Utopias Geschlechter : Gender in deutschsprachiger Science Fiction von Frauen 9783897413368

In »Utopias Geschlechter« werden nicht nur einschlägige Texte so bekannter Autorinnen wie Bertha von Suttner, Irmgard Ke

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Utopias Geschlechter : Gender in deutschsprachiger Science Fiction von Frauen
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Rolf Löchel

Utopias Geschlechter Gender in deutschsprachiger Science Fiction von Frauen U.HELMER

Rolf Löchel

Utopias Geschlechter Gender in deutschsprachiger Science Fiction von Frauen

ULRIKE HELMER VERLAG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bibliographie information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.d-nb.de.

Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Werkdruckpapier

ISBN 978-3-89741-336-8

© 2012 Copyright Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/Taunus Alle Rechte vorbehalten Covergestaltung: Atelier Katarinas / NL

Ulrike Helmer Verlag Neugartenstraße 36c, D-65843 Sulzbach/Taunus E-Mail: [email protected]

www.ulrike-helmer-verlag.de

Inhalt

Vorwort........................................................................................................

7

Die Geschlechter der Aliens - Einleitung.....................................

9

1

Sexualitäten 9 ■ Nur Frauen 13

2

Knallbonbons oder: Die Liebe im Angesicht des Mondes Vor der Ersten Frauenbewegung (bis 1888).................................

17

Das starke Geschlecht und die Schwächen der Frauen 18 ■ Eitel­ keiten 22 ■ Liebesgeständnisse und Heiratspläne 23 ■ Die Liebe des Figaro 26 ■ Frauenzimmer und Raucherzimmer 28 ■ Schwestern im Geiste 30

3

Nur keine Bange, meine Herren! Die Zeit der Ersten Frauenbewegung (1889 bis 1918)..............

33

Feministinnen und Antifeministinnen 33 ■ Mutterschaft und Entdifferen­ zierung der Geschlechter 42 ■ Lösung Staatshaus 45 ■ Gesellschaftsehe und Prostitution 49 ■ Von Absurdum nach Neugermanien 50 ■ Ein Vortrag über Frauen 53 ■ Frankas feministische Friedensreden 56 • Eine Gäste­ liste und ein Heiratsantrag 59 ■ Haupts hypnotisierte Feministin 60 ■ Absurdums Patriarchat und Neugermaniens freie Frauen 62 ■ Frankas Tante und Chlodwigs Freund 65 ■ Vatertochter 69 ■ Ein ungleiches Paar 72 ■ Konterkarierte Emanzipation 75 ■ Aufbruch nach Neu­ germanien 76

4

Im Wellental - Zwischen den Frauenbewegungen (1919 bis 1967)...............................................

79

4.1 Maria und der Herr der SchöpfungWeimarer Republik 1919-1933 .................................................

80

Hypnotische Helme, Gummianzüge und Androidinnen 80 ■ Gegen­ pole 86 ■ Gefährliche Frauen und mordende Männer 87 ■ Prädikat: Ungeeignet 89 ■ Raumfahrer mit Dame 90 ■ Herr und Dienerin­ nen 91 ■ Männer auf dem Mars und der Tanz ums Heilige Ei 94 ■ Vor Frauen wird gewarnt! 97 ■ Freundinnen 101 ■ Friede und der Wolf 106 ■ Die Heilige und die Hure 110

4.2 Nicht mal ein richtiges Matriarchat - BRD und DDR bis zum Beginn der Zweiten Frauenbewegung 1968 .............. 113 Zeit- und Raumreisen 113 ■ Haushaltsführung im Atomzeit­ alter 116 ■ Die Treue der Prostituierten 118 ■ Männerlos 121

4.3 Die Heldin als Trabantin............................................................. 127

5

Selbst- und andere Versuche Zweite Frauenbewegung (1968-1985)........................................... 133 5.1 Der Zukunft zugewandt? - DDR............................................... 133 Wellenbrecher 133 ■ Peter sein? 135 • Der Meister und die Frauen 141 ■ Ich, die Frau 143

5.2 Geschlechterkämpfe - BRD und Österreich............................. 158 Porträt eines Mannes als junger Autorin 158 ■ Verbrecherische Männer, emotionale Androidinnen, geschlechtsneutrale Verrückte und eine feministische Utopie 161 ■ Tödliches Verlangen 167 ■ Para­ diesische Zustände 169 ■ Androidinnen und Eheglück 172 ■ Ein mangelhaftes Plädoyer für sexuelle Toleranz 175 ■ Prekäre Männ­ lichkeit und konservative Geschlechterklischees 179 • Die Mär vom furchtsamen und Schwesterchen seinem klugen Bruder 181 ■ Eine Frau mit Mut 182 ■ Das Geschlecht des Automaten 184 ■ Gruppen­ bild mit Diebin 187 ■ Der verrückte Professor 190 • Der Macho und die Feministinnen 193

5.3 An den Fronten des Emanzipationskampfes............ ................ 195

6

Die Mutter der Klon - Nach der Zweiten Frauenbewegung (1986-2010)......................................................... 201 Zukunftsmusik eines untergehenden Staates 201 ■ Der westliche Blick in die Zukunft 202 ■ Klone, Hybridwesen und Aliens 205 ■ Reproduktions­ technologien 209 ■ Paarungen 214 ■ Verfügbare, Freistehende und Ehe­ verbände 216 ■ Alien- und anderer Sex 219 ■ Blumenmädchen, Barbies und richtige Frauen 221 ■ Feminisierte Männer, (selbst-jvermännlichte Frauen und ein androgyner Computer 225 ■ Kampf der Geschlech­ ter 232 ■ Barbie emanzipiert sich 239 ■ Listen der Ohnmacht und Liebesspiele 243 ■ Heldinnen und Schurkinnen 246 ■ Der Name des Bösen: Sex 248 • Beziehungsprobleme 250 • Emanzipationskämpfe 255

7

Unterwegs zum Sex - Schlussbemerkung..................................... 259 Frauenbewegungen und weibliche Science Fiction 259 ■ Die Befreiung aus dem Ehejoch 261 ■ Der Verkehr der Geschlechter 262 ■ Techniken der Reproduktion 265 ■ Das weinende Geschlecht 266

Anmerkungen........................................................................................... 267 Siglen-Verzeichnis................................................................................... 311

Literaturverzeichnis................................................................................. 313 Personenverzeichnis................................................................................. 339

Vorwort

Dem Erscheinen eines jeden Buches geht die Arbeit des Autors oder der Autorin an ihm voran, Eine Arbeit, die kaum ohne Unterstützung und Hilfe zu bewältigen ist. Daher seien dem vollendeten Werk einige Worte des Dankes vorangestellt. Dies zu tun, ist mir eine besondere Freude. Mein erster und ganz besonders herzlicher Dank gilt Ida Verspohl, die das Werden des Buches von den Vorüberlegungen an mit großem, freundschaft­ lichem Interesse begleitet hat. Sie hat nicht nur das Manuskript gelesen und mit zahlreichen oft kritischen, stets aber hilfreichen Anmerkungen und An­ regungen versehen, sondern mir auch ansonsten in vielerlei Hinsicht immer wieder mit Rat und Tat und auch mit mancher Ermutigung beigestanden. Für all dies danke ich ihr sehr. Vor allem aber danke ich ihr für die zahlreichen außerordentlich lebhaften und engagierten Diskussionen, für ihre Streit­ lust, ihre Ausdauer und ihre klugen Argumente, für ihren anderen Blick auf meinen Text, ihre Detailbesessenheit und ihre Geduld mit mancher meiner Uneinsichtigkeiten. Ulrike Helmer und ihrer Mitarbeiterin Inga Pulkert danke ich für die stets gute Zusammenarbeit. Martin Janz habe ich für das Korrektorat zu danken.

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1

Die Geschlechter der Aliens - Einleitung

Sexualitäten Falls Utopien für Männer oft Dystopien für Frauen sind, warum sollten dann nicht die Utopien für Frauen Dystopien für Männer sein, fragte die USamerikanische Feministin Elaine Hoffman Baruch Mitte der 1980er-Jahre.‘ Da waren Frauen allerdings schon seit einiger Zeit nicht mehr darauf angewie­ sen, zu den tatsächlich oft maskulinistischen Zukunftsvisionen von Männern zu greifen,2 wenn sie sich für ihren feministischen Kampf durch Utopien inspirieren oder durch Dystopien vor möglichen negativen Entwicklungen warnen lassen wollten. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Charlotte Perkins Gilman ihr utopisches Herland3 erdacht. Und in den 1970er-Jahren, in denen die Zweite Welle der Frauenbewegung ihren Höhepunkt erreichte, schien der (wand)sprichwörtliche Strand unter dem Pflaster nur darauf zu warten, freigelegt zu werden, und die Lesbian Nation4 hinter dem nahe­ gelegenen Wanderground5 zu beginnen. So konnte es nicht ausbleiben, dass eine Reihe feministischer Literatinnen ebensolche Utopien verfasste.6 Da die Neue Frauenbewegung im Zuge der Studierendenproteste der 1960er-Jahre entstanden war, standen von Beginn an etliche Studentinnen und Wissenschaftlerinnen in ihren Reihen. Es konnte daher nicht allzu lan­ ge dauern, bis sich die ersten von ihnen theoretisch mit den Utopien ihrer feministischen Mitstreiterinnen befassten. Hierzulande ist an vorderster Stelle die Politologin Barbara Holland-Cunz zu nennen, die 1988 ihre Dis­ sertation über Utopien der neuen Frauenbewegung1 (1988) veröffentlichte. Im Zentrum ihrer Arbeit standen Utopien englischsprachiger, zumal USamerikanischer Feministinnen. Für das mit den Utopien verwandte Genre der Science Fiction (SF) brachte sie hingegen nicht so viel Interesse auf. Auch nicht für die einschlägigen Erzeugnisse ihrer Geschlechtsgenossinnen. Dies ist aufgrund des Zusammenspiels und der wechselseitigen Beeinflussung von feministischen und anderen sozialen Bewegungen mit ihren jeweiligen Utopien leicht einzusehen. So thematisiert Holland-Cunz bereits im Untertitel ihrer Dissertation feministisch-utopische Gesellschaftsentwürfe im Kontext

9

feministischer Theorie und Praxis. (Holland-Cunz 1988). Und im Titel eines Mitte der 1980er-Jahre erschienenen Aufsatzes macht sie sogar die Alternative »Frauen Science Fiction oder Feministische Utopie?« (Holland-Cunz 1985) auf.8 Für das mit den Utopien verwandte Genre der Science Fiction brachte sie hingegen weniger Interesse auf. Mag die damalige Konzentration auf feministische Utopien und das damit einhergehende Desinteresse an Science Fiction von Frauen auch verständ­ lich sein, so zog sie zunächst doch eine Forschungslücke nach sich, welche die von Frauen verfasste Science Fiction betraf. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich diesbezüglich allerdings einiges getan. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass mit dem Gipfelpunkt der Frauenbewegung auch derjenige feministischer Utopien einige Jahrzehnte zurückliegt. Zum anderen sind inzwischen allerorten und in allen Disziplinen die quer zu letz­ teren liegenden Gender Studies erstarkt, in denen vor allem alte und neue Feministinnen tätig sind. So auch in der Literaturwissenschaft. Denn gerade die Science Fiction ist ein Genre, in dem sich wie in kaum einem anderen mit Geschlechter(vorstellunge)n spielen lässt und sich sogar dritte, vierte und fünfte, aber auch Nicht-Geschlechter erfinden und ihre Auswirkungen auf Gesellschaften erproben lassen. Dies unternahmen SF-Autorinnen denn auch ein ums andere Mal, und zwar sogar bereits vor dem Erstarken der Zweiten Frauenbewegung und den mit dieser einhergehenden Utopien. Schon im Jahre 1962 berichtete eine von Naomi Mitchison9 (1897-1999) erdachte Xenolinguistin in ihren Memoiren einer Raumfahrerin von Humanoiden auf dem Planeten Mars, die »alle zweige[76]schlechtlich« sind und nur gelegentlich »monosexuelle Eigenschaften« entwickeln.10 (Mitchison 1980, 75f.) Mehr noch, die Sexualorgane dienen ihnen nicht nur zur Fortpflanzung, sondern insbesondere zur Kommunikation. Sieben Jahre nach Mitchison legte Ursula K. LeGuin (*1929) den Roman The Left Hand ofDarkness (1969) vor. Seine Handlung spielt auf dem Planeten Winter, dessen Bewohnerinnen ganz ähnliche sexuelle Eigenschaften haben wie Mitchisons den Mars bevölkernde Humanoide. Sie bilden nur alle neun Monate für wenige Tage männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale aus. Anders als die erwähnten Marsianerlnnen sind sie die übrige Zeit jedoch keine Hermaphroditen, sondern geschlechtslos. Und 1996 entwarf die feministische SF-Autorin Melissa Scott (*1960) gar eine menschenähnliche Spezies mit nicht weniger als fünf Geschlechtern. (1996) Ebenso viele Geschlechter kennt auch das Volk der Xicithali, das sich Diana L. Paxson (*1943) bereits 1978 in ihrer Erzählung Das Heldenlied des N’Sardi-el (1982) ausdachte. Wie

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schon die Heldin aus Mitchisons Memviren einer Raumfahrerin ist Elena, die menschliche Protagonistin in Paxons Geschichte, eine Xenolinguistin. Sie muss sich bei den Xicithali mit einer Sprache herumschlagen, die nicht nur fünf Genera kennt, sondern in der zudem »jedes [29] Wort in einem Satz gemäß seiner Stellung zu allen anderen gebeugt wird.« (1982, 28f.) Ganz abgesehen davon, dass sie »ein bestimmtes Beugungssystem« besitzt, »das nur auf Kinder angewandt wird.« (1982, 33) Zwar zweigeschlechtliche, jedoch fremdartige Sexualität von Aliens sowie eine die menschliche Spezies gefährdende Art sich fortzupflanzen hat die unter dem Pseudonym James Tiptree, Jr. schreibende Autorin Alice Sheldon (1915-1987) erdacht.11 Nach ihr wurde ein SF-Preis benannt, mit dem beson­ ders originelle Erkundungen und Erweiterungen von Geschlechterkonstruktionen in der Science Fiction gekrönt werden. Zu den Preisträgerinnen zählt etwa Gwyneth Jones (*1936), deren Roman Weisse Königin ausgezeichnet wurde. Er besticht tatsächlich durch eine besonders interessante Geschlechterund Fortpflanzungskonstruktion. Seine Aliens, die Aleuten, sind »[ijmmer wiedergeboren[e]« Hermaphroditen, bei denen sich »die Heranwachsenden mit dem reiferen Alter« kreuzen. (1996, 197) Mindestens ebenso komplex ist die Fortpflanzung der Oankali in Octavia E. Butlers (1947-2006) Xenogenesis-Trilogie. (1999) Eine Spezies mit drei Geschlechtern, von denen je eines menschlichen Männern und Frauen entspricht. Das dritte Geschlecht ermöglicht die sexuelle Verbindung mit den beiden Geschlechtern einer fremden Spezies, wie etwa den Menschen. Zur Reproduktion benötigen die Aliens also neben den drei eigenen zwei weitere Geschlechter einer anderen Spezies. Diese Art der Fortpflanzung gewährleistet eine ständige Neuerung und Erweiterung ihres Genpools und bewirkt zudem, dass sich die einzelnen Generationen der Oankali genetisch wesentlich von einander unterscheiden.12 Angesichts dieser Vielfalt von in der SF-Literatur von Frauen verwirk­ lichten Sexualitäts- und Geschlechterphantasien13 erstaunt es wenig, dass sich die Gender Studies ihrer zunehmend angenommen haben.14 Eine ganz bestimmte Forschungslücke besteht aber nach wie vor. Denn einschlägige Literatur von Frauen deutscher Zunge geriet dabei bislang nur ausnahms­ weise in den Blick.15 So ist sie zwar ein inzwischen weites, aber noch immer unausgeleuchtetes Feld. Diese Forschungslücke zwar nicht zu schließen, denn dies wäre ein allzu prätentiöses Unterfangen, aber sie doch zu minimieren, hat sich die vorlie­ gende Arbeit zur Aufgabe gestellt. Dabei liegt der Untersuchung ein weicher

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SF-Begriff zugrunde, der auch Werke umfasst, die einschlägige Merkmale aufweisen, jedoch entstanden, bevor der Begriff 1929 von Hugo Gemsback (1884-1967) geprägt wurde, (vgl. Jehmlich 1980,16f.) Außerdem wird das Genre der Science Fiction nicht scharf von dem der Utopie geschieden.16 Vielmehr werden auch Werke berücksichtigt, die eher den Utopien zuzurech­ nen sind, sofern sie wenigstens einige Elemente genuiner Science Fiction aufweisen, wie etwa für den Plot relevante technische Erfindungen oder eine in der Zukunft beziehungsweise auf anderen Planeten oder in Paralleluniver­ sen angesiedelten Handlung. Damit befindet sich der hier zugrunde gelegte SF-Begriff im Einklang mit Gero von Wilberts Begriffsbestimmung der Sci­ ence Fiction im Sachwörterbuch der Literatur. Zwar bestimmt er literarische Science Fiction zunächst denkbar eng als »naturwiss.-techn. Zukunftsroman (-Erzählung)«, doch weitet er den Begriff schließlich dahingehend aus, dass er auch - wenngleich »seltener« - »Entwürfet.] künftiger Gesellschaftsfor­ men« umfasst.17 (2001,744) Utopien allerdings, denen solche Momente ganz fehlen, bleiben unbe­ rücksichtigt. Ebenfalls nicht in den Untersuchungskorpus aufgenommen wurden rein phantastische Werke, wie etwa Irmtraud Morgners (1933-1990) Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura (1976). Die Entscheidung für diesen weichen SF-Begriff begründet sich zunächst aus dem Erkenntnisinteresse des Vorhabens, das sich auf die Geschlechterkonstruktionen in der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen kon­ zentriert. Der Fokus wird also nicht wie in den angeführten Beispielen aus dem englischsprachigen Raum ausschließlich auf die Sexualitätskonstruk­ tionen verengt. Vielmehr werden die (impliziten und expliziten) literarischen Konstruktionen dessen, was Weiblichkeit und Männlichkeit ausmacht, vor allem aber die geschlechtlichen Konstruktionen der Figuren untersucht. Für dieses Vorhaben sind Romane, denen eine deutlich utopische Tendenz inne­ wohnt, die aber zugleich Elemente der Science Fiction enthalten, wie etwa Bertha von Suttners (1843-1914) Der Menschheit Hochgedanken, ganz be­ sonders ergiebig. Damit ist schon angedeutet, dass sich der Untersuchungs­ zeitraum anders als bei Holland-Cunz nicht auf die Zeit während und nach der zweiten Frauenbewegung beschränkt. Vielmehr sollen die Wandlungen der Geschlechterkonstruktionen in der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen von ihren Anfängen an bis in die Gegenwart hinein erkundet werden. Von Interesse ist dabei auch, ob und inwiefern sie mit den Geschlechtervorstellungen und -normen der jeweiligen Zeit korrespondieren.

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Nur Frauen

Die Entscheidung dafür, den Quellenkorpus auf Werke von Frauen zu be­ schränken, gründet keineswegs in der Annahme, die nicht nur von feminis­ tischen Literaturwissenschaftlerinnen zur Zeit der Zweiten Frauenbewegung aufgeworfen Frage, ob Frauen anders schreiben,18 wäre mit diesen positiv zu beantworten.19 Vielmehr ist sie dem Erkenntnisinteresse und -ziel geschuldet, dem es auch darum geht, nach Koinzidenzen zwischen dem Auf und Ab der Wellen der deutschen Frauenbewegung und den Geschlechterkonstruktionen in der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen (und nicht derjenigen überhaupt) zu fragen. Hinzu kommt, dass der Versuch, die Wandlungen der Geschlechterkonzepte in deutschsprachiger Science Fiction überhaupt zu untersuchen, den Umfang dieses Unternehmens über jedes vertretbare Maß hinaus ausdehnen würde. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es sich auch bei den Geschlechterkonstruktionen von männlichen SFAutorenlnnen um ein relevantes Untersuchungsgebiet handelt. Zumal auch sie durchaus manch Interessantes zu bieten haben.20 Zum herangezogenen Textkorpus zählen nicht nur Romane und Erzählun­ gen, sondern eben sowohl Theaterstücke. Dies erscheint sinnvoll, da gerade frühe Werke des Genres dieser Textsorte angehören. So auch der älteste einschlägige Text, den ich finden konnte. Es handelt sich um das im Jahre 1873 unter dem Pseudonym Moderatus Diplomaticus veröffentlichte Lust­ spiel Die Deutschen und Engländer im Mond. Das jüngste herangezogene Werk stammt aus der Feder von Juli Zeh (*1974) und erschien 2009 unter dem Titel Corpus Delicti. Es hätte sowohl den Umfang der Untersuchung wie auch jeden zeitlichen Rahmen für das Forschungsvorhaben gesprengt, alle einschlägigen Werke zu berücksichtigen, die nachgewiesen werden konnten. Daher musste eine Auswahl getroffen werden. Da die Anzahl der von Frauen verfassten Science Fiction in der gesamten westlichen Hemisphäre und so auch im deutsch­ sprachigen Raum seit der Zweiten Frauenbewegung exzeptionell anwuchs, sind davon insbesondere Werke der letzten Jahrzehnte betroffen. Um ein möglichst repräsentatives Bild der vielfältigen SF-Literatur deutschsprachiger Frauen zu erhalten, fand die Qualität der Werke bei der Auswahl nur insofern Berücksichtigung, als darauf geachtet wurde, sowohl Texte, die der Hoch­ literatur zugerechnet werden, wie auch Publikationen, die als Trivialliteratur gelten, heranzuziehen.

13

Der Aufbau der vorliegenden Studie folgt im Wesentlichen den Entste­ hungszeiträumen der untersuchten Werke. Die Kapitel unterteilen sich jedoch nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, nach den fünf teils aufeinanderfolgen­ den, teils parallel existierten Staats- und Gesellschaftsformen (Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Regime, DDR und BRD), sondern folgen den Wellen der Frauenbewegung. So wird im ersten größeren Abschnitt (Kapitel 2) die Zeit vor der Ersten Frauenbewegung untersucht (bis 1889). Im dritten Kapitel folgt die der Ersten Frauenbewegung (1891-1918), im vierten die Phase zwischen den Frauenbewegungen (1918-1967) im fünften die der Zweite Frauenbewegung (1968-1985) und im sechsten die Zeit nach der Zweiten Frauenbewegung (ab 1986). Da die Wellen der Frauenbewegung nicht abrupt begannen und endeten, sondern vielmehr an- und abschwollen, sind die in Klammer gesetzten konkreten Jahresangaben nicht von der Sache her zwin­ gend gegeben, sondern dienen vor allem der Gliederung in die einzelnen Phasen. Allerdings sind sie auch nicht ganz willkürlich gewählt, sondern orientieren sich an der weithin üblichen Einteilung in eine Erste und Zweite Welle der Frauenbewegung.21 So entspricht der Schnittpunkt zwischen den Untersuchungszeiträumen des ersten und zweiten Abschnittes, etwa dem­ jenigen, den Margret Twellmann in ihrer zweibändigen Untersuchung und Quellensammlung Die deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge und erste Entwicklung 1843-1898 (1972a und 1972b) setzte. Dass den Vorgaben Twellmanns hier jedoch nicht ganz gefolgt wird, sondern die Grenze zwischen den Anfängen beziehungsweise der Vorgeschichte der Ersten Frauenbewe­ gung nicht zum Jahreswechsel 1899/1890, sondern ein Jahr zuvor gezogen wird, hat seinen Grund darin, dass eines der zu untersuchenden Werke ge­ nau in diesem fraglichen Jahr 1889 publiziert wurde: Bertha von Suttners Maschinenzeitalter (189922). Damit liegt es zeitlich - wie im übrigen auch inhaltlich - näher an den einschlägigen Publikationen zur Zeit der Ersten Frauenbewegung als an dem einzigen anderen in Frage kommenden Werk, das vor dieser Zeit ausfindig gemacht werden konnte: Die Deutschen und Engländer im Mond von Moderatus Diplomaticus. Hinzu kommt, dass mit Der Menschheit Hochgedanken (1911) ein weiteres Werk Suttners aus der Zeit der Ersten Frauenbewegung herangezogen wird, so dass es sinnvoller erschien, beide Werke gemeinsam in einem Abschnitt zu behandeln. Innerhalb dieser fünf großen Abschnitte erfolgen gelegentlich weitere, nun an den Staats- und Gesellschaftsformen orientierte Gliederungen. Dies gilt namentlich für das die Phase zwischen den Frauenbewegungen behan­ delnde Kapitel 4, in dessen Untersuchungszeitraum die Weimarer Republik

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sowie die BRD und DDR fallen. Ein besonderer Fall stellt dabei die Zeit des Nationalsozialismus dar, da für ihn keine einschlägigen Werke eruiert werden konnten. Ein ähnliches Problem bietet die DDR für die Zeit bis zur Zweiten Frauen­ bewegung. Zwar ließen sich etliche genuine SF-Autorinnen ausmachen. Doch haben sie ihre Werke (fast) ausnahmslos gemeinsam mit ihrem jeweiligen männlichen Partner verfasst. Daher wurden sie nicht in die Untersuchung einbezogen. Innerhalb der chronologisch orientierten Ordnung werden die Werke der Autorinnen nicht jeweils separat untersucht, sondern gemeinsam unter je bestimmten Aspekten beleuchtet. Dabei werden insbesondere in den die Zei­ ten während und unmittelbar nach den beiden Wellen der Frauenbewegung behandelten Abschnitten auch die Bezüge der untersuchten Werke zu diesen Bewegungen in den Blick genommen. Zunächst aber werden die Autorinnen und ihr jeweiliges Œuvre in meist nur wenigen Zeilen vorgestellt. Diesen Angaben schließt sich ein inhaltlicher Abriss ihrer hier näher behandelten Werke an. Sodann beginnt die eigentliche Untersuchung der Geschlechterkonstruktionen mit den durch die Werke transportierten allgemeinen Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen und einer erörternden Darstellung der die einzelnen Figuren (namentlich die Protagonistinnen) charakterisie­ renden Geschlechterkonstruktionen sowie der geschlechtlichen Tönung ihrer Beziehungen zueinander. Gelegentlich werden einzelne Überlegungen zu der jeweiligen Erzählstimme eines Werkes und ihrem impliziten oder expliziten Geschlecht zwischengeschaltet. Auch werden in wenigen Fällen von den Erzählinstanzen benutzte Metaphern erörtert. Voraussetzung hierfür ist, dass sie originell und prägnant geschlechtlich konnotiert sind. Allerdings lässt es die Materie der Untersuchung nicht zu, diese Maßgaben zur Gliederung innerhalb der Hauptkapitel strikt einzuhalten. Beschlossen wird die Untersuchung durch ein kleines Kapitel, in dem noch einmal kurz die Bezüge der Science Fiction von Frauen zu den beiden Wellen der Frauenbewegung dargelegt und die Wandlungen nachvollzogen werden, die einige für die Geschlechterkonstruktionen besonders bedeutsame Themen und Motive im Untersuchungszeitraum erfahren haben.

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2 Knallbonbons oder: Die Liebe im Angesicht des Mondes Vor der Ersten Frauenbewegung (bis 1888)

Aus der Zeit, bevor die Erste Welle der Frauenbewegung anschwoll und sich mächtig erhob, konnte nur ein einziges einschlägiges Werk ausfindig gemacht werden. Das Theaterstück Die Deutschen und Engländer im Mond13 erschien 1873 und ist somit der älteste aufgefundene Primärtext. Sein Untertitel weist ihn als Humoristisches Lustspiel aus. Als Verfasserin nennt das Titelblatt Moderatus Diplomaticus. Ein Pseudonym, hinter dem sich die Marquesa Emilia Búfalo della Valle (1828-??) verbirgt. Sie stammte aus Hamburg, wo sie unter dem Namen Johanna Constantia Katharina Emilie Schmidt geboren wurde. Das Stück ist das einzige ihrer zahlreichen Werke, das sich der Science Fiction zurechnen lässt. Und dies auch nur, wenn man den in der Vorbemerkung dargelegten weichen SF-Begriff zu Grunde legt. Zwar handelt das Stück in der »jetzigefn] Zeit«, (D, 1) doch scheinen Reisen zum Mond keineswegs besonderes Aufsehen zu erregen. Vielmehr lassen sich sogar Touristen von »einefr] Art Luftballon-Rundschiff, mit kleinem Dampfkessel unterhalb« (D, 3) zum Reiseziel fliegen. Neben den im Titel erwähnten Engländern und Deutschen treten Angehö­ rige zahlreicher weiterer europäischer Nationen (Franzosen, Spanier, Öster­ reicher, Russen, Italiener, Schweizer sowie ein keiner Nation zugeordneter Jude) auf. Nur die Deutschen sind weiter nach Regionen (»Ein Baier«, »Ein Badenser«, »Ein Sachse«) differenziert. (D, 1) Etliche der Figuren nehmen an dem Ausflug zum Mond teil und werden dort unter anderem dem Mondkönig vorgestellt. Im Laufe der Reise bahnen sich zwei deutsch-englische Hoch­ zeiten an. Sie versinnbildlichen die Botschaft des Werkes: die Versöhnung zwischen den Völkern.

17

Das starke Geschlecht und die Schwächen der Frauen

Bevor die Geschlechterkonstruktionen der Figuren in Augenschein genom­ men werden, sei ein Blick auf das dem Stück vorangestellte Personenver­ zeichnis geworfen. Es nennt insgesamt 37 Figuren, von denen zehn durch ein Sternchen als »Nebenrollen« gekennzeichnet sind und weitere 14 durch zwei Sternchen als »sehr kurze Nebenrollen«. (D, 1) Von den verbliebenen 13 Figuren sind nicht weniger als neun männlichen Geschlechts (darunter die ersten drei), denen nur vier Frauen gegenüberstehen. Unter den insge­ samt 24 Nebenfiguren ist das Verhältnis noch unausgewogener. Bis auf zwei handelt es sich ausnahmslos um Männer. Besonders deutlich aber wird der Geschlechterbias im Herrschaftshaus des Mondes. Während der Mondkönig zu den Hauptfiguren zählt und dort an zweiter Stelle rangiert, kommt der Mondkönigin nicht einmal die Ehre einer »Nebenfigur« zu. Vielmehr ist sie eine der »[s]tumme[n] Personen«. (D, 1) Nun ließe sich ihre stumme Rolle als subversive Ironisierung des auch damals schon gängigen Geschlechterklischees der schwatzhaften Frau lesen. Doch deutet nichts an ihrem stummen Auftreten darauf hin, dass dies tatsäch­ lich so gemeint sein könnte. Dabei wird sogar die Frauenemanzipation explizit thematisiert. Doch dazu später. Zuvor gilt das Interesse den Geschlechtscha­ rakteren der Figuren und deren Beziehungen zueinander. Auffällig ist zunächst einmal, dass die Autorin die Männer auf dem Flug zum Mond und bei der Ankunft ganz dem Klischee entsprechend als das >starke Geschlecht auftreten lässt, die Frauen hingegen als Angehörige des schwachem. So müssen zwei der von dem Flug sehr strapazierten weiblichen Hauptfiguren, »Lady Noseby« und die »Geheimräthin von Schwerdtfeger«, von ihrem Gatten beziehungsweise ihrem Bruder, die beide wohlauf und munter sind, »an das Ruhebett oder Sopha [...] geleitet« werden, wo sie sich erschöpft niederlassen. (D, 17) Der Sohn der Geheimrätin, Lieutnant Fried­ rich, zeigt sich unterdessen ganz als männlicher Militär und prahlt damit, dass er unterwegs beinahe auf den sie störenden »Fliegen- und Mücken-Kram ge­ schossen« hätte. (D, 18) Hier klingt allerdings bereits eine erste Ironisierung sich stark gebärdender Männlichkeit (und militärischen Gehabes) an. Denn natürlich hätte ein mit Schusswaffen durchgeführter Angriff auf einen bloßen Mückenschwarm angesichts der doch eher geringen Bedrohung lächerlich gewirkt. Auch wäre er nur wenig erfolgversprechend gewesen. Doch hielten den wackeren Lieutnant nicht etwa derlei Überlegungen von einer solchen Kampfhandlungen ab, sondern vielmehr seine Befürchtung, »die Damen zu

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erschrecken«. (D, 18) Damit scheint die schwache Konstitution der Frauen noch einmal unterstrichen. Doch ist es der männliche Blick des Militärs, der sie so sieht. Außerdem unterließ er es, zur Waffe zu greifen, weil er Bedenken trug, mit den Schüssen an Bord »irgend Etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen«. (D, 18) Er versteht also nicht nur mit Waffen umzugehen, sondern weiß als technisch versierter Mann auch um die empfindliche Ausgeklügeltheit der Mondfahrttechnik. Allerdings entlarvt seine vage Formulierung, die unbestimmt lässt, was denn nun aus dem Gleichgewicht gebracht hätte werden können, dass es mit seiner Technikkenntnis doch nicht gar so weit her sein kann. Überhaupt baut die Autorin diesen Mann von Beginn an erfolgreich als Witzfigur auf, in dessen Person Männlichkeit schlechthin (vor allem aber in Gestalt des Militärs) ironisiert wird. So lässt sie ihn etwa »sich in die Brust werfend« prahlen: »Ein preußischer Lieutenant hat Muth überall.« (D, 44) Das aber belegt tatsächlich weniger seinen Mut als vielmehr sein eitles männliches Gehabe. Bleiben wir zunächst beim Mut, den die männlichen Figuren des Stückes besonders gerne für Frauen einsetzen. Edgar wird etwa von seiner späteren Braut Louise dafür bewundert, dass er es wagt, für sie zwei Blumen aus einem Beet zu pflücken: Edgar (zu Louise [die an einem Blumenbeet stehen geblieben ist, RL] [...]):24 Fräulein, diese glücklichen Blumen! Von denen sie sich schwer zu trennen scheinen, gefallen sie Ihnen denn so sehr? Louise: Ja, sie sind so besonders; aber ich weiß nicht, ob man davon pflücken darf? — Edgar: O, ja. - (Er pflückt zwei Blumen.) Louise: O - Sie wagen?! Edgar: Ja - für Sie - Alles! (D, 82)

Wie (nicht nur) in der Literatur der Zeit üblich ist und auch an dieser Stelle deutlich wird, »kann die Frau als B[lume] begehrt und geliebt« werden, wobei für diese »Symbolbildung« insbesondere »die Schönheit der B[lume]«, »ihr Aufblühen« und »die Zartheit und Kurzlebigkeit vieler Blüten« bedeutsam sind. Zudem symbolisiert die Blume den »geliebten Menschen«. Zumal, wenn es sich um »eine[.] junge[.J Frau« handelt. Doch nicht nur die geliebte Frau wird gerne durch Blumen symbolisiert. Auch der »Ort eines erot[ischen] Geschehens« kann »von Bflumen] bewachsen sein« wie hier das Blumenbeet, an dessen Rand Edgar Louise antrifft. Der vollzogene Sexualakt, insbesondere die Entjungferung, wird symbolisiert, indem Edgar Louise Blumen pflückt, die begehrte Frau so »gleichsam selbst als Bflume] >gepflücktweiblichmännlichziert weibliche< Ängstlichkeit, die sich hier als Schüchternheit äußert, implizit mit dem >männlichen< Mut kontras­ tiert. Als die Reisegesellschaft Knallbonbons zieht, rät der in Edgars Bonbon liegende Zettel: »Der Bonbon schmeckt recht gut. - In der Liebe - habe etwas Mut.« (D, 7) Interessant ist hierbei auch, dass die Frauen des Lustspiels schüchtern sind, der Mann aber mutig sein soll. Dies korrespondiert einer Vorstellung Immanuel Kants (1724-1804), demzufolge Frauen ängstlich sind, Männer Mut haben sollen?1 Zudem führt der Sinnspruch Frauen mit Bonbons eng: Beide sind süß und zum Verzehr gedacht. Die »Devise« auf Helens Zettel appelliert hingegen an ihre Vorsicht, die wiederum mit Ängst­ lichkeit verknüpft ist, und rät: »Mädchen sei auf Deiner Hut, Amor zielt, und er zielt gut.« (D, 22) Ein Rat von dem die junge Frau aber nicht viel zu halten scheint. Denn »[s]ie zerreißt das Papier« (ebd.) und zeigt so, dass sie eigentlich gar nicht so vorsichtig beziehungsweise ängstlich empfindet, sondern die Geschlechterkonventionen gerne durchbrechen würde, wenn­ gleich sie es nicht tut. Angemerkt sei zudem, dass die beiden Ratschläge aufeinander bezogen sind, wie deren Zeilenenden verdeutlichen, die sich alle aufeinander reimen.

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Eitelkeiten

Was nun die Eitelkeit betrifft, so tritt sie zwar auch an der männlichen Figur des Lieutnants hervor, der damit ganz entgegen seiner >männlichwirkliche< Geheimräthin - nachher kann man stets sagen >Geheimräthin - aber zuerst muß man wissen, daß ich eine >wirkliche< bin.« (D, 3) Letztlich zeigt sich jedoch, dass sowohl weibliche wie auch männliche Figuren dem Laster der Eitelkeit huldigen. So preist Euphrosine ihre Waren denn auch mit dem Hinweis an, »eitel is jede Mensch«. (D, 39) Das unterläuft zwar die einseitige Geschlechterzuschreibung der Eitelkeit. Zu bedenken ist aber auch, dass die Bemerkung durch den Wunsch der Figur motiviert ist, etwas zu verkaufen. Daher weist sie auch auf die allgemeine Doppelmoral in Sachen Eitelkeit hin: »als ob sei nicht reckt bei Andere', - aber bei sick selbst is erlaubt.« (1873,39) Und nicht nur sie, auch Dr. Laufköter weiß um die allgemeine Eitelkeit. Nachdem er beim Mondkönig Adolphe Freiherr von Knigges (1752-1796) Rat28 befolgte und den Herrscher »bei seiner Eitelkeit« (D, 42) nahm,29 konstatiert er: »’s ist eine Eitelkeit in der Welt, man selbst mit.« (D, 43) Eitel zu sein ist eine allen Figuren gemeine Eigenschaft. Insofern ist sie also entgegen dem ersten Anschein nicht unbedingt geschlechtsspezifisch konnotiert. Worauf sie sich allerdings bezieht, ist es sehr wohl. Schmei­ chelt sich der Mann in Gestalt des Lieutnants mutig zu sein, also eine als besonders männlich geltende Eigenschaft zu besitzen, so sind die Frauen in

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Äußerlichkeiten eitel, was noch einmal ihre wiederum als weiblich geltende Oberflächlichkeit unterstreicht. Doch auch dieser geschlechtsspezifische Unterschied wird einmal durchbrochen. Einer der Herren legt ebenfalls Wert auf sein gutes Aussehen. Mylord »will [sjich lassen frisiren jetzt«.30 (D, 37) Auf ganz ähnliche Weise wird eine der Nebenfiguren feminisiert, ein Kellner, dem nicht einmal die Ehre eines Namens oder die Aufnahme ins Personenverzeichnis zuteil wurde, die doch ansonsten sogar »stumme[n] Personen« (D, 1) gewährt wird. Dieser Kellner möchte nicht nur erst einmal »Toilette machen, ehe ich vor Damen mich sehn lassen kann«, (D, 102) was auf an Äußerlichkeiten orientierte und somit doppelt weiblich konnotierte Eitelkeit schließen lässt, sondern bietet dem »Monddienstmädchen« (D, 1) Diafanasia31 an, ihr bei der Reinigung eines Hotelzimmer zu helfen, wobei er schließlich die ganze Arbeit alleine verrichtet, (vgl. D, 101 f.) Doch sind es nicht nur einige der Männer des Stückes, die nicht (immer) mit den üblichen Geschlechterklischees konform gehen. So hat die Geheim­ rätin etwa »nie Neigung etwas zu kochen«, (D, 27) was allerdings auch ihrem hohen gesellschaftlichen Status geschuldet beziehungsweise anzulasten sein mag. Louise wiederum zeigt sich geistreich und stellt damit eine männlich konnotierte Eigenschaft unter Beweis. So antwortet sie auf die Feststellung der Geheimrätin voller Witz: »Ich muß gestehen, liebe Tante, daß, - wenn ich hungrig bin, - ich doch noch lieber Etwas esse, das jemand gekocht hat, der es nicht so gut versteht, - als nichts - von jemandem der es gut versteht.« (D, 27) Und wenn ihr Bruder, der Lieutnant, halblaut zur Seite spricht, Lou­ ise habe »gewiß ihre Witze von mir gelernt«, (D, 27) so stellt er nicht etwa seinen Witz unter Beweis, sondern einmal mehr seine Eitelkeit und sein unangebrachtes Überlegenheitsgefühl seiner Schwester (und vielleicht dem ganzen weiblichen Geschlecht) gegenüber.

Liebesgeständnisse und Heiratspläne Nach dem Blick auf die geschlechtlich konnotierten Eigenschaften der Cha­ raktere, soll das Interesse nun den Beziehungen der Figuren zueinander gelten. Es sind im Wesentlichen teils geschwisterliche, teils eheliche und teils sich anbahnende Liebesbande, welche die Figuren miteinander verbinden. Hinzu treten Beziehungen zwischen dem Major von Felsenheld und seinen Kindern Friedrich und Louise. Weniger interessant ist hingegen die Beziehung zwi­ schen ihm und seiner Schwester, der Geheimrätin von Schwerdtfeger. Denn

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in dem Stück konzentrieren sich die Geschlechterbeziehungen weitgehend auf die sich anbahnenden Liebesbeziehungen zwischen den Angehörigen der jüngeren Generation und deren anstehende Hochzeiten. Daher gilt ihnen das Hauptaugenmerk. Die Liebesgeständnisse erfolgen ganz den Konventionen der Zeit gemäß. Die freienden Herren sprechen sie zwar in Anwesenheit der Geliebten aus, jedoch richten sie die Worte an die jeweiligen Eltern. Edgar bekennt Louisens Eltern, dass ihre Tochter »in wenigen Stunden mein ganzes Herz gewann«, worauf diese zunächst »erröthend nieder« und sodann Edgar »erfreut und verwirrt« anblickt. (D, 113) Während sie dabei gerade mal imstande ist ein »überraschtes »Oh« zu hauchen, preist Edgar sie als »so gut, so romantisch«; auch fühle sie »so zart«. (D, 113) All dies sind Charakteristika, die dem weib­ lichen Geschlechterklischee entsprechen und es somit scheinbar zementieren. Doch durchbricht und unterminiert Edgar es unmittelbar darauf, indem er fortfährt: »gerade wie ich.« (D, 113) Das Liebesgeständnis des Lieutnant Friedrich, der offenbar nicht genug Mut aufbrachte, sich als erster zu bekennen, folgt dem Edgars auf dem Fuß und er erklärt nun »schnell«: »Und ich liebe Miß Helen\« Deren Reaktion fällt nicht viel anders und wortreicher aus als Louises. Doch immerhin bringt sie nicht nur ein gehauchtes »Oh«, sondern den Ausruf » Oh goodness!« zustande. (D, 113) Die Liebe, nicht so sehr als Gefühl, sondern als Beziehung zwischen den Geschlechtern, wird angesichts dieser Sprachlosigkeit denn auch weniger von den Liebenden selbst, als vielmehr von deren Eltern erörtert. Dies mag der Autorin darin begründet sein, dass sie es sind, die wohl nicht zuletzt auf­ grund ihrer Jahrzehnte langen Eheerfahrung in solchen Dingen bewandert(er) sind. Zudem sind es zur Entstehungszeit des Stückes ja auch immer noch die Eltern, die darüber bestimmen, zwar nicht, ob (denn das verstand sich von selbst), aber wen ihre Kinder heiraten sollten. Da galt es allerlei zu be­ denken. Zumal wenn diese Kinder Töchter waren. Vor allem gilt eines, wie Lady of Noseby weiß und ihrem »Gemal« versichert: »Eltern müssen sehr beachten Temperament von ihre Kinder, besonders von Tochter«, wobei sie einen »lebhafte[n] Charakter«, der »sich leicht für jemanden interessiert«, unterscheidet von einem »spröden, schüchternen Charakter«. (D, 115) Im ersten Fall können die Eltern »eher dagegen ein wenden«, im anderen jedoch müssen sie »weit mehr Rücksicht darauf nehmen«, was ihre Tochter fühlt und wünscht, (ebd.)

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So beklagt die Geheimrätin, dass bei Eheschließungen meist nicht, wie es ihrer Meinung nach sein sollte, die »Übereinstimmung der Charaktere« entscheidend ist, sondern vielmehr materielle Überlegungen: Jetzt ist zwar eine Zeit, wo man die Hauptsache: »Uebereinstimmung der Charaktere«, - als Nebensache betrachtet - und die [115] Nebensachen wie: Stellung, Vermögen, Aeußeres zur Hauptsache. (Man denkt: Wenn dieses da ist, - das Andere wird sich schon finden!) Das ist aber nicht so - wenn sie fehlt - die Harmonie der Seelen. - Und dann wundert man sich noch, wenn die Leute nicht glücklich werden! - Aber - man hat ja die Hauptsache zur

Nebensache gemacht, - und die Nebensache zur Hauptsache! (D, 114f.)

Ihre Klage mündet in ein Lob der Liebe, das den Beifall der Lady of Noseby findet: Jeder Mensch hat nöthig, glücklich zu sein; - Viele suchen aber das Glück nicht, wo es zu finden ist. - Jedes Herz wünscht wahrer Liebe zu begegnen, wenige nur finden sie. Schein gilt oft für Wahrheit', - und Manchen - war jene herzinnige, schüchterne Liebe wohl nahe aber sie wussten es nicht! - Daher, - wer sie finde - trenne sich nicht mehr, sondern willige mit Gottes Segen ein! Mylady: So sollte es sein. (D, 115)

Bezeichnenderweise sind es die (älteren) Damen, die das romantische Ideal beschwören und gegen die rationalen Erwägungen einer Versorgungsehe verteidigen. Die Ehemänner der Geheimrätin und von Mylady sind hingegen angesichts der Heiratswünsche ihrer Kinder weit weniger enthusiastisch. Zwar ist Mylord ganz mit einer Hochzeit einverstanden, »wenn unsere Kinder sick lieben«, verlangt allerdings mit männlich konnotierter Bedachtsamkeit, dass »sie sich erst gegenseitig lernen besser kennen«, (ebd) Ein Anliegen, das ihm und dem Vater des Bräutigams offenbar sehr am Herzen liegt. Denn auch zuvor schon zeigten sie sich darin einig, dass die Heirat zwar stattfinden solle, »[djoch - alles mit Bedacht, nichts geeilt über«. (D, 115) Tatsächlich ist die Zeit, die den Liebenden hierfür belassen wird, allerdings recht kurz bemessen. Denn es wird beschlossen, dass die Hochzeit »in vierzehn Tagen« sein soll. (D, 125) Wobei ihnen der Major den Rat mit auf den gemein­ samen Ehe- und Lebensweg gibt: »Nun Kinder [...] macht Euch das Leben gegenseitig leicht und angenehm.« (ebd.) Ein bemerkenswerter Ratschlag. Und dies umso mehr, als die Autorin ihn einem Mann in den Mund legt. Denn er spricht keineswegs davon, dass die Braut dem Bräutigam das Leben leicht und angenehm machen, die Frau dem Manne also untertan sein soll, wie es die Bibel, das damalige Eherecht und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten vorschrieben. Vielmehr scheint der Rat eine partnerschaftliche Gemeinschaft unter Gleichen ins Auge zu fassen oder ihr doch zumindest Raum zu bieten.

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Die Liebe des Figaro Die in Angriff genommenen und für alle Zeiten zu schließenden Ehen der Kinder aus den besseren Ständen werden in dem Stück mit dem Werben von Monsieur Hector, einem Pariser Friseur,32 um die Putzmacherin Mademoiselle Euphrosine kontrastiert, wobei es Monsieur Hector ganz unverhohlen nur um ein >Schäferstündchen< geht. So umschmeichelt er sie denn auch mit wenig einfallsreichen, eher konventionellen Phrasen, auf die diese in Erinnerung an seine Untreue nach einer früheren Liebelei abweisend reagiert: Hector (mit seinem Lorgnon spielend, eine romantische Stellung einnehmend): Schöne Eu­ phrosine - finde ich Sie hier wieder - in die Mond; - haben Aussehen wie eine kleine Engel. Euphrosine (etwas affectiert unwillig): Lassen Sie mich Monstre. - haben fortgereist von Paris ohne Adieu zu sagen mir. (D, 35)

Hector versucht sich mit einer offensichtlichen Ausrede zu rechtfertigen, die ein schon bei Friedrich Schiller (1759-1805) auftretendes Geschlechterklischee aufgreift, demzufolge der Mann hinaus »ins feindliche Leben« (o.J.b, 43) muss: Hector: O! mußte schnell fort, le destin! - la guerre, die Krieg. - Aber Ihr Bild immer, toujours, geblieben in meine Herz. (Mit einem schnellen Blick durch sein Lorgnon, das er dann einsteckt.) Sehn heute aus, so provocante, - gefordert heraus. Euphrosine: Ich nie fordere aus; man sieht, Monsieur Hector, gewesen sein in die Krieg! Hector: Ma foi! Und ici, im Mond, - Sie sein gewiß belagert, cernée von die Mondleut.33

Euphrosine: Assez! Lassen Sie mich mit all Ihr Kriegs-Ausdrück, expressions; haben genug gehört von belagert, cernée. (D, 35)

Hectors Metaphern verraten, dass ihm das Werben um eine Frau dem Kriege gleicht, was die Umworbenen allerdings eher abstößt. Und wohl kaum zu­ fällig hat die Autorin die Namen Hector und Euphrosine der griechischen Mythologie entliehen. Hector ist unter anderem in Homers Ilias (1980a) der kampferprobte Sohn des Troer-Königs Priamos. Die Autorin wählte den Namen vermutlich in Anspielung auf den Krieger, der Patroklos, den Ge­ liebten des Achilles, erschlug (vgl. 1980a, 16. Gesang) und dafür seinerseits von diesem im Kampf getötet wurde (vgl. 1980a, 24. Gesang). Vielleicht aber mag sie zudem auch an den Abschied des liebenden Hector von seiner Gemahlin Andromache gedacht haben, bei dem er vorhersieht, dass er im Kampf getötet wird, Troja fällt und sie - ohne ihn als Beschützer - in die Sklaverei verschleppt wird. (vgl. 1980a, 6. Gesang) Dann allerdings wäre die Werbung des Hector um Euphrosine eine geradezu schauerliche Anspielung auf diese Stelle der Ilias. Der Name der Putzmacherin wiederum entstammt dem Altgriechischen und steht für Frohsinn. Es ist zugleich der Name einer

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der drei Chariten (Grazien) der altgriechischen Mythologie, die laut einem zeitgenössischen Mythologie-Lexikon »die Anmuth des durch Sitte und Schönheits-Sinn geregelten, durch Schmuck und Freude gehobenen gesel­ ligen Beisammenseins [versinnbildlichen]«. (Vollmer 1874,221) Sie sind es, die »dem Leben alle Annehmlichkeiten [geben]«. (1874, 222) Hesiod, der Euphrosine in der Theogonie als erster erwähnt, charakterisiert sie und ihre beiden Schwestern Aglaie (Die Glänzende) und »die liebliche Thalie«, (Die Festfreude) als »schönwangige Chariten«, von deren »freundlichblickenden Lidern« die »gliederlösende« Liebe »herab[fließt]«. (1990,119f. [Theogonie 907-911]) Der männliche Krieger und der weibliche Frohsinn passen nicht zusam­ men, lautet das zu ziehende Fazit. Dementsprechend lässt Hector von seinem kriegerischen Gebaren ab und preist Euphrosine ganz konventionell für ihre Schönheit, wobei er sie zugleich körperlich bedrängt. Was sie nun allerdings nicht zu Unrecht - nun ebenfalls einen kriegerischen Begriff benutzend - als Angriff, als »offence« empfindet und zurückweist: Hector: [...] Ich will aber sagen Wahrheit: (indem er sich Euphrosine nähert) Daß sie mir gefall, sehr gut! Euphrosine: Monsieur Hector, laß Sie mich! - Sein ein coquin, spitzige Bub. Hector: Das ist eine Beleidigung, offence! Muß haben Satisfaction. - Ihre Hand küssen, sie umarm ein Moment. Euphrosine (ernst): Du tout, nicht outrager, beleidigen Sitten. Hector (seufzt etwas affectirt). Euphrosine: On retoume. (D, 36)

Zudem kritisiert die Szene in der Figur Hector männliches Liebesgebaren der Zeit gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen die mit körperlicher Auf­ dringlichkeit einhergehende klischeehaft schmeichelnde Einfallslosigkeit, zum anderen die dahinterliegende Intention eines - wie man heute sagen würde - one night Stands. Das >LiebesVolkscharakter< zugeschriebenen Klischee.34 Nun stellen sich die Brautwerbungen des Engländers Edgar und des Deut­ schen Friedrich zwar ganz anders - und wohl nicht zuletzt darum als erfolg­ reich - dar, doch sind alle Liebeshändel in einer Hinsicht gleich und das heißt gleich konventionell: Stets übernimmt der männliche Part die Initiative. Auch

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wenn es ihm (in der Figur Edgar) einmal schwer wird, sich auszusprechen und die richtigen Worte zu finden und er es vorzieht der Geliebten zu schrei­ ben. (vgl. D, 84) Galant aber ist auch der Mondkönig, bei dem sich Galanterie und Verach­ tung 35 auf die übliche Weise verbinden, wie eine Konversation zwischen ihm und dem Major zeigt, die allgemeine Zustimmung unter den Männern findet: Mondkönig: Wahr ist es, eine gute, edle Frau, das ist das Köstlichste und Werthvollste auf Erden. Major: Dem weisen Manne - heißt’s, wird sie gegeben. Mondkönig: Und eine brave Frau verdient, daß man ihr freudig alle Achtung zolle. [66] Major: Gewiß! (Auch die anderen geben Zeichen ihrer Beistimmung. Der Lieutenant und Edgar blicken auf Helen und Louise. Mylord nickt, und schüttelt seiner Gemalin die Hand.)36 (D, 65f.)

Frauenzimmer und Raucherzimmer In einem weiteren Gespräch unterhält sich eine reine Männerrunde - für ein Stück aus der ersten Hälfte der 1870er-Jahre bemerkenswert genug - über Frauenemanzipation. Bemerkenswert ist dies darum, weil der Allgemeine Deutsche Frauenverein bei Erscheinen des Lustspiels zwar schon seit drei­ zehn Jahren bestand und sein Vereinsorgan Neue Bahnen seit 1866 erschien ,37 die Erste Welle der Frauenbewegung jedoch noch nicht heran gerollt, ge­ schweige denn angeschwollen war. Die Männerrunde des Lustspiels konstatiert zunächst enttäuscht, dass es auf dem Mond »[kleine Tabakläden« gibt, (D, 54) woraus sich ein Gespräch über rauchende und emanzipierte Frauen entwickelt: Lieutenant: Aber auf der Erde wird doch so viel geraucht. Edgar: Und auch von den Damen, in Residenzen, und bei Hofe. Dr. Laufköter: Wenn es für Herren noch passiren mag, so ist es für Damen doch stets sehr unschön. - Es gibt zwar Damen, die vor lauter Affectation nicht mehr wissen, was sie anfangen sollen; - können das aber keine gentile Damenmode machen, - sondern machen vielmehr sich selbst ungentil. Lieutenant: Ja, so liberal denkend ich auch bin - es hat mir doch nie gefallen, wenn eine Dame sich durch dergleichen emanzipiert zeigen wollte. Edgar: Auch ich mag liebereine Dame auf einer duftenden Blumenterrasse sehn, - das passt besser zu ihr, - als ein qualmendes Rauchzimmer. Dr. Laufköter: Ja, das Ideal, das man sich von einer Dame macht, - gehört besser in eine idealische Umgebung. Major: Und, was die Emanzipation betrifft, wird ein würdevolles, tactvolles Benehmen ihr mehr Achtung und Sympathie verschaffen - als ein burschicoses Auftreten. (D, 54)

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Ebenso bemerkenswert wie der Umstand, dass die Frauenemanzipation in dem Stück überhaupt explizit thematisiert wird, ist allerdings, dass sie schon zu einem so frühen Zeitpunkt mit dem Tabakrauchen zusammengedacht wird. Denn eigentlich galt die Zigarette gemeinhin erst zum Beginn des 20. Jahrhunderts als Zeichen weiblicher Emanzipation.38 Insbesondere in den 1920er-Jahren zusammen mit dem Bubikopf. Allerdings durfte sich die Herrenwelt bereits vor der Entstehungszeit des Stückes durch die Zigarren rauchenden Louise Aston (1814-1871) und George Sand (d.i. AmandineAurore-Lucille Dudevant geb. Dupin 1804-1876) provoziert fühlen.39 Obgleich sie weniger an emanzipierte Frauen denken, die provozieren, indem sie bewusst Geschlechterrollen durchbrechen, sondern es vielmehr der typisch >weiblichen< Affektiertheit zuschreiben, mögen es die Herren des Stückes nicht leiden, wenn die Damen in eine ihrer Domänen eindringen und zum Tabak greifen. Friedrich, dessen Eitelkeit sich diesmal darin ausdrückt, dass er sich rühmt, »liberal denkend« zu sein, widerlegt sich sogleich, indem er sich gegen die Frauenemanzipation ausspricht. Wofür er kein anderes Argument vorzubrin­ gen weiß, als dass sie ihm nicht gefällt. Und Frauen sind nun einmal dazu da, um zu gefallen. Das versteht sich für ihn von selbst. Überhaupt gelten rauchende Frauen den Herren der Runde als unweiblich, wie deutlich wird, wenn Dr. Laufköter moniert, dass es »sehr unschön« sei, wenn das als das schöne geltende Geschlecht raucht. Auch Edgar greift zu einem Weiblichkeitsklischee, indem er Damen lieber auf einer »duftenden Blumenterrasse« sehen möchte als in männlich konnotierten Raucherzimmem.* Es sei hier noch mal auf die erotische Symbolik hingewiesen, die einer literarischen Begegnung der Geschlechter an einem mit Blumen bewachsenen Ort innewohnt, (vgl. Grosse Weismann 2008, 50) Edgar, so kann man die Stelle vor diesem Hintergrund durchaus interpretieren, sieht in Frauen vor allem eines: Sexualpartnerinnen. Und deren willige Verfügbarkeit sieht er bedroht, falls sie sich emanzipieren - und sich in Raucherzimmem herum­ treiben, statt auf Blumenterrassen den Galan zu erwarten. Rauchende Frauen sind Dr. Laufköter Anlass, ganz allgemein zu beklagen, dass »das Ideal, das man sich von einer Dame macht«, wohl nur in einer »idealischen Umgebung« zu verwirklichen und somit letztlich unrealistisch sei. Diese Klage lässt den Major wiederum sofort an die Frauenemanzipa­ tion denken, die er sich nur als eine vorstellen kann, die darauf zielt, bei seinesgleichen »Achtung und Sympathie« zu erwecken. Dafür aber seien »ein würdevolles, tactvolles Benehmen« - mithin also typisch >weibliche
happy< end einer Doppelhochzeit,41 die ihr als konservatives Medium der progressiven Botschaft der Völkerverständigung und -freundschaft dient. Diese Art der Friedenerhaltung mittels Eheschließung erinnert sehr an die Gepflogenheiten europäischer Herrschaftshäuser, den Frieden zu sichern. Genannt seien hier nur Marie Antoinette (1755-1793) und Ludwig XVI. (1754-1793), die im Alter von gerade mal 14 beziehungsweise 15 Jahren aus eben diesem Grunde miteinander verheiratet wurden. Nachdem Moderatus Diplomaticus anfänglich die Vorstellung von der schwachen Frau und des starken Mannes zu ventilieren scheint, zeigt sich schnell, dass sie derlei Klischees der Lächerlichkeit preisgibt. Mittel dieser Subversion von Geschlechterstereotypen ist ihr nicht zuletzt die Ironisierung, die sie insbesondere gegen das Klischee des mutigen Mannes einsetzt. Weib­ lichkeitsklischees wie das der Ängstlichkeit und Schüchternheit werden zwar nicht eben durchbrochen, aber doch immerhin in Frage gestellt. Der warnende Zettel aus dem Knallbonbon wird von Louise zerrissen, die Geheimrätin kocht nicht gerne, Luise ist geistreich und dergleichen mehr. Erinnert sei auch daran, dass in dem Stück nicht nur Frauen eitel sind, sondern, wie etwa die Putzmacherin betont, alle Menschen. Besonders hervorgehoben sei auch noch einmal die Thematisierung der Frauenemanzipation in der Herrenrunde,

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für welche die Autorin sich über deren Ablehnung durch die Männer des Stückes immerhin indirekt stark macht. So darf man die Marquesa Emilia Bufalo della Valle insgesamt getrost im Gefolge Hedwig Dohms verorten; als deren - wenn auch zweifellos recht zögerliche - Schwester im Geiste.

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3 Nur keine Bange, meine Herren! - Die Zeit der Ersten Frauenbewegung (1889 bis 1918)

Feministinnen und Antifeministinnen Konnte für die Zeit vor der Ersten Frauenbewegung nur auf ein Werk zu­ rückgegriffen werden, so gestaltet sich die Quellenlage in diesem Abschnitt komfortabler, so dass eine Auswahl aus der in Frage kommenden Primär­ literatur getroffen werden konnte. Berücksichtigt wurden sechs Texte von fünf Autorinnen. Die Werke gehören den Gattungen Theaterstück, Kurzgeschichte und Roman an. Bevor ich mich den Geschlechterkonstruktionen in den Texten zuwende, sollen sie und ihre Autorinnen in aller Kürze vorgestellt werden. Die in diesem Kapitel untersuchten Werke erschienen zwischen 1889 und 1911. Zwar reicht der Untersuchungszeitraum des Abschnittes bis ins Jahr 1918, doch konnten für den Zeitraum nach 1914 auch keine einschlä­ gigen Texte ausfindig gemacht werden.42 Dies mag nicht zuletzt dem Ersten Weltkrieg anzulasten sein, der bekanntlich die Erste Frauenbewegung zum Erliegen brachte, deren Aktivistinnen sich entweder wie Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann während des Krieges ganz der Friedensarbeit widme­ ten, (vgl. Heymann 1992,129-168 und Kinnebrock 2005,370-420) oder aber sie ließen das feministische Anliegen in den Hintergrund treten, weil sie wie Gertrud Bäumer im Krieg die Möglichkeit sahen, »das Nationalbewußtsein der Frauen unter Beweis zu stellen«. (Schaser 2010,158) Der älteste Text, ein Roman von 355 Seiten,43 wurde 1889 veröffentlicht, trägt den Titel Das Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit™ und stammt aus der Feder der Friedensaktivistin und späteren -nobelpreisträgerin Bertha von Suttner. Die in Prag geborene Österreicherin ist bis heute kaum als Autorin von Science Fiction, genauer gesagt von Zukunfts­ romanen mit gesellschaftskritischem und utopischem Einschlag bekannt. Ihr erfolgreichster Roman Die Waffen nieder! (1889) gilt wohl nicht ganz zu unrecht als literarisch wenig ausgefeilte Tendenzdichtung,45 bei der die Kunst hinter dem Anliegen zurückstand. Doch ihr heute kaum bekanntes Maschinenzeitalter fand unter Zeitgenossinnen nahezu überschwängliches

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Lob. Leopold Katscherzählte es Anfang des 20. Jahrhunderts zu den »Perlen der Weltliteratur« (1903, 36) und mutmaßte, es werde wohl »nur äusserst wenige - wenn überhaupt - weibliche Autoren geben, die genügend kennt­ nisreich, vorurteilsfrei und logisch wie dialektisch geschult sind, Bücher schreiben zu können wie Maschinenzeitalter.«.46 (1903,35) Zwar stellte Anne Stalfort rund 100 Jahre später, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, fest, dass es sich bei dem Roman um Suttners »ehrgeizigstes Buchprojekt« (2000, 202) und vor allem um »die erste gesellschaftspolitisch umfassende Utopie einer deutschsprachigen Autorin« handelt, doch musste sie zugleich konstatieren, dass Suttners »literarische Utopien« in der Utopieforschung »kaum Beach­ tung« gefunden haben. (2000, 197) Dieser Befund trifft nicht weniger auf die SF-Forschung zu. Bekanntlich genoss Suttner als - wenn man so sagen darf - Friedenskämp­ ferin weit höheres Ansehen; auch lange schon, bevor sie den bekanntlich auf ihre eigene Initiative überhaupt erst ausgeschriebenen Friedensnobelpreis zugesprochen bekam. Denn die Erstveröffentlichung des Werkes, mit dem sie als Pazifistin berühmt werden sollte, war bereits im gleichen Jahr erschienen wie Das Maschinenzeitalter. Letzteres allerdings unter dem Pseudonym Jemand. Wie Suttner in ihren 1909 erstmals unter dem Titel Memoiren ver­ öffentlichten Lebenserinnerungen (1970) bekennt, hatte sie gefürchtet, das Werk, in dem sie sich »alles von der Seele« geschrieben hatte, was sich in ihr an Groll und Leid über die Zustände der Gegenwart und an Hoffnungsgluten über die verheißende Zukunft angesammelt hatte, [werde] diejenigen Leser, die ich mir wünschte, nicht erreichen [...], wenn es mit einem Frauennamen gezeichnet wäre, denn in wissenschaftlichen Kreisen herrscht so viel Vorurteil gegen die Denkfähigkeit der Frauen, daß das mit einem Frauennamen gezeichnete Buch von solchen einfach ungelesen geblieben wäre, für die es eigentlich bestimmt war. (1970,204)

Nach der Veröffentlichung durfte sie allerdings die »Genugtuung« erleben, daß unter den sehr zahlreichen Kritikern, die ihm spaltenlange Besprechungen widmeten, nicht ein einziger nur auf [213] die Idee kam, daß »Jemand« dem »schwachsinnigen Ge­ schlechte«47 angehören könnte. (1970,212f.)

Noch nach Jahren gibt sie in ihren Lebenserinnerungen eine Anekdote zum Besten, der zufolge sie während eines von »hervorragende[n] Persönlich­ keiten aus politischen, literarischen und gelehrten Kreise[n]« geführten Ge­ sprächs über das Buch vorgab, es zwar nicht zu kennen, sich aber »verschaf­ fen« zu wollen. »[Ujngeheuren Spaß« machte es ihr, als einer der Herren mit den Worten abriet: »Oh, das ist kein Buch für Damen!« (1970,214) Das so zur Herrenlektüre nobilitierte Buch zählt zu den Werken, die sich

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nur Dank des dieser Untersuchung zugrunde liegenden SF-Begriffs dem Genre zurechnen lassen. Denn der Text des Romans besteht zwar aus einer Reihe fiktiver in der Zukunft gehaltener Vorlesungen eines Wissenschaftlers, doch diese handeln nicht von der Gegenwart des Vortragenden, sondern von »eine[r] ziemlich weit hinter uns liegen[den] Epoche«, (MZ, 1) näm­ lich der Zeit, in welcher der Roman entstand, also Mitte der 1880er-Jahre. Zukünftige technische Neuerungen und Erfindungen, gemeinhin eines der Markenzeichen von SF-Romanen, sind nur selten und sehr beiläufig einge­ streut. So erklärt der Vortragende etwa an einer Stelle, »[w]as die technische und industrielle Entwicklung betrifft, so war die Kultur allerdings auf einer sehr hohen Stufe angelangt, [...] so schwerfällig und primitiv uns auch jene Leistungen scheinen mögen«. (MZ, 5) Kaum einmal werden konkrete tech­ nische und wissenschaftliche Errungenschaften genannt wie etwa diejenige, dass Diamanten inzwischen »aus Zucker« hergestellt werden. (MZ, 114) An­ dererseits kann das Thema seiner Vorträge - eben das Maschinenzeitalter - so gedeutet werden, dass das Zeitalter der Maschinen überwunden ist, mithin technische Neuerungen nicht mehr eine so herausragende Rolle spielen wie ehedem. Auch lässt sich das Werk nicht ohne weiteres als Utopie klassifi­ zieren. Denn man erfährt nur selten etwas über die gesellschaftlichen und sozialen Gegebenheiten der Handlungsgegenwart. Deutlich wird allerdings, dass sich die Gesellschaft in jeder Hinsicht zum Besseren entwickelt hat. Bei dem zweiten hier vorzustellenden Werk handelt es sich nicht um einen Roman von mehreren hundert Seiten Umfang, sondern um eine, wie es im Untertitel heißt, heitere Zukunftsgeschichte von kaum mehr als 30 Druck­ seiten. Sie trägt den Titel Die Frau nach fünfhundert Jahren^ (2007) und erschien erstmals im letzten Jahr des 19. Jahrhunderts. Verfasst hat sie die in Posen geborene Schriftstellerin Therese Haupt49 (1864-1938), zu deren wei­ teren Werken insbesondere einige für Kinder gedachte Theaterstücke zählen, wie etwa ein Weihnachtsspiel mit dem Titel Vier Weihnachtsbäume (1896). Besteht Suttners Roman Maschinenzeitalter aus einer zukünftigen Vor­ tragsreihe, so handelt Haupts Kurzgeschichte von nur einem einzigen, in der Gegenwart zu haltenden Vortrag über Segnungen einer feministischen Zukunft. Um Haupts Werk noch unter den hier zugrunde gelegten SF-Begriff fallen lassen zu können, muss dessen Umfang etwas >strapaziert< werden. Hingegen handelt es sich ganz unzweifelhaft um eine Utopie in Form einer Dystopie. Zwei Gründe rechtfertigen seine Aufnahme: Das SF-Genre kennt keine festen Grenzen, schon gar nicht gegenüber der Utopie und Dystopie, (vgl. Jehmlich 1980) Zum Anderen ist der Roman aufgrund seines Themas für

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die vorliegende Untersuchung besonders ergiebig. Ende des 19. Jahrhunderts, also zur Entstehungszeit der Kurzgeschichte, entwirft eine promovierte Femi­ nistin einen Vortrag mit dem titelstiftenden Thema Die Frau nachfünfhundert Jahren. Sie wird schon auf den ersten Seiten als >Rabenmutter< eingeführt, der ihr Text wichtiger ist als die Verletzungen und Bedürfnisse ihrer Kinder, (vgl. FF, 9 und 12) Auch ihr Ehemann wird von ihr vernachlässigt. So versäumt sie es, seiner Kleidung die fehlenden Knöpfe anzunähen. An der Aufgabe, ihren Vortrag zu verfassen, scheitert sie allerdings, (vgl. FF, 15) Dabei ist sie die »berühmteste Rednerin im Frauenverein«. (FF, 13) Ihr Mann bietet ihr inspiratorische Hilfe an, die darin besteht, sie Mittels Hypnose 500 Jahre in die Zukunft zu versetzen, (vgl. FF, 16) Sie willigt ein und es zeigt sich, dass sich die Geschlechterverhältnisse in der fern liegenden Zeit umgekehrt haben, nachdem bei der »kolossale[n] Schlächterei« eines »Weltkriege[s] ums Jahr 2000« die meisten Männer getötet wurden und »meistenteils Frauen« über­ lebten. (FF, 19f.) Diese Frauen stiegen nun »mächtig in die Höhe, studierten, eigneten sich alle wichtigen Aemter und Stellungen an, die sonst nur von Männern verwaltet wurden.« (FF, 20) Diese Umkehrung der Geschlechterhierarchie führte zu einer insgesamt dystopischen Gesellschaft, in der Men­ schen Nummern und Zahlen statt Namen tragen (vgl. FF, 17), Kinder unter sechs Jahren sich - offenbar mangels Mutterliebe - umzubringen pflegen (vgl. FF, 35) und es kaum noch Blumen, Früchte und Tiere gibt. (vgl. FF, 21) Selbst Küsse sind den Menschen unbekannt oder sie werden als »tierische Aeußerung der Liebe« abgelehnt, »deren man heute nicht mehr benötigt«. (FF, 33) Die hypnotisierte Frau wacht schließlich mit einem »furchtbaren Schrei« auf. (FF, 39) »Schluchzend breitete sie ihre Arme aus, und umschlang ihre Lieben«. (FF, 40) Auf ihren feministischen Vortrag verzichtet sie hin­ gegen. Er gilt ihr nun nur noch als »dummes Zeug«. (FF, 40) Nun könnte die Annahme naheliegen, dass es der ungute (hypnotische) Einfluss eines Mannes, nämlich ihres Gatten ist, der ihr die vermeintlichen Grausamkeiten einer feministischen Gesellschaft vorgaukelt. Doch nichts spricht für einen solchen Rettungsversuch der Geschichte. Vielmehr macht jede Zeile des Textes die Botschaft deutlich, dass ihr die hypnotische Einflussnahme ihres Mannes hilft zu erkennen, dass ihr feministisches Engagement falsch ist. Das dritte, in diesem Abschnitt zu untersuchende Werk, Neugermanien50 (1903) von Helene Judeich (1863-1951), ist - wie auch schon Moderatus Diplomaticus’ Die Deutschen und Engländer im Mond - ein humoristisches Theaterstück, ein Zukunftsschwank aus dem Jahre 2075, wie der Unter­ titel spezifiziert. Als solcher ist das Stück etwas untypisch für die an einem

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Dresdener Lehrerinnenseminar tätige51 Autorin, die (ähnlich wie Haupt) überwiegend Weihnachts- und Märchenspiele für Kinder wie etwa Auf der Himmelswiese (o.J.a) und Ruprechts und Christkinds Weihnachtsfahrt (o J.b), aber auch den privatgebundenen Gedichtband Abends duften süßer alle Blu­ men (o.J.c) verfasste. Anders als Haupts heitere Zukunftsgeschichte lässt sich Judeichs Zukunftsschwank schon alleine anhand etlicher Erfindungen wie der »elektrischen Schreibmaschine« (N, 34) und dem »elektrische[n] Luft­ automobil« (N, 21) sowie der Züchtung geradezu gigantischer Früchte als Science Fiction klassifizieren. So dürfte sich etwa das Dessert für eine ganze Familie aus nur einer einzigen der »kindskopfgroßefnj Goliath-Erdbeere[nJ« zubereiten lassen. (N, 40) Allerdings werden all diese Errungenschaften nur am Rande erwähnt. Im Zentrum steht vielmehr das Geschlechterverhältnis. Anders als der Titel Neugermanien befürchten lassen könnte, erweist sich Judeichs Stück keineswegs als völkisch-nationalistische Utopie. Doch bevor die Handlung kurz vorgestellt wird, sei ein Blick auf das dem Stück voran­ gestellte Personenverzeichnis geworfen. Die Namen, die Judeich ihren Figuren gab, sind ebenso amüsant wie sprechend. So heißen die Männer etwa Feuribert Bazillner, Sonnenfried Elek­ tras, Lichtopart Lehmann, Weltenmut Haarspalter, Sturmesstark Migräniner, Wodan Bachstelz, Scharfkant Schulze oder Dr. Wasserwald Knieguß. Bazillners Frau Minnewalde und »beider Tochter« Holdseliga, (N, ohne Paginierung [= 5]) sowie die Gattinnen der anderen werden im Personen Verzeichnis nur mit Vornamen genannt und heißen etwa - nicht weniger sprechend - Schöngundis, Mimosa oder Weichtildis. Ledige Frauen werden hingegen ebenso wie die Männer mit vollem Namen genannt. So wird Scharfkant Schulzes Braut als Sanftmute Myrtenzweig vorgestellt. Von den Namen der Frauen aus Absurdum unterscheiden sich diejenigen ihrer Geschlechtsgenossinnen aus Neugermanien ganz eklatant: Frohmute Michel und Brünhilde RolandAnsgard. Auffällig sind nicht nur ihre kämpferischen Vornamen,52 sondern auch die männlichen Vornamen entlehnten Nachnamen, die nicht auf etwaige Vermännlichungen, sondern auf die Gleichstellung von Frau und Mann in Neugermanien anspielen. Ebenso der Doppelname der verheirateten RolandAnsgard. Beide Besucherinnen werden im Personenverzeichnis als »aus Neugermanien« kommend vorgestellt. Dem entspricht auf Seiten der Männer Elektras »aus Unclesamia in Amerika«, (ebd.) Von je einer männlichen und einer weiblichen Figur wird der Beruf angegeben. Bazillner ist »Geheimer Oberfrauenwart« und Traumhilde »Dienstmädchen bei Bazillner«. (ebd.) Von allen anderen männlichen Personen wird nur der Name genannt und bei den

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Frauen wird statt des Berufes, den sie auch gar nicht haben, ihr Bezug zu einem der Männer angeführt, also etwa bei Holdseliga »seine [Bazillners] Frau« oder bei Sanftmut Myrtenzweig »seine [Schulzes] Braut«, (ebd.) Schon dies macht das Abhängigkeitsverhältnis der jeweiligen Frau von einem be­ stimmten Mann deutlich, während die Männer für sich stehen. Näheres über die Personen, etwa weitere Berufe, Alter, Aussehen etc., erfährt man bei deren jeweiligen ersten Auftritten. Erwähnenswert ist außerdem, dass die redenden Personen im Stück selbst mit Nachnamen angegeben werden, sofern sie männlichen Geschlechts sind; sofern sie Frauen sind, jedoch mit ihren Vorna­ men. Die Feministin Judeich entspricht damit der misogynen Gepflogenheit nicht nur von Theaterstücken, sondern von literarischen Werken überhaupt, Männer mit dem Nach-, Frauen beim Vornamen zu nennen. Ebenso hält es die Literaturgeschichtsschreibung bei Autorinnen, (vgl. Hahn 1991,7 u.ö.) Unterhalb der »Personen« werden auf dem unpaginierten Vorblatt die »Kostüme« beschrieben: »Die Damen gehen in langen, empire-ähnlichen Reformkleidem, phantastischer Haartracht mit Blumen, die Herren in langen, uniformähnlichen Röcken mit Spitzen und Schärpen, hohen Gamaschen.« (N, ohne Paginierung [= 5]) Die Kleidung der Frauen unterscheidet sich also ganz auffällig von derjenigen der Männer. Doch sind beide gleichermaßen un­ praktisch und eitel. Überraschenderweise wird die Kleidung der beiden Neugermanierinnen hier nicht von derjenigen der Absurdumerinnen abgesetzt. Es ist allerdings kaum denkbar, dass die sonst so unterschiedlichen Frauen der beiden Länder der gleichen Mode folgen sollten. Wie sich zeigt, tun sie das auch nicht, denn die Neugermanierinnen sind »geschmackvoll aber einfach« gekleidet. (N, 52) Eine beiläufige Anmerkung über die Mode der Zukunft in ihrem Roman Der Menschheit Hochgedanken53 flicht auch Suttner ein, sie habe nach 1910 »gewechselt«: »das Eckige, Knochige, Zaundürre galt nicht mehr als weibliches Schönheitsideal.« (MH, 162) Obgleich sowohl Judeichs Theaterstück wie auch Suttners Roman die Frauenemanzipation propagieren, ist in letzterem, wenn es um Mode geht, nur von derjenigen der Frauen die Rede, womit das Geschlechterklischee, dass nur sie sich für Modefragen interessieren, implizit bestätigt wird. Hier ist Judeich reflektierter. In ihrem auch heute noch sehr belustigenden Text schreitet die Frauen­ emanzipation im Laufe des 20. Jahrhunderts in einem Städtchen mit dem sprechenden Namen Absurdum stetig voran. Doch nachdem die Frauen »sämtliche Männerberufe an sich gerissen und auf einem Kongress erklärt hatten, sie würden von nun an nicht mehr heiraten«,54 (N, 16) unternahmen die Männer im Jahre 2000 einen maskulinistischen Umsturz.55 »Mit einem

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Schlage haben sie dadurch die gefährliche Emanzipation in Absurdum ver­ nichtet.« (ebd.) Frauenrechtlerinnen und ihre männlichen Sympathisanten wurden in die afrikanische Kolonie Neugermanien ausgewiesen. (N, 17f.) Doch dadurch wurde die »Giftsaat« des Feminismus dorthin »verschleppt«, (N, 16) während den Frauen in Absurdum unterdessen »sämtliche Ämter« entzogen und sie »ganz und gar de[n] Familie[n] zurückfgegeben]« wurden. (N, 17) Außerdem wurde ihre Bildung auf »elementares Lesen, Rechnen und Schreiben« beschränkt. (N, 8) »Die Intelligenz der Frau hat ein wenig dabei gelitten«, (N, 17) wie Baziliner zunächst beschönigend sagt, um dann jedoch einzugestehen, dass »[d]ie weibliche Intelligenz in Absurdum [...] fast gleich Null« ist. (ebd,) Die Folge ist, dass immer mehr junge Frauen, die im Alter von siebzehn Jahren einer Prüfung unterzogen werden, trotz der sehr geringen Ansprüche durch das Examen fallen und zu den Feminis­ tinnen nach Neugermanien verbracht werden. Darum strebt Baziliner eine »geistige Hebung der Frau« an. (ebd.) Gegen Ende der Handlung sprechen zwei Abgesandte aus Neugermanien bei ihm vor, um sich zu beschweren, weil immer ungebildetere Mädchen nach Neugermanien verschickt werden. Außerdem hat die Politik Absurdums zur Folge, dass »ein verhängnisvoller Schatten« über Neugermanien hängt: »Es gibt zu viele Frauen und zu wenig Männer.« Da die »Devise« der Neugermanierinnen keineswegs »>Los vom Manne Vereint mit dem Mannet« lautet, bitten die Abgesandten um die »Aufhebung des Gesetzes aus dem Jahr 2050, daß kein Mann aus ganz Deutschland Neugermanien betreten darf.« (alle Zitate N, 58) Ganz entgegen Bazillners Erwartungen sind die beiden Vertreterinnen Neugermaniens nicht nur keineswegs männerfeindlich, sondern zudem auch noch alles andere als dumm und erweisen sich als den Männern Absurdums mindestens ebenbürtig. Bazillner ist schließlich so sehr von ihnen und ihrer Heimat angetan, dass er die Einwohnerinnen Absurdums überzeugt, künftig alle Frauen nach Neugermanien zu schicken, damit sie dort (aus)gebildet werden, (vgl. N, 60) »Auf nach Neugermanien!« (N, 60) lautet die letzte Zeile und die wegweisende Botschaft des Stückes. Nicht ganz so >radikalfeministisch< sind hingegen die Zukunftsbilder für das deutsche Volk, die Rosa Voigt56 (1837-1922) unter dem Titel Anno Domini 200051 (1909) auf den Markt brachte. Dass Voigts Tendenzroman - wenn auch nur in zweiter Linie - die Frauenemanzipation propagiert, wird den Lesenden jedenfalls bereits auf den ersten Seite deutlich gemacht, wenn eine der Figuren, Professor Alverius, ausführlich die Anschauungen von Mary Wollstonecraft (1759-1797), der »erstefn] [16] Frau, welche für die

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Frauenemanzipation wirkte«, (AD, 15f.) referiert. Dabei ist er durch seinen akademischen Titel als gebildeter Mensch ausgewiesen, der weiß, wovon er spricht.58 Ebenso wie in ihrem ein Jahr später publizierten Tagebuch ei­ ner Fünfjährigen (1910) macht sich Voigt in den Zukunftsbildern von Anno Domini 2000 vor allen Dingen gegen den Alkoholkonsum stark,59 dessen negative Auswirkungen auf die Gesellschaft, das Individuum und das Geschlechterverhältnis sie in den düstersten Farben malt. In dem hier zu untersuchenden Werk Voigts, bei dem es sich eher um eine Gesellschaftsutopie als um genuine Science Fiction handelt, trifft sich im Laufe des Jahres 2000 allmonatlich eine Gruppe gebildeter Menschen aus den besten Kreisen im Hause von E. Noldau-Kitz, um sich geistig aus­ zutauschen. Es wird insbesondere über die Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie über den Segen des Alkohol­ verbots diskutiert. Im Laufe der Handlung werden außerdem drei Partner­ schaften gestiftet. Zwei herkömmliche Ehen (vgl. AD, 107 und 147) und eine »Gesellschaftsehe«. (AD, 150) Erwähnenswert ist auch, dass dem Roman ein mit »Dr. O. F. Damm« unterzeichnetes, knapp zwei Seiten umfassendes »Geleitwort« vorangestellt ist, in dem jegliche Information, die Aufschlüsse über das Geschlecht der Verfasserin erlauben könnte, vermieden wird, wofür sogar die abenteuerlichsten Satzkonstruktionen in Kauf genommen werden, (vgl. etwa AD, V) Im nächsten Primärtext, Ellen Carolina Sophia Keys (1849-1926) kurzer Erzählung aus dem Jahr 1910, steht Die Frau in hundert Jahren60 (2007) im Mittelpunkt. Zwar ist Key schwedischer Nationalität, doch publizierte sie etli­ che ihrer Schriften in deutscher Sprache, so auch den hier zu untersuchenden Text. Nicht nur Hedwig Dohm zählte die [d]as Jahrhundert des Kindes ( 1902) ankündigende Pädagogin, die auch über [d]ie Frauen-Bewegung (1909) publizierte, zu den Antifeministen (vgl. Dohm o.J., 104-119). Keys kurzer SF-Text hat weder einen Plot, noch eine wirkliche Handlung im engeren Sinne. Vielmehr beschränkt er sich weitgehend auf eine ironisch-dystopische Beschreibung bestimmter Aspekte einer zukünftigen Gesellschaft, in der »alle großen Erfindungen der Neuzeit vervollkommnet [sind], und ihre beiden großen Bewegungen - die Frauen - und die Arbeiterbewegung -[...] ihre Ziele erreicht« haben.61 Das letzte und jüngste der in diesem Abschnitt zu behandelnden Werke stammt ebenso wie das erste und älteste aus dem Œuvre Bertha von Suttners. Anders als Das Maschinenzeitalter handelt Der Menschheit Hochgedanken (1911) nicht in ferner, sondern, wie der Untertitel verrät, in der nächsten Zu-

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kwift. Genauer gesagt beginnt der Roman in der zur Zeit seines Erscheinens unmittelbar verstrichenen Vergangenheit, also vor 1909. Die Handlungszeit ist somit zugleich die Gegenwart der zeitgenössischen Lesenden, in der »vieles Neue das Alte verdrängen will«. (MH, 55) Dies gilt nicht zuletzt auf techni­ schem Gebiet. So sehen sich die Menschen des Romans »an der Schwelle des aeronautischen Zeitalters«, in der die »sieghafte Vernichtung des veralteten Begriffs >unmöglichInstitution< wurde hingegen (ebenso wie der Alkoholgenuss) abgeschafft: »die staatlich geschützte Prostitution«. (AD, 45) Zwar »bewun­ dert« Frau Dr. Strittmann »die Entschlossenheit und den Mut«, mit dem Franziska Hahn »diese Eiterbeule« schon vor Jahrzehnten im Reichstag »aufgeschnitten hat«, (ebd.) doch ist die Ablehnung der Prostitution in dem Gesprächskreis so allgemein, dass sie nur nebenbei angesprochen und ohne weitere argumentative Anstrengung abgefertigt wird. Auch die beiden hier behandelten Romane Bertha von Suttners thema­ tisieren käuflichen Sex. Während Der Menschheit Hochgedanken ebenso beiläufig, aber noch vehementer als Voigts Roman die »Lustsklaverei des

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Weibes« als »Schandfleck[.] der Kultur« kritisiert, (MH, 238) behandelt Das Maschinenzeitalter dieses Übel - ausgerechnet - in dem Vortrag über »[d]ie Liebe« (MZ, 138-167) ausführlicher, (vgl. MZ, 145-153) Auch hier werden Prostituierte als »Heer von Sklavinnen« bezeichnet, die im Maschi­ nenzeitalter »zur Verrichtung der niederen Arbeit der Lust« herangezogen wurden. (MZ, 145) Aus der Gesellschaft, aus dem Frauentum gestoßen, gehörten die Unglücklichen [die Pro­ stituierten, RL] eigentlich nicht zur Menschheit; denn alle Begriffe von der Würde der Menschheit, von ihren Rechten und Idealen, lagen außerhalb ihres Bereichs, (ebd.)

Mitverursacht wurde die Prostitution dem Vortragenden zufolge durch »[d] ie Prüderie, diese heuchlerische und grausame, lächerliche und boshafte Wäch­ terin der in Fesseln und Acht schmachtenden Natur«, die als »dienstwillige Helferin des Lasters« dafür sorgte, »daß eine Einrichtung, [152] in welcher Millionen von Frauen ihren Untergang und alle Männer geheime Genüsse fanden, öffentlich behandelt wurde, als wäre sie nicht.« (MZ, 15 lf.) Schuld trägt aber auch der »nur durch Männer personifizierte Staat«, (MZ, 145) der es nicht nur »ruhig geschehen [ließ], daß die Gewalt der Umstände einen Teil der weiblichen Bevölkerung in jenen Abgrund trieb«, (MZ, 146) sondern sogar dafür sorgte, »daß die Helotenschar der >Verlorenen< gewerbemäßig konsti­ tuiert und polizeilich reguliert wurde« und »mittelst nächtlichen Razzias« einer opferverfolgenden Behörde, »welche wie zum Hohn >Sittenpolizei< sich nannte«, dazu beitrug, dass die Prostituierten »sich nicht empöre[n] und dem Schmachjoch entlaufe[n]«. (MZ, 145) Vor allem aber bringt der Vortragende die Prostitution in kausalen Zusammenhang mit der »von Alters her überkommene[n] Unterordnung der Frau«. Und da diese zur Zeit des Vortragenden längst überwunden ist, ist es mit ihr auch die Prostitution. »Sie begreifen wohl, daß an dem Tag, da jede Frau sich ihr Leben anderweitig verdienen konnte, es auf der Straße keine Feilbieterinnen der eigenen Reize mehr gab«, erläutert er. (MZ, 151) Mit ihrer Kritik an der Prostitution greifen Voigt und Suttner ein zentrales Thema des radikalen Flügels der Frauenbe­ wegung auf.77

Von Absurdum nach Neugermanien

Noch prägnanter als Voigt oder Suttner kontrastiert Judeich in ihrem anno 2075 handelnden Stück die Unterschiede der Geschlechterverhältnisse im Patriarchat und in einer Gesellschaft, in der die Gleichberechtigung der

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Geschlechter verwirklicht ist. In Absurdum sind alle konservativen und reaktionären Weiblichkeitsklischees grotesk erfüllt und übererfüllt. Seit im Zuge der Männerrevolution des Jahres 2000 »sämmtliche Emanzipations­ schriften« verbrannt worden sind, (N, 55) beschränkt sich die Bildung der Frauen auf die Lektüre von »Weiblichkeitskatechismen«, (N, 11) die es nicht nur auswendig zu lernen, sondern strikt zu befolgen gilt. Sie sind »vom Frauenministerium vorgeschrieben [..]« (N, 8) und enthalten unter anderem einen »Schönheits- und Anmuts-Katechismus« sowie einen »JungfraunKatechismus«. (N, 9) Ihre >Weisheiten< und Vorschriften besagen etwa: »Der einzige Beruf der Frau ist die Ehe«. (N, 11) »Eine Frau muß jede Arbeit, Anstrengung und Aufregung vermeiden, denn Arbeit geht über ihre schwachen Kräfte, Anstrengung ruiniert den klaren Spiegel ihrer Weiblich­ keit«. Doch »die größten Fehler der Frau [sind] Hässlichkeit, Ungeschick, Unweiblichkeit.« (N, 12) Als weiblich gilt hingegen, »[zu ljieben, [zu] heiraten, Kinder [zu bekommen]«. »Die Hauptaufgabe der Frau« aber ist selbstverständlich, »dem Manne zu gefallen.« (N, 13) Allerdings macht den Absurdumem zur Handlungszeit ein bestimmtes Problem immer stärker zu schaffen. Den jungen Frauen fällt es mangels Bildung von Generation zu Generation schwerer, die Vorschriften der Katechismen zu memorieren. Da scheint es fast schon eine überflüssige Anordnung, dass den Frauen die Lektüre »wissenschaftliche[r] Werke [...] verboten« ist. (N, 49) Sagt man ihnen aber, »sie wären dumm'.«, fallen »[s]ämmtliche Damen [...] mit und ohne Schrei in Ohnmacht.« (N, 50) Von »Männerversammlungen« sind die Frauen gesetzlich »ausgeschlos­ sen« (N, 43) und ihre Unterschriften sind »rechtsungültig.« (N, 41) Diese Gesetzeslage dürfte den zeitgenössischen Lesenden nicht so grotesk erschie­ nen sein wie uns heutigen. Denn tatsächlich durften Frauen in Deutschland um 1900 keine politischen Vereine gründen oder sich in ihnen betätigen78 und als Verheiratete waren sie nach dem in weiten Teilen noch bis tief ins 20. Jahrhundert hinein gültigen Eherecht auf vielen Gebieten der Entschei­ dungsgewalt ihres Mannes unterworfen.79 Letzteres änderte sich in vielen Punkten erst mit dem 1977 in Kraft getretenen Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts, (vgl. Reform des Ehe- und Familienrechts 1976) Angesichts all dessen kann es wenig verwundern, dass auch die Nahrung strikt nach Geschlechtern getrennt ist. Ist der Verzehr von Fleisch auch heute noch männlich konnotiert, so war es um 1900 selbstverständlich, dass der in den besseren Häusern bereitete Sonntagsbraten vor allem zum Genuss des Hausvaters und seiner Söhne auf dem Tisch stand. In Absurdum wird das

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mit der schwachen weiblichen Konstitution begründet. Denn es gilt nicht nur als »unweiblich«, diese »Männerkost« zu essen, nein, es heißt sogar, Frauen würden davon »schwer krank werden und sterben.« Darum wurde ihnen vom »Frauengesundheitsministerium« »bei Strafe verboten«, tierische Nahrung zu verzehren. Als Speise, die Frauen geziemt, gilt hingegen »Veilchengelee«, (alle Zitate N, 13) Zudem trinken die weiblichen Süßmäuler bei jeder Gele­ genheit Schokolade, (vgl. ebd. u.ö.) Trotz aller Privilegien und der unumschränkten Herrschaft, die ihnen das Patriarchat gewährt, gerieren sich Absurdums Männer in Gestalt des Oberfrauenwartes als aufopferungsvolle Fürsorger, was dessen Gattin (eine der wenigen nicht ganz und gar unterwürfigen Frauen Absurdums) aber immerhin nicht gelten lassen will. Allerdings kehrt sich deren scheinbar emanzipatori­ sches Widerwort sofort in ein letztlich misogynes Frauenklischee um. Denn es entspinnt sich folgende Kontroverse: Bazillner: Wir opfern uns für euer Wohl, für das Wohl der Frauen. Minnewalde: Als ob ihr Männer wüsstet, was opfern heißt! [8] Bazillner: Nein, wir arbeiten bloß für Euch. Minnewalde: Dafür seid ihr das starke Geschlecht. Arbeit ist etwas unweibliches. Sonst hätte die Regierung nicht die Frauenarbeit verboten. (N, 7f.)

