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German Pages [521] Year 2018
Arndt Neumann
Unternehmen Hamburg Eine Geschichte der neoliberalen Stadt
Nach dem Boom Herausgegeben von Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael
Arndt Neumann
Unternehmen Hamburg Eine Geschichte der neoliberalen Stadt
Mit 112 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit Mitteln des Gottfried Wilhelm Leibniz-Programms der Deutschen Forschungs gemeinschaft sowie mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.. Zugleich: Dissertation Universität Trier 2017.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Arbeiter der Howaldtswerke-Deutsche Werft in Hamburg demonstrieren vor dem Firmengelände, 8. September 1983. © picture alliance / AP (Foto: Thomas Grimm) Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-7246 ISBN 978-3-666-35594-3
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Erster Teil: Der Boom. Hamburg von 1960 bis 1973 . . . . . . . . . . . . 25 1.
Die Hafen- und Industriestadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.
Vom Kontorhaus zur City Nord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.
Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim . . . . . . . . . . . . . . . 72
4.
Hochhäuser statt Slums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
5.
Die fordistische Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
Zweiter Teil: Die Krise. Hamburg von 1973 bis 1989 . . . . . . . . . . . 127 1.
Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung . . . . . . . . . . . 129
2.
Zwischen Einkaufspassage und Personal Computer . . . . . . . . . . 155
3.
Das Ende der Großsiedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
4.
Von Fabrikruinen zu Medienhäusern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
5.
Der Strukturbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Dritter Teil: Die wachsende Stadt. Hamburg von 1989 bis 2008 . . . 231 1.
Die neuen Cluster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
2.
Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . 256
3.
Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete . . . . . . . 282
4.
New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus . . . . . . . 304
5.
Die neoliberale Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Bildteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
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Inhalt
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
Einleitung
Im Herbst 1983, wenige Wochen nachdem auch eine mehrtägige Besetzung der Howaldtswerke-Deutsche Werft durch tausende Arbeiter weitere Massenentlassungen nicht hatte verhindern können, hielt der Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi eine viel beachtete Rede.1 Schonungslos wandte er sich dem wirtschaftlichen Niedergang der Stadt zu. Er sprach von dem geringen Wirtschaftswachstum, der hohen Arbeitslosigkeit und von dem drastischen Bedeutungsverlust der Industrie. Doch zugleich richtete er seine Aufmerksamkeit auf die kommenden Aufgaben. Wenn die Stadt ihre Wirtschaft neu ausrichte, wenn sie neben dem Hafen zeitgemäße Branchen wie den Flugzeugbau und die Medien fördere, dann habe sie eine Zukunft. Für diese Zukunft, so Dohnanyi, stehe auch der Titel seiner Rede. Er lautete »Unternehmen Hamburg«2. Zum einen wies Dohnanyis Rede weit zurück, in eine Vergangenheit, die uns heute fremd erscheint. In ihr war die Erinnerung an die »goldenen Sechziger Jahre«3, die in Hamburg durch den Boom des Massenumschlags, das große Gewicht des Schiffbaus, die Bürobauten der Mineralölkonzerne und den sozialen Wohnungsbau in Großsiedlungen geprägt waren, weiterhin präsent. Das Wirtschaftswachstum und die Vollbeschäftigung dieses Jahrzehnts bildeten den Hintergrund, vor dem die Krise umso schärfer hervortrat. Zum anderen kündigte sich in der Rede eine Zukunft an, die 1983 erst schemenhaft zu erkennen war und die heute unsere Gegenwart ist. In dieser Gegenwart spielen Massengutumschlag, Werften und sozialer Wohnungsbau kaum noch eine Rolle. Stattdessen bestimmen der Containerumschlag, der Flugzeugbau, die Milieus der Kreativwirtschaft und globale Investmentfonds die Stadt. Diese Umbrüche, die sich in ähnlicher Weise auch in vielen anderen europäischen Städten vollzogen haben, stehen im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung. Oder genauer formuliert: Sie geht der Frage nach, wie sich nach 1970 die räumliche Ordnung der Arbeitswelt in europäischen Städten gewandelt hat. Diese Fragestellung liegt quer zu bestehenden Abgrenzungen innerhalb der Geschichtswissenschaft. Sie überschneidet sich mit verschiedenen Teildisziplinen und Forschungsansätzen, von der Zeitgeschichte, über die Geschichte der Arbeit und den Spatial Turn bis hin zur europäischen Stadtgeschichte. Zwischen 1 Zur Rede von Klaus von Dohnanyi und zur Besetzung der HDW-Werft siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 146–152. 2 Klaus von Dohnanyi, »Unternehmen Hamburg«. Vortrag vor dem Übersee-Club Hamburg. 29.11.1983, in: Der Übersee-Club Hamburg (Hrsg.), Jahrbuch 1982/1983, Hamburg 1984, S. 1–28. 3 Ebd., S. 3.
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Einleitung
diesen verschiedenen Schwerpunkten gibt es nur wenige Berührungspunkte. Vielfach bleiben die Debatten auf den jeweils eigenen Bereich beschränkt. Zum Teil werden sich wechselseitig ausschließende Ansätze verfolgt. Gerade deswegen ist es notwendig, sich mit den verschiedenen Forschungsständen kritisch auseinanderzusetzen und so eine tragfähige Grundlage für diese Arbeit zu schaffen. Dabei sind vier analytische Begriffe von besonderer Bedeutung: 1. Strukturbruch, 2. Raum, 3. Arbeit und 4. europäische Städte. Zu 1: Mit dem Buch »Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970«4, das im Jahr 2008 erschien, lösten Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael eine breite Debatte aus.5 In ihm regten die beiden Historiker an, die Zeitgeschichte konzeptionell neu auszurichten. Nachdrücklich sprachen sie sich dafür aus, nicht länger Jahrestage, Sperrfristen für Akten und Jahrzehnte, sondern die »Herausforderungen der Gegenwart«6 zum Ausgangspunkt der Forschung zu machen. Zugleich traten sie dafür ein, sich nicht in Einzelforschungen zu verlieren, sondern ausgehend von einem sozialökonomischen Schwerpunkt übergreifende Periodisierungen herauszuarbeiten. Auf dieser Grundlage schlugen sie vor, die Geschichte westeuropäischer Gesellschaften nach 1945 in zwei Zeiträume zu unterteilen. Zum einen den des Booms, der die Jahre von 1948 bis 1973 umfasse. Er sei durch hohe Wachstumsraten, umfassende staatliche Eingriffe und die zentrale Stellung der industriellen Massenproduktion gekennzeichnet und lasse sich auch als »fordistisches Produktionsregime«7 bezeichnen. Zum anderen den Zeitraum nach dem Boom, der nach 1973 einsetze und der bis in die Gegenwart fortdaure. In deutlichem Kontrast zu den vorangegangenen Jahrzehnten seien nun geringes Wirtschaftswachstum, der Bedeutungsverlust von »Traditionsindustrien«8 und hohe Arbeitslosigkeit vorherrschend. Zugleich hätten Computer und Internet sowie Börsen und Banken mehr und mehr an Einfluss gewonnen. Deswegen könne diese Zeit auf den Begriff des »digitalen Finanzmarkt-Kapitalismus«9 gebracht werden. Der nach 1973 einsetzende Umbruch werde dabei durch drei Entwicklungen bestimmt. So sei die keynsianistische Wirtschaftspolitik, für die staatliche Eingriffe eine zentrale Rolle spielten, durch die monetaristische Wirtschafts4 Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 20102. 5 Zur Debatte um »Nach dem Boom« siehe: Morten Reitmayer / Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die Anfänge der Gegenwart. Westeuropa nach dem Boom, München 2014; Knud Andresen u. a. (Hrsg.), Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitswelten, Bonn 2011; Mehrfachbesprechung von Hans Günther Hockerts, Christoph Boyer, Jens Hacke, Maren Möhring und Stephan Lessenich, in: Sehepunkte 9 (2009) H. 5, URL: http:// www.sehepunkte.de/2009/05/ (9.2.2016); Anselm Doering-Manteuffel u. a. (Hrsg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016. 6 Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 26. 7 Ebd., S. 27. 8 Ebd., S. 52. 9 Ebd., S. 27.
Einleitung
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politik, die sich vor allem am Markt ausrichte, abgelöst worden. Zudem habe die Digitalisierung, insbesondere durch den Aufstieg des Internets nach 1995, die gesamte Gesellschaft durchdrungen. Und schließlich habe sich nach 1968 ein neues Menschenbild durchgesetzt, das auf Individualität und Kreativität beruhe. Die drei Entwicklungen, die unabhängig voneinander entstanden seien, hätten sich nach und nach miteinander verbunden und so zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Diese ließen sich mit den Begriffen »gesellschaftlicher Wandel von revolutionärer Qualität«10 und »Strukturbruch«11 genauer fassen. Gesellschaftlicher Wandel von revolutionärer Qualität beschreibe zunächst unscheinbare gesellschaftliche Veränderungen, die jedoch langfristig schwerwiegende Folgen hätten. Strukturbruch bezeichne eine Vielzahl kleinerer Umbrüche, die erst in ihrem Zusammenwirken zu einem tiefen Einschnitt führten. Dieser konzeptionelle Rahmen, der in der zeitgeschichtlichen Forschung weitgehend auf Zustimmung gestoßen ist, stellt den zentralen Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung dar. Das gilt insbesondere für den Begriff des Strukturbruchs. Im Unterschied zu älteren geschichtswissenschaftlichen Ansätzen, wie die westdeutsche Sozialgeschichte12 oder die Annales-Schule13, die vor allem die Dauerhaftigkeit gesellschaftlicher Strukturen betont haben, nimmt dieser Begriff deren Diskontinuität in den Blick. Dabei wirft er die Frage auf, wie sich der Übergang zwischen verschiedenen in sich stabilen gesellschaftlichen Ordnungen denken lässt. Die Antwort darauf liegt meiner Ansicht nach in dem Verständnis von gesellschaftlicher Stabilität. Wenn gesellschaftliche Stabilität als natürlicher Normalzustand begriffen wird, dann bleiben plötzliche Veränderungen schwer zu fassen. Wenn sie demgegenüber als relatives Gleichgewicht gegeneinander wirkender wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Kräfte gedacht wird, dann lassen sich diese erklären. Sobald einzelne Kräfte stärker werden, schwächer werden, verschwinden oder neu hinzukommen, können scheinbar festgefügte Strukturen auseinanderbrechen. Genau das, so die dieser Untersuchung zugrundeliegende These, ist nach 1973 passiert. 10 Ebd., S. 29. 11 Ebd. 12 Zur westdeutschen Sozialgeschichte siehe: Klaus Nathaus, Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft. Version 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http://docu pedia.de/zg/Sozialgeschichte_und_Historische_Sozialwissenschaft (9.2.2016); Bettina Hitzer / Thomas Welskopp (Hrsg.), Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, Bielefeld 2010; Jürgen Kocka, Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme, Göttingen 19862. 13 Zur Annales-Schule siehe: Lutz Raphael, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 96–116; Matthias Middel / Steffen Sammler (Hrsg.), Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten 1929–1992, Leipzig 1994; Marc Bloch u. a., Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, Frankfurt am Main 1977.
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Einleitung
Zu 2: Ausgehend von Edward W. Sojas Standardwerk »Postmodern Geogra phies«14, das im Jahr 1989 erschien, hat der Spatial Turn in den vergangenen Jahren auch die Geschichtswissenschaft erfasst. Zahlreiche Tagungen und Veröffentlichungen haben sich diesem Forschungsansatz gewidmet, vom Deutschen Historikertag, der im Jahr 2004 unter dem Motto »Kommunikation und Raum«15 stattfand, über den von Jörg Döring und Tristan Thielmann herausgegebenen Sammelband »Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften«16 bis hin zu der von Susanne Rau geschriebenen Einführung »Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen«17. Raum, so kann ohne weiteres festgestellt werden, ist zu einem maßgeblichen Begriff historischer Forschungen geworden. Besonderes Augenmerk legen die Vertreter des Spatial Turns dabei auf sich wandelnde Konzepte und Wahrnehmungen. Sie beschäftigen sich, um einen der zentralen Begriffe des Forschungsansatzes aufzugreifen, mit Räumen als »sozialen Konstruktionen«18. Dieser Begriff verweist auf die erkenntnistheoretischen Setzungen, die dem Spatial Turn zugrunde liegen und die ihren klarsten Ausdruck im radikalen Konstruktivismus gefunden haben.19 Der radikale Konstruktivismus, zu deren wichtigsten Vertretern Ernst von Glasersfeld gehört, weist die Grundannahme realistischer Erkenntnistheorien, der Mensch könnte eine außerhalb von ihm liegende Wirklichkeit erkennen, entschieden zurück. Zwar gebe es diese Wirklichkeit, sie bleibe jedoch unerreichbar. Stattdessen konstruierten Menschen verschiedene Vorstellungen der Wirklichkeit, die ihren je eigenen Bedürfnissen entsprächen. Es würde den Rahmen der Einleitung sprengen, in eine ausführliche Diskussion über den radikalen Konstruktivismus einzusteigen. Deswegen muss eine kurze Anmerkung genügen. Skeptizismus, und Ernst von Glasersfeld verortet sich ausdrücklich in einer »skeptischen Tradition«20, ist historisch kein neues Phänomen. Gerade in Krisenzeiten hat es immer wieder skeptische Strömungen 14 Edward W. Soja, Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Critical Social Theory, London 1989. 15 Arnd Reitemeier / Gerhard Fouquet (Hrsg.), Kommunikation und Raum. 45. Deutscher Historikertag in Kiel vom 14. bis 17. September 2004. Berichtsband, Neumünster 2005. 16 Jörg Döring / Tristan Thielmann (Hrsg.), Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008. 17 Susanne Rau, Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen, Frankfurt am Main 2013. 18 Ebd., S. 8. 19 Zum radikalen Konstruktivismus siehe: Ernst von Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme, Frankfurt am Main 1997; Gebhard Rusch / Siegfried J. Schmidt (Hrsg.), Konstruktivismus. Geschichte und Anwendung, Frankfurt am Main 1992; Siegfried J. Schmidt (Hrsg.), Der Diskurs des radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 1987. 20 Ernst von Glasersfeld, Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, in: Heinz Gumin / Heinrich Meier (Hrsg.), Einführung in den Konstruktivismus. Beiträge von Heinz von Foerster, Ernst von Glasersfeld, Peter M. Hejl, Siegfried J. Schmidt, Paul Watzlawick, München 1992, S. 9–39, hier S. 9.
Einleitung
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gegeben. Aber die Geschichte der Philosophie ist nicht in erster Linie die Geschichte des Skeptizismus. Sie ist vor allem die Geschichte der philosophischen Systeme, welche die Zweifel immer wieder überwunden haben.21 Auch gegenwärtig deutet sich dies wieder an. In jüngster Zeit wächst gerade in der Philosophie die Kritik am Konstruktivismus. Erneut wenden sich viele Philoso phen dem Realismus zu.22 Auch in der Ideengeschichte gibt es eine Longue Durée. Viel wichtiger als philosophische Debatten ist jedoch etwas anderes. Für eine empirische Wissenschaft wie die Geschichte ist von zentraler Bedeutung, welche Forschungsfragen durch einen erkenntnistheoretischen Ansatz ermöglicht werden, und welche nicht. Hier fällt die Antwort eindeutig aus. Wenn es nur noch Wahrnehmungen gibt, und nichts anderes bedeutete die Rede von der Konstruktion der Wirklichkeit, dann lassen sich Strukturen und Prozesse nicht länger erkennen. In dem die Verfechter des Spatial Turns diese Setzung übernehmen, schränken sie die Zahl der möglichen Forschungsfragen massiv ein. Hinter der scheinbaren Vervielfältigung der Perspektiven verbirgt sich ein eindimensionaler Begriff des Raumes. Demgegenüber ermöglicht ein Rückbezug auf Reinhart Koselleck ein komplexeres Verständnis.23 In einem Vortrag, den Koselleck im Jahr 1986 vor dem Deutschen Historikertag in Trier hielt, machte er verschiedene Ebenen des Verhältnisses zwischen »Raum und Geschichte«24 aus. Ebenso wie Zeit gehöre auch Raum »kategorial gesprochen, zu den Bedingungen möglicher Geschichte«25. Zugleich habe auch der Raum selber eine Geschichte. Neben der »Rekonstruktion vergangener Raumvorstellungen« gehe es hier um die »Rekonstruktion vergangener sogenannter Wirklichkeiten«.26 Bei den vergangenen Wirklichkeiten ließe sich wiederum zwischen »metahistorischen Raumvorgaben« und »historischen Räumen menschlicher Organisation« unterscheiden.27 Auch deren Verhältnis sei dem historischen Wandel unterworfen. Während die natürlichen Vorgaben durch Land, Meer, Küsten, Flüsse, Gebirge und Ebenen zunehmend an Bedeutung verlören, träten die von Menschen geschaffene Bewässerungsanlagen, Kanäle, Dämme und Straßen mehr und mehr in den Vordergrund. 21 Johannes Hirschberger, Geschichte der Philosophie. Bd. I. Altertum und Mittelalter, Freiburg 199114; Johannes Hirschberger, Geschichte der Philosophie. Bd. II . Neuzeit und Gegenwart, Freiburg 199113. 22 Zum Realismus siehe: Markus Gabriel (Hrsg.), Der neue Realismus, Berlin 2014; Armen Avanessian (Hrsg.), Realismus Jetzt, Berlin 2013; Paul Boghossian, Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus, Berlin 2013. 23 Siehe in diesem Zusammenhang: Christoph Dipper / Lutz Raphael, »Raum« in der Europäischen Geschichte. Einleitung, in: Journal of Modern European History 9 (2011) H. 1, S. 27–41. 24 Reinhart Koselleck, Raum und Geschichte, in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2003, S. 78–96. 25 Ebd., S. 82. 26 Ebd., S. 83. 27 Ebd., S. 86.
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Einleitung
Das gilt, und hier geht meine Argumentation über Koselleck hinaus, insbesondere auch für Städte, die nahezu vollständig aus Kanalisation, Straßen und Gebäuden bestehen. Wenn im Folgenden von räumlicher Ordnung die Rede ist, dann ist diese Dimension des Raumes gemeint. Zwar werden immer wieder auch Konzepte, Wahrnehmungen und natürliche Vorgaben gestreift. Im Mittelpunkt stehen aber die von Menschen errichteten Bauten. Gerade an diesen Bauten, so die grundsätzliche Annahme, lässt sich nachzeichnen, wie sich die räumliche Ordnung der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat. Zu 3: In der historischen Forschung hat in jüngster Zeit eine vielschichtige Auffassung von Arbeit an Bedeutung gewonnen, vor allem in der Geschichte der Arbeit, die sich mehr und mehr von einer bloßen Geschichte der Industriearbeit löst.28 Das zeigt sich auch in dem Sammelband »Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitswelten«, den Knud Andresen, Ursula Bitzegeio und Jürgen Mittag im Jahr 2011 veröffentlichten. In ihrer gemeinsam verfassten Einleitung treten sie für einen »erweiterten Arbeitsbegriff«29 ein. Der »Wandel der Arbeitswelten« in den »nachindustriellen Gesellschaften Europas« mache ein neues Verständnis notwendig.30 Viele der aus der »Hochindustrialisierung« stammenden Begriffe hätten angesichts der »postmodernen Unübersichtlichkeit« an Tragfähigkeit verloren.31 Heute stelle sich die Aufgabe, sich mit der wachsenden Bedeutung von Dienstleistungen, dem erneuten Aufkommen von prekären Arbeitsverhältnissen sowie der zunehmenden Vermarktlichung und Entgrenzung zu beschäftigen. Wesentlichen Anteil an einer vielschichtigen Auffassung von Arbeit hat auch die Geschlechtergeschichte. Gerade in den letzten Jahren haben sich femi nistische Historikerinnen wieder verstärkt dem Thema zugewendet.32 Unter ihnen auch Barbara Duden, deren Aufsatz »Kontinuität oder Epochenbruch? Zeitenwende oder geschichtliche Schwelle? Zur Zeitgeschichte der Integration 28 Zur Geschichte der Arbeit siehe: Brigitta Bernet / Jakob Tanner (Hrsg.), Ausser Betrieb. Metamorphosen der Arbeit in der Schweiz, Zürich 2015; Andreas Eckert, Aspekte einer Globalgeschichte der Arbeitspolitik, in: Hans-Jürgen Burchardt (Hrsg.), Arbeit in globaler Perspektive. Facetten informeller Beschäftigung, Frankfurt am Main 2013, S. 79–96; Jürgen Kocka (Hrsg.), Work in a Modern Society. The German Historical Experience in Comparative Perspective, New York 2010; Marcel van der Linden, Workers of the World. Essays toward a Global Labor History, Leiden 2008. 29 Knud Andresen u. a., Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en) im Wandel: Problemfelder und Fragestellungen, in: dies. (Hrsg.), Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitswelten, Bonn 2011, S. 7–23, hier S. 9. 30 Ebd., S. 8. 31 Ebd. 32 Zur Geschlechtergeschichte siehe: Julia Paulus u. a. (Hrsg.), Zeitgeschichte als Geschlechtergeschichte. Neue Perspektiven auf die Bundesrepublik, Frankfurt am Main 2012; Karin Hausen, Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 2012; Monika Mattes, Krisenverliererinnen? Frauen, Arbeit und das Ende des Booms, in: Knud Andresen u. a. (Hrsg.), Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitswelten, Bonn 2011, S. 127–140.
