nur wenige Banken, Schiffifahrtsgesellschaften und Industriebetriebe auf Aktien gegründet worden sein; vgl. Baasch, Die Handelskammer zu Hamburg II/l, S. 588. 139 Vgl. unter B I und unter § 5 A. 140 Hierzu Reden, Eisenbahnen 1/2, S. 1778 ff. 141 Then, Eisenbahnunternehmer, S. 97 f., 128, glaubt dagegen, bei der Konzession von Eisenbahnen signifikante Unterschiede zwischen Preußen auf der einen sowie Hamburg und Sachsen auf der anderen Seite ausmachen zu können. Der Vergleich berücksichtigt die historischen Fakten aber nur punktuell. 136 137
Vgl. schon Pohls, Handelsrecht, S. 231. So finden sich bei Poeschel, Die Statuten der Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften in Hamburg und Altona von 1 7 1 0 - 1889, S. 234 fF., 267 ff. u.a. die Statuten der Hamburger Witwen-Kasse für Arzte, Wundärzte und Apotheker von 1821 sowie der Handlungsdiener-Witwen-Casse von 1841. 144 Sonderlich bekannt war diese Bestimmung offenbar selbst in Preußen nicht. „Die häufigen Anträge, welche wegen Verleihung der Korporations-Eigenschaft an Kranken- und Sterbekassen eingehen", veranlassten den preußischen Innenminister V.Arnim, die Bezirksregierungen mit einer Cirkular-Verfugung vom 21.9.1844 darauf hinzuweisen, diesen Kassen komme schon bei einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Genehmigung juristische Persönlichkeit zu. Auf die gleiche Weise war am 9.9.1844 den Obergerichten vom Justizministerium eröffnet worden: „Dagegen ist die Annahme, daß die Eigenschaft einer moralischen (juristischen) Person nur Gesellschaften, welchen Korporationsrechte verliehen worden, zukommen könne, eben so wenig richtig" als die, dass Kranken- und Sterbekassen zur Erlangung juristischer Persönlichkeit der Erteilung von Korporationsrechten bedürften. Vgl. Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1844,283 f., 284 f. 142
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unter dem Konzessionssystem
Bei genauer Betrachtung erscheinen die Hamburger Verhältnisse mithin gar nicht mehr so attraktiv und ungewöhnlich. Nicht auszuschließen ist sogar, dass der völlig unbestimmt gebliebene Rechtsrahmen die Gründung von Aktiengesellschaften eher behindert denn gefördert hat. Noch mehr enttäuscht der Blick auf Bremen, das beim historischen Aktienwesen oft mit Hamburg „in einem Atemzug" genannt wird. Behauptet wird, dort habe man zum einen am Gedanken von der AG als „gemeinrechtliche Universitas" festgehalten; zum anderen habe das vorherrschende politisch-wirtschaftliche Verständnis keine obrigkeitliche Bevormundung geduldet und sich dadurch von dem in Preußen unterschieden 145 . Tatsächlich wurden in Bremen außerhalb der Versicherungsbranche vor 1860 aber wohl nur zwei bedeutendere Aktiengesellschaften gegründet: 1856 die Bremer Bank und 1857 der Norddeutsche Lloyd. Beiden verlieh der Bremer Senat auf Antrag Korporationsrechte; wobei er sich u. a. die Genehmigung von Satzungsänderungen und Kapitalerhöhungen vorbehielt 146 .
3. Auswirkungen auf die Behandlung des Innenrecbts Die Verfasser des Preußischen Entwurfs (PE) glaubten, wegen der staatlichen Oberaufsicht über die Aktiengesellschaften auf gesetzliche Bestimmungen zu deren inneren Organisation weitgehend verzichten zu können. Der Entwurf enthält so nur eine sehr rudimentäre Ordnung des AG-Innenrechts (vgl. unter C II). An sich von einem konträren Regelungskonzept ausgehend, hielten aber auch die Vertreter Hamburgs entsprechende Vorschriften für höchst überflüssig. Sie vertraten die Auffassung, „die Art der Verwaltung" solle dem freien Ermessen der Beteiligten überlassen bleiben ; selbst die wenigen einschlägigen Bestimmungen des Entwurfs waren ihnen deshalb offenbar suspekt: So wurde in der 1. Lesung der Antrag gestellt, die Regelungen über den Mindestinhalt des Gesellschaftsvertrages (Art. 182 PE) zu streichen, da „der Inhalt des Artikels wesentlich reglementärer und staatsrechtlicher Natur sei und keine civilrechtliche Bedeutung habe." Zudem stelle diese Vorschrift eine „große Belästigung" für alle kleineren Aktiengesellschaften dar 1 4 8 . Die Kommissionsmehrheit vermochte dieser Argumentation nicht zu folgen. Die Natur der AG, bei der die beteiligten Personen in den Hintergrund träten, spreche für die Beibehaltung von Art. 182: „Bei den Aktiengesellschaften beruhe die Zahlungsfähigkeit und das Vertrauen auf deren Vorhandensein, der Kredit, auf dem Organismus der Gesellschaft. Was bei dem einzelnen Kaufmanne und bei der offenen Handelsgesellschaft die guten Anlagen, der Charakter der Personen sei, das müsse bei den Aktiengesellschaften durch einen guten Organismus ersetzt werden. Wenn nun ein Gesetz einem auf Aktien gegründeten Unternehmen Kredit ver-
145 146
So Schnelle, Entstehung, S. 123 ff.
Vgl. insb. § 83 des Statuts der Bremer Bank, nachgedruckt bei Hocker, Sammlung, S. 72, sowie zum Norddeutschen Lloyd R O H G E 1 1 , 1 1 8 , 121 f. 147 Lutz, Protokolle, S. 321. 148 Lutz, Protokolle, S. 324. Nicht näher ausgeführt wird dort, worin die große Belästigung bestehen soll.
D. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch
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mittle, dann sei es auch am Platze zu sagen, welchen Organismus es haben müsse." 149 Diese Aussagen belegen nicht nur die Ablehnung des Hamburger Standpunkts; sie machen zudem deutlich, dass sich die Kommission offenbar auch von der Konzeption des Preußischen Entwurfs zu entfernen beginnt: Gesetzliche Regelungen zur inneren Organisation der AG werden nicht von vornherein abgelehnt.
III. Das Aktienrecht des ADHGB 1. Uberblick Blickt man allein auf die bloße Anzahl der Artikel, dann lässt sich die Behauptung, die aktienrechtlichen Vorschriften des A D H G B seien nicht weit über jene im Preußischen Entwurf oder gar im Gesetz von 1843 hinausgegangen, wohl noch aufrechterhalten. Tatsächlich enthalten die Artikel 207 bis 249 A D H G B aber deutlich mehr Einzelbestimmungen als jede deutsche Vorläuferregelung. Definitiv unzutreffend ist allerdings die Wertung, das Gesetz habe sich nicht nur inhaltlich wenig von seinem Vorläufer entfernt, sondern zudem einen Großteil seiner Bestimmungen wörtlich aus dem Aktiengesetz von 1843 übernommen 1 5 0 . Nur ein einziger Artikel findet sich (nahezu) wortwörtlich schon im Aktiengesetz 151 und auch auf einzelne Absätze oder Sätze beschränkte Teilübernahmen sind lediglich bei ca. fünf weiteren Artikeln nachweisbar 152 ; selbst hier ist jedoch mitunter fraglich, ob geringfügige sprachliche Abweichungen nicht doch sachliche Änderungen (mit-)beabsichtigen. Die Protokolle belegen jedenfalls zum einen das oft sehr aufwendige und mühevolle Ringen der Kommission um eine präzisere sprachliche Fassung der einzelnen Norm und zum anderen, dass einer mitunter nur geringfügig geänderten Bestimmung ein erheblich abweichender Regelungsgehalt innewohnt.
2. Staatliche Oberaufsicht Obwohl sich die Kommission mit großer Mehrheit dafür entschieden hatte, ihren Beratungen das (Konzessions-)System des Preußischen Entwurfs zugrunde zu legen, ist sie nicht bereit, sämtliche Folgerungen, die der Entwurf aus der staatlichen Konzession zog, zu übernehmen. Dies zeigt sich zum ersten Mal bei der Diskussion von Art. 184 PE, der nicht nur Satzungsänderungen und die Fortsetzung der Gesellschaft an eine weitere landesherrliche Genehmigung bindet, sondern ebenso die Auflösung. Letzterer Regelung hält man entgegen, niemand könne gezwungen werden, ein möglicherweise verlustbringendes Geschäft dauerhaft fortzusetzen. Mit nur einer einzigen Gegenstim149
Lutz, Protokolle, S. 325. Wagner, Gesellschaftsrecht, S. 3007. 151 Art. 232: „Eide Namens der Gesellschaft werden durch den Vorstand geleistet." 152 Vgl. § 2 Aktiengesetz mit Art. 209 ADHGB; § 14 mit Art. 220 Abs. 2; § 11 Ziffer 1 und 2 mit Art. 222 Ziffer 1 und 2; § 13 Abs. 2 und Art. 223 Abs. 2; § 23 und Art. 232 sowie § 28 und Art. 242. 150
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§ 4 Aktiengesetzgebung unter dem Konzessionssystem
me wird dann schon in der ersten Lesung die Streichung der entsprechenden Vorschrift beschlossen 1 5 3 . Umkämpfter ist dagegen die Regelung des Art. 197 PE, welche - wie schon § 24 des Aktiengesetzes von 1843 - den AG-Vorstand verpflichtet, die jährliche Bilanz bei der zuständigen (Bezirks-)Regierung einzureichen. Dass sich hieran überhaupt Streit erhebt, ist aus heutiger Sicht nicht recht nachvollziehbar, scheint die Vorschrift doch nur eine gewisse Bilanzpublizität gewährleisten zu wollen. Tatsächlich geht es jedoch um sehr viel mehr: In Preußen hatte die Ministerialbürokratie in den 50er Jahren aus § 24 Aktiengesetz das von ihr behauptete staatliche Oberaufsichtsrecht über die Geschäftsführung der Aktiengesellschaften hergeleitet (vgl. unter C II). Obwohl dieser Zusammenhang von den Befürwortern der Vorschrift in der Diskussion sogleich offengelegt wird - die Gegenseite hatte überaus zurückhaltend argumentiert, der Artikel enthalte „eine ungeeignete Belästigung der Regierung" — beschließt die Kommission nach längerer Diskussion in der ersten Lesung mit 8 zu 7 Stimmen die Streichung dieser Regelung 1 5 4 . Anschließend muss man sich mit der Frage beschäftigen, was denn nun aus Art. 198 PE werden sollte 1 5 5 , denn zumindest dessen zweiter Absatz ist — hierüber bestand in der Kommission an sich kein Streit - inhaltlich eng mit der gestrichenen Regelung verbunden gewesen. Erneut treten mehrere Kommissionsmitglieder für eine ersatzlose Streichung des ganzen Artikels ein: „Es sei nicht abzusehen, warum unter allen Umständen der Regierung das Recht zustehen solle, eine Gesellschaft aufzulösen, deren Vermögen um die Hälfte vermindert worden, da trotz dieses Verhältnisses der Fortbestand mancher Gesellschaft recht gut möglich und vielleicht auch von den Betheiligten gewünscht sei." 1 5 6 Andere halten dem entgegen, die Regelung bezwecke hauptsächlich einen Schutz der Aktionäre vor solchen Vorstandsmitgliedern, die eine Vermögensminderung der Gesellschaft geheim hielten, um ihre eigenen Aktien noch zu einem günstigen Preise veräußern zu können. Dies Argument überzeugt offenbar die Mehrheit - mit nur zwei Gegenstimmen wird die Streichung des Artikels abgelehnt 1 5 7 . Während diese Regelung in der zweiten Lesung nahezu unerörtert bleibt 1 5 8 , sorgt in der dritten Lesung ein Antrag des Königreichs Sachsen noch einmal fiir sehr grundsätzliche Diskussionen. Sachsen dringt auf Streichung der Vorschrift, die Regierung könne bei einem Verlust von 50 % des Grundkapitals die Bücher der Gesellschaft einsehen 1 5 9 .
153 Lutz, Protokolle, S. 330 f. Die staatliche Genehmigung von Satzungsänderung und Fortsetzung blieb aber unangefochten; zudem band die Kommission noch Fusion und Kapitalherabsetzung an eine Zustimmung der Konzessionsbehörde; vgl. Lutz, Protokolle, S. 3 6 9 f.; 1072. 154 Lutz, Protokolle, S. 353 ff. 1 5 5 Artikel 198 PE lautet: (I.) „Ergiebt sich aus der letzten Bilanz, daß sich das Grundkapital um die Hälfte vermindert hat, so muß der Vorstand dies unverzüglich öffentlich bekannt machen." (II.) „Die Regierung muß in diesem Falle von den Büchern der Gesellschaft Einsicht nehmen und kann nach Befinden der Umstände die Auflösung der Gesellschaft verfügen." 156 Lutz, Protokolle, S. 355. 1 5 7 Zuvor hatte man sich darauf geeinigt, statt der Veröffentlichung der Bilanz die Einberufung einer Generalversammlung zu verlangen. Vgl. Lutz, Protokolle, S. 356. 1 5 8 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 1069. 1 5 9 Der Antrag ist abgedruckt bei Lutz, Protokolle, Band IX, Anhang S. 38.
D. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch
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Inhaltlich habe man nichts gegen diese Regelung einzuwenden. Zu befürchten sei nur, die Fassung der Norm könne den Schluss veranlassen, der Regierung stehe ein Einsichtsrecht nur in diesem besonderen Fall zu; sie müsse es aber auch in anderen Fällen haben. Andere Kommissionsmitglieder sehen dies nicht so: „Das Recht, von den Büchern einer Aktiengesellschaft Einsicht zu nehmen, stehe der Regierung wenigstens in vielen Ländern im Allgemeinen ebensowenig zu, als das Recht, die Einsicht der Bücher eines einzelnen Kaufmannes beliebig zu verlangen"; das Einsichtsrecht für den Fall des hälftigen Vermögensverlustes müsse deshalb ausdrücklich vorgesehen werden. Mit 12 gegen 2 Stimmen wird der sächsische Antrag abgelehnt 160 . In den Beratungen zum A D H G B gelingt es der Kommissionsmehrheit also, das System der staatlichen Oberaufsicht gegen den Widerstand Preußens und Sachsens zurückzudrängen ; abgeschafft ist dies System damit aber noch lange nicht: Art. 11 § 7 des preußischen Einführungsgesetzes zum A D H G B verpflichtet den AG-Vorstand, die jährliche Bilanz bei der Konzessionsbehörde einzureichen
3. Innere Organisation Die Kommission zur Beratung des A D H G B ist der Auffassung, das Gesetz müsse auch die innere Organisation der AG regeln (vgl. unter II.3). Allerdings enthält der Preußische Entwurf, den die Kommission ihren Beratungen zugrunde legt, nur eine relativ ausführliche und zusammenhängende Regelung des Gesellschaftsvorstandes sowie einige verstreute Bestimmungen über die Generalversammlung. Da auch auf keine den Entwurf ergänzenden rechtswissenschaftlichen Vorarbeiten zurückgegriffen werden kann, ist die Aufgabe, die sich die Kommission selbst gestellt hat, mithin überaus schwierig. Dies zeigt sich schon, als mit Art. 193 PE die den Abschnitt über den Vorstand einleitende Bestimmung zur Diskussion gelangt 163 . Mehrere Kommissionsmitglieder betonen sogleich, man wisse gar nicht, wen man sich nach der Fassung des Entwurfes unter den Vorstand der AG zu denken habe. Hier mag sich schon auswirken, dass das geschäftsleitende AG-Organ in der statutarischen Praxis dieser Zeit zumeist als Direktion bezeichnet wird; die sogleich formulierten fünf Vorschläge zur Neufassung der Vorschrift offenbaren aber auch grundsätzliche Differenzen 164 . Die Kommission
160
Lutz, Protokolle, S. 4544 f. So Reich, Entwicklung, S. 261. Dieser Tatsache war man sich offenbar in der Kommission durchaus bewusst. Im Rahmen der 2. Lesung der Vorschriften für die KGaA wird betont, bei der AG habe man „nicht eine fortwährende Kontrole durch die Staatsregierung, sondern nur deren Mitwirkung bei der Errichtung verlangt." Vgl. Lutz, Protokolle, S. 1115. 162 Vgl. Preuß. GS 1861, 449. Eine vergleichbare Regelung ist im sächsischen Einführungsgesetz, Sachs. GVOB11861, 307, nicht enthalten. 163 Art. 193 Abs. 1 PE lautet: „Die Geschäfte der Gesellschaft werden durch einen nach Inhalt des Gesellschaftsvertrages bestellten Vorstand verwaltet; die Gesellschaft wird vor Gericht, sowie in allen übrigen Rechtshandlungen durch diesen Vorstand vertreten." 164 So ist ein Kommissionsmitglied z. B. der Auffassung, „Vorstand der Gesellschaft" sei jeder, der zum Abschluss von Verträgen namens der AG berechtigt sei. Vgl. Lutz, Protokolle, S. 347 f. 161
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sieht sich jedenfalls nicht in der Lage, alle Vorschläge eingehend zu beraten und weist diese deshalb der Redaktionskommission zur Berücksichtigung zu. Hiernach halten sich die Beratungen wieder eng an die Systematik des Preußischen Entwurfs; erst als die 1. Lesung des Aktienrechts eigentlich schon abgeschlossen ist, unternimmt der österreichische Abgeordnete Dr. Schindler noch einmal einen Vorstoß: „Eine gemeinsame Legislatur über den Wirkungskreis, die Einberufung und Beschlussfassung der General-Versammlung der Aktionäre sowie über die Rechtswirksamkeit ihrer Beschlüsse scheine in mehrfacher Beziehung wünschenswerth." 165 Schindler übergibt der Redaktionskommission einen Antrag, dessen sechs Artikel u. a. die Einberufung der Generalversammlung zu regeln suchen, sowie die Voraussetzungen, unter denen diese Versammlung wirksame, alle Aktionäre bindende Beschlüsse fassen kann . Auch der Antrag eines weiteren Kommissionsmitgliedes, es empfehle sich, Vorschriften über Gesellschafterausschüsse in das Gesetz aufzunehmen, gelangt zunächst in die Redaktionskommission . Wie weit die Auffassungen auseinander liegen, zeigt sich dann in der 2. Lesung, als der Antrag Schindlers zur Erörterung gelangt. Obwohl die sechs Artikel fast nur Bestimmungen enthalten, die in vielen Satzungen schon längere Zeit Gebrauch gefunden haben, läuft sich die Diskussion schon beim allerersten Satz fest : „Mehrere Mitglieder hielten denselben für selbstverständlich und darum für überflüssig, andere waren der Ansicht, daß der Satz in seiner großen Allgemeinheit nicht gerechtfertigt sei ... von einer dritten Seite endlich wurde derselbe und insbesondere der Satz, daß die Beschlüsse der Generalversammlung für alle Aktionäre verbindlich seien, um deswillen für bedenklich gehalten, weil er zu dem Irrthume führe, als sei die Generalversammlung ein Organ der Gesellschaft, während sie doch eigentlich die Gesellschaft, der Prinzipal selbst sei." Nachdem eine Berücksichtigung dieser Vorschrift mit 12 zu 3 Stimmen abgelehnt worden ist, wird der restliche Antrag zurückgezogen. In der 3. Lesung scheitert schließlich noch ein Antrag Sachsens, den gesetzlich geforderten Mindestinhalt des Gesellschaftsvertrages um die Regelung „Die Grenzen der Befugnisse der Generalversammlung den Organen der Gesellschaft gegenüber" zu erweitern 170 . Am Ende gelangt das A D H G B daher bei der rechtlichen Erfassung der inneren Organisation von Aktiengesellschaften nicht sehr weit über den Preußischen Entwurf hinaus. Immerhin stellt man dem Abschnitt über den Vorstand wenigstens je eine Vorschrift zur Generalversammlung und für den Aufsichtsrat an die Seite: Der die Generalversammlung betreffende Art. 224 1 7 1 wird in der 2. Lesung ohne Debatte an165
Lutz, Protokolle, S. 3 8 9 f.
166
D e r A n t r a g ist als A n l a g e B abgedruckt bei Lutz, Protokolle, S. 4 0 0 .
167
Vgl. Lutz, Protokolle, S. 3 9 0 f. sowie d e n als A n l a g e C , a . a . O . , S. 4 0 1 f. a b g e d r u c k t e n A n t r a g .
168
Diskutiert wird über Art. 194 Abs. 1 des Entwurfs v o n Schindler.
„ E i n e vorschriftsmäßig einberu-
fene u n d beschlußfähige G e n e r a l - V e r s a m m l u n g stellt die G e s a m m t h e i t der Aktionäre d a r . " 169
Lutz, Protokolle, S. 1 0 6 5 .
170
V g l . Lutz, Protokolle, S. 4 5 4 1 .
171
(I.) „ D i e Rechte, welche d e n Actionären in d e n Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in
Beziehung a u f F ü h r u n g der Geschäfte, die Einsicht u n d P r ü f u n g der Bilanz u n d die B e s t i m m u n g der G e winnvertheilung zustehen, werden v o n der G e s a m m t h e i t der Actionäre in der G e n e r a l v e r s a m m l u n g aus-
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genommen 1 7 2 ; es lässt sich daher nicht sicher bestimmen, welcher Regelungsgehalt Abs. 1 nach Auffassung der Konferenzteilnehmer zukommen soll. Später ist mitunter behauptet worden, nach dieser Vorschrift dürften die Aktionäre ihre sämtlichen Rechte ausschließlich in der Generalversammlung geltend machen, insbesondere weder gegen widerrechtliche Beschlüsse der Generalversammlung noch auf Einhaltung der statutarischen Bestimmungen durch Vorstand und Aufsichtsrat klagen 1 7 3 . Eine derartige Regelung hätte jedoch zum einen der damaligen Praxis widersprochen, in der die Aktionäre fast immer berechtigt waren, Meinungsverschiedenheiten mit der Verwaltung ihrer Gesellschaft vor ein Schiedsgericht zu bringen , und zum anderen auch der im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vorherrschenden Auffassung 1 7 5 . Sie hätte auf der Konferenz wohl zumindest für eine längere Debatte gesorgt. Daher sollte Art. 224 Abs. 1 ADHGB vermutlich in erster Linie die regelmäßige Ordnung der AG und die Funktion der Generalversammlung beschreiben Hierfür spricht auch die folgende Regelung des Art. 225 über den Aufsichtsrat, die wohl wie keine zweite ADHGB-Norm auch das aktienrechtliche Schrifttum des 20. Jahrhunderts beschäftigt hat. Behauptet wird, die Vorschrift 177 verdanke nur einer Kette von irrtümlichen Auffassungen ihre Entstehung 178 ; andere sehen in ihr die wichtigste Bestimmung des ADHGB zur inneren Organisation der AG, mit der man „ganz bestimmte, wohlüberlegte Zwecke" verfolgt habe 1 7 9 . Diese Diskussion braucht hier nicht aufgenommen zu werden; in Erinnerung ist nur zu rufen, dass der aktienrechtlichen Praxis schon weit vor dem ADHGB weitgehend auf Aufsichts- und Kontrollaufgaben beschränkte Gesellschafterausschüsse keinesfalls fremd gewesen sind 1 8 0 . Da man sich in der ADHGB-Kommission jedoch nicht einmal über relativ einfache Fragen der geübt." (II.) „Jede Actie gewährt dem Inhaber eine Stimme, wenn nicht der Gesellschaftsvertrag ein Anderes festsetzt." 172 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 1047. 173 Zur Ausformung der Aktionärsklage in der Rechtsprechung des ROHG vgl. unter § 7 B 1.2; zu deren gesetzlichen Regelung durch die Aktiennovelle von 1884 unter § 7 C III. 174 Vgl. § 2 C III, § 6 A l l . 1. 175 Hierzu insbesondere unter § 3 C II, § 6 B III.3, § 7 B 1.2. 176 Mitte der 50er Jahre stellt man in den Statuten preußischer Aktiengesellschaften der detaillierten Regelung der einzelnen Gesellschaftsorgane mitunter einen kurzen Abschnitt voran, in dem unter dem Titel „Organisation der Gesellschaft" die jeweiligen Funktionen von Vorstand (Direktorium), Verwaltungsrat (Ausschuss) und Generalversammlung kurz allgemein umschrieben werden; vgl. §§ 4 ff. AG „Vorwärts" für Flachs-Spinnerei und Weberei, Preuß. GS 1855, 199; §§ 4ff. Sächsisch-Thüringische AG für Braunkohlen-Verwertung, Preuß. GS 1856, 16 ff. 177 (I.) „Ist ein Aufsichtsrath bestellt, so überwacht derselbe die Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen der Verwaltung; er kann sich von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichten, die Bücher und Schriften derselben jederzeit einsehen und den Bestand der Gesellschaftscasse zu untersuchen." (II.) „Er hat die Jahresrechnungen, die Bilanzen und die Vorschläge zur Gewinnvertheilung zu prüfen und darüber alljährlich der Generalversammlung der Actionäre Bericht erstatten." (III.) „Er hat eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der Gesellschaft erforderlich ist." 178 Vgl. insb. Passow, ZHR64 (1909), 27ff.; ders., Aktiengesellschaft, S. 393ff. 179 So Schumacher, Organisation, S. 69, 76. Mit der Entstehung von Art. 225 ADHGB beschäftigt sich auch Wiethölter, Interessen, S. 270 ff., eingehend. Vgl. zudem Assmann in: Großkomm.AktG, Einl. Rdn. 72 ff.
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inneren Organisation einigen konnte, ist Art. 225 ADHGB gewiss auch nicht Ausdruck eines wohldurchdachten, auf den Schutz der Kleinaktionäre abzielenden, Konzepts 181 . Ebenso wenig überzeugt schließlich der Erklärungsversuch, der Übernahme liege letztlich eine recht schematische Gleichsetzung der Verhältnisse von KGaA und AG zugrunde 1 8 2 . Zu berücksichtigen ist, dass den Kommissionsmitgliedern Aktiengesellschaften mit Vorstand ««^Gesellschafterausschuss nicht unbekannt sind 1 8 3 und dass der Preußische Entwurf einerseits zwar den Vorstand in einem eigenen Unterabschnitt regelt, andererseits aber Ausschuss und Generalversammlung nahezu völlig übergeht (vgl. unter B III.). Diese „Schieflage" sollen die Art. 224 und 225 offenbar etwas ausgleichen und damit die gesetzliche Regelung ein Stück näher an die rechtstatsächlichen Zustände heranführen. Die wortwörtliche Übernahme der Vorschrift zum Aufsichtsrat aus dem Recht der KGaA mag der Tatsache geschuldet sein, dass diese dort von der Mehrheit akzeptiert worden war 1 8 4 ; eine neu gefasste Bestimmung hätte vermutlich erneut längere Diskussionen nach sich gezogen. Die Institution des KGaA-Aufsichtsrats als solche will man jedenfalls nicht einfach ins Aktienrecht verpflanzen 185 ; vom Gesetz werden deshalb abweichende satzungsmäßige Ausgestaltungen des Gesellschafterausschusses nicht untersagt. Die ausdrücklich erwähnten Kompetenzen der Generalversammlung bleiben allerdings auch im A D H G B über den ganzen Titel verstreut; neu gegenüber dem Preußischen Entwurf ist die Bestimmung des Art. 248, welche für die Kapitalherabsetzung einen Generalversämmlungsbeschluss verlangt. Zu erwähnen ist schließlich noch eine Neuregelung, die - an sich das Außenrecht der AG betreffend — nicht ohne Bedeutung für die innere Organisation der Gesellschaft ist. M i t Art. 231 Abs. 2 ADHGB werden Beschränkungen der Vertretungsbefugnis des Vorstandes dritten Personen gegenüber für unwirksam erklärt. Diese Vorschrift hatte sowohl in der ersten als auch in der zweiten Lesung für längere Diskussionen gesorgt; sie wird u. a. mit dem Argument abgelehnt, eine AG könne ihren Vorstand nicht in gleicher Weise
180 Vgl. unter § 2 B sowie Schumacher, Organisation, S. 69 ff. Zum gegenteiligen Urteil, es habe.nie einen reinen Aufsichtsrat, dafür aber immer einen mit der Oberleitung beauftragten Verwaltungsrat gegeben, kann man nur gelangen, wenn man wie Passow, Aktiengesellschaft, S. 347 ff., die Direktion (der Rheinischen Eisenbahngesellschaft) kurzer Hand zum zweiten Kollegium des Verwaltungsrats erklärt. Gerade bei der REG ist jedoch der Administrationsrat ein weitgehend auf Aufsicht und Kontrolle beschränktes Organ, das die Direktion nicht einmal bei schwerwiegenden Unternehmensentscheidungen konsultierte, vgl. nur Kumpmann, Rheinische Eisenbahn, S. 202. 181 Zweifelnd auch Wiethölter, Interessen, S. 285. 182 So Wiethölter, Interessen, S. 281 ff. 183 Vgl. nur Lutz, Protokolle, S. 390 f. 184 Art. 165 PE, der die Rechte des Verwaltungsrates bei der KGaA in der Sache nahezu wortgleich mit Art. 225 ADHGB regelt, wurde in der 1. Lesung ohne weiteres angenommen; vgl. Lutz, Protokolle, S. 385. 185 Friedrich von Hahn, der als Vertreter mehrerer thüringischer Staaten an der Nürnberger Konferenz teilgenommen hatte, betonte schon 1863 in seinem ADHGB-Kommentar, S. 455, der bei größeren Gesellschaften anzutreffende Aufsichtsrat sei „mit dem Aufsichtsrath der Commandit-Actiengesellschaften nicht gleichartig und es können daher die Bestimmungen nicht ohne weiteres auf ihn angewendet werden."
E. Resümee
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kontrollieren, wie ein Prinzipal seinen Prokuristen 186 . Tatsächlich nimmt Art. 231 Abs. 2 ADHGB den Aktionären die bis dahin (zumindest in der Theorie) bestehende Möglichkeit, sich vor Pflichtverletzungen des Vorstands durch eine detaillierte Beschränkung dessen Vertretungsmacht zu schützen. Die Frage nach den Kompetenzen, die der Generalversammlung in jedem Fall zu verbleiben haben, gewinnt hierdurch weiter an Bedeutung 1 8 7 .
E. Resümee Als sich in Deutschland Mitte der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung des Aktienrechts immer mehr verstärkt, da steht den einsetzenden Kodifikationsbemühungen zunächst kein rechtes Vorbild zur Verfügung: Das preußische Allgemeine Landrecht enthält gar keine Regelung der AG und der Code de Commerce nur einige wenige Normen. Erst 1838 fuhrt das Wetboek van Koophandel hierüber hinaus; sogleich nimmt man auch in Deutschland von seinen Bestimmungen Kenntnis. Erste Entwürfe in Sachsen und Württemberg scheitern zwar als Gesetz, finden jedoch bei späteren Kodifikationsversuchen immer wieder Beachtung. Als schließlich 1843 in Preußen das erste deutsche Aktiengesetz ergeht, bleibt die innere Organisation der AG völlig ausgespart, obwohl die Praxis der Konzessionsbehörden schon auf erste Erfahrungen zurückgreifen kann. Der preußische Gesetzgeber verzichtet vor allem deshalb auf eine detailliertere Regelung, weil diese — notwendig allgemein gehalten - zu erweiterten Freiräumen der Gesellschafter gegenüber staatlichen Gestaltungsvorgaben geführt hätte. Man ist nicht bereit, den Intensitätsgrad des staatlichen Einflusses zurückzunehmen; weiterhin sollen die Konzessionsbehörden in jedem Einzelfall in die Ausgestaltung der AG-Binnenorganisation eingreifen können. In den folgenden Jahren ergehen in Preußen zwar mehrfach allgemeine Bestimmungen, welche die fragmentarischen gesetzlichen Regelungen etwas näher ausfüllen, jedoch lediglich in der Form verwaltungsinterner Anweisungen. Unmittelbar nach der Jahrhundertmitte erreicht die staatliche Einflussnahme auf das Aktienwesen in Preußen eine neue Qualität. Gestützt auf die Genehmigungskompetenz für Satzungsänderungen, die schon den Keim einer permanenten Aufsicht in sich trägt, machen die Konzessionsbehörden zunehmend ein staatliches Oberaufsichtsrecht über jede einzelne Aktiengesellschaft geltend, das von einem Regierungskommissar wahrgenommen werden soll. Die diesen Bestrebungen zugrunde liegenden konzeptionellen Überlegungen schlagen sich schließlich in den Regelungen des Preußischen HGB-Entwurfs von 1857 nieder: Die Konzessionsbehörden sollen u. a. jeder AG einen Regierungskommissar beiordnen dürfen, allzeit die Bücher der Gesellschaft einsehen und dieselbe bei einem teilweisen Verlust des Grundkapitals auflösen dürfen; selbst der Vgl. Lutz, Protokolle, S. 358 ff., 1056,1061 ff. Zur tendenziellen Stärkung der Position des Vorstandes durch Art. 231 Abs. 2 ADHGB siehe auch Wiethölter, Interessen, S. 283 f. 186 187
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unter dem
Konzessionssystem
Auflösungsbeschluss der Gesellschafter wird an die staatliche Genehmigung gebunden. Diese Vorschriften stehen für ein Konzept, das den staatlichen Einfluss auf die Aktiengesellschaften nicht auf eine Kontrolle der Gründung und bedeutsamer Umgestaltungen beschränken will, sondern darüber hinaus das gesamte unternehmerische Handeln der einzelnen Gesellschaft, bis in die laufende Geschäftsführung hinein, unter die Aufsicht des Staates stellen möchte. Derart in ihrer Souveränität beschnittene Gesellschaften sind für ihr Tun (und auch ihr Unterlassen) nicht bloß — möglicherweise nicht einmal zuvörderst — ihren Aktionären verantwortlich, sondern ebenso dem Staat (und über ihn eventuell der Allgemeinheit). Die Kommission zur Beratung des A D H G B hat sich zunächst zwischen dem preußischen Konzept und einer völlig konträren Konzeption zu entscheiden, welche von den Vertretern Hamburgs vorgestellt wird: Empfohlen wird, auf eine Regulierung des Aktienwesens zu verzichten; die Gesellschafter sollen die Souveränität ihrer Verbände vollkommen eigenverantwortlich wahrnehmen können. Scheinbar obsiegt Preußen, denn die ADHGB-Kommission beschließt mit großer Mehrheit, ihren Beratungen auch beim Aktienrecht das System des Preußischen Entwurfs zugrunde zu legen. In der Sache versucht man aber einen „dritten Weg" zu gehen, nicht nur, weil den Einzelstaaten die Entscheidung über die Beibehaltung des Konzessionssystems vorbehalten bleiben soll. Gewichtiger noch ein anderes Moment: Die große Mehrheit der Kommissionsmitglieder will zwar weiterhin die Gründung einer Aktiengesellschaft an die staatliche Bestätigung binden; eine permanente staatliche Oberaufsicht wird jedoch abgelehnt. Statt auf eine ständige Aufsicht durch staatliche Behörden zu setzen, will man die gesetzlichen Vorschriften zur inneren Organisation der AG ausbauen. Im Verlauf der Beratungen vermag man sich insoweit allerdings lediglich auf einige wenige Vorschriften zu einigen; die Binnenorganisation der AG bleibt im A D H G B letztlich Torso 1 8 8 . Bei der Suche nach den Ursachen wird auf die sehr knapp bemessene Zeit sowie auf sachliche Missverständnisse und Unklarheiten unter den Kommissionsmitgliedern verwiesen 189 . Es ist jedoch weitaus tiefer anzusetzen: Zunächst ist hervorzuheben, dass der preußische Entwurf, der den Beratungen zugrunde lag, bewusst auf allgemeine gesetzliche Regelungen verzichtete. Zwar hatten demgegenüber bereits 1849 die Verfasser des Frankfurter Entwurfs die nähere Ausgestaltung der AG-Binnenorganisation als gesetzgeberische Aufgabe betrachtet, sich insoweit jedoch außer Stande gesehen, Regelungsvorschläge zu unterbreiten. Die ADHGB-Kommission konnte auch nicht auf entsprechende rechtswissenschaftliche Vorarbeiten zurückgreifen; trotz steigender AG-Gründungen war die wissenschaftliche Bearbeitung der Thematik zur Zeit der ADHGB-Beratungen noch nicht über das schon in der ersten Hälfte der 40er Jahre erreichte Niveau (vgl. unter § 3 C) hinaus gelangt 190 . Die Gründe, die selbst am Gesellschaftsrecht interessierte Wissenschaftler wie Brinckmann oder Goldschmidt veranlass-
188
Von einem „Kompromißtorso" spricht Wietbölter,
Interessen, S. 284.
Vgl. Wietbölter, Interessen, S. 275, 284. Das wirtschaftsgeschichtliche Schrifttum gelangt bei der Beurteilung des deutschen Aktienrechts zumeist nicht über eine sehr pauschale und an sich völlig unhistorische Gesetzgeberschelte hinaus; vgl. nur Steitz, Köln-Mindener Eisenbahn, S. 200, 275. 189
E. Resümee
189
ten, das Aktienrecht entweder nur sehr praxisfem oder gar nicht zu bearbeiten, sind nicht sicher auszumachen. Gewiss hat aber eine Rolle gespielt, dass es lediglich in Preußen eine (sehr rudimentäre) gesetzliche Regelung des Aktienrechts gab; im Königreich Sachsen und in wenigen anderen Staaten zumindest noch eingespielte und daher halbwegs berechenbare Konzessionsbehörden. Ansonsten betrachtete der jeweilige Landesherr die Bestätigung einer Aktiengesellschaft und der Bedingungen, unter denen diese entstand, als in seinem absolut freien Belieben stehend; entsprechend wurde in der Praxis verfahren 191 , weshalb die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Gegenstandes wohl nicht sonderlich attraktiv war. Letztlich war aber auch das Konzept der ADHGB-Kommission nicht frei von inneren Widersprüchen. Hatte man doch, bevor man sich daran machte, gesetzliche Bestimmungen für die AG-Binnenorganisation zu schaffen, mehrheitlich für die Beibehaltung des Konzessionssystems votiert. Selbst eine Einschränkung des Ermessens der Konzessionsbehörden ist von der Kommission nie grundsätzlich erörtert worden; jede zwingende gesetzliche Regelung zur inneren Verfassung der AG hätte aber als erstes die - auch insoweit bislang weitgehend freien — Behörden gebunden. Vielleicht ist die (in den Protokollen deutlich werdende) fehlende Bereitschaft zum Kompromiss, ja sogar zur vertieften Diskussion der einzelnen Probleme u.a. darauf zurückzuführen, dass man sich dieses Zusammenhangs erst nach und nach bewusst wurde. So blieb denn das Aktienrecht des A D H G B ein wesentlich durch das Konzessionssystem geprägtes Regelwerk.
190 Auch die Lehrbücher der an den Beratungen beteiligten Ordinarien bildeten insoweit keine Ausnahme; vgl. nur die Behandlung der AG bei v. Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 7. Aufl. 1860, S. 491 ff. 191 Bekannt ist z. B., dass noch 1858/59 die U m w a n d l u n g der Kasseler Lokomotivfabrik Henschel & Sohn in eine AG trotz befürwortender Stellungnahmen der hessischen Bürokratie mehrfach am Veto des Kurfürsten scheiterte; hierzu Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 269 f.
§ 5 Recht der nicht konzessionierten Gesellschaften A. Rechtstatsächliche
I. Nicht konzessionierte
Zustände
Gesellschaften und industrieller
Aufschwung
Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts werden die Handelsgesellschaften vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur wenig beachtet (vgl. unter § 2 C). Nahe scheint daher der Schluss zu liegen, in den Staaten des Deutschen Bundes hätten nicht nur die großen konzessionierten Compagnien, sondern auch die kleineren nicht konzessionierten Gesellschaften keine oder nur eine sehr geringe praktische Bedeutung gehabt. Aus der Distanz von 150 bis 200 Jahren lassen sich allerdings Verbände, denen möglicherweise nicht einmal ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag zugrunde lag 1 , ungleich schwerer ausmachen als Korporationen, deren spezieller Oktroi in der Gesetzessammlung publiziert worden ist. Dennoch ist es möglich, die Verbreitung nicht konzessionierter Gesellschaften zumindest für ein Gebiet zu belegen, das am Anfang des 19. Jahrhunderts zu den Teilen Deutschlands gehörte, in denen die wirtschaftliche Entwicklung am weitesten voran geschritten war: für das Königreich Sachsen. Dem wirtschaftsgeschichtlichen Schrifttum ist es gelungen, für die Jahre 1800 bis 1830 insgesamt 182 sächsische Fabriken nachzuweisen 2 . Hierzu werden vor allem Unternehmen gerechnet, deren Produktion schon wesentlich auf dem Einsatz von Wasseroder Dampfkraft beruhte: zumeist Baum- und Schafwollmaschinenspinnereien, Kattundruckereien, Strumpfwirkereien, Chemische Bleichen, Webereien und Essigfabriken, aber auch erste mechanische Werkstätten und Eisenwerke. Bei weiteren 130 ebenfalls nachgewiesenen Unternehmen ist die Antriebsart unklar; da nicht auszuschließen ist, dass in ihnen nur menschliche Antriebskräfte eingesetzt worden sind, rechnet man sie zu den Manufakturen 3 . Von den 182 sächsischen Fabriken sind nun wenigstens 84, das sind 46 %, zumindest zeitweise von Gesellschaften betrieben worden; von den 130 Manufakturen 51 (= 39 %). Wenn Gesellschaften schon vor 1830 bei fast jeder zweiten sächsischen Fabrik als Unternehmensträger aufgetreten sind, dann sollte ihre Bedeutung innerhalb des langsam einsetzenden industriellen Aufschwungs nicht zu gering geschätzt werden. Zwar haben bei den sächsischen Gesellschaften familiäre Verbindun-
1 Nach gemeinem Recht bedurfte der Gesellschaftsvertrag keiner besonderen Form; vgl. Treitscbke, Gewerbegesellschaft, S. 21; anders dagegen § 617 II 8 ALRund Art. 39 Code de Commerce. 2 Vgl. Forberger, Die industrielle Revolution in Sachsen 1800 - 1861, Band 1/2, passim. 3 Forberger; Industrielle Revolution 1/2, S. VIII.
192
§5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
gen immer noch eine erhebliche Rolle gespielt; nach dem übermittelten Datenmaterial sind sie jedoch mehrheitlich bereits nicht mehr unter Vätern und Söhnen bzw. unter Brüdern gegründet worden. Nicht wenige Gesellschaften haben auch mehr als zwei bis drei Gesellschafter, mitunter lässt sich sogar eine Beteiligung auf Aktien ausmachen . Die Unterlagen offenbaren zudem, dass sich auch vor 175 Jahren die Entwicklung einer Handelsgesellschaft nicht immer völlig gleichförmig und konfliktfrei vollzog. Einen ersten Eindruck vermag insoweit vielleicht die - im Telegrammstil gefasste - Geschichte der Plauener Kattundruckerei und Baumwollmaschinenspinnerei Facilides & Co./Gössel vermitteln: ,,G[ründer] und Eigentümer] der Spinnerei 1808: Kaufmann Ernst Wilhelm Conrad Gössel; Eigentümer] der Kattundruckerei: Ehepaar Gössel und restliche Teilhaber der Firma Facilides & C o ; Eigentümer] 1814: nach Auszahlung der Teilhaber Kammerrat Gössel allein; Eigentümer] 1818: Kammerrat Gössel und seine Vetter bzw. Neffen, von Kammerrat Gössel auf 5 Jahre als ,wirkliche Teilhaber' ernannt Buchhalter und Rechnungsführer Friedrich August Franz, Johann Ludwig Daniel Gössel, Karl Ludwig Friedrich Neuber, Karl Heinrich Herbst; Eigentümer] 1822: Kammerrat Gössel scheidet aus, am gleichen Tage, 28.2.1822, Vertrag der 4 restlichen Inhaber; Eigentümer] 1827: statt des verstorbenen Karl Heinrich Herbst wird Heinrich Kanz (Schwager von Ludwig Gössel) Mitinhaber; Eigentümer] 1829: wegen Streitigkeiten der vier Inhaber wieder Übernahme durch Kammerrat Gössel selbst; Eigentümer] 1830: Firma Facilides & Co erlischt, Eigentümer] der Spinnerei: Ludwig Gössel." 5 Als dann einige Jahre später die ersten Aktiengesellschaften zum Bau und Betrieb von Eisenbahnen aufkommen, da werden die „um die Bahn herum" entstehenden Unternehmen sehr häufig von nicht konzessionierten Gesellschaften betrieben. So schließen sich beispielsweise regelmäßig mehrere „Chaisenbauer" zusammen, um ein konkurrenzfähiges Waggonbauunternehmen bilden zu können . In den Jahren 1835 bis 1837 beginnt zudem der Aufschwung einer weiteren Branche, die in den folgenden Jahrzehnten zu den wichtigsten deutschen Industriezweigen gehören wird: die Zuckerindustrie. Zwar hatte es schon zuvor einige konzessionierte Aktiengesellschaften zur Zuckergewinnung gegeben 7 , die nun einsetzende beeindruckende Entwicklung wird jedoch ganz wesentlich von Gesellschaften getragen, die nicht um eine Konzession nachgesucht haben bzw. denen eine solche verwehrt worden ist. Dennoch bilden diese Gesellschaften Organisationsstrukturen heraus, die denen der konzessionierten Aktiengesellschaften sehr nahe kommen.