Ganz anders gestalten sich die Geschlechterverhältnisse in Neugermanien. Wird die >Bildung< der Frauen in Absurdum auf das Repetieren der Weib­ lichkeitskatechismen beschränkt, so besuchen die Kinder in Neugermanien koedukative Schulen, (vgl. N, 56) »Knaben und Mädchen lernen sich von kleinauf als gleichberechtigte Individualitäten achten und verstehen« und im Alter von 18 Jahren absolvieren alle »ihr Freiwilligenjahr«. (N, 57) Hier allerdings gibt es doch selbst für die als völlig emanzipiert und gleichberech­ tigt vorgestellten Neugermanierinnen eine Trennung, die den herkömmlichen Geschlechterstereotypen entspricht. Während die Männer ihr Freiwilligenjahr als Soldaten ableisten, werden die jungen Frauen »unbesoldete Krankenpfle­ gerin, Armenhelferin, Kindergärtnerin, Hausbeamtin«. (N, 57) Nach dem Freiwilligenjahr - und nun wird es tatsächlich wieder (nicht nur für die Zeit um 1900) emanzipatorisch - »[wjidmet sich die Frau einem Beruf wie der Mann«. (N, 57) Dabei stehen ihr alle Arbeitsfelder offen. Außerdem genießen Frauen selbstverständlich das Wahlrecht, haben Anteil an der Gesetzgebung und sind in der Verwaltung tätig, (vgl. N, 57) Zwar haben auch die Neugermanierinnen ihren Katechismus, der aber wird keineswegs stumpf auswendig gelernt und er enthält auch ganz andere Botschaften als die Weiblichkeitskatechismen Absurdums, handelt es sich

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doch um den »Lange-Schmidtsche[n] Mädchenkatechismus«, (N, 56) der zwar fiktiv ist, dessen ausführlich zitierten feministischen Inhalte aber höchst real sind. Denn sie entstammen den Werken der beidem Frauenrechtlerinnen Helene Lange (1848-1930) und Auguste Schmidt (1833-1902), wie die Au­ torin in einer Fußnote eigens anmerkt, (vgl. ebd.) Trotz der hervorragenden Bildung und Ausbildung, die alle Frauen Neugermaniens erhalten, gibt es aber auch dort Frauen, die weniger klug sind als andere. Diese gehören aus­ nahmslos der Gruppe der aus Absurdum Zugewanderten an, (vgl. N, 57f.) was wenig erstaunt, da ihnen dort jegliche Bildung verwehrt wurde. Aber auch diese Frauen sind noch sehr viel gescheiter als die in Absurdum gebliebenen. All diese Bildungsunterschiede zwischen den Geschlechtern und innerhalb der Frauen werden also nicht biologisch, sondern gesellschaftlich erklärt. Sozialisation und Erziehung sind für sie ausschlaggebend, (vgl. N, 53)

Ein Vortrag über Frauen Auch die beiden Romane Suttners propagieren die Emanzipation der Frau.80 Wie noch zu zeigen sein wird, unterminiert aber ausgerechnet das Verhalten der feministischen Protagonistin eines der beiden Werke diese Botschaft in einem zentralen Punkt. Während das Maschinenzeitalter aufgrund des Vortragscharakters immer wieder allgemeine Darstellungen und Beschreibungen der Geschlechterverhältnisse bietet, handelt es sich bei Der Menschheit Hochgedanken um einen erzählenden Roman. Doch enthält auch er zwei Vorträge, in denen die weibliche Hauptfigur Franka unter anderem entwirft, wie sich das Verhältnis der Frauen und Männer zueinander gestalten sollte. Daher bieten sich vor allem diese beiden Vorträge zur Erörterung der allgemeinen Geschlechterkonstruktionen des Romans an. In Maschinenzeitalter ist es namentlich der fiktive Vortrag über »Die Frauen«, der hier von Interesse ist. Er entspricht dem gleichnamigen Ka­ pitel des Romans.81 (vgl. MZ, 91-137) Einen entsprechenden Vortrag über »Die Männer« enthält Suttners Roman allerdings bezeichnenderweise nicht. Das Bemerkenswerteste im Abschnitt über die Frauen, ja wohl in dem Buch überhaupt, ist die Tatsache, dass der Sammelbegriff Frauen selbst kritisiert wird - und damit einhergehend die Annahme, es gäbe über rein Biologisches hinaus Eigenschaften, die alle Frauen teilen:

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Unter dieser Rubrik liebte man es zu jener Zeit,82 alle diejenigen Geschöpfe unserer Gattung, die dem weiblichen Geschlechte angehören, unter allgemeinen Gesichtspunkten zu betrach­ ten, und man war gewohnt, den einen thatsächlichen Unterschied, nämlich den Unterschied des Geschlechts, auf beinahe alle Merkmale auszudehnen und sich unter »Frauen« eine Klasse von Wesen vorzustellen, die in jeder Hinsicht - in geistiger gerade so wie in körperlicher - mit ganz anderen Eigenschaften ausgestattet waren als ihre männlichen Mitwesen, und daher eine Art Neben- oder vielmehr Unterabteilung des Menschtums bildeten. (MZ, 91)

Damit zeigt sich Suttner klarsichtiger als alle anderen in diesem Abschnitt be­ handelten Literatinnen. Zudem nimmt sie in den nächsten Zeilen implizit eine wichtige Kritik vorweg, die erst sehr viel später von der feministischen Lin­ guistik ausformuliert wurde:83 »Hieß es >Ein guter MenschEin hässlicher Menschs so blieb über das Geschlecht des so bezeichneten kein Zweifel: es handelte sich um einen Mann.« (MZ, 91) Denn Männer »personifizierten das, was die geschichtlich fortschreitende, die effektive Menschheit abgab.« Prägnanter, als Suttner es ihren Vortragenden sagen lässt, ist es wohl kaum möglich: »Menschen - d.h. Männer«. (MZ, 93) Diesen Menschen/männern nun sind Wesen beigestellt, welche dazu bestimmt waren, teils ihr [der Menschheit, RL] das Leben zu erleichtern - sei es in der Lasttier-, der Sklavin- oder der Gefährtin-Form - teils diesel­ be fortzupflanzen, nämlich wieder neue Menschen - d.h. Männer - zu gebären und heue Hilfswesen dazu. (MZ, 93)

Es versteht sich, dass es im Maschinenzeitalter, in dem die Frau dem Menschen/mann nicht mehr war als ein zur Fortpflanzung der eignen Art zur Seite gestelltes Wesen, »kein Äquivalent« für den Ausdruck gab, der zur Zeit des Vortragenden üblich ist: [U]m die [92] weiblichen Individuen der Menschheit mit gleichwertigen Namen zu nennen - etwas, was im Geiste des alten Deutsch »Menschin« hätte heißen müssen - gab es in keiner der damaligen Kultursprachen ein Äquivalent. Natürlich: das Wort entsteht erst später als die Sache und im Maschinenzeitalter lebten nur Frauen, - Menschinnen, wenigstens als solche anerkannt, gab es noch keine [...], da die Frauen nicht als Vollmenschen, sondern als [...] erwachsene Kinder galten. (MZ, 91f.)

Dabei ist sich Suttner - und mit ihr der Vortragende, dem sie diese Worte in den Mund legt - sehr wohl des Umstandes bewusst, dass dies nicht nur eine Frage der Sprache, sondern auch der gesellschaftlichen (Geschlechter-) Verhältnisse ist, die einander bekanntlich wechselseitig bedingen. Denn erst mit diesen entwickelte sich aus der »Gattung« Frau langsam die »höherof.J Ordnung der Menschinnen«, (MZ, 126) bis in der Handlungsgegenwart »das Ideal unserer Menschinnen in das der Menschheit aufgegangen ist, und wo es einen gesonderten Begriff weiblicher Vollkommenheit nicht mehr giebt«.

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(MZ, 108) Anne Stalfort konstatiert, dass sich die Menschen in der fernen Zukunft, aus welcher der Vortragende auf das titelstiftende Maschinenzeitalter zurückblickt, zu »>Vollmenschen einer höheren Gattung< entwickelt haben, die früher als weiblich oder männlich geltende Charakterzüge in sich vereint hat«, (2000, 203) und betont, dass Suttner sich »zeitlebens [weigerte], von einem weiblichen Standpunkt zu sprechen.« (2000,216) Wie alle anderen Vorlesungen gilt auch diejenige über die Frauen nicht deren Situation zur Zeit des Vortragenden, sondern ihrer Lage während des Maschinenzeitalters. Erstere ergibt sich oft nur aus letzterer. Etwa wenn der Vortragende moniert, dass die »Gegenseitigkeit der Ergänzung« der Ge­ schlechter damals »übersehen« wurde. (MZ, 94) Es ist mithin diese, die propagiert wird. Suttner (oder doch zumindest ihr Vortragender) übernimmt somit trotz des von ihr/ihm vertretenen Antiessentialismus die im gemäßigten Flügel der Frauenbewegung verbreitete These beziehungsweise Forderung der Geschlechterkomplementarität ,84 Ging die These von der gegenseitigen Ergänzung der Geschlechter in der Frauenbewegung oft mit einem biologistischen oder essentialistischen Verständnis des Wesens der Frau einher,85 das sich nicht selten aus deren (Fähigkeit zur) Mutterschaft ableitete, so erweist sich Suttners Vortragender noch ein weiteres Mal als dezidiert antiessentialistisch, wenn ihm »das be­ rühmte >Ewig-WeiblicheFrauenfrage< nur darum, »daß die Frau einzelne Fächer, ein­ zelne Aemter sich erobere, die früher aus[ 131 ]schließlich Männerprivilegien waren«. (MH, 130f.) Vielmehr müsse sie endlich »da, wo die höchsten Inter­ essen der Allgemeinheit auf dem Spiele stehen«, »Sitz und Stimme« erhalten, nämlich »in der Leitung des öffentlichen Lebens«. Gemeint ist das aktive und passive Wahlrecht, das auch eine der zentralen Forderungen zumindest des radikalen Flügels der damaligen Frauenbewegung war.88 Franka aber klagt die Frauen an, dass sie gerade dort »freiwillig abseits« blieben. Angesichts des Umstandes, dass den Frauen bei Erscheinen des Romans das Stimmrecht noch immer vorenthalten war, mutet das merkwürdig an. Möglicherweise aber zielt die Anklage darauf, dass einige Frauenrechtlerinnen der Zeit die Forderung nach dem Frauenstimmrecht ablehnten, da sie ihnen zu radikal erschien.89 Dem aber widerspricht, dass Franka fortfährt, die Forderung stehe »schon auf dem Programm der Frauenbewegung«. Das steht wiederum in einem gewissen Spannungsverhältnis zu ihrer anschließenden Feststellung, die Frauenbewegung argumentiere, »das Wichtigste« seien »Erkenntnis und Verständnis der allgemeinen Gesetze, welche Natur und Welt regieren«. Erst, wenn die Frauen mit ihnen vertraut sind, könnten sie »urteilen und mittun. [...] Zuerst verstehen, dann mitraten und zuletzt mithandeln.« Wenn die Frauen, so referiert Franka die von ihr zurückgewiesene Auffassung der Frauenbewegung (des Romans) weiter, die allgemeinen Gesetze »[gjerade so gut verstehen, wie die Männer«, würden sie »vielleicht besser handeln« als diese, »weil sie dabei nicht vergessen werden, daß sie mitzulieben da sind«.90 Denn schließlich sei es »die höchste weibliche Tugend«, »in allen Lagen und Willensakten« »Güte [...] walten [zu] lassen.« (alle Zitate MH, 131) Ebenso wie gegen die Auffassung, das Frauenstimmrecht erst einmal hinten anstehen zu lassen, bezieht Franka auch gegen dieses im gemäßigten Flügel der (re­ alen) Frauenbewegung verbreitete essentialistische Geschlechterstereotyp91 Stellung und wendet ein: Sind denn Milde und Zartsinn, die Fähigkeit zum Mitleid und zur Mitfreude wirklich nur weibliche Eigenschaften? [132] Nein, menschliche sind sie. Sind denn Kraft und Ausdauer und Entschlossenheit und Mut wirklich nur männliche Tugenden? Nein, menschliche sind sie. Und die Vollmenschen beiderlei Geschlechts müssen, wenn sie vereint das soziale Leben leiten werden, den Gesamtschatz ihrer Eigenschaften dazu verwenden. (MH, 131)

Damit gibt sie sich implizit als Anhängerin zentraler Thesen des realen radi­ kalen Flügels der Frauenbewegung92 zu erkennen, denn diese propagiert sie hier. Ihre Kritik an der Haltung der fiktiven, romanintemen Frauenbewegung

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trifft in der Realität allerdings nur Positionen von Angehörigen des gemä­ ßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. In ihrem zweiten Vortrag, in dem sie sich als »Kämpferin)..] der Frauen­ bewegung« zu erkennen gibt,93 (MH, 240) macht sich Franka noch nach­ drücklicher für die Frauenemanzipation stark. Zudem stellt sie die binären Geschlechterrollen vehement in Frage.94 Obwohl nun mehrheitlich die - männliche - Elite der Welt das Publikum bildet, beginnt sie diesen Vortrag ebenso wie vor langen Jahren ihren ersten mit den Worten »Ihr jungen Mädchen, hört mich an!« (MH, 235) und wendet sich somit an ihr weibliches Publikum, gegen Ende aber spricht sie ganz explizit ihre »männlichen Zuhörer« an, denen sie versichert: »Wir [Frauen] kommen nicht als Begehrende, sondern als Gebende.« (MH, 240) Zuvor aber macht sie deutlich, dass sie und ihre Geschlechtsgenossinnen »an der Lenkung der Einrichtungen und de[r] Ereignisse« (MH, 236) nicht nur um der »Verbesserung des Frauenloses« Willen teilnehmen sollten, sondern zur »Verbesserung des Menschenloses«. Um dies zu erreichen, sei es nicht nur notwendig, die den Frauen zugeschriebenen Tugenden »Milde, Barmherzig­ keit, Geduld, Sanftmut, Mäßigung, Reinheit, die Kraft klaglos zu leiden95 und hingebend zu lieben«, auf welche »die bloß männlich geführte Weltord­ nung« glaubt verzichten zu können, »in den neuen Wirkungskreis« hinüber zu retten. Darüber hinaus müssten sich Frauen auch die als »ausschließliche Männertugenden« geltenden Eigenschaften »Mut, Ausdauer, Tatkraft, Ent­ schlossenheit, logisches Denken« aneignen, (alle Zitate MH, 237) Damit löst Franka die geschlechterspezifische Zuschreibungen dieser Charakteristika auf. Allerdings ist sie durchaus selbst nicht frei von einem essentialisierenden Blick auf die Geschlechter und zwar zugunsten der Frauen. So bleiben Duelle und Krieg [...] zwei Gebiete, von denen das weibliche Geschlecht ausgeschlossen ist, weil sie ja gegen alle jene Eigenschaften und Gefühle im höchsten Widerspruch stehen, die die weibliche Menschenhälfte charakterisieren. (MH, 238)

Zugleich warnt sie davor, die »Fehler« zu übernehmen, die als »männliche Privilegien« gelten: »Trink- und Raufsitten, Rauheit, Härte, Ausschweifung. Würde die Frauenemanzipation, wie ja die Gegner anfangs meistens glaubten, in dieser Richtung sich entwickeln, so wäre das kein Segen - es wäre ein Fluch.« (MH, 237) Doch ist sie zuversichtlich, dass es so nicht kommen wird. Denn die Folge des Zusammenwirkens beider Geschlechter in allen Berufen wird sein, daß beide ihre bis jetzt privilegierten Tugenden gegenseitig annehmen und ihre ebenfalls privilegierten Fehler und Laster ablegen werden, um sich selber und ihre Berufsausübung zu veredeln.

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Nicht »burschikose« Mädchen, nicht rohe Mannweiber und nicht weibische Männer wird es dann geben,96 sondern höherstehende Vollmenschen beiderlei Geschlechts, (ebd.)

Erkannte schon Mary Wollstonecraft weibliche Bildung als eine der wich­ tigsten Forderungen,97 die folgerichtig auch von der Frauenbewegung um 1900 aufgegriffen wurde, so geht Franka noch einen Schritt darüber hinaus und erklärt, »denken zu lernen« sei die »einzige Aufgabe« ihrer »jungen Schwestern«. (MH, 240) Also nicht nur B ildung, mithin die Aneignung rele­ vanten Wissens, sondern die Fertigkeit, eigenständige Überlegungen anzustel­ len und Erkenntnisse zu gewinnen,98 mithin den eigenen Verstand zu benutzen wie Kant formulierte.99 Am Ende des Romans liest sich das dann aber doch etwas anders. Hier ist nur noch davon die Rede »mitzudenken«. (MH, 424) Allerdings evoziert der Begriff »mitzudenken« die Erinnerung an das von Franka in ihrem ersten Vortrag zitierte Sophokleische Wort, »mitzulieben« sei seine weibliche Figur Antigone da, von dem sie sich in ihrer Kritik an der fiktionalen Frauenbewegung des Romans absetzte. Die den Frauen von ihr angeratene männlich konnotierte Verstandestätigkeit des Denkens setzt sie hier also implizit dem weiblich konnotierten Gefühl der Liebe entgegen. Vor allem aber geht es Franka an dieser Stelle darum zu bezeugen, dass die emanzipierte Frau und ihre »Doktrin >mitzudenken seid ihr dadiffizilen< Fragen wie der Bildungsfähigkeit der Frauen denn auch entsprechend zu­ rückhaltend. Angestoßen hatte die Debatte der Herrenrunde Frauenoberwart Baziliner, indem er konstatierte: Unsere Frauen sind nicht, wie sie sein sollten. (Beifall.) Unsere Frauen sind nicht, wie sie sein könnten. (Beifall und Widerspruch.) Unsere Frauen sind - verzeihen Sie das harte Wort - dumm. (N, 35)

Dass er für seine Ausführungen »Beifall«, »großen Beifall« gar erntet, dürfte er seiner mit dem Befund verknüpften Sorge zu verdanken haben, dass sich der »weibliche Freudenquell« der Männer langsam »zu trüben und in einen Sorgenquell zu verwandeln beginnt.« (N, 35) Denn wie auch sein verräte­ risches Possessivpronomen »unsere Frauen« (Herv. RL) zeigt, geht es ihm letztlich um das Wohl der Männer. Doch als er später den feministischen »Lange-Schmidtsche[n] Mädchenkatechismus« der Neugermanierlnnen liest, reagiert er geradezu überschwänglich: »Sehr gut [...] Vortrefflich! [...] Großartig! [...] Mir aus der Seele gesprochen«. (N, 56) Dass die künftige Bildung und somit Emanzipation der Absurdumerinnen einem für die dortigen Verhältnisse relativ aufgeklärten Mann zu verdanken ist und nicht einer Revolte der Frauen, mag vielleicht manche zeitgenössische feministische Leserin betrübt haben. Doch die Weiblichkeitsvorstellungen der Absurdumerinnen sind mitnichten weniger klischeehaft und konservativ als die ihrer maskulinistischen Männer, was angesichts ihres niedrig gehaltenen Bildungsstandes auch nicht verwunderlich ist. Minnewalde, Baziliners Frau, hat sogar ein weit negativeres Frauenbild als dieser, wie folgender Disput zwischen beiden zeigt: Baziliner: [...] unsere jungen Mädchen lernen beinahe gar nichts mehr. [...] Minnewalde: Als ob das für die zarten Mädchen nicht mehr als genug wäre! Wenn sie nicht hinterdrein eine hygienische weibliche Fortbildungsschule besuchten [...] könnten sie die Schulanstrengungen überhaupt nicht überwinden und wären den Strapazen ihres schweren weiblichen Berufs als Frau und Mutter nicht gewachsen. [...] Bazillner: Ich meine, dass unsere jungen Mädchen des 21. Jahrhunderts nicht gleich sterben würden, wenn sie etwas mehr lernten als elementares Lesen, Rechnen und Schreiben. Minnewalde: Und das sagst Du, der Vorsitzende des Vereins gegen den Missbrauch der Frau zu geistiger Arbeit? Als ob unsere Mädchen nicht tausendmal mehr lernten als lesen, rechnen und schreiben - nämlich schön und anmutig und weiblich zu sein. Was das für Zeit und Mühe und Kraft kostet, davon hast du als Mann natürlich keine Ahnung [...] [9] [...] Bazillner: [...] gescheit werden heißt doch nicht unweiblich werden. Dann wäre ja weiblich und dumm so ziemlich dasselbe. Minnewalde: Wer wagt das zu behaupten? Bazillner: Mehr als einer. Besonders Auswärtige bemäkeln unsere Absurdumer Mädchen­ erziehung.

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Minnewalde: Nichts als Neid! Weil unsere Stadt die erste und einzige des Landes ist, die das Banner echter Weiblichkeit hoch hält. Sie werden schon sehen, wohin sie mit ihren emanzipierten Frauen kommen! Es ist doch ein Glück, daß bei uns alle Emanzipierten stadtverwiesen werden. [...] Dumme Frauen gibt es bei uns gar nicht, kann es gar nicht geben. Wir schicken ja jedes Jahr die dümmsten Frauen nach unserer weltberühmten Kolonie Neugermanien. (N, 8f.)

Beider Tochter, die »schlankfej«, »mittelgroß[e]«, »hübsch[ej« und dabei »träumerisch, naiv[e]« (N, 10) Holdseliga zählt zu diesen Frauen, die selbst der schlichten Anforderung, den Absurdumer Weiblichkeitskatechismus aus­ wendig zu lernen, nicht genügen und nach Neugermanien verschickt werden sollen, (vgl. N, 30) Absurdumerinnen, welche die Katechismus-Prüfung offenbar bestanden haben, da sie andernfalls des Landes verwiesen worden wären, werden, so­ fern sie wie Schulzes Braut Sanftmute Myrthenzweig noch ledig sind, als »schüchtern, unterwürfig, freundlich, jung« (N, 25) oder wie Maienwiega Dufthauch als »ätherisch, sentimental, geziert« (N, 26) charakterisiert, sind sie wie Heimfriede Lehmann verheiratet, als »ältlich, mager, unruhig, schnell sprechend«, (N, 28) wie Weichtildis Rundei als »sehr phlegmatisch, umfang­ reich« (N, 29) oder aber, wenn sie noch jünger sind wie Mimosa Migräniner, als »hübsch, etwas blasiert« und eitel genug, »ab und zu« in den Spiegel zu schauen. (N, 27) Die in Absurdum herrschende Geschlechterhierarchie wird im Paar Scharf­ kant Schulze und seiner Braut Sanftmute Myrthenzweig auf die Spitze ge­ trieben. So bittet sie ihn nicht nur darum antworten zu dürfen, wenn sie etwas gefragt wird, sondern pflegt ihn auch mit »Mein hoher Herr« anzure­ den. (N, 25) Will er einmal den Raum verlassen, reagiert sie ängstlich, (vgl. ebd.) Ganz anders die Neugermanierinnen. Sie sind »geschmackvoll aber einfach in Reform gekleidet«, (N, 52) treten selbstbewusst auf, lieben keine Schmeicheleien (vgl. N, 54) und nehmen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand. (vgl. N, 52) Sie umgeben sich weder wie Maienwiega Dufthauch mit Blumen, noch tragen sie wie Mimosa Migräniner Spiegel mit sich herum, sondern haben Aktenstücke unter den Arm geklemmt, (vgl. ebd.) Und wie Baziliner findet, sehen sie »merkwürdig intelligent aus«, so dass er zunächst vermutet, er habe »verkleidete Männer« vor sich, (ebd.) Auch legen sie Wert darauf, nicht als Fräulein, sondern als Frau angesprochen zu werden. Nach­ dem Baziliner Frohmute Michel als Fräulein angeredet hat, korrigiert sie Bitte, Frau. Bazillner: Pardon, also Frau Frohmute Michel [...]

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Minnewalde: So sind beide Damen verheiratet? Brünhilde: Nur ich. Bei uns in Neugermanien ist es Sitte, jede erwachsene Dame Frau zu nennen. Wir hatten vor ungefähr zehn Jahren einen Kongreß über diese Frage, und es wurde vorgeschlagen, entweder nach dem Muster »Frau« und »Fräulein« für die Männer die Bezeichnung »Herr« und »Herrlein« einzuführen oder alle erwachsenen Frauen »Frau« zu nennen. Wir entschieden uns für das letztere. Minnewalde: Da weiß man aber doch nicht, ob eine Dame verheiratet ist oder nicht? Frohmute: Oh ja. Die verheiratete Frau fügt ihren Vatersnamen107 dem Namen ihres Mannes hinzu.108 (N, 54)

Frankas Tante und Chlodwigs Freund Die Anrede Frau oder Fräulein spielt für die Figuren in Suttners Hochgedan­ ken keine Rolle. Auch erweist sich der Roman in der Entwicklungsgeschichte und den Anschauungen seiner Protagonistin und weiblichen Identifikati­ onsfigur Franka als weit zwiespältiger. Einerseits hält sie emanzipatorische Reden, andererseits vertraut sie sich während der gesamten Handlungszeit der Führung von Männern an. Zunächst sind dies ihr Vater, ihr Großvater mütterlicherseits, der Friedensmäzen Toker. Später wird es vor allem ihr künftiger Ehemann Chlodwig Helmer sein, dessen Führung sie sich ganz unterwirft. Bevor Franka und ihr Werdegang etwas näher in Augenschein genommen werden, soll jedoch ein Blick auf einige der Nebenfiguren geworfen werden. Frauen aus Frankas näherer Umgebung erweisen sich oft als konservativ, wenn nicht reaktionär wie etwa Tante Albertine, die »zwei furchtbare Ei­ genschaften« auszeichnen: »erstens Aufrichtigkeit und zweitens, daß sie um aller ihrer Nebenmenschen Wohl besorgt ist«, (MH, 33) das heißt, sie mischt sich unablässig in aller Leute Angelegenheiten ein und erteilt ungefragt Rat­ schläge. Ebenso wie Albertine will auch die Gräfin Adele Franka die Flügel stutzen und mahnt an, sie solle ihren »natürliche[n] Beruf« erfüllen und heiraten. (MH, 70) Anders hingegen Frankas weltkluge »Gesellschafterin« (MH, 98), deren Credo lautet, »[d]ie erste und wichtigste Aufgabe, die ein Mensch zu erfüllen hat«, sei »selber glücklich sein«. Insbesondere, wenn es sich um »ein junges, hübsches Mädchen« wie Franka handelt. Wenn sie die rhetorische Frage anfügt, was »eine Frau überhaupt selbständig unternehmen und leisten« könne, so klingt dies zwar biologistisch-konservativ, erweist sich jedoch als Kritik an den (Geschlechter-)Verhältnissen im heimischen Wien, da sie sich nach einer kurzen Pause für einen Moment der Vorstellung hingibt, »wären wir in England, könnten Sie [Franka] sich den Suffragetten

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anschließen«, um dann aber sogleich zu resignieren: »aber bei uns in Wien?« (alle Zitate MH, 100) Von den Männern, die in Frankas Leben eine Rolle spielen, wurden Vater und Großvater bereits angesprochen. Aus ihrer weitläufigen Familie ist auch ihr Vetter Koriolan zu nennen, der als »Erz-Reaktionär« (MH, 34) das männ­ liche Pendant zu Tante Albertine bildet. Außerhalb der Familie ist zunächst Chlodwig Helmers Freund Franz Brüning zu nennen. Er hängt einem Männ­ lichkeitsideal an, das vorschreibt, »sich mit den Ellenbogen einen Weg [zu] schaffen.« (MH, 85) Frauen spielen im Leben dieses Freundes keine große Rolle: »Ein bisschen >Liebe und Triebe< kann man meinetwegen auch betrei­ ben, aber nur keine Romanzen daraus machen«, schreibt er Chlodwig, (ebd.) Sodann sind zwei Männer der Erwähnung Wert, die Franka umwerben. Sie könnten gegensätzlicher nicht sein. Da wäre einmal Viktor Adolf, »ein großer Kenner und Schätzer weiblicher Toilettenkunst«, (MH, 162) der in der >Frauenfrage< einen ausgesprochen konservativen Standpunkt vertritt. So »schaudert« ihm bereits »bei dem bloßen Gedanken, die Frauen, die zarten, die lieblichen, auf den staubigen Kampfplatz [der Parlamente, RL] gezerrt zu sehen.« Denn er »zitt[ert] davor«, daß man die Welt damit »entweihen« werde, und fürchtet »die entzückenden Frauentypen, die es in unserer ge­ genwärtigen Ordnung gibt, ganz verschwinden zu sehen«. Zudem meint er, dass »Gattin, Mutter, Geliebte [...] auch Berufe« wären, worauf ihm Franka schlagfertig antwortet: »Ohne andere auszuschließen, gerade so wie Gatte, Vater, Geliebter.« Er aber widerspricht lebhaft, das ließe sich »doch nicht in eine Linie stellen!« Seine Ablehnung »diese[r] ganze[n] Gleich­ stellungsbewegung« gipfelt in dem Befund, dass sie »gegen die Natur« sei. Franka wirft ihm darauf hin vor, sein »Widerwille beruh[e] nicht auf Ver­ nunftgründen, sondern [sei] mehr instinktiv, daher besonders heftig.« (alle Zitate MH, 258) Eine sehr bemerkenswerte Antwort, denn sie kehrt den klischeehaften Geschlechterdualismus um, der Männern zu Vernunft-, Frauen aber zu Instinktwesen erklärt.109 Viktor verliebt sich in Franka und hat das, was man gemeinhin ernsthafte Absichten nennt. Kurz: Er macht ihr einen Heiratsantrag. (MH, 369) Ganz anders Freiherr Ludwig Malhof, die zweite um Franka werbende Nebenfigur. Bereits zu Beginn des Romans lernen sie einander kennen und er wird ihr im Laufe des Romans immer wieder begegnen, wenn auch nicht als ihr Geliebter, wie er sich ursprünglich wünscht. Kaum hat sie auf der ersten Seite des ersten Kapitels den Zentralfriedhof verlassen, wo sie Blumen am Grab ihres Vaters ablegte, tritt er ihr auch schon als »älterer Mann von

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vomehme[r] Erscheinung[.]« entgegen. (MH, 4) Sofort hat ihr »Frauen­ instinkt« sein »lüsterne[s] Begehren gespürt«, denn er benimmt sich wie ein »verliebte[r] Kavalier« (MH, 14) und bietet ihr in frivolen Briefen ein »sorgloses Leben, ein Leben voller Annehmlichkeiten« an seiner Seite an. »Tugendhaftigkeit«, will er ihre präsumierten Bedenken beruhigen, »gehört nur in Gartenlaubenromane«.110 (MH, 18) In Wirklichkeit heiße »das wahre Element der Schönheit, die einzige Lebensluft für ein Wesen wie Sie« nicht Tugend, sondern »Luxus«,111 versucht er sie zu ködern und fährt fort: Nur keine »Grundsätze« und Moralgebote nach dem Muster alter Kalendergeschichten oder empfehlenswerter Geschenkliteratur für die reifere Jugend! Das Leben, Mädchen, ist ganz etwas anderes als das fade Sittengeplärr, das seinen Niederschlag in der Schreibarbeit alter Jungfern hat und seine Ehre in dem augenverdrehenden Kaffeetratsch sitzengebliebener Vorstadttanten findet. (MH, 19)

Tritt Malhof zu Beginn des Romans als lüsterner Libertin auf, dem die Frauen - in Gestalt Frankas - wenig mehr sind als käufliche >GespielinnenLiebesabenteuer< ist Frankas späterer Ehemann Chlodwig sogleich in schroffen Gegensatz zu ihr gerückt, die etwa durch ihre Zurückweisung der schlüpfrigen Angebote Malhofs als in Liebes­ dingen empfindlich und überhaupt als sexuell unberührt gezeichnet wird.

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Auch später, als Chlodwig Franka längst liebt, wird beiläufig erwähnt, dass er noch immer »mehr oder minder flüchtige Liebelei[n]« pflegt. (MH, 246) Zwar denunziert der Roman Malhofs anfängliches Liebeswerben. An keiner Stelle wird jedoch auch nur die leiseste Kritik daran laut, dass Chlodwig sich als Mann wie selbstverständlich >die Hörner abstößtsittsam< und >keusch< lebt, bis sie schließlich als noch immer >reine Frau< mit Chlodwig in den Hafen der Ehe einfährt. Die absente Kritik muss als implizite Legitimation dieser Doppelmoral gelesen werden. In dieser Hinsicht ist der Roman ganz und gar nicht emanzipatorisch. Nicht nur in dem Schreiben an seinen Freund, auch in seinem ersten Brief an Franka spricht Chlodwig von der Liebe und vom Heiraten. Doch macht er ihr keinen Antrag, sondern räsoniert patemalistisch-belehrend über eine Frage, die sie als »zwanzigjähriges, schönes Mädchen« seiner Mei­ nung nach zwangsläufig »an das Schicksal stellt« und die nur lauten könne: »[WJerde ich mich glücklich verheiraten?« (MH, 56) Solle eine Ehe glück­ lich werden, legt er ihr dar, müssten zahlreiche »Attribute^] und Aspekte[.]« des »vielgestaltigen Phänomens« der Liebe »vereint sein: das Platonische und das Erotische, Leidenschaft, Schwärmerei, Zärtlichkeit, süße Qual und Vollbesitz - und diesen ganzen Mischmasch womöglich auf Lebensdauer, gestützt auf ewige Treue«. (MH, 57) Anders als Viktor Adolf ist er durchaus kein Gegner der Frauenemanzi­ pation, ohne sich allerdings für sie engagieren zu wollen. »Diese Bewegung mag ihren Weg gehen - ich denke nicht daran, ihn zu hemmen. Aber was ich meine, ist etwas anderes.« (MH, 115) Bezeichnend ist denn auch, dass er, der sich für einen Revolutionär hält, sich später verpflichtet fühlt, Franka gegenüber einer Dame, die erklärt, »keine Freundin der Frauenemanzipation« zu sein, (MH, 177) vor dem - natürlich wohlbegründeten - Verdacht, Franka sei Feministin, in Schutz zu nehmen: Fräulein Garlett ist keine Feministin [...] und sie predigt nicht Emanzipation. Sie will nicht so sehr neue Rechte für die Frauen erringen, als vielmehr alte Vorrechte, die sie zum Schaden der Allgemeinheit besitzen, aufheben. [...] Eitel zu sein; ein Vogelgehim zu haben; sich aller Sorge um das Allgemeinwohl zu entschlagen; sich der Mühe logischen Denkens enthoben zu glauben ... und so die Menschheit um die Hälfte der ihr zur Verfügung stehendeh geistigen Arbeitskraft zu berauben. (MH, 177)

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Vatertochter

Tatsächlich versteht sich Franka sehr wohl als eine der Mitstreiterinnen der Frauenbewegung. Ihr, der zentralen Protagonistin und Identifikationsfigur, gilt nun das Interesse. Zu Beginn des Romans ist sie noch eine junge, um ihren Vater trauernde Frau, die zwar »schon über zwanzig« ist, aber ausschaut, als sei sie »kaum achtzehn Jahre« alt. Dabei wird sie recht ausführlich als »trotz aller Blässe und aller Tränenspuren leuchtendef.J junge[.J Schönheit« beschrieben, die groß und »geschmeidig« ist, einen »Mund von geradezu faszinierender Lieblichkeit« und »große).], schwarzef]«, »von aufgebogenen, dichten Wimpern umsäumt[e] Augen« besitzt, die allerdings »durch vieles Weinen [...] um ihr sonstiges Feuer gebracht« sind. (MH, 11) Ohne eitel oder der »Putzsucht«113 verfallen zu sein, legt sie Wert auf das »Wohl- und Sicherheitsgefühl, hübsch und korrekt gekleidet zu sein«. (MH, 40) Was sie an Bildung besitzt, verdankt sie ihrem Vater, der sie »[i]n weite Horizonte, in erhabene Höhen, in geheimnisvolle Tiefen« schauen ließ, da­ bei aber »mit allen trocknen Wissenseinzelheiten, mit allem aufgetürmten Buchstabenkram verschont[e] - ihr von allen Wundem der Wissenschaft, des Geistes und der Künste nur die Blüten zu erschließen getrachtet« hatte. Fraglos war eine solche Wissensvermittlung zwar für Mädchen und junge Frauen nicht selbstverständlich, doch macht der weiblich konnotierte Aus­ druck Blüten auch deutlich, dass die Frankas Geschlecht von den Konven­ tionen gesetzten Grenzen damit keineswegs überschritten wurden, zumal der Vater sie nur durch Gespräche und Literatur belehrte. So war sie denn auch alles andere als ein »Blaustrumpf, Gott bewahre - davor schützte sie ihr heiteres, lebenshungriges Temperament, ihre angeborene Anmut«. Doch »vom Leben selber hatte sie blutwenig gekostet«, (alle Zitate MH, 9) Ihr Wissen um Leben und Welt beruht also nicht auf Erfahrung, sondern auf der Lektüre fiktionaler Literatur. Ihre umfassende Lektüre - von frühester Kindheit an - die Dichter, etwas später die Ro­ manschriftsteller [...] hatten ihr Einblick gewährt in die ganze Welt von Leidenschaften und Tragödien, von Wonnen und Schmerzen und von Träumen der Sehnsucht, auch von Lastern und Gemeinheit, von höchsten Glücks- und höchsten Leidgefühlen, die sich alle auf dem sexuellen Gebiet bewegten.

Es war auch ihr Vater, der sie in die »Geheimnisse der Lebensübertragung eingeweiht[e]«. Allerdings »in zarterWeise« und mit jungen Frauen seinerzeit geziemenden Mitteln, nämlich »an der Hand der Tier- und Pflanzenkunde«. Dies alles führte dazu, dass Franka »von der Liebe unendlich hoch [dachte]«:

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Liebesvereinigung und Paradies waren ihr zwei gleichartige Begriffe. Ein Bronnen hinge­ hendster Zärtlichkeit und ein Feuerherd von Lustgluten waren in ihrem Innern verborgen, noch umpanzert von jungfräulicher Herbheit, von mimosenhaft zitternder Angst vor jeder unreinen Berührung. Wenn sie einmal den Schatz ihrer Liebe verschenken würde, so müsste das für den Beschenkten und für sie selber ein Weiheaugenblick höchsten Glücks sein! (alle Zitate MH, 21)

Darum will sie sich auch nicht verheiraten lassen, was eine zufällige Zugbe­ kanntschaft - für die Zeit bezeichnenderweise - dahingehend missversteht, dass sie überhaupt nicht heiraten wolle. »O doch, vielleicht... warum nicht?« antwortet sie. »Aber verheiratet werden .. .?anderen Geschlechts< genauer zu kennen als diese sich selbst. Dabei hat er nichts weiter als eine ganz und gar konventionelle Vorstellung dessen zu bieten, was ein Mädchenherz der Zeit in Unruhe versetzt: »Die Frage, die ein zwanzigjähriges, schönes Mädchen an das Schicksal stellt, ist - auch wenn sie sich’s selber nicht zugesteht - > werde ich mich glücklich verheiraten?Schrei nach dem Kindedie Frau an seiner Seiteweibliche< Weise. Sie tritt mit einem »rätselhafte[n] Lächeln auf den Lippen133 [...] ganz nah an ihn heran, [schlingt] beide Arme um seinen Hals und [birgt] mit einem leisen Schrei ihr Gesicht an seiner Brust«, (MH, 404) um dann empfangsbereit den Kopf, »wie um zu lauschen«, zu heben. (MH, 405) Nun finden »des Liebenden Lippen die ihren.« (ebd.) Die bis dahin noch immer >unberührte< Franka übereignet sich ihm geradezu mit den Worten, sie sei »dein für immer«, (ebd.) All dies entspricht vollkommen den konservativ-patriarchalischen Weiblichkeitsvorstellungen und -konventionen der Zeit, ist somit also alles andere als emanzipatorisch. Der Roman fällt in dieser Hinsicht weit hinter die (Sexual-)Theorien von radikalen Feministinnen wie Helene Stöcker und das selbstbestimmte (Sexual-)Leben Franziska zu Reventlows zurück.134

Konterkarierte Emanzipation Gegen Ende des Buches halten Franka und Chlodwig jeweils eine Rede. Während er als Mann von Welt seine »Zukunftsvision« vom »kommenden Menschen« anpreist, (MH, 421) spricht sie als nun gebundene Frau von privaten Dingen und informiert zunächst einmal die »jungen Mädchen« im Auditorium, dass sie Chlodwigs Braut geworden ist. (vgl. MH, 423) An­ schließend beruhigt sie die der Männerwelt unterstellten Ängste vor der fe­ ministisch engagierten Frau mit ihrer Verlobung. Die Appelle an ihre »jungen

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Geschlechtsgenossinnen«, »sie mögen Gedankenarbeit tun; sie mögen lernen, klar zu sehen in wissenschaftlichen, sozialen und politischen Dingen; sie mögen sogar teilnehmen an der Lenkung der öffentlichen Angelegenheiten« hätten »gewiß«, so vermutet sie, in manchem Gemüt die Ansicht erweckt, daß bei alldem die Herzenstriebe und der Famili­ ensinn des Weibes Schaden leiden müssen; daß diejenigen Mädchen, die solchen, bisher nur den Männern vorbehaltenen Studien und Berufen sich hingeben, verloren seien für Liebe und häusliches Glück. Dieser irrtümlichen Ansicht will ich auf derselben Stelle, von der meine Lehren ausgegangen sind, und vor derselben lauschenden Welt entgegentreten; aber nicht mit Worten entgegentreten, sondern als lebendiges Zeugnis. Die Doktrin »mitzudenken seid ihr da« muß nicht so gefährlich sein, denn die Verkünderin selber, hier steht sie - als eine glückliche Braut - (MH, 424)

Die emanzipatorisch-feministische Botschaft von Frankas Vorträgen (und wohl auch des Romans) wird durch ihr unterwürfig-folgsames und in einer Ehe mündende Verhältnis zu Chlodwig massiv konterkariert, reproduziert es doch das hierarchische Geschlechterverhältnis - auch auf sexuellem Gebiet bis ins Detail.

Aufbruch nach Neugermanien

Insgesamt ist zu konstatieren, dass die weiblichen Identifikationsfiguren der in diesem Kapitel beleuchteten Texte sich ganz überwiegend merklich freier bewegen als die Protagonistinnen in Moderatus Diplomaticus’ humoristi­ schem Lustspiel Die Deutschen und Engländer im Mond von 1873. Zwar subvertiert auch schon Moderatus die angestammten Weiblichkeitsklischees, indem sie etliche ihrer Frauen ein anderes Alltagsverhalten an den Tag legen lässt, als von ihnen erwartet wird - kocht die eine nicht gerne, so erweist sich die andere als gewitzt und geistreich. Und wenn die Autorin die Geschlechterklischees scheinbar bestätigt, so dient dies in erster Linie dazu, männlich­ militärisches Gehabe zu ironisieren. Keine der Frauen auf dem Mond wagt es allerdings, die Initiative zu übernehmen, wenn es darum geht, den Bund fürs Leben zu schließen, was damals noch ziemlich wörtlich zu nehmen war. Ganz anders sieht es in der Zukunft von Anno Domini 2000 aus, in der Fräulein Lau dem Herrn Professor Rosso erfolgreich einen Heiratsantrag macht und Frauen zudem nicht unbedingt verheiratet sein müssen. Auch können Ehen schon mal als »Gesellschaftsehe« geschlossen werden, als enterotisierte Partnerschaft für alte Leute mithin. Dass eine Ehe in einer feministischen Gesellschaft jedoch nicht für die Ewigkeit, sondern auf Zeit gedacht sein könnte und sich

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»Engagements [...] alten Datums [...] natürlich leicht lösen« lassen, bleibt der antifeministischen Zukunftsphantasie Therese Haupts vorbehalten. (FF, 31) Allerdings ist ebenso wie für Diplomaticus Moderatus auch für die mit der Frauenbewegung zumindest sympathisierenden Autorinnen dieses Zeitraums die Hochzeit noch immer der beste Garant für ein happy end. Überstrahlt aber wird diese nicht eben emanzipatorische Botschaft durch den Umstand, dass - anders als noch 1873 die deutschen und englischen Frauen auf dem Mond - nun einige der Protagonistinnen politisch aktiv wer­ den und sich für die Emanzipation der Frau einsetzen. Allen voran Judeichs Neugermanierinnen. Auch Suttners Franka macht sich für die Emanzipation der Frau stark, wenngleich ihre politische Propaganda der Frauenrechte und ihre private Fügsamkeit Chlodwig gegenüber in einem nicht eben geringen Spannungsverhältnis stehen. Brisanterweise besteht ihre Füg- und Folgsam­ keit nicht zuletzt darin, dass sie ihm politisch folgt, fast möchte man sagen: sich von ihm instrumentalisieren lässt. Und auch Marga, die verhinderte Vortragende in Haupts Kurzgeschichte Die Frau nach fünfhundert Jahren, zählt zu den Protagonistinnen, die, zunächst zumindest, emanzipatorische Bestrebungen verfolgen. An allen diesen Figuren zeigt sich, wie sehr die Gedanken der Ersten Frauenbewegung auch die Autorinnen der zeitgenös­ sischen literarisierten Zukunftsvisionen beschäftigten. Sei es nun, dass sie sie vehement verfochten, wie Judeichs und mit (vielleicht nur geringen) Abstrichen Suttners Protagonistinnen, oder aber mit Hohn und Spott über­ schütteten, wie Haupt anhand ihrer hypnotisierten Frauenrechtlerin Marga, wobei die gegenläufigen Entwicklungen Margas und Frankas ins Auge fal­ len. Schrumpft Marga von der »berühmtesten Rednerin im Frauenverein«, (FF, 13) wie sie ihr Ehemann zu Beginn der Erzählung vielleicht da schon ein bisschen spöttisch nennt, zur zufriedenen Hausfrau an seiner Seite, so reift Franka vom zwar für ihr Geschlecht einigermaßen gebildeten, aber doch unbedarften jungen Mädchen zu einer der führenden Rednerinnen für den Frieden und die Frauenrechte heran. Nicht minder deutlich wird das Inter­ esse an der Frauenbewegung in Ellen Keys antifeministischer Dystopie Die Frau in hundert Jahren, deren Text in ähnlich deutlichem Kontrast zu dem Abschnitt über die Frauen in Suttners Maschinenzeitalter (Vgl. MZ, 91-137) steht wie die konträr verlaufenden Entwicklungen Margas und Frankas. Präsent waren die zentralen Themen der zeitgenössischen Frauenbewe­ gung (Frauenbildung, Prostitution, Eherecht und Stimmrecht) allen Autorin­ nen, deren literarische Zukunftsvisionen hier beleuchtet wurden. Dabei reicht das Spektrum der in den Werken deutlich werdenden Haltungen zur Frauen-

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bewegung von dezidiert feministisch (Judeich) bis rigoros antifeministisch (Haupt und Key). Indifferent verhält sich allerdings keine von ihnen zu dem Thema der Zeit: der Frauenemanzipation. Und sowohl Judeich wie auch Voigt und Suttner verdanken der Frauenbewegung ganz offensichtlich so manche Anregung. Dass nun aber auch umgekehrt Suttners Roman Der Menschheit Hochgedanken als »eine wichtige Quelle für die Emanzipation politisch engagierter Frauen vor der Einführung des Frauenwahlrechts« war, (Stalfort 2000,215) wie Anne Stalfort meint, scheint doch eher unwahrscheinlich. Im Erscheinungsjahr des Romans war der Kampf ums Frauenstimmrecht längst entbrannt. Selbst die Gemäßigten hatten sich bereits Ende des 19. Jahrhun­ derts öffentlich für das »Frauenstimmrecht (aus dem sich konsequenterweise auch das passive Wahlrecht ergibt)« stark gemacht, (Lange 1928c, 183) wenn auch nicht so vehement wie die Radikalen. Anderthalb Jahrzehnte später, 1914, mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs, kam der Kampf ums Frauen­ stimmrecht zumindest in Deutschland sehr schnell zum Erliegen.135 Was nun das andere Geschlecht, die Männer, betrifft, so geben zwar die Absurdumer mit Ausnahme Baziliners nicht weniger Anlass zur Klage als der 1873 bei Moderatus Diplomaticus einen Mondausflug unternehmende Lieutnant Friedrich und seine Geschlechtsgenossen, die die Frauenzimmer aus dem Raucherzimmer verbannen wollen. Doch tritt in anderen Werken auch schon mal ein Mann auf, der den Bestrebungen der Frauenemanzipation nicht gänzlich abgeneigt ist. Zu nennen wäre etwa Chlodwig Helmer, dessen Verhalten Franka gegenüber allerdings eine ganz andere Sprache spricht. Und >unmännliches< Rollenverhalten legt-abgesehen von Haupts der Lächerlich­ keit preisgegebenem »Darling« - keiner der Protagonisten der untersuchten Werke dieser Epoche an den Tag, wenngleich »jemand« nach Chlodwigs letztem Vortrag »abfällig« meint, »[d]er Mann hat einen femininen Zug.« (MH, 423) Dieses Verdikt gilt weniger dem Mann, als vielmehr seiner Idee der von »Mitleidsfähigkeit« (MH, 422) beseelten »kommende[n] Menschen«. (MH, 421) Da dieses Verdikt aber selbst wieder dem der Lesenden anheim fallen soll, nobilitiert es Feminität.

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4 Im Wellental - Zwischen den Frauenbewegungen (1919 bis 1967)

Das ein halbes Jahrhundert andauernde Tal zwischen den beiden Wellen der Frauenbewegung erstreckte sich nicht nur über einen weit größeren Zeit­ raum als die in den ersten beiden Abschnitten jeweils beleuchteten Phase vor und während der Ersten Frauenbewegung sowie den noch zu behandelnden Zeiträumen während und nach der Zweiten Welle; in der Periode zwischen den beiden Frauenbewegungen entstanden (und vergingen zum Teil) zudem vier Staatsformen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, lassen es beide Umstände angezeigt erscheinen, die Zeit zwischen den Frauenbewegungen in kleinere Abschnitte zu unterteilen, die sich an den deutschen Staaten (und deren zeitlicher Abfolge) orientieren. Zu beginnen wäre demnach mit der Weimarer Republik, gefolgt vom Nationalsozialismus, der DDR und schließlich der Bundesrepublik Deutsch­ land. Bei der Quellensuche ergab sich allerdings eine besondere Schwierig­ keit, denn für die Zeit des Nationalsozialismus konnten keine SF-Werke von Frauen nachgewiesen werden. Zwar konstatiert Jost Hermand in seiner Unter­ suchung Der alte Traum vom neuen Reich, dass »Science-fiction-Romane [...] nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 keineswegs abgeschafft wurden«, vielmehr gebe es für den Zeitraum von 1933-1945 »einen geradezu unüberschaubar großen Korpus an Literatur« des Genres. (1988,294) Nur Frauen scheinen nicht dazu beigetragen zu haben. Jedenfalls findet sich unter den 164 SF-Romanen, die Dina Brandt in ihrer Studie Der deutsche Zukunftsroman 1918-1945 für die Zeit der national­ sozialistischen Herrschaft ausfindig gemacht hat, (vgl. 2007,59) nicht einer, der von einer Autorin geschrieben wurde. Nun ist zwar weder auszuschließen, dass ihr der eine oder andere ein­ schlägige Roman entgangen ist, von denen einer oder mehrere möglicher­ weise sogar von einer Frau verfasst sein könnte, oder dass ein Autorin eine SF-Erzählung in einer Anthologie oder einem Periodikum veröffentlicht hat. Meine diesbezüglichen Recherchen blieben allerdings ohne Ergebnis.136 Bücher, die zunächst einschlägig erschienen, erwiesen sich als rein phantas-

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tische Literatur wie etwa der Atlantis-Roman Isolanthis (1936) der überwie­ gend als Reiseschriftstellerin tätigen Alma Maximiliane Karlin (1889-1950) oder als Kinderbücher, die sich schwerlich dem Genre der Science Fiction zuschlagen lassen wie Das gläserne Unterseeboot (1940) und Von China bis Kiel im gläsernen Unterseeboot (1941) von Nora Wiedemann (*??), Damit ergibt sich für die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur eine Lücke im Untersuchungszeitraum, die nicht geschlossen werden konnte und die ver­ mutlich auch gar nicht zu schließen ist.

4.1 Maria und der Herr der SchöpfungWeimarer Republik 1919-1933 Hypnotische Helme, Gummianzüge und Androidinnen Dina Brandt führt in ihrer Untersuchung Der deutsche Zukunftsroman 1918-1945 Thea von Harbous (1888-1954) Buch Frau im Mond'31 (1989) als »eines der wenigen« SF-Werke an, die während der Weimarer Republik von einer Frau geschrieben wurden,138 (2007,126) Herbert W. Franke erklärt fälschlicher Weise sogar, die Autorin sei »die einzige Frau, die zu [200] den deutschen utopischen Schriftstellern der Zwischenkriegszeit gehört«. (1984,199f.) Neben Harbou führt Brandt mit Annie Harrar139 und Elisabeth von Otto140 nur noch zwei weitere Verfasserinnen von Zukunftsromanen an, die im von ihr untersuchten Zeitraum tätig waren, (vgl. 2007,126) und lässt damit einige weitere unbeachtet. Da ähnlich wie für die Zeit der Ersten Frauenbewegung nicht alle ein­ schlägigen Autorinnen und ihre Werke berücksichtigt werden konnten, galt es auch hier eine Auswahl zu treffen. So wie Bertha von Suttner im vorigen Abschnitt ist Harbou in diesem mit zwei Werken vertreten. Einmal mit dem als Film zu besonderer Berühmtheit gelangten Roman Metropolis'^' (1984) aus dem Jahre 1926 und zum zweiten mit der zwei Jahre später erschiene­ nen, ebenfalls verfilmten »Space Opera« Frau im Mond, (Galle 2002,243) von der Hans Kräh meint, sie sei »vielfältig und komplex und würde eine eingehendere Detailanalyse durchaus rechtfertigen, insbesondere auch unter dem Aspekt der Geschlechter«. (2002,146) Thea von Harbou, die nicht nur als Literatin und Drehbuchautorin, sondern auch als Schauspielerin tätig war, war in zweiter Ehe mit dem Regisseur

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Fritz Lang (1890-1976) verheiratet, der auch ihre beiden hier behandelten SF-Romane verfilmte. Wenn Robert Hector konstatiert, sie habe sich »als Roman- wie als Filmautorin einen Namen [gemacht], vor allem nachdem sie 1921 den Regisseur Fritz Lang geheiratet hatte«, (2002, 12) insinuiert er implizit, sie habe dies nicht ihrer eigenen literarischen Leistung zu ver­ danken, sondern dieser Ehe mit einem begnadeten Kunstschaffenden, in dessen Schlepptau sie reüssierte. Auch Heinz J. Galle weist sie in dem kur­ zen Porträt Preußische Offizierstochter, die Filmgeschichte machte als »die gefeierte Gattin des Filmregisseurs Fritz Lang« (2002,241) aus - und hängt gleich noch ein die Frau auf Körperlichkeit reduzierendes Klischee an,142 das er sogleich mit einem weiteren verknüpft, dem der kalt berechnenden Schönheit.143 Während ihr Mann die Zeit des nationalsozialistischen Regimes im amerikanischen Exil verbrachte, war es für Harbou selbstverständlich, in Deutschland zu bleiben. Ihre seit 1932 bestehende Mitgliedschaft in der NSDAP (vgl. Eisfeld 1989, 210) verhinderte allerdings nicht, dass »[i]hr filmisches Plädoyer gegen die Abtreibung« mit dem Titel Das erste Recht des Kindes (1932) »von der NS-Filmprüfstelle im Mai 1933 verboten« wurde. (Galle 2002,241) Rainer Eisfeld interpretiert den Film hingegen als Plädoyer »gegen den Abtreibungsparagraphen 218«. (1989, 211) Zwar konstatiert Sonja Fritzsche zurecht, dass Harbou eine »influential German science fiction author« war. (2006,44) Gleichwohl blieb sie »bis heute eine Fremde in der deutschen Literaturgeschichte«, wie Gerrit Lembke formuliert. (2006,275) Sicher trifft zu, dass Harbou »die patriotische Rolle der deutschen Frau« in ihrem Werk »glorifizierte«. (Saprä 2007,134) Erschöpfend beschreibt dies die Weiblichkeitskonstruktionen der »gläubige[n] Katholikin« (Kanz 2009,392) allerdings nicht, wie die Untersuchung ihrer beiden SF-Romane zeigen wird. Harbous Metropolis ist vor allem in der Verfilmung von Fritz Lang, für die sie nicht nur die Romanvorlage lieferte, sondern auch das Drehbuch verfasste, noch heute bekannt. Die ebenso gigantische wie nicht nur damals futuris­ tische Stadt Metropolis wird von dem Magnaten Joh Fredersen beherrscht. Die >Reichen und Schönem vergnügen sich im mit einem Rotlichtviertel und wundervollen Gärten ausgestatteten überirdischen Teil der Stadt, für deren Wohlstand ein Heer von Arbeitern in den unterirdischen Katakomben Tag und Nacht schuften muss. Joh Fredersens Sohn Freder begegnet zu Beginn des Romans der jungen, fürsorglichen Maria, die den schuftenden Massen als Heilsbringerin und Mittlerin zwischen ihnen und den Herren von Metropolis gilt. Der junge Mann verliebt sich in das schöne Mädchen, lernt das Leben der Arbeiter kennen, indem er für kurze Zeit einen von ihnen vertritt, und macht

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sich bei seinem Vater für deren Rechte stark. Joh Fredersen geht daraufhin zu dem Erfinder Rotwang, der eine Androidin als Ersatz für die von beiden geliebte Hel erschafft.144 Allerdings wird er ihr auf Geheiß Fredersens das Gesicht Marias verleihen.145 Als vermeintliche Maria hetzt sie die Arbeiter zu einer Revolte auf, bei der die Wasserversorgung der unterirdischen Stadt bricht und die Kinder der Arbeiterinnen von Maria und Freder nur knapp vor dem Tod durch Ertrinken gerettet werden können. Die Androidin aber wird von den aufgebrachten Arbeitern und ihren Frauen getötet beziehungsweise zerstört. Am Ende des Buches versöhnen Freder und Maria den Arbeiterfüh­ rer Grot und Freders Vater stellvertretend für die beiden gesellschaftlichen Klassen. In Harbous zweitem Roman, Frau im Mond, wird die Handlung von der Vorstellung angetrieben, die Berge des Mondes beherbergten unvorstellbare Goldvorkommen. Ein zusammengewürfelter Haufen recht unterschiedlicher männlicher Charaktere, unter ihnen der Erfinder und Erbauer des Raumschif­ fes Wolfgang Helius und sein Assistent, der schwächliche Hans Windegger sowie Professor Manfeldt, der die Theorie der goldenen Mondberge ersann, der proteische amerikanische Bösewicht Walt Turner und ein zwölfjähriger Junge, der sich heimlich an Bord geschlichen hat. Begleitet wird die männ­ liche Truppe von Windeggers Verlobter, der titelstiftenden Friede Velten. Im Laufe der Handlung wendet sie sich von Windegger ab und Helius zu. Einige der Männer kommen auf dem Mond um. Da durch einen Kampf die Sauerstofftanks beschädigt wurden, reicht die Atemluft dennoch nicht dazu aus, allen Überlebenden die Heimreise zur Erde zu sichern. Damit der Junge, Windegger und Friede Velten sicher zur Erde gelangen können, bleibt Wolf­ gang Helius freiwillig zurück. Doch auch Friede bleibt um Wolfgangs willen heimlich auf dem Mond. Nach dem Start der Rakete fallen sie sich dem (fast) sicheren gemeinsamen Tod auf dem Mond entgegensehend in die Arme.146 Ins Auge fällt, dass die Erzählinstanz Angehörige des männlichen Ge­ schlechts zwar angemessener Weise als Männer, die des weiblichen jedoch nicht etwa dementsprechend als Frauen, sondern vorzugsweise als Mädchen bezeichnet.147 So konstatiert sie etwa das jedem »denkende[n] Hirn« allgegen­ wärtige »Axiom«, dass »fünf Menschen - vier Männer, ein Mädchen - das ungeheure Wagnis der Mondfahrt auf sich nehmen werden«. (FM ,71) Über­ troffen wird dies allerdings noch, wenn sie über das Protagonistinnenpaar Friede Velten und Wolfgang Helius berichtet, »die Seele des Mädchens« habe »die Seele des Mannes erblickt, und beider Augen schauten sich an, erschreckt und geblendet«. (FM, 54) An keiner anderen Stelle sticht das Miss­

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Verhältnis der eine Hierarchie herstellenden Benennung Mann und Mädchen deutlicher ins Auge als hier, in einer Situation, in der Mann und Frau (und eben nicht Mann und Mädchen) einander als Gleiche begegnen und gleich aufeinander reagieren.148 Bemerkenswert ist aber auch, dass der gemeinhin männlich konnotierte Blick nicht vom Mann, sondern von der als Mädchen verniedlichten Frau ausgeht.149 Die Geschlechtermetaphem des Romans schöpfen ganz überwiegend aus deren weiblichem Fundus. Ähnlich wie später von Caelestes Junior wird die Erde - bei Harbou die »Allwelt« - von Friede Velten als »Staubkorn« bezeichnet, »das wir Mutter nennen«. (FM, 54) Auch ist mehrfach von einem »Mutterflugzeug« die Rede. (FM, 112, 117) Überdeutlich wird die Geschlechermetaphorik der Weltraumfahrt, wenn sich das Weltall »plötzlich gleich einem kreißende Schoße auf[tut]«, dies aber nicht etwa, um (was auch immer) zu gebären, sondern um die phallische Rakete aufzunehmen, die in diesen Schoß stößt. (FM, 131) Es entspricht dies ganz der seit Francis Bacon (1561-1626) bekannten Metaphorik der als weiblich geltenden, vom männlichen Forscher zu erkundenden und zu beherrschenden Natur.150 Das Raumschiff ist nun zwar phallisch, aber auch weiblich konnotiert. Denn sein Erfinder und Erbauer Helius hat es auf den Namen Friede getauft, (vgl. FM, 121) Ein Name der in diesem Fall gleich doppelt >weiblich< ist. Denn nicht nur der Friede selbst ist es im Gegensatz zum männlich konnotierten Krieg. Es ist auch zugleich der Vorname der von Helius verehrten und heimlich geliebten Frau, deren Name selbst wiederum Weiblichkeit und Frieden miteinander verknüpft. Neben den beiden Romanen Harbous wird auch ein Werk der von Brandt ebenfalls genannten SF-Autorin Elisabeth Pfau untersucht: die unter dem Pseudonym Caelestes Junior erschienene Kurzgeschichte Die Raketen-Reise nach dem Mond151 (1928).152 Anders als Harbou schickt Caelestes in ihrer nur 17 Druckseiten umfassenden Geschichte ausschließlich Männer auf die insgesamt doch eher ereignislos verlaufende Reise. Dass zu den »brüderlich gestimmten]« Raumfahrern, (RR, 17) die dann auch nicht etwa eine Besat­ zung, sondern eine »Bemannung« [Herv. RL] bilden und dabei »durch die Bank Gentlemen« sind, (RR, 6) einige der führenden politischen Köpfen der Zeit zählen,153 weist den Text als Satire aus. Außer den Werken Harbous und Caelestes Junior werden Publikationen dreier weiterer Literatinnen herangezogen. Von der Österreicherin Therese Rie154 (1878-1934) wird der zwischen Science Fiction und Phantastik chan­ gierende Roman Das entschwundene Ich™ (1924) in den Blick genommen. Wie Sonja Dehnung konstatiert, wurde der »gesamte[.] Nachlass« der Jüdin

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»1938 von der Gestapo verschleppt« und muss »seither als verschollen« gelten. (1998,150) Rie publizierte Das entschwundene Ich unter dem spre­ chenden, ihr Geschlecht verleugnenden (und vielleicht gerade darum beken­ nenden) Pseudonym L. Andro. Als zentrales Thema des nur scheinbar im Grenzbereich zwischen Science Fiction und Kriminalroman zu verortenden Romans erweist sich die psychologisch oder auch philosophisch zu stellende Frage nach der Identität des menschlichen Individuums. Erfindung und Tech­ nik eines futuristischen Helms sind seinem Konstrukteur Paul Hell (und wohl auch der Autorin) hierzu nur ein Vehikel.156 Dehnung spricht denn auch nicht zu Unrecht davon, dass die Literatin »psychologisch motivierte Themen wie Identitätsverlust und Erinnerungsfähigkeit in ein kriminalistisch-spannendes Umfeld [einbettet]«. (1998, 151) Lange Zeit sieht es so aus, als handele es sich um einen zwar psychologisch belehrten - allenfalls phantastischen Krimi, nicht jedoch um einen SF-Roman. Etliche junge Männer verschwin­ den auf rätselhafte Weise, um später ohne jede Erinnerung an die Zeit ihrer Absenz wieder aufzutauchen. Einige von ihnen haben sogar ihre Identitäten getauscht. In einem zweiten Handlungsstrang macht ein mysteriöser Mann eine Sängerin zu seiner Geliebten, um ihren Schmuck stehlen zu können. All dies bewegt sich im Bereich des Phantastisch-Kriminalistischen. Dann jedoch stellt sich heraus, dass die zentralen Ereignisse, ohne eine ganz bestimmte, in den Bereich der Science Fiction gehörende Erfindung nicht denkbar wären. Es handelt sich um besagten Helm, der die mentale Beeinflussung seiner Träger157 ermöglicht.158 Wie sich herausstellt, lag seinem Erfinder Paul Hell letztlich nicht daran, sich mit dessen Hilfe kriminell zu bereichern, sein Ziel war vielmehr die »Erforschung des menschlichen Gehirns«. (I, 118) Von der meist in Frankfurt und Berlin lebenden Schriftstellerin Marga Passon (1897-1949) wird der religiös motivierte Endzeitroman Der rote Stern159 (1921) beleuchtet. Zu den weiteren Werken der Autorin zählen die Romane Blaubart (1925) und Michael, der Abenteurer (o.J.). Der rote Stern hat einen schlichten, allerdings stark religiös unterfütterten Plot: Auf eine von feiernden und >sündigensündigen< sexuellen Ausschweifungen der Menschen hin, die im Weltuntergang ihre - so wird implizit insinuiert - gerechte Strafe finden. Neben den genannten Romanen werden auch die Geschlechterkonstruktionen zweier Kurzgeschichten erörtert. Sie sind Helene Burmaz’ (??-??) Erzählband Der Mann im Gumminanzug (1919a) entnommen. Neben diesem Buch hat die offenbar aus Sachsen stammende Autorin162 unter anderem eine romantische Erzählung namens Roland (1924) publiziert.163 Der Erzähl­ band Der Mann im Gummianzug versammelt eine Reihe Kurzgeschichten, von denen einige deutlich phantastische Charakteristika aufweisen.164 Doch nur zwei von ihnen sind dem Genre der Science Fiction zuzurechnen: Der titelstiftende Text (1919b) und Die Marsbewohner (1919c). Augenfällig ist, dass in den meisten der Geschichten Frauen im Zentrum des Geschehens stehen. Bei den beiden SF-Erzählungen ist dies allerdings anders. Hier spie­ len Männer nicht nur die Hauptrolle,165 in Der Mann im Gummianzug166 kommen sogar überhaupt nur Figuren dieses Geschlechts vor: die titelge­ bende Figur, »[d]er englische König« (MG, 67) und »der erste Offizier von Fort William«. (MG, 70) Die Handlung, in der die Gefahr einer Eroberung und Unterjochung Europas durch das aufstrebende Japan literarisiert wird und deren antijapanische Tendenz unverkennbar ist, ist denkbar schlicht.167 Ein Japaner, der einen flugfähigen Gummianzug erfunden hat, fliegt mit diesem über England hinweg und will mit seiner Hilfe die Vorherrschaft seiner >Rasse< über die - wie er seine Herrschaft vorwegnehmen phanta­ siert - dann »armen weißen Sklaven« (MG, 66) erringen. Doch er wird von den Engländern abgeschossen und ertrinkt. In Burmaz’ von einer anony­ men Erzählinstanz berichteten Geschichte sticht eine nicht nur eindeutig geschlechtlich konnotierte, sondern sexuelle Metapher hervor, der zufolge die Luft über England »vom Kohlendunst vergewaltigt« wird. (MG, 66) Dies entspricht dem geschlechterhierarchisch organisierten Dualismus einer als rein, natürlich und somit weiblich vorgestellten Luft, die durch die männ­ lich konnotierte Industrialisierung ver- und beschmutzt, also »vergewaltigt« wird. Wird die Luft verweiblicht, so vermischen sich im gemeinhin weiblich konnotierten Wasser männliche und weibliche Konnotationen. Deutlich wird

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das am »dunkle[n] verschwiegene[n] Meer«. (MG, 70) Ist das erste Adjektiv weiblich konnotiert,168 so gilt Verschwiegenheit als Eigenschaft, die Männer positiv von den als schwatzhaft geltenden Frauen abhebt.169 Doch werden nicht nur in den Metaphern Weiblichkeits- und Männlichkeitszuschreibungen verschränkt, auch in die Konstruktion von Männlichkeit fließen >weibliche< Momente ein. So etwa, wenn es heißt, dass »jeder tapfere Mann mit dem bewunderungswerten, kühnen Feind« Mitleid empfindet, (MG, 70) das ja bekanntlich weiblich konnotiert ist.170

Gegenpole Noch eindeutiger ist die Metaphorik der männlichen Erzählinstanz in der Erzählung Die Marsbewohner.171 Wie sich bei der Behandlung der Geschlechterkonstruktionen zeigen wird, lässt sich diese Geschichte überhaupt nur metaphorisch lesen und verstehen. Hier soll es zunächst einmal nur um die männlich-militärische Metaphorik des Transportmittels und vor allem seines Kraftstoffes gehen. Das Raumschiff, das Burmaz’ weltraumreisende »Marineoffiziere« zum Mars bringt, (MB, 45) fußt auf einer »Idee«, die »nach dem heutigen Stande der Wissenschaften an den Wahnsinn grenz[t]«. Denn der Freund des Ich-Erzählers hat »auf den Schlachtfeldern menschliche Kleingehime gesammelt«, aus denen er eine Essenz [...] destillierte, mit Hilfe welcher ich durch verschiedene chemische Ver­ bindungen ein Gas erzeugte, das fähig ist, jedes, wie immer geartetes Gas höhenmäßig zuverlässig zu überwinden, (alle Zitate MB, 47)

Mit seinem Werk, so meint der Erfinder, habe er »die Nützlichkeit des Krieges doch in irgend einer Beziehung erhärtet.« (MB, 48) Dass eine Reise, die mit­ tels eines Gefährts unternommen wird, dessen Kraftstoff aus den Kleinhirnen gefallener Soldaten gewonnen wurde, zu einem Planeten mit dem männlich konnotierten Namen des Kriegsgottes Mars und nicht etwa zur Venus führt, liegt nahe. Auf dem Roten Stern begegnen sie den Marsbewohnern, die den beiden Weltraumfahrern ihren Heimatplaneten vorstellen. Dabei werden die Marsreisenden belehrt, dass es sich bei dem Mars um den Gegenpol der Erde,172 bei den alles andere als humanoiden Marsianem um »Doppelgänger« der Menschen handelt. (MB, 51) »Wir sind der Widerschein eurer Welt«, erläutert ihnen der marsianische »Gottkönig«,

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ihr befindet euch im Reich des zweiten Gesichts, der Doppelgänger. Wir nähren uns von eurem Mark, wenn ihr schwach seid; habt ihr aber Kraft und Güte, müssen wir hinsiechen. [...] Zwischen uns ist ein ewiges Ringen. Eurer selbstzerfleischenden Hader, euer ungestilltes Hoffen, zehrende Furcht, vergebliches Suchen, irres Streben beobachten wir mit feinsten Werkzeugen und saugen uns daran voll. (MB, 51)

Während sich Der Mann im Gummianzug tatsächlich auf einen männlichen Protagonisten und einige männliche Nebenfiguren beschränkt, kennt der in dieser Hinsicht weit interessantere Text Die Marsbewohner zwar ebenfalls nur männliche Menschen. Und als nichtmenschliche Figuren kommen zunächst ebenfalls nur männliche Marsianer vor - bis ein eindeutig weibliches und offenbar einzigartiges oder doch zumindest herausragendes Wesen seinen beziehungsweise ihren großen Auftritt hat.

Gefährliche Frauen und mordende Männer Caelestes’ Raketen-Reise nach dem Mond bietet - abgesehen davon, dass ausschließlich Männer die Fahrt unternehmen - wenig Hinweise auf die allgemeinen Geschlechterkonstruktionen und -Verhältnisse. Eine einschlägige Stelle lässt sich aber sehr wohl finden: Die »kleine[.J elektrische[.] Küche« des Raumschiffes dient den Herren Mondfahrem ausschließlich als Rotwein­ lager, von dem sie sich bei Gelegenheit zwei Flaschen holen, (vgl. RR, 15) Damit wird der weiblich konnotierte Raum männlich genutzt. Wie zu sehen sein wird, spiegeln die Geschlechtscharakterisierungen der Figuren Caelestes’ ironischen Blick auf die Geschlechterverhältnisse ihrer Zeit deutlicher. Zuvor aber ist noch auf die Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruk­ tionen von Passon, Andro und Harbou einzugehen. Was Passons Der rote Stern betrifft, so kann zunächst konstatiert werden, dass die Protagonisten bei ihrem ersten Auftritt über ihren jeweiligen Beruf charakterisiert werden, die Protagonistinnen hingegen über ihr Aussehen. (vgl. RS, 5-9) Es sind dies die Tätigkeiten beziehungsweise Eigenschaften, nach denen die Männer und Frauen der Zeit tatsächlich vorrangig beurteilt wurden - und viel zu oft auch heute noch werden. Anders als bei Caelestes werden die Geschlechter­ verhältnisse von Passon jedoch nicht ironisiert, sondern bestätigt. Männer bilden bei Passon ganz den konventionellen Vorstellungen entspre­ chend das aktive Geschlecht, das sich - wenn auch vergeblich - an der Ret­ tung der Welt versucht oder aber als Teil jener »Schar der Männer«, (RS ,114) eben diesen Versuch erfolgreich sabotiert. Frauen spielen im Getriebe der

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Welt und für den Fortbestand der Menschheit hingegen keine Rolle. In der dumpfen Masse der Nebenfiguren sind sie auf ein Dasein als Sexualwesen verwiesen, deren Verführungskraft die Männer erliegen. Ausnahmen hiervon bilden die beiden Protagonistinnen, die als Unschuldige beziehungsweise Heilige konstruiert werden, ohne dass sie aber je aktiv ins Geschehen ein­ greifen würden. Alle anderen Frauen werden bei Passon immer wieder auf ihre Sexualität reduziert, wie bei der ausführlichen Schilderung eines Fests der »Dionysi­ schen«, (RS, 61) auf dem eine »bekannte Aristokratin« als Laster verkleidet auftritt, indem sie sich die »Augenlider rot geschminkt und auf ihrer Haut die freßenden Geschwüre einer gefürchteten Krankheit173 kunstvoll nachgeahmt« hat. (RS, 66) »Ein Weib mit den Zeichen hoher Schwangerschaft« hat sich als »Zeres«174 kostümiert. »Auf ihrem vollen Schoße ruht ein Mohnblu­ menarrangement. Aus dem weiten Dekollete wippen bei jedem Schritt die dickgeschwellten Brüste.« (RS, 66) Den Höhepunkt der sexualisierten Weib­ lichkeitsdarstellung erreicht auf dem Fest jedoch eine Femmefatale,'15 die als biblische Salome »wie ein Reptil« (RS ,71) tanzt und ihre Arme »schlangen­ gleich um ihren Körper« schlingt. (RS, 70) Mit der Figur der Salome dringt die christliche Religion gleich mehrfach in das am Dionysus-Kult orientierte Fest ein,176 wird die Figur der tödlichen Femme fatale doch zugleich mit der teuflisch-verführerischen Schlange der Genesis verbunden.177 In zahlreichen anderen Szenen wird die todbringende Gefährlichkeit weiblicher Sexualität noch deutlicher herausgestrichen. So etwa während einer Darbietung anstößiger Szenen in zwei Theaterstücken mit den Titeln »Auguste und ihre Herrschaft« und »Der Mädchenkauf«. (RS, 14) Ihr Pub­ likum bilden »Männer, die mit Stößen und Tritten einander den besten Platz abkämpften.« (RS, 14) Um nichts zu versäumen, hängten sie die Oberkörper [15] [auf einer Balustrade] weit vor, so daß ihnen der Strick tief in den Bauch schnitt. Die Augen traten ihnen aus den Köpfen, die Adem schwollen wie kleine Schlangen178 aus ihrer Haut auf. Die Lefzen zitterten und ließen Speichel in das Szenarium tropfen. Der Schweiß dampfte in Wolken von ihren Stirnen. Sie vermochten die Körper, die vor Begierde geladen waren, nicht ruhig zu halten. Ihre Arme und Beine zuckten wie bei Hampelpuppen. (RS, 14f.)

Hier, und nur hier, auf dem Gebiet der Sexualität, sind die Frauen die Akteu­ rinnen, die das Geschehen bestimmen und die »brünstige[n]« Männer wie an Strippen ziehen. (RS, 15) Vor dem Theater »hocken« weitere »Weiber mit der dumpfen Physiognomie der Dime« »einer Schar von hungrigen kahlen Aasvögeln vergleichbar, die einen Kadaver witterten«, und nehmen Theater­

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besucher in Empfang.»[D]ie Männer, die aus diesem >Theater< kamen, waren ihnen sichere Beute.« (alle Zitate RS, 15) Nicht die Freier sind die Täter und die Prostituierten ihre Opfer, sondern umgekehrt. Wie überhaupt die Männer in dem Roman zunächst die Opfer der »sündigem Frauen sind. Selbst minderjährige Mädchen versuchen alte Männer zu verführen: »Ein mageres unreifes Mädchen von höchstens zehn Jahren baumelte sich einem Greis an [17] den Hals, ihn um Sünde anbettelnd.« (RS, 16f.) Am Ende des Romans jedoch werden die Männer zu Mördern, die zu ihrer sexuellen Befriedigung unschuldige, mit den Insignien der sie quasi heiligsprechenden Dornenkrone versehene Frauen qualvoll töten: An der Wand entlang sitzt eine Frau neben der anderen, die Beine im Dreieck auseinander­ gestreckt. Sie haben Tannenzweige um die Köpfe gewunden. Alle sind nackt. Den meisten hängt der Kiefer auf der Brust. Die Backen fließen talgig auf die Hälse herunter. Die Augen sind graue Häute. (RS, 167)

Prädikat: Ungeeignet

Zeichnet Passon in ihrem christlich motivierten Untergangs-Roman ins­ besondere das misogyne Frauenbild des auf seine Sexualität reduzierten »Weibes«, so handeln die Werke von Therese Rie Sonja Dehnung zufolge »von alltäglichen zwischenmenschlichen Konflikten, vor allem von der Beziehung der Geschlechter«. (1998, 151) Zumindest was Ries unter dem Pseudonym L. Andro publizierten Roman Das entschwundene Ich angeht, trifft das zu. Wenn ihre negative Hauptfigur Hell den »Normalmenschen« in jungen Männern zu finden glaubt, (I, 121) wird die in androzentrischer Philosophie und Wissenschaft übliche Identifizierung des Mannes mit dem Menschen schlechthin nicht nur auf den Punkt gebracht, sondern noch um die Dimension des Alters erweitert. Die Frauen jedenfalls sind in dem Roman zumindest für den Protagonisten Hell - nicht nur das »andere Geschlecht< sondern schlechthin »die Anderem.179 Nur junge Männer, >Normalmenschen< eben, werden von ihm für die Experimente mit dem Helm ausgewählt. »Das weibliche Geschlecht« wurde hingegen »zunächst, seiner Hysterie wegen, ausgeschaltet«. (1,122) Überhaupt wäre es »ganz gegen das Programm« des Experiments, Frauen als Versuchsobjekte einzubeziehen. (1,44) Außerdem scheint es lange Zeit so, dass überhaupt nur Männer für die Hypnose und deren Zusammenwirken mit dem Helm anfällig sind. Als Hell und der mit ihm zusammenarbeitende indische Hypnotiseur den Helm an einer Frau erproben, zeigt sich, dass das »minderwertig[e]« Geschlecht - »Wesen, d[ie] nur vom

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erotischen Weg zu beeinflussen« sind - »eines ernsteren wissenschaftlichen Experimentes für unwert« zu betrachten ist. (I, 130) Allein die schwache, masochistische Fanny, der es zum Zeitpunkt des Versuchs noch an jeglichem Selbstbewusstsein fehlt, scheint sich für einen Moment ebenfalls als ein wenig anfällig für die hypnotisch unterstützte Beeinflussung durch den Helm zu erweisen, (vgl. 1, 106f.) Zu bedenken ist bei alledem, dass der Misogyn Hell negativ gezeichnet ist. Seine Frauen Verachtung dürfte also kaum die Botschaft sein, die der Roman propagieren möchte.

Raumfahrer mit Dame

Nicht weniger konventionell/konservativ wie die Ansichten von Andros Figur Hell nehmen sich zunächst auch die Geschlechterkonstruktionen in Harbous Frau im Mond aus. Männer sind Wissenschaftler, Techniker, Abenteurer, Schurken. Frauen sind treue Begleiterinnen, gefährliche Verführerinnen, mütterliche Wirtschafterinnen. In einer Szene konzentriert finden sich diese Geschlechterklischees beim mit hoher Spannung erwarteten Start der Mond­ rakete. Harbou stellt die Verhaltensweisen einer haltlosen >hysterischen< Frau und eines stoisch-ruhigen Mannes einander gegenüber: »Das grelle Aufweinen180 einer Frau zerfetzte die [...] unbeschreibliche Stille. Ein Mann im Fliegeranzug stand regungslos wie ein Steinblock mitten im blauweißen Scheinwerferkegel.« (FM, 120) Nur scheinbar kommt dem Mann dabei die weiblich konnotierte Eigenschaft der Passivität zu. Tatsächlich ist er es, der sogleich das Signal für den Raketenstart gibt: »er hob nur den Arm, hielt ihn hoch - und riß ihn wieder nach unten...«. (FM, 120) Er ist - obwohl nur eine namenlose Nebenfigur - durch seine entscheidende Aktivität aus der grauen Masse der Vielen herausgehoben, sozusagen individualisiert, während die - ebenfalls namenlose - >hysterische< Frau für den Geschlechtscharakter aller Frauen steht. In zwei der Protagonistinnen von Harbous Frau im Mond wird eine solche Klischeehaftigkeit allerdings durchbrochen. So mangelt es Hans Windeggen an so ziemlich allen männlichen Eigenschaften, dafür aber scheint die Persönlichkeit Friede Veltens nicht eben geringe maskuline Anteile zu besitzen. Diese stellen sich dann aber sogar als weiblich konno­ tierte Stärken heraus. Dina Brandts Befund, dass Harbou in ihren SF-Romanen meist ein »kon­ servatives Frauenbild« konstruiert, das dem Helden eine »Kameradin« zur Seite stellt, die weiß, »wo ihr Platz ist« und schließlich in seinen Armen

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landet, (vgl. 2007, 122-126, Zitat, 126) oder aber eine Femme fatale, »die Männer in ihr Verderben stürzt«, (2007,124) ist zwar insgesamt zutreffend. Ebenso richtig ist aber auch, dass sich Die Frau im Mond »diesem Sche­ matismus der Geschlechterverhältnisse« als einziges von Harbous Werken »entziehen« kann. (2007,126) Dass gelegentlich sogar »modernere Bilder der Geschlechterbeziehungen, wie sie aus der Tradition der Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert entstanden, Einzug in die Romane fanden«, (2007,124) ist dann aber doch zu viel gesagt. Anders als Brandt meint Karin Bruns, in dem Roman sei »die Abwesen­ heit des Weiblichen (des Mütterlichen) symptomatisch.« Ein angesichts des Titels und der Protagonistin Friede erstaunlicher Befund. Bruns’ Erläuterung lässt ihn allerdings nicht mehr gar so abwegig erscheinen. Abwesend ist das Weibliche nämlich nicht in der Narration, sondern für die männlichen Protagonisten, zumindest für die, die der einen Frau des Romans laut Bruns ähnlich rückhaltlos hinterherjagen, wie andere dem Gold in den Bergen des Mondes. Für Helius und Windegger sei das in Friede Velten personifizierte Weibliche »das >obskure Objekt Xdas AndereveredeltReinheit< der heiligen Mütter durch die fast biblische Waschung einer der Frauen durch eines der Kinder. Doch wäscht es nicht wie Jesus und der Papst die Füße, sondern reinigt »wortlos, mit großer Ernsthaftigkeit« das Gesicht einer der Frauen von ihrer Schminke, (alle Zitate M, 169) Von einem dem Club der Söhne entsprechenden Club der Töchter, viel­ leicht gespendet von deren Müttern, ist in dem Roman keine Rede. Dem »Club der Söhne« entspricht auf weiblicher Seite vielmehr ein Bordell mit einem sogenannte »Rundraum«, (M, 71) in dessen Zentrum sich eine Scheibe befindet. Am Rand der Scheibe, gleich dunklem Rankenmuster auf einem Tellerrand, kauernde, kniende Frauen, wie ertrunken in ihren Prunkgewandern. Manche hatten die Stirn zu Boden gesenkt und die Hände verkrampft über den Ebenholzhaaren. Manche hockten zu Bündeln zusammengerafft, Kopf an Kopf gedrückt, Sinnbilder der Furcht. Manche verneigten sich rhythmisch, als riefen sie Götter. Manche weinten. Manche waren wie tot. Aber alle schienen als Mägde des Mannes, der auf der schneelichtleuchtenden Scheibe stand, (vgl. M, 73)

Sowohl im »Club der Söhne« wie auch im »Rundraum« steht - einmal meta­ phorisch, einmal wörtlich - der herrschaftliche Mann im Mittelpunkt. Im Falle des Bordells ist der Mann auch dann herrschaftlich, wenn es sich tatsächlich um einen Arbeiter handelt, wie in der eben zitierten Stelle der RundraumSzene. In dem Roman ist Arbeit als solche maskulinisiert. Denn es sind (entindividualisierte) »Männer, Männer, Männer«,183 die sich Schicht für Schicht zur Arbeit quälen, »alle in gleicher Tracht.«184 (M, 16) Zugleich aber werden die Arbeiter feminisiert, gleichsam entmannt also. Und zwar nicht alleine durch ihre Entindividualisierung, sondern mehr noch, wenn sie ihre Arbeit besonders gut verrichten. Denn dazu sind >weibliche< Eigenschaften förder-

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lieh. So stellt Joh Fredersen einen neuen Arbeiter nicht etwa nur ein, weil er »vier andere erspart«, sondern »weil er die Arbeit von vier anderen als Lust empfindet. Weil er sich in die Arbeit verkrampft - lustvoll verkrampft wie ein Weib«. (M, 23) Die sexualisierte Tönung der Formulierung ist geradezu überdeutlich. Einem aus dieser grauen Masse der Fabrikarbeiter, Georgi, kontrastiert Harbou auf dessen Weg ins Yoshiwara genannte Rotlichtviertel von Metro­ polis eine mondäne Frau: Dicht neben seinem [Georgis] Wagen glitt ein anderer lautlos heran [...] Georgi sah die Frau sehr deutlich. Und die Frau sah ihn an. In den Kissen des Wagens mehr kauernd als sitzend, hatte sie sich ganz in den strahlenden Mantel gewickelt, aus dem sich eine nackte Schulter mit der Weiße einer Schwanenfeder hob. Sie war auf eine verwirrende Art geschminkt, so, als wolle sie nicht Mensch, nicht Weib sein, sondern ein fremdartiges, vielleicht zum Spiel, vielleicht zum Morden aufgelegtes Tier. Den Blick des Mannes ruhevoll festhaltend, ließ sie ihre rechte Hand, die von Steinen funkelte, und den schmalen Arm, der ganz nackt und mattweiß wie die Schulter war, sacht aus der Hülle des Mantels schlüpfen, und begann, sich auf lässige Art mit einem der Blätter zu fachem, auf denen das Wort Yoshiwara stand. [...] Er keuchte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. [...] Augen starrten ihn an. Versehwimmende Augen. Eines geschminkten Mundes allwissendes Lächeln. (M, 40)

Anders als die Arbeiter ist sie zwar individualisiert, gleichwohl aber ist sie ebenso anonymisiert wie die auf dem Weg zu ihrer Arbeit befindlichen »Män­ ner, Männer, Männer«. Und sie ist als Femme fatale sexualisiert. Dabei bleibt offen, ob es sich um eine der Frauen aus der Oberschicht von Metropolis handelt oder um eine der Prostituierten von Yoshiwara. Harbou hat sie mit Accessoires beider ausgestattet. Damit werden die Ehefrauen der Herren von Metropolis gleichsam in die Nähe der Prostitution gerückt. Das (sexuelle) Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist in Harbous Ro­ man das der kriegerischen Eroberung. Zumindest aus der Sicht des Erfinders Rotwang, der Maria vorhält, >unberührte< »Mädchen« wie sie, die er als »unerstürmte[.] Festungen«, »unerschlossene[.] Paradiese« und »versiegeltet.] Bücher« metaphorisiert, wüssten nichts von der Liebe. Allerdings fügt er sogleich hinzu, auch »Frauen« (mithin das gesamte weibliche Geschlecht, gleichgültig ob sexuell erfahren oder nicht) wüssten nichts von ihr. Denn »[w]as weiß das Licht vom Licht? Die Flamme vom Brennen?« (alle Zitate M, 128) Die Frauen sind also nicht nur diejenigen, die geliebt werden, sondern die Liebe selbst. Enger kann man Weiblichkeit und Liebe nicht aneinander binden. Nicht ganz schlüssig richtet Rotwang kurz darauf seinen Furor auf »Frauen, die nur einen einzigen Menschen185 lieben.« Es gebe »auf der Welt nichts Erbarmungsloseres« als sie, diese »kühlen Mörderinnen im Namen der Liebe«, die er auch die »Todesgöttinnen« mit dem »zärtlichen Lächeln«

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nennt. (M, 129) Damit wird ihm jede nur einen Menschen liebende Frau zur Femme fatale. Harbous Roman Metropolis ist von einer vielschichtigen Metaphorik durchdrungen, die sich keineswegs auf geschlechtlich konnotierte Bilder und Symbole beschränkt, sondern ganz wesentlich auch religiöse Motive ein­ bezieht, ohne dass diese allerdings so vordergründig bleiben beziehungsweise aufdringlich hervortreten wie in Passons Der rote Stern. Eine Ausnahme bildet die eindringliche und stark sexuell konnotierte Metaphorisierung der Stadt Metropolis als Hure Babylon,186 (vgl. M, 113f. und 117) der »Mutter der Hurerei187 und aller Greuel auf Erden«.188 (M, 117) Zudem wird sie der Erlöserfigur Maria entgegengestellt und mit deren Widerpart, der mit ihrem Gesicht versehenen Androidin, identifiziert.