Einleitung
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der häuslichen Ökonomie von Frauen in die formelle Ökonomie«33 im Jahr 2014 in der Zeitschrift L’Homme erschien. Darin setzt sich Duden mit der Frage auseinander, inwieweit sich die Arbeitsverhältnisse von Frauen seit den 1970ern verändert haben. Ihr besonderes Augenmerk liegt dabei auf der sich verschiebenden Grenze zwischen unbezahlten und bezahlten Tätigkeiten. Unter anderem wendet sie sich der hohen Zahl von Teilzeitbeschäftigten, der wachsenden Bedeutung des »Care-Sektors« und der weiterhin »unbezahlten Sorge- und Hausarbeit« zu.34 Sowohl die neueren Ansätze der Arbeitsgeschichte als auch die Geschlechtergeschichte bilden den Ausgangspunkt dieser Studie. Ihr liegt ein möglichst offener Begriff von Arbeit zugrunde, der die verschiedenen Tätigkeiten von Arbeitern, Angestellten, Selbstständigen, Künstlern, Kreativen und Hausfrauen umfasst. Nur mit einem solchen Verständnis, so die These, lässt sich das ganze Ausmaß der nach 1973 einsetzenden Umbrüche fassen, vor allem auch deswegen, weil damit neben industriellen Großbetrieben eine Vielzahl weiterer Arbeitsräume in den Blick gerät. In diesem Sinne beschäftigt sich die folgende Untersuchung mit Docks der Werften und Hallen des Flugzeugbaus, mit Kaischuppen und Containerterminals, mit Kaufhäusern und Einkaufspassagen, mit Großraumbüros und Internet-Startups sowie schließlich mit Arbeitsküchen und offenen Küchen. Zu 4: Im Unterschied zu älteren Ansätzen, etwa Jürgen Reuleckes »Geschichte der Urbanisierung in Deutschland«35, spielt der Begriff der »Modernisierung«36 für die heutige Stadtgeschichte kaum noch eine Rolle. Unter anderem verdeutlicht dies die Überblicksdarstellung »Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850«37, die Friedrich Lenger im Jahr 2013 veröffentlichte. Darin rückt Lenger den Begriff der »Moderne«38, den er ausgehend von den soziologischen Theorien Andreas Reckwitz’, Peter Wagners, Shmuel N. Eisenstadts und Zygmunt Baumanns entwickelt, in den Mittelpunkt seiner Konzeption.39 Gegenüber dem Begriff der Modernisierung verschiebt sich damit die Perspek33 Barbara Duden, Kontinuität oder Epochenbruch? Zeitenwende oder geschichtliche Schwelle? Zur Zeitgeschichte der Integration der häuslichen Ökonomie von Frauen in die formelle Ökonomie, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 25 (2014) H. 2, S. 103–120. 34 Ebd., S. 104 f. 35 Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt am Main 1985. 36 Ebd., S. 7. 37 Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013. 38 Ebd., S. 12. 39 Ebd., S. 11–24. Zu den theoretischen Bezügen von Friedrich Lenger siehe: Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2006; Peter Wagner, Soziologie der Moderne. Freiheit und Disziplin, Frankfurt am Main 1995; Shmuel N. Eisenstadt, Die Vielfalt der Moderne, Weilerswist 2000; Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 1992.
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Einleitung
tive. Zum einen wird das zeitliche Nacheinander, durch das die Modernisie rungstheorien entscheidend geprägt waren, von einem räumlichen Nebeneinander abgelöst. Darauf verweist insbesondere der Begriff der »multiple modernities«40, den Lenger von Eisenstadt übernimmt. Zum anderen spielt für das neue Verständnis der Moderne die Industrie kaum noch eine Rolle. Dementsprechend lockert Lenger die zuvor zentrale Verknüpfung von Urbanisierung und Industrialisierung. Zusammengenommen ermöglicht ihm dies eine neue Sicht auf die europäische Stadtgeschichte. Ihm gelingt es neben nordwesteuropäischen auch ost- und südeuropäische Städte in den Blick zu nehmen. Zudem kann er die Eigenheiten von Städten, die durch eine Urbanisierung ohne Industrialisierung gekennzeichnet sind, genauer fassen.41 Aber diese Stärke erweist sich auch als Schwäche, insbesondere im Hinblick auf die Zeit seit 1950, für die Lenger auf jede weitere Periodisierung verzichtet. Statt kurzatmiger Debatten über die Zukunft der Stadt sei es wichtig »längerfristige Entwicklungstendenzen«42 zu betonen. Doch gleichzeitig lässt sich die fehlende Unterteilung auch als Folge eines Begriffs der Moderne fassen, der sowohl das zeitliche Nacheinander als auch die Bedeutung der Industrie vernachlässigt. Demgegenüber ermöglicht ein sozialökonomischer Schwerpunkt eine klarere Gliederung der europäischen Stadtgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erst in den 1960ern und frühen 1970ern, so die grundsätzliche Annahme, erreichte die Verbindung von Industrie und Urbanität ihren Höhepunkt. Die Zechen, Stahlwerke und Werften, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden waren, prägten weiterhin zahlreiche europäische Städte.43 Zudem beruhten moderne Architektur und Stadtplanung darauf, die Organisationsprinzipien der Fabrik auf die gesamte Gesellschaft zu übertragen. Nach 1973, und das ist entscheidend, begann sich die Verbindung dann mehr und mehr aufzulösen, vom Niedergang der schwerindustriellen Städte bis hin zum Aufstieg der postmodernen Architektur. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Tobias Gerstung. In seiner Studie »Stapellauf für ein neues Zeitalter«44, die im Jahr 2016 in der Reihe »Nach dem Boom« erschien, wendet er sich der Geschichte Glasgows zu. Seit den 1970ern habe sich die schottische Industriemetropole grundsätzlich verändert. 40 41 42 43
Lenger, Metropolen der Moderne, S. 14. Ebd., S. 15. Ebd., S. 19. Zu neueren Ansätze der Industriestadtforschung siehe: Clemens Zimmermann (Hrsg.), Industrial Cities. History and Future, Frankfurt am Main 2013; Martina Heßler / Clemens Zimmermann, Einleitung. Neue Potenziale historischer Industriestadtforschung, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 43 (2012) H. 1, S. 6–14; Martina Heßler / Clemens Zimmermann, Perspektiven historischer Industriestadtforschung. Neubetrachtung eines etablierten Forschungsfeldes, in: Archiv für Sozialgeschichte 51 (2011) H. 1, S. 661–694. 44 Tobias Gerstung, Stapellauf für ein neues Zeitalter. Die Industriemetropole Glasgow im revolutionären Wandel nach dem Boom (1960–2000), Göttingen 2016.
Einleitung
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Während Industrie und Hafen jegliche Relevanz verloren hätten, seien neue Dienstleistungsbranchen in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung gerückt. Besonders klar zeige sich dies bei der Umnutzung der innerstädtischen Gewerbegebiete. An die Stelle von Werften und Kaianlagen seien dort neue Bürogebäude, teure Eigentumswohnungen und spektakuläre Kulturbauten getreten. Gleichzeitig habe sich mit der »Kreativen Stadt«45 ein zeitgemäßes Leitbild durchgesetzt. Um diese Umbrüche angemessen einordnen zu können, greift Gerstung weit zurück. Ausführlich zeichnet er die »Entstehungsbedingungen des westschottischen Industriereviers«46 nach. Mit dem Aufschwung der Stahlproduktion, des Schiffbaus und des modernen Hafens habe sich eine dauerhafte »Grundkonfiguration«47 herausgebildet, welche von 1870 bis 1970 bestanden habe. Für diesen Zeitraum lasse sich Glasgow dem »Typ der Industriehafenstadt«48 zuordnen. Auf diese Weise gelingt es Gerstung, die Tiefe des Einschnitts nach 1970 zu verdeutlichen. Mit der einsetzenden Deindustrialisierung löste sich die Struktur auf, die Glasgow in den vorangegangenen hundert Jahre bestimmt hatte. Doch zugleich überdeckt seine Typologie die Veränderungen, die sich zwischen dem späten 19. Jahrhundert und dem Nachkriegsboom vollzogen haben. Bezeichnenderweise ist für ihn der Begriff des fordistischen Produktionsregimes kein konzeptioneller Bezugspunkt.49 Aber gerade mit dem parallelen Aufstieg von Fließbandproduktion und moderner Architektur seit den 1920ern bildete sich ein neues Verhältnis von Industrie und Urbanität heraus, dass die Nachkriegsjahrzehnte maßgeblich beeinflusste. Seit 1970 verschwand deswegen nicht die Industriestadt im Allgemeinen, sondern eine bestimmte Form der Industriestadt, zu deren spezifischen Merkmalen unter anderem eine weitreichende staatliche Planung und eine umfassende soziale Absicherung gehörten. Und genau gegen diese Merkmale richteten sich die neoliberalen Ansätze, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts mehr und mehr an Gewicht gewannen.50
45 Ebd., S. 369. 46 Ebd., S. 42. 47 Ebd., S. 43. 48 Ebd., S. 21. 49 Zum Fordismus siehe: Rüdiger Hachtmann / Adelheid von Saldern, Das fordistische Jahrhundert. Eine Einleitung, in: Zeithistorische Forschungen 6 (2009) H. 2, S. 174–185; Robert Boyer / Yves Saillard (Hrsg.), Regulation Theory. The State of the Art, London 2002; Michel Aglietta, Ein neues Akkumulationsregime. Die Regulationstheorie auf dem Prüfstand, Hamburg 2000; Joachim Hirsch / Roland Roth, Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Postfordismus, Hamburg 1986. 50 Zum Neoliberalismus siehe: Philipp Ther, Der Neoliberalismus, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http://docupedia.de/zg/Ther_neoliberalismus_v1_de_2016 (13.7.2017); Thomas Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, Hamburg 2012; Philip Plickert, Wandlungen des Neoliberalismus. Eine Studie zur Entwicklung und Ausstrahlung der »Mont Pèlerin Society«, Stuttgart 2008; David Harvey, Kleine Geschichte des Neoliberalismus, Zürich 2007.
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Wenn man dieses sich wandelnde Verhältnis von Urbanität und Industrie in den Mittelpunkt stellt, dann können für die europäische Stadtgeschichte nach 1950 zwei aufeinanderfolgende Stadttypen unterschieden werden. Ein erster Typus, der in den 1960ern und frühen 1970ern seinen Höhepunkt erreichte, lässt sich als »fordistische Stadt« fassen.51 Maßgeblich sind hier die Arbeiten des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und die der Historikerin Adelheid von Saldern. Gemeinsam ist ihnen, dass sie den engen Zusammenhang zwischen industrieller Massenfertigung und modernem Städtebau betonen. Ein zweiter Typus, der sich nach 1989 verfestigt hat, kann als »neoliberale Stadt« bezeichnet werden.52 Hier sind vor allem die Überlegungen des Geographen David Harvey und die der Politikwissenschaftlerin Margit Mayer von Bedeutung. Nicht mehr die Industrie, sondern die Finanzmärkte stellen nun den entscheidenden Bezugspunkt der städtischen Entwicklung dar. Die folgende Untersuchung entleiht diese beiden Begriffe ihren jeweiligen Kontexten und verwendet sie in einem spezifischen Sinn. Sie bezeichnet mit ihnen übergreifende städtische Ordnungen, in denen wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Verhältnisse zusammenwirken. Die eingangs gestellte Frage, wie sich nach 1970 die räumliche Ordnung der Arbeitswelt in europäischen Städten gewandelt hat, kann nun genauer gefasst werden, mit einem Begriff des Strukturbruchs, der die Diskontinuität der gesellschaftlichen Entwicklung nach dem Boom hervorhebt, mit einem Konzept des Raumes, das den Schwerpunkt auf von Menschen errichtete Bauten legt, mit einem Verständnis von Arbeit, das unterschiedlichste Formen von Tätigkeiten einschließt, und mit einem Blick auf die europäischen Städte, der sich auf das sich ändernde Verhältnis von Industrie und Urbanität konzentriert. 51 Zur fordistischen Stadt siehe: Adelheid von Saldern, Fordist Elements of the Industrial City in Germany and the United States, in: Clemens Zimmermann (Hrsg.), Industrial Cities. History and Future, Frankfurt am Main 2013, S. 135–158; Adelheid von Saldern, »Alles ist möglich«. Fordismus – ein visionäres Ordnungsmodell des 20. Jahrhunderts, in: Lutz Raphael (Hrsg.), Theorien und Experimente der Moderne. Europas Gesellschaften im 20. Jahrhundert, Köln 2012, S. 155–192; Dieter Läpple u. a., Vorwort: Die Gestaltung der Raum-Zeit-Muster »postfordistischer« Stadtquartiere, in: dies. (Hrsg.), Zeiten und Räume der Stadt. Theorie und Praxis, Opladen 2010, S. 9–23; Hartmut Häußermann u. a., Stadtpolitik, Frankfurt am Main 2008, S. 135–158; Hartmut Häußermann, Sozialräumliche Polarisierung und Exklusion in der »europäischen Stadt« – Politische Chancen für eine »soziale Stadt«?, in: Friedrich Lenger / K laus Tenfelde (Hrsg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung – Entwicklung – Erosion, Köln 2006, S. 511–522. 52 Zur neoliberalen Stadt siehe: Margit Mayer, Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt, in: Sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 1 (2013) H. 1, S. 155–168; Peter Birke, »Hallo wer spricht?« Kommentar zu Margit Mayers »Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt«, in: Sub\urban. Zeitschrift für kritische Stadtforschung 1 (2013) H. 1, S. 175–179; Jason R. Hackworth, The Neoliberal City. Governance, Ideology, and Development in American Urbanism, Ithaca, 2007; David Harvey, The Neoliberal City. A Talk at Dickinson College. 1.2.2007, URL: https:// www.youtube.com/watch?v=rfd5kHb-Hc8 (9.2.2016).
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Da diese Fragestellung auf einer allgemeinen Ebene nur unzureichend beant worten werden kann, greift die folgende Abhandlung auf eine Fallstudie zurück. Anhand der Geschichte Hamburgs von 1960 bis 2008 untersucht sie das übergeordnete Thema. Dass die Wahl dabei auf diese Stadt gefallen ist, bleibt in gewisser Weise willkürlich. Auch andere europäische Großstädte wären in Betracht gekommen. Dennoch gibt es eine Reihe von Merkmalen, die für Hamburg sprechen. Zunächst seine Zweitrangigkeit. Hamburg ist weder eine nationale Hauptstadt wie Paris, deren räumliche Ordnung maßgeblich durch staatliche Institutionen bestimmt wird, noch ist sie ein globales Finanzzentrum wie London, das sich mit keiner anderen europäischen Stadt vergleichen lässt. Zudem ist Hamburg durch Wirtschaftsbranchen geprägt, die sich in den letzten Jahrzehnten besonders tiefgreifend verändert haben. Darauf verweisen die Containerisierung des Stückguthafens, der Niedergang der Werften und nicht zuletzt der Aufstieg der Kreativwirtschaft. Schließlich lassen sich auch die architektonischen Umbrüche deutlich nachvollziehen. Hamburg war Sitz der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat, deren Großsiedlungen zu den prägenden Bauten des Booms gehörten. Und auch die wesentlichen Tendenzen der zeitgenössischen Architektur haben in der Stadt ihren Ausdruck gefunden. Dies gilt vor allem für das Stadtentwicklungsprojekt der Hafencity und für die von Stararchitekten errichtete Elbphilharmonie. Der räumliche Schwerpunkt der Fallstudie liegt auf dem Gebiet des Stadtstaats. Wenn es sinnvoll erscheint, werden jedoch die Verwaltungsgrenzen überschritten. Dies gilt etwa für die Einfamilienhausgebiete, die im Umland entstanden sind, und für die städtischen Wirtschaftsplanungen, die sich bis weit in die Region erstreckt haben. Um das gesamte Ausmaß der Umbrüche nachzeichnen zu können, umfasst die Fallstudie zudem einen Zeitraum von fast fünf Jahrzehnten, vom Jahr 1960, in dem der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen war und Hafen und Schiffbau erneut an Stärke gewonnen hatten, bis zum Jahr 2008, in dem die Ausrichtung auf die globalen Finanzmärkte, die zuvor immer stärker geworden war, einen ersten Dämpfer erlitt. Für die Geschichte Hamburgs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und damit für den Zeitraum dieser Fallstudie, liegen bereits zahlreiche Untersuchungen vor. Einen Überblick bietet der von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte herausgegebene Sammelband »19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren«53. Der Band enthält insgesamt 19 Artikel, die sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Themen beschäftigen. Unter anderem wenden sie sich der Ankunft des ersten Containerschiffes im Hamburger Hafen, dem Leben in der Großsiedlung Steilshoop und der Besetzung der Hafenstraße zu. Zudem führt eine umfangreiche Auswahlbibliographie weitere wichtige Veröffentlichungen auf. Im Einzelnen wird darauf in den kommenden Kapiteln eingegangen. An dieser Stelle ist ein anderer Aspekt 53 Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012.
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des Sammelbandes von Bedeutung. Trotz der Vielzahl von Studien fehlt ein übergeordneter Rahmen, der die einzelnen Ereignisse zueinander in Bezug setzt. Das verdeutlicht die von Christoph Strupp verfasste Einleitung.54 Zwar verweist Strupp auf die Debatte über den Strukturbruch, aber eine genauere Auseinandersetzung darüber, was dies für die Geschichte Hamburgs bedeuten könnte, bleibt aus. Seinen Ausdruck findet dies auch darin, dass mit Ausnahme zweier Artikel über den Hafen keine wirtschaftlichen Themen behandelt werden. Der Niedergang des Schiffbaus bleibt sogar vollkommen unerwähnt. Auch hier ermöglicht ein sozialökonomischer Schwerpunkt, eine Leerstelle zu füllen. Ein Forschungsansatz, der auf einem solchen Schwerpunkt beruht, braucht spezifische Quellen, Quellen, die es ermöglichen, den historischen Wandel gesellschaftlicher Strukturen nachzuzeichnen. Für die westdeutsche Sozialgeschichte waren dies vor allem Statistiken.55 Und auch heute bleiben sie unverzichtbar. Viele der mit dem Strukturbruch verbundenen Veränderungen lassen sich quantifizieren. Etwas ist viel mehr oder viel weniger geworden. Zudem liegen gerade für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Erhebungen vor. Gleichzeitig ist es von zentraler Bedeutung, die Grenzen der Quantifizierung nicht aus den Augen zu verlieren. Statistiken sind nicht neutral. Wie jede andere Quelle auch sind sie durch eine bestimmte Perspektive gekennzeichnet. Sie entsprechen der Sichtweise von hohen Beamten, Managern und Politikern, in deren Auftrag sie erstellt worden sind. Sie sind unempfindlich gegenüber unerwarteten Neuerungen. Erst wenn etwas als ein Problem erkannt ist, kann es statistisch erhoben werden. Schließlich bringen sie die Vorstellung eines allmählichen Wandels hervor. Je allgemeiner die Erhebungen sind, desto langsamer scheint sich etwas zu verändern. Aber historische Neuerungen finden nicht immer gleichmäßig statt. Manche Umbrüche vollziehen sich mit rasender Geschwindigkeit in eng umgrenzten Bereichen und breiten sich dann nach und nach aus. Um diese Schwächen und Einseitigkeiten zu überwinden, sind weitere Quellen notwendig, die sich im Hinblick auf wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Strukturen auswerten lassen. Diese Quellen müssen über eine gesamtgesellschaftliche Relevanz verfügen, sie müssen über den ganzen Untersuchungszeitraum zugänglich sein und sie müssen sich, angesichts von fast fünf Jahrzehnten, mit einem vertretbaren Aufwand erschließen lassen. Das trifft für die folgenden vier Quellengruppen zu: 1. Leitbilder, 2. Architektur, 3. Dokumente sozialer Bewegungen und 4. Presseberichte. 54 Christoph Strupp, Einleitung. Die Historisierung der jüngsten Hamburger Stadtgeschichte, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 9–15. 55 Jürgen Kocka, Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft, in: Heinrich Best / Reinhard Mann (Hrsg.), Quantitative Methoden in der historisch-sozialwissenschaftlichen Forschung, Stuttgart 1977, S. 4–10.