4 So soll 1822 eine Aktiengesellschaft für die Flachsspinnerei der Gebrüder Bernhard in Harthau gebildet worden sein; vgl. Forberger, Industrielle Revolution 1/2, S. 99 f. 5 Forberger, Industrielle Revolution 1/2, S. 156 f. 6 Vgl. nur Brake, Eisenbahnen in Hessen, S. 275 ff. mit vielen Beispielen aus den hessischen Staaten. 7 Vgl. Thieme,]bWg 1960/11, 285, 292 ff., zu den in Preußen konzessionierten Gesellschaften.
A. Rechtstatsächliche
193
Zustände
II. Gesellschaften auf Aktien und andere Sonderformen Von 1835 bis 1837 steigt in Deutschland die Zahl der Fabriken zur Produktion von Rübenzucker von 21 auf über 150 an; viele Unternehmen gehen allerdings schon bald wieder ein. Mitte der 40er Jahre setzt dann ein dauerhafterer Aufschwung ein. Für den Zeitraum bis 1857 sind vom wirtschaftsgeschichtlichen Schrifttum 36 Gesellschaften zur Zuckerproduktion sicher nachgewiesen worden, die als Aktiengesellschaft oder als „Aktienverein" aufgetreten sind, obwohl sie zumindest über einen Zeitraum von mehreren Jahren keine staatliche Bestätigung erhalten hatten 8 . Nicht nur die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang die Neue Stettiner Zuckersiederei unerwähnt bleibt, die auch erst 11 Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 1835 eine Konzession erhält 9 , deutet auf eine hohe „Dunkelziffer" hin. Wenigstens 55 weitere Gesellschaften bezeichnen sich zwar nicht ausdrücklich als Aktiengesellschaften, doch deuten die überlieferten Daten auf vergleichbare Strukturen hin: An den Gesellschaften beteiligen sich jeweils 15 bis 20, mitunter auch 30 und mehr Personen. Man bestimmt ein festes Grundkapital, das in Anteile oder Aktien aufgeteilt wird; diese können offenbar vergleichsweise frei übertragen werden 1 0 . Vor allem das Beispiel der am 18.7.1836 in Karlsruhe gegründeten Badischen Gesellschaft: für Zuckerfabrikation belegt, dass derartige Verbände fast die Größenordnung kleinerer konzessionierter Eisenbahn-Aktiengesellschaften erreichen können 1 1 . Die Gesellschaft besitzt bei ihrer Gründung ein Grundkapital in Höhe von einer Million Gulden; die 2.000 Aktien zu je 500 Gulden werden innerhalb nur eines Tages vollständig gezeichnet. D a die Gesellschaft ausdrücklich als „unbenannte" errichtet wird, ist man gemäß Satz 37 des Anhangs zum Badischen Landrecht 1 2 an sich verpflichtet, um staatliche Bestätigung nachzusuchen 13 . Dies aber geschieht nicht; vielleicht, weil die Gründung im Gesellschaftsvertrag zur lediglich „vorläufigen" erklärt wird 1 4 : Man
8
Hierzu die Übersichten bei Hagelberg/Müller,
9
Vgl. unter § 4 B.
10
Vgl. Hagelberg/Müller,
J b W g 1974/IV, 113, 120 f.
J b W g 1974/IV, 113, 121 ff., sowie Mosel, Zuckerfabrik, S . 13 ff., zur G e -
schichte der Aktienzuckerfabrik Klein-Wanzleben. Diese Gesellschaft wurde 1 8 3 8 von 19 Landwirten gegründet; ihr zunächst in 7 2 Anteile zerlegtes G r u n d k a p i t a l betrug insgesamt ca. 1 5 . 0 0 0 Taler. A u c h nach d e m Inkrafttreten des preußischen Aktiengesetzes v o n 1 8 4 3 m u s s t e die A G offenbar nicht u m eine K o n zession nachsuchen. Einen allgemeinen U b e r b l i c k über die G r ü n d u n g solcher Gesellschaften gibt ferner
L.Henze, 11
O r g a n i s a t i o n s f o r m e n , S. 13 ff.
Z u m Folgenden vgl. 100 Jahre Zuckerfabrik Waghäusel, S. 11 ff.; K. Ulrich,
Rübenzuckerfabrikati-
o n in B a d e n , S. 4 0 ff. 12
Dieser Satz entsprach Art. 3 7 C o d e de C o m m e r c e ; vgl. unter § 2 B II.
13
S c h o n die A u s f ü h r u n g e n v o n Brauer, Erläuterungen IV, S. 3 9 0 f. sind in diesem Punkt sehr deutlich:
„Unser S a z sagt nicht bloß etwa eine u n b e n a n n t e Gesellschaft k ö n n e o h n e StaatsBewilligung nicht entstehen, sondern er sagt: sie k ö n n e nur durch die Erlaubniß der Staatsregierung bestehen; sie zerfalle also, sobald diese z u r ü c k g e n o m m e n wird. Dieser A u s d r u c k ist wohlbedächtlich g e w ä h l t ; . . . " . 14
D i e v o n K.Ulrich,
Rübenzuckerfabrikation in B a d e n , S. 4 1 , erwähnte K o n z e s s i o n v o m 1 8 . 8 . 1 8 3 6
hatte offenbar gewerberechtlichen Charakter; in ihr soll u. a. b e s t i m m t worden sein, die Gesellschaft m ü s se für j e d e Rohzuckerfabrik oder Raffinerie, die sie anlegen wolle, u m eine besondere K o n z e s s i o n nachsuchen.
194
$ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschafien
will das von einem Erfinder eingebrachte Verfahren zur Zuckersiederei erst einmal ausprobieren. Am 20.3.1837 beschließt die Generalversammlung dann einstimmig, die Gesellschaft für „definitiv konstituiert" zu erklären. Da die Gesellschaft den Aktionären noch mehrere Jahre lang trotz schlechter Betriebsergebnisse die in der Satzung vereinbarte feste Verzinsung der Aktien gewährt, verliert sie schnell größere Teile ihres Grundkapitals. Anfang 1848 ist sie schließlich in Höhe von 500.000 Gulden überschuldet. Nach langen Sanierungsverhandlungen wird unter Beteiligung der Gläubiger im Februar 1851 eine neue unbenannte Gesellschaft unter dem (alten) Namen „Badische Gesellschaft für Zuckerfabrikation" gegründet, die sogleich dem Ministerium die vereinbarten Statuten „gehorsamst" vorlegt und um die Bestätigung gemäß Satz 37 des Landrechts-Anhangs bittet 15 . Es braucht keiner aufwendigen und zielgerichteten Suche, um auch außerhalb der Zuckerindustrie auf Spuren von Aktiengesellschaften zu stoßen, die zumindest über einen längeren Zeitraum ohne staatliche Konzession tätig gewesen sind. In Sachsen weichen bei etlichen Gesellschaften Gründungs- und Konzessionsdaten erheblich voneinander ab; dies ist offenbar nicht nur auf die Dauer des Konzessionsverfahrens zurückzuführen . Auch bei der Durchsicht von Sammlungen gerichtlicher Erkenntnisse lassen sich relativ schnell Verfahren auffinden, an denen nicht konzessionierte Aktiengesellschaften beteiligt sind: Zum Beispiel erscheint in den Akten des Münchener Wechsel- und Merkantilgerichts der „Inhaber einer auf Actien gegründeten Manufactur" 17 ; das Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle berichtet von Klagen aus dem Jahre 1837 gegen die damals noch nicht bestätigte Sächsische Maschinenbau-Compagnie 1 8 und das Obertribunal Stuttgart erörtert die Haftung der Aktionäre einer ActienBierbrauerei-Gesellschaft sowie einer AG zum Betrieb einer Buchdruckerei; beide hatten keine staatliche Bestätigung erhalten 19 . Illusorisch daher die Hoffnung, mit Hilfe der erhalten gebliebenen Konzessionsakten ließen sich die in jener Zeit vorhandenen Aktiengesellschaften „fast lückenlos" erfassen, so dass die Möglichkeit bestehe, einen Teil der gewerblichen Wirtschaft im Stadium der Frühindustrialisierung „in seiner Gänze" zu erfassen 20 .
15 Mit dieser Vereinbarung sollte die alte Gesellschaft aufgehört haben, zu existieren; so ein Anschreiben der Gesellschaft an das Ministerium; vgl. 100 Jahre Zuckerfabrik Waghäusel, S. 17. 16 Vgl. unter § 3 B III. 1. 17 Gerichtliche Entscheidungen in Wechsel- und Mercantilsachen - aus den Akten des K. Wechselund Mercantilgerichts München gesammelt und herausgegeben von Leonhard Posset, München 1844, S. 244 ff. 18 4 (1844), S. 201 ff. Die Sächsische Maschinenbau-Compagnie, die schon 1836 eine mechanische Werkstatt „mit allen Verpflichtungen" übernommen hatte, wurde erst 1839 konzessioniert. Vgl. unter § 3 B III.1. 19 Seuff.A. 12 Nr. 58 und Nr. 60. Vgl. auch die Entscheidungen des Badischen Oberhofgerichts Mannheim, Jahrbücher 16 (1845/46), S. 9, und des Appellationsgerichts Altenburg, Blätter für die Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, 10 (1863), 140 ff. 20 So Martin, Frühindustrielles Gewerbe, S. 196 ff.
A. Rechtstatsächliche
Zustände
195
III. Rechtsregime Die Gründung nicht konzessionierter Aktiengesellschaften fußt nicht in einem ganz bestimmten Rechtsrahmen; dies macht schon deren Verbreitung deutlich: So entstehen Gesellschaften zur Zuckerproduktion in Gebieten des gemeinen Rechts (Neuvorpommern, Braunschweig) ebenso wie in denen des preußischen Landrechts (Provinz Sachsen), des sächsischen Rechts (Anhaltinische Staaten) und auch unter dem Code de Commerce (Baden). Im wirtschaftsgeschichtlichen Schrifttum wird die Auffassung vertreten, der Rechtsform nach seien die nicht konzessionierten Zuckergesellschaften offene Handelsgesellschaften gewesen 21 ; mitunter sieht man in ihnen auch Kommanditgesellschaften 22 . In Deutschland hat es jedoch vor dem Inkrafttreten des A D H G B weder die Offene Handels- noch die Kommanditgesellschaft als Rechtsform gegeben, zumindest nicht außerhalb des Geltungsbereichs des Code de Commerce. Es könnte also allenfalls vorgebracht werden, die konkrete rechtliche Ausgestaltung der einzelnen Gesellschaft sei jener offener Handelsgesellschaften (bzw. Kommanditgesellschaften) ähnlich gewesen. Die Kennzeichnung nicht konzessionierter Gesellschaften als O H G macht man vor allem an der unbeschränkten Haftung der Gesellschafter fest; diese wird allerdings mehr allgemein behauptet, denn tatsächlich historisch konkret nachgewiesen 23 . Offenbar liegt dem die Annahme zugrunde, nur eine staatliche Konzession der Gesellschaft habe die unbeschränkte Haftung der Gesellschafter ausschließen können . Hinreichender Beleg für einen solchen Zusammenhang scheint schon die Tatsache zu sein, dass es in Preußen Fälle gab, in denen man Aktiengesellschaften ein sogenanntes „Teilprivileg" gewährte, nach dem die Aktionäre lediglich subsidiär für die Verbindlichkeiten ihrer Gesellschaft zu haften hatten 25 . Dass man in der preußischen Ministerialbürokratie verbreitet der Auffassung war, Aktionäre nicht konzessionierter Gesellschaften hafteten generell unmittelbar und unbeschränkt, ist nicht auszuschließen. Selbst als der Königliche Staatsrat am 14.6.1843 über den Entwurf eines Aktiengesetzes berät, wird „die Befreiung der Aktionäre von jeder persönlichen Verhaftung gegen die Gläubiger der Gesellschaft" als ein Hauptpunkt der Gesetzgebung angesehen, weshalb viele Mitglieder des Staatsrats nur gemeinnützige Gesellschaften in den Genuss einer Konzession kommen lassen wollen . Ihnen erklärt dann jedoch der Staatsminister für Gesetzgebung Friedrich Carl von Savigny, es gäbe zwei durchaus erlaubte Wege, auf denen die Aktionäre auch ohne staatliche Genehmigung und ohne besonderes Privileg eine Beschränkung der Haftung auf das eingeschossene Kapital erreichen könnten: „Erstens nämlich dadurch, daß von den vielen Teilnehmern zwei Personen als offene Gesellschafter hervortreten, wodurch den 21
Hagelberg/Müller, J b W g 1974/IV, 1 1 3 , 1 1 9 f f . So Wallbaum, Rübenzuckerindustrie, S. 95 f., mit Blick auf die Actien-Zuckerfabrik Neuwerk. 23 Vgl. Hagelberg/Müller, J b W g 1974/IV, 1 1 3 , 1 1 9 . 24 Siehe u.a. Martin, V S W G 56 (1969), 499; Obenaus, Aktiengesellschaften, S. 49; Reich, Entwicklung, S. 2 4 4 f., Schumacher, Organisation S. 30 f. 25 So Schumacher, Organisation, S. 31. Z u r Gewährung von Teilprivilegien vgl. unter § 3 A I . 22
26
Vgl. das Protokoll der Sitzung bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 168 ff.
196
§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
Kreditoren, wenn diese Personen unbemittelt seien, keine größere Garantie als durch das Gesellschaftskapital gewährt werde. Zweitens dadurch, daß sie einen Geschäftsführer mit einer beschränkten Vollmacht bestellten, indem derselbe dann, wenn er auf seinen Namen kontrahiere, nur sich selbst verpflichte, durch Kontrakte, die er auf den Namen der Gesellschaft schließe, dieselbe und die Teilnehmer aber nicht weiter verpflichten könne als die Vollmacht gehe." 27 Beide Modelle sind keine Konstruktionen v. Savignys28; belegen lässt sich nicht nur, dass die Praxis von ihnen tatsächlich Gebrauch macht, sie werden sogar noch weiter ausgebaut: Schon zwei Jahre vor der Diskussion im preußischen Staatsrat hatte Treitschke die Thematik diskutiert 29 ; Treitschkes Untersuchung stützt sich wiederum auf eine Entscheidung des OAG Dresden . Noch früher gelangte allerdings der vom Leipziger Ordinarius Carl Friedrich Günther im Rahmen der sächsischen Aktiengesetzgebung 1836/37 verfasste Bericht der Ersten Deputation der Ersten Stände-Kammer zu den gleichen Ergebnissen 31 . Gleich in zweifacher Hinsicht wird dabei über die von v. Savigny skizzierte Konstruktion hinausgegangen: Zum einen vertritt man die Auffassung, zur Vermeidung der Aktionärshaftung bedürfe es keiner ausdrücklichen Beschränkung der Geschäftsführer-Vollmacht; ja nicht einmal eine die persönliche Haftung ausschließende Satzungsbestimmung sei nötig 32 . Das Wesen der Actienvereine sei nämlich allgemein bekannt, weshalb ein jeder wisse, dass die Geschäftsführer eines solchen Vereins Vollmacht nur für die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens hätten und nicht zur Verpflichtung der Aktionäre 33 . Ohnehin könne derjenige, der sich auf Geschäfte mit einer Aktiengesellschaft einlasse, wegen der leichten Ubertragbarkeit der Aktien keine sichere Kenntnis von der Person einzelner Aktionäre haben. Zum anderen wird auch die Haftung der Geschäftsführer eingeschränkt. Diese müssten zwar für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen, jedoch nur mit dem Gesellschafts- und nicht mit ihrem Privatvermögen .
Vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 170 f. Vgl. auch unter § 4 B II. 1. Ohnehin war auch schon im Gutachten der vereinigten Abteilungen auf diese Praxis aufmerksam gemacht worden; vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 140 f. 29 Treitschke, Zs.f. dt. R. 5 (1841), 324,346 ff. 30 Treitschke, Zs. f. dt. R. 5 (1841), 324, 353, verweist zwar nur ganz allgemein auf ein Erkenntnis des OAG Dresden; es scheint sich jedoch um die im Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle 4 (1844) S. 201 ff., wiedergegebene Entscheidung vom 22.12.1838 zu handeln. Vgl. auch Seuff.A. 1 Nr. 54. Diese frühen Urteile wirken übrigens in der Rechtsprechung des OAG Dresden noch lange nach; vgl. K.Schmidt, Stellung der OHG, S. 243. 31 Vgl. hierzu unter § 4 AI. 32 Treitschke, Zs.f. dt. R. 5 (1841), 324, 352 f. Ganz so weit wollte das Obertribunal Stuttgart, Seuff.A. 12 Nr. 58, nicht gehen: Wenigstens eine auf die beschränkte Haftung hinweisende Satzungsklausel sei nötig. Im Deputationsbericht heißt es dagegen, die Haftungsbeschränkung könne nicht als Folge der staatlichen Bestätigung angesehen werden; sie fließe „aus der Natur eines Aktienvereins überhaupt, möge derselbe bestätigt oder unbestätigt sein." Vgl. bei Baums-Stammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 133. 33 So auch Pohls, Actiengesellschaften, S. 257; vgl. zudem Thöl, Handelsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, S. 167, insb. Fußn. 3: Die Aktionäre „werden, da unter einer namenlosen Firma contrahirt wird, bei dem Contrahiren nicht genannt, und gerade deshalb nicht genannt, weil sie persönlich den Gläubigern nicht haften wollen." 27 28
A. Rechtstatsächliche
Zustände
197
W i e weitgehend die Praxis von diesem Modell Gebrauch macht, belegt das Beispiel der Sächsischen Maschinenkompagnie, die gegen 1840 in Cainsdorf bei Zwickau das größte und modernste Eisenhüttenwerk Sachsens, die mit eigenen Bergwerken ausgestattete Königin-Marien-Hütte betreibt. Die gesamte kaufmännische Leitung und Verwaltung der Kompagnie sowie deren Vertretung im Rechtsverkehr obliegt der Firma Schömberg, Weber & Co. - laut Adressbuch eine Kolonialwarenhandlung . Deren Gesellschafter gehen hiermit anscheinend keine größeren Haftungsrisiken ein. Da die Eisenkompanie erst 1843 konzessioniert wird, gelingt es mit der Vertretung durch das Handelshaus offenbar über Jahre hinweg, die fehlende juristische Persönlichkeit zu kompensieren. Aus heutiger Sicht mag die Leichtigkeit erstaunen, mit der offenbar bei nicht konzessionierten Aktiengesellschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Haftungsverfassung errichtet werden kann, die zumindest in ihren praktischen Wirkungen durchaus der konzessionierter Gesellschaften entspricht. Diese Praxis ist jedoch nicht ohne historische Bezüge 36 : Schon das Kaiserliche Privileg von 1464 nahm die nicht in der Handelsgesellschaft mitarbeitenden Gesellschafter von einer persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus (vgl. unter § 2 A I). Nach den Bestimmungen des Entwurfs eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten wäre die Errichtung einer „Gesellschaft mit beschränkter Haftung" ohne weiteres möglich gewesen; denn schon gemäß der gesetzlichen Regel konnten die Gläubiger vor Auflösung der Gesellschaft nur gegen die einzelnen Gesellschafter vorgehen, wenn das Gesellschaftsvermögen nicht mehr zu ihrer Befriedigung ausreichte; selbst dann aber fanden „gegen einen bloß geldbeytragenden Gesellschafter ... wegen der Societäts-Schulden, keine persönliche Klage noch Exekution statt." 37 Ganz so weit geht das ALR zwar nicht, immerhin sieht es aber die Möglichkeit einer stillen Beteiligung an der Gesellschaft vor (§§ 651 f. II 8). Mit Blick auf diese Normen sowie auf § 624 II 8, der bei einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Gestaltung der Gesellschafterrechte und -pflichten deren Bekanntmachung anordnet, heißt es in einem Gutachten, das die vereinigten Abteilungen des preußischen Staatsrats im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Aktiengesetz von 1843 anfertigen, es sei nicht unzweifelhaft, „ob nicht schon nach der bestehenden Gesetzgebung die Bildung einer Sozietät von ausschließlich stillen Gesellschaftern, also mit Beseitigung jeder persönlichen Verhaftung, zulässig sey." Aus § 624 II 8 lasse sich folgern, „daß eine Gesellschaft, deren Theilnehmer nur mit dem Einschußkapital für
34 OAG Dresden, Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle 4 (1844) S. 201, 205; ebenso Thöl, Handelsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, S. 168. Abgelehnt wird die besondere Direktoren-Haftung dagegen vom Appellationsgericht Altenburg, Blätter für die Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, 10 (1863), 140 ff. Diese Entscheidung, die erst nach der Verabschiedung des ADHGB, also ca. zwei Jahrzehnte später ergeht, gibt einen noch heute beeindruckenden Überblick über Judikatur und rechtswissenschaftliches Schrifttum. 35 Vgl. Beyer, Anfänge, S. 111 Fußn. 72. 36 Diese Bezüge übersieht Martin, Frühindustrielles Gewerbe, S. 199, der die Auffassung vertritt, seit Jahrhunderten habe ausnahmslos der Grundsatz der unbeschränkten Haftung gegolten. 37 Vgl. §§ 156f., 160 Entwurfll. Teil, 3. Abteilung.
198
$ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
die Gesellschaftsschulden haften wollen, nur nöthig haben, das Statut auf der Börse bekannt zu machen, damit auch diese Bestimmung rechtliche Geltung erlange." 3 8 1 8 5 3 findet schließlich das oben skizzierte Haftungsmodell sogar noch Eingang in den Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen. Der Entwurf sieht die Vereine zwar nicht als juristische Personen an, will diese aber mit einer „gewissen Analogie der universitas" regeln. Klagen gegen den Verein sollen gemäß § 1 2 9 8 gegen die Vertreter des Vereins erhoben werden, welche (nur) verpflichtet sind, die Vereinsverbindlichkeiten aus den Mitteln des Vereins zu erfüllen 39 .
IV. Statutarische Praxis Die Beschäftigung mit der Haftungsverfassung staatlich nicht bestätigter Aktiengesellschaften verdeutlicht exemplarisch, wie groß die von den Gesellschaftern eigenverantwortlich wahrzunehmenden Freiräume bei den nicht konzessionierten Gesellschaften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch sind. Dort, wo es keine allgemeinen gesetzlichen Vorgaben gibt und auch die — den Bereich der konzessionierten Gesellschaften prägenden - intensiven Einzeleingriffe der Konzessionsbehörden fehlen, sind die Möglichkeiten der Gesellschafter zur souveränen Ausgestaltung der Verbandsordnung fast genauso groß wie - Jahrhunderte zuvor - bei den süddeutschen Handelsgesellschaften (vgl. unter § 1 A I). Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche binnenorganisatorischen Regelungen die Gesellschafter dieser Verbände vereinbarten; ob sich gerade bei Verbänden, die einer konzessionierten A G in der Grundstruktur nicht unähnlich waren, vergleichbare oder stark abweichende Vorschriften ausmachen lassen? Letzteres würde nicht nur die Ausübung der Gestaltungsfreiheit durch eine rechtlich ungebundene Gesellschaftspraxis erhellen, sondern zudem Rückschlüsse auf die Ordnungsvorstellungen der Konzessionsbehörden erlauben. Allerdings konnten nur von einigen wenigen nicht konzessionierten Sozietäten vollständige Satzungen aufgefunden werden; hierbei handelt es sich zumeist um Gesellschaften, die Mitte der 50er Jahre unter dem Preußischen Landrecht im Bankwesen gegründet worden sind: Die Berliner Handelsgesellschaft und die Waren-CreditGesellschaft aus der gleichen Stadt, der Schlesische Bankverein, die Preußische Handelsgesellschaft zu Königsberg, die Magdeburger Handels-Compagnie und schließlich die Disconto-Gesellschaft, die zu einer der größten deutschen Banken anwachsen sollte 4 0 . In ihren Statuten bezeichnen sich die Gesellschaften selbst zumeist schlicht als „Handelsgesellschaft"; nur die Waren-Credit-Geseüschaft will eine „Handlungs-Com3 8 Wisse der Geschäftspartner, dass ihm nur das Gesellschaftsvermögen hafte, könne er sich nicht beklagen. Immerhin kenne er zumindest die Höhe des Fonds, mit welchem das Geschäft gefuhrt werde; diesen Vorteil böten weder Handelsgesellschaften mit oder ohne stillen Gesellschafter, noch ein Einzelkaufmann. Vgl. bei Baums, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 140. 3 9 Schon der Revidierte Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen von 1860 verzichtete jedoch auf diese Regelungen. Siehe hierzu v.Sicherer, Genossenschaftsgesetzgebung, S. 61 f.
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Zustände
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mandite-Gesellschaft" sein. Eine nähere Untersuchung ergibt einerseits eine große „Bandbreite" statutarischer Regelungen; andererseits finden sich aber auch bei den nicht konzessionierten Gesellschaften Satzungen, die offensichtlich entweder voneinander oder von einer gemeinsamen Vorlage kopiert worden sind. So stimmen insbesondere die Statuten von Berliner Handelsgesellschaft, Schlesischer Bankverein und Preußischer Handelsgesellschaft zu Königsberg weitgehend wortwörtlich überein. Alle drei Gesellschaften wurden innerhalb nur weniger Tage im Juli 1856 gegründet, mithin genau zur selben Zeit, als man in Frankreich das Gesetz über die Kommanditaktiengesellschaften verabschiedet . Auf den ersten Blick scheint es sich bei den nichtkonzessionierten Gesellschaften denn auch um Kommanditgesellschaften auf Aktien zu handeln; eine genaue Betrachtung macht jedoch den Mischform-Charakter deutlich: Da in Preußen für „reine" Aktiengesellschaften unterdessen das Gesetz vom 9.11.1843 und damit das Konzessionssystem gilt, ist es bei nicht konzessionierten Gesellschaften nicht mehr möglich, vollständig auf eine persönliche Haftung zu verzichten. Fast immer gibt es daher zwei bis fünf Gesellschafter, die als „vollständige Theilnehmer der Societät und somit Eigenthümer und Inhaber der Firma" persönlich und mit ihrem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften 4 2 . Lediglich bei der Waren-Credit-Gesellschaft übernimmt ein einzelner Herr die „Leitung des Geschäfts mit den Pflichten eines Geschäfts-Inhabers"; auch er soll aber unter einer auf das Gesellschaftsverhältnis hinweisenden Firma handeln („Direktion der WarenCredit-Gesellschaft"). Die übrigen Mitglieder der Gesellschaft, welche nicht persönlich haften, werden bei der Disconto-Gesellschaft als „Commanditäre" bezeichnet, sonst als stille Gesellschafter, oft mit dem Zusatz „Associes en Commandite"; mitunter findet sich auch ein Verweis auf die § § 651 f. II 8 ALR 4 3 . Nicht von ungefähr wird auf die Bezeichnung „Aktionär" verzichtet, denn die Gesellschaften geben nur „Anteilsscheine" aus und keine „Aktien". Teilweise unterscheiden sich die Anteilsscheine nur dem Namen nach von Aktien. Bei der Berliner Handelsgesellschaft beispielsweise lauten die auf den Inhaber ausgefertigten Anteilsscheine einheitlich auf 200 Taler (§§ 9 f.). Beim Schlesischen Bank-Verein (§ 9) gibt es dagegen Geschäftsanteile im Wert von 100, 500 und 1000 Taler und bei der Disconto-Gesellschaft (Art. 32) können die „CommanditAnteile" sogar auf jeden Betrag zwischen 100 — 1000 Taler lauten; bei beiden Gesellschaften kann allerdings ein jeder Gesellschafter beliebig viele Anteile halten. Auch die
40 Abgedruckt sind die Statuten dieser Gesellschaften bei: Hocker, Sammlung der Statuten aller ActienBanken Deutschlands, 1858. Bereits im Dezember 1841 wurde — unter der Geltung des Code de Commerce — in Köln die Rheinische Zeitungsgesellschaft als „Commandite/Aktien/Gesellschaft" gegründet. Das Statut dieser Gesellschaft ist nachgedruckt bei Sethe, Kapitalgesellschaft, S. 587 ff. 41 Vgl. hierzu Horn, Frankreich, S. 3196; Renaud, Commanditgesellschaften, S. 68 f.; Sethe, Kapitalgesellschaft, S. 27 ff. 42 So § 3 Schlesischer Bank-Verein (SBV); vgl. auch § 5 Preußische Handelsgesellschaft zu Königsberg (PHGK); Art. 1 Abs. 3 Disconto-Gesellschaft (DG); § 2 Magdeburger Handels-Compagnie (MHC); § 5 Berliner Handelsgesellschaft (BHG). 43 So in § 6 PHGK. Zur Regelung der §§ 651 f. II 8 ALR vgl. unter § 2 B I.
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$ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschafien
„Commandit-Anteile" der Disconto-Gesellschaft sind frei übertragbar 44 . Die Erwerber der Anteile müssen sich nur dann in die Bücher der Gesellschaft eintragen lassen, wenn sie in der Generalversammlung mitstimmen möchten (Art. 36). Bei der Disconto-Gesellschaft gibt es außer den unbeschränkt haftenden und den stillen noch eine dritte Kategorie von Gesellschaftern, die sog. „Mitbeteiligten". Hierbei handelt es sich um Personen, welche die bankgeschäftlichen Dienstleitungen der Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen. Sie müssen gesondert in die Gesellschaft aufgenommen werden, wobei sie einen Geschäftsanteil in Höhe von 200 bis 60.000 Taler zu erwerben haben 4 5 . Die innere Organisation der Gesellschaften stimmt in den Grundzügen überein: Uberall gibt es neben der Direktion einen Verwaltungsrat und die Generalversammlung. Bei der Disconto-Gesellschaft existieren darüber hinaus noch Kommissionen (Art. 73 ff.), die über die Aufnahme neuer Mitbeteiligter entscheiden, sowie ein „Spezial-Comite", das aus den in Berlin wohnenden Mitgliedern des Verwaltungsrats gebildet wird (Art. 69). Der Direktion gehören jeweils die unbeschränkt haftenden Geschäftsinhaber an, bei der Magdeburger Handels-Compagnie zudem noch zwei Verwaltungsräte (§ 14). Die Mitglieder des Verwaltungsrates werden generell von der Generalversammlung aus den Reihen der „stillen Gesellschafter" gewählt 4 6 ; fast alle Statuten reservieren die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat allerdings zunächst (auf fünf oder sechs Jahre) für namentlich aufgezählte Gründer. Die Geschäftsführung obliegt grundsätzlich der Direktion, häufig wird die Durchführung einiger Maßnahmen an die Zustimmung des Verwaltungsrats gebunden 4 7 . Im Wortlaut fast übereinstimmend kennzeichnen die Satzungen die Stellung des Verwaltungsrats dahingehend, dieser vertrete die Gesellschaft den Geschäftsinhabern gegenüber, er sei Bevollmächtigter aller stillen Teilhaber „zum Zwecke der Wahrnehmung ihrer gemeinsamen Rechte gegen die Geschäftsinhaber." In dieser Funktion hat der Verwaltungsrat die Direktion zu beauf-
44 Röh, Gesellschaften, S. 63, vertritt die Auffassung, das ALR habe eine vollständige Übertragung des Gesellschaftsanteils und der damit verbundenen Gesellschafterstellung nicht zugelassen. A.A. zu Recht Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 58 f. 45 Allerdings brauchen nur 10 % dieses Anteils bar eingezahlt werden. Vgl. Art. 4 ff. DG. 46 Da die Mitglieder des Verwaltungsrates jedoch immer eine beträchtliche Anzahl von Anteilsscheinen bei der Gesellschaft hinterlegen müssen (bei der Preußischen Handelsgesellschaft zu Königsberg 50 Anteile ä 200 Taler), kommt nur ein Teil der Gesellschafter für ein solches Amt in Frage. Bei der PHGK ist der Verwaltungsrat berechtigt, ausscheidende Geschäftsinhaber ohne Zustimmung der Generalversammlung zu kooptieren (§ 27). Zudem kann ein Verwaltungsratsmitglied, das Associe eines Handlungshauses ist, sich bei Verhinderung von einem seiner Mitgesellschafter vertreten lassen (§ 30, so auch § 30 BHG). 47 Die Statuten von PHGK, SBVund BHG (jeweils § 46) behalten dem Verwaltungsrat u. a. die Aufnahme von Anleihen gegen Schuldverschreibungen, den Erwerb von Immobilien und die Feststellung der Jahresdividende zur Zustimmung vor. 48 So § 71 Abs. 1 DG; ähnlich auch § 33 BHG, § 33 PHGK, § 33 SBV. Im Ansatz weitergehend § 25 MHC: „Der Wirkungskreis des Verwaltungsraths besteht in Vertretung aller innern Angelegenheiten der Compagnie und in Entschließung über alles dasjenige, was nicht der Direktion oder der Generalversammlung ausdrücklich durch diesen Vertrag vorbehalten ist." Es folgt eine längere Aufzählung derjenigen Befugnisse, die dem Rat insbesondere zustehen sollen.
A. Rechtstatsächliche Zustände
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sichtigen 4 9 ; zudem besitzt er das (unverzichtbare) Recht, einem Geschäftsinhaber jederzeit zu kündigen 5 0 . Die Organisation der Generalversammlung unterscheidet sich nicht von der konzessionierter Gesellschaften (vgl. unter § 3 B). Ihr werden allerdings von den Statuten nur sehr wenige Kompetenzen zugeordnet: Wahl des Verwaltungsrates, Satzungsänderung, Auflösung vor der vereinbarten Zeit, Verlängerung der Gesellschaft 5 1 . Über eine Erhöhung des Grundkapitals hat die Generalversammlung dagegen erst zu beschließen, wenn die Erhöhung eine gewisse Grenze (regelmäßig das Doppelte des ursprünglichen Kapitals) überschreitet; bis zu dieser Grenze dürfen Direktion und Verwaltungsrat selbständig das Grundkapital erhöhen 5 2 . Mitunter bestimmt die Satzung zudem, „in Beziehung auf die Wahrnahme der Rechte der Stillen Theilhaber und auf die Verwaltung der Gesellschaft" habe die Generalversammlung nur die ihr ausdrücklich zugeordneten Befugnisse; auch dürfe sie „in keiner Weise in die spezielle Verwaltung, oder in die Befugnisse der Direktion, des Verwaltungsrathes und der Aufnahme-Commissionen eingreifen." 5 3 Abgerundet wird dieses Organisationsmodell durch Satzungsvorschriften, in denen es heißt, an der Verwaltung aller Angelegenheiten und des Vermögens der Gesellschaft hätten die stillen Gesellschafter als solche lediglich denjenigen Anteil, welcher ihnen ihr Stimmrecht in den Generalversammlungen beilege 5 4 . In Folge der dem Verwaltungsrat erteilten unwiderruflichen Vollmacht könnten sie „ihre gesellschaftlichen Rechte gegen die Geschäftsinhaber nicht selbst verfolgen; der Verwaltungsrath ist hierzu allein berechtigt, wenn er die Ueberzeugung hat, daß solche Rechte von den Geschäftsinhabern verletzt oder nicht beachtet werden." 5 5 Die Statuten vieler „Fabriken (bzw. Manufakturen) auf Aktien" haben vermutlich ausgesehen wie die Satzung einer „Aktiengesellschaft zum umfassenden Betriebe der Königlich Bayrisch privilegierten Walzmühle in München". Diese Satzung ist überlie-
4 9 Das Verhältnis zwischen Verwaltungsrat und Direktion vorsichtig austarierend bestimmt Art. 69 Abs. 5 DG: „Das Spezial-Comite hat im Allgemeinen darauf zu halten, daß das Spezialgeschäft statutmäßig und ordentlich geführt wird, und kann in dieser Beziehung der Direktion jede dienlich scheinende Erinnerung machen, ohne daß eine entscheidende Einwirkung auf die Geschäfte für andere als die im Statut bestimmt angegebenen Fälle daraus gefolgert werden soll." 50 Vgl. Art. 55 Abs. 2 DG, § 41 BHG, § 41 PHGK, § 41 SBV. 51 Nach mehreren Statuten soll die Generalversammlung ferner entscheiden, wenn sich Direktion und Verwaltungsrat nicht über die Einzelheiten des Liquidationsverfahrens verständigen können; vgl. Art. 3 DG, § 60 BHG, § 60 PHGK, § 60 SBV. Bei der M H C hat die Versammlung zudem über die weiteren Einzahlungsraten zu beschließen (§ 6). 52 Bei der M H C (§ 3) und der PHGK (§ 9) entsteht so ein „genehmigtes Kapital" in Höhe von je 5 Mio. Talern, bei der SBV (§ 8) von 6 Mio. Talern und bei der BHG (§ 9) sogar in Höhe von 15 Mio. Talern. 53 So Art. 88 Abs. 1 DG; vgl. auch § 8 BHG. 54 Vgl. § 17 BHG, § 17 SBV, § 17 PHGK. 55 Art. 71 Abs. 5 DG. Ähnlich jeweils § 34 a.E. BHG, PHGK, SBV; nach diesen Regelungen kann der Verwaltungsrat jedoch durch einen Beschluss der Generalversammlung zu einer Klage gegen die Geschäftsinhaber, „zu der er sich nicht selbst bewogen findet", verpflichtet werden. Bei der Disconto-Gesellschaft verbleibt der Generalversammlung insoweit immerhin die Möglichkeit, den gesamten Verwaltungsrat neu zu wählen (Art. 62 Abs. 1).
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§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
fert 56 , weil sich der Großhändler und Mühlenbesitzer Christian August Erich um eine königliche Konzession bemühte, vielleicht schon wegen der — die Zeitgenossen gewiss beeindruckenden — Firma. Üblicherweise entstanden vergleichbare Gesellschaften damals offenbar ohne besondere Konzession (vgl. unter A II). Erich offerierte dem Publikum maximal 340 Aktien zu 500 Gulden, welche „nach und nach" ausgegeben werden würden. Vorerst solle mit 250 Aktien, von denen er selbst 125 übernehme, „der Anfang gemacht werden" (§§ 3 f.). Nach der Unterzeichnung der ersten Emission konstituiere sich die Gesellschaft. Dabei werde aus der Mitte der Unterzeichner mit absoluter Stimmenmehrheit ein Ausschuss von drei in München wohnenden Mitgliedern gewählt, „welcher alle Rechte der Herren Aktionäre, sowohl nach Außen als gegen mich" zu vertreten habe (§ 13) 57 . Der Ausschuss solle im Namen der Gesellschaft Verträge abschließen können (§ 14), auch stehe ihm zu, „in besonders wichtigen Fällen, wenn er es für nöthig erachtet, eine Generalversammlung zu veranstalten." (§ 15). Erich behält sich die technische Leitung des Baus vor (§ 17), für die Zeit danach ferner „die ausschüssige Oberleitung über den ausgedehntesten Betrieb des Mühlengeschäftes und der Oekonomie, nach bestem Wissen und Gewissen, in ganzer Ausdehnung ohne irgend eine Einmischung der Actionäre" (§ 18); insbesondere sei niemandem der Zutritt zur Mühle gestattet (§ 19). Ferner steht Erich die Auswahl des Personals und die Festlegung dessen Gehälter allein zu; die Einsetzung eines „merkantilischen Geschäftsführers" bedarf jedoch der Bestätigung durch den Ausschuss. In der Generalversammlung gewähren je fünf Aktien eine Stimme, wobei Kleinaktionäre ihre Aktien „vereinigen" können. Eine Vertretung durch andere Aktionäre ist möglich, doch darf niemand mehr als fünf Stimmen ausüben. Die Generalversammlung soll über die Erneuerung bzw. Ergänzung des Ausschusses beschließen und „in wichtigen Fällen" entscheiden, gleichfalls über Abänderungen der Statuten: „Die Anträge dazu können jedoch nur von mir [C.A. Erich], und in soweit sie nicht mein Vertragsverhältniß verkümmern, auch von dem Ausschusse gestellt werden". Satzungsändernde Beschlüsse benötigten allerdings eine %-Mehrheit der Anwesenden (§ 22). Die statutarischen Regelungen werden abgeschlossen von einer Schiedsgerichtsklausel (§ 23). Das Statut der Walzmühlen-Gesellschaft enthält mithin teilweise Regelungen, insbesondere für die Organisation der Generalversammlung, welche sich auch in den Satzungen konzessionierter Gesellschaften nachweisen lassen (vgl. unter § 3 B); nicht von ungefähr: Christian August Erich war an weiteren Aktiengesellschaften beteiligt; so gehörte er z. B. zu den Gründern der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, wo er sogar in den Ausschuss zum Entwurf der Statuten gewählt wurde 58 . Da nicht nur im Einzelfall von personellen Verflechtungen zwischen der Zuckerindustrie und dem frühen Eisenbahnwesen berichtet wird 59 , sind in die Satzungen der Zuckergesellschaften wahrscheinlich auch Bestimmungen aus den Statuten der konzessionierten EisenbahnRegierungsblatt für das Königreich Bayern, 1837, Beilage zu Nr. 52. Gewählt werden die Ausschussmitglieder auf drei Jahre (§ 16). 58 Vgl. RB1 Bayern, 1835, 285; Jungmann-Stadler, ZBLG 60 (1997), 889, 916. Zum Statut der Bank siehe unter § 3 B I. 59 Hierzu Sturm, Eisenbahnen, S. 71; Then, Eisenbahnunternehmer, S. 228 ff., 237. 56 57
A. Rechtstatsächliche
Zustände
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Aktiengesellschaften eingeflossen. Vielleicht haben aber auch umgekehrt Regelungen der — zur staatlichen Bestätigung eingereichten - Satzungen schon zuvor bei nicht konzessionierten Gesellschaften Verwendung gefunden . Blickt man nicht auf die einzelne statutarische Vorschrift, sondern vergleicht die Aufgabenbereiche der verschiedenen Gesellschaftsorgane und deren Verhältnis zueinander, so lassen sich bei aller gebotenen Vorsicht - der Untersuchung standen nur wenige komplette Statuten nicht konzessionierter Gesellschaften zur Verfügung - zwei gewichtige Unterschiede ausmachen: Zum einen werden der Gesellschaftergesamtheit bzw. ihrem Organ bei den nicht konzessionierten Gesellschaften weniger Kompetenzen zugeordnet; zum anderen gestaltet man bei jenen Verbänden die Stellung der Direktion und des Verwaltungsrates relativ autonom aus, ist die Rückbindung dieser Organe an den Willen der Gesellschaftergesamtheit deutlich schwächer als bei den konzessionierten Gesellschaften. Die Erklärung hierfür scheint quasi „auf der Hand zu liegen": Bei den nicht konzessionierten Gesellschaften, deren Statuten hier untersucht wurden, werden die Geschäfte von Gesellschaftern geführt, die unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen müssen, während die übrigen Gesellschafter lediglich mit ihrer Einlage haften. Allein schon die unterschiedliche Betroffenheit der Gesellschafter vom wirtschaftlichen (Miss-)Erfolg der Gesellschaft scheint es zu rechtfertigen, die Einflussmöglichkeiten höchst ungleich zu verteilen. Ganz so einfach liegen die Dinge aber denn wohl doch nicht: Auch die konzessionierten Gesellschaften werden in dieser Zeit fast nie von Fremdgeschäftsführern geleitet. Die Mitglieder ihrer Vorstände und Verwaltungsräte müssen im Besitz eines größeren Aktienpakets sein, das regelmäßig sicher zu deponieren ist und deshalb nicht rasch und unbemerkt veräußert werden kann. Auch diese Personen übernehmen mithin ein weitaus größeres finanzielles Risiko als die Mehrheit der Gesellschafter ihres Verbandes. Zu verweisen ist deshalb noch einmal auf die oben (unter § 3 B IV) aufgestellte These, bei den konzessionierten Gesellschaften hätten die staatlichen Behörden die vollständige Entmündigung von Kleinaktionären und zu weitgehende Ermächtigungen der Verwaltungsorgane zu Lasten der Generalversammlung untersagt. Ohne solche Eingriffe der Konzessionsbehörden hätten vermutlich auch die Gründer dieser Gesellschaften bei der Abfassung der Satzung versucht, sich einen möglichst dauerhaften Einfluss auf die Leitung der AG zu sichern, u. a. durch eine äußerst großzügige Bemessung der Zuständigkeitsbereiche der Verwaltungsorgane.
60 Schumacher, Organisation, S. 9, vertritt dagegen die Auffassung, Impulse für die Weiterentwicklung der inneren Organisation seien nur von den konzessionierten Gesellschaften ausgegangen.