Männer auf dem Mars und der Tanz ums Heilige Ei Bestätigen die allgemeinen Geschlechterkonstruktionen eines literarischen Werkes die zeitgenössischen Geschlechtervorstellungen und -Verhältnisse, so erstaunt es nicht, wenn es sich bei den Figuren nicht anders verhält. Ebenso erwartet man eine entsprechende Übereinstimmung, wenn sie ironisiert oder gar subvertiert werden. Wie gezeigt, umgibt Caelestes’ kurze Raketen-Reise nach dem Mond ein ironisierendes Flair. In ihrer kleinen Geschichte wird nun der Erfinder und Erbauer des Raumschiffes bei dessen öffentlicher Vorstellung allseits für seine Intelligenz gelobt und sein Finanzier, der amerikanische »Börsenmagnat« (RR, 3) Mr. Whymbleton, für seine Genialität und seinen Großmut,189 (vgl. RR, 8) während dessen Frau als »führende Modekönigin« (RR, 3) und die gemeinsame 17-jährige Tochter Maude als »ganz allerliebst ausfsehend]« und »voller Anmut, wie nur je ein >American Girlmännlich< geltenden Charakteristika >ausgezeichnetanderes Geschlecht< gibt, erfolgt zwar beiläufig und indirekt, unterstreicht aber die Hierarchie des Geschlechterverhältnisses. Denn es wird ganz nebenbei er­ wähnt, dass die beiden menschlichen Protagonisten auf dem roten Planeten »Freudenhäuser« besuchen. (MB, 52) Dann aber erscheint ein Wesen, das nicht nur unmissverständlich weiblich,

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sondern dezidiert mütterlich ist. Es bewegt sich »auf zitternden Flimmer­ haaren wie auf Milliarden zarter Füßchen« fort und erscheint als »mächtige Kugel«, aus deren Innerem, in dem das »Brausen der Geburt [wogt]«, »ein stark violettes Fleisch« hervor »leuchtet[.]«. (MB, 53) Die Kugelgestalt evoziert nun nicht nur die Assoziation zur weiblichen Eizelle, sondern korrespondiert auch mit der an diese geknüpfte Weiblich­ keitsmetaphysik der zeitgenössischen Literatin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé (1861-1937), der zufolge Frauen als Frauen in der Tat etwas von schimmernden Wassertropfen [besitzen], deren es dem Umfang nach kleinere und größere gibt, die sich aber, ob klein ob groß zur nämlichen kugeligen Form zusammenrunden. (1992, 35)

Begründet wird das von Andreas-Salomé ganz biologistisch damit, dass »die weibliche Eizelle einen Kreis in sich geschlossen hält, über den sie nicht hinausgreift.« [EJben deshalb liegt auch im Weiblichen schon so elementar und primitiv angedeutet die intaktere Harmonie, die sicherere Rundung, die in sich ruhende größere vorläufige Vollen­ dung und Lückenlosigkeit,

als im Männlichen mit der »Ruhelosigkeit und Rastlosigkeit« seines Sa­ mens. (alle Zitate 1992, 9) Denn beide, das »Ei-Zellchen im Weibe« und »die Vielzahl männlicher Samenfäden [...] repräsentieren selbständig die Wesensessenz der an ihnen beteiligten Geschlechter«. (1992, 11) Zugleich fasst Andreas-Salomé »das Mütterliche« als »Sinnbild der weiblichen Psy­ che«. (1992, 16) In Burmaz’ Kurzgeschichte ist diese weiblich/mütterliche Kugel die Gebä­ rerin einer »Welterstehung«, die zugleich das »Sterbefest der Marsbewohner« bedeutet. (MB, 54) So wie die Samenfaden (bei Andreas-Salomé) das EiZellchen umschwärmen, umschwärmen die männlichen Mollusken auf dem Mars die weiblich-mütterlich Gebärende in Kugelgestalt, die in der Erzäh­ lung somit das >weibliche Prinzip< metaphorisiert. Darin gleicht sie ganz verblüffend der von Andreas-Salomé in Der Mensch als Weib entworfenen misogynen Weiblichkeitsvorstellung191 und Mutterschaftsidealisierung.192 Ob Burmaz diesen Text allerdings kannte, muss dahingestellt bleiben. Trotz ihrer Metaphorisierung durch exotische Aliens erweisen sich die Geschlechterkonstruktionen ihrer Marsbewohnerinnen jedenfalls als ganz und gar konventionell. Festzuhalten bliebt noch, dass der an sich doch so männlich konnotierte Planet Mars bei Burmaz auch eines >weiblichen< Momentes nicht entbehrt. Denn die beiden Menschen-Männer penetrieren ihn, indem sie einen »Fahr-

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Stuhl« besteigen und »abwärts« »roll[.Jen«. (MB, 49) Erst dort unten in der Tiefe stoßen sie überhaupt auf die marsianische Zivilisation. So wie Männer und Frauen als einander ergänzende und aufeinander ver­ wiesene Gegenpole gelten, werden Menschen und Marsianerlnnen, Erde und Mars in der Kurzgeschichte als - männlich und weiblich konnotierte - Ge­ genpole konstruiert. Zumindest ließe sich dieser Eindruck gewinnen, würde die Erde nicht ebenfalls als weiblich vorgestellt, indem sie mit der konven­ tionellen Metapher der »Mutter« belegt wird. (MB, 54) Bleibt die Erde bei Burmaz - wenn auch nur beiläufig, so doch eindeutig - weiblich konnotiert, erweist sich der als Gegenpol ausgegebene Planet Mars als nicht ganz so männlich wie gedacht.

Vor Frauen wird gewarnt! Beim Personal in Passons Roman Der rote Stern handelt es sich gewisser­ maßen um >handfestere< Figuren als bei den marsianischen Mollusken und Kugeln von Burmaz. Von den männlichen Protagonistinnen sind Sebastian Hartweil, Einar Rikstjeme und Richard Eckstein erwähnenswert, von den weiblichen Maria Santi und Kata Milczesdy. Zunächst zu den Männern: Sebastian Hartweil ist zwar der zentrale männ­ liche Charakter und gibt die intendierte Identifikationsfigur für Lesende seines Geschlechts ab, doch gibt es über die Figur mit dem Vornamen eines christlichen Heiligen am wenigsten zu sagen, nämlich nicht mehr, als dass er den Anfechtungen weiblicher Verführungskunst zu widerstehen vermag. Als weniger resistent erweisen sich Richard Eckstein und Einar Rikst­ jeme, die auch ansonsten mit einer Reihe männlich konnotierter Eigenschaf­ ten ausgestattet sind. So geht der Erfinder Rikstjeme ganz in seinem Werk auf.193 Die männliche Konnotation der Geistestätigkeit wird in seiner Figur noch einmal unterstrichen. Denn er fasst sie als (männlich konnotierten) Kampf mit den Gedanken auf.194 In der Rolle des männlichen Retters (der Menschheit) versagt er allerdings. Die von ihm erbaute Rakete, die möglichst viele Menschen auf den Mars evakuieren soll, wird in seiner Abwesenheit sabotiert. Statt sie zu bewachen, besucht er eine Frau: Maria. Sie ist zwar die weitgehend enterotisierte Heilige des Romans. Doch bittet er an diesem Abend mit den stark sexualisierten Worten »Nimm mich auf!« (RS, 107) bei ihr um Einlass. Nachdem er von der Zerstörung der Rakete erfahren hat, irrt er durch die Straßen und trifft auf eine Prostituierte:

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Ein Weib, das frierend ein dunkles Tuch fester um sich zieht, schlendert ihm entgegen. Sie sieht ihn an, kommt ihm ganz nahe, um seine Züge zu erkennen, stutzt. Dann pladdert sie gutmütig und frech los. »Das biste ja. So alleine Männeken, bei die Menschen, die’s heute jibt? Dir is jewiß auch ’n bißken schwiemelig! Na, denn komm man mit. Ich hab noch Bett. Brauchste nix bezahlen!« Einar läßt sie ohne Antwort stehen. Einen flüchtigen Augenblick ist er voll Bitterkeit, daß ihn, den sie noch vor kurzem Gott nannten, am Ende eine Dime tröstet. (RS, 123)

Es mag erstaunen, dass in diesem sexualfeindlichen Untergangsroman voller ausschweifender Lüstlinge ausgerechnet eine Prostituierte relativ positiv gezeichnet wird. Doch dient dies offenbar dazu, die Fallhöhe des Mannes vom »Gott« genannten Erlöser der Menschheit zum trostbedürftigen Versager, dem sich selbst eine Hure annimmt, hervortreten zu lassen. Noch Tage später wird er von seiner >Schuld< gequält, in der Nacht der Zerstörung >zum Weibe gegangem zu sein: ich war vor zehn Tagen in der Nacht - als das Unglück damals - bei Maria. Wäre ich auf dem Platz geblieben - die Erde wäre heute leer und alle Menschen - alle Menschen gerettet! (RS, 130)

Die Botschaft von Rikstjemes nächtlichem Besuch bei Maria Santi ist ein­ deutig. Es ist die des Romans überhaupt: Die Frau, selbst die enterotisierte Heilige, stellt eine sexuelle Verlockung für den Mann dar, die sich als bedroh­ lich erweist. Gibt er der Versuchung nach, führt ihn das in den Untergang und im Falle von Rikstjeme die ganze sündige Welt gleich mit. Schon zuvor hat sich der Philosoph und Astronom Richard Eckstein auf genau die gleiche Weise von seiner Arbeit an der Rettung der Menschheit ablenken lassen. Allein der Gedanke an die Frau, und sei es an Maria Santi, lenkt den Mann von seiner Aufgabe, die Welt zu retten, ab: Richard Eckstein sann über Gravitationsprobleme nach, die der neue Stern bei seiner Annä­ herung an die Erde stellen würde. Doch vermisste er in seinen Ideengängen die gewohnte Konzentration. [...] kam ihm zu Bewußtsein, daß die bevorstehende Begegnung mit Maria Santi ihn ablenkte, und er [39] gab der Ablenkung nach. (RS, 38f.)

Dabei steht die Figur Eckstein für die als männlich gedachte Logik. So wie sich Rikstjeme ganz mit seinem technischen Werk identifiziert, geht Eck­ stein in seinem männlich-philosophischen Elfenbeinturm auf. Seine Ideen, deren »Strenge« sie »ewig« machen, auch wenn er selbst »zehn mal« stürbe, sind ihm alles. (RS, 41) Nicht über Fortpflanzung, Gebären gar erlangt er (mittelbare) Unsterblichkeit, sondern in diesen, seinen »Ideen«. Mit ihnen übertrumpft er noch das Gebären der Frauen und das Weiterleben in Kindern. Während die Fortpflanzung mit dem Ende der Menschheit ihr Ende findet, hat die Unsterblichkeit seiner Ideen selbst darüber hinaus Bestand: »und wenn

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sie auch niemand mehr dächte, so sind und bleiben sie doch von derselben ehernen Gültigkeit.« (ebd.) Die beiden zentralen Protagonistinnen stehen der Masse der Femmes fa­ tales diametral entgegen. Die achtzehnjährige und wie man annehmen darf noch jungfräuliche < Ungarin Kata Milczesdy steht für (weiblich konnotierte) Unschuld. Zumindest ist das offenbar noch vor dem >Sündenfall< lebende »Paradieskind« mit den entsprechenden Insignien, wie etwa einem »Kleid aus weißer Seide«, ausgestattet. (RS, 7) Ihre Weiblichkeit wird nicht über Sexualität, sondern über weiblich konnotierte Emotionen wie Ängstlichkeit und hilfloses Weinen hergestellt. (Vgl. RS, 43f.) Als Femme fragile ist sie zwar eben sowohl eine Männerphantasie sexualisierter Weiblichkeit wie die Femme fatale, doch stellt sie zugleich deren Gegenpol dar. Im Zentrum des Romans steht aber nicht sie, sondern Maria Santi. Ihr religiös konnotierter Name weist sie nicht nur als Heilige, sondern als >Mutter Gottes< aus. Zwar wird sie bereits zu Beginn des Buches mit der »Madon­ na« verglichen, hier aber auch als »fast bacchantisch« tanzend beschrieben. (RS, 9) Mag sie auch eine Heilige, ja selbst die Mutter Gottes sein, so ist sie als Frau doch immer auch totbringende Versuchung, die es zurückzuweisen gilt. Rikstjeme ist derjenige, dem dies nicht gelingen soll, womit er den Saboteuren die Möglichkeit eröffnet, ihre zerstörerische Tat zu begehen und das Schicksal der Menschheit zu besiegeln. Nur Hartweil widersteht allen Versuchungen. So etwa schon, wenn er Maria Santi auf den ersten Seiten des Buches während eines von ihr gegebenen Festes tanzen sieht: In höchster Lust und im höchsten Schmerz drängte sich aus ihrer blauen glutdurchzuckten Seele dieser Ausdruck des Leidens, göttlich gebunden und dämonisch wild. Dieses Zueins­ werden von Sein und Vernichtung war ihm ein Mysterium dieser Frau und zugleich das Mysterium des Lebens, und so sah er sie dahintanzen, rätselhaft und urgründig verknüpft mit dem tiefsten Sinn der Welt, taghell und nächtlich, lebensspendend und mordend, heilig und unheilig. (RS, 6)

So verknüpfen sich ihm Göttliches und Dämonisches, Gebärerin und Fem­ me fatale im zugleich naturhaft-»urgründigen« >Rätsel Weibmännlich-mannhaften< Trösters und Beschützers. Ganz im Gegenteil. Auch er ist ihres Trostes bedürftig. »Er, der Mann«, wie ei­ gens betont wird, »klammert sich hilfesuchend an den kinderhaften Körper des Mädchens, wühlt die Stirn in ihre zarte Schulter, stöhnt, betet, fleht sie an: >Kata, du letzter Frühlingstag auf Erden!männlichen< Leidenschaft Sebastians steht »das Licht scheuer Liebesseligkeit in dem blassen fremd­ artigen Gesichtchen« der jungen Frau gegenüber. (RS, 151) In dieser - mit der zuvor beschriebenen korrespondierenden - Szene ist sie es nun, die ihn »behutsam« aufs Haar küsst. (RS, 151) Katas scheue Liebe und der Kuss aber entgehen dem Mann in seiner Leidenschaft und Todesangst.195 Damit werden die konventionellen Geschlechtervorstellungen doch zumindest auf der sexuellen Ebene wieder hergestellt: Männliche Leidenschaft trifft auf die scheue Liebe der Frau. Und auch der bei Frauen angesichts des Kampfes im feindlichen Leben trostsuchende Mann ist spätestens seit Schiller so unbe­ kannt nicht, (vgl. Schiller o.J., 43) Während Sebastians letzter Begegnung mit der lebenden Kata ist Maria zugegen. Nun ist wieder er es, der sie küsst, und zwar auf die »weiße matte reine Stirn«, womit Katas Unschuld, ihre Reinheit und ihre Schwäche, noch ein letztes Mal herausgestrichen werden. Sie »hält still« und lässt den Kuss zunächst »mit geschlossenen Augenlidern« zu; fast könnte man sagen, passiv über sich ergehen. Dann aber »drängt« sie den Mann »leise zurück«, nickt ihm und Maria »heiter, leicht schwermütig« zu, »und sie sehen ihre anmutige blumenhafte Gestalt mit langsamem Schritt verschwinden.« (RS, 153) Eine Blume, die ungepflückt bleibt.

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Später wird Sebastian auf Katas Leiche stoßen. Sie ist einem Sexualmör­ der zum Opfer gefallen. »Ihr Gesicht ist sehr zerstört. Man sieht, daß sie gewürgt worden ist.« (RS, 169) Sebastian trägt die tote Kata, »als müsste er sie behüten«, »wie ein Kind auf dem Arm« davon. (RS, 171) Doch weder (ihre) weibliche Reinheit noch (sein) männlicher Schutz retten (sie) vor der mörderischen Sexualgier des Mannes. Nun mag es zwar sein, dass unter den zahlreichen Frauen, die gegen Ende des Romans Sexualmorden zum Opfer fielen, auch Prostituierte und >lüsteme Weiber< gewesen sind. Doch davon berichtet er nichts.

Freundinnen

Anders als in Passons Der rote Stern sind in Andros Roman Das entschwun­ dene Ich nicht in erster Linie die zwischengeschlechtlichen Beziehungen der Figuren interessant, sondern mehr noch die innergeschlechtlichen, vor allem diejenigen zwischen den beiden Protagonistinnen Fanny Kärrner und der von ihr angebeteten Sängerin Hedwig Nowak, die unter dem Künstlerinnennamen Jadwiga Jalewska auftritt. Unter den männlichen Figuren lohnt allein Paul Hell einen näheren Blick. Doch zunächst zu den beiden Protagonistinnen, zu denen sich als dritte noch Clothilde Binder gesellt, über die hier vorerst jedoch nicht viel zu sagen ist; nur, dass sie als »Verkäuferin mit einem etwas neurasthenischen Zug um den Mund« eingeführt wird. (1,43) Allerdings wird später auf ihre Beziehung zu Paul Hell einzugehen sein. Fanny Kärrner ist »klein, unhübsch und sogar von ihrer Familie unbeach­ tet«. (1,14) Kurz: Sie ist eine unausgefüllte Frau, deren Verehrung für Jadwiga Jalewska ihrem Leben »Inhalt und Glück« schenkt. (1,13) Mit dieser ihrer Fremdbestimmung, ihrer Selbstverachtung196 und mit ihrer Depression197 erscheint sie lange als negativ gezeichnete Figur. Doch gerade sie steht am Ende in der Auseinandersetzung mit Paul Hell gemeinsam mit Jalewska auf der Siegerinnenseite. Bevor die Charakterisierung Jadwiga Jalewska alias Hedwig Nowak in Angriff genommen wird, ist zunächst auf eine die Erzählinstanz betreffende Eigentümlichkeit hinzuweisen. Wenn sie von der Figur berichtet, changiert sie zwischen den Benennungen Jalewska und Hedwig. Dies aber keineswegs beliebig. Ist von der Figur als Schauspielerin - mithin als öffentlicher über den Beruf definierter Person - die Rede, nennt sie sie beim Nachnamen ihres Künstlernamens. Spricht sie von ihr als Privatperson - als Liebende

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etwa - benutzt die Erzählinstanz jedoch den eigentlichen Vornamen der Figur. Da nun die zeitgenössischen Männer gemeinhin im Beruf und somit in der Öffentlichkeit stehen, Frauen hingegen auf die >Privatsphäre< des Haushalts verwiesen sind, und angesichts der literarischen, auch von Andro geteilten Ge­ pflogenheit männliche Figuren vorwiegend beim Familiennamen, weibliche hingegen beim Vornamen zu nennen, wird die Figur damit in einen privaten >weiblichen< und einen öffentlichen >männlichen< Teil aufgespalten. Dazu scheint zu passen, dass sie als letztere von der weiblichen Figur Fanny Kärrner angebetet wird. Doch bleibt die >Vermännlichung< der Figur als Künstlerin auf die Anrede durch die Erzählinstanz beschränkt. Es wird geradezu betont, dass ihr Erfolg als Künstlerin »untrennbar« (1,69) mit der Weiblichkeit der »schlanke[n], hochgewachsene[n] Blondine, mit keckem Stumpfnäschen, einem breiten, lachenden Munde, prachtvollen Farben« verbunden ist, die nicht über eine wirklich zur Klasse ausgebildete, sondern bloß »ungebändigte[.] Sopranstimme« und ein »unbändige[s] darstellerische[s] Temperament« verfügt. (I, 13) Zwar wird sie von Männern umschwärmt, hat aber keine Freunde, »sondern höchstens Schmeichler und Bewunderer«. (I, 68) Auch hat sie neben einem reichen Mäzen noch zahlreiche weitere wechselnde Liebhaber: »Kollegen und Bühnenarbeiter, Studenten und Finanziers - sie nahm sie sich, wie sie ihr gefielen, um sie rasch wieder fahren zu lassen.« (1,14) Als sie jedoch Paul Hell begegnet, scheint sie völlig liebesblind von ihm abhängig zu werden, so dass man schon vermutet, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Doch so wie er sich die jungen Männer mittels Hypnose und Helm gefügig macht, gewinnt er Macht über sie, indem er sie in sich verliebt macht. Letztlich aber gelingt es ihr, sich von dem Mann zu befreien. Am Schluss steht sie gemeinsam mit Fanny Kärrner in Siegerin­ nenpose auf der erfolgreichen Seite des Geschlechterkampfes. Fannys Schwärmerei für Jadwiga ist unterschwellig homoerotisch, denn »merkwürdigerweise wirkte die Jalewska stark auf das weibliche Geschlecht, trotzdem sie sich nichts aus ihm machte«. (I, 16) Fannys liebevolle Zunei­ gung hat zu Beginn fraglos einen unterwürfigen Charakter und eine leicht masochistische Note. Sie »versagte sich das Nötigste, um ihrem Idol Blumen zu schicken, schrieb lange Briefe, auf welche die Jalewska [14] nie antwor­ tete«. (I, 13f.) Nachdem Jadwiga ihre Haushälterin geohrfeigt hat und von dieser verlassen wird, drängt sich Fanny, die es »unbegreiflich [fand], daß die Mädchen sich Ohrfeigen von solcher Hand nicht hatten gefallen lassen«, in die frei gewordene Stelle (1,15) und muss nun den »stets willkommenen Prügelbock« für Jadwigas »schlechte Laune« abgeben. (1,20)

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Es zeigt sich, dass bei Andro nun gerade nicht die Frau das unbekann­ te Wesen ist, dessen Rätsel der Mann vergeblich zu ergründen versucht. Vielmehr ist es umgekehrt der in der wandelbaren Gestalt Hells auftretende Mann, der von den Frauen nicht erkannt wird.198 Und gerade dies verleiht ihm Macht über sie, die sich in ihn verlieben. Jadwiga allerdings wird sich aus seiner Macht befreien können und die vermutlich lesbische Fanny ihr gar nicht erst erliegen. Das aber wird nicht mit ihrer - schließlich nie offen ausgesprochenen - homoerotischen Tendenz begründet, sondern über ihre >männlich< konnotierte Klugheit. Der mit der rätselhaften Gabe der Verwandlungskunst ausgestattete Hell ist ein ausgemachter Sexist, der ohne Weiteres mit Männern vom Schlage eines Paul Julius Möbius (vgl. Möbius 1900) oder Otto Weiningers (1880-1903) konkurrieren kann.199 »O Weiber!« ruft er beispielsweise »mit nachsichtigem Lächeln« aus, »Denken habt Ihr immer noch nicht gelernt!« (I, 141) Vor allem die »Psychologie der Mutter« hält er für »[e]in bisschen primitiv«, wie er »ironisch« bekennt. (1,65) Doch meint er auch ganz grundsätzlich: Frauen haben doch nie Sinn für eine Idee. Man kann ihnen alles noch so lang und breit erklären, sie glauben schließlich, die kompliziertesten Dinge würden nur begangen, um ein kleines Fräulein mit Schmuck zu behängen. (1,45)

Denn Schmuck, davon ist er überzeugt, ist etwas, »was jede Frau interessiert«. (1.44) Das »Mädchen« Clotilde Binder, dem er dies sagt, protestiert zwar »heftig«, er solle sie »nicht immer als etwas Minderwertiges behandeln«, (1.45) ihre Reaktion angesichts der Kleinode scheint ihn jedoch zu bestätigen. Denn sie greift mit »einen kleinen gierigen Schrei« und den gestammelten Worten. »Bekomm’ ich was - bekomm’ ich wenigstens etwas davon?« nach der »Hand voll von Geschmeide«, (I, 44) die er ihr unter die Nase hält, (vgl. I, 45) Doch, anders als er unterstellt, ist sie nicht daran interessiert, sich nach >Weiberart< zu schmücken. Ihr geht es ganz >männlichmännliche< Kennzeichen. Zudem ist er >männlich< verschwiegen, selbstbeherrscht und diszipliniert, (vgl. FM, 47) Die aggressiv-sexuelle Komponente des Wölfi­ schen bricht in einem Disput mit Friede Velten durch: »Seine Worte sprangen sie an wie ein Rudel Wölfe. Sie waren so körperlich in ihrer Gewalt, daß sie unter dem Anprall zurückzuckte.« (FM, 53) Doch hat Harbou diesem Mann auch einige weiblich konnotierte Eigen­ schaften mitgegeben. So ist er sensitiv, fast möchte man sagen schwärme­ risch genug, um »sehr deutlich« die »pulsnahe Zärtlichkeit der Dinge« zu empfinden. (FM, 19) Und als er von Friede Veltens Verlobung mit seinem Freund Hans Windegger erfährt, übermannt ihn »heftige[s] und maßlose[s] Leiden[.]«, dass sich sein ganzer Körper »vom Kopf bis zu den Füßen« wie eine einzige »Wunde« anfühlt.210 (FM, 20) Selbstverständlich lässt er sich von alledem nichts anmerken. Dazu bleibt er bei aller > weiblichem Gefühligkeit doch >männlich< genug. Dennoch lässt sich festhalten, dass Harbou gerade den als männliche Identifikationsfigur fungierenden Helden des Romans nicht nur mit sehr >männlichen weiblichem Eigen­ schaften ausgestattet hat. So wie Wolfgang Helius mit der männlich konnotierten Sonne, ist Friede Velten mit dem weiblich konnotierten Mond verbunden.211 Allein diese Sym­ bolik macht deutlich, dass sie das Paar des Buches sind212 und nicht etwa Friede und ihr Verlobter Hans Windegger. Friede Velten bringt das - und die Gestimemetaphorik - mit den an Helius gerichteten Worten »ich bin gleichsam der Trabant Ihres Trabanten geworden« auf den Punkt. (FM, 52) So wie der Mond um den Trabanten der Sonne, die Erde, kreist, kreist sie, vermittelt über den Mond, um Helius.

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Wie Wolfgang Helius seine Männlichkeit im Namen trägt, trägt Friede Velten einen stark weiblich konnotierten Vornamen. Überhaupt wird ihr Geschlecht immer wieder betont und sie wird auf >weibliche< Tätigkeiten verwiesen. So ist sie auf der Reise zum Mond für die Zubereitung der Malzei­ ten zuständig, (FM, 200) ebenso für die allgemeine Versorgung der Männer, deren (Kranken-)Pflege und das Füttern Hilfloser. (FM, 198) Für all die Dinge eben, die Männer glauben, von einer Frau erwarten zu dürfen. Selbst Manfeldt, der sich aus »Mädchen« nicht viel macht,213 »imponiert[.J« es, »daß Friede Velten sich nicht anstellte und keine Zustände bekam und vor allem ordentlich und ohne viel Worte zu machen für die fünf Männer der Weltraumreise sorgte.« (FM, 133) Ähnlich wie Helius mit > weiblichen*, scheint sie jedoch ihrerseits auch mit >männlich< konnotierten Attributen und Persönlichkeitsanteilen wie Mut214 und Kampfesstärke ausgestattet zu sein. Tatsächlich aber wird ihre Stärke, ihre Kraft und ihr Mut keineswegs als >männlichweiblich< konstruiert. Denn sie ist von »ungestüme[r] und kriegerische[r] Magdlichkeit«. (FM, 47) So wird sie denn auch ausdrücklich als »PenthesileaNatur« bezeichnet.215 (FM, 48) Der trotz ihres Vornamens amazonenhaften Kriegerin korrespondiert dann auch nicht das männlich konnotierte Raubtier Wolf, sondern der nicht nur als Katze weiblich konnotierte Leopard,216 dem sie in einem Moment ärgerlicher Erregung gleicht, (vgl. FM, 145) Den schla­ gendsten Beweis für die hier vertretene These der nicht männlich, sondern weiblich konnotierten kämpferischen und (wage)mutigen Stärken Friede Veltens bietet allerdings nicht Harbous Roman, sondern dessen Verfilmung. Als Friede Velden und die männlichen Besatzungsmitglieder bereits das Raumschiff bestiegen haben und der Start unmittelbar bevorsteht, bittet He­ lius sie noch ein letztes Mal, nicht mitzufliegen. Im Film, für den Harbou das Drehbuch schrieb, antwortet die Mondfahrerin laut einem Zwischentitel: »Wollen Sie im letzten Augenblick noch die Frau in mir beschämen? Die Augen der ganzen Welt sind auf uns gerichtet....... die Ohren der ganzen Welt horchen zu uns her ...« {Frau im Mond 1928/29, 1:21:32) Harbous Heldin würde sich also als Frau beleidigt fühlen, stünde sie als feige da.217 Deutlich wird an einer anderen Stelle aber auch die dem weiblichen Mut und der weiblichen Stärke vom Roman in der Figur Friede Veltens zuge­ schriebene geschlechterspezifische Beschränktheit. In der Szene geht es darum, das Raumschiff vor der Übernahme durch den Schurken Turner zu retten. »Dies war das Weltraumschiff von Wolf Helius, und sie [Friede Velten, RL] würde es verteidigen - gegen Herrn Turner und gegen die ganze Welt.«

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(FM, 187) Velten stellt ihre >weiblich Kämpfematur< also ganz in den Dienst des bewunderten und - wie sich zeigen wird beziehungsweise die Lesenden an dieser Stelle längst wissen - geliebten Mannes. Um das Eindringen des Verbrechers Turner in das Raumschiff zu verhindern, benutzt sie ihre Arme als »lebendige Riegel« (FM, 187), welche die Tür verschlossen halten, während der Verbrecher versucht sie aufzubrechen.218 Das Mädchen [...] riß sich die Haut vom Leibe, als sie, nur einen Gedanken kennend: Helius zu Hilfe zu kommen, die lebendigen und hochgeschwollenen Riegel ihrer Arme und Hände aus den Türgriffen zerrte. (FM, 189)

In den Kampf zwischen den Männern greift sie aber nicht aktiv ein, sondern schaut nur hilflos.zu: Die Türen schwangen nach außen. Sie tat einen taumelnden Sprung, stürzte und raffte sich gleich wieder auf und kreiste - ein Tier, das zwei kämpfende Tiere umkreist - die flatternden Hände an den flatternden Lippen, flüsternd, lallend, stammelnd, grell aufschreiend, wenn Helius zu unterliegen drohte, in irrem Zirkel um die Ringenden. (FM, 189)

Ihr Mut, ihre Kraft und ihre Stärke verleihen ihr zwar die notwendige Lei­ densfähigkeit, um dem Mann den Sieg im körperlichen (Zwei-)Kampf zu ermöglichen. Mehr aber nicht. Harbou schreibt ihre Heroine also letztlich auf die begrenzte - und somit doch nicht gar so subversive weibliche - Rolle der für einen Mann tapfer leidenden Frau fest. Und das unterscheidet sie doch ganz gehörig von der herbeizitierten kampfgewandten Penthesilea. Auch in einer anderen Hinsicht zeigt sich, dass das emanzipatorische Bild Friede Veltens bei näherem Hinsehen nicht ganz so hell erstrahlt. Sie übernimmt zwar für sich selbst die Verantwortung und legt vor allem keinen Wert auf einen Trauschein: Glaubst du wirklich, ich fragte, viel danach, ob irgendein Beamter seinen Namen unter ein Schriftstück setzt, auf dem wir beide uns gegenseitig die Ehe bescheinigt [83] haben? Ich bin keinem Menschen auf der Welt verantwortlich als mir allein, und kann tun und lassen, was mir beliebt, solange ich keinem anderen damit ein Recht verletze. (FM, 82f.)

Doch ihre rückversichernde, auch noch ausgerechnet an ihren wankelmütigen Verlobten gerichtete Frage, »Ist das so richtig, Hans?«, (FM, 83) relativiert die emanzipatorische Rede um Einiges. Und überhaupt nicht emanzipatorisch ist das Schlussbild des Romans, das Friede Velten als passive Frau zeigt, die von dem sie aktiv küssenden Mann regelrecht verschlungen wird: »Sein Mund, verdurstet und hungrig wie er war, nahm ihren Mund gefangen und ließ ihn nicht mehr los.« (FM, 206) Eine Art der besitzergreifenden Gefangennahme, die seine Blicke schon sehr viel früher angekündigt und vorweggenommen haben.219 Auch dass

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es sich bei der Beziehung zwischen Helius und Velten keineswegs um eine gleichberechtigte Partnerschaft handelt, wurde schon sehr viel früher deut­ lich, als sie ihm bekannte, sie sei der Trabant seines Trabanten, (vgl. FM, 52) Entsprechend reagiert er auch auf ihr Ansinnen, mit zum Mond zu fliegen. »Helius lächelte. >Kind...< sagte er und kein weiteres Wort. Er schüttelte nicht einmal den Kopf.« (FM, 52) Erst als sie beharrt, begründet er seine Bedenken - und zwar ganz geschlechterrollenkonform - damit, er ertrage es nicht, »Sie in Gefahr zu wissen«. (FM, 53) Doch sie ist es, die sich, hier zumindest, durchsetzt.

Die Heilige und die Hure Während die Titelheldin der Frau im Mond die ihrem Geschlecht zwar nicht von der Natur, aber doch von der zeitgenössischen Gesellschaft gesetzten Grenzen zu überschreiten und zu einer anderen, kämpferischen Weiblichkeit zu finden scheint, schreibt Harbou in ihrem anderen Roman, Metropolis, eine dem Weiblichkeitsklischee gemäß innerhalb des Geschlechts verlaufende Grenze fort: die zwischen Heiliger und Hure. Diese beiden Klischees sind in den beiden Protagonistinnen Maria und ihrem androidischen Gegenpol personifiziert. Zwar sind die Rollen der beiden gleichermaßen misogynen Weiblichkeitsklischees in dem Roman deutlich zwischen der Androidin und Maria aufgeteilt. Doch ist die Grenze für die männlichen Figuren keineswegs eindeutig. Denn sie wissen ein ums andere Mal nicht, wen sie denn nun vor sich haben: Die >heilige< Maria oder die künstliche Hure mit deren Gesicht.220 Diesen gilt das erste Interesse bei der Behandlung der Figuren des Romans. Zunächst zu Maria. Sie wird geradezu obsessiv als zugleich mütterlich und jungfräulich charakterisiert. Allen voran von Freder, der sie etwa als »Jung­ frau-Mutter« und »Geliebte« begrüßt,221 (M, 57) ebenso von Rotwang, dem Kreator der Androidin, der sie »Du Mütterliche mit dem Jungfrauengesicht« nennt. (M, 128) Und selbst die Erzählinstanz spricht ihr »jungfräuliche[.] Mutterhände« zu; (M, 168) »Marienhände« eben, (M, 63) so wie sie auch »Marienaugen« besitzt. (M, 62,63) Ist es gerade die Jungfräulichkeit Marias, die Freder anbetet und die ihn anzieht, so verfügt er selbst als ständiger Besucher des >Edelbordells< mit dem Namen »Club der Söhne« zweifellos über zahlreiche sexuelle Erfahrungen.222 Sehr wahrscheinlich haben wir in ihm sogar einen Vergewaltiger (Marias) vor uns. Wenn er sie, während sie bewusstlos ist, »plötzlich, mit einer jähen, heftigen, aufstöhnenden Inbrunst«

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küsst, »als wollte er daran sterben«, (M, 192) so ist das eine kaum verklau­ sulierte Vergewaltigung der Wehrlosen. Die Konstruktionen nicht nur von Maria als Mutterersatz und vor allem von Freders Mutter Hel als absente Mutter und deren Übereinstimmung mit Johann Jacob Bachofens (1815-1887) Mutterrechts-Theorem223 legte Chris­ tine Kanz kürzlich offen:224 Es sei die Abwesenheit der biologischen Mutter Freders, »die die Handlungen aller Beteiligten - des Vaters Joh Fredersen, des Sohnes Freder Fredersen und auch des unheimlichen Geistes Rotwang225 motiviert bzw. bislang motiviert hat«. (2009, 310, vgl. auch 310-313 und 319-333) Dieser Befund lässt sich noch dahingehend präzisieren, dass es alle männlichen Beteiligten sind, die durch die Absenz der Mutter moti­ viert werden. Denn bei Maria ist dies ja keineswegs der Fall. Doch für die männlichen Akteure ist sie gerade in ihrer Absenz stets anwesend. »[B]is eben zu jenem Augenblick, in dem die Position der abwesenden Hel von einer anderen >Mutter< ausgefüllt wird: von Maria«. (2009,310) Wie Kanz weiter zeigt »verhandelt« Harbou überhaupt »traditionelle Marksteine der biologischen wie der sozialen und geistigen Mutter- beziehungsweise Va­ terschaft«. Da Rotwang, der Konstrukteur der Androidin, die »männliche).] Mutter der falschen Maria« sei und Freder als »mütterliche[r] Mann« kon­ struiert werde, »während die maschinenhafte falsche Maria die Inkarnation der unmütterlichen Frau darstellt.« Kanz konstatiert daher ein »degendering der biologischen Mutterschaft«. (2009,313) Allerdings erschöpft sich die Figur der Maria nicht in der Rolle der (Er­ satz-)Mutter. Sie ist zugleich Erlöserin. Als solche gilt sie etwa den schuf­ tenden Massen in den Katakomben von Metropolis, die sie wie eine Heilige verehren. Doch auch als quasi heilige Arbeiterführerin, welche die Versöh­ nung zwischen Kapital und Arbeit initiiert, indem sie, wie es im Buch heißt, als Herz zwischen Hand und Hirn vermittelt,226 ist sie >MutterGebärer< der Androidin korrigiert: »Wer das ist?« und antwortet: »Futura, Parodie ... wie du sie nennen willst. Auch Täuschung ... Summa: Es ist ein Weib.«230 Damit wird nicht nur das Klischee der täuschenden und verlogenen Weiblichkeit aufgegriffen, sondern es in die Zukunft projiziert. Dabei ist sie zugleich nichts weiter als »ein Werkzeug« ihres männlichen Schöpfers, beziehungsweise seines Auftraggebers Joh Fredersen.231 Doch ist es, eben weil es eine Frau ist, zugleich nicht einfach ein Werkzeug, sondern ein ganz besonderes. Rotwang fragt Joh Fredersen denn auch rhetorisch-emphatisch: »Weißt du, was das heißt, ein Weib als Werkzeug haben? Und ein Weib wie dieses, makellos und kühl. Und gehorsam, von bedingungslosem Gehorsam ...«. (alle Zitate M, 48) Die böse (Kunst-)Frau ist also das Werk zweier komplizenhafter Männer, deren einer den entsprechenden Auftrag erteilte, den der andere ausführte. Die Aufgabe, die sie zu erfüllen hat, ist eine doppelte: Sie soll sowohl die Arbeiter wie auch Freder von der wahren Maria entfremden. Dies gelingt ihr über ihre Erotik.

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4.2 Nicht mal ein richtiges Matriarchat - BRD und DDR bis zum Beginn der Zweiten Frauenbewegung 1968 Zeit- und Raumreisen Die Quellenlage für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Beginn der Neuen Frauenbewegung, der in dieser Arbeit für das Jahr 1968 ange­ setzt wird,232 nimmt sich denkbar dürftig aus. Aus den beiden deutschen Staaten stehen mit Nur noch Frauen...™ (1993) und Hille reist ins Jahr 2000™ (1955) gerade mal zwei Kurzgeschichten zur Verfügung,235 von denen letztere sich zudem an Mädchen im beginnenden Pubertätsalter rich­ tet. Sie erschien in der DDR und wurde von der nicht weiter als Literatin hervorgetreten Journalistin Majoll Charlotte Büttner (??-??) verfasst. Als Autorin der anderen, in der BRD erschienenen kleinen Geschichte zeichnet hingegen keine Geringere als Irmgard Keun (1905-1982) verantwortlich. Die Erstdrucke beider Texte erschienen bereits in den 1950er-Jahren. Nur noch Frauen... anno 1954 und Hille reist ins Jahr 2000 im Jahr darauf.236 Doch abgesehen davon, dass es sich jeweils um Kurzgeschichten handelt und den nahe beieinander liegenden Zeitpunkten ihrer Erstveröffentlichung, haben sie denkbar wenig gemeinsam. Denn anders als Büttners Mädchen­ geschichte mit dem allzu hoch erhobenen pädagogischen Zeigefinger handelt es sich bei Keuns Text um eine Satire auf matriarchalische Utopien reiner Frauengesellschaften. Zu Keun und Büttner tritt die österreichische Autorin Friedlinde Cap (*1924), die in den 1950er-Jahren unter dem männlichen Pseudonym Alexander Robé die beiden Romane Mit Atomkraft ins All™ (1950) und SOS von der Venus (1956) veröffentlichte, von denen allerdings nur ersterer genauer unter die Lupe genommen wird.238 Friedlinde Cap veröffentlichte in den 1980er-Jahren zwei weitere SFRomane, Zeit der Wanderungen (1981) und Die Botschaft (1983). Diesmal benutzte sie das Pseudonym David Chippers. Außerdem schrieb sie zwei Hörspiele sowie verschiedene Zeitungsartikel. Auch übersetze sie zahlrei­ che wissenschaftliche Werke aus dem Französischen und Russischen sowie gemeinsam mit Yoma Cap den SF-Roman Rogue Queen (1951) von Lyon Sprague de Camp (1907-2000).239 Majoll Charlotte Büttner arbeitete 1945 im Leipziger Verlag für die Frau, ab 1947 war sie Mitglied des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD), von 1947 bis 1951 Chefredakteurin der Zeitschrift des Landesver-

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bandes Sachsen mit dem Titel Neues Frauenleben. Im Mai 1948 wechselte sie zum Zentralorgan des DFD Die Frau von heute. Ab Ende 1948 war Büttner zudem als stellvertretende Schriftführerin im Aufsichtsrat des Ver­ bands sächsischer Konsumgenossenschaften vertreten, (vgl. Broszat/Weber, Hrsg. 1990,712 und 881) Büttner veröffentlichte neben der hier behandelten SF-Geschichte bis in die 1970er-Jahre hinein diverse Kochbücher und Haus­ haltsbroschüren wie etwa Mit Quirl und Kochlöffel (1959) und Hausputz gut durchdacht (1964). Ebenso wie ihre hier zu besprechende Zukunftsvision richten sich einige von ihnen an Kinder, genauer gesagt an Mädchen. Irmgard Keun240 zählte in den letzten Jahren der Weimarer Republik zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen. Ihre beiden ebenso amüsanten wie erzählerisch innovativen Romane Gilgi, eine von uns (1931) und Das kunstseidene Mädchen (1932) erwiesen sich als wahre Verkaufs­ schlager. Während des Nationalsozialismus veröffentlichte sie im Exil den antifaschistischen Roman Nach Mitternacht (1937). In der frühen Bundesre­ publik versuchte die Literatin mit dem Buch Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen (1950) wieder Fuß zu fassen, konnte aber nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Erst mit der 1981 erfolgten Verleihung des Marieluise-Fleisser-Preises der Stadt Ingolstadt erhielt sie nur ein Jahr vor ihrem Tod eine allzu späte Genugtuung. Nun also kurz zu den Plots. Robes Zukunftsroman Mit Atomkraft ins All handelt zwar noch »im zwanzigsten Jahrhundert«, (A, 144) doch sollen bereits die ersten bemannten241 Raumfahrten zur Venus unternommen werden. Die Space-Union-Corp. hat schon ein entsprechendes Raumschiff fertiggestellt, ebenso die Konkurrenz. Es kommt zum Wettflug zweier Raketen. Der Kon­ zern, deren Männer zuerst ankommen, darf den gesamten Planeten ausbeu­ ten. Neben diversen Bodenschätzen hofft man eine Pflanze zu finden, die das Vitamin B 22 enthält (vgl. A, 14), dessen »eminente Bedeutung« darin besteht, »daß Spuren davon genügen, um am menschlichen Körper geradezu verblüffende Verjüngung hervorzurufen.« (A, 13) Auf der Venus müssen sich die Raumfahrer mit Sauriern und allerlei anderem Urgetier herumschlagen, (vgl. A, 132f.) Ähnlich wie schon in Harbous Frau im Mond kommt einer von ihnen über seine Goldgier ums Leben, (vgl. A, 170) Schließlich kehren die Überlebenden mit dem begehrten Vitamin auf die Erde zurück. Dies könnte, den Beginn einer neuen Ära einleiten. Mit alldem ist eine Liebesgeschichte verwoben. Einer der Raumfahrer, die Identifikationsfigur John Smith, verliebt sich vor dem Start in die Bardame und Prostituierte Kitty.242 Obwohl sie ein Girl (wie Prostituierte in dem Roman genannt werden) ist beziehungsweise

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war, bleibt sie ihm während seiner langen Abwesenheit auf der Venus treu und es gibt nach seiner Rückkehr ein glückliches Wiedersehen. Wie der Titel von Büttners Kurzgeschichte schon verrät, schickt die Auto­ rin Hille auf eine Reise in das Jahr 2000. Dazu bedient sie sich des nicht ganz originellen literarischen Kunstgriffs eines Fiebertraums der dreizehnjährigen »Tochter eines Technikers« (H, 68), die offenbar in der zeitgenössischen DDR lebt. Im von ihr geträumten »Atomzeitalter« (H, 58) des Jahres 2000 findet sich das Mädchen zunächst an Bord eines futuristischen Zuges wieder, der mit Atomkraft angetrieben wird und auch sonst mit allerlei technischen Finessen ausgestattet ist. Anschließend sucht sie ihre Großmutter auf. Die alte Dame führt sie in die Errungenschaften des nicht weniger futuristischen und ebenfalls mit Atomkraft betriebenen Haushalts ein. So wie bei Büttner ein Mädchen, reist bei Keun eine erwachsene Frau in die Zukunft. Versucht Büttner das noch als Fiebertraum zu plausibilisieren, interessiert sich Keun allerdings überhaupt nicht dafür, wie dies zu bewerk­ stelligen sei.243 Die bundesrepublikanische Literatin führt die Protagonistin ihrer Post-Doomsday-Story in eine weit fernere Zukunft, in der sich die Männer in einem Krieg gegenseitig ausgerottet haben. Dabei bordet Keuns kleiner Text von Metaphern über. Die Autorin bedient sich geradezu einer metaphorischen Erzählweise. So leben die Frauen ihrer Geschichte nicht etwa in phallischen Hochhäusern, wie sie in den 1950er-Jahren als zukunfts­ trächtig galten, sondern in quasi vaginalen, siebzehn Stockwerke tief in die Erde reichenden Höhlen.244 (vgl. NF, 69) Margret Karsch erinnern die »Erd­ löcher« an - wie zu vermuten doch eher flache und muldenhafte - »Bom­ benkrater«, (2010, 91) was angesichts ihres siebzehnstöckigen Tiefgangs wenig plausibel ist. Da die Handlung nach einem von Männern geführten Krieg spielt, der zur weitgehenden Auslöschung des männlichen Geschlechts führte, würden die überlebenden Frauen in diesem Fall die Ergebnisse der gegenseitigen Männervemichtung nutzen. Ein Schluss,den Karsch allerdings nicht zieht. Vielmehr »ordnefn]« die Höhlen die Frauen, wie sie nun wieder überzeugender argumentiert, »symbolisch einem häuslichen und weiblich konnotierten Bereich zu«. (2010, 93) Karsch, die Keun zurecht dafür lobt, dass sie die »Beziehungen zwischen Frauen und Männern« in ihrer Satire ebenso »scharfsinnig wie humorvoll« thematisiert, (2010,88) macht darauf aufmerksam, dass Keuns zukünftige Frauen nicht aus eigenem Entschluss auf ein Leben mit Männern verzichten (wie etwa die mythischen Amazonen), sondern sozusagen von den Männern dazu genötigt wurden, indem diese sich auslöschten, (vgl. 2010,93) Tatsächlich sind aber nur scheinbar alle Männer

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in dem von ihnen angezettelten und geführten Krieg umgekommen. Denn »ein einziger« hat überlebt, heißt es.245 (NF, 73) Die Ähnlichkeit der Konstellation mit derjenigen in Gerhart Hauptmanns ebenfalls satirischer Erzählung Die Insel der großen Mutter (1924) ist un­ verkennbar.246 Dennoch unterscheidet sich Keuns Werk grundlegend von Hauptmans selbstgefälliger Männerphantasie.247 Denn »Keun nutzt den Entwurf der Frauengesellschaft [...], um die Absurdität der konservativen Propaganda zu entlarven, die weibliche Lebensentwürfe auf Kinder, Küche, Kirche beschränken und die Geschlechterverhältnisse festschreiben will«, (2010,96) wie Karsch zu Recht feststellt, ohne allerdings den Vergleich zu der ihr offenbar unbekannten Robinsonade Hauptmanns zu ziehen. Die wenigen überlebenden Männer in Keuns Kurzgeschichte sind nur Dank ihrer Feminisierung der allgemeinen Auslöschung ihres Geschlechts entgangen. Denn ihre Geschlechtsgenossen wurden durch Todesstrahlen aus­ gerottet, die nicht in der Lage waren, Frauenkleidung zu durchdringen, (vgl. NF 93,74) Nur wenige Männer, diejenigen eben, die wie Frauen gekleidet waren, kamen mit dem Leben davon. Sind die Männer feminisiert, so weisen die Frauen eine als männlich geltende Eigenschaft auf. Denn wie Karsch zutreffend anmerkt, ist ihr Leben durch einen »rationale[n] Pragmatismus« geprägt. (Karsch 2010,94)

Haushaltsführung im Atomzeitalter

In Büttners kleinem Erzähltext steht die junge Zeitreisende Hille im Zentrum, die sich als Mädchen mehr für Geschichte als für Technik interessiert, (vgl. H, 63) obwohl ihr Vater - als Mann - Techniker ist. (H, 68) Nun lassen sich zwar zwei, drei Passagen finden, welche die üblichen Geschlechterklischees in der Figur des Mädchens zu durchbrechen scheinen. Ein genauerer Blick je­ doch zeigt, dass sie sie tatsächlich vielmehr bestätigen. Da ist zunächst einmal eine Szene, in der Hille - ganz unmädchenhaft - ihren kleinen Bruder schlägt. Doch kaum wird sie deswegen ermahnt, tut es ihr auch schon leid. Sie bricht in nunmehr sehr mädchenhafte Tränen aus und weint »herzzerbrechend«. (H, 57) In der zweiten Szene reagiert sie sehr »schmerzempfindlich«, als sie eine Spritze von ihrem Arzt bekommt, eben wie ein Mädchen. Und wenn ihre Mutter bemerkt, dass sie sonst eigentlich »immer recht tapfer« sei, (H, 63) so impliziert das einschränkende recht ganz offenbar: für ein Mädchen. Auch die Konstruktion des Vaters scheint einmal die herkömmlichen Ge-

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schlechterklischees und ihre Rollenverteilung zu durchbrechen. Denn wäh­ rend die Mutter bei dem Versuch versagt, Hille heilsamen Tee einzuflößen, gelingt es ihm, indem er das kranke Kind glauben macht, es sei Limonade. (H, 60) Allerdings vermittelt diese Szene vor allem, dass das männliche Geschlecht wie überall so auch in der Erziehung das kompetentere ist. Ist Hilles Vater als Techniker berufstätig, so ist »Mutti« hingegen für den Haushalt zuständig und hat am Tag der Zukunftsreise (beziehungsweise von Hilles Erkrankung) »große Wäsche«. Daher ist sie wie immer an diesen Tagen »schlecht gelaunt«. (H, 56) Trotz dieser Missstimmung affirmiert die Geschichte insgesamt die konventionellen und durchaus konservativen Geschlechterverhältnisse, wie sie in der sich doch als zukunftsweisend ver­ stehenden DDR der 1950er-Jahre üblich waren, in der die Frauen zwar be­ rufstätig sein sollten, zugleich aber für den Haushalt zuständig waren. Es stellt sich daher die Frage, ob die Geschlechterklischees in der Zukunft des Fiebertraums aufgebrochen werden. In dem Zug, in dem Hille sich zu Beginn des Traumes wiederfindet, sitzt sie mit einem jungen Mann und einer alten »Frau mit schneeweißem Haar« in einem Abteil.248 (H, 57) Während der junge Mann sie kompetent in die technischen Finessen und Neuerungen des Zuges einführt, (H, 57f.) sorgt sich die ältere Frau um Hilles (leibliches) Wohl und bittet sie »liebenswürdig«, mit in den Speisewagen zu kommen. (H, 59) Auch hier ist es wiederum der Mann, der für die Technik zuständig ist, die Frau hingegen für die Ernährung (mithin den Haushalt). Dazu pas­ send macht eine »Mädchenstimme« per Lautsprecher die Reisenden darauf aufmerksam, dass das Essen bereitet ist. (ebd.) Was nun die dritte Figur aus der Zukunft, Hilles Oma, betrifft, so ist zu­ nächst einmal festzustellen, dass sie offenbar alleine lebt. Jedenfalls wird ein eventueller Opa mit keinem Wort erwähnt. Erklärte der männliche Mitreisen­ de im Zug Hille die Segnungen der Atomkraft am Beispiel des Reisegefährts und eines Traktors, der durch ein Zugfenster zu sehen war, (H, 60) so erläutert ihre Oma, dass sie mit der neuen Energieversorgung das »Garmachen aller Speisen« in nur »[e]in bis drei Sekunden« bewerkstelligen kann (H, 61) und überhaupt für den ganzen Haushalt »täglich nicht mehr als eine Stunde« be­ nötigt. (H, 62) Die geschlechterspezifische Arbeitsteilung der Gegenwart wird also in die Zukunft fortgeschrieben. Auf die erstaunte Frage des Mädchens, wie ihre Oma denn da den ganzen Tag herumbringe, erhält sie zur Antwort: »Arbeiten und studieren, was sonst«, (ebd.) Nun ließe sich zwar sagen, dass es emanzipatorisch ist, wenn die Oma nicht auf den Haushalt beschränkt bleibt. Allerdings war es während der 1950er-Jahre in der DDR anders als

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in der BRD durchaus üblich, dass Frauen berufstätig waren. Und welcher Tätigkeit die Oma nachgeht, wird nicht gesagt. Bemerkenswert aber ist, dass Hausarbeit implizit nicht als Arbeit gilt. Auch Omas Freizeitbeschäftigung ventiliert, sofern sie näher beschrieben wird, ein Weiblichkeitsklischee. Sie pflegt die Wohnung zu verschönern, indem sie die Wände bemalt. Bezeich­ nenderweise mit weiblich konnotierten Blumen, (vgl. H 64)

Die Treue der Prostituierten

Was die geschlechtliche Konstruktion der Figuren bei Robé betrifft, so kann sich auf männlicher Seite ganz auf ihren Helden John Smith und auf weib­ licher Seite auf das von ihm geliebte Girl Kitty konzentriert werden. Der Held mit dem ihn nur scheinbar entindividualisierenden Allerweltsnamen weist selbst darauf hin, dass es »Tausende [gibt], die so heißen.« (A, 62) Tatsächlich aber ist er nicht nur als Identifikationsfigur individualisiert, ja hervorgehoben, er ist auch »anders als die anderen«, (A, 90) und zwar nicht nur anders als all die anderen John Smiths, sondern überhaupt als seine Geschlechtsgenossen. Das findet zumindest die an Erfahrungen mit Män­ nern nicht gerade arme Kitty. Und eben darum liebt sie ihn. (vgl. ebd.) Er selbst war in seinem Leben nur drei Mal verliebt, wie er einer Männerrunde fast beschämt gesteht. Als »Jüngling« betete er eine ältere und »zweimal geschiedene« Frau an. (A, 109) Doch heiratete sie ein drittes Mal - und zwar nicht ihn. Daraufhin, so erzählt er mit leicht selbstironischem Zungenschlag, wandte er sich »voll Entrüstung von der Welt, insbesondere der weiblichen ab«. (A, 109) Das zweite Mal verliebte er sich in Betty. Die aber hat'ihn »vor vierzehn Tagen« wegen eines »Suppenwürzefabrikanten« verlassen, »der zehnmal so reich und dreimal so hübsch war, als er selbst.« (A, 63) Und derzeit ist er in Kitty verliebt. Er ist also alles andere als ein Don Juan, was ihn im Übrigen eklatant von Chlodwig Helmer in Bertha von Suttners Der Menschheit Hochgedanken unterscheidet. Nicht nur seine geringen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht feminisieren ihn. Schon zu Beginn des Romans sorgt er dafür, dass Blumen im Arbeitszimmer seines Vorgesetzen gestellt und Gardinen an die Fenster gehängt werden, bevor dieser von einem Auslandsaufenthalt zurückkehrt (die dieser als >echter Mann< und Wissenschaftler sofort wieder entfernen lässt), (vgl. A, 10) Auch hat er eine »nette Art« seine Liebe zu gestehen »und dabei rot zu werden wie ein Junge«.249 (A, 75) All diese Feminisierungen lassen

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ihn aber nur umso sympathischer erscheinen. Gerade seine Art rot zu werden, macht ihn für Kitty liebenswert. In anderer Hinsicht ist er tatsächlich ein Junge geblieben. So lässt er sich von einer »alten Frau, die in der Nachbarschaft wohnte«, täglich bedienen sowie »Wohnung, Kleider und Wäsche in Ordnung bringen«. (A, 78) Damit nicht genug, pflegt er sie auch noch »Mummy« zu nennen. (A, 78) Nicht unbedingt weiter feminisiert, aber doch in seiner Maskulinität geschwächt wird er durch eine bleibende Verletzung, die er sich auf der Venus zugezogen hat und ihn »fürchterlich« hinken lässt. (A, 189) Von der weiblichen Hauptfigur erfährt man anders als von John Smith und den meisten Männern des Romans nur den Vornamen: Kitty. Mit ihren »hellblonden Kinderlocken« wird sie zum Kindchenschema infantilisiert. (A, 72) Dabei ist sie »zärtlich und warm wie ein Kätzchen«. (A, 89) Die gän­ gige Engführung von Katzen und Frauen sticht bei ihr besonders ins Auge. Bereits ihr Name entspricht dem englischen Lockruf für Katzen. Auch der Held interessiert sich von Anfang an nur für ihren Vornamen, (vgl. A, 61) Das mag allerdings auch dem Umstand anzulasten sein, dass er sie in einer Bar kennenlemt, in der sie als Tänzerin arbeitet und sich - wie angedeutet wird - prostituiert. Jedenfalls hat sie im Unterschied zum männlichen Helden reichlich sexuelle Erfahrungen. So bekennt sie ihm, sie habe »schon viele Männer kennengelemt,aber ich habe noch nie in meinem Leben einen geliebt. Wirklich geliebt.« (A, 90) Das Verhältnis der beiden gestaltet sich zwar insofern ganz gemäß dem Geschlechterklischee, als er frei nach Schiller hinauf zur feindlichen Venus fliegt, während sie zuhause bleibt und auf ihn wartet. Darin scheint sich die Konventionalität ihres Verhältnisses aber auch schon zu erschöpfen. Da er eine Hure mit zahlreichen Männerbekanntschaften verlassen hat, erwartet er nicht, dass sie ihm während seiner Abwesenheit treu bleibt. Ja, es scheint gerade so, als solle in dem Roman (auch) der Frau das ungeschriebene Recht auf Untreue zugestanden werden, was angesichts der in den 1950er-Jahren ausgeprägten Doppelmoral zweifellos eine emanzipatorische Botschaft wäre. So überlegt Smith vor dem Start zur Venus: »Kitty war gewiß nicht das Wesen, das in Hoffnung und Treue seiner harrte. Man konnte es auch nicht von ihr verlangen.« (A, 72) Doch genau dies tut sie. Und so verficht der Roman denn auch nicht das Recht der Frau, ebenso untreu sein zu dürfen, wie es Männer nicht nur in den 1950er-Jahren gemeinhin waren, sondern ruft die >frohe Botschaft aus, dass über die Liebe selbst eine Hure zur Treue findet. Zudem insinuiert er, dass an

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eventueller weiblicher Untreue überhaupt das mangelnde Vertrauen der Män­ ner schuld sei, wenn Robé ihre weibliche Protagonistin versichern lässt, dass [g]ar manche Frau [...] gern ihrem Mann treu bleiben [würde], wenn sie wüßte, daß er an ihre Treue glaubt. Aber wozu soll man etwas tun, was niemand von einem erwartet.

Auch John glaubt nicht an ihre Treue: »Kitty, soll das heißen, daß du mir gerne treu bleiben möchtest - für eine kleine Ewigkeit? Das ist doch Unsinn!« Sie versucht, sich ihre Verletztheit nicht anmerken zu lassen und stimmt scheinbar zu: »Natürlich ist es Unsinn.« Kitty lachte und hob die Schultern, als ob sie fröstelte. »Natürlich, ich bin ein Girl und muß ebenso sein, wie man sich ein Girl vorstellt. Das sollte ich nicht vergessen.« (alle Zitate A, 90)

Nach seiner Rückkehr von der Venus sucht er lange und mit der »pedantischen Systematik eines Wissenschaftlers« nach ihr. (A, 186) Doch vergeblich. Es ist schließlich, wie es heißt, ein »Zufall« der sie beide wieder zusammenführt, (ebd.) Tatsächlich aber handelt es sich keineswegs um einen bloßen Zufall. Die treue Kitty sieht, wie er einem zehnjährigen Mädchen ein Autogramm gibt und bittet ihn auch um eines. Nicht die männlich konnotierte Wissenschaft führt das Paar zusammen und gewährleistet so das Glück der Liebe, sondern die Verehrung, welche die Frau für den Mann empfindet. Kitty hat sich während des Raumfluges von John von der Prostituierten zur Verkäuferin geläutert, (vgl. A, 188) Sie ist also ein inständiges Mädchen< geworden und kann ohne zu zögern geheiratet werden. Kommen bei Keun fast nur Frauen vor, so bei Robé fast ausnahmslos Männer. Sie sind als Untemehmensdirektoren, Ingenieure, Reporter, Kommis­ sare und ähnliches individualisiert. Auch eine Betriebsspionage wird sofort einem unbekannten Mann zugeschrieben, der von den ebenfalls männlichen Figuren behelfsweise als »Mister X« bezeichnet wird, (A, 21 f. u.ö.) obwohl (zu diesem Zeitpunkt) nichts über die Identität des oder der Täterin bekannt ist. Die wenigen weiblichen Nebenfiguren sind sexualisierte Gattinnen, ar­ beiten als entsexualisierte Hausangestellte und anonymisierte »Reinemache­ frauen« (A, 9) oder treten als »spärlich bekleidetet.] Tänzerinnen« in »üblen Nachtlokals« auf. (A, 55) Als letztere sehen sie »einander so ähnlich«, dass es »unmöglich« erscheint, sie auseinanderzuhalten. (A, 58) Die »Girls« wer­ den jedoch nicht nur entindividualisiert, sondern darüber hinaus zur Ware herabgewürdigt. Verlässt einer der - natürlich männlichen - Gäste die Bar, findet sich der Name >seines Girls< zwischen den Getränken auf der Rech­ nung aufgelistet: »Wein,Kognak, Whisky-Soda,Silvia,Mokka ...«. (A,63)

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Und wenn sich schon auf der zweiten Textseite eine Frau zu zwei, ein wissenschaftliches Gespräch führenden Männern gesellen darf, dann nur, um darauf hinzuweisen, dass »[i]n einigen Minuten nebenan zum Abend­ essen gedeckt« wird. (Da sie sich in einem Flugzeug befinden, allerdings nicht von ihr selbst).250 (A, 6) Nach diesem nur wenige Zeilen umfassenden Auftritt dauert es mehr als vierzig Seiten, bis die Autorin eine weitere Ge­ schlechtsgenossin ins Geschehen eingreifen lässt. Diese hat dabei aber eine denkbar passive Rolle inne: Eine namenlose »sehr dicke und schwerfällige ältere Frau«, (A, 49) offenbar eine Hausangestellte, wird von mehreren Män­ nern, die ein Verbrechen aufklären wollen, beim Geschirrwaschen unterbro­ chen und ergebnislos verhört. Als die Identifikationsfigur Smith ihr später in einem Garten »auf der gemauerten Einfassung eines rosenumwucherten Springbrunnens« wieder begegnet, (A, 53) denkt er voller verächtlicher Iro­ nie »[wjelch ein reizendes Dornröschen«. (A, 53) Man denke an das sexuell aufgeladene Symbol der Rose, die etwa von Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) lyrischem Knaben gebrochen wird. (vgl. Goethe 1924d) Eine entsexualisierte Frau in einer solchen Umgebung ist - zumindest bei Robé der Lächerlichkeit preisgeben. Gegen Ende des Romans tritt schließlich noch eine nicht näher bezeichnete »Frauenvereinigung« auf den Plan. Während die anlässlich des Raumfahrt­ unternehmens zur Venus extra gegründete Boulevardzeitung Daily Venus News mit reißerischen Überschriften Optimismus verbreitet, (vgl. A, 180) warnt »das Wochenblättchen« dieser »Frauenvereinigung«: »Jedes zwei­ te Schiff, das zur Venus fährt, kommt nicht wieder.« (A, 181) Allerdings schwimmt auch »jene Frauenvereinigung« nicht lange »gegen den Strom«, denn »[d]as Lebensvitamin wog mehr als alle Verluste, die zu beklagen wa­ ren.« (ebd.) Näheres erfährt man über die Frauenvereinigung nicht. Sie wird auch nur dieses eine Mal erwähnt. In ihr wird das weibliche Geschlecht als vorsichtig, warnend, sorgend und oppositionell charakterisiert, aber auch als wenig durchsetzungsfähig, wenn nicht gar als opportunistisch.

Männerlos

Anders als Robés Protagonistinnen werden Keuns namenlose Figuren von mir nicht als Individuen sondern als Vertreterinnen bestimmter Charakte­ ristika gelesen. Diese Herangehensweise ist keineswegs von außen an die Erzählung herangetragen. Denn Keun hat ihr weibliches Personal zu Gruppen

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zusammengestellt, die Margret Karsch zufolge als Trägerinnen von fünf Weiblichkeitstypen konzipiert sind. (vgl. 2010,97) Hingegen bedarf es nur eines einzigen Mannes um die Eigenschaften seines ganzen Geschlechts zu personifizieren. Zunächst zu den Frauen. Die erste Frau, der die Ich-Erzählerin begegnet, »wirkt eher handfest als kokett. Ihr Blick hat die strenge und gewerbsmäßi­ ge Freundlichkeit einer Krankenschwester.« (NF, 69) Die Annahme, diese »handfeste« Stärke bei gleichzeitiger Abwesenheit von Koketterie sei der Absenz des männlichen Geschlechts zu danken, liegt nahe. Ohne vor diesen kokettieren zu müssen und in der Entwicklung ihrer Kräfte eingeschränkt zu werden, entwickelten sich Frauen eben so. Doch weit gefehlt. Zwar ist »[djer Typ der forschen und tüchtigen Frau [...] stark verbreitet«, (NF, 70) doch ist das keineswegs dem Fehlen von Männern zu verdanken. »[I]n denen liegt das so drin«, lautet vielmehr die von der An- oder Abwesenheit des männlichen Geschlechts ganz unabhängige Erklärung der Ich-Erzählerin. Außerdem gibt es in der Frauenwelt der fernen Zukunft eines späteren Jahrtausends nach wie vor zahlreiche Frauen, die den gängigen Typen in Keuns Gegenwart entsprechen: »Frauen, die immer alles niedlich und adrett machen, ganz für sich allein, auch wenn sie weit und breit keinen Mann oder sonst jemand haben.« (NF, 71) Dass diese Frauen so sind, liegt nun aber nicht »einfach so in ihnen drin«. Bei ihnen ist es vielmehr wirklich dem schlechten Einfluss des Mannes anzulasten. Denn es sind die ewig Gestrigen, die von der Vergangenheit nicht loskommen. Sie hatten mal einen Mann,2 1 der ihnen einen angenehmen Nachgeschmack hinterlassen hat, und nun liegen

sie in einer Höhle herum und träumen von ihm. Auch diese Frauen scheinen sich ganz wohl zu fühlen und eine friedliche, konfliktlose Existenz zu führen. (NF, 71)

Damit aber erscheint nun auch die Stärke der anderen Frauen in einem ande­ ren Licht. Denn das, was in ihnen »so drin« zu liegen scheint, entfaltet sich offenbar doch erst in Abwesenheit von Männern. Außerdem gibt es noch immer einige »Frauen und Mädchen«, die sich »schummrige, romantisch ausgeschmückte Höhlen« zurechtgemacht haben. Sie gelten den anderen Frauen als »von Natur [72] aus leichtfertig und laster­ haft« , (NF, 71 f.) was besonders schlimm ist, weil die - wie Keun ironisierend schreibt - »zahlreichen ehrbaren Mitschwestem« mangels Männer und somit mangels Freier nicht einmal einen Verein »zur Bekämpfung der Prostitution und Hebung der Sittlichkeit« gründen können. (NF, 72) >Lasterhaftigkeit< ist - zumindest nach Ansicht der »Mitschwestem« also nicht sozial bedingt, sondern liegt in der Natur - allerdings nicht in der Natur des weiblichen Ge­

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schlechts schlechthin, sondern in derjenigen einzelner ihrer Vertreterinnen. Beides sind biologistische Erklärungen, die von Keun(s Kurzgeschichte) subversiv ironisiert werden, wie unter anderem deutlich wird, wenn die Zu­ kunftsfrauen die >Lasterhaften< »unter Naturschutz« stellen, da »die Tugend der Tugendhaften« ohne sie »farblos und unansehnlich« wäre, (ebd.) Implizit ironisiert wird auch die Annahme des Mutes als natürlicher Cha­ raktereigenschaft des Mannes. Der von der Frauengesellschaft verhätschelte Mann der Zukunft ist zunächst ganz davon angetan, als er von der IchErzählerin erfährt, dass es zu ihrer Zeit noch zahlreiche Vertreter seines Ge­ schlechts gibt, und phantasiert davon, wie wundervoll es doch sein müsse, mit den anderen Krieg führen zu können. Dann jedoch »graust« ihm bei der Vorstellung, dass er damals »frei und ungeschützt« hätte »umherlaufen« müssen. (NF, 76) Konservativ allerdings ist die Vorstellung, Prostitution ließe sich nur aus Gründen der Sitte bekämpfen. Die Möglichkeit, Prostitution als Ausdruck und Folge der Geschlechterhierarchie zu bekämpfen, kommt der Erzählerin nicht in den Sinn. Weit größer aber als die Zahl der »lasterhaftem Frauen ist die derjenigen, die »faul und freundlich verschlafen« sind und es »genießen«, »nicht dau­ ernd einen Mann erwarten zu müssen, der Essen haben will, um sich sodann frisch gestärkt in ein anderes Mädchen zu verlieben.« (NF, 54). So wie die >Lasterhaften< von den >Tugendhaften< »verachtet« werden, werden diese von den »Tüchtigen« verachtet, ohne aber weiter »behelligt« zu werden, (ebd.) Damit sind bereits die meisten der von Margret Karsch unterschiedenen »fünf Frauentypen«, die Keun »der Reflexion der Geschlechterverhältnisse [...] in einer Situation, in der Männer fehlen«,252 dienen, (2010,95) angespro­ chen.253 Karsch nennt als ersten den »fleißig[en | und selbstbewusst[en]« Typ, zweitens das »Hausmütterchen«, drittens und viertens »zwei gegensätzliche Typen« innerhalb der faulen und verschlafenen Frauen, deren Gruppe sich aus den von Keuns Ich-Erzählerin »ewig Gestrigen« genannten und denje­ nigen zusammensetzt, die froh sind, nicht ständig für einen Mann sorgen zu müssen, (ebd.) Die fünfte und Karsch zufolge letzte Gruppe stellen schließ­ lich die >Lasterhaften< dar. (vgl. 2010, 96) Dass Karsch die Tugendhaften nicht als eigenen Typus gelten lassen möchte, da sie sich über alle fünf Typen verteilten, (vgl. ebd.) überzeugt insofern nicht, als unter dem fünften Typus, den >LasterhaftenTugendhaften< zu finden sind. Doch zu welchem der Frauentypen die Tugendhaften auch immer gehören mögen, der Ich-Erzählerin erscheinen diese »Frauen ohne Männer« allesamt »weder

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trauriger noch fröhlicher als die Frauen meines Zeitalters«, wohl aber »etwas ruhiger und gedämpfter«. (NF, 70) Dies müsse jedoch nicht unbedingt an der Abwesenheit des anderen Geschlechts liegen, sondern könne auch eine »Nachwirkung des totalen Ausrottungskrieges« sein, (ebd.) Trotz der Vielfalt der weiblichen Geschlechtstypen geht es in der reinen Frauengesellschaft zunächst recht langweilig zu. Zumindest muss die IchErzählerin unter all den Frauen schon gleich zu Beginn mehrmals gähnen und hat die vage Vermutung, dies könne an den fehlenden Männern liegen, (vgl. ebd.) Auch eine von ihr besuchte Theateraufführung findet sie recht eintönig. Die neue Kunstrichtung scheint mir vorerst noch etwas dürftig und zaghaft. [...] Es fehlen alle einschlägigen Probleme: Männer, Vaterland, Heldentum, Kampf der Geschlechter, Liebe, Unzucht, Mord, Verbrechen, Leidenschaft, verwahrloste Jugend, sozialer Aufstand. (NF, 72)

Es sind dies Probleme, die ohne Männer nicht entstehen oder aber sogar von ihnen verursacht und auf den Weg gebracht werden. Daher sind sie es, die in der Aufzählung an erster Stelle genannt werden. Karsch meint hingegen irrtümlich, die Ich-Erzählerin bestätige mit ihrer Kritik an der Aufführung den klassischen Dilettantismus-Vorwurf, Frauen könnten künstlerisch nichts Eigenes, höch­ stens etwas handwerklich gelungenes schaffen. Tatsächlich tritt sie diesem Vorwurf jedoch entgegen, denn es sind ja lediglich die hier beschriebenen Frauentypen, die nicht zu einer künstlerischen Produktion fähig sind. (2010,97)

Auch lässt Karsch offen, woran sich die Emanzipation von Frauen festmachen könnte, wenn sie die »Vorstellung« kritisiert, dass es in Keuns Zukunftsphan­ tasie »keine Frauen mehr geben wird, die emanzipiert und zugleich sensibel und phantasievoll sind.« (2010, 97) Merkwürdig und unerklärt bleibt des Weiteren, warum sie ein gelungenes Kunstwerk (hier ein Theaterstück be­ ziehungsweise dessen Aufführung) an Emanzipation und Sensibilität bindet. Gerade so, als seien alle erfolgreichen und begnadeten Künstlerinnen sensibel gewesen und alle Künstlerinnen zudem emanzipiert. Im Unterscheid zu den fünf Typen des weiblichen Geschlechts gibt es nur einen Typus Mann und das ist der lustvoll-kriegerische. Nicht nur, dass die Männer ihr Vergnügen in der »Lust [...] einander auszurotten« fanden, (NF, 69) noch der (vermeintlich) einzige männliche Überlebende der selbst­ inszenierten Auslöschung des männlichen Geschlechts bastelt an einer neuen Erfindung die zur »endgültigen Vernichtung« der Menschheit führen soll. (NF, 76)254 Auf die erstaunte Frage, ob er denn nicht von den Frauen daran gehindert werde, antwortet er lapidar: »Frauen lieben Helden«, (ebd.) Damit, so Bettina Jung, »verfremdet« Keuns Satire »männliche Allmachts-

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Vorstellungen und distanziert sich von Frauen, die diese männliche Selbst­ überschätzung nicht durchschauen oder sie gar teilen.« (1999, 160) Dem kriegerischen Mann stehen Jung zufolge »friedliebende!)]« Frauen gegenüber, (ebd.) Wie der von den unter Männermangel leidenden Zukunftsfrauen ins Auge gefasste Raub eines zweiten, in einem anderen Klan lebenden Mannes255 (vgl. NF, 75) ohne Kampf und womöglich kriegerische Auseinandersetzung vonstatten gehen soll, wird von ihr allerdings nicht problematisiert. Karsch wiederum bezeichnet die weibliche Heldenverehrung als »unver­ nünftige Einstellung« der Zukunftsfrauen. Mit ihr offenbare sich »Keuns scharfer Blick für die Mittäterschaft der Frauen bei der Konstruktion der Geschlechterbilder und der Machtverhältnisse«. (2010,101) Die von [Bettina] Jung zugespitzte »These [...], daß Keun in der Polarisierung der Ge­ schlechter die Ursache für den Untergang der Menschen sieht«, lässt sich entsprechend präzisieren: Keuns Erzählung weist daraufhin, dass die in der Gesellschaft kursierenden, bei den Individuen bestehenden Geschlechterbilder Ursache der gesellschaftlichen Macht­ verhältnisse und diese somit veränderbar sind. Der drohende Untergang der Menschen resultiert aus dem patriarchalischen System, das weder von Frauen noch von Männern in Frage gestellt wird, (ebd.)

Das ist allerdings nicht wirklich überzeugend. Eher scheint der Untergang durch den in der Geschichte essentiellen männlichen Wesenszug, kriegerisch und auf Vernichtung aus zu sein,256 evoziert zu werden. Denn immerhin ist es ja der Mann, der auch in der Frauengesellschaft noch immer die Menschheit vernichten will, indem er die Erde in die Sonne stürzen lässt, (vgl. NF, 76) Bei dem Mann, um den die Frauen der Zukunft zunächst ein so großes Ge­ heimnis machen, dass sie seine Existenz kaum verraten mögen, (vgl. NF, 70) handelt es sich nicht gerade um ein Prachtexemplar seines Geschlechts. Die Ich-Erzählerin beschreibt ihn als nicht sehr anmutig [...] klein und dick mit Spitzbauch und Glatze, die umrahmt ist von grau­ roten Haarbüschel. Kein ausgesprochenes Prunkstück seiner Gattung. Er scheint zwischen fünfzig und sechzig und sieht äußerst muffig und verdrossen aus. (NF, 76)

Diese doch recht klägliche Gestalt lebt »in einer versteckt gelegenen Luxus­ höhle«, in der sie von »[h]underte[n] von Polizeibeamtinnen bewach[t]« wird, die selbst »wiederum von einer erlesenen Geheimpolizei überwacht« werden. Ebenfalls »[hjunderte von Frauen« bereiten dem Mann seine stärkenden Mahlzeiten zu. Nicht kleiner ist das ihn umsorgende »Heer von Pflegerinnen und Ärztinnen«. Für seine Kurzweil sorgt eine eigene »Unterhaltungstruppe«. Kurz: »Die gesamte Arbeit dieses Frauenstaates gilt fast ausschließlich dem Mann.« (alle Zitate NF, 73) Und als die Ich-Erzählerin den Zukunftsfrauen

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davon berichtet, dass es zu ihrer Zeit »sogar hier und da noch Männer gebe, die für Frauen arbeiten, wird das widernatürlich und ekelhaft gefunden.« (NF, 93) Karsch kommentiert, dass es die - sexuelle - »Not der Frauen« offenbare, wenn sich ihr ganzes Volk von einer solchen »Karikatur« abhängig mache. (2010,101) Das trifft zweifellos zu. Nicht nachzuvollziehen ist darum auch, dass Karsch an andere Stelle ihres Aufsatzes meint, dass die Frauen der Zukunft zwar die Leerstelle wahmehmen, die die Männer hinterlassen haben, dass sie aber dennoch zufrieden sind, während nach der herrschenden Ideologie in der Mitte des 20 Jahrhunderts der kollektive Selbstmord die Konsequenz der fehlenden Männer und damit des fehlenden Lebensinhalts gewesen wäre. (2010,96)

Bemerkenswerter aber als die von Karsch zu Recht konstatierte Abhängig­ keit der Frauen von der Karikatur Mann ist, dass Keun damit zugleich die vermeintliche Natürlichkeit der (nicht nur in Deutschland) üblichen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung bloßstellt. Überhaupt ironisiert Keun zahlreiche die Geschlechterbeziehungen betreffende Stereotypen, -klischees und -Vorstellungen wie etwa die, dass der Mann den aktiven Part bei der Partnerinnenwahl innehat,257 oder das Ideal der Monogamie.258 Die Zukunftsfrauen sind mit nur einem Mann noch immer so unzufrieden, dass sie einen zweiten rauben wollen. Dabei geht es ihnen nicht nur, ja nicht einmal vorrangig oder auch nur nebenbei um den Zweck des Erhalts der Spezies.259 Der Mann soll allein der Befriedigung ihrer Lust dienen. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass er allmonatlich unter den Frauen für eine Woche ausgelost wird,260 sondern auch daran, dass die über 50-jährigen Frauen alles tun, um an den Verlosungen teilzunehmen, (vgl. NF, 73) Bettina Jung wundert sich zu Recht darüber, dass in der ganzen Kurzge­ schichte »keine Rede von lesbischer Liebe ist.« (1999,160) Aber vielleicht war das in den prüden Jahren der jungen Bundesrepublik sogar der sonst so wagemutigen Irmgard Keun ein zu großes Wagnis. Jedenfalls könnte die sexuelle Not der Frauen ohne weiteres durch Lesbianismus behoben werden. Der Mann seinerseits, den soviel Sex offenbar überfordert, möchte hingegen nur noch einmal im Quartal ausgelost werden, (vgl. NF, 73) Damit konterkariert Keun die Vorstellung, dass Männer >immer wollen< (und Frauen >immer könnenGebärakt< von Rotwang geschaffen wurde. Maria tritt zudem zu Beginn des Romans als soziale Mutter der Arbeiterinnenkinder, später treten sie und Freder gemeinsam als deren Retterinnen und beide somit als soziale Eltern auf, während es gerade die leiblichen Eltern sind, die versagen. Dies nicht nur, weil sie die eigenen Kinder nicht retten können, sondern weil sie sie durch ihre unbedachte und zerstörerische Revolte überhaupt erst in Gefahr brachten. So bleibt der Gebärakt bei Burmaz (obgleich er metaphorisiert wird) ganz an die Biologie der Frau beziehungsweise eines weiblichen Wesens gebunden, während er bei Harbou geradezu entbiologisiert wird, worauf schon Christine Kanz aufmerksam gemacht hat. (vgl. 2009, 313) Was nun die Konstruktion von Männlichkeit in den untersuchten SFRomanen der Weimarer Republik betrifft, so besteht die wohl entscheidende Entwicklung gegenüber denjenigen aus der Zeit der Ersten Frauenbewegung darin, dass die männlichen Figuren der 1920er-Jahre - oder doch immerhin zwei von ihnen - es unternehmen, die weibliche Gebärfähigkeit zu überbie­ ten. Passons Philosoph und Astronom Richard Eckstein, indem er in seinen vermeintlich ewiggültigen Formeln eine Unsterblichkeit zu erlangen hofft, die keine dem Mann noch so viele Nachkommen gebärende Frau bieten kann; Harbous Erfinder Rotwang, indem er als Erbauer der Androidin quasi selbst gebiert. Damit greifen SF-Autorinnen eine Phantasie auf, die Autoren und andere Männer schon zu biblischen Zeiten, ja selbst lange vor diesen träumten und die um 1900 in voller Blüte stand, wie Christine Kanz in ihrer Unter­ suchung über männliche Gebärphantasien zwischen 1890 und 1933 (2009) anhand zahlreicher Beispiele und insbesondere an Filippo Tommaso Marinettis (1876-1944) im Jahre 1909 erstmals erschienenem Roman Mafarka der Futurist (2004) nachweist. Insofern scheint es sich bei dem Thema des gebärenden Mannes zwar um eine Neuerung innerhalb der weiblichen Sci­ ence Fiction zu handeln, jedoch keineswegs um eine Novität schlechthin. Doch nicht einmal innerhalb der von Frauen verfassten Science Fiction ist es

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ein echtes Novum. So wurde die Figur des qua eines von ihm geschaffenen Kunstwesens männlichen Gebärers Rotwang bereits in dem Werk vorweg­ genommen, das - wenn auch zu Unrecht - nicht nur in feministischen Kreisen gerne als Gründungstext des Genres angesehen wird. Die Rede ist natürlich von Mary Shelleys (1797-1851) in der Erstausgabe anonym erschienenem Roman Frankenstein (1818).263 Bemerkenswert ist weiterhin, dass mit den negativen männlichen Haupt­ figuren in Harbous Frau im Mond und Andros Das entschwundene Ich zwei Männer erdacht wurden, welche die an sich weiblich konnotierten Eigen­ schaften der Wandelbarkeit und des Geheimnisvollen umgibt. Im Gegensatz zu Frauen, die vom Klischee als unstet und quasi von ihrem Unterbewusstsein Getriebene gedacht werden, setzen diese Männer ihre Wandlungsfähigkeit jedoch bewusst und durchaus rational ein, um ihre üblen Ziele zu erreichen. Darüberhinaus unterscheiden sich die Männer der Zukunft in den wäh­ rend der Weimarer Republik von SF-Autorinnen verfassten Werken kaum von denjenigen, die ihre früheren Kolleginnen erdachten haben oder von ihren tatsächlich lebenden Zeitgenossen. Sie sind Techniker, Konstrukteure, Denker, Saboteure, Herrscher und Magnaten sowie nicht zuletzt gefühllose Verführer oder auch schon mal eifersüchtig Liebende. Und gelegentlich auch einmal Feiglinge und Schwächlinge. Die aber dürften in der realen Welt (nicht nur) zur Zeit der Weimarer Republik keineswegs so rar gesät sein wie in den zeitgenössischen SF-Romanen. Der (Ab-)Bruch, der sich in der SF-Literatur von Frauen mit und durch die nationalsozialistische Diktatur vollzog, ist unübersehbar.264 Zunächst einmal brach die zuvor aufgeblühte SF-Literatur von Frauen mit der Machtergreifung (anders als die Produktion deutscher Science Fiction überhaupt) ab. Für die Zeit nach 1945 lässt sich konstatieren, dass die Botschaften der beiden Kurzgeschichten aus Ost- und Westdeutschland konträrer nicht sein könnten. Während Büttners Kindergeschichte mit unverhohlen erhobenem Zeigefinger die in der DDR propagierten, nicht eben fortschrittlichen Geschlechterrollen zementiert, zertrümmert Keun diejenigen der auch in dieser Hinsicht nicht eben fortschrittlicheren frühen BRD auf ihre satirische Weise geradezu. Dass die »Mädel[s] und Jungenfs]« der Zukunft von »Technik begeistert« sind, (H, 63) wird in Hille reist ins Jahr 2000 zwar behauptet. Die Geschichte spricht aber eine andere Sprache. Es ist auch in der Zukunft stets der Mann, der Hille die Technik, und die Frau, die ihr in Gestalt der Oma den Haushalt erklärt und ihr zeigt, wie sie die Wohnung mit den Mitteln der Zukunft verschönern kann. (vgl. H, 64) Keun zeigt hingegen, »daß ein

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weiterhin durch Rollenzuschreibung determiniertes Geschlechterverhältnis auf Dauer nicht mit einem Fortbestehen der Menschen vereinbar ist.« (Jung 1999,160) Hinsichtlich der von und in ihr konstruierten Geschlechterrollen und -modelle ist Robes Story ambivalenter als die Kurzgeschichten von Keun und Büttner. Sie bestätigt Geschlechterklischees, durchbricht sie aber auch. Zwar fliegt der Held des Romans Mit Atomkraft ins All zur Venus, während die Protagonistin zuhause bliebt, doch wird nicht seine Männlichkeit betont, er wird vielmehr feminisiert. Auch hat der Roman zwar ein konventionelles happy end und beschwört die Treue, doch gesteht er der Frau durchaus ein eigenständiges (Sexual-)Leben zu. Das ist schon außergewöhnlich genug für das Jahr 1950. Ebenso, dass eine (ehemalige) Prostituierte ohne Abstriche positiv gezeichnet wird.

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5 Selbst- und andere Versuche Zweite Frauenbewegung (1968-1985)

5.1 Der Zukunft zugewandt? - DDR Wellenbrecher Im Zuge der Ende der 1960er-Jahre anschwellenden Zweiten Welle der Frauenbewegung wuchs auch die Produktion literarischer Science Fiction von Frauen in den deutschsprachigen Ländern an. Namentlich in der BRD. Die Korrespondenz mit der unterschiedlichen Virilität der Frauenbewegung hierzulande und in der DDR ist augenfällig. Ebenso, dass die feministische Welle, wenn überhaupt, mit über zehnjähriger Verzögerung gebrochen und nur wenig kraftvoll über die Mauer schwappte. Noch jüngst konstatierte Michaela Karl: »Bis heute ist es umstritten, ob man überhaupt von einer Frauenbewegung in der DDR sprechen kann.« (2011,209) Wenn zugetroffen hätte, was die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR im von der UNO ausgerufenen Jahr der Frau behauptete, dass nämlich »[i]m sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern [...] die volle Gleichberechtigung der Frau verwirklicht« sei, (Staatliche Zentralverwaltung für Statistik, Hrsg. 1975,9) wäre eine Frauenbewegung allerdings auch überflüssig gewesen. Unabhängigere Quellen sehen die Verwirklichung der Frauenemanzipation bei all ihrer Sympathie für den > Arbeiter- und Bauemstaat< jedoch skeptischer. So räumen Christina Schenk und Christiane Schindle zwar ein, dass »die Realisierung der Gleichberechtigung von Frau und Mann seit Beginn der Existenz der DDR erklärtes Ziel staatlicher Politik« gewesen sei (1993,131) und es keine »[ojffensichtlich herabwürdigende Darstellungen von Frauen im öffentlichen Raum, wie etwa in der westdeutschen Regen­ bogenpresse oder in der Werbung« gegeben habe, da »ein ungeschriebenes Verbot offen sexistischer Äußerungen [existierte]«. (1993,132) Doch weist das Autorinnenduo auch darauf hin, dass »die patriarchalische Verfasstheit der DDR-Gesellschaft in ihrer Grundstruktur unangetastet« blieb, (ebd.)