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Zu 1: Der folgenden Abhandlung liegt ein weiter Begriff von Leitbildern zugrunde. Neben städtebaulichen Plänen fasst sie darunter auch wirtschaftspolitische Konzepte, programmatische Reden und Geschäftsberichte. Die meisten dieser Leitbilder sind durch eine große innere Vielschichtigkeit gekennzeichnet. Sie setzen sich aus Karten, Fotografien, Statistiken und sozialwissenschaftlichen Studien zusammen. Das verweist darauf, dass sie nicht von einzelnen Autoren, sondern von ganzen Planungsstäben und Arbeitsgruppen verfasst worden sind. In ihnen verständigten sich Behörden, Regierungen und Unternehmen darüber, was die zentralen gegenwärtigen Probleme waren und wie diese zukünftig gelöst werden könnten. Gerade darin bestand ihre gesellschaftliche Bedeutung. Zugleich sind Leitbilder als veröffentlichte Quellen bis in das frühe 21. Jahrhundert hinein verfügbar. Zu 2: Unter dem Oberbegriff Architektur fasst diese Untersuchung verschiedene Bauten: Fabrikhallen, Hafenanlagen, Bürogebäude, Kaufhäuser, Ladenpassagen, Wohnhochhäuser und Eigenheime. Diese Bauten werden ausdrücklich als sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Quellen begriffen. Nicht deren ästhetisches Gelingen, sondern deren gesamtgesellschaftliche Relevanz stehen im Mittelpunkt, eine Relevanz, die sich vielfach bereits aus den enormen Baukosten ergibt. Ausgehend davon werden Auftraggeber, Konstruktion, Bau und Nutzungen untersucht. Gerade letztere lassen umfangreiche Rückschlüsse zu. Von vorneherein ist jedes Gebäude auf bestimmte Nutzungen ausgerichtet. Nur unter der Bedingung, dass diese fortbestehen, bleibt auch das Gebäude erhalten. Wenn sich die Nutzungen wandeln, dann ändert sich auch das Gebäude. Es wird umgebaut, verfällt, steht leer, wird abgerissen oder durch einen Neubau ersetzt. Da Arbeit zu den wichtigsten Nutzungen gehört, verweist eine sich wandelnde Bebauung immer auch auf eine sich verändernde Arbeitswelt. Einen Zugang dazu ermöglichen Pläne, Skizzen, Fotografien, Computermodelle, Broschüren, Bücher, Architekturzeitschriften und die Gebäude selbst. Zu 3: Eine weitere wichtige Quellengruppe stellen die Dokumente sozialer Bewegungen dar. Unter sozialen Bewegungen versteht diese Studie neben Streiks, Demonstrationen und Besetzungen auch massenhafte alltägliche Praktiken und subkulturelle Strömungen. Zu den Dokumenten zählt sie Transparente, Wandbilder, Flugblätter, Filme und Fotografien. Entscheidend ist, dass diese Dokumente eine Perspektive von unten einnehmen. Damit stellen sie ein wichtiges Korrektiv zu den anderen Quellen dar. Erst wenn die von unten kommenden Widerstände und Gegenkräfte in den Blick genommen werden, lassen sich die Bedingungen fassen, unter denen hohe Beamte, Politiker und Manager ihre Entscheidungen fällen. In diesem Sinne können die Dokumente sozialer Bewegungen wesentlich zu einem genaueren Verständnis gesellschaftlicher Umbrüche beitragen. Zu 4: Schließlich greift diese Untersuchung auf Presseberichte aus dem Hamburger Abendblatt, dem Spiegel, der Zeit und dem Stern zurück. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg haben diese Zeitungen und Zeitschriften mit ihren hohen Auflagen die Öffentlichkeit beeinflusst. Zudem haben
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sie allesamt ihren Redaktionssitz in Hamburg. Ihre Bedeutung besteht deswegen nicht nur darin, dass sie in der Stadt gelesen, sondern auch darin, dass sie dort geschrieben wurden. Die Presseberichte werden in zweifacher Weise ausgewertet, in Hinblick auf zeitgenössische Deutungen und als wichtige Informationsquelle, allerdings nur punktuell. Obwohl die Zeitungen und Zeitschriften, mit Ausnahme des Sterns, über einfach zugängliche digitale Archive verfügen, ist eine fünf Jahrzehnte umfassende systematische Auswertung nicht zu leisten. Quer zu den vier Quellengruppen liegt eine Reihe übergreifender methodischer Fragen. Um Leitbilder, Flugblätter und Presseartikel einordnen zu können, ist es zunächst von zentraler Bedeutung, wie das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit gedacht wird. Auf dieses Problem hat die Diskurstheorie, in Anlehnung an Michel Foucault, eine eindeutige Antwort gefunden.56 Sprache bilde die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht ab, Sprache schaffe die Wirklichkeit. Das unterstreicht auch Philipp Sarasin, einer der wichtigsten geschichtswissenschaftlichen Vertreter des Ansatzes. Entscheidend sei, »wie Diskurse die soziale Welt des Bezeichneten in ihrer historischen Spezifität hervorbringen«57. Ausgehend von diesen Setzungen haben die Verfechter der Diskurstheorie den Umgang der Geschichtswissenschaft mit schriftlichen Quellen kritisiert. Lange Zeit seien Historiker davon ausgegangen, dass es eine einfache Entsprechung zwischen Sprache und Wirklichkeit gebe. Erst die Diskurstheorie habe hier ein angemessenes Verständnis ermöglicht. Doch selbst wenn dies zutreffend wäre, würde das bedeuten, ein reduktionistisches Modell von Sprache durch ein anderes zu ersetzen. Das eine Mal gibt es nur die Wirklichkeit, das andere Mal nur die Sprache. Um diese falsche Alternative zu überwinden, bietet sich erneut ein Rückbezug auf Reinhart Koselleck an, vor allem auf seinen Artikel »Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte«58. Koselleck setzt keine der beiden Seiten absolut. Stattdessen nimmt er »die lebendige Spannung zwischen Wirklichkeit und Begriff »59 in den Blick. Für ihn verweist Sprache sowohl auf sich selbst als auch auf außersprachliche Umbrüche. An diesem Ansatz, der eine vielschichtige Analyse schriftlicher Quellen ermöglicht, orientiert sich die folgende Abhandlung. Eine weitere methodische Frage, die für verschiedene Quellengruppen von Bedeutung ist, stellt sich beim Umgang mit Bildern. In der Geschichtswissenschaft lassen sich dabei zwei Pole ausmachen. Zum einen spielen Bilder traditionell 56 Zur Diskurstheorie in der Geschichtswissenschaft siehe: Achim Landwehr, Diskurs und Diskursgeschichte. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http://docupedia. de/zg/Diskurs_und_Diskursgeschichte (9.2.2016); Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt am Main 2003; Jürgen Martschukat (Hrsg.), Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt am Main 2002. Zum Begriff des Diskurses bei Michel Foucault siehe: Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main 1991; Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1981. 57 Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 35. 58 Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1989, S. 107–129. 59 Ebd., S. 128.
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kaum eine Rolle. Gerade viele sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Darstellungen, darunter auch Hans-Ulrich Wehlers »Deutsche Gesellschaftsgeschichte«60, kommen vollkommen ohne Abbildungen aus. Und selbst wenn Bilder verwendet werden, dann häufig als bloße Illustration. Zum anderen hat sich in den letzten Jahren mit der Visual History eine Forschungsrichtung etabliert, die sich ausschließlich mit Bildern beschäftigt.61 Einen Überblick bietet der Sammelband »Visual History. Ein Studienbuch«62, den Gerhard Paul im Jahr 2006 herausgegeben hat. In der Einleitung hebt Paul hervor, dass Bilder wichtige Quellen für »Wahrnehmungsmuster«, »Deutungsweisen« und »Medialität« seien.63 Damit begreift er die Visual History ausdrücklich als einen kulturgeschichtlichen Ansatz. Demgegenüber wählt diese Untersuchung einen Zugang, der zwischen den beiden Polen liegt. Sie nimmt Bilder als Quelle ernst, ohne sie zum eigentlichen Gegenstand zu machen. Zugleich wertet sie diese nicht nur im Hinblick auf Wahrnehmungen und Deutungen, sondern auch im Hinblick auf Prozesse und Strukturen aus. Im Mittelpunkt steht für sie das Spannungsverhältnis zwischen Bild und Wirklichkeit, sei es bei Karten in Leitbildern, bei Plänen von Gebäuden, Fotografien sozialer Bewegungen oder Karikaturen in Zeitschriften. Ein letztes übergreifendes methodisches Problem liegt in der weit verbreiteten Tendenz, den jeweils eigenen Forschungsbereich von den ihn umfassenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu trennen. Besonders ausgeprägt ist dies in der Architekturgeschichte.64 Während die Bezüge zu gesellschaftlichen Umbrüchen eher vage bleiben, stehen ästhetische Fragen im Vordergrund. Letztlich werden Pläne und Bauten als von Architekten hervorgebrachte autonome Kunstwerke begriffen. Das zeigt sich auch in Vittorio Magnago Lampugnanis zweibändigem Werk »Die Stadt im 20. Jahrhundert«65, das im Jahr 2010 mit dem bezeichnenden Untertitel »Visionen, Entwürfe, Gebautes« erschien. In Abgrenzung dazu verfolgt diese Studie einen anderen Ansatz. Sie wendet sich denjenigen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Verhältnissen zu, die bestimmte Leitbilder und Gebäude überhaupt erst möglich gemacht haben. Ihr besonderes Interesse gilt deswegen nicht dem wenigen Herausragenden, sondern dem vielen Mittelmäßigen. 60 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bundesrepublik und DDR 1949–1990. Bd. 5, München 2008. 61 Zur Visual History siehe: Gerhard Paul, Visual History. Version 3.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http://docupedia.de/zg/Visual_History (9.2.2016); Peter Burke, Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2010; Horst Bredekamp, Schlussvortrag: Bild – Akt – Geschichte, in: Clemens Wischermann u. a. (Hrsg.), Geschichtsbilder. 46. Deutscher Historikertag vom 19. bis 22. September in Konstanz. Berichtsband, Konstanz 2007, S. 289–309. 62 Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006. 63 Gerhard Paul, Von der Historischen Bildwissenschaft zur Visual History, in: ders. (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 7–36, hier S. 25. 64 Siehe in diesem Zusammenhang: Lenger, Metropolen der Moderne, S. 17. 65 Vittorio Magnago Lampugnani, Die Stadt im 20. Jahrhundert. Visionen, Entwürfe, Gebautes. Bd. I und II, Berlin 2010.
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Neben der Architekturgeschichte neigt auch die Bewegungsforschung dazu, ihren eigenen Gegenstand zu verselbstständigen.66 Unter anderem zeigt sich dies bei Ingrid Gilcher-Holtey.67 In ihren Arbeiten über die Ereignisse von 1968 schreibt die Historikerin der »kognitiven Konstitution der Bewegung«68 eine zentrale Rolle zu. Nur wenn es Intellektuellen gelinge, soziale Spannungen in Orientierungsmuster zu übersetzen, kämen soziale Bewegungen auf. Doch abgesehen von dieser intellektuellen Leistung weniger stehen bei Gilcher-Holtey Bewegung und Gesellschaft weitgehend unverbunden nebeneinander. Flugblätter und Traktate verweisen so vor allem auf sich selbst. Im Unterschied dazu beruht diese Untersuchung auf einem anderen Zugang. Sie nutzt Dokumente sozialer Bewegungen als Quelle für gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Gerade in offen ausgetragenen Konflikten, so die Annahme, werden grundlegende gesellschaftliche Kräfteverhältnisse sichtbar. Kräfteverhältnisse, die auch vor Beginn und nach Ende dieser Auseinandersetzungen die Gesellschaft prägen. Zugleich zielt diese Studie darauf ab, die Trennung zwischen Bewegungsforschung und der Geschichte der Arbeiterbewegung zu überwinden. Um die Veränderungen nach 1973 in ihrem ganzen Ausmaß fassen zu können, ist es notwendig, beides in den Blick zu nehmen, den Aufstieg der neuen sozialen Bewegungen und den Niedergang der Gewerkschaften. Ausgehend von diesen konzeptionellen Setzungen untergliedert sich die folgende Untersuchung in drei große Kapitel: »Der Boom. Hamburg von 1960 bis 1973«, »Die Krise. Hamburg von 1973 bis 1989« und »Die wachsende Stadt. Hamburg von 1989 bis 2008«. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Hochkonjunktur der 1960er und frühen 1970er. Das Zweite untersucht den Niedergang, der nach dem ersten Ölpreisschock im Jahr 1973 auch Hamburg erfasste. Das Dritte nimmt schließlich das Wiedererstarken der Stadt in den Blick, das im Jahr 1989, als der Hafen sein altes Hinterland zurückgewann, seinen Anfang nahm. Jedes der drei großen Kapitel unterteilt sich wiederum in fünf Unterkapitel. Die jeweils ersten Vier wenden sich den verschiedenen Arbeitswelten in den verschiedenen städtischen Räumen zu: der im Hafen verrichteten Transport- und Industriearbeit, der in der City vollbrachten Büroarbeit, der in den Großsiedlungen und Einfamilienhausgebieten geleisteten Hausarbeit sowie den verschiedenen Formen von Tätigkeiten, die in den Gründerzeitvierteln aufeinander folgten. In diesen Unterkapiteln steht die Auswertung der Quellen im Vordergrund. Sie sind vor allem deskriptiv. Zahlreiche Bilder und ausführliche Zitate veranschaulichen die unterschiedlichen Verhältnisse. Demgegenüber 66 Zur Bewegungsforschung siehe: Roland Roth / Dieter Rucht (Hrsg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main 2008; Karl-Werner Brand u. a., Aufbruch in eine neue Gesellschaft. Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1986. 67 Ingrid Gilcher-Holtey, Die 68er-Bewegung. Deutschland, Westeuropa, USA , München 2001; Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.), 1968 – vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998. 68 Gilcher-Holtey, Die 68er-Bewegung, S. 11.
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haben die jeweils fünften Unterkapitel einen analytischen Schwerpunkt. Unter den Überschriften »Die fordistische Stadt«, »Der Strukturbruch« und »Die neoliberale Stadt« arbeiten sie die sich wandelnden Charakteristika der räumlichen Ordnung der Arbeitswelt heraus. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei darauf, Querverbindungen zwischen den verschiedenen städtischen Räumen und Arbeitswelten sichtbar zu machen. Zu guter Letzt wendet sich das Schlusskapitel der Frage zu, inwieweit die Ergebnisse der Fallstudie auf andere europäische Städte übertragen werden können.
Erster Teil: Der Boom. Hamburg von 1960 bis 1973
1.
Die Hafen- und Industriestadt
Am Abend des 3. Februars 1961 war der Hamburger Bürgermeister Paul Nevermann am Ende seines Vortrages vor dem Übersee-Club angelangt.1 Zuvor hatte der Sozialdemokrat und gelernte Schlosser vor den versammelten Reedern, Bankiers und Industriellen noch einmal um Zustimmung für das »Gesetz über den Aufbauplan der Freien und Hansestadt Hamburg«2 geworben (Abb. 1)3. Er hatte von der Leistungsfähigkeit des Hafens und der Fabriken, von sozialem Städtebau und Hochhäusern und von den zukünftig zu erwartenden 2,2 Millionen Einwohnern gesprochen. Nun wandte er sich ein letztes Mal dem Aufbauplan zu: »Meine Damen und Herren! Abschließend ein Wort über unsere Arbeitsmethode: Die Ideen der modernen Städtebauer sind nicht schematisch auf das Papier des Aufbauplanes übertragen worden. Die Ideen mußten vorher durch das Fegefeuer der Stadtdemokratie. Sie mußten immer sehr harte Diskussionen mit allen Bevölkerungskreisen standhalten, bis sie zur Farbe in unserem Aufbauplan wurden.«4 Auch wenn die Ideen des modernen Städtebaus, wie Nevermann anmerkte, nicht schematisch auf die Stadt übertragen wurden, so waren sie doch der zentrale Ausgangspunkt. Maßgeblich verantwortlich dafür war der Oberbaudirektor Werner Hebebrand.5 Im Anschluss an Le Corbusiers »Charta von Athen«6 setzte Hebebrand der Stadt des 19. Jahrhunderts, die durch Chaos und Spekulation gekennzeichnet sei, den »PLAN DER STADT«7 entgegen. Zukünftig sollte das geordnete Nebeneinander der verschiedenen Funktionen Verkehr, Wohnen, Arbeiten und Erholung Hamburg prägen. Diese Funktionstrennung 1 Paul Nevermann, Hamburg an der Schwelle eines neuen Jahrzehnts. Gedanken über die Auswirkungen des Hamburger Aufbauplanes, in: ders. (Hrsg.), Dem Ganzen verpflichtet. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1959–1961, Hamburg 1961, S. 49–64. 2 Senat Hamburg, Gesetz über den Aufbauplan der Freien und Hansestadt Hamburg, in: Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt. Teil 1, 11 (1960) Nr. 58, S. 463–472. 3 Unabhängige Kommission für den Aufbauplan der Freien und Hansestadt Hamburg, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960 der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1967, Abbildung 1. 4 Nevermann, Hamburg an der Schwelle, S. 56. 5 Zum Städtebau in Hamburg von 1960 bis 1973 siehe: Gert Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie. Hundert Jahre Stadtgeschichte Hamburg, München 2009, S. 108–153; Dirk Meyhöfer, Hamburg. Der Architekturführer, Berlin 2007, S. 140–173; Hermann Hipp, Freie und Hansestadt Hamburg. Geschichte, Kultur und Stadtbaukunst an Elbe und Alster, Köln 1989, S. 107–116. 6 Thilo Hilpert (Hrsg.), Le Corbusiers »Charta von Athen«. Texte und Dokumente. Kritische Neuausgabe, Braunschweig 1984. 7 Ebd., S. 117.