204
§ 5 Recht der nicht konzessionierten
B. Rechtswissenschaftliches I.
Gesellschaften
Schrifttum
Überblick
Die - soweit ersichtlich - erste umfassende monografische Bearbeitung des Rechts nicht konzessionierter Gesellschaften unternimmt in Deutschland Georg Karl Treitschke-, unter dem Titel „Die Lehre von der unbeschränkt obligatorischen Gewerbegeseilschaft und von den Commanditen" erscheint sein Werk 1844 in zweiter Auflage . Zur Jahrhundertmitte finden dann die Handelsgesellschaften auch in der Literatur zum gemeinen deutschen Recht 6 2 und zu den partikularen Rechtsordnungen 63 eine erkennbar gehaltvollere Behandlung. Vergleichsweise lange bleibt aber eine neue Gesamtbearbeitung des Handelsrechts aus: Erst 1853 erscheint die erste Lieferung von Carl Heinrich Ludwig Brinckmanns „Lehrbuch des Handels-Rechts" 64 . Während der den Aktiengesellschaften gewidmete Abschnitt dieses Werkes nicht über das damals Übliche hinaus gelangt (vgl. unter § 4 C III), haben Brinckmanns Ausführungen zur offenen und zur stillen Gesellschaft eine weitaus höhere Qualität . Offenbar konnte der Autor insoweit auf praktische Erfahrungen zurückgreifen, die er als Anwalt in Hamburg gesammelt hatte. Unübersehbar gewandelt hat sich die Einstellung zum römischen Recht 6 6 . Obwohl Treitschke die Gesellschaften dem Untertitel seines Werkes zufolge „nach römischen Recht, mit Rücksicht auf neuere Gesetzgebungen" behandelt, weist er schon in den Vorbemerkungen darauf hin, dieses Recht sei für die Lehre von der Sozietät „fast eben so oft eine Quelle des Streites, als der Entscheidung". Es biete nämlich „neben wenigen allgemeinen Grundsätzen, eine Menge von Entscheidungen einzelner Rechtsfälle, die zwar sämmtlich Bewunderung des Scharfsinnes, der gesunden Philosophie und des richtigen praktischen Taktes der alten Juristen erregen, deren Anwendung auf heut zu Tage vorkommende Rechtszustände aber doch meist nur mit grosser Vorsicht geschehen kann." Auch im gemeinrechtlichen Schrifttum wird nun zumeist betont, die römischen Grundsätze reichten nicht aus oder sie ließen sich - zumindest teilweise -
61 Die 1. Auflage war 1825 unter dem Titel „Die Lehre von der Erwerbsgesellschaft nach römischen, österreichischen, sächsischen und französischen Rechten" erschienen. Zur Person Treitschkes vgl. unter § 3 CI. 62 Vgl. vor allem Mittermaier, Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 7. Aufl., 2. Bd., 1847, S. 789ff.; Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts, 1. Aufl., 3. Bd., 1855, S. 286ff.; Walter, System des gemeinen deutschen Privatrechts, 1855, S. 328 ff. 63 Z.B. bei Bender, Handbuch des Frankfurter Privatrechts, 1848, S. 749ff.; Reyscher, Das gemeine und württembergische Privatrecht, 3. Bd., 1848, S. 394 ff. 64 Zur Person Brinckmanns vgl. unter § 4 C III. 65 Die Unterschiede in der Qualität der Bearbeitung schlagen sich auch in deren Umfang nieder: Nach einigen allgemeinen Anmerkungen zu allen Handelsgesellschaften widmet Brinckmann fast 80 Seiten ausschließlich der offenen Gesellschaft und noch einmal 28 der stillen Gesellschaft. Das gesamte Aktienrecht wird auf nur 28 Seiten abgehandelt. 66 Zur älteren Literatur vgl. unter § 2 C III. 67 Treitschke, GeWerbegesellschaft, S. 2 f.
B. Rechtsivissenschaftliches
Schrifttum
205
nicht mehr auf die modernen Verhältnisse anwenden 68 . Brinckmann schließlich distanziert sich sowohl von Versuchen, die Handelsgesellschaften als mehrfach modifizierte Sozietät zu betrachten, als auch vom Bestreben der Germanisten, sie als eine besondere Art der deutschen Genossenschaften zu erklären. „Für zweckmäßiger ist es zu halten, den Begriff unserer Handelsgewerbegesellschaften unabhängig vom römischen Rechte und unabhängig von Instituten, welchen sie fremd sind, für sich aus ihrer Natur zu konstruiren". Einzelne allgemeine Grundsätze des römischen Rechts könnten allerdings zur Anwendung kommen, so sie nicht der Natur der Handelsgesellschaften und dem Bewusstsein des Handelsstandes widerstritten. 69 In der Folge beruft sich Brinckmann denn auch sehr häufig und sehr vehement auf die Geltung von Handelsbräuchen.
II. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit Angesichts des überaus unsicheren Rechtsrahmens kommt den Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag große Bedeutung zu. Mit Respekt hebt Treitschke hervor, zur Vermeidung von Streitigkeiten und Prozessen sollten Gesellschaftsverträge möglichst bestimmt abgefasst werden, allerdings sei die Errichtung eines solchen Vertrages „bei der grossen Mannichfaltigkeit der zu beachtenden möglichen Fälle, einer der schwierigsten und bedenklichsten Gegenstände der Cautelarjurisprudenz." 70 Diese Bemerkung wie auch der Inhalt des arg knappen Formulars für einen „Societäts-Vertrag", das Hiersementzel seinem Handelsrecht beifügt 71 , machen deutlich, wie schwer es dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum fällt, die durch gesetzliche Regelungen kaum eingeschränkte Gestaltungsfreiheit positiv auszufüllen. Die Frage nach möglichen Grenzen dieser Freiheit ist da so fernliegend, dass sie nirgends grundsätzlich erörtert wird. Mithin macht man sich auf dieser allgemeinen Ebene auch keine Gedanken über die Legitimation gesetzgeberischer Eingriffe in die Gestaltungspraxis; vermutlich auch deshalb nicht , weil man in einer gesetzlichen (Vor-) Regelung der Materie keine Zurückdrängung der bis dahin nahezu unbeschränkten Gesellschafter-Gestaltungsmacht zu erblicken vermag 72 .
68
Vgl. nur Reyscher, Privatrecht III, S. 394; Walter, Privatrecht, S. 328 f. Brinckmann, Handels-Recht, S. 126 ff. 70 Trchichke, Gcwerbegcscllschiiic, S. 12. 71 S. 267 f. Der Vertrag für eine Zwei-Personen-Gesellschaft enthält nur sieben Artikel, die zumeist aus einem einzigen Satz bestehen: § 1 regelt Firma u n d Gesellschaftszweck, § 2 betrifft den Gesellschaftsfonds, § 4 die D u r c h f ü h r u n g des jährlichen Inventariums u n d § 5 die zulässigen E n t n a h m e n . H i n z u kommen folgende Regelungen: § 3 „Jeder der Socien soll zwar auch für sich allein zum Betriebe der gemeinschaftlichen Angelegenheiten ermächtigt sein; Wechselverbindlichkeiten jedoch darf kein Socius o h n e Z u s t i m m u n g des andern namens der Societätshandlung contrahiren." § 6 „Will der eine oder der andere Socius die Gesellschaft aufheben, so darf dies erst nach einer sechsmonatlichen A u f k ü n d i g u n g geschehen. In allen Fällen, in welchen die Societät aufhört, soll die Firma derselben ganz unterdrückt werden." § 7 „Beide Theile versprechen einander die treue u n d gewissenhafte Erfüllung dieses Vertrages." 69
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§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
Bei der Beschäftigung mit einzelnen Sachproblemen werden dagegen bestimmte vertragliche Regelungen ausdrücklich für unzulässig bzw. unwirksam erklärt: So wird fast immer bei der Gewinnverteilung auf die societas leonina eingegangen 73 , was gewiss auch darauf zurückzuführen ist, dass diese bereits mehrfach eine gesetzliche Regelung erfahren hat . Allerdings wurden auch schon im späten Mittelalter entsprechende Vereinbarungen für unwirksam erklärt, wobei man sich weniger auf das römische Recht als vielmehr auf das kanonische Zins- und Wucherverbot berief 75 . Mitte des 19. Jahrhunderts dürften Rechtssätze zur Achtung der societas leonina jedoch keine unmittelbar praktische Bedeutung mehr besessen haben . Ihre bleibende „Attraktivität" für das gesellschaftsrechtliche Schrifttum ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass die societas leonina in gewisser Weise ein sehr anschauliches Synonym für alle gesellschaftsvertraglichen Regelungen, die einen oder einen Teil der Gesellschafter grob benachteiligen, darstellt 77 . Mitunter wird denn auch - den Ansatz etwas verbreiternd festgestellt, die Gewinn- und Verlustverteilung regele der Gesellschaftsvertrag, sofern dessen Regelungen nicht unerlaubt, weil der natürlichen Billigkeit widersprechend, seien . Unter Berufung auf Sätze des römischen Rechts erklärt man relativ häufig die Vereinbarung, die Gesellschaft solle ewig dauern bzw. den völlig unbeschränkten Verzicht auf jegliches Recht, die Gesellschaft aufzukündigen, für unwirksam 79 ; manchmal auch noch ausdrücklich die Abmachung, das Gesellschaftsvermögen solle niemals geteilt werden 80 . Weiterführende Überlegungen zur Verallgemeinerung der diesen Sätzen zugrunde liegende Wertungen lassen sich jedoch nicht nachweisen.
72 Diejenigen Autoren, die diese T h e m a t i k wenigstens streifen, beschreiben das Verhältnis von vertraglicher u n d gesetzlicher Regelung lediglich beiläufig mit den Worten, die gesetzlichen Rechtssätze kämen „in Ermangelung eines Vertrages, oder ausreichender Bestimmungen desselben" zur Anwendung. So Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 753; vgl. auch Treitschke, GeWerbegesellschaft, S. 28 f. 73 Vgl. Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 753; Brinckmann, Handels-Recht, S. 156 f.; Reyseher, Privatrecht III, S . 4 0 5 f . ; Treitschke, Gewerbegeseilschaft, S. 9 f. Vgl. auch schon Curtius/Hänel, H a n d b u c h 4, S. 174 f.; Martens, Handelsrecht, § 20. 74
Vgl. § § 2 4 5 f. I 17 ALR; Art. 1855 C o d e Civil; § 1196 ABGB. Lutz, Süddeutsche Handelsgesellschaften I, S. 123 ff. Schon im späten Mittelalter war übrigens die sog. Einbuchung von Gesellschaftsanteilen zugunsten von Kindern der Gesellschafter gängige u n d offenbar völlig unbeanstandete Praxis; vgl., a.a.O., S. 265. 75
76 So h o b schon Heise, Handelsrecht, S. 53, recht lapidar hervor, verboten sei bekanntlich die societas leonina, sie werde aber auch keinem K a u f m a n n e einfallen. 77 In diesem Sinne Müller-Gugenberger, GS Röder, S. 274, 278 f.; Bei einem freieren Verständnis der Asopschen Fabel ließe sich aus dieser auch die Ansicht herleiten, ein Gesellschaftsvertrag, der wesentlich auf den Missbrauch der Überlegenheit eines Partners aufbaue, sei rechtswidrig u n d deshalb ungültig. 78 So Brinckmann, Handels-Recht, S. 156 unter Verweis auf das Hamburger Stadtrecht von 1605. Ahnlich hatte auch schon die Nürnberger Reformation von 1479 bestimmt, gesellschaftsvertraglichen Verpflichtungen sei nachzukommen, „doch das solche verpindung zymlich sey" (30. Titel, 1. Gesetz). 79 Brinckmann, Handels-Recht, S. 169; Pohls, Handelsrecht, S. 214; Treitschke, GeWerbegesellschaft, S. 178 f. Vgl. auch den Bericht der Ersten Deputation der Ersten sächsischen Stände-Kammer, bei BaumsStammberger, Aktiengesetzgebung in Sachsen, S. 134. 80 So der Bericht der Ersten Deputation, vgl. bei Baums-Stammberger, S. 134.
Aktiengesetzgebung in Sachsen,
B. Rechtswissenschaftliches
Schrifttum
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Und doch berührt das Wirken des rechtswissenschaftlichen Schrifttums die bis dahin nahezu unbeschränkte Gestaltungsfreiheit im zunehmenden Maße. Zum einen durchzieht die gesellschaftsrechtliche Literatur dieser Zeit das Bemühen, die ungeheuer vielgestaltige Gesellschaftspraxis verschiedenen Rechtsformen zuzuordnen (dazu sogleich unter III.l). Dies Bestreben mag mit Blick auf den Code de Commerce ohne weiteres verständlich sein, vor dem Hintergrund von ALR und ABGB sowie dem gemeinen Recht eher nicht. Jedenfalls wirkt das Schrifttum auf diese Weise an der Schaffung eines numerus clausus der Rechtsformen mit (vgl. unter C). Zum anderen beginnt man sich - zunächst sehr zögerlich, dann weniger zurückhaltend - mit der inneren Ordnung der Gesellschaften zu beschäftigen. Am Anfang geht es ausschließlich um Kontroll- und Kündigungsbefugnisse (hierzu III.3); später auch um den verbandsinternen Willensbildungsprozess (dazu III.2). Einzelvorschriften des römischen Rechts sowie der neuzeitlichen Gesetze und Gesetzentwürfe werden mit Aussagen des jeweiligen Autors angereichert und zu komplexeren Regelungen zusammengestellt. Allmählich beginnt sich so ein - wenn auch noch recht grobmaschiges - Normengeflecht herauszubilden. Dabei werden die Weiterentwicklungen (wohl) nie mit einem zwingenden Geltungsanspruch versehen - regelmäßig fehlt aber ebenso der ausdrückliche Hinweis, die Gesellschafter könnten ohne weiteres Abweichendes vereinbaren - doch schränkt die einsetzende Verrechtlichung der Materie zumindest tendenziell die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter ein. Sie sind gezwungen, besondere Vereinbarungen zu treffen, um der Unterstellung unter die von der Rechtswissenschaft entworfenen Sätze zu entgehen. Dieser Zwang zur definitiven gesellschaftsvertraglichen Regelung verstärkt wiederum die Verrechtlichungs-Tendenz.
III. Innere 1. leitbild und abweichende
Organisation
Gestaltungen
Sämtliche Autoren unterscheiden zumindest zwei verschiedene Gesellschaften voneinander, die zumeist als offene (bzw. Kollektiv-) und als stille (bzw. Kommanditen-) Gesellschaft bezeichnet werden 8 1 . Aber auch dort, wo schon von der „offenen Handelsgesellschaft" die Rede ist 82 , geht es noch nicht um die OHG als voll ausgebildete Rechtsform, denn diese wurde erst vom ADHGB geschaffen (vgl. unter D). Ebenso lässt sich die stille bzw. Kommanditen-Gesellschaft weder mit der Stillen noch mit der Kommanditgesellschaft des ADHGB völlig gleichsetzen. Allerdings bestimmt man die offene Gesellschaft schon weitgehend übereinstimmend: Teilweise wird die Definition 81 Daneben wird häufig noch die Gelegenheits- bzw. Spekulationsgesellschaft erwähnt, vgl. Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 749; Reyscher, Privatrecht III, S. 409; Thöl, Handelsrecht, S. 129; Walter, Privatrecht, S. 338. 82 So schon in der Systematik bei Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl.; Thöl, Handelsrecht; Walter, Privatrecht; auch Brinkmann, Handels-Recht, und Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, sprechen im Text mitunter von der „offenen Handelsgesellschaft".
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$ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
in Art. 20 des Code de Commerce übernommen und auf den Zusammenschluss zum gemeinschaftlichen Betrieb eines Handels unter einer Firma abgestellt; die solidarische Haftung der Gesellschafter ergibt sich dann als Rechtsfolge 83 . Andere nehmen — wie später auch Art. 85 A D H G B - die Haftung der Gesellschafter gleich mit in die Definition der offenen Handelsgesellschaft auf 64 . Um einiges unschärfer fällt dagegen die Bestimmung der stillen bzw. Commanditen-Gesellschaft aus: Bei nicht wenigen Bestimmungsversuchen wird die Kapitaleinlage in eine „fremde" Handlung in den Mittelpunkt gerückt und zugleich betont, die Gesellschaft habe keine Firma und trete auch gar nicht nach außen hin in Erscheinung 85 . Andere Beschreibungen gehen zumindest der Tendenz nach stärker in Richtung des Art. 23 Code de Commerce und der modernen Kommanditgesellschaft; hervorgehoben wird dann, auch der stille Gesellschafter sei „wahrer" Gesellschafter, nur eben nicht gesamtverbindlich86. Ausnahmslos wird betont, Vertretung und Geschäftsführung (diese werden nun fast immer mehr oder weniger deutlich unterschieden) stünden im Zweifel jedem Gesellschafter einer offenen Gesellschaft zu, jedoch könne der Gesellschaftsvertrag abweichende Regelungen treffen . Einige weisen daraufhin, dies „gesetzliche Leitbild" finde in der Praxis kaum Anwendung; regelmäßig würden die Geschäfte durch beauftragte Personen, Gesellschafter oder auch Dritte, geführt 88 . Überwiegend wird die Übertragung von Geschäftsführung und Vertretung auf Nichtgesellschafter zumindest ausdrücklich erwähnt . Auch bei den stillen bzw. Commanditen-Gesellschaften wird mehrfach von besonderen Gestaltungen berichtet: So soll die stille Beteiligung in Aktien zerlegt werden können 90 ; Thöl hebt sogar hervor, selbst eine Aktiengesellschaft dürfe Kommanditist sein 91 .
83
Vgl. Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl., S. 289; Reyscher, Privatrecht III, S. 408.
So besonders deutlich Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 793; vgl. auch Thöl, Handelsrecht, S. 129, 139. Walter, Privatrecht, S. 329, definiert die offene Gesellschaft dagegen als „diejenige, wo die Gesellschafter sich nach Außen hin als so enge verbunden darstellen, daß Jeder für die Gesellschaft schlechthin einsteht..." Bei ihm ergibt sich die Wahl einer gemeinsamen Firma quasi als Rechtsfolge. 84
8 5 Vgl. Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl., S. 298 f.; Reyscher, Privatrecht III, S. 408; auch Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 750. 8 6 So vor allem Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 799; ähnlich auch Thöl, Handelsrecht, S. I49ff., der aber meint, die Frage, ob der Kommanditist Socius oder Gläubiger sei, könne nicht allgemein, sondern nur mit Rücksicht auf ganz bestimmte Wirkungen beantwortet werden. Nach Brinckmann, Handels-Recht, S. 205, ist die Kommanditengesellschaft an sich nur „nach der inneren Seite hin" eine Gesellschaft. „Die Gesetze behandeln sie freilich meistens auch nach außen hin als Gesellschaft, jedoch ohne dadurch in ihre Natur wesentlich einzugreifen ...". 8 7 Vgl. Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl., S. 291, 298; Brinckmann, Handels-Recht, S. 134 f.; Reyscher, Privatrecht III, S. 408; Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 796; Thöl, Handelsrecht, S. 141; Treitschke, Gewerbegeseilschaft, S. 23; Walter, Privatrecht, S. 331. 88
Mittermaier, Privat.echt, 7. Aufl., Bd. 2, S. 796; Thöl, Handelsrecht, S. 141.
Vgl. auch Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 752; Brinckmann, Handels-Recht, S. 135; Walter, Privatrecht, S. 331. 90 Brinckmann, Handels-Recht, S. 207, 210; Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 800, Fußn. 5; Walter, Privatrecht, S. 337. 89
91
Thöl, Handelsrecht^. 150.
B. Rechtswissenschaftliches
Schrifttum
2. Geschäftsführung und Zuständigkeit der nicht Gesellschafter
209
geschäftsführenden
Die Beschreibung der Rechtsstellung vertretungsberechtigter Personen fällt kurz aus; fast immer beschränkt man sich auf die Bemerkung, firmierende Gesellschafter oder Dritte seien Factor bzw. Institor. Beseler hält demgegenüber zwar eine ,.Analogie der Vertretung einer Corporation durch ihren Vorstand" für passender, führt dies aber auch nicht weiter aus 92 . Erst Brinckmann versucht, der Vertretungs- und der Geschäftsführungsbefugnis nähere Konturen zu verleihen: Handlungen, die nichts mit dem Handel gemein hätten, wie der Ankauf eines Landhauses oder die „Übernahme einer Bürgschaft für Miete" verpflichteten, auch wenn sie unter der Firma vorgenommen worden seien, ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht die Gesellschaft; „wohl aber Geschäfte, welche dem Gewerbebetriebe der Gesellschaft fremd sind, und heimliche Geschäfte, unter welchen jedoch nicht solche zu verstehen sind, welche bloß ohne Vorwissen der anderen Gesellschafter eingegangen worden sind." 93 Nach Brinckmann soll mithin die Vertretungsmacht des geschäftsführenden Gesellschafters vergleichsweise weit reichen, seine Ausführungen zum Innenverhältnis sind dagegen vom Bemühen gekennzeichnet, die Befugnisse der Geschäftsführung stärker an den Willen der Gesellschaftergesamtheit zu koppeln 94 : Jeder geschäftsführende Gesellschafter sei „ohne Befragung der anderen" berechtigt, alle Handlungen vorzunehmen, „welche in dem gewöhnlichen Geschäftsgange erforderlich sind und mit dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaft in Verbindung stehen". Ohne „Zuziehung und Berathung aller im Geschäftsbetriebe thätigen Gesellschafter" dürfe er jedoch keine größeren Unternehmungen eingehen, „namentlich nicht solche ..., bei welchen außerordentliche, in dem gewöhnlichen Geschäftsbetriebe der Gesellschaft nicht vorkommende Verluste eintreten" könnten. Es sei dem Geschäftsführer deshalb untersagt, an einzelne Personen größere Verkäufe auf Kredit zu machen, als ihn die Gesellschaft regelmäßig gewähre; ferner dürfe er keine Großeinkäufe von Waren tätigen, welche die Gesellschaft zur Zeit nicht benötige und deren Preis starken Schwankungen unterliege. Darüber hinaus lasse sich aber nicht generell bestimmen, was zu den größeren Unternehmungen zu rechnen sei; man habe die Art und den Umfang des Geschäfts zu beachten, auch die Größe der Betriebsmittel.95 Die über die gewöhnliche Geschäftsführung hinausgehenden Angelegenheiten weist Brinckmann allerdings nicht der Gesellschaftergesamtheit zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu. Lediglich „diejenigen Mitglieder, welche in dem Geschäftsbetriebe thätig sind, also alle, welche nicht ausdrücklich davon ausgeschlossen sind", seien befugt, an der Beratung teilzuneh92
93
Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl., S. 292; vgl. auch Walter, Privatrecht, S. 331.
Brinckmann, Handcls-Rcchc, S. 138 f.
Zum Folgenden Brinckmann, Handels-Recht, S. 146. Es fällt auf, dass Brinckmann, der seine Ausführungen ansonsten immer mit vielen Verweisen auf Gesetze und Schrifttum versieht, hier keine Belege anführt. 95 Im Streitfall müssten Sachverständige entscheiden; die Veräußerung vom Immobilien soll aber generell nicht in den Befugnissen eines firmierenden Gesellschafters enthalten sein, Brinckmann, HandelsRecht., S. 146, 195. 94
210
§5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
men. Da jedoch bei einigen Entscheidungen ausdrücklich die Zustimmung aller Gesellschafter verlangt wird (dazu sogleich), teilt Brinckmann offensichtlich die Gesellschafter in wenigstens vier Kategorien ein: Personen, die vertretungs- und geschäftsführungsberechtigt sind; Gesellschafter, die zwar geschäftsführungsberechtigt sind, jedoch keine Vertretungsbefugnis haben 96 ; von der Verwaltung und Geschäftsführung ausgeschlossene Gesellschafter, die aber im Geschäftsbetrieb der Gesellschaft tätig sind 97 ; Gesellschafter, die sogar ausdrücklich von der Tätigkeit im Geschäftsbetrieb ausgeschlossen sind. Auf den ersten Blick erscheint dieses System mehrfach abgestufter GesellschafterBerechtigungen höchst kompliziert; zu beachten ist jedoch, dass der Geschäftsführungsbefugnis ohne Vertretungsberechtigung wohl keine praktische Bedeutung zukommt. Zudem denkt Brinckmann bei den „von der Tätigkeit im Geschäftsbetrieb ausdrücklich ausgeschlossenen Gesellschaftern" womöglich vor allem an stille Gesellschafter bzw. Kommanditisten 98 . Innerhalb der typischen offenen Gesellschaft verblieben mithin nur zwei Gruppen: Personen (Gesellschafter oder Dritte), denen die gewöhnliche Geschäftsführung zur Erledigung zugewiesen wurde, und von der ordentlichen Geschäftsführung ausgeschlossene Gesellschafter, die jedoch bei außergewöhnlichen Maßnahmen zur Beratung und Entscheidung hinzuzuziehen sind. Zumindest aus der Distanz betrachtet lässt sich Brinckmanns Modell als modifizierte Anwendung jener Ordnungsvorstellungen begreifen, welche die Konzessionsbehörden bei den konzessionierten Gesellschaften durchsetzen (vgl. unter § 3 B): Der Gesellschaftergesamtheit haben die für das weitere Schicksal des Verbandes wichtigsten Angelegenheiten zur gemeinschaftlichen Beratung und Entscheidung vorbehalten zu bleiben. Dies gilt selbst dann, wenn die Führung der Geschäfte an sich in der Hand einzelner Personen bzw. eines besonderen Organs liegt und diese bei ihrer Geschäftsführung recht selbständig agieren können. So verstanden stehen Brinckmanns Darlegungen dem modernen Verständnis der Verbandssouveränität sogar näher als das Binnenorganisations-Modell der konzessionierten Aktiengesellschaften, denn bei diesen Gesellschaften waren die Gesellschafter ja nicht wirklich souverän - in vielen Fällen bedurften ihre Entscheidungen einer Bestätigung durch die Konzessionsbehörden. Brinckmanns Überlegungen setzen dagegen voraus, dass die Gesellschafter die Angelegenheiten ihres Verbandes eigenverantwortlich wahrnehmen und grundsätzlich auch dessen innere Ordnung frei ausgestalten können. Die von ihm entwickelten Sätze schränken diese Freiheiten lediglich punktuell ein, wobei allerdings völlig unerörtert 96 Durch die bloße Entziehung oder Beschränkung des Gebrauchs der Firma werde der Gesellschafter noch nicht von einer „Theilnahme an der Verwaltung und Leitung der Gesellschaftsangelegenheiten ausgeschlossen". Dies sei nur der Fall, wenn die Geschäftsführung ausdrücklich einem oder mehreren Gesellschaftern übertragen worden sei. Brinckmann, Handels-Recht, S. 146. 97 Die Ausschließung von Verwaltung und Geschäftsführung allein berechtige weder den Ausgeschlossenen, seine Tätigkeit dem Geschäftsbetriebe zu entziehen, noch die anderen Gesellschafter, ihn von einer solchen Teilnahme auszuschließen. Brinckmann, Handels-Recht, S. 146 98 Brinckmann beschreibt die Rechtsstellung des stillen Gesellschafters bzw. Kommanditisten jedenfalls dahingehend, dieser beteilige sich als solcher nicht an den Geschäften selbst; auch sei er nicht befugt, sich ohne Einwilligung des Komplementärs, in den Geschäftsbetrieb zu mischen. Brinckmann, HandelsRecht, S. 214, 223.
B. Recbtswissenschaftlicbes Schrifttum
211
bleibt, inwiefern es sich um zwingende Einschränkungen der Gestaltungsfreiheit handeln soll. Eine (mögliche und dann möglicherweise unzulässige) weitergehende Entmündigung der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter ist von Brinckmann vermutlich gar nicht bedacht worden. Bei den übrigen Autoren wird die Zuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit für sämtliche über die gewöhnliche Geschäftsführung hinausgehende Angelegenheiten dagegen allenfalls angedeutet: Zwar unterscheidet schon Treitscbke Tätigkeiten, welche nur die für die Erreichung des Gesellschaftszweckes nötigen Maßnahmen ausführten, von Handlungen, „worüber der Gesamtwille der Genossen nicht von selbst und der Natur der Sache nach unzweifelhaft ist, auch sich noch nicht so kund gegeben hat" 99 . Hieraus wird aber nur geschlussfolgert, nehme ein Teilnehmer letztere Handlungen eigenmächtig vor, müssten die anderen diese nicht genehmigen; der Eigenmächtige habe dann seine Genossen für eintretende Verluste zu entschädigen 100 . Immerhin betont Treitscbke, oft sei eine vorgängige Beratung nötig, damit Maßnahmen, die ein Einzelner vornehme, „in jeder Beziehung als gemeinschaftliche gelten". 101 Näher ausgeführt wird dies aber nicht. Erwähnung findet die gemeinschaftliche Beratung der Gesellschaftsangelegenheiten mitunter noch bei einer Beschreibung der Rechte des stillen Gesellschafters bzw. Kommanditisten: Dieser müsse an Beratungen teilnehmen und sein Interesse vertreten können 1 0 2 ; sei er hierzu nicht berechtigt, ergebe „er sich der Redlichkeit und Vernünftigkeit des Complementars". 103 Bender schließlich erwähnt nur, die Berechtigung zur Stimmführung in Angelegenheiten der Gesellschaft richte sich im Zweifel nicht nach den Kapitalanteilen, sondern nach Köpfen; die gemeinsame Beratung an sich wird von ihm offenbar als selbstverständlich vorausgesetzt Bender gehört zu den wenigen, die Mehrheitsbeschlüsse ausdrücklich für zulässig erklären, wenn auch nur bei der Verwaltung und nicht „zur Änderung der Grundgesetze der Gesellschaft" 105 . Demgegenüber tritt Brinckmann, der nicht im Geschäft tätige Gesellschafter von der Beschlussfassung über außergewöhnliche Angelegenheiten generell ausschließen will (vgl. oben), besonders vehement für das Einstimmigkeitsprinzip ein: Eine Vorschrift wie die des § 1188 ABGB, welche für die Abstimmungen sogar auf die jeweiligen Kapitalanteile abstelle (vgl. unter § 2 B III.), sei für die offene Gesellschaft ebenso unzweckmäßig als unanwendbar . Änderungen des Gesellschaftsvertra99
Treitscbke, GeWerbegesellschaft, S. 36. Brinckmann, Handels-Recht, S. 36 f. „Rechtliche Folgen eigenmächtiger H a n d l u n g e n im N a m e n der Gesellschaft" werden später noch sehr ausführlich diskutiert. A.a.O., S. 71 ff. 101 „Dabei hat natürlich jedes Mitglied das Recht, seine M e i n u n g zu sagen." Brinckmann, HandelsRecht, S. 39. 102 So Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 801; vgl. auch Treitscbke, GeWerbegesellschaft, S. 171. 103 So Tböl, Handelsrecht, S. 153, der dann sogleich auf die Verantwortlichkeit des Komplementärs eingeht. 104 Bender, Frankfurter Recht, S. 754. 105 Bender, Frankfurter Recht, S. 754; vgl. auch Reyscher, Privatrecht III, S. 396. 100
106 „Derjenige, welcher keine oder eine geringe Kapitaleinlage machte u n d oft der Verständigste u n d Kundigste unter den Gesellschaftern sein wird, unterläge nach ihnen der Ueberstimmung des Kapitals
212
§5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
ges und „Unternehmungen, welche gegen den Inhalt desselben sind", könnten jedenfalls nur mit der Zustimmung aller Gesellschafter, „auch derjenigen, welche nicht in dem Betriebe der Gesellschaftsgeschäfte thätig sind und nur Einlagen geleistet haben" vorgenommen werden 107 . Explizit wird die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter häufig bei der Aufnahme neuer Gesellschafter gefordert 108 , seltener wird insoweit die vorzeitige Auflösung erwähnt 109 . Treitschke hebt noch hervor, selbst wenn die anderen Gesellschafter neues Kapital zuführten, brauche sich kein Gesellschafter die Reduzierung seines Gewinnanteiles gefallen zu lassen 110 , und Brinckmann verlangt die Zustimmung aller Gesellschafter für eine „Wechselakzeptationen ohne Deckung (Blankoakzepte)", falls das Wechselgeschäft nicht zum regelmäßigen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft gehöre 3. Kontroll-,
Kündigungs-
und
Ausschlussrecht
Kontroll- und Aufsichtsrechte des offenen Gesellschafters bleiben zwar erstaunlich oft unerwähnt ; ihre Existenz wird aber auch nirgends ausdrücklich bestritten. Während Mittermaier nur allgemein betont, ein Aufsichtsrecht über die Handlungen des Complementars stehe den übrigen Gesellschaftern immer zu 113 , führen Bender und Brinckmann die damals wohl gängige Praxis näher aus: Einmal im Jahr stelle der geschäftsführende Gesellschafter den übrigen die Hauptrechnung, welche aus einer Bilanz (Inventar) bestehe. Eine Verpflichtung zur „vollständigen Rechnungsablage" existiere lediglich, wenn sie vom Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vorgesehen sei. Den Gesellschaftern müsse insoweit die Berechtigung zur jederzeitigen Einsicht in die Geschäftspapiere (Bücher, Correspondenz und Inventar) genügen, „um sich darnach selbst die nöthigen Abrechnungen aufstellen zu können". 11 Die Rechte des stillen Gesellschafters bzw. Kommanditisten werden hiervon nicht sonderlich abgehoben: Walter betont, weil der „Commanditair" nicht bloßer Gläubiger, sondern Gesellschafter sei,
und müßte, wenn er auch nichts als seinen Namen zu verlieren hat, diesen für die verkehrten Meinungen der Kapitalisten einsetzen." Brinckmann, Handels-Recht, S. 147, Fußn. 9. 107 Brinckmann, Handels-Recht, S. 148. 108 Brinckmann, Handels-Recht, S. 165; Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 798; Treitschke, GeWerbegesellschaft, S. 22; Walter, Privatrecht, S. 333. 109 Bender, Frankfurter Recht, S. 760; Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 798. 110 Treitschke, Gewerbegeseilschaft, S. 32 f. 111 Brinckmann, Handels-Recht, S. 146. 112 Bei Reyscher, Privatrecht III; lhol, Handelsrecht; Walter, Privatrecht; Beseler, Privatrecht III, 1. Aufl.; anders dann den., Privatrecht, 2. Aufl. 1866, S. 913. 113 Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 797. „Complementar" ist für Mittermaier eine mit der Führung der Gesellschaftsgeschäfte beauftragte Person, die auch Nichtgesellschafter sein könne, a.a.O., S. 796. 114 Bender, Frankfurter Privatrecht, S. 755. Ähnlich auch Brinckmann, Handels-Recht, S. 149, der noch hervorhebt: „Jeder Gesellschafter ist über die von ihm ausgeführten Geschäfte der Gesellschaft den anderen rechenschaftspflichtig." Konkrete Rechtsfolgen werden hieraus aber nicht hergeleitet. Vgl. auch Treitschke, Gewerbegesellschaft, S. 105.
B. Rechtswissenschaftliches
Schrifttum
213
könne er als solcher „Einsicht in den Geschäftsbetrieb" verlangen 1 1 5 . Mittermaier meint, auf jeden Fall könne der stille Gesellschafter, „Einsicht der Bücher und Rechnungen immer verlangen, und die Geschäftsführung des Hülfspersonals überwachen" 1 1 6 . Nur bei Brinckmann heißt es erkennbar zurückhaltender: „Obgleich der Kommanditist ohne Einwilligung des Komplementars nicht befugt ist, sich in dessen Geschäftsbetrieb zu mischen, so steht ihm doch das Recht zu, zur Bilanzzeit Einsicht von den Büchern zu nehmen, sich über den Stand des Geschäftsbetriebes zu unterrichten und von der Richtigkeit der Bilanz selbstständig zu vergewissern." 117 Unter dem Einfluss des gemeinrechtlichen Schrifttums war die Kündigung einer befristeten Gesellschaft zu einem großen Risiko geworden: Die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Kündigung wurden im gleichen Maße überzeichnet, wie die Voraussetzungen einer gerechtfertigten Kündigung unklar blieben (vgl. unter § 2 C III.3). Hieran hat sich um die Jahrhundertmitte noch nichts geändert 1 1 8 ; immerhin gibt es jetzt einzelne Autoren, die um einen angemesseneren Interessenausgleich bemüht sind: Zwar hebt auch Brinckmann hervor, wer ohne rechtmäßige Ursachen von einer auf bestimmte Zeit geschlossenen Gesellschaft zurücktrete, müsse auch für die restliche Zeit der Gesellschaft seine Einlage überlassen und zudem die sonstigen Nachteile einer unzeitigen Kündigung tragen 1 1 9 , die Nachteile werden aber schon mit etwas mehr Augenmaß bestimmt 1 2 0 . Viel bedeutsamer sind jedoch seine Ausführungen zu den eine vorzeitige Kündigung rechtfertigenden Ursachen. Diese waren vom gemeinrechtlichen Schrifttum bisher lediglich in der Person des Kündigenden ausgemacht worden (vgl. unter § 2 C III.3). Demgegenüber will Brinckmann gerechte Gründe zudem „in den Verhältnissen der Gesellschaft" suchen. Dies führt ihn zur Erkenntnis, die Befugnis zum Rücktritt begründeten auch diejenigen Ursachen, die zum Ausschluss eines Gesellschafters berechtigten, „wenn in einer aus mehreren Personen bestehenden Gesellschaft die von einem Mitgliede beantragte Ausschließung der durch solche Gründe getroffenen Person von den anderen Gesellschaftern nicht bewilligt" werde 1 2 1 . Auf den Ausschluss eines Gesellschafters, welcher bis dahin im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hatte 1 2 2 , geht Brinckmann noch gesondert ein. Nicht nur zum öffentlichen Ärgernisse gereichende „lüderliche Lebensweise" und
115 116 117 118
Walter, Privatrecht, S. 336. Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 801. Brinckmann, Handels-Recht, S. 223. Die Thesen von Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 93 f. (vgl. § 2 C III.3) stammen gar aus dem Jahr
1861.
Brinckmann, Handels-Recht, S. 171. Der Gesellschafter müsse der Gesellschaft deren Interesse an seinem Bleiben erstatten und den „Schaden, welchen sie bis dahin, daß der Austritt als rechtzeitig erscheint, erleidet mittragen ... ohne an dem von ihr gemachten Gewinn Theil zu nehmen. Es versteht sich jedoch von selbst, daß dem ausgetretenen Gesellschafter nicht der Verlust der einzelnen Geschäfte für seinen Antheil zur Last fällt, sondern der Verlust des ganzen gewerblichen Geschäftsbetriebes...". Brinckmann, Handels-Recht, S. 169. 121 Brinckmann, Handels-Recht, S. 171. 122 Vgl. unter § 2 C III.3. Das Recht der Gesellschaft, einen die gesellschaftliche Ordnung grob verletzenden Kompagnon auszuschließen, wird noch von Reyscher, Privatrecht III, S. 401, erwähnt. 119
120
214
§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
Trunksucht berechtigten zum Ausschluss, sondern auch „beleidigendes und zänkisches Betragen gegen einen Mitgesellschafter; unordentliches, der Gesellschaft schädliches Betragen; Unfähigkeit seine versprochene Einlage zu leisten; hartnäckige und unbegründete Weigerung, seine Verbindlichkeiten gegen die Gesellschaft zu erfüllen; betrügerische Handlungen gegen die Gesellschaft; Missbrauch der Gesellschaftsfirma; Bestrafung wegen Verbrechen" und anderes mehr 1 2 3 . Nach Brinckmann soll mithin kein Gesellschafter mehr mit einem seine Pflichten grob verletzenden Kompagnon in einer Gesellschaft verbleiben müssen, nur weil dieser unter dem „Schutz" der Gesellschaftermehrheit oder sogar lediglich eines einzelnen dem Ausschluss widersprechenden Mitgesellschafters steht 124 .
C. Gesetzentwürfe I. Württemberger Entwurf von 1839 Art. 178 des Württemberger Entwurfs (WE) erklärt, das Gesetz erkenne außer der Aktiengesellschaft noch die offene Gesellschaft (bzw. Gesellschaft unter einem Handlungsnamen) und die stille Gesellschaft (Commandite) an. Während Art. 181 W E die „offene Handlungsgesellschaft" in Ubereinstimmung mit Art. 20 Code de Commerce bestimmt 125 , ist die — in Art. 232 definierte - stille Gesellschaft des Entwurfs wohl relativ weit von der französischen Kommanditgesellschaft entfernt . v. Hofacker beabsichtigte - offenbar in Kenntnis von weiteren in der Praxis gebräuchlichen Gestaltungen - die Einführung eines numerus clausus der Gesellschaftsformen; in den Motiven wird ausdrücklich hervorgehoben, das Gesetz wolle mit Art. 178 absichtlich nicht alle denkbaren Formen des Gesellschaftshandels erschöpfen, „um das Interesse Dritter 123 Brinckmann, Handels-Recht, S. 178. Ausdrücklich wird allerdings betont, es verstehe sich von selbst, dass nicht wegen einzelner Vorkommnisse auf eine Ausschließung erkannt werden dürfe. 124 Vgl. auch Treitschke, Gewerbegeseilschaft, S. 184: Ausnahmsweise könne folgenlos von einer auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Gesellschaft abgegangen werden, wenn „der eine Genosse sich so zänkisch u n d beleidigend oder so schädlicherweise beträgt, dass d e m anderen nicht zugemuthet werden kann, mit ihm zusammen zu leben u n d in Gemeinschaft mit ihm zu bleiben. Dieser G r u n d wird lediglich d e m richterlichen Ermessen anheim gestellt werden müssen u n d wegen einzelner kleiner Zänkereien oder beleidigender Reden so wenig, als wegen einzelner schadenbringender Versehen in der Geschäftsführung der Abgang zulässig sein." 125 „Eine offene Handelsgesellschaft ist diejenige, welche von zwei oder mehreren Personen zu Betreib u n g eines Handelsgewerbes unter einem H a n d l u n g s n a m e n abgeschlossen wird." 126 Art. 2 3 2 lautet: „Die stille (vertraute) Gesellschaft ist vorhanden: wenn sich einer oder mehrere Genossen bei einem Handelsgewerbe durch bloße Vermögenseinlagen betheiligen, während dasselbe auf den N a m e n u n d Gefahr der Uebrigen (Commanditirten) lauft." In den Motiven zum Entwurf, S. 208, hebt v.Hofazker hervor, das Charakteristische einer stillen Gesellschaft sei, dass der stille Gesellschafter bloß mit einem Vermögensbeitrag an der Betreibung eines Handelsgewerbes Anteil nehme, das einem anderen zustehe. „Das französ. HandelsG.B. drückt das Verhältniß weniger deutlich aus." D e n n o c h meint Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 2 0 3 f., die stille Gesellschaft des Württemberger Entwurfs, sei - unverkennbar an das französische Gesetz angelehnt — eine KG.
C. Gesetzentwürfe
215
möglichst zu wahren." 1 2 7 Immerhin soll es aber möglich sein, die Einlage des stillen Gesellschafters in (Namens-)Aktien zu zerlegen (Art. 2 3 6 ) . Der Entwurf regelt die offene Handelsgesellschaft in 51 Artikeln vergleichsweise ausführlich. Nicht wenige dieser Vorschriften sollen auch auf die stille Gesellschaft Anwendung finden (Art. 2 4 2 ) ; für diese enthält der Entwurf ansonsten nur ganze 11 Artikel. Schon weil der Entwurf auf einem numerus clausus der Gesellschaftsformen aufbaut, kann v. Hofacker
den Gesellschaftern beim Abschluss des Gesellschaftsvertrages
keine unbegrenzte Gestaltungsmacht gewähren; so wird dann mehrfach auf das Wesen der Gesellschaft verwiesen, gegen das vertragliche Vereinbarungen nicht verstoßen dürften 1 2 8 . Innerhalb dieser Grenzen soll aber recht weitreichende Gestaltungsfreiheit herrschen. Deutlich macht dies schon Art. 2 0 8 W E : Nur die eigentliche societas leonina 1 2 9 , nicht aber eine andere Vereinbarung über ungleiche oder unverhältnismäßige Gewinn- und Verlustverteilung sei gerichtlich angreifbar. Es habe nämlich keine Bedenken, eine Klage „wegen übergroßer Verletzung" zu verweigern, „weil schon die schriftliche Abfassung des Vertrags als nothwendige Form, und die übrigen zu beobachtenden Förmlichkeiten zu reiflicher Erwägung der Verhältnisse auffordern, Derjenige aber, der mit voller Kenntniß der Sache handelte, oder doch alle Aufforderung hatte, so zu handeln, sich nicht soll auf mangelnde Einsicht berufen können" 1 3 0 . Zudem wird in den Motive wiederholt hervorgehoben, im Gesellschaftsvertrag könnten auch abweichende Bestimmungen getroffen werden 1 3 1 . Diesen Grundsätzen folgend bestimmt Art. 196 W E dann, jeder offene Gesellschafter sei zur Geschäftsführung befugt, aber nur, falls der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsehe. Art. 199 W E lässt sich entnehmen, dass auch nur ein einziger Gesellschafter zur Geschäftsführung befugt sein kann, die Motive erwähnen sogar den Ausschluss sämtlicher Gesellschafter von der Geschäftsführung 1 3 2 . Obwohl v. Hofacker an sich der Uberzeugung ist, die Gesellschafter seien selbst für ihren Schutz verantwortlich, von Gesetzes wegen müssten sie nur durch allgemeine Vorschriften vor Betrug und Irrtum geschützt werden 1 3 3 , sieht der Entwurf doch einige Bestimmungen vor, um die Interessen der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter zu wahren. Zwar kann 127 WE-Motive, S. 161. Später (S. 195) heißt es noch, die Vereinbarung einer offenen Handelsgesellschaft bei der einzelne Gesellschafter ihre Haftung auf die Einlage beschränkten, wäre „gegen die Absicht des Gesetzes, welches nur drei Formen für den Gesellschaftshandel vorschreibt." 128 Vgl. WE-Motive, S. 165 f., 195, 211. An weiteren Stellen wird betont, das Wesen der Gesellschaft gebiete nicht eine bestimmte Regelung, vgl. a.a.O., S. 166, 174, 195. 129 Hierunter wird von v.Hofacker der Fall verstanden, dass ein Gesellschafter allen Gewinn ganz allein bezieht, ohne am Verlust beteiligt zu sein. Vgl. WE-Motive S. 186. 130 WE-Motive, S. 186. 131 Vgl. WE-Motive, S. 176, 179, 190. Zu Art. 204, der die Einsichtsrechte der Gesellschafter mit der Bemerkung regelt, „wenn nichts Anderes ausgemacht ist", heißt es in den WE-Motiven, S. 182, dieser Satzsolle keinesfalls zum Ausdruck bringen, von den gesetzlichen Vorschriften könne nur dort abgewichen werden, wo es das Gesetz ausdrücklich gestatte. 132 Das Geschäft würde dann von einem Factor betrieben. Ferner sei es möglich, einen Gesellschafter nur vom Gebrauch der Firma, nicht aber von der Geschäftsführung auszuschließen. Vgl. WE-Motive, S. 1 6 4 , 1 6 6 . 133 Vgl. WE-Motive, S. 186.