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In ihrem Aufsatz »Mit den Frauen« - »Für die Frauen« (1995) unternimmt Herta Kuhrig265 eine »Verortung der Frauenbewegung der DDR in der Ge­ schichte der Deutschen Frauenbewegung.« (1995,210) Kuhrig zufolge sei diese allerdings nicht nur oder nicht einmal zuvorderst im Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) organisiert gewesen, sondern in der »ge­ werkschaftlichen Frauenarbeit« des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, (1995,222) dessen »Wirkungsfeld« weit relevanter gewesen sei als dasjenige des DFD, dem nur »das Wohngebiet zugewiesen« gewesen sei. (ebd.) Auch Renate Wiggershausen interessiert sich in ihrer Geschichte der Frau­ en und der Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik (1979) insbesondere für die Situation der Frau am Arbeitsplatz. Zudem fasst sie die Rolle von Frauen in der Staats­ und Parteihierarchie ins Auge. Die >privaten< Geschlechterverhältnisse be­ schäftigen sie hingegen weniger. Wiggershausen zufolge ist es »nicht von der Hand zu weisen, dass in der DDR vielerlei unternommen wurde, um Frauen die Erwerbsarbeit zu erleichtern.« (1979,177) Zudem habe es »Frauenaus­ schüsse« gegeben, die »Teil der Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL)« waren (ebd.) und etwa an der jährlichen Ausarbeitung von »Frauenförde­ rungsplänen« teilnahmen. (1979,178) Überhaupt seien »die Anstrengungen der ostdeutschen Regierung für die Frauen relativ vorbildlich«. (1979,181) Allerdings sei eine »Unterrepräsentation der Frauen in leitenden Funktionen« zu monieren. (1979,187) Tatsächlich übte der DFD »immer wieder« Kritik an diesem Missstand, (ebd.) So bekommt er denn auch von Wiggershausen einen eigenen Abschnitt zugesprochen, der allerdings gerade mal sechs Seiten umfasst.266 (vgl. 1979,188-193) Demgegenüber widmet sie sich auf über 60 Seiten der Frauenbewegung in der BRD. Von einer staatlich unabhängigen, gar autonomen Frauenbewegung in der DDR kann - so scheint es - nicht wirklich die Rede sein.267 Wiggershausens Buch erschien im letzten der 1970er-Jahre. Kurz darauf sah die Lage ein wenig anders aus. Denn der »Oppositionsbewegung«, die sich Schenk und Schindle zufolge bereits »gegen Ende der 70er Jahre unter dem Dach der evangelischen Kirche herauszubilden begann«, gehörten »auch Frauen- und Lesbengruppen« an.(1993,132) Allerdings nur mit einer »relativ geringen Zahl von Beteiligten«, (1993,133) wie die Autorinnen einräumen. Ingrid Miethe sieht den Auslöser für die Frauenfriedensbewegung im neuen Wehrdienstgesetz von 1982, das einige Frauen zu einer Unterschriften­ sammlung veranlasste. Ihrer Darstellung zufolge erwuchs aus dieser Aktion quasi absichtslos die Frauenfriedensbewegung der DDR. Denn »[e]s war

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von Seiten der Frauen zunächst nicht intendiert, eine Gruppe, und erst recht nicht eine Frauengruppe zu gründen. Die Gruppengründung ergab sich viel mehr aus der Situation heraus.« (1999b, 81) Nach Miethe fielen die »größten öffentlichen Aktionen« der Frauenfriedensbewegung [...] insbesondere in d[ie] Jahre[.J 1982 bis 1985«. (ebd.) Aus der DDR konnten für die Zeit der Zweiten Frauenbewegung nur zwei einschlägige Kurzgeschichten aufgefunden werden.268 Diese magere Aus­ beute mag mit der hier angerissenen Geschichte der DDR-Frauenbewegung korrespondieren, die nie wirklich besonders stark gewesen ist. Allerdings stammen beide im folgenden behandelte SF-Stories von DDR-Autorinnen schon aus den Anfängen der 1970er-Jahre, aus einer Zeit also, zu der von einer Frauenbewegung in der DDR nun wirklich nicht die Rede sein konnte. Daher ist es abwegig, wenn Sonja Fritzsche »in science fiction texts such as Wolf’s >Selbstversuchwestlicher< Staaten hatte zu dieser Zeit hingegen schon Fahrt aufgenommen und strebte ihrem Höhepunkt entgegen. Als wesent­ lich reichhaltiger erwies sich denn auch die bundesrepublikanische (und österreichische) Quellenlage. So können die Geschlechterkonstruktionen in mehreren Kurzgeschichten, Erzählungen, Romanen und Heftromanen von bundesdeutschen und österreichischen Autorinnen näher untersucht sowie einige weitere kurz in Augenschein genommen werden. Auf andere kann hingegen aufgrund der großen Anzahl nur ein kurzes Schlaglicht geworfen werden oder sie müssen gar gänzlich unberücksichtigt bleiben.

Peter sein? Die beiden zu beleuchtenden SF-Geschichten aus der DDR stammen von Autorinnen, die zu den namhaftesten Schriftstellerinnen ihres Landes zählten. Anna Seghers (1900-1983) »was one of the first prominent authors to embrace science fiction« in der DDR, konstatiert Sonja Fritzsche in ihrer Untersuchung zur Science Fiction Literature in East Germany. (2006, 167) Und was die Schriftstellerinnen betrifft, so gab es in der DDR überhaupt nur eine weitere von vergleichbarer Prominenz, die ebenfalls eine SF-Geschichte verfasste. Diese andere ist Christa Wolf (1929-2011). Anna Seghers ist das Pseudonym von Netty Radväny, die 1900 unter dem Namen Reiling geboren wurde. In Heidelberg und Köln studierte sie unter

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anderem Kunstgeschichte und Sinologie. 1924 wurde sie promoviert. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre erschienen Seghers erste Erzählungen, von denen eine sogleich mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet wurde. Etwa zur gleichen Zeit trat sie in die Kommunistische Partei Deutschlands und in den Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller ein. Im Jahr der nationalso­ zialistischen Machtergreifung flüchtete sie zunächst in die Schweiz und nach Frankreich, später über die USA nach Mexiko. In Übersee erschien ihr wohl berühmtestes Werk Das siebte Kreuz169 (1942a), von dem die Germanistin Eva Kaufmann meint, es sei »der große Roman über Deutschland unter der Hitlerdiktatur«. (1988, 361) Allerdings erweist er sich bereits im Untertitel Roman aus Hitlerdeutschland als nicht ganz wahrhaftig. Es ist zwar ein Buch über, aber keineswegs aus Hitlerdeutschland. Denn Seghers hatte das Land unmittelbar nach der Machtergreifung verlassen, die Arbeit an dem Roman aber erst 1937 begonnen, (vgl. Wall 2004,400) Ihr ambitioniertestes Werk ist jedoch nicht Das siebte Kreuz, sondern Die Toten bleiben jung. (1949a und 1949b270) Als der ebenfalls oft hoch gelobte und noch heute verschiedentlich ge- und überschätzte Roman271 erschien, war Seghers bereits nach Deutsch­ land zurückgekehrt und lebte in Berlin. 1951 erhielt sie den Nationalpreis der DDR und den Internationalen Stalin-Friedenspreis, womit ihr unaufhaltsamer Aufstieg im > Arbeiter- und Bauemstaat< begann. Schon im Folgejahr wurde sie Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR und blieb es mehr als ein viertel Jahrhundert lang, bis sie 1978 - hochbetagt - von dem Amt zurücktrat, aber doch Ehrenpräsidentin blieb beziehungsweise wurde. Zwischenzeitlich hatte sie weitere Auszeichnungen und Orden der DDR erhalten. Doch blieb es nicht bei Würdigungen durch den sozialistischen Staat. 1981 verlieh ihr die bundesrepublikanische Stadt Mainz die Ehrenbürgerschaft. Und noch um den Jahrhundertwechsel wurde sie von Eva Kaufmann als »eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen« gepriesen.272 (1998,478) Die zweite Autorin, Christa Wolf, darf immer noch zu den bekanntesten (und auch zu den nicht wenig umstrittenen) deutschsprachigen Gegenwarts­ autorinnen gezählt werden. Als junge Frau studierte sie in Jena und Leipzig Germanistik. Später arbeitete sie als Verlagslektorin. Von 1963 an war sie vier Jahre lang Kandidatin des Zentralkomitees der SED. Zu ihren wich­ tigsten oder doch bekanntesten Werken vor und nach dem Zusammenbruch der DDR zählen Nachdenken über Christa T. (1968), Störfall. Nachrichten eines Tages (1987a und 1987b273) und Medea. Stimmen (1996). Nach dem Ende der DDR entzündete sich an ihr und ihrer Erzählung Was bleibt (1990) eine Diskussion voller »polemischer Töne«. (Anz 1995, 19) Das Wort von

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Thomas Anz, »[k]aum ein Literaturstreit der deutschen Nachkriegszeit« habe »so viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden wie der, der Anfang Juni 1990 mit scharfen Angriffen auf Christa Wolf und ihre Erzählung Was bleibt be­ gann«,274 (1995, 7) gilt trotz der an Helene Hegemann (*1992) und ihren 2010 erschienenen Roman Axolotl Roadkill gerichteten Plagiatsvorwürfe noch heute. Damals, Anfang der 1990er-Jahre wurde lautstark darüber ge­ stritten, »ob die führenden Schriftsteller der DDR eine autoritätsgläubige >Stillhalteliteratur< geschrieben hatten, die, trotz geringer Kritik im Detail, das System, den Staat und die undemokratische Gesellschaftsordnung sta­ bilisierte.« (1995,8) Einige von Wolfs Werken, wie etwa Medea, werden von frauenrechtlich engagierten Literaturwissenschaftlerinnen als feministisch interpretiert. Ihre hier zu beleuchtende Kurzgeschichte Selbstversuch115 (1973) und deren Geschlechterkonstruktionen sind in feministischen Kreisen und unter GenderForscherinnen seit ihrem Erscheinen vor nunmehr annähernd 40 Jahren ebenso umstritten, wie es in anderer Hinsicht ihre Erzählung Was bleibt war. Mit dieser Feststellung ist der Weg zu einer kurzen Darstellung des Plots von Wolfs Selbstversuch und anschließend der Handlung in Seghers’ ein Jahr zuvor erschienener Erzählung Sagen von Unirdischen216 (1972) eigentlich schon bereitet. Zuvor sei aber noch angemerkt, dass es sich bei Wolfs Text Selbstversuch um eine »Auftragsarbeit« handelt, wie die Autorin in einem Interview mit Hans Kaufmann ohne Weiteres einräumte. (Wolf/Kaufmann 1974,107) Der Versuch dies abzustreiten, wäre auch abwegig gewesen. Denn es war schon damals allgemein bekannt, dass Edith Anderson »mehrere schriftstellernde Frauen und gleicherweise Männer auf[ge]fordert« hatte, eine »Geschichte zum Thema Geschlechtsumwandlung/Geschlechtertausch zu schreiben«, die in einer Anthologie erscheinen sollten. (Emmerich 1980,101) Unter ihnen eben auch Christa Wolf, die dem Ansinnen nachkam und den Text Selbstversuch ablieferte. Es war also keineswegs eine intrinsische Mo­ tivation, die Wolf veranlasste, sich dem Thema Geschlechtsumwandlung zu widmen. Wolfgang Emmerich spricht sogar davon, dass es sich »gleichsam um anbefohlene Inspiration [ge]handelt« habe, (ebd.) Mit Wolfs kurzer Geschichte liegt ein Text vor, der die Konstruktion von Geschlecht selbst explizit zum Inhalt hat. Sie bei Interpretationen des Tex­ tes in den Blick zu nehmen, lässt sich also auch dann schwerlich umgehen, wenn man das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie nicht teilt. So gibt es wohl keinen anderen deutschsprachigen SF-Text, dessen Geschlechterkonstruktionen derart oft, so gründlich und so kontrovers untersucht und

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diskutiert wurden. Die einschlägige Sekundärliteratur ist denn auch zu um­ fangreich,277 um sie hier ausnahmslos berücksichtigen zu können. Dies ist allerdings auch nicht erforderlich, da durchaus nicht alle einschlägigen Un­ tersuchungen innovativ sind, sondern sich etliche Argumente und Interpreta­ tionen wiederholen. Ich werde mich daher auf die prägnantesten Positionen im Streit um die Frage konzentrieren, ob die Geschlechterkonstruktionen in Wolfs Geschichte konstruktivistisch und emanzipatorisch oder biologistischessentialistisch und somit konservativ sind. Die Autorin verlegt die Handlungszeit ihrer Erzählung ins Jahr 1992, (vgl. S, 303) also zwei Jahrzehnte nach deren Entstehungszeit. Ihr im Untertitel als Traktat zu einem Protokoll firmierender Text tritt als »unverlangte[.J Notizen« auf, die von der Protagonistin dem »Selbstprotokoll« angefügt wurden, das sie für ihren Vorgesetzten verfasst hat. Es ist dies der von ihr als »einer der großen Männer dieses Jahrhunderts« verehrte Professor, (S, 301) der den titelstiftenden Selbstversuch leitete. (S, 301) Die Protagonistin selbst gehört zu einem dem Professor unterstehenden Forschungsteam, dem es gelang, einen Stoff mit dem sprechenden Namen Petersein Masculinum 199 zu entwickeln, der »ein hervorragendes Mittel« ist, innerhalb weniger Wochen »risikolos und ohne unerwünschte Nebenwirkungen eine Frau in einen Mann zu verwandeln«. (S, 301) Zwar wäre es grundsätzlich möglich gewesen, auch einen Stoff zu ent­ wickeln, der einen Mann in eine Frau verwandelt. Allerdings wäre es »un­ rentabel« gewesen, ein solches »Präparat« herzustellen, »weil sich für ein so abwegiges Experiment keine Versuchsperson angefunden hätte«. (S, 303) Warum es derart »abwegig« wäre, wenn sich ein Mann in eine Frau verwan­ deln lassen würde, wird nicht begründet, sondern einfach als selbstverständ­ lich vorausgesetzt. Da Männer sich nicht in Frauen umwandeln lassen wollen (und weil sie den Professor liebt278) stellt sich die Protokoll- und Traktat-Verfasserin für den titelstiftenden Selbstversuch zur Verfügung. Allerdings bricht sie das Experiment aufgrund ihrer noch näher zu erörternden (Selbst-)Erfahrungen als (werdender) Mann ab, lässt sich ein Antidot spritzen und ist bei Verfertigung des an den Professor gerichteten Traktats »seit vollen zwei Wochen glücklich wieder eine Frau«. (S, 301) In dem Schreiben berichtet sie über ihre Erfahrungen als Mann und legt ihre Gründe für den Selbstversuch und seinen Abbruch dar. Außerdem stellt sie einige allgemeinere Reflexionen über Geschlechterrollen und die Beziehung der Geschlechter zueinander an.

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In Wolfs Kurzgeschichte spielt das Geschlecht der in der Ich-Erzählerin279 personifizierten Erzählinstanz eine bedeutende Rolle. Daher wurde sie in der Forschung auch entsprechend gewürdigt. Ist eine Erzählinstanz - etwa als weibliche oder männliche Ich-Erzählerin - geschlechtlich markiert, so wird in und mit ihr nicht nur die Geschlechtlichkeit der erzählenden, son­ dern die aller Figuren konstruiert. Denn über sie wird aus der Perspektive der Erzählstimme berichtet, mithin aus einer Sicht, die selbst als weiblich oder männlich konstruiert ist.280 Die als Traktat-Verfasserin auftretende IchErzählerin berichtet und wertet nicht geschlechtsneutral und mithin quasi >objektivzweiten Geschlechts< bei den Menschen, noch wundem sie sich gar darüber. Im Gegenteil. Einer von ihnen zeugt mit einer Menschenfrau Kinder. Das genetische Erbe des Raumfahrers setzt sich fortan über Generationen hinweg bei männlichen Nachkommen immer wieder durch. »[M]anche[m]« dieser Nachfahren, der »sein halbes Leben friedlich und geduldig mit seinem Handwerk verbracht« hatte, wurde, als falle ihm plötzlich etwas ein, er hätte etwas vergessen, was er sofort suchen müsse. Er verließ die Seinen und sein Handwerk, er verschwand in der Fremde. Seine Frau weinte, denn Streit hatte es nie gegeben. Sie hatten immer gut zusammengelebt. (SU, 40)

Selbst genetisch und als Raumfahrer einer fremden Spezies bleiben die Män­ ner also dominant und zwar über Generationen hinweg.288 Damit werden die Geschlechtseigenschaften enthistorisiert, die in dieser Passage, in welcher der Mann einmal mehr frei nach Schiller hinaus ins feindliche Leben geht, während die Frau weinend zurückbleibt, wusste doch schon Kant: »Frauen weinen immer gleich bei alle[m]«. (1997,1352)

Ich, die Frau

Christa Wolfs Geschichte handelt nun zwar nicht im »finsteren Mittelalten oder in der sich langsam aufklarenden Neuzeit, sondern im aufgeklärten 20. Jahrhundert, mehr noch, in einer sich als sozialistisch verstehenden Ge­ sellschaft: der DDR der Zukunft. An der Geschlechterhierarchie hat sich dort seit den Besuchen von Seghers’ Raumfahrern immerhin soviel geändert, dass

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Frauen und Männer nun sowohl in höheren wie auch in niederen Positionen tätig sind. Zwar trifft es zu, wenn Bettina Hurrelmann bemerkt, dass »Christa Wolf die Frauen im Wissen[64]schaftsbetrieb ausnahmslos in untergeordneten Positionen [zeigt]«. (1987, 63f.) Allerdings sieht es in einer anderen, im >Arbeiter- und Bauemstaat< vielleicht noch respektableren Hinsicht durchaus auch schon mal umgekehrt aus. Denn es gibt nicht nur den das Experiment leitenden Professor (vgl. S, 301) und seine Sekretärin (vgl. S, 302), sondern auch eine Kaderleiterin (vgl. S, 302) und einen Hausmeister, (vgl. S, 307) Was nun allerdings die Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblich­ keit betrifft, so sind sie keineswegs weniger klischeehaft als bei Seghers und vor allem dichotom.289 So nimmt Wolf die dümmliche Behauptung eines erfolgreichen >Sachbuch Widerspruches< Frau/Fahrzeug, wenn die Protagonistin »zu Beginn meiner zweiten Woche als Mann« (S, 312) mit ihrem Wagen auf einer Kreuzung liegen bleibt und den Verkehr

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blockiert. Sie erwartet nun die hämischen Bemerkungen, die sie als Frau in solchen Fällen üblicherweise zu hören bekam. Doch stattdessen helfen ihr die männlichen Verkehrsteilnehmer nun voller Verständnis. Und selbst der Polizist, der den Verkehr regelt, legt hilfreiche Hand an. (vgl. ebd.) Derlei Kritik an essentialisierenden Geschlechterklischees findet sich in Wolfs Geschichte allerdings nur selten. Oft werden die klischeehaften Geschlechterdualismen inklusive der den männlichen Part höher bewertenden Hierarchie selbst dann reproduziert und bestätigt, wenn eine leise oder auch vernehmlichere Ironie anklingt.290 So etwa wenn die Ich-Erzählerin meint, »Neugier ist eine Untugend von Frauen und Katzen, während der Mann erkenntnishungrig und wissensdurstig ist.«291 (S, 302) Hieran ist neben dem hierarchischen Geschlechterdualismus, der zwischen negativ konnotierter >weiblicher< Neugier und positiv konnotierter >männlicher< Wissbegierde unterscheidet, zweierlei auffällig. Zunächst einmal, dass von den Angehörigen des weiblichen Geschlechts im Plural die Rede ist, und diese damit entindividualisiert werden, während der Singular des Kollektivsubjektes Mann diesem zumindest seine grammatische Individualität und seinen Status als Subjekt belässt. Zum zweiten sticht ins Auge, dass die Frauen mit Tieren (die vielleicht zur Neugierde, sicher aber nicht zur Wissbegierde fähig sind) und somit mit Natur assoziiert werden. Auch ist es keineswegs zufällig, dass es sich bei diesen Tieren um Katzen handelt. Eine Parallelisierung, welche die Ich-Erzählerin nicht nur an dieser einen Stelle unternimmt, sondern mehrfach wiederholt, (vgl. S, 302 und 306) Dabei handelt es sich nicht eben um eine originelle Engführung. Denn die Katze gilt von alters her als ein »Symboltier des Weiblichen«. (Lurker 1985, 347) Noch deutlicher ironisierend ist die Rede von dem »irreparablen Charak­ terfehler, der uns Frauen, so leid es den Männern tut, unfähig macht, die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist. Während sie sie in ihrem Fangnetz aus Zahlen, Kurven und Berechnungen dingfest gemacht haben.«(S, 311) Allerdings stellt die Ironisierung nicht den (implizit als wesenhaft) behaupteten Geschlechterunterschied infrage, sondern nur, dass die männliche Sichtweise die Welt so sieht, wie sie wirklich ist. Denn sie bedienen sich ja laut dieser Aussage ausschließlich unanschaulicher Abstrakta, nämlich Zahlen, Kurven und Be­ rechnungen, welche die Welt eben nicht so darstellen, wie sie konkret ist. Nicht nur durch ihre Neugier sind Frauen an (ihre) Natur gebunden. So erklärt die mit der Ich-Erzählerin befreundete Laborleiterin Irene etwa, sie und ihre Geschlechtsgenossinnen hätten »von Natur aus Minderwertigkeitskom­ plexe« und befürchteten darum immer, dass »zwei Männer, die zusammensit-

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zen«, über sie herziehen. Die zu diesem Zeitpunkt in einen Mann verwandelte Ich-Erzählerin, die nun also (nicht nur in dieser Hinsicht) über die Erfahrung der Frau und die des Mannes verfügt, stellt das vermeintliche Faktum des natürlichen weiblichen Minderwertigkeitskomplexes nicht in Frage, sondern bestätigt es implizit, indem ihr Irenes Bemerkung Anlass ist, »ein bisschen Heimweh nach den Ungereimtheiten der Frauen« zu empfinden. Womit nicht nur gesagt ist, dass die Ich-Erzählerin immer noch als Frau empfindet, sich im Frausein zuhause fühlt, sondern zugleich ein weiteres Weiblichkeits­ klischee behauptet wird, das der - im Gegensatz zum Mann - ungereim­ ten, mithin unlogischen und selbstwidersprüchlichen Frau, auf die man(n) sich keinen Reim machen kann. Der ebenfalls anwesende Doktor Rüdiger, ein ausgemachter Sexist, führt das Misstrauen der Frauen gegenüber zwei miteinander sprechenden Männern hingegen zwar nicht auf die weibliche Natur zurück, sondern erklärt es psychologisch damit, dass »Frauen sich zu wichtig nehmen«. Aber auch ihm ist das eine Eigenschaft aller Angehörigen des weiblichen Geschlechts. Erklärt Irene das weibliche Misstrauen, Männer sprächen schlecht über Frauen, biologisch, so Rüdiger psychologisch. Beide aber verstehen es als essentiell weiblich. Die Ich-Erzählerin hat zwar »keine Meinung« zur Ursache dieses Misstrauens, bestätigt dessen Existenz durch ihr »Heimweh« nach dem Dasein als Frau aber, wie gesagt, implizit als real, (alle Zitate S, 310) Neben essentiell-biologistischen Zuschreibungen wird den Frauen ein geschlechtsspezifisches »Vorrecht« zugesprochen, das sie allerdings (wie es heißt) wenig nutzen: das Recht der »unverblümtefn] Rede«. (S, 301) Zwar genießen sie, was das gesprochene Wort betrifft, bestimmte Vorrechte, doch wirken sie komisch, wenn sie zur Feder greifen. Dies korrespondiert mit dem hierarchisch organisierten Geschlechterklischee und -dualismus der ge­ schwätzigen Frau und der männlich konnotierten Autorschaft. Als Autorinnen komisch wirken Frauen selbst dann, wenn sie über Gebiete schreiben, die dem Geschlechterklischee gemäß als ihr ureigenes Terrain gelten, wie etwa die Kindererziehung. Und »weil es nichts Komischeres gibt als Frauen, die Traktate schreiben«, (S, 314) verbrennen die (bereits zum Mann verwandelte) Protagonistin und ihre Freundin Irene denn auch sogleich wieder einen Zettel mit einigen soeben geschriebenen Sätzen, die den Anfang einer »Erziehungs­ fiebel« bilden sollten, (S, 313) die Irene gerne schreiben würde, (vgl. S, 314) Essentialisiert werden in Wolfs Selbstversuch nicht nur vermeintlich ge­ schlechtsspezifische Eigenschaften und Charakterzüge von Frauen, sondern nicht minder die von Männern, die etwa an einer »abergläubischen Anbetung

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von Meßergebnissen« leiden, (S, 301) von einer »heillose[n] Arbeitswut« besessen sind und vor allem »nicht lieben können«. (S, 322) Ironisiert wird Männlichkeit in der sexistischen Figur des ehemaligen Liebhabers der Protagonistin Dr. Rüdiger, der Frauen »von Kopf bis Fuß mit einem unverschämten Männerblick [...] muster[tj«, »ordinäre[.J Pfiff[e]« ausstößt und sie »Puppe« nennt. (S, 303) Eisbein mit Erbsenpüree zu essen, gilt ihm hingegen als »Beweis von eines Mannes Männlichkeit«. Dass er keine »[p]roblemgeladene[n] Frauen« mag, kann die Ich-Erzählerin aller­ dings verstehen: Wer mag die schon? Sie mögen sich ja nicht mal selbst, sofern sie intelligent genug sind, die Zwickmühle zu sehen, in der sie stecken: zwischen Mann und Arbeitsdrang, Liebesglück und Schöpfungswillen, Kinderwunsch und Ehrgeiz ein Leben lang zickzack laufen wie eine falsch programmierte kybernetische Maus.

Augenfällig ist bei alldem, dass Dr. Rüdiger Männlichkeit nicht als Frage der Anatomie, sondern der Haltung erscheint. Wie anders könnte er »allen Ernstes den Versuch [unternehmen]«, die geschlechtsverwandelte Protagonistin »zum Mann zu bekehren.« (alle Zitate S, 309) Besonders deutlich wird die Essentialisierung >des Männlichem jedoch in der Entwicklung der Ich-Erzählerin von der Frau zum Mann. Zunächst wird die Figur allerdings als Frau (also vor ihrer Geschlechtsumwandlung) in den Blick zu nehmen sein. Erst so können die Differenzen zu ihrem späteren Dasein als Mann hervortreten. Auch die Selbstdarstellung der Protagonistin schreibt Weiblichkeits­ klischees fort. Zu Beginn ihres Traktats versichert sie, dass ihre »Proto­ kollführung [...] so gewissenhaft wie möglich [war]« und beteuert: »Jedes Wort in meinem Bericht stimmt.« (S, 301) Indem die Ich-Erzählerin die drei misogynen Geschlechterklischees, Frauen seien lügenhaft, unachtsam und oberflächlich, für ihre Protokollführung zurückweist, ventiliert sie indi­ rekt deren allgemeine Gültigkeit. Wieso sollte sie sonst die Genauigkeit und Wahrhaftigkeit ihres Berichts hervorheben. Denn dafür, dass sie persönlich als wenig gewissenhaft oder unehrlich angesehen würde, bietet der Text keine Anhaltspunkte. Ebenfalls zu Beginn des Textes beschreibt sich die Protagonistin als [ajlleinstehend. Ohne Kind. [...] Alter: 3316. Gesund, intelligent. Doktor der Physiopsychologie und Leiterin der Arbeitsgruppe GU (Geschlechtsumwandlung) im Institut für Humanhormongenetik. (S, 302)

All das macht sie als Versuchsperson »fast über die Maßen gut geeignet«, (ebd.) Bemerkenswert ist, dass sie zunächst ihren Stand angibt und ob sie

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Kinder hat, erst dann ihren Beruf und ihre fachliche Qualifikation. Es ent­ spricht dies eben ganz der Rangfolge der Beurteilungskriterien von Frauen, die offenbar zugleich diejenigen für die Brauchbarkeit als Versuchsperson sind. Scheinbar paradoxerweise muss sie ihren »Wert als Frau« nun aber nicht durch ihre Gebärfähigkeit »beweisen«, sondern »indem ich einwilligte, Mann zu werden.« (S, 307) Das vermeintliche Paradoxon löst sich, wenn man ins Auge fasst, dass es um ihren Wert in der Arbeitswelt geht, denn sie vollzieht ihre Umwandlung zum Mann in ihrer Arbeit und für ihre Arbeit. Diese Verwandlung lässt sich metaphorisch dahingehend deuten, dass sich Frauen an eine nach den Bedürfnissen, Stärken und Eigenheiten von Männern ausgerichtete Arbeitswelt anpassen müssen. Brigitte Wichmann macht darauf aufmerksam, dass es »male qualities« wie »her Professional logic, strength of mind and accuracy« sind, die sie für das Selbstexperiment qualifizieren, und schließt daraus: »She had to become a most >unfeminine< woman in order to be considered a worthy candidate for membership in the male world.« (1981,237) Die Protagonistin erklärt hingegen: »Meinen Wert als Frau hatte ich zu beweisen, indem ich einwilligte, Mann zu werden.« (S, 307, Herv. RL) Ansonsten beweisen Frauen in der Geschichte, zumindest nach Auffassung Bertrams, dem misogynen Kollegen und neben Dr. Rüdiger zweiten »ehe­ maligen Liebhaber« der Protagonistin, ihr Frausein, indem sie das »Haupt­ problem« lösen. Und »[d]as Hauptproblem war ein Kind«, (S, 306) wie es ebenso lapidar wie zweideutig heißt. Die Zweideutigkeit besteht darin, dass die Formulierung offenlässt, ob schlechthin gemeint ist, dass es die Haupt­ aufgabe, mithin der eigentliche Beruf der Frau ist, Kinder zu bekommen, oder aber ob das Hauptproblem im engeren Sinne darin besteht, Beruf und Kind zu vereinbaren. Nach der Verwandlung in einen Mann erhält die als Frau namenlose Prota­ gonistin von dem Professor den sprechenden Namen Anders verpasst. Anders sind nun sowohl der Körper wie auch der Geist respektive die Charakterzüge und Eigenschaften der Protagonistin. Dennoch gibt es zwischen beiden Ver­ wandlungen einen gravierenden Unterschied. Die des Körpers verläuft zügig, problemlos und ganz ohne Ambivalenzen. Als Mann ist die Ich-Erzählerin sogleich »genauso ansehnlich, wohlgestaltet und gesund« wie sie es als Frau gewesen war. (S, 308) Nicht so auf psychischem Gebiet. Wenn Maria Kublitz konstatiert, die Protagonistin verwandele sich zwar »physisch [...] in einen Mann, jedoch mit weiblichem Bewusstsein«,292 (1987,21) ist das allerdings nicht ganz zutreffend. Denn auch die psychische Umwandlung erfolgt; wenn­ gleich nicht derart schnell wie die physische, sondern langsam, zögerlich

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und widersprüchlich. Auch mag sich vielleicht stets ein wenig >weibliches Restbewusstsein und -empfinden< erhalten haben. So kann die Protagonistin etwa konstatieren, dass sie ihr vermeintlicher »weiblicher Instinkt«293 auch im männlichen Körper »noch nicht verlassen hatte«, (S, 309) obwohl sie nun bei den das Experiment begleitenden Farbtests anders, nämlich >männlicher< reagiert als früher. Im Traktat berichtet sie, daß ich schließlich auf »rot« nicht »Liebe« sagte, wie sonst immer, sondern »Wut«. Auf »Frau« nicht »Mann«, sondern »schön«. Auf »Kind« »schmutzig« statt »weich«, und auf [309] »Mädchen« nicht »schlank«, sondern »süß«. (S, 308f.)

Zudem entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der >weiblichen< Psyche und dem männlichen Körper. So ist das Lächeln, »über das ich [308] als Frau verfügt hätte«, zwar »noch in mir«, wie sie »deutlich fühlen« kann. Doch misslingt ihr Versuch, es auf dem nunmehr männlichen Gesicht »zustande zu bringen«. (S, 307f.) Auch auf dem Gebiet der sexuellen Erregbarkeit und Erregung kommt das alte weibliche Ich dem neuen männlichen Körper in die Quere. Nachdem der vermännlichten Protagonistin von einer Frau ein Blick zugeworfen wurde, »der einen Regenwurm zum Mann gemacht hätte«, gelangten »die allerangenehmsten Empfindungen in mir nicht zu ihrer vollen Entfaltung [...] wegen des weiblich-spöttischen Gedankens: Sieh mal an, es funktioniert!« Das habe keineswegs an einem etwaigen Mangel des Präparats Petersein 199 gelegen, nein, »[i]ch bin es gewesen, ich: die Frau, die mit Spott und Empfindlichkeit oder einfach durch Ungeduld die männlichsten Triumphe des Herrn Anders sabotierte.« (alle Zitate S, 308) In dieser Engführung der Betonung des individuellen Ich der Protagonistin und ihrem Geschlechtswesen als Frau verschmelzen beide, ersteres geht in letzterem, dem als solchen »Spott und Empfindlichkeit« eigen sind, auf. Die essentialistische Botschaft, die diese Stelle vermittelt, besagt: So sind sie nun einmal, die Frauen. Darüber hinaus wird deutlich, dass sich die Protagonistin auch nach der Umwandlung noch immer als Frau empfindet und identifiziert, der Herr Anders ein Anderer bleibt. Beeinträchtigt das weibliche Ich die somatische Reaktion des männlichen Körpers, so ist es umgekehrt nicht etwa dieser Körper, der das weibliche Ich verunsichert, sondern die ausbleibende sexualisierte Reaktion der Männer­ welt auf ihren Anblick. »Was mich unsicher machte, war nicht das Fehlen eines weiblichen Organs, der Brust, sondern das Fehlen der abschätzenden Männerblicke, die einem anzeigen, daß man >da< ist.« (S, 311) Damit redu­ ziert sich die Protagonistin nicht nur auf die Sexualität ihres Geschlechts und ventiliert somit das misogyne Klischee, dass Frauen eben in erster Linie

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Geschlechtswesen sind, sondern zugleich noch ein zweites, das besagt, sie seien, anders als der Mann, nicht selbst-, sondern fremdbestimmt, nicht au­ tonom, sondern in ihrem Selbstwertgefühl abhängig vom Blick der Männer, die, indem sie auf die Frau als Sexual wesen reagieren, dieser überhaupt erst ihrer Existenz versichern. Es scheint, so könnte man ironisch formulieren, George Berkeleys (1685-1753) These esse est percipi meine das weibliche Geschlecht und spreche von Frauen, wenn er sagt: »Das Sein solcher Dinge ist perzipiert werden.« (1979,26) Später fühlt sich die Ich-Erzählerin vorübergehend »[mjattgesetzt, weil die Frau in ihr, die sie »dringlich suchte«, zwar schon »verschwunden«, der Mann, das heißt hier, die >männliche< Psyche aber »noch nicht da« ist. (S, 316). Sobald diese aber beginnt sich durchzusetzen, erlebt die Frau ihre psychische und emotionale Umwandlung zum Mann als zunehmende De­ privation.294 Allerdings stellt sich die Frage, wie die Protagonistin die immer stärkere >Vermännlichung< ihrer Psyche überhaupt als zunehmende Depri­ vation empfinden kann. Denn dies ist ja die Empfindung der >weiblichem Psyche. Wolf und ihre Geschichte lassen sie unbeantwortet. Genauer gesagt: Sie stellen sie gar nicht. In Situationen, in denen der Protagonistin früher, als Frau, etwas »leid getan« hatte, tat ihr »nun als Mann an der gleichen Stelle [...] nichts mehr leid.« (S, 307 ) Sie verbietet sich traurig zu sein und hat dabei das Empfinden, dass »[djie Teilerblindung, die fast alle Männer sich zuziehen«, auch sie »zu befallen« beginnt. Die »ewig unfertige Farbtafel« des Tests erscheint ihr nun »albem[.]«. Das »Liebespaar, unter freiem Himmel dem Wald zustrebend«, das sie vor der Einnahme des Präparats immer »in einem der Bildchen« sah, kann sie »jetzt einfach nicht mehr finden«. An dessen Stelle ist nun aber nicht etwa nichts getreten, wie es ja der Metapher von der Blindheit entsprechen würde, sondern eine >männliche< Interpretation. Kann sie doch, wenn auch nur »zur Not«, zwei sich auf einen Wettkampf vorbereitende Sportler in ihm entde­ cken. (alle Zitate S, 318) Auch in anderen Hinsicht gewinnt die >männliche< Psyche die Oberhand: Schon kam es mir nicht mehr gefährlich vor, an jener Arbeitsteilung mitzuwirken, die den Frauen das Recht auf Neurosen läßt und ihnen den Spaß gönnt, sich mit den Entäußerungen der Seele zu befassen (die auch noch kein Mensch unter dem Mikroskop gesehen hat) und mit dem großen, schier unausschöpflichen Sektor schöne Künste. Während wir Männer die Weltkugel auf unsere Schultern laden, unter deren Last wir fast zusammenbrechen, und uns unbeirrt den Realitäten widmen, den drei großen W: Wirtschaft, Wissenschaft, Weltpolitik.295 (S, 320)

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Die vielfältige psychische Verarmung, die mit der Verwandlung in einen Mann einhergeht, macht sich jedoch noch stärker im Sprachvermögen be­ merkbar:296 Nie wäre ich, Anders, darauf verfallen, die gleichen Gegenstände mit den selben Wörtern zu benennen, mit denen ich, als Frau, sie einst bezeichnet hatte, wenn mir nur andere Wörter zur Verfügung gestanden hätten. (S, 312)

Die unterstellte Differenz zwischen der >Männersprache< und der >Frauensprache< besteht jedoch nicht nur in unterschiedlichen Benennungen von Gegenständen, Gefühlen, Vorstellungen und Sachverhalten, sondern vor allem in einer Verarmung und Deprivation ersterer gegenüber letzter. So seien Männer etwa nicht dazu in der Lage, mit der Sprache zu »spielen« und deren »Vieldeutigkeiten« zu erkennen.297 (S, 301) Vor allem in der Ich-Erzählerin, ihren dualistisch unterschiedenen Cha­ raktereigenschaften als Mann und als Frau, wird der Essentialismus der Kurzgeschichte deutlich, deren offenbar emanzipatorische Intention eben dadurch, dass sie die Bewertung des >Männlichen< und des >Weiblichen< einfach umkehrt, konterkariert wird. Dabei ist diese Umwertung vermeintlich männlicher und vermeintlich weiblicher Eigenschaften, welche die Frau zum besseren Menschen erklärt,298 noch nicht einmal eine innovative Idee, sondern vielmehr ein alter Hut, den sich schon die Verfechterinnen des gemäßigten Flügels der Ersten Frauenbewegung um 1900 (und auch Autorinnen wie Lou Andreas-Salome) auf den Kopf zu setzen pflegten.299 Fattori zufolge weist die absichtliche Polarisierung darauf hin, daß die Frau Inhaberin von Eigenschaften ist, die im gegenwärtigen geschichtlichen Kontext für den Mann erstrebenswert sind, damit beide, Mann und Frau, ihren Beitrag zu einer menschlicheren Gesellschaft leisten können; in dieser Hinsicht kommt nach C. Wolf der Frau eine menschlich vorrangige Stelle zu. (1988,21 f.)

Diese Umwertung des hierarchischen Geschlechterdualismus zugunsten der Frau geht mit einer Komplementaritätsvorstellung einher, die ebenfalls schon von Helene Lange und anderen Protagonistinnen des gemäßigten Flügels der Ersten Frauenbewegung propagiert wurde.300 (vgl. etwa Lange 1928d, 207) Bei Wolf allerdings geht die Umwertung soweit, dass die Frauen nicht nur qua Biologie die besseren, sondern die eigentlichen Menschen sind, wie die Protagonistin zumindest insinuiert, wenn sie konstatiert, dass »die Wörter >menschlich< und >männlichKleine von nebenanFrau am Steuer< also nicht mit der Hilfsbereitschaft, die vom Ethos des Kavaliers dem schwachen Geschlecht < gegenüber vorgeschrieben wird, sondern lassen sie vielmehr dem Geschlechtsgenossen angedeihen, so reagieren die Frauen auf die fürsorglich gemeinte Erkundigung der vermännlichten Protagonistin nach dem Grund des Seufzers, erotisiert und erotisierend. Solche Erlebnisse führen dazu, dass die Protagonistin gelegentlich den Eindruck hat, »mein Gegenüber habe sich durch meine Verwandlung stärker verändert als ich selbst.« (S, 309) Dies würde bedeuten, dass es vor allem die Reaktionen der Umwelt, der Gesellschaft, der Menschen und deren an Männer und Frauen herangetragene Erwartungen sind, die sich unterscheiden, und nicht (so sehr) die Männer und Frauen als Geschlechtswesen selbst. Dies, nur einen Schritt weiter gedacht, führt zu der konstruktivistischen Einsicht, dass die Erwartungshaltung an Männer und Frauen die Geschlechtsrollen produzieren, die diese dann erfüllen. Und wenige Seiten später spricht die Protagonistin diese Überlegung entgegen aller ihrer vorherigen und späteren Essentialismen als selbstverständliche und allgemeinbekannte Tatsache aus: »Daß es die Erwartungen unserer Umwelt sind, die uns machen - wer wüsste das nicht?«302 (S, 311) Doch wird diese ziemlich singuläre Erkenntnis durch diverse bereits angeführte, die Geschlechtscharaktere essentialisierenden Stellen unterminiert. Versuche der Forschung, Wolfs Kurzgeschichte als konstruktivistisch zu retten, lassen sich mit ihr jedenfalls nicht erhärten. Dass Geschlechter und vermeintlich geschlechtsspezifische Eigenschaften in Wolfs Kurzgeschichte nicht als biologisch, sondern als sozial konstruiert aufgefasst werden, wird vor allem von Anne Herrmann behauptet, der zufolge Wolfs Selbstversuch »a deconstructive text« sei.303 (1988,46) Mit Herrmanns Lesart hat sich vor einigen Jahren Friederike Eigier in ihrem Aufsatz Rereading Christa Wolf’s »Selbstversuch« kritisch auseinandergesetzt. Zwar sei Herrmanns Interpreta­ tion, der zufolge Wolfs Selbstversuch, wie Eigier meint, »at least at part in

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terms of Judith Butler’s questening of the distinction between biologically given sex and sociologically shaped gender« gelesen werden könne, »com­ pelling«.304 (2000,408) Doch sei die Kurzgeschichte »more ambivalent in its critique of the sex/gender system«, (ebd.) als Herrmanns »strictly construc­ tionist reading of the story« nahelegt. (2000,413) Denn Selbstversuch ent­ halte »numerous examples [...] of traditional dualistic thinking«. (2000,408) Dennoch ist auch Eigier der Auffassung, dass »the story suggests that not only gender but also sex is socially constructed rather than naturally given«. (2000, 407) Jedoch führt sie dafür einen ganz anderen Grund an, der nun tatsächlich nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen ist: Das Expe­ riment selbst basiere auf der Vorstellung, dass das biologische Geschlecht mithilfe technischer Mittel bestimmt werden könne, mithin nicht natürlich sei.305 Das ist zweifellos zutreffend. Doch davon unbenommen transportiert die Kurzgeschichte ein ums andere Mal die Annahme, dass die in ihr binär gegenübergestellten >Geschlechtscharaktere< biologisch bedingt sind. Auch Sara Lennox erkennt in Selbstversuch zumindest eine starke Tendenz zum Biologismus, wenn sie schreibt, [w]as [...] Feministinnen an Wolfs Werk problematisch erscheinen könnte, ist ihr Postulieren einer grundlegend vom männlichen Bewusstsein verschiedenen Form des weiblichen Be­ wusstseins. [...] Daß Wolf es unterlässt, gesellschaftliche Ursachen für solche Unterschiede anzugeben, um vielmehr durch die Metapher der Geschlechtsänderung auf wenigstens teilweise biologische Ursachen für unterschiedliche Geschlechterrollen hinzuweisen, läßt vermuten, daß sie einer Auffassung zuneigt, derzufolge [sic] sich kein Angehöriger des einen Geschlechts Qualitäten des anderen aneignen könne. [...] Und Feministinnen wird wohl eine leichtfertige Gleichsetzung der Frau mit Emotionalität und des Mannes mit Rationalität besonders beunruhigen. (1979,221)

Giesela A. Bahr kritisiert, dass die Verwandlung der Protagonistin in einen Mann »eine glänzende Gelegenheit geboten [hätte], die Rollenklischees in Frage zu stellen, was jedoch nicht geschieht.« (1979, 225) Maria Kublitz konzediert Wolfs Selbstversuch sogar »ein Lehrbeispiel für ein Denken in Geschlechtspolaritäten« zu sein, (1987,27) und Claus von Bormann moniert zu Recht deren »an Klischees kaum noch zu überbietende Welt von Gegen­ sätzlichkeiten zwischen Mann und Frau.« (1987,46) Eine hierzu gegenteilige Auffassung wird von Marlies Gerhardt vertreten, die wenig überzeugend meint, Wolfs Selbstversuch sei »[v]on den Polarisie­ rungen« weit »entfernt« und betreibe stattdessen die »Entmystifizierung der Geschlechterrollen«. (1982,143) Friederike Eigier zieht aus ihrem Hinweis auf den technischen Eingriff des Experimentes in die Biologie des Menschen nicht den Schluss, dass die

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Kurzgeschichte damit als konstruktivistisch zu interpretieren sei, sondern beharrt, dass sie die Essentialismus/Konstruktivismus-Frage offen lasse: The entire experiment leaves the essentialism/constructivism question in suspense: On one hand, the medically induced sexchange suggests that sex can be »made«. On the other hand, the elabore tests that are designed to prove that sex change was successful indicate that gender characteristics are presumed to be stable and quantifiable, i. e., essential to the particular gender/sex. (2000,413)

Nachdem damit in aller Kürze die prägnantesten Lesarten und Interpreta­ tionen zu der Frage vorgestellt wurden, ob Geschlecht (Sex und Gender) in Wolfs Selbstversuch als biologisch gegeben oder sozial konstruiert gedacht wird, seien nun einige eigene Überlegungen angestellt. Die Biologie bestimmt in der Geschichte zwar die (psychischen) Eigen­ schaften der Menschen. Doch diese Biologie selbst ist mit Hilfe wissen­ schaftlicher Errungenschaften manipulier- und bestimmbar. So scheint die These der Konstruktion in der Frage des Primats von Biologie oder Kultur das letzte Wort zu haben.306 Die Erzählung beantwortet die Frage nach der geschlechtlichen Prädominanz von Kultur oder Biologie auf zwei verschie­ denen Ebenen und zwar jeweils unterschiedlich. Einmal ist das (biologi­ sche) Geschlecht mithilfe wissenschaftlicher Errungenschaften zu beein­ flussen, ja (entsprechend des in der Geschichte offensichtlich vertretenen Zwei-Geschlechter-Modells) umzukehren. Hier also dominiert die Kultur die Biologie. Das Individuum jedoch ist in seiner Charakteristik durch seinen biologischen Geschlechtskörper bestimmt. Wägt man jedoch die durch das Experiment schlechthin bezeugte technische Bestimmung des Geschlechts gegen die immer wieder als biologistisch begründeten geschlechtsspezifi­ schen Eigenschaften der Figuren und die auf eben dieser Annahme basierende Konstruktion der Psyche von Anders ab, so ist der Schluss zwingend, dass deren biologistische Botschaft, den geschlechtskonstruierenden Charakter des Experiments nicht etwa nur überschattet, sondern negiert. Obgleich sich die (weibliche) Psyche nicht so einfach vermännlichen lässt wie der Körper, zieht die Protagonistin doch die Notbremse und bricht das Experiment ab, bevor ihr Geist dem Körper folgt und ebenfalls vollständig vermännlicht. Mit anderen Worten: Es lässt sich zwar mittels eines Präparats das Geschlecht bestimmen, das ein Mensch haben soll. Es ist aber das Ge­ schlecht, das sein Wesen bestimmt. Eine Frau ist nun mal so, wie Frauen sind; ein Mann, wie Männer eben sind. Dabei entsprechen die Geschlechtscharak­ tere in der Geschichte den abgedroschensten Klischees.307 Und zwar ganz gleichgültig dagegen, ob es sein oder ihr natürliches Geschlecht ist oder ob es

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künstlich erzeugt wurde. Dass dieser Prozess der Geschlechtsumwandlung der Protagonistin in einem Spannungsverhältnis zwischen - noch - weiblichem Geist und - schon - männlichem Körper abläuft, tut diesem Befund keinen Abbruch. Denn beide sind eindeutig als geschlechtlich markiert. Dass das Geschlecht in der Kurzgeschichte Körper und Geist eines Men­ schen bestimmt, wird auch durch die Gründe bezeugt, welche die Protago­ nistin zum Abbruch des Experimentes veranlassen. Es handelt sich nämlich mitnichten um diejenigen, die Eigier unterstellt, wenn sie konstatiert, dass »[t]he experiment ends at the very moment, when the erotic complications of the sex change come into play.« (Eigier 2000,408) Besser trifft den Sach­ verhalt schon Anna Fattoris Interpretation, der zufolge der Umstand, dass die Protagonistin auch in ihrem »Mannsein« noch über »das Bewußtsein seiner als Frau« verfügt, was ihm »Vergleiche und Überlegungen [ermöglicht], die zum vorzeitigen Abbruch des Experiments führen«. (1988,5) Noch etwas genauer fasst Barbara Holland-Cunz die Gründe der IchErzählerin, wenn sie schreibt, diese habe sich entschlossen das Experiment abzubrechen, nachdem sie erkannte, daß mit dem Vollzug der biologischen Umwandlung ihre Gefühle allmählich von einer allgemeinen Gleichgültigkeit abgelöst werden. (1985, 14)

Dieser Interpretation schließe ich mich an. Der letzte Auslöser für die Ent­ scheidung der Protagonistin ist, dass sie sich als Mann »[w]ie im Kino« fühlt, und dem Professor, nachdem sie ihm dies bekannte, die überraschte Frage herausrutscht »Sie auch?« (S, 322) Sara Lennox sieht dies ebenfalls, hebt aber weniger auf die veränderte Gefühls-, als vielmehr auf die andere Erfahrungs- oder besser Wahmehmungswelt ab, wenn sie konstatiert, daß die neue Geschlechterrolle die Aufnahme von Wahmehmungsformen erfordert, die die Erfahrungen ausschließen, die sie als die wichtigsten betrachtet. Als Frau hat sie die Welt als Ganzes begriffen, als untrennbare Einheit von objektivem Ereignis und ihrer eigenen subjektiven Erwiderung darauf. Für sie als Mann ist die Welt verdinglicht, objektiviert, »Anders« - wie ihr neuer Männemame lautet. Als ihr männlicher Vorgesetzter zugibt, daß auch er die Welt auf die gleiche objektivierende Weise wahmimmt, [...] verlangt die Heldin ihre Rückverwandlung in eine Frau, denn sie sieht ein, daß solche Männer zur Liebe unfähig sind. (1979,218)

In der vorliegenden Untersuchung jedoch wird die Auffassung vertreten, dass die emotionale Deprivation gegenüber Sein und Dasein den Ausschlag gibt. Als Mann fühlt man sich der Geschichte gemäß nicht in der Realität, an der ein Mensch gefühlvoll teilnimmt, sondern von dieser entfremdet wie in einer (Film-)Vorführung, die man sich teilnahmslos anschaut. Es ist dies das

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dunkle »Geheimnis« der Männer, ein »Gebrechen, das man sonst sorgfältig versteckt«.308 (S, 322) So räsoniert die Protagonistin, [ojhne es zu wissen oder zu wollen, bin ich doch Spion gewesen im Hinterland des Geg­ ners [320] und habe erfahren, was euer Geheimnis bleiben muß, damit eure bequemen Vollmachten nicht angetastet würden: Daß die Unternehmungen, in die ihr euch verliert, euer Glück nicht sein können, und daß wir ein Recht auf Widerspruch haben, wenn ihr uns hineinzieht. (S, 319f.)

Ihre Überlegung lässt sich als Einspruch gegen die Vorstellung lesen, Eman­ zipation respektive Gleichberechtigung bestünde in der Angleichung der Frauen an Männer. Genau darauf aber läuft der »Selbstversuch« hinaus. Und nicht von Ungefähr bricht die Protagonistin ihn ab. Giesela A. Bahr sieht den von der Erzählung unterstellten entscheidenden Mangel männlicher Existenz in deren Unfähigkeit ein gestimmtes Gefühl zu empfinden, in der fehlenden Liebesfähigkeit. Mit der Verwandlung war auch aus der in ihren Professor verliebten Frau »ein gefühlloser Mann geworden. Es paßt zu der Auffassung, daß des Professors sogenanntes Geheimnis ebenfalls Mangel an Liebesfähigkeit ist.« (1979,225) Auch Hans Kaufmann erkennt in der Wendung »wie im Kino« den Mo­ ment, der die für ihren Abbruch des Versuchs entscheidende Erfahrung auf den Punkt bringt. Allerdings missinterpretiert er die Stelle gründlich, wenn er meint, die Protagonistin bringe damit zum Ausdruck, dass sie sich fühlt, als nehme sie an einem »Rollenspiel« teil. (1974, 121) Wäre dem so, hätte sie wohl kaum gesagt »wie im Kino«. Denn dort ist man eine am Geschehen nicht teilnehmende, sondern diesem bloß zuschauende Person. Fühlte sich die Protagonistin als Akteurin eines Rollenspiels, so hätte sie wohl eher »wie im Film« oder »wie auf der Bühne« gesagt. Kaufmanns nähere Erläuterung seiner Interpretation als Rollenspiel kommt der hier vertretenen dann jedoch wieder sehr nahe, wenn er darlegt, der Professor, den er gerne den »Chef« der Protagonistin nennt, habe »seine praktische Überlegenheit mit Liebesunfahigkeit, mit Unmenschlichkeit erkauft«, so wie dies alle Männer allen Frauen gegenüber getan haben. (1974, 121) »Die Frau, die den Versuch abbricht, sich ihm auf seinem Felde gleichzustellen, gewinnt die Chance, in einer ihr gemäßen menschlichen Weise neu zu beginnen.« (ebd.) Christa Wolf selbst erklärte in einem Interview mit Hans Kaufmann, sie habe mit Selbstversuch die Frage aufwerfen wollen, ob es »das Ziel der Emanzipation« und »überhaupt erstrebenswert« sein könne, »daß die Frauen >werden wie die MännerGleichberechtigung< qua Anpassung. Während die Protagonistin eben dies im Selbstversuch bis auf die darin bestehende Spitze treibt, selbst zum Mann werden zu wollen, vereinigt die junge und somit zukunftsweisende Anna sowohl männlich konnotierte Eigenschaften wie Zorn und Überle­ genheit (vgl. S, 32lf.) mit solchen, die als weiblich gelten (»kratzbürstig und schnippisch« (S, 322)) und schon terminologisch dementsprechend mit Bezeichnungen belegt werden, die sie als nicht ganz emstzunehmend - weib­ lich eben - charakterisieren. Doch sind sie in Bezug auf Anna ebenso positiv konnotiert wie die ihr zugeschriebenen >männlichenweiblicher< und >männlicher< Eigenschaften ist der Weg in die Zukunft. So zumindest könnte eine wohl wollende Interpretation der Figur lauten. Somit könnte sie den die Geschichte dominierenden Geschlechterdualismus transzendieren. Allerdings erklärte Wolf selbst in dem Interview mit Kaufmann zwar, »daß nicht der Mann das Modell für den Menschen ist, sondern Mann und Frau.« (Wolf/Kaufmann 1974, 109) Damit meint sie jedoch nicht etwa Personen, die als männlich und als weiblich geltende Charakteristika in sich vereinen, sondern visiert eine differenzfeministische Komplementarität der Geschlech­ ter mit einem leicht gleichheitsfeministischen Touch an.

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5.2 Geschlechterkämpfe - BRD und Österreich Porträt eines Mannes als junger Autorin Wenn Ulrike Gottwald in ihrer 1990 erschienenen Untersuchung über Science Fiction (SF) als Literatur in der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre (1990) konstatiert, dass »SF schreibende Frauen [...]- anders als in den USA - in der BRD eine verschwindende Minderheit dar[stellen]«, ( 1990,171) so traf das bis zu diesem Zeitpunkt zweifellos zu. Unzutreffend ist jedoch, wenn sie fortfährt, »zu erwähnen« seien »allenfalls Iny Klocke310 mit einigen Kurzgeschichten in Anthologien und Karin Liepelt311 mit einem Roman.« (ebd.) Tatsächlich gab es neben diesen beiden vor allem in den 1980er-Jahren sehr wohl noch einige weitere bundesdeutsche SF-Autorinnen. Wie bereits erwähnt, gestaltet sich die Quellenlage in der BRD (und Österreich) für den Zeitraum der Zweiten Frauenbewegung daher weit komfortabler als in der DDR, in der von einer Frauenbewegung kaum die Rede sein konnte. In West­ deutschland erschienen neben diversen selbstständigen Publikation von SFRoman aus von Frauen geführten Federn312 diverse Kurzgeschichten313 sowie etliche Romanhefte in den während der 1970er-Jahre zunehmend populärer werdenden SF-Heftreihen314 wie Terra Astra (1971-1986) oder den Serien Perry Rhodan (seit 1961) und dessen Ableger Atlan (1969-1988). Hefte der Perry Rhodan-Serie und ihres Spin Off kommen hier allerdings nicht in Betracht, da deren Autorinnen an die Vorgaben eines von anderen verfassten Exposés gebunden waren. Hingegen wurden zwei von Marianne Sydow (*1944) geschriebene Hefte aus der Terra Astra Reihe näher in Augenschein genommen. Hinzu treten jeweils eine Kurzgeschichte von Rosemarie Voges (*??), den österreichischen Schriftstellerinnen Barbara Neuwirth (*1958) und Marianne Gruber (*1944) sowie je ein Roman von Margret Käsbauer (*??), Evelyne Brandenburg (* 1943) und Barbara Meck (* 1945). Ursprünglich war beabsichtigt, darüber hinaus die unter dem Namen Iris Kruse in der Terra Asira-Reihe erschienenen Hefte Jupiter, Io und ein Asteroidenjunge (1981) und Asteroidengeschichten (1983) sowie Marockh Lautenschlags Roman Sweet America315 (19&3a) in die Untersuchung einzubeziehen. Doch ergab die biographische Recherche, dass es sich bei den vermeintlichen Autorin­ nennamen um zwei Pseudonyme handelt, hinter denen sich die männlichen Autoren Horst-Günter Ruhban (*1949) und Christian Lautenschlag (*1959) verbargen.316 (vgl. Eymer 1997, 201 und 294) Warum Ruhban die beiden SF-Hefte unter einem weibliches Pseudonym veröffentlichte, ist unbekannt.

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Lautenschlag aber gab sich laut Auskunft des Lexikons der Science Fiction Literatur als Frau aus, »um leichter seine ersten Werke veröffentlichen zu können«. (Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke 1988, 648) Diese Erklärung mag zumal im Bereich des >Männergenres< Science Fiction - abwegig anmuten. Plausibler scheint sie allerdings zu werden, wenn man weiß, dass seine ersten Bücher in den feministischen Verlagen Cronberger und Medea Frauenver­ lag erschienen. Neben Sweet America waren dies etwa der Erzählband Der Wald (1980) und der Fantasy-Roman Araquin (1981a). Außerdem publizierte er laut dem Klappentext von Sweet America diverse »Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien und Zeitschriften der Frauenbewegung«. Das neben dem Text abgebildete Autoren-Photo scheint zwar eine junge Frau zu zeigen, weiß man jedoch um das Geschlecht des Autors, kann es ebenso gut einen Mann abbilden, der als Frau auftritt. Dass dort außerdem von Lauten­ schlag als »Schriftstellerin« die Rede ist, mag der Irreführung gedient haben. Der Verlag jedenfalls wird um dass Geschlecht des Autors gewusst haben. War Lautenschlag doch selbst einer der Verlegerinnen.317 Dies relativiert die Plausibilität der im Lexikons der Science Fiction Literatur ventilierten Annahme für den Grund von Lautenschlags Wahl eines weiblichen Pseu­ donyms. Ulrike Gottwald zufolge gab Lautenschlag jedenfalls »1985 seine wirkliche Geschlechtszugehörigkeit bekannt[...]«. (1990,168) Im gleichen Jahr veröffentlichte Jörg Weigand im Börsenblatt des deutschen Buchhandels unter dem Titel Ein SF-Mann aus Köpenick ein Porträt Lautenschlags, in dem er dessen Geschlechtszugehörigkeit beiläufig thematisiert, (vgl. 1985,1935) Sigrid Weigel ging im gleichen Jahr noch davon aus, dass es sich bei Lau­ tenschlag um eine Autorin handelt,318 (vgl. 1985, 142) doch beschlich sie bei der Lektüre von dessen Matriarchats- und Amazonenphantasie Araquin ein wohlbegründetes »Unbehagen«: »Dieser Roman, der die Utopie nicht­ patriarchalischer Verhältnisse zum Thema hat, befreit sich nicht aus den Bewegungsgesetzen der männlichen Ordnung«, moniert die feministische Literaturwissenschaftlerin, »sondern verlängert im Gegenteil das phallische Prinzip - nämlich die Repräsentation von Macht und Energie«. Denn »[djie Heldinnen dieses Romans unterscheiden sich auch nur durch eine äußere Geschlechtsverwandlung von den Helden männlicher Abenteuerromane.« (1985,144) Weniger als über die Biographie Lautenschlags konnte über die zweier der zu berücksichtigenden Autorinnen ausfindig gemacht werden. So waren von Margret Käsbauer (*??) selbst die Lebensdaten nicht zu eruieren. Dem Klappentextes ihres Buches Der Ruf der Götter3'9 (1984) zufolge hatte sie

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bis dahin nicht näher benannte SF-Erzählungen publiziert. Ein knappes Jahr­ zehnt nach ihrem ersten Buch veröffentlichte sie unter dem ihr Geschlecht verschleiernden Namen M. G. Käsbauer einen zweiten SF-Roman. Er trägt den Titel Die goldene Spinne ( 1993). Die zweite Autorin ist Rosemarie Voges, die laut Dieter Hasseiblatt zur Zeit der Veröffentlichung ihrer hier zu beleuch­ tenden Kurzgeschichte Olympia Männertrost 320 (1979a) eine »junge[.) in Frankfurt ansässige[.) Schriftstellerin« war (Hasseiblatt in: Suvin/Barmeier/ ders. 1983, 121) und vermutlich mit der Frau gleichen Namens identisch ist, die in Frankfurt 1977 mit der Arbeit Das Ästhetische und die Erziehung (1979b) promoviert wurde. Kaum mehr ließ sich über Barbara Meck ausfindig machen. Sie wurde zwar in Mecklenburg geboren, wuchs jedoch in Erlangen auf und studierte dort sowie in München, Würzburg und Wien Philosophie, Kunstgeschichte und Politologie.321 Zur Zeit ihres hier untersuchten Romans Das Gitter ( 1980) lebte sie in Westberlin. Bereits Anfang der 1970er-Jahre hatte sie mit dem Roman Resignationen (1972) ihren Erstling publiziert. Obwohl einer der Prot­ agonisten seinen Freunden ein von ihm erdachtes »Weltstaatsystem« darlegt, (vgl. 1972,137-148) das »politischer, gesellschaftlicher und geistiger Art ist«, (1972,137) kann man den Roman allerdings nicht der Science Fiction, ja nicht einmal den Utopien zurechnen. Dabei sind die Geschlechterkonstruktionen sowohl des Romans wie auch des »Weltstaatssystems, das etwa drei Arten Ehen kennt »Mann und Frau, Mann und Mann, Frau und Frau«, (1972,146) durchaus nicht uninteressant. Ohne größere Mühen lassen sich hingegen umfangreiche Informationen über Marianne Gruber und Barbara Neuwirth auffinden. Hier in aller Kürze die wichtigsten: Die gebürtige Wienerin Marianne Gruber studierte Kla­ vier, Medizin und Psychologie, wurde mit verschiedenen Literaturpreisen bedacht sowie einem Prof. h.c. und publizierte während der 1980er-Jahre insbesondere im Wiener Frauenverlag.322 Neben zahlreichen anderen Veröf­ fentlichungen erschien von ihr 1995 der Erzählband Die Spinne und andere dunkelschwarze Geschichten sowie 2004 der Roman Ins Schloß. Auch die Niederöstereicherin Barbara Neuwirth wurde mit zahlreichen Preisen ausge­ zeichnet, musste bislang jedoch noch auf einen Prof. H.c. verzichten.323 Sie studierte zwar Ethnologie, arbeitete jedoch zumindest in den 1990er-Jahren als Diplomdokumentarin und Lektorin.324 Zu ihrem reichen Œuvre zählen nicht nur Publikationen aus dem Bereich der Science Fiction. So veröffent­ lichte sie unter anderem den Erzählband Dunkler Fluß des Lebens (1988) sowie als Herausgeberin Vampirgeschichten von Frauen mit dem Titel Blaß

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sei mein Gesicht (1990). Anno 1998 veröffentlichte sie die Novelle Empedokles'Turm, zehn Jahre später die Erzählungen Das steinerne Schiff (2008). Die in Berlin geborene Heftoman-Autorin Marianne Sydow schrieb nicht nur für Terra Astra, sondern vor allem für die SF-Serien Perry Rhodan und Atlan. Für Letztere hatte sie sogar einige Zeit die Expose-Redaktion inne. Zuvor hatte sie außerdem unter anderem als tierärztliche Assistentin und Telephonistin gearbeitet.325 Dem Lexikon der Science Fiction Literatur zu­ folge war Sydow zum Zeitpunkt seines Erscheinens »der einzige weibliche Vollprofi unter den SF-Autoren im gesamten deutschsprachigen Raum.« (Alpers/Fuchs/Hahn/Jeschke 1988,953) Bei dem Namen Evelyne Brandenburg handelt es sich um ein Pseudonym von Evelyne Krause. Neben ihrem eindeutig feministisch inspirierten utopi­ schen Roman Anna Maria oder die Zärtlichkeit der Skorpione326 (Branden­ burg 1982) ist sie teils unter Pseudonym, teils unter ihrem eigentlichen Namen mit einigen Kinder- und Mädchenbücher wie etwa Herr Gustaf schafft die Kindheit ab (Krause 1975), Biggi und Lisa (Brandenburg 1990) sowie mit dem Erzählband Die Kieferer Kapellenwanderung (Brandenburg 2005) an die Öffentlichkeit getreten.

Verbrecherische Männer, emotionale Androidinnen, geschlechtsneutrale Verrückte und eine feministische Utopie Die Handlungen der in diesem Abschnitt zu untersuchenden Texte lassen sich - mit einer Ausnahme - in wenigen Zeilen zusammenfassen. Begonnen sei mit Barbara Mecks 1980 erschienenem Roman Das Gitter.321 Ein reichlich verklemmter Gentechniker namens Hans Müller, der von seiner Braut wegen eines »junge[n] kräftige[n] Mann[esJ« verlassen wurde, (G, 33) nachdem er sich jahrelang nicht getraut hat, endlich die Heirat mit seiner langjährigen Verlobten zu betreiben, (vgl. G, 28 und 31) findet seine sexuelle Befriedigung mithilfe einer umfangreichen Pomosammlung (vgl. G, 31) und einem allwöchentlichen Besuch bei immer der gleichen Hure. (vgl. G, 37) Dieser Mann möchte als derjenige in die Wissenschaftsgeschichte eingehen, dem es als erstem gelang, Menschen mit Tieren zu kreuzen. »Zum Beispiel ’n hübsches Mädchen und ’nen feurigen Hengst«, (G, 15) wie ihm ein früherer Schulkamerad vorschlägt. Als Gebärmaschinen will sich der Professor für Humangenetik seiner beiden Assistentinnen bedienen. Zwei willige Helfer findet er in dem Zuhälter der Hure und in einem Abtreibungsarzt. Nachdem

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Müller Eier der Frauen mit dem Samen eines Hengstes beziehungsweise eines Jaguars befruchtet hat, pflanzt der Abtreibungsarzt sie ihnen wieder ein. (vgl. G, 52) Als eine der beiden bei einem Abortus stirbt, (vgl. G, 79) will Müller sie durch eine andere ersetzen, (vgl. G, 98f.) Schließlich aber misslingen alle Versuche einen Mensch/Tier-Hybriden zu schaffen und der Mann wird in die geschlossene »Nervenklink Bonn« eingeliefert, (G, 119) in der er nach Jahren noch immer einsitzt, (vgl. G, 119f.) Anders als Mecks in Deutschland handelnder Reproduktionshorror scheint Margret Käsbauers vier Jahre später veröffentlichter Roman Der Ruf der Götter auf einem fernen Planeten zu spielen. Er wird von seinen Bewohnerin­ nen Eden genannt. Wie sich für die Lesenden jedoch herausstellt, handelt es sich tatsächlich um die Erde der fernen Zukunft, der die Menschen zwischen der Gegenwart der Lesenden und der Handlungszeit alle nur erdenklichen Katastrophen zugefügt haben. Von Zeit zu Zeit hört einer der in dieser fernen Zukunft von Viehzucht und Jagd lebenden Menschen (vgl. R, 9) den titel­ stiftenden Ruf der Götter und wandert in ein Gebiet, mit dem Namen Hades. Niemand ist je von dort zurückgekehrt. Die vermeintlichen Götter erweisen sich als Menschen, die noch um die Vergangenheit ihrer Spezies wissen und nun ihr Leben unter der eigentlich noch immer unbewohnbaren Oberfläche fristen. Der >Ruf der Götten, dem sich keiner widersetzen kann, ereilt die Oberflächenbewohnerinnen, wenn sich die ersten durch die verseuchte Welt verursachten Symptome stets tödlicher Erkrankungen bemerkbar machen. Die Versuche der für Götter gehaltenen Unterweltbewohner, sie zu heilen, bleiben erfolglos. Die Handlung beginnt damit, dass ein junger Mann namens Orka den Ruf hört und sich auf die Reise ohne Rückkehr begibt. Seine Ge­ schwister, die Heranwachsende Igne und der fast gleichaltrige Skor, folgen ihm heimlich und lüften das Geheimnis des Rufes. Igne allerdings wird den Schluss des Romans nicht erleben. In Marianne Grubers 50 Seiten umfassendem Text Fangt das Tier (1895) erreicht die Ich-Erzählerin zusammen mit drei Männern einen fremden Pla­ neten, bei dem es sich um die bislang vergeblich gesuchte und fast schon sagenumwobene Erde handeln soll. »[SJtrafversetzt« zu dieser angeblichen »Raumpatrouille« (1985,114), sollen die vier Gesetzesbrecherinnen dort in Wirklichkeit umkommen, denn bei dem Unternehmen handelt es sich um eine verkappte Todesstrafe. Tatsächlich werden sie auf dem Ankunftsplaneten von echsenartigen Monstern, Flugsauriern und Pflanzen angegriffen, kommen jedoch mit dem Leben davon. Die Titelheldin von Barbara Neuwirths gerade mal vier Seiten langer dys­

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topischer Kurzgeschichte Columbina32* (1985) lebt im obersten Stockwerk eines abbruchreifen Hauses inmitten einer heruntergekommen Stadt, von der man annehmen darf, dass sie in einem ebensolchen Land liegt. Ihre Wohnung ist nur noch über »wackeligef.], halb zerstörtet.] Treppen« zu erreichen. (C, 207) Die Protagonistin fühlt sich in ihrem Refugium sicher, weil sie die einzige ist, die sich traut, das Wagnis des Aufstiegs auf sich zu nehmen. Doch eines Tages folgt ihr ein Mann, der sich in der Wohnung an ihr vergeht. Nachdem er eingeschlafen ist, verlässt sie ihr Heim, während hinter ihr die Treppe zusammenbricht. Der Mann bleibt in luftiger Höhe gefangen und ist dem mutmaßlichen Hungertod ausgeliefert. In Marianne Sydows Heftroman Irrwege im Weltraum329 (1975) wettet der verheiratete Ich-Erzähler an einem feuchtfröhlichen Abend in einer Spelunke, dass es ihm innerhalb einiger Monate gelingen werde, einen erfolgreichen Weltraumfilm zu drehen. Andernfalls werde er sich scheiden lassen. Dem humoristisch erzählten Unternehmen widerfahren so manche Widrigkeiten, sodass der Protagonist seine Wette verliert. Seine Wettschuld zu begleichen, kommt ihm aber nicht in den Sinn, denn er liebt seine Frau. Sydows zweiter Heftroman Planet der Verrückten330 (1977) ist bereits auf dem Titelblatt als »SF-Humoreske« ausgewiesen. Raumfahrerinnen diverser galaktischer Spezies, unter ihnen auch Menschen, begegnen auf einem neu­ entdeckten Planeten bis dato unbekannten, sehr verspielten Intelligenzwesen, die nicht nur von amorpher Gestalt sind, sondern geschlechtsneutral. Ihre Fortpflanzung erfolgt asexuell. Die Menschen, die bei den bekannten Spezies des Weltalls als etwas barbarisch gelten, nehmen das gelassen auf. Die ver­ schiedenen und teils sehr exotischen Xenospezies angehörenden Mitglieder des »Bundfes] zum Schutz planetarischer Intelligenzen« (P, 5) reagieren hingegen entsetzt und erweisen sich damit als intolerant. Zunächst zeigen die Einheimischen des Planeten den Menschen, wie ihre Fortpflanzung vonstatten geht: Sie legen Eier, aus denen Larven schlüpfen, (vgl. P, 19) Später mani­ pulieren die »Eingeborenen« (P, 9 u.ö.) durch ihren Gesang die Menschen zur Paarbildung und zu sexuellen Handlungen untereinander, (vgl. P, 58f.) Wie sich herausstellt, sind sie aber gar nicht an der (menschlichen) Sexualität selbst interessiert, sondern an den mit ihr verbundenen Gefühlen, die ihnen vollkommen fremd sind. Dieser Heftroman ist damit einer der interessantesten Texte der vorlie­ genden Untersuchung. Denn er ist nicht nur überhaupt einer der wenigen deutschsprachigen SF-Werke, die nicht nur ein männliches und ein weibliches Geschlecht kennen, sondern möglicherweise der erste, womit die deutsch-

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sprachige Science Fiction im internationalen Vergleich zumindest auf diesem Gebiet hoffnungslos hinterherhinkt. Denn im angloamerikanischen Sprach­ raum experimentierte die Science Fiction spätestens seit Naomi Mitchisons Memoirs ofa Spacewoman mit gender und sex, und Ursula K. LeGuins The Left Hand ofDarkness gilt zurecht noch heute als der Klassiker geschlechterexperimenteller Science Fiction. Seit 1991 wird in den USA alljährlich der nach dem Pseudonym von Alice Sheldon benannte Tiptree Award für innovative Konstruktionen von Geschlechter(rollen) in der Science Fiction verliehen.331 Rosemarie Voges auch zu einem Hörspiel332 (1983) verarbeitete Kurz­ geschichte Olympia Männertrost handelt in der Mitte der 1990er-Jahre, also gut 15 Jahre nach dem Erscheinen des Textes, und »thematisier^] die Gleichberechtigung«, (1999,78) wie Mathias Knappe in einem dem Gesamt­ verzeichnis der Hörspielproduktion des Bayrischen Rundfunks 1949-1999 vorangestellten Text zwar nicht ganz falsch, aber auch nicht sehr tiefgründig mitteilt. In den 1980er-Jahren, so der Ausgangspunkt der Erzählung, sind die Frauen »massenhaft weggegangen«. (0,91) Warum und wohin, wird nicht gesagt. Jedenfalls gibt es, wenn überhaupt, nur noch sehr wenige Frauen. Im Tonband-Bericht der titelstiftenden Ich-Erzählerin kommen zumindest nur Männer vor und »Automaten« in Frauengestalt, von denen es drei Modelle gibt: die »Barbarella-Serie«, die »Wify-Serie« und die »Romantik-Serie«, der Olympia angehört. (0,91) Einige der Androidinnen entwickeln sowohl emotionale wie auch kognitive Fähigkeiten. Insbesondere wegen letzterer wird eine Rückrufaktion gestartet, um sie umzuprogrammieren. Auch die Ich-Erzählerin soll abgeholt werden, wird jedoch von ihrem Besitzer und Ehemann Manfred im Garten versteckt. Dort wartet sie verängstigt auf sei­ ne Rückkehr, denn sie muss baldigst gewartet werden, (vgl. O, 95) Da er ausbleibt, geht sie »langsam kaputt«, wobei zuerst das »Sprachzentrum« be­ troffen ist. (ebd.) So endet die Kurzgeschichte mit zunehmend gestammelten Wortwiederholungen ,333 Evelyne Brandenburgs Buch Anna Maria oder die Zärtlichkeit der Skor­ pione bildet innerhalb des Untersuchungskorpus insofern eine Ausnahme, als es sich bei ihm weniger um einen originären SF-Roman als vielmehr um eine feministische Utopie handelt. Ganz gemäß dem Aufbau einer klassischen Utopie stellt der Roman zwei Welten einander gegenüber. Da ist einmal das patriarchalisch organisierte und von Männern beherrschte Herkunftsland der Protagonistin Anna Maria. Ihm wird eine utopische Gesellschaft gegenüber gestellt, in der Frauen einen Staat geschaffen haben, der offenbar dem femi-

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nistischen Ideal der Autorin entspricht. Als klassische Utopie unterscheidet sie sich nicht nur vom buchintemen Männerstaat, sondern auch von den prekären utopischen Entwürfen US-amerikanischer Autorinnen der Zweiten Frauenbewegung, wie sie etwa mit Piercys Frau am Abgrund der Zeit (2000) vorliegen. SF-Elemente, die seine Aufnahme in den Untersuchungskorpus rechtfer­ tigen, lassen sich in Brandenburgs Roman kaum ausmachen.334 Technische Neuerungen und Erfindungen spielen ebensowenig eine Rolle wie etwaige Außerirdische. Doch immerhin wird beiläufig ein »atomarverseuchtefs] Nie­ mandsland« erwähnt, (AM, 76) hinter dem ein feministisches »Paradies« liegt, in dem die Frauen sich »ihrer Weiblichkeit voll bewusst und sehr stolz darauf« sind. (AM, 79) Ein dort lebendes Mädchen namens Clara scheint eine besonders befähigte Mutantin zu sein. Eine der Frauen aus ihrem Dorf erklärt: »Manchmal denke ich, es gibt eine Kommunikation zwischen ihr und der Umwelt. Sie hat einen zusätzlichen Sinn, den ich nicht begreife. Sie ist wie ein Mensch mit einer tiefen, ursprünglichen Verbindung zu der Natur und dem Dasein«.335 (AM, 85) Die entindividualisierten Charaktere des Romans bleiben ohne Tiefgang. Anna Maria, die aus >guter Familie< stammt, wohnt in einer komfortablen Villa bei ihrem Mann, einem hochstehenden Politiker. Dort lebt sie abge­ schirmt vom Slum der Stadt und dem Rotlicht-Viertel mit seinen gewalt­ tätigen Männern. Als sie eines Abends nachhause kommen, rettet ihr Mann einen jungen Burschen namens Billie vor einem Überfall und lädt ihn in die Wohnung ein. Als dieser jedoch des Hauses verwiesen wird, besucht er Anna fortan heimlich. Bald ist er ihr Mentor auf dem Weg zur Emanzipati­ on, der Entdeckung ihres Körpers und ihrer Sexualität, vor allem aber führt er sie in ein Land, das offenbar nach den (differenz-)feministischen Zielen der Autorin gestaltet ist und regiert wird. Da Billie im Patriarchat gefangen genommen wird, nimmt sich eine zweite Mentorin Anna Marias an. Am Ende des Buches stellt sich heraus, dass Billie, die in dem Gefängnis getö­ tet wurde, in Wirklichkeit eine Frau war. Immer wieder werden bestimmte Aspekte des Patriarchats, dessen »Lebensrealität [...] auf einer krankhaften Fehlentwicklung beruht[..j«, (AM, 92) mit den ihnen diametral entgegen­ gesetzten Verhältnissen im Frauenland kontrastiert, wobei Lautenschlag die feministische Utopie »gar zu rosig geraten« findet. (1983,229) Bestimmen Kriege, Mordtaten und Gewalt das Leben im Land der Männer, (vgl. AM, 46f.), so ist »[d]as höchste Gesetz« in der feministischen Gesell­ schaft »das der Lebendigkeit. Leben spenden, Leben lassen, Leben bewahren.

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Du wirst hier nirgends Kriegsgerät und Waffen oder so was entdecken,« (AM, 46) versichert Florine Anna. Dafür herrscht unter den Frauen »allge­ meine Heiterkeit«, »natürliche^] Frohsinn« und »Optimismus«. (AM, 83) Dem »Amüsierviertel« (AM, 32) der Männerstadt wird in der feminis­ tischen Welt ein »Freudenhaus für Frauen« gegenübergestellt, das »sich in allem von dem, was Anna weitläufig unter dem Begriff eines Bordells bekannt war«, unterscheidet. (AM, 61) Was hier [in den Bordellen der Männerstadt, RL] feilgeboten wurde, waren Frauenkörper, nackt und in den unsinnigsten Verrenkungen. Riesige Brüste und überdimensionale Hintern wurden perspektivisch hochgereckt. Die auf den Bildtafeln dargestellten Frauen spreizten [33] auf groteske Weise die Beine, kehrten ein Geschlecht hervor, das biologisch undenkbar war [...] während auf dem nächsten Bild wieder andere Frauen mit gestriemten Rücken kniend oder in Hundehaltung mit einem Ausdruck ungezügelter Gier in den vom Profil her gezeigten Gesichtern zu der Darstellung eines schwarzgekleideten Feudal-Lebemannes aufblickten, der ihnen offensichtlich das Objekt ihrer Begierde, sein Geschlechtsteil noch vorenthielt. (AM, 32f.)

Hingegen geht es im »Freuden-Haus« der Frauen (AM, 9) sanft-erotisierend und dabei (fast) ganz ohne Körperkontakt und Sexualität zu. Auch hinsichtlich der Religion unterscheiden sich die beiden Länder ent­ sprechend der literarisierten Geschlechtscharaktere diametral. Während die Männer im Patriarchat an Gott glauben, gilt den Frauen der per se »patriarcha­ lische« Gott, (AM, 202) dieses »widersprüchliche, großenWahnsinne, herrsch­ süchtige alte Monster« (AM, 203) als »die Wurzel allen Übels«: (AM, 202) Er ist nicht nur im Bunde mit den herrschsüchtigen, kriegerischen blutrünstigen Machthabern, er ist ihr Anführer, ihr Leitbild, ihr Alibi für all das Elend, das sie auf dieser Welt anrichten, (ebd.)

Wie sich am Beispiel der Religion zeigt, sind die biologistisch-essentialistischen Konstruktionen der Geschlechter mit den jeweiligen Gegebenheit in beiden Gesellschaften aufs engste verwoben. Genauer gesagt, die Biologie der Geschlechter begründet die Gesellschaften und ihre Eigenheiten. »Du hast den Körper einer Frau«, sagte sie. [Florine zu Anna Maria, RL] Nichts weiter. Gerade so, als ob das alles erklärte. (AM, 29)

Und genau das tut es nach der biologistischen Sichtweise des Romans auch. Denn die feministische Gesellschaft in dem Roman huldigt einem exzessiven Biologismus, in dem Frauen qua Geschlecht die besseren Menschen sind. So heißt es zur Begründung der Glaubenslosigkeit im Feminismus lapidar: »Frauen brauchen keine Religion, nicht diesseitige und nicht jenseitige.« (AM, 97) Wie sehr die Biologie gerade das Leben in Brandenburgs feminis­

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tischer Utopie bestimmt, macht insbesondere das dortige Gesetzgebungs­ verfahren deutlich. So erklärt eine der Frauen namens Erika Anna, dass »bei uns Gesetze von schwangeren Frauen gemacht [werden].« (AM, 128) Denn Schwangere sind die einfallsreichsten Philosophinnen und die gerechtesten Denkerinnen, wenn es darum geht, die notwendigen Regelungen für die große Gemeinschaft zu finden. Das ist nur natürlich, denn jede möchte, daß das in ihr entstehende Leben etwas Gutes bewirkt und selbst Gutes erlebt. (AM, 128)

Dass in Annas Heimat Männer regieren, sei »traurig, denn ihr Denken und Handeln kommt aus einem leeren Bauch.« (AM, 129) Daher werden sie auch als »Hohlbäuche« verachtet. (AM, 147)

Tödliches Verlangen Bevor zu den Konstruktionen des männlichen und des weiblichen Geschlechts sowie dem Nichtgeschlecht der Harakos in Marianne Sydows Roman Planet der Verrückten übergegangen wird, sei zunächst auf zwei ansonsten nicht näher beleuchtete Kurzgeschichten hingewiesen, die Geschlechterklischees spielerisch ironisieren. Eine von ihnen, Kontaktaufnahme (1979b), hat Irm­ traud Kremp (*1934) verfasst, die andere stammt von Heidelore Kluge (*??) und trägt den Titel Kopfgeld (1978). Kluge scheint in ihrer kleinen, nur drei Seiten umfassenden Story die Geschlechtercharaktere zu bestätigen, kehrt sie aber auch auf amüsante Weise um. So wollen sich die beiden Protagonistinnen Marga und ihre Tochter Tina jeweils ein teures Kleidungsstück kaufen, das sie sich eigentlich nicht leisten können. Da die Versicherungen, um Geld zu sparen, Kopfgelder auf Rentnerinnen und Arbeitslose ausgesetzt haben, überfährt Marga trotz der moralischen Bedenken ihres Mannes einige alte Leute. Wenn auch ganz unterschiedlich, so doch >typisch weiblich< handeln und fühlen hier also sowohl die Frauen wie auch der Mann. Wollen sich Mutter und Tochter mit neuen Kleidungsstücken schmücken, so ist er es, der mit einer alten Frau das weiblich konnotierte Gefühl des Mitleids hat, und ihr mit seinem Wagen auf der Straße ausweicht. Zugleich morden die Frauen aber auch um des Geldes wegen. Ein Verbrechen, das jede Kriminalstatistik als männlich ausweist. Somit werden die Geschlechterklischees konterkariert. Ironisiert wird auch das Weiblichkeitsklischee sich aufopfernder Mutterschaft. Marga verzichtet darauf, sich den ersehnten Pelzmantel zu kaufen, und ersteht stattdessen das

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Abendkleid für ihre Tochter. Als die arbeitslose Frau jedoch mit dem Paket unter dem Arm das Geschäft verlässt, wird sie von Tina überfahren, die so zu dem Geld für das Kleid kommen will. Die Geschichte lässt sich nicht nur als Ironisierung der Geschlechterklischees überhaupt lesen, sondern vor allem des besonderen Klischees, dass eine Frau ihre Erfüllung im Mutter­ glück findet. Irmtraud Kremp spielt in ihrer ebenso humoristischen wie emanzipatori­ schen Geschichte über das Geschlechterverhältnis und den männlichen »Sexu­ altrieb mit dem Titel Kontaktaufnahme (1979b) gekonnt mit Geschlechterkli­ schees und setzt sie zur Verwirrung der Lesenden ein. Dies aber nicht etwa, indem sie wie Kluge Geschlechterklischees vertauscht, also etwa Männern typisch weiblich auftreten lässt und umgekehrt, sondern indem sie sie auf die Spitze treibt. So beginnt ihr kleiner Erzähltext mit folgendem Disput: »Sorge, wenn ich das schon höre!« sagte er unwillig. »Du machst dir was vor. Sei doch ehrlich, all dieses Gerede, wir hätten unseren Trieb nicht unter Kontrolle, kommt durch eure verdammte Überheblichkeit. Seit Ewigkeiten habt ihr Frauen euch um die Kinder gekümmert und um eure Männer - und jetzt wollt ihr auf einmal alle einen Job haben! Und nicht nur das, ihr wollt ausgerechnet den Job haben, der das Vorrecht des Mannes ist!« »Blödsinn!«, meinte sie kurz. »Richtig«, sagte er, »du redest wirklich Blödsinn, ein gebildetes Mädchen wie du! [...]« (1979b, 112)

Unwillkürlich sieht man bei dieser Szene ein sich streitendes Paar vor sich. Ein Menschenpaar genauer gesagt. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei den Protagonistinnen Cromko und Malla tatsächlich aber um Angehö­ rige der Spezies Ghanier, einer auf der Erde (zumindest der des Romans) in Korallenriffen lebenden intelligenten Art, die mit zahlreichen Tentakeln und mehr als nur zwei Augen ausgestattet ist. Die Ghanier, so die Story, haben einen im Meer badenden Mann gefangen, den sie aus weiden, um seine Haut als Schutzanzug tragen und so die Erdoberfläche betreten zu können. Der Protagonist Cromko steigt in den >Anzugwie Männer sind< und >wie Frauen sindGötter< und der vorapokalyptischen Vergangenheit der Menschheit einerseits und dem Alltag der Protagonis­ tinnen andererseits unterscheiden. Unter den >Göttem< in Hades scheint die Gleichberechtigung der Geschlechter verwirklicht zu sein. Zumindest lassen sich keine geschlechtsspezifischen Diskriminierungen ausmachen. So zählen etwa sowohl Männer wie auch Frauen zu dem angesehenen Berufsstand der Ärztinnen, (vgl. R, 60) Beide Geschlechter sind also gleichermaßen zu intellektuellen Leistungen befähigt und werden nicht daran gehindert, sie zu entwickeln und sie beruflich einzusetzen. Darauf, dass es sich in der Zeit vor der Katastrophe nicht anders verhielt, deuten die Statuen der »große[n] Männer und Frauen« hin, die »früher, vor sehr langer Zeit« lebten. (R, 67) Doch nicht nur geistig, auch körperlich sind die Frauen in Hades den dortigen Männern nicht unterlegen. Als das Geschwisterpaar zweien der vermeint­ lichen Götter begegnet, ist der Mann kleiner als die Frau. (vgl. R, 90) In der Gesellschaft der Protagonistinnen sieht es hingegen ganz anders aus. Beiläufige Szenen implizieren eine patriarchalische Gesellschaft, ohne dass sie als solche kritisiert würde. So etwa, wenn die einst schöne Nebenfigur Mirma nach Jahren der Ehe nur noch ein »blasser, stummer Abglanz von Thart, ihrem Gatten« ist (R, 10) und mit einem über die Haare und einen Teil des Gesichts gezogenem schwarzen Tuch auf eine »Bank in der hintersten Ecke des Raumes« verbannt ist. (R, 10) Dieses patriarchalische Eheverhältnis wird nicht etwa kritisiert, sondern als selbstverständlich affirmiert, indem kein weiteres Wort darüber verloren wird. Ganz anders hingegen die implizite und explizite Wertung der patriarcha­ lischen Verhältnisse in der von Brandenburg erdachten Männerstadt. Dort allerdings sind Sexismus und Frauenverachtung weit offensichtlicher und ausgeprägter als bei Käsbauer, wie bereits gezeigt wurde und zwei weite­ re Beispiele verdeutlichen mögen. Die Protagonistin Anna-Maria wird im Rotlichtviertel von einem Mann belästigt und begrapscht, der »Ficki ficki machen« will. (AM, 34) Eklatanter ist sogar noch, dass sie nach einem Streit mit ihrem Mann von diesem vergewaltigt wird (vgl. AM, 122ff.) und er anschließend »zufrieden« erklärt: »Das war die Versöhnung!« (AM, 124)

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Der männliche Sexismus wird nun aber nicht etwa bestimmten Männern angelastet oder den patriarchalischen Verhältnissen, sondern der Natur des >Instinktwesens< Mann. So erläutert Billie Anna, der Überfall im Rotlicht­ viertel sei dem »sogenannte[n] Jagdinstinkt des Mannes« anzulasten, der ihn dazu treibe, sich »die Frau [...] zur Beute machen« zu machen. (AM, 43) Alle Männer seien so. Auch die »anständigen« seien »nicht viel anders. Sie heucheln dir bloß eine An[45]ständigkeit vor.« (AM, 44f.) Später meint Billie, die patriarchalische »Welt da draußen« sei »so roh und gefühllos!, w]eil die Herren der Welt mit ihrem armseligen Gefühlsbarometer nicht fertig wer­ den.« (AM, 97) Der metaphorischen Verpackung entkleidet heißt dies, die männliche Sexualität verursache die Übel der Welt. Anders als in der Stadt der Patriarchen tragen die Männer in der femi­ nistischen Idealgesellschaft des Romans »graue[.J, weite[.J Gewänderf.]« und laufen auch schon mal »mit Besen« oder »derben Schürzen« umher.337 (AM, 86f.) All dies feminisiert sie. Wichtiger jedoch ist ihre Fertigkeit, Frauen sexuell zu befriedigen. Dafür gibt es in der matriarchalischen Gesellschaft »Hochzeiter«, die man als Gegenkonzeption zu den Prostituierten im Pat­ riarchat lesen darf. Es handelt sich nämlich um »schön und hervorragend gebaut[e]« junge Männer, die zunächst von »den älteren erfahrenen Frauen in der Kunst der Liebe geschult werden«, bis sie »so gut wie kein anderer überden weiblichen Körper Bescheid [wissen]. Das ist ihr Beruf«. (AM, 12) Beide Beispiele machen die Feminisierung der Männer in der utopischen Frauengesellschaft deutlich. Damit sind sie zwar den Männern im Patriarchat entgegengesetzt. Als Angehörige der >Kollektividentität Mann< aber haben alle Männer ganz grundsätzlich und unabänderlich mehr miteinander gemein als mit irgendeiner Frau. Denn, so erklärt die Mentorin Florine ihrem weib­ lichen Telemachos Anna apodiktisch: Mann und Frau sind in ihrem Wesen sehr weit voneinander entfernt. Ich denke, es ist falsch, diese Unterschiede mit halbherzigen Kompromissen oder sonst wie leugnen zu wollen und so zu tun, als existierten diese Unterschiede nicht. (AM, 226)

Betont Florine hier die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der Geschlechter, so unterstreicht Billie zwar entsprechend den Vorrang, den die Gefühle bei den Frauen vor ihrem Verstand einnehmen, doch weist sie auch darauf hin, dass deren »Fülle« ihren Verstand nicht zurückdrängt. (AM, 97) Damit scheint Billie den geschlechtsspezifisch konnotierten Dualismus zu unterlaufen. Doch relativiert sie diese Negation sofort, indem sie fortfährt: »Jedenfalls nicht den Verstand, der mit dem Leben einhergeht.« (ebd.) Es ist also ein bloß (lebens-)

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praktischer Verstand, der den Frauen von ihren Gefühlen belassen wird. Und auch nur dieser wird überhaupt geschätzt. Männlich konnotierte abstrakte Vernunft steht als Geistestätigkeit hinter weiblicher Gebärfähigkeit zurück. Denn »Frauen sind Trägerinnen des Lebens und zwar in direkter biologischer Form, wie es weder Wissenschaft noch Philosophie je nachvollziehen könnten.« (AM, 96) Ein in der Frauengesellschaft lebender Mann namens Radnan, der bekennt: Ich gefalle mir als Philosoph. Ich gefalle mir als Wissenschaftler. Ich spüre dabei nicht wie mein Denken sich vom Leben fortbewegt. Ich könnte hier an diesem Ort wieder anfangen mit Thales von Milet, mit Platon und Sokrates an einem Tisch, (AM, 98f.)

muss sich von einer Frau zurechtweisen lassen: Und wieder ginge es weiter bis Nietzsche und Freud. Und wieder würde es heißen, wir Frauen seien ohne Kultur, und die Kultur ist ohne uns. Und wieder würden wir Dreck und Trümmer wegräumen, würden Wunden verbinden und still um unsere Kinder weinen? (AM, 98f.)