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Der Boom. Hamburg von 1960 bis 1973
bestimmte die Gestaltung des Aufbauplans. Dessen Grundlage war eine topographische Karte, deren feines schwarzes Liniengeflecht außerhalb der Stadtgrenzen noch zu erkennen war. Innerhalb des Hamburger Stadtgebietes wurde dieses Liniengeflecht durch verschiedene Farbflächen überlagert. Jede der Farben stand für eine Funktion: rot für »Wohnbaugebiete«, lila für »Flächen für Arbeitsstätten«, schwarz schraffierte Flächen für den »Stadtkern«, grün für »Grünflächen und Außengebiete« sowie gelbe Linien für »Autobahnen«. Innerhalb der gesamten Stadt fand sich kein einziger Quadratmeter, der von den Stadtplanern der Baubehörde nicht einer bestimmten Funktion zugewiesen worden wäre. Dass verschiedene Teile der Stadt verschiedenen Funktionen zugeordnet werden sollten, war bei der Arbeit an dem Aufbauplan von vornherein festgelegt. Die konkrete Lage und die konkrete Ausdehnung war es nicht. In zahlreichen Diskussionen mit der Handelskammer, Grundeigentümervereinen und Gewerkschaften legte die Baubehörde die jeweiligen Grenzen fest. Weil der Aufbauplan durch das »Fegefeuer der Stadtdemokratie«8 gegangen war, bildeten die verschiedenen Farbflächen in ihrer Ausdehnung und Lage den Einfluss und die Macht der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ab. Dies macht den Aufbauplan zu einer zentralen Quelle für die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Hamburg um 1960. Die lilafarbenen Flächen für Arbeitsstätten dominierten das Ufer der Elbe. Sie standen für die ungebrochen große wirtschaftliche Bedeutung des Hafens. Dies galt nicht nur für Schifffahrt und Handel. Auch die Industrie war durch den Hafen geprägt: durch die importorientierte Industrie, die Rohstoffe aus Südamerika, Asien und Afrika veredelte, durch die Werften, die Schiffe für die Reedereien bauten, und durch die Erdölindustrie, die in den 1950ern massiv an Bedeutung gewonnen hatte.9 Zugleich umschloss ein Ring von roten Flächen den lila Kern. Vor allem nördlich der Elbe wies der Aufbauplan große, noch weitgehend unbebaute Flächen der äußeren Stadt als Wohnbaugebiete aus. Hier sollten in neuen Großsiedlungen zehntausende von Sozialwohnungen entstehen. Damit standen die roten und lilafarbenen Flächen des Aufbauplans für die zwei zentralen Schwerpunkte sozialdemokratischer Politik.10 Auf der 8 Nevermann, Hamburg an der Schwelle, S. 56. 9 Zur Geschichte des Hamburger Hafens von 1960 bis 1973 siehe: Christoph Strupp, Kooperation und Konkurrenz. Herausforderungen der Hamburger Hafenwirtschaftspolitik in den 1960er und 1970er Jahren, in: Zeitgeschichte in Hamburg 2011, Hamburg 2012, S. 31–54; Oliver Driesen, Welt im Fluss. Hamburgs Hafen, die HHLA und die Globalisierung, Hamburg 2010, S. 98–159; Sandra Engel / Sven Tode, Hafen Stadt Hamburg. Von der Alster an die Elbe. Hafenentwicklung im Strom der Zeit, Hamburg 2007, S. 117–136; Kurt Grobecker, Hafen Hamburg. Sechs Jahrzehnte Erfolgsgeschichte, Hamburg 20042, S. 69–126. 10 Zur Geschichte der Hamburger SPD siehe: Christel Oldenburg, Tradition und Modernität. Die Hamburger SPD von 1950–1966, Münster 2009; Arnold Sywottek, Hamburg seit 1945, in: Werner Jochmann (Hrsg.), Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner. Bd. 2, Hamburg 1986, S. 377–466.
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einen Seite war soziale Sicherheit für die SPD von entscheidender Bedeutung. Den zerstörerischen Kräften der Spekulation setzte sie die rationale, auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtete Planung entgegen. Dies zeigte sich vor allem im Wohnungsbau. Auf der anderen Seite sah die SPD in dem fortgesetzten Wachstum von Hafen und Industrie die Voraussetzung dafür, diese Ziele zu verwirklichen. Im Jahr 1960 lag die Arbeitslosigkeit bei 0,7 Prozent.11 Es herrschte Vollbeschäftigung und das sollte auch so bleiben. Im Unterschied zur übrigen Stadt unterlag der Hafen einem eigenen Planungsrecht. Federführend war hier nicht die Baubehörde, sondern die Wirtschaftsbehörde. Parallel zum Aufbauplan arbeitete sie in der Denkschrift »Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafen Hamburgs«12 ihre Überlegungen aus. Vor allem die beigefügte Karte »Das Hafenerweiterungsgebiet von 1960 und die gegenwärtige Generalplanung« gibt einen grundlegenden Überblick über den Stand der Hafenentwicklung Anfang der 1960er (Abb. 2)13. Diese Karte, die auf einem Ausschnitt aus einer Stromkarte der Elbe beruhte, war von grünen, schwarzen und roten Linien durchzogen. Die grünen Linien grenzten den Freihafen von dem Rest des Hamburger Hafens ab. Hier, im Nordosten des Hafengebiets, befand sich das Zentrum des Stückgutumschlags. Die schmalen Kaizungen und Hafenbecken waren ganz auf die schnelle Abfertigung von Stückgutfrachtern ausgerichtet. Die schwarzen Linien kennzeichneten das im Westen des Freihafens gelegene Hafenerweiterungsgebiet, das insgesamt 2.500 Hektar groß war und überwiegend aus landwirtschaftlich genutzten Marschgebieten bestand.14 Die roten Linien markierten die Lage der zukünftigen Hafenbecken, Schienenwege und Straßen. Die Größe der Hafenbecken und die Größe der dahinter liegenden Landflächen verwiesen darauf, dass sie nicht auf den Stückgutumschlag, sondern auf den Massengutumschlag ausgerichtet waren. Von 1936 bis 1958 war der Umschlag von Mineralöl, Kohle, Erz, Getreide und anderen Massengütern von 11,3 Millionen Tonnen auf 17,8 Millionen Tonnen gestiegen.15 Allein der Umschlag von Mineralöl hatte sich von 3,8 Millionen Tonnen auf 8,7 Millionen Tonnen mehr als verdoppelt.16 Angesichts der stetig wachsenden Nachfrage nach Benzin, Heizöl und Plastik rückte die Mineralölindustrie immer mehr in das Zentrum der Hafenentwicklung. Internationale Konzerne wie British Petroleum, Deutsche Shell und Esso bauten ihre Raffine riekapazitäten im Hamburger Hafen massiv aus.17 Um die Transportkosten 11 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, Hamburg 1961, S. 97. 12 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, Hamburg 1960. 13 Ebd., Anlage 2. 14 Ebd., S. 13. 15 Ebd., S. 7a. 16 Ebd. 17 Helmut Noodt, Mineralölindustrie, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1929–1953, Hamburg 1953, S. 214–217.
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zwischen den Fördergebieten im Nahen Osten und den Raffinerien in den europäischen Häfen zu senken, gaben sie zudem immer größere Tanker in Auftrag. Schon bald wurden die Industrieflächen knapp, die Hafenbecken zu klein und das Fahrwasser zu flach. 1956 beschloss die Stadt, in enger Abstimmung mit den Mineralölkonzernen, ein »Programm für den Ausbau der Tankschiffhäfen«18. Ein Jahr später bauten Mineralölkonzerne die ersten beiden neuen Hafenbecken für Tanker und die Stadt begann mit einer weiteren Elbvertiefung. Die anschwellenden Handelsströme machte die Wirtschaftsbehörde auch in ihrer Denkschrift über den Ausbau des Hafens zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen: »In dem stärkeren Anwachsen des Massengutumschlags drücken sich sowohl Strukturwandlungen in der Rohstoffversorgung Europas als auch Standortverlagerungen der europäischen Industrie aus. Die Kapazitätsausweitung der westeuropäischen Industrie […] und der dadurch erhöhte Energiebedarf haben zu einer stärkeren Verlagerung von heimischen auf überseeische Rohstoffe geführt. Dadurch haben die Seehäfen als Industriestandort an Anziehungskraft gewonnen. In allen betrachteten Häfen ist seit dem zweiten Weltkrieg die Seehafenindustrie erheblich gewachsen. Diese Strukturwandlungen drücken sich in steigenden Importüberschüssen bei Rohstoffen, Brennstoffen und Lebensmitteln aus, die durch steigende Exportüberschüsse an Maschinen, Chemikalien und anderen Industrieerzeugnissen kompensiert werden.«19 Für die Zukunft des Hafens müssten daraus die notwendigen Schlüsse gezogen werden: »Aus den Strukturwandlungen im Hafenumschlag ergeben sich drei Faktoren, die die langfristige Hafenplanung beeinflussen: a) Anpassung an das große Schiff; b) Anpassung an die Erfordernisse des Massengutumschlags c) Bereitstellung von Industriegelände am seeschifftiefen Wasser.«20 Im Jahr 1960 waren die Hafenerweiterungen, welche die Wirtschaftsbehörde plante, vollständig auf den Massengutumschlag ausgerichtet. Hamburg sollte seine Stellung als wichtiger Raffineriestandort ausbauen. Doch so beeindruckend das Wachstum des Mineralölumschlags im Hamburger Hafen für sich genommen war, so sehr ändert sich das Bild, wenn die Entwicklung in Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam und Bremen mit in den Blick genommen wird. Zusammengenommen stieg der Mineralölumschlag in allen nordwesteuropäischen Häfen von 8,4 Millionen Tonnen im Jahr 1936 auf 54,6 Millionen Tonnen im Jahr 1958.21 In dem gleichen Zeitraum, in dem sich der Mineralölumschlag im Hamburger Hafen verdoppelte, versechsfachte er sich in den nordwesteuropäischen Häfen. Die Gründe für das unterdurchschnittliche
18 Hans Laucht, Planung und Bau neuer Tankschiffhäfen in Hamburg, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 93 (1956) H. 42/43, S. 1975–1980. 19 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, S. 5. 20 Ebd., S. 6. 21 Ebd., S. 5b.
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Wachstum lagen für die Wirtschaftsbehörde auf der Hand.22 Zum einen hatte Hamburg mit der deutschen Teilung sein entlang der Elbe gelegenes Hinterland verloren. Viele der Handelsbeziehungen nach Ostdeutschland und Osteuropa waren gekappt worden. Zum anderen war der Rotterdamer Hafen im Zuge der europäischen Einigung näher an die entlang des Rheins gelegenen westdeutschen Industriegebiete gerückt. Trotz des Booms im Massengutumschlag wuchsen in der Wirtschaftsbehörde die Ängste, Hamburg könne seine Bedeutung als Welthafen verlieren. Verstärkt wurden diese Befürchtungen durch die Stagnation im Stückgutumschlag. 1958 lag der Stückgutumschlag im Hamburger Hafen erst bei 88 Prozent des Niveaus von 1936.23 Mitte der 1960er war der Aufbau der im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstörten Hafenanlagen für den Stückgutumschlag weitgehend abgeschlossen. Aus diesem Anlass veröffentlichte die Wirtschaftsbehörde die Festschrift »Hafen Hamburg 1945 bis 1965. Zwanzig Jahre Aufbau und Entwicklung«24. Darin machte sie deutlich, dass sie die ausgebombten Eisenbahnstrecken, Brücken, Kaischuppen, Kaimauern und Wasserwege nicht nur als wirtschaftliche Katastrophe wahrnahm: »Die Zerstörungen boten die einzigartige Gelegenheit sich von dem Alten, das zu einem großen Teil sogar noch aus der Zeit vor der Jahrhundertwende stammte, zu trennen und Modernes an seine Stelle zu setzen. Schon in den ersten Nachkriegsplanungen entstand die neue Konzeption für die Stückgutanlagen, die inzwischen für den Hafen charakteristisch geworden ist.«25 Diese Einschätzung untermauerte die Wirtschaftsbehörde mit einem »Vergleich zwischen dem früheren und gegenwärtigen Querschnitt durch eine Hamburger Kaizunge« (Abb. 3)26. Auf der linken Seite war der vor 1945, auf der rechten Seite der nach 1945 zu sehen. Vordergründig verwies diese Gegenüberstellung auf eine grundlegende Modernisierung der Hafenanlagen für den Stückgutumschlag. Die dreischiffigen Holzschuppen wurden durch Stahlbetonhallen abgelöst. An die Stelle der Halbportalkräne traten Vollportalkräne, die mit einer Ausladung von 25 Metern und einer Tragkraft von drei Tonnen deutlich leistungsfähiger waren als ihre Vorgänger.27 Und schließlich ordneten die Ingenieure die Verkehrsanbindung der Kaizungen neu. Indem sie 22 Zur Diskussion über das Zurückbleiben des Hamburger Hafens in den 1960ern siehe: Harald Jürgensen, Einführung zum Gutachten »Produktivitätsorientierte Regionalpolitik als Wachstumsstrategie Hamburgs«, in: ders. / A ndreas Predöhl, Produktivitätsorientierte Regionalpolitik als Wachstumsstrategie Hamburgs, Göttingen 1965, Anlage, S. 3 f. 23 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, S. 7a. 24 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg 1945 bis 1965. Zwanzig Jahre Aufbau und Entwicklung, Hamburg 1965. 25 Ebd., S. 50. 26 Ebd., S. 50 f. 27 Ebd., S. 51 f.
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die Eisenbahngleise an der Wasserseite zusammenfassten, schufen sie an der Landseite Platz für den wachsenden LKW-Verkehr. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass die Anordnung von Hafenbecken, Kaizungen und Kaischuppen in ihren Grundzügen, trotz der Zäsur des Zweiten Weltkrieges, weitgehend unverändert geblieben war. Diese Grundzüge der Hamburger Kai-Einteilung hatten sich im Zuge der Industrialisierung des Hafens herausgebildet. 1866 stellte die Stadt mit dem Sandtorhafen das erste künstliche Hafenbecken Hamburgs am nördlichen Ufer der Norderelbe fertig.28 Während vor 1866 die Handelsgüter zunächst von den großen Segelschiffen in kleinere Hafenschuten verladen werden mussten, war jetzt ein direkter Umschlag zwischen Schiff und Land möglich. Zusammen mit den Dampfschiffen und den dampfgetriebenen Hafenkränen führte dies zu einer deutlichen Beschleunigung des Hafenumschlags. In den folgenden Jahrzehnten errichtete die Stadt nach und nach weitere moderne Hafenbecken und Kaianlagen. Noch Anfang der 1960er waren die Kaischuppen, beginnend mit denen am Sandtorhafen, von 1 bis 85 durchnummeriert (Abb. 2)29. Die Kontinuität im Stückgutumschlag blieb nicht auf Ingenieursbauten beschränkt. Sie erstreckte sich auch auf Schiffe, Fahrtgebiete und Handelsgüter. Als Inbegriff moderner Stückgutfrachter galten Anfang der 1960er die Schiffe der Cap-San-Klasse. Sie waren im Auftrag der Hamburg Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft, kurz Hamburg Süd, in Hamburger und Kieler Werften für die Linienfahrt zwischen nordwesteuropäischen und südamerikanischen Häfen gebaut worden. In seinem 1962 veröffentlichten Buch »Alles über ein Schiff« beschrieb Friedrich Böer eine der ersten Fahrten eines der neuen Schiffe: »Nach einer Reise von rund siebzig Tagen kommt es von der Ostküste Südamerikas heim und bringt außer seinen Fahrgästen eine bunte Ladung mit: Aus den La-Plata-Häfen: Früchte und Fleisch, Häute, Schafwolle, Getreide, Mais, Ölkuchen und Quebracho-Extrakt; aus Santos und Rio de Janeiro: Kaffee, Baumwolle und brasilianische Halbedelsteine; aus Ilheos und Salvador: Kakao und Tabak, Sisal und Piassava. Eine Woche wird das Schiff in seinem Heimathafen in Hamburg am Kai liegen, seine Ladung löschen und neue Ladung für Übersee an Bord nehmen: Stückgut aller Art, Eisenbleche, Schienen, Röhren, Draht, Maschinen, Lastkraftwagen, Chemikalien, Düngemittel, Zement, Papier und andere Erzeugnisse der Industrie.«30 Seit ihrer Gründung im Jahr 1871 war Südamerika unverändert das wichtigste Fahrtgebiet der Reederei. Gleiches galt für die Handelsbeziehungen. Importiert wurden Rohstoffe, exportiert wurden Industrieprodukte.31 28 Driesen, Welt im Fluss, S. 36 f. 29 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, Anlage 2. 30 Friedrich Böer, Alles über ein Schiff. Eine kleine Schiffskunde, Freiburg 1962, S. 5. 31 Zu den Handelsbeziehungen, in die Hamburg gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingebunden war, siehe: Volker Plagemann (Hrsg.), Übersee. Seefahrt und Seemacht im Deutschen Kaiserreich, München 1988.
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Aber auch der Arbeitsalltag im Stückgutumschlag stand in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Trotz wichtiger technischer Neuerungen spielte harte körperliche Arbeit weiterhin eine zentrale Rolle. Dies zeigte der Querschnitt »Das Schiff löscht am Kai und nimmt neue Ladung auf«, den Friedrich Böer in seinem Buch veröffentlichte (Abb. 4)32. Am Beispiel eines Stückgutfrachters der CapSan-Klasse und des im Freihafen gelegenen Schuppens 51 stellte diese Zeichnung den Arbeitsablauf detailliert dar. Nachdem Lastkraftwagen und Güterwaggons das Stückgut auf die Kaizunge geliefert hatten, nahmen die Kaiarbeiter es dort in Empfang. Mit Hilfe von Sackkarren und Gabelstaplern sortierten sie das Stückgut und fügten es zu Hieven zusammen, die von den Vollportalkränen in die Laderäume des Schiffes gehoben wurden. In den Laderäumen des Schiffes verstauten die Schauerleute dann die einzelnen Säcke, Kisten, Ballen und Fässer. Gerade im Innern des Schiffes waren besonders viele Männer beschäftigt. Beim Laden und Löschen eines Schiffes der Cap-San-Klasse arbeiteten pro Schicht 45 bis 90 Schauerleute.33 Auch insgesamt gehörte der Stückgutumschlag zu den arbeitsintensivsten Bereichen des Hamburger Hafens. Anfang der 1960er war ein Großteil der rund 15.000 Hafenarbeiter dort beschäftigt, darunter viele ungelernte.34 Bis in die 1960er hinein war der Stückgutumschlag durch Gelegenheitsarbeit gekennzeichnet.35 Der Rhythmus der in unregelmäßigen Abständen ankommenden Schiffe bestimmte den Alltag der unständigen Hafenarbeiter. Wenn viele Schiffe ankamen, gab es viel Arbeit, wenn wenige Schiffe ankamen, wenig Arbeit. Unsicherheit gehörte zu den prägenden Erfahrungen. Die Grenzen zur Arbeitslosigkeit waren fließend. Aber diese Unsicherheit wurde nicht nur erlitten. Sie war zugleich Ausgangspunkt eines Selbstverständnisses, in dem die eigene Unabhängigkeit eine zentrale Rolle spielte. Dies verdeutlicht der Fotofilm »Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters«36, den der Schriftsteller Hubert Fichte und die Fotografin Leonore Mau im Jahr 1966 veröffentlichten. Begleitet von Fotografien erzählt eine Stimme aus dem Off von dem Alltag des 32 Böer, Alles über ein Schiff, S. 60 f. 33 Ebd. 34 Zur Zahl der Arbeiter im Hamburger Hafen im Jahr 1960: Der Jahresbericht des GHB zählte, mit ausdrücklicher Ausnahme der HHLA , 11.288 Arbeiter im Hamburger Hafen. Der Geschäftsbericht der HHLA wies 3.218 eigene Arbeiter aus. Siehe: Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft, Jahresbericht 1960, Hamburg 1960, S. 2; Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft, Geschäftsbericht für das Jahr 1960, Hamburg 1961, S. 12. 35 Zum Arbeitsalltag im Stückgutumschlag siehe: Klaus Weinhauer, Dock Labour in Hamburg. The Labour Market, the Labour Movement and Industrial Relations (1880s-1960s), in: Sam Davies u. a. (Hrsg.), Dock Workers. International Explorations in Comparativ Labour History, 1790–1970, Aldershot 2000, S. 494–519; Michael Grüttner, Arbeitswelt an der Wasserkante. Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1886–1914, Göttingen 1984; Arno Herzig / Günter Trautmann (Hrsg.), Arbeiter und technischer Wandel in der Hafenstadt Hamburg, Hamburg 1989. 36 Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters, R: Hubert Fichte / Leonore Mau, BRD 1966.