216
§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschafien
nur ein (Mit-) Geschäftsführer der Vornahme einer konkreten Maßnahme widersprechen (Art. 198), jeder andere Gesellschafter soll jedoch „auf einen Gesellschaftsbeschluß antragen" dürfen, falls er Bedenken gegen ein Geschäft habe 134 . Eine Regelung mit Unikatscharakter übernimmt v. Hofacker aus dem spanischen Código de Comercio von 1829 135 : Hat der Gesellschaftsvertrag einem einzigen Gesellschafter die Geschäftsführungsbefugnis übertragen, „so kann bei ungehöriger und nachtheiliger Geschäftsbesorgung, von den übrigen Gesellschaftern ein weiterer Geschäftsführer neben ihm zur Theilnahme an den Geschäften bestellt werden" (Art. 199 Abs. I) 1 3 6 . Wird die Geschäftsführungsbefugnis allerdings außerhalb des Vertrages eingeräumt, so ist sie frei widerruflich (Art. 199 Abs. 2). Verstößt ein geschäftsführender Gesellschafter gegen das Wettbewerbsverbot, so kann ihm die Geschäftsführung entzogen werden (Art. 203). Entwurf und Motive äußern sich nicht generell zur Willensbildung unter den Gesellschaftern. Offenbar wird aber bei der Beschlussfassung das Mehrheitsprinzip für die Regel gehalten 137 ; bei einigen gewichtigeren Fragen wird nämlich betont, insoweit müsse ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vereinbart sein, dass die Mehrheit entscheiden solle: bei der Übertragung von Anteilen 138 , bei Erhöhung der Einlagen 139 und bei einer „Schuldenaufnahme" . Bei anderen Angelegenheiten wird explizit hervorgehoben, sie gehörten „durchaus nicht" zur Geschäftsführung und Verwaltung: „alle Geldaufnahmen, wodurch der Handlungsfonds oder das Betriebskapital ergänzt, oder erhöht werden soll", sowie „Veräußerungen oder Verpfändungen des liegenden Gesellschaftsvermögens." Letztere könnten gültig nur durch die Einwilligung sämtlicher Gesellschafter oder Miteigentümer vollzogen werden 141 . Auch die Verteilung von Jahresüberschüssen vor einer Wiederauffüllung von Verlusten früherer Jahre soll die Zustimmung aller Gesellschafter erfordern, ebenso ein Verzicht auf Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführung . All diese Einzelaussagen deuten darauf hin, dass der Entwurf zwischen Angelegenheiten der Geschäftsführung; über die normale Geschäftsführung hinausgehende und deshalb von der Gesellschaftergesamtheit (mit Mehrheit) WE-Motive, S. 178. Schon 1832 erschien „in Commission bei Hoffmann u. Campe" eine von HC. Schu mach er angefertigte Ubersetzung des Cödigo; zu dessen Entstehung und Bedeutung siehe Scherner, Spanien, S. 3475 ff. 136 Die Regelung des spanischen Vorbildes (Art. 307 Satz 2) ist heute noch in Art. 132 Cödigo de Comercio enthalten. Während jedoch im spanischen Recht die Geschäftsführung beiden Geschäftsführern gemeinschaftlich obliegt, verbleibt es nach dem Württemberger Entwurf wohl bei der Einzelgeschäftsführung; der zweite Geschäftsführer soll offenbar vor allem durch Ausübung seines Widerspruchrechts wirken. 137 Allerdings heißt es in den WE-Motiven, S. 179, wo jeder solidarisch hafte, könne das Gesetz keine wirksame Majorisierung aussprechen. 138 WE-Motive, S. 190. 139 Gemäß Art. 195 kann die Erhöhung der Beiträge über den im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Betrage nur mit Einwilligung sämtlicher Gesellschafter geschehen. In den WE-Motiven, S. 176, heißt es jedoch: „Ist hingegen im Gesellschaftsvertrage Fürsorge für den Fall des Artikels getroffen; so richtet sich die Entscheidung zunächst darnach." 140 Dieser Fall sei der Einlagenerhöhung gleichzustellen, WE-Motive, S. 176 f. 141 WE-Motive, S. 177. 142 Vgl. WE-Motive, S. 184 und 188. 134
135
C. Gesetzentwürfe
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zu beschließende Maßnahmen; und sehr grundsätzlichen Entscheidungen, zu deren Durchführung die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter benötigt wird, differenziert. Explizit wird dies aber nirgends ausgesprochen, so dass fraglich bleibt, ob v. Hofacker insoweit nicht nur Einzelbestimmungen anderer Gesetze - mit Ergänzungen, aber ohne konzeptionelle Verarbeitung - übernimmt. Nach Art. 204 W E steht jedem Gesellschafter die Einsicht der Handelsbücher und Papiere frei, zudem dürfen ihm „die sonstigen Nachweisungen und Aufklärungen über die betriebenen Geschäfte" nicht verweigert werden; dies gilt aber nur „wenn nichts Anderes ausgemacht ist". Der Entwurf „mauert" die Gesellschafter förmlich ein. Mehrfach betonen die Motive, es gäbe keine Auflösung vor der vereinbarten Zeit bzw. vor der Erfüllung des Zwecks . Ein Kündigungsrecht ist auch nicht für den Fall besonderer Gründe vorgesehen. Dafür wird allerdings der Ausschluss u. a. wegen „Mißbrauch des Vermögens und Handlungsnamens der Gesellschaft für Privatzwecke" und wegen „unredlicher Geschäfts- oder Rechnungsführung" gesetzlich geregelt . Die Motive bedenken zudem den Fall, dass sich ein Gesellschafter mit seinem Ausschlussantrag nicht gegen die Mehrheit durchsetzen kann; finde der Ausschluss Widerspruch bei dem Auszuschließenden oder den Übrigen, „so bleibt nichts übrig als richterliche Entscheidung" 145 . Der Ausgeschlossene muss seine Einlage bis zur Beendigung der schwebenden Geschäfte in der Gesellschaft lassen oder eine Sicherheit stellen und verliert außerdem - „als wohlverdiente Strafe" - seinen Anspruch auf Gewinn oder sonstige Entschädigung (Art. 215). Den stillen Gesellschafter schließt Art. 237 nicht nur von aller Geschäftsführung, sondern sogar auch von einer Bevollmächtigung aus: Wer nur eine bestimmte Summe wage, solle nicht Gelegenheit haben, „die Interessen der Gesellschaft und der Gläubiger aufs Spiel zu setzen." 147 Gestattet wird dem Stillen lediglich, an den „Gesellschaftsberatungen" Anteil zu nehmen (Art. 237 Abs. 2); da jede nähere Erläuterung dieser Bestimmung fehlt, bleibt offen, ob v. Hofacker hier an ein Tätigwerden innerhalb eines mit bestimmten Kompetenzen ausgestatteten Gesellschaftsorgans gedacht hat und ob diese ,Anteilnahme" in einem „Zuhören", einem „Mitberaten" oder in einer Teilnahme an Abstimmungen bestehen sollte. Während ausdrücklich hervorgehoben wird, ohne Bewilligung der übrigen Gesellschafter dürfe sich der „Commanditär" bei den Beratungen nicht von einem Dritten vertreten lassen 148 , bleiben Kontroll- und Informations-
143
WE-Motive, S. 167, 196. Art. 214 W E erwähnt ferner die Anmaßung einer nach dem Gesellschaftsvertrag nicht zustehenden Geschäftsführung, die säumige Entrichtung der Einlagen und die Nichterfüllung der schuldigen Dienstleistungen, sowie den Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot. 145 WE-Motive, S. 196. 146 WE-Motive, S. 197. 147 WE-Motive, S. 213. An anderer Stelle heißt es, müsste zu „ungeordneten Speculationen" führen, könne ein OHG-Gesellschafter nur einen Teil seines Vermögens wagen; vgl. a.a.O., S. 195. 148 WE-Motive, S. 215. Auch dem offenen Gesellschafter sei es untersagt, seine Stelle ohne Einwilligung der Übrigen „bei Geschäften oder Verhandlungen der Gesellschaft dauernd oder zeitweise durch einen Dritten versehen zu lassen", also z. B. zum Rechnungsabschlüsse einen dritten Mandatar zu schicken. 144
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$ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
rechte der stillen Gesellschafter völlig ungeregelt. Die Vorschrift des Art. 204 W E soll auf sie jedenfalls keine Anwendung finden
II. Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuchesfür
Deutschland
Auch die Verfasser des Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (Frankfurter E n t w u r f - FE) wollen die gesetzlich zulässigen Gesellschaftsformen begrenzen und zwar in ähnlicher Weise, wie dies schon im Württemberger Entwurf geschehen ist. Allerdings lehnen sie sich bei der Definition der CommanditenGesellschaft stärker an Art. 23 Code de Commerce an; eine solche Gesellschaft sei vorhanden, „wenn einer oder mehrere der Gesellschafter als verantwortliche und solidarisch verhaftete auftreten, während einer oder mehrere andere Gesellschafter sich bloß durch Vermögenseinlagen betheiligen." 150 Begründet wird der numerus clausus der Gesellschaftsformen mit der Bemerkung, es scheine kein Bedürfnis vorhanden zu sein, noch mehrere Arten von Gesellschaften aufzustellen, bei welchen die Verhältnisse der Gesellschafter zu dritten Personen anders geregelt wären; bei den Beziehungen „der Gesellschafter unter sich" sei ohnehin jede im Gesetz nicht verbotene vertragsmäßige Modifikation zulässig 151 . Ausdrücklich für unzulässig erklärt das Gesetz nur die Vereinbarung, einer oder mehrere Gesellschafter hätten am Gewinn gar keinen Anteil; sie soll den ganzen Gesellschaftsvertrag nichtig machen 1 2 . In den Motiven heißt es zudem, kein Gesellschafter könne sich verpflichten, für immer in der Gesellschaft zu bleiben 1 5 3 . Betont wird, es sei durchaus fraglich, ob „die Rechtsverhältnisse der Gesellschafter unter sich" überhaupt von Gesetz geregelt werden sollten. Jedoch stünden zum einen die inneren und äußeren Beziehungen der Gesellschafter vielfach in einem sehr nahen Zusammenhang; zum anderen könnten die Streitigkeiten unter den Gesellschaftern nicht nur an Schiedsrichter, sondern auch an Handelsgerichte herangetragen werden. So erscheine es „fast als nothwendig", die Lehre von den Gesellschaften vollständig zu behandeln 1 5 4 . Die Vorschriften des Frankfurter Entwurfes zum Innenrecht der von ihm als „Collectiv-Gesellschaft" bezeichneten offenen Handelsgesellschaft 155 weichen in einigen Punkten vom Württemberger Entwurf ab. Auch nach dem Frankfurter Entwurf soll je149
Art. 242 WE zählt konkret auf, welche Vorschriften zur offenen auch für die stille Gesellschaft gel-
ten. 150 Art. 61 Abs. 1. Beim Frankfurter Entwurf beginnt die Zählung der Artikel in jedem Titel neu. Hier beziehen sich alle Angaben auf den Dritten Titel „Von Handelsgesellschaften". 151 Motive, nachgedruckt bei Baums, Handelsgesetzbuch, S. 124. 152 Art. 28 Abs. 1; der Vertrag soll jedoch unter Umständen als Schenkungsvertrag Bestand haben (Abs. 2). Diese Bestimmung gehört zu denjenigen, die gemäß Art. 72 auch auf die Commandit-Gesellschaft Anwendung finden. 153 Motive, S. 145. Dass es den Parteien generell unbenommen sei, hinsichtlich der Beendigung des Vertrages „jede mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten nicht in Widerspruch stehende Verabredung" zu treffen, verstehe sich von selbst. A.a.O., S. 143. 154 Motive, S. 124.
C.
Gesetzentwürfe
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der Gesellschafter im Zweifel geschäftsführungs- und vertretungsberechtigt sein 1 5 6 . Während aber beim Württemberger Entwurf nur in den Motiven einige Angelegenheiten als nicht zur normalen Geschäftsführung gehörend gekennzeichnet werden, umreißt im Frankfurter Entwurf schon der Wortlaut des Gesetzes die Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis: „Als in den Bereich der gewöhnlichen Geschäfte der Gesellschaft fallend wird insbesondere nicht betrachtet die Veräußerung von Immobilien, die Stellung derselben zur Hypothek, die Vornahme von Neuerungen an Immobilien, die Veräußerung oder Verpfändung von Gegenständen, welche zum Betriebe der gesellschaftlichen Geschäfte erforderlich sind." 1 5 7 Die Motive erläutern diese Vorschrift mit der Bemerkung, eine nähere Bestimmung des Bereiches der gewöhnlichen Geschäfte sei, ohne in Kasuistik zu verfallen, nicht möglich. Zu den ausdrücklich vom Gesetz erwähnten Angelegenheiten „von besonderer Wichtigkeit" könnten vielleicht noch „die Eingehung eines Compromisses und die Abschließung eines Vergleiches hinzugefügt werden". 1 5 8 Generell kann jeder Gesellschafter der Durchführung eines bestimmten Geschäfts widersprechen (Art. 3 2 Abs. 1); jedoch ist ein Gesellschafter, dem die Geschäftsführung durch eine gesellschaftsvertragliche Regelung übertragen wurde, ungeachtet des Widerspruchs der anderen Gesellschafter befugt, alle zur übertragenen Geschäftsführung gehörenden Handlungen vorzunehmen, „vorausgesetzt, daß er ohne Arglist handelt" 1 5 9 . Die von Art. 199 Abs. 1 W E a u s dem spanischen Recht übernommene Vorschrift, welche es den von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern gestattet, dem einzigen Gesellschafter bei Pflichtverletzungen einen weiteren Geschäftsführer an die Seite zu stellen, wird abgelehnt. Das Aufdrängen eines Mitgeschäftsführers scheine kein geeignetes Mittel zu sein, um „die Mißstände aufzuheben, welche eintreten, wenn die Gesellschafter sich in der Wahl desjenigen geirrt, welchen sie an die Spitze der Geschäfte gestellt haben." Sei der Geschäftsführer nicht bereit, Rat anzunehmen, so müsse entweder der Auftrag entzogen oder die Gesellschaft aufgelöst werden
155
. Der Frankfurter Entwurf lässt deshalb den Widerruf der Ge-
Die Verfasser des Frankfurter Entwurfs wandten sich bewusst von der Bezeichnung „offene Han-
delsgesellschaft" ab, weil „Collectiv-Gesellschaft" der bezeichnendste Name sei. Motive, S. 125. 156
Vgl. Art. 32 Abs. 1 und Art. 3 9 Abs. 1. Die Motive, S. 137, heben insoweit hervor, es sei „übrigens
nicht zu übersehen", dass der Entwurf die Verhältnisse unter den Gesellschaftern und die Beziehungen zu Dritten unterscheide. 157
Art. 32 Abs. 2. Die Vertretungsmacht der Gesellschafter wird dagegen durch Art. 3 9 Abs. 2 nur we-
nig beschränkt: „Ist jedoch das Geschäft der Gesellschaft fremd, oder ist das Recht des Gesellschafters Namens der Gesellschaft zu handeln, aufgehoben oder eingeschränkt, und gehen diese Thatsachen aus der gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichung (Art. 7 bis 9) hervor, oder sind sie auf andere Weise zur Kenntniß der Betheiligten gelangt, so wird die Gesellschaft nicht verpflichtet." 158
Motive, S. 137.
159
Art. 33. In den Motiven, S. 137, wird zur Begründung angeführt, der geschäftsführende Gesell-
schafter sei vom Gesellschaftsvertrag „zum Leiter der gesellschaftlichen Angelegenheiten" gemacht worden, weshalb sein „alleiniges Ermessen" maßgebend sein solle. Auch in den Motiven wird die Vorschrift des Art. 3 3 jedoch nicht dahingehend verallgemeinert, nur (mit-)geschäftsführenden Gesellschaftern stehe ein Widerspruchsrecht zu, von der Geschäftsführung ausgeschlossenen dagegen nicht. 160
Motive, S. 138.
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§5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschafien
schäftsführungsbefugnis unabhängig davon zu, ob diese Befugnis schon im Gesellschaftsvertrag eingeräumt wurde oder nicht; nötig sei aber immer eine „rechtmäßige Ursache" (Art. 34). Der Entwurf geht davon aus, „die Verpflichtung, sich dem Beschlüsse einer Mehrheit zu unterwerfen, ... [könne] ohne ausdrückliche Verabredung nicht angenommen werden, am wenigsten bei Gesellschaften, wo Jeder für die Namens der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten mit seinem ganzen Vermögen solidarisch" hafte 1 6 1 . Zwar ist keineswegs beabsichtigt, abweichende Gestaltungen, wie die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips für die Beschlussfassung oder die Übertragung der Geschäftsführung auf einzelne Gesellschafter, zu untersagen 162 , die Regelung der sich hieraus ergebenen Folgefragen überlassen die Entwurfsverfasser jedoch — sieht man vom gesetzlich geregelten Widerruf der Geschäftsführungsbefugnis ab - vollständig den Gesellschaftern. So merken die Motive z. B. zu Art. 32 an: Die Gegebenheiten des kaufmännischen Verkehrs rechtfertigten die Vermutung, jeder Gesellschafter dürfe die zur gewöhnlichen Geschäftsführung gehörenden Geschäfte allein besorgen. „Wollen die Gesellschafter sich dieses Vertrauen nicht gegenseitig schenken, so müssen sie durch Vertrag besonders aussprechen, wie es mit der Geschäftsführung gehalten werden soll." Bei der Collektiv-Gesellschaft bleiben zudem Beratungen und Beschlüsse der Gesellschafter selbst in den Motiven ebenso unerwähnt, wie Rechenschaftspflichten oder Einsichts- und Aufsichtsrechte 164 . Gesetzliches Leitbild ist mithin eine Gesellschaft bei der alle Gesellschafter an der Geschäftsführung teilnehmen und deshalb über deren Angelegenheiten gut informiert sind; wo ein jeder Gesellschafter der Durchführung eines bestimmten Geschäfts widersprechen kann. Der Orientierung an diesem eng gefassten gesetzlichen Leitbild ist es ferner zu verdanken, dass der Entwurf nur die Auflösung der Gesellschaft regelt und nicht — wie der Württemberger Entwurf — den Ausschluss eines Kompagnons. Jedem einzelnen Gesellschafter müsse die Klage auf Auflösung der Gesellschaft zustehen; dringe er damit durch, sei „das alte gesellschaftliche Band unter Allen zerrissen" 165 . Immerhin wird auch die Auflösung einer auf Zeit eingegangenen Gesellschaft geregelt: Auf Antrag eines Gesellschafters kann vom Richter die Auflösung insbesondere ausgesprochen werden „wenn ein Gesellschafter bei der Geschäftsführung oder bei der Rechnungslegung unredlich verfährt", die Erfüllung
Motive, S. 137. Der Ausschluss aller Gesellschafter von der Geschäftsführung und deren Übertragung auf einen Nichtgesellschafter wird allerdings nirgends erwähnt. Betont wird jedoch, es könne zweckmäßig sein, Dritte mit der Liquidation zu beauftragen. Motive, S. 148. 163 Motive, S. 137. 164 Dies gilt zumindest für die werbende Gesellschaft. Nach deren Auflösung darf gemäß Art. 53 Abs. 2 jeder Gesellschafter auf einen Beschluss antragen, den bisherigen Geschäftsführer die Liquidation zu entziehen; die nach Köpfen berechnete Stimmenmehrheit entscheidet. Nach dem Ende der Liquidation soll ein Gesellschafter die Bücher und Papiere aufbewahren; ausdrücklich bestimmt Art. 59 Abs. 2, die übrigen (gewesenen) Gesellschafter behielten ihr Einsichtsrecht. 165 Die Übrigen könnten es nur wieder neu knüpfen. Motive, S. 146. An den Bestimmungen des Württemberger Entwurfs gemessen, kehrt der aus Frankfurt mithin wieder ein Stück zum Konzept des Römischen Rechts zurück. Vgl. auch Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 237. 161
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wesentlicher Verpflichtungen verweigert oder Firma und Vermögen der Gesellschaft für Privatzwecke missbraucht (Art. 51). Zur Uberzeugung, man könne bei der Collektiv-Gesellschaft auf ein enges gesetzliches Leitbild abstellen, gelangten die Entwurfsverfasser gewiss auch deshalb, weil sie die Commanditen-Gesellschaft konsequent als Außengesellschaft regelten. Viele Sozietäten, die man bis dahin als besonders ausgestaltete offene Gesellschaften angesehen hätte, wären nach den Vorschriften des Frankfurter Entwurfs zu den CommanditenGesellschaften zu rechnen gewesen. Ihre inneren Verhältnisse mussten deshalb nicht bei der Collektiv-Gesellschaft geregelt werden. Jedoch enthält das Kapitel des Entwurfs „Von Commanditen-Gesellschaften" nur 12 Artikel, die häufig nur aus einem kurzen Satz bestehen. Uber die inneren Verhältnisse der Gesellschaft wird lediglich bestimmt, der Kommanditist dürfe keine Handlungen der Geschäftsführung vornehmen, ja in Angelegenheiten der Gesellschaft nicht einmal als Bevollmächtigter gebraucht werden (Art. 67 Abs. 1). Dies Verbot beziehe sich allerdings nicht auf „die Theilnahme an den Berathungen der Gesellschafter, und an der blos inneren Verwaltung" 1 6 6 . In Art. 72 wird dann auf viele Bestimmungen zu den Collektiv-Gesellschaften weiter verwiesen, hinsichtlich der inneren Verhältnisse handelt es sich dabei allerdings um einen „Leerverweis": Einige Vorschriften sind ausdrücklich ausgenommen ; andere - an sich durchaus erforderliche Regelungen - fehlen . Da die Entwurfsverfasser davon ausgehen, bei der Collektiv-Gesellschaft benötige jede über die ordentliche Geschäftsführung hinausgehende Maßnahme, die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter, bleibt sogar offen, wann die Kommanditisten in jedem Fall zustimmen müssen
III. Preußischer Entwurf eines
Handelsgesetzbuches
„Wie fast alle neueren Handelsgesetze" will auch der Preußische Entwurf nur drei Arten von zulässigen Handelsgesellschaften anerkennen 1 7 0 : Die offene und die stille Handels- sowie die Aktiengesellschaft. Hiermit seien alle Formen erschöpft, in denen sich gegenwärtig der Gesellschaftshandel bewege. Vor allem „die allgemeine Sicherheit"
166 Art. 67 Abs. 2. In den Motiven wird diese Vorschrift mit keinem Wort näher ausgeführt; vgl. zum Begriff der „inneren Verwaltung" Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 243 ff. Dafür wird zu Art. 67 Abs. 1 die Bemerkung der Motive zum Württemberger Entwurf, wer nur mit einer bestimmten Summe hafte, dürfe nicht Gelegenheit haben, Gesellschaft und Gläubiger zu gefährden, fast wortwörtlich wiederholt. Vgl. Motive, S. 150. 167 Nicht verwiesen wird u. a. auf Art. 32; wohl wegen des in Abs. 1 enthaltenen Widerspruchsrecht. An die von Abs. 2 vorgenommene Eingrenzung der gewöhnlichen Geschäftsführung hätte man aber gewiss auch bei den Commanditen-Gesellschaften anknüpfen können. 168 Z. B. Einsichts- und Kontrollrechte, Regelung der Rechenschaftsverpflichtungen. 169 Verwiesen wird lediglich auf Art. 37 (Kein Gesellschafter kann ohne die Einwilligung der übrigen einen Dritten in die Gesellschaft aufnehmen.) und Art. 38 (Kein Gesellschafter kann sich ohne Einwilligung der übrigen bei Gesellschaftsgeschäften und Verhandlungen durch einen Dritten vertreten lassen.). 170 Verwiesen wird auf die Handelsgesetzbücher Frankreichs, Spaniens und Hollands, sowie auf die „neueren Entwürfe". PE-Motive S. 46.
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erfordere, dass „hinsichtlich etwaiger anderer Gestaltungen von gesellschaftlichen Verbindungen, durch welche man sich der persönlichen Verantwortlichkeit nach außen hin entziehen könnte, der Privatwillkür eine Schranke gezogen" werde 171 . Der Preußische Entwurf bestimmt seine „stille Handelsgesellschaft" fast mit den gleichen Worten, die der Frankfurter Entwurf zur Definition der Commanditen-Gesellschaft benutzt hatte 172 ; über den Württemberger und den Frankfurter Entwurf hinausgehend, enthält der Preußische noch in einem besonderen Abschnitt (Art. 156 - 177) Regelungen für die „stille Gesellschaft auf Aktien" 173 . Die Verfasser beachteten nicht nur die Vorschriften des ALR und verschiedener ausländischer Handelsgesetze, sondern auch jene im Württemberger und im Frankfurter Entwurf. Zudem verweisen die Motive - gerade beim Recht der offenen Handelsgesellschaft - auf Beiträge des rechtswissenschaftlichen Schrifttums: Allein Brinckmanns Lehrbuch des Handelsrechts wird sieben Mal erwähnt 1 7 4 .
1. Offene Handelsgesellschaft Die inneren Verhältnisse der O H G regelt der Preußische Entwurf zunächst in den vom Frankfurter Entwurf gezogenen Bahnen: Enthalte der Gesellschaftsvertrag keine besonderen Bestimmungen, so seien alle Gesellschafter in gleicher Weise zum Betrieb der Gesellschaftsgeschäfte berechtigt und verpflichtet; jeder Gesellschafter dürfe alle Handlungen vornehmen, „welche der Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich" führe (Art. 104 Abs. 1 PE). Ubertrage der Gesellschaftsvertrag einem der Gesellschafter die Geschäftsführung, so schließe dies die übrigen von der Geschäftsführung aus; ungeachtet des Widerspruchs der Ausgeschlossenen dürfe der Geschäftsführer alle Handlungen ausführen, welche „der Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft" mit sich bringe (Art. 103 Abs. I) 1 7 5 . In den Motiven wird hierzu erläuternd hervorgehoben, „nach strenger Konsequenz" müsste die Geschäftsführung eine gemeinschaftliche sein, „dergestalt, daß die einzelnen Gesellschafter nur auf Beschluß der Gesellschaft handeln könnten" 1 7 6 . Da aber nicht für jede Geschäftsführungshandlung 171
PE-Motive, S. 46. Vgl. hierzu auch K.Schmidt, Stellung der O H G , S. 131. Vgl. Art. 144 Abs. 1 PE. In den PE-Motiven, S. 46, heißt es, die in Deutschland gebräuchlichen Benennungen bezeichneten das Wesen der Sache ebenso gut wie die fremdländischen Namen: Kollektiv-, Kommandit- und anonyme Gesellschaft. Kritik an „Kollektivgesellschaft" hatte Brinckmann, AcP 34 (1851), 151, 153, geäußert. 173 Art. 236 WE und Art. 70 FE hatten jeweils nur allgemein erklärt, die stille Einlage bzw. das Commandit-Kapital könne in Aktien zerlegt werden. 174 Verwiesen wird ferner auf Brinckmanns Kritik des Frankfurter Entwurfs in AcP 34 (1851), 151 ff., auf den Handelsgesetzbuch-Kommentar von Broicher und Grimm sowie auf Treitschke, Gewerbegesellschaft. In den Motiven zur stillen Gesellschaft erscheint Brinckmanns Handelsrecht fünfmal und einmal das von Thöl. Bei der Erläuterung des Aktienrechts findet in den PE-Motiven, S. 89 ff., dagegen kein einziger Beitrag des rechtswissenschaftlichen Schrifttums Erwähnung. 175 Wie im Frankfurter Entwurf wird also zunächst die Geschäftsführung durch einen und erst danach jene durch alle Gesellschafter behandelt, vgl. Art. 33, 32 Abs. 1 FE. Anders dagegen Art. 196 ff. WE. 176 Dies gelte jedenfalls für das Verhältnis unter den Gesellschaftern. In den Beziehungen zu Dritten erforderten die Bedürfnisse des Handelsverkehrs, dass jeder Gesellschafter bei der Geschäftsführung so 172
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ein Gesellschaftsbeschluss gefordert werden könne, müsse man insoweit den einzelnen Gesellschaftern „eine gewisse Selbständigkeit" einräumen. „Das allein Praktische und Richtige" scheine es zu sein, auf die zum Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft gehörenden Maßnahmen abzustellen 177 . Interessant, weil ein gewisses Konfliktpotential unter den Gesellschaftern durchaus einkalkulierend, ist die Begründung dafür, dass von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern kein Widerspruchsrecht gegen Geschäftsführungsmaßnahmen zusteht: Nehme man hier ein freies Widerspruchsrecht an, so könnten „die vertragsmäßigen Rechte derjenigen Gesellschafter gekränkt werden, welche der Gesellschaft nur mit Rücksicht darauf beigetreten sind, daß die Mitglieder, zu welchen sie kein unbedingtes Zutrauen haben, von aller Einmischung in die Geschäftsführung ausgeschlossen wurden." 178 Anders als der Frankfurter Entwurf unternimmt der aus Preußen keinen Versuch, die Grenzen der Geschäftsführungsbefugnis generell noch näher zu umreißen; dafür enthält er jedoch Bestimmungen über die Beschlussfassung der Gesellschafter: Ein „Beschluß der sämmtlichen Gesellschafter" muss zunächst bei allen Geschäften eingeholt werden, „welche über den Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgehen" 179 , wobei die Beschlüsse der Gesellschafter „nach Stimmenmehrheit" gefasst werden (Art. 105). Nach Auffassung der Entwurfsverfasser soll das aus dem ALR übernommene Mehrheitsprinzip 180 den Bedürfnissen der Handelsgesellschaften besser entsprechen, als jene gemeinrechtliche Lehre, die zu jedem Beschlüsse der Gesellschafter Einstimmigkeit verlange. Zwar habe man dem entgegengehalten, für einen unbeschränkt und solidarisch haftenden Gesellschafter könne die Unterwerfung unter einen Mehrheitsbeschluss höchst gefährlich werden. „Nichts desto weniger ist zu erwägen, daß ein Handelsbetrieb in der That kaum möglich sein würde, wenn die Vornahme eines jeden Geschäfts an dem willkürlichen Widerspruche eines Einzelnen scheitern könnte." Nicht denkbar sei, dass die Teilnehmer einer Handelsgesellschaft zwar den Zweck gewollt hätten, nicht aber das Mittel, jenen Zweck zu erreichen; so könne durchaus angenommen werden, sie hätten sich stillschweigend dem Beschluss der Majorität unterworfen 181 . Da generell die Mehrheit entscheiden soll, lässt der Entwurf konsequent die Durchführung einer konkreten (Geschäftsführungs-)Maßnahme nicht schon am Widerspruch einzelner Gesellschafter scheitern; der Widerspruch hat aber
lange als unbeschränkt gelte, als nicht besondere Beschränkungen bekannt gemacht worden seien. PEMotive, S. 57. 177 Die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen Verwaltungs- u n d Veräußerungshandlungen eigne sich nicht zur Abgrenzung, weil die Verwaltung eines Handelsgewerbes vorzugsweise in der Vornahme von Veräußerungen bestehe; der Vorschlag, alles dem freien Ermessen des Richters zu überlassen, führe zur völligen Rechtsunsicherheit. PF.-Motive, S. 57. 178 PE_V[otive, S. 57, S. 58. In seiner Besprechung des Preußischen Entwurfs vertritt Golilschmidt, KZgRw, 4 (1857), 289, 302 f., unter Verweis auf Art. 1856 C o d e Civil die Auffassung, auch den von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschaftern müsse ein Widerspruchsrecht zustehen, falls die H a n d l u n g des Geschäftsführers nur die Benachteiligung der Gesellschaft zum Zweck haben könne. 179 Art. 106 Abs. 1. In den PE-Motiven, S. 59, wird diese Formel lediglich wiederholt. 180 Verwiesen wird auf § 2 0 9 1 1 7 ALR. Vgl. hierzu § 2 B 1.4. 181 PE-Motive, S. 59.
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§ 5 Recht der nicht konzessionierten
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zur Folge, dass ein Beschluss aller Gesellschafter entscheiden muss (Art. 104 Abs. 2). Gleiches gilt, wenn die Geschäftsführung mehreren Gesellschaftern - unter Ausschluss der übrigen — übertragen wurde und einer der Geschäftsführer Widerspruch einlegt (Art. 103 Abs. 2 Satz 2). In diesem Fall entscheidet mithin die Gesellschaftergesamtheit, einschließlich der an sich von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter, über eine Angelegenheit der normalen Geschäftsführung Der Preußische Entwurf differenziert nicht nur zwischen Maßnahmen der (gewöhnlichen) Geschäftsführung und Angelegenheiten, welche die Gesamtheit der Gesellschafter zu beraten und beschließen hat; er hebt zudem eine dritte Kategorie von Entscheidungen noch besonders ab: „Beschlüsse, deren Zweck der Handelsgesellschaft fremd ist, oder welche den Inhalt des Gesellschaftsvertrages oder das durch ihn begründete rechtliche Verhältniß der Gesellschafter ändern sollen, bedürfen der Zustimmung aller Gesellschafter." (Art. 106 Abs. 2). Die Erläuterungen der Motive führen hier allerdings nicht weiter; verwiesen wird nur auf Maßnahmen, für deren Vornahme das Gesetz ohnehin schon die Einwilligung sämtlicher Gesellschafter verlangt: die Aufnahme eines Dritten in die Gesellschaft (Art. 102 Abs. 1) und die Erhöhung der Einlagen (Art. 97) 1 8 3 . Einstimmigkeit verlangt aber wohl auch die Auflösung der Gesellschaft vor der vereinbarten Zeit 1 8 4 ; eventuell auch die Befreiung vom Wettbewerbsverbot (Art. 101). Explizit von einer Beschlussfassung mit Stimmenmehrheit ist dagegen die Rede bei der Bestimmung von anderen Personen als die ehemaligen Geschäftsführer zu Liquidatoren und der Abberufung eines solchen Liquidators 1 8 5 sowie bei der Festlegung desjenigen Gesellschafters, der nach Beendigung der Liquidation die Gesellschaftsbücher in Verwahrung nimmt (Art. 138 Abs. 1). Eine Rechenschaftspflicht des bzw. der Geschäftsführer wird vom Preußischen Entwurf nicht näher geregelt. Man ging offenbar von dem Gedanken aus, ein OHG-Gesellschafter könne sich die benötigten Information selbst beschaffen 186 . In diesem Sinne bestimmt Art. 108 Abs. 1: „Jeder Gesellschafter, auch wenn er nicht in dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaft thätig ist, kann sich selbstständig von dem Gange der Gesellschaftsangelegenheiten unterrichten; er kann jederzeit in das Geschäftslokal kommen, die Handlungsbücher und Papiere der Gesellschaft einsehen und auf ihrer Grundlage eine Bilanz zu seiner Uebersicht anfertigen." Selbstredend könne man die Gesellschafter nicht daran hindern, auf dieses Recht zu verzichten 187 . In diesem Sinne betont dann auch der an das Ende des Abschnitts „Von dem Rechtsverhältniß der Ge182 Goldschmidt, KZgRw, 4 (1857), 289, 304, schlägt vor, die Gesellschaftergesamtheit auch über den Widerspruch gegen eine angeblich unredliche Maßnahme des Geschäftsführers und über die Factor-Bestellung beschließen zu lassen. Uber letztere Maßnahme sollen gemäß Art. 107 Abs. 1 PE — sofern geschäftsführende Gesellschafter bestellt sind - diese allein entscheiden. 183 Vgl. PE-Motive, S. 59. 184 In Art. 118 Ziffer heißt es: „durch gegenseitige Übereinkunft". Die Motive erläutern dies nicht näher. 185 Art. 128 Abs. 2 und Art. 129 Abs. 1 PE. 186 Im Art. 121 Abs. 3 Ziffer 2 heißt es allerdings, die vorzeitige Auflösung der Gesellschaft könne ausgesprochen werden, wenn ein Gesellschafter bei der Rechnungslegung unredlich verfahre. 187 PE-Motive, S. 60.
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sellschafter zur Gesellschaft" (Art. 96 ff.) gestellte Art. 113 PE, die gesetzlichen Bestimmungen kämen nur insoweit zur Anwendung, als nicht von den Gesellschaftern vertragsmäßig ein anderes bestimmt sei. Die Motive bemerken zu dieser Bestimmung, da die Vorschriften des Abschnitts „im alleinigen Interesse der Gesellschafter gegeben" seien, habe es keine Bedenken, den Gesellschaftern ihre Abänderung zu gestatten. Zudem solle Art. 113 PE schärfer verdeutlichen, dass von den Regelungen der übrigen Abschnitte nur dort abgewichen werden dürfe, wo das Gesetz dies explizit gestatte 188 . Jedoch enthält auch der Abschnitt über die inneren Gesellschaftsverhältnisse verschiedene Vorschriften, über welche sich die Vereinbarung der Gesellschafter definitiv nicht einfach hinwegsetzen kann: Art. 108 Abs. 2 erklärt eine Beschränkung der Gesellschafter-Informationsrechte für wirkungslos, „wenn ein Betrug in der Geschäftsführung nachgewiesen" werden kann 1 8 . Gemäß Art. 111 Abs. 1 ist ein Gesellschaftsvertrag „ungültig", der einen Gesellschafter von der Teilnahme am Gewinn ausschließt, da eine solche Abrede dem Wesen des Gesellschaftsvertrages widerspreche 190 . Schon aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergebe sich zudem die Unverbindlichkeit eines Vertrages, durch den sich jemand zur Fortsetzung einer Gesellschaft auf unbestimmte Zeit verpflichte 1 9 1 . Die auf unbestimmte Zeit errichtete Gesellschaft darf jeder Gesellschafter zum Ende des Geschäftsjahres mit sechs Monaten Frist kündigen 1 9 2 . Die befristete Gesellschaft kann dagegen nur aus wichtigen Gründen aufgekündigt werden; sind die übrigen Gesellschafter hiermit nicht einverstanden, so obliegt die Entscheidung, ob der geltend gemachte Umstand im konkreten Einzelfall von hinlänglicher Wichtigkeit ist, dem „freien Ermessen" des Richters 1 9 3 . Immerhin werden von Art. 121 Abs. 3 einige Fallgruppen aufgezählt, „in welchen die Auflösung in der Regel" ausgesprochen werden könne. Erwähnt werden u. a. die unredliche Geschäftsführung und Rechnungslegung eines Gesellschafters, die Nichterfüllung wesentlicher Verpflichtungen sowie der Missbrauch von Firma oder Gesellschaftsvermögen für Privatzwecke . Der Austritt eines Gesellschafters ist dem Entwurf an sich unbekannt: Da die OHG immer mit besonderer Berücksichtigung der Individualität der einzelnen Teilnehmer eingegangen werde, könne die auf einzelne Gesellschafter beschränkte „partielle Auflösung" nur unter besonderen Umständen als zulässig anerkannt werden 1 9 5 . Eine Fortsetzung der Gesellschaft unter den verbleibenden Kompagnons ist zum einen möglich, wenn ein entsprePE-Motive, S. 62. Diese Regelung erscheine „der Natur eines solchen besonderen Vertrauensverhältnisses angemessen". PE-Motive, S. 60. Eine entsprechende Vorschrift war schon im ALR § 223 1 17 enthalten gewesen. 190 PE-Motive, S. 61. 191 PE-Motive, S. 66. 192 Art. 118 Abs. 1 Ziffer 6, Art 119. 193 Vgl.Art. 121 Abs. 1, 2; PE-Motive, S. 68. Die Regelung findet auch auf die fristlose Kündigung einer unbefristeten Gesellschaft Anwendung. 194 Es sei unmöglich, alle Umstände aufzuzählen, die einen Gesellschafter berechtigen könnten, die Auflösung der Gesellschaft zu verlangen. PE-Motive, S. 67 f. In Art. 101 Abs. 2 wird noch explizit betont, bei Verstößen gegen das Wettbewerbsverbot bestehe „in geeigneten Fällen" das Recht, die Auflösung herbeizuführen. 188
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chender schriftlicher Vertrag der Gesellschafter vor Auflösung der Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen worden war (Art. 122) . Zum anderen kann der Richter in Fällen, in denen die Gesellschaft aus in der Person eines Gesellschafters liegenden Gründen vorzeitig aufgelöst werden könnte, auf dessen Ausschluss erkennen, jedoch nur, wenn dies von sämtlichen verbleibenden Gesellschaftern beantragt wird (Art. 123).
2. Stille Handelsgesellschaft Der Preußische Entwurf regelt die (einfache) stille Handelsgesellschaft in nur zwölf Artikeln ; wie beim Württemberger und Frankfurter Entwurf wird auf das Recht der offenen Handelsgesellschaft verwiesen, allerdings ohne Angabe einzelner Normen: Gemäß Art. 155 sollen die Bestimmungen des vorherigen Titels zur Anwendung kommen, soweit dem keine besonderen Vorschriften entgegenstehen 198 . Ausdrücklich untersagt wird dem stillen Gesellschafter die Beteiligung an Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft 199 , ebenso explizit heißt es jedoch auch, „diese Bestimmung [finde] auf die Theilnahme an den Berathungen und an der innern Verwaltung der Gesellschaft keine Anwendung" 200 . Während Württemberger und Frankfurter Entwurf die Informationsrechte des Kommanditisten völlig ungeregelt lassen, bestimmt Art. 150 PE: „Der stille Gesellschafter ist berechtigt, die abschriftliche Mittheilung der jährlichen Bilanz zu verlangen und die Richtigkeit derselben zu prüfen." Nicht ganz klar ist, ob diese Vorschrift die Informationsrechte des „stillen Gesellschafters" - für den Preußischen Entwurf ein gleichberechtigter Teilnehmer der (Haupt-) Gesellschaft - abschließend regeln oder nur exemplarisch verdeutlichen soll. In den Motiven wird betont, das Recht zur Einsicht und Prüfung der jährlichen Bilanz sei „in dem Gesellschaftsverhältnisse begründet"; zudem wird auf Art. 310 des spanischen Cödige de Comercio von 1829 verwiesen201. Art. 310 Codigo regelte als Norm des allgemeinen Ge195 Der Entwurf unterscheide sich insoweit vom ALR, das totale und partielle Auflösung nicht als Regel und Ausnahme, sondern als gleichberechtigte Aufhebungsarten ansehe. PE-Motive, S. 64 f. 196 Eine solche im Gesellschafts- oder in einem „Nachtragsvertrage" vereinbarte Klausel mache deutlich, dass die Gesellschaft „nach dem übereinstimmenden Willen aller Kontrahenten von der Persönlichkeit der ausscheidenden Mitglieder unabhängig" sei. PE-Motive, S. 68. 197
Weitere 22 Artikel (156 - 177) beschäftigen sich mit der stillen Handelsgesellschaft auf Aktien. An sich verweist Art. 155 auf den „Zehnten Titel"; hierbei handelt es sich aber offenbar um einen Druckfehler. In den PE-Motiven, S. 80, ist jedenfalls — auch inhaltlich korrekt — vom zweiten Titel die Rede. 198
199 Art. 149 Abs. 1. Begründet wird die Vorschrift wie folgt: „Die Erfahrung hat gelehrt, daß öfters die stillen Gesellschafter eine Person ohne alles Vermögen nur dem Namen nach als Geranten an die Spitze stellen, während sie die Geschäfte selbst und sogar mit Rücksicht auf ihren besonderen Handel leiten, im Falle von Verlusten aber sich hinter den Gesellschaftsvertrag zurückziehen, nach welchem sie nur mit ihren Einlagen zu haften brauchen." PE-Motive, S. 78. 200 Art. 149 Abs. 2. Die Vorschrift ist dem Frankfurter Entwurf (Art. 67 Abs. 2) entnommen, vgl. C II.; wohl deshalb vermögen die PE-Motive nicht näher auszuführen, was zur „inneren Verwaltung" gehören soll. 201
PE-Motive, S. 78.
C.
Gesetzentwürfe
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sellschaftsrechts unentziehbare (Mindest-)Informationsrechte eines jeden Gesellschafters 202 ; nur die Aktiengesellschaften durften mit besonderen statutarischen Bestimmungen hiervon abweichen 2 0 3 .
3. Stille Handelsgesellschaft auf Aktien Die Verfasser des Preußischen Entwurfs sind der Auffassung, bei der stillen Gesellschaft auf Aktien, deren Errichtung keiner staatlichen Konzession bedürfe, müsse das Gesetz für den Schutz von Publikum und Aktionären „durch geeignete Vorschriften über die Form der Errichtung und die Organisation solcher Gesellschaften die erforderliche Vorsorge treffen." 20 Als „Schwerpunkt in der Organisation" 2 0 5 ist die Bildung eines Verwaltungsrats obligatorisch vorgeschrieben (Art. 158 Abs. 1). Dessen Hauptaufgabe ist die Überwachung der „Geschäftsführung der Gesellschaft in allen Zweigen ihrer Verwaltung"; hierzu kann er sich u. a. „von dem Gange der Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichten, die Bücher und Schriften derselben einsehen und den Bestand der Gesellschaftskasse untersuchen." Hiervon abgesehen bleiben Einzelheiten der inneren Organisation weitgehend ungeklärt, auch in Bezug auf das Verhältnis von Generalversammlung und Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat soll die Gesamtheit der stillen Gesellschafter „in Beziehung auf die Führung der Geschäfte, die Bestimmung der Gewinnvertheilung, die Auflösung oder Kündigung der Gesellschaft und die Befugniß, das Ausscheiden eines offenen Gesellschafters zu verlangen", vertreten, wobei er auf Beschluss der Generalversammlung zu handeln hat, „insofern nicht im Gesellschaftsvertrag ein Anderes bestimmt ist." 2 0 7 Einige wenige Kompetenzen werden der Generalversammlung explizit zugeordnet 208 .