Die Wesensdifferenz zwischen Frauen und Männern stimmt die Erwartungen und Ansprüche der Frauen an die (im Roman stets heterosexuell gedachte) Liebe und Sexualität stark herab. Auch hier ist es wieder Florine, die Anna die Sicht der Frauen erklärt: alles, und jedes Wohlgefühl von der Liebe zu erwarten, halte ich für einen ausgesprochenen Aberwitz. Ich glaube wohl, daß es eine Art der Liebe zwischen Männern und Frauen gibt, aber ich glaube nicht, daß diese Liebe ausreicht, alle persönlichen Bedürfnisse und Belange im Leben der Menschen zu befriedigen. (AM, 225)

Beziehungen zu Männern scheinen zwar zur Befriedigung der weiblichen Sexualität notwendig, doch sollten sie keineswegs im Zentrum des Lebens einer Frau stehen: »Ein Mann fürs Leben! Was soll das heißen, he? Das Leben zuerst, und dann der Mann im Leben!«, (AM, 228) erklärt Florine nachdrücklich. Im Grunde haben die Frauen zu den Männern in sexueller Hinsicht überhaupt nur eine rein funktionale Beziehung: Männer dienen der Befriedigung der weiblichen Sexualität, wie deutlich wird, wenn Billie in ihrem Abschiedsbrief schreibt, sie seien »zur Freude unserer Körperlich­ keit« da. (1982,235) Anna wiederum erkennt, dass ihre orgiastische sexuelle Erfahrung nichts mit »Liebe als Konzentration auf einen einzigen, einen bestimmten Mann« zu tun hatte, sondern vielmehr »etwas Freies, etwas bis tief in die Wurzeln Körper- und Selbstbejahendes«, war. (AM, 223, Herv. RL) Bei all dem überrascht es außerordentlich, dass Sexualität ausschließlich als heterosexuelle gedacht wird. Die Möglichkeit lesbischer Sexualität wird nicht einmal erwogen. Im Gegenteil: Der weibliche Orgasmus wird in der

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Szene, in der Annas sexuelle Sinnlichkeit >erweckt< wird, als sowohl klitoraler wie auch vaginaler beschrieben, der durch die geradezu penibel dargestellt Penetration des Penis eines Hochzeiters erreicht wird: Sein hoher schlanker Wuchs machte es ihm möglich, daß er sich über sie beugte, die ge­ schwollene Eichel nun unbeweglich im Eingang ihrer Vagina, sodaß sie das Pulsieren in den eigenen Scheidenwänden deutlich rund um das feste Glied spürte. [...] [221] [...] Ihr Körper bebte vor Ungeduld. Da spannte er die Hände um ihre Taille, bettete sich tief in ihr Inneres und verharrte dort reglos für die Zeit einer kleinen zerspringenden Ewigkeit. Dann glitt er wieder aus ihr heraus, glitt wieder hinein, wiederholte es mehrere Male mit stetig wachsendem Rhythmus, und jedesmal strich er bei dem erneuten Eindringen zuerst über ihre Klitoris. Noch nie hatte Anna ein solches Sinnesdelirium erlebt. (AM, 220f.)

Androidinnen und Eheglück Ist die Frauengesellschaft in Brandenburgs feministischer Utopie nach den Vorstellungen der Frauen eingerichtet, so gibt es in Voges’ (ebenfalls femi­ nistischer) Dystopie hingegen keine wirklichen Frauen mehr, sondern nur Androidinnen in Frauengestalt. Über die Konstruktion von Weiblichkeit in einer Geschichte, in der keine Frauen vorkommen, lässt sich scheinbar wenig sagen. Doch einige Hinweise gibt es schon. Zumindest darauf, wie Frauen in der Vorstellung des anderen Geschlechts (den Männern der Geschichte) sein sollten. Und auch darauf, dass sie offenbar nicht so sind (respektive waren), wie die Männer es sich wünsch(t)en - oder auch umgekehrt: die Männer nicht so, wie die Frauen sie sich wünsch(t)en. Zwar verschweigt die Geschichte, warum die Frauen, »massenhaft weggegangen« sind. (0,91) Die Annahme, dass das Geschlechterverhältnis ein nicht unwesentlicher Grund gewesen sein dürfte, lässt sich aber darüber plausibilisieren, dass es eben die Angehörigen eines der Geschlechter waren, die gegangen sind. Und dass sie überhaupt gegangen sind, sagt noch etwas über der Frauen Art aus. Sie sind nämlich keine passiven Wesen, die ihr >Schicksal< oder besser gesagt: das So-Sein der Verhältnisse einfach hinnehmen und sich in sie schicken. Zwar ist der Kampf ihre Sache nicht und so versuchen sie denn auch nicht die Verhältnisse umzustürzen. Aber sie entziehen sich ihnen. Soviel lässt sich also über die Konstruktion von Weiblichkeit in Voges’ Kurzgeschichte sagen. Wie aber sahen diese Verhältnisse und die Ansinnen und die Erwartungen der Männer aus, denen sie sich entzogen? Darüber wiederum lässt sich einiges über die Konstruktion der weiblichen Automa­ ten erschließen, von denen Olympia auch schon mal als »Frauen« spricht, (vgl. 0,90) Die drei Modelle werden jeweils einer Männerphantasie gemäß

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eingekleidet. Die »Barbarella-Serie«338 erhält »silbem[..J und schwarz glänzende[.J Overalls«, die Wifys sehen in »Rock und Bluse« »sehr nett« aus339 und der Typ Romantik erhält ein »braunes Samtkleid« mit »kleinen weißen Spitzenkragen«, dazu »kleine weiße Lackschuhe [... ] mit flachen Absätzen«, obwohl Olympia persönlich ja lieber ein »Musselinkleid« bekommen hätte. Allerdings muss sie sich eingestehen, dass ihre »braune[n] Augen [...] gut zu ihrem braunen Kleid passen« und der Spitzenkragen ihren »langen weißen Hals besonders gut zur Geltung [bringt]«. Die Konstrukteure haben ihren Körper und ihre Kleidung also ästhetisch aufeinander abgestimmt. Trotz der unterschiedlichen Ausstattung haben die Modelle etwas gemein: Sie sind »hübsch«, (alle Zitate 0,93) Und offenbar sollen sie alle gute und einfühlsame Zuhörerinnen sein, denn »ein Mann will sich ja auch mal ein bisschen unterhalten können, mal eine Antwort bekommen oder eine mitfühlende Frage.« (0,91) Es war also offenbar dies das Verhalten, das von Frauen erwartet wurde: den Mann zu unterhalten, ohne selbst die Initiative im Gespräch zu ergreifen, sondern auch mal eine Antwort zu geben und sich mitfühlend zu zeigen. Gilt letzteres über­ haupt als eine Eigenschaft des weiblichen Geschlechts, so entsprach ersteres schon vor und um 1900 den Anforderungen an zu verheiratende junge Mäd­ chen aus guter Familie.340 Dazu war nicht allzu viel Bildung und vor allem kein logischer Scharfsinn vonnöten. So werden denn auch Automaten, die »zu großes Schwergewicht auf der Fähigkeit zu analytischen Operationen« erkennen lassen, (0,89) zurückgerufen und umprogrammiert. Die Annahme, dass Frauen, wie ein Linguist in der Geschichte meint, »irgendwie einer früheren Kulturstufe angehören«, (0,98) dürfte nicht zuletzt darin begrün­ det sein, dass die Männer sich mit den Automaten ihre Frauen den eigenen Phantasien gemäß konstruieren, sie bei Bedarf umprogrammieren und bei Nichtgefallen zurückgeben können. (Voges 0,98) Mit den Anforderungen an das weibliche Geschlecht beziehungsweise an die Automaten in Frauengestalt ist dann auch schon ein Bild der Konstruktion des männlichen Geschlechts der Geschichte gezeichnet. Gibt es in Voges’ Kurzgeschichte keine Frauen mehr, so ist in Sydows Irrwege im Weltraum die Ehe nahezu unbekannt. Und so ist es in einer Raum­ fahrerspelunke schon etwas besonderes, wenn jemand von einem Planeten zurückkommt, »wo man noch nach den alten Gesetzen der Einehe lebt[.]«. (IW, 6) Dass jemand von der Erde verheiratet ist, wie der Ron genannte IchErzähler Hieronymus Tappo, ist eine große Rarität - und für dessen Saufkum­ pane Provokation genug, um ihn dazu zu verleiten, seinem Lebensbund in

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einer Wette aufs Spiel zu setzen. Dies gelingt ihnen dadurch, dass sie die Ehe ausdrücklich gering schätzen. »[WJenn du um deine Ehe wettest [...] verlierst du nicht viel«. (IW, 7) Tatsächlich aber huldigt der Roman dem Eheideal. Denn verachtet wird sie nur von den zwielichtigen Gestalten in der Weltraumbar. Die Identifikationsfigur Ron bedauert später hingegen, sich auf die fragwürdige Wette eingelassen zu haben: »Es war glatter Irrsinn, daß ich meine Ehe aufs Spiel setzte«. (IW, 56) Und wenn er sich mit den letzten Worten des Romans direkt an die Lesenden wendet, weist seine rhetorische Frage »denken Sie im Emst, ich würde mich wegen dieser Burschen [seinen Freunden in der Bar,RL] scheiden lassen?« (IW, 65) diese Annahme als völlig absurd zurück. Die - im ganzen Roman - mitschwingende Ironie ist nie subversiv, sondern affirmiert konservative Geschlechterverhältnisse. So etwa ein gesetzliches Verbot, demgemäß »es auf einem Kriegsschiff nicht erlaubt ist, daß zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts in einer Kabine schlafen« (IW, 12) und Eheleute sowie überhaupt Menschen, die »durch Verwandtschaft, Liebe und ähnliche Gefühle verbunden^]« sind, (IW, 13) gemeinsam auf einem Kriegsschiff dienen. Damit werden nicht etwa Militär und Geschlechterver­ hältnisse subversiv auf die Schippe genommen; es dient vielmehr nur zum Anlass »erheiternder VerwicklungenTriebregungen< der Menschen, ohne dass sie für die Geschichte eine größere Rolle spielen würden, so nimmt das Geschlecht der Aliens in Sydows zweitem hier zur Debatte stehende Roman - Planet der Verrückten - nahezu die Hauptrolle ein. Ob es sich bei den amöbenhaften Extraterrestriem des Planeten Harako, die in der Lage sind, jede Gestalt anzunehmen, allerdings überhaupt um Geschlechts wesen handelt, ist nicht ganz eindeutig. Jedenfalls pflanzen sie sich ohne Sexual­ kontakte fort, indem sie in einem Waldstück Eier ablegen, aus denen später ihre Nachkommen schlüpfen. (P, 19) Die Harakos werden zunächst als schlechthin unschuldige Wesen kon­ struiert. Sie sind überhaupt »harmlose und friedliche Wesen« und »wissen gar nicht, was Grausamkeiten sind, sie töten niemals ein Tier, schon gar

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nicht einen Artgenossen.« (P, 19) Auch sind ihnen »Gefühle wie Haß, Neid, Trauer, Eifersucht und so weiter« unbekannt (P, 61). Nicht einmal um ihrer Nahrung willen müssen sie töten oder auch nur ein Mitlebewesen verletzen, denn sie leben ausschließlich von »Pflanzensäfte[nJ«. (P, 10) Selbst der Tod ist den Amöbenwesen unbekannt. All dies wird zwar nicht explizit mit ihrer Asexualität verknüpft, doch liegt auf der Hand, dass der Zusammenhang implizit mitkonstruiert wird. Unsterbliche Wesen benötigen weder Sexualität noch Fortpflanzung. Ungelöst bleibt beziehungsweise gar nicht erst gestellt wird die Frage, warum es überhaupt Eiablage und Nachkommen gibt, die angesichts der Unsterblichkeit der Harakos doch im Laufe der Jahrtausende zu einer exorbitanten Überbevölkerung geführt haben müssten. Es zeigt sich, dass die von allen Raumfahrerinnen der verschiedenen Spe­ zies zunächst für dumm, ja - wie der Titel schon sagt - sogar für verrückt gehaltenen Harakos klüger als gedacht sind. Mögen sie auch Wesen ohne Emotionen sein, als Wesen ohne Eigenschaften kann man sie nicht bezeich­ nen. Denn sie sind äußerst verspielt - und sie sind nicht weniger wissbegie­ rig. In dieser Neugierde erweisen sie sich dann doch nicht als ganz so harm­ los. Denn um etwas über die ihnen unbekannte (menschliche) Sexualität zu erfahren, »[verschleppten] sie [...] sogar den Chefbiologen gewaltsam in den verdammten Wald, damit er die Eiablage beobachten konnte.« (P, 19) Schließlich manipulieren sie die Menschen mit ihren Gesängen dazu, wäh­ rend eines Festes Paare zu bilden und sexuell zu interagieren, was allerdings nur dezent umschrieben wird: Die beiden Menschen gingen aufeinander zu und umarmten sich - und alle Terraner auf diesem Platz waren in ähnlicher Weise beschäftigt. Sie vergaßen die Welt um sich herum. Sie waren nicht mehr eine Gruppe von Fachleuten, die sich bemühten das Rätsel der Harakos zu lösen. Sie waren nur noch eine Ansammlung von Paaren, die eine ungeahnte Zärtlichkeit für einander empfanden. (P, 58)

Ohne dass es ausgesprochen würde, handelt es sich offenbar um ausschließ­ lich heterosexuelle Paare. Jedenfalls werden nur solche benannt. Sehr weit können die Harakos mit der Erforschung der menschlichen Sexualität also nicht fortgeschritten sein. Zwar ging es ihnen letztlich nicht um diese selbst, sondern um die mit ihr verbundenen und den Harakos unbekannten Gefühle »einschließlich der geheimsten Wünsche und Neigungen.« (P, 53) Die aber sind nun einmal nicht immer und schon gar nicht notwendig heterosexuell, noch beschränken sie sich zwangsläufig auf Paarbildungen. Letztlich also werden die nur scheinbar harmlosen Harakos und ihr asexuelles Dasein keineswegs idealisiert - und im Gegenzug Sexualität im-

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plizit dämonisiert, wie es bei oberflächlicher Lektüre den Anschein haben könnte. Nicht nur erweisen sie sich als ethisch indifferent, wenn sie die Men­ schen bedenkenlos in Trance versetzen und manipulieren,341 zur Befriedigung ihrer Wissbegierde gehen sie auch schon mal zu unmittelbarer Gewalt über und entführen einen Menschen in den Wald. (vgl. P, 19) Vor dem Hintergrund der Arroganz, Ahnungslosigkeit und Intoleranz der als Negativfolie dienenden Mitglieder des »Bund[es] zum Schutz planetaren Lebens«, die - gleich welcher Spezies sie angehören - für die Menschen nur Verachtung übrig haben und die sich vor der geschlechtslosen Fortpflanzung der amöbenhaften Wesen ekeln, werden jedoch nicht nur die Terraner in ihrer (sexuellen) Toleranz, sondern auch die wissbegierigen und asexuellen Harakos positiv gezeichnet. Einer der »Exoten« des Bundes fällt »in Ohnmacht«, (P, 19) als er von der geschlechtslosen Fortpflanzung erfährt »>Grässlich!< wisperte der Exote, der gerade wieder zu Bewusstsein kam. >Was für Ungeheuer!< stöhnte der Gorik. >Es kann nicht seinmännliche< Perspektive ein ums andere Mal deutlich. So interessiert sie sich nur wenig für die äußere Erscheinung der männlichen Figuren, während das

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Aussehen von zwei der drei zentralen Protagonistinnen, Venda und Sinka, schon beim ersten Auftreten der Frauen beschrieben und ihre Attraktivität bewertet wird. Sie, aber auch die dritte weibliche Hauptfigur Cynthia, werden anders als die männlichen Figuren sexuell markiert und in unterschiedlichem Maße sexualisiert. Auch spricht die Erzählstimme von den zahlreichen, sehr unterschiedlicher Spezies angehörenden Aliens stets implizit oder explizit als seien sie samt und sonders männlichen Geschlechts. Selbst die geschlechts­ neutralen, wenn nicht gar geschlechtslosen amöbenhaften »Eingeborenen« (P, 9) des Planteten Harakon werden von ihr (wie auch den menschlichen Raumfahrern) immer wieder als »Kerle« (vgl. P, 11,47,50 u.ö.) bezeichnet. Und dies, obwohl explizit konstatiert wird, sie seien »alle miteinander Zwit­ ter«, weshalb es unter ihnen »auch keine Männer und Frauen« gebe. (P, 19) Doch zurück zu den drei weiblichen Hauptfiguren: Venda ist mit »höchs­ tens zwanzig Jahre[n]« die jüngste und somit ganz den Gepflogenheiten nicht nur trivialer Literatur gemäß auch der am stärksten sexualisierte weibliche Charakter. (P, 27) Bei ihrem ersten Auftritt wird ihre Figur als »phantastisch« gepriesen. Sie trägt nichts weiter als »einen klitzekleinen Bikini« (ebd.) und ist auch bei ihren späteren Auftritten »immer [.] sehr spärlich bekleidet«. Zudem pflegt sie »herausfordernd mit den Hüften [zu] wackel[n]«. (P, 52) Gibt Venda die junge Verführerin, so steht Cynthia für die erfolgreiche Frau mittleren Alters. Sie ist »groß und kräftig gebaut«, hat »ein zu breites Gesicht und kleine, rote Augen.« Damit und als nicht mehr ganz so junge und vielleicht auch als erfolgreiche Frau ist sie nur noch von eingeschränkter Attraktivität. So muss denn auch eigens betont werden, dass sie »[djennoch [...] auf unbestimmte Weise anziehend [wirkt]«, (alle Zitate P, 37) Nicht so Sinka, die älteste der drei Frauen. Eine offenbar jenseits des Kli­ makteriums befindliche »resolute Botanikerin«, (P, 5) die dementsprechend rigoros entsexualisiert wird. Denn sie ist selbst gegen die sexualisierende Beeinflussung der Harakos immun. Dies aber hat sie einem biologischen Defekt zu verdanken, der sich ohne weiteres als literarisch verschobene Un­ fruchtbarkeit lesen lässt: Sie ist taub und kann die sexualisierenden Gesänge der Harakos nicht hören. Die Taubheit alleine hätte sie allerdings nicht vor der Manipulation bewahrt. Als (alters?)kluge Frau hat sie die Gefahr im Voraus erkannt und ihr Hörgerät abgeschaltet. Nicht ihr Gebrechen allein schützt sie also. Hinzutreten muss ihr Verstand - und ihre Gefühlsarmut. Denn sie wird überhaupt als »völlig emotionslos« charakterisiert. (P, 59) Damit ist sie aber zugleich als wenig sympathische Figur stigmatisiert, der zudem eine als typisch weiblich geltende Eigenschaft fehlt: die Emotionalität, während sie

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eine männlich konnotierte besitzt: den Verstand. In den drei Figuren perso­ nifiziert der Roman mithin drei auf unterschiedliche Generationen verteilte, aber gleichermaßen misogyne Weiblichkeitsklischees: das der jungen Ver­ führerin, das der mäßig attraktiven Karrierefrau und das der entsexualisierten und somit vermännlichten Alten.

Prekäre Männlichkeit und konservative Geschlechterklischees In Sydows anderem Heftroman Irrwege im Weltraum ist es das Protagonis­ tinnenpaar, eine Frau und ein Mann, deren Geschlechterkonstruktionen etwas näher in Augenschein genommen werden sollen. Zur Figur des Ich-Erzählers Ron gibt es allerdings nicht sehr viel zu sagen. Sie ist etwas eindimensional durch dessen Selbstironisierung geprägt, die jedoch weniger seine Person als vielmehr sein Geschlecht aufs Korn nimmt wie etwa in dem bereits er­ wähnten Beispiel der mannhaften Wette. Ähnlich verhält es sich, wenn er bei »Gesprächen unter Männern« eine »gewisse Ablenkung« sucht, vermutlich vom letztlich doch als langweilig unterstellten Ehealltag, von dem er sich allwöchentlich einen »freien Abend« nimmt. Bemerkenswert ist auch, dass er anders als die männlichen Figuren in Planet der Verrückten mit einer Beschreibung seines Äußeren eingeführt wird. Er ist »einsfünfundsechzig« groß, was er als »viel zu klein« empfindet, und hat »abscheulich rotes, krauses Haar«. Ein selbstkritischer Blick, wie er für Männer nicht eben als typisch gilt. Doch erfüllt er eine doppelte Funktion. Zum einen wird die Figur damit von Beginn an ridikülisiert, zum anderen wird über seine Bemerkung, an­ gesichts seines Äußeren klinge es »erstaunlich«, dass er verheiratet ist, das bekanntlich unzutreffende und nicht einmal wirklich virulente - Klischee transportiert, dass nur gutaussehende Männer bei Frauen >landen< könnten, (alle Zitate IW, 5) Wird in der Figur Ron Männlichkeit milde ironisiert, so wird seine Ehefrau mit zahlreichen Eigenschaften ausgestattet, die misogynen Geschlechterkli­ schees korrespondieren, jedoch ohne dass diese ironisch subvertiert würden. Schon ihr Name Aline - ein Anagramm von Alien - kennzeichnet sie als Fremde und somit als Andere (des Mannes). Sie ist von heiterem Naturell und »gehört[.] zu den beneidenswerten Menschen, die jeden neuen Tag mit einem erwartungsvollen Lächeln und strahlender Laune begrüßen.« (IW, 7) So wird sie als weiblicher Sonnenschein im Leben ihres Gatten eingeführt, um ihr sogleich einige als typisch weiblich geltende Eigenschaften anzu-

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hängen: Sie ist »mitfühlend« und »mitleidig[..]«, also voller >weiblicher< Empathie, pflegt aber auch »vor sich hin« zu »trällern« und »plappert[.J fröhlich«, ganz wie es dem Klischee von der oberflächlichen Heiterkeit der leicht naiven >Frau an seiner Seite< entspricht. (IW, 8) Auch fallt sie »fast in Ohnmacht«, (IW, 10) als er ihr von seinem Vorhaben erzählt, einen Film im All zu drehen.343 Und in einer Stresssituation reagiert sie sogar derart >hysterischwieder zur Vernunft Zubringern. (IW, 31) Es ist dies der frauenfeindliche Tiefpunkt des Heftes, zumal die Schläge sich als >gerechtfertigt< erweisen. Denn sie helfen »zum Glück«, (ebd.) Ohne die geringste >humoristische< Relativierung rechtfertigt diese Szene sogenannte >häusliche Gewaltmännliche< Beschützerrolle innehat.351 Gängige Geschlechterklischees werden darüber hinaus insbesondere da­ durch betont, dass die junge Frau immer wieder von ihren Gefühlen gebeutelt wird, während der Bruder ruhig und rational handelt. So wird etwa gesagt, dass sie ihn nicht in seinen Gedanken stört, (vgl. R, 98) Davon, dass sie selbst welche hat, ist jedoch nie die Rede. Kurz, sie ist ganz hilflos >weibliches< Gefühl, er kraftvoll >männliche< Vernunft.352 Als Skor beispielsweise den gesuchten Orka im Hades entdeckt, unterhält er sich nur flüsternd mit ihm, da er sich bewusst ist, dass lautes Reden die Gefahr einer Entdeckung

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heraufbeschwören könnte, (vgl. R, 65) Igne stößt hingegen ganz unbedacht einen »laute[n] Jubelruf« aus (R, 66) und bringt sie alle genau dadurch in die vermutete Gefahr. Es sind vor allem stark weiblich konnotierte Gefühle wie Angst,353 denen Igne hilflos ausgeliefert ist.354 Furchtsam schreit sie in Gefahrensituationen auf, statt sich still zu verhalten, und bringt die Geschwister in Gefahr; (vgl. R, 17f.) sie sucht den Schutz des Bruders und birgt »den Kopf an seiner Schulter«; (R, 34) sie tritt »erschrocken einen Schritt zurück und presst[.J die Hand auf den Mund, um nicht laut herauszuschreien«; (R, 55) sie ist »verzagt« (R, 75) und »klammerte sich angstvoll an ihn. >Nur ruhigNegerin< als >Andere< markierten - Puppen. So wie diese zerstört werden, wird Columbina ver­ gewaltigt. Die Identifikation der Frau mit den Puppen, namentlich der >Negerpuppe< wird in dem Moment deutlich, als der Vergewaltiger »über die Negerpuppe hinweg« nach Columbinas ebenfalls »schwarze[m] Haar« greift. (C, 210) Die Frau ist dem Mann eine Puppe, die er ebenso wie die anderen zerstört will. Während der Mann nach dem Gewaltakt schläft, wirft sie die kaputten Puppen auf die Straße, »allen voran die große Negerin«. Dort werden sie von Krieg spielenden Kindern freudig und mit großem »Hallo!« als neue »Opfer und Verwundete« in Empfang genommen. »[IJmmer wieder st[o]ßen sie ihre kleinen Holzgewehre in den hohlen Leib der zerbrochenen Neger-

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puppe.« Damit wiederholen sie an der Puppe noch einmal die Vergewaltigung Coumbinas. In den Holzgewehren wird zudem der vergewaltigende Penis als Waffe kenntlich gemacht. Nachdem sie die zerstörten Puppen aus dem Fenster geworfen hat, verlässt Columbina selbst die Wohnung. Während ihres Abstiegs bricht die Treppe hinter ihr zusammen. Der inzwischen aufgewachte Mann bleibt »[verzwei­ felt« schreiend in der Wohnung zurück, »fünf Stockwerke tief lacht[.] ihn das ehemalige Stiegenhaus an«, (alle Zitate C, 211) das sich somit auch in seiner Zerstörung noch einmal als Verbündeter der Protagonistin erweist. Ebenso wie der Wind, der nun »ein wenig lauter« singt, so dass die Hilferufe des in der Wohnung gefangenen Mannes ungehört davon wehen, während die »schwarzen Haare« der davongehenden Columbina »zum Lied des Windes [tanzen].« (C, 212) Zwar kann die Zurückgezogenheit in ein weltabgewandtes Refugium die Frau nicht vor der (Männer-)Gewalt schützen, ebenso wenig wie sie sich selbst zu schützen vermag, doch erweist es sich für den gewaltsam eindringen­ den Mann als tödlich, während die Frau nach dessen Ende befreit in die Welt hinausgeht. Ihr zum Lied des Windes tanzendes schwarzes Haar lässt sogar eine gewisse Unbeschwertheit mitschwingen. Dabei sind mit dem vergewal­ tigenden Mann die Gefahren keineswegs aus der Welt. Denn noch immer treiben die Krieg spielenden Kinder in den Straßen der Stadt ihr Unwesen.

Das Geschlecht des Automaten Ist das Geschlecht Columbinas eindeutig weiblich, so beschäftigt die Frage, welchen Geschlechts die ebenfalls titelstiftende Protagonistin in Voges’ Olympia Männertrost ist, nicht nur diese Untersuchung, sondern auch die Figur selbst. Genauer gesagt, sie wird von der Frage umgetrieben, ob sie nur ein »Automat« oder doch beinahe ein Mensch ist, wie sie es sich wünscht. Zunächst aber einige Anmerkungen zum Namen der Figur, die von Dieter Hasseiblatt, dem Regisseur des Hörspiels, abfällig als »Roboterweib« tituliert wird. (1993,31) Ihr Nachname Männertrost bedarf keiner weiteren Erläute­ rung, er spricht für sich selbst: Sie ist nicht um ihrer selbst Willen geschaffen, sondern um der Männer Willen, die sie über den Verlust der (echten) Frauen hinwegtrösten soll. Ihr Vorname Olympia und ihre Bezeichnung als Automat lassen sich leicht als intertextueller Bezug zu E.T.A. Hoffmanns 1817 erst­ mals erschienenem Nachtstück Der Sandmann und dessen Automat Olimpia

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entschlüsseln, der das Äußere einer verführerischen Frau hat. (vgl. Hoffmann 1985, 138) Eine der zahlreichen Parallelen zu Hoffmanns Olimpia besteht darin, dass auch Olympia »erst ziemlich zuletzt« Augen bekommt. (Voges 0,92) Weniger eindeutig ist ihr zweiter Name Odette, den sie von Manfred, ihrem zweiten Mann, zu ihrem eigentlichen Namen hinzugefügt bekommt, »beide Male O«, merkt Olympia an und findet das »witzig«. (O, 88) In einer (rein männlich besetzten) Diskussionsrunde, die an die Erst­ sendung des Hörspiels Olympia Männertrost anschloss, kommen auch die Diskutanten Darko Suvin, Eike Barmeier und Dieter Hasseiblatt, denen die Anspielung auf E.T.A. Hoffmanns Olimpia ebenfalls nicht entgehen konnte, (vgl. Suvin/Barmeier/Hasselblatt 1983, 125360) zu keinem überzeugenden Schluss. Suvin meint, Odette sei auf Schwanensee zurückzuführen, »weil dort zwei >O< sind - Odette, Odile«. (Suvin in ders./Barmeier/Hasselblatt 1983, 125) Barmeier erwägt hingegen eine Anspielung auf Die Geschichte der O.361 (vgl. Barmeier in Suvin/ders./Hasseiblatt 1983,125) Wirklich über­ zeugend ist weder das eine noch das andere. Was nun die Frage betrifft, ob es sich bei Olympia um einen bloßen Auto­ maten oder (fast) um einen Menschen handelt, ob also Automaten Menschen sein können, so trifft sich die Fragestellung mit der um 1800 erörterten, Ob die Weiber Menschen sind. (vgl. Lange, Hrsg. 1992) Zwar benutzt Olympia zunächst das generische Maskulinum, wenn sie von sich selbst als »Automat« spricht; (0,91) betont sie jedoch, dass sie, »keine gewöhnliche Automatin« ist, benutzt sie bemerkenswerter Weise das Femininum und fährt fort, sie sei »keine von diesen dummen Dingern, die jetzt auf den Markt geworfen werden. Ich habe gelernt. Eigentlich bin ich wie ein Mensch.« (0,94) Da­ mit macht sie zunächst einmal ihre Bildungsfähigkeit zum Kriterium ihrer (Quasi-)Menschlichkeit. Dann aber tritt als Zweites ihre Fähigkeit, Emotionen zu empfinden, hinzu, und zwar führt sie eine weiblich konnotierte Emotion an: Ich bin doch gar nicht mehr ein richtiger Automat. Zum Beispiel, jetzt habe ich Angst, richtige Angst, das können doch die anderen gar nicht, die sind doch ganz einfache Auto­ maten geblieben. Und dann, ich habe so viel gelesen!362 Ich bin doch beinahe ein Mensch! (0,95)

Sich zu ängstigen ist hier kein Gefühl, dem man (hilflos) ausgeliefert ist, sondern eine Leistung, die bezeugt, ein empfindendes menschliches Wesen zu sein. Wie tief Olympia diese menschliche Regung der Angst empfindet, wird deutlich, wenn sie geradezu voller Emphase herausschreit: »Ich habe Angst, ich habe Angst. Ich gehe hier kaputt, und keiner kriegt es mit. [...] ich habe Angst.« (0,95) Neben der Angst zeigt sie noch zwei weitere Emotionen,

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sie schämt sich ihrer Nacktheit363 (vgl. 0,92) und sie sorgt sich. (vgl. 0,95) Auch diese Emotionen sind weiblich konnotiert. Was nun Olympias Beziehungen zum anderen Geschlecht betrifft, so schil­ dert sie Erlebnisse und Erfahrungen mit drei Männern. Da wäre zunächst einmal ihr namenlos bleibender erster Mann, der sie noch vor Ablauf der vierteljährigen Probezeit wieder zurückgibt. (vgl. Voges 1979, 88) Sodann ein ebenfalls namenlos bleibender Linguist, mit dem sie über sein Fachgebiet disputiert und der daraufhin derart von ihr angetan ist, dass er sich in sie verliebt und beginnt, ihr den Hof zu machen, (vgl. 0,97f.) Etwas ungelenk schenkt er ihr ein Buch: »die >Education sentimentale< von so einem Son­ derling, den niemand mehr kennt.«364 (1979,98) Ihr wichtigster Bezugspunkt und somit die männliche Hauptfigur ist jedoch Manfred, ihr zweiter Ehemann. Ein Mann, nicht frei von den Schwächen, die seinem Geschlecht im Allgemeinen zugeschrieben werden, aber doch eine positive Figur. Denn er bemüht sich, Olympia die Möglichkeit der Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu belassen. Die Ambivalenz der Figur wird wiederholt deutlich. So unterstützt er sie, als sie beginnt sich zu bilden und ist sogar »ganz happy« darüber. »[SJo habe ich mir meine Frau auch vorgestellt«, versichert er ihr. (O, 89) Doch als sie ihn intellektuell überflügelt, ist ihm das »irgendwie nicht recht« (ebd.) und er meint, sie »könne doch mal Klavierstunden nehmen«.365 (ebd.) Selbst der Beginn ihrer Beziehung ist bereits ambivalent. Er bringt ihr zwar Zuneigung entgegen, hat sich mit ihr jedoch zugleich seine Männer­ phantasie erfüllt. Denn wie sie versichert, war er »überhaupt ungeheuer lieb, von Anfang an. Er hat auch gleich gesagt, so eine süße Puppe hat er sich immer gewünscht.« (0,88) Dabei ist der Begriff Puppe mehrdeutig, einmal als pejorative Bezeichnung für erotische Frauen und einmal als Bezeichnung für einen Figur, die an Strippen oder als Handpuppe bewegt wird, oder ein Spielzeug ist. Allerdings behandelt Manfred Olympia gerade nicht wie eine solche Puppe. So bekam er von der Firma zwar einen »Sender« geliefert, (0,95) mit der er sie jederzeit ausschalten kann, doch benutzt er ihn nie: Er hat immer gesagt, Olympia, Olympia Odette, das [96] mußt du selbst entscheiden. Ich kann dir doch nicht einfach so dazwischenfunken, vielleicht willst du grade was ganz anderes machen. Ja, das war typisch Manfred, er war immer gut zu mir. (0,95f.)

Letztlich aber bleibt sie vollständig abhängig von ihm,366 wie sich auch und gerade darin zeigt, dass sie im Garten »kaputt« geht, da er nicht zurückkommt, um sie zu warten. Warum er ausbleibt, bleibt offen. Womöglich wurde er verhaftet, weil er sie versteckt hält.

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Gruppenbild mit Diebin

Geht die Protagonistin in Grubers Columbina aus der Stadt und verlassen die Frauen in Voges’ Olympia Männertrost die Männer, so lässt sich in Grubers Erzählung Fangt das Tier361 eine gewisse Lebens- und Menschenflucht der Protagonistin ausmachen. Denn hinter Alma Landrys Oberflächen-Ich gibt es ein andere[s] Wesen, das ich auch war, die Zerstörerin, die Selbstmörderin, die mir immer wieder in die Quere kam, wenn ich leben wollte, bloß leben; dieses rätselhafte andere Ich, das viel mehr von der Welt wusste, als ich ahnte, und darum nicht mehr ja sagen konnte, sondern nur nein, immer nur nein. (FT, 123)

Im Grunde ihres Herzens lauert eine Welt- und Daseinsvemeinerin, die ihr immer wieder nihilistische Gedanken einflüstert.368 Um von den Menschen gemieden zu werden, verhässlicht sie sich sogar absichtlich.369 Anders als Neuwirth lässt Gruber aber nicht nur eine Frau und einen Mann auftreten. Eher schon hat sie ein Gruppenbild mit Dame entworfen. Zunächst zu den drei Männern, die Gruber um die Ich-Erzählerin gruppiert. Sie alle sind mit typisch >männlichen< Merkmalen, Eigenschaften oder Biographien ausgestattet. Tim hat als »Marineoffizier« eine zehnjährige Militärkarriere hinter sich und es bis zum »Kommandant eines eigenen Schiffes, Lehrer an der Astronautenakademie« gebracht. (FT, 119) Außerdem ist er der einzige »ausgebildete Astronaut« an Bord des Raumschiffes. (FT, 114) Ging Tim früher dem männlich konnotierten Kriegshandwerk nach, so war Türmet ehedem in den Wissenschaften tätig. Und zwar als »hoffnungsvoller Prähis­ toriker«, der eine »glänzende[.] Karriere in Aussicht« hatte. (FT, 114) Rorio war als Programmierer beschäftigt, (ebd.) So wie die Berufe der Männer >männlich< sind, ist derjenige der Frau »typisch weibliche Sie hatte einen »Job im Alphabetkindergarten«. (FT, 116) Zwei der drei Männer werden allerdings auch mit einer als weiblich gel­ tenden Schwäche ausgestattet, sie sind ängstlich. Tim hat »Angst vor der Angst« (FT, 134) und Türmet »kauert[.]« sich während eines Alarms sogar »wie ein verschrecktes Kaninchen auf seinem Sitz zusammen.« (FT, 116) Die Vergehen, für welche die drei Männer auf den vermeintlichen Todes­ trip geschickt werden, sind recht unterschiedlich. Tim wurde »strafversetzt«, »weil ihm nicht beizubringen war, daß Disziplin und selbständiges Denken zweierlei Paar Schuhe sind«, Türmet wurde abgesägt und bestraft, »weil er die falsche Lehrmeinung vertrat und auf ihr bestand«,370 und Rorio landete auf dem Totenschiff, »weil er zu gut im Fehlerfinden war. Er entdeckte nicht

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nur die unabsichtlich entstandenen Irrtümer eines Systems, sondern auch absichtlich eingeschleuste«. (FT, 114) Alle drei haben somit eigentlich nichts wirklich Strafwürdiges getan, sondern sind Opfer eines Systems geworden, das sie wegen ihrer besonderen Fähigkeiten und eher sympathischer Unange­ passtheiten aussonderte. Vielleicht könnte man sie sogar als Gesinnungstäter bezeichnen, die um ihrer Überzeugungen Willen straffällig wurden. Anders hingegen die Ich-Erzählerin. Ihre Laufbahn formuliert Landry stakkatoartig: »[wjegen Ladendiebstahls verurteilt, freigelassen, rückfällig geworden, geschnappt, wieder verurteilt, freigelassen, rückfällig geworden, geschnappt, getestet, als besserungsfähig eingestuft, einem Raumhimmel­ fahrtskommando zugeteilt«. (FT, 114) Ist Ladendiebstahl nun an sich schon ein weiblich konnotiertes Vergehen, so mehr noch der Grund, den sie dafür anführt: Sie ist neugierig.371 (vgl. FT, 117) Auch, dass sie von einem Psy­ chologen getestet wird, erfüllt ein Weiblichkeitsklischee. Gerade beim Psychologen zeigt sich aber, dass ihre Ladendiebstähle als Widerstandsakte, als unbewusste List der Ohnmacht*12 interpretiert werden können. Unternimmt Landry sie doch aus dem »Zwang« heraus, »mir zu nehmen, was mir zustfehtj, weil ich mich im anderen Fall einem Unrecht gebeugt hätte«. (FT, 130) Auf die Frage des Psychiaters, ob sie »eine Art Rebellion« sind, antwortet sie, sie seien »eine Art Protest«, (ebd.) ohne dass sie allerdings sagen könnte, wogegen. Scheinen die Männer in ihrer Männlichkeit bei sich selbst zu sein, fühlt sich Landry nicht (gerne) als Frau. »Ich weiß nicht, wann ich zuletzt das Gefühl hatte, eine Frau zu sein«. (FT, 137) Arbeiten die Männer nach der Entdeckung eines Planeten täglich in den biologischen und technischen Laboren, bleibt für Landry »nicht viel zu tun«, (vgl. FT, 116) außer für die Mannschaft zu kochen. Dies geschieht nicht immer ganz aus freien Stücken, vielmehr wird sie von den »Herren« dazu abkommandiert [...], vermutlich weil ich eine Frau bin und sie deshalb meinen,daß ich mit dem Teufelsinstrumentarium der Kombüse zurechtkommen mußte. Das wird sich nie ändern. Aber mich hat Kochen niemals interessiert. (FT, 118)

»Ansonsten« ist sie dazu verdammt, »Protokolle« zu schreiben. (FT, 140) Sie übernimmt also die >weiblichen< Aufgaben der Hausfrau und Sekre­ tärin. Obwohl ihre Persönlichkeit keineswegs den Weiblichkeitsstereotypen entspricht, nötigen sie die Männer doch dazu, sie zu erfüllen. Dabei weist die Ich-Erzählerin nicht nur mehr oder weniger explizit auf die Geschlechterklischees hin, sondern macht sich auch über sie lustig. Dennoch unterwirft sie sich ihnen resigniert. Allerdings wendet sie auch hier eine weibliche List der

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Ohnmacht an, indem sie »beinahe ungenießbare Mixturen von Konserven« kocht, (ebd.) Der Umgang der Geschlechter miteinander ist durch gegenseitige Ironi­ sierungen geprägt, die aber die Geschlechterhierarchie nicht in Frage stellen. So redet Landry einen der Männer als »großer Astronaut« an, der sie in seiner Antwort als »[ujnser Mädchen« bezeichnet.373 (FT, 115f.) Die Frau überhöht den Mann also in der Anrede, während er sie verkleinert. Außerdem benutzt er ein Weiblichkeitsklischee sowie ein besitzanzeigendes Fürwort, aber nicht mein, sondern das alle Männer an Bord umfassende unser. Auch wenn sich Landry nicht für Botanik interessiert, so läuft dies der klischeehaften Verbindung von Frauen mit Blumen und Blüten nur schein­ bar zuwider. Tatsächlich aber interessiert sie sich nur nicht für den wis­ senschaftlichen Aspekt der Pflanzenkunde. »Terminologie und Klassifizie­ rung« überlässt sie den Männern. Doch schaut sie gerne dabei zu, wenn sie sich mit den Pflanzen des Planeten befassen, den sie schließlich entdecken. Denn so »ist man weniger darauf versessen, bestimmte Dinge zu sehen. Man schaut, was man sehen wird und baut sich eigene Unverwechselbarkeiten.«374 (alle Zitate FT, 140) Die Männer werden ihrerseits nervös, wenn sie nicht» [b]eobachten, vermessen, Daten vergleichen« können.375 (FT, 143) Auch steht sie - >typisch Frau< - mit dem logischen Denken ihrer Begleiter »auf Kriegsfuß« und hält wenig davon,Theorien zu entwickeln, denn »[m]an kann begreifen, ohne zu erklären.«(FT, 151) Genau mit dieser Haltung aber rettet sie Tim und vermutlich ihnen allen das Leben. Damit erweist sich die >weibliche Intuition« in der Geschichte als der >männlichen Logik« über­ legen. Schon Mitte der 1990er-Jahre wies Joanna Jablkowska daraufhin, dass »Alma, die [131] Heldin der Erzählung sich selbst und drei Männer [rettet]«, (1996,130f.) und machte darauf aufmerksam, dass ihr dies »nicht dank ihres technischen Wissens« gelingt. Allerdings führte sie als Ermöglichungsgrund der Rettung nicht - wie hier vertreten - die >weibliche Intuition« an, sondern Landrys »angeborene[.] ständige[.] Unangepasstheit, Widerborstigkeit, die sie ununterbrochen rebellieren läßt.« (1996,131) Einzuwenden wäre gegen diese Interpretation vor allem, dass die Story keinerlei Hinweise darauf bietet, dass Landrys rebellische Haltung angeboren ist. Verglichen mit dem Kindergartenjob der Ich-Erzählerin hatten die Män­ ner früher weit bedeutendere« Posten inne. Und so wird es nach Ende der Strafexpedition auch wieder sein, obwohl nicht nur die drei Männer, sondern sie alle vier die Erde gerettet haben werden.

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Tim [...] würde, wenn er nach Hause kam, ein anderes Kommando erhalten, allmählich in der Hierarchie aufsteigen, es vielleicht bis zum Admiral bringen. Für Rorio würde es ab nun keine verbotenen Informationen mehr geben. Türmet würde man zum Ratsmitglied ernennen. (FT, 160)

Die Männer fallen also die Karriereleiter hinauf. Der Frau wird hingegen sogar etwas genommen. Sie wird künftig »nicht mehr stehlen. Nicht einmal mehr das.« (ebd.) So wie die Männer nach dem Raumflug wieder auf die männliche Erfolgsspur einbiegen, bleibt die Ich-Erzählerin auf der weib­ lichen Verliererstraße. Was ihr bleibt, ist vor dem »Spiegel« die märchenhafte Hoffnung zu hegen, »eines Tages wie eine verwunschene Prinzessin erlöset]« zu werden.376 Während die Männer erfolgreich auf ihren Verstand setzen, Raumschiffe navigieren, forschen und erwünschte wie unerwünschte bugs in Computerprogrammen entdecken, scheint sie als Frau auf ihren Körper zu setzen. »[SJchlank. Beinahe mager« könnte er doch »Gefallen erregen«. Doch »Gefallen zu erregen«, würde ihr nicht gefallen. So nimmt sie ihre Arbeit im Alphabetkindergarten wieder auf und sehnt »[sjich nach dem alten Zwang zurück, gegen den ich immer anzukämpfen versucht hatte«, und nach ihrer »alten Verzweiflung«. Damit meint sie nicht etwa die Repressalien, denen sie als verfolgte Ladendiebin ausgesetzt war, sondern ihre »Verkrüppelung«, als die sie ihre Kleptomanie bezeichnet. Denn ohne dieses »weibliche Gebrechen< fühlt sie sich »entstellt«, (alle Zitate FT, 160f.)

Der verrückte Professor Der Professor Dr. Hans Müller in Mecks Roman Das Gitter geht im Gegen­ satz zu den Männern in Grubers Fangt das Tier ganz und gar nicht gestärkt aus der Geschichte hervor. Im Gegenteil, als Insasse einer Nervenheilanstalt wird er vollständig entmächtigt. Doch schon sein Allerweltname kennzeichnet ihn als ebenso kontur- wie bedeutungslosen Menschen. Und er besagt zudem, dass er für alle Männer stehen kann, so wie etwa die Männer namens Hans in Ingeborg Bachmanns (1926-1973) Erzählung Undine geht. (1993b) Müller wird an der Universität, an der er als Humangenetiger tätig ist, für den »Weiberhasser« (G, 8) gehalten, der er zweifellos auch ist. So ist sein Frauenbild etwa durch die Überzeugung geprägt: »Alle waren sie Nut­ ten, wollten alle nur das Eine.« (G, 59) Dabei wird er selbst immer wieder feminisiert, so hat er ein »helle[sj, schlaffe[s]« und somit alles andere als >männliches< Gesicht. (G, 9) Auch seine Gesten wirken >weiblichIdealismus< »freiwillig« ein mit dem Samen eines Hengstes befruchtetes Ei einpflanzen. (G, 41, vgl. auch 65) Und dazu muss Müller sie nicht einmal anschreien. Die chilenische Diplomatentochter Isabel dell Doralez wird hingegen schon durch ihren Namen als Exotin ausgewiesen. Zudem klingt in ihm die schmerzensreiche Mutter Dolores an. Anders als die gescheite Susanne Schneider ist sie von »katastrophalem Unwissen«. (G, 10) Müller denkt von ihr als »hübsche[r] Schlange«, (G, 11) »verwöhnte[r] Edelschnepfe« (G, 40) und »Nobelhure« (G, 59). Tatsächlich aber will die verlobte Frau unberührt in die Ehe gehen, wie er sehr wohl weiß. (G, 41) Da ihre Einwilligung in das Experiment ausgeschlossen ist, führt er es ohne ihr Wissen an ihr durch. »Diese übermütige, eingebildete Person würde er sich schon gefügig zu machen wissen«, (ebd.) denkt er bei der Planung. Schließlich betäubt er sie und vergewaltigt die bewusstlose Frau, bevor er ihr das mit Jaguarsamen befruchtete menschliche Ei einpflanzen lässt.

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Später hat sie einen Abortus, bei dem sie stirbt. Müller ersetzt sie durch eine zweite Südamerikanerin namens Maria Luermo, deren Vorname sie vor all den anderen >hurenhaften< Frauen als Heilige auszeichnet. Müller selbst gilt sie denn auch bald als solche.378 Während Ratjan, der inzwischen nicht nur Zweifel hegt, ob die bewusst­ losen Frauen sich wirklich, wie ihm glauben gemacht, freiwillig zu dem Experiment bereit erklärten, unterlässt es hinter dem Rücken Müllers, Luermo ein mit Jaguarsamen befruchtetes menschliches Ei einzupflanzen. Außer­ dem haben sich er und Susanne Schneider ineinander verliebt. Diese erleidet schließlich in der Wohnung Müllers eine Todgeburt. (G, 117) In dem darauf­ hin einsetzenden Chaos bricht ein Feuer aus, das - symbolträchtig - durch die pornographische Videosammlung Müllers derart entfacht wird, dass Müllers Zuhause vollständig ausbrennt. Danach wird ihm der Prozess gemacht und er wird in die »Nervenklink Bonn« eingeliefert, (G, 119) in der er auch nach Jahren noch sitzt, (vgl. G, 119f.) Maria Luermo kehrt hingegen nach Südamerika zurück, wo sie heiratet. Ratjan und Schneider heiraten ebenfalls und haben im Laufe der Jahre miteinander mehrere Kinder, (vgl. G, 119f.) Die Botschaft von Mecks Roman ist bestenfalls ambivalent. Denn sie hat ihren Protagonisten derart übertrieben und klischeehaft als Misogyn ge­ zeichnet, dass er ihr - vermutlich unfreiwillig - zur Karikatur eines Frauen­ feindes missraten ist. Als solcher sind er und sein mörderischer Frauenhass schwerlich ernst zu nehmen. Letztlich verharmlost Meck die nicht nur grob­ schlächtig, sondern oft genug auch subtil auftretende tatsächliche Frauen­ feindschaft durch den fratzenhaft überzeichneten Misogyn. Interessant ist hingegen die Mittäterschaft der Frau an der eigenen Unterdrückung, die in der Figur Susanne Schneiders personifiziert ist. Weibliche Mittäterschaft an der Unterdrückung der Frauen wurde von Feministinnen erst einige Jahre nach Erscheinen des Romans erkannt und diskutiert. Christina Thürmer-Rohr entwickelte eine entsprechende These in dem Sammelband Mittäterschaft und Entdeckungslust (1989). »Der Begriff der Mittäterschaft«, schreibt sie in einem ihrer vier Beiträge, ist einer jener »Doppelbegriffe«, die sowohl auf einen gesellschaftlichen Prozeß als auch auf einen persönlichen Zustand verweisen. Er hat eine gesellschaftsanalytische und eine subjektiv-moralische Seite. Diese Doppelseitigkeit macht das Wesentliche des Begriffs aus. (1989,93)

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Der Macho und die Feministinnen

Davon, Mittäterinnen zu sein, sind die Frauen in Brandenburgs feministischem »Paradies« weit entfernt. Bevor ich mich ihnen zuwende, möchte ich jedoch einen kurzen Blick auf die einzige relevantere männliche Figur des Romans werfen: Anna Marias Ehemann, den aufstrebenden Politiker Immanuel Frank. Wie alle Figuren des Buches - männliche ebenso wie weibliche - ist er wenig individualisiert, sondern hat eine Funktion innerhalb des Romans. Diese besteht nicht etwa darin, die Handlung voranzutreiben, sondern vielmehr darin, bestimmte Rollen oder Funktionen zu personifizieren. In seinem Fall ist es die des sexistisch-patriarchalischen Typen. Immanuel Frank ist ein Ausbund an Machismus, ausgestattet mit so ziem­ lich allen negativen und negativ konnotierten männlichen Eigenschaften. Brandenburg hat in dem Mann eine Negativfolie geschaffen, vor welcher der Glanz des feministischen Paradieses umso heller erstrahlen kann. Der künftige Vorsitzende der »Christlichen Partei der produktiven Leute« ist von »Ehrgeiz« zerfressen, hat ein ungeheures Geltungsbedürfnis und insofern eine realistische Aussicht auf eine recht schnelle Karriere, »zunächst beim Militär und dann im politischen Leben des Landes«. (AM, 11) Selbstverständlich will er »von allen bewundert werden. Bewundert und unwidersprochen in allem, was er dachte und tat.« (AM, 12) Anders als die gutgebauten Hochzeiter des weiblichen Utopia ist er »nicht gerade ein Adonis« (AM, 11) und gegenüber seiner Frau zeigt er sich bar jeder Sensitivität.379 Er betrinkt sich vor und während eines Ehestreits bis zur Besinnungslosigkeit, (vgl. AM, 117ff.) beschimpft und bedroht Anna, wobei er alle misogynen Klischees und Vorwürfe von der mangelnden Vernunft, über Hysterie und Lächerlichkeit bis hin zur Infantilisierung auffährt,380 und vergewaltigt sie schließlich, (vgl. AM, 122ff.) Unterscheidet sich Florine in so ziemlich jeder Hinsicht von Frank, so hat sie doch eines mit ihm gemeinsam: Sie ist ebenso wie er eine reine Funk­ tionsträgerin ohne jede Individualität. Ihre Funktion ist die der Mentorin, die Anna ins feministische Utopia führt. Das allerdings ist keine geringe Rolle. Vielmehr steht sie im Zentrum des Romans.381 Billie Konarski, Annas erste Mentorin, unterscheidet sich von Florine dadurch, dass ihr Name das Geschlecht der sich lange Zeit als Mann aus­ gebenden Figur offen lässt, während Florine einen Namen trägt, der für als Blume beziehungsweise Blüte metaphorisierte Weiblichkeit schlechthin steht. Erst in ihrem den Roman beschließenden Abschiedsbrief gibt sich Billie als

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Frau zu erkennen. Allerdings erscheint sie bereits bei ihrem ersten Auftritt als »schmächtiges Kerlchen, eher ein Kind als ein Mann«. (AM, 17) Damit wird sie indirekt schon hier von allen negativen Eigenschaften und Lastern der Männer freigesprochen. Zudem kennzeichnet der geschlechtsunspezifische Name Billie als Grenzgängerin zwischen Patriarchat und feministischem Utopia. Anders als den Frauen in der feministischen Gesellschaft, kann man Anna schon eine gewisse Mittäterinnenschaft zur Last legen, jedenfalls solange sie mit ihrem Mann in der Villa zusammenlebt. So etwa, wenn sie sich nach der sexuellen Belästigung im Rotlichtviertel schämt und die Schuld bei sich selbst sucht, (vgl. AM, 37) vor allem aber dadurch, dass sie ihr »ganzes Leben darauf eingestellt« hat, ihrem Mann »zu gefallen. Ich habe mich angestrengt, die Welt und alles darauf und darin mit seinen Augen zu sehen und mit seinem Verstand zu begreifen.«382 (AM, 75) Dies alles ist allerdings keineswegs ihrer >Weibsnatur< anzulasten, son­ dern vielmehr der patriarchalischen Sozialisation, die derjenigen von allen Mädchen »aus gutem Haus« glich: Sie kam zur Erziehung in ein gutbürgerliches Mädchenintemat und wurde zehn [11] Jahre später daraus wieder entlassen. Als niedliches Etwas, von geradezu marienhafter Reinheit und überzeugt davon, daß sie dieses Dasein nur ertragen konnte, wenn sich ein Mann um sie kümmerte, sie unter seine Fittiche nahm. So war der nächste logische Schritt in Annas Leben dann auch der der Heirat gewesen. (AM, 10t.)

Nach dieser Lehr- und Vorbereitungszeit hat sie gerademal neunzehnjährig geheiratet und trat »praktisch unmittelbar von der Schutzherrschaft des Inter­ nats in die Schutzherrschaft der Ehe«, (AM, 21) wobei erwartet wurde, »daß sie selbstverständlich unberührt in die Ehe ging.« (AM, 13) Letzteres wird von der Erzählinstanz mit der Bemerkung kommentiert, dass ihr künftiger Mann also »ein Stümper« sein konnte, (ebd.) Damit wird Sexualität gleich zu Beginn des Romans auf Technik reduziert, so dass sexuelle Befriedigung alleine von den sexuellen Fertigkeiten des Partners abhängt. Um einen solchen »Stümper« handelt es sich ganz offenbar bei Frank. Denn die zur Handlungszeit bereits 35 Jahre alte und somit seit 16 Jahren verheiratete Protagonistin hat »bisher zu Sex keine Beziehung.« (AM, 9) Damit soll vermutlich gesagt sein, dass sie bisher noch keinen Orgasmus hatte, ja nicht einmal Freude an ihrer Sexualität. Denn es dürfte doch davon auszugehen sein, dass sie im Laufe von anderthalb Jahrzehnten wiederholt Sex mit ihrem Mann hatte. Annas (Nicht-)Verhältnis zur Sexualität wird so­ gleich Florines erfülltes Sexualleben gegenübergestellt: »Ich habe schon früh

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damit angefangen. Das erste Mal war ich siebzehn. O Anna, es war phantas­ tisch! Meine Mutter hat mir den Liebhaber eigenhändig ausgesucht.« (ebd.)

5.3 An den Fronten des Emanzipationskampfes Die in diesem Abschnitt behandelten, während der Zeit der Zweiten Frauen­ bewegung entstandenen und veröffentlichten Texte unterscheiden sich bereits auf den ersten Blick in zwei mit einander korrespondierenden Hinsichten. Zwei der Texte - diejenigen von Anna Seghers und Christa Wolf - entstanden zu Beginn der 1970er-Jahre in der DDR, die anderen etwa ein Jahrzehnt später in der Bundesrepublik beziehungsweise in Österreich. Sowohl der unterschiedliche Publikationsort wie auch die Publikationszeit könnten - im gegebenen Rahmen - nicht unterschiedlicher sein. Die Kurzgeschichten von Seghers und Wolf wurden in einem sich als sozialistisch verstehenden oder doch zumindest ausgebenden Staat zu Beginn der Zeiten Frauenbewegung veröffentlicht, wobei diese nicht einmal in der DDR selbst stattfand, sondern auf der anderen Seite, beim >Klassenfeindwestlichen< Autorinnen die heiß diskutierten frauenemanzipatorischen Themen ihrer Zeit wie etwa die >AbtreibungsfrageWeiblichkeit< und >Männlichkeit< nicht nur themati­ siert und reflektiert, sondern deren Hierarchisierung geradezu umkehrt. Und dies bereits Anfang der 1970er-Jahre. Doch konnte sie dazu prinzipiell auf Vorstellungen des gemäßigten Flügels der Ersten Frauenbewegung zurück­ greifen. Dass sie ihr allerdings tatsächlich bekannt waren, konnte allerdings nicht nachgewiesen werden.

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In fast allen Texten der bundesrepublikanischen und österreichischen Autorinnen der Zeit werden sowohl die Frauenbewegung wie auch die Geschlechterrollen nicht direkt thematisiert, sondern allenfalls indirekt reflek­ tiert. Eine ins Auge stechende Ausnahme bildet Brandenburgs (differenz-) feministische Utopie Anna Maria. Dass auch weniger explizite Bezugnahmen auf die Frauenbewegung sehr wohl ganz dezidierte Stellungnahmen zu Fragen beinhalten können, welche die Frauenbewegung in den 1990er-Jahren auf die Tagesordnung setzten, lässt sich nicht nur an Voges’ Olympia Männertrost, sondern auch an dem bislang noch nicht angesprochenen Roman Zeit der Wanderungen (1981) deutlich machen. Verfasst hat das unter dem Pseudonym David Chippers erschienene Buch Friedlinde Cap. Der Plot ist schnell umris­ sen: So wie ihr 1950 erschienener Roman Mit Atomkraft ins All zeitgeistge­ mäß auf die Atomkraft setzt, handelt dieser zur Zeit des heftig umstrittenen Nato-Doppelbeschlusses383 und der ihrem Höhepunkt entgegenstrebenden Friedensbewegung entstandene Roman nicht weniger zeitgeistgemäß in ei­ ner Post-Doomsday-Welt, genauer gesagt »nach dem zweiten Atomkrieg«, (1981, 5) der vor »mehr als tausend Jahren« geführt worden war. (1981,9) Als das Überleben der Menschen in einem »befestigten Oasendorf« (1981,5) gefährdet ist, machen sie sich unter Führung eines jungen Mannes namens Nemo auf den Weg in den Norden. Dort liegt die Großstadt Central City, die sie trotz aller Fährnisse erreichen. Mit anderen Menschen dürfen sie ein Raumschiff besteigen, das sie in eine »neue Heimat [...] auf einem anderen Planeten« bringen wird, (1981, 174) dem Nemo in der letzten Zeile des Buches den Namen »Paradies« gibt. (1981,190) Wie diese wenigen Zeilen deutlich machen, handelt es sich um eine Heils- und Erlösungsgeschichte. Hier interessiert aber nur der Beginn des Buches, in dem die Autorin zwar nur implizit, aber auf unverkennbar reaktionäre Weise in die Anfang und Mitte der 1980er-Jahre immer noch virulente Abtreibungsdebatte384 eingreift, und zudem Mutterinstinkte sowie überhaupt die Vorstellung, Frauen seien hormongeleitet, beschwört. Der Roman beginnt damit, dass die Dorfbewohnerin Chi Dukkan385 zum dritten Mal schwanger ist. Da nun alle »gesunden Paare« des Dorfes - aus nicht näher dargelegten Gründen - nur zwei Kinder haben dürfen,386 soll sie es den Gesetzen des Dorfes gemäß abtreiben. Chi, eine an sich den Umstän­ den entsprechend gebildete Frau, die »alles gelernt und gelesen [hatte], was nur [...] erreichbar war«, (1981,6) bedeuten all ihre Kenntnisse und all ihr Wissen als Schwangere nichts mehr. Denn fortan ist sie »primär Mutter« (1981,6) und setzt die »ganze Kraft ihrer wilden Persönlichkeit« nur noch

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dafür ein, das Kind zu bekommen, obwohl sie >weißWissens< wird sie für dieses verbotene Kind kämpfen wie eine Tigerin! Dieser kleine Mensch in ihr hatte es, allen Schwierigkeiten zum Trotz, fertiggebracht, sein Leben zu entfalten - sollte nun sie, seine Mutter, sein einziger Schutz gegen diese feindliche Welt, ihn den Vernichtern ausliefem? Sollte sie ihn verraten? (1981,6)

Das aber lässt »die hormonelle Beeinflussung der Mutterinstinkte« nicht zu, die in ihr ein »Gefühl« weckt, »das von Tag zu Tag stärker wurde: die Liebe zu dem Hilflosen, das in ihrem Schoß heranwuchs, die Liebe zu ihrem Kind.« (ebd.) So bekommt sie das Kind heimlich und illegal. Es ist ein Junge. Während er heranwächst ist sie seine ganz besondere Vertraute, der er als »einzige[.J« von einem »kleinen Paradies« erzählt, das er sich geschaffen hat. (1981,24) Natürlich handelt es sich bei ihm um den besagten Nemo, den Hel­ den der Geschichte, der die Menschen des Dorfes tatsächlich ins >Paradies< führen wird. Der das Kind schützende Mutterinstinkt schützt nicht nur das Kind, lautet die Botschaft, sondern rettet durch es die gesamte Menschheit. Zwar ist auch Käsbauers Roman nicht eben emanzipatorisch. Doch sind, wie gezeigt, keineswegs alle einschlägigen Romane der Zeit von einer derart reaktionären Mutterschaftsideologie beseelt. Ebenso wie zur Zeit der Ers­ ten Frauenbewegung gab es vielmehr auch zur Zeit der Zweiten SF-Texte von Frauen, die konservative und solche, die emanzipatorische Geschlechterbilder konstruierten. Wenngleich letzteres nur in Maßen und durchaus nicht so eindeutig und offensiv, wie das ihre schreibenden Kolleginnen zu Beginn des Jahrhunderts taten. Denn auch die meisten derjenigen, welche die patriarchalischen Verhältnisse oder doch wenigstens die Männergewalt kritisieren, wie etwa Neuwirths Columbina, kommen nicht über diese Kri­ tik und eine allenfalls individuelle (Flucht-)Lösung hinaus, ohne wie noch Bertha von Suttners Der Menschheit Hochgedanken oder Helene Judeichs Neugermanien3*1 Frauensolidarität und gesellschaftliche Besserstellung der Frau zu vertreten. So erscheinen selbst die emanzipatorischsten Romane dieses Untersuchungsabschnitts - zumindest angesichts der veränderten Geschlechterverhältnisse - insgesamt sogar als deutlich defensiver als die von Suttner und Judeich. Kaum einer von ihnen nimmt explizit oder gar positiv auf die Frauenbewegung Bezug. Die deutlichste Ausnahme ist Brandenburgs allerdings eher utopischer Roman Anna Maria. Voges’ Olympia Männertrost steht ebenfalls eindeutig unter dem Einfluss der Frauenbewegung.

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Dezidiert negativ nimmt Chippers Zeit der Wanderungen auf eine Forde­ rung der Frauenbewegung Bezug. Leise Anklänge einer Beschäftigung mit der Frauenbewegung finden sich in je einer beiläufigen Bemerkung zweier weiterer Texte. Beide wurden männlichen Wesen in den Mund gelegt. So flucht der sexistische Ich-Erzähler Professor Müller in Barbara Mecks Roman Das Gitter vor sich hin: »Kannte sich einer in [sic] den Weibern aus! Noch dazu in den Emanzipierten ...« (G, 10) Das andere Mal klagt der männliche >Tintenfisch< Cromko in Irmtraud Kremps Kurzgeschichte Kontaktaufriahme, die Frauen wollten »auf einmal alle einen Job haben«. (1979b, 112) Ein weiterer Unterschied sowohl gegenüber der Zeit der Ersten Frauen­ bewegung wie auch gegenüber den 1950er-Jahren ist, dass nunmehr erstmals Geschlecht im Sinne von biologischem Sex thematisiert wird und es in Ge­ stalt von Sydows Harakos etwas anderes als die altbekannten und bipolar gedachten Geschlechter (männlich/weiblich) gibt. Bemerkenswert ist dabei auch, dass Sydow, die sich diese Spezies ausgedacht hat - und so die bis dahin gewagteste Geschlechterkonstruktion deutschsprachiger Science Fic­ tion von Frauen erdachte, ohne dabei allerdings internationales Neuland zu betreten -, auch einen weithin konservativen Roman geschrieben hat, der das Eheglück hochhält. Augenfällig ist zudem, dass die Männergewalt, die Frauen in den SFRomanen der 1970er- und 1980er-Jahren angetan wird, sehr viel unmittelbarer und brutaler geworden ist. So kommt es etwa zu drei Vergewaltigungen (Meck 1980, Brandenburg 1982 und Neuwirth 1985). Überhaupt wird Sexualität bis hin zum Koitus im wahrsten Sinne des Wortes weit unverblümter be­ schrieben.388 Anderes hat sich hingegen nicht geändert, seitdem Moderatus Diplomaticus die Deutschen und Engländer 1873 den Mond besuchen ließ, oder hat sich nach einigen allerdings sehr zaghaften emanzipatorischen An­ sätzen in der SF-Literatur zur Zeit der Weimarer Republik, in der eine auch nur halbwegs emanzipierte Frau wie Friede Velten keinen sonderlichen Wert darauf legt, eine Liebesbeziehung durch eine Trauung >legitimieren< zu las­ sen, wieder zurückentwickelt: Noch immer ist die heterosexuelle Zweierbe­ ziehung die unhinterfragte Norm389 und es wird sogar wieder das Eheideal gepriesen. (Sydow 1975) Allerdings auch nur in der (SF-)Literatur und ganz im Gegensatz zu einer weithin gelebten Realität, in der nicht nur monogam lebende Heteropaare als reaktionär angeprangert wurden,390 sondern nicht eben wenige Frauen in den Lesbenfrühling391 aufbrachen. Das taten möglicherweise auch die Frauen in Rosemarie Voges’ Kurz­ geschichte Olympia Männertrost. Es stellt sich mithin die Frage, wie sie

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sich zur zeitgenössischen Frauenbewegung verhielt. Dass sie von ihr inspi­ riert ist, lässt sich schwerlich bezweifeln, springt ihr »deutlich feministischgesellschaftskritische[r] Inhalt« (Wokusch 1997, 523) doch geradezu ins Auge. Barmeier fragt sich gar, ob es eine »Parabel auf Selbstbefreiung« sei, »wie Frauen sie heute versuchen«. (Barmeier in Suvin/ders./Hasselblatt 1983, 122) Diese Frage lässt sich mit Fug und Recht bejahen. Denn genau das ist ihr Thema. Auch ist es zweifellos eine »feministische Parabel«, wenn­ gleich Darko Suvin das so nicht gelten lassen will und präzisiert, es sei »die Parabel einer tief betroffenen Frau, die noch nicht ganz in diesem orthodo­ xen, nordamerikanischen Sinne wenigstens, eine Feministin ist«. (Suvin in ders./Barmeier/Hasselblatt 1983, 123) Ob die Autorin nun eine Feministin in diesem Sinne ist (oder zur Zeit der Niederschrift der Kurzgeschichte war), mag dahingestellt bleiben. Wichtig ist hier jedoch, dass die Geschichte selbst zweifelsfrei feministisch ist. Dabei ist sie deutlich dystopisch. Denn die Befreiung der Automatin misslingt. Doch sogar wenn sie geglückt wäre, hätte es sich nicht (wie von der Frauenbewe­ gung angestrebt) um eine Selbstbefreiung aus eigener Kraft gehandelt, da sie in steter Abhängigkeit vom Wohlwollen Manfreds bleibt. Auch negiert die Geschichte trotz Manfreds Versuch, ein aufgeklärter Mann zu sein, die Möglichkeit eines gleichberechtigten Zusammenlebens der Geschlechter. Denn die Frauen haben das Land der Männer verlassen. Und darüber, ob ihnen alleine ein besseres Leben gelingt, schweigt die Geschichte.

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6 Die Mutter der Klon - Nach der Zweiten Frauenbewegung (1986-2010)

Während der SF-Boom bereits zu Beginn der 1980er-Jahre abebbte und die Frauenbewegung spätestens bis zur Mitte des Jahrzehnts weitgehend erlahmte, erlebte die von Frauen geschriebene Science Fiction deutscher Sprache nun erst ihre eigentliche Blüte. Die Anzahl der publizierten Titel stieg, die Ideen und Handlungen wurden origineller, die Werke insgesamt anspruchsvoller und namhafte Schriftstellerinnen wie Juli Zeh oder die bei­ den Feministinnen Jutta Heinrich (* 1940) und Marlene Streeruwitz (* 1950) bedienten sich des Genres. Nur in der DDR blieben Qualität und vor allem die Quantität der von Frauen geschriebenen Science Fiction so dürftig wie zuvor. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass dem angeblich der Zukunft zugewandten >Arbeiter- und Bauemstaat< nach 1985 gerade einmal ein halbes Dezennium blieb, bevor er selbst der Vergangenheit angehörte. So konnte nur ein einziger nach dem Niedergang der Frauenbewegung in der DDR veröffentlichter Text in den Untersuchungskorpus aufgenommen werden, dem ein rundes Dutzend Werke aus den anderen deutschsprachigen Staaten gegenübersteht. Geschrieben hat ihn Angela Steinmüller (*1941), die in der DDR bis dahin bereits einige Bekanntheit als Co-Autorin zahlreicher gemeinsam mit ihrem Mann Karlheinz Steinmüller (*1950) verfasster SFWerke erlangt hatte.

Zukunftsmusik eines untergehenden Staates Die in dem Thüringer Örtchen Schmalkalden geborene Autorin wuchs in Berlin auf. In jungen Jahren arbeitete sie »als Stenotypistin, Sekretärin und Betriebsorganisator beim Berliner VEB Gasversorgung und als Verwaltungs­ angestellte in der Geschäftsstelle der Evangeli [244] sehen Studentengemein­ ten der DDR«.392 (Si. 1988, 243f.) Bereits 30-jährig begann sie ein Mathe­ matikstudium, bevor sie die schriftstellerische Produktionsgemeinschaft mit ihrem Mann aufnahm, aus der zahlreiche SF-Texte hervorgingen.393 So

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publizierte das Autorinnenduo etwa eine Weltraum-Utopie mit dem Titel Andymon (1982) oder mit Pulaster (1986) den Roman eines Planeten. Außer­ dem veröffentlichten sie 1985 gemeinsam eine Biographie Charles Darwins (1809-1882). Angela Steinmüllers zehn Seiten umfassende Kurzgeschichte Fernschach™ (1986) handelt »im zwanzigsten Jahrhundert«, (FS, 208) in dem sich zahl­ reiche Menschen einfrieren lassen, um in einer besseren Zukunft aufzu­ wachen. Ein seit vierzig Jahren verheiratetes Ehepaar steht im Zentrum der Handlung. Vermutlich aus Bequemlichkeit entscheidet sich der Mann, in der Gegenwart zu bleiben, während die Frau den schockgefrosteten und so - wie sie hofft - nur vorübergehenden Tod sucht, weil sie »zu sehr an den Kindern [hängt]«. (FS, 211) Die etwas schwache Pointe der Geschichte besteht darin, dass die Menschen aus der Zukunft ihrerseits in die Gegenwart des Ehepaares reisen, um in dieser Zeit ein besseres Leben zu führen. Die Geschlechterrollen der Protagonistinnen sind vollkommen konven­ tionell, geradezu spießbürgerlich verteilt und grenzen somit schon fast ans Satirische. Die Ehe- und Hausfrau trägt eine Schürze, hat Kirchkuchen ge­ backen und gießt ihrem Mann den Kaffee ein, während er es sich bequem macht (vgl. FS, 206) und das den Intellekt fordernde Schachspiel pflegt, (vgl. FS, 208) Gänzlich konventionell ist auch, dass der Protagonist mit seinem vollen Namen vorgestellt wird, während es die Erzählinstanz beim Vornamen der Protagonistin belässt, (vgl. FS, 205) Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit besitzt die Geschichte jedoch schon: Männer werden sowohl von der Erzählinstanz wie auch von den Fi­ guren stets und in jeder Konstellation vor den Frauen genannt: »Christian! Hannelore!« (FS, 205). »Sohn und Schwiegertochter« (ebd.), »Sven, Melanie und Sue Ann« (ebd.), »Christian und Hannelore« (FS, 206), »Sven-Rico, Sue Ann« (FS, 207), »Paul und Inge« (FS, 208), »Papa, Mama« (ebd.). Damit signalisiert die Erzählung die Prädominanz des Männlichen. Doch lässt die Kurzgeschichte keinerlei weitere Hinweise auf eine Kritik der (Geschlechter-) Verhältnisse erkennen. Ein Echo der Frauenbewegung (sei es nun die der BRD oder die der Friedensfrauen der DDR) hallt nicht mal noch so leise nach.

Der westliche Blick in die Zukunft

Die Bundesrepublikanische Autorin Sophie Behr (*1935), deren im femi­ nistischen Ulrike Helmer Verlag erschienener Roman Ida&Laura Once

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more with feeling395 (1997) beleuchtet wird, heißt mit vollem Namen Sophie-Elisabeth von Behr-Negendanck und wurde in Mecklenburg gebo­ ren, studierte Spanisch, Psychologie sowie Soziologie und war 16 Jahre als Journalistin für das Nachrichten-Magazin Der Spiegel tätig. Danach »schrieb (sie) sich in zahlreichen Beiträgen für Rundfunk, feministische Presse396 und in Buchpublikationen frei«. Außerdem »engagierte [sie] sich als und für Alleinerziehende, ebenso in der Frauenfriedensbewegung.« (alle Zitate IL, o. P. [d.i. 375]) Zu ihren meist nicht sehr umfangreichen Buchpublika­ tionen zählt etwa der gemeinsam mit Helga Häsing verfasste Ratgeber Ich erziehe allein. Problemlösungen und Ermunterungenjur die Erziehung ohne Partner (Behr/Häsing 1980) oder der Roman Reisen, speisen, grausam sein (Behr 2007). Außerdem veröffentliche sie unter dem Pseudonym Nasenbaer Riecher Innerungen (1991). Myra Çakan (*??) ,397 eine der produktivsten deutschsprachigen SF-AutorInnen, die sich nicht alleine auf die Publikation literarischer Texte beschränkt, sondern auch ein Dutzend einschlägige Hörspiele für den WDR, Radio Bre­ men und den SWR geschrieben und produziert hat,398 lebt in dem bei Ham­ burg gelegenen Örtchen Holm-Seppensen, (vgl. Brennecke 2009) Zu ihrem umfangreichen literarischen Œuvre zählen ihre hier näher betrachtete erste selbständige Publikation When The Music’s Over399 (1999) und drei weiter SF-Romane400 sowie rund zwanzig Shortstories.401 Außerdem schrieb und schreibt sie für diverse Presseerzeugnisse, darunter c’t (1983-), Konr@d (1997-1999) und die Süddeutsche Zeitung (1945-). (vgl. Kürschners deut­ scher Literatur-Kalender 2004/2005 2005,165) Else Laudan vom Argument Verlag preist Çakan als eine »unserer besten Neuentdeckungen«, betont je­ doch, dass die Autorin »keine Feministin« ist. (2002, 78) Die Lektüre von Çakans SF-Werken bestätigt zumindest letzteres. Çakan ist nicht nur als Autorin tätig, sondern auch auf anderen künstlerischen Gebieten. So ist sie auf Ausstellungen mit Reisebildern sowie mit astronomischen und FengShui-Gemälden vertreten, (vgl. Brennecke 2009) Die Wiener Autorin Irene Fleiss (*1958) war zur Zeit der Publikation ihrer hier zu beleuchtenden Kurzgeschichte All die Gestern und Morgen (1993) als Sachbearbeiterin an der Hochschule für angewandte Kunst ihrer Heimatstadt tätig.402 Neben einigen Kurzgeschichten veröffentlichte sie den in Lautenschlags Medea Verlag erschienenen phantastischen Roman Die Leibwächterin und der Magier (1984) sowie in der Folgezeit eine Reihe weiterer Erzählungen und Romane. Doch schreibt sie nicht nur literarische Texte, sondern veröffentlichte unlängst auch ein zweibändiges Werk zum

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Leben in matriarchalen Gesellschaften mit dem Titel Als alle Menschen Schwestern waren. (2006 und 2007) Die in Berlin geborene Autorin Jutta Heinrich studierte Sozialpädagogik, Germanistik und Literaturwissenschaft. 1977 veröffentlichte sie mit dem Roman Das Geschlecht der Gedanken (1917) ihr erstes Buch, das seinerzeit von Friederike Fecht als »weitgehend geglückter Versuch einer weiblichen Selbst-Erfindung in Sprache« gewertet und von ihr zu Recht Verena Stefans (*1947) feministischem Bestseller Häutungen (1975) an die Seite gestellt wurde. (Fecht 1980,214) In den folgenden Jahren publizierte Heinrich zahl­ reiche weitere Romane, Theaterstücke und Erzählungen. Zuletzt den hier zu behandelnden Roman Unheimliche Reise403 (1998). Die gebürtige Burgenländerin Karin Ivancsics (*1962) lebt in Wien. Wäh­ rend der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre arbeitete sie im Wiener Frauen­ verlag, (vgl. Ivancsics, Hrsg. 1993,333) in dem sie auch die Romane Panik (Ivancsics 1989a) und Fama (Ivancsics 1990) veröffentlichte. Dort erschien ebenfalls der von ihr herausgegebene Erzählband Der Riß im Himmel (Ivanc­ sics, Hrsg. 1993), aus dem ihre Kurzgeschichte Muttertag404 (MT) behandelt wird. 2005 veröffentlichte sie die Novelle Süß oder scharf- Ein Tag im Leben einer Taugenichtsin. Die Jenaerin Heidrun Jänchen (*1965) wird auf dem Klappentext ihres Romans Simon Goldsteins Geburtstagsparty4''5 (2008) fälschlicherweise als »Physiker« und »Autor zweier Fantasy-Romane sowie etlicher Kurzge­ schichten« ausgegeben. Tatsächlich ist sie jedoch Physikerin und Autorin. Da Jänchen den Verlag selbst gemeinsam mit Armin Rößler betreibt, deutet ein solcher Fauxpas nicht eben auf einen geschlechtersensiblen Sprachge­ brauch der Schriftstellerin hin. Zuletzt gab sie gemeinsam mit Rößler den Erzählband Die Audienz (Rößler/Jänchen, Hrsg .2010) heraus, in dem sie mit der Kurzgeschichte Kamele, Kuckucksuhren und Bienen (2010) vertreten ist. Die aus Essen stammende Autorin Ulrike Nolte (*1973) studierte Ger­ manistik, Politologie und Skandinavistik. 2002 publizierte sie ihre Dis­ sertation unter dem Titel Schwedische >Social Fictiom.406 Jägerwelten401 (2000), dessen Geschlechterkonstruktionen hier behandelt werden, ist ihr erster Roman. 2006 veröffentlichte sie mit Die fünf Seelen der Ahnen einen zweiten. Außerdem übersetzte sie seit Erscheinen ihres Erstlings mehrere englischsprachige Romane. Marlene Streeruwitz ist neben der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (*1946) eine der »populärste[n] und gleichermaßen umstrittenste[n] Gegenwartsautorin[nen]« Österreichs, wie Susanne Borchardt zutreffend

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bemerkt.408 »[I]n ihrer feministischen Patriarchatskritik«, fährt Borchardt fort, beschreibe die Literatin »die weibliche Sprachlosigkeit, die Folge eines seit Jahrhunderten währenden Verdrängungsprozesses von Frauen aus dem männlichen Literatur- und Kulturbetrieb ist.« (1998, 519) Zu Streeruwitz’ umfangreichem Œuvre zählen Romane, Erzählungen, Essays und anderes mehr. Zuletzt erschien ihr Roman Das wird mir alles nicht passieren... (2010). Sie ist alles andere als eine genuine oder gar >bloße< SF-Autorin. Dennoch hat sie mit Norma Desmondm (2002) einen Roman publiziert, der sich ausweislich seines Untertitels A Gothic SF-Novel - völlig zu Recht dem Genre zurechnet. Die Juristin Juli Zeh gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autorinnen der jüngeren Generation. Sie veröffentlicht sowohl Erzähltexte wie auch Essays, Polemiken und feuilletonistische Arbeiten. 2001 debütierte sie mit dem überaus erfolgreichen Roman Adler und Engel. Bereits zuvor hatte sie ihre ersten Auszeichnungen erhalten, wie etwa im Jahr 2000 den CarolineSchlegel-Preisfür Essayistik. Doch seit Adler und Engel wird sie mit Preisen geradezu überschüttet. 2002 bekam sie den Deutschen Bücherpreis sowie zwei weitere Auszeichnungen zugesprochen, ebenfalls dreifach gekrönt ging sie aus dem Jahr 2003 hervor. Nicht viel anders geht es bis heute fort. Im Jahr 2009 erschien ihr dystopischer SF-Roman Corpus Delicti.410

Klone, Hybridwesen und Aliens

Die in diesem Abschnitt behandelten Romane und Kurzgeschichten spielen sowohl in der allernächsten Zukunft wie auch in den fernen Jahrhunderten zur Mitte des 3. Jahrtausends. Zu den Stories, welche die Handlung unmittelbar in der Gegenwart an­ siedeln, zählt der stilistisch experimentelle Patchwork-Roman Ida&Laura von Sophie Behr, dessen zusammengeschriebener Titel bereits die enge Ver­ bundenheit, ja Einheit und Identität der beiden Protagonistinnen vor Augen führt. Ida und Laura sind Mutter und (Klon-)Tochter. Der Roman setzt sich aus zwei (Handlungs-)Ebenen zusammen, die als Tagebucheintragungen der »[s]chwerpatriarchatsgeschädigte[n] Ida« gestaltet sind. (IL, 110) Die erste beginnt zur Zeit der Schwangerschaft der 50-jährigen Ida im Jahr 1986 und endet 1993 (also noch vor dem Erscheinungsjahr des Romans411). Das zweite fiktive Tagebuch deckt die Jahre 2003-2005 ab, (vgl. IL, 11) handelt also in der nächsten Zukunft der Entstehungszeit des Romans, ohne dass allerdings

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technische Neuerungen, künftige politische Entwicklungen oder ähnliches eine Rolle spielen würden. Überhaupt bewegt sich der Roman etwas herme­ tisch innerhalb der Mutter/Tochter-Konstellation, erweitert nur um einige nähere Beziehungen der Mutter zu Dritten: Einer Amme, dem Arzt, der das Klon-Verfahren durchführt, dem Freund Engelbert, dem einen oder anderen ihrer »zirka dreihundertsiebenundzwanzig Lovers« (vgl. IL, 28).412 Außerdem stellt die Tagebuchschreiberin diverse Reflexionen und Überlegungen an. Zu den beiden Tagebuch-Handlungsebenen treten von einem Computer verfasste Kommentierungen und Erläuterungen der Tagebucheinträge. Auch die Handlung in Jutta Heinrichs Roman Unheimliche Reise ist nicht in einer fernen Zukunft situiert. Vielmehr spielt sie, ohne dies auszusprechen, zu der Zeit, in welcher der Roman entstand. Bei Heinrich steht die Reproduk­ tionstechnologie sogar im Mittelpunkt des hier zweifellos üblen Geschehens. Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin verschlägt es auf einer Urlaubsreise in eine ihr unbekannte Kleinstadt, in der merkwürdige Dinge geschehen, die das Genre des Phantastischen und des Horror-Romans streifen. Dorothee Römhild zufolge handelt es sich denn auch um eine »Schauergeschichte«, »die in direk­ ter Anknüpfung an Shelley’s Frankenstein-Roman dem modernen Prometheus auf dem Höhepunkt seiner Omnipotenzphantasien gilt.« (1998,248) Daran ist zwar richtig, dass der Roman an Shelleys Werk anknüpft. Doch sind beide nicht als Schauergeschichte zu qualifizieren.413 Dass es sich bei Heinrichs Unheimliche Reise tatsächlich um einen SF-Roman handelt, wird deutlich, wenn die Protagonistin langsam dahinter kommt, dass all das Unheimliche in Zusammenhang mit den Machenschaften eines Konzerns steht, der hinter verschlossenen Türen und dicken Mauern an der gentechnisch unterstützten (Er-)Zeugung von Tier-Mensch-Hybriden arbeitet. Einige dieser Mischwesen aus Menschen und Affen leben bereits in dem Städtchen.414 In Juli Zehs zur Mitte des 21. Jahrhunderts handelnder Dystopie Corpus Delicti (vgl. CD, 12) stehen nicht Machenschaften der Reproduktionsmedizin, sondern ganz allgemein Gesundheitswesen und -wahn auf der dunklen Seite der Geschichte. In einer Gesellschaft, die glaubt »am Ziel« angekommen zu sein, da sie, wie der meinungsbildende Journalist Heinrich Kramer schwärmt, »eine Methode entwickelt [hat], die darauf abzielt, jedem Einzelnen ein mög­ lichst langes, störungsfreies und glückliches Leben zu garantieren. Frei von Schmerz und Leid.« (CD, 36) Nun erklärt Kramer zwar, das System sei »per­ fekt«, (ebd.) doch hat Zeh, wie sich leicht denken lässt, keine Eutopie, sondern ein dystopisches Deutschland entworfen, das sich zu einem totalitären Ge­ sundheitsstaat entwickelt hat, in dem die geringsten Vernachlässigungen der

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eigenen Gesundheit strengstens bestraft werden. In dieses Räderwerk gerät die Protagonistin Maria Holl, die mit tätiger beziehungsweise schreibender Hilfe Kramers zur Strecke gebracht und - nicht etwa bestraft sondern - weit schlimmer - resozialisiert wird.415 Auch die Romane von Heidrun Jänchen und Myra Qakan handeln in dys­ topischen Gesellschaften Mitte des 21. Jahrhunderts. £akan hat in When The Music’s Over ein postapokalyptisches Szenario entworfen, das mit »Klimakatastrophe«, »Ozonloch, ökologische[m] Kollaps, radioaktive[r] Verseuchung« alle üblichen Katastrophen parat hält. (W, 8) Länder wie Holland und die Kapverdischen Inseln sind überschwemmt, hausgemachte Erdbeben verwüsten ganze Landstriche, immer mal wieder schlagen Nuklear­ terroristen zu, Seuchen grassieren und zu allem Übel findet auch noch eine Invasion aggressiver Aliens statt. Der Roman folgt einigen zunächst ver­ sprengten Protagonistinnen, die sich in dieser Hölle mehr schlecht als recht durchzuschlagen versuchen. Schauplätze sind im Wesentlichen Deutsch­ land und eine aus ehemaligen Ölplattformen zusammengebaute künstliche Insel vor Afrika. Ins Zentrum des Geschehens geraten mehr und mehr die in Berlin lebenden »Tunnelratten«, ein Gruppe meist junger Menschen um ihre Anführerin Sunshine, die nicht nur überleben, sondern den käferartigen Invasoren aus dem All auch schon mal auf die Krallen klopfen wollen, ohne dabei jedoch ein bestimmtes, oder gar politisches Ziel zu verfolgen. In Jänchens Roman Simon Goldsteins Geburtstagsparty steht es nicht ganz so hoffnungslos um die Welt. Die Innere Europäische Union, in deren diversen Mitgliedsstaaten die Handlung spielt, wird von einem Konglomerat aus Geheimdiensten und wohl auch Konzernen beherrscht, das die Menschen nicht zuletzt qua massenmedial verbreiteter Propaganda und Falschmeldun­ gen kontrolliert. John Dove, einer der Protagonistinnen, trägt zu Beginn der Handlung zur Aufrechterhaltung dieser üblen Verhältnisse bei, indem er massenmörderische Anschläge verübt, die einer tatsächlich existierenden oder vielleicht auch nur fiktiven Katalanischen Separatistenorganisation in die Schuhe geschoben werden. Während der Ausführung eines dieser Anschlä­ ge rettet er einer zufällig neben ihm stehende Journalistin das Leben. Dies ist der Beginn seiner Wandlung. In einer weitgehend parallel verlaufenden Handlung verliebt sich der Programmierer Frank Böttger in die totkranke Tochter seines mächtigen und skrupellosen Chefs. Fast nebenbei geht es bei all dem auch um die Rettung der Welt. Irene Heiss’ Kurzgeschichte All die Gestern und Morgen handelt zwei-, dreihundert Jahre in der Zukunft. Fast alle Menschen glauben, dass Seelen-

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Wanderung wissenschaftlich belegt sei. Mehr noch, man könne von Spezia­ listen ausfindig machen lassen, wer man früher einmal war und wer man künftig sein wird. Sogar, wie diese Leben verlaufen sind beziehungsweise werden, verraten einem die »Reinkamatiologen«, (1993, 68). Hingegen ist die Zukunft des gegenwärtig gelebten Lebens unbekannt. Im Laufe der Ge­ schichte stellt sich jedoch heraus, dass der wissenschaftliche Beweis für die Seelenwanderung unhaltbar ist. Doch die Wissenschaftlerin, die das erkennt, verschwindet sang- und klanglos in einem getarnten Gefängnis. In nicht weniger ferner Zukunft ist Marlene Streeruwitz’ satirische Gothic SF-Novel angesiedelt, genauer gesagt, im 24. Jahrhundert. Das schlägt sich in vielerlei nieder. So werden die Menschen nun nicht weniger als vierhundert Jahre alt. Das allerdings hat auch seinen Preis, den sich jedoch nur die Reichen leisten können. Sie werden »Klonpaten« sogenannter »Klonmündel« - zwei Euphemismen dafür, dass sich erstere Klone als Ersatzteillager ihrer selbst halten, die dementsprechend keine (menschlichen) Namen haben, sondern durch Buchstaben/Zahlen-Folgen gekennzeichnet sind. Da der Verschleiß des Körpers eines Klonpaten in mancherlei Hinsicht nicht ganz unbeträchtlich ausfällt, sind die Klone entsprechend großzügig ausgestattet und haben auch schon mal »3 Penisse« wieP3/27/16,(ND, 10) der männliche Protagonist, der auch als David und später als Säugling unter dem Alias Duda auftritt. Gibt es im 24. Jahrhundert zwar einerseits Klone, so herrscht andererseits weltweit »Frauenmangel«. (ND, 14) Eine der wenigen Frauen dieser Zukunft ist die Handlungsträgerin mit dem titelstiftenden Namen Norma Desmond. Sie lebt als Geliebte bei einem offenbar wohlbetuchten Mann namens Donald. Das heißt, sie lebte bei ihm, denn zu Beginn des Romans liegt er bereits tot in seinem Sessel, was der Protagonistin einige Probleme ihren Lebensunterhalt betreffend bereitet. Außerdem wohnt der entlaufene Klon P 3/27/16 unter dem Namen David in dem Haushalt. Die Handlung besteht nun darin, dass und wie Norma versucht, sich mit David respektive Duda durchzuschlagen. Nicht ganz soweit in der Zukunft, dafür aber - zumindest zu Beginn - auf einem fernen von Aliens bewohnten Planeten handelt Ulrike Noltes Jäger­ welten, dessen Titel schon auf die bezeichnende Gemeinsamkeit zwischen dem fremden Planeten und der Erde hinweist. Zur Handlungszeit, den 2160erJahren (vgl. J, 9), ermöglicht die Raumfahrt Flüge zu weit entfernten Son­ nensystemen. Das Ankunftsziel ist jedoch nicht bestimmbar, sondern rein zufällig. Daher kann ein System auch nicht (absichtlich) ein zweites Mal angesteuert werden. Auf einem solchen Flug nehmen die seit drei Jahren mit­ einander verheirateten Wissenschaftlerinnen Myar Sabeen und Bishov Charl

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Tiere zur Untersuchung mit zurück auf die Erde. Unter diesen Geschöpfen befindet sich jedoch auch ein zunächst nicht als solches erkanntes intelli­ gentes Wesen mit einem flugechsenähnlichen »Raubtierkörper«. (J, 4) Es handelt sich um Schatten, einen männlichen Angehörigen seiner Spezies. Das Kommunikationsvermögen des Aliens ist weit ausgeprägter als das mensch­ liche. So erlernt er unbemerkt deren Sprache. Auch kann er ohne Weiteres menschliche Körpersprache lesen. Er ist sogar in der Lage, so etwas wie eine telepathische Gemeinschaft mit und unter Menschen herzustellen. Zurück auf dem terranischen Heimatplaneten spielt der Roman in Charis Heimat Pradres, einer aus den zusammengewachsenen Städten Prag und Dresden hervorge­ gangenen Metropole, »in der das Gesetze des Dschungels herrschte«. (J, 9) Die dortige Gesellschaft spaltet sich in die »Highs« genannten Herrschenden und Besitzenden einerseits, und in die »Nomaden«, die sich in kriminellen Banden organisiert durchs Leben schlagen, andererseits, (ebd.) Eine arbei­ tende und produzierende Klasse scheint keine Rolle zu spielen. In Pradres wird das zurückgekehrte Paar von dem Geheimagenten Winter verfolgt, der den Auftrag hat, das »Politikersöhnchen« (J, 8) Charl zu töten. Schatten rettet ihn und gibt dabei seine Intelligenz zu erkennen. So wie Jänchens im Auftrag der herrschenden Clique Anschläge verübender Massenmörder John Dove wandelt sich auch Winter vom Saulus zum Paulus. Später schließt er sich zusammen mit dem Ehepaar und Schatten den 269 Mitgliedern der seit 57 Jahren in einem Hochhaus lebenden Kommune der Jerusalemiten an, (vgl. J, 114 und 137) bei denen es sich um einen von der »unübersehbare[n] Zahl religiöser Kulte« (J, 9) der Stadt handelt.