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Hafenarbeiters: »Er steht um fünf auf, – wenn der, der über ihn schreibt, ins Bett geht, wenn auch auf St. Pauli niemand mehr von der Nacht noch etwas erwartet. Er läßt seine Frau schlafen und das Kind auch. Heute ist Dienstag. Gestern lag nichts an. Das ist das Risiko. Als fester Brummer hätte er seine Arbeit sicher – aber dann kommt er ja überhaupt zu nichts mehr, nur noch arbeiten, zwei Schichten hintereinander, wenn der Stauer meint, und beim H. B. V. gibt es fünf garantierte Schichten. Aber man muß eben fünf Schichten die Woche machen. Als Unständiger hat er das Risiko, daß er keine Arbeit mehr abkriegt.«37 Mit wenigen Sätzen charakterisierte Fichte den Kern des Selbstverständnisses der Gelegenheitsarbeiter im Hafen. Das Risiko, keine Arbeit zu finden, war immer auch die Freiheit, nicht arbeiten zu müssen. Diese Ambivalenz findet sich auch in den Gesten der Hafenarbeiter, die Leonore Mau in ihren Fotografien dokumentierte. Unter anderem bei einer Gruppe von Männern, die frühmorgens vor der Dienststelle Hafen des Arbeitsamtes Hamburg auf die Zuteilung von Arbeit wartete (Abb. 5)38. Die meisten von ihnen hatten die Hände in den Hosentaschen. Zum einen verwies dies auf die erzwungene Untätigkeit des Gelegenheitsarbeiters. Zum anderen drückte sich darin eine gewisse Aufsässigkeit gegenüber bürgerlichen Vorstellungen von Haltung und Benehmen aus. Dabei war die Geste mehr als eine bloße Momentaufnahme. Sie lässt sich bis in die Fotografien von Seeleuten und Hafenarbeitern Anfang des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen.39 In ihrem Fortleben zeigte sich auch das Fortleben eines eigenen Selbstverständnisses der unständigen Hafenarbeiter. Der Fotofilm bildete nicht einfach die Haltung der unständigen Hafenarbeiter ab. In ihm kam immer auch der Blick der Künstler und Bohemiens zum Ausdruck, die in dieser Lebenseinstellung ihre eigene Ablehnung eines geregelten Tagesablaufes wiedererkannten. Nicht zufällig hatten Hubert Fichte und Leonore Mau den Hafenarbeiter, den sie in dem Fotofilm portraitierten, in der Kneipe Palette kennengelernt, die Anfang der 1960er ein beliebter Treffpunkt von Gammlern war.40 Aber auch wirtschaftsnahe Wissenschaftler wie Werner Klugmann kamen in ihren Forschungen zu ähnlichen Einschätzungen. In seiner Dissertation »Der Hamburger Hafenarbeiter. Soziale Probleme beim Güterumschlag«, die 1954 in dem Schiffahrtsverlag Hansa erschien, hieß es: »Man muß sich immer vor Augen halten, daß durch den ständigen Wechsel des Arbeitgebers jenes Moment der Unständigkeit in der Hafenarbeit wachgehalten wird, das einer radikalen Agitation Vorschub leistet, die latente Unrast fördert, die 37 Ebd., TC: 00:00:16–00:00:55. 38 Ebd., TC: 00:03:47. 39 Zu Fotografien von Seeleuten und Hafenarbeitern zu Beginn des 20. Jahrhunderts siehe: August Sander, Antlitz der Zeit. Sechzig Aufnahmen von Menschen des 20. Jahrhunderts, München 2003, Tafel 59; Michael Abendroth u. a., Vom Stauhaken zum Container. Eine vergleichende Untersuchung der tariflichen und betrieblichen Regelungen der Hafenarbeit in den norddeutschen Häfen, Stuttgart 1981, S. 51. 40 Jan-Frederik Bandel u. a., Palette revisited. Eine Kneipe und ein Roman, Hamburg 2005, S. 41–47.
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sich dann in der relativ großen Fluktuation der Arbeitskräfte äußert und allen Bestrebungen entgegenwirkt, die eine Konsolidierung der Hafenarbeiterschaft zum Ziele haben. Gerade letzteres aber scheint die psychologische Voraussetzung für eine dauerhafte Leistungssteigerung zu sein. Gewiß darf man sich keiner Täuschung hingeben über das Ausmaß an Mißtrauen, Abneigung und vielleicht sogar Resistenz, das allen Bestrebungen dieser Art auf Arbeiterseite entgegenstehen dürfte. Vor allem ist bei den Hafenarbeitern das unveränderte Vorhandensein jenes tief verwurzelten ›Freiheits‹-Begriffes zu berücksichtigen, der sich noch aus der Zeit der unständigen Beschäftigung erhalten hat. Gerade in den Gesamthafenarbeitern lebt noch das Gefühl einer gewissen Unabhängigkeit, wie es etwa auch ein freiberuflich Schaffender hat, der zwar auf die beruhigende Sicherheit eines gleichbleibenden Gehalts verzichten muß, dafür aber auch nicht das Eingespanntsein in ein festes Anstellungsverhältnis kennt.«41 Als Klugmann seine Forschungsergebnisse veröffentlichte, lag der letzte wilde Streik im Hamburger Hafen erst wenige Jahre zurück. Im Herbst 1951 hatten 5.000 Arbeiter mehr als zwei Wochen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gestreikt.42 Auch die Erinnerungen an den Hafenarbeiterstreik von 1896/97, an dem sich 17.000 Arbeiter beteiligt hatten und der elf Wochen gedauert hatte, waren weiterhin lebendig.43 Zukünftig ließen sich weitere Streiks, so Klugmanns Überzeugung, nur vermeiden, wenn es gelinge, die Gelegenheitsarbeit im Hafen dauerhaft zu überwinden: »Die festen Arbeiter der Hafeneinzelbetriebe neigen – wie sowohl von Arbeitgebern als auch von Gewerkschaftsvertretern bestätigt wird – weniger zum Kommunismus; ihre betriebliche Verbundenheit entspricht derjenigen in landfesten Unternehmen. Aus dieser Erkenntnis sollte man mit allem Nachdruck die Konsequenzen ziehen. Die Aufgabe besteht darin, die große, fluktuierende Masse der Hafenarbeiter, soweit es nur irgend möglich ist, in eine feste betriebliche Bindung zu bringen, in ihr das Gefühl der betrieblichen Zusammengehörigkeit zu stärken. Aus der ›amorphen‹ bindungslosen Zusammenballung von Arbeitskräften, die einmal hier, einmal da beschäftigt sind, muß eine in sich gegliederte Belegschaft entstehen, die zusammengehalten wird von der Treue zum gemeinsamen Betrieb.«44 Vor diesem Hintergrund war Klugmann ein entschiedener Befürworter einer besseren sozialen Absicherung. Seit Anfang der 20. Jahrhunderts hatte es immer wieder Versuche gegeben, die Gelegenheitsarbeit im Hafen zu verstetigen. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer dauerhaften Lösung. Im Jahr 1948 unterzeichneten die Hamburger Hafenunternehmen und die Gewerkschaft 41 Werner Klugmann, Der Hamburger Hafenarbeiter. Soziale Probleme beim Güterumschlag, Hamburg 1954, S. 93. 42 Zum Hafenarbeiterstreik im Jahr 1951 siehe: Gerald Sommer, Streik im Hamburger Hafen. Arbeiterprotest, Gewerkschaften und KPD, Hamburg 1981, S. 47–79. 43 Klugmann, Der Hamburger Hafenarbeiter, S. 11; Zum Hafenarbeiterstreik im Jahr 1896/97 siehe auch: Grüttner, Arbeitswelt an der Wasserkante, S. 165–175. 44 Klugmann, Der Hamburger Hafenarbeiter, S. 36 f.
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ÖTV ein »Garantielohnabkommen«.45 Drei Jahre später gründeten sie einen »Gesamthafenbetrieb«.46 Wenn Hafenunternehmen das anfallende Arbeitsaufkommen nicht mehr mit ihren fest angestellten »Hafeneinzelbetriebsarbeitern« bewältigen konnten, waren sie nun verpflichtet, auf die »Gesamthafenbetriebsarbeiter« zurückzugreifen.47 Diese waren ihrerseits bei dem Gesamthafenbetrieb fest angestellt. Unabhängig davon, ob der Gesamthafenbetrieb sie tatsächlich an andere Hafenunternehmen vermittelte, garantierte er ihnen pro Woche fünf Schichtlöhne. Dieser Garantielohn wurde durch die Gebühren finanziert, die die Hafenunternehmen an den Gesamthafenbetrieb entrichten mussten. Erst wenn alle Gesamthafenbetriebsarbeiter beschäftigt waren, konnten die Hafenunternehmen über das Arbeitsamt weitere Arbeiter anfordern. Allmählich verschwand einer der wenigen Bereiche, die noch durch Gelegenheitsarbeit gekennzeichnet waren. Auch im Hafen war Lohnarbeit nun immer häufiger mit sozialer Absicherung verbunden. Damit löste sich auch das Selbstverständnis der unständigen Hafenarbeiter nach und nach auf.
Zu den Hochburgen der Arbeiterbewegung gehörten seit langem auch die Werften. Den dortigen Verhältnissen wandte sich die IG Metall im Frühjahr 1959 in der »Arbeitstagung für die Seeschiffwerften« zu. In verschiedenen Vorträgen analysierten Gewerkschaftsfunktionäre die Situation. So auch Heinz Ruhnau, der in der Bezirksleitung Hamburg der IG Metall tätig war: »Ich möchte […] die gewerkschaftliche Arbeit in den Werftbetrieben unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Auseinandersetzung untersuchen. Die soziale Auseinandersetzung hat ihren Ursprung in den Betrieben, denn die Gegensätze in der Gesellschaft sind schließlich nur die Summe der Spannungsverhältnisse, die in den Betrieben entstehen. Unsere Aufgaben bestehen darin, ständig für die Sicherung stabiler Lebensverhältnisse unserer Mitglieder und für die Verbesserung dieser Lebensverhältnisse einzutreten. Diese Aufgaben können wir nur erfüllen, diese Ziele können wir nur durchsetzen gegen den Widerstand der Unternehmer und, in der augenblicklichen Situation, gegen den Widerstand der Regierung. Es geht um unseren Anteil an dem, was wir gemeinsam erarbeiten. Unsere Organisation ist für uns ein Hilfsmittel, um diesen Kampf zu bestehen.«48 Ruhnau ließ keinen Zweifel an der zentralen Bedeutung der Werftindustrie. Sie sei das Rückgrat der Gewerkschaften in Norddeutschland. Der Anteil der IG Metall-Mitglieder, die im Schiffbau beschäftigt seien, liege hier bei 45 Prozent.49 Zugleich wachse im Schiffbau die Bedeutung der Großbetriebe. In den acht größten norddeutschen 45 Ebd., S. 71. 46 Ebd., S. 89. 47 Ebd., S. 57 f. 48 Heinz Ruhnau, Die gewerkschaftliche Arbeit in den Werftbetrieben, in: Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Protokoll der 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften am 6. und 7. April 1959 in Hamburg, Frankfurt am Main 1959, S. 55–87, hier S. 55. 49 Ebd.
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Werften arbeiteten 60 Prozent aller Beschäftigten.50 Daraus könne die Schlussfolgerung gezogen werden, »daß in diesen Großbetrieben, die hier entstanden sind, mehr getan wird als nur Schiffe produziert, daß da auch die sozialen Bedingungen bestimmt werden, und zwar für alle Werftbetriebe, die neben diesen großen noch existieren. Und vielleicht findet man hier die These von Peter Drucker bestätigt, daß in der Zukunft in der industriellen Gesellschaft einige wenige Großbetriebe das soziale und politische Klima der Gesellschaft bestimmen werden.«51 Die Stärke der Gewerkschaften in der Werftindustrie, die Heinz Ruhnau in den Mittelpunkt seines Vortrages stellte, fand auch in den dort gezahlten Löhnen seinen Ausdruck. Von 1950 bis 1957 waren die Löhne um 80 Prozent gestiegen. Im August 1958 lag der Bruttostundenverdienst eines männlichen Arbeiters im Schiffbau bei 2,56 DM. In der gesamten Metallindustrie bezahlte nur die Automobilindustrie besser.52 Gegen Ende der 1950er gehörte Hamburg neben Emden, Bremen und Kiel zu den wichtigsten Werftstandorten an der norddeutschen Küste. Mit Blohm + Voss, der Deutschen Werft, den Howaldtswerken, Stülcken und der im Aufbau begriffenen Schlieker-Werft gab es fünf Großwerften. Gerade die Großwerften profitierten von dem Boom des Massengutumschlags. Immer häufiger erhielten sie Aufträge für Erzfrachter und Öltanker. Vor diesem Hintergrund erreichte die Zahl der Beschäftigten ihren Höchststand. Insgesamt arbeiteten im Jahr 1958 in Hamburg knapp 34.000 Menschen im Schiffbau, darunter mehr als 27.000 Arbeiter.53 Doch in den folgenden Jahren begann die Zahl der Beschäftigten allmählich zu sinken. Unter anderem wegen der sich beschleunigenden Rationalisierung.54 Lange Zeit hatten Unternehmer und Ingenieure auf der Besonderheit der Werftarbeit beharrt. Aufgrund der geringen Stückzahlen und der Sonderwünsche der Reedereien könnten die Grundsätze von Massenproduktion und Fließband nicht auf den Schiffbau übertragen werden. Dementsprechend groß war, gerade auch im Unterschied zur Automobilindustrie, die Zahl und der Einfluss von Facharbeitergruppen wie den Schiffbauern. Aber weil im Laufe der 1950er die Löhne beständig stiegen und weil in Zeiten der Vollbeschäftigung ein allgemeiner Mangel an Facharbeitern herrschte, suchten Unternehmer und Ingenieure nun intensiv nach Möglichkeiten, Facharbeiter durch an
50 Ebd., S. 57. 51 Ebd. 52 Die Lage des westdeutschen Schiffbaus zum Jahresbeginn 1959, in: Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Protokoll der 4. Arbeitstagung für die Seeschiffswerften am 6. und 7. April 1959 in Hamburg, Frankfurt am Main 1959, S. 105–129, hier S. 122. 53 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1959, Hamburg 1959, S. 117. 54 Zu den Rationalisierungen im westdeutsche Schiffbau siehe: Michael Schumann, Ratio nalisierung, Krise und Arbeiter. Eine empirische Untersuchung der Industrialisierung auf der Werft. Bd. 1, Bremen 1981.
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gelernte Arbeiter und angelernte Arbeiter durch Maschinen zu ersetzen. In der Massenfertigung von standardisierten Stahlplatten und Sektionen aus denen dann die unterschiedlichen Schiffskörper zusammengefügt wurden, sahen sie nun die Möglichkeit, die Prinzipien der Fließbandproduktion auch im Schiffbau anzuwenden. Insbesondere die Schlieker-Werft galt dabei als vorbildlich. Mehrfach nahmen Autoren der Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau und Hafen, die von Unternehmerverbänden herausgegeben wurde, auf diese Hamburger Großwerft Bezug. Schließlich veröffentlichte der belgische Werftexperte Joseph Hermann van Riet, der maßgeblich den Aufbau der Schlieker-Werft vorangetrieben hatte, selbst einen Beitrag in der Hansa.55 Detailliert beschrieb van Riet die technischen Abläufe auf der Großwerft. Eines der zentralen Themen war der »Materialfluß«.56 Die verschiedenen Hallen, in denen die Stahlplatten zurechtgeschnitten und zu Sektionen zusammengeschweißt wurden, waren durch Rollbahnen miteinander verbunden. So sollte ein möglichst reibungsloser Transport der Stahlplatten vom Materiallager bis zum Helgen gewährleistet werden. Zugleich kontrollierten nicht mehr Schiffbauer-Kolonnen, sondern Ingenieure den Transport. Joseph Hermann van Riet schrieb: »Am Nordende der Schiffbauhalle I, durch eine hohe Glaswand von der eigentlichen Halle getrennt, befindet sich das Gehirn der Schiffbauhalle, die Fertigungslenkung. Von dieser Stelle aus wird der gesamte Transport der Bleche vom Plattenlager über den Optikturm in die Halle gesteuert.«57 Neben dem Materialfluss war der Einsatz von Optik und Elektronenrechnern das zweite zentrale Thema des Artikels. Durch diese neuen Technologien konnten nun auch nicht standardisierte Arbeitsschritte von Maschinen übernommen werden. Ein besonderes Augenmerk legte van Riet dabei auf den Einsatz automatisch gesteuerter Brennschneidemaschinen. Erneut waren die Schiffbauer betroffen. Das Anzeichnen, das heißt das Übertragen der Konstruktion auf die Stahlbleche, war eine ihrer zentralen Tätigkeiten. Mit jeder automatisch gesteuerten Brennschneidemaschine verloren diese besonderen Fähigkeiten der Schiffbauer weiter an Bedeutung. Eine dieser neuen Maschinen war auf einer Fotografie zu sehen, die van Riets Artikel illustrierte (Abb. 6)58. Die »SicomatBrennmaschine«59 füllte weite Teile des Vordergrundes aus. Im Hintergrund war eine Schiffbauhalle zu erkennen. Aber obwohl die Schlieker-Werft mehrere tausend Arbeiter beschäftigte60, war die Fotografie menschenleer. Etwas mehr
55 Joseph Hermann van Riet, Der Aufbau der Schlieker Werft, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 97 (1960) H. 25/26, S. 1253–1257. 56 Ebd., S. 1253. 57 Ebd., S. 1254 f. 58 Ebd., S. 1256. 59 Ebd. 60 Ein Mann allein, in: Der Spiegel, 1.8.1962, S. 18–28, hier S. 18.
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als zehn Jahre später diskutierte die Zeitschrift Hansa bereits die japanische Vision einer »unbemannten Schiffswerft«61. Während Ingenieure und Unternehmer in der Automatisierung eine Lösung für steigende Löhne und für den Mangel an Fachkräften sahen, war die Reaktion der Gewerkschaften merklich verhaltener.62 Seit Ende der 1950er hatte sich die IG Metall in Kongressen und Resolutionen immer wieder mit den gesellschaftlichen Folgen der Automatisierung beschäftigt. Dabei schwankte sie zwischen der Bejahung des technischen Fortschritts und der Warnung vor den gesellschaftlichen Risiken. In der »Entschließung über Automation und gesellschaftlichen Fortschritt« des Ordentlichen Gewerkschaftstages im Jahr 1965 hieß es: »Der mögliche Vorteil des technischen Fortschritts ist ein besseres und sinnvolleres Leben durch: steigendes Sozialprodukt, höhere Löhne und Gehälter, wachsenden Wohlstand, kürzere Arbeitszeit, längeren Urlaub, Entlastung von körperlicher Arbeit. Die möglichen Nachteile des technischen Fortschritts sind: allgemeine Arbeitslosigkeit, strukturelle Arbeitslosigkeit, individueller Arbeitsplatzwechsel mit Entwertung beruflicher Kenntnisse und Erfahrungen, Gefährdung des sozialen Besitzstandes, geringere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und neue psychisch-nervliche Belastungen einzelner Arbeitnehmergruppen.«63 So wenig die IG Metall es als ihre Aufgabe sah, gegen den technischen Fortschritt zu kämpfen, so sehr trat sie dafür ein, den negativen Auswirkungen durch bessere Bildung, Arbeitszeitverkürzung, Mitbestimmung und eine aktive Wirtschaftspolitik entgegenzutreten. Doch obwohl Boom und Vollbeschäftigung die negativen Auswirkungen der Automatisierung zunächst überlagerten, wuchs die Angst vor der Zukunft. Darauf verwies die Zeichnung des Cartoonisten Oswin, welche die IG Metall im Jahr 1965 im Rahmen der Ausstellung »Automation – Risiko oder Chance« veröffentlichte (Abb. 7)64. Die Zeichnung zeigte eine Fabrikhalle, die nahezu vollständig von einer riesigen Maschine ausgefüllt war. Die Maschine war so groß, dass sie die verbliebenen Arbeiter an den Rand der Halle drängte. Während sie die 61 C. Boie, Gegenwartsfragen der Schiffstechnik, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 109 (1972) H. 2, S. 127–139, hier S. 128. 62 Zur Automatisierung siehe: Annette Schuhmann, Der Traum vom perfekten Unternehmen. Die Computerisierung der Arbeitswelt in der Bundesrepublik Deutschland (1950er- bis 1980er-Jahre), in: Zeithistorische Forschungen 9 (2012) H. 2, S. 231–256; Rüdiger Hachtmann, Gewerkschaften und Rationalisierung. Die 1970er-Jahre – ein Wendepunkt?, in Knud Andresen, u. a. (Hrsg.), Nach dem Strukturbruch? Kontinuität und Wandel von Arbeitswelten, Bonn 2011, S. 181–209. 63 Ordentlicher Gewerkschaftstag, Entschließung über Automation und technischen Fortschritt, in: Günter Friedrichs (Hrsg.), Automation. Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall. Bd. 2, Frankfurt am Main 1965, S. 1113–1115, hier S. 1113. 64 Günter Friedrichs (Hrsg.), Automation. Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall. Bd. 2, Frankfurt am Main 1965, S. 644 f.