202 In der Übersetzung von F.C. Schumacher aus dem Jahr 1832 hatte Art. 310 Abs. 1 Código de Comercio folgende Fassung erhalten: „In keiner Handelsgesellschaft, zu welcher Gattung sie auch gehöre, darf man den Gesellschaftern die Untersuchung aller Beweisstücke der Bilanzen, die zur Erweisung des Standes der Societätsverwaltung aufgemacht werden, verweigern." 203 In diesem Sinne heißt in den PE-Motiven an anderer Stelle (S. 86): Bei der stillen Gesellschaft auf Aktien ist es gerechtfertigt, „daß die Befugnisse, welche gesetzlich den stillen Gesellschaftern im Verhältniß zu den offenen Gesellschaftern bezüglich der Kontrollirung der Geschäftsführung, der Einsicht der Gesellschaftsbücher und Papiere u. s. w." zustehen, nicht vom einzelnen Aktionär, sondern nur von deren Gesamtheit ausgeübt werden können. 204 PE-Motive, S. 83. Bei der Aufstellung des Entwurfs habe deshalb das französische Gesetz vom 17.07.1856 über die Kommanditaktiengesellschaften „die gebührende Berücksichtigung gefunden." A.a.O., S. 81. 205 So die Formulierung der PE-Motive, S. 83, die zugleich hervorheben, auf dem Verwaltungsrate beruhe „hauptsächlich die Sicherheit, welche das Gesetz den stillen Gesellschaftern und den Gesellschaftsgläubigern gewährt gegen Benachtheiligungen durch die Geschäftsführung der persönlich haftenden Gesellschafter." 206 Art. 165. Goldschmidt, KZgRw, 4 (1857), 289, 358, vertritt die Auffassung, während der Geschäftsstunden sollten auch die einzelnen Aktionäre die Bücher der Gesellschaft in deren Geschäftslokal einsehen können. 207 Art. 164. Weitere gesetzliche Bestimmungen grenzen die Gestaltungsfreiheit jedoch noch ein: Nach Art. 165 prüft der Verwaltungsrat Jahresrechnung und Bilanzen sowie die Vorschläge zur Gewinn-
228
§ 5 Recht der nicht konzessionierten Gesellschaften
IV. Resümee Alle Entwürfe wollen die Anzahl möglicher Gesellschaftsformen beschränken, wobei offenbar schon die internationale Entwicklung (Code de Commerce, Código de Comercio, Wetboek van Koophandel) den Anstoß hierzu gibt. Der Württemberger Entwurf begründet die Einführung eines numerus clausus der Rechtsformen zudem recht allgemein — mit der nötigen Wahrung der Interessen Dritter, der Frankfurter Entwurf behauptet, für weitere Rechtsformen fehle ein praktisches Bedürfnis und der Preußische Entwurf verweist pauschal auf die „allgemeine Sicherheit", die es nötig mache, der privatautonomen Gestaltungsmacht insoweit eine Grenze zu ziehen. Tatsächlich bewirkt der numerus clausus der Rechtsformen eine sehr wesentliche Beschränkung der Gesellschaftspraxis; dieser soll die Freiheit genommen werden, selbst geeignete Organisationsformen herauszubilden. Die Entwürfe wollen mithin die vollkommen eigenverantwortlich wahrzunehmende Verbandssouveränität, die bei den nicht konzessionierten Gesellschaften in weiten Teilen Deutschlands immer noch besteht, auf eine Freiheit der Gesellschafter reduzieren, ihren Verband im Rahmen der vorgegebenen Rechtsformen zu organisieren: Aus souveräner Entscheidungsfreiheit soll eine präformierte Typenwahlfreiheit werden. Allerdings hat die Praxis des Gesellschaftswesens die drohende Beschränkung ihrer Gestaltungsfreiheiten durchaus mitzuverantworten, denn das gesetzgeberische Motiv des erforderlichen Gläubigerschutzes ist wohl nicht vorgeschoben: Die Erläuterungen gerichtlicher Entscheidungen aus dieser Zeit erhellen, dass die Vorstände nicht konzessionierter Aktiengesellschaften, denen man zumindest in Teilen Deutschlands gestattet hatte, die Haftungsverfassung der AG eigenverantwortlich auszugestalten (vgl. A III), offenbar nicht nur in Einzelfall versuchen, unter Verweis auf die eigene Gestaltung den Gesellschaftsgläubigern die Verfolgung von Ansprüchen de facto unmöglich zu machen 209 . Bei der näheren Ausgestaltung der numerus clausus der Rechtsformen gehen die Entwürfe unterschiedliche Wege: Der aus Württemberg kennt neben der offenen Gesellschaft nur die stille Beteiligung an einem fremden Handelsgewerbe. Wegen der Zurückhaltung bei der Ausdifferenzierung verschiedener Gesellschaftsformen müssen der offenen Gesellschaft des Württemberger Entwurfs überaus verschiedene rechtstatsächliche Erscheinungen zugeordnet werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Entwurf für die innere Organisation der höchst unterschiedlichen Verbände nur wenige Verteilung; hierüber hat er der Generalversammlung Bericht zu erstatten. Art. 167 ermächtigt den Verwaltungsrat „auf Beschluß der Generalversammlung" die Auflösung der Gesellschaft zu fordern. 208 Neben der Wahl des Verwaltungsrats wird noch die Bestimmung dessen „Belohnung" (Art. 158 Abs. 3), die Genehmigung von Sacheinlagen und besonderen Vorteilen (Art. 159 Abs. 1 Ziffer 3) sowie der Beschluss, die Auflösung der Gesellschaft zu verlangen (Art. 167), erwähnt. 205 In einem Verfahren, das schließlich vor das OAG Dresden gelangte, machten die Kläger Gewährleistungsansprüche geltend. Die Direktoren der verklagten nicht konzessionierten A G verteidigten sich mit der Argumentation, die Gesellschaft also solche sei nicht rechtsfähig und könne deshalb auch nicht verklagt werden und sie selbst, d. h. die Direktoren, seien nicht verpflichtet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen. Vgl. Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle 4 (1844), S. 201 ff. Ahnlich auch Appellationsgericht Altenburg, Blätter für die Rechtspflege in Thüringen und Anhalt 10 (1863), 140 ff.
C. Gesetzentwürfe
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allgemeine Bestimmungen treffen kann und ansonsten gezwungen ist, die nähere Ausgestaltung der Binnenordnung den Gesellschaftern zur eigenverantwortlichen Wahrnähme zu überlassen: nicht nur die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips für die Beschlussfassung unter den Gesellschaftern wird für möglich gehalten, sondern selbst deren vollständiger Ausschluss von der Geschäftsführung. Der Frankfurter Entwurf stellt der O H G die Kommanditgesellschaft an die Seite, die er konsequent als Außengesellschaft regelt. Verglichen mit dem Württemberger Entwurf wird der Katalog der Rechtsformen mithin erweitert, was es möglich macht, die Leitbilder der einzelnen Gesellschaften schärfer zu fassen. Eine gesetzliche Regulierung deren innerer Organisation erscheint nun nicht mehr von vornherein ausgeschlossen. Den Verfassern des Frankfurter Entwurfs ist allerdings bewusst, dass eine mit dem erforderlichen Gläubigerschutz begründete Vorformung bestimmter Gesellschaftstypen durch den Gesetzgeber nicht ohne weiteres auch gesetzgeberische Vorgaben zur Ausgestaltung der Binnenorganisation zu begründen vermag. Insoweit verweist man deshalb ergänzend auf das enge Verhältnis, in dem die inneren und äußeren Beziehungen der Gesellschafter vielfach stünden sowie allgemein auf die erforderliche Rechtssicherheit. Konkret gelangt aber auch der Frankfurter Entwurf bei der näheren Ausgestaltung des Binnenrechts nicht über erste Anfänge hinaus: Beim engen gesetzlichen Leitbild der O H G - ein Zusammenschluss weniger Gesellschafter, die alle an der Geschäftsführung der Gesellschaft teilnehmen und deshalb über deren Angelegenheiten informiert sind — erscheint der Regelungsbedarf denkbar gering. Das Innenrecht der Kommanditgesellschaft bleibt dagegen nahezu ohne gesetzliche Regelung, weil man hier glaubt, sich auf einen (Leer-) Verweis auf das OHG-Recht beschränken zu können. Der Preußische Entwurf fügt dem numerus clausus der Rechtsformen noch die „stille Gesellschaft auf Aktien" hinzu. Letztere Regelung, die so augenscheinlich zur Umgehung des Konzessionssystems einlädt 210 , ist vermutlich mit der Rücksichtnahme auf eine gewachsene Praxis motiviert 211 , wie dieser Entwurf der gesellschaftsrechtlichen Praxis wohl insgesamt am nächsten steht. Der Preußische Entwurf zögert nicht, auch das Innenrecht der Gesellschaften zu regeln, wobei er allerdings versucht, den Bedürfnissen einer größeren „Bandbreite" rechtstatsächlicher Gestaltungen gerecht zu werden. Seine Bestimmungen lassen zwar noch viele Probleme ungelöst; im Ansatz wird aber schon ein relativ umfassendes Regelungskonzept entfaltet. Nahezu unerörtert bleibt dagegen die Frage, was eigentlich den Eingriff des Gesetzgebers in die innere Ordnung der Gesellschaften rechtfertigt; lediglich bei der Stillen Gesellschaft auf Aktien wird knapp auf
210 Goldschmidt, KZgRw, 4 (1857), 289, 353, bemerkte zur stillen Gesellschaft auf Aktien: Ihre Bedeutung wird steigen, „so lange dem wachsenden Unternehmungsgeist die unbedingt freie Wahl zwischen den verschiedenen Associationsformen durch das Princip der Staatseinmischung bei der Bildung und Verwaltung von reinen Aktiengesellschaften entzogen ist". 211 Für die These, dass man kein neues „Schlupfloch" eröffnen, sondern nur die bereits bestehende Praxis (vgl. unter A.) regulieren wollte, spricht u. a. eine Anmerkung zum Entwurf, S. 28, welche schon Überlegungen für die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften auf bereits bestehende Gesellschaften entwirft. Auch bei diesen Gesellschaften sollten innerhalb von sechs Monaten Verwaltungsräte gebildet werden.
230
§ 5 Recht der nicht konzessionierten Gesellschaßen
den nötigen Schutz des Publikums und der Aktionäre verwiesen. Die Einstellung der Entwurfsverfasser dürfte insoweit von der Tatsache mitbestimmt worden sein, dass bereits das geltende Recht (ALR) diverse — die Binnenordnung der Handelsgesellschaften betreffende — Einzelvorschriften enthält (vgl. unter § 2 B I).
D. Allgemeines Deutsches
Handelsgesetzbuch
I. Offene Handelsgesellschaft D e m Recht der offenen Handelsgesellschaft widmet sich die Nürnberger Konferenz vergleichsweise eingehend; innerhalb der 1. Lesung im Februar und März 1 8 5 7 a u f 13 Sitzungen, bei der 2. Lesung im O k t o b e r des gleichen Jahres auf acht Sitzungen und schließlich - im November 1 8 6 0 — hauptsächlich auf zwei Sitzungen im R a h m e n der 3. Lesung. Allerdings benötigt die Konferenz viel Zeit, um einige sehr grundsätzliche Fragen zu klären: In der 1. Lesung wird lange und lebhaft um die Rechtspersönlichkeit der Handelsgesellschaften gestritten 2 1 2 sowie um die begriffliche Bestimmung der O H G und die bei deren Errichtung zu beachtenden Förmlichkeiten 2 1 3 ; in der 2 . Lesung diskutiert man u.a. die Einzelheiten der Gewinnverteilung ausführlich 2 1 4 . M i t dem Innenrecht beschäftigt sich die Konferenz vor allem auf zwei Sitzungen der 1. Lesung.
1. Einflihrung des Einstimmigkeitsprinzips D i e Regelungen des A D H G B zur inneren Organisation der offenen Handelsgesellschaft unterscheiden sich von den entsprechenden Vorschriften des Preußischen Entwurfs zunächst in einem zentralen Punkt. W ä h r e n d nach Art. 1 0 5 Abs. 1 P E d i e Beschlüsse der Gesellschafter m i t einer - nach Köpfen berechneten — Stimmenmehrheit gefasst werden sollen, bestimmt Art. 1 0 3 Abs. 3 Satz 1 A D H G B : „Zur Fassung des Beschlusses ist Stimmeneinhelligkeit erforderlich." Zwar wird der Ubergang vom M a j o r i täts- zum Einstimmigkeitsprinzip von den Mitgliedern der Kommission letztlich ebenfalls „mit Einhelligkeit, ohne daß es einer besonderen Abstimmung bedurft hätte, beschlossen" 2 1 5 ; dem geht jedoch eine längere Diskussion voraus. In dieser wird Art. 1 0 5 Abs. 1 P E zunächst mit dem Argument angegriffen, die in ihm aufgestellte Regel habe nur eine geringe praktische Bedeutung, da sie sich nur auf das Verhältnis unter den G e sellschaftern beziehe und selbst dort nicht zur Anwendung gelange, wenn einem oder
212 Anlass des Streits war Art. 87 PE: „Jede Handelsgesellschaft als solche hat selbstständig ihre Rechte und Pflichten und ihr besonderes Vermögen; sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden; sie kann auf ihren Namen Grundstücke und Forderungen erwerben." 213 Vgl. nur Lutz, Protokolle, S. 153 ff., 161 ff, 172 ff. 214 Lutz, Protokolle, S. 992 ff. 215 Lutz, Protokolle, S. 204.
D. Allgemeines Deutsches
Handelsgesetzbuch
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mehreren Gesellschaftern die Geschäftsführung übertragen worden sei. Es verblieben mithin nur die Gesellschaften, in denen alle Gesellschafter zum Handeln berechtigt seien, doch auch dort komme es höchst selten zu förmlichen Beschlussfassungen. Bei zweifelhaften Fragen würden die Gesellschafter stattdessen regelmäßig durch stillschweigende Zustimmung ihr Einverständnis zu erkennen geben, entweder vor Vornahme der Handlung oder auch danach 21 . Grundsätzlicher ist der Einwand, gegen das Majoritätsprinzip spreche, dass in der Gesellschaft die Persönlichkeit des einzelnen Gesellschafters und sein Wille fortbestehe; „der Wille der Gesellschaft sei nichts anderes, als die Summe der Willensmeinungen aller einzelnen Gesellschafter." Das Prinzip der Stimmeneinhelligkeit sei deshalb für die Erhaltung der Einigkeit unentbehrlich, während das Prinzip des Entwurfes letztlich zu Zerwürfnissen und zur Auflösung führe. „Eine Gesellschaft, in welcher ein Mitglied öfter durch Majoritätsbeschlüsse zur Nachgiebigkeit gezwungen worden sei, werde nicht lange bestehen." 217 Grundsätzlicher ebenfalls der Verweis auf die solidarische Verhaftung der Gesellschafter: Es sei „mit dem inneren Charakter der Societät nicht verträglich, daß zwei Gesellschafter den anderen zwingen könnten, sich wider seinen Willen eine Handlung gefallen und die daraus entspringende Haftung aufbürden zu lassen." 218 Schließlich behauptet man noch, mit der Bestimmung des Art. 105 stünde der Preußische Entwurf, vom ALR abgesehen, ganz allein 219 . Verteidigt wird das Majoritätsprinzip hauptsächlich mit Praktikabilitätserwägungen: Gerade in zweifelhaften Fällen sei es sehr schwer, eine Ubereinstimmung aller Meinungen zu erzielen; insoweit sei es gewiss förderlich, wenn zaghaftere Gemüter durch frischere Kräfte mitgerissen würden 220 . Zudem könne - komme es auf die Zustimmung eines jeden Gesellschafters an - ein widerwilliger Kompagnon die Durchführung sehr sinnvoller Maßnahmen verhindern und den anderen so Nachteile zufügen 221 . Dem hält man entgegen: Zwar gleiche eine Gesellschaft, die wegen des widerstrebenden Eigenwillens eines ihrer Mitglieder nicht zu Entschlüssen gelangen könne, einem willenlosen Menschen; gleich diesem werde sie „entweder zu Grunde gehen, d. i. sich auflösen, oder zur Besinnung kommen, wenn das widerstrebende Mitglied zur Einsicht gelange." Doch müsse der Staat nicht dafür sorgen, dass „jede Societät ihren Willen habe", zumal dies ohnehin mehr als nur einen einzigen Satz erfordere. „Es würden vielmehr neben demselben noch eine Reihe von speziellen Bestimmungen darüber unentbehrlich sein, wie denn diese Beschlüsse einzuholen seien." Auf einen solchen Stand216
Lutz, Protokolle, S. 197 f. Lutz, Protokolle, S. 198 f. 218 Lutz, Protokolle, S. 198. Vgl. auch S. 200: Die Ü b e r n a h m e einer Verbindlichkeit dürfe nicht aufgedrungen werden. 219 Aussagen der französischen Jurisprudenz sei zu misstrauen, da Gesellschaftsstreitigkeiten nicht von dieser, sondern von Schiedsgerichten entschieden würden, u n d auch die Berufung auf das A B G B gehe fehl, denn dessen Prinzip sei wesentlich von d e m des Entwurfs verschieden: D o r t entscheide zwar die Mehrheit, diese werde jedoch nach dem Verhältnis der Einlagen u n d nicht nach Köpfen berechnet. Lutz, Protokolle, S. 199. 220 Lutz, Protokolle, S. 200. 221 Lutz, Protokolle, S. 202 f. 217
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Gesellschaften
punkt könne man sich schon deshalb zurückziehen, weil das Prinzip der Stimmeneinhelligkeit nur als gesetzliche Regel aufgestellt werde; es verbleibe ja jedermann die Möglichkeit, dasselbe „entweder allgemein, oder für gewisse im Voraus bestimmte Fälle zu beseitigen." 222
2. Konsequenzen Die meisten Vorschriften des Preußischen Entwurfs zur inneren Organisation der Gesellschaft werden vom ADHGB weitgehend unverändert übernommen; einige Änderungen zieht die Einführung des Einstimmigkeitsprinzips allerdings noch nach sich: Enthalte der Gesellschaftsvertrag keine besondere Regelung der Geschäftsführung, dann seien alle Gesellschafter zum Betriebe der Geschäfte „gleichmässig" berechtigt und verpflichtet (Art. 102 Abs. 1). Werde die Geschäftsführung vom Vertrage einem oder mehreren Gesellschafter übertragen, so seien diese berechtigt, alle Handlungen vorzunehmen, welche der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringe; zudem schließe die Vereinbarung die übrigen Kompagnons von der Geschäftsführung aus (Art. 99). W i e im Preußischen Entwurf steht das Widerspruchsrecht nur Gesellschaftern zu, die nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind; wegen des Verzichts auf das Majoritätsprinzip entfaltet der Widerspruch jedoch eine andere Wirkung. Die entsprechende Maßnahme ist nicht nur bis zu einem Gesellschafterbeschluss suspendiert 223 , sondern hat endgültig zu unterbleiben (Art. 100 Abs. 2, 102 Abs. 2 ) . In der 2. Lesung stellt der (preußische) Referent 2 2 4 der Konferenz den Antrag, diese Regelung mit einem Zusatz zu versehen: „soferne der Widerspruch durch den Richter nicht für ungerechtfertiget erklärt wird." Nach den bisherigen Beschlüssen der Konferenz solle die Mehrheit nicht einmal bei Angelegenheiten, die noch zur gewöhnlichen Geschäftsführung gehörten, gegen den Willen eines einzelnen Gesellschafters entscheiden können. Zu beachten sei jedoch, dass es sich hier nicht um Miteigentum handle, „welches durch das Verlangen der Theilung stets aufgehoben werden könne, sondern um ein Kontraktsverhältniß, durch welches jeder Gesellschafter bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der kontraktmäßigen Dauer gebunden sei. Die gesetzliche Bestimmung der Kündigungsfrist oder der Vertrag auf bestimmte Dauer würden paralysirt, wenn jeder Gesellschafter ... berechtigt werde, nach seiner Willkür durch Widerspruch gegen jedwede Handlung die Gesellschaft in Verlegenheit oder außer Thätigkeit zu setzen." 225 Obwohl dieser Vorschlag, der an die Regelung des § 835 ABGB erinnert (vgl. unter § 2 B III.), schon ein Kompromiss sein soll - die teilweise Rückkehr zum Preußischen Entwurf sei wegen fehlender Aussicht auf Erfolg nicht beantragt worden - folgen die übrigen Mitglieder der Kommission dem nicht: Regelmäßig werde der Richter außer Stande sein, darüLutz, Protokolle, S. 198 f. So Art. 103 Abs. 2 Satz 2,104 Abs. 2 PE; vgl. unter C III. 224 Nachdem der Geheime Oberjustizrat Dr. Bischoffaus Berlin im Herbst 1857 verstorben war, hatte die Konferenz den Senatspräsidenten am Appellationsgericht zu Köln Dr. Heimsoeth zum Referenten gewählt. Beide hatten schon an der Erarbeitung des Preußischen Entwurfs mitgewirkt. 225 Lutz, Protokolle, S. 990. 222
223
D. Allgemeines Deutsches
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ber zu entscheiden, ob die Durchführung einer Maßnahme für die Gesellschaft vorteilhaft sei oder nicht. Missbrauche ein Gesellschafter sein Widerspruchsrecht zu Schikanen, so könnten die übrigen Kompagnons die Auflösung der Gesellschaft herbeiführen und dieses Vorgehen sei „der Natur des Gesellschaftsverhältnisses angemessen." Wie Art. 106 Abs. 1 PE fordert Art. 103 Abs. 1 A D H G B , zur Durchführung von Maßnahmen, die nicht zur normalen Geschäftsführung gehören, sei ein Beschluss sämtlicher Gesellschafter einzuholen 2 2 7 . Auch diese Regelung bleibt jedoch in Nürnberg nicht ohne Einwände. Z u m einen bringt man vor, die Vorschrift könne zu der irrigen Meinung führen, „als werde eine kollegiale Verfassung der Handelsgesellschaften vorausgesetzt, nach welcher jeder einzelne Gesellschafter nur nach förmlicher Einholung der Zustimmung aller Gesellschafter handeln dürfe." U m dem zu begegnen, empfehle es sich, lediglich ein Recht zum Widerspruch zu regeln 2 2 8 . Andere Konferenzteilnehmer schlagen vor, „gänzlich von Aufstellung eines Prinzipes darüber, wie Gesellschaftsbeschlüsse zu fassen seien, Umgang zu nehmen, und diese Frage als eine offene den einzelnen Civilgesetzgebungen zu überlassen." D a nur das Verhältnis unter den Gesellschaftern und nicht das nach Außen betroffen sei, bestehe kein Bedürfnis nach einer vereinheitlichten Regelung. Dem hält man jedoch u. a. entgegen, eine gesetzliche Regelung sei schon deshalb erforderlich, weil die Konferenz beschlossen habe, für Gesellschaftsverträge nicht die Schriftform vorzuschreiben 229 . Obwohl mehrfach von einer Beschlussfassung der Gesellschafter die Rede ist, denken die Konferenzteilnehmer - anders als die Verfasser des Preußischen Entwurfs - insoweit aber wohl nur an eine zustimmende oder ablehnende Äußerung einzelner Gesellschafter und nicht an eine gemeinsame Beratung mit anschließender Beschlussfassung. Auch wird in Nürnberg nicht versucht, die zur Geschäftsführung gehörenden Angelegenheiten näher von jenen Maßnahmen abzugrenzen, zu deren Durchführung ein „Beschluss" sämtlicher Gesellschafter eingeholt werden muss. Man ist sich darin einig, dass „die Entscheidung der Frage, ob ein einzelnes Geschäft dem Zwecke der Gesellschaft fremd sei, oder über ihren, durch das Gesellschaftsvermögen und verschiedene andere Umstände bestimmten Geschäftsbetrieb hinausgehe, bei der unendlichen Verschiedenheit der einschlagenden Verhältnisse nicht im Gesetze gegeben werden könne, sondern dem Verkehre, dem Takt der Gesellschafter und der Jurisprudenz zu überlassen sei." 2 3 0 Beschlossen wird lediglich, in die Bestimmungen, die der Geschäftsführung „den Betrieb des Handelsgewerbes" zuordneten, vor „Betrieb" das Wort „gewöhnlichen" einzuschieben 2 3 1 .
226
D e r Antrag w u r d e daher mit 14 gegen eine S t i m m e abgelehnt; ein zweiter A n t r a g a u f völlige Strei-
c h u n g des Widerspruchsrechts f a n d i m m e r h i n vier Befürworter. Lutz, Protokolle, S. 9 9 1 . 227
M i t Art. 103 Abs. 2 A D H G B versuchte m a n , das Prinzip noch deutlicher zu m a c h e n : „ D i e s ist
auch d a n n erforderlich, w e n n die G e s c h ä f t s f ü h r u n g einem oder mehreren Gesellschaftern übertragen ist." 228
Lutz, Protokolle, S. 2 0 1 . Ähnlich auch die Kritik v o n W.Endemann,
Entwurf, S. 7 8 : „ E s scheint
hier die Idee von der K o r p o r a t i o n zu spucken. W ä h r e n d m a n leicht hinter diesen Sätzen m e h r suchen m ö c h t e , sind sie praktisch überflüssig. D a die Gesellschaft a u f freiem Vertrag beruht, s o ergibt es sich von selbst, d a ß von einem die M i n o r i t ä t zwingenden Majoritätsbeschluß gar nicht die R e d e sein k a n n . " 229
Lutz, Protokolle, S. 2 0 3 .
230
Lutz, Protokolle, S. 2 0 2 .
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§ 5 Recht der nicht konzessionierten Gesellschaften
Auch nach dem Preußischen Entwurf sollte das Majoritätsprinzip keinesfalls ohne Einschränkungen gelten. Ausdrücklich bestimmte Art. 106 Abs. 2 PE: „Beschlüsse, deren Zweck der Handelsgesellschaft fremd ist, oder welche den Inhalt des Gesellschaftsvertrages oder das durch ihn begründete rechtliche Verhältniß der Gesellschafter ändern sollen, bedürfen der Zustimmung aller Gesellschafter." Wegen der Einführung des Einstimmigkeitsprinzips scheint nun eine der drei Ebenen, die der Preußische Entwurf unterschieden hatte (Maßnahmen der normalen Geschäftsführung; darüber hinaus gehende Angelegenheiten, welche die Gesamtheit der Gesellschafter zu beraten und - mit Mehrheit — zu beschließen hat; besonders schwerwiegende Entscheidungen, denen sämtlicher Gesellschafter zustimmen müssen), überflüssig zu sein. Man einigt sich darauf, die zwei Absätze des Art. 106 PE zu einer einheitlichen Regelung (Art. 103 Abs. 1 ADHGB) zu verschmelzen; die Worte „oder welche den Inhalt..." werden dabei als entbehrlich angesehen und gestrichen 232 .
3. Information der Gesellschafter und Kündigung der Gesellschaft Die Vorschrift des Art. 108 Abs. 1 PE über die Informationsrechte der Gesellschafter (vgl. unter C III) geht nahezu unverändert ins ADHGB über 233 . In der 1. Lesung wird zwar beantragt, die Regelung durch eine ausdrückliche Bestimmung dahingehend zu ergänzen, dass „jeder geschäftsführende Gesellschafter auf Verlangen der anderen Gesellschafter über die von ihm geführten Geschäfte Rechnung zu legen schuldig sei" 234 . Dem hält man jedoch entgegen, es sei „bei einer ordentlichen Buchführung und bei ordentlicher Aufstellung der bereits vorgeschriebenen Bilanz" unmöglich, eine noch weitergehende Rechnung zu legen; „die Führung der Bücher und die Aufstellung der Bilanz bildeten gerade die zweckentsprechendste Rechnungslegung" 235 . Der Antragsteller sieht dies anders: Eine schlecht beschaffene Buchführung und eine ebensolche Bilanz reichten keinesfalls aus. Ein weiterer Redner meint zudem, „es sei wenigstens ein Satz in dem Sinne unentbehrlich, daß jeder Gesellschafter über die einzelnen Geschäfte, die er vorgenommen habe, auf Verlangen Aufklärung und Rechenschaft zu geben verbunden sei." Letzteres versteht sich jedoch nach Auffassung der Mehrheit von selbst und ebenso ist ihrer Meinung nach klar, dass durch Buchführung und Bilanzaufstellung „die gemeinrechtlich feststehende Pflicht der Rechnungslegung der Gesellschafter allerdings nicht unbedingt erlediget" 236 ; besondere Vorschriften seien daher überflüssig.
231 Lutz, Protokolle, S. 204, 989. Vgl. Art. 103 Abs. 1, 106 Abs. 1 PEmit Art. 99, 103 Abs. 1 ADHGB. 232 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 204. 233 Statt „selbstständig" (Art. 108 Abs. 1 PE) soll sich der Gesellschafter „persönlich" vom Gang der Gesellschaftsangelegenheiten unterrichten können (Art. 105 Abs. 1 ADHGB). 234 Von einem weiteren Teilnehmer wurde zur Unterstützung des Antrages auf die §§ 1198, 1200 ABGB (vgl. unter § 2 B III) aufmerksam gemacht. Lutz, Protokolle, S. 195 f. 235 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 196. 236 Stattdessen habe der Richter zu entscheiden, „ob in einem besonderen Falle die Bilanz und die Buchführung die Stelle der Rechnungslegung vertreten könnten". Lutz, Protokolle, S. 196.
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Handelsgesetzbuch
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Die Vorschriften der Art. 118 Abs. 1 Ziffer 6, 119 PE zur Kündigung einer unbefristeten Gesellschaft gelangen fast ohne jede Debatte ins ADHGB (Art. 123 Abs. 1 Ziffer 6, 124) und nahezu unverändert bleibt auch die Regelung über die vorzeitige Auflösung einer befristeten Gesellschaft 237 . Art. 127 ADHGB erleichtert - an Art. 122 PE gemessen — die Fortsetzung der Gesellschaft nach dem Ausscheiden einzelner Gesellschafter ungemein, da statt eines schriftlichen Vertrages, der zudem ins-Handelsregister einzutragen ist, nur noch die vorige Ubereinkunft der Gesellschafter verlangt wird. Ohne inhaltliche Änderungen bleibt dagegen wiederum die Regelung über den Ausschluss eines Gesellschafters 238 .
II.
Kommanditgesellschaft
Die „stille Handelsgesellschaft" war vom Preußischen Entwurf als eine Außengesellschaft geregelt worden, deren Gesellschaftsvertrag schriftlich abzuschließen und auszugsweise ins Handelsregister einzutragen war (Art. 145 PE). Auf der Nürnberger Konferenz rufen diese Bestimmungen in der 1. Lesung eine intensive Debatte hervor 2 3 9 . Mehrheitlich ist man der Auffassung, dass bei einer stillen Gesellschaft „nach außen der Komplementär ganz allein als betheiliget erscheine, während das Gesellschaftsverhältniß nur unter ihnen selbst eine Bedeutung habe", weshalb nicht nur die Streichung von Art. 145 PE beschlossen, sondern auch eine freiwillige Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister abgelehnt wird. Trotz dieser Beschlüsse behält die Redaktionskommission bei der Erstellung des Entwurfs 1. Lesung die von der Konferenz an sich schon verworfenen Regelungen bei: Nach der Konzeption des Preußischen Entwurfs habe die stille Handelsgesellschaft der OHG sehr nahe gestanden; wie diese sei sie eine „Gesellschaft mit gemeinsamem Handelsfonds und unter gemeinsamer Firma" gewesen und nicht nur — wie die sog. ältere deutsche stille Gesellschaft - ein „modificirtes Gläubigerverhältniß". Diesem konzeptionellen Ansatz sei auch die Eintragung ins Handelsregister geschuldet gewesen, gegen die sich die Konferenz dann ausgesprochen habe. Allein durch die Streichung jener Vorschrift werde jedoch nicht die ältere deutsche stille Gesellschaft wiederhergestellt; insoweit seien weitergehende Änderungen erforderlich 240 . Da man in der Kommission aber der Meinung sei, die neue stille Gesellschaft „habe eine größere Zukunft, und sei merkantilisch ausgebildeter", werde der Konferenz vor2 3 7 Vgl. Art. 121 PE mit Art. 125 ADHGB. Ein in der 1. Lesung gestellter Antrag zielte auf eine Einschränkung des richterlichen Ermessens ab: Dem Auflösungsantrag sei stets stattzugeben, so einer der in Art. 121 Abs. 3 PE explizit aufgeführten Gründe vorliege. Mehrheitlich war die Konferenz aber der Meinung, dem Richter müsse „die ganze Frage" zur Entscheidung vorbehalten bleiben. Vgl. Lutz, Protokolle, S. 236 f. 238 Vgl. Art. 123PEundArt. 128 ADHGB. Auch hier scheiterte ein Antrag, das richterliche Ermessen wenigstens etwas einzuschränken; vgl. Lutz, Protokolle, S. 238. 239 Lutz, Protokolle, S. 289 ff. Die zur Entstehung der KG führenden Diskussionen werden eingehend referiert von Renaud, Commanditgesellschaften, S. 44 ff.; v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. 356 ff. 240 Dass sich die Vorschriften des Entwurfs 1. Lesung nicht sinnvoll auf eine „stille Gesellschaft" anwenden lassen, arbeitet auch WEndemann, Entwurf, S. 72 f. heraus.
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§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
geschlagen, „die zwei Systeme der stillen Gesellschaft neben einander zu stellen". 241 Obwohl dieser Vorschlag auf sehr heftige Kritik stößt , wird er von der Konferenz schließlich angenommen, allerdings erst, nachdem die verschiedenen Einzelvorschriften für die stille und für die Kommanditgesellschaft zweimal durchberaten worden sind 2 4 3 . Zwar behandelt das ADHGB die Kommanditgesellschaft mit weitaus mehr Regelungen als der Preußische Entwurf , für das „Rechtsverhältniss der Gesellschafter unter einander" verweist Art. 157 jedoch auf „die gesetzlichen Bestimmungen über das Rechtsverhältniss der offenen Gesellschafter unter einander". Zunächst soll es allerdings auf die Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag ankommen, zudem enthalten die Art. 158 bis 162 A D H G B einige Abweichungen vom Recht der OHG. Die Regelung der Geschäftsführung durch Art. 158 ADHGB baut erkennbar auf das Konzept der Art. 99 ff. ADHGB auf: Die Geschäftsführung der Gesellschaft werde durch den oder die persönlich haftenden Gesellschafter besorgt (Abs. 1); der Kommanditist sei dagegen zur Führung der Geschäfte weder „berechtigt noch verpflichtet" (Abs. 2); auch stehe ihm nicht das Recht zu, Maßnahmen der Geschäftsführung zu widersprechen (Abs. 3). Diese Vorschriften treten an die Stelle von Art. 149 PE, der zum einen den an Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft — auch nur als Bevollmächtigter beteiligten „stillen Gesellschafter" mit einer persönlichen Haftung bedroht hatte (Abs. 1) und zum anderen hervorhob, dies gelte nicht für die Teilnahme an Beratungen und an der „innern Verwaltung" (Abs. 2; vgl. unter C III). Art. 149 Abs. 1 PE stößt in der 1. Lesung auf strikte Ablehnung, da nicht einzusehen sei, „warum derjenige, der sich nur als Prokurist gerire, der also durch sein Benehmen jedem dritten Kontrahenten zu erkennen gebe, daß er nicht als Gesellschafter handeln und haften wolle, dennoch eine Haftbarkeit übernehmen solle, als wenn er Gesellschafter wäre." 2 4 5 Zudem wird die Redaktionskommission mit der Prüfung beauftragt, „ob nach der neu zu ermitteln-
241 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 1030 ff. Weyhe, Goldschmidt, S. 364 f., führt diesen Vorschlag auf Carl Friedrich von Gerber zurück. 242 Besonders kritisch setzte sich Goldschmidt, Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs, S. 56 ff., in einem für die badische Regierung angefertigten Gutachten mit der Aufspaltung auseinander, wobei er die Auffassung äußerte, dass „mit diesem Punkte uns die Möglichkeit der Annahme des ganzen Entwurfs zu stehen oder zu fallen scheint." Auch der Gutachter Mecklenburgs A.Schliemann lehnte die Aufspaltung ab; hierzu Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 285 ff. 243 Es ist daher nicht einfach, die Aufspaltung von stiller Gesellschaft und KG an einem bestimmten Beschluss festzumachen. Endgültig stand die Trennung wohl fest, als am 30.11.1857 ein Antrag auf Streichung des späteren Art. 150 ADHGB mit 14 gegen 1 Stimme scheiterte. Lutz, Protokolle, S. 1146 f. Zwar beantragten Baden und Mecklenburg - der Auffassung ihrer Gutachten folgend - später noch einmal die Rückkehr zur „Einheitsgesellschaft" gemäß den Beschlüssen der 1. Lesung, doch schlössen Preußen, Österreich und Bayern diese Anträge von der weiteren Beratung aus, vgl. Lutz, Protokolle, Zusammenstellung der Erinnerungen, S. 29, 93. 244 Die Anzahl der Artikel stieg von 12 auf 23 (Art. 150 - 172 ADHGB) an. 245 Lutz, Protokolle, S. 295. Aus den vorgeschlagenen Alternativregelungen, a.a.O., S. 296, ging Art. 167 Abs. 3 ADHGB hervor: „Ein Commanditist, welcher für die Gesellschaft Geschäfte schliesst, ohne ausdrücklich zu erklären, dass er nur als Procurist oder als Bevollmächtigter handle, ist aus diesen Geschäften gleich einem persönlich haftenden Gesellschafter verpflichtet."
D. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
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den Fassung etwa ein Bedürfhiß für die Beibehaltung des zweiten Absatzes des Art. 149 bestehe." Wie Art. 150 PE gewährt Art. 160 Abs. 1 A D H G B dem Kommanditisten das Recht, eine abschriftliche Mitteilung der jährlichen Bilanz zu verlangen und deren Richtigkeit - unter Einsicht der Bücher und Papiere — zu prüfen. In der 1. Lesung war der Antrag gestellt worden, Art. 150 PE durch eine Regelung nach dem Vorbilde von § 101 des österreichischen „revidierten Entwurfes" zu ersetzen; dies hätte auch die Berechtigung eingeschlossen, sich über den Stand des Geschäftsbetriebes zu unterrichten . Die Mehrheit der Konferenz ist jedoch der Ansicht, dass „mit Letzteren zu weit gegangen sei; ein solches Recht könne dem stillen Gesellschafter nicht zugestanden werden" Diese Entscheidung veranlasst die Redaktionskommission dann offenbar, in den Entwurf 1. Lesung die Vorschrift des Art. 153 Abs. 2 einzufügen: Die weiteren — in Art. 104 bezeichneten — Rechte eines offenen Gesellschafters stünden einem Kommanditisten nicht zu. In der 2. Lesung blieb diese Regelung unbeanstandet 249 , doch für die 3. Lesung beantragte Hamburg, die Vorschrift entweder ganz zu streichen oder einen Zusatz des Inhalts aufzunehmen: „Uebrigens kann der Richter auf Antrag der Kommanditisten, falls dringende Gründe hierzu vorliegen, die Ertheilung einer Abrechnung oder sonstiger Aufklärungen nebst Vorlegung der Bücher und Papiere zu jeder Zeit anordnen." 250 Nachdem in einer kurzen Diskussion hervorgehoben worden war, die vorliegende Fassung des Artikels sei zu absolut, weshalb die Statuierung einer Ausnahme nicht umgangen werden könne, nahm die Konferenz schließlich — unter Beibehaltung des Abs. 2 - den beantragten Zusatz an 251 . Die Regelungen der Art. 157 ff. A D H G B belegen, dass sich auf der Nürnberger Konferenz zumindest die Redaktionskommission erfolgreich vom Standpunkt der älteren französischen Praxis zu lösen vermochte: Diese Praxis war — zur Abgrenzung der verschiedenen Gesellschaftsformen voneinander, aber auch zur Rechtfertigung der beschränkten Haftung — ängstlich bestrebt gewesen, die Kommanditisten nicht nur von Geschäftsführung und Vertretung auszuschließen, sondern ihnen sogar jegliche Teilnahme am Willensbildungsprozess innerhalb der Gesellschaft zu verwehren (vgl. unter § 2 B II.2). Nach dem Art. 158 A D H G B zugrundeliegendem Konzept ist der Kommanditist dagegen, was die Beratung und Entscheidung jener Angelegenheiten anbetrifft, die über die normale Geschäftsführung hinausgehenden, als voll- und gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft anzusehen. Dieses Konzept war in Deutschland zwar seit längerer Zeit vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum vorbereitet worden 252 ;
246
Lutz, Protokolle, S. 296. Zu § 101 des österreichischen Entwurfes vgl. Servos, Personenhandelsgesellschaften, S. 164; zur Entstehung von Art. 160 A D H G B siehe zudem K.Schmidt, Informationsrechte, S. 67. 248 Lutz, Protokolle, S. 296 f. Dem stillen Gesellschafter — nach den in der 1. Lesung gefassten Beschlüssen ging es hier tatsächlich um den stillen Gesellschafter und nicht um den Kommanditisten — könne aber explizit das Recht eingeräumt werden, zur Prüfung der Bilanz die Bücher einzusehen. 245 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 1105,1150. 250 Lutz, Protokolle, Zusammenstellung der Erinnerungen, S. 31. 251 Lutz, Protokolle, S. 4540. Vgl. Art. 160 Abs. 3 ADHGB. 247
238
$ 5 Recht der nicht konzessionierten Gesellschaften
in den dem A D H G B vorausgegangenen Gesetzentwürfen hatte es jedoch keine hinreichende Verankerung gefunden. Andererseits bleibt allerdings festzuhalten, dass auch im A D H G B die innere Organisation der K G und die Rechtsstellung der K o m m a n d i tisten nur eine sehr rudimentäre Regelung erhielten. Diese war wohl nur begrenzt dazu geeignet, der noch i m m e r weit verbreiteten Anschauung den Boden zu entziehen, nur wer in einer Gesellschaft ständig tätig werde und für deren Verbindlichkeiten unbeschränkt hafte, sei vollberechtigter Gesellschafter; wer nur Kapital zuschieße, habe nicht das Recht, „eine Mitwirkung bei den Verfügungen des Unternehmens zu beans p r u c h e n . " 2 5 3 Selbst allen Teilnehmern der Nürnberger Konferenz ist wohl nicht immer mit letzter Konsequenz bewusst gewesen, dass es sich bei der K G um eine der O H G sehr nahe stehende und dennoch eigenständige Gesellschaftsform mit grundsätzlich gleichberechtigten Mitgliedern handelt. H i e r a u f deutet schon Art. 1 5 0 Abs. 2 A D H G B 2 5 4 hin, dem die Vorstellung einer Kern- bzw. Hauptgesellschaft in der Gesellschaft zugrunde zu liegen s c h e i n t 2 5 5 . Z u d e m dürfte die bei der 2. Lesung vereinbarte Verfahrensweise, wonach die verschiedenen Einzelvorschriften über stille und K o m manditgesellschaft zu beraten und beschließen waren, bevor überhaupt abschließend geklärt war, worin sich beide Gesellschaftsformen wesensmäßig unterscheiden, mit dazu beigetragen haben, dass manche Konferenzteilnehmer in der K G eine Art O H G m i t offen gelegten stillen Beteiligungen s a h e n 2 5 6 .
III. Kommanditgesellschaft auf Aktien D i e Aufnahme der K G a A in das Gesetzbuch ist in Nürnberg sehr umstritten. S o wohl bei der 1. als auch bei der 2. Lesung wird der Antrag gestellt, den ganzen A b 2 5 2 Vgl. Brauer, Erläuterungen IV, S. 387; Broicherl Grimm, Handelsgesetzbuch, S. 17 f.; Mittermaier, Privatrecht, 7. Aufl., Bd. 2, S. 801; Treitschke, Gewerbegeseilschaft, S. 171. Vgl. auch Thöl, Handelsrecht, S. 154, Fußn. 8: Der Ausschluss des Kommanditisten von der Geschäftsführung dürfe nicht in die Definition der Kommanditgesellschaft hineingetragen werden (gegen Eichhorn, Privatrecht, § 387). 2 5 3 „Er hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn der Unternehmer das Zutrauen täuscht, welches er in ihm setzte." So Voigt, ZHR 1 (1858), 477, 498. Zudem finden sich auch im deutschen Schrifttum Äußerungen, welche die beschränkte Haftung der Kommanditisten ganz eng an die strikte Nichtmitwirkung in Gesellschaftsangelegenheiten binden; vgl. nur v.Langenn/Kori, Erörterungen II, S. 143 ff., insb. S. 154. 2 5 4 „Sind mehrere persönlich haftende Gesellschafter vorhanden, so ist in Ansehung ihrer die Gesellschaft zugleich eine offene Gesellschaft." Diese aus Art. 144 Abs. 2 PE übernommene Vorschrift — vgl. Art. 24 Code de Commerce — blieb in allen Lesungen unbeanstandet. Lutz, Protokolle, S.287 ff., 1094 ff.,
1146 ff. 255 v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. 363, hebt hervor, das Gesetz habe für die KG einige vom Recht der O H G abweichende Regelungen treffen müssen, jedoch nicht, „soweit es sich um die Beziehungen der mehreren persönlich haftenden Gesellschafter zu einander oder um ihre Stellung zu Dritten handelt. Insoweit sind also auch die für die offene Gesellschaft aufgestellten Grundsätze unbedingt massgebend. Dies und nur dies spricht Abs. 2 unseres Artikels aus." 2 5 6 Hierfür lassen sich den Beratungsprotokollen etliche Belege entnehmen; vgl. nur Lutz, Protokolle, S. 1096. Vor diesem Hintergrund nicht ganz zu unrecht: Goldschmidt, Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs, S. 65: „Aber worin zeigt sich denn die selbstständigere Stellung des Kommanditisten? Juristisch oder auch nur faktisch?"