Reproduktionstechnologien Wie bereits der Titel vermuten lässt, steht in Karin Ivancsics’ Kurzgeschichte Muttertag (1993b) ein geschlechtsspezifisches Thema im Zentrum: Mutter­ schaft. Die leicht phantastische Geschichte handelt in einer namenlosen Stadt, die wiederum in einer ziemlich heruntergekommenen Sozialstaatswelt liegt. Zwar leben einige Kinder in ihr, doch merkwürdigerweise weiß man nicht, »woher sie kommen. Sie tauchen einzeln oder in Scharen auf.« Daher brodelt die Gerüchteküche. So wird vermutet, dass Frauen als »Gebärmaschinen« missbraucht werden, die »künstliche[.J Kinder« austragen müssen. Seltsam ist jedoch, dass man niemals eine schwangere Frau sieht, was daran liegen mag, dass gar keine Frauen mehr benötigt werden, um Kinder in die Welt

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zu setzen. Dies zumindest besagt ein anderes Gerücht. Jedenfalls verdienen sich die Männer der Stadt ein »Zusatzgeld durch Samenspenden« und die in dem Ort auftauchenden Kinder wählen sich Frauen zur »Adoption« aus, mit denen sie anschließend - man weiß nicht wohin - verschwinden, (alle Zitate MT, 127) Vielleicht aber verschwinden sie aus der Öffentlichkeit in die private Sphäre hinter dem Herd und werden mithin unsichtbar. Denn offenbar metaphorisiert Ivancsics die ungleiche und ungerechte Rollenverteilung von Männern und Frauen bei der Arterhaltung. Während Frauen (durch die sie auswählenden Kinder) fremdbestimmt sind,416 sich nicht weigern können, wenn sie einmal ausgewählt wurden, (vgl. MT, 128) und mit Kind einer ungewissen Zukunft entgegengehen, profitieren Männer einfach nur gedan­ kenlos davon, ihren Samen >zu Spendern. Für die Frauen haben sie nicht mehr als ein paar oberflächlich beruhigende Worte übrig: »[M]an erzählt, dass es dort [wo die Kinder mit den von ihnen adoptierten Frauen hingehen, RL] gar nicht so schlecht sein soll«, (MT, 127) beruhigt eine der männlichen Figuren desinteressiert die Ich-Erzählerin, die befürchtet, soeben von einem Kind ausgewählt worden zu sein. Dass aber die Kinder tatsächlich eine zumin­ dest potentielle Bedrohung der Frauen darstellen, wird dadurch verdeutlicht, dass die Ich-Erzählerin von einem »Blockwart« erfährt, ausgewählt worden zu sein, während das betreffende Kind sie mit seinen »stechenden Augen« beobachtet. (MT, 129) Ist es für die Frauen in Ivancsics’ Kurzgeschichte bedrohlich, von einem Kind als Mutter adoptiert zu werden, so definiert sich Weiblichkeit in Behrs Roman Ida&Laura geradezu durch Gebärfähigkeit und Mutterschaft. Dazu zitiert Ida, die fiktive Tagebuchschreiberin, Franziska zu Reventlow (herbei): »>Der tiefste Grund meines Wesens ist doch das Muttersein.Lover< durchnummeriert (was

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im übrigen in der kalten Sachlichkeit eine als männlich geltende Haltung und Verhaltensweise wäre). Jedenfalls spricht sie dann und wann mal von einem mit einer Nummer versehenen Liebhaber. Da gibt es zum Beispiel die »Nr. 25«, der - und auch das gilt als typisch männlich und ist schon längst zum Klischee geronnen - abblockte, wenn sie »gerne ernsthaft mit ihm geredet hätte« und er dabei das Gesprächsthema sein sollte. (IL, 191) Das muss angesichts der niedrigen Liebhabemummer lange her sein. Und zur Zeit der Niederschrift würde sie wohl kaum noch Wert auf eine solches Gespräch legen, denn schon in der nächsten Zeile bekennt sie: WIRKLICH INTERESSIERT MICH AN MÄNNERN ZUR ZEIT NUR: Wie gehen sie eigentlich damit um, daß sie nicht schwanger werden können, damit, daß sie Kinder selbst nicht MACHEN können, mit vierzehn nicht und nicht mit vierundsiebzig?422 (IL, 191).

Sie vermutet nun, dass es die Männer tatsächlich nicht aushalten, keine Kinder bekommen zu können, und eben darum »vögeln, wirbeln, quasseln, ackern, suchen, quirlen, schießen, spritzen, hauen, stechen - kurzum SACHEN machen.« (IL, 191) Mit einem Wort: Alle Tätigkeiten von Männern sind Ersatzhandlungen infolge ihres Gebämeids.423 Auch sonst ist Idas Blick auf die Männer nicht sonderlich freundlich. Nennt sie Sigmund Freud »du Mann!«, dann klingt das wie eine Beschimpfung, ein Fluch gar. Zumal wenn sie dabei von seinen »Röntgenaugen« spricht, womit sie auf den Mann als Augenwesen anspielt, das Frauen mit den Blicken auszieht. (IL, 70) Allerdings hat sie auch nicht eben sonderlich gute Erfahrungen mit Män­ nern gemacht. Dass sie, die Mutter einer Klontochter, abwehrend reagiert, wenn ihr ein eineiiger Zwilling nicht nur versichert, »daß es keinen einzigen eineiigen Zwilling gibt, der zu seinem anderen Zwilling in anderer als Hass­ liebe lebt«, so denkt sie als liebende Mutter ihres quasi eineiigen Zwillings Laura zwar sofort: »Typisch Mann«, fragt ihn aber, »wie es wäre, wenn er ei­ nen Zwillingssohn hätte«, und muss hören, dass er ihn töten würde. (IL, 105) Sind sie aber Väter, so wollen die Männer »das letzte Wort haben, wenn’s um IHRE Kinder geht, sonst verweigern sie sich. DAS ist der wahre Kampf der Geschlechter.« (IL, 308) Und eben den muss Ida nicht mehr austragen, da sie sich eine Klontochter gemacht hat. Das heißt so ganz und gar ohne männliche Unterstützung ist sie doch nicht zu dem Klonkind gekommen. Denn Ida macht zwar selbst den oder besser gesagt die Klon, (vgl. IL, 17) zugleich muss sie sich aber auch eingestehen, dass »Max [...] mir den Klon [macht]«. Denn Max ist seines Zeichens »Biochemomikrochirurgologe«, wie die in ihrer Kompliziertheit ironisierende Berufsbezeichnung lautet,

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und besitzt daher das notwendige Wissen um das »Geheimnis« der »Zonal Membrane«, (alle Zitate IL, 19) Darum bittet sie ihn zwar um Hilfe, dennoch ist das Klonen - ebenso wie das Gebären - ein Privileg des weiblichen Geschlechts. Denn Männer können sich nicht klonen lassen. »Deren Körperzellkeme sind bisher [...] immer von entkernten weiblichen Eizellen abgestoßen worden«. (IL, 20) Das Vorrecht der Frauen auf Mutterschaft wird also auch durch die technische Errungen­ schaft des Klonens nicht angetastet. Im Gegenteil, »Annas Monstermann« vermutet sogar, mit Hilfe des Klonens hätten die Frauen »das verkappte Ziel der Frauenbewegung«, nämlich »Kinder ohne Männer zu machen«, ins Werk gesetzt. (IL, 179) Eröffnet eine neue Reproduktionstechnologie der Protagonistin in Ida& Laura die Erfüllung ihres stärksten Wunsches und eignet sich überhaupt zur Ermächtigung der Frauen, so dient sie in Heinrichs Roman Unheimliche Reise den experimentellen Zwecken ebenso ehrgeiziger wie gewissenloser Männer, die auf dem Rücken der Frauen verfolgt werden. Das und auch die nicht eben sonderlich originelle Idee Tier/Mensch-Hybride zu erschaffen, teilt das Buch mit Barbara Mecks nahezu zwei Jahrzehnte zuvor erschienenem Roman Das Gitter:424 Die Experimente werden in einer Herrenrunde von einem »Professor der Reproduktionsphilosophie« (U, 199) namens Cerval425 als »etwas Einzig­ artiges, noch nie Dagewesenes; nämlich die Kreu[202]zung verschiedener Lebewesen - in einem Mutterbauch, in dem biologischen Brutkasten einer Frau [-]« (U, 200lf.) beworben. Hierzu wird »eine reife, zur Befruchtung bereitete Eizelle« einer Frau mit den »tiefgekühlte[n] Spermien« eines Affen in einem von einem Mann erfundenen »genialen Brutofen« zusammengetan, »bis alles zu einem einzigen Teig ineinander [verschmilzt]« und das Ergebnis »in die Mutter [transplantiert]« werden kann. (U, 206) Cerval verspricht seinen Zuhörern nicht nur, »wir« - also er und die anwesenden Männer, ja alle seines Geschlechts - würden »bald Schöpfer von Tieren aus Menschen, Menschen aus Tieren, Mäusen aus Ratten, Schweinen aus Giraffen« sein, sondern - die Wunscherfüllung aller Männerphantasien - »ja, bald werden wir uns meine Herren ... eine schöne Geliebte so oft herstellen lassen können, wie wir wollen.« Damit sei zugleich die Emanzipation von der »biologischen Evolution« durch sie, die »Baumeister und Wunschleiter eines gigantischen Entwicklungssprungs« vollzogen, (alle Zitate U, 200) Die Vorstellungen von Eileiter und Eisprung evozierenden Ausdrücke Wunschleiter und Entwicklungssprung weisen darauf hin, dass die Männer

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fortan die biologische Funktion< der Frau bei der Fortpflanzung übernehmen, indem sie sie technisieren, wobei die besagte >Funktion< der weiblichen Eier­ stöcke jedoch keineswegs aufgehoben, sondern von ihnen funktionalisiert wird. »Mal ehrlich, meine Herren«, schlägt Cerval dann einen vertraulichen Ton an, »müssten Sie Gebärende, Austragende sein, so würden Sie sich schon längst für ein Tier entschieden haben, welches den Uterus zur Verfügung stellt.«426 (U, 201) Das paraphrasiert eine in Sophie Behrs Roman aufgegrif­ fene Parole der Zweiten Frauenbewegung: »WENN MÄNNER GEBÄREN KÖNNTEN, WÄRE ABTREIBUNG EIN SAKRAMENT.«427 (IL, 13) Behrs Ida schließt daran wenig später die Überlegung an: »Wenn Männer sich klonen lassen könnten, wäre Cloning ein Sakrament.« (IL, 20)

Paarungen Doch zurück zu Heinrichs Roman, der zwar etliche Figuren und Nebenfiguren (und seien diese auch noch so marginal) immer wieder entsprechend den üblichen Geschlechterrollen agieren lässt. Anders aber als die in ihrer Weib­ lichkeit ironisierte Angelina in Qakans Kurzgeschichte Ein total verdorbenes Wochenende (o J.) wohnt dieser Darstellung eine Potenz zur Kritik inne. So etwa wenn ein Ehepaar, das zu Beginn zufällig im selben Zugabteil reist wie die Protagonistin, ganz und gar entsprechend den Geschlechterrollen agiert be­ ziehungsweise eben nicht agiert. Wenn er und sie einander »beschw[ei]-gen«, wobei er - ganz Mann - »die drückende Ausdrucksunfähigkeit mit geübter Kühle [erträgt]«, während sie der Ich-Erzählerin »ab und zu einen verschämten Blick [zuwirft]«. (U, 10) Bleibt er ungerührt und emotionslos, so verhält sie sich nicht nur emotional, sondern lässt eine bestimmte, weiblich konnotierte Emotion erkennen. Ein kritisches Moment wohnt ihrem Blick insofern inne, als er zwar nicht unbedingt verschwörerisch ist, aber doch einer, mit dem Frauen sich über den Kopf des teilnahmslosen Mannes hinweg verständigen. Ist in Literatur und Alltag oft von den Schuhen der Frauen die Rede, so bei Heinrich von denjenigen der Männer, deren Schuhwerk bei der Ich-Erzählerin »Neid auf Wohlbefindlichkeit auslösen«, da es »auf selbstverständli[74]che Weise bezeug[t], daß es ein Fuß auch schaffen kann, mit wenig Schmerz die Welt zu erobern«. (U, 74f.) Indirekt geht es aber natürlich doch um Frauen­ schuhe, die hochhakigen, in denen sich nicht einmal schmerzfrei laufen und schon gar nicht die Welt erobern lässt.

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Ein weiterer Klotz am Bein der Frau auf dem Weg zum Erfolg sind be­ kanntlich Kinder. So sind sie auch in Heinrichs Roman über eine längere Passage hinweg mit ihren Müttern zusammen, die »[pjaarweise [...] Kinder­ wagen« durch die Stadt schieben, (U, 137) während die Väter absent sind. Diese Paare bestehen also nicht etwa aus Kindsmutter und -vater, sondern aus je zwei Müttern mit ihren jeweiligen Kindern. Als Väter treten Männer erst sehr viel später auf, ganz beiläufig und auch nur auf Photographien, die »Kinder aller Altersgruppen, neckisch und putzig angezogen, auf Männer­ beinen mit Shorts oder hochgekrempelten Trainingshosen, Familiengruppen« zeigen. (U, 144) In einer Art Urlaub- oder doch Freizeitstimmung also und nicht im oftmals trüben Eltern- das heißt Mutteralltag. Was die Geschlechterkonstruktionen in Qakans When the Music’s over betrifft, so stechen weniger die ihnen zugeordneten Utensilien, als vielmehr ihre Sexualität beziehungsweise ihr sexuelles Verhalten, ihr Umgang mit Sexualität ins Auge. Ebenso entsexualisiert wie entindividualisiert sind aller­ dings die käferartigen Aliens, über deren Geschlechtlichkeit sich der Roman ausschweigt. Fast vemachlässigenswert, da nur beiläufig erwähnt, ist, dass Qakan Deutschland von einer Bundeskanzlerin regieren lässt, (vgl. W, 181) was als emanzipatorischer Fingerzeig missverstanden werden könnte, ginge in dem Roman nicht das Gerücht um, alle Politikerinnen seien in Wirklichkeit »im Rechner gebaut[e]« Avatare. (ebd.) Auch wenn der Roman den Wahr­ heitsgehalt des Gerüchts offen lässt, so werden sie doch verächtlich in einem Atemzug mit »all d[en] reichen Ärsche[n]« genannt. (W, 182) Anders als in Qakans Roman ist Sexualität in der Kurzgeschichte von Irene Fleiss nicht negativ konnotiert. Es sei denn, man wollte alleine schon den Umstand, dass sie keine größere Rolle spielt, als negative Charakterisierung werten. Daher ist hier der Blick auf die Religionen für die Geschlechterkonstruktion relevanter. Die sind nämlich, sofern sie nicht dem Glauben an die Wiedergeburt anhängen, zu bloßen Sekten herabgesunken. Interessant ist nun, dass ihre Priesterinnen »zumeist weiblich« sind.428 (vgl. 1993, 75) Dies entspricht einmal der gängigen Vorstellung, dass die Frauen das reli­ giösere Geschlecht sind, und zum zweiten der Marginalisierung dieser Hälfte der Menschheit. Alles ganz konventionell also. Zumindest bis dahin. Denn eigentlich stehen Frauen in der Kurzgeschichte mit beiden Beinen eher fest auf dem Boden des Realen und sind »im allgemeinen mehr an ihrem gegen­ wärtigen Leben interessiert als an den früheren und kommenden.« (1993,75) Wenn Frauen eher anderen Religonen anhängen, dann ist dies wohl auch eine

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Entscheidung gegen die nebulösen - und wie die Geschichte zeigt bauemfängerischen - Versprechungen der Wiedergeburtspropagandistinnen. Zudem haben gerade Frauen wichtige Positionen in der Handlung des Romans wie auch in dessen Gesellschaft und Wirtschaft inne. So sitzt etwa mit Omella Carvin eine Frau als »Präsidentin« einem »Multikonzem[.]« vor und kann ein entsprechend »gigantisches Vermögen« ihr Eigen nennen, (vgl. 1993,67) Und schließlich ist es auch eine kluge Frau, die den vermeintlichen Beweis für die Reinkamationstheorie widerlegt: »Leonora Daniels, Zukunftsexpertin der Vereinten Nationen«, (1993,72) entdeckt, »daß der Steinman-Beweis auf einem Logikfehler beruhte.« (1993,74) In der Person der Zukunftsexpertin erweisen sich die Frauen als die besseren Logikerinnen.

Verfügbare, Freistehende und Eheverbände

In einer anderen Hinsicht ist der Geschlechterbias sogar geradezu umgekehrt. Zwar gibt es auch in der von Fleiss erdachten Zukunft zahlreiche Prostituierte, doch scheinen sie ausschließlich männlichen Geschlechts zu sein. Darauf hat bereits Susanne Wokusch in ihrem Aufsatz Frauen und ihre Sprache in der Science Fiction-Literatur hingewiesen, (vgl. IL, 521) Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass überhaupt fast alle Männer, die in der Kurzgeschichte vorkommen, Prostituierte sind oder zumindest waren.429 So auch der frühere »Kurzkontraktpartner« der Ich-Erzählerin ,430 (1993,68) Das Wort Prostituier­ ter fällt in der Erzählung allerdings nicht ein einziges Mal. Vielmehr werden die betreffenden Männer als »Verfügbare« bezeichnet und sind mit »Verfüg­ barkeitszeichen am Handgelenk« gekennzeichnet.431 (1993,64) Das Leben dieser Verfügbaren ist denkbar gefährlich. So berichtet die Ich-Erzählerin: Bei der Polizei habe ich mehr Verfügbare tot und verstümmelt in dunklen Ecken gefunden, als ich zählen konnte, weil es jede Menge Perverse gibt, die [65] glauben, daß sich die Verfügbarkeit auch auf Folter und Tod bezieht und weil die Polizei nicht überall zugleich sein kann. (1993,64f.)

Mit all dem sagt sie zugleich, dass die Frauen keineswegs das bessere Ge­ schlecht sind, denn sie stellen ja die Freierinnen und mutmaßlich findet sich unter ihnen auch die eine oder andere Vertugbaren-Mörderin. In Ulrike Noltes Jägerwelten spielt zwar der Gaube an Wiedergeburt keine Rolle, wohl aber Religionen überhaupt, die in zahlreiche Sekten aufgesplittert sind und die das (Privat-)Leben und somit auch die Geschlechterrollen und -Verhältnisse der Menschen weithin bestimmen. Jedenfalls, was die »Noma-

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den« betrifft. Über die Männer- und Frauenrollen bei den »Highs« erfahrt man hingegen wenig. Doch werden die wenigen in dem Roman vorkommenden Frauen dieser gehobenen Gesellschaftsschicht anonymisiert und als Klischees verächtlicher Weiblichkeit gezeichnet. So lässt die Autorin eine namenlos bleibende »blauseidene Lady [...] verzückt in die Hände [klatschen]« und dabei »Oh, wie aufregend! [...] in ihren Fächer [kichern]«. (J, 175) Dies mag jedoch weniger der Stigmatisierung der Frauen, als derjenigen der gesamten Klasse dienen, zumal sie einen - allerdings individualisierten - Mann auf der gleichen Seite nicht weniger klischeehaft und wohl noch abstoßender zeichnet, wobei sie ihn über seine Kleidung allerdings zugleich feminisiert, wenn sie ihn in » rosafarbene!.] Seidenspitzen« kleidet, (ebd.) Ganz anders die Nomaden, die durch ein Leben in den Häuserschluchten der heruntergekommenen Metropole geprägt sind, das von tausend Gefahren umlauert ist. Nicht nur die Männer müssen körperlich kämpfen können. Es gab viele Frauen unter den Nomaden, die gut genug mit einem Messer umgehen konnten, um sich alleine zu versorgen und sogar noch freistehende Männer bei sich aufzunehmen. (1,82)

Diese »Freistehenden« erinnern nicht von ungefähr an die »Verfügbaren« in Fleiss’ Kurzgeschichte. Zwar sind sie keine Prostituierten zur kurzfristigen sexuellen Befriedigung, aber doch Menschen, die einem anderen in jeder, also auch sexueller Hinsicht zu Diensten sein müssen.432 Die nicht unübliche Beschimpfung »Sohn einer verrotteten Freistehenden« (J, 89) bildet das Äqivalent zu dem beleidigenden Hurensohn. Auffällig ist die feminine Form der Verbalinjurie 433 obwohl es ja nicht nur freistehende Frauen, sondern auch Männer gibt. Frauen, die nicht kampftüchtig sind, bleibt in der Regel nichts anders übrig, »als sich selbst als freistehend anzubieten und dem ersten Mann zu folgen, der sie haben will.« (J, 82) Bemerkenswert ist auch die über alle religiös-sektirerischen Grenzen hin­ weg gepflegte »nomadische!.] Bisexualität«, (J, 202) und zwar umso mehr, als Heterosexualität aller Zukunft Regel zu sein scheint; zumindest wenn man die sexuellen Gepflogenheiten der Figuren in den anderen hier untersuchten Romanen verallgemeinern wollte. Aber auch Nolte erwähnt die Bisexualität bloß am Rande. Zu den zahlreichen religiösen Sekten mit ihren je spezifischen Verhaltens­ und Geschlechterkodizes zählen auch die »Feministinnen«, die allerdings ebenfalls nur ganz beiläufig erwähnt werden. »Die >Feministinnenso wie sie sein solltemännlich< die Initiative und beginnt, »sich in einem Bindungstanz zu drehen«, worauf sie vermutet, dass er sich mit ihr »vereinen« möchte. (J, 68) Sie beginnen nun »[rjhytmisch [...] die Knochenkämme aneinander zu pressen, erst langsam und zag[69]haft, dann immer heftiger«. (J, 68f.) Doch bald wehrt Seelenschwester die weitere Annäherung Schattens ganz dem Stereotyp der »jungfräulichen Scheu vor dem ersten Mal< gemäß ab und greift dabei zu dem abgedroschensten Klischee, das selbst ein Kitschroman aus irgendeiner Heftchenserie seiner Protagonistin kaum noch in den Mund zu legen wagen würde: »Es tut mir Leid [...] Ich bin einfach noch nicht so weit.« (J, 69) Noch deutlicher als von den Jerusalemitlnnen bei Nolte wird Sex bei Jänchen als Mittel eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen, und zwar sind es bei ihr Frauen, die auf diese Idee kommen. Das entspricht zwar einem misogynen Geschlechterklischee, dem zufolge eine Frau mit einem Mann ins Bett geht, weil sie irgendetwas von ihm will, sei es einen Geldschein auf dem Nachttisch des Hotelzimmers, ein Diamantenkollier oder eine neue Waschmaschine. Doch liegt die Sache hier ein wenig anders. Bei Jänchen regt eine Frau (Hildegard) an, eine Kampagne zu starten, die ein frei erfundenes

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Gerücht über den Sex polnischer Männer ventiliert.438 (vgl. GG, 22f.) »Mil­ lionen deutscher Männer werden jaulen bei dem Gedanken, die Polen könnten tatsächlich ...«, freut sie sich. Zugleich schlägt sie vor, das Gerücht auch in das PC-Programm einer Kollegin (Dr. Dorestad, der weiblichen AntipathieTrägerin des Romans) zu »schmuggeln«. Das sei »|s]ubversiv, denn es werde sie verunsicher[n]«. Von (gar gegen Männer gerichteter) Frauensolidarität kann bei dem Vorhaben also keine Rede sein, und in der Phantasie eines der anwesenden Männer fällt der Vorschlag auf die Ideengeberin selbst zurück, denn auch ihn »verunsicherte [...] der Gedanke an Sex, insbesondere in Verbindung mit Hildegard«, (alle Zitate GG, 23) Denn er hält sie zwar für ziemlich unattraktiv, dennoch »fasziniert!.]« sie ihn. (GG, 22)

Blumenmädchen, Barbies und richtige Frauen Ansonsten lässt Jänchen ihre Frauen immer wieder gemäß gängiger Weib­ lichkeitsklischees und einer konservativen Verteilung der Geschlechterrollen entsprechend auftreten.439 So sind es etwa regelmäßig die Frauen, die den Männern das Essen zubereiten, (vgl. etwa GG, 134f.) während ein Mann al­ lenfalls mal »mit dem winzigen elektrischen Kocher Teewasser heiß [macht]«. (GG, 213, vgl. auch 245) Zu mehr reicht es bei den Männern des Romans nicht. Frauen werden zudem von Jänchen in zwei weitere Geschlechterklischees gepresst, und zwar abhängig vom Alter der Figuren. So leiden zwei alte Frauen dermaßen an der ohnehin weiblich konnotierten Emotion der Angst, dass sie bei einer Kontrolle so sehr zu schwitzen beginnen, dass »die Schnüff­ ler anschlugen« und sie »als verdächtig eingestuft« werden. (GG, 50) Junge Frauen zeichnen sich hingegen weniger durch Angst als vielmehr dadurch aus, dass sie in einem Café angesichts eines Mannes am Nebentisch zuverlässig in Kichern ausbrechen. Die Mädchen kicherten. Als sich die Lilienköpfige wieder umdrehte, grinste John sie an. Sie schlug die Hand vor den Mund und sah schnell weg. Die anderen beiden lachten umso lauter. (GG, 37)

Auch auf der nächsten Seite haben sie sich nicht beruhigt. Noch immer »kicherten die drei Blumenmädchen«, (GG, 38) wobei die Autorin die sexuellen Obertöne des Gekichers zwar wenig originell, aber treffsicher mit den sexuell konnotierten Blumen verbindet, die als Lilien zugleich sexuelle Unerfahrenheit symbolisieren.440

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Während die Frauen an Cafetischen kichern und sexuelle Ideen haben, haben die Männer die Macht inne, allen voran Simon Asch, der Direktor des Instituts für Medienforschung, ohne dessen »Unterstützung« es »in diesem Land« niemand zum »Minister« bringt. (GG, 13) Auch in Marlene Streeruwitz’ Erzählung über die titelstiftende Figur mit dem sprechenden Namen Norma Desmond441 stechen Geschlechterklischees hervor. Wie Andrea Geier in ihrer klugen Untersuchung der Motive der Kreuzung und des Wiedererkennens in der Science Fiction am Beispiel von Marlene Streeruwitz’Erzählung darlegt, sind die Geschlechterrollen jedoch als überzeichnete Weiterentwicklungen bekannter geschlechtsspezifischer Rollenbilder erkennbar: Norma ist ein in der Zukunft über genetische Züchtung lebendig gewordener Alptraum von Frauen als äußerlich nicht alternde Barbie-Puppen. Sie sind ausschließlich auf Schönheit programmiert und darauf, der Umwelt zu gefallen. Die damit ausgedrückte totale Funktionalisierung der Körperlichkeit trifft in dieser Anti-Utopie neben Frauen aber auch Männer. Der Klon David ist als »Liebhaber« ausgestattet mit drei Penissen und dabei als lebender Körperteil-Spender eines Anderen vorgesehen. (2008, 149)

Bei Streeruwitz werden die Geschlechterklischees - wie könnte es bei dieser Autorin anders sein? - spielerisch subvertiert, wie auch die »Schulthemen« (ND, 42) der jugendlichen Norma deutlich machen, die Unterrichtsstunden in den Fächern »Kosmetik [...]. Gesundheit. Styling. Der glückliche Mann« erhält. (ND, 41) Die Ausstattung, die sie in der Institution bekommt, in der sie ihre Kindheit und Jugend verbringt, ist geradezu grotesk >mädchenhaftmännlich weibliche Veruneindeutigen sich die Geschlechtseigenschaften Davids vor dem Spiegel, so treten - aufgrund des weltweiten »Frauenmangel[s]« - männli­ che Schauspieler als Frauen auf. (ND, 55) Wirklich ersetzen können sie die Schauspielerinnen aber nicht. Denn erst, wenn Frauen die weiblichen Rollen spielen, sei das »wahre Kunst«, (ebd.) wie ein Intendant Norma versichert, um sie fürs Theater, offenbar aber vor allem für sich zu gewinnen.

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Auch werden die geschlechtlich konnotierten Charaktereigenschaften der Ängstlichkeit und des Mutes umgewertet, wenn davon berichtet wird, es sei früher oft »schwierig gewesen, ihm [David] die Angst zu erhalten. Im­ mer hatte er hinausgewollt. Hatte von Mut herumgeschrieen«. (ND, 12) Die weiblich konnotierte Eigenschaft der Ängstlichkeit ist hier lebenserhaltend. >Männlicher< Mut wäre in Davids Fall hingegen tödlich. Allerdings erweist sich später auch Norma zunehmend als mutig, dabei jedoch zugleich als vernünftig. Vereinen sich die männlich konnotierte Vernunft und der eben­ falls männlich konnotierte Mut (in einer Frau), sind sie lebensrettend. David aber muss in der Situation, in der er von Mut herumschreit, »zur Vernunft« gebracht werden. (ND, 13) Nicht unerwähnt bleiben darf auch, dass Frauen von den Beschwernissen des Gebärens befreit sind. Donald hatte erzählt [...] Frauen waren einmal nicht nur für Sex dagewesen. Obwohl. So, wie sie das mit dem Kinderkriegen gesehen hatte. In den Filmen. So war das schon mühselig. Donald hatte gemeint, daß die Frauen deshalb fast ausgestorben wären. Weil es keinen Grund mehr gegeben hätte zu leben. Aber für die Männer war das ja auch nicht anders. (ND, 74)

Dieses Zitat enthält sowohl eine signifikante Aussage über die Protagonis­ tin, wie auch über Frauen insgesamt. Zum einen empfindet Norma es als Befreiung, von der mühseligen Last des Gebärens enthoben zu sein.443 Zum anderen sagt es aber auch, dass der Sinn des Lebens für die meisten Frauen darin besteht, Kinder zu bekommen. Ist er ihnen genommen, haben sie kei­ nen Grund mehr zu leben. Ob diese Haltung aber einem schlechthinnigen Wesenszug der Frau >an sich< entspricht, oder aber gesellschaftlich bedingt ist, bleibt offen. Für letzteres sprechen immerhin sowohl der Umstand, dass eben doch nicht alle Frauen des Lebens müde geworden sind, da sie nicht mehr gebären brauchten. Und mehr noch die Haltung Normas. Zwar hatte es zurZeit von Normas erster Monatsblutung kurzfristig Überlegungen gegeben, die »Rückkehr zu natürlichen Geburten« vorzubereiten, doch war man davon schnell wieder abgekommen. (ND, 18) Das alles heißt aber keineswegs, dass die Gesellschaft Geschlechtergerechtigkeit anstrebt. Im Gegenteil: Die Frauen wurden als »richtige Frau[en] konzipiert«, wie es sarkastisch heißt,444 »[d]ie Kraft in den Händen war nur noch ein Fünftel der Kraft einer Männerhand. Zart waren die Frauen ge­ dacht gewesen. Für die Schönheit geschaffen. Luxus. Sie [31] war nur noch Luxus pur.« (ND, 30f.) Die körperliche Schwäche der Frau ist also nicht naturgegeben, sondern wird ihnen angezüchtet. Ebenso verhält es sich mit vermeintlich genuin weiblichen Eigenschaften wie dem Altruismus. Denn den

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Frauen von Normas Generation wurde ein Altruismusgen in die Erbsubstanz eingefügt, womit wiederum spielerisch zweierlei gesagt wird: Einmal, dass es ein solches Gen gäbe, und zum anderen, dass es Frauen keineswegs von Natur aus haben. Die grundsätzliche Annahme einer biologischen Ursache für eine menschliche Haltung wird in ihrer Geschlechtsspezifik negiert. Später wurde wieder davon abgesehen, Frauen das Altruismusgen einzupflanzen, da es sich nicht bewährte: Die mit dem ordentlichen Altruismusgen. Die waren alle in Schwermut verfallen. Und dann nur noch auf dem Bett gelegen. Und dann nicht einmal mehr geweint. Nur noch geschaut. Dann starr. Nicht einmal mehr etwas gesehen. Dann waren sie abgeholt worden. (ND, 47)

Während nur männliche Klone - als Ersatzteillager für die >richtigen< Men­ schen - mit mehreren Penissen ausgestattet sind, haben seit der »Volksabstim­ mung 2134« »alle Frauen eine zweite Klitoris in der Scheide. Und alles war einfach seither.« Damit ist natürlich gemeint: für die Männer, wie deutlich macht, dass noch Norma die Klagen des seligen Donalds darüber zu hören bekam, »wie die Männer sich vorher hatten anstrengen müssen«, um eine Frau zu befriedigen, wie anzunehmen ist. »Aberdas konnte sie sich schon gar nicht vorstellen. Sie hatte keinen Mann kennengelemt, der sich angestrengt hätte. In irgendeiner Angelegenheit.« (alle Zitate ND, 33) Anders als in Streeruwitz’ ferner Zukunft gebären die Frauen in der weit näheren von Juli Zehs Corpus Delicti durchaus noch selbst. Das heißt, sofern sie dürfen. Denn die Voraussetzung dazu ist, einen geeigneten Partner zu fin­ den. Und ob ein Partner geeignet ist, entscheidet die auf einen entsprechenden Antrag hin tätig werdende »Zentrale Partnerschafts Vermittlung«, (CD, 19) und zwar anhand der Vereinbarkeit der »Haupthistokompatibilitätskomplexfej« (CD, 61) der potentiellen Eltern. »[UJnzulässige Liebe«, also sexueller Kontakt zwischen Menschen, deren Immunsysteme als inkompatibel gelten, ist ein »Kapitalverbrechen« und steht »auf einer Stufe mit dem vorsätzlichen Verbreiten von Seuchen.« (CD, 113) Zumal »[¡Jeder weiß, dass >Liebe< nur ein Synonym für die Verträglichkeit bestimmter Immunsysteme darstellt« (CD, 117), wie Kramer, der Repräsen­ tant des Systems, sagt. Ambivalent ist die Darstellung eines Falles vernachlässigter Fürsorge­ pflicht, der zu Beginn des Romans vor Gericht verhandelt wird. Angeklagt ist ein »alleinerziehend[erj« Vater, (CD, 15) der den gesetzlich festgelegten »Untersuchungspflichten« zur »Krankheitsfrüherkennung bei Säuglingen« nicht nachgekommen ist. (CD, 14) Ambivalent ist dies darum, weil damit zwar einerseits das Geschlechterklischee durchbrochen wird, das der Mutter

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die Verantwortung und Fürsorge für das Kind zuschiebt, sich der Vater an­ dererseits aber eben nicht so fürsorglich um das Kind kümmert, wie es eine Mutter - so könnte insinuiert werden - tun würde.

Feminisierte Männer, (selbst-)vermännlichte Frauen und ein androgyner Computer

Zwei Frauen ganz unterschiedlicher Weiblichkeiten präsentiert Irene Heiss’ Kurzgeschichte All die Gestern und Morgen: die Ich-Erzählerin und Lydia Arquett. Erstere war früher Polizistin (vgl. Heiss 1993,64), kündigte jedoch, weil sie »es leid war, nichts bewirken zu können und zusehen zu müssen, wie die Wahrheit gebeugt wurde.« (1993,73) Nun ist sie eine freie »Spürerin«, (1993, 68) also eine Art Privatdetektivin, und lässt sich von einem großen Anwaltsbüro anheuem, (1993, 66) um die (vermeintliche) Reinkarnation und Erbin der »Präsidentin eines Multikonzems« aufzuspüren. (1993, 67). Eine toughe Frau also. Die muss sie aber auch sein, um ihren Job erfüllen zu können. Brutale Ermittlungen, wie sie im männlich besetzten Genre des Privat Eye-Romans nicht unüblich sind, sind ihre Sache jedoch nicht. Zwar verspürt sie auch schon mal den Wunsch, Gewalt anzuwenden und würde einen »Red-Lack-Jüngling« am liebsten schütteln und ohrfeigen, »um ihn zu Verstand zu bringen«, (1993,65) doch unterlässt sie selbst diese verhält­ nismäßig milde Form der Gewalttätigkeit. Bemerkenswert ist, dass sie, die Frau, mit dem Gedanken spielt, (männlich konnotierte) Gewalt auszuüben, um einem Mann, dem es an (männlich konnotierter) Vernunft mangelt, diese einzuprügeln. Dabei ist der Mann nicht nur durch seine mangelnde Vernunft feminisiert, sondern auch als Verfügbarer. Später werden gerade seine Dien­ ste von der Ich-Erzählerin wie selbstverständlich in Anspruch genommen, als sie »dringend menschliche Wärme, körperliche Zuwendung [braucht]«. Denn Sex mit ihm ist »immerhin besser als nichts«. (1993,78) Auch dieses Verhalten, Prostituierte aufzusuchen, konnotiert die Ich-Erzählerin männlich. Mit Sex assoziiert die Protagonistin denn auch - wiederum >männlich< - eher Spaß als Liebe: »wenn ich mit jemandem schlafe, dann weil es mir [...] Spaß macht«. (1993,69) Im Gegensatz zu der durch männlich konnotierte Eigenschaften und Ver­ haltensweisen gebrochenen Weiblichkeit der Ich-Erzählerin scheint die zwei­ te weibliche Hauptfigur zunächst einem Männerphantasien entsprungenen Weiblichkeitsklischee zu entsprechen, denn sie ist »hübsch« und »mit großen

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grauen Augen, blonden Locken und einem naiven Lächeln« ausgestattet. (1993, 67) Ganz gemäß dem Bild des blonden Dummchens hat sie gera­ de mal »mit 12 Jahren die Minimalschule beendet«, dabei aber immerhin »genug lesen, schreiben und rechnen gelernt, um einen ordentlichen Job zu bekommen.« (1993,67) Soweit, so klischeehaft. Doch dann werden auch bei ihr Klischee und Männerphantasie destruiert. Sie sei »nicht dumm, aber zu offen, um gescheit zu sein«, meinen »ihre[.] Bekannten« einhellig, (ebd.) Da bleibt zwar noch die Naivität, aber die Dummheit ist schon infrage gestellt. Auch ihr »ehemaliger Kurzkontraktpartner« (1993,68) ist überzeugt: »Lydi war nicht dumm. Nicht mal ungebildet, obwohl sie nur die Minimalausbil­ dung hatte.« (1993,69) Sie wollte sogar »über alles Bescheid wissen« und »sich über alles ihre eigene Meinung bilden.« (ebd.) Und das ist nun weder dumm, noch naiv. Auch wenn diese Naivität abschließend wieder behauptet wird, so stellt gerade sie sich - und nicht die zwar stärkere, aber durch ihre Prostituierten-Besuche ambivalente Ich-Erzählerin - als die positive Figur der Geschichte heraus: »eine naive junge Frau, die doch nichts anderes wollte, als sich mit etwas Sinnvollem zu beschäftigen und sich ihre eigenen Gedan­ ken darüber zu machen. Es gab zuwenig Menschen wie Lydia.« (1993,73) Zwei Frauen stehen auch im Zentrum von Behrs Roman. Der Titel verrät es bereits: Ida&Laura. Und es sind zwei Instanzen, die ihn erzählen. Bei ihnen handelt es sich aber mitnichten um das titelstiftende Paar, sondern um die Tagebuch schreibende Ida und den deren Einträge kommentierender Computer mit dem Namen »tas«. Zwar bezeichnet er sich als »Androgynus Scrutinizer«, der »half $ half half maschine« sei. (IL, 11) Doch davon lassen seine Kommentare und Anmerkungen nichts erkennen. Vielmehr be­ schränkt er sich auf rein sachliche Informationen, was gemeinhin als männlich gilt. Wie das kurze Zitat zeigt, kann es mit seinen logischen Fähigkeiten nicht besonders weit her sein, denn er kann ja schlechterdings aus drei Hälften bestehen. Doch dieser Mangel an Logik wird wohl kaum als sein weiblicher Anteil gelten dürfen.445 Bemerkenswert allerdings ist, dass er sich für geboren, nicht für konstruiert hält: »IM bom in o55 after (2000 a.d.) off a 2d parent not Xtremly interSted in me.« (IL, 11) Die Tagebuchschreiberin Ida ist wie die Autorin selbst adligen Geblüts und heißt mit vollem Namen Ida-Irene Kajetana Leonore Maximilane Suiz von Galitzien. (vgl. Behr IL, 26) Sie ist eine erfolgreiche Werbetexterin und »Dozentin in Frankfurt« sowie »Gastdozentin in europäischen und in Großstädten der USA«. (IL, 27) Zudem ist sie Feministin und »ins Preis­ gremium für DIE GELUNGENSTE DARSTELLUNG EINER FRAU IN

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DER WERBUNG berufen worden, gegen zunehmende Kritik an >sexistischen claimsmännlichen< Anteil. So spricht sie etwa vom »Alte[n] Weiße[n] Mann in mir« (IL, 206) oder konstatiert, »der größte Wunsch der Männer ist es doch, sich unsterblich zu machen«, (IL, 42) und spricht wenig später von ihrem eigenen »Drang mich unsterblich zu machen«. (IL, 43) Auch bekennt sie, sie komme sich manchmal vor wie ein weiblicher Herostrat.446 Der das Weltwunder von Ephesos, den Tempel - die Mut­ terschaft in diesem Fall - anzündet, um Unsterblichkeit zu erlangen. [...] hauptsächlich will ich wissen, daß ich unsterblich sein kann. (IL, 179)

Wichtigstes Mittel ihrer Vermännlichung ist Ida die Klontochter Laura. Dies nicht einmal so sehr, wegen der in ihr zu erlangenden Unsterblichkeit, sondern indem sie sich zumindest indirekt und implizit als Lauras Vater phantasiert. So etwa, wenn sie die Suche nach einem Kindermädchen für Laura als »BRAUTWERBUNG« (IL, 217) apostrophiert und sich selbst als »Mann« phantasiert, der sich »EINE JUNGE EHEFRAU [erträumt]« (IL, 183) und »die endlich gefundene MUTTER-SEINER-KINDER [bestürmt].«(IL, 217) Ich kann sie überall suchen, wie ein Mann seine Frau ... Der Sexualaspekt fällt allerdings weg. Die Zucht mach’ ich selber. Ich muß sie weder geil finden noch zuchtgeeignet. »Die Mutter meiner Kinder«. Und sie darf nichts von mir wollen. (IL, 183)

In dieser, aus ihr selbst, Laura und dem Kindermädchen bestehenden Klein­ familie sei sie dann »in gewissem Sinne der PATER FAMILIAS.« (IL, 310) Selbst die männliche Gebärphantasie, die Künstler in ihren Produkten ihre Kinder sehen lässt,447 übernimmt Ida, indem sie sie umkehrt und die Kinder zu Kunstwerken erklärt: »UNSERE GRÖSSTEN KUNSTWERKE SIND UNSERE KINDER«, (IL, 140) denn »[h]eute, wo Kinderhaben was Besonderes ist, nicht mehr was Selbstverständliches, wird es SCHÖPFE­ RISCH.« (IL, 294) Am Ende des Buches stellt sich heraus, dass Idas Kunstwerk, ihre Klon­ tochter Laura, am »KALLMAN’S SYNDROM« [sic] leidet. (IL, 362) Dabei

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handelt es sich um ein Krankheitsbild, das bisher »nur bei männlichen] Individuen beschrieben« wurde. (Pschyrembel 1990, 1633) Nicht nur die Mutter, auch die mit ihr als Klon identische Tochter ist also >vermännlichtheikel und ehrlich gesagt auch etwas peinliche« (IL, 273) Später konstatiert Ida, sie und ihre nunmehr erwachsene Tochter könnten sich beim Musizieren nicht mehr an­ sehen, »wie bei manchen alten Ehepaaren« und fragt sich: Haben wir schon ein eheähnliches Verhältnis?« (IL, 228) Damit gestaltet Behr die Beziehung zwischen Ida und Laura auch als inzestuös-lesbisches Liebesverhältnis zwi­ schen zwei Frauen, von denen sich eine als Mann phantasiert und die andere durch ein nur bei Männern auftretendes Krankheitsbild männlich konnotiert ist. Steht bei Behr die Ich-Erzählerin im Mittelpunkt, so in Juli Zehs Dystopie die vielfach männlich konnotierte Identifikationsfigur Mia Holl. Zunächst einmal hat die 34-jährige449 »[e]rfolgreiche Biologin mit Idealbiographie« (CD, 19) als Naturwissenschaftlerin einen männlich konnotierten Beruf und

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eine >Idealbiographiemännliche Und was nun Mias Körper anbetrifft, so ist auch er fast schon überdeutlich >männlich< mar­ kiert. Zwar können Männer wie Frauen »helle Augen« und ein »intelligente[s] Gesicht« haben, (CD, 51) doch ist Intelligenz bekanntlich männlich konnotiert und der als weiblich geltenden Emotion entgegengesetzt. Dabei ist Mia körperlich »schmal und zeigt dennoch eine drahtige Konstitution von hoher Widerstandskraft.« (CD, 18) Dies entspricht wiederum eher den gängigen Vorstellungen eines männlichen oder knabenhaften, aber trainierten Körpers als einem weiblichen. Und auch ihr Körperverständnis und ihr Verhältnis zum eigenen Körper erweisen sich als durchaus >männlichmännlichen< Eigenschaften bevorzugt. »Eigentlich mag Mia nur Leute mit Verstand und dem Willen, diesen möglichst effektiv einzusetzen.« (CD, 72) »Wenn eine wie du wissen will, welchem Geschlecht sie angehört, muss sie den Kopf zwischen die Beine schieben und nachsehen«, bemerkt die »ideale Geliebte« denn auch spitz. (CD, 128) Andererseits erklärt sie Mia zur »Zaunreiterin«, (CD, 141) die sich »auf der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis« (CD, 145) befindet, eine, die »keine Seite wählt« (CD, 144) und »im Backofen oder auf dem Scheiterhaufen endet«, (CD, 144) und benutzt damit eine Metapher, die Mia eindeutig als Frau ausweist. Denn Zaunreiterinnen bezeichnen Hexen.451 Diese ideale Geliebte ist keine >realewirklich< existierende Figur sondern ein Produkt von Mias Phantasie. Es ließe sich sagen, sie sei ihr Unter­ bewusstsein, wenn sie ihr nicht so manche Wahrheit völlig unverblümt ins

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Gesicht sagen würde. Es scheint sich also eher um ihr alter ego zu handeln, dass sie besser kennt als sie sich selbst. Zugleich ist die ideale Geliebte ihr gegenüber von fürsorglicher Mütterlichkeit.452 Später stellt sich allerdings heraus, dass es eigentlich nicht die ideale Geliebte von Mia, sondern von deren Bruder Moritz ist, sein »weibliches Hirngespinst«, (CD, 46), das er seiner Schwester bei einem Gefängnisbesuch überlassen hat. (vgl. CD, 43ff.) Mias Bruder ist vielfach, aber nicht ausschließlich mit als männlich gel­ tenden Eigenschaften versehen. So ist er »vielleicht [...] ein Kindskopf« und »[m]it Sicherheit ein Freigeist«. (CD, 73) Auch geht es ihm »immer darum, Herr seines eigenen Spiels zu sein.« (CD, 80) All dies sind Anzeichen seines >männlichen< Autonomiestrebens. Nicht minder >männlich< ist, dass er es liebt, zu »fischen, Feuer [zu] machen und das Selbstgefangene [zu] verzeh­ ren«. (CD, 91) Seine >weibliche Seite< besteht darin, dass er nicht nur ein »hartnäckiger Mann« ist, sondern »zugleich sanft[..]«. (CD, 33) Mia wirft ihm sogar vor, er lebe [s]eine angebliche Freiheit auf einem festgemauerten Sicherheitsfundament und schwing[e] kämpferische Reden, während andere deine Rechnungen bezahlen. Das nennt man nicht [männlich konnotierte, RL] Freiheit, sondern [weiblich konnotierte, RL] Feigheit. (CD, 93)

Mit alldem und einigem mehr ist er trotz Mias Kritik ein aufmüpfiger Au­ ßenseiter in der Gesundheitsdiktatur und so neben seiner Schwester die zweite Identifikationsfigur des Romans.453 Für Feministinnen eignet sich der 27-Jährige - trotz seiner > weiblichen< Sanftheit - zur Identifikation allerdings nicht so ohne Weiteres. Ist er doch ein Womanizer, der die zahlreichen Opfer seiner sexuellen Abenteuerlust bei blind dates kennen zu lernen pflegt. Und er findet es »super« (CD, 61), wenn die Frauen, die er blind datet, »doggy style« (CD, 91) und »deep throat« »beherrschten]« (CD, 61). Mia weiß hingegen nicht einmal, wovon er da spricht, (vgl. CD, 63) Zudem liegt auch noch ein scheinbar erdrückender Beweis dafür vor, dass er bei einem seiner blind dates eine Frau vergewaltigt und ermordet hat: »sein Sperma [wurde] im Körper der Vergewaltigten gefunden«. (CD, 33) Da wirken seine Unschuldsbeteuerungen wenig glaubwürdig, (vgl. CD, 34) Und als sie sich bewahrheiten, ist es zu spät: Er hat sich im Gefängnis er­ hängt. (vgl. CD, 139) Der wahre Täter war der Mann, der dem als Kind an Leukämie erkrankten Moritz Knochenmark spendete, (vgl. CD, 167) Die der medizinischen Er­ kenntnissen und Überwachung zu dankende vermeintlich hieb- und stichfeste Beweislage hat sich also nicht nur als unsicher, sondern für Moritz sogar als tödlich erwiesen. Um dieses Effekts willen nimmt die Autorin in Kauf, in die

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Debatte um (falsche) Vergewaltigungsbeschuldigungen gegenüber Männern zugunsten der tatsächlichen oder vermeintlichen Täter einzugreifen.454

Kampf der Geschlechter

Jutta Heinrichs Unheimliche Reise hat mit Behrs lda&Laura nicht nur das Thema Reproduktionstechnologie gemein, sondern auch, dass die Handlung in der ersten Person Singular erzählt wird. Bei Heinrich zwar nicht in Form von Tagebucheinträgen, aber ebenfalls durch die zentrale Protagonistin, die als Ich-Erzählerin auftritt. Ida und die namenlose Ich-Erzählerin haben zudem eine Gemeinsamkeit: Beide bestreiten sie ihren Lebensunterhalt, indem sie texten; die eine Werbesprüche, die andere als Autorin nicht näher bezeichneter Literatur, (vgl. U, 69) Auch in anderer Hinsicht lassen sich Vergleiche zwischen den beiden Figuren anstellen. Sowohl Behr wie auch Heinrich stellen ihre Protagonistin in eine Situation, in der es zu einem hinsichtlich ihrer jeweiligen Geschlechterkonstruktion aussagekräftigen Blick auf Geschlechtsgenossinnen kommt. Während Ida zwei älteren Frauen nachblickt, sieht Heinrichs Ich-Erzähle­ rin, nachdem sie einer tatsächlichen oder nur vermuteten Gefahr entgangen ist, eine Frau, die gerade den Hausflur putzt. Der Anblick der Frau, die ich nur von hinten sah, tat mir gut, und ich warf mich schwer atmend an die Hauswand und sog die beruhigende Wirkung der Putzmittel ein, die Normalität der Reinigungsarbeit. (U, 61)

Ein ganz anderer Blick auf die Rückenansicht einer Frau, als derjenige von Ida. Entsprechend anders fällt auch die Reaktion der Ich-Erzählerin aus: Sie ist angesichts einer >normalen< weiblichen Tätigkeit beruhigt. Die Pro­ tagonistin sieht eine putzende Frau, die mithin ihre Geschlechtsrolle erfüllt, indem sie eine untergeordnete, weiblich konnotierte Tätigkeit ausübt, und damit scheint die harmlose Normalität wieder hergestellt. Die Protagonistin spricht kurz mit der putzenden Frau und fühlt sich »auf einmal wie geheilt und wieder integriert in die menschliche Gesellschaft«. (U, 62) Ein diesem Weiblichkeitsstereotyp gegenüber kritischer Subtext unterliegt der Szene nicht. Zumal es das >weibliche< Utensil des Putzmittels ist, dessen Normalität ausstrahlender Geruch wesentlich zur Beruhigung der Protagonistin beiträgt. Die Frau, die es in Heinrichs Roman während einer Zugreise in die un­ heimliche Stadt verschlägt, ist ansonsten alles andere als ein ängstlicher Mensch und betont zurecht,

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daß ich nicht zu jenen überseismographischen zittergrasähnlichen Wesen gehöre, die sich bei der kleinsten Infragestellung ihrer Person ins Fingemagelbeißen flüchten und selbst das Vorgeburtliche noch einmal wiederholen. (U, 61)

Das ist zwar noch lange keine Vermännlichung, wie Ida sie anzustreben scheint, doch >mangelt< ihr immerhin die weiblich konnotierte Ängstlichkeit und das ist angesichts der Schauerromanelemente, die der Roman durchaus aufweist, umso augenfälliger. In anderer Hinsicht allerdings verhält sie sich - zunächst zumindest - sehr >weiblichScheiße! Verdammtes Weib!< und > Zupacken, nicht streicheln!!* [...] Die Spritze her!« (U, 53) Doch diesmal überwindet sie sich und will eingreifen: Da sprang ich schon hinzu, stand mitten in der Tür, sah gerade noch, wie die beiden sich über die Frau beugten und ihr eine Injektion geben wollten [...] Die Frau aber, die ich nun zum ersten Mal sah, lag hingeschmettert in einer Masse aus Weiß, es quoll ihr fast aus dem Mund, ein ganzes Regal war über ihr zusammengebrochen [...] während sie sich den entsetzlich aufgetriebenen Bauch hielt, den sie auf einmal mit Fäusten traktierte und sich im selben Moment wieder in ein aufrüttelndes Wehschreien verwandelte. Da löste sich bei den beiden Männern die Starre, sie rissen sich in die Höhe und flohen an mir vorbei. (U, 54)

Wie sich später herausstellt, handelt es sich bei dem Opfer um die putzende Frau, deren Anblick die Protagonistin beruhigte, eine Ukrainerin, die von Wissenschaftlern zum Zwecke einer »unheimlichen Geburt vergewaltigt

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worden ist«. (U, 193) Denn sie soll einen Mensch/Tier-Hybriden gebären, eine »Zwangsgeburt aus dem Kopf der Wissenschaftler«, (ebd.) Bevor die Protagonistin diesmal überhaupt auch nur daran denken kann etwas zu tun, stehen die Männer auch schon »gefährlich atmend« vor ihr, »nun wieder ganz im Besitz aller Entschiedenheit und Brutalität«, stoßen sie »zur Seite« und verschleppen die Frau. (U, 55) Solche und ähnliche von Männern verübte Gewalttätigkeiten gegen Frauen wiederholen sich in dem Roman mehrmals. Meist reagiert die Ich-Erzählerin hilflos. So sieht sie etwa später, wie ein Mann ein von ihr nicht näher zu identifizierendes »Wesen« erbarmungslos zusammenschlägt: Diese Unerhörtheit, aber gleichzeitig die irreale Steigerung der Gewalt, verlieh mir augen­ blicklich Kraft, ich ballte die Fäuste in der Tasche, bereit, mich mitten hinein in den Wirbel zu stürzen, als der Wahnsinnige [... ] [ 101 ] [... ] mit der Taschenlampe in das Gesicht schlug, wurde mir schlecht, ein Brechanfall, der mir die Füße wegzog, ich nichts mehr wahmahm als mich, sonst nichts. (U, 100f.)

Statt tätige Hilfe zu leisten, empfindet sie - ganz Frau - hilfloses »Mitgefühl« und »reinigt ihre Kleidung«. (U, 101) Damit fällt sie zunächst ein gutes Stück hinter Friede Velten, Harbous Frau im Mond zurück, die angesichts zweier sich prügelnder Männer zwar auch nicht eingreifen kann, (vgl. FM, 189) sich aber doch mit Leib und Leben dafür einsetzt, dass das Raumschiff nicht in Verbrecherhände fällt, (vgl. FM, 187) Bei Heinrich ist es dann nicht die Protagonistin - als Schriftstellerin offen­ bar mehr eine Frau des Wortes als der Tat -, aber doch eine Frau, die rettend eingreift und dem mörderischen Treiben des Mannes Einhalt gebietet, indem sie »mit einer langen Latte bewaffnet [...] auf den Tobenden zulief und ihm von hinten einen kräftigen Schlag auf den Kopf versetzte.« (U, 101) Vermutlich nicht von ungefähr hat die Autorin der Retterin mit der Latte ein Phallussymbol in die Hand gedrückt, das zudem noch die umgangssprachliche Bezeichnung eines erigierten Penis abgibt. Später, während eines weiteren Vorfalls ähnlicher Art, gelingt es dann aber auch der Ich-Erzählerin, ihre »Panik« zu überwinden und sogar die Kraft zu finden, einen anderen Gewalttäter am Hemd zu packen und die Lederkrawatte umzudrehen, so daß seine Augen ungläubig heraustraten und ich deutlich spüren konnte, wie durch seinen muskulösen Körper ein Zittern fuhr. Sie schrie tatenlos auf. (U, 148)

Damit hat sich die Protagonistin die >männliche< Fähigkeit erkämpft, selbst gewaltsam in gewalttätige Auseinandersetzungen einzugreifen. Doch auch diesmal ist eine Frau zur Stelle, die unfähig ist, einzuschreiten - diesmal um

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ihm zu Hilfe zu eilen - und statt dessen selber hilflos aufschreit, (vgl. ebd.) Und auch der unterlegene Mann wird nun verweiblicht. Selbst als ich den Mann losgelassen hatte, schwankte er ein wenig [...] Und als müsste ihn die Ratlosigkeit zur Putzfrau machen, ergriff er ein Handtuch und wedelte kindisch in meine Richtung, traf mich nicht, wirbelte nur Staub auf. (U, 149)

Damit wird nicht nur ein Bezug zu der Putzfrau hergestellt, der die Prota­ gonistin auf ihrer früheren Flucht begegnete, sondern auch zu der Latte, mit der eine Frau in einer ebenfalls früheren Szene einen Mann angriff. Wird die siegreiche Frau dort mit einem >männlichen< Symbol ausgestattet, so hier der unterlegene Mann mit dem die Protagonistin an eine Putzfrau erinnernden >weiblichen< Handtuch. Doch weder wird er der >männlichen< Rolle des Kämpfenden gerecht, noch der reinigenden >weiblichenweibliche Sünde< symbolisierend gelesen werden können. Zugleich weisen Kampf und Verschmelzung auf die erzwungenen Schwangerschaften und die aus ihnen hervorgehenden Tier/Mensch-Hybriden voraus. In Juli Zehs Roman Corpus Delicti tritt der meinungsbildende Journalist Heinrich Kramer als Gegenspieler der Protagonistin Mia auf und gibt den (ohne nennenswerte Ambivalenzen gezeichneten)457 Bösewicht des Romans, der als überzeugter Verfechter des totalitären Gesundheitswesens dafür sorgt, dass sie für einen geringfügigen Verstoß hart bestraft wird. Kramer ist ein skrupelloser458 Mann, der ganz bei sich selbst ist. Er tut alles ganz: gehen, stehen, reden, sich kleiden - ganz. Er denkt und spricht mit einer Rücksichtslosigkeit, die darauf verzichtet, der ewigen Unentschiedenheit des Menschen auf dialektische Art [127] zur Legitimation zu verhelfen. (CD, 126f.)

»[D]er Mann spricht in Formeln. Der Mann ist eine Maschine!«, (CD, 37) charakterisiert die ideale Geliebte ihn. Mia hingegen »kann alles begrün­ den, genau wie das jeweilige Gegenteil. Sie kann jeden Gedanken, jede Idee rechtfertigen oder angreifen; für oder gegen jede Seite streiten«. (CD, 127) Weitere relevante Nebenfiguren sind Mias Richterin Sophie (sie wird nur

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mit ihrem Vornamen vorgestellt)459 und ihr Verteidiger Lutz Rosentreter. Beide sind Kramer und somit dem Verfahren nicht gewachsen. Doch Mia, die Frau, vertraut auf Rosentreter, den Mann, und lässt ihn die Verteidigungstaktik bestimmen, die sie prompt ins Verderben führt, (vgl. CD, 118 u.ö.) Schon ihr erster Auftritt lässt die Richterin als mädchenhaft erscheinen, so, als sei sie nicht ganz ernst zu nehmen: Ihr blondes Haar hat die Richterin zu einem hochsitzenden Pferdeschwanz gebunden, mit dem sie immer noch aussieht wie jene eifrige Studentin in den Hörsälen der juristischen Fakultät, die sie einmal gewesen ist. Sie kaut auf ihrem Bleistift. (CD, 12)

Im weiteren Verlauf der Handlung wird die Richterin als Kopftuch tragende Nonne entsexualisiert.460 Ganz anders tritt Kramer im Roman und im Gerichtssaal auf: Sein Anzug sitzt vorbildlich mit jenem wohldosierten Schuss Unachtsamkeit, ohne den wahre Eleganz nicht auskommen kann. Die Haare sind dunkel, die Augen schwarz, die Glieder lang, aber ohne Schlaksigkeit. Seine Bewegungsabläufe erinnern an die trügerische Gelassenheit einer Raubkatze. (CD, 15)

Wiederum anders wird Rosentreter gezeichnet, dessen >unmännliche< Un­ sicherheit sich etwa darin äußert, dass er an seinen Fingernägeln kaut. (CD, 112) Auch sonst ist er nicht sehr wagemutig. Das stellt seine Männ­ lichkeit* und Mannhaftigkeit* umso mehr in Frage, als er nicht das ge­ ringste Risiko eingehen mag, nachdem sich herausgestellt hat, dass die »Haupthistokompatibilitatskomplex[eJ« (CD, 61) zwischen ihm und der »Frau [s]eines Lebens« unvereinbar sind. (CD, 112) Nicht einmal einen An­ trag auf eine »Ausnahmegenehmigung« hat er gestellt, da er ihn als »[vjöllig aussichtslos« antizipierte. (CD, 112) So führen er und seine Geliebte eine »Distanzbeziehung ohne Beziehung«, (ebd.) Mia versteht nicht, was daran besonders tragisch sein soll: Seit Jahrtausenden werden Prinzessinnen an Könige verheiratet und treiben es mit dem Hofmarschall. [...] Bauemtöchter haben ihren Gutsherrn geliebt. Brüder ihre Schwestern. Schülerinnen den Lehrer. Erwachsene Männern ihren besten Freund. Und heute lieben eben Tausende das falsche Immunsystem. Alle wollen glücklich sein. Alles Unzulässigkeiten. Alles dasselbe. (CD, 113)

Schließlich trennt sich Rosentreter von der >Frau seines Lebens*,462 nachdem sie ihm »Karrieregeilheit« vorgeworfen hatte. (CD, 226) Interessanter, da spannungsreicher als das Verhältnis zwischen den Ge­ schwistern oder auch das zwischen Mia und solchen Nebenfiguren wie der Richterin oder ihrem Anwalt ist das zwischen der Protagonistin und ihrem

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Kontrahenten Kramer, auf das nun ein Blick geworfen werden soll. Kramer ist ihr von Beginn an überlegen. Schon während ihres ersten Zusammentreffens bricht sie zusammen, was ihm die Gelegenheit bietet, den hilfreichen Sama­ riter zu spielen. »Kramer erhebt sich, hilft Mia, die auf die Knie gesunken ist, beim Aufstehen und führt sie zum Sofa. Behutsam streicht er ihr das Haar aus der Stirn.« (CD, 32) Die ideale Geliebte scheint sein als Fürsorglichkeit getarntes männliches Überlegenheitsgehabe, das hier in seinem Sinne durch­ aus funktional ist, allerdings zu durchschauen, wenn sie stumm und somit hilflos »zischt: »Fass sie nicht an!« (ebd.) Auch als Mia ihn später körperlich angreift, besiegt er sie unangestrengt und »fängt ihre erhobenen Fäuste in der Luft« ab. (CD, 210) Für einige Momente ringen beide »stumm [...], dann gibt Mia auf und lässt sich gegen ihn sinken. Fast ist es, als würden zwei Liebende einander umarmen.« (ebd.) Damit wird überdeutlich auf die sexuelle Spannung zwischen der > schwa­ chen Frau< und dem >starken Mann< hingewiesen. Ebenfalls deutlich wird, dass sie es ist, die sich zu ihm hin- und von ihm angezogen fühlt. Schließlich ist sie es, die sich schwach an seine starke Brust sinken lässt. Zugleich werden Sexualität und die hier mit ihr enggeführte Liebe als Kampf der Geschlechter inszeniert.463 Später greift Mia Kramer ein weiteres Mal an. Diesmal macht er »nicht die geringsten Anstalten sich zu wehren« und prompt bricht sie »[v]or seiner un­ bewegten Haltung [...] kraftlos zusammen«. »[S]ich kratzend und tretend ge­ gen eine übermächtige Attacke zu verteidigen«, wäre für sie möglicherweise »leicht«. »Aber einen Mann anzugreifen, der die Hände in den Hosentaschen hat und in lässiger Pose an der Wand lehnt, ist etwas für Fortgeschrittene.« Und das ist Mia ganz gewiss nicht. Zumal ihr als einzige Verteidigungsstrate­ gie das ebenso hilflose wie weiblich konnotierte und im Falle der Anwendung >weibliche Unterlegenheit signalisierende Kratzen und Treten einfällt. Und nun ist angesichts dieser psychischen Niederlage auch noch »alle Kraft« aus ihr »gewichen«. Kramer hingegen hat seine Affekte >männlich< im Griff. Denn tatsächlich war er angesichts des Angriffs »erschrocken«. Doch das lässt er sich nicht anmerken, (alle Zitate CD, 230) Auf Kramers bramarbasierende Äußerung, in einer ihrer verbalen Kontro­ versen kämpfe »[mjeine präzise Logik gegen Ihre aufgewühlten Emotionen. Man könnte fast sagen: Das männliche gegen das weibliche Prinzip«, antwor­ tet Mia: »Eine primitive Allegorie, die Ihre geistigen Fähigkeiten beleidigt.« (CD, 203) Damit bezieht sich der Roman zwar nicht unmittelbar auf die zur Zeit seiner Entstehung ja schon historische Zweite Frauenbewegung, aber

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doch auf eine der zentralen Erkenntnisse der aus dieser hervorgegangenen Gender Studies und lässt ihre Protagonistin ebenso wie diese das hierarchisch/ dualistische-Geschlechterkonstrukt negieren. Schließlich wendet sie den mehr als berechtigten Zorn, den sie gegen Kramer empfindet, in einem Akt von >weiblicher< Autoaggression gegen sich selbst. So scheint es in einem von Zeh klug eingesetzten Klischee zumindest. Denn die Nadel, die sie sich eigentlich besorgt hat, um ihn zu töten, sticht sie sich stattdessen zwar selbst in den Arm, allerdings nicht um sich zu verletzen (wie zunächst suggeriert wird), sondern um den bei ihr wie bei allen implan­ tierten (Gesundheits-)Überwachungschip zu entfernen, (vgl. CD, 246ff.) Angemerkt sei noch, dass sie Kramer mit einer geschlechtlich konnotierten Metapher charakterisiert, in der er zugleich infantilisiert und als Übervater gezeichnet wird. Er, »[d]er Fanatiker«, sagt sie, klammert sich an eine Idee wie ein Kind an den Rockzipfel der Mutter. Er stützt sein Le­ bensglück darauf, Mamas allererster Liebling zu sein. Aber Ihnen, Kramer, reicht das nicht einmal. Sie wollen nicht nur Mamas Liebling sein, Sie wollen auch noch auf die Mama herabschauen. (CD, 247)

Barbie emanzipiert sich

So wie bei der Untersuchung von Zehs Roman die Figur Mia im Mittelpunkt steht, gilt in Streeruwitz’ Norma Desmond das Interesse zuvorderst der titel­ stiftenden Protagonistin. Sie zählt zwar schon 80 Jahre, (vgl. ND, 15) das ist in Streeruwitz’ Zukunftsvision aber noch gar kein Alter, wenn man bedenkt, dass sie mit einer Lebenserwartung von 400 Jahren noch weitere 320 vor sich hat. Man könnte sie also fast noch ein junges Mädchen, jedenfalls eine junge Frau nennen, deren »langes blondes Haar« ihre jugendliche Weiblichkeit betont. (ND, 21) Andrea Geier bezeichnet sie denn auch als »programmiertet.] Barbie«.464 (2008,152) Ganz den heute wie auch in der Zukunft des Romans noch übermächtigen Weiblichkeitsklischees und -anforderungen gemäß hat man(n) sie »als richtige Frau konzipiert«, das heißt als ein »zartfes]« Wesen, das nicht für Auseinandersetzungen gemacht« ist. (ND, 30) Doch nicht nur solche Äußerlichkeiten gehören zum Wesen einer richtigen Frau, sie weiß auch »zu wenig«, (ND, 25) wie die ihre Sicht einnehmende Erzählinstanz klagt. Dabei ist sie keineswegs dumm, denn sie schlägt sich zunehmend gewitzter und letztlich erfolgreich durch alle Unbilden, mit denen der Roman sie konfrontiert. So täuscht sie diverse kontrollierende und belie­ fernde Institute, indem sie ihnen vorspiegelt, sie sei Donald beziehungsweise

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er lebe noch. Dumm ist sie also gewiss nicht.465 Sie wurde vielmehr durch die Erziehung zur >Weiblichkeit und mit Hilfe ihres »pad« unmündig gehalten. (ND, 18) Donald, der zu ihrem Mentor wurde, hielt sie hingegen dazu an, »[k]lar« zu denken. (ND, 75) Das lässt sich entsprechend der Aufforderung Kants, »[hjabe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen« ,(1912,35) als aufklärerische Auffor­ derung verstehen, den »Ausgang« aus der im Falle Normas allerdings nicht »selbst verschuldeten Unmündigkeit« zu finden. Andrea Geier erkennt in Normas Entwicklung denn auch eine »Emanzipationsgeschichte«, (208,154) da Norma »im Verlauf der Flucht zunehmend geschickter mit den Gegeben­ heiten umzugehen weiß - sie vertraut denen, die ihr zu helfen scheinen, nicht mehr blind«. (2008, 151) Tatsächlich war schon sehr viel früher, als sie sich nicht über ihre »1. Re­ gel« freute, klar, dass bei ihr »etwas nicht in Ordnung« ist; eigentlich sogar schon seit sie sich als Kind nicht »eingeordnet« hat und sich nicht an den »rosaroten Spiele[n]« beteiligte. Und vor allem hatte sie »nicht mit den ande­ ren 15 in dem großen Schlafsaal schlafen wollen«, sondern »sich ein eigenes Zimmer gewünscht«, (alle Zitate ND, 18) wie es in deutlicher Anspielung auf Virginia Woolfs feministisches Essay A Room OfOne’s Own (1929) heißt. Auch muss Norma, um sich durch den Roman zu schlagen, verschiede­ ne Rollen spielen. Einmal wird sie sogar infolge der Nebenwirkung eines von ihr eingenommenen Mittels verjüngt. Dies schlägt sich vor allem in der Veränderung ihrer sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale und ihrer Fraulichkeit überhaupt nieder: Ihr Busen war geschrumpft. Klein. Ihr Busen hing nicht nach vorne beim Vorbeugen. Nicht mehr schwer. [...] Die Beine dünn. Die Arme. Wann hatte sie so ausgesehen. Mit 13. Oder mit 12. (ND, 40)

Zu den Rollen, die sie spielt, zählt die der Mutter des durch das Mittel zum Säugling verjüngten David, der fortan Duda genannt wird. Um zu plausibilisieren, warum sie mit ihm reist, heuchelt sie »Muttergefühle«, die sie damit rechtfertigt, dass sie »wahrscheinlich Probleme mit dem Altruismusgen« habe. »Zu viel davon. Irgendeine Dopplung. Und jetzt reise sie mit dem Kind und suche den Vater. Der wisse gar nichts von dem Kind.« (ND, 62) Auch in der fernen Zukunft, in der es eigentlich gar keine Mütter mehr gibt, ist es im Falle des Falles doch die Frau, auf deren Schultern die Last des Kindes ruht, während der Vater keine Beziehung zu ihm hat. Doch weit davon entfernt, mit einem sogenannten Mutterinstinkt geschlagen zu sein,

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muss Norma mütterliche Gefühle vorspiegeln. Mütterlichkeit liegt also nicht im Wesen d(ies)er Frau. Normas Sexualleben war, solange Donald lebte, eher trist. Zwar verkehrten sie wohl gelegentlich. Befriedigt scheint sie das jedoch nicht zu haben. Denn wenn es heißt, sie habe es damals »nur noch mit Donald machen müssen«, klingt das nicht gerade so, als habe sie auch nur Gefallen daran gefunden. Allerdings scheint auch der schon ältliche und durch zu viel Bodyfaxen ge­ schwächte Donald nicht mehr viel Freude am Sex gehabt zu haben. Um jedoch keinen Verdacht zu erregen, haben sie »3 Videos« aufgenommen, auf denen sie beim Sex zu sehen sind, und sie regelmäßig den Überwachungskameras vorgespielt, während sie sich in Wirklichkeit unterhielten, (alle Zitate ND, 12) Dennoch war Donald der Meinung, ein Mann könne auf keinen Penis verzichten. »Gleichgültig wie viele man habe. Davon.« (ND, 10) Schließlich ist der Penis Ausweis der Männlichkeit, auf die Donald besonderen Wert zu legen scheint. Könnte man ihn unter diesem Aspekt für einen Maskulinsten halten, erweist er sich in anderer Hinsicht als recht aufgeklärter Bursche. Denn er ist auch der Meinung, dass seinerzeit eigentlich »nur die Frauen darüber [hätten] abstimmen dürfen«, (ND, 33) ob sie eine zweite Klitoris bekommen. Er hatte eben »viel nachgedacht«, (ebd.) was ihn wiederum als Mann ausweist. Auch hatte sich Norma »immer auf Donald verlassen können.« (ND, 22) Und nachdem er tot ist, bedauert sie, ihn nicht länger um Rat fragen zu können, (vgl. ND, 18) Ihre Beziehung entspricht also ganz dem konservativ-konventionellen Ideal des Geschlechterverhältnisses im 20. Jahrhundert.466 Normas Sexleben ändert sich jedenfalls durch das Auftauchen Davids und das Ableben Donalds. Denn anders als dieser ist David »ein gut ausgebildeter Liebhaber. Ihm war alles perfekt beigebracht worden, und er wollte in Form bleiben. Deshalb musste er die ganze Zeit.« (ND, 33) Das klingt allerdings ein wenig widersprüchlich. Wie kann jemand ein guter, ja perfekter Lieb­ haber sein, wenn er ständig Geschlechtsverkehr haben muss und sogar, wie es weiter heißt »einfach nur ficken« will? (ND, 37) Jedenfalls scheint Norma beim Sex mit ihm zahlreiche Orgasmen zu haben, und wenn er in sie »einge­ drungen« ist,467 hört sie »[n]ach dem 5. Orgasmus« auf zu zählen. (ND, 37) Zwar wird nicht explizit gesagt, dass es ihre Orgasmen sind, die sie zählt. Doch wie sollte sie die seinen zuverlässig zählen können.468 Andererseits ist es »Schwerarbeit« für sie, Sex mit ihm zu haben, »alle 3 [Penisse] zur gleichen Zeit. Und David sollte nicht glauben, das ginge immer. So einfach. Sie ließ David tun.« (ND, 32) Dabei ist sie es, die die Machtposition inne

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hat und über das gemeinsame Sexualleben (und nicht nur das) bestimmt: »Es war ja lustig, manchmal mit ihm zu schlafen. Man konnte ihn betteln lassen. Danach. Lange. Man musste es schon deshalb manchmal mit ihm tun.« (ND, 16) Es ist der unstillbare Trieb des Mannes, immer zu müssen, den Streeruwitz David andichtet, welcher der Frau Norma die Macht ver­ leiht. Doch sind die Macht- und somit die Geschlechterverhältnisse in der Beziehung zwischen Norma und David auch in anderer Hinsicht umgekehrt, was mit seiner Regredierung zum Kleinkind469 zusammenhängt. Diese Um­ kehrung beginnt jedoch schon sehr viel früher. Denn bereits als David noch >ganz Mann< ist, fragt sich Norma: »Was sollte man mit David tun. Sollte man etwas mit David tun.« (ND, 15) Damit, dass sich Norma als Frau ihm gegenüber fürsorglich verhält, erfüllt sie ein Weiblichkeitsklischee, das die herkömmlichen Geschlechterverhältnisse wieder restituiert. Ebenso, wenn sie (obgleich ohne wahre Muttergefühle) dem nun als Baby Duda genannten David gegenüber die Rolle der (sozialen) Mutter spielt. So erweist sich die Geschlechterkonstruktion Normas in ihrer Beziehung zu David als mehrfach gebrochen. Zwei weitere Figuren und Normas Verhältnis zu ihnen sind noch von In­ teresse. Einmal das zu Claus Stein, einem »Theaterintendant[enj«, dem sie zufällig an einer Steinbrücke begegnet, (ND, 54) und zum anderen dasjenige zu Mr. Parker, der ihr und Duda aus Eigeninteresse gemeinsam mit seiner Frau Unterschlupf gewährt. Zunächst zu Stein. »Toller Blick. Was?« hört Norma seine »Männerstim­ me«, noch bevor sie ihn sieht. (ND, 53) Er ist an einem Aussichtspunkt von hinten an sie herangeschlichen, sieht über die Landschaft und macht dabei mit dem Arm eine ausholende Geste, »als wäre alles seines.« (ebd.) Damit hat er gleich mehrfach ein als männlich geltendes Verhalten an den Tag gelegt. Sowohl der Blick wie auch dessen in die kurze entsubjektivierende Formulierung gefasste Objektivierung sind männlich konnotiert. Ebenso die besitzergreifende Geste. Zwar beeilt er sich, Norma zu versichern, »[e]r wolle nichts von ihr. Nicht so, wie sie das denke«, (ND, 54) ohne dass sie auch nur die leiseste Andeutung gemacht hätte, was sie (von ihm) denkt. So offenbart er damit nur, woran er selbst denkt. Und sehr schnell straft sein Verhalten seine Versicherung lügen. Zunächst gibt er noch vor, er wolle sie als Schauspielerin zum Theater bringen, wird dabei jedoch schon zur Karikatur eines werbenden Mannes, wenn er sie anfleht: seit Hunderten von Jahren wäre er auf der Suche. Und jetzt erst wisse er auch, wonach er auf der Suche gewesen war. Norma. [...] »Ich verehre Sie jetzt schon. Gleich im ersten

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Augenblick muß ich Sie verehren. Nein. Lieben. Ich muß Sie lieben. Es geht nicht anders. Ich muß Sie einfach lieben. Meine Verehrungswürdigste. Ich bete Sie an. Ich flehe Sie an. Kommen Sie mit mir«. Er kniete vor ihr. (ND, 56)

Als sie ablehnt, will der Theatermann Norma mit dem Aufschrei »keiner solle sie haben, wenn er sie nicht besitzen dürfe«, zwar nicht seinen Penis, aber doch ein Phallussymbol in Form eines Messers in den Leib rammen. Doch wird stattdessen er selbst in einer surreal anmutenden Szene während eines Kampf um Norma mit einem phallischen Instrument getötet, indem ihn ein »junge[r] Mann« mit seinem Degen »durchbohrt«, (alle Zitate ND, 57) Im Tode wird Stein feminisiert: Er beginnt aus Mund und Nase zu bluten, so wie Frauen allmonatlich aus einer anderen Körperöffnung. Der junge Mann und Mörder Steins erweist sich als die Kontaktperson, die Norma und Duda zu Mr. und Mrs. Parker bringt. Das Ehepaar soll sie zwar verstecken, doch behandelt es die beiden wie Gefangene. Alleine mit Mr. Parker verhält Norma sich zunächst ganz entsprechend der weiblichen Geschlechterrolle, die von einem Mann Hilfe erwartet und erbittet. »Er müsse sie retten, beschützen«, fleht sie, wobei ihre Stimme »höher« wird. (ND, 81) Doch hat Norma die Rolle der schutzflehenden Frau nur gespielt, um ihn überwältigen zu können, was ihr auch gelingt. Wiederum ist ein männli­ ches Utensil im Spiel. Diesmal jedoch kein Phallussymbol, sondern eine Krawatte, die sie benutzt, um ihn zu fesseln. Und wiederum wird der Mann in der Niederlage feminisiert. Er beginnt zu kichern, wird dann aber wieder aggressiv. Sie besiegt ihn jedoch endgültig, indem sie »die Krawatte durch den Metallring an der Wand« zieht, mithin symbolisch einen sexuellen Akt vollzieht. Der Mann fängt angesichts dieser > Vergewaltigung< an zu »tobfen] und schreit »nach seiner Frau« um Hilfe, womit der Geschlechterrollentausch endgültig vollzogen und er völlig feminisiert ist. Seine Drohung, er werde Norma »fertig machen«, ist erkennbar hilflos und leer.470 (alle Zitate ND, 82)

Listen der Ohnmacht und Liebesspiele Weit größer als bei Behr, Heinrich und Streeruwitz ist die Zahl der hand­ lungstragenden Personen bei Nolte, £akan und Jänchen. Auch ragt bei diesen Autorinnen keine der Figuren derart als Protagonistin heraus, wie Behrs Tagebuch führende Ida, Heinrichs namenlose Ich-Erzählerin und Streeruwitz’ titelstiftende Norma. Daher werden bei Nolte, Qakan und Jänchen die Geschlechterkonstruktionen von mehr Charakteren in Augenschein genommen

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werden als bei den eben behandelten Autorinnen. Was aber auch heißt, dass dies noch etwas kursorischer geschehen muss. Der Anfang sei mit Noltes Roman gemacht. Die Männer besuchen wie das »Politikersöhnchen« (J, 8) Bishov Charl die »elitärsten aller Hight-Internate« und heimsen »Auszeichnungen« ein, (J, 9) haben wie Winter als Geheimagent den Auftrag, eben dieses Politikersöhnchen zu ermorden, sind wie Dimitry »der inoffizielle Guru der Kommune« (J, 138) oder betonen wie Alexay ihre Männlichkeit einer verbreiteten afrikanischen »Sitte« folgend mittels eines »komplizierte^] Narbenmuster[s], das über seinen ganzen Körper [läuft]« (J, 127) und auf den Wangen »in einer raffinierten Kontrastwirkung die kriegerische Härte seines sonnengebräunten Gesichts [steigert]«. (J, 128) All das ist sehr >männlichLolita< und >Chefmännlichen< Blick inne. Schließlich penetriert sie ihn sogar me­

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taphorisch, wenn »sie sich in Charl hinein [wirft].« Erscheinen Sabeen und Charl in dieser Szene als Paar, so erfährt man später, dass sie Gattinnen in einer größeren Gruppenehe sind, was auch den von Sabeen während des Sexes gemurmelten Wunsch, »Leesla sollte hier sein [...] [u]nd Dimitry und Alexay«, (alle Zitate J, 11) erklärt. Spielen die sexuellen Beziehungen zwischen den Menschen eine herausra­ gende Rolle, so ist zumindest eine der Beziehungen, die das Alien zu einem Menschen entwickelt, sexuell konnotiert. Und zwar eine zu einem ebenfalls männlichen Wesen. Allerdings fließt die Zuneigung nur in eine Richtung: von Schatten zu Charl. Auch wenn Schatten an Charl wie an einen Bruder denkt, (vgl. J, 39) hegt er doch ganz offenbar Gefühle für ihn, die Liebesempfin­ dungen und sexueller Erregung zumindest sehr nahe kommen. Er empfindet »Wellen der Erregung« (J, 38) und unaussprechliche »Sehnsucht« nach ihm, (vgl. J, 39,62) er wird »euphorisch« (ebd.) und sein »Gefühl der Sympathie löscht[.J alles andere aus«, (vgl. ebd.) Besonders deutlich wird die sexuelle Konnotation von Schattens Gefühlen für Charl, wenn er wenig später überlegt: »Die Bindung ist außer Kontrolle geraten. Das Seltsamste daran ist, es gefällt mir« und dabei eine Geste macht, »die aus[sieht], als würde er sich einen Ehering an den Finger stecken.« (J, 71)

Heldinnen und Schurkinnen

Qakans nicht minder großer Figurenkorpus setzt sich im wesentlichen aus Ju­ gendlichen und Kindern, den Mitgliedern der sogenannten »Tunnel-Ratten«, den Musikern einer ehemals erfolgreichen Band, Sensationsjoumalistlnnen, einer englischen Theatergruppe, einer isländischen Europatouristin und einem alten, reichen Mann zusammen. Nicht auf alle Charaktere kann hier einge­ gangen werden. Die Geschlechterkonstruktionen einiger von ihnen sollen aber zumindest angesprochen werden. Allen voran die der beiden Haupt- und Identifikationsfiguren: Skadi Gunnarsdottir und Sunshine, mit denen Qakan zwei Frauen ins Zentrum des Geschehens gestellt hat. Skadi ist eine durch ihren Nachnamen als Isländerin ausgewiesene junge Frau, deren »Urgroßmutter« eine »echte Eskimo« war. (W, 8) Sie hält sich vorübergehend bei den Berliner Tunnelratten auf, schippert mit dem reichen alten Mann herum, trifft auf der Plattform vor der Küste Afrikas ein, bleibt aber nirgends lange. Auf ihrem Trip durch Europa werden ihr aufgrund ihrer Herkunft allerlei abfällige Namen angehängt, wobei »’skimo« ein regelmä­

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ßiger Teil der Beschimpfung ist. Geschlechtlich pejorativ wie auch sexuell konnotiert ist die Bezeichnung »süße, kleine >skimo-Maus«. (W, 14) So nennt sie aber nicht irgendein arroganter Macho, sondern ein kleiner Junge, der sich damit offenbar einen >männlichen< Anstrich geben will. Es ist Garfield, für den Skadi eine Weile die Rolle der sozialen Mutter übernimmt, (vgl. etwa W, 53) Sunshine ist die Anführerin der »Tunnel-Soldaten« und war früher einmal von den käferartigen Aliens entführt worden, die vermutlich allerlei Experi­ mente an ihr durchgeführt haben. (W, 77) »Seit jenen Wochen im Raumschiff der Fremden war Sunshine jenseits der Angst«. (W, 103) Damit ist sie durch die Absenz einer weiblich konnotierten Emotion charakterisiert. Zudem weiß sie sich ihres Lebens zu wehren. Weiblich konnotiert sind hingegen die ritualisierten Selbstverletzungen, die sie sich vor ihren Tunnel-Soldaten zuzufügen pflegt, indem sie sich »langsam und tief in den Unterarm« schneidet, der bereits voller Narben ist. (W, 78) Damit hat ihr die Autorin eine als typsich weiblich geltende Autoaggression angehängt. Und nachdem eine der Tunnel-Ratten bei einem Angriff auf die Aliens ums Leben gekommen ist, weinen sie und Skadi, (vgl. W, 130) womit sie nun doch eine weiblich konnotierte Emotion zeigt. Auch Garfield weinte einmal, als er noch ganz klein war. Dabei wusste er aber schon damals ganz genau: »Jungen weinen nicht.« (W, 6) Den beiden weiblichen Identifikationsfiguren stehen zwei sehr negativ gezeichnete Charaktere gegenüber, bei denen es sich ebenfalls um Frauen handelt: Tonia Sakamoto und die Fernsehjournalistin Sandrine McMillan, eine eitle Rassistin, die sich nicht eben durch Subtilität auszeichnet, (vgl. W, 80 und 82) wenn jedoch Not an der Frau ist, auch schon mal einen »hys­ terischen Anfall« inszeniert. (W, 162) Beide werden sie das Ende des Romans nicht erleben. Tonia Sakamoto ist die Nichte des »Medienmoguls« (W, 94) Takaheshi Sakamoto und kann als solche über das Wohl und Wehe der bereits erwähnten Musikband bestimmen. Offenbar ist sie von der Autorin als Projektionsfläche für den Hass der Lesenden auf alle Übel dieser Welt geschaffen worden. Und diese Übel sind in Qakans Dystopie überwiegend weiblich konnotiert. Schon die Bemerkung »für Frauen wie Tonia war alles käuflich« (W, 90) hebt auf ihr Geschlecht ab. Vor allem aber ist es ihre Sexualität, die sie als Schurkin kennzeichnet. Sie kleidet sich in »enge[n] schwarze[n] Lack, durch den sich ihr Intimschmuck abzeichnet[.J«. (W, 124) Sie sieht aus »wie der teuerste Fick in der Stadt. >Und du bekommst mich ganz umsonst^ sagte ihr Körper.«

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(W, 43) Sie maßt sich sogar das männliche Privileg an, einen Menschen des anderen Geschlechts »mit ihren hungrigen Blicken ab[zu]grapsch[enj.« (W, 41) Kurz: Sie »verströmt[.j diese untrügliche Mischung aus Einfluss, Hysterie und Geilheit«.474 (W, 40) Mit all dem zieht sie die - wie der Roman unterstellt - berechtigte Verachtung der Männer auf sich. So sagt die Figur Pierce über sie: »Frauen wie sie ignoriert man, oder man vögelt sie erst und ignoriert sie anschließend.« (W, 124) Auch auf männlicher Seite gibt es einen Übeltäter. Er lebt seine Schlechtig­ keit auf dezidiert >männliche< Art aus, indem er es genießt zu töten. Sein Name ist Erg Alonquin, doch nennt er sich Draco, denn er findet, dass dies »den richtigen Klang« hat. (W, 73) Weil es, so können die Lesenden schließen, an Dracula erinnert. Und das tut es nicht von ungefähr, denn wenn er tötet,»[..] schmeckt« er »die herbe Süße menschlichen Blutes auf den Lippen«.475 (ebd.)