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gesamte Produktion übernahm, waren die Arbeiter zur Untätigkeit verdammt. Sie lasen Zeitung, spielten Karten oder langweilten sich. Ihre Arbeitskraft spielte für die Industrie keine Rolle mehr. Gegen Ende 1965 kündigten US -amerikanische Reedereien an, zukünftig Vollcontainerschiffe für die Linienfahrt mit westeuropäischen Häfen einzusetzen.65 Dies löste großes Aufsehen aus. Zugleich blieben viele westeuropäische Reede reien skeptisch. Auf diese Ambivalenz wies der Artikel »Atlantische ContainerWellen«66 hin, den Hans Maack wenige Monate später in der Zeitschrift Hansa veröffentlichte. Maack zeichnete die Hintergründe der einsetzenden Containerisierung nach und wandte sich schließlich unter der Zwischenüberschrift »Revolution oder Evolution?« der Reaktion der westeuropäischen Reedereien zu: »Der stürmische Container-Wind, der den amerikanischen Unternehmungen vorausweht, hat sie wachsam gemacht. Vielfältig ist deutlich geworden, wie sehr die Probleme und Möglichkeiten der Containerisation Eingang in die Reedereiüberlegungen gefunden haben. Allerdings spürt man auch die Zweifel, der Entwicklung einen revolutionären Schwung geben zu können, indem man die ›Superkiste‹, die der Container ja schließlich ist, zum A und O des neuen Systems macht. Diese Zweifel offenbaren eine nach wie vor durch den Evolutionsgedanken bestimmte Grundeinstellung. Das heißt, man glaubt an einen Ausbau und nicht an einen grundlegenden Umbau des derzeitigen Transportsystems. In dieser Sicht scheint es unrealistisch, alles auf die Container-Karte zu setzen.«67 Gerade die Hamburger Reedereien und Hafenunternehmen glaubten nicht an einen grundlegenden Umbruch. Dies hatte handfeste wirtschaftliche Gründe. Soeben erst hatten sie Millionensummen in Stückgutfrachter, Vollportalkräne und Kaischuppen investiert, nun wollten sie nicht erneut viel Geld für neue Containerschiffe, Containerbrücken und Container in die Hand nehmen. Doch gleichzeitig, und dies sollte schließlich entscheidend dazu beitragen, dass sich der Container durchsetzte, wuchs schon seit Jahren die Unzufriedenheit der Reedereien mit dem bestehenden Stückgutumschlag. Die hohen Lohnkosten und die langen Liegezeiten der Schiffe schmälerten ihre Gewinne. Darauf wies auch 65 Zu den USA als Ausgangspunkt der Containerisierung siehe: Michael B. Miller, Europe and the Maritime World. A Twentieth-Century History, Cambridge 2012, S. 332–374; Alexander Klose, Die doppelte Standardisierung. Das Entstehen des Containersystems zwischen Europa und den USA , in: Gerold Ambrosius u. a. (Hrsg.), Standardisierung und Integration europäischer Verkehrsinfrastruktur in historischer Perspektive, BadenBaden 2009, S. 155–182; Marc Levinson, The Box. How the Shipping Container Made the World Smaller and the World Economy Bigger, Princeton 2006; Frank Broeze, The Globalisation of the Oceans. Containerisation from the 1950s to the Present, S. John’s 2002. 66 Hans Maack, Atlantische Container-Wellen. Das Thema der internationalen Linienfahrt, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 103 (1966) H. 7, S. 486–488. 67 Ebd., S. 487.
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Hans Maack hin: »Wenn man bedenkt, daß vor dem Kriege der Durchschnittssatz der Lade- und Löschkosten im überseeischen Linienverkehr bei 10 bis 12 % der Frachtrate lag, während er inzwischen – je nach Verkehrsgebiet – auf 30 oder 40, ja oft auf über 50 % angestiegen ist, dann ist das Streben nach Abbau dieser Ausgabenpositionen durch eine Vereinheitlichung der Ladung mittels Container und anderer Einrichtungen geradezu eine Selbstverständlichkeit.«68 Dieser Einsicht schlossen sich nach und nach immer mehr westeuropäische Reedereien und Hafenunternehmen an. Bereits seit Mai 1966 verkehrten Containerschiffe regelmäßig zwischen der nordamerikanischen Ostküste sowie Rotterdam, Bremen und dem schottischen Hafen Grangemouth.69 Schließlich lenkte auch Hamburg ein und entschied am Burchardkai ein zentrales Container-Terminal zu bauen. Im Mai 1968, und damit zwei Jahre nach Bremen, fertigte die stadteigene Hafenund Lagerhaus-Aktiengesellschaft (HHLA) mit der American Lancer das erste Vollcontainerschiff ab.70 Das Containerterminal am Burchardkai unterschied sich deutlich von den Hafenanlagen im Freihafen. Große Landflächen mit aufgestapelten Containern, Containerbrücken und Van-Carrier waren an die Stelle von Kaizungen, Voll portalkränen und Gabelstaplern getreten. Allein die Tragfähigkeit der Containerbrücken war mit 30 Tonnen zehn Mal so hoch wie die der Vollportalkräne.71 Um die wachsenden Informationsmengen zu bewältigen, hatte die HHLA zudem eine »IBM-360–20-Anlage«72 installiert. Zusammen beschleunigten Container und Großcomputer den Umschlag um ein Vielfaches. Das Laden und Löschen des Containerschiffs American Lancer dauerte nur noch eineinhalb Tage, und nicht mehr, wie bei einem Stückgutfrachter der Cap-San-Klasse sechs bis acht Tage.73 Und dies galt, obwohl die American Lancer mit einer Tragfähigkeit von knapp 21.000 Tonnen fast doppelt so groß war.74
68 Ebd. 69 Gerd Möller, Überseeischer Container-Verkehr, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 104 (1967) H. 1, S. 2–6, hier S. 2. 70 USL -Vollcontainerdienst ab Hamburg, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 105 (1968) H. 12, S. 1050–1051, hier S. 1050. Zur Containerisierung im Hamburger Hafen siehe: Christoph Strupp, Im Bann der »gefährlichen Kiste«. Wirtschaft und Politik im Hamburger Hafen, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 129–143; Janine Schemmer, Arbeitswelten im Wandel. Der Hamburger Hafen, in: Zeitgeschichte in Hamburg 2009, Hamburg 2010, S. 53–65; Abendroth, Vom Stauhaken zum Container. 71 Werner Schröder, Hamburg – ein Hafen für den modernen Stückgutverkehr, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 105 (1968) H. 19, S. 1589–1593, hier S. 1592 f. 72 W. A. Krause, Elektronische Rechenanlagen. Ihr Einsatz in Häfen und Hafenbetrieben, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 108 (1971) H. 5, S. 376–378, hier S. 376. 73 Container-Premiere im Hamburger Hafen, in: Hamburger Abendblatt, 1.6.1968, S. 19. 74 USL -Vollcontainerdienst ab Hamburg, in: Hansa, S. 1050.
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Mit diesen technischen Neuerungen verschwanden die Tätigkeiten, die den Stückgutumschlag zu einem der arbeitsintensivsten Bereiche des Hafens gemacht hatten. Dies verdeutlichte auch ein Artikel, der im Jahr 1967 im Spiegel erschien. Neben der Überschrift »Gefährliche Kiste« waren zwei Fotografien abgebildet (Abb. 8)75. Die linke Fotografie zeigte Schauerleute, die in einem Laderaum eines Stückgutfrachters Säcke zu einer Hieve zusammenbanden. Die rechte Fotografie zeigte einen Container, der von einem Kran direkt an Land gehoben wurde. Der Arbeitsschritt, den zahllose Generationen von Schauerleuten übernommen hatten, war mit einem Schlag verschwunden. Während bei der Entladung eines Stückgutfrachters pro Schicht bis zu 90 Schauerleute Arbeit fanden, waren sie für die Entladung eines Containerschiffes überflüssig.76 Doch zugleich gewannen diese nur langsam an Bedeutung. Im Jahr 1970 lag der Containerisierungsgrad im Hamburger Hafen erst bei 4,1 Prozent.77 Auch bei den Handelsströmen kündigten sich in den 1960ern tiefgreifende Veränderungen an. Schon früh wandte sich die Wirtschaftsbehörde diesen zu. So auch in dem 1965 veröffentlichten Gutachten »Produktivitätsorientierte Regionalpolitik als Wachstumsstrategie Hamburgs«78, das sie bei dem Verkehrswissenschaftler Harald Jürgensen in Auftrag gegeben hatte. In dem Gutachten, das in den folgenden Jahren zu einem der zentralen Bezugspunkte der Hamburger Wirtschaftspolitik werden sollte, hieß es: »Wie alle Welthafenstädte so liegt auch Hamburg im Überschneidungsbereich der von den weltwirtschaftlichen Gravitationszentren ausstrahlenden Kraftfelder. Diese ausgeprägt weltwirtschaftliche Orientierung der Hamburger Wirtschaft hat zur Folge, daß der gegenwärtige Wandel der Weltwirtschaft mit seinen beiden großen Antriebskräften – dem Eintritt der bisherigen Kolonialländer in den Kreis der souveränen Staaten und der im wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß zwangsläufig entstehenden Vermehrung und Verdichtung der industriellen Kerngebiete in der Welt die Hamburger Wirtschaft weit nachhaltiger beeinflußt als die binnenländischen Wirtschaftsregionen.«79 Die Folgen dieses weltwirtschaftlichen Wandels blieben, so argumentierte Jürgensen, nicht auf den Hafen beschränkt, da der Hafen auch für die Industrie »strukturprägend«80 sei. Dies gelte vor allem für die »importorientierte Industrie«81. Die importorientierte Industrie, die von der Textilindustrie bis hin zur Margarineindustrie zahlreiche Branchen umfasse, sei dadurch gekenn75 Gefährliche Kiste, in: Der Spiegel, 25.12.1967, S. 26–27, hier S. 26. 76 Böer, Alles über ein Schiff, S. 60 f. 77 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, Hamburg 19992, S. 88. 78 Harald Jürgensen / Andreas Predöhl, Produktivitätsorientierte Regionalpolitik als Wachs tumsstrategie Hamburgs, Göttingen 1965. 79 Ebd., 61. 80 Ebd., S. 28. 81 Ebd., S. 61.
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zeichnet, dass sie Rohstoffe aus Südamerika, Asien und Afrika veredele. Ihr Standort in den Hafenstädten Westeuropas und Nordamerikas beruhe dabei nicht auf wirtschaftlichen Vorteilen, sondern auf der politischen Abhängigkeit der »Entwicklungsländer«82. Von vorneherein hätten die »Mutterländer«83 die Entwicklungsländer auf die Rolle von Rohstofflieferanten beschränkt. Diese Wirtschaftsstruktur lasse sich im Anschluss an Karl Schiller mit dem Begriff der »Contra-Strukturen«84 fassen. Mit dem Ende des Kolonialzeitalters lösten sich diese Contra-Strukturen zunehmend auf: »Die beginnende Industrialisierung der ehemaligen Kolonialgebiete verkleinert zwangsläufig die Basis, auf die sich ein großer Teil der von überseeischen Rohstoffimporten abhängigen Seehafenindustrie gründet. Denn abgesehen von der Mineralölindustrie sind diese bislang als typische Seehafenindustrie angesehenen Betriebe durchweg zugleich Prototypen zentrifugaler Industrien.«85 Neben dieser akut »standortgefährdeten« Industrie müsse auch die »wachstumsbeeinträchtigte« Industrie in den Blick genommen werden.86 Dazu zähle unter anderem der Schiffbau. Auch dieser stagniere, weil neue industrielle Zentren entstanden seien. Von 1960 bis 1965 sank der Weltmarktanteil westdeutscher Werften von 10,8 Prozent auf 8,8 Prozent. Bis 1970 ging er auf 6,3 Prozent zurück.87 Zusammen mit der einsetzenden Automatisierung führte dies dazu, dass allein in Hamburg die Zahl der Beschäftigten im Schiffbau von 33.000 auf 20.000 zurückging.88 Demgegenüber vervierfachte sich der Weltmarktanteil japani scher Werften. Von 1960 bis 1970 stieg er von 12,3 Prozent auf 48,1 Prozent.89 Kostengünstige staatliche Kredite, geringere Löhne, längere Arbeitszeiten und eine effizientere Arbeitsorganisation ermöglichten es den japanischen Werften, sich auch gegen die westdeutsche Konkurrenz durchzusetzen.90 Gegen Ende des Jahrzehnts debattierte eine breitere Öffentlichkeit über die Folgen. Als Japan 1969 Westdeutschland als drittgrößte Industrienation ablöste, titelte der Spiegel: »Industriemacht Japan. Gefahr für Deutschlands Märkte.«91
82 Ebd., S. 62. 83 Ebd., S. 62. 84 Ebd., S. 62. 85 Jürgensen, Einführung zum Gutachten, S. 5. 86 Jürgensen / Predöhl, Produktivitätsorientierte Regionalpolitik, S. 64. 87 Lloyd’s Register of Shipping, Statistical Tables 1961, London 1961, S. 25; Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Shipping Statistics Yearbook 2010, Bremen 2010, S. 269. 88 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 126; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1970/71, Hamburg 1971, S. 165. 89 Lloyd’s Register of Shipping, Statistical Tables 1961, S. 25; Institut für Seeverkehrs wirtschaft und Logistik, Shipping Statistics Yearbook 2010, S. 269 f. 90 Grausam aber gut, in: Der Spiegel, 26.5.1969, S. 118–137. Zum Aufstieg der japanischen Schiffbauindustrie siehe auch: Tomohei Chida / Peter N. Davies, The Japanese Shipping and Shipbuilding Industries. A History of their Modern Growth, London 1990. 91 Industriemacht Japan, in: Der Spiegel, 26.5.1969, Titelseite.
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Im Jahr 1970 veröffentlichte der Wirtschaftssenator Helmuth Kern das »Entwicklungsmodell für die Region Unterelbe«.92 Dieses Entwicklungsmodell war eine unmittelbare Antwort auf die Diskussionen um den »relativen Wachstumsrückstand«93, welche die Hamburger Wirtschaftspolitik seit Mitte der 1960er geprägt hatten. Helmuth Kern begriff den Wachstumsrückstand als Folge einer »Unter-Industrialisierung«.94 Das im Vergleich zu anderen westdeutschen Wirtschaftszentren unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum liege daran, dass es in und um Hamburg zu wenig Industrie gebe. Während in der Stadt wichtige Industriezweige schrumpften, sei das Umland immer noch landwirtschaftlich geprägt. Dies könne nicht so bleiben. Wenn Hamburg künftig weiterwachsen und seinen Wohlstand dauerhaft sichern wolle, dann müsse es die Industrieansiedlung in der Region Unterelbe vorantreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, waren massive staatliche Investitionen vorgesehen. Neben neuen Autobahnen und Schienenwegen, einem Großflughafen in Kaltenkirchen und einem Tiefwasserhafen in Neuwerk setzte die Behörde für Wirtschaft und Verkehr auch auf den Ausbau der Energieversorgung. Die stadteigenen Hamburgischen Electrici täts-Werke (HEW) sollten zusammen mit anderen Unternehmen insgesamt zwölf Atomkraftwerke in der Region Unterelbe errichten.95 Dass sich der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik von der Stadt auf die Region verlagerte, verdeutlichte auch die beigefügte Karte »Skizze zum Wirtschafts-Entwicklungsmodell für die Region Unterelbe« (Abb. 9)96. Zwei konzentrische rote Kreise wiesen die Stadt Hamburg als »übergeordnetes Zentrum« aus. Ausgehend von diesem übergeordneten Zentrum erschlossen insgesamt sieben durch rote Linien gekennzeichnete »Entwicklungsachsen bzw. -bänder« die »Region Unterelbe«. Entlang dieser Entwicklungsbänder, die parallel zu Autobahnen und Eisenbahnlinien verliefen, sollten neue Industriebetriebe angesiedelt werden, vor allem in den kleineren Städten, die rote Punkte und Quadrate als »Förderschwerpunkte« auswiesen. Anfang der 1970er spielte staatliche Planung für die Wirtschaftspolitik des Senats eine zentrale Rolle. Dies lag nicht nur an der Dominanz der keynesianischen Wirtschaftstheorie, sondern auch an dem ungebrochen starken Einfluss von modernen Architekten und Stadtplanern. Vor allem der Begriff der »Entwicklungsachsen bzw. -bänder« verwies unmittelbar auf zentrale Debatten des modernen Städtebaus. Bereits 1919 hatte der damalige Oberbaudirektor Fritz Schumacher vorgeschlagen, Hamburg grundlegend neu zu ordnen.97 Zu92 Helmuth Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung der Region Unterelbe, Hamburg 1970. 93 Jürgensen / Predöhl, Produktivitätsorientierte Regionalpolitik, S. 48 f. 94 Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 1970, S. 22. 95 »Hier entsteht ein neuer Ruhrpott«, in: Der Spiegel, 28.10.1974, S. 49–67, hier S. 52. 96 Helmuth Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung der Region Unterelbe, Hamburg 19722, Anlage. 97 Zu Fritz Schumacher und dem Achsenplan siehe: Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 51–54; Sylvia Necker / Meik Woyke, Vom Achsenkonzept zur Metropol‑
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künftig sollte die Stadt nicht mehr in konzentrischen, um den Hafen herum gelegenen Kreisen, sondern entlang von Achsen weiterwachsen, die durch ausgedehnte Grünflächen voneinander getrennt werden sollten. Dieser Achsenplan bestimmte über den Zweiten Weltkrieg hinaus die Grundzüge der Stadtplanung. Auch eine Kommission aus Soziologen, Nationalökonomen und Städtebauern, welche die Bürgerschaft eingesetzt hatte, um den Aufbauplan zu überprüfen, knüpfte an diesen Ansatz an.98 In ihrem 1967 veröffentlichten Bericht wandte sie sich erneut der Frage zu, welche Stadtformen für ein weiteres Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung geeignet seien. Einhellig lehnte sie die »punktförmige Ballung«99 ab. Ein mehr an Industrie und Bevölkerung sei damit nicht möglich. Demgegenüber hob sie die Vorteile von »bandförmigen Lösungen« und der »Kombination mehrerer Bänder im Stern- oder Kammsystem« hervor.100 Diese könnten »additiv fortgeführt werden«101 und machten es so möglich, trotz fortgesetzten Wachstums die städtische Ordnung aufrechtzuerhalten. Gerade der in der Kommission vertretene Ernst May102, der als ehemaliger Vorgesetzter des Oberbaudirektors Werner Hebebrand und als Berater des gewerkschaftseigenen Wohnungsbauunternehmens Neue Heimat über großen Einfluss verfügte, hatte sich im Laufe seines langjährigen Wirkens immer wieder für die »Bandstadt«103 ausgesprochen, so auch in dem viel beachteten Vortrag »Der Bau neuer Städte in der U.d.S. S. R.«104, den er im Jahr 1931 auf dem Internationalen Kongress für Neues Bauen in Berlin gehalten hatte. In den Auseinandersetzungen um die »Gesamtform der sozialistischen Stadt«105 habe sich eine »Spezialform herausentwickelt, die besonders geeignet ist, mehrere so wichtige Probleme, wie die Organisierung der Industrie nach dem System der Fließbandarbeit und die Ansiedlung größerer Menschenmassen mit kürzesten Arbeitswegen zu vereinigen: die Bandstadt.«106 Diese sei so aufgebaut, »daß zunächst die Industrie aus den inneren Vorgängen der Werke entwickelt, reihenartig angeordnet ist und daß, parallel zu ihr, durch eine mehrere hundert Meter
region. Stadt- und Regionalplanung für den Großraum Hamburg seit dem Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 95 (2009) H. 1, S. 143–166, hier S. 143–147. 98 Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960. 99 Ebd., S. 47. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Ebd., S. 12. Zu Ernst Mays Wirken nach 1945 siehe: Florian Seidel, Ernst May. Städtebau und Architektur in den Jahren 1954–1970, München 2008. 103 Zu Bandstadt und modernem Städtebau siehe: Gerhard Fehl / Juan Rodriguez-Lores (Hrsg.), »Die Stadt wird in der Landschaft sein und die Landschaft in der Stadt«. Bandstadt und Bandstruktur als Leitbilder des modernen Städtebaus, Basel 1997. 104 Ernst May, Der Bau neuer Städte in der U.d.S. S. R., in: Thomas Flierl (Hrsg.), Standardstädte. Ernst May in der Sowjetunion 1930–1933. Texte und Dokumente, Berlin 2012, S. 268–288. 105 Ebd., S. 270. 106 Ebd., S. 272.