D. Allgemeines Deutsches
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schnitt zu streichen; die sich an die Anträge anschließenden Debatten verlaufen weitgehend übereinstimmend 257 : Gegen die KGaAwird zum einen vorgebracht, sie gehöre hauptsächlich nur der preußischen Praxis an; in Osterreich und anderswo kenne man sie gar nicht. Es sei daher angemessen, ihr in einem Gesetzbuch für ganz Deutschland nicht zu gedenken, auch wenn man sie keinesfalls für unstatthaft erklären müsse. Zum anderen wird mehrfach betont, es sei inkonsequent, für die Aktiengesellschaft das Konzessionssystem vorzuschreiben und für die KGaA von dem Erfordernisse der Staatsgenehmigung abzusehen. Zur Verteidigung des Preußischen Entwurfs bringt man vor, bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien könne sehr wohl von einer staatlichen Genehmigung Abstand genommen werden, weil die Geschäfte dieser Gesellschaft von einem persönlich haftenden Gesellschafter geführt würden. Zudem führe die Streichung des ganzes Abschnitts lediglich dazu, dass die schon existierenden Gesellschaften, die man nicht einfach verbieten könne, außerhalb jeglicher rechtlicher Reglementierung fortbestünden. Ohne ausdrückliches Verbot würden sich wahrscheinlich auch in weiteren Staaten derartige Gesellschaften bilden 258 . Nahe liegt unter diesen Umständen der Kompromiss, generell auch für die KGaA das Konzessionssystem vorzuschreiben und den Landesgesetzen abweichende Regelungen zu gestatten (Art. 208 Abs. 1, 249 ADHGB). Nach der Klärung dieser Grundsatzfrage wird sogleich der Antrag gestellt, sich auf den die staatliche Genehmigung erfordernden Rechtssatz zu beschränken „und alle anderen Bestimmungen des zweiten Abschnittes zu streichen, weil diese nur den Zweck gehabt hätten, die staatliche Genehmigung zu ersetzen" 259 . Der Antrag wird zwar abgelehnt, doch übernimmt die Konferenz, welche die KGaA hauptsächlich mit Rücksicht auf die preußische Praxis ins Gesetzbuch gelangen lässt, sehr weitgehend jene Regelungen, die von Preußen für diese Gesellschaften entworfen worden waren. Soweit gewichtigere inhaltliche Änderungen nicht auf die Einführung des Konzessionssystems zurückzuführen sind , belegen sie zumeist, dass die KGaA, die nach der Systematik des A D H G B immer noch eine Sonderform der Kommanditgesellschaft ist, sich stärker in Richtung Aktiengesellschaft fortentwickelt: Der Katalog des Art. 175 über den Mindestinhalt des Gesellschaftsvertrages ist an Art. 209 angelehnt. Gemäß Art. 185 sind die persönlich haftenden Gesellschafter verpflichtet, dem Aufsichtsrat und den Kommanditisten in den ersten sechs Monaten jedes Geschäftsjahres eine Bilanz des letzten Geschäftsjahres vorzulegen. Die Art. 189 f. regeln die Einberufung der Generalversammlung und deren Beschlussfassung; allerdings bleiben die wenigen Einzelvorschrif-
257
Vgl. Lutz, Protokolle, S. 3 7 3 ff., 1111 ff. In der 2. Lesung beginnt man, der KGaA auch eine eigenständige praktische Bedeutung zuzuschreiben: „Wenn z. B. ein K a u f m a n n ein großes Etablissement ererbt habe, das er wegen der an die anderen Erben zu machenden Hinauszahlungen aus eigenen Mitteln nicht behaupten könne ...". Lutz, Protokolle, S. 1113. 239 Lutz, Protokolle, S. 1115. 260 So bedürfen auch Satzungsänderungen u n d Kapitalherabsetzungen der staatlichen Genehmigung. Vgl. Art. 198 Abs. 1, 203 Abs. 1 A D H G B . 258
240
§ 5 Recht der nicht konzessionierten Gesellschaßen
ten über die Kompetenzen der Versammlung nahezu unverändert 261 . Aus dem Verwaltungsrat des Preußischen Entwurfs wird zwar ein Aufsichtsrat; jedoch bestimmt man auch dessen Tätigkeit inhaltlich weitgehend deckungsgleich
IV, Ausdifferenzierung der Handelsgesellschaftsformen und gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit Die Entscheidung der Nürnberger Konferenz, ihren Beratungen die Bestimmungen des Preußischen Entwurfs zugrunde zu legen, bewirkt vermutlich, dass sich die kodifikatorischen Bemühungen der Kommissionsmitglieder in den — bereits vom Preußischen Entwurf gezogenen - Bahnen bewegen: Weder wird die Berechtigung eines gesellschaftsrechtlichen numerus clausus noch einmal grundsätzlich hinterfragt , noch die Legitimation gesetzgeberischer Eingriffe in die Organisation von Nicht-Publikumsgesellschaften. Für die Mehrheit der Konferenzteilnehmer scheinen derartige Eingriffe des Staates in die bis dahin nahezu ungebundene Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter offenbar keiner näheren Begründung mehr zu bedürfen. Die ADHGBKommission belässt es aber nicht bei den schon im Preußischen Entwurf angelegten Beschränkungen der Gesellschafterfreiheit zur souveränen Ausgestaltung der Verbandsordnung, sondern geht in gewisser Weise noch einen Schritt weiter: Während sich der Preußische Entwurf bemüht, mit der Regelung des Innenrechts den Bedürfnissen einer großen „Bandbreite" rechtstatsächlicher Gestaltungen zu entsprechen, werden die Vorschriften des A D H G B für die Personengesellschaften auf ein enges gesetzliches Leitbild zugeschnitten: Geprägt ist die gesetzliche Regelung zum einen durch das Einstimmigkeitsprinzip. Da selbst zur gewöhnlichen Geschäftsführung gehörende Maßnahmen unterbleiben sollen, sobald auch nur ein Kompagnon Widerspruch äußert, sind besondere Vorschriften zum Schutz des einzelnen Gesellschafters anscheinend überflüssig, zumal das Gesetz davon ausgeht, jeder Gesellschafter könne sich durch Einsicht in die Bücher und Papiere der Gesellschaft selbständig alle benötigten Informationen beschaffen. Mehr den Protokollen der Nürnberger Konferenz, denn dem Gesetzestext selbst lässt sich der zweite Leitgedanke entnehmen: Man geht davon aus, die Gesellschaft sei aufzulösen, falls die Konflikte unter den Gesellschaftern ein gewisses Maß an Intensität erreichen. Zumindest die Mehrheit der Konferenzteilnehmer findet es nicht bedenklich, dass die gesetzlichen Bestimmungen jedem Gesellschafter die Möglichkeit einräumen, 261 Gemäß Art. 205 A D H G B soll die Generalversammlung nun auch eine oder mehrere Personen wählen, die gemeinsam mit den persönlich haftenden Gesellschaftern die Liquidation der Gesellschaft durchführen. 262 Vgl. vor allem Art. 193 f. Die gegenüber Art. 164 Abs. 2 PE veränderte Fassung von Art. 186 Abs. 2 A D H G B („Die Beschlüsse der Generalversammlung werden durch den Aufsichtsrath ausgeführt ...") soll verdeutlichen, dass der Aufsichtsrat nicht nur auf Beschluss der Versammlung zu handeln berechtigt ist. Vgl. Lutz, Protokolle, S. 385. 263 Vgl. hierzu KSchmidt, Stellung der oHG, S. 130 ff.
D. Allgemeines
Deutsches
Handelsgesetzbuch
241
durch permanente oder sehr gezielte Ausübung des Widerspruchrechts seine Kompagnons dazu zu zwingen, in die Auflösung der Gesellschaft einzuwilligen. Schon deshalb kann auf die Regelung eines besonderen Austrittsrechts und anderer Instrumente zur Bewältigung schwerwiegender Konflikte unter den Gesellschaftern scheinbar verzichtet werden. Die Vorschriften über den Ausschluss eines Gesellschafters werden denn auch lediglich aus dem Preußischen Entwurf übernommen. Ebenso die für die vorzeitige Auflösung einer befristeten Gesellschaft, welche aus Sicht der Konferenzmehrheit kein Problem darstellt, dass einer besonderen Regelung bedarf. Schließlich kann man von diesem Standpunkt aus davon absehen, die Rechtsfolgen einer unberechtigten Kündigung gesetzlich zu regeln. Vom Leitbild, das der gesetzlichen Regelung zugrunde liegt, wird jedoch nur ein Teil der rechtstatsächlichen Praxis erfasst und bei den vom Leitbild abweichenden Gestaltungen läuft das Instrumentarium weitgehend leer, welchem nach Auffassung der Nürnberger Konferenz der Schutz einzelner Gesellschafter bzw. ihrer Interessen überlassen bleiben kann. Zwar übernimmt man aus dem Preußischen Entwurf wenigstens die - nach Auffassung mancher Teilnehmer durchaus überflüssige - Unterscheidung zwischen Maßnahmen der gewöhnlichen Geschäftsführung und darüber hinaus gehenden Entscheidungen. Es wird allerdings nicht versucht, diese Differenzierung näher auszufüllen; stattdessen ebnet man die Unterscheidung des Art. 106 PE zwischen Angelegenheiten, welche die Gesellschaftergesamtheit mehrheitlich beschließen kann, und Entscheidungen, denen jeder Gesellschafter zustimmen muss, ein. Eine derartige Regelung wäre nicht nur für jene Gesellschaften von Bedeutung, deren Teilnehmer für die Beschlussfassung - pauschal - das Majoritätsprinzip vereinbart haben; sie würde zudem verdeutlichen, bis wohin die Befugnisse einzelner Gesellschafter - über die normale Geschäftsführung hinausgehend - ausgedehnt werden können Die Regelung der Personengesellschaften im A D H G B kennzeichnen mithin zwei Aspekte in besonderer Weise: Zum einen will der Gesetzgeber auch das Innenrecht dieser Verbände gesetzlich (vor-)ordnen, ohne dass man sich im Verlauf des Gesetzgebungsverfahren Gedanken über die Berechtigung und das Anliegen dieses Eingriffs in die bis dahin unbeschränkte Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter macht. Hierdurch werden die durch die Einführung des numerus clausus der Rechtsformen ohnehin schon beschränkten Möglichkeiten der Gesellschaftspraxis, selbst geeignete Organisationsformen herauszubilden, (zumindest tendenziell) weiter begrenzt. Zum anderen begnügt sich der ADHGB-Gesetzgeber
damit, nur einem Teilbereich der
Gesellschaftspraxis tatsächlich geeignete Regelungsmechanismen zur Verfügung zu stellen: Das insbesondere von Brinkmann vorbereitete und vom Preußischen Entwurf teilweise umgesetzte Unterfangen, auch für nicht konzessionierte Gesellschaften, in denen das Einstimmigkeitsprinzip nicht gilt, einen gewissen rechtlichen Ordnungsrahmen zu entwickeln, wird vom A D H G B nicht fortgeführt. Weitgehend ungeklärt bleibt
264
Schon bald wurde betont, den Umfang der Berechtigung zur Geschäftsführung bestimme zunächst
der Gesellschaftsvertrag, wobei einer möglichen Ausdehnung der Befugnisse keine Grenzen gesetzt wurden; vgl. v.Hahn,
Handelsgesetzbuch, S. 2 3 4 .
242
§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschaften
daher zum einen die innere Ordnung derjenigen offenen Handelsgesellschaften, die vom gesetzlichen Leitbild abweichen, und zum anderen - wegen der weitgehenden Anlehnung an die OHG - das Innenrecht der Kommanditgesellschaft. Erklärlich ist dieses Vorgehen der Nürnberger Konferenz wohl lediglich vor dem Hintergrund der damaligen historischen Situation: Man hat verschiedene Formen der Handelsgesellschaften ausdifferenziert und da diese Differenzierung noch alles andere als selbstverständlich ist 2 6 5 , liegt der Gedanke nicht fern, sich im Gesetzgebungsverfahren auf relativ einfache und deshalb leicht zu unterscheidende Leitbilder zu konzentrieren und von diesen abweichende Gestaltungen, deren Berücksichtigung für zusätzliche Verwirrung sorgen würde, unbeachtet zu lassen. Das nicht widerspruchsfreie Konzept des ADHGB-Gesetzgebers, der einerseits eine gesetzliche Regulierung der Binnenorganisation für erforderlich hält, andererseits jedoch nur einen Teilbereich der Gesellschaftspraxis tatsächlich regeln mag, bewirkt einen Funktionswandel der gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheit: Bislang hatte diese den Gesellschaftern nicht konzessionierter Gesellschaften erlaubt, die innere Ordnung ihres Verbandes — frei von den Eingriffen Außenstehender — souverän und eigenverantwortlich auszugestalten. Nun wird die Gestaltungsfreiheit zu einem Institut, dessen vorrangige Funktion darin besteht, den Gesellschaftern jener Verbände, die nicht dem engen gesetzlichen Leitbild entsprechen, die Möglichkeit zu gewähren, die als ungeeignet empfundenen gesetzlichen Vorschriften „abzuwählen": Schon als sie für die Beschlussfassung in der offenen Handelsgesellschaft das Majoritäts- durch das Einstimmigkeitsprinzip ersetzen, sehen sich die Teilnehmer der Nürnberger Konferenz veranlasst, die Freiheit der Gesellschafter hervorzuheben, bei der Abfassung des Gesellschaftsvertrages von den Regelungen des Gesetzes abzuweichen Offenbar hält man nicht nur die Vereinbarung des Majoritätsprinzips, sondern auch den Ausschluss sämtlicher Gesellschafter von der Geschäftsführung und die Einsetzung eines Fremdgeschäftsführers für möglich 2 6 7 . Grundsätzlich werden die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit und deren mögliche Grenzen aber weder hier noch bei der Behandlung von Art. 113 PE erörtert. Jene Norm hatte den Abschnitt des Preußischen Entwurfs „Von dem Rechtsverhältniß der Gesellschafter zur Gesellschaft" mit der Bemerkung abgeschlossen, die Bestimmungen des Abschnitts kämen nur zur Anwendung, so „nicht von den Gesellschaftern vertragsmäßig ein Anderes bestimmt" sei (vgl. unter C III. 1): In 1. Lesung wird nun Art. 113 PE ohne jede Debatte angenommen Eine solche entwickelt sich jedoch, als ein Teilnehmer den Antrag stellt, an einigen Stellen des Gesetzes die Zulässigkeit abweichender vertraglicher Vereinbarungen explizit zum Ausdruck zu bringen; vorgeschlagen wird u. a., an das Ende weiterer Abschnitte Parallelregelungen zu Art. 113 zu stellen. Der Vorschlag stößt auf Ablehnung: Ein ent265 Kennzeichnend ist insoweit gewiss, dass nahezu jeder Kritiker der Entwürfe zum ADHGB seine eigene Systematisierung der Handelsgesellschaften anzubieten hat. Vgl. nur W.Endemann, Entwurf, S. 67ff.; Goldschmidt, KZgRw, 4 (1857), 105,161 f.; Ladenburg, ZHR1 (1858), 132 ff. 266 Lutz, Protokolle, S. 199. Vgl. oben. D 1.2. 267 Vgl. Lutz, Protokolle, S. 192. Ausdrücklich so v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. 236 f. 268 Lutz, Protokolle, S. 207.
D. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
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sprechender Satz sei — weil ohnehin in allen Zivilgesetzgebungen enthalten - „ganz ohne Werth und überflüssig". Auch entscheide er in der Tat nichts, da es doch dem Richter überlassen bliebe, „in jedem einzelnen Falle festzustellen, ob eine gebietende oder verbietende Bestimmung des Gesetzes vorliege" . Mehrere Redner machen daraufhin geltend, wenn man dieser Auffassung folge, dann müsse auch die in Art. 113 enthaltene Regel gestrichen werden, was wiederum die Entgegnung nach sich zieht, die „Beibehaltung des Art. 113 werde aber durch einen nicht unbedeutenden Nützlichkeitsgrund geboten; die Bestimmungen des II. Abschnittes seien nämlich von der Art, daß gerade bei ihnen leicht Zweifel darüber entstehen könnten, ob sie der Privatwillkühr Raum ließen, und es sei sehr wünschenswerth, diese Zweifel von vorn herein zu beseitigen." Dies Argument überzeugt offenbar zunächst die Mehrheit der Konferenz: Mit 11 gegen 4 Stimmen spricht man sich gegen die Streichung von Art. 113 aus; die Redaktionskommission solle erwägen, ob die Vorschrift nicht in geänderter Fassung an den Anfang des Abschnitts zu stellen sei 2 7 0 . Auch damit ist aber noch keine endgültige Klärung herbeigeführt: In der 2. Lesung wird nämlich die von der Redaktionskommission in die Fassung des späteren Art. 90 A D H G B gebrachte Bestimmung 2 7 1 erst einmal mit knapper Mehrheit abgelehnt, und zwar, weil ihr Inhalt „theils selbstverständlich, theils (z. B. bezüglich der Art. 104, 108) nicht völlig richtig zu sein scheine, also eine sofortige Annahme verfrüht sein würde." 2 7 2 Schließlich entscheidet man sich aber doch, die Regelung wieder aufzunehmen 2 7 3 . Bestimmungen des Preußischen Entwurfs, welche die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter ausnahmsweise beschränken, werden entweder nahezu unverändert übern o m m e n 2 7 4 oder als „selbstverständlich und deshalb unnöthig" gestrichen 2 7 5 , ohne dass es deshalb zu längeren Diskussionen kommt. Grundsätzlicher wird die Debatte allerdings noch einmal bei der Behandlung von Art. 118 Abs. 2 PE; gemäß dieser Norm soll eine auf Lebenszeit eingegangene Gesellschaft als eine Gesellschaft auf unbestimmte Dauer zu betrachten (und daher wie diese zu kündigen) sein. Mehrere Teilnehmer der Konferenz dringen darauf, genau das Gegenteil, also die uneingeschränkte Wirksamkeit einer entsprechenden Klausel, zu verordnen: Es bestünde kein Grund, die Parteien an der Vereinbarung eines Gesellschaftsvertrages auf Lebensdauer zu hindern, „da 269
Lutz, Protokolle, S. 2 7 1 .
270
Lutz, Protokolle, S. 2 7 2 .
271
D i e R e d a k t i o n s k o m m i s s i o n hatte folgende F o r m u l i e r u n g vorgeschlagen: „ D a s Rechtsverhältniß
der Gesellschafter unter einander richtet sich zunächst nach d e m Gesellschaftsvertrage. S o weit über die in den nachfolgenden Artikeln dieses Abschnittes berührten Punkte keine Vereinbarung getroffen ist, k o m m e n die B e s t i m m u n g e n dieser Artikel zur A n w e n d u n g . " Lutz, Protokolle, S. 9 8 3 . 272
Lutz, Protokolle, S. 9 8 3 f . Art. 104 des Entwurfs 1. L e s u n g regelte das Informationsrecht der G e -
sellschafter; vgl. Art. 1 0 5 A D H G B . Art. 108 des E n t w u r f 1. L e s u n g entsprach Art. 111 P E (societas leonina). 273
Lutz, Protokolle, S. lOOOf.
274
S o Art. 108 A b s . 2 P E (Unwirksamkeit einer Vereinbarung, welche die Informationsrechte der G e -
sellschafter beschränkt, w e n n B e t r u g in der G e s c h ä f t s f ü h r u n g nachgewiesen wird). N i c h t a u f „ B e t r u g " sondern - weitergehend — a u f eine „Unredlichkeit" stellt Art. 105 A b s . 2 A D H G B ab. 275
S o mit Blick a u f Art. 111 P E über die Unwirksamkeit einer societas leonina. Lutz,
S. 1 0 0 0 .
Protokolle,
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§ 5 Recht der nicht konzessionierten
Gesellschafien
ein solcher Vertrag an sich gar nichts Unstatthaftes enthalte." Art. 118 Abs. 2 PE bewirke, dass die auf Lebenszeit eingegangene Gesellschaft — „gegen die Absicht der Kontrahenten" — weniger bindend sei, als ein für zwei Jahre abgeschlossener Vertrag 276 . Dem hält man entgegen, Vereinbarungen auf Lebenszeit würden „kaum anderswo als bei jungen unerfahrenen Leuten vorkommen, und es sei wünschenswerth, daß man diesen Gelegenheit gebe, eine Unbesonnenheit wieder gut zu machen, um sie nicht während des ganzen Lebens büßen zu müssen. Dies sei um so unerläßlicher, als sich ja oft die Verhältnisse änderten, und als es der sittlichen Freiheit des Menschen widerspreche, für eine Vereinigung blos zum Zwecke des Erwerbes sich auf Lebenszeit zu binden." 2 7 7 Wertet man all diese Diskussionen im Rahmen einer Gesamtschau, so bleibt festzuhalten, dass sich die Teilnehmer der Nürnberger Konferenz mit der Gestaltungsfreiheit vor allem unter einem Gesichtspunkt beschäftigten: Den Gesellschaftern sollte es möglich sein, ihre offene Handelsgesellschaft mit einer vom gesetzlichen Modell abweichenden Ausgestaltung der inneren Organisation zu versehen. Es schien geboten, die Freiheit zu einer völlig differierenden vertraglichen Gestaltung in besonderer Weise hervorzuheben 278 , denn die Konferenz war ja nicht nur entscheidend vom gesetzlichen Leitbild des Preußischen Entwurfs abgewichen, sondern ebenfalls von den entsprechenden Vorschriften im ALR und im ABGB. Die Regelungen des neuen Gesetzbuches mussten flexibel genug sein, um die unter der Geltung dieser Gesetzbücher entstandenen Gesellschaften zu integrieren und zwar ohne großen Uberleitungsaufwand. Auf diese Weise wirkte sich das inkonsequente gesetzgeberische Konzept aber auch auf den vom Gesetz geregelten Teilbereich aus: Sehr pauschal wurden nahezu sämtliche gesetzlichen Vorschriften für abdingbar erklärt, ohne dass man tiefergehende Überlegungen über einen möglicherweise unabdingbaren Kerngehalt der Regelungen anstellte. Zwar begriff man die den Gesellschaftern eingeräumte Gestaltungsfreiheit unbedingt nicht losgelöst von jeglicher rechtlicher Bindung 2 7 9 . Insoweit stand der Verständigungsprozess jedoch erst ganz am Anfang.
Lutz, Protokolle, S. 233. Lutz, Protokolle, S. 234. Obwohl die Konferenz im Ergebnis dieser Diskussion mit 12 gegen 3 Stimmen für die Beibehaltung der Vorschrift votiert, wird in der 2. Lesung nochmals ein Antrag auf Streichung des Absatzes eingebracht, weil die Bestimmung leicht zu umgehen sei. Auch dieser Antrag wird nach kurzer Debatte mit 12 gegen 4 Stimmen abgelehnt. Vgl. a.a.O., S. 1007. 278 Kennzeichnend insoweit v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. 213: „Die Freiheit der vertragsmässigen Regulirung der inneren Verhältnisse ist unbeschränkt. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Geschäftsführung, als auch hinsichtlich der Bestimmungen über Einlagen und Theilnahme an Gewinn und Verlust. Die Gesellschaft kann nach innen sogar nach Art der Commandit- oder Actiengesellschaft eingerichtet werden." 279 v.Hahn, Handelsgesetzbuch, S. 213, führt weiter aus: „Selbstverständlich ist jedoch, dass der Vertrag immer die Natur eines Gesellschaftsvertrags haben muss. Hat er diese Natur nicht (der extremste Fall ist die sog. societas leonina, so ist er rescissibel." 276 277
§ 6 Aufhebung des Konzessionssystems
A. Entwicklung der aktienrechtlichen Praxis I. In der letzten Phase des Konzessionssystems In den Jahren unmittelbar vor der Jahrhundertmitte und im darauf folgenden Jahrzehnt kommt es in Deutschland nur noch zu wenigen Neugründungen von Aktiengesellschaften zum Bau und Betrieb von Eisenbahnen: In Preußen erhalten in den Jahren 1848 bis 1861 lediglich fünf neue Bahnaktiengesellschaften eine Konzession 1 , im Königreich Sachsen entstehen in dieser Periode nur wenige kleine Kohlebahnen 2 und in Bayern konzessioniert man erst im Jahr 1856 wieder eine private Bahn-AG 3 . Da das Eisenbahnwesen bis dahin einer derjenigen Bereiche gewesen war, in denen Aktiengesellschaften am häufigsten Verwendung gefunden hatten, stagniert das Aktienwesen insgesamt, jedoch nur für wenige Jahre: Schon 1853 werden in Preußen 23 Aktiengesellschaften außerhalb des Eisenbahnsektors vom Staat bestätigt; in den Jahren 1856 und 57 erreicht die Zahl der Neugründungen mit je 31 neuen Gesellschaften einen vorläufigen Höhepunkt 4 . Mit dieser Gründungswelle verschieben sich die Gewichte: Zum einen dominiert der Montanbereich nun deutlich - 57 der insgesamt 119 Aktiengesellschaften, die in den Jahren 1851 - 1857 außerhalb des Eisenbahnwesens konzessioniert werden, betreiben Bergwerke, Eisenhütten und Eisenwarenfabriken. Zum anderen entfallen fast zwei Drittel der preußischen Neugründungen (74 von 119) allein auf die Rheinprovinz und Westfalen; immerhin 16 der verbleibenden 45 Gesellschaften werden in der Provinz Sachsen gegründet 5 . Im Königreich Sachsen entstehen immer noch fast genauso viele Aktiengesellschaften wie in ganz Preußen und obwohl man in Sachsen die neuen Gesellschaften regelmäßig mit einem geringeren Grundkapital als in Vgl. die Übersicht bei Landwehr, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 108. Zu diesen Gesellschaften A. Wiedemann, Sächsische Eisenbahnen, S. 54 f., 63 ff. 3 Zur Entstehung der Bayerischen Ostbahn, die sich später zur größten nichtpreußischen Privatbahn entwickelt siehe nur Ziegler, Eisenbahnen, S. 33. Einige kleinere Gesellschaften entstehen in der ersten Hälfte der 50er noch in der zum Königreich Bayern gehörenden Pfalz; vgl. Sturm, Eisenbahnen, S. 144 ff. 4 Diese und die folgenden Angaben sind übernommen von Thieme, JbWg 1960/11, 285, 286 f. 5 In den Jahren 1826 — 1850 waren in der Rheinprovinz und Westfalen 38 außerhalb des Verkehrswesen tätige Gesellschaften konzessioniert worden, in den übrigen Provinzen der Monarchie insgesamt 29. Vgl. Thieme, JbWg 1960/11, 285, 287. Berücksichtigt man auch die in dieser Zeit gegründeten Eisenbahngesellschaften, ist das Verhältnis in etwa ausgeglichen; rechnet man zudem die Gesellschaften zum Chausseebau hinzu, so neigt sich für den Zeitraum vor 1850 die Waage leicht zugunsten der östlichen Provinzen. 1
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§ 6 Aufhebung des
Konzessionssystems
Preußen ausstattet, sind diese durchaus lebensfähig: Allein in der sächsischen Industrie überstehen immerhin 87 Gesellschaften, die in den 50er Jahren gegründet worden sind, die schwere Wirtschaftskrise von 1857/59 . Trotz der schnell ansteigenden Zahl der Neugründungen hält man auch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre fast überall in Deutschland am Konzessionssystem fest. Auf der Nürnberger Konferenz endet der Streit um das Konzessionssystem recht schnell mit einem Kompromiss. Art. 249 Abs. 1 ADHGB erlaubt den Landesgesetzen die Festlegung, „dass es der staatlichen Genehmigung zur Errichtung von Actiengesellschaften im Allgemeinen oder von einzelnen Arten derselben nicht bedarf." Diese Offnungsklausel bleibt zunächst jedoch ohne größere praktische Bedeutung: Die Einführungsgesetze Preußens 7 und Sachsens 8 , wo das Aktienwesen jeweils relativ weit entwickelt ist, machen von ihr keinen Gebrauch; ebenso hält Bayern an der staatlichen Konzession fest. Die Hansestadt Hamburg dagegen, die sich nachdrücklich gegen das Konzessionssystem ausgesprochen hatte, legt bei der Inkraftsetzung des ADHGB keine besondere Eile an den Tag 9 . So bleibt es Art. 32 Abs. 1 des badischen Einführungsgesetzes 10 vorbehalten, den ersten Schritt zu tun: „Zur Gründung von Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien ist Staatsgenehmigung in der Regel nicht erforderlich." Aktiengesellschaften, die „Bank- oder Creditgeschäfte, Sach- oder Lebensversicherungen einschließlich Leibrentenverträge" zum Gegenstand ihres Unternehmens machen wollen, benötigen aber auch im Großherzogtum Baden weiterhin die Genehmigung des Handelsministeriums (Art. 31 Abs. 2) 1 1 . Diese Regelung wird drei Jahre später von Württemberg übernommen; dort behält man allerdings zusätzlich auch ftir Eisenbahnaktiengesellschaften die Konzessionspflicht bei 1 2 . Ganz auf das Konzessionssystem will man zunächst nur in Lübeck (1863) verzichten; obwohl später Bremen sowie Oldenburg (1864) und schließlich Hamburg folgen, verbleibt auch nach dem Inkrafttreten des ADHGB die übergroße Mehrheit der in Deutschland gegründeten Aktiengesellschaften unter dem Konzessionssystem. Die Gewichte beginnen sich erst zu verschieben, als 1868 im Königreich Sachsen mit dem Gesetz über die Juristischen Personen 13 die Gründung von Aktiengesellschaften freigegeben wird. 6 Hierzu Blumberg, Finanzierung, S. 177 ff. Zur Gründung von Aktiengesellschaften in der sächsischen Industrie in dieser Zeit vgl. zudem Kiesewetter, Industrialisierung, S. 454, 553 ff. 7 Vom 24.6.1861, GS, S. 449. 8 Vom 30.10.1861, GVOBl.S. 307. 9 In Hamburg setzt das am 22.12.1865 beschlossene EG das ADHGB erst zum 1.5.1866 in Kraft. Zur Einführung des ADHGB in den verschiedenen deutschen Einzelstaaten vgl. nur Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, Bd. 1, S. 166 ff. 10 Vom 6.8.1862, RB1 Baden, S. 337. 11 Für den Wegfall des Konzessionserfordernisses hatte sich der von Jolly erstattete Bericht der Kommission der Ersten Badischen Kammer ausgesprochen; vgl. Renaud, Actiengesellschaften, l.Aufl., S. 299 f. 12 Vgl. Art.35 des Einfuhrungsgesetzes vom 13.8.1865, RB1 Württemberg, S.211. Nachdem 1836/1838 das Projekt einer privaten Gesellschaft gescheitert war, hatte man in Württemberg erst wieder 1863 eine Eisenbahn-AG konzessioniert und zwar zum Betrieb einer 6 km langen Strecke; eine zweite Privatbahn (über 10 km) folgte 1872, eine dritte 1884. Vgl. Supper; Eisenbahnwesen, S. 4 ff, 185 ff.
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
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Als in den 50er und 60er Jahren bei den Aktiengesellschaften die Zahl der Neugründungen rasch ansteigt, da ist es bald nicht mehr möglich, alle oder doch zumindest einen wesentlichen Teil der Statuten in Gesetz- bzw. Regierungsblättern zu publizieren. Letztmalig lässt sich für die Gründungswelle der Jahre 1855 bis 1857, also für den „Vorabend" und den Beginn der Nürnberger Konferenz, ein — über einzelne Stichproben hinausgehender - Uberblick aufstellen: Die preußische Gesetzessammlung dieser drei Jahre enthält allein die Satzungen von 36 Gesellschaften ; zudem kann auf eine Sammlung der Statuten von Aktienbanken zurückgegriffen werden 1 5 . Zwar waren leider von den im Königreich Sachsen in diesem Zeitraum gegründeten Aktiengesellschaften nur wenige Satzungen aufzufinden , dennoch stehen einschließlich jener Satzungen, die als Broschüre veröffentlicht wurden, für eine nähere Untersuchung aus diesem Zeitraum insgesamt ca. 70 Statuten zur Verfügung.
II. Statutenpraxis 1. Allgemeine
Entwicklungstendenzen
Vergleicht man die 1855 bis 1857 in der Preußischen Gesetzessammlung publizierten Statuten mit den Satzungen von Gesellschaften, die 15 bis 20 Jahre zuvor entstanden waren, so lassen sich — wie im Einzelnen zu zeigen sein wird — verschiedene neue Regelungen ausmachen. Die Änderungen sind zum einen darauf zurückzuführen, dass das Aktienwesen nun nicht mehr vorrangig von den Eisenbahnen, sondern von Industrie, Bergbau und Banken bestimmt wird. Zwar kommt es nicht zur Entstehung besonderer Organisationsmodelle der einzelnen Industriezweige 17 ; doch gibt es Mitte der 50er Jahre in den Statuten preußischer Aktiengesellschaften verschiedene Einzelvorschriften, die sich jeweils hauptsächlich bei Gesellschaften eines bestimmten volkswirtschaftlichen Bereichs (Eisenbahnwesen, Industrie, Banken, Versicherungen) ausmachen lassen 18 . Insoweit wirkt sich auch aus, dass viele Aktiengesellschaften, die zum Betrieb einer Textilfabrik oder Kohlenmine gegründet werden, um vieles kleiner sind als die großen Bahngesellschaften: Es ist deshalb häufig möglich, die unmittelbare GeVom 15.6.1868, GVOBl,S. 315. Thieme, JbWg 1960/11, 285, 296 ff., gibt die Zahl der in Preußen von 1855 bis 1857 konzessionierten Gesellschaften mit 76 an. Hinzu kommen noch 2 Eisenbahngesellschaften. 15 Hocker, Sammlung der Statuten aller Actien-Banken Deutschlands, 1858. Die Sammlung enthält u.a. die Statuten von 16 Gesellschaften, die 1855/56 außerhalb Preußens gegründet worden waren. In den Vergleich einbezogen wurden auch die Statuten von sechs unwesentlich älteren Gesellschaften. 16 In Sachsen kam es nur noch in seltenen Ausnahmefällen zu einer Publikation im Gesetzblatt. Vgl. etwa die Statuten für die Zittau-Reichenberger Eisenbahngesellschaft, GVOB1 1855, 71. 17 Dies hebt Landwehr, Organisationsstrukturen, S. 275, hervor. 18 Die Satzungen der 1855 - 1857 konzessionierten Privat-Aktienbanken stimmen sogar bei den Einzelheiten weitgehend wortwörtlich überein, was auf die detaillierten Vorgaben der Konzessionsbehörden zurückzuführen ist; vgl. die Instruktion vom 25.9.1848 für die Errichtung von Privat-Banken mit der Befugnis zur Ausgabe unverzinslicher Noten; nachgedruckt bei Weinbagen, Actien-Gesellschaften, Anhang, S. 43. 13
14
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§ 6 Aufhebung des Konzessionssystems
schäftsführung in die Hände einer Einzelperson statt in die eines Kollegiums zu legen; oft wird sich in den kleineren Gesellschaften zudem der Anteil der Aktionäre erhöht haben (an deren Gesamtzahl gemessen), die als Mitglieder von Direktion und Verwaltungsrat unmittelbar an der Verwaltung beteiligt gewesen sind, was tendenziell die Bedeutung der Generalversammlung eher herabgesetzt haben dürfte, u. a. m. Wesentlichen Einfluss auf die Fortentwicklung der statutarischen Regelungen nehmen aber - wie sogleich im Einzelnen aufzuzeigen sein wird - noch immer die Konzessionsbehörden. In den Jahren 1856/57 ergehen in Preußen diverse ministerielle Instruktionen zur Konzession von Aktiengesellschaften (vgl. § 4 B III.3), die strikt umgesetzt werden. Schon weil eine vergleichbare einheitliche Oberleitung der Konzessionsbehörden fehlt, weisen die außerhalb Preußens gegründeten Gesellschaften bei den statutarischen Vorschriften eine größere „Bandbreite" auf. Allerdings orientiert man sich in den kleineren Staaten offenbar häufig an der preußischen Praxis; gerade im Bankwesen hat Preußen aber wohl auch Anregungen erhalten, vor allem aus dem südhessischen Raum. Uberein stimmen die Satzungen fast aller preußischer und der meisten nichtpreußischen Gesellschaften aus den Jahren 1855 bis 1857 darin, dass sie die Streitigkeiten zwischen der AG, ihren Organen und einzelnen Aktionären nicht der ordentlichen, sondern - jeweils mehr oder minder umfassend - der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellen 19 .
2. Innere Organisation Auf den ersten Blick ist die innere Organisation der Aktiengesellschaft seit dem Ende der 30er Jahre unverändert geblieben; fast jede A G besitzt neben der Generalversammlung einen Verwaltungsrat und eine Direktion. Gerade bei den nun dominierenden Industrie- und Bergbaugesellschaften obliegt die Direktion aber häufig nur noch einem einzelnen Spezial- bzw. Generaldirektor und nicht mehr einem aus mehreren Personen bestehenden Kollegium. Zugleich wird die Direktion hier regelmäßig explizit dem Verwaltungsrat untergeordnet; sie hat vor allem dessen Beschlüsse auszuführen 20 . Derartige Vorschriften deuten schon an, dass die statutarische Ordnung vieler preußischer Industrie- und Bergbaugesellschaften Mitte der 50er Jahre eindeutig vom Verwaltungsrat geprägt wird, dessen Befugnisse regelmäßig in einer - manchmal nahezu wortgleichen - „großen Kompetenzklausel" geregelt werden 21 ; mitunter findet sich in dieser nicht 15 Bei ca. einem Drittel der nicht preußischen Gesellschaften enthält die Satzung keine Schiedsklausel; explizit auf die ordentlichen Gerichte verwiesen wird jedoch nur bei der Magdeburger Lebensversicherung, GS 1856, 46, sowie bei Geraer (§ 4) und Rostocker Bank (§ 36), vgl. Hocker, Sammlung, S. 217, 552. 2 0 Besonders deutlich das Statut der Danziger Privat-Aktienbank, GS 1857, 242: „Die Direktion hat den von dem Verwaltungsrathe ihr mitgetheilten Beschlüssen desselben aufs prompteste Folge zu leisten" (§27). 21 Im revidierten Statut der Eschweiler Gesellschaft für Bergbau und Hütten, GS 1855, 669, hat die Klausel diese Fassung erhalten: „Der Administrationsrath nimmt von allen Geschäften der Gesellschaft Kenntniß und erkennt über Alles, was dieselbe betrifft; namentlich bestimmt er die Verwendung und Anlegung der disponiblen Fonds, das Erforderniß, die Art und Weise, sowie die Bedingungen der zu machen-
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
249
einmal ein formeller Vorbehalt zugunsten der Generalversammlung und ihrer Beschlussfassung. Derartige Bestimmungen dienen denn auch als Beleg für die These, vor der Verabschiedung des ADHGB sei die innere Ordnung der allermeisten Aktiengesellschaften durch eine Präponderanz des Verwaltungsrats gekennzeichnet gewesen . Dem ist jedoch zunächst entgegenzuhalten, dass sich dies Organisationsmodell so nur bei den Industrie- und Bergbaugesellschaften aus Preußen nachweisen lässt 23 und selbst in diesem Bereich, wie zu zeigen sein wird (unter 3.), bald eine gegenläufige Entwicklung einsetzt. Betrachtet man die entsprechenden Satzungen genauer, so fällt zudem auf, dass der Verwaltungsrat bei vielen Gesellschaften nicht sehr häufig zusammentreten muss; oft nur mindestens einmal im Quartal oder gar nur ein einziges Mal im Halbjahr . Derartige Bestimmungen lassen doch daran zweifeln, ob die Verwaltungsräte ihre statutarische Stellung tatsächlich immer ausgefüllt haben. Die verbreitete Diskrepanz zwischen der umfassenden Zuständigkeit des Verwaltungsrats auf der einen und der sich abzeichnenden Nichtwahrnahme dieser Kompetenzen auf der anderen Seite, ist offenbar mitunter schon beim Entwurf der Satzung bemerkt worden. Manche Statuten sehen nämlich die Wahl „fungierender Räte" bzw. „besonderer Beauftragter" aus dem Kreis der Verwaltungsratsmitglieder, zwecks unmittelbarer Beratung und Kontrolle der Direktion, vor 25 . Auf das Einwirken der Konzessionsbehörden dürfte dagegen zurückzuführen sein, dass nach fast allen Statuten, die sich in den Jahrgängen 1855 bis 1857 in der Preußischen Gesetzessammlung auffinden lassen, von der Generalversammlung drei (nie vier oder f ü n f ) Revisoren bzw. Kommissare
den Anleihen, erkennt er über die Ankäufe von Konzessionen, Immobilien und Maschinen, die zum Betriebe der Bergwerke und zur Fabrikation der Produkte erforderlich sind, über die Anlegung von Schächten, Stollen, Gängen und andern wichtigen Arbeiten in den Bergwerken, über neue Bauten, große Reparaturen an Immobilien und die Errichtung neuer Etablissemente, über alle Verträge, welche sich auf die Regulirung der Preise und des Absatzes der Produkte der Gesellschaft beziehen, und über alle Ubereinkünfte zur Theilnahme an Geschäften mit Andern, und über alle wichtige Käufe und Verkäufe von Zink, Eisen, Kohlen und andern von der Gesellschaft auszubeutenden oder fabrizirten Produkten. Auf den Vorschlag des Generaldirektors ernennt und entsetzt der Administrationsrath alle Agenten und Beamte, er bestimmt ihr Gehalt und die allgemeinen Verwaltungskosten; er ist befugt, über Alles, was das Interesse der Gesellschaft betrifft, Verträge abzuschließen, sich zu vergleichen, zu kompromittiren und zu substituiren; endlich kann der Administrationsrath, dessen Befugnisse hier oben nur im erwähnenden und nicht im beschränkenden Sinne aufgezählt sind, alle andere Verwaltungsmaßregeln ohne irgend eine Ausnahme ausführen." (Art. 25). Vgl. nur Passow, Aktiengesellschaft, S. 345 ff.; siehe auch unter § 4 D III.3. Bei der Bergbau- und Hüttengesellschaft zu Peine benötigt die Direktion zwar für die Durchführung gewichtiger Maßnahmen die Zustimmung des Verwaltungsrats (§ 38 Abs. 6, 7), auch entscheidet dieser über die Höhe der Abschreibungen (§ 44 Abs. 1), daneben und vor allem hat der Verwaltungsrat aber „überhaupt das ganze Unternehmen zu überwachen" (§ 27 Ziffer 4). 24 Eine monatliche Zusammenkunft wird in Preußen nur bei den Banken und bei sechs weiteren Gesellschaften verlangt; zwei Treffen im Monat verlangen gar nur die Statuten der AG für Fabrikation von Eisenbedarf (§ 19), GS 1856, 822, und der Danziger Privat-Aktienbank (§ 26). 25 Vgl. nur § 18 AG „Vorwärts" für Flachs-Spinnerei und Weberei, GS 1855, 199; §§ 12, 18 Sächsisch-Thüringische AG für Braunkohlen-Verwertung, GS 1856, 16. Eine ähnliche Stellung nahmen bei der Braunschweiger (§ 3 5) und bei der Thüringer Bank (§§ 40 ff.) sog. „unbesoldete Direktoren" ein; Hocker, Sammlung, S. 62,601 f. 22
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§ 6 A ußjebung des Konzessionssystems
zu wählen waren 26 , denen die Prüfung der Rechnungen und Bilanzen oblag 27 . Diese Revisoren mussten Aktionäre sein, ebenso wurde die Tätigkeit in Direktion und Verwaltungsrat nahezu ausnahmslos an ein gewisses Aktienquantum gekoppelt 28 . Immerhin hieß es in den Statuten nun zumeist explizit, die zu wählende Person müsse die geforderten Aktien „besitzen oder erwerben".
3. Generalversammlung Auch um das Jahr 1855 herum wird die Stimmberechtigung in den Generalversammlungen der Aktiengesellschaften noch nahezu ausnahmslos an den Besitz mehrerer Aktien (meist fünf) gebunden 29 ; bei jeder zweiten preußischen Industriegesellschaft sind die Besitzer von weniger als fünf Aktien nicht einmal berechtigt, an der Generalversammlung teilzunehmen 30 . Fast immer wird insoweit eine Ausnahme für jene - außerordentliche - Versammlung gemacht, die über die Auflösung der Gesellschaft zu beschließen hat: In dieser gewährt jede Aktie eine Stimme 31 . Nie fehlt zudem eine Regelung, welche bestimmt, wie viele Stimmen einem einzelnen Aktionär höchstens zustehen können. Sämtliche Satzungen der 1855 - 1857 konzessionierten preußischen Privatbanken ordnen sogar an, kein einzelner Aktionär dürfe mehr als 100 Aktien be32
sitzen . 26 Eine abweichende Regelung enthält nur das Statut der Magdeburger Lebensversicherungs-Gesellschaft, der einzigen in diesem Zeitraum konzessionierten Versicherungs-AG. Bei ihr soll der Ausschuss der Gesellschaft aus seinen Reihen zwei Revisoren wählen (§ 24). 27 Die unterschiedliche Regelung der Einzelheiten macht wohl den U m f a n g der den Gesellschaften hier verbliebenen Gestaltungsfreiheit deutlich: In einigen Fällen hatten die Revisoren an den Verwaltungsrat, in anderen an die Generalversammlung zu berichten; mal erteilten sie selbst dem Verwaltungsrat D e charge, mal oblag dies der Generalversammlung. Außerhalb Preußen finden sich derartige Regelungen nur selten, vgl. § 25 Coburg-Gothaische Credit-Gesellschaft, Hocker, Sammlung, S. 87. 28 W ä h r e n d beim Verwaltungsrat nirgends eine Ausnahme gemacht wird, verlangt die Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG, GS 1857, 638, für die Direktion nur eine „Kaution" ( § 1 6 Abs. 2) u n d die Danziger Privat-Aktienbank eine Kaution in bar oder in Staatspapieren (§ 36). Außerhalb Preußen sieht m a n bei Bank-Direktoren öfter von Aktienbesitz ab, vgl. nur Art. 47 Frankfurter Bank, Hocker, Sammlung, S. 204. 29 Schon eine einzige Aktie gewährt in Preußen lediglich bei der A G für Bergbau u n d Hüttenbetrieb, Porta Westphaiica, GS 1857, 670, bei der Danziger Privat-Aktienbank u n d der Magdeburger Privatbank, G S 1856, 638, das Stimmrecht. Bei allen drei Gesellschaften war der N e n n w e r t der Aktien m i t 500 Talern sehr hoch; üblich waren 100 bis 200 Taler. Auch bei der H o m b u r g e r Landes-Bank (§ 16) u n d der Lübecker Privat-Bank (§ 48) waren die Besitzer einer Aktie stimmberechtigt, Hocker, Sammlung, S. 265, 346. 30 Ausdrückliche E r w ä h n u n g finden die nicht stimmberechtigten Aktionäre nur beim Rheinischen Bergwerks-Aktienverein Saturn, GS 1857, 604: Diese seien befugt, an der Diskussion teilzunehmen (§ 28). Bei einigen nicht preußischen Banken sind die Besitzer von Inhaberaktien generell von der Teilnahme an der Generalversammlung ausgeschlossen. Vgl. § 53 Weimarische Bank, Hocker, Sammlung, S. 619. 31 Bei der Stettiner Maschinenbau A G Vulcan, G S 1857, 218, gilt diese Ausnahme auch für jede Satzungsänderung (§ 43). 32 Vgl. § 9 des Statuts der Königsberger Privatbank, GS 1856, 822. Außer bei den Banken findet sich eine derartige Vorschrift noch bei der Magdeburger Lebensversicherungs-Gesellschaft (§ 11), G S 1856, 46. Bei der Rostocker Bank darf kein Aktionär mehr als 2 5 0 Aktien besitzen (§ 69).