Der Name des Bösen: Sex

Bettina Ross moniert in ihrer insgesamt postiven Rezension zwar zu Recht die »latente Homophobie« (Ross 2000, 137) und die »homophoben Töne« (Ross 2000,138) des Romans, die sich darin zeigen, dass es »schwules >Begehren< nur als Vergewaltigung durch Mächtigere (Clubbesitzer, Stiefväter, Erzieher)« gebe und keine »positiven Schwulen und Lesben« vorkommen, (Ross 2000,137) übersieht jedoch, dass Sexualität in dem Roman insgesamt negativ konnotiert ist. So ist sie mit Schmutz verknüpft,476 meist gewaltsam,477 nie zärtlich, immer gefährlich, es kommen Vergewaltigungsversuche vor,478 Prostitution (von Jungen), öfter Missbrauch?79 (ebenfalls an Jungen)480 und nicht zuletzt wird sie mit der Übertragung von Krankheiten verbunden.481 All dies wird in einer derben, ja rüden Sprache geschildert. Hinzu tritt, dass starke Frauen nur dann positiv charakterisiert werden, wenn sie nicht sexualisiert sind. Sexualisierte starke Frauen werden hingegen verlässlich negativ dargestellt. Die (sexuellen) Beziehungen der Figuren sind meist von Gewalttätigkeit und Unterwürfigkeit beseelt, wobei insbesondere die weibliche Sexualität dämonisiert wird. Was sich etwa darin ausdrückt, dass Tonia den von ihr abhängigen Musiker Blue ihren »Lustsklaven« nennt (W, 38) und er sie als Vampir imaginiert, der ihn aussaugt. Schließlich beginnt er an »Wahnvor­ stellungen« zu leiden, in denen sich Tonias Haare in Schlangen verwandeln und in seine »Körperöffnugnen« eindringen. (W, 224f.) In dieser Phantasie

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erscheint die Frau als den Mann vergewaltigende Medusa482. Und noch als Tote sieht sie ihn »mit diesem selbstgefälligen Ausdruck an, den sie extra für ihn reserviert zu haben schien.« (W, 225) Zwar sieht Blue sich genötigt, sexuell mit Tonia zu verkehren, doch eigentlich ist Louisa seine »Geliebte und Freundin«. Das Verhältnis zwischen ihnen ist allerdings kaum weniger ungleich, wie das zwischen ihm und Tonia, nur dass diesmal er den beherr­ schenden Part inne hat, während sie »seine kleine Meerjungfrau«0 ist, »die ihr Leben auf glühenden Kohlen tanzend [verbringt]« und immer auf ihn wartete, hinter der Bühne, im Hotel. [...] Louisa war einfach jemand, der auf dich gewartet hat. [...] die entzückende Ballerina, das zerbrechliche, unwirkliche Wesen. Dabei war sie eine Frau gewesen, mit ganz realen Hoffnungen und Wünschen, die er nur nie hatte wahr haben wollen, weil es so viel bequemer für ihn gewesen war. (alle Zitate W, 152)

Zur Zeit der Romanhandlung hat er sie allerdings schon länger verloren. Zuletzt hatte er sie »in einer Zelle gesehen, weil sie einen Mann mit einem Messer verletzt hatte.« (W, 151) Wirklich interessiert hat er sich offenbar nie für sie. Das umfangreichste Personal dürfte wohl Jänchens Simon Goldsteins Geburtstagsparty bieten, darunter fünf Identifikationsfiguren von denen John Dove und Fiana O’Nolan sowie Frank Böttger und Nathalie Auer je ein Paar bildend. Als fünfter tritt der Knabe Jeremiah hinzu, dessen Name sowohl einem der alttestamentarischen Propheten wie auch der Titelfigur einer nach dem Dritten Weltkrieg handelnden Comic-Serie des Belgiers Her­ mann Huppen (*1979) gleicht. In Jänchens Roman wächst der elternlose, pubertierende Junge in einer christlich-fundamentalistischen Sekte auf, die Maria verehrt und in männlicher Sexualität das Übel schlechthin sieht.484 Pubertierende Jungen müssen sich daher entweder kastrieren lassen oder die Gemeinde verlassen. Jeremiah fürchtete sich wegzugehen, in die Welt außerhalb der Gemeinde, die voller Gefahren und voller Sünden war. In der Welt draußen lebten Männer. Er fürchtete sich auch davor, selbst ein Mann zu werden, ein brutales rücksichtsloses Monster, das jedem Tod und Verderben brachte, den es berührte. (GG, 33)

Jeremiah entschließt sich, die Gemeinde zu verlassen, (vgl. GG, 34) Seine erste Begegnung mit einer Bande männlicher Jugendlicher bestätigt alle seine durch die Indoktrination der Sekte vermittelten Vorstellungen über Männer. Sie verprügeln ihn und rauben ihn aus. (vgl. GG, 72ff.) Hingegen werden die Frauen draußen in der Welt seinen (einem Geschlechterklischee entsprechenden) positiven Vorurteilen nicht gerecht, denen zufolge sie qua Geschlecht »mitleidig und barmherzig« sind. (GG, 118) Schon die erste Frau,

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an deren Tür er bettelnd anklopft, weist ihn zu seiner großen Verwunderung barsch ab. (vgl. GG, 118) Schließlich nimmt sich ein fremder Mann seiner an und päppelt den halbverhungerten Jungen auf. (vgl. GG, 142f.) Wie sich herausstellt, handelt der Mann jedoch keineswegs selbstlos. Vielmehr hält er sich eine Reihe von Jungen und Mädchen, die er an reiche Männer als Sexualobjekte zu vermieten pflegt. Auch Jeremiah erleidet dieses Schicksal, (vgl. GG, 142f.). In dem Zusammentreffen mit den ihn verprügelnden Jugendlichen wird zunächst ein negatives Männerklischee bestätigt, sodann wird in der ihn ab­ weisenden Frau ein Frauen positiv diskriminierendes Geschlechterklischee widerlegt, und schließlich wird ein wiederum negatives Männerklischee scheinbar widerlegt, um dann jedoch umso grausamer restituiert zu wer­ den. Jeremiahs Erfahrungen bestätigen das Geschlechterklischee über die Schlechtigkeit der Männer, widerlegen jedoch das andere, das besagt, Frauen seien die besseren Menschen. Allenfalls, dass sie nicht ganz so schlecht sind, spielen sie ihm doch nur weniger übel mit.

Beziehungsprobleme

Über die bereits genannten fünf Charaktere hinaus gibt es zahlreiche weitere nicht ganz unwichtige Nebenfiguren, auf die nun ein kurzer Blick geworfen werden soll, bevor ich mich mit John, Frank, Fiana und Nathalie den anderen Identifikationsfiguren zuwende, die mehr noch als Jeremiah im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Zunächst wäre die bereits erwähnte Frau Dr. Dorestad zu nennen, über die von der Erzählstimme stets distanzschaffend mit dem Nachnamen inklusive akademischem Titel gesprochen wird. (vgl. GG, 8 u.ö.) Während die meisten anderen Protagonistinnen (mit Ausnahme ihres Vorgesetzten Simon Asch) beim Vornamen genannt werden, scheint sie nicht einmal einen zu besitzen. Wenn sie an Sitzungen oder Besprechungen des Instituts teilnimmt, ver­ merkt die Erzählinstanz gern, dass sie »[d]ie einzige Frau in der Runde« ist. (GG, 8,115) Als Intellektuelle wird sie nicht nur von der Narratorln lächerlich gemacht, sondern auch von den Figuren beiderlei Geschlechts verachtet.485 (vgl. etwa GG, 23 und 160) Ihr Chef, der mächtige »Direktor des Instituts für Medienforschung« Simon Asch, (GG, 149) »sagt[.J den Leuten, was sie zu denken [haben].« (GG, 9) Und das gilt nicht nur für seine Mitarbeiterinnen, sondern mehr

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noch für die Bevölkerung, die er als Strippenzieher hinter den Nachrich­ ten manipuliert. Er wird als gespaltene Persönlichkeit gezeichnet, was sich schon darin ausdrückt, dass sein wirklicher Name nicht Simon Asch, sondern Sieghard Auer ist. Der Name Asch ist sein »Schutzschild, der die heile Welt seiner Familie von der schmutzigen seiner Arbeit trennte.« (GG, 13) Jenseits seines menschenverachtenden Berufs ist er der sich sorgende Vater einer an Lungenkrebs erkrankten Tochter. Damit wird das in der Trivialkultur beson­ ders kultivierte Stereotyp aufgegriffen, dem zufolge die übelsten Verbrecher zuhause fürsorgliche Familienväter sind.486 Ähnliches lässt sich auch über Petrelli, den Chef des Terroristen John, sagen, wenn es heißt: »Im Umgang mit seinen Leuten wahrte Petrelli ein merkwürdiges Gleichgewicht von mütterlicher Fürsorge und militärischer Brutalität.« (GG, 36) In der Figur wird Fürsorglichkeit nicht nur weiblich genauer gesagt - mütterlich konnotiert und mit (militärischer) Gewalt kon­ trastiert, sondern zugleich vereint. Wie in den Erlebnissen von Jeremiah werden damit Geschlechterklischees nicht nur bestätigt, sondern gleichzeitig unterlaufen - und dabei ebenso wie in der Figur Asch ein anderes ventiliert. Nun zu den beiden zentralen Paaren des Romans. Zunächst Frank Böttger und Nathalie Auer, der bereits erwähnten Tochter von Simon Asch. Die an einer Lungenerkrankung leidende Frau ist das personifizierte Gutmenschen­ tum und somit das genaue Gegenteil ihres Vaters. Sie ist die »schöne Leiche< in spe.487 Mit dem Geld, das sie von ihrem Vater bekam, um sich eine neue Lunge klonen zu lassen, hat sie ein Entwicklungsprojekt in Nigeria finanziert. Inzwischen ist die Erkrankung soweit fortgeschritten, dass eine zweite vom Vater selbst veranlasste Klonlunge vielleicht zu spät kommt, da ihre »Trans­ plantationsreife« erst in zwei Jahren erreicht sein wird, (GG, 135) und es mehr als fraglich ist, ob Nathalie noch so lange leben wird. Nachdem die Frau erst das Geld, das sie retten sollte, altruistisch gespendet hat, ist »sie selbst in die Krisenregion Westkwara gegangenem Solaranlagen und Wasserreiniger zu installieren und Waisenkindern die Nase zu putzen«, (GG, 12) wie ihr Vater voller verärgert-besorgtem Zynismus formuliert. Der Informatiker und Programmierer Frank Böttger ist im Medieninstitut von Nathalies Vater als »Dienstleister für die Medienwissenschaftler und Psychologen« beschäftigt. (GG, 180) So beschreibt er jedenfalls selbst sei­ ne Tätigkeit. Tatsächlich manipuliert und erfindet er Nachrichten, wobei er machohaft findet, »ohne die Assistentin im kurzen Röckchen« seien »diese Kunststücke nur halb so aufregend«. (GG, 148) Durch eine von ihm zu verantwortende Nachrichtenunterdrückung trägt er Mitschuld an Nathalies

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Krebserkrankung, (vgl. GG, 100,242) Als er sie später kennenlemt, verliebt er sich in sie und wird gewissermaßen geläutert. Am Ende des Romans bangt er um ihr Leben, wobei offenbleibt, ob einem letzten Rettungsversuch Erfolg beschieden sein wird. Da sich abzeichnet, dass die Klonlunge nicht recht­ zeitig herangereift sein wird, hat Nathalies Vater illegal eine >SpenderSpendermännlichem BlickmännlichKarriere< als Terrorist auf grausame Weise entsprechend kondi­ tioniert, indem Prostituierte, mit denen er zur Belohnung für >gute Arbeit< schlafen durfte, anschließend vor seinen Augen grausam ermordet wurden. Während ihrer Ausbildung zu Attentätern, berichtet er Fiana, wären er und die anderen Männer »vor Freude verrückt geworden, wenn wir einer Frau auch nur hätten die Hand drücken dürfen. Irgendwann, als Belohnung für unsere guten Leistungen, sagte Petrelli, brachten sie ein paar Prostituierte auf die Farm. Wir waren nicht heikel, und besorgten es ihnen im Trainingsraum, alle zusammen. Und dann, als wir keuchend und glücklich zusammensanken, kamen ein paar maskierte Typen herein und schnitten den Frauen die Kehlen durch. Sie schlitzten ihnen die verschwitzten Bäuche auf, ein unglaubliches Gemisch von Därmen und Blut und...« Er stockte. [...] »Entschuldige. Ist es immer noch so schlimm? Nach zwanzig Jahren?« John nahm einen Schluck von seinem Tee, dann nickte er. »Sie haben es nicht nur einmal gemacht.« »Wie? Ich meine, wie konntet ihr so was ein zweites Mal... ?« »Hundertmal, mindestens. Sie haben das Ganze aufgenommen, und haben es wieder und wieder abgespielt, direkt ins Gehirn. In allen Details. Heute frage ich mich, ob das alles wirklich passiert ist oder ob es von Anfang an eine Simulation war. [...] Sie haben uns das alles so oft durchleben lassen, bis keiner mehr einen hochgekriegt hat. Amen.« (GG, 214)

Die Voraussetzung dafür, dass John der männlich konnotierten Tätigkeit des Tötens und Mordens nachgehen kann, ist nun also paradoxer Weise, dass er seiner Männlichkeit beraubt wurde. Damit wird Männlichkeit zwar

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einerseits vom Geschäft des Mordens abgekoppelt, ja sogar damit in Gegen­ satz gesetzt, und somit klischeehafte Männlichkeit überhaupt infrage stellt. Andererseits wird Männlichkeit ganz den altväterlichen Vorstellungen und Gepflogenheiten gemäß, denen Mann und Mensch als identisch (und die Frau als das Andere) galten, geradezu mit Menschlichkeit in eins gesetzt. Denn mit seiner männlichen Sexualität verliert er seine Menschlichkeit. Das heißt, seine Männlichkeit ist das Mittel dazu, ihn seiner Menschlichkeit zu berauben, wobei er zugleich die Männlichkeit verliert. Opfer aber sind wieder einmal die Frauen, die Prostituierten, die auf Befehl von Männern durch Männer getötet werden, um Männer zu entmannen und entmenschen.493 Die männliche Sexualität, die ja zu Beginn des Prozesses nicht zögert, Pro­ stituierte zur Befriedigung zu benutzen, ist (in der Figur) also zwar scheinbar ambivalent, letztlich jedoch - oder besser gesagt von Beginn an - zerstöre­ risch, auch wenn sie um der Zerstörung willen selbst zerstört wird.

Emanzipationskämpfe

In den SF-Texten dieses letzten Abschnitts bilden Geschlechterkonstruktionen, -rollen und -Verhältnisse oft nicht nur den Hintergrund des eigent­ lichen Geschehens, sondern werden öfter explizit (und das heißt dann auch meist kritisch) verhandelt. Im Zentrum stehen dabei nicht selten Sexualität und Reproduktion. So etwa in der Kurzgeschichte Muttertag, in der Frauen von Kindern bedroht sind, oder in dem Roman Jägerwelten anhand der Mehr­ fachehen und in Unheimliche Reise anhand der Reproduktionstechnologien. Mehr noch als bei allen anderen stehen die Geschlechterverhältnisse jedoch in Behrs Klonmutter-Tagebuch lda&Laura und in Streeruwitz’ »Emanzi­ pationsgeschichte« (Geier 208,154) der Norma Desmond im Vordergrund. Doch im Grunde ringen alle Protagonistinnen der genannten Werke um ihre Selbstbestimmung. Allerdings werden patriarchalische Geschlechterverhältnisse und konser­ vative Geschlechterrollen in anderen Werken der Zeit auch schon mal affirmiert. So insbesondere in Myra Qakans Kurzgeschichte Das total verdorbene Wochenende, die ein misogynes Weiblichkeitsbild ironisierend bestätigt, (vgl. o.J.) und in ihren beiden Romanen um den Weltraumabenteurer Luke Harrison, die den offenbar als Lesern anvisierten spätpubertierenden Jungs ein maskulinistisches Macho-Ideal vorsetzen, (vgl. 2000a und 2000b) Die nicht weniger machohaft daherkommenden Frauenfiguren Donovan und

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Del in Qakans Downtown Blues sind in ihrer Klischeehaftigkeit ebenfalls schwerlich als subversiv zu bezeichnen, (vgl. 2001) Dass die Ironisierung konservativer Geschlechterklischees diese nicht zu­ gleich bekräftigen muss, zeigt hingegen die bisher noch nicht erwähnte Kurz­ geschichte Macho 2000 (1993) der Österreicherin Petra Schneider (*1950). Die 1989 erstmals veröffentliche Story beschreibt den wenig aufregenden Alltag eines Paares, in dem der Mann und die Frau die jeweiligen Geschlechterrollen und -klischees geradezu übererfüllen. Er verbringt seine Tage damit, dass er per »Schläfenport« (1993, 300) an einen interaktiven »Fernseher« (1993,297) angeschlossen beim Killen digitaler Monster abhängt und sich an­ sonsten in »männlicher Großkotzigkeit [suhlt]«, (1993,300) während sie ihre Erfüllung in der Küche beim Kochen und Backen findet. Das >Liebesmännlichen< Machtfülle und Skrupellosigkeit und seiner fast mütterlich zu nennenden (Für-)Sorge um seine Tochter eine gespaltene Persönlichkeit. Männlichkeit schlechthin wird (insbesondere de­ ren Sexualität betreffend) in dem Buch hingegen ganz unzweideutig negativ konstruiert, wie vor allem John Doves über Prostituieren-Leichen gehende >Ausbildung< zum Terroristen zeigt. Doch auch in Jeremiahs Erfahrungen mit dem Mann, der ihn aufnimmt, um ihn als Sexualobjekt an andere Männer zu vermieten, tritt die negative Konstruktion männlicher Sexualität zutage. Dass sich einzelne Männer jedoch entgegen der Auffassung der Sekte, in der Jeremiah aufgewachsen ist, sehr wohl ändern können, vermittelt die Figur des vom sexistischen Nachrichtenfälscher zum um eine Frau bangenden Liebenden heranreifenden Programmierers Frank Böttger, dessen Zuneigung allerdings wohl nicht zufällig auf sexuelle Erfüllung verzichtet. Jänchens Weiblichkeitskonstruktionen sind hingegen meist eindimensio­ naler. Entweder sind sie wie Nathalie Auer das personifizierte Gutmenschen­ tum, oder sie werden von der Autorin als intellektuelle Negativcharaktere eingesetzt wie Dr. Dorestad und Eloi'se St. Clair. Differenzierter gezeichnet ist hingegen Fiana O’Nolan, deren Weiblichkeit >männliche< Komponenten

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untergemischt sind, die sowohl ihre Lebensweise als Kriegsreporterin wie auch ihr Äußeres mit den kurz geschorenen Haaren betreffen, sie aber nicht davor schützen, sich von einem >echten< Mann mehrfach das Leben retten lassen zu müssen, wobei dieser Mann aber selbst seiner Männlichkeit in Form seiner Sexualität beraubt ist. Auch die Weiblichkeitskonstruktionen in £akans When The Music’s Over konnotieren >männliche< Eigenschaften bei Frauen nicht immer negativ. Negativ dargestellt wird jedoch weibliche Sexualität immer dann, wenn sie mit einer starken Persönlichkeit einhergeht. Das wiederum verbindet sie mit der männlichen Sexualität, die bei Qakan vor allem als Prostitution, Miss­ brauch und Vergewaltigung sowie stark negativ gezeichnetem homosexuellen Begehren vorkommt. Bei den seit den 1970er-Jahren in der Frauenbewegung aktiven Literatin­ nen Behr und Heinrich werden die Geschlechterverhältnisse und Weiblich­ keitskonstruktionen hingegen nicht zuletzt über die Thematisierung der in den Romanen Ida&Laura und Unheimliche Reise zentralen Reproduktionstech­ nologien verhandelt. Stellen sie in Heinrichs Roman quasi den Gipfelpunkt sexistischer Funktionalisierung von Frauen(körpem) dar, welche die Erfül­ lung aller Männerphantasien verspricht, so bedient sich Behrs Protagonistin der Technologie des Klonens zur selbstbefreienden Emanzipation von den Männern. Zunächst, indem sie sich ohne diese fortpflanzt, und sodann, indem sie beginnt, zu masturbieren und schließlich mit ihrer Klontochter sexuell zu verkehren. Mit den beiden einander antagonistisch entgegengesetzten Positionen zur Reproduktionstechnik, einmal als Mittel des Patriarchats zur Unterdrückung und Ausbeutung der Frau, das andere Mal als Instrument zur Befreiung der Frau zumindest von den Lasten der Reproduktion, spiegeln Unheimliche Reise und lda&&Laura genau die seit den 1970er-Jahren vor allem in der amerikanischen Frauenbewegung konträr verhandelten Posi­ tionen wider, während in Deutschland die feministische Ablehnung der Re­ produktionstechnologien nahezu einhellig war.494 Charlotte Kemer, die zwei Jahre nach Behr mit Blueprint Blaupause selbst einen Roman über eine Frau, die sich eine Tochter klonte, schrieb, sprach sich in einem Artikel der EMMA unter der Überschrift Klonopoly*95 (1999) vehement gegen das Klonen (nicht nur von Menschen) aus und verteilte dabei auch einen Seitenhieb an ihre Kollegin: Die Klon-Schwangerschaft ist nicht die »zärtlichste Liebesgeschichte zwischen Mutter und Tochter, die je geschrieben wurde«, wie Sophie es in ihrem Roman Ida & Laura [sic] erhofft. Diese Art Schwangerschaft ist vielleicht sogar die gewalttätigste. (1999,49)

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Wird Reproduktionstechnologie bei Heinrich (und Kemer496) negativ, bei Behr hingegen positiv dargestellt, so ist sie bei Streeruwitz ambivalent. Ei­ nerseits fühlt sich die Identifikationsfigur Norma von den Lasten des - wie Isabelle Azoulay (*1961) klagt »barbarisch[en]« und einer »Naturkatastro­ phe« gleichkommenden (1999,73 und 77) - Gebärens befreit, andererseits sterben Frauen, weil ihnen mit der fehlenden Mutterschaft der Lebenssinn abhanden gekommen ist. Während die Frage der technisch unterstützten Reproduktion des Men­ schen in den Romanen von Behr und Heinrich das zentrale Thema bildet und sie bei Streeruwitz zumindest angesprochen wird, spielt die Sexualität ganz unabhängig von Reproduktion und Fortpflanzung in fast jedem der in diesem Abschnitt behandelten Texte eine große Rolle. Man kann sagen, dass es nach der Zweiten Frauenbewegung das Thema der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen ist - wenngleich selbstverständlich nicht das einzige. Unproblematisch ist sie dabei nie. Am augenfälligsten ist das in Jänchens Simon Goldsteins Geburtstagsparty und in Qakans When The Music’s Over. Befriedigende, glückliche Sexualität gibt es weder in dem einen noch in dem anderen Roman. In Jänchens und Noltes Romanen wird Sexualität zudem funktionalisiert, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Bei alldem ist Sexualität in den Romanen dieses Zeitabschnittes nicht länger ausschließlich heterosexuell konstruiert.497 Homosexuelles Begehren ist als schwules bei Qakan negativ, als lesbisches bei Behr positiv literarisiert, während Bisexualität in Noltes Roman zwar angesprochen, aber - ebenso wie die >homosexuellen< Gefühle des Aliens Schatten für den Menschen Charl - nicht wirklich thematisiert wird.

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7 Unterwegs zum Sex - Schlussbemerkung

Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die Geschlechterkonstruktionen in den SF-Schriften von deutschsprachigen Frauen vor, während, zwischen und nach den beiden Frauenbewegungen in separaten Kapiteln beleuchtet wurden, soll nun abschließend in aller Kürze und ohne allzu re­ dundant zu werden anhand des literarischen Motivs der Sexualität sowie der mit ihr verknüpften Motive Ehe und Reproduktionstechnologien noch einmal deutlich gemacht werden, wie sich diese Konstruktionen im Laufe des gesamten Untersuchungszeitraums gewandelt haben, wobei sich das Motiv der Reproduktionstechnologien in der hier untersuchten Science Fiction von Frauen allerdings überhaupt erst mit und nach der Zweiten Frauenbewegung entwickelte. Doch nicht nur die Geschlechterkonstruktionen in und durch literarische Motive wandelten sich. Bestimmte Motive gewannen oder verloren im Laufe der Zeit für die Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit bezie­ hungsweise von männlichen und weiblichen Figuren an Bedeutung. So wird das Motiv Sexualität parallel zur immer stärker voranschreitenden Sexua­ lisierung der Gesellschaft nicht nur expliziter thematisiert, sondern auch für die geschlechtliche Konstruktion der Figuren zunehmend wichtiger, wäh­ rend etwa das Thema Beruf mit zunehmender Beteiligung der Frauen an der Arbeitswelt für die Differenzierung der Geschlechter an Relevanz einbüßt.

Frauenbewegungen und weibliche Science Fiction Bevor sich jedoch den Motiven und ihren Wandlungen zugewandt wird, soll ein Blick auf die unterschiedlich engen Verzahnungen zwischen der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen während und nach der Ersten Welle der Frauenbewegung einerseits, derjenigen während und nach der Zweiten Welle andererseits geworfen werden. In der von Frauen zwischen 1889 und 1918 geschriebenen deutschsprachigen Science Fiction wurden die Forderungen und Kämpfe der damaligen Frauenbewegung nicht nur

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explizit verhandelt, sie bildeten oft sogar das zentrale Thema der Werke. Sei es nun, dass die Forderungen der Feministinnen von Therese Haupt und Ellen Key zurückgewiesen oder von teils selbst feministischen Literatinnen wie Bertha von Suttner, Helene Judeich und Rosa Voigt positiv aufgegriffen wurden. Dabei wählten sowohl Haupt wie auch Suttner Frauenrechtlerinnen als Protagonistinnen. Auch in den 1920er-Jahren, also in der Zeit nach dem (vorläufigen) Erliegen der organisierten Frauenbewegung, wurden frauen­ emanzipatorische Fragen verhandelt. Nun allerdings, ohne dass direkte Bezü­ ge zu den Anliegen der in den Jahrzehnten zuvor so virulenten Feministinnen eine größere Rolle spielten. Anders als während der Ersten Frauenbewegung interessierten sich zur Zeit der Zweiten einige der deutschsprachige SF-Autorinnen nur wenig für die zeitgenössischen feministischen Bestrebungen. Zumal bei westlichen Autorinnen, die im trivialliterarischen Bereich tätig waren wie etwa Marg­ ret Käsbauer, Iny Klocke oder der unter dem Pseudonym David Chippers publizierenden Autorin Friedelinde Cap, standen andere, in der damaligen Science Fiction gängige Themen im Vordergrund.498 Allerdings gab es mit Rosemarie Voges und vor allem mit Evelyne Brandenburg auch Autorinnen (und mit dem unter weiblichem Pseudonym schreibenden Christian Lauten­ schlag sogar einen Autor), welche die feministischen Forderungen ihrer Zeit nicht weniger explizit aufgriffen, thematisierten und vertraten wie dies in der Science Fiction von Frauen ein dreiviertel Jahrhundert zuvor hinsichtlich der Ersten Frauenbewegung geschehen war. Kaum weniger deutlich befassten sich Marianne Gruber, Barbara Neuwirth, Irmtraud Kremp und Barbara Meck mit Fragen, welche die Zweite Frauenbewegung Umtrieben. Und selbst die Heftroman-Autorin Marianne Sydow thematisierte in der literarisierten Form einer ehelichen Paarbeziehung implizit die gesellschaftliche Kontroverse um die Frauenemanzipation. Was nun die Zeit nach dem Abflauen der Zweiten feministischen Welle betrifft, so kann konstatiert werden, dass deren Themen in der Science Fiction von Frauen virulenter blieben als dies bei ihren Kolleginnen nach der Ersten Frauenbewegung der Fall war. Es lässt sich geradezu sagen, dass einige feministische Literatinnen und Aktivistinnen der Frauenbewegung erst jetzt dieses Genre für sich entdeckten. Sophie Behr, Jutta Heinrich und Marlene Streeruwitz sind hier zu nennen. Wie sich insbesondere bei Juli Zeh be­ obachten lässt, blieben die Schriftstellerinnen selbstverständlich nicht den Vorstellungen des 70er-Jahre-Feminismus verhaftet, sondern rezipierten und literarisierten dabei sehr wohl die theoretischen Erkenntnisse des sich mehr

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und mehr akademisierenden Feminismus, der die Annahme der Natürlichkeit von Geschlecht und somit das Kollektivsubjekt Frau zunehmend verwarf.

Die Befreiung aus dem Ehejoch Galt zur Zeit der Ersten Frauenbewegung den gesellschaftlichen Konven­ tionen gemäß zumindest für das weibliche Geschlecht der Geschlechtsverkehr nur dann als legitim, wenn er ehelich vollzogen wurde, so hatte sich dies im Laufe des 20. Jahrhunderts gründlich geändert. Erste Schritte hierzu unter­ nahmen etwa Franziska zu Reventlow, der anarchistische Psychoanalytiker, Matriarchatsverfechter und Erotomane Otto Gross (1877-1920) sowie die Feministin Helene Stöcker schon zu Beginn des Jahrhunderts.499 Gravie­ render noch waren die Änderungen in der zweiten Hälfte des Säkulums. Dafür spielten verschiedene Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle - wie etwa die Entwicklung der Anti-Baby-Pille und die, wenn nicht durch diese ermöglichte, so doch erleichterte, sogenannte >sexuelle Revolution^ Nicht minder bedeutsam aber war die Zweite Frauenbewegung. Heutzutage ist die Ehe eine Option, nicht mehr, denn alle Funktionen, die einmal mit ihr verbunden und nur in ihr möglich waren, können inzwischen ausgelagert werden: die Sexualität, die Versorgung, die Kindererziehung, die Wohngemeinschaft, der gesellschaftliche Kontakt, (2011,207)

konstatierte Hannelore Schlaffer jüngst in ihrer Arbeit Die intellektuelle Ehe. Neben der Ehe steht inzwischen eine ganze Palette weiterer Optionen zur, wie Schlaffer formuliert, »Gefühlsmodellierung« zur Verfügung: »der I^ebensbund, die Partnerschaft, der Lebensgefährte, die I^ebensabschnittsgefährtin, die Lebensgemeinschaft, die Zeitehe, die serielle Monogamie«, (ebd.) Die Reihung ließe sich um das Singledasein und einiges mehr erweitern. Jedenfalls schlug sich die Auflösung (der Relevanz und Dominanz) der tra­ ditionellen Ehe - wie könnte es anders sein - auch in der hier untersuchten SF-Literatur nieder. Richtet sich das schüchterne Sehnen der jungen, den Mond bereisenden Damen in Moderatus Diplomaticus’ Lustspiel aus dem Jahre 1873 mit dem Titel Die Deutschen und Engländer im Mond noch ganz auf den zu erwarten­ den Heiratsantrag der sie anbetenden feschen Herren und bediente sich die Autorin des obligaten Happy Ends der Doppelhochzeit, so erwartet die femi­ nistische Heldin in Bertha von Suttners zur Zeit der Ersten Frauenbewegung publizierten Romans Der Menschheit Hochgedanken nicht nur ebenfalls ihr

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höchstes Glück durch den Eheschluss, sondern nutzt die Bekanntgabe ihrer Verlobung sogar noch zur alles anderen als emanzipatorischen Versicherung an ihre männliche Zuhörerschaft, dass denkende und emanzipierte Frauen »nicht so gefährlich« seien, (MH, 424) wie die Herren wohl fürchten möch­ ten. Und selbst in Helene Judeichs Kolonie Neugermanien heiraten auch die emanzipierten Frauen genauso brav wie die verdummten Absurdumerinnen. Um einiges freier ist in den 1920er-Jahre schon Harbous titelstiftende Frau im Mond, die nicht mehr »viel danach [fragt], ob irgendein Beamter seinen Namen unter ein Schriftstück setzt«, das ihr und dem Geliebten die Ehe und somit die Legitimität des gemeinsamen Geschlechtsverkehrs »bescheinigt«, da sie sich »keinem Menschen auf der Welt verantwortlich« fühlt als sich selbst. (FM, 82f.) Ein halbes Jahrhundert später hebt Marianne Sydow in ihrem Heftroman Irrwege im Weltraum (1975) die althergebrachte Ehe allerdings wieder aufs Schild und spricht sich damit zumindest indirekt nicht nur gegen die im Jahr seines Erscheinens schon fast als siegreich vollzogen angesehene >sexuelle Revolution< aus, sondern auch gegen die damals ihrem Gipfelpunkt ent­ gegenstrebende Zweite Welle der Frauenbewegung. Doch insgesamt wird die (herkömmliche) Ehe nun in der von Frauen verfassten Science Fiction keineswegs als Lebensideal konstruiert und propagiert; und schon gar nicht als dasjenige von Frauen. So ist die Hochzeit der Titelheldin in Evelyne Brandenburgs Anna Maria vielmehr ein zwangsläufiger Schritt der Unter­ drückungsgeschichte, der die Protagonistin von der »Schutzherrschaft des Internats in die Schutzherrschaft der Ehe« überführt. (AM, 21) Mit der Ent­ deckung ihres Körpers und ihrer sexuellen Lust geht für Anna die Entdeckung der feministischen Utopie einher und befreit sie aus der Ehe. In Sophie Behrs ebenfalls feministischem Roman Ida&Laura kommt die promiscué Protagonistin Ida ganz ohne Ehe zu vielfachen sexuellen Erleb­ nissen, und in Ulrikes Noltes Werk Jägerwelten herrscht die das traditionelle Ideal des Ehepaares sprengende jerusalemitische Mehrehe vor. Der sexuelle Verkehr hat sich in der Science Fiction der Frauen also ebenso wie in der Realität von der (traditionellen) Ehe gelöst.

Der Verkehr der Geschlechter Doch nicht nur in dieser Hinsicht haben die Sexualität der Figuren und ihre Darstellungsweise im Laufe des Untersuchungszeitraums einige nicht unbe-

trächtliche Veränderungen durchlaufen. Die Sexualität rückt im Laufe des Üntersuchungszeitraums auch immer stärker in den Fokus des Geschehens und spielt während und nach der Zweiten Frauenbewegung eine zunehmend wichtigere Rolle für die Konstruktion der Geschlechtscharaktere. Mussten sich die Mondbesucherinnen in Moderatus Diplomaticus’ Thea­ terstück von 1873 noch damit begnügen den Sexualakt in einem Blumen­ garten rein metaphorisch zu vollziehen, wird die Darstellung des Geschlechts­ verkehrs zunehmend expliziter, wie etwa schon bei Thea von Harbou, zur Zeit der Weimarer Republik, die allerdings eine Vergewaltigung als inbrünstigen Kuss durch den Vergewaltiger euphemisiert, und erreicht ihren Höhepunkt während der Zweiten Frauenbewegung, wenn Brandenburg das Eindringen eines Penis in die Vagina der Protagonistin fast schon detailbesessen darstellt. Nun verzichten die anderen untersuchten Literatinnen dieser Zeit ebenso wie spätere SF-Autorinnen zwar auf eine derart explizite Beschreibung der Penetration, doch wird der Geschlechtsakt auch bei Streeruwitz, Nolte und Qakan weit unumwundener und direkter thematisiert, als dies vor der Zweiten Frauenbewegung denkbar war. Nicht weniger als ihre Darstellungsweise hat sich die Sexualität in der Science Fiction von Frauen selbst verändert. Geht in der metaphorisierenden Darstellung von Moderatus Diplomaticus die sexuelle Initiative, die hier als Blumenpflücken und Heiratsabsichten daherkommt, ganz den »offiziellem gesellschaftlichen Geschlechterkonventionen gemäß stets vom Mann aus, so pflegt der männliche Protagonist in Suttners Der Menschheit Hochgedanken zahlreiche voreheliche sexuelle Kontakte, die, nebenbei gesagt, nur erwähnt, aber nicht dargestellt werden. Suttners Protagonistin allerdings geht unberührt in die Ehe. Damit folgt die Autorin anders als Moderatus Diplomaticus nicht mehr den gesellschaftlich anerkannten und propagierten Geschlechterkon­ ventionen, sondern literarisiert die sexuelle Doppelmoral der Zeit, die es Männern - und nur ihnen - nicht nur erlaubt »sich die Hörner abzustoßenweiblichen< Automaten bauen ließen. Als Nachfahrin letzterer kann die mehr als ein Jahrhundert später in Harbous Roman Metropolis von Rotwang erfundene Androidin gelten. Die Nachfahren von Goethes Homunculus wiederum ließ Aldous Huxley (1894-1963) anno 1932 in einer »BRUT- UND NORMZENTRALE« seiner schönen neuen Welt mit Hilfe des »Bokanovskyverfahren[sJ« als »Dutzendlinge« knospen. (Huxley 1983,19ff.) Erst mit den realen biotechnologischen Innovationen des sich seinem Ende zuneigenden 20. Jahrhunderts wurden Reproduktionstechnologien wie etwa das Klonen oder auch die Schaffung von Hybridwesen von deutschsprachigen Autorinnen als dystopische Bedro­ hung bei Jutta Heinrich oder als utopischer Ermöglichungsgrund weiblicher Emanzipation und Selbsterfüllung wie in Sophie Behrs Ida&Laura literarisiert - oder aber in ihrer Ambivalenz entfaltet, wie dies Marlene Streeruwitz geradezu virtuos gelang.

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Das weinende Geschlecht Überhaupt lässt sich sagen, dass die Geschlechterkonstruktionen in der SFLiteratur von Frauen sich zwar nicht unbedingt gemäß, aber doch mit den technischen, vor allem aber gesellschaftlichen Entwicklungen veränderten. Zu diesen gesellschaftlichen Prozessen zählen nicht zuletzt die beiden femi­ nistischen Wellen, die um 1900 und in den 1970er-Jahren über Deutschland und die gesamte westliche Welt rollten und dabei manch atavistische Geschlechterkonvention und -Vorstellung hinwegspülten. Dass aber die deut­ sche Science Fiction von Frauen umgekehrt auch auf die Frauenbewegung zurückgewirkt hätte, lässt sich kaum sagen. Doch auf wie vielfältige und oft grundlegende Weise sich die Geschlechterdarstellungen und -konstruktionen in der deutschsprachigen Science Fiction von Frauen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch gewandelt haben, ein Geschlechterstereotyp scheint zumindest in der Vorstellung der Literatinnen unwandelbar: Frauen sind das weinende Geschlecht. Über all die Jahrzehnte des Untersuchungszeitraums hinweg vergießen weibliche Figuren in den Romanen, Novellen und Theaterstücken immer wieder aus allen möglichen Gründen Tränen,500 wusste doch schon Kant »Frauen weinen immer gleich bei alle[m]«. (1997, 1352) Hingegen entrinnt nur höchst selten einmal eine Träne dem Auge eines Mannes wie etwa in Andros Roman Das entschwun­ dene Ich (vgl. I, 60) oder in Jänchens Simon Goldsteins Geburtstagsparty. (vgl. GG, 261) Und bei Qakan schließlich weint einmal ein kleiner Junge, obwohl er ganz genau weiß, dass sich das für Angehörige seines Geschlechts nicht ziemt, (vgl. W, 6) Höchste Zeit, dass sich das ändert. Und so manches andere auch.

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Anmerkungen

1 »If utopias for men are often dystopias for women, might it be that dystopias for men are utopias for women?« (1984,215) 2 Zwei einander scheinbar geradezu diametral entgegengesetzte Wege maskulinistischer Utopien beschreiten Gerhart Hauptmann (1862-1946) mit Die Insel der Großen Mutter (1924) und John Wyndham (1903-1969) mit Consider Her Ways (1961). Während Haupt­ mann seine maskulinistische Utopie des einen Mannes, um den sich alle Frauen reißen, in das satirische Gewand einer matriarchalischen Utopie kleidet, in der sich die Frauen angeblich durch Parthenogenese fortpflanzen, setzt Wyndham ganz unverhohlen auf die dystopische Vision einer feministischen Gesellschaft. 3 Der Roman erschien erstmals 1915 und wurde 1980 in deutscher Übersetzung veröffentlicht. (Perkins Gilman 1980). Bereits zuvor hatte die Autorin die ebenfalls utopische Erzählung Moving the Mountain publiziert. (Perkins Gilman 1911). Zu Perkins Gilman vgl. Löchel 2010. Dabei ist Herland noch nicht einmal die erste Utopie einer Frau. Ein viertel Jahrhun­ dert zuvor veröffentlichte Elizabeth Burgoyne Corbett ( 1846-1930) ihre allerdings ungleich weniger bekannte Utopie New Amazonia (1889). Nicht zu vergessen ein Buch, das schon vor mehr als sechshundert Jahren verfasst wurde. Die Rede ist natürlich von Christine de Pizans (1365-1430) Le Livre de la Cité des Dames (1405). 4 Lesbian Nation war der Titel eines 1973 erschienenen und damals viel beachteten Buches der im Herbst 2010 verstorbenen Autorin Jill Johnston. 5 The Wanderground lautet der Titel eines phantastisch-utopischen Werkes der Feministin Sally Miller Gearhart. 6 So etwa Monique Wittig Les Guérillès ( 1969), Ursula K. LeGuin The Dispossessed ( 1974), Joanna Russ The Female Man (1975), Marge Piercy Woman on the Edge of Time (1976), Sally Miller Gearhart Wanderground (1978) Zoë Fairbairns Benefits (1979) und Suzette Haden Elgin Native Tongue (1985). 7 Schon in den Jahren zuvor hatte Holland-Cunz in der Science Fiction Times und andern Orts einige einschlägige Aufsätze publiziert. (Vgl. etwa Holland-Cunz 1985) Außerdem hatte sie bereits einen Sammelband zum Thema herausgegeben (Holland-Cunz, Hrsg. 1986) 8 Im Text selbst, einer »subjektive[n] Berichterstattung der kontrovers geführten Diskussion« auf der Tönnies-Tagung 1985 in Kiel, die zum Thema Utopien-leicht verderbliche Ware? stattfand, ( 1985,14) räumt Holland-Cunz zwar durchaus ein, dass es »nicht korrekt« sei, der Science Fiction »bereits die Möglichkeit utopischer Gedankenentwicklung zu bestreiten« und sich »nicht jeder Roman eindeutig einem dieser Termini« - Frauen-Science Fiction und feministische Utopie - »zuordnen lässt«. Dennoch unternimmt sie den Versuch, »klare Abgrenzungen« zwischen beiden Genres vorzunehmen (alle Zitate 1985,15): »Viele Texte der Frauen SF haben ihre primäre Funktion in reiner Unterhaltung. Einigen Autorinnen gelang es jedoch, in einem Roman schlüssig das Bild einer postpatriarchalischen Gesell-

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schäft zu entwerfen, sei es auf symbolischer Ebene (The Left Hand OfDarkness) oder auf einer konkret politischen (Woman on the Edge ofTime) [...] nur sie können als Utopie im Unterschied zur Frauen SF bezeichnet werden.« (1985,16) 9 Auf dem Titelblatt der Deutschen Ausgabe ihres Romans Memoiren einer Raumfahrerin wird ihr Vorname fälschlicherweise mit Naiomi angegeben. 10 Barbara Holland-Cunz irrte also, als sie 1985 meinte, erst »Ende der 60er, Anfang der 70 Jahre« des zwanzigsten Jahrhunderts sei »die Geschlechterfrage in der SF erstmals thematisiert« worden. (1985, 16) 11 Ersteres in Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod, ( 1981,151 -171 ) letzteres in All die schönen Jas. (1981, 17-41) 12 Zu Butlers Roman vgl. Holland-Cunz 2008. 13 Es versteht sich, dass hier nur ein Bruchteil des diesbezüglichen Ideenreichtums weiblicher SF-Autorinnen genannt werden konnte. 14 Genannt seien hier nur der Reader reload (Flanagan/Booth, Hrsg. 2002) und der Sammel­ band genderzukunft (Maltry/Holland-Cunz/Köllhofer/Löchel/Maurer, Hrsg. 2008), der in sich in einem Beitrag allerdings auch mit einem Werk der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz (*1950) befasst. 15 Zu diesen Ausnahmen zählen Christa Wolfs Selbstversuch und Marlene Streeruwitz Norma Desmond. (Vgl. Wolf 1973 und Streeruwitz 2002) 16 Dabei handelt es sich nicht etwa um eine willkürliche Entscheidung. Vielmehr liegt die Unschärfe in den Begriffen Utopie und Science Fiction selbst. So konstatiert Reimer Jehmlich, dass Science Fiction »nie ein sehr klar umrissener Begriff« gewesen ist und über seine Grenzen (1980, 16) »keineswegs Konsens besteht.« (1980, 11) Im Gegenteil, die Kategorien Science Fiction und Utopie seien untereinander sogar »mehr oder minder stark >entgrenzt< worden.« (1980, 11) Auch gebe es »nicht wenige Texte«, »in denen sich die (32] beiden Kategorienbereiche mehr oder minder deutlich überschneiden.« ( 1980,32) Vor allem in der »deutsche[n] Forschung« werde »eine enge kategoriale Beziehung zwi­ schen SF und Utopie her[gestellt].« (1980,17) Das von Jehmlich vorgeschlagene, auf dem vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal der Utopien beruhende Unterscheidungsmerkmal der »systematischen Konkretisierung« der von ihren Verfasserinnen vertretenen »Ideale in einer alternativen Staats- und Gesellschaftsordnung« (1980, 33) wird während und nach der Zweiten Frauenbewegung von einer Reihe feministischer Autorinnen allerdings ausgehebelt, (vgl. etwa Wittig 1969 oder Gearhart 1978) 17 Zwar würden solche Werke »besser spekulative fiction< genannt«, (2001,744), doch lässt er den Begriff Science Fiction auch für sie gelten. 18 Vgl. etwa Gürtler 1983 sowie die vor allem, aber nicht nur in Frankreich geführte Diskussion um die Écriture féminine. 19 Allerdings mag es faktisch zutreffen, dass sich SF-Autorinnen, wie verschiedentlich kon­ statiert, weit mehr für die Menschen ihrer Geschichten als für die technischen Entwicklungen und deren Plausibilisierung interessieren, wie dies bei männlichen SF-Autorlnnen zumin­ dest lange Zeit sehr oft der Fall gewesen ist. Man denke nur an Jules Verne (1828-1905) oder an Hans Dominik (1872-1945). Susanne Wokusch wiederum hat »beobachtet, daß in Frauen-SF tendenziell eine größere Aufmerksamkeit auf Gesellschaftsstrukturen und zwischenmenschlichen Beziehungen liegt und insgesamt weniger Action vorkommt.«

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(1997,516) Und Karin Ivancsics antwortet im Nachwort zu einem von ihr herausgegebenen Sammelband auf ihre rhetorisch gestellte Frage, »[o]b es einen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Science-fiction-Geschichten gibt?«: »[S]icherlich insofern als in den Geschichten von Frauen mehr weibliche Protagonisten vorkommen, d. h. durch sie eine weibliche Sicht möglich wird, und vielleicht liegt ein weiterer Unterschied auch darin, daß in den Geschichten, die ich hier zusammengestellt habe, nirgendwo die Berechtigung geschrieben wird, der Mensch dürfe zugunsten einer Idee verlorengehen.« (1993a, 327) 20 So schuf beispielsweise Amin Maalouf (*1949) in seinem Roman Das erste Jahrhundert nach Beatrice (2004) bereits vor annähernd zwei Jahrzehnten eine Welt, in der die Frauen nahezu ausgerottet sind, und beschrieb die fatalen Folgen für die wenigen Überlebenden ihres Geschlechts. Zu Maaloufs Roman vgl. Löchel 2005a. 21 Diese Einteilung soll keineswegs bestreiten, dass es auch schon lange vor 1889 Bestre­ bungen gab, die Lage und Rechte der Frauen zu verbessern. Als deren herausragende Verfechterinnen seien etwa Louise Otto (1819-1895), Jenny Hirsch (1829-1902), Auguste Schmidt (1833-1902), Malvida von Meysenbug (1816-1903) und nicht zuletzt Hedwig Dohm (1831-1919) genannt. (Zu den Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung vgl. Plothow 1907.) Doch auch Helene Lange, die 1915 einen Beitrag für die Zeitschrift Die Frau zwar auf Fünfzig Jahre deutscher Frauenbewegung zurückblickt, konstatiert: »Bis Anfang der neunziger Jahre sind die Erfolge der Frauenbewegung in Deutschland - die praktischen ebenso wie die geistigen - verschwindend. Sie bestehen in nicht viel mehr als der Erweckung der Frauen selbst, der Gewinnung von Anhängerinnen«.(1915,11) Michaela Karl lässt die Erste Frauenbewegung hingegen schon im 18. Jahrhundert beginnen und über mehr als 125 Jahre anhalten, wenn sie schreibt: »Die erste Welle der Frauenbewegung begann mit der Französischen Revolution und endete mit dem Ersten Weltkrieg«. (2011,10) Allerdings bezieht sie sich hierbei nicht nur auf Deutschland. Angemerkt sei auch, dass inzwischen gelegentlich von einer »dritteln] Welle der Frauenbewegung« die Rede ist, (2011,12) die in den USA während 1990er-Jahren auf den back lash im Zuge der Regierung Ronald Reagans reagierte und sich etwa in den Aktivitäten von Riot Grrrls ausdrückte. 22 Die Jahreszahl in der Quellenangabe gibt hier und im folgenden nicht das Jahr des erstma­ ligen Erscheinens eines Textes an, sondern dasjenige, in dem die jeweils herangezogene Ausgabe publiziert wurde. 23 Das Stück Die Deutschen und Engländer im Mond wird unter dem Sigle D zitiert. 24 Die Quelle setzt zwischen die sprechenden Personen und den von ihnen gesprochenen Text jeweils einen Absatz, wobei der Name der Person in der Zeilenmitte steht. Darauf wird hier verzichtet. Stattdessen wird ein Doppelpunkt hinter die jeweils redende Person gesetzt. 25 Das bekannteste Beispiel für das in Literatur und Lyrik einen Sexualakt metaphorisierende Brechen einer Blüte dürfte aus der Feder Goethes geflossen sein, dessen Gedicht Heiden­ röslein eine Vergewaltigung besingt, (vgl. 1924d) Selbst im Trash-TV des beginnenden 21. Jahrhunderts wird die sexuelle Blumenmetaphorik in Form von Rosenblüten aufgerufen. So etwa in der vierten Staffel der gerade bei jungen Frauen beliebten Show Germany’s next Topmodel. Wie Miriam Stehling berichtet, müssen die Kandidatinnen »nackt in einer Menge von Rosenblüten posieren und werden von Fotograf und Moderatorin Heidi Klum immer wieder zu >SinnlichkeitWeiblichkeit< und >Sexyness< angehalten. [...] >Sinnlich sollt ihr heute sein, sinnlich in eurem Rosengartenantik< klingende Namen von Nebenfiguren wie Hector und Euphrosine Anspielungen auf die griechische Mythologie enthalten (vgl. hierzu unten), liegt diese Vermutung auch im Falle Diafanasias nahe. Der Begriff ließ sich nicht auffinden. Doch das ähnlich klingende Wort Diaphanes ist der Name eines Küstenfluss im Grenzgebiet von Syrien und Kliniken und bezeichnet außerdem ein durchsichtiges perlmuttartiges Material, das aus Gips hergestellt wird. Sein Schimmer entspricht somit dem des weiblich konnotierten Mondes. Eine weitere Assoziation zur Weiblichkeit besteht darin, dass das Glassubstitut auch als Marienglas bezeichnet wird, da es dazu diente, Marienbilder zu schützen. 32 Svenja Kornher zufolge stand ein Friseur aufgrund seines Berufs stets in Gefahr »in Wi­ derspruch zu respektabler Männlichkeit zu geraten«, und zwar insbesondere dann, wenn er »im Herrenfach« arbeitete. (2010,57) 33 Wenn Hector vermutet, die Umworbene sei von »Leut« umlagert gewesen, und nicht von (Mond-)Männem spricht, so dürfte er damit schwerlich meinen, dass sie sowohl von Männern wie auch Frauen begehrt werde (was natürlich gleichwohl möglich ist). Vielmehr scheinen ihm nur Männer als »Leut« und mithin Menschen zu gelten - und seien es auch Mondmänner. Der Mann steht (auch) ihm für den Menschen; die Frau ist die > Änderet. 34 So bekundete etwa Immanuel Kant im Abschnitt »Vom Charakter des Volkes« seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, die Wörter »frivolité, galanterie« ließen sich »nicht leicht in andere Sprachen übersetzen: weil sie mehr die Eigenthümlichkeit der Sinnesart der Nation, die sie spricht, als den Gegenstand bezeichnen, der dem Denkenden vorschwebt.« (Kant 1907b, 314) 35 So der Titel einer philosophiegeschichtlichen Untersuchung. (Vgl. Bennet 1985) 36 Dem als weiblich geltenden Guten, Edlen und Bravem entspricht in dieser Konversation auf der männlichen Seite die Weisheit. 37 Auch trat Hedwig Dohm schon in der ersten Hälfte der 1870er-Jahre mit Schriften für das Frauenrecht hervor. So erschien im gleichen Jahr wie Die Deutschen und Engländer im Mond ihr Buch Der Jesuitismus im Hausstande. Ein Beitrag zur Frauenbewegung (Dohm 1873). Schon im Jahr zuvor war ihr erster Essay zur Frauenfrage unter dem Titel Was Pastoren von den Frauen denken (Dohm 1872) erschienen. (Zu Dohm vgl. Rohner 2010) 38 Barbara Kosta analysierte jüngst »[d]ie rauchende Neue Frau als Ikone der Emanzipation«. (2011,156) »In der Tat wurde die Zigarette in der Weimarer Republik zu einem gängigen

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Accessoire der Neuen Frau«, konstatiert die Germanistin und erläutert, »[s]ie symbolisiert die neuen Errungenschaften der Frauen, die plötzlich Eintritt in traditionelle Männerdomä­ nen finden, im öffentlichen Raum präsent sind und an der modernen Gesellschaft teilnehmen können. Die Zigarette ist Ausdruck eines neuen Frauenbildes, das die Einschränkungen traditioneller Geschlechterzuschreibungen und die männlichen Privilegien unterlief.« (2011, 144) Zu Aston vgl. Warnecke 2011, 11 und 17, zu Sand vgl. Wehinger 1998,472. Später wird ihm dieses Glück ja auch zuteil. Zwar trifft er seine angebetete Louise nicht auf einer Blumenterrasse an, aber doch in einem Blumenbeet, wo er sich sogleich galant zeigen kann. (vgl. D, 82) Und auch trotz der zur Sprachlosigkeit verdammten Mondkönigin. Im Januar 1914 erschien in der ersten Ausgabe der neugegründeten Zeitschrift Frauenkapital eine zwar einschlägige, allerdings nicht sehr ergiebige Kurzgeschichte der Feministin Magda E. Trott (1880-1945) mit dem Titel Vor der Gründung des Frauenstaates. Ihr Inhalt sei kurz umrissen: Nachdem Deutschland »unter furchtbaren Verlusten an Leib und Leben« mittels neuer »technische^] Erfindungen« als Sieger aus einem Krieg hervorgangen ist, in dem Frauen nicht nur als »Samariterinnen« tätig oder »für den Bureaudienst der Ersatzämter, der Bezirkskommandos, der Proviantämter eingesprungen waren«, sondern manche von ihnen sogar »in männlicher Verkleidung Wehr und Waffen ergriffen« hatten, »um dem Vaterlande tatkräftig zu dienen«, wird Angehörigen des weiblichen Geschlechts »die Verwirklichung des Frauenstaates als Bundesstaat des Deutschen Reiches« gewährt. (1914,14) »[Z]ur Ehre der deutschen Frau« betont eine Rednerin auf dem aus diesem Anlass begangenen Festakt, der Frauenstaat sei erlangt worden, ohne dass sie »jene Auswüchse eines hypermodernen Feminismus angewendet haben wie England, das vor etlichen Jahrzehnten durch die Suffra­ getten so schwer erschüttert wurde.« Vielmehr haben sich die deutschen Frauenrechtlerinnen der »Macht des Geldes« bedient und erfolgreich unter den Geschlechtsgenossinnen Spenden gesammelt, um die als Staatsgebiet vorgesehene Lüneburger Heide »käuflich zu erwerben«. (alle Zitate 1914,15) Ein Vorhaben, das bei der deutschen Regierung »eine sympathische Aufnahme gefunden« hat. (1914, 16) In der hier herangezogenen Ausgabe von 1899. Der Roman Das Maschinenzeitalter wird unter dem Sigle MZ zitiert. Gero von Wilpert schlägt ihr »im weitesten Sinnen alle Dichtung« zu, »die auf die großen Fragen und tiefen Anliegen der Menschheit e[ine] häufig subjektive Antwort gibt und gewisse Ideen, Anschauungen und Bekenntnisse ihres Schöpfers verkörpert«. (2001,815) Dies allerdings ist durch die Beschränkung auf das weibliche Geschlecht ein vergiftetes Lob. Eine Anspielung auf das Traktat Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes von Paul Julius Möbius (1853-1907). (Möbius 1900) Die Kurzgeschichte Die Frau nach fünfhundert Jahren wird unter dem Sigle FF zitiert. Dem von Klaus Geus unter dem Pseudonym Nessun Saprä veröffentlichten, im Ganzen wenig lückenhaften und meist zuverlässigen Lexikon der deutschen Science Fiction & Fantasie 1870-1918 (Saprä 2005) ist die Autorin unbekannt. Das Stück Neugermanien wird unter dem Sigle IV zitiert. Nicht völlig auszuschließen, aber auch nicht eben wahrscheinlich ist, dass sich der Titel an die von dem deutschnationalen Antisemiten Bernhard Förster (1843-1889) und seiner Frau Elisabeth Förster-Nietzsche

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(1846-1935) in Paraguay gegründete Kolonie gleichen Namens handelt. (Zur kläglich gescheiterten Kolonie des Ehepaares vgl. Peters 1983,140-180) Vgl. Saprä 2005, S. 141. Zudem ist der Vorname einer der beiden Neugermanierinnen Frohmute dem der Absurdumerin Sanftmute kontrastiert. Froh sind die Frauen in Neugermanien, zur Sanftheit werden die Absurdumerinnen erzogen. Der Roman Der Menschheit Hochgedanken wird unter dem Sigle MH zitiert. Judeich spielt auf den Liebesstreik der griechischen Frauen in Aristophanes’ (um 445 v. Chr. - um 385 v. Chr.) Komödie Lysistrate an. Während er jedoch dort von Erfolg gekrönt ist und die Männer bewegt, Frieden zu schließen, (vgl. 1987b) führt der Heiratsstreik der Frauen in Judeichs Stück zur Katastrophe. Später allerdings sind es die Männer, die den Frauen androhen, nicht mehr zu heiraten. Dies allerdings aus rein ökonomischen Gründen. Sie glauben, diese »Luxusartikel [...] nicht mehr erschwingen« zu können. Denn die dumm gehaltenen Frauen sind außer Stande, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Daher befürchten die Männer, ein Ehemann müsse bald auch für »seine Mutter, Schwiegermutter, Großmutter, Schwiegergroßmutter [... ] für seine Töchter, Enkelinnen, Schwestern, Nichten, Schwägerinnen, Kousinen, Tanten, Großtanten, Großnichten und womöglich noch für seine Urahne [...] sorgen.« (N, 41) Dies ist denn auch der entscheidende Grund dafür, dass die Herren auf einer Konferenz beschließen: »Möge unsere heutige Versammlung das Morgenrot einer schöneren Zukunft sein, da die Frau nicht mehr inferior, sondern gleichwertig ist.« (N, 43) Ihr Geschlecht verschleierte die deutsche Autorin mehrerer Romane, indem sie ihren Vornamen auf dem Titelblatt zu R. abkürzte. Der Roman Anno Domini 2000 wird unter dem Sigle AD zitiert. Tatsächlich allerdings verfälscht Prof. Alverius nicht nur Wollstonecrafts Namen zu Wollstonecraftes, sondern referiert ihre Vorstellungen ebenso wie diejenigen Immanuel Kants (1724-1804) recht frei. (vgl. AD,15ff.) Wie die Frauenrechtlerin Agnes von Zahn-Hamack (1884-1950) ausführt, hatte sich auch »[i]n den Kreisen der Frauenbewegung [...] schon früh eine sehr tätige Gruppe zur Be­ kämpfung des Alkoholmißbrauchs gebildet«. (1928, 137) »Um die Jahrhundertwende« gründeten Abstinenzlerinnen mit dem »deutsche[n] abstinentejn] Frauenbund« einen »eigne[n] Frauenverein zu Bekämpfung des Alkohol«, (ebd.) Allerdings konstatiert die Autorin auch, »daß die Frauenbewegung in ihren großen Organisationen der Alkoholfrage gegenüber sehr zurückhaltend war«. (1928,138) Die Kurzgeschichte Die Frau in hundert Jahren wird unter dem Sigle FH zitiert. »Vor [sic!] hundert Jahren sind alle großen Erfindungen der Neuzeit vervollkommnet, und ihre beiden großen Bewegungen - die Frauen - und die Arbeiterbewegung - haben ihre Ziele erreicht.« (FH, 63) Im Sinne des Textes muss es natürlich richtigerweise »In hundert Jahren« heißen, nicht »Vor hundert Jahren«. Einer anderen der zentraleren Figuren, Chlodwig, zufolge steht »[d]ie Menschheit« sogar »an einem Wendepunkt, so entscheidend wie noch [89] nie in ihrer Geschichte.« (MH,88f.) Zu Das Ewig-Weibliche im Jahr 2500 von H. W. und E. Tannes Die Frauenwelt vom Mars vgl. Löchel 2008. So etwa von Detlev Münch (vgl. 2007, 7) und im Falle E. Tannes auch von Saprä (vgl. 2005,257).

65 Etwa indirekt vor der Negativfolie der feministischen Protagonistin, die gleich zu Beginn als schlechte Mutter gezeichnet wird, (vgl. FF, 9 und 12) oder direkt in der Figur eines Offiziers, dessen Geist sich nach seinem Tode nach mütterlicher Zuwendung sehnt. Seine Mutter »war das einzige Wesen, das mich auf Erden liebte, und das je meinem Herzen nahe gestanden hatte.« (FF, 26) In ihrer »letzten Lebensstunde« »flüstert [sie] mit sehnsüchtiger brechender Stimme: >[...] mein Sohn-mein Sohn-ich danke dir! Du warst mir alles, alles! [...]Beweisführungen< 1901 schonungslos bloß. (vgl. o.J., 34-79) 67 So haben etwa»[a]lle Männer und Frauen [...] den Tag in vier gleiche Arbeitspensa einge­ teilt: sechs Stunden Schlaf, sechs Stunden Arbeit, sechs Stunden im Parlament und sechs Stunden Gesellschaftsleben.« (FF, 64) 68 Key nutzt die doppelte Bedeutung des Ausdrucks Geschlecht. Einmal bezeichnet er hier die vergangenen Generationen, zum anderen die Männer und Frauen der vorfeministischen Zeit, die eben noch »wahre Männer und Frauen« waren und nicht »masculinfrei« bezie­ hungsweise »femininfrei«. 69 Allerdings warnt der Roman in der Figur des bereits mehrfach zitierten Professor Alverius vor einer »falsch aufgefasst[en]« Emanzipation, welche die Frauen veranlasse, Frauenbefreiung »durch ihre äußere Erscheinung, durch ihr Benehmen und angenommenen Gewohnheiten ihre Emanzipation, ihre Freiheit zum Ausdruck bringen zu sollen. Anstatt durch echt weibliches, aber bestimmtes, selbstbewusstes Wesen die edle Reform zu zei­ gen, ahmten sie die auch an den Männern unangenehm auffallenden Sitten nach: tranken, rauchten, nahmen burschikose Manieren an und schadeten damit der neuen Bewegung«. (AD, 17) 70 Schon eingangs des Romans »besteht« die Figur Frau Dr. Strittmann jedoch »darauf, daß man tatsächlich seit den 78 Jahren, während welcher Zeit die Frauen das Recht der Stimmabgabe haben, immer noch versuche, den Frauen dieses oder jenes zu erschweren, und führte einige [13] drastische Beispiele an«, (AD, 12f.) ohne dass diese in dem Roman allerdings genannt würden. 71 Damit ventiliert Voigt zwar implizit das Klischee, dem Männer als das starke, Frauen hingegen als das schwache, respektive milde Geschlecht gelten. Dass sich diese geschlechts­ spezifischen Charakterunterschiede durch die künftige Frauenbefreiung angleichen, wider­ spricht jedoch zugleich der Vorstellung, sie seien biologisch vorgezeichnet oder im Wesen der Geschlechter begründet. 72 Negativfolie für den utopischen Entwurf des Staatshauses in Voigts Zukunftsvision dürften die zur Entstehungszeit des Romans überall zu findenden, privat geführten Einrichtungen gewesen sein, in die sich unverheiratete Frauen gegen eine nicht geringe Miete zurückziehen konnten, wenn sie ihre Schwangerschaft verheimlichen wollten oder mussten. Sie zogen in diese Unterkünfte ein, bevor die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft sichtbar wurden, und kehrten erst nach der Niederkunft in ihre gewohnte Umgebung zurück. Die Kinder wurden zur Adoption ffeigegeben oder wuchsen in Heimen auf. Die damals sehr erfolgreiche Schriftstellerin Gabriele Reuter (1859-1941) hat das leidvolle Schicksal einer solchen Frau in

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ihrem Buch Das Tränenhaus (1909) meisterinnenhaft literarisiert. Franziska zu Reventlow, eine Autorin, die zwar mit den radikalen Feministinnen Lida Gustava Heymann (1868-1943) und Anita Augspurg (1857-1943) spazieren zu gehen und in der Isar zu baden pflegte, (vgl. Reventlow 2006,217,228,230 u.ö.) den »Bewegungsweiber[nJ«, (Reventlow 2004b, 202) wie sie die Anhängerinnen der Frauenbewegung abfällig nannte, jedoch anders als Reuter frauenpolitisch nicht nahe stand, (vgl. Reventlow 2004b und Reventlow 2004c) hat zu Beginn des Jahrhunderts gezeigt, wie man ledige Mutterschaft emanzipiert und gegen alle nicht eben geringen Widerstände leben konnte, (vgl. Reventlow 2006, passim; vgl. auch Reventlow 2004d, ab S. 279 passim und Reventlow/Suchocki 2004, passim) 73 Zu Reventlows Propaganda des Hetärentums vgl. Reventlow 2004c, zu Stöckers Neuer Ethik vgl. Stöcker 2008a und 2008b. 74 Und wie sich dem Roman von selbst zu verstehen scheint, schon gar nicht der väter­ lichen. 75 Auch Anno Domini 2000 scheinen Pflegeberufe Frauenberufe zu sein. Von Kranken­ brüdern ist in dem Roman jedenfalls nicht die Rede. 76 Eine unverkennbare Anspielung auf Friederike Helene Ungers (1741 [?]-1813) Be­ kenntnisse einer schönen Seele (1806), die den Titel wiederum selbst von Johann Wolfgang von Goethe übernommen hat. Das sechste Buch seines Prosawerks Wilhelm Meisters Lehrjahre trägt eben diesen Titel, (vgl. 1924b, 106-193) 77 Innerhalb der Frauenbewegung traten vor allem die Radikalen vehement gegen Prosti­ tution ein und engagierten sich in der Abolitionsbewegung, allen voran Lida Gustava Heymann. (vgl. Heymann 1972, 54 und 62-67 sowie Heymann 2008, vgl. auch die Sekundärliteratur: Dünnebier/Scheu 2002,117-133, Kinnebrock 2005,218-225) Den Gemäßigten war dieses Eisen hingegen zu heiß. (vgl. Karl 2011,89) 78 »Bis 1908 blieb es Frauen [...] bei Strafe verboten, sich öffentlich politisch in Vereinen oder Parteien zu engagieren.« (Tonger-Erk/Wagner-Egelhaaf 2011,25) Daher mussten die Frauenvereine bis dahin darauf achten, als unpolitisch zu gelten. 79 »In dem Augenblick, wo eine Frau heiratet wird sie in die Knechtung der Verwaltungs­ gemeinschaft des Mannes herabgestoßen, sie wird zum Geschöpf zweiten Ranges«, wie Helene Lange einen »Herr[n] von Stumm« zustimmend zitiert. (1928b, 176) Das Ehe- und Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), das die »ehemännliche Herrschaftsrecht« (Meder 2010,9) über die Frau unter anderem in den Paragraphen 1354 und 1358 festlegte, war von dem Hannoveraner Richter Gottlieb Planck (18241910) erarbeitet worden. (2010,14) »So enthielt § 1354 Absatz 1 des BGB von 1900 das Entscheidungsrecht des Mannes in allen gemeinschaftlichen ehelichen Angele­ genheiten, insbesondere die Bestimmung von Wohnort und Wohnung«. (2010, 9) »§ 1358 des BGB gab dem Mann das Recht, persönlich verpflichtende Verträge (z.B. Arbeitsverträge der Frau ohne deren Zustimmung zu kündigen.)« (ebd.) Zu seinen frühesten Kritikerinnen zählten die ersten deutschsprachigen Juristinnen wie etwa Emilie Kempin (1853-1901), Anita Augspurg und Marie Raschke (1850-1935) (vgl. Meder/Duncker/Czelk, Hrsg. 2010, 14) Zur Entmündigung der Frau durch das Eherecht der Zeit sowie dem Kampf der Frauenbewegung dagegen vgl. weiter Meder/ Duncker/Czelk Hrsg. 2010 und Riedel 2008. 80 Suttners zeitgenössischer Biograph Leopold Kätscher meint 1903 sogar etwas über­ schwänglich: »Schonungsloser, als es in dem uns vorliegenden Buche geschieht, können die Gebrechen der Gegenwart nicht blossgelegt werden. Gegen [..] das Los der Frau [...] werden geradezu vernichtende Hiebe geführt.« (1903, 37)

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81 Thomas Glaw konstatiert in seiner Studie Realität und Utopie nicht zu Unrecht, dass dieser und der folgende Abschnitt mit dem Vortrag über »Die Liebe« (vgl. MZ, 138167) »geradezu zu einer Abrechnung mit der Bertha von Suttner umgebenden frauen­ feindlichen Umwelt« geraten sei, wobei der Vortragende entgegen seiner sonst ruhigen Art »mit einem Mal fast aggressiv« werde und »an vielen Stellen [...] in Rage« komme. (1999,57) 82 Gemeint ist das Maschinenzeitalter, in dem »[v]on der Ebenbürtigkeit beider Geschlechter [...] noch keine Rede« war. (MZ, 93) 83 Zur feministischen Linguistik vgl. Pusch 1984 und 1999 sowie Trömel-Plötz 1982. 84 So erklärt etwa die den gemäßigten Flügel der Frauenbewegung prägende Helene Lange, »obwohl die Geschlechter körperlich und [204] geistig auf dem gleichen Boden stehen, zeigen sie doch neben der körperlichen auch eine durchgängige geistige Verschiedenheit, die nicht auf einer anatomisch nachweisbaren Verschiedenheit der Gehirnstruktur beruht, sondern auf der Verschiedenheit der Interessen- und Gefühls­ richtung, die ihre verschiedene physiologischen Funktionen bedingen. Das Weib ist zur Mutterschaft bestimmt; diese Bestimmung bedingt ihre physische und psychische Eigenart. Der Mann ist seiner physiologischen Grundlage entsprechend [...] als Gat­ tungswesen der unruhigere, beweglichere, mit mehr Initiative ausgestattete Teil.« (1928d, 203f.) Lange kritisiert zwar, dass die »physische Mutterschaft als alleinige[r] Endzweck des Weibes« aufgefasst werde, fordert jedoch, »die Mutterschaft als eine Qualität des Weibes anzusehen, die sein Wesen bedingt, eigenartig färbt, in seinen Bestrebungen bestimmt und der Menschheit einen durch keinen anderen zu ersetzenden Kulturfaktor sichert«, (Lange 1928d, 204) und betont noch einmal: »Auch wir gehen von dem Satz aus, daß das ganze Wesen des Weibes bedingt ist durch Mutterschaft.« (1928d, 205) »Die Tatsache der geistigen Differenzierung, der nicht nur gradweisen, sondern fundamentalen Verschiedenheit der geistigen Eigenart der Geschlechter« (Lange 1928d, 198) ziehe sich »durch die ganze Lebensbetätigung der Geschlechter; aber eben sie ist es, die sie so vorzüglich zur gegenseitigen Ergänzung geeignet macht«. (1928d, 207) So leitet Lange ihre feministischen Forderungen aus dieser vermeintlich wesenhaften Differenz der Geschlechter ab: »Auf der Differenziertheit der Geschlechter beruht das Interesse der Gesamtheit an der Befreiung der Frau«. (1928e, 286) Lange erklärt die »Vereinigung der beiden geistigen Welten«, in der Männer und Frauen bislang getrennt lebten, zum »Endziel der Frauenbewegung«. (Lange 1928f, 307) 85 Bärbel Clemens wirft Lange gar vor, für sie sei »die politische Partizipation von Frauen [... ] nichts anderes als die Ausdehnung ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter auf die Öffentlichkeit. (1988,93, zur Bedeutung von Mutterschaft in der ersten Frauenbewegung vgl. auch Taylor Allen 2000,189-317) Im radikalen Flügel der Frauenbewegung wurde die Mutterschaft durchaus nicht derart idealisiert. Hedwig Dohm konstatiert etwa, »dass im Großen und Ganzen die Mütter die schlechtesten Erzieherinnen ihrer Kinder sind.« (2006b, 61) Und auch die prominente österreichische Feministin Rosa Mayreder (1858-1938) wandte sich 1905 nachdrücklich gegen »die ganze hohle Phrasenhaftigkeit der üblichen Mutterschaftsverherr­ lichung. [...] Die Mutterschaft an sich wird teuer erkauft. Der Preis der dafür bezahlt wird, ist die geistige Freiheit und Ebenbürtigkeit.« (1998b, 55) Daher bestehe »gar kein Grund, warum jene Frauen, die um geistiger Interessen willen auf Mutterschaft verzichten, ein Vorwurf treffen sollte.« (1998b, 62) Lange räumte denn auch ein, dass der radikale Flügel der Frauenbewegung ebenfalls »Stimmrecht, Gleichberechtigung der Frau in der Ehe und

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ähnliche[s]« forderte. (1921,224) Doch warf sie Augspurg und ihren Mitstreiterinnen vor, die von den Gemäßigten unternommene »Ableitung der neu zu schaffenden Lebensformen aus der Tatsache der seelischen Verschiedenheit der Geschlechter - dem eigenartigen Wesen der Frau -[...] durch eine stärkere Betonung der Gleichheit übertrumpften]« zu wollen. (Lange 1921,225) Allerdings idealisierte auch die zwischen dem Sozialismus und dem Feminismus changierende Radikale Lily Braun (1865-1916) die Mutterschaft zum »Gipfel des Frauentums«, (zitiert nach Taylor Allan 2000,217) 86 Vermutlich handelt es sich um eine Anspielung auf den Schluss von Goethes 1832 erstmals veröffentlichten Faust. Der Tragödie zweiter Teil, (1924c, 344) der bekanntesten Stelle, an welcher der Topos Verwendung findet. Offenbar hat Goethe selbst ihn erdacht. Zumindest verweist das Grimm’sche Wörterbuch unter dem Stichwort nur auf das Goethe-Zitat. (Vgl. Grimm/Grimm 1862, Spalte 1207) Ebenso der Dürfen (vgl. 1976,767). Anders als Suttner pflegte die frühe Frauenrechtlerin Louise Otto (1819-1895) in der von ihr gegründeten und geführten Frauen-Zeitung 1851 noch einen positiven Begriff des Ewig-Weiblichen, das »in der Knechtschaft, der Bewusstlosigkeit, der ewigen Kindschaft, darin man die Frauen so lange erhalten hat, beinahe verloren gegangen« sei. (1972, 38) Daher gelte es »das Ewig-Weibliche in den Frauen zum Bewusstsein und in der Menschlichkeit zur Geltung zu bringen«. (1972,38) 87 Palatschek zitiert: The American Lady and the Kaiser. The Empress’ four K’s. In: West­ minster Gazette, 17.8.1899, S. 6. 88 Zum frühen Kampf um das Frauenstimmrecht vgl. Hedwig Dohm Das Stimmrecht der Frauen (2008), zu demjenigen des radikalen Flügels die Memoiren Lida Gustava Heymanns Erlebtes und Erschautes (1992, insbesondere 94-127); außerdem als Sekundärliteratur über den »radikale[n] Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung als Träger der Stimmrechtsbewe­ gung« (Clemens 1988,35) Menschenrechte haben kein Geschlecht! von Bärbel Clemens, (1988,35-76) Die Rebellion ist eine Frau (2002,134-145) von Anna Dünnebier und Ursula Scheu, Kinnebrocks Anita Augspurg (1857-1943) (2005, 243-257, 319-327 u. 337-357) sowie Angelika Schasers Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933, deren Interesse sich mehr auf den gemäßigten Flügel bezieht. (2006,49-58) Ebenfalls zur Haltung der Gemä­ ßigten: Clemens 1988,91-94. Vgl. außerdem das um eine Biographie ergänzte Fragment der Lebenserinnerungen der Vorsitzenden des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht Marie Stritt (1855-1928). (Schüller 2005, 182-207) 89 Vgl. Dohm 2008, Heymann 1992, 110, Brüns 2002, 118 und Wischermann 2003,79. 90 Damit greift Franka ein Wort aus Sophokles’ (497/496 v. Chr. - 406 v. Chr.) noch immer be­ kanntestem Stück, der Antigone, auf und kennzeichnet mit ihm die Haltung der (fiktionalen) Frauenbewegung: »Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da.« legt der antike Dichter der Titelfigur in den Mund. (Sophokles 442 v. Chr., V. 521) So zumindest die noch zur Zeit der Veröffentlichung übliche Übersetzung der Zeile, die sich etwa auch schon in August Wilhelm Schlegels (1767-1845) erstmals 1809 erschienen Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur findet. (Vgl. Schlegel 1966,95) In neueren Übersetzungen lautet sie meist anders. So etwa bei Buschor: »Nicht mit Dir hassen, lieben muß ich ihn.« (Buschor, Hrsg. 1979,35) 91 Vgl. etwa Lange 1964. 92 So wandte sich beispielsweise Lida Gustava Heymann, gemeinsam mit Anita Augspurg wohl die wichtigste Persönlichkeit des radikalen Flügels der Frauenbewegung, gegen die

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»willkürlich aber schlau erfundene Einteilung männlicher und weiblicher Eigenschaften.« (Hey mann 1992,94) Wenn sie darlegt, dass sie bestimmte Aufgaben »anderen Kämpferinnen der Frauen­ bewegung« überlasse, (MH, 240) so impliziert dies, dass sie sich selbst als eine der ihren versteht. Zur Konstruktion von Binarität sowie binären-hierarchischen Oppositionen mit ihren diversen Konnotationen vgl. Heyd 2002 und Kilian 2002. Ob die »Kraft klaglos zu leiden« allerdings tatsächlich eine Tugend ist, ist mehr als zweifel­ haft. Zweifellos hingegen wurde sie den Frauen als solche eingeredet. Doch wenn Franka einräumt, diese Tugenden würden den Frauen oft »nur angedichtet«, so mahnt sie sogleich an, danach zu »trachten, sie auch wirklich zu besitzen«. (MH, 237) Möglicherweise dachte Suttner hierbei an die von Key herbeiphantasierten »masculinfreien Männern« und »femininfreien Frauen«. (FH, 66) Bereits im ersten Absatz ihrer Verteidigung der Frauenrechte bekennt sie ihre »tiefe Über­ zeugung, dass die vernachlässigte Bildung meiner Mit-Geschöpfe die große Quelle des Übels ist, das ich beklage«. (2008,23) »Im Gegensatz zum [...] Wissen dringt Erkenntnis auf die Begründung einer Behauptung. [...] Das Wissen dagegen [...] bedarf keiner Begründung, sondern bewährt sich.« (Brandt 2011,8f.) »Habe den Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« (Kant 1912, 35) Nicht einmal ein Jahrzehnt nachdem Kant die Forderung 1783 aufstellte, griff sie die Feministin Mary Wollstonecraft 1792 auf und »wag[te]« es, »meine eigene Vernunft anzustrengen«. (2008,63) Denn der Vortragende in Maschinenzeitalter tritt als solcher gar nicht auf, vielmehr werden nur die Inhalte seiner Vorträge wiedergegeben. Immerhin ändert sich letzteres nach der ersten Sitzung. Denn es werden zwei Neulinge aufgenommen: »Frau Dr. Strittmann und Herr Prof. Alverius«. (AD, 12) Ganz anders war dies noch bei den von Moderatus Diplomaticus auf den Weg ge­ brachten Hochzeiten der Deutschen und Engländer auf dem Mond, aber auch bei der von Suttners Protagonistin geschlossenen Ehe. Zum hierarchischen Geschlechterdualismus mit seinen diversen Konnotationen vgl. Kilian 2002. Vgl. auch Heyd 2002. Während das Mädchen in der Gegenwart ungeschickt stolpert und sich eine Beule holt, (vgl. FF, 9) zerreißt der sportlich wilde Junge seine »Tumjacke«. (FF, 12) »Man bürdet uns Mädchen doch zu viel auf!« klagt sie. »Wie gut haben’s dagegen die Knaben, die lernen nur halb so viel, werden einfach geheiratet und dann sind sie versorgt.« (FF, 34) Damit paraphrasiert er ein (nicht nur) um 1900 beliebtes >Argument< für den ver­ meintlich überlegenen Intellekt der Männer, das gerne darauf verwies, dass es keine herausragenden weiblichen Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen etc. gebe. Offenbar wird auch in Neugermanien nicht angezweifelt, dass man den Familienstand einer Frau und gegebenenfalls den Name ihres Ehemannes kennen muss. Zudem, und das scheint noch bemerkenswerter, gilt auch dort die Patrilinearität, wie der Begriff Vatersnamen zeigt. Das Recht (verheirateter Frauen), Doppelnamen zu führen, wurde zur Zeit des Ringens um das Familien- und Eherecht im Bürgerliche Gesetzbuch von der Frauenbewegung

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nachdrücklich eingefordert. (Vgl. Riedle 2008,273, 292, 339f., 369 und 453f.) Das 1900 in Kraft getretene BGB bestimmt in § 1355 aber kurz und bündig: »Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes.« (1901,485) 109 Auch in einem Gespräch mit einer »große[n] italienische[n] Tragödin« (MH, 339) stellt Franka diesen Geschlechterdualismus in Frage, wenn sie erklärt, sie wolle »Mädchen zu denkenden Wesen zu machen.« Auf deren zweifelnde Nachfrage »Denkend, nicht fühlend?« antwortet sie: »Eines schließt das andere nicht aus. Männer fühlen und lieben doch auch: dabei ist Denken ihre Pflicht - [340] die sie auch nicht immer erfüllen, muß ich hinzusetzen.« (MH, 339f.) HO Die Gartenlaube (1853-1944) war eine für die ganze Familie gedachte Illustrierte. Ihre wohl beliebteste und meistgelesene Autorin war Eugenie Marlitt (d.i. Eugenie John 1825-1887), deren Romane »mehr oder weniger ihr bevorzugtes Schema, die Ge­ schichte vom Aschenbrödel [variieren]«, (Brinker-Gabler/Ludwig/Wöffen 1986,211) die dabei aber doch »auf ihre Art auch Gesellschaftskritik betreiben wollte«. (Müchow 1988,255) 111 Das entspricht ganz der von Franziska zu Reventlow in Viragines oder Hetären ver­ tretenen Anschauung, der zufolge die Frau »nicht zur Arbeit, nicht für die schweren Dinge der [218] Welt geschaffen [ist], sondern zur Leichtigkeit, zur Freude, zur Schön­ heit - ein Luxusobjekt in des Wortes schönster Bedeutung, ein beseeltes, lebendes, selbstempfindendes Luxusobjekt, das Schutz, Pflege und günstige Lebensbedingungen braucht, um ganz das sein zu können, was es eben sein kann.« (2004c, 217f.) Be­ kanntlich war sie selbst allerdings zu einem ganz anderen Dasein gezwungen. Auch die in Malhofs früherem Brief vorgetragene Kritik der Sexualmoral (vgl. MH, 18-20) entspricht Reventlows Einstellung - und diesmal auch ihrem Leben, (vgl. Reventlow 2006) Franka aber ist von Malhofs Werben wenig angetan und zerreißt den Brief; das luxuriöse Geschenk, das er beigelegt hatte, schickt sie retour, (vgl. MH, 20) Dabei ist sie sich durchaus »be[21]wußt, daß es nicht einmal die sogenannte >Tugend< war, die ihr impulsives Handeln bestimmt hatte, sondern ein Zehntel Ehrgefühl und neun Zehntel Ekel.« (MH, 20f.) 112 Franka aber kann in Malhofs wohlmeinenden Worten scheinbar nur den »Stil jenes Briefes« erkennen, mit dem er sie zu Beginn des Romans zu seiner Mätresse machen wollte, und schilt ihn »unverbesserlich«. (MH, 211) Doch hängt sie sich bei ihm ein. (vgl. ebd.) 113 Der Ausdruck Putzsucht bezog sich Anfang des 20. Jahrhunderts nicht wie der spätere Ausdruck Putzfimmel auf das erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Klischee der >unausgelasteten HausfrauFackelinitsteensFrauenfrageFrauenfrageHochkultur< gelten, sondern situiert ihn ebenso wie Frau im Mond »zwischen Utopie und Gartenlaube«. (Eisfeld 1989, 208) Eine umso abfälligere Bemerkung, als er mit der »Gartenlaube« zweifellos das bereits erwähnte Familienblatt gemeint haben dürfte. 142 »Thea von Harbou - ein Name, ein Begriff, die blonde Schönheit mit züchtig-schlich­ ter Haarfrisur - kann als Prototyp des deutschen Gretchens< bezeichnet werden«. (2002,241) 143 »So war sie, die blonde Heroine der Stummfilmära, eine Frau von starker Willenskraft, von außerordentlicher Phantasie, eine Frau die genau wusste, was sie wollte, die genau wusste, was das Publikum wollte«. (2002,242) 144 Rotwang und Joh Fredersen liebten Hel vor Jahrzehnten. Sie entschied sich für Joh Fredersen und starb bei der Geburt Freders. 145 Bekanntlich hat die Literatur bereits vor Harbous Androidin Maschinenmenschen erdacht, auch in Gestalt weiblicher Verführerinnen. Die bekannteste dürfte wohl E.T.A. Hoffmann (1776-1822) in seinem »Nachtstück« Der Sandmann verfertigt haben: Die

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»himmlisch-schöne Olimpia«, deren »verführerische[r] Anblick« Nathanael bezaubert, (1985,138) die sich aber schließlich als ein vom »geschickten Mechanikus« Spalanzani verfertigter »Automat« erweist. ( 1985,145) Der französische Aufklärer Julien Offray deLaMettrie(1709-1751) kam sogar zu dem, wie er sich selbst schmeichelt, »kühnen Schluss, daß der Mensch eine Maschine ist«, (1988, 94) und zwar inklusive seiner Seele. (1988, 67) Ein allerdings vielleicht nicht mehr ganz so kühn erscheinender Schluss, denn immerhin konnte er auf René Descartes (1596-1650) zurückgreifen, der ihm zufolge bereits »hieb- und stichfest bewiesen hat, daß Tiere reine Maschinen sind.« (1988,94) Nicht völlig, sondern nur fast sicher ist ihr Tod, weil der Roman die - allerdings sehr vage - Möglichkeit offen lässt, dass von der Erde aus ein Rettungsversuch unternommen werden könnte. Ein Befund, der auch Hans Kräh ins Auge fiel: »Friede [...] wird [...] interessanter­ weise [...] nie als Frau tituliert, sondern als Mädchen (und als Göttliche semantisiert), zumindest nicht, solange sie nicht auf dem Mond ist. Erst dort findet sich einmalig die titelgebende Bezeichnung.« (2002,154) Die weibliche Identifikationsfigur Friede Velten wird nicht nur von der Erzählstimme fast ausschließlich als Mädchen bezeichnet, sondern auch von allen Figuren. Ein »heroische[r] Lausejunge« (FM, 132), der sich heimlich an Bord des Raumschiffs schleicht und mit zum Mond fliegt, wird hingegen auch schon mal den Männern zugeschlagen, (vgl. FM, 133) Die feministische Filmtheoretikerin Laura Mulvey erklärt etwa: »In a world ordered by sexual imbalance, pleasure in looking has been split between active/male and passive/female.« (1989,19) Vgl. die Bacon-kritischen Ausführungen der feministischen Wissenschaftstheoretikerin Evelyn Fox Keller. (1998,43-53, insbesondere 44-48) Die Kurzgeschichte Die Raketen-Reise nach dem Mond wird unter dem Sigle RR zitiert. Unter dem von Brandt genannten Namen Elisabeth von Otto veröffentlichte die Schrift­ stellerin hingegen keine Science Fiction, sondern eine Geschichte des Russischen Reiches (1927). Unter ihnen Raimond Poincaré (1860-1934), Aristide Briand (1862-1932), Austen Chamberlain (1863-1937), Gustav Stresemann (1878-1929) und Benito Mussolini (1883-1945). (vgl. 1928,7) Zu Leben und Werk Therese Ries vgl. Sonja Dehnungs Aufsatz Therese Rie alias L. Andro. Das alles war in mir. Das alles war ich. (1998) Bedauerlicherweise zählt die Literatin zu den vom Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945 (Wall, Hrsg. 2004) auch in der zweiten »überarbeitetet und aktualisiertet Neuauflage« (Wall, Hrsg. 2004, Titelblatt, verso) noch immer übergangenen Auto­ rinnen. Der Roman Das entschwundene Ich wird unter dem Sigle I zitiert. »Eine Frage, die mich als [65] Philosophen interessiert: ist es nun der Körper oder die Seele, was Sie [die Eltern] als ihren Sohn anerkennen?« erklärt der bis dahin als solcher noch unerkannte Erfinder des Helms. (1,64f.) Es sind tatsächlich fast nur Männer für den Einfluss durch den Helm anfällig. Nur eine einzig Frau ist ein wenig für seinen Einfluss empfänglich.