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breite Grünfläche von ihr getrennt, die Wohnstadt zu liegen kommt. […] Dieser Gedanke ist so gesund und so zwingend, daß ihm zweifellos, soweit die Generalform in Frage kommt, immer dann wenn die noch zu schildernde Form der Trabantenlösung nicht möglich ist, die Zukunft gehören wird.«107 Unterdessen setzte sich das Wachstum der Schiffsgrößen fort. Darauf wies die Broschüre »Der Trend zum Großschiff« hin, welche die Hamburger Großwerft Blohm + Voss im Jahr 1968 veröffentlichte (Abb. 10)108. Auf dem Titelblatt hoben sich zwei langgeschwungene weiße Pfeile von hellbraunen Weltmeeren und dunkelbraunen Kontinenten ab. Beide Pfeile nahmen im Nahen Osten ihren Ausgang und endeten in Nordwesteuropa. Ein dünnerer Pfeil schlängelte sich durch den Suezkanal, ein deutlich dickerer umrundete das Kap der guten Hoffnung. Entlang der beiden Pfeile waren mehrere schwarze Tanker abgebildet, kleinere entlang des Suezkanals, deutlich größere entlang des Seewegs um Afrika. Damit fasste das Titelblatt die zentralen Tendenzen zusammen, die Schiffbau und Hafen Ende der 1960er bestimmten. Vom stetigen Strom billigen Erdöls aus den Förderländern des Nahen Osten bis hin zu den immer größer werdenden Supertankern. Um diese Supertanker bauen zu können, mussten die Werften ihrerseits immer größere Helgen und Docks errichten. In Hamburg hatte dieser fortwährende Zwang zu neuen Investitionen bereits im Laufe der 1960er zu einer weitgehenden wirtschaftlichen Konzentration geführt. Mit Blohm + Voss und Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) waren, nach einer Reihe von Übernahmen und Fusionen, nur zwei der ehemals fünf Großwerften übrig geblieben. Ab 1971 verhandelten diese beiden ebenfalls über eine Fusion.109 Auch für die Hafenplanung stellte es die zentrale Herausforderung dar, sich an die wachsenden Schiffsgrößen anzupassen. Gegen Ende der 1960er waren die Grenzen des weit im Landesinnern gelegenen Hamburger Hafens unübersehbar geworden. Trotz mehrerer Elbvertiefungen konnten viele Supertanker ihn nicht mehr vollbeladen anlaufen. Zudem würde er schon bald für eine wachsende Zahl von Erzfrachtern unerreichbar werden. Angesichts dessen trat die Wirtschaftsbehörde entschieden dafür ein, einen Tiefwasserhafen zu bauen.110 Schon im Jahr 1961, als die Inseln Neuwerk und Scharhörn nach Abschluss eines Staatsvertrages mit Niedersachsen erneut Teil des Hamburger Staatsgebietes geworden waren, hatte es erste Diskussionen über einen Hafen im Elbmündungsgebiet gegeben. Nun wurden die Planungen immer konkreter. In kurzer Folge gab die 107 Ebd., S. 272 f. 108 Blohm + Voss, Der Trend zum Großschiff, Hamburg 1968, Titelblatt. 109 Zu den Fusionen Hamburger Großwerften siehe: Erik Kloberg, Werftensterben in Hamburg. Der Niedergang des Schiffbaus 1970–1988 und die Politik des Senats, Hamburg 1990, S. 36–45. 110 Zum Tiefwasserhafen Neuwerk siehe: Christoph Strupp, Kooperation und Konkurrenz; Driesen, Welt im Fluss, S. 126f; Engel / Tode, Hafen Stadt Hamburg, S. 120–122.
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Wirtschaftsbehörde eine Reihe von Forschungsberichten und Karten heraus, darunter das »Planungsmodell Tiefwasserhafen Scharhörn« (Abb. 11)111. Das Planungsmodell zeigte die beiden in der Elbmündung gelegenen Inseln Neuwerk und Scharhörn. Von dem gelb gekennzeichneten Wattgebiet, das die beiden Inseln umgab, hob sich der lila markierte Tiefwasserhafen ab. Hier war auf einer 1.200 Hektar großen, aufgespülten Landfläche ein riesiges Industriegebiet vorgesehen. Im Süden war es mit einem Damm an das mehrere Kilometer entfernte Festland angebunden. Im Norden umschloss es ein großes Hafenbecken, das unmittelbar an das mehr als 20 Meter tiefe Wasser der Nordsee angrenzte. Dieses mit dunkelblau gekennzeichnete, sehr tiefe Wasser hob sich deutlich von dem mit hellblau und weiß gekennzeichneten, flacheren Wasser in der übrigen Elbmündung ab. Angesichts der immer größer werdenden Tanker und Erzfrachter war die Nähe zu dem sehr tiefen Wasser der Nordsee entscheidender als die zur Küste und zum Ufer, auch wenn dies erforderte, das Hafengebiet aufzuspülen und einen kilometerlangen Damm zu bauen. Von vorneherein war der Tiefwasserhafen auf Schiffe mit einer Tragfähigkeit von bis zu 250.000 Tonnen ausgerichtet.112 Diese Schiffe waren fünfmal so groß wie die, die 1956 der Planung für den Ausbau des Hamburger Tankschiffhafens zugrunde gelegen hatten.113 Zugleich machte das schiere Ausmaß der aufzuspülenden Landflächen deutlich, dass der Massenguthafen vor allem als Ankerpunkt für neue Industriebetriebe gedacht war. Erdöl und Erze, so die dahinterstehende Überlegung, seien »transportkostenempfindlich«114. Deswegen sei es ein entscheidender Standortvorteil, wenn diese per Seeschiff angeliefert werden könnten. Bereits in den 1950ern und 1960ern hatten sich im Rotterdamer Hafengebiet neben Raffinerien auch viele Betriebe der Stahl- und Chemieindustrie angesiedelt. Nun wollte auch Hamburg von dem »Zug ans Meer«115 profitieren. Allein in einem »Küstenstahlwerk« sollten 20.000 Menschen Arbeit finden.116 Bereits für die erste Baustufe waren staatliche Investitionen in Höhe von 480 Millionen DM vorgesehen.117 Damit war der Tiefwasserhafen NeuwerkScharhörn ein zentraler Bestandteil des »Wirtschafts-Entwicklungsmodells für die Region Unterelbe« (Abb. 9)118. Von dem am Endpunkt eines der Entwick-
111 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen. Entwicklungsplan, Hamburg 1976, Anlage. 112 Hans Laucht, Neuwerk / Scharhörn. Industriehafen am tiefen Wasser. Stand der Vorarbeiten. Herbst 1970, Hamburg 1970, S. 63. 113 Laucht, Planung und Bau neuer Tankschiffhäfen in Hamburg, S. 1978. 114 Laucht, Neuwerk / Scharhörn, S. 53. 115 Horst-Wolfgang Bremke, Ein Hafen im Meer, in: Die Zeit, 16.4.1971, S. 27. 116 Hans Spilker, Neuwerk / Scharhörn im Blickpunkt der Tiefwasserkommission, Hamburg 1972, S. 23 f. 117 Laucht, Neuwerk / Scharhörn, S. 68. 118 Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 19722, Anlage.
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lungsbänder gelegenen Großprojekt sollte das Wachstum bis nach Hamburg zurückstrahlen. Dementsprechend groß war auch die Bedeutung, die der Wirtschaftssenator Helmuth Kern dem Tiefwasserhafen in seiner Zukunftsvision beimaß. Im Jahr 1970 schrieb er: »Man stelle sich einen Moment vor alles wäre schon geschehen: Wir wären im Jahr 2000 und näherten uns von der Nordsee kommend mit einem übergroßen und überschnellen Verkehrsflugzeug dem norddeutschen Großflughafen Kaltenkirchen. […] Unter uns herrscht reger Schiffsverkehr in und aus Richtung Elbmündung, darunter sehr große Einheiten, die weder Hamburg ansteuern noch den Nord-Ostseekanal befahren werden, deren Ziel vielmehr das Hamburger Vorhafen- und Industriegebiet Neuwerk ist. Dort war in den 70er Jahren erfolgreich die Chance genutzt worden, die natürlichen Vorzüge dieses Gebietes – bis 25 m tiefes, stabiles Fahrwasser – mit relativ geringen Mitteln für die Entwicklung eines küstennahen Industriegebietes zu aktivieren. Große Betriebe der chemischen und metallurgischen Industrie, eine große Werft sowie ein Atomkraftwerk entstanden um die alten Inseln Neuwerk und Scharhörn herum, bzw. an deren Stelle, und ein fester Damm verbindet das Gebiet mit dem benachbarten Cuxhaven und den Wirtschaftszentren des Unterelbe- und Unterweserraumes.«119 Angesichts des andauernden Wirtschaftswachstums, so fuhr der Sozialdemokrat Helmuth Kern fort, werde bis zum Jahr 2000 auch der Wohlstand der Hamburger Bevölkerung deutlich steigen. Während sie dreimal so viel verdiene, sei die Arbeitszeit um ein Drittel gesunken.120
119 Helmuth Kern, Region Unterelbe auf dem Weg in das Jahr 2000, in: Ernst Schmacke (Hrsg.), Hamburg auf dem Weg in das Jahr 2000. Prognosen, Düsseldorf 1970, S. 1–19, hier S. 1. 120 Ebd., S. 6.
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»Haben wir eine Chance dem Verkehrschaos zu begegnen?«1 Unter diesem Titel veröffentlichte der Erste Baudirektor Otto Sill im Jahr 1962 eine Denkschrift. Hintergrund war der rasant wachsende Autoverkehr.2 Das Tempo der Massenmotorisierung überraschte die Hamburger Stadtplaner. In schneller Folge mussten sie im Laufe der 1950er und 1960er ihre Voraussagen über die zukünftige Zahl der Personenkraftwagen erhöhen. In seiner Denkschrift stellte Sill die verschiedenen Prognosen vor und fasste dann zusammen: »Man rechnete für 1970 im Jahre 1954 mit 80 Personenkraftwagen auf 1.000 Einwohner, im Jahre 1955 mit 110 Personenkraftwagen auf 1.000 Einwohner, im Jahre 1958 mit 165 Personenkraftwagen auf 1.000 Einwohner, im Jahre 1961 mit 235 Personenkraftwagen auf 1.000 Einwohner. Dazu ist festzustellen, daß die Prognosen aus den Jahren 1954 und 1955 durch die bisherige Entwicklung bereits überholt sind und daß man heute auf jeden Fall mit einer Entwicklung entsprechend der Prognose von 1958 oder gar 1961 rechnen muß. Wir müssen also einem weiteren drastischen Ansteigen der Flutwelle der Personenkraftwagen entgegensehen.«3 In besonderem Maße, so fuhr Sill fort, seien die Zentren der Städte betroffen. Hauptproblem sei der Berufsverkehr: »Die meisten deutschen Städte und wohl auch die meisten europäischen Städte weisen, wie es das Beispiel Hamburgs zeigt, eine starke Ballung der Arbeitsstätten im Kerngebiet und vor allem in der Stadtmitte, also in der City auf. Die Wohnungen sind dagegen auf das ganze Kerngebiet, aber auch noch auf die Außenbezirke verteilt. In der City sind insgesamt rund 220.000 Personen beschäftigt, das sind 27 % aller in Hamburg Beschäftigten. Es wohnen dagegen in der City Hamburgs nur 22.900 Beschäftigte, das sind nur 3,1 % aller in Hamburg wohnenden Beschäftigten. Infolge dieser Stadtstruktur entstehen starke radiale Ströme des Berufsverkehrs, die von den Außenbezirken kommend zur Stadtmitte hin immer mächtiger werden.«4 In den Morgen- und Abendstunden führe dies zu Staus auf den Zufahrtsstraßen. Zudem herrsche während des Tages in der Innenstadt ein großer Mangel an Parkplätzen. Je mehr der Angestellten vom öffentlichen Nahverkehr auf das Auto umstiegen, desto unvermeidlicher werde das Verkehrschaos. Zu einem weiteren Ausbau der Schnellbahn- und U-Bahn-Linien gebe es deswegen keine Alternative. Außerdem müssten die Straßen an den wachsenden Autoverkehr 1 Otto Sill, Haben wir eine Chance dem Verkehrschaos zu begegnen?, Hamburg 1962. 2 Zu Massenmotorisierung und Stadtplanung in Hamburg siehe: Sven Bardua / Gert Kähler (Hrsg.), Die Stadt und das Auto. Wie der Verkehr Hamburg veränderte, München 2012. 3 Sill, Haben wir eine Chance dem Verkehrschaos zu begegnen?, S. 3. 4 Ebd., S. 7.
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angepasst werden. Neben leistungsfähigeren Stadtstraßen und Verkehrsknoten gehe es darum, ein »weitmaschiges Netz von Stadtautobahnen«5 zu schaffen. Auch innerhalb des Stadtgebiets sollten kreuzungsfreie, allein dem Autoverkehr vorbehaltene Straßen entstehen. Insgesamt plante die Baubehörde Stadtautobahnen mit einer Länge von 130 km.6 Grundlage dieser Planung war der 1960 verabschiedete Aufbauplan (Abb. 1)7. Das gesamte Hamburger Stadtgebiet war von gelben Linien durchzogen, die den Verlauf der zukünftigen Stadtautobahnen festlegten. Unter anderem waren Autobahntunnel unter der Elbe und unter der Außenalster vorgesehen. Während zu Beginn der 1960er das »Netz von Stadtautobahnen«8 noch nicht über die Planungsphase hinausgekommen war, befand sich ein weiteres zentrales Straßenbauvorhaben bereits kurz vor der Fertigstellung. Im Jahr 1963 schloss die Stadt die Bauarbeiten an der Ost-West-Straße ab.9 Den südlichen Teil der Innenstadt, der noch in den 1930ern durch eine dichte Bebauung und enge Straßen geprägt war, durchschnitt nun eine sechsspurige Autostraße. Nachdem im Zweiten Weltkrieg weite Teile der südlichen Innenstadt zerstört worden waren, hatten sich die Stadtplaner gegen einen Wiederaufbau entschieden. Stattdessen schufen sie eine direkte Verbindung zwischen dem Deichtor und dem Millerntor und entlasteten so die übrigen innerstädtischen Straßen. Zugleich war die Durchbruchstraße Anlass, die Bebauung der südlichen Innenstadt neu zu ordnen. Um zu verhindern, dass sich noch mehr Arbeitsplätze zusammenballten und die Pendlerströme weiter anschwollen, hatte der Aufbauplan die Bebauungsdichte bei Neubauten in der Innenstadt erheblich eingeschränkt. Innerhalb des Wallrings durfte eine Geschossflächenzahl von 2,0 nicht mehr überschritten werden.10 Diese Vorschrift trug maßgeblich zu einer neuen Gestalt der Innenstadt bei. Das hob der Oberbaudirektor Werner Hebebrand ausdrücklich hervor: »In der eigentlichen Innenstadt innerhalb des Wallrings zeichnet sich besonders an den neuen großen Durchbruchstraßen 5 Ebd., S. 18. 6 Ebd. 7 Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960, Abbildung 1. 8 Sill, Haben wir eine Chance dem Verkehrschaos zu begegnen?, S. 18. 9 Zur Ost-West-Straße siehe: Gert Kähler, Auto, Straße und Verkehr. Vom Freiheitsversprechen zum Stau, in: Sven Bardua / ders. (Hrsg.), Die Stadt und das Auto. Wie der Verkehr Hamburg veränderte, München 2012, S. 10–97, hier S. 48–57; Sylvia Necker, Verbindungsbahn oder Schneise durch die Innenstadt? Zur Geschichte der Hamburger Ost-West-Straße, in: Jörn Düwel / Michael Mönninger (Hrsg.), Zwischen Traum und Trauma. Stadtplanung und Nachkriegsmoderne, Berlin 2011, S. 173–185; Dirk Meyhöfer, Der vierte Fluß – Die Ost-West-Straße, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2010, Hamburg 2010, S. 132–139; Michael Wawoczny, Der Schnitt durch die Stadt. Planungs- und Baugeschichte der Hamburger Ost-WestStraße von 1911 bis heute, Hamburg 1996. 10 Baubehörde Hamburg, Geschossflächenzahlen. Grundlage neuzeitlicher Stadtplanung, Hamburg 1960, S. 57. Zur Definition: Multipliziert mit der Grundstücksgröße ergibt die Geschossflächenzahl die maximal zulässige Geschossfläche eines Gebäudes.
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eine völlig neue Geschäfts- und Verwaltungsbebauung ab, die nicht wie früher Parzelle an Parzelle mit sechs- bis achtgeschossigen Häusern und engen Hinterhöfen vor sich geht, sondern mit großen freistehenden Baukörpern, die genau wie die Wohnbauten von Licht und Luft umspült sind.«11 Zu den neuen Verwaltungsbauten gehörte auch der des Deutschen Rings, der im Hintergrund einer zeitgenössischen Fotografie abgebildet war (Abb. 12)12. Im Vordergrund war ein VW-Käfer zu sehen, der über eine mehrspurige Straße auf das Hochhaus zufuhr. Ausgedehnte Rasenflächen und Bäume dominierten das Bild. Nur der Turm des Michels wies darauf hin, dass diese Fotografie im Zentrum Hamburgs entstanden war. Auch der Wandel der Arbeitswelt hinterließ in der Innenstadt tiefe Spuren. Während von 1960 bis 1971 die Zahl der Arbeiter in Hamburg von 399.000 auf 304.000 zurückging, stieg die Zahl der Angestellten von 283.000 auf 330.000 an.13 Im Jahr 1971 wies der Mikrozensus des Statistischen Landesamtes erstmals mehr Angestellte als Arbeiter aus. Insbesondere die Großverwaltungen von Konzernen wuchsen mit rasanter Geschwindigkeit. Da die Nachfrage nach Büroflächen das bestehende Angebot bei weitem überstieg, entstanden innerhalb des Wallrings zahlreiche Neubauten. Vor allem das Unilever-Hochhaus, in dessen 22 Stockwerken bis zu 3.000 Beschäftigte Platz fanden, ragte unter ihnen heraus.14 Ende des Jahres 1963 zogen die Angestellten, die zuvor auf 16 verschiedene Standorte in der Hamburger Innenstadt verteilt waren, in den Neubau um.15 Neben dem Rathausturm und den Kirchtürmen prägte nun das Hochhaus eines Handelskonzerns die Silhouette der Hamburger Innenstadt. Um dem Handelskonzern den Bau des Hochhauses zu ermöglichen, hatte die Stadt eines der wenigen noch verbliebenen Gängeviertel abreißen lassen. Damit trug sie wesentlich dazu bei, die verbliebene Wohnbevölkerung aus der Innenstadt zu verdrängen. Insgesamt siedelte die Stadt knapp 700 Mietparteien und 150 Gewerbebetriebe um.16 Die Viertel der Hafenarbeiter, die sich Ende des 19. Jahrhundert über weite Teile des Stadtkerns erstreckt hatten, waren nun fast 11 Werner Hebebrand, Das Wort des Städtebauers, in: Erich Lüth (Hrsg.), Neues Hamburg XIV. Das neue Gesicht der Stadt, Hamburg 1961, S. 14–17, hier S. 15. 12 Olaf Bartels, Werner Hebebrand (1899–1966) und der Mythos der »Stunde Null«, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2009, Hamburg 2009, S. 194–205, hier S. 204. 13 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 95; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1972/1973, Hamburg 1973, S. 130. 14 Otto Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg, München 1966. Zum Unilever-Konzern siehe: Manfred Bissinger, Die Geschichte der Markenmacher. 75 Jahre Unilever in Deutschland, Hamburg 2005; Manfred Sack, Wiedergesehen: Das Unilever-Haus. Leuchtender Pfahl in der Neustadt, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2002, Hamburg 2002, S. 152–157. 15 Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg, S. 27 und S. 10. 16 Frei nach Index zwei, in: Der Spiegel, 13.3.1963, S. 45–46.