A. Entwicklung der aktienrechtlichen Praxis
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Bei den preußischen Aktiengesellschaften werden die einzelnen Zuständigkeiten der Generalversammlung nur noch sehr selten in einem Katalog zusammengefasst 3 3 . An die Stelle des Kompetenzkatalogs ist häufig eine Regelung über den Verlauf der ordentlichen Generalversammlung getreten 34 . Dennoch ordnen sämtliche Statuten der Versammlung nicht nur die Wahl des Verwaltungsrats 35 und der drei Kommissare (Revisoren), sondern auch die Beschlussfassung über Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen, Auflösung und Verlängerung der Gesellschaft zu ; gerade für diese Beschlüsse bedarf es jedoch regelmäßig der Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung. Neben diesen Grundkompetenzen hat die Generalversammlung in Preußen fast immer den Modus der Liquidation und neue Gesellschaftsblätter zu bestimmen; recht häufig den Verwaltungsrat zu entlasten und über die Amtsenthebung einzelner seiner Mitglieder zu entscheiden, die Verwendung des Reservefonds zu regeln bzw. entsprechende Vorschläge des Verwaltungsrats zu genehmigen. Seltener ist sie ausdrücklich befugt, die Vorschriften über die Zahlung von Tantiemen an die Mitglieder des Verwaltungsrats zu ändern und über die Ausschüttung von Dividenden zu beschließen 3 7 . Das Statut der Oppeln-Tarnowitzer Eisenbahngesellschaft ( O T E G ) , ist in besonderer Weise darum bemüht, der Generalversammlung die Beratung und Beschlussfassung von Angelegenheiten zuordnen, deren Durchführung zwar nicht immer eine Änderung der Satzung voraussetzt, die aber — materiell gewichtig - über den Bereich der normalen Geschäftsführung weit hinaus reichen: der Verkauf der Bahn und „die Vereinigung des Unternehmens mit einem andern Eisenbahn-Unternehmen" (§ 11); der Bau wei-
3 3 So noch bei Oppeln-Tarnowitzer Eisenbahngesellschaft (§ 29), GS 1856, 1014, Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG (§ 17 Abs. 3), und Harpener Bergbau AG (§ 23), GS 1857, 18. Außerhalb Preußens findet sich bei Banken öfter ein solcher Katalog, der aber fast immer sehr kurz ist. 3 4 Exemplarisch insoweit § 32 Abs. 2 Cöln-Müsener Bergwerks-Aktienverein, GS 1856, 838: „In den regelmäßigen Generalversammlungen werden die Geschäfte in nachfolgender Ordnung verhandelt: 1) Bericht des Verwaltungsrathes über die Lage des Geschäfts im Allgemeinen und über die Resultate des verflossenen Jahres insbesondere; 2) Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrathes; 3) Berathung und Beschlußnahme über die Anträge des Verwaltungsrathes, sowie über die Anträge einzelner Aktionaire; letztere müssen vor der Berufung der Generalversammlung schriftlich eingereicht sein; 4) Wahl von drei Kommissarien ...". 3 5 Bei den Gesellschaften ohne Verwaltungsrat wählt die Generalversammlung die Direktion; so bei der Allgemeinen Gas AG zu Magdeburg, GS 1857,178 (§ 20). 3 6 In einigen wenigen Satzungen wird die Kapitalerhöhung (neben der Satzungsänderung) nicht noch einmal ausdrücklich erwähnt; sie wird dort aber auch nicht in die Zuständigkeit anderer Organe gestellt. Uberhaupt keine Regelung all dieser Fragen enthält das Statut der Magdeburger Privatbank, GS 1856, 638. Dies sollte, als 10 Jahre nach Gründung der Gesellschaft deren Verlängerung zu beschließen war, für einen langdauernden Rechtsstreit sorgen, der bis vor das Preußische Obertribunal getragen wurde; vgl. Urteil vom 29.9.1868, O T E 6 1 , 194 = Seuff.A. 24, Nr. 57, S. 633ff., hierzu Renaud, Z H R 13 (1869), 141 ff. 3 7 In einzelnen Fällen wird der Beschlussfassung der Generalversammlung ferner explizit zugeordnet: über ein gewisses Maß hinaus gehende Zuführungen in den Reservefonds; Bestätigung der Entlassung von Direktoren, Aufhebung früherer Beschlüsse; Entscheidung über die Gültigkeit einer Bevollmächtigung.
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$ 6Außebung
des
Konzessionssystems
terer Strecken und der Umstieg auf ein anderes Beförderungsmittel 38 (§ 29 Ziffer 1); die Aufnahme von Anleihen (§ 29 Ziffer 2); die „Übernahme des Betriebs auf andern Eisenbahnen" und die „Überlassung des Betriebes der eigenen Bahn an eine andere Eisenbahnverwaltung" (§ 29 Ziffer 3). Das OTEG-Statut baut insoweit die bei den älteren östlichen Bahngesellschaften anzutreffenden statutarischen Vorschriften (vgl. unter § 3 B II.2) noch aus. Seine Regelungen unterscheiden sich damit wesentlich von jenen, die bei den Industrie- und Bergbauaktiengesellschaften in den Jahren 1855 und 1856 Anwendung finden, doch setzt auch bei diesen Gesellschaften Ende 1856 eine Entwicklung ein, die erkennbar auf eine Stärkung der Generalversammlung abzielt. Die innere Ordnung der 1855/56 in Industrie und Bergbau konzessionierten Aktiengesellschaften ist zunächst durch die dominierende Stellung des Verwaltungsrats gekennzeichnet, welche ihren sichtbarsten Ausdruck in der „großen Kompetenzklausel" erhält (vgl. oben II.2). Nur sehr selten wird die Durchführung einzelner über die gewöhnliche Geschäftsführung hinaus reichender unternehmerischer Entscheidungen an eine Beschlussfassung der Generalversammlung angebunden 3 9 . Hinzu kommt ein weiteres: Bei fast allen Gesellschaften sollen zunächst nur auf einen Teil des statutarischen Grundkapitals Aktien ausgegeben werden; die Emission der verbleibenden Aktien wird in das Ermessen des Verwaltungsrats gestellt. Dem steht auf diese Weise ein „genehmigtes Kapital" zur Verfügung, das der Hälfte oder gar zwei Dritteln des gesamten Grundkapitals entspricht und in absoluten Werten mitunter ein bis zwei Millionen Taler erreicht . Noch einen Schritt weiter geht das im August 1856 konzessionierte Statut des Sieg-Rheinischen Bergwerks- und Hütten-Aktienvereins; dem Verwaltungsrat wird gestattet, „wenn die Bedürfnisse der Gesellschaft es erfordern, eine Erhöhung des Grundkapitals durch weitere Emission von Aktien bis zu zwei Millionen Thalern" zu beschließen 41 . Damit ist dann aber auch der Höhepunkt der Entwicklung erreicht; weitere im August/September 1856 bestätigte Satzungen enthalten zwar noch die „gro-
38 Bezug genommen wird hier auf die bei Bahnen übliche Klausel in § 2 des Statuts, GS 1856, 1014: „Sollte in Folge weiterer Vervollkommnung in den Transportmitteln eine noch bessere oder wohlfeilere Förderung der Transporte, als auf Eisenschienen und mittelst Lokomotiven, möglich werden, so kann die Gesellschaft auch das neue Beförderungsmittel vorbehaltlich der Genehmigung des Staats herstellen und benutzen." 39 Nach Art. 25 des Statuts der AG für Bergbau und Hüttenbetrieb „Phönix", GS 1855, 584, beschließt die Generalversammlung über den Erwerb von Immobilien, wenn deren Wert 20.000 Taler übersteigt; beim Bergischen Gruben- und Hüttenverein zu Düsseldorf, GS 1856, 154, muss die Versammlung neue Anlagen im Wert von mehr als 100.000 Talern und Anleihen in gleicher Höhe genehmigen (§ 23 Abs. 3). 40 So beträgt z. B. bei der Ravensberger Spinnerei AG, GS 1855, 151, das Grundkapital 2 Mio. Taler; der Verwaltungsrat beschließt über die Emission der zweiten Million. Bei der Minerva, Schlesische Hütten-, Forst- und Bergbau-Gesellschaft, GS 1855, 648, steht die Ausgabe eines Fünftels (= 1 Mio. Taler) und bei Cölnischen Maschinenbau AG, GS 1856, 370, die Emission von zwei Dritteln (= 2 Mio. Taler) des Grundkapitals im Ermessen des Verwaltungsrats. Weit über all dies hinaus geht man außerhalb Preußens noch bei einigen Banken: Bei der Darmstädter Bank für Industrie und Handel entscheidet die Bankverwaltung über die Emission von 60 % (= 15 Mio. Gulden) und bei der Hannoverschen Bank sowie der Leipziger Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt über jeweils 50 % (= 6 bzw. 10 Mio. Taler) des statutarischen Grundkapitals. Vgl. Hocker, Sammlung, S. 103 f., 253, 324.
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Praxis
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ße Kompetenzklausel", einschließlich der Befugnis, Anleihen aufzunehmen, jedoch keine Regelung eines „genehmigten Kapitals" mehr . Im Statut des im Dezember 1856 konzessionierten „Neu Schottland Berg- und Hütten-Akteinvereins" 43 werden die Befugnisse des Verwaltungsrats zunächst in der bis dahin üblichen Weise beschrieben; dann aber heißt es: „Käufe und Verkäufe von Immobilien, neue Anlagen, endlich Anleihen, sofern ein solches Geschäft den Betrag von Einhundert tausend Thalern erreicht, bedürfen der Zustimmung der Generalversammlung." (§ 17). Alle weiteren - 1857 in der Gesetzessammlung publizierten — Satzungen von Industrie- und Bergbauaktiengesellschaften stellen zum einen die Beschlussfassung über Anleihen ohne weiteres in die Zuständigkeit der Generalversammlung. Zum anderen hat die Versammlung immer Immobiliengeschäfte und „neue Anlagen" ab einem gewissen (absoluten) Wert zu genehmigen, der — am jeweiligen Grundkapital gemessen - zumeist eine Höhe von 2 - 5 % erreicht . Derartige Veränderungen bei der Kompetenzverteilung innerhalb der AG hätten sich ohne ein Einwirken der Konzessionsbehörden gewiss nicht innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne und nicht nahezu zeitgleich bei einer ganzen Reihe von Gesellschaften vollzogen45. Sicher nachweisen lässt sich der behördliche Einfluss hinsichtlich der Zuständigkeit für die Aufnahme von Anleihen. Ziffer 1 einer ministeriellen Instruktion vom 14.5.1857 46 bestimmt nämlich: ,Anleihen für die Zwecke der Gesellschaft zu kontrahiren, sei es durch Aufnahme von Darlehen, oder durch Eingehung von Schuldverbindlichkeiten, deren Deckung nicht aus den Einnahmen des laufenden Geschäftsjahres erfolgen kann, steht lediglich den General-Versammlungen, nicht aber den Verwaltungsräten oder anderen Organen und Beamten der Gesellschaft zu." 47
4. Minderheiten-
und Sonderrechte
Ebenfalls auf das Wirken der preußischen Konzessionsbehörden gehen jene statutarischen Vorschriften zurück, die Gruppen von Aktionären verschiedene Antragsrechte 41 Vgl. § 5 Abs. 2 des Statuts, GS 1856, 734. Das statutarische Grundkapital der Gesellschaft betrug eine Million Taler. Bei der Darmstädter Bank für Süddeutschland darf die Bankverwaltung das Kapital sogar von 20 auf bis zu 40 Mio. Gulden erhöhen (§ 4 Abs. 4), Hocker, Sammlung, S. 121. 42 Vgl. A G für Fabrikation von Eisenbedarf, G S 1856, 822; Cöln-Müsener Bergwerks-Aktienverein, G S 1856, 838. Auch die 1857 in der Gesetzessammlung publizierten Satzungen enthalten keine derartigen Regelungen. 43
GS 1857,42. N a c h A r t . 19 Abs. 2 des Statuts der A G für Seidenzwirnerei zu Crefeld, G S 1857, 142, dürfen dagegen ohne Genehmigung der Generalversammlung die Gesamtausgaben für „Immobilien, Bauten u n d Gerechtsame" nicht ein Drittel des emittierten Aktienkapitals überschreiten. 44
45 Außerhalb Preußens finden sich denn auch nur sehr selten vergleichbare Regelungen: Bei der Bremer Bank hat die Generalversammlung über die Errichtung von Zweigbanken zu beschließen (§ 20), bei der Gothaer Bank über „eine in den Bestimmungen des Statuts nicht angedeutete Veränderung der Einrichtungen" (§ 3 3 Abs. 3) u n d bei der H o m b u r g e r Landes-Bank über die Ausdehnung des Wirkungskreises auf neue Geschäftszweige (§ 17 Abs. 2); vgl. Hocker, Sammlung, S. 74, 239, 266. 46
Die Instruktion ist abgedruckt bei Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, A n h a n g S. 90 f.
47
Nahe wortgleich: § 22 Abs. 4 Rheinischer Bergwerks-Aktienverein Saturn.
254
$ 6Aufl?ebung
des
Konzessionssystems
zuerkennen. Eine Instruktion vom 2 9 . 3 . 1 8 5 6 4 8 hebt hervor, es könne nicht lediglich dem Ermessen des Verwaltungsrats vorbehalten bleiben, ob die Generalversammlung einzuberufen sei und worüber diese zu beraten und beschließen habe; vielmehr sei auch Aktionären, „welche einen gewissen Theil des Aktien-Kapitals repräsentiren, in dieser Hinsicht eine Einwirkung zu gestatten." (Ziffer 29). Diesen „Regelungsauftrag" umsetzend, legen fast alle Statuten fest
, der Verwaltungsrat habe auf Antrag einer gewissen
Anzahl von Aktionären mit Aktien in einer bestimmten Zahl von Aktien eine außerordentliche Generalversammlung einzuberufen 50 . D a zumeist jeder stimmberechtigte Aktionär berechtigt ist, Anträge in der Versammlung zu stellen (er muss diese allerdings in der Regel zuvor schriftlich einreichen), sind statutarische Vorschriften, die dieses Recht generell an eine gewisse Zahl von Aktionären und/oder Aktien anbinden, eher selten
Etwas anderes gilt nur für den Antrag auf vorzeitige Auflösung der Gesell-
schaft, den fast immer nur Aktionäre stellen können, die ein Drittel oder Fünftel aller Aktien besitzen 52 , sowie mitunter für den Antrag auf Satzungsänderung 53 . Schließlich benötigt häufig auch der Antrag, ein Mitglied des Verwaltungsrats des Amtes zu entheben, die Unterstützung von mindestens 10 Aktionären mit 2 0 0 oder gar 5 0 0 Aktien, um auf die Tagesordnung der Generalversammlung zu gelangen
.
Die statutarischen Regelungen zeugen vom Bestreben der Gründer, möglichst lange auf die Geschicke der Gesellschaft wesentlichen Einfluss ausüben zu können: Viele Satzungen enthalten die Namen derjenigen Personen, die dem ersten Verwaltungsrat angehören sollen; zugleich wird bestimmt, die schrittweise Erneuerung des Rats setze erst nach einigen (meist sechs) Jahren ein. Als die Gründer der 1857 konzessionierten Ornontowitzer A G für Kohlen- und Eisenproduktion ( O K E P ) die Generalversammlung nicht vor 1 8 6 4 Verwaltungsräte wählen lassen wollen und auch dann nur jeweils zwei von insgesamt neun, da legt die staatliche Behörde ein zügigeres Vorgehen fest: In jedem Jahr hätten sich drei Räte der Wahl zu stellen 55 . In anderen Staaten ist man groß-
48
Ministerial-Blatt für die gesamte innere Verwaltung, 1856, 93. Vgl. unter § 4 B III.2.
49
Eine Ausnahme bilden allerdings die Bankgesellschaften. Nur bei der Magdeburger Privatbank ha-
ben 3 0 Aktionäre, die im Besitz von 100 Aktien sind, das Recht, die Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung zu verlangen (§ 25). 50
Mehrfach wird insoweit auf 10 Aktionäre mit 1000 Aktien abgestellt; so auch außerhalb Preußens
bei der Württemberger Kattum-Manufactur Heidenheim von 1856 (§ 2 9 ) . Ansonsten finden sich kaum zwei völlig übereinstimmende Regelungen. Generell ist das benötigte Aktienquantum recht groß; bis zu einem Drittel des Grundkapitals. 51
Sie finden sich nur in § 41 Abs. 3 Minerva, Schlesische Hütten-, Forst- und Bergbau-Gesellschaft
(40 Stimmen) und § 3 6 Abs. 3 Ornontowitzer A G für Kohle- und Eisenproduktion, G S 1857, 7 3 6 (25 Stimmen); sowie bei einigen nicht preußischen Banken. 52
Außerhalb Preußens findet sich eine solche Regelung z. B. bei der Oldenburgisch-Ostindischen
Rhedereivon 1 8 5 6 (§ 14). 53
So ist z. B. bei der Steinkohlen-Bergbau A G „Zollern", GS 1857, 8 1 0 , der Verwaltungsrat verpflich-
tet, einen solchen Antrag in die Einladung zur Generalversammlung aufzunehmen, wenn dieser von Aktionären mit insgesamt 2 0 0 0 Aktien unterstützt wird (§ 4 3 ) . 54
Bei der Gladbacher A G für Druckerei und Appretur; GS 1857, 563, benötigt ein solcher Antrag die
Unterstützung von 10 Aktionären mit insgesamt 4 0 Aktien (§ 14 Abs. 5). 55
So die Festlegung in der Konzessionsurkunde, GS 1857, 7 3 5 .
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
255
zügiger: Gemäß § 4 3 des Statuts der Bayrischen Ostbahn 5 6 dürfen die namentlich benannten Mitglieder des ersten Verwaltungsrats, die überwiegend Mitinhaber verschiedener Banken sind, während des Baus der vier Hauptstrecken und der folgenden sechs Betriebsjahre (nach vollständiger Inbetriebnahme der Bahn) amtieren. Ferner wird bestimmt: „Kommt die Erledigung in einem der Bankhäuser oder Handlungshäuser vor, so kann dasselbe einen anderen Theilhaber des Hauses ernennen." (§ 4 3 ) . Im Herzogtum Anhalt wird den Gründern der Dessauer Credit-Anstalt für Industrie und Handel sogar gestattet, vier der zwölf Verwaltungsratssitze auf Lebenszeit zu besetzen 57 . Das Streben nach einem möglichst dauerhaften Verbleib im Verwaltungsrat war gewiss auch darauf zurückzuführen, dass dessen Mitgliedern von den Statuten regelmäßig eine Tantieme in Höhe von 5, 6 oder gar 10 % des jährlichen Reingewinns der Gesellschaft zugeteilt wird. Die Gründer der Mitteldeutschen Creditbank in Meiningen mochten offenbar den „Umweg" über die Mitgliedschaft im Verwaltungsrat nicht gehen; sie ließen sich eine entsprechende Tantieme gleich als „Gründer" für die ersten 2 0 Jahre zusichern 5 8 . Das Statut der Württembergischen Kattum-Manufactur Heidenheim überträgt die Direktion der Gesellschaft für 25 Jahre auf zwei an der Gründung beteiligte Herren; diese gewähren den übrigen Aktionären im Gegenzug aber eine Zinsgarantie von 5 % und hinterlegen zudem entsprechende Sicherheiten (§ 27). Eine besondere Regelung enthält das Statut der Magdeburger LebensversicherungsGesellschaft: In der Generalversammlung sind nicht nur die Besitzer von mindestens fünf Aktien stimmberechtigt, sondern auch „alle Diejenigen, auf deren Leben für Lebenszeit ein Kapital von mindestens 2 0 0 0 Thaler mit Dividendenanspruch bei der Gesellschaft seit Jahresfrist versichert ist" 5 9 . Derartige Regelungen betrachten die preußischen Behörden offenbar mit einem gewissen Unbehagen; ausdrücklich wird bestimmt, die Stimmberechtigung von Versicherten müsse als „eine Abweichung von den gemeinrechtlichen Grundsätzen" auf jeden Fall in der Gesetzessammlung veröffentlicht werden
. Größeren Einfluss auf das Schicksal einer Aktiengesellschaft erlangen
Dritte, wenn die gesamte Geschäftsführung der Gesellschaft auf eine - von deren innerer Organisation mehr oder minder losgelöste — Einrichtung übertragen wird: So entstehen in den 50er Jahren in der Pfalz mehrere Eisenbahngesellschaften mit separater Rechnungsführung, deren Verwaltung jedoch jeweils dem Direktorium der Pfälzer Ludwigsbahn obliegt 6 1 . Während derartige Modelle unter ausschließlicher Beteiligung von Privatbahnen Episode bleiben, erlangt in Preußen die staatliche Verwaltung von Eisenbahnaktiengesellschaften wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung (dazu unter A IV).
56
Regierungsblatt für das Königreich Bayern, 1856, Spalte 333 ff.
§ 33 Abs. 2 des Statuts, Hocker, Sammlung, S. 151. In Preußen bestimmte Ziffer 39 der Instruktion vom 29.3.1856 dagegen explizit, es sei „nicht angemessen", Verwaltungsrats-Ehrenmitglieder zuzulassen. 5 8 § 49 Abs. 2 des Statuts, Hocker, Sammlung, S. 390. 5 9 § 28 des Statuts, GS 1 8 5 6 , 4 6 . Diesen Personen stand jeweils eine Stimme zu. 6 0 So Ziffer 34 der Instruktion vom 29.3.1856. 6 1 Vgl. hierzu Sturm, Eisenbahnen, S. 144, 174 f., wo allerdings Einzelheiten der rechtlichen Ausgestaltung dieses Modells unerwähnt bleiben. 57
256
§ 6Aufliebungdes
Konzessionssystems
III. Bestätigendes Resümee: Keine Verbandssouveränität unter dem Konzessionssystem Bei der Beschäftigung mit dem Aktienwesen der prälegislatorischen Periode ist die These Landwehrs
widerlegt worden, die staatlichen Konzessionsbehörden hätten be-
züglich der Binnenorganisation der Aktiengesellschaft keinerlei Ordnungsvorstellungen besessen, weshalb das Verfassungsrecht dieser Verbände als ausschließliche Frucht der Gesellschaftspraxis angesehen werden könne (vgl. unter § 3 B IV). Der Blick auf das Aktienwesen der 50er Jahre bestätigt die oben getroffenen Aussagen: Zumindest in Preußen kann von einer binnenorganisatorischen Abstinenz der Konzessionsbehörden nicht die Rede sein. Diese Behörden sorgen zunächst dafür, dass der Generalversammlung auch bei den Industriegesellschaften über die gewöhnliche Geschäftsführung weit herausragende Entscheidungen, die nicht unbedingt eine Änderung der Satzung erfordern, jedoch geeignet sind, das weitere Schicksal der Gesellschaft entscheidend zu beeinflussen, zur Beschlussfassung vorgelegt werden müssen (vgl. II.3). Ferner wird die Aufnahme von Minderheitenrechten in die Gesellschaftsstatuten angeordnet, wobei es interessanterweise gerade um solche Befugnisse geht, welche die Durchsetzung der Generalversammlungskompetenz absichern helfen (vor allem das Recht, die Einberufung einer Generalversammlung verlangen zu können; vgl. II.4). Schließlich achten die Konzessionsbehörden auf die An- bzw. Einbindung der Verwaltungsorgane in den gesellschaftsinternen Willensbildungsprozess,
weshalb man
insbesondere
überlange
Amtsperioden der noch von den Gründern eingesetzten - und nicht von der Generalversammlung gewählten - Mitglieder dieser Organe unterbindet
.
Im Untersuchungszeitraum beschränkt sich die Tätigkeit der Konzessionsbehörden aber keinesfalls auf die Durchsetzung einiger Mindeststandards für den Gesellschafterschutz. In Preußen geht das Bestreben des Staates in den 50er Jahren eindeutig dahin, die Einflussmöglichkeiten auf die einzelne A G noch zu erweitern: Behauptet und durchgesetzt wird ein allgemeines staatliches Oberaufsichtsrecht; auch außerhalb des Eisenbahnwesen sollen Regierungskommissare die Verwaltung einer jeden Aktiengesellschaft beständig überwachen. M a n verfolgt mithin ein Konzept, das den Staatseinfluss auf das Aktienwesen nicht auf eine Gründungskontrolle beschränken will, sondern die gesamte unternehmerische Tätigkeit der Aktiengesellschaften unmittelbar unter die Aufsicht staatlicher Institutionen stellen möchte 6 3 . Schon dies erhellt: 6 2 Vgl. II.4. Über die bereits erwähnten Punkte hinaus, finden sich noch etliche andere Vorschriften, die plötzlich bei sämtlichen neu konzessionierten Gesellschaften Preußens erscheinen und später mitunter auch in den verwaltungsinternen Instruktionen Erwähnung finden. So enthalten z. B. alle Satzungen mit einem Mal die Bestimmung, die staatliche Behörde sei befugt, „sobald sie es für erforderlich hält, die Wahl anderer Gesellschaftsblätter zu fordern oder solche nöthigenfalls vorzuschreiben." Vgl. nur Art. 13 Abs. 3 des am 19.3.1856 bestätigten Statuts der Tarnowitzer AG für Bergbau und Eisenhütten-Betrieb, GS 1856, 186; sowie Ziffer 55 der Instruktion vom 29.3.1856, Ministerialblatt, S. 93. 6 3 Vgl. insb. § 4 E. Im übrigen Deutschland stellt man neben den Bahnen zumindest noch die Banken unter die Aufsicht eines Regierungskommissars. Er fehlt hier nur bei den beiden Hamburger Gründungen Vereinsbank und Norddeutsche Bank (beide 1856), vgl. Hocker, Sammlung, S. 248 f f , 4 0 2 ff., sowie bei der Gothaer Bank; bei letzterer ernennt der Staat jedoch zwei von insgesamt neun Verwaltungsrats-Mit-
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
l^l
Im Aktienwesen des 19. Jahrhunderts ist das Konzessionssystem weitaus mehr als ein Verfahren zur Erlangung von Rechtsfähigkeit. Es eröffnet dem Staat die Möglichkeit, wesentlichen Einfluss auf das Schicksal der Gesellschaft zu nehmen und zwar über die Gründungsphase hinaus. Selbst dort, wo es zunächst nicht zur Einsetzung eines Regierungskommissars kommt, benötigen Satzungsänderungen, Kapitalerhöhungen und andere Finanzierungsmaßnahmen, Fusionen sowie - bei Eisenbahngesellschaften — die Anlage von Zweigbahnen die Genehmigung des Staats. Uber derartige Genehmigungsvorbehalte wird keinesfalls lediglich eine Rechtsaufsicht realisiert; die notwendige staatliche Zustimmung ermöglicht den Behörden, auch gegen den Widerstand der Gesellschaft eigene Zielstellungen zu verfolgen, wobei man sich nicht selten über die Interessen der jeweiligen AG und ihrer Aktionäre hinwegsetzt: Als die Oberschlesische Eisenbahngesellschaft 1856 um die Erlaubnis für den Bau einer weiteren Strecke nachsucht, wird ihr diese erst gewährt, nachdem sich die Aktionäre bereit erklärt hatten, die Verwaltung ihrer Gesellschaft auf den preußischen Staat zu übertragen (vgl. unter A IV) 6 4 . In Sachsen muss die Leipzig-Dresdner Eisenbahncompagnie 1865 anlässlich der Genehmigung einer Nebenbahn dem Staat das Recht einräumen, die gesamte Gesellschaft nach 30 Jahren aufzukaufen . Die bayerischen Behörden verhindern jahrelang die Fusion der Pfälzer Ludwigs- mit der Maximiliansbahn, bis diese schließlich zu Bedingungen zustande kommt, die den erheblichen Staatseinfluss auf die Ludwigsbahn für die Zukunft absichern . Auch außerhalb des Eisenbahnwesens kann der Staat über den Genehmigungsvorbehalt für Satzungsänderungen die weitere Entwicklung der jeweiligen Gesellschaft unmittelbar beeinflussen 67 . Schwer wiegt aus der Sicht der Praxis zudem, dass die staatliche Behörde auf diesem Wege häufig über die Durchführung wichtiger Finanzierungsmaßnahmen mitzuentscheiden hat. Ins Gewicht fällt dabei noch nicht einmal, dass es den Staatsbeamten mitunter schwer fällt, den Sinn der einzelnen konkret ausgewählten Maßnahme zu begreifen, weshalb sie diese zu verhindern suchen . Wesentlicher ist, dass hierdurch oftmals das Schicksal der Gesellschaft in den Händen der Behörde liegt: Im Einzelfall entscheidet die Genehmigung eines vergleichsweise geringen Betriebsmittelkredits darüber, ob das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen liquidiert werden muss oder nicht . glieder, a.a.O., S. 243. Außerhalb des Bank- und Bahnwesens findet sich ein Regierungskommissar z. B. bei der 1856 im Königreich Hannover konzessionierten Bergbau- und Hüttengesellschaft zu Peine (§ 50). 64 Klee, Preußische Eisenbahngeschichte, S. 65 ff. 65 A. Wiedemann, Sächsische Eisenbahnen, S. 77 f. 66 Hierzu Sturm, Eisenbahnen, S. 157ff.,200f. 67 So verweigert z. B. das preußische Ministerium der Finanzen 1855 einer von der Generalversammlung des Schaffhausenschen Bankvereins beschlossenen Satzungsänderung, welche die Gesellschaft ermächtigt, eine Filiale in Berlin sowie Agenturen und „Kommanditen" im Ausland zu errichten, die Genehmigung. Vgl. Rießer, Entwicklungsgeschichte, S. 59. 68 Anschaulich schildert Martin, VSWG 56 (1969), 499, 519f., die Geschichte der vielleicht ersten Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in Deutschland: Als die Gesellschafter der Kupfer-, Schwarzund Weißblechfabrik zu Dillingen 1835 eine solche Kapitalerhöhung durchführen wollten, dauerte es längere Zeit, bis man sich der Berliner Ministerialbürokratie halbwegs verständlich machen konnte. 69 Im Sommer 1862 ermöglichte ein Betriebsmittelkredit in Höhe von 35.000 Talern, den das Innenministerium des Königreichs Hannover der Actien-Zuckerfabrik Neuwerk unter Auflagen genehmigte,
258
§ 6 Aufhebung des
Konzessionssystems
Gemäß § 25 Abs. 2 des preußischen AktG von 1843 und Art. 240 Abs. 2 A D H G B sind die staatlichen Behörden bei einem Verlust der Hälfte des AG-Grundkapitals sogar berechtigt, „nach Befinden der Umstände" unmittelbar die Auflösung der Gesellschaft zu verfügen 70 . All diese Einflussmöglichkeiten bestehen schon unabhängig vom Institut eines besonderen Regierungskommissars. Dieser personifiziert das System allerdings; seine Teilnahme an den Zusammenkünften von Vorstand und Aufsichtsrat sowie an den Generalversammlungen macht jedem Aktionär deutlich, wie weit der Einfluss des Staates reicht, vor allem, wenn der Kommissar - wie bei den sächsischen Kohlebahnen - das Recht besitzt, Einspruch gegen die Dividendenverteilung zu erheben 7 1 . Berücksichtigt man all dies, so ist die oben (unter § 3 B IV.3) für die prälegislatorische Phase getroffene Feststellung für die gesamte Periode des Konzessionssystems ohne jede Einschränkung zu bestätigen: Obwohl die Konzessionsbehörden nachweisbar bestrebt sind, der Generalversammlung gewichtige Entscheidungen zur Beschlussfassung vorzubehalten und die Verwaltungsorgane der Gesellschaft insoweit strikt an den Willen der Gesellschaftergesamtheit zu binden, kann unter diesem System von einer (einsetzenden) Ausprägung des Verbandssouveränitäts-Grundsatzes nicht die Rede sein. Tatsächlich sind die Gesellschafter nämlich äußerst insouverän: Gewichtige Entscheidungen ihrer Versammlung benötigen die Zustimmung der Konzessionsbehörden und die permanente Staatsaufsicht sorgt (zumindest in der Tendenz) dafür, dass die Gesellschaft und mit ihr deren Verwaltungsorgane für ihr Tun und Unterlassen nicht bloß - möglicherweise nicht einmal zuvörderst - den Gesellschaftern verantwortlich sind, sondern dem Staat. Allerdings neigt sich am Ende der 50er Jahre die durch einen prägenden Staatseinfluss gekennzeichnete Periode schon deutlich ihrem Ende zu. Die schnell ansteigende Zahl der Aktiengesellschaften führt nun selbst in Preußen dazu, dass sich die staatlichen Behörden allmählich außer Stande sehen, das Konzessionssystem in der bisherigen Form weiter zu praktizieren; sie sollen es am Ende recht nachlässig gehandhabt haben 7 2 . Vermutlich sorgt gerade das mit dem Regierungskommissar verbundene staatliche Oberaufsichtsrecht, das die preußischen Behörden in einer Zeit geltend machen, in der die Zahl der Gesellschaften enorm ansteigt, dafür, dass der Bogen noch schneller „überspannt" wird. Mit dem damals vorhandenen Beamtenapparat ist eine Überwachung und (Mit-) Lenkung wesentlicher Teile einer rasch expandierendieser Gesellschaft das Fortbestehen. Ein Jahr zuvor hatte das gleiche Ministerium der Actien-Zuckerfabrik Einbeck die Aufnahme eines zusätzlichen Darlehens in Höhe von 60.000 Talern untersagt, weshalb die Gesellschaft liquidiert werden musste. Vgl. Wallbaum, Rübenzuckerindustrie, S. 88 ff., 104 f. 70 Die preußischen Konzessionsbehörden sollen von dieser Berechtigung allerdings nur in einem einzigen Fall — 1857 bei der Magdeburger Hagelversicherungsgesellschaft Ceves — Gebrauch gemacht haben; vgl. ThiemeJbWg 1960/11,285,291. 71 Siehe A. Wiedemann, Sächsische Bahnen, S. 56. 72 So Bösselmann, Aktienwesen, S. 116, der (schon für die 50er Jahre) von einem „die Zügel schleifen lassen" spricht. Vgl. auch Grossfeld, Unternehmenskonzentration, S. 132; Hopt, Grundlagen, S. 129. Indiz für die nachlassende Intensität staatlicher Einflussnahme mag die Tatsache sein, dass das Preußische Ministerialblatt in den 60er Jahren nur noch sehr wenige die Aktiengesellschaften betreffende Cirkular-Verfügungen enthält.
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
259
den Volkswirtschaft letztlich nicht zu leisten. Das Konzessionssystem preußisch-deutscher Ausprägung bricht jedenfalls regelrecht zusammen 7 3 . Möglicherweise ist es die Erkenntnis, dass sich die staatliche Aufsicht über das gesamte Aktienwesen nicht mehr lange durchhalten lässt, welche die preußischen Behörde veranlasst, einige der als besonders wichtig erachteten Eisenbahn-AG dauerhaft einem noch intensiveren Staatseinfluss zu unterwerfen.
IV. Die fremdverwalteten
Aktiengesellschaften
1. Modell „Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft"— Statuten-überlagernder Vertrag Nachdem die Rhein-Weser-Eisenbahn-AG gescheitert war und die Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft ihre Strecke nördlicher (über Duisburg, Dortmund und Hamm) geführt hatte, bemühte man sich in Elberfeld, Barmen und Hagen um die Gründung einer weiteren Bahngesellschaft 74 . Im Oktober 1843 wird zur Aktienzeichnung aufgerufen und im März 1844 konstituiert sich die „Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft" (BMEG), welche schon am 12. Juli des gleichen Jahres ihre Konzession erhält 75 . Der preußische Staat ist durchaus um eine Unterstützung der neuen Gesellschaft bemüht: Er übernimmt ein Viertel des Grundkapitals und verzichtet für seine Aktien auf einen Anteil am Gewinn, solange den privaten Aktionären nicht wenigstens eine Dividende in Höhe von 3,5 % gezahlt werden kann 7 6 . Im Gegenzug werden dem Staat gewisse statutarischen Vorrechte eingeräumt: Er darf ein Mitglied der Direktion ernennen und den Präsidenten der Direktion bestimmen, auch stehen ihm in der Generalversammlung immer ein Viertel der Stimmen zu u. a.m. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um Regelungen, die in dieser Periode üblicherweise an die Gewährung einer finanziellen Unterstützung durch den Staat geknüpft werden (vgl. unter § 3 B II. 5). Viele Bestimmungen des umfangreichen Statuts (79 Paragraphen) erlauben den Schluss, dass dessen kundige Verfasser mit einiger Sorgfalt gearbeitet haben: Der Direktion, der auch der Spezialdirektor angehört, obliegen Geschäftsführung und Vertre-
73 Vgl. auch Goldscbmidt, ZHR 30 (1885), 69, 75, der dem „bekannten Schlagwort" entgegentritt, die Aktiennovelle von 1870 sei liberalen oder gar freihändlerischen Tendenzen der Gesetzgebung entsprungen. Die Novelle sei stattdessen ein Notgesetz gewesen, welches man wegen des völligen Versagen des bisherigen Systems erlassen habe: „die Administrativbehörden waren einfach außer Stande, der ihnen gestellten Aufgabe, pflichtgemäßer Prüfung der immer zahlreicher um Konzessionirung andrängenden Gesellschaften, zu entsprechen." 74 Zur Entstehung der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft siehe Klee, Preußische Eisenbahngeschichte, S. 30 ff.; Then, Eisenbahnunternehmer, S. 38 ff. 75 Preuß. GS 1844, 315. Das Statut wurde auf den S. 316 ff. vollständig publiziert. 76 Bei Then, Eisenbahnunternehmer, S. 39, ist die Rede von einer Zinsgarantie in Höhe von 3,5 %. Anders als bei NMEG, KMEG und TEG (vgl. unter § 3 B II.5), hat der preußische Staat bei der BMEG aber keine Dividenden in bestimmter Höhe garantiert; so jedenfalls die Vorschriften des Statuts (§§ 23ff.).
260
$ 6 Aufhebung des
Konzessionssystems
tung der Gesellschaft. Der Verwaltungsrat ist hauptsächlich als Kontrollorgan ausgestaltet ( § § 59ff.); zudem bedürfen einige gewichtigere Beschlüsse der Direktion seiner Genehmigung (§ 63). Die Generalversammlung hat über besonders schwerwiegende Maßnahmen zu beraten und zu beschließen. „Die Gegenstände, welche nur durch einen Beschluß der General-Versammlung erledigt werden können", sind — nach dem Vorbild der ostelbisch-magdeburger Statuten-Familie (vgl. unter § 3 B II.2) in einem Katalog zusammengefasst, wobei bei der BMEG zusätzlich noch „die statutgemäße Repartition des reinen Jahresgewinnes zwischen dem Antheile für den Reservefonds und dem für die Dividende" sowie „die gänzliche oder theilweise Verwendung des Reservefonds" aufgezählt wird ( § 7 1 ) . Einige Regelungen des Statuts finden sich in dieser Zeit wohl sonst nirgends, so z. B. die Bestimmung, nur der Präsident des Verwaltungsrats dürfe ohne weiteres sämtliche Kontrollmaßnahmen vornehmen; „andere Mitglieder bedürfen aber zu derselben eines Auftrages vom Kollegium" (§ 59 Ziffer 1). Interessant auch, wie versucht wird, den Inhalt des jährlichen Geschäftsberichts der Direktion an die Generalversammlung näher zu umreißen: „einen so umfassenden Abrechnungs- und Geschäftsbericht ..., daß daraus der Gang und der jedesmalige Standpunkt des ganzen Unternehmens in seiner finanziellen Lage, seiner Verwaltung, seinen Leistungen und Erfolgen genau übersehen werden kann." 7 7 Zunächst scheint sich die gründliche Vorbereitung auszuzahlen, denn der Bau der Bahn schreitet gut voran. Ein schwieriges Terrain und unerwartet hohe Bodenpreise bringen die Gesellschaft, die zudem im Hungerjahr 1847 wegen steigender Lebensmittelpreise die Löhne um 25 % erhöhen muss, in finanzielle Schwierigkeiten 7 8 . Schon im Sommer 1848 ist die BMEG de facto zahlungsunfähig; nur ein zusätzliches Darlehen des Staates ermöglicht die provisorische Fertigstellung der Strecke. Zur Aufnahme einer wirtschaftlichen Betriebsführung benötigt die Gesellschaft aber noch einmal 1,3 Mio. Taler. Die Preußische Seehandlung ist zur finanziellen Unterstützung bereit, allerdings unter der Bedingung, dass die Verwaltung der Bahn an den Staat übergeht. Im August 1850 stimmt die Generalversammlung der BMEG schließlich einer entsprechenden Vereinbarung zu, die an sich nicht außergewöhnlich ist. Schon ein Jahr zuvor hatte der Preußische Staat zwei im Wesentlichen inhaltsgleiche Verträge mit der Aachen-Düsseldorfer Eisenbahn-Gesellschaft und der Ruhrort-Krefeld-Kreis Gladbacher Eisenbahngesellschaft abgeschlossen 79 . Bei diesen Gesellschaften ist die staatliche Verwaltung der privaten Aktiengesellschaft jedoch lediglich ein Konstrukt, um einen gewissen Zeitraum bis zur vollständigen Verstaatlichung der Bahnen zu überbrücken: Dem Staat ist die Verwaltung jedenfalls „auf immer" überlassen; es steht ihm frei, die Bahn allmählich (jeweils § § 6 ff.) oder - jederzeit - auch auf einmal zu übernehmen 8 0 . Bei der Übernahme ihrer Anteile soll den ,Aktionären" der Aktiennennwert erstattet 77 § 49. Gemäß § 65 des Statuts hatte der Geschäftsbericht schon acht Tage vor der Generalversammlung im Geschäftslokal den Aktionären zur Einsicht offen zu liegen. 78 Vgl. Klee, Preußische Eisenbahngeschichte, S. 34. 79 Vgl. GS 1850,152 ff., 157 ff. 80 § 16 des Vertrages mit der Aachen-Düsseldorfer und § 14 des Vertrages mit der Ruhrort-KrefeldKreis Gladbacher Gesellschaft.