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158 Der Helm entwickelt seine volle Kraft zwar erst im Zusammenspiel mit den hypno­ tischen Fähigkeiten eines weisen Inders, doch wird mehrfach betont, dass es sich bei ihm um eine technische Erfindung handelt, »einen unendlich feinen und komplizierten Apparat«, (1,46) der »wie ein Taucherhelm« ausschaut. (1,101) Dieses Ergebnis des »wissenschaftlichen Forschungstriebs« (1,117) wird in seiner technischen Funktions­ weise relativ ausführlich beschrieben. (Vgl. I, 102f., 120f) 159 Der Roman Der rote Stern wird unter dem Sigle RS zitiert. 160 Die Verdorbenheit und Sündigkeit< der Menschen bezieht sich in dem Roman immer auf deren Sexualität. In einem »Institut für sexuelle Aufklärung« (RS, 16) tummeln sich etwa »Leute[.], die sich mit lüsternem Vergnügen an Zeichnungen, Photographien und wächsernen Nachbildungen aufklären ließen. Sämtliche Darstellungen waren mit skrupelloser Deutlichkeit und Zielbewusstheit ausgeführt.« (RS, 16) Der Protagonist Sebastian, der unbeabsichtigt in diesen >Sündenpfuhl< gerät, flüchtet schnellstmöglich vor dem »Gift der Sinnlichkeit, das hier die Luft verpestete«. (RS, 17) Andere biblische >SündenExtreme des Darstellbarem in amüsante Form zu bringen.« (1925, 147) 165 Möglicherweise wollte die Autorin damit dem Umstand Rechnung tragen, dass das Genre seinerzeit eindeutig männlich konnotiert war. Dem allerdings könnte entge­ genstehen, dass sie auf ein männliches Pseudonym verzichtete. 166 Die Kurzgeschichte Der Mann im Gummianzug wird unter dem Sigle MG zitiert. 167 Tatsächlich hatte Japan um 1900 ebenso wie diverse europäische Länder verstärkt expansionistische und kolonialistische Bestrebungen entwickelt. 1894 hatte es sich im Zuge des chinesisch-japanischen Krieges »offen in die imperialistischen Mächte einfgereiht]«. (Geiss 1984,208) 1904 folgte der japanische Überfall auf die russische Ostasienflotte, der den russisch-japanischen Krieg 1904/05 auslöste, in dessen Verlauf die Japaner Korea eroberten. »Am Ende des russisch-japanischen Krieges war Japan im wahrsten Sinne des Wortes eine Weltmacht geworden.« (Hall 1968,299) 168 Sigmund Freud zufolge ist »das Geschlechtsleben des erwachsenen Weibes ein dark continent für die Psychologie.« (2000d, 303) Vgl. auch den dieses Wort von Freud aufgreifenden Titel von Christa Rohde-Dachsers Buch Expedition in den dunklen Kontinent (1997), in dem sie der Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse nachgeht. 169 So prägte etwa der misogyne Volksmund den kontrafaktischen Spruch: »Ein Mann, ein Wort. Eine Frau, ein Wörterbuch.« Wie empirische Erhebungen belegen, existiert tatsächlich kein signifikanter statistischer Unterschied zwischen den Redemengen von Männern und Frauen. Gisela Klann-Delius berichtet in ihrer Einführung Sprache und

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»dass Frauen im Gespräch mit Männern länger sprachen; der Vergleich des Gesprächs nur unter Frauen mit Gesprächen allein unter Männern erbrachte dagegen, dass Männer mehr redeten.« (2005,59, vgl. auch 57-61 und 115f.) Immanuel Kant geht sogar soweit zu erklären, dass Mitleid die weibliche Unfähigkeit, aus Grundsätzen zu handeln, (Vgl. 1905,232) substituieren muss, damit Frauen, wenn schon nicht aus Moral, so doch wenigstens den Vorschriften der Moral gemäß handeln können. (Vgl. 1905, 215-218 sowie Löchel 2006,64) Die Kurzgeschichte Die Marsbewohner wird unter dem Sigle MB zitiert. »Ist die Erde positiv, so sind wir negativ, oder wenn es euch besser passt, umgekehrt.« (MB, 51) Gemeint ist offenbar die Syphilis. Gemeint ist offenbar Ceres, die Göttin der Fruchtbarkeit und Mutter der Proserpina. (vgl. Vollmer 1874, 129f.) Zum Weiblichkeitsklischee der Femme fatale vgl. Blänsdorf 1999 und Catani 2005, 90-97. Zu(r Kritik an) Catani vgl. Löchel 2005b. Zwar bleibt die Tochter der Herodias und des Herodes im Marcus-Evangelium, das die Geschichte von Johannes dem Täufer und seiner Hinrichtung erzählt, (vgl. Bi­ bel, Markus 6,17-29) namenlos, doch hatte sich schon zu Tizians (um 1477 oder um 1490-1576) Zeit Salomé als ihr Name durchgesetzt. Insbesondere um 1900 inspirierte die Legende der tanzenden und totbringenden Salomé Literaten und bildende Künstler. Dass die ihr zugrunde liegende biblische Figur nicht selbst auf die Idee kam, den Kopf des Johannes zu fordern, sondern sie von ihrer Mutter eingeflüstert bekam, (vgl. Markus 6,17-29) wurde von ihnen meist stillschweigend übergangen. So auch bei Passon. Zur verführerischen Rolle der Schlange vgl. Bibel, Mose 3,1-5 und 13-14. Wie öfter (vgl. Passon 1929, 70) assoziiert Passon hier die verführerische Frau mit der biblischen Schlange. So werden sie denn auch mit den anderen >AnderenWilden< sind, die mit dem weiblichen Geschlecht - etwa von Kant - parallelisiert werden, (zu Kant vgl. Löchel 2006,73f.) Weinen gilt bekanntlich nicht nur als unmännlich, sondern ganz dezidiert als weiblich. Kant meinte etwa in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht: »Lachen ist männlich, weinen dagegen weiblich.« (Kant 1907, 255) Zur geschlechtlichen Kon­ notation des Weinens bei Kant vgl. auch Löchel 2006,65f. Ben Morgan wiederum konstatiert, dass die Motivation für die Mondreise bei allen zentralen männlichen Charakteren nicht der Mond als solcher ist, sondern für jeden von ihnen in etwas Anderem liegt: »Turner [is interested] in financial gain,Manfeldt in vindication, Windegger in a life on earth with his fiancée. Helius seems to be similarly driven by something other than the moon itself. He seems initally to be embarking on the trip because of the disappointment at the engagement of Friede and Windegger [...] Helius is a true wanderer« (2007,201) Der Granatapfel besitzt vielfältige symbolische Bedeutungen, die von der des Lebens, der Liebe und der Fruchtbarkeit über die der Vergänglichkeit und des Todes bis hin

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zur Kirche, Christus, den Märtyrern und der Gottesmutter reichen. Seine jeweilige symbolische Bedeutung hängt unter anderem davon ab, ob auf seine harte Schale, die zahlreichen Kerne, seinen Duft oder auf die rote Farbe seiner Schale Bezug genommen wird. (Alle Angaben nach Grothues 2008,135) 183 Tatsächlich werden an einer Stelle auch einmal beiläufig Arbeiterinnen erwähnt, »junge Mädchen«, die von den unterirdischen Arbeitsplätzen ihrer männlichen Kollegen getrennt in den »Arbeitssälen und Radiostationen [...] des dreißigsten Stockwerks« tätig sind. (M, 17) 184 Auch bei den in besserer Stellung beschäftigten Angestellten handelt es sich um entindividualisierte Männer wie etwa die acht Sekretäre Joh Fredersens. Sie »glichen sich wie Brüder, die sie nicht waren.« (M, 19) 185 Bemerkenswerter Weise sagt er tatsächlich Mensch, nicht etwa Mann. 186 »[D]as Weib, das ihr seht«, predigt der Mönch Desertus, »ist die große Stadt, die Gewalt hat über die Könige auf der Erde.« (M, 117) 187 Die biblische Bedeutung des Wortes Hurerei umfasst dreierlei: promiskuitive Frau, Prostitution und Götzendienst, (vgl. Sals 2004,32) 188 »In den verschiedenen Texten der Bibel und ihrer Rezeptionsgeschichte macht die >Hure Babylon< eine unvergleichliche kulturgeschichtliche Karriere, etwa von der Großbaustelle Babel (Gen 11) zurfemmefatale [...] (Offb 17-19), die alles und alle in ihren Bann zieht«, (Sals 2004,1) wobei derTopos in der Bibel selbst allerdings nicht vorkommt, (vgl. Sals 2004,2) »[I]m Laufe der Texttradition« erlangt er jedoch »immer mehr Profil«. (2004, 3) Die Hure Babylon ist Ulrike Sals zufolge eine »imposante böse Frauengestalt«, (2004,1) die als »Stadt und Frau zugleich [... ] Stadt schlechthin und Frau schlechthin« ist und einen »Kristallisationspunkt von Zivilisationsängsten und sexuellem, d.h. weiblichem, Wunsch- und Angstphantasma« bildet. (2004, 1) Gottes Kampf mit ihr werde so zum »Kampf der Geschlechter.« (2004, 1) Zur Hure Babylon als Metapher vgl. auch 2004,76-81, Zur Engführung von Stadt und Frau in der Bibel 2004,29L, 319 und 416-431. 189 Mr. Whymbleton wird darüber hinaus mit dem männlich konnotierten Kriegshandwerk verknüpft, da er sein Vermögen als Kriegsgewinnler machte. Die dadurch auf sich geladene Schuld müsse nun »im Buch des Schicksals [...] durch eine in nichts zu überbietende Tat« aufgewogen werden. (RR, 3) 190 Das Klischee, dem zufolge junge Frauen gerne adlige Herren heiraten, war einige Jahre zuvor bereits von dem noch heute amüsanten Stummfilm Die Austernprinzessin (1919) aufs Korn genommen worden. 191 Zur misogynen beziehungsweise antifeministischen Weiblichkeitsvorstellung bei Andreas-Salomi vgl. Dohm oJ., 119-137. 192 Zur misogynen Mutterschaftsidealisierung Andreas-Salomes vgl. Kanz 1999a, 47-49, Kanz 2000,120f. und Kanz 2009,300-304. Christine Kanz kritisiert Andreas-Salomis »Mütterlichkeitskult« und ihre »Glorifizierung der Mutterschaft«. (2009,300) 193 »Ich bin mein Werk«, sagt er einmal ganz unzweideutig. (RS, 91) 194 »[M]it Gedanken kämpft es sich besser im Finstern«, konstatiert er. (RS, 42) 195 Auch die Engführung von Leidenschaft und Tod ist durchaus konventionell, wie das bekannte Wort vom den männlichen Orgasmus meinenden »kleinen Tod« belegt. 196 »Stolz gehörte nicht zu ihren Eigenschaften«. (1,49) 197 »Die Melancholie ihres Daseins lastete schwer auf ihr.« (1,75)

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198 Zu Recht kann er von sich behaupten, seine Kraft reiche soweit, »daß ich’s fertig bringe, dich [Clotilde] morgen in mein Gesicht sehen zu lassen, ohne daß du dich entsinnst, wem dieses Gesicht gehört.« (1,47, vgl. auch 1,43f.) 199 Weiniger publizierte ein seinerzeit äußerst wirkungsmächtiges und noch immer im Buchhandel erhältliches misogynes Pamphlet mit dem Titel Geschlecht und Charakter. (1903) Auf ihn beruft sich Hell denn auch ausdrücklich gegen Ende des Romans, (vgl. I, 131) 200 Seit Jean-Martin Charcot (1825-1893) in den 1880er-Jahren Patientinnen der Pari­ ser Hôpital de la Salpêtrière publikumswirksam als Hysterikerinnen inszeniert und hypnotisiert hatte, entsprach das ganz den um die Jahrhundertwende gängigen Vor­ stellungen der >weiblichen« Modekrankheit dieses als nervös geltenden Zeitalters. Zur Konstruktion Hysterie um 1900 vgl. Lamott 2001 sowie Schmersahl 1998,213-301. 201 »>Du missbrauchst mich«, sagte sie leise. >Ich bin dir unterworfen und das weißt du. Du missbrauchst mich und mein ganzes Leben.«« (1,46) 202 »So geschah es, daß der Fremde bei Jadwiga Jalewska Tee trank und daß es nicht beim Tee allein blieb.« (1,22) 203 »Der fremde Mann« ist eine prominente (für einen bestimmten, auf die Ich-Erzählerin anziehend wirkenden Männertyp stehende) Figur in Franziska zu Reventlow amourö­ sem Roman Von Paul zu Pedro. (Vgl. etwa 2004e, 205f.). Dort wird er u.a. wie folgt charakterisiert: »Der richtige fremde Mann verträgt kein Pathos [...]. Überhaupt-der fremde Mann muß in erster Linie ein Gentleman sein, sehr elegant, sehr comme il faut und mit dem >infamen Charme««. (2004e, 205) 204 »[S]ie empfand eigentlich nicht das Glück, sondern hatte eher das Gefühl, um eine Kraft und Freiheit gebracht worden zu sein, die sie vorher besessen hatte.« (1,24) 205 »[D]ie merkwürdige Unsicherheit, die sie ihm gegenüber empfand«, bewirkte »daß sie seiner nicht überdrüssig wurde, sondern sich im Gegenteil stärker und stärker an ihn gefesselt fühlte.« (1,27) 206 Franziska zu Reventlows Taufname war nicht Franziska sondern lautete Fanny Liane Wilhelmine Sophie Auguste Adrienne. Fanny war von Kindsbeinen an ihr Rufname, bei dem sie sich zeitlebens von ihren Freundinnen nennen ließ und mit dem sie auch ihre Briefe unterschrieb. (Vgl. Weiser/Gutsch 2006,21-28) 207 Das Veilchen steht zwar als »Symbol für Verjüngung, Bescheidenheit und Treue.« (Bös 2008,402) »Aufgrund seines betörenden Duftes gilt es« jedoch auch »als Attribut der Liebesgöttin Aphrodite [...] und verweist auf Sinneslust und Verführungskunst.« (ebd.) Für Helius ist der »Duft von Veilchen« die »[l]etzte Impression vor dem Nichts« der Bewusstlosigkeit. (FM, 26) 208 »Die Sonne ist das Symbol des Heros, des menschlichen Partners der Göttin.« (GöttnerAbendroth 1984,6) Göttin (des Matriarchats) wiederum ist durch den Mond symbo­ lisiert. (Vgl. Göttner-Abendroth 1984,5f.) Zur weiblichen Konnotation des Mondes vgl. auch Berndt 2002) Wolfgang Helius nennt Friede Velten denn auch eine »junge Gottheit«. (FM, 12 und 21) 209 Der Wolf gilt als »Symbol der (Natur-)Gewalt, der Freiheit und Stärke, des Bösen, der Grausamkeit, der Zügellosigkeit und Wollust.« (Rösch 2008b, 426) Zwar ist er als Wölfin mit Mütterlichkeit konnotiert, (vgl. Rösch 2008a, 266) doch steht er als Wolf ebenso sehr für Männlichkeit und männlich konnotierte Eigenschaften, wie etwa der Mythos vom Werwolf, das Volksmärchen vom Rotkäppchen oder auch Hermann Hesses (1877-1962) Roman Der Steppenwolf (Hesse 1927) zeigen.

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210 Kurz gesagt, er ist eifersüchtig. Zu Kants Unterscheidung zwischen der dem Transzen­ dentalphilosophen gemäß wohlberechtigten männlichen und lächerlichen weiblichen Eifersucht vgl. Löchel 2006,68f. 211 Die Verbindung zwischen Velten und dem Mond wird am prägnantesten im Titel Frau im Mond geknüpft. Im Text selbst wird Velten zudem mit dem »Mondwasser« ver­ glichen, das »kühl« wie sie sei. (FM, 152) Damit wird sie zugleich mit dem Mond als Symbol der Weiblichkeit im Allgemeinen und des weiblichen Zyklus’ im Besonderen wie auch mit dem Wasser, das als »Element der Sehnsucht nach sexueller Vereini­ gung« gilt, verknüpft. (Gretz 2008,415) Bemerkenswert ist zudem die »Engführung des bedroh![ichen] elementaren W[assers] und der weibl[lichen] Natur, die beide gleichermaßen dem männlichen] Herrschafts- und Kulturwillen unterworfen werden müssen.« (ebd.) Besonders deutlich wird das sexuelle Moment dieser Engführung der Frau und des Wassers in den Figuren der Melusinen, Nixen, Meerjungfrauen und Undinen. 212 Karin Bruns nennt Friede Velten nicht ganz zu Unrecht »Helius’ weiblicher Zwilling«. (1996, 103) 213 Damit wird er unterschwellig seiner >Männlichkeit< beraubt, vielleicht auch homosexualisiert. 214 »Ich habe bei Gott keine Angst vor Morgen, Hans«, versichert sie ihrem Verlobten vor dem Flug zum Mond. »>Ich wünschte manchmal, sagte er kaum hörbar, >du hättest Angst, meine Liebste«. (FM, 79) Unmittelbar vor dem Start bittet Wolfgang Helius alle Passagiere mit Ausnahme Windeggers, sich noch mal gut zu überlegen, ob sie wirklich mitfahren wollen. Besonders Friede versucht er von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie antwortet leise: »Bitten Sie mich nicht, Helius!« (FM, 112) »Es ist zwecklos, mich zu bitten, Helius [...] Ich bin zu dieser Fahrt so fest entschlossen, wie ich nicht niemals in meinem Leben zu etwas entschlossen war. Lassen sie mich und versäumen Sie ihre Zeit nicht...« (FM, 113) 215 Die Amazone Penthesilea nahm am trojanischen Krieg teil, in dem sie zahlreiche Griechen tötete, bis sie schließlich Achill unterlag, (vgl. Greiner 2008,557) Vergil (70 v. Chr. - 19 v. Chr.) nannte sie in der Aeneis eine »bellatrix virgo«, eine kriegerische Jungfrau. (29 v. Chr., 1,493) 216 Der Leopard gilt als »Symbol des Mutes, der Schnelligkeit, Vitalität und Sinnlichkeit«. (Rösch 2008, 265) Dem Symbolismus und im Fin de Siede symbolisiert das Tier »Instinkt und sadistische] Sinnlichkeit der Frau sowie die männl[iche] Faszination durch die derart dämonisierte Sexualität.« (2008a, 266) 217 Andererseits leidet sie aber an einem >typisch weiblichen PutzfimmeL. Sie macht sich ganz dem misogynen Geschlechterklischee gemäß »an die« - wie es ironisierend heißt - »mühselige und alle Aufmerksamkeit erheischende Arbeit [...], die Apparate zu reinigen«, um ihrer vor unruhiger Furcht flatternden Nerven wieder »Herr zu werden«. (FM, 182) 218 Dieser mutige Einsatz gegen Ende des Buches widerstreitet der Deutung von Karin Bruns, die eine »sukzessive« Wandlung Friede Veltens »[v]on der Weltraumpionie­ rin »zur >mütterlich< starken (Kranken-)Schwester« feststellt, »die nun alle Zeichen domestizierter Weiblichkeit trägt«. (1996,104) 219 »Seine Blicke umfassten das Mädchen mit einem einzigen langen Greifen«. (FM, 147) 220 So halten etwa die Arbeiter die falsche Maria für die echte und lassen sich von ihr zur Zerstörung der Maschinen verführen, (vgl. M, 132ff.) Freder hält die von

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den Arbeitern als Hexe beschimpfte falsche Maria für die echte (vgl. M, 172) und versucht vergeblich, sie vor dem Scheiterhaufen zu retten, (vgl. M, 179 sowie 98f. u.ö.) Andreas Kilb meinte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sogar jüngst, die Verfilmung des Romans sei »vor allem eine Geschichte von Verwechslungen [...]. Der Oligarch verwechselt Strenge mit Tyrannei [...]. Der [...] Schmale, den er Freder hinterher schickt, verwechselt diesen mit dem Arbeiter Georgy [...]. Die Arbeiter [...] verwechseln Rotwangs Roboter-Maria [...] mit dem Original [...].« (2011,29) Hier nur noch zwei weitere Beispiele von zahllosen: »>Sieh mich an, Jungfrau !< beteten seine Augen. >Mutter sieh mich an!Klub der Söhne< [...] Dort sind hundert Frauen - und alle sind sein. Diese kleinen, zärtlichen Frauen alle könnten dir von der Liebe Freders erzählen, denn sie wissen mehr davon als du«. (M, 93) Zur zwar wechselhaften, aber stets virulenten Rezeptionsgeschichte, die Bachofens wirkungsmächtiges opus magnum Das Mutterrecht (1861) bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschsprachigen Raum erfuhr, vergleiche die Monographie Peter Davies Myth, Matriarchy and Modernity (2010). Kanz bezieht sich zwar weithin auf den Film Metropolis. Aber da »die Mutterdomi­ nanz«, wie sie sagt, »in Metropolis eher ein Produkt Thea von Harbous denn Fritz Langs« und »Harbous literarische Vorlage für Metropolis [...] noch mutterzentrierter als der Film« ist, (Kanz 2009, 312) treffen ihre Ausführung nicht minder, sondern eher in noch stärkerem Maße auch auf das Buch zu. Kanz fasst Rotwang als »männliche Gebärerin und Mutter« auf, (2009, 235) der/ die »eine nach ihrem [Hels] Vorbild modellierte Statue [errichtet], die er in einem pygmalionartigen Akt zum Leben erwecken will.« (2009,236) »Mittler zwischen Hirn und Händen muß das Herz sein«, lautet das von Thea von Harbou dem Roman vorangestellte Motto. (M, 5) Die leiblichen Eltern gefährden unbeabsichtigt das Leben ihrer Kinder und sind außer Stande zu retten. Erst die sozialen Eltern Maria und Freder sind dazu in der Lage, wobei Maria »die Kleinsten auf meinen Schultern und Armen« trägt. (M, 163) »Die edle Biegung des Halses trug einen Klumpen lässig geformter Masse. Der Schädel war kahl, Nase, Lippen, Schläfen nur angedeutet. Augen, wie auf geschlossene Lider gemalt, starrten blicklos mit dem Ausdruck eines stillen Wahnsinns«. (M, 47) Dass Frauen der menschlichen Spezies angehören, wurde tatsächlich nicht immer von allen Männern anerkannt. Der Literaturwissenschaftler Wolfgang Beutin berichtete jüngst von einem Bischof, der schon im 9. Jahrhundert in Abrede gestellt habe, dass Frauen Menschen sind. (vgl. 2010,17) Doch nicht nur mittelalterliche Kleriker sannen darüber nach, ob Frauen die Ehre zukommt, der menschlichen Spezies zugerechnet zu werden. Im Jahre 1782 veröffentlichte Michael Ambros (1750-1809) ein Stück über den vermeintlichen Beweis, dass die Weibsbilder keine Menschen sind. (o.J., vgl. auch Lange, Hrsg. 1992) Elf Jahre später und noch einmal postum wurde das nur vier Seiten umfassende Werklein unter den Titeln Weibsbilder sind keine Menschen / Wird sonnenklar bewiesen aus der Schrift, und aus der gesunden Vernunft (1793)

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respektive Weibsbilder sind keine Menschen! wird sonnenklar probirt aus der Schrift, und aus der gesunden Vernunft (1811) zwei weitere Male publiziert. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts fragte Max Funke (1879-1943) im Titel eines schmalen Buches Sind Weiber Menschen? und lieferte bereits im Untertitel die apodiktische Antwort Müderes homines non sunt. Sein Verdikt, das er im Text so oft wie möglich wiederholt, so etwa bereits auf der ersten Textseite in der Form »mulieres homines non esse«, (1910,5 und 27) glaubt er mithilfe diverser Wissenschaften wie der Anthropologie, (vgl. 1910,7-27) der Psychologie (vgl. 1910,28-38)undderEthnographie(vgl. Funke 1910,39-54) sowie anhand der Bibel (vgl. 1910,55-57) und allerlei frauenfeindlicher Aussagen von Philosophen, in der Literatur und des Volksmundes (vgl. 1910,58-69) belegen zu können. Als Fachmann in der aufgeworfenen Frage autorisiert er sich mit der Versicherung, er habe »noch nie [...] über etwas so gründlich nachgesonnen wie gerade über das Weib«. (1910,5) Sein angestrengtes Nachdenken führt ihn etwa im anthropologischen Abschnitt zu dem Schluss: »Als Mensch können wir das Weib nicht ansprechen, wohl aber als Hemianthropos (Halbmensch), als das tatsächliche missing link zwischen dem Homo sapiens und dem Anthropomorphen.« Aufgrund dessen, erklärt er, »stelle ich das Weib zwischen Homo primigenius und Homo paleolithicus. (1910,16) Einige Seiten später gelten ihm Frauen nicht einmal mehr als Halbmenschen. Nun meint er gar, »daß das Weib dem tierischen Geschlecht angehört.« (1910, 28) Zum Beweis dafür, dass die Frauen selbst sich sogar nur »als Sache, als Ding betrachten«, führt er die Prostitution an, »in der sie sich als solche [Sache] verkaufen oder vermieten«. (1910, 54) Bei alldem gilt dem Autor die Frau, diese »ewig unwandelbare Sphynx mit ihren schrecklichen Löwentatzen«, keineswegs als harmlos. (1910,5) Sie ist ihm vielmehr »ein verderbliches Wesen« (Funke 1910,73) mit einer »besondere[n] Veranlagung zum Verbrechen«, (1910, 36) vor allem aber sei ihr eine »Weiberlist [...] angeboren«, der gegenüber »der Mann im allgemeinen [...] ohnmächtig« ist. (1910,72) 230 Auch wenn Rotwang hier die Namen Parodie und Futura gleichberechtigt nebenein­ ander stellt, so nennt er den Roboter im Folgenden doch zunächst fast immer Parodie. Erst nachdem er das Gesicht Marias erhält, wird er häufiger Futura genannt. 231 Zu Joh Fredersen als Auftraggeber des Roboters als »neuem Menschen« vgl. M,48. 232 Es besteht weithin Konsens darüber, den Beginn der Neuen Frauenbewegung auf den 12. September 1968 zu datieren. An diesem Tag bewarf Sigrid Rüger (1939-1995) auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt die Herren auf dem Podium mit Tomaten, nachdem diese sich geweigerte hatten, Helke Sanders (*1937) im Namen des »Aktionsrates zur Befreiung« gehaltene Rede zu diskutieren. So schreibt etwa auch Ilse Lenz in der Einleitung zur von ihr herausgegebenen Dokumentensammlung Die Neue Frauenbewegung in Deutschland: »Der Tomatenwurf steht als Symbol für den Neubeginn der Frauenbewegungen in der Bundesrepublik.« (Lenz 2008a, 27) Dieser Datierung wird hier gefolgt. 233 Die Kurzgeschichte Nur noch Frauen... wird unter dem Sigle NF zitiert. 234 Die Kurzgeschichte Hille reist ins Jahr 2000 wird unter dem Sigle H zitiert. 235 Dabei waren ausweislich des Lexikons Science-fiction der DDR (Simon/Spittel, Hrsg. 1988) während des einschlägigen Zeitraums sehr wohl einige Autorinnen im Bereich der Science Fiction tätig. Allerdings schrieben sie ihre SF-Werke, abgesehen von der einen hier behandelten Ausnahme, bis in die 1970er-Jahre hinein ausschließlich gemeinsam mit Männern, meist ihren (Ehe-)Partnem. So etwa Johanna Braun (1929-

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249 Eine Feminisierung, die durch den Vergleich mit Jungen nur wenig relativiert wird. 250 Die Parallele zu der Situation in Büttners fünf Jahre später erschienen Hille reist ins Jahr 2000 liegt auf der Hand. Auch dort sind die Männer für die Technik zuständig, während eine Frau zum Essen bittet. Doch ist es weit mehr als dies, nämlich eine grundsätzliche Struktur in patriarchalen Gesellschaften. 251 Liegt die reine Frauengesellschaft auch ein ganzes Jahrtausend in der Zukunft, so haben die Männer doch erst vor gerade mal zehn Jahren das Zeitliche gesegnet, (vgl. NF, 70) 252 Tatsächlich fehlen sie in der Kurzgeschichte ja nicht völlig, es sind nur sehr wenige. Ähnlich wie in der Bundesrepublik der 1950er-Jahre angesichts des >Frauenüberschusses< nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen vielen gefallenen Männern und den zahlreichen Kriegsgefangenen. 253 Sie alle zeigen »charakterliche Schwächen«. (Karsch 2010,99) 254 Schon als er von der Ich-Erzählerin davon erfährt, dass es zu ihrer Zeit noch zahlreiche Männer gebe, kommt er sofort auf die Idee: »Dann könnte man ja Parteien gründen und Krieg führen!« (NF, 76) 255 Karsch macht in diesem Zusammenhang auf die »Umkehrung der Geschlechterrollen in Bezug auf die Sagen vom Raub der Amazonenkönigin Hippolyte durch Theseus, der schönen Helena durch Paris oder der Sabinerinnen durch die Römer« aufmerksam. (2010,100) 256 Wie Karsch zutreffend kommentiert, müssen Männer der Erzählung zufolge »allesamt pauschal als Bellizisten betrachtet werden.« (2010,92) 257 »Ob der Mann denn nie von sich aus wählen dürfe? Die Präsidentin sieht mich mit höflichem Mitleid an. So weit reiche ja nun ihre Bildung um zu wissen, daß noch zu keiner Zeit ein Mann gewählt habe, sondern immer gewählt worden sei. Ich muß ihr recht geben. Allerdings mit der Einschränkung, daß man zu meiner Zeit den Männern doch hier und da noch die Illusion lasse, Wählende statt Gewählte zu sein.« (NF, 74) 258 »Ich erzähle, daß es Frauen bei uns gebe, die einen vollständigen, gut erhaltenen Mann ganz für sich beanspruchen. Den Frauen verschlägt’s die Sprache ob soviel Ungeheuerlichkeit.« (NF, 75) Dass Keun damit »die monogame Fixierung moderner Frauen auf einen einzigen männlichen Partner [parodiert]«, (Karsch 2010, 98) ist nicht ganz einleuchtend. Denn die Frauen leben ja notgedrungen monogam, wenn nicht gar enthaltsam. Es ist vielmehr der Mann, der promiskuitiv lebt. Und der hat ja zumindest dem Geschlechterklischee gemäß nie etwas anderes gewollt. Es ist also vielmehr dieses Klischee, das Keun in dem Mann, dem all der ihm angetragene Sex zu viel wird, parodiert. 259 Bettina Jung weist zudem darauf hin, dass in der zukünftigen Frauengesellschaft »die Wertschätzung einer Frau nicht mit Mutterschaft verbunden« ist. (1999, 160) Eine nicht ganz unwichtige Feststellung angesichts der gerade in Deutschland damals - und heute noch immer - bis zur Unerträglichkeit virulenten Mutterschaftsideologie. 260 »Wer den Mann einmal gewonnen hat, darf bei weiteren Lotterien nicht mehr mit­ spielen.« (NF, 73) Manche der Frauen sind allerdings auch »zu faul«, um »an der [74] Verlosung teilzunehmen.« (NF, 73f.) 261 »[D]as emanzipatorische Potential dieser neuen Ikone« (2003,169) zeigt etwa Barbara Drescher in ihrem Aufsatz Die >Neue Frau< auf. Zum Zusammentreffen von »Fort­ schritt und Beharrung, Modernität und Tradition [...] im Typus der >neuen FrauGeheimnis< kommen, das ihn befähigt, jederzeit unerreichbar und überlegen zu sein.« (1979, 225) Marlies Gerhardt nennt als Motivation nur die »Neugier, hinter >das Geheimnis< der Männer zu kommen«. (1982, 142) Wolfgang Erdbrügge wiederum meint, dass sich die Ich-Erzählerin auf den Selbstversuch einlässt, weil sie »mit einem fast verhängnisvollen Quantum an wis­ senschaftlichem Wissensdurst (68)« ausgestattet ist. (1987,130) Wolf selbst erklärte in einem zu ihrem Text geführten Interview, »daß die Frau ihre eigene Verwandlung in einen Mann betreibt um des Mannes willen, den sie liebt...« (Wolf/Kaufmann 1974,109) 279 Bezüglich Wolfs Ich-Erzählerin war die Entscheidung zu treffen, ob von ihr in der weiblichen Form als Erzählerin zu sprechen sei oder in der geschlechtsneutralen als Erzählerin. Beides wäre nicht ganz unzutreffend. Da sie aber auf psychischer Ebene auch dann noch (etliche) ihre(r) ursprünglichen weibliche Anteile besitzt, wenn sie körperlich schon vollständig zum Mann umgewandelt ist, und sie zudem später wieder zur Frau wird, vor allem aber weil sie zu der Zeit, zu der sie die Geschichte erzählt beziehungsweise niederschreibt, eine Frau ist (die allerdings die Erfahrung gemacht hat ein Mann zu sein), wird von ihr als Ich-Erzählerin gesprochen. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass einige SF-Autorlnnen die insbesondere durch eine in der Ersten Person erzählte Kurzgeschichte erleichterte Möglichkeit nutzen, das Geschlecht der von sich selbst als einem Ich sprechenden Erzählinstanz unbestimmt zu lassen.

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Namen- und geschlechtlos bleiben etwa die Ich-Erzählerinnen in Irmtraud Kremps Kurzgeschichte Zwiebeln mit blauer Schale (1979a) und in Grete Wassertheuerers kleiner Erzählung Monster ( 1979). Auch in einer zweiten Kurzgeschichte von Kremp mit dem Titel Das Bild ( 1979) (die allerdings unter dem falsch geschriebenen Namen Kemp veröffentlicht wurde) bleibt die Ich-Erzählerin ohne erkennbares Geschlecht. Dies war selbstverständlich schon im Falle des männlichen Ich-Erzählers von Burmaz’ Marsbewohnern ebenso. Sehr viel relevanter aber ist dieser Umstand für Wolfs Text, in dem sich das Geschlecht der Erzählinstanz nicht nur zweimal wandelt, sondern der die Geschlechtlichkeit und ihre Konstruktion selbst thematisiert. Darum wird erst an dieser Stelle etwas näher auf die Rolle der Geschlechtlichkeit einer Erzählinstanz eingegangen. Darum ist es auch fraglich, ob sich die Protagonistin nach dem Experiment, wie Emmerich meint, einfach »in ihre alte weibliche Identität (die nie ganz verstummt war) zurück verwandelt«. (1980,114) Ist es wirklich die alte? Kann sie es überhaupt sein, nach dieser Erfahrung? Wohl kaum. Ebenso unzutreffend ist, dass die Protagonistin die »Männerwelt, bestückt mit den Männern, wie sie da nun einmal existieren«, erst während ihres Daseins als Mann »gewissermaßen nackt und unverfälscht wahmehmen kann«. (1980,114) Denn auch Männer haben eine Subjektposition der (Selbst-) Wahrnehmung, die weder objektiv ist, noch auch nur sein kann. Und ebenso wenig ist es die einer Person, welche die Erfahrungen beider Geschlechter in sich vereint. Auch Anna Fattori stellt fest: »Mit dieser wiedergewonnenen weiblichen Identität verfasst die Wissenschaftlerin ein immer mehr zur Subjektivität neigendes Traktat zu dem offiziellen Bericht, um »der unwirklichen Neutralität (des) Protokolls mit (ihrer) wirklichen Erinnerung zu widersprechen».« (1988,5) Im Falle letzterer weist die Ich-Erzählerin sogar ausdrücklich auf den sprechenden Namen hin: »Beate, deren Name so gut zu ihr paßte: die Glückliche.« (S, 318) Er besagt nicht nur, dass sie nun anders als zuvor ist, vielleicht sogar jemand an­ ders, sondern ist möglicherweise auch eine ironisierende Anspielung auf Simone de Beauvoirs (1908-1986) Buch Le Deuxième Sexe, (1949) das in der BRD Anfang der 1950er-Jahre unter dem Titel Das andere Geschlecht (1951) erschien. In der DDR brachte der Berliner Verlag Volk und Welt eine Lizenzausgabe ohne Angabe des Erscheinungsjahres auf den Markt, (de Beauvoir o.J.) Schon Helen Fehervary und Sara Lennox wiesen darauf hin, dass »Anders (the Other) inverts the category of othemes as defined by Simone de Beauvoir«. (1978, 110f.) Brigitte Wichmann macht hingegen darauf aufmerksam, dass die Botschaft von Christa Wolfs Erzählung »disagree with Simone de Beauvoir in that they affirm the existence of both male and female principles in human nature.« (Wichmann 1981,234) Bis in die Zeit der Aufklärung hinein wurde das »Ein-Geschlecht-Modell« (Laqueur 1996, 10) präferiert, »in dem Männer und Frauen entsprechend ihrem Ausmaß an metaphysischer Perfektion und ihrer vitalen Hitze entlang einer Achse angeordnet waren, deren Telos das Männliche war«. (1996,18) Diesem Modell galt der »weibliche Körper [...] als geringere Version des männlichen.« (1996, 10) Bereits Aristoteles (384-322 v. Chr.) konstatierte etwa, die Frau sei »eine Art zeugungsunfähiger Mann.« (1959,59) Einige unten angeführte Geschlechterdualismen der Kurzgeschichte, in denen die »weibliche» Seite negativ, die »männliche» positiv konnotiert ist, können diesen grund­ legenden Befund nicht nennenswert beeinträchtigen.

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287 Die weiblichen Aliens sind allerdings von so geringer Bedeutung, dass keiner von ihnen die Ehre gewährt wird, in der Geschichte auftreten zu dürfen. 288 Schon Aristoteles schien es, als gäbe die Frau wirklich nur »Körper und Stoff her [...]«, (1959, 62) während der männliche Samen die »Seele« und somit »das Wesen« des Kindes bestimmt. (1959,92) 289 Brigitte Rossbacher, die den Text als feministische Kritik am Patriarchat und am Marxismus-Leninismus der DDR liest, (Rossbacher 1992,164f.) denen die Literatin »utopian impulse« entgegenhalte, die auf einem »specifically female way« zu erreichen seien, fasst die Geschlechterklischees allerdings als reine Ironie auf. (vgl. 1992, 172) 290 Letztendlich kehrt Wolfs Kurzgeschichte die Hierarchie des Geschlechterdualismus allerdings um, wie zu zeigen sein wird. 291 Auch Anna Fattori weist auf die »absichtlich herausfordernd herausgearbeitete[.] Unterscheidung zwischen >Neugier< als >Untugend von Frauen und Katzem und >erkenntnishungrig und wissensdurstigNeugier< entsprechenden Eigenschaften bezeichnen, das Anliegen des erzählenden Ich zutage [...], gegen das Rollenbewusstsein des Mannes, wie es sich in seiner Sprache paradigmatisch äußert, zu polemisieren, und zwar in der >unpräzisenGeschlechtersprachenBeute zu betrachten [...] Vermännlichung< als Deprivation, so sind einige männ­ liche Charakteristika zu Beginn der Geschichte allerdings noch positiv konnotiert, wie der männliche Mut, den die Protagonistin für sich reklamiert, (vgl. S, 303) 295 Bei den »drei großen W« handelt es sich zweifellos um eine ironische Anspielung auf die drei großen K der Frau: Kinder Küche Kirche. 296 Denn »es wird auch vorausgesetzt, daß Männerund Frauen in der Tat verschieden den­ ken, verschieden arbeiten und eine verschiedene Sprache sprechen.« (Bahr 1979,225) »In dem Dialog, den die Erzählung vorschreibt, unterstreicht die Wolf die Eigenheiten der männlichen Sprache als beschreibend, neutral, in einer in Stereotypen erstarrten Gestik isoliert, als Sprache, in der Verstand und Vernunft auseinanderfallen und der deshalb die humanistische Erfassung der Wirklichkeit nicht mehr aussprechbar ist, sondern sie reduziert sich, losgelöst vom Sinnzusammenhang menschlicher Existenz zum Werkzeug totalisierender Information.« (Chiarloni Pegoraro 1982,149) 297 Fattori zufolge ist »[d]ie hier als Sprachkritik angeführte Infragestellung männlicher Strukturen [...] eigentlich nicht auf den Mann schlechthin gerichtet, sondern eher auf die passive Akzeptanz einer zwar vom Mann geschaffenen, aber nur durch die Mitwirkung der Frau Anspruch auf eine eigene Existenz erhebende Welt.« (1988,20)

298 Bereits Sara Lennox merkte an, »daß Wolf frauenspezifische Eigenschaften hervorhebt, die sie nicht nur einfach als entschieden anders, sondern als wertvoller im Vergleich zu männerspezifischen Eigenschaften betrachtet.« (1979,217) 299 Allerdings gewann diese Ideologie etliche Jahre nach Erscheinen von Wolfs Selbst­ versuch im differenzfeministischen Flügel der Neuen Frauenbewegung eine nicht eben geringe Zahl überzeugter Anhängerinnen. Sie machte nach dem Niedergang des Differenzfeminismus noch einmal mit dem Müttermanifest (Müttermanifest 2008) aus dem Jahr 1987 von sich Reden, das eine Gruppe von Frauen der 1980 gegründeten Partei Die Grünen verfasst hatte. Zur damaligen Diskussion um das Müttermanifest vgl. die Stellungnahme grüner Frauen zum Müttermanifest (Stellungnahme grüner Frauen 2008). 300 Katharina von Ankum zufolge fordert Wolf »ihre Gesellschaft«, also die DDR, damit auf, »die Zustände so zu verändern, daß eine Differenzierung der Geschlechter und damit eine echte Gleichberechtigung möglich ist.« (1992,158) 301 Barbara Holland-Cunz merkt zu Recht an, dass sich die Wahrnehmung der anderen und deren Verhalten der Protagonistin gegenüber »schneller und vollständiger« verändern als ihre Selbstwahmehmung. (1985,14) 302 »Solange ihr Selbstbewusstsein, ihre weibliche Besonderheit, nicht durch die Erwar­ tungen der Umwelt gegenüber ihrem männlichen Äußeren beschränkt wird, assoziiert sie zu Worten, Farben und Bildern keine männlichen Vorstellungen«. (Chiarloni Pegoraro 1982, 248) Auch diese Beobachtung scheint eine nicht essentialistische Interpretation der Kurzgeschichte zu stärken. Doch bietet sie keinerlei Hinweis auf ein Kausalverhältnis zwischen den »Erwartungen der Umwelt« und den späteren »männlichen Vorstellungen« der Protagonistin. Auch Komelia Hausers zutreffende Beobachtung, dass sich die Umwelt der Protagonistin gegenüber sogar schon anders verhält »bevor das Experiment beginnt«, (1991,378) da es deren Veränderung an­ tizipiert, deplausibilisiert die Möglichkeit der von Chiarloni Pegoraro unterstellten Kausalität. 303 Hermanns Aufsatz The Transsexual as Anders in Christa Wolfs »Self-Experiment« (1988) provoziert bereits im Titel mit der originellen These, Anders sei kein Mann, sondern transsexuell. Im Text selbst heißt es, Anders sei »a woman who has become a man«, doch »psychologically bisexual«. (1988, 47) So spricht sie von der Figur in der dritten Person auch stets als »s/he«, (vgl. 1988, 47, 48 u.ö.; ebenso Eigier 2000,408 u.ö.) Das zentrale Interesse ihres Aufsatzes gilt »the implications the trope of transsexual has for gender as an analytic category«. (1988, 45) Mit ihrer Lesart steht Hermann allerdings keineswegs alleine. So meint etwa auch Brigitte Rossbacher, dass »[cllearly Wolf’s feminist standpoint is not reducible to essential sex differences, but rather is based on women’s marginalization and subordination which becomes ingraindes through the process of gender socialisation. In Selbstversuch the power relations between men and women are objects; they als exercise power [176] through language and through gaze, through looking. These aspects accentuate Wolf’s emphasis on gender rather than sex: they are learned behaviors and as such are not essential and fixed, but rather changeable.« (1992,175f.) 304 Anne Hermann argumentierte hingegen schon 1988, dass »sex for Wolf is not a biological given; rather it is the [54] product of chemical intervention, a scientific invention made possible by historical advancement«. (1988,53f.)

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305 »The set-up of theentireexperiment.for instance, isbased on the idea that sex can be changed through bio-technological Intervention - sex is >man-made< or >producedmasculinityMedea Frauen-Verlag< Science Fiction und FantasyRomane von Frauen heraus (M[arockh] L[autenschlag] >Aquarin< [sic], Joanna Russ >Die FrauenversteherinReparatur< abgeholt wird. 334 Marockh Lautenschlag charakterisiert das Buch ohne zu Zögern als »Science FictionRoman«. (1983,228) 335 Deutlich lässt sich das Echo der >Gespräche< vernehmen, welche die Hügelfrauen in Sally Miller Gearharts feministischer Utopie Wanderground mit Bäumen, Sträuchern und dergleichen führen können. 336 Schon zuvor war die erotisierende Wirkung der Tentakel von Malla auf ihn mit genau den gleichen Worten beschrieben worden, (vgl. 1979b, 113) 337 Auffällig ist, dass immer wieder das Aussehen von Männern beschrieben und ihre Attraktivität bewertet wird. So weckt ein » großer Kerl mit nacktem Oberkörper und einem gewunden Tuch um die schmalen Hüften« (AM, 108) Annas erotisches Empfinden. Man könnte vielleicht sagen, dass es sich bei ihm um eine >real gewor­ dene Frauenphantasie< handelt. Später steht plötzlich ein »Wunder an menschlicher Schöpfung« vor Anna, ein Mann mit einem »schöne[nj Gesicht, eingerahmt von einem dunklen, wilden Haarschopf und einem ebenso verwegenen Bart.« (AM, 218) 338 Barbarella war eine SF-Comic-Heldin, die diverse (auch erotische) Abenteuer zu bestehen hatte. Die Serie wurde mit Jane Fonda (*1937) in der Titelrolle verfilmt. 339 Wifie könnte ein Diminutiv von Wife und somit eine verniedlichende Form von Ehe- und Hausfrau sein. 340 So der Titel eines damals äußerst erfolgreichen Romans von Gabriele Reuter, der die Leidensgeschichte eines solchen Mädchen literarisiert. 341 Die möglicherweise negativen Auswirkungen der durch die Manipulation provozierten Sexualakte einander eigentlich fremder Menschen auf diese und ihre späteren Bezie­ hungen zueinander werden in dem Roman ausgeblendet. 342 Sie reagiert >typisch weiblich«, indem sie ein Stück Seife nach ihnen wirft und »[e]inen fürchterlichen Spektakel« macht. (P, 61) Bezeichnend ist auch, dass es eine Frau ist, die von der Autorin in die >schlüpfrige< Situation gestellt wird. 343 Allerdings begleitet sie ihn dann sogar. 344 Ein unzulänglicher, ja verschleiernder Begriff zur Bezeichnung von Gewalt, die Männer gegen Frauen an wenden, die in einer engen Verbindung zu ihnen stehen, 345 Schon Michael Adrian monierte in einer Rezension des Buches, dass Igne »mit den allerletzten Frauenklischees des Hollywood-Films der fünfziger Jahre überhäuft (also von einer peinlich zwischen Extremen schwankenden Gefühlsduseligkeit besessen)« sei. (1984, 19) Zu Käsbauers Ruf der Götter vgl. auch die Rezension von Barbara Holland-Cunz, die auf die problematischen Geschlechterkonstruktionen jedoch nicht eingeht. (1984a) 346 Vermutlich, um dem Auftrag Folge zu leisten, den sein Bruder Orka ihm erteilte, als er nach Hades aufbrach: »Paß auf Igne auf!« (R, 13) 347 So bittet sie ihn etwa einmal: »Bring mich hier fort!« (R, 80) 348 »Igne folgte ihm gehorsam.« (R, 51) 349 »>Wir müssen nach Westen !< bestimmte Skor den Weg.« (R, 80) 350 Sie »blickte hilfesuchend von einem zum anderen.« (R, 12) oder »stammelte [...] hilflos«. (R, 18) 351 »[Bjeschützend legte er den Arm um sie«. (R, 33) (vgl. auch R, 25f.) »Skor warf sich halb über das Mädchen, um es mit seinem Körper zu beschützen.« (R, 127) 352 Er hat einen »gesundefn] Menschenverstand«. (R, 42)

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353 Zum Gefühl der Angst und dessen weiblicher Konnotation vgl. Kanz 1999, 21-26 und 34-43. 354 Skor hingegen ist >männlich< entschlossen, (vgl. R, 98) 355 Nur in den Augen von Barazin, einem Bewohner von Hades, der in der Hierarchie der >Götter< offenbar auf einer niedrigeren Eben steht, scheinen auch einmal »zwei helle Tränen« zu schimmern. (R, 152) 356 Während sie weint, schluchzt etc. »schluckt« Skor nur einmal »trocken«. (R, 152) Er hat seine Gefühle eben >männlich< im Griff. 357 Abgesehen jedenfalls von einigen Kindern auf der Straße, die von der Titelfigur durchs Fenster ihrer Wohnung dabei beobachtet werden, wie sie »mit stilisierten Holzgewehren bewaffnet zwischen Schutt und Abfall Krieg spiel[.]en.« (C, 209) 358 Nun läge die Vermutung nahe, diese Puppen fungierten für die Frau als Kinderersatz, wäre da nicht der Hinweis, dass sie Kinder hasst. ( vgl. C, 209) Dafür bietet die Geschichte aber auch einen handfesten Grund, denn sie treten nur als stets Krieg spielende kleine Monster auf. 359 Dass die Erzählstimme hier von »Liebkosungen« spricht, bricht die Erzählperspektive, die von Columbina zwar in der dritten Person spricht, aber doch die ihre ist. 360 Dabei ist im Abdruck des Gesprächs der Name des Automaten bei Hoffmann nicht korrekt als Olimpia wiedergegeben, sondern wird stets »Olympia« geschrieben. (1983,124) 361 Die Geschichte der O ( 1967) ist ein unter dem Pseudonym Pauline Réage erschienener Roman von Anne Desclos (1907-1998). Vermutlich denkt Barmeier aber eher an die gleichnamige Verfilmung von aus dem Jahr 1975, die in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in aller Munde war, da (insbesondere) von feministischer Seite heftig gegen die Aufführung des Films protestiert wurde. So berichtet Renate Wiggershaus, dass Feministinnen »auf verschiedenste Weise [...] gegen den pornographischen Film Geschichte der O. [protestierten]. Im Dezember störten Frauen die Vorführung dieses Kassenschlagers in Frankfurt, indem sie verweste Schweineschwänze und Stinkbomben in den Kinosaal warfen.« (1979,125) 362 Die »viele[n] Bücher« in Manfreds Bibliothek haben sie »gleich ungeheuer [89] interessiert.« (O, 88f.) Sie studiert dort »Rousseau und Kant und Fichte«, (O, 89) später diskutiert sie mit einem Linguisten über Jean-Jaques Rousseau, René Des­ cartes und Humboldt (über welchen der Humboldts, bleibt offen). Dabei ist sie dem Wissenschaftler sogar in seinem Spezialgebiet überlegen, (vgl. 0,97) 363 Dass sie »nackt« vom Produktionsband lief, war ihr »eigentlich nicht angenehm«. Erst als sie sieht, dass alle Modelle vor und nach ihr ebenfalls von »makellosefr] Nacktheit« sind, »schämt« sie sich »nicht mehr«. (0,92) 364 Der Sonderling ist Gustave Flaubert (1821-1880) dessen Education sentimentale 1869 erschien. 365 Es war dies neben Handarbeiten die Beschäftigung, auf die vor und um 1900 >höheren Töchtern« verwiesen blieben, während ihre Brüder auf die Universitäten gehen durften. (vgl. Frevert 2007,38f.) 366 Das haben auch die Diskutanten des Hörspiels erkannt, (vgl. Suvin/Barmeier/Hasselblatt 1983,127) 367 Die Kurzgeschichte Fangt das Tier wird unter dem Sigle FT zitiert.

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368 »Der nächste Gedanke ist der nächste Irrtum.« (FT, 126) »Letzten Endes steht auf das Leben der Tod, die Geschichte geht in jedem Fall fatal aus«. (FT, 129) »Das Wichtige begreift man nie oder zu spät.« (FT, 153) 369 »Ich bin nicht häßlich, weil die Natur mich so ausgeworfen hat, ich bin häßlich, plump, dickgefressen, weil das der sicherste Weg ist, von Menschen gemieden zu werden.« (FT, 154) 370 Im Laufe der Erzählung wird sie sich als richtig herausstellen. 371 Auch Christa Wolf konnotiert in ihrem Selbstversuch Neugierde weiblich. 372 Unter dem Titel Listen der Ohnmacht (1981) entwirft ein von Claudia Honegger und Bettina Heintz herausgegebener Sammelband eine Sozialgeschichte weiblicher

Widerstandsformen. 373 Auch sonst nennen die Männer sie gerne Mädchen, (vgl. etwa 1985,128 und 153) 374 Eine Haltung, die auffällig mit der Kritik korrespondiert, welche die Ich-Erzählerin in Christa Wolfs Selbstversuch an der >männlichen< Sprache und deren >Objektivität< übt. 375 So wie in Wolfs Selbstversuch ist auch hier die normierende, objektivierende und quantifizierende Wissenschaft männlich konnotiert. 376 Die überdeutliche Klischeehaftigkeit ironisiert diese Hoffnung. 377 »Mit ausgesuchter Zartheit fuhr er sich langsam über sein dünnes, rotes, kurzgeschnit­ tenes Haar. Prüfte mit dem Nagel des Zeigefingers, ob der Scheitel noch akkurat saß.« (G, 9) »Ohne Eile nahm er das Fläschchen Eau de Cologne aus dem Schreibtisch und betupfte sich Schläfen und Hände.« (G, 11) 378 »Nein, das Mädchen war anständig. Keine Hure wie die meisten Weiber. Sie war etwas besonderes. Unberührbar.« (G, 105) »Bei Komplikationen brechen wir Experiment Drei sofort ab! Sofort, verstehen Sie! Maria ist nämlich was besonderes. So was gibt’s heutzutage überhaupt nicht mehr!« (G, 110) herrscht er den Abtreibungsarzt Ratjan an. 379 Er »merkt rein gar nicht[.]«, wie sie sich fühlt. (AM, 13) 380 »Du zwingst mich zu Maßnahmen, die dich zur Vernunft bringen werden [...]. Es ist geradezu grotesk, mit welcher Hysterie und kindischer Eigensinnigkeit du versuchst, dich lächerlich zu machen.« (AM, 118) 381 »Der Anfang« eines Romans oder einer Erzählung sei »immer das entscheidende; hat mans darin gut getroffen, so muß der Rest mit einer Art von innerer Notwendigkeit gelingen, wie ein richtig behandeltes Tannreis von selbst zu einer geraden und untade­ ligen Tanne aufwächst«, (1969,190) schrieb Theodor Fontane (1918-1898) am 3. Juni 1879 seiner langjährigen Briefpartnerin Mathilde von Rohr (1810-1889). Evelyne Brandenburg folgt dieser Autorinnen-Anweisung akkurat. Denn schon der erste Satz des Romans »Anna ging langsam hinter Florine her.« (AM, 7) fasst metaphorisierend den Inhalt des gesamten Romans zusammen. 382 In dieser Selbstbeschreibung hallt das Echo des Titels des im Jahr zuvor erschienenen autobiographischen Buches von Ellen Dietrich wieder: »... und eines Tages merkte ich, ich war nicht mehr ich selber, ich war ja mein Mann«. (1981) 383 Der Nato-Doppelbeschluss wurde 1979 auf der Brüsseler Nato-Konferenz gefasst. Er verstand sich als Reaktion auf die Dislozierung sowjetischer Mittelstrecken-Raketen (SS-20) in Osteuropa und verband einen Nachrüstungsbeschluss (so die Terminologie der Nato) beziehungsweise Hochrüstungsbeschluss (so die Terminologie der Frie­ densbewegung) durch die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen

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(Pershing II und Cruise Missiles) mit einem Verhandlungsangebot an den Warschauer Pakt. (vgl. Geiss 1983,713) »In einem großen Rollback versuchten unter der konservativ-liberalen Koalition unter Helmut Kohl die katholische Kirche, religiöse und fundamentalistische »Lebensschützer< und rechtsextreme Kreise die Indikationslösung beim § 218 von 1976 rückgängig zu machen«, (2008b, 647) konstatiert Ilse Lenz für die erste Hälfte der 1980er-Jahre. Genau in diese Falange reiht sich die Autorin Friedelinde Cap mit ihrer Figur Chi ein. Die Vorname der Figur Chi entspricht den ersten drei Buchstaben des Pseudonyms der Autorin, was darauf hindeutet, dass sie sich ihrer als Sprachrohr bedient. Während es anderen Paaren, wie wohl unterstellt werden muss, ganz untersagt ist. Oder auch die von feministischen Schriftstellerinnen zur Zeit der Zweiten Frauen­ bewegung in Frankreich oder den USA verfassten SF- und utopischen Romane, (vgl. etwa Wittig 1969 oder Piercy 1976) Das ist durchaus auch wörtlich zu nehmen. Denn sie wird nicht mehr, wie etwa bei Moderatus Diplomaticus durch eine Begegnung im Garten metaphorisiert, wo der werbende Mann der Verehrten eine Blume pflückt. Lautenschlags Roman Sweet America, der rigoros damit bricht, ist ja nun mal - man möchte fast sagen leider - von einem Mann verfasst, der nur als Autorin auftrat. »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment«, lautete etwa schon zu Zeiten der Studierendenbewegung insbesondere eine von den Herren Ge­ nossen im Munde geführte Parole. (Vgl. Kramer 2008,143) Seit 1974 finden (mit Ausnahme der Jahre 1982 und 1984) in wechselnden deutschen Städten alljährliche Treffen von Lesben statt. Bemerkenswert ist die feminine Form bei den zuarbeitenden Tätigkeiten (»Stenoty­ pistin, Sekretärin«, »Verwaltungsangestellte«) und der maskulinen bei der leitenden als »Betriebsorganisator«. Ein geradezu grandioses Beispiel sexistischen Sprachge­ brauchs. Die biographgrafischen Angaben folgen Si. 1988. Die Kurzgeschichte Fernschach wird unter dem Sigle FS zitiert. Der Roman Ida&Laura wird unter dem Sigle IL zitiert. Zwei Jahre nach Behrs Roman veröffentlichte Charlotte Kemer mit Blueprint Blaupause (2009a) einen (Jugend-) Roman, der ebenfalls von der Beziehung zwischen Klon-Mutter und Klon-Tochter handelt. Anders als Behrs Roman ist er jedoch nicht aus Sicht der Mutter geschrieben, sondern aus derjenigen der Tochter. Vor allem aber prangert ihr »in der >schönen neuen Welt< der Fortpflanzungsmedizin« (2009b, 179) handelndes und mit dem Deutschen Jugendbuchpreis bedachtes Werk zwar vehement, dafür aber wenig reflektiert und schon gar nicht differenziert die Reproduktionstechnologie des Klonens an. So for­ dert es etwa durch den Mund der Ich-Erzählerin: »Sprecht besser nicht mehr von Klonen oder von uns Klonen, sprecht von Missbrut! Dieses Wort ähnelt dem Begriff Missbrauch und genau das ist beabsichtigt. Denn moralisch obszön sind beide und auch beide Opfer leiden ähnlich.« (2009a, 103) »Sich klonen zu lassen ist nicht nur Missbrut, sondern auch Inzest: Gen- und Gefühlsinzest.« (2009a, 109) Darunter 1984 zwei Monate lang fest für die Courage, (vgl. Behr 1984) Auch schrieb sie von 1978 bis 1982 sechs Beiträge für EMMA. (vgl. EMMA o. J., o. P.) Qakan scheint aus ihrem Alter ein Geheimnis zu machen. Darauf deutet zumindest hin, dass Kürschners deutscher Literatur-Kalender 2004/2005 zwar Tag und Monat ihrer Geburt angibt, nicht aber das Geburtsjahr. Anders als üblich nennt er auch keine

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Anschrift, sondern verweist auf die Adresse ihres Hausverlags. (vgl. Kürschners deut­ scher Literatur-Kalender 2004/2005 2005, 165) Dies alles könnte darauf hindeuten, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handelt. Sowohl die Umschläge der von ihr veröffentlichten Romane wie auch ihr Webauftritt zeigen jedoch Bilder der immer gleichen Frau mit Sonnenbrille, (vgl. etwa W und http://www.dardariee.de/ [aufgerufen am 12.4.2011]) 398 Zuletzt 2011 für den WDR Xanadu. (vgl. http://www.dardariee.de/html/hoerspiele. htm [aufgerufen am 12.4.2011]) 399 Der Roman When the Music’s Over wird unter dem Sigle W zitiert. 400 Es sind dies einmal der Roman Downtown Blues (2001) um die in einer dystopischen Zukunft ermittelnden City Force-Agentin Donovan und sodann die beiden zusam­ menhängenden Romane um den im Untertitel als Weltraumabenteurer ausgewiesenen Ich-Erzähler Luke Harrison Begegnung in der High Sierra (2000a) und Zwischenfall an einem regnerischen Nachmittag (2000b). Insbesondere die in der Jungendromanreihe Nachtbrenner erschienenen Luke-Harrison-Abenteuer sind nicht mehr als ebendies (Abenteuerromane für Jugendliche) und - fast möchte man sagen: somit - voller Geschlechterklischees, wie sie eben eine Figur nur zu sehen vermag, der die Autorin die Brille eines professionellen Glücksspielers auf die Nase gesetzt hat, der sich rühmt, »schon so manche Hinterhofschlägerei erfolgreich beendet« zu haben, (2000a, 29) und es ansonsten nicht mag, »dass irgendwelche Scheißkerle bei meiner Lady rumhängen und in meinem Sessel sitzen, wenn ich [12] nicht da bin«. (2000a, llf.) 401 Einschlägige Kurzgeschichten veröffentlichte sie bereits seit Ende der 1980er-Jahre. Eine der ersten war Qakans in einer Anthologie von H.J. Alpers erschienene Shortstory Das total verdorbene Wochenende (o.J.), eine Zeitreise-Geschichte, zu deren Beginn der männliche Protagonist Walter vergeblich versucht, die Zeitmaschine zu reparieren, während ihm seine »Schatzimausi« genannte »Begleiterin« Angelina schmollend ihren »hübschen Rücken« zukehrt. (o.J., 103) Auch im Weiteren ventiliert die Autorin in der Paarbeziehung so ziemlich jedes Geschlechterklischee, etwa wenn er sich von ihr mit Nachschub aus dem »Sechserpack« versorgen lässt, (ebd.) und bedient insbeson­ dere das mutmaßlich misogyne Frauenbild des dem Genre entsprechend erwarteten männlichen Lesers. So ist zwar »Angelinas Interesse für eine bestimmte Sache nie von Dauer«, (ebd.) auch hat sie nur »selten[..]« eine »Anwandlung von Logik«, (O.J., 105) doch versäumt sie nicht, sich sorgsam »die Lippen neu nach [zuziehen]« (o.J„ 104). Ansonsten bricht sie sich ihre Nägel ab und »nörgelt«. (o.J., 107) All das und einiges mehr mag zwar ironisierend sein, doch subvertiert diese Ironie die Weiblichkeitsklischees nicht, sondern bestätigt sie. 402 Vgl. die biographischen Angaben in Ivancsics, Hrsg. 1993,328. 403 Der Roman Unheimliche Reise wird unter dem Sigle U zitiert. 404 Hier wird die im Folgejahr bei Suhrkamp erschienene Lizenzausgabe herangezogen. Die Kurzgeschichte wird unter dem Sigle MT zitiert. 405 Der Roman Simon Goldsteins Geburtstagsparty wird unter dem Sigle GG zitiert. 406 Die biographischen Angaben folgen denjenigen in Jägerwelten. (J, 309) 407 Der Roman Jägerwelten wird unter dem Sigle J zitiert. 408 Eine Charakterisierung, die sich allerdings ohne weiteres auf das andere Geschlecht erweitern ließe. 409 Der Roman Norma Desmond wird unter dem Sigle ND zitiert. 410 Der Roman Corpus Delicti wird unter dem Sigle CD zitiert.

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411 Klonkinder, wie Ida eines hat, waren (und sind) bekanntlich (noch) nicht möglich. Insofern wohnt auch diesem in der Vergangenheit angesiedelten Teil ein SF-Moment inne. 412 Diese Männer, so notiert sie in ihr Tagebuch, waren alle »ichsüchtige Kinder und liebten mich nicht, aber das konnte mir nichts ausmachen.« (IL, 29) 413 Nicht umsonst wird in Heinrichs Roman mehrmals Mary Shelleys Frankenstein als vermeintlich erster SF-Roman erwähnt, (vgl. U, 106 u.ö.) Ein SF-Roman ist Shelleys Erstling tatsächlich, nur eben nicht der erste. Und wenn Heinrichs Protagonistin meint, sie sei »einem weiblichen Frankenstein begegnet [...], betäubt auf der Bahre, zu keiner Rache fähig«, (U, 194) so verwechselt sie den Namen des Schöpfers in Shelleys Roman mit dem seines namenlosen Geschöpfes. 414 Kai Köhler monierte an dem Plot nicht ganz zu unrecht, dass Heinrichs Bösewichte »nächtens im obskuren Hotelzimmer [handwerkeln]«, während die wirklichen Genfor­ scher »über moderne Kliniken und Laboratorien [verfügen], und zwar in Städten, die wie alle anderen auch und gerade nicht unheimlich wirken: Man geht an irgendeinem Krankenhaus vorbei und weiß nicht, was darin sich vollzieht. Diese Normalität zum gespenstisch-grausigen Schrecken aufzublasen verharmlost die trivialere Gefahr.« (2000,130) 415 Zwar wird sie »zum Einfrieren auf unbestimmte Zeit verurteilt«, (CD, 259) jedoch begnadigt und in einer »Resozialisierungsanstalt« untergebracht, um sie nicht »zur Märtyrerin [zu] machen«. (CD, 263) 416 Die Frauen sind mithin nicht Subjekte eines Kinderwunsches, sondern dessen Objekte, des Wunsches eines Kindes nämlich sie zu >adoptierenSchlappschwanz< - scheidet als Konkurrent unter seines gleichen aus. Eine unfruchtbare Frau aber wird verbannt, ostraziert: Nicht einmal Töchter kann sie einem Manne schenken...« (IL, 203) 422 Auch hier sind es wieder die Frauen und nur sie, die Kinder machen können. Wie wichtig das Ida ist, betonen die Majuskeln. 423 Umgekehrt bezeichnet Ida ihre Klontochter als ihr Projekt, »mein PROJEKT LAURA« (IL, 179); »Mein Kind ist mein Projekt.« (IL, 235) 424 Sowohl die Vorstellung von Tier/Mensch-Hybriden wie auch die Literarisierung von Reproduktionstechnologien sind natürlich noch um einiges älter. Man denke nur an die zahlreichen Mischwesen der antiken Mythologie wie etwa die Odysseus mit ihrem Gesang betörenden Sirenen (Homer 1980b, 162f. [= 12,185-198]) und an den von Wagner im »[IJnnersten« einer »Phiole« geschaffenen Homunculus aus Goethes Faust II. (1924c, 102) Die Idee eines künstlich zu schaffenden Homunculus geht allerdings nicht auf Goethe, sondern vermutlich auf den Arzt und Philosophen Paracelsus (1493-1541), jedenfalls aber auf das ihm zugeschriebene, erstmals 1537 erschienene Buch De natura rerum (1968) zurück. 425 Der Name ist Mary Wollstonecraft Shelleys Roman Frankenstein entliehen, (vgl. Heinrichs Dank an Wollstonecraft Shelley. U, o.P. [= 210]) 426 Damit werden Frauen implizit mit Tieren auf eine Stufe gestellt. 427 Die Parole geht auf Flory nee Rae Kennedy (1916-2000), die zusammen mit Diane Schulder (*??) das Buch Abortion Rap (Schulder/Kennedy 1971) schrieb, zurück und lautet bei ihr »If men could get pregnant, abortion would be a sacrament.« (zitiert nach: Mother Jones 1976,1,21) 428 Einer geschlechtersensiblen Sprache gemäß nennen sie sich nicht etwa Pater, sondern »Mater«. (1993,76) 429 Die wenigen Männer, von denen dies nicht explizit gesagt wird, sind bedeutungs- und gesichtslose Kellner und Gäste in einer Kneipe. 430 Ehen werden in der Kurzgeschichte auf Zeit geschlossen. 431 Wokusch erkennt in den Verfügbaren ebenfalls Prostituierte. Sie »werden leicht Opfer von Perversen, der Verfügbare ist »aufgefordert«, sein Verfügbarkeitszeichen, »glüht verheißungsvoll« - dies evoziert deutlich das Rotlichtmilieu«. (1997,521) Auch dass es sich »um einen Beruf [handelt]«, deutet ihr zufolge »auf Prostitution« hin. (ebd.)

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432 Doch gibt es bei Nolte auch explizite Prostituierte, (vgl. J, 129) 433 Denn sie könnte ja genauso gut >Sohn eines verrotteten Freistehendem lauten. 434 Auf die skeptische Frage: »Seid ihr nicht eifersüchtig aufeinander?« (Nolte, 135) antwortet die weibliche Figur Leesla: »Warum sollten wir? Wie ich das sehe, is [sic] Eifersucht nur die Angst davor, jemand zu verlieren. Wenn sich jemand von uns neu [136] verliebt, dann verlieren wir ihn nicht, sondern erweitern einfach die Gruppe.« (J, 135f.) 435 Das sind die in einem Eheverband miteinander verbundenen Erwachsenen. 436 Ein ungeborenes Mädchen antwortet »mit einem begeisterten telepathischen Quiet­ schen, als all die fremden Gedanken sie zu streicheln begannen.« (J, 268) 437 Es schlüpfen meist männliche oder weibliche Zwillinge. Gelegentlich scheint es aber auch Drillinge zu geben, (vgl. J, 102) Auch scheint die sexuelle Vereinigung entweder zu zweit oder zwischen zwei Zwillingspaaren, also zu viert stattzufinden, (vgl. J, 102ff.) Dass dies mit dem kommenden Nachwuchs ursächlich zusammenhängt, wissen die Aliens offenbar nicht. 438 An einer anderen Stelle ist es eine Frau, die auf die Idee kommt, sie und ihr Beglei­ ter könnten sich im Hotel Kondome kaufen, um keinen Verdacht zu erregen, (vgl. GG, 70f.) In beiden Fällen wird auf reaktionäre sexuelle Phantasien der Männer gesetzt. 439 So ist denn auch die Einschätzung von Franz Birkenhauer abwegig, der »[e]ine ei­ gentümliche Art Feminismus« in den Roman hineinliest. (2009 [Webseite]) 440 Die Lilie gilt in der Literatur als »Symbol für die Unschuld oder Jungfräulichkeit einer Frau oder eines jungen Mädchens.« (Reitzenstein 2008, 206) Später wird die Journalistin Fiana sich zur Tarnung ein »Lilienmuster auf der Kopfhaut« tätowieren lassen, was ihren Begleiter prompt an »die Mädchen am Kanal in Narbonne« erin­ nert (GG, 100) Entsprechend tituliert er die erfahrene Kriegsreporterin fortan auch wiederholt als »Mädchen«, (vgl. GG, 120,123) 441 Zu den sprechenden Namen der Figuren vgl. Geier 2008. Andrea Geier weist unter anderem darauf hin, dass die Titelfigur »nach der Protagonistin aus Billy Wilders Sunset Boulevard (1950) benannt« ist. (2008,155) 442 »David stand vor dem kleinen Rasierspiegel. [...] David sah sich zu. Er hielt die Gewichte in den Fäusten und hob sie. Er führte sie seinen Schultern zu. Sah zu, wie seine Bizepse anschwollen bei der Bewegung. Wie die Adem außen dicker wurden.« (ND, 15) 443 Andrea Geier hat bereits darauf hingewiesen, dass Norma der Entbindung von Fort­ pflanzung und Sexualität »durchaus Positives abzugewinnen« vermag. (2008,151) 444 Wobei zu bemerken ist, dass in der Zukunftswelt des Romans Gebären und Mutter­ schaft keine notwendigen Eigenschaften einer nichtigen Frau< sind. Da hat selbst diese hypermisogyne Gesellschaft dem Deutschland des beginnenden 21. Jahrhunderts in dieser einen Hinsicht etwas voraus. 445 Während die hybride Dreigliedrigkeit des Computers zwar behauptet, aber nicht gezeigt wird, hat sich die Autorin umso mehr Mühe gemacht, ihm eine restringierte englische Zukunftssprache voller oft lautmalerisch zu lesender Buchstaben und Zahlen zu geben, wie man sie so ähnlich heute schon aus der Kommunikation in Chats oder mittels SMS kennt. 446 Herostratos (3. Jhd. v. Chr.) war der »Brandstifter bei der Zerstörung des ArtemisTempels von Ephesos 356. v. Chr. Auf der Folter gestand er Ruhmsucht als Motiv,

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weshalb die Ephesier beschlossen, daß sein Name nie wieder genannt werden dürfte.« (Meier 1998,486) 447 Zur »Geburt als Metapher von Kunst- und Selbstschöpfung« vgl. Kanz 2009,45-51 und zum »Künstler als Gebärer« Kanz 2009,139-143. 448 Das greift auch die stereotype Formulierung auf, der zufolge eine Frau einem Mann ein Kind schenkt. 449 Zum Alter der Protagonistin vgl. CD, 85. Dabei schaut sie aus, als könnte sie »ebenso gut vierzig wie zwanzig Jahre alt sein.« (CD, 17) 450 Das entspricht ganz der Selbst- und Weltwahmehmung der Männer in Christa Wolfs Selbstversuch, die sich »[w]ie im Kino« fühlen. (S, 322) 451 »Im Altnordischen] heißt die Hexe u. a. [...] Zaunreiterin. Dem entspricht das oberd[eutsche] zünrite im Münchner Nachtsegen. Im älteren Gesetz von Westgötaland heißt es, daß die Hexe auf einem Z[aun]gatter reitet.« (Weiser-Aall 1987, 994) Zur weiteren Erläuterung vgl. Weiser-Aall 1987,994-996 sowie Neger 2009,20. 452 Sie »wiegt Mia wie eine Mutter«. (CD, 47) 453 Die ideale Geliebte meint sogar, dass Mia »genau wie ihr Bruder« sei. »Nur dass Mia versucht, ihr Anderssein hinter besonderer Systemtreue zu verstecken, während Moritz es wie eine Trophäe zur Schau trägt.« (CD, 146) 454 Immerhin handelt es sich nicht um eine Falschbeschuldigung durch eine Frau. Davon abgesehen wäre der Justizirrtum bei einer noch vollkommeneren Überwachung durch das Gesundheitswesen vermeidbar gewesen. Dann nämlich, wenn die Daten (inklu­ sive der Leukämieerkrankung und der DNA des Knochenmarkspenders) vollständig vorgelegen und abgeglichen worden wären. 455 Wenn hingegen £akans City-Force-Agentinnen Donovan und Del einem Menschen nicht zu Hilfe eilen, der zusammengeschlagen wird, dann nicht etwa, weil sie unfähig dazu wären, sondern mit einem desinteressierten Schulterzucken: »Pech gehabt.« (2001,27) Ist Del über ihre Partnerin verärgert, »knallt« sie ihr auch schon mal ohne Weiteres »[i]mmer und immer wieder« den Schädel gegen ihren »Saab-Aerospace«. (2001,23) 456 Kai Köhler kommentiert diese Szene und die ganze Anlage des Romans kritisch: »Nun gibt es frauenfeindliche Polizisten genug; und die Reproduktionsmedizin zielt auf die Kontrolle von Frauen und ihren Körpern. Die Kombination jedoch ist falsch: darin liegt politisch das Hauptproblem des Buchs. Was heute an Gentechniken entwickelt wird, gibt sich als Erfüllung individueller Wünsche - auch der Wünsche von Frauen.« (2000,130) 457 »Nur wer Heinrich Kramer besser kennt, weiß, dass er unruhige Finger hat, deren Zittern er gern verbirgt, indem er die Hände in die Hosentaschen schiebt. Auf der Straße trägt er weiße Handschuhe.« (CD, 15) 458 »Ich habe kein Gewissen«, (CD, 178) bekennt er fast prahlerisch. Und er reklamiert für sich, »Ehrgefühl« zu besitzen. (CD, 212) 459 Wobei sogleich erwähnt wird, dass sie mit »Bell«, dem mit Nachnamen genannten Staatsanwalt, studiert hat. (vgl. CD, 12) 460 »In ihrer schwarzen Robe erinnert Sophie ein wenig an eine Nonne ohne Schleier.« (CD, 66) 461 Bemerkenswert ist dabei aber die in der Metaphorisierung als Raubkatze leicht an­ klingende weibliche Konnotation.

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462 Sein Name Rosentreter lässt sich dahingehend interpretieren, dass er zu seiner Frau eine Distanzbeziehung führt, statt die sie symbolisierende Rose zu pflücken. Schließlich verlässt (tritt) er sie sogar. Zudem klingt in dem Name das Wort >Leisetreter< an. Ein Verweis auf seinen mangelnden Wagemut, den er sowohl durch sein Zögern, einen Ausnahmeantrag für seine Liebe zu stellen, wie auch durch sein Auftreten vor Gericht, bezeugt. 463 Auch später im Gerichtssaal klingt dies noch einmal an. Auf Kramers selbstgefällige Aussage, »[njiemand kennt die Angeklagte so gut wie ich«, (CD, 254) reagiert Mia, indem sie »zärtlich« bestätigt: »Das stimmt.« (CD, 255) 464 Diese programmierte Barbie wird von Geier zum »Typus der erotischen Puppe« gerechnet, »wie er sich etwa in E.T.A. [153] Hoffmanns Erzählung Der Sandmann als der weibliche Automat Olimpia findet.« (208,152f.) Neu sind diese sexualisierten Automaten in Frauengestalt also nicht, auch nicht in der Science Fiction von Frauen, wie das Beispiel der Androidin in Harbous Metropolis zeigte. Eine andere SF-Autorin, Rosemarie Voges, verweist sogar bereits im Titel ihrer Kurzgeschichte Olympia Män­ nertrost auf E.T.A. Hoffmanns Olimpia, indem sie dort den sprechenden Namen ihrer Protagonistin nennt, (vgl. 1979) 465 Die ihr >fehlende< Dummheit deutet auf einen »Konstruktionsfehler hin. Andrea Geier spricht von einem »Defekt« in der »Programmierung«. (2008, 148) 466 Ebenso, dass er sie ständig verlässt, per Bodyfax in der Welt herumreist, während sie stets zuhause bleibt. Wenn er auch nicht ins feindliche Leben hinausgeht und sie nicht die züchtige Hausfrau abgibt. 467 Die Orgasmen werden explizit mit dem Eindringen des Penis in Verbindung ge­ bracht, sodass Norma offenbar vaginale (und nicht klitorale) Orgasmen hat, was als Stellungnahme in der Auseinandersetzung um den Mythos vom vaginalen Orgasmus (Koedt 1980) gelesen werden kann. 468 Ein Samenerguss ist ja noch kein Orgasmus. Und auch von diesem ist keine Rede. 469 Es ließe sich auch sagen, in ihm tritt das Kind im Manne hervor. 470 Die Parallelen zu dem von der Protagonistin in Heinrichs Roman besiegten Wirt sind nicht zu übersehen. Sowohl bei Streeruwitz wie auch bei Heinrich bedienen sich Frauen eines männlich konnotierten Instruments, um einen Mann im Kampf zu besiegen, der anschließend feminisiert wird. Norma und die Ich-Erzählerin überwinden den Mann mithilfe einer Krawatte, in der Niederlage wird er feminisiert und hofft auf Unterstützung durch seine Ehefrau. Bei Streeruwitz wird allerdings auch die Tötung eines Mannes durch einen Mann mittels eines männlich konnotierten Instruments vollbracht. 471 Selbst der Alien Schatten findet: »Wie hübsch sie war, wenn sie lachte.« (J, 127) 472 Dass es für ihn etwas »ganz anderes« ist, unbewaffnete Frauen zu misshandeln«, (J, 58) relativiert seine »Männlichkeit nicht etwa, sondern unterstreicht sie in ihrer »Ritterlichkeit sogar. 473 In der als fremd gedachten und gezeichneten Aliensexualität Schattens brechen sich Geschlechterklischees hingegen wiederholt Bahn, wie anhand dessen Liebesspiel mit Seelenschwester gezeigt wurde. 474 Dieser Mischung ist mit der Hysterie allerdings eine eindeutig »weibliche Schwäche< beigegeben. 475 Während einer Mordtat, bei der er »[d]reiundsiebzig schreiende, brennende Körper« zu verantworten hat, taumelt eine Frau »aus der Rauchwand auf ihn zu [...]. Ihr brennender

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Hochzeits-Sarong umwehte sie wie ein tödlicher Nebel. Sie fiel genau vor seine Füße in den Schlamm. Er beugte sich zu ihr, senkte den Kopf und küsste ihren blutenden Mund. Er war der Rote Tod, und er saugte das letzte bisschen Leben aus ihr und es schmeckte so unvergleichlich bitter und süß.« (W, 74) 476 »Er [Pierce] sah das Bild vor sich: er und sie auf der schmutzigen Matratze, wie sein nackter Körper sich an dem ihren reibt, seine Lippen ihre Brüste und ihre Schultern küssten und er, betrunken, wie er war, nicht merkte, wie sein Mund über die offenen Wunden strich.« (W, 202) 477 Eine der wenigen Ausnahmen bildet eine Szene in der sich Skadi und Pierce näher­ kommen, doch wird die >Idylle< durch Pierces Geschlechtskrankheit getrübt und sie sehen lieber davon ab, Sex zu haben, (vgl. W, 202) 478 Ein Fremder versucht, die Protagonistin Skadi zu vergewaltigen. Sie tötet ihn mit einem »Walrosshom«, (W, 96) bezeichnenderweise also einer phallischen Waffe. 479 Der Begriff ist problematisch, weil er insinuiert, es gebe auch einen angemessenen >Gebrauch< von Menschen, beziehungsweise von deren Sexualorganen. Der alte Hagestolz Immanuel Kant kam ja tatsächlich auf die Idee, es gebe so etwas und das sei sogar völlig in Ordnung, in der Ehe nämlich. Sie gilt ihm als Vertrag über den »wechselseitigen Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht«. (Kant 1907a, 277) 480 Wiesel wurde als Kind vom Freund seiner Mutter vergewaltigt, (vgl. W, 16f.) Außer­ dem setzen die Tunnel-Soldaten auf Initiative von Sunshine den Knaben Käppi als sexuelle Falle gegen die »Bürgerwehr« ein, wobei dessen Kindlichkeit durch seine »verwuschelten blonden Haare und niedliche Sommersprossen« (W, 104) unterstrichen wird. »Ehe er zu den Tunnel-Soldaten gekommen war, hatte er seinen Körper an Pädophile und Schwule verkauft.« (ebd.) 481 Pierce ist von einem Parasit befallen, der beim Sex übertragen wurde, (vgl. W, 202) 482 Medusa ist eine Gestalt der griechischen Mythologie. Es handelt sich bei ihr um eine von drei für ihre Schönheit berühmte Schwestern, »die wegen ihres Stolzes von den Göttern in schlangenhaarige Ungeheuer verwandelt wurden«, (Vollmer 1874, 220) die so hässlich sind, dass bereits ihr Anblick tödlich ist. 483 Die kleine Meerjungfrau ist die Protagonistin des gleichnamigen Märchens Die kleine Seejungfrau (1982) von Hans Christian Andersen (1805-1875). Sie verliebt sich in einen »hübschen Prinzen«, (1982,78) erträgt um seinetwillen alles Leiden und alle Schmerzen. Um an Land zu einem geliebten Mann gehen zu können, nimmt sie in Kauf, dass jeder ihrer Schritte schmerzt, als ob sie auf »scharfe Messer« träte. (1982,80) Der Prinz verliebt sich zwar ebenfalls in sie, heiratet jedoch eine Prinzessin. Die kleine Seejungfrau kehrt ins Meer zurück und verwandelt sich in Schaum. 484 »Es ist die Sünde der Männer, die die Welt unbewohnbar macht«. (GG, 33) Wenn Franz Birkenhauer in einer Internet-Rezension des Buches glaubt, in dem Roman »[e]ine eigentümliche Art Feminismus« ausmachen zu können, und dafür unter an­ derem den »Marien-Kult« der Sekte als Beleg anführt, dem Birkenhauer zufolge »>Schwanzdenken< [...] die Quelle allen Übels« ist, (2009 [Webseite]) übersieht er, dass der Roman diesen Kult deutlich als totalitär und abwegig verwirft. 485 Eine zweite Intellektuelle ist die Mörderin des Präsidenten der Inneren Europäischen Union ¿lotse St. Clair, »eine unscheinbare Frau von siebenundvierzig Jahren, blond, eher klein«, (GG, 64) die sich durch »systematisch[es] und analytisch[es] [D]enken« auszeichnet (GG, 65) und früher »komplexe Leiterplattendesigns entworfen, Algo­

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rithmen entwickelt« hat, inzwischen ihre Brötchen aber verdienen muss, indem sie bei einem Cateringservice ebensolche schmiert, (vgl. GG, 110) Belege - reale wie fiktive - ließen sich viele nennen, hier sei nur eine Zeile aus dem Song Jigsaw Puzzle des Rolling Stones-Mbums Beggars Banquet zitiert: »Oh the gangster looks so fright’ning/ With the luger in his hand/ But when he gets home to his children/ He’s a family man/ But when it comes to the nitty gritty/ He can shove in his knife«. (Jagger/Richards 1979, 190) Zum Motiv der schönen Leiche in der Literatur vgl. die von Elisabeth Bronfen her­ ausgegebene Textsammlung Die schöne Leiche. (1992) Die Nomen sind die drei Schicksalsgöttinnen der nordischen Mythologie, die sich unter anderen Namen - auch in der griechischen und römischen Mythologie ausmachen lassen. In der nordischen Mythologie handelt es sich um »drei weiße Jungfrauen von nie alternder Schönheit und nie wechselndem Emst«. (Vollmer 1874, 355) Frank denkt angesichts Hildegard vor allem an die Nome »Skuld, die Abschneiderin des Lebensfadens« (GG, 23) und bezieht den Spitznamen ganz offensichtlich nicht auf ihr Äußeres, sondern ihre innere Haltung. Denn »[r]ein optisch war Hildegard nichts Besonderes. Ihr Haar wechselte nach der aktuellen Mode langsam die Farbe von Silberweiß über Goldblond zu Flammenrot. Die Nase darunter war krumm, das Gesicht ein wenig zu schmal und zu klein für das derzeitige Schönheitsideal. Aber sie hatte ein verstörendes Talent, die Gedanken anderer Leute zu erraten. Er nannte sie Nome, nicht laut natürlich.« (GG, 22) Dennoch kann er nicht aus seiner Haut und sieht in ihr auch später stets eine »be­ zaubernde, aber schwerkranke junge Frau«, (GG, 148) die »so zerbrechlich, so schutzbedürftig« ist. (GG, 203) Es ist nicht zuletzt die Verliebtheit in seine eigene Beschützerrolle, die ihn sie lieben lässt. Er erscheint der erfahren Journalistin und Kriegsreporterin zunächst sogar geradezu hypermaskulin: »[DJie Soldaten in Pakistan«, findet Fiana, »waren wie seelenlose [90] Roboter und ohne jede Hoffnung. Aber gegen John Dove wirkten sie jetzt wie nervöse Jungs.« (GG, 89f.) Kokett ist das darum, weil sie damit seiner Bitte folgte, ihn zu beschreiben. Aufgelöst wird dieser Widerspruch nicht. Das entspricht einer Funktion von Kriegs Vergewaltigungen, bei denen es nicht immer (nur) um Sexualität und die sexuelle Befriedigung der Vergewaltiger geht, sondern oftmals primär um die Demütigung und Demoralisierung der feindlichen Männer, die >ihre< Frauen nicht verteidigen können, (vgl. Mühlhäuser 2010,79-84) So veranstalteten feministische Reproduktionskritikerinnen in den 1980er-Jahren zwei bundesweite Kongresse, (vgl. DIE GRÜNEN/AK Frauenpolitik, Hrsg. 1986 und Bradish/Feyerabend/Winkler.Hrsg. 1989. Zu Positionen deutscher feministischer Theoretikerinnnen vgl. auch Hofmann 1999, 141-189.) Insgesamt ist festzuhalten, dass es insbesondere die Aktivistinnen und die Theoretikerinnen der Frauenbewe­ gung waren, die vor den frauenfeindlichen Möglichkeiten der Reproduktionstechnik warnten. (Amerikanische) SF-Autorinnen stellten es hingegen auch schon mal positiv dar, wenn »Babys von Maschinen geboren w[e]rden«. (Piercy, 124) Doch sah bereits eine der ersten (amerikanischen) Theoretikerinnen, die diese Technik thematisierten, in ihr ein Instrument zur Befreiung der Frau. Shulamith Firestone (* 1945) schwärmte in ihrem Buch The Dialectic of Sex (1970) schon zu Beginn der 1970er-Jahre von »künstlicher Fortpflanzung« als Möglichkeit, »Frauen von ihrer Biologie zu befreien«,

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(1975,191) wie die deutschsprachige Übersetzung formuliert. (Zu Firestone vgl. auch Hofmannl999, 110-119) 495 Den titel stiftenden Neologismus hat sie aus ihrem Roman Blueprint Blaupause über­ nommen. (vgl. 2009a, 26) 496 Kerner, die in ihrem Jugendbuch Blueprint Blaupause die Reproduktionstechnik (des Klonens) ebenfalls vehement ablehnt, klagt nicht wie Heinrich die Machen­ schaften sexistischer Wissenschaftler oder gar des Patriarchats an. Vielmehr lädt sie alle Schuld einzig und alleine der Klon-Mutter auf, ihrem Wunsch, »ewig« leben wollen, (2009a, 14) ihrem »Größenwahn«, (2009a, 20) ihrer »Selbstsucht« und ihrer »übersteigerte[nj Selbstliebe«. (2009a, 21) Überhaupt muss sie die Hassfigur des Romans abgeben und wird schon zu Beginn als »vermessene Frau, die sich für eine Göttin hielt«, stigmatisiert. (2009a, 10) 497 Sweet America, der einzige frühere Roman, der Homosexualität explizit thematisiert (und dabei positiv darstellt), hat sich ja als Werk eines Mannes herausgestellt. Und in L. Andros bereits 1924 erschienen Roman Das entschwundene Ich wird sie in der Beziehung zwischen Jadwiga und Fanny nur sehr zurückhaltend angedeutet. 498 Wobei jedoch auch schon mal ein impliziter Hieb gegen Forderungen der Frauenbewegung geführt wurde, (vgl. Chippers 1981,5f.) 499 Zu den Theorien von Otto Gross vgl. Von geschlechtlicher Not zur sozialen Katastrophe (Gross 1980) und die biographische Schrift Otto Gross - »Paradies«-Sucher zwischen Freud und Jung (Hurwitz 1979); zu Stöcker vgl. die zwar kenntnisreiche, in ihren Einschätzungen und Wertungen allerdings nicht immer tragfähige Darstellung von Annegret StopczykPfundstein (2003). Zur Kritik an Stopczyk-Pfundstein vgl. Löchel 2004. 500 Vgl. etwa Judeich 1903,32,49; Suttner 1911, ll;Andro 1924,9,25,44 und 66; Harbou 1984,12,128,168 u.ö.; Harbou 1989,55,85,189 u.ö.; Passon 1921,44; Büttner 1955,57; Seghers 1972,40; Steinmüller 1986, 208 und 210; Wolf 1973, 318; Käsbauer 1984, 17, 18,25,43,80,95,146,172 u.ö.; Qakan 1999,130; Zeh 2010,255; Streeruwitz 2002,47; Jänchen 2008,90.

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Siglen-Verzeichnis

A AD AM C CD D FF FH FM FS FT G

Robé, Alexander (1950): Mit Atomkraft ins All Voigt, R. [d.i. Rosa Voigt] (1909): Anno Domini 2000 Brandenburg, Evelyne (1982): Anna Maria Neuwirth, Barbara (1985): Columbina Zeh, Juli (2010): Corpus Delicti Moderatus Diplomaticus (1873): Die Deutschen und Engländer im Mond Haupt, Therese (2007): Die Frau nach fünfhundert Jahren Key, Ellen (2007): Die Frau in hundert Jahren Harbou, Thea von (1989): Frau im Mond Steinmüller, Angela (1986): Fernschach Gruber, Marianne (1985): Fangt das Tier Meck, Barbara (1980): Das Gitter

GG

Jänchen, Heidrun (2008): Simon Goldsteins Geburtstagsparty Büttner, Majoll (1955): Hille reist ins Jahr 2000 Andró, L (1924): Das entschwundene Ich Behr, Sophie (1997): Ida&Laura

H I IL

MB MG MH MT MZ N ND NF O

Sydow, Marianne (1975): Irrwege im Weltraum Nolte, Ulrike (2000): Jägerwelten Harbou, Thea von (1984): Metropolis Burmaz, Helene (1919c): Die Marsbewohner Burmaz, Helene (1919b): Der Mann im Gummianzug Suttner, Bertha von (1911): Der Menschheit Hochgedanken Ivancsics, Karin (1993b): Muttertag Suttner, Bertha von (1899): Das Maschinenzeitalter Judeich, Helene (1903): Neugermanien Streeruwitz, Marlene (2002): Norma Desmond Keun, Irmgard (1993): Nur noch Frauen... Voges, Rosemarie (1979a): Olympia Männertrost

P R

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