A. Entwicklung
der aktienrechtlichen
Praxis
261
werden; bis zu diesem Zeitpunkt garantiert man ihnen eine Mindestverzinsung von 3,5 %. Tatsächlich büßen beide Gesellschaften schon einige Jahre später ihre Eigenständigkeit völlig ein 8 1 . Bei der BMEG hat dagegen die umgestaltete innere Ordnung bis zur Verstaatlichung im Jahr 1882 Bestand. Der Vertrag zwischen dem Preußischen Handelsministerium und der Bergisch-Märkischen Eisenbahngesellschaft enthält nur sechs Paragraphen, deren Regelungen fortan die Satzung der Gesellschaft überlagern sollen 82 : Der Staat übernimmt die gesamte Verwaltung in der Weise, dass auf eine „Königliche Direktion der Bergisch-Märkischen Eisenbahn" „alle in dem Statut der Direktion, dem Verwaltungsrath und der GeneralVersammlung ... beigelegten Befugnisse über[gehen]; insbesondere hat dieselbe auch die jährlich zu vertheilende Dividende festzusetzen." Ausdrücklich wird sogleich bestimmt, dass die Königliche Verwaltung „in Betreff der von ihr einzugehenden Verträge und Verbindlichkeiten" als Bevollmächtigte der Gesellschaft zu betrachten sei, der Staat übernehme „weder der Gesellschaft und den Aktionairen, noch dritten Personen gegenüber" eine Garantie für einen Ertrag. ( § 1 ) . Während Vorstand und Verwaltungsrat der BMEG untergehen, soll die Generalversammlung als solche fortbestehen, alljährlich im Juni darf sie einen „Bericht über die Lage des Unternehmens" entgegennehmen; außerdem hat sie noch eine aus fünf Personen bestehende Deputation zu wählen (§ 4), „um der Gesellschaft eine fernere beiräthige Mitwirkung bei der Leitung des Unternehmens zu gewähren" (§ 2 Abs. 1 Satz 1). Die Deputation „soll die Rechte und Interessen der Gesellschaft der Königlichen Direktion gegenüber" wahrnehmen; sie „wird in wichtigen Angelegenheiten, insbesondere bei der Verwendung der letzten Anleihe, bei Feststellung des Fahrplans, Tarifs und der Dividende mit ihrem Gutachten gehört". Ist sie insoweit anderer Ansicht als die Direktion, so hat „dringend eilige Fälle ausgenommen" der Handelsminister endgültig zu entscheiden ( § 2 ) . Dem Minister steht auch die Entscheidung über Einwände zu, welche die Deputation gegen die von der Direktion vorgelegte Rechnung erhebt (§ 5). An sich werden die Aktionäre nicht auf ewig entmündigt. Nach 10 Jahren soll der Vertrag sowohl vom Staat als auch von der Gesellschaft gekündigt werden können, von „der Gesellschaft jedoch nur dann, wenn sie zuvor allen Verbindlichkeiten gegen den Staat und die Seehandlungs-Societät vollständiges Genüge geleistet hat." (§ 5). Zudem muss die Kündigung von einer Generalversammlung, in der drei Viertel aller Aktionäre vertreten sind, mit einer Mehrheit von zwei Dritteln beschlossen werden 8 3 . Schon 1853 wird auch diese Kündigungsmöglichkeit abgeschafft — die Königliche Direktion
81 Sie werden allerdings nicht unmittelbar vom Staat übernommen, sondern 1866 von der — staatlich verwalteten — BMEG aufgekauft; diese hatte beide Gesellschaften zuvor schon verwaltet. Vgl. GS 1866, 114. 8 2 § 6 des in der Preuß. GS 1850, 408 ff., publizierten Vertrages lautet: „Alle diesem Vertrage entgegenstehenden Bestimmungen des unterm 12. Juli 1844 Allerhöchst bestätigten Gesellschafts-Statuts werden hierdurch für die Dauer des Vertrags-Verhältnisses abgeändert, resp. außer Anwendung gesetzt." 83 § 5 des Vertrages verweist auf die § § 71 f. des Statuts.
262
§ 6Aufì}ebungdes
Konzessionssystems
übernimmt die Verwaltung „für immerwährende Zeit" 8 4 . Hieran ändert sich auch nichts, als der preußische Staat 1866 seine Anteile an der BMEG zur Finanzierung der bevorstehenden Kriege verkauft 85 . Das bei der BMEG praktizierte Modell findet in den folgenden Jahren bei weiteren Gesellschaften Anwendung 8 6 . Wirtschaftlich bedeutsam ist vor allem die Übernahme der Verwaltung bei der Oberschlesischen Eisenbahngesellschaft, die der preußische Staat 1856 aus Anlass einer Zweigbahn-Genehmigung durchsetzen kann 8 7 . Bei der OEG ist man jedoch bemüht, die innere Organisation der Gesellschaft beizubehalten, wenn auch nur dem ersten Anschein nach. So bestimmt § 2 Abs. 2 des Ubernahmevertrages 88 : „Die Königliche Direktion ist der Vorstand der Gesellschaft und vertritt dieselbe gerichtlich und außergerichtlich." Es wird keine „Deputation" gebildet, sondern der Verwaltungsrat der Gesellschaft darf fortbestehen; allerdings besitzt dieser keine anderen Befugnisse als die BMEG-Deputation (§ 8). Anders als bei der BMEG belässt man bei der OEG der Generalversammlung ausdrücklich einige wenige Restkompetenzen; ohne deren Genehmigung könne nicht stattfinden: ,,a) Aenderungen und Ergänzungen dieses Vertrages, sowie des Gesellschafts-Statutes; b) Erwerb fremder und Anlage neuer Bahnen; c) Betheiligung der Gesellschaft an anderen Bahnunternehmungen, Uebernahme des Transportes auf fremden Bahnen; d) Auflösung der Gesellschaft oder Fusion derselben mit andern Eisenbahn-Gesellschaften." 89 Offenbar soll die Generalversammlung einzelne Projekte zur weiteren Expansion der Gesellschaft aber nur ganz allgemein genehmigen; § 15 bestimmt nämlich, hinsichtlich diverser - im Vertrag schon aufgeführter Bahnen — werde der durch Emission neuer Stammaktien aufzubringende Geldbedarf durch das Handelsministerium festgelegt. 90 1 867 wird dann die statutarische Bestimmung des Unternehmensgegenstandes in § 4 der Satzung geändert: Das Unternehmen der Gesellschaft werde ausgedehnt, „auf den Bau und Betrieb solcher Zweig- und Seitenbahnen, welche von der Gesellschaftsdeputation und der Kö-
84 Vgl. § 2 des Statuten-Nachtrags, GS 1853, 486. Auch insoweit hat der Staat offenbar den gleichzeitig genehmigten Antrag zum Bau einer Seitenbahn (Dortmund — Unna — Soest) als „Druckmittel" nutzen können. 85 Then, Eisenbahnunternehmer, S. 127. 86 Goldschmidt, der 1878 ein Gutachten über die Rechtsverhältnisse der staatlich verwalteten Eisenbahnen erstellt (vgl. § 7 B II), hat eine Übersicht über die zu diesem Zeitpunkt noch staatsverwalteten Bahnen und die wichtigsten Vertragsklauseln zusammengetragen; vgl. GoUischmidt, Rechtsverhältnisse, S. 367 ff. 87 Vgl. Klee, Preußische Eisenbahngeschichte, S. 65 ff. Schon zuvor hatte der Staat auf die OEG erheblichen Einfluss ausüben können, da er an dieser beteiligt war und zudem eine Dividendengarantie gewährt hatte, die aber nie in Anspruch genommen werden musste. Vgl. unter § 2 B II.5. Zur Kriegsfinanzierung verkauft der Staat dann 1866 auch den größten Teil seiner OEG-Beteiligung; vgl. Ziegler; Eisenbahnen, S. 86. 88 GS 1856,857. 89 § 10 Abs. 4 des Vertrages. Derartige Beschlüsse konnten nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln getroffen werden und benötigten zudem die Genehmigung des Staates. 90 Der Verwaltungsrat konnte - bei landesherrlicher Genehmigung — beschließen, dass statt Stammaktien Prioritätsobligationen auszugeben waren.
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
263
Praxis
niglichen Eisenbahndirektion als nützlich oder nothwendig zur Belebung des Verkehrs auf den Hauptlinien anerkannt werden ..." 91 .
2. Modell „Rhein-Nahe Eisenbahngesellschaft" — unmittelbare Regelung
statutarische
Mitte der 50er Jahre vollzieht sich der weitere Ausbau des preußischen Eisenbahnnetzes fast ausschließlich durch Erweiterung schon bestehender Bahngesellschaften. Diese älteren Gesellschaften sind unterdessen - auch durch erste Übernahmen 9 2 — so erstarkt, dass man Neugründungen keine größeren Chancen mehr einräumt. Das Projekt einer Rhein-Nahe Eisenbahngesellschaft (Bingen - Neunkirchen) bedarf deshalb von Anfang an der staatlichen Unterstützung, um nicht völlig zu scheitern 93 . Im Gegenzug lässt sich der Staat schon bei Gründung der Gesellschaft deren Verwaltung übertragen; die entsprechenden Regelungen finden daher unmittelbar Eingang in das Statut der Gesellschaft . Viele der Regelungen, die das Statut der RNEG enthält, lassen sich — mitunter sogar wortgleich — in anderen Satzungen nachweisen, die in den Jahren 1856/57 von den preußischen Behörden bestätigt worden sind (vgl. unter A II), und zwar auch, was die innere Organisation der Gesellschaft anbetrifft. Insoweit muss aber zwischen den einzelnen Organen differenziert werden: Die Generalversammlung besitzt die üblichen Kompetenzen. Sie beschließt über die Anlage von Zweigbahnen (§ 4 Abs. 2), Kapitalerhöhungen (§§ 7 Abs. 2, 18), die Aufnahme von Anleihen (§ 19), Satzungsänderungen (§ 22), die Auflösung und die Modalitäten der Liquidation ( § 23); schließlich hat sie den Verwaltungsausschuss zu wählen (§ 34). Dem Verwaltungsausschuss, der an sich die Gesellschaft „dem Staate und dem Publikum gegenüber... nach Maaßgabe der später folgenden Bestimmungen" vertreten soll (§ 2), ordnet das Statut zunächst nur eher nebensächliche Angelegenheiten definitiv zu 95 ; es fehlt nicht nur die damals sehr verbreitete „große Kompetenzklausel", sondern nahezu jegliche Möglichkeit, auf die Geschäftsführung einzuwirken oder diese auch nur zu kontrollieren. Der Abschnitt
Vgl. § 4 des Statuten-Nachtrags vom 27.6.1867, GS 1867, S. 1746. So konnte die Rheinische Eisenbahn-AG 1856 die Bonn-Kölner Gesellschaft übernehmen, GS 1856, 999; ein Jahr später folgte die Übernahme der Düsseldorf-Elberfelder Bahn durch die BMEG, GS 1857,475. 93 Allerdings gewährte der Staat nur den Inhabern von sog. Prioritätsobligationen und nicht den Aktionären der Gesellschaft eine Zinsgarantie; vgl. v.Mayer, Eisenbahnen I, S. 479 ff. 94 Vgl. GS 1856, 786 ff. Der zusätzlich zwischen „geschäftsleitenden Komite" der RNEG und dem Staat abgeschlossene Überlassungsvertrag, GS 1856, 802 f., enthält nur wenige Bestimmungen, u. a. wird explizit hervorgehoben, der Staat garantiere Aktionären und Gesellschaft keinen Ertrag. Das „RNEG-Modell" hatte erstmals 1853 bei der Gründung der Cöln-Crefelder Eisenbahngesellschaft Anwendung gefunden, GS 1853, 711. Während es jedoch schon 1860 zur Übernahme dieser Gesellschaft durch die Rheinische Eisenbahn-AG kam, bestand die RNEG bis zur Verstaatlichung im Jahr 1882 fort. 95 Größere Bedeutung hat vielleicht noch die Befugnis, über die Einziehung von Aktien, deren Inhaber die Einzahlungen verweigern, zu beschließen (§ 9); auch kann der Ausschuss Zeichner, die mindestens 40 % auf die Aktien eingezahlt haben, bei deren Übertragung aus der weiteren Haftung entlassen (§ 11). 91
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§ 6Aufl)ebung des
Konzessionssystems
über die Stellung und Zuständigkeit der Direktion wurde sogar ganz weggelassen. Kern der statutarischen Ordnung bilden die § § 44 f. Zunächst werden sämtliche — nicht ausdrücklich der Generalversammlung vorbehaltene — Kompetenzen auf den Verwaltungsausschuss fokussiert ; sodann wird der Ausschuss ermächtigt, „die ihm rücksichtlich des Baues und des demnächstigen Betriebs der Bahn, sowie der gesammten Verwaltung des Unternehmens zustehenden gesetzlichen und statutenmäßigen Rechte und Obliegenheiten auf eine, von dem Königlich Preußischen Ministerium für Handel einzusetzende Direktion" zu übertragen ( § 4 5 Abs. 1). Nur wenige Angelegenheiten bleiben ausdrücklich dem Verwaltungsausschuss vorbehalten 97 . Daneben bedarf die Durchführung einiger Maßnahmen seiner Zustimmung: Er hat u.a. vor Baubeginn der genauen Streckenführung und allen auf Kosten der Gesellschaft zu errichtenden Bauwerken zuzustimmen; ferner einer Übertragung der Güter- und Personenbeförderung auf eine andere Gesellschaft, Verträgen über gemeinschaftliche Benutzung von Strecken und höheren Zuführungen zum Reservefonds. Bei der RNEG verbleiben Verwaltungsausschuss und Generalversammlung etwas mehr Kompetenzen als bei der OEG oder gar bei der BMEG. Allerdings benötigen fast alle vom Statut der Generalversammlung zur Beschlussfassung zugeordneten Entscheidungen die Genehmigung des Staates und auch der — wesentlich auf Zustimmungsvorbehalte beschränkte - Verwaltungsausschuss kann nicht positiv auf die Direktion einwirken. Die Königliche Direktion ist mithin bei der RNEG, wie bei der OEG und der BMEG, nahezu vollständig von der übrigen Organisation der Gesellschaft abgelöst. Verwaltungsausschuss und Generalversammlung der RNEG könnten jedoch die Durchführung schwerwiegenderer Maßnahmen blockieren 98 .
3. Wirtschaftliche Entwicklung der staatsverwalteten
Bahnen
Noch wenig erforscht ist, inwieweit sich im 19. Jahrhundert die Geschäftspolitik großer deutscher Gesellschaften beim Ubergang vom Typus des Eigentümer-Unternehmen zu dem des Manager-Unternehmen änderte; relativ sicher lassen sich aber unterschiedliche Expansionsstrategien ausmachen: Während Familienunternehmen häufig aus nichtökonomischen Erwägungen auf eine rasche Ausdehnung verzichteten, nahm unter der Herrschaft angestellter Manager die Bereitschaft zur möglichst schran96 „Dem Verwaltungsausschuß liegt die Wahrung der Rechte und Interessen der Gesellschaft in ihrem ganzen Umfange, dem Staate und dem Publikum gegenüber, ob; auch besorgt er die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens, den Bau und Betrieb der Bahn nach den in dem gegenwärtigen Statute darüber festgesetzten Normen." (§ 44). 97 § 45 Abs. 2 Lit. a. Dabei handelt es sich um diejenigen Befugnisse, die dem Verwaltungsausschuss auch nach den übrigen Vorschriften des Statuts explizit zugeordnet werden. Die statutarischen Vorschriften wurden also insgesamt mit den Regelungen des § 45 abgestimmt. 98 Für die Deutung Landwehrs, ZRG Germ. Abt. 99 (1982), 1, 33 f., die besondere statutarische Ordnung der RNEG sei dem Umstand geschuldet, dass diese Gesellschaft vorrangig eine neue Bahnstrecke bauen und nur in zweiter Linie auch den Transport selbst übernehmen sollte, lassen sich keine Belege auffinden. Die statutarischen Vorschriften auf die verwiesen wird (insb. § 3), haben - auf Druck der Konzessionsbehörden — Aufnahme in fast jedes Statut einer preußische Privatbahn-AG dieser Zeit gefunden.
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
265
kenlosen Expansion erheblich z u " ; jedoch ist es eine weitere - ebenfalls noch unbeantwortete - Frage, ob eine solche Strategie regelmäßig oder eher nur im Ausnahmefall zum Aufbau wirtschaftlich erfolgreicher Unternehmen geführt hat 1 0 0 . Wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen, welche Geschäftstätigkeit und -erfolg der staatsverwalteten Eisenbahnaktiengesellschaften umfassend analysieren und mit dem Wirken der Privatbahnen vergleichen, liegen — soweit ersichtlich - bisher überhaupt nicht vor. Eine „flächendeckende" Betrachtung der Tätigkeit jener fremdverwalteten Gesellschaften, deren Management nicht bzw. zumindest nicht von den Gesellschaftern kontrolliert worden ist, wird allerdings auch dadurch erschwert, dass der Staat die Verwaltung von Privatbahnen unter sehr verschiedenen Umständen übernommen hat: Die OEG gehörte schon zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Privatbahnen, dagegen wäre die RNEG ohne staatliche Hilfe gewiss gescheitert. Im Folgenden soll deshalb lediglich versucht werden, die weitere Entwicklung von BMEG, OEG und RNEG etwas näher zu beleuchten. Auf der Grundlage des vorhandenen Datenmaterials lassen sich zwei Aspekte herausstreichen: Während die RNEG immer eine eher wirtschaftlich unbedeutende Bahn blieb, entwickelten sich OEG und BMEG - an der Länge des Streckennetzes gemessen - zu den beiden größten deutschen Privatbahnen 1 0 1 . Die BMEG stand zunächst im Schatten von Rheinischer und Köln-Mindener Bahn, begann aber schon bald mit diesen beiden Gesellschaften um die Vorherrschaft im Westen der preußischen Monarchie zu konkurrieren. Dabei verfolgte die BMEG eine sehr aggressive Expansionsstrategie: Sie übernahm andere kleinere Bahnen und baute ihr Streckennetz zu Kosten aus, die weit über dem Durchschnitt lagen 1 0 2 . Endgültig etabliert hatte sich die BMEG, als ihr der preußische Staat 1868 die ehemals kurhessische Friedrich-Wilhelm-Nordbahn verkaufte 1 0 3 und sie wenige Jahre später einen Anteil von 50 % an der Braunschweigischen Staatsbahn erwerben konnte. Die OEG war dagegen schon bei der Übernahme der Verwaltung durch den Staat die größte deutsche Privatbahn gewesen. In der Folgezeit war sie bestrebt, das Gebietsmonopol zu verteidigen . Dies gelang ihr zwar nicht, doch kontrollierte die Gesellschaft, die sich die Leitung weiterer staatsverwalteter Bahnen übertragen ließ, immer noch ein sehr großes Verkehrsgebiet. Die dynamische Entwicklung von OEG und BMEG macht deutlich, wie sehr sich die staatliche Verwaltung der Eisenbahngesellschaften in ihren Wirkungen doch von der - relativ statischen bergamtlichen Leitung des Bergbaus nach dem Direktionsprinzip unterscheidet, an die
So Kocka, Expansion, S. 224 f.; ders., Unternehmer, S. 117 ff.; H.Pohl, ZUG 26 (1981), 143,159. Hieraufweist Siegrist, Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft, 6 (1980), 60, 66, hin. 101 Eine entsprechende Ubersicht findet sich bei Ziegler, Eisenbahnen, S. 95. 102 Während die durchschnittlichen Aufwendungen pro Strecken-Kilometer bei den preußischen Bahnen in den 70er Jahren bei ca. 260.000 Mark lagen, kostete der BMEG jeder Kilometer rund 440.000 Mark. Ihr Streckennetz entwickelte sich wie folgt: 1 8 5 0 - 5 8 km; 1 8 6 0 - 197 km; 1 8 7 0 - 8 6 5 km, 1 8 8 0 1315 km. Siehe hierzu v.Mayer, Eisenbahnen I, S. 232 ff.; Ziegler, Eisenbahnen, S. 66 ff., 144 ff. 103 Der Vertrag wurde in der GS 1868, 400, publiziert. 104 Zur Entwicklung der OEG vergleiche Ziegkr, Eisenbahnen, S. 83 ff-, 151 ff. 99
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$ 6Auflebung
des
Konzessionssystems
sie a u f d e n ersten B l i c k e r i n n e r t 1 0 5 u n d d i e i h r m ö g l i c h e r w e i s e z u n ä c h s t t a t s ä c h l i c h als Vorbild gedient hat106. M i s s t m a n d e n w i r t s c h a f t l i c h e n Erfolg a n d e n D i v i d e n d e n , w e l c h e d i e G e s e l l s c h a f ten a n i h r e A k t i o n ä r e a u s s c h ü t t e t e n , so e r g i b t sich ein differenziertes B i l d 1 0 7 : D i e O E G w a r zweifellos erfolgreich, w e n n a u c h v i e l l e i c h t n i c h t in d e m M a ß e , d a s bei d e r G r ö ß e des a b s o l u t b e h e r r s c h t e n V e r k e h r s g e b i e t e s zu e r w a r t e n g e w e s e n w ä r e . S c h o n als p r i v a t v e r w a l t e t e Gesellschaft h a t t e sie i h r e n A k t i o n ä r e n 10 % D i v i d e n d e gezahlt; n a c h d e r Ü b e r n a h m e der V e r w a l t u n g d u r c h d e n S t a a t s a n k diese z u n ä c h s t a b ( 6 - 8 % ) , u m n a c h e i n i g e n J a h r e n w i e d e r a n z u s t e i g e n (bis 1 8 7 5 10 — 15 % ) . D i e B M E G z a h l t e d a g e g e n n i e m e h r als 9 % ( 1 8 6 5 ) , z u m e i s t d e u t l i c h w e n i g e r . Ihre A u s s c h ü t t u n g e n lassen sich d e n e n der R h e i n i s c h e n u n d d e r K ö l n - M i n d e n e r B a h n g e g e n ü b e r s t e l l e n . D i e p r i v a t verw a l t e t e K M E G zahlte v o n 1 8 4 9 — 1 8 7 9 in j e d e m J a h r m e h r aus als d i e B M E G , z u m e i s t d e n d o p p e l t e n , oft sogar d e n d r e i f a c h e n B e t r a g . D i e R E G zahlte n u r i n d e n 6 0 e r J a h r e n etwas g e r i n g e r e D i v i d e n d e n als d i e B M E G ; a n s c h l i e ß e n d - also g e r a d e n a c h d e m e n d g ü l t i g e n „ D u r c h b r u c h " der B M E G - l a g e n d i e A u s s c h ü t t u n g e n d e r R E G e r h e b l i c h ü b e r d e n e n dieser G e s e l l s c h a f t 1 0 8 ; n i c h t v o n u n g e f ä h r : D i e B M E G h a t t e z u r F i n a n z i e r u n g ihrer a g g r e s s i v e n E x p a n s i o n s s t r a t e g i e i n n e r h a l b n u r w e n i g e r J a h r e d a s S t a m m k a p i t a l v o n 7 5 a u f 2 1 0 M i o . M a r k e r h ö h t 1 0 9 , w o b e i diese Finanzpolitik im Laufe der Zeit offenbar i m m e r konsequenter an der Generalvers a m m l u n g v o r b e i g e f ü h r t w u r d e 1 1 0 . D e n G e s e l l s c h a f t e r n d e r B M E G e r g i n g es a b e r i m Vgl. nmKocka, Eisenbahnverwaltung, S. 268. Nach dem Bergrecht des ALR (§§ 69ff. II 16), war das staatliche Bergamt u.a. berechtigt, Zubußen auszuschreiben (§ 274) und die Bergarbeiter einzustellen bzw. zu entlassen (§ 307). Als es zur Entstehung der ersten staatsverwalteten Eisenbahnen kam, machte man sich gerade daran, das Direktionssystem im Bergbau abzuschaffen (vgl. Gesetz über die Verhältnisse der Miteigentümer eines Bergwerks, GS 1851, 265). Es bestand jedoch keine Verpflichtung, die Selbstverwaltung auch tatsächlich anzunehmen und so standen 1852 30 privat verwalteten 137 behördlich geleitete Steinkohlenzechen gegenüber. Vgl. nur Friedrich, Bergrechtliche Gewerkschaft, S. 192 f. 107 Eine entsprechende Zusammenstellung findet sich z. B. bei v.d.Borght, Bewährung, S. 250 ff. 108 Im Durchschnitt zahlte die BMEG von 1849 bis 1881 4,7 % Dividende und die REG (1844 1879) 5,66 %. Die KMEG kam auf 8,5 % (1848 - 1878) und lag damit im Bereich anderer erfolgreicher Privatbahnen wie Berlin-Anhalt (1847 - 1883: 8,8 %) oder Berlin-Hamburg (1847 - 1883: 8,87 %). Die OEG (1847— 1882: 10,33 %) konnte diese Gesellschaften zwar übertreffen, reichte aber an Leipzig-Dresden (1839 - 1875: 12,8 %) oder gar Magdeburg-Leipzig (1840 — 1871: 15,15 %) längst nicht heran. Alle Angaben aus v.Mayer, Eisenbahnen I. 109 Ziegler, Eisenbahnen, S. 147f. Am statutarischen Grundkapital gemessen war die BMEG damit nach der Rheinischen Eisenbahn (262 Mio. Mark) die zweitgrößte deutsche AG des gesamten 19. Jahrhunderts. Außerdem gab die BMEG festverzinsliche Prioritätsobligationen aus, die 1880 eine Gesamthöhe von mehr als 370 Mio. Mark erreichten (bei REG nur 122 Mio. Mark); vgl. v.d.Borght, Bewährung, S. 320. Zur Einordnung dieser Daten: 1887 hatte im Deutschen Reich die mit Abstand größte im Bereich der Industrie tätige AG, die Dortmunder Union, ein statutarisches Grundkapital von 39,679 Mio. Mark. Selbst im Jahr 1907 reicht die deutsche Industrie-AG mit dem größten Grundkapital (Friedrich Krupp AG - 180 Mio. Mark) noch nicht an die BMEG von 1880 heran. Vgl. Kocka/Siegrist, Industrieunternehmen, S. 98 ff. 105
106
110 Bei der Übernahme anderer Bahngesellschaften nimmt die staatliche Bestätigungsurkunde, die regelmäßig zugleich Kapitalerhöhungen genehmigt, zunächst noch auf konkrete Beschlüsse der BMEG-Generalversammlung Bezug, vgl. GS 1853,485; 1866, 114; 1868, 400. Ein solcher Verweis findet sich dage-
A. Entwicklung der aktienrechtlichen
Praxis
267
mer noch besser als jenen der RNEG und weiterer staatsverwalteter Gesellschaften, an die nie eine Dividende ausgeschüttet wurde. Sieht man von der OEG ab, die gleich in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall darstellt, so lässt sich folgende Feststellung treffen: Die von Königlichen Direktionen fremdverwalteten privaten Eisenbahnaktiengesellschaften lagen entweder wirtschaftlich völlig danieder, zumindest an den Gewinnausschüttungen gemessen, oder sie expandierten in einer Weise, die letztlich auch zu Lasten der Erträge ging. Unter den Gesellschaften, bei denen offensichtlich jede Expansionsentscheidung hinsichtlich der Auswirkungen auf die Ertragslage überprüft worden ist, findet sich keine staatsverwaltete 111 . Berechtigt scheint deshalb zunächst der Schluss zu sein, die von der übrigen Organisation der fremdverwalteten Aktiengesellschaften losgelöste Direktion habe sich zur vorrangigen Verfolgung der Gesellschafterinteressen nicht verpflichtet gefühlt 1 1 2 . Dies wiederum könnte den Einwand veranlassen, der wirtschaftliche Erfolg der Gesellschaften dürfe nicht oder zumindest nicht in erster Linie an der Ausschüttung von Gewinnen gemessen werden. Angesichts der immensen Bedeutung des Eisenbahnwesens für den weiteren Verlauf der Industrialisierung Deutschlands hätten die Königlichen Direktionen ihre Aktivitäten auf die Verfolgung anderer Aspekte ausgerichtet; statt nach einer Gewinnoptimierung zu streben, möglicherweise stärker gesamtvolkswirtschaftliche Belange und Kundenbedürfnisse berücksichtigt. Dieser Fragenkreis bedarf gewiss noch einer eingehenden Untersuchung. Die schon vorliegenden Ergebnisse wirtschaftsgeschichtlicher Forschung geben allerdings keinen Anlass, die oben getroffene Einschätzung zu korrigieren. Auch unter Einbeziehung weiterer Bewertungsfaktoren kennzeichnet die Fremdverwaltung der Bahngesellschaften offenbar mangelnde Effizienz: So trug die aggressive Expansionsstrategie der BMEG entscheidend zum sog. gen nicht, soweit — unabhängig von einer konkreten Übernahme — die Emission von Prioritäts-Obligationen bestätigt wird; vgl. nur GS 1867, 9 — Emission von Obligationen in Höhe von 16,6 Mio. Taler; 1870, 1 6 8 - 2 0 Mio. Taler. Als 1870 die Verdoppelung des Stammkapitals von 25 auf 50 Mio. Taler (= 150 Mio. Mark) genehmigt wird, da heißt es in der Urkunde lapidar, die „Vertretung" der BMEG habe diese Maßnahme beschlossen, „auf Grund der ihr von den betreffenden Generalversammlungen der Aktionäre ertheilten Vollmachten". GS 1870, 166. 1 ! 1 Zu diesen Gesellschaften Then, Eisenbahnunternehmer, S. 323 ff. Allerdings verfolgten auch einige Privatbahnen, die nicht fremdverwaltet wurden, in den 70er Jahren eine aggressive — letztlich zu Lasten der Erträge gehende — Expansionsstrategie. So hatte sich z. B. die Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesellschaft (MHEG) 20 Jahre lang darauf beschränkt, den Betrieb auf ihrer nur 58,5 km langen Stammstrecke von anderen Gesellschaften führen zu lassen. Dennoch konnte sie von 1844 — 1864 im Durchschnitt 12,5 % Dividende ausschütten, in den Jahren 1861 - 1864 sogar 22,5 bis 25,5 %. Mitte der 60er Jahre begann die MHEG, neue Strecken zu bauen und andere Gesellschaften zu übernehmen; schon 1878 kontrollierte sie ein Streckennetz von mehr als 1.000 km. Die Dividenden gingen in dieser Zeit nahezu kontinuierlich bis auf 3 % (1874) zurück. Zur MHEG vgl. v.Mayer; Eisenbahnen, S. 394 ff.; Ziegler, Eisenbahnen, S. 148 ff. 112 Wie weit sich die Königlichen Direktionen dem eigenen Selbstverständnis nach von den Gesellschaften, deren Organ sie an sich waren, entfernt hatten, verdeutlicht vielleicht auch die Tatsache, dass die Direktion der OEG den Standpunkt vertrat, ihre Mitglieder müssten nicht zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet werden: Es sei lediglich eine Sache der - durch eine Instruktion des Fachministers geregelten - inneren Verwaltung, wer der Firma seine Unterschrift beizufügen habe. Das Appellationsgericht Breslau lehnte diese Auffassung jedoch ab; vgl. Centraiorgan, NF 2 (1866), S. 41 f.
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§ 6Auftebungdes
Konzessionssystems
„Streckenmatsch" bei — im Ruhrgebiet und am Niederrhein entstanden drei planlos aneinander geflickte Bahnnetze, die sich durch eine — gemessen an der Streckenlänge — geringe Leistungsfähigkeit und durch sehr hohe Betriebskosten auszeichneten11 . Die häufig chaotischen Zustände führten immer wieder zu Konflikten mit den Bahnkunden. 1873/74 war es dann vor allem die BMEG, die wegen ihrer hohen Kosten auf drastische Tariferhöhungen drängte. Zu den ersten Maßnahmen der neueingesetzten staatlichen Verwaltung gehörte bei der OEG 1856 die Abschaffung des günstigen „Einpfennigtarifs" für den Transport von Steinkohle; mit der Folge, dass die vorher rasch ansteigenden Steinkohlentransporte (und mit ihnen auch die entsprechenden Einnahmen der Bahn) über Jahre zumindest stagnierten. Darüber hinaus konzentrierte sich die OEG-Direktion weniger auf den planmäßigen Ausbau des Streckennetzes, als vielmehr darauf, Neugründungen zu verhindern und so das eigene Gebietsmonopol zu verteidigen11 .
B. Rechtswissenschaftliches Schrifttum Die Annahme und das schrittweise Inkrafttreten des ADHGB löst ein schlagartiges Anschwellen des handelsrechtlichen Schrifttums aus 115 . Allerdings geben manche der nun erscheinenden „Kommentare" nur den Wortlaut des ADHGB und der Einführungsgesetze wieder; mitunter wird noch auf die Protokolle der Nürnberger Konferenz verwiesen116. Besonders hervorzuheben sind demgegenüber die ausschließlich dem Gesellschaftsrecht gewidmeten Werke von Auerbach, Renaud und Weinhagen 17 ; von den Gesamtdarstellungen des Handelsrechts die Arbeiten der beiden Teilnehmer an der Nürnberger Konferenz v. Hahn und Thöl118, sowie jene von Endemann und MakowerlK. In den Lehrbücher zum Deutschen Privatrecht besitzt dagegen die Behandlung der offenen Handelsgesellschaft oft erkennbar mehr Gehalt als jene der AG 1 2 0 .
113
Zum Folgenden: Klee, Preußische Eisenbahngeschichte, S. 141 ff.; Ziegler, Eisenbahnen, S. 144,
216 ff.
Ausführlich zur Entwicklung der O E G Ziegler, Eisenbahnen, S. 83 ff. Vgl. nur Köhler, Wissenschaft, S. 280. 116 Siehe etwa Lohr, Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch — erläutert aus den Materialien der Rechtslehre und den Entscheidungen der deutschen Gerichte. Unter genauer Berücksichtigung der Einführungsgesetze sämmtlicher deutschen Staaten, 1868. 117 Auerbach, Das Gesellschaftswesen in juristischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht unter besonderer Berücksichtigung des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, 1861; Renaud, Das Recht der Aktiengesellschaften, l.Aufl. 1863,2. Aufl. 1875; Weinhagen, Das Recht der Aktien-Gesellschaften, 1866. 118 v.Hahn, Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, Erster Band, 1. Aufl. 1863; Thöl, Das Handelsrecht, Erster Band, 4. Aufl. 1862. ThölYissx. die Darstellung der AG und deren inneren Organisation zunächst fast unverändert, vgl. die 2. Aufl. von 1847, und stellt anschließend das Aktienrecht des A D H G B gesondert dar, wobei er aber fast nie über eine Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinaus gelangt. 119 W.Endemann, Das Deutsche Handelsrecht, l.Aufl. 1865. Makower, Das allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1868. 114 115
B. Rechtswissenschaftliches
Schrifttum
I. Ablehnung des Konzessionssystems und Suche nach alternativen
269
Schutzkonzepten
Schon 1829 hatten die Altesten der Berliner Kaufmannschaft das Konzessionssystem kritisiert, wenn auch noch überaus vorsichtig 121 . Zur Zeit der Nürnberger Konferenz wird die Kritik deutlicher: Goldschmidt vertritt in seinem Gutachten für das badische Justizministerium die Ansicht, es sei längst erwiesen, dass die staatliche Genehmigung keine oder doch nur eine äußerst geringe Garantie gegen die befürchteten Missstände biete; er hält es jedoch für ausgeschlossen, dass man sich insoweit in Nürnberg werde einigen können 1 2 2 . Endemann fordert dagegen explizit die Streichung der Staatsgenehmigung, „die schwerlich jemals mehr, als bisher, nemlich Nichts" leiste 123 . Nach dem Inkrafttreten des ADHGB wird dann das Konzessionssystem vom gesellschaftsrechtlichen Schrifttum nahezu einhellig abgelehnt . Wo man sich eingehender mit dieser Problematik auseinandersetzt, da referiert man zumeist ausgiebig den Vortrag der Hamburger Konferenzteilnehmer (vgl. unter § 4 D I I . l ) 1 2 5 . Dessen Generallinie folgend wird gegen das Konzessionserfordernis vor allem vorgebracht, die staatliche Genehmigung der Gesellschaft könne weder die Aktionäre noch Dritte vor Missbräuchen schützen . Während man in Hamburg insoweit jedoch ausschließlich auf die Vorsicht der Betroffenen setzen will, äußert man anderswo erste Überlegungen, was denn funktional an die Stelle der Konzession treten könne.
Endemann wirft der Nürnberger Konferenz Inkonsequenz vor 1 2 7 : Wer das Konzessionssystem wolle, dürfe nicht bei der einmaligen Genehmigung der Gesellschaft stehen bleiben, sondern müsse eine permanente Aufsicht und in letzter Konsequenz eine für alle deutsche Staaten zuständige „Centraibehörde für das Konzessionswesen" fordern. Der rechte Weg für die Staatsgesetzgebung sei jedoch, „die erkannten Mißbräuche und Auswüchse einer an sich nützlichen Gestaltung durch Rechtsnormen abzustellen" 128 . 120 Etwa Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts, 2. Aufl. 1866, S. 910ff. Bluntschli/ Dahn, Deutsches Privatrecht, 3. Aufl. 1864, S. 386 ff. 121 Gans, Beiträge, S. 182 f. Vgl. unter § 2 C II.3. 122 Vgl. Goldschmidt, Entwurf eines Deutschen Handelsgesetzbuchs, S. 74, 76. 123 W.Endemann, Entwurf, S. 91 f., 62ff. Für eine Streichung auch Ladtnburg, ZHR 1 (1858), 132, 134, der allerdings bei den Banken eine Ausnahme machen will. 124 Auch von v.Hahn, der an der Nürnberger Konferenz teilgenommen hatte, distanziert sich vorsichtig vom Gesetz: Ob eine staatliche Fürsorge gerechtfertigt sei und die erwarteten Wirkungen hervorbringe, sei hier nicht zu untersuchen; vgl. Handelsgesetzbuch, S. 431. Thöl, Handelsrecht, 4. Aufl., S. 283 gab die gesetzlichen Bestimmungen dagegen kommentarlos wieder. 125 Vgl. Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 291 ff.; Renaud, Actiengesellschaften, l.Aufl., S. 294fif.; Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, S. 93 f. 126 Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 289 ff.; Renaud, Actiengesellschaften, l.Aufl., S. 296; Weinhagen, Aktien-Gesellschaften, S. 93 f., 240. 127 Vgl. W.Endemann, Entwurf, S. 62fF. Wilhelm Endemann (1825 - 1899) studiert in Marburg und Heidelberg; seine Kritik des ADHGB-Entwurfs verfasst er als Obergerichtsassessor in Fulda. Nach der Anfertigung weiterer Arbeiten, vor allem im Zivilprozessrecht, verleiht ihm die Juristische Fakultät der Universität Jena 1862 die Würde eines Dr. jur. h.c. und beruft ihn kurze Zeit später zum ordentlichen Professor. 1875 wechselt Endemann an die Universität Bonn, vgl. Allgemeine Deutsche Biographie, 48. Band, S. 358 ff. 128 W.Endemann, Entwurf, S. 65. Hervorhebung dort.
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$ 6 Aufhebung des Konzessionssystems
Diese Vorschriften müssten bei der AG, anders als bei der O H G , „natürlich als absolute, durch Privatvertrag nicht abänderliche gelten" 1 2 9 . Ein auch nur annähernd geschlossenes Gesamtkonzept für die gesetzliche Regelung hat Endemann
allerdings noch
nicht anzubieten. Sicher lässt sich nur ausmachen, dass er offenbar einer Erweiterung der Publizität erhebliche Bedeutung beimisst; hervorgehoben wird, diese bilde die natürliche Kontrolle der Aktienunternehmung in ihrem Betriebe 1 3 0 . Auch Auerbach
will das Konzessionssystem durch absolut gebietende Gesetzesvor-
schriften ersetzen, welche die äußeren und inneren Verhältnisse der Gesellschaften regeln 1 3 1 , wobei er den Blick auf die Verfassung der A G lenkt. Gerade eine gute Organisation der Gesellschaft scheine das geeignete Mittel darzustellen, um die mit dieser verbundenen Gefahren zu verringern, vor allem um „eine gewisse Bürgschaft gegen den etwaigen Missbrauch der den geschäftsführenden und verwaltenden Organen anvertrauten Gewalt" zu bieten 1 3 2 . Es sei „Aufgabe des wirthschaftlichen und juristischen Geistes, die für dieses Gebiet allgemein oder im einzelnen Fall speciell gültigen Regeln und Satzungen mit Verständniß der dabei in Frage kommenden Interessen und richtiger Würdigung der gebotenen Mittel zu treffen" 1 3 3 . Da in Deutschland bisher entsprechende gesetzliche Vorschriften oder gar „ein mit der Kraft subsidiärer Geltung bekleidetes Normalstatut" fehlten, sei es bei der Gründung einer neuen Gesellschaft üblich, die statutarischen Bestimmungen bereits bestehender Unternehmen stereotyp zu übertragen und zwar „ohne Klarheit und Kenntniß der Grundprinzipien, geschweige des Einzeldetails des seinem Rechtsgehalte nach zu regelnden Stoffs" 1 3 4 . Insoweit vermag Auerbach
zwar viele Fragen zu benennen, die einer gesetzlichen Regelung bedürften; in
der Fülle der Anregungen lassen sich konzeptionelle Leitgedanken jedoch nur schwer ausmachen 1 3 5 . Aus der Sicht des heutigen Betrachters scheinen vor allem die Darlegungen manns und Auerbachs
Ende-
weiterführende Gedanken zu enthalten. In den ersten Jahrzehn-
ten nach dem Inkrafttreten des A D H G B beeindruckt dagegen kein gesellschaftsrechtliches Werk die Zeitgenossen so sehr wie das von Achilles Renaudli6
im Sommer 1 8 6 3
in den Druck gegebene „Recht der Actiengesellschaften" 137 . Obwohl auch Renaud
das
W.Endemann, Entwurf, S. 93. W.Endemann, Entwurf, S. 95. In seinem Handelsrecht, 1. Aufl. 1865, hat Endemann die programmatischen Überlegungen nicht fortgeführt, sondern sich auf die Wiedergabe der gesetzlichen Regelungen beschränkt. 131 Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 297 ff. 132 Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 200 f. 133 Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 202. 134 Auerbach, Gesellschaftswesen, S. 260 f. 129 130
Vgl. Auerbach, Gesellschaftswesen, insb. S. 298 ff. 1819 in Lausanne geboren, studiert Renaud in Bern, Heidelberg und Berlin. 1840 promovierter in Heidelberg bei Vangerow, 1842 folgt die Habilitation in Bern. Drei Jahr später wird er in Bern außerordentlicher und 1848 in Gießen ordentlicher Professor. Von dort aus wechselt er 1851 nach Heidelberg, wo er 33 Jahre lang — bis zu seinem Tode 1884 — lehrt. Vgl. Heidelberger Gelehrtenlexikon, S. 218; Allgemeine Deutsche Biographie, 28. Band, S. 203 ff.; Landwehr, Handelsrechtswissenschaft, S. 69 ff. 137 Den Einfluss dieses Werkes auf das übrige aktienrechtliche Schrifttum machen vielleicht die folgenden Zahlen ein wenig anschaulich. W.Endemann, der die AG in seinem Handelsrecht, S. 277ff., 135
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B. Rechtswissenschaftliches
Schrifttum
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Konzessionssystem ablehnt, folgert er — anders als z. B. Auerbach — aus der geforderten Abschaffung dieses Systems keinen Ausbau der gesetzlichen Vorschriften zur inneren Organisation der AG. Stattdessen wird hervorgehoben, es könne „die Aufgabe einer Gesetzgebung über Actiengesellschaften nicht sein, die Verfassung aller derartigen Vereine, die sich unter deren Herrschaft bilden, zu regeln, oder sie auch nur subsidiär... zu bestimmen." Die Gesetzgebung habe lediglich daraufhin zu wirken, dass die Statuten der einzelnen Gesellschaften die nötigen Regelungen enthielten; zudem müsse sie Satzungsnormen verhindern, die mit dem Wesen der AG unverträglich seien oder Missbrauch dieser Rechtsform herbeiführen könnten 138 . Jene Bemerkungen scheinen auf ein recht komplexes Regelungskonzept hinzudeuten, da Renaud jedoch - zumindest auf dieser sehr grundsätzlichen Ebene - jede näheren Ausführungen unterlässt, bleibt unklar, wie er sich das Zusammenspiel von gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsfreiheit und gesetzlichen Ordnungs- und Schutzvorgaben konkret gedacht hat. Auch Renaud entwickelt allerdings Überlegungen, die in der Sache den Schutz der Gesellschafter bezwecken; wenn er auch nicht die von ihm herausgearbeiteten Grundsätze explizit in den Dienst dieses Leitgedankens stellt. Während Auerbach in einer entsprechend ausgestalteten Binnenorganisation der Aktiengesellschaft ein Mittel erblickt, mit dessen Hilfe sich die Gesellschafterinteressen angemessen schützen lassen - mithin einen Entwurf verfolgt, der institutionelle Aspekte (zumindest) berücksichtigen will, setzt Renaud auf ein strikt individualistisches Konzept. Zwar sind ähnliche Überlegungen bereits Jahrzehnte zuvor von Treitschke und Jolly vorgestellt worden (vgl. unter § 3 C), das Renaudsche Konzept eines aktienrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes treibt aber den Ansatz der diversen „Sonderrechtstheorien" mit aller Konsequenz auf die Spitze . Auch wenn — soweit ersichtlich - niemand dieser Lehre in all ihren prägenden Grundzügen folgt, bestimmt Renaud für fast zwei Jahrzehnte ganz wesentlich den Verlauf der weiteren Diskussion: In der aktienrechtlichen Reformdebatte der 70er und 80er Jahre bildet sein aktienrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz das wohl einflussreichste Alternativkonzept zu dem der Verbandssouveränität.
durchaus eigenständig behandelt, verweist in 178 der insgesamt 434 Anmerkungen zu diesem Abschnitt auf Renaud\ Beseler; Privatrecht, 2. Aufl., S. 925 ff., immerhin in 11 von 33 Noten. Obwohl Dahn anmerkt, ihm sei Renauds Buch erst während des Druckes zugekommen, verweist er auf dieses und zwar nicht nur in den Anmerkungen, sondern auch auf fast jeder Seite mehrfach im Haupttext; vgl. Bluntschli/ Dahn, Privatrecht, S. 416 ff. Selbst als Karl Lehmann 35 Jahre nach Renaud den ersten Band seines „Das Recht der Aktiengesellschaften" vorlegt, betont er gleich im zweiten Satz des Vorwortes: „Meine Absicht war, ein der rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Seite des Aktiengesellschaftsrechts gerecht werdendes Buch im Style von Renaud's Werk zu schreiben." 138 Renaud, Actiengesellschaften, S. 240 f. Soweit nicht ausdrücklich anders kenntlich gemacht beziehen sich sämtliche Verweise auf die 1. Auflage von 1863. 139 Die Bezeichnung „Sonderrechtstheorien" wird insb. von Mestmäcker, Konzerngewalt, S. 7ff., gebraucht, der die Lehre Renauds als „Theorie von der präsumtiven Unabänderlichkeit der Satzung" bezeichnet.
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$ 6Aufl}ebung des
Konzessionssystems
II. Der aktienrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz als strikt fiindiertes Schutzkonzept
individualistisch
1. Herleitung und Inhalt Dass die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft generell ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit fasse, ist für RenaudV.