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vollständig verschwunden.17 Aber weder die Stadtplaner der Baubehörde noch die von Unilever beauftragten Architekten begriffen das als Problem. Im Gegenteil, der Abriss der Gängeviertel war für sie ein Fortschritt. Daran ließ auch die Geschäftsleitung von Unilever in ihrem Vorwort zu dem Buch »Unilever-Haus Hamburg«18 keinen Zweifel. Zustimmend zitierte sie die Tageszeitung Die Welt: Da, »wo früher der Mief Gemüt hatte und die Sünde in traulichen Fachwerkhäusern wohnte«, entstehe jetzt ein »stolzes Verwaltungsgebäude«19. Eine in dem Buch veröffentlichte Fotomontage unterstrich diese Haltung (Abb. 13)20. Sie stellte der Fotografie der bestehenden Gängeviertel die Zeichnung des zukünftigen Hochhauses gegenüber. Die Gängeviertel standen für all das, was die Mehrheit der Stadtplaner und Architekten Anfang der 1960er verachtete: Spekulation und dichte Bebauung, fehlende Planung und chaotisches Nebeneinander von Wohngebäuden und Fabriken, dunkle Wohnungen und moralische Verfehlungen. Sie standen für die zu überwindende Stadt des 19. Jahrhunderts. Demgegenüber verkörperte das Unilever-Hochhaus die moderne Stadt. Es war von Grünflächen umgeben, es war von vorneherein auf eine Funktion ausgerichtet und es war von Licht umspült. Besonders klar zeigte sich der Bruch zwischen alter und neuer Stadt in der Fassadengestaltung. Dem dunklen und unregelmäßigen Fachwerk der Gängeviertel setzten die Architekten ein kühles, gläsernes Raster entgegen. Zugleich verwies dieses Raster auf die innere Organisation des Hochhauses. Ebenso wie die Fenster beruhten auch Stühle, Schreibtische und Grundrisse der Büros auf einem Maß von 1,90 Meter.21 Grundlage dieses Maßes waren Berechnungen über die für einen Normalarbeitsplatz notwendige Fläche. Alles war standardisiert. Dies galt auch für die Büroarbeit selbst. Das hob die Geschäftsleitung des Handelskonzerns in ihrem Vorwort zu dem Buch »Unilever-Haus Hamburg« ausdrücklich hervor: »Gleichzeitig aber müssen Verwaltungsgebäude funktionell – nach Gesichtspunkten und Erfordernissen unserer heutigen industriellen Zeit – ausgerichtet sein. Der reibungslose, kostensparende Betriebsablauf fordert nicht nur für das Fließband, sondern genauso für den Büroarbeitsplatz ein Höchstmaß an Rationalisierung. Kurz gesagt: Es geht um die Eingliederung jedes Mitarbeiters in die rationale Eigengesetzlichkeit einer durchindustrialisierten Wirtschaft.«22 17 Zum Abriss der Gängeviertel und zur City-Bildung siehe: Eckhard Freiwald, Hamburgs Gängeviertel, Erfurt 2011; Gerd Dahms, Das Hamburger Gängeviertel. Unterwelt im Herzen der Großstadt, Berlin 2010; Michael Grüttner, Soziale Hygiene und soziale Kontrolle. Die Sanierung der Hamburger Gängeviertel 1892–1936, in: Arno Herzig (Hrsg.), Arbeiter in Hamburg. Unterschichten, Arbeiter und Arbeiterbewegung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, Hamburg 1983, S. 359–371. 18 Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg. 19 Ebd., S. 9. 20 Ebd., S. 14. 21 Ebd., S. 22. 22 Ebd., S. 9 f.
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Dieses Höchstmaß an Rationalisierung fand in den Großraumbüros seinen sichtbarsten Ausdruck. Insbesondere die »höhere Ausnutzung der gebauten Fläche«, die »große Anpassungsfähigkeit bei Veränderungen« und »fließende Arbeitsabläufe« boten nach Ansicht der Geschäftsleitung erhebliche Vorteile.23 Deswegen fasste sie die Routinetätigkeiten in Großraumbüros zusammen. Da sie zugleich in der »Vernachlässigung von Prestigebedürfnissen« und in der »Gefahr des Gefühls der Vermassung« deutliche Nachteile erkannte,24 gestand sie sich selbst und den Abteilungsleitern Einzelbüros zu. Diese Teilung zwischen Einzelbüros und Großraumbüros entsprach nicht nur der zwischen planenden und ausführenden Tätigkeiten. Sie entsprach auch der zwischen männlichen und weiblichen Angestellten. Dies verdeutlicht eine von Unilever veröffentlichte Fotografie eines Schreibdienstes (Abb. 14)25. Hinter den elektrischen Schreibmaschinen saßen ausschließlich Frauen. Insgesamt übernahmen 132 weibliche Angestellte in acht Großraumbüros sämtliche in der Unilever-Verwaltung anfallende Schreibarbeiten.26 Bereits Ende der 1950er hatten sich Büroplaner intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich das Schreiben rationalisieren lasse. Unter ihnen Kurd Alsleben. In einer 1958 unter dem Titel »Rationeller Schreibdienst«27 veröffentlichten Broschüre hob er hervor: »Die Schreibkräfte bestimmen heute das Arbeitstempo im Büro! Ihretwegen geht manches Angebot zu spät heraus, ihretwegen können Korrespondenten nicht zügig ›wegdiktieren‹, ihretwegen bleibt manche Arbeit – bedingt durch Verzögerungen und regelrechte ›Wartezeiten‹ – ungetan.«28 Aus diesem Grund sei es von zentraler Bedeutung, die »Rentabilität des Schreibdienstes«29 zu erhöhen. Dabei gebe es drei Ansatzpunkte. Zunächst müsse das Anschlagsvolumen durch den Verzicht auf »leere Rhetorik, falsche Formulierung, Wiederholungen, ungebräuchliche Fremdwörter«30 verringert werden, dann müsse ein möglichst großer Anteil des Schriftverkehrs durch »Standardabsätze, Standardbriefe und Standardformulierungen«31 ersetzt werden und schließlich gehe es darum, die »Leistungsfähigkeit der Schreibkräfte«32 zu steigern. Neben dem Einsatz von elektrischen Schreibmaschinen setze dies eine erhöhte Leistungsbereitschaft voraus. Ein Weg könne die Einführung des Akkordlohnes sein: »Gewiß, es sprechen viele Gründe, zum Teil offenkundiger Art, gegen eine korrekte Durchführbarkeit im Büro, wie 1. Angestelltenarbeit sei nicht zähloder meßbar; 2. kaufmännische Arbeit sei geistige Arbeit, deren Wert erst der 23 Ebd., S. 24. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 128. 26 Ebd., S. 26. 27 Kurd Alsleben u. a., Rationeller Schreibdienst, Barmstedt 1958. 28 Ebd., S. 29. 29 Ebd., S. 7 f. 30 Ebd., S. 7. 31 Ebd., S. 7 f. 32 Ebd.
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spätere Erfolg anzeige. Nun: Inzwischen sind unsere Büros größer geworden. Die Arbeitsaufgaben sind dadurch so stark geteilt worden, daß es heute eine Reihe von meßbaren Tätigkeiten gibt, darunter nicht zuletzt der Schreibdienst (soweit er von Nebenarbeiten befreit ist). Und inzwischen hat der ›Papierkrieg‹, der nun schon Jahre dauert, gezeigt, daß weitaus die meisten Arbeitsaufgaben routine- und schemamäßig abgewickelt werden können, also geistig verantwortliche Tätigkeit auf wenige Mitarbeiter beschränkt ist. Diese Erscheinungen – Rationalisierung hat ihr Auftreten beschleunigt – führen ganz eindeutig zu einer Annäherung der Büroarbeit an die Werkarbeit. Auch Angestelltentätigkeit wird jetzt kommerzialisierbar.«33 Trotz neuer Durchbruchstraßen und Hochhäuser trat die Krise der Innenstadt zu Beginn der 1960er immer offener zu Tage. Die engen Straßen des Stadtkerns waren angesichts des wachsenden Autoverkehrs hoffnungslos überlastet und in den Kontorhäusern, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für kleinere Handelsfirmen gebaut worden waren, fanden Großverwaltungen der Konzerne kaum noch Platz.34 Dies war den leitenden Angestellten international tätiger Unternehmen nicht verborgen geblieben. Um deren Vertrauen zurückzugewinnen, veröffentlichte der Senat im Jahr 1962 die mehrsprachige Broschüre »Hamburgs neue Geschäftsstadt am Stadtpark«35. Zum einen gestand er die Probleme unumwunden ein: »Wirtschaftliche Expansion, wachsender Bedarf an Dienstleistungsbetrieben – ›Tertiärer Sektor‹ – und die Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs haben die Funktionsfähigkeit der City bereits erheblich gefährdet. Jede weitere bauliche Veränderung würde den Maßstab des Alster- und Elberaumes – der das Gesicht der Hansestadt prägt – zerstören und die innerstädtischen Verkehrsschwierigkeiten ins Unerträgliche steigern.«36 Zum anderen pries der Senat die geplante City Nord als Lösung der vorhandenen Probleme an.37 Dies unterstrich eine in der Broschüre abgedruckte Fotomontage (Abb. 15)38. Ein Luftbild der bestehenden Innenstadt, das die engen Straßen und die kleinteilige Bebauung offenlegte, wurde von einem Grundriss der zukünftigen Cityerweiterung überlagert, der den Verlauf der Straßen und die Lage der Bürogebäude festlegte. Allein die Breite der Straßen und die Größe der für die Bürogebäude vorgesehenen Grundstücke machten deutlich, dass die City Nord von vorneherein auf Massenmotorisierung und Großverwaltungen ausgerichtet war. Neben den mehrspurigen Straßen und den großen Bürogebäuden waren ausgedehnte 33 Ebd., S. 38. 34 Zu Kontorhäusern siehe: Ralf Lange, Vom Kontor zum Großraumbüro. Bürohäuser und Geschäftsviertel in Hamburg 1945–1970, Königstein 1999; Hans Meyer-Veden / Hermann Hipp, Hamburger Kontorhäuser, Berlin 1988. 35 Senat Hamburg, Hamburgs neue Geschäftsstadt am Stadtpark, Hamburg 1962. 36 Ebd., S. 8. 37 Zur City Nord siehe: Sylvia Soggia, City Nord. Europas Modellstadt der Moderne, München 2009. 38 Senat Hamburg, Hamburgs neue Geschäftsstadt, S. 26.
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Grünflächen ein weiteres prägendes Merkmal der City Nord. Diese im Grundriss weiß schraffierten Flächen sollten der Erholung der Angestellten und der Repräsentation der ansässigen Unternehmen dienen. Auch an diesem Punkt stellte die City Nord einen offenen Gegenentwurf zur bestehenden, steinernen Innenstadt dar. Bereits seit Ende der 1950er hatte die Baubehörde über eine neue Geschäftsstadt nachgedacht.39 Diese Überlegungen fanden schließlich Eingang in den Aufbauplan, der ein nördlich des Stadtparks gelegenes stadteigenes Gelände zur Bebauung freigab. Nun begann die Baubehörde das Vorhaben zu verwirklichen. Sie warb bei Konzernen für Bürobauten, trat in Kaufverhandlungen um Grundstücke ein und konkretisierte die Planungen. Insgesamt sollten auf dem 120 Hektar großen Gelände 30 bis 40 Büro- und Geschäftshäuser mit rund 35.000 Arbeitsplätzen entstehen.40 Die Mindestgröße der zum Kauf angebotenen Grundstücke betrug im Regelfall 8.000 Quadratmeter.41 Zudem schrieb die Baubehörde in den Kaufverträgen mit den Konzernen weitere Auflagen fest. Mehr als ein Drittel des Grundstückes musste begrünt, Garagen mussten errichtet und ein Bauwettbewerb abgehalten werden. Schließlich durfte die Geschossflächenzahl von 1,5 nicht überschritten werden.42 Demgegenüber blieb die genaue Gestaltung der Bürogebäude den Konzernen vorbehalten. Die äußere Gestalt der Neubauten sollte durch die Erfordernisse der inneren Organisation bestimmt werden. Darauf wies der bei der Baubehörde tätige Gerhard Dreier hin: »Es kann nicht die Aufgabe der Stadtplanung sein, nach ästhetischen Gesichtspunkten Baukörperstellungen festzulegen und damit vielleicht einen ›modernen‹ Lageplan vorzutäuschen, dem sich die einzelnen Bauherren mit ihren Wünschen dann anzupassen haben. Die Vielfalt möglicher Bürohausformen, die unterschiedlichen organisatorischen und funktionellen Vorstellungen des Bauherrn, die noch in den Anfängen steckende Mechanisierung des Bürobetriebs mit noch größtenteils unbekannten Entwicklungsmöglichkeiten läßt sich nur in Zusammenarbeit zwischen Bauherrn, Stadtplanung und Architekt in ein brauchbares Konzept bringen.«43 Von 1964 bis 1971 errichteten die Claudius Peters AG, die VerwaltungsBerufsgenossenschaft, die Hamburgische Landesbank, die Farbwerke Hoechst, die Esso Deutschland, die Hamburgischen Electricitäts-Werke, die Landesversicherungsanstalt, die Nova-Versicherung sowie die Benzin und Petroleum AG neue Bürogebäude in der City Nord.44 Nach Abschluss dieses ersten Bau39 Christian Farenholtz u. a., Die Geschäftsstadt Hamburg Nord. Ein Zwischenbericht, in: Bauwelt 55 (1964) H. 51/52, S. 275–290. 40 Senat Hamburg, Hamburgs neue Geschäftsstadt, S. 11. 41 Gerhard Dreier, Geschäftsstadt Nord, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1954–1968, Hamburg 1969, S. 251–259, hier S. 253. 42 Senat Hamburg, Hamburgs neue Geschäftsstadt, S. 17 f. 43 Dreier, Geschäftsstadt Nord, S. 258 f. 44 Gerhard Dreier, Die City Nord in Hamburg. Ein Erfahrungsbericht, in: Bauwelt 64 (1973) H. 24, S. 133–136, hier S. 135.
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abschnitts führte die Baubehörde eine Befragung unter den Unternehmen durch.45 Mit dem Umzug in die City Nord, so das Ergebnis, hatte sich die Zahl der von diesen Unternehmen genutzten Bürogebäude von insgesamt 64 auf insgesamt acht verringert.46 Zugleich stieg die genutzte Bürofläche von 100.000 auf 150.000 Quadratmeter an.47 Die Expansion der Konzernverwaltungen setzte sich fort, auch über den Wallring hinaus. Im Juni 1966 war die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als eines der ersten Unternehmen in die City Nord gezogen.48 Ihr neu errichteter Bürobau setzte sich aus drei Teilen zusammen. Einem frei stehenden Kasinogebäude, in dem sich die Hausmeisterwohnung und die Kantine befanden, einem langgestreckten Gebäude, in dem zwei »Bürogroßräume des Typs 1« untergebracht waren, und einem Scheibenhochhaus, das Platz für fünf Räume des »Bürogroßraumtyps 2« bot.49 Herkömmliche Einzelbüros waren nicht vorhanden. Von der Geschäftsführung über Abteilungsleiter bis hin zu Sachbearbeitern und Schreibkräften arbeiteten alle Angestellten der Verwaltungsberufsgenossenschaft nun in Großraumbüros. Wesentlichen Anteil daran hatte Kurd Alsleben, der als Fachberater die Planung begleitete. In einem Artikel, den er 1967 in der Zeitschrift Das Rationelle Büro veröffentlichte, beschrieb Alsleben detailliert die innere Organisation des neuen Bürogebäudes.50 Vor allem durch ihre Größe würden sich die beiden Bürogroßräume voneinander unterscheiden. Typ 1 sei 69 Meter lang und 24,65 Meter breit.51 Typ 2 sei mit einer Länge von 51,50 Metern und einer Breite von 21,50 Metern etwas kleiner.52 Dennoch wirke sich dies »noch nicht nachteilig aus«53. Weiterhin sei es möglich, die Arbeitsgruppen ohne jede Einschränkung auf der Bürofläche anzuordnen. Grundlage sei die »Flächenbedarfsrechnung« nach der »Methode Alsleben«.54 Abhängig von zwölf verschiedenen »Arbeitsplatztypen«55 schwanke die Zahl der Angestellten je Großraumbüro zwischen 59 und 109.56 Dabei gehe es immer auch darum, optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Neben Klimaanlagen, künstlicher Beleuchtung und schall schluckenden Decken sei es von besonderer Wichtigkeit, die Großraumbüros als 45 Ebd., S. 136. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Kurd Alsleben, Das Großraumgebäude der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in der Hamburger City Nord, in: Das Rationelle Büro 18 (1967) H. 3, S. 24–28, hier S. 25 f. 49 Ebd., S. 26. 50 Ebd. 51 Ebd. 52 Ebd., S. 26 f. 53 Ebd. 54 Ebd., S. 25. 55 Ebd. 56 Ebd., S. 26 f.
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»Bürolandschaften«57 zu gestalten. Durch die »Illusion der subjektiven Räume«58 könne das Wohlbefinden und damit die Leistungsbereitschaft der Angestellten gesteigert werden. Vor allem mit der »Hamburger Wand«, einem mit farbig bedruckten Stoffen bespanntem Stellwandsystem, und durch den »Hamburger Trog«, einem dreieckigen Pflanzenkübel, sei dieses Ziel in den Großraumbüros der Verwaltungsberufsgenossenschaft erreicht worden.59 Zusammen mit dem Organisationsteam Schnelle prägte Kurd Alsleben die Gestaltung von Großraumbüros in der City Nord.60 Und auch über die City Nord hinaus galten die »Bürolandschaften« als vorbildlich. Dies machte Axel Boje in seiner 1968 veröffentlichten Überblicksdarstellung »Das GrossraumBüro«61 deutlich. Unter ausdrücklichem Verweis auf Kurd Alsleben bezeichnete er die »Bürolandschaft« als »bislang optimale Gestaltungsform des Büro-Großraumes«.62 Ebenso wie Alsleben war Boje ein ausdrücklicher Verfechter dieser Neuerung. In langen Listen stellte er die Vorteile von Großraumbüros den Nachteilen von Einzelbüros gegenüber. Unter anderem führte er niedrigere Kosten, eine höhere Flexibilität und eine »bessere Voraussetzung für die Schaffung von Fließbandabläufen«63 an. Zugleich wandte er sich den andauernden Vorbehalten zu. Während Planer und Organisatoren Großraumbüros fast einhellig befürworteten, lehnten die betroffenen Angestellten sie nahezu geschlossen ab: »Heftig und störend treten die vor und nach Bezug eines Großraum-Büros machtvoll erhobenen und psychologisch begründeten Einwände auf. Darauf muß sich jeder Bauherr und Büroraumplaner präparieren. Die vor und nach Bezug des Großraum-Büros erhobenen Einwände sind so vielfältig, wie die Anlässe zu menschlicher Unzufriedenheit überhaupt nur sein können. Man vernimmt ein unerschöpfliches Arsenal unfreundlicher Vokabeln, wie z. B. ›unpersönlicher Massensaal‹; ›amerikanische Atmosphäre‹; ›man sitzt im Glaskasten‹; ›man wird ständig kontrolliert‹; ›Konservenluft‹; ›peinliches Miterleben häßlicher Auseinandersetzungen zwischen Vorgegebenen und Untergebenen oder zwischen Kollegen‹; ›Radfahrer setzen sich in Szene‹; ›man hat das Gefühl im Bunker oder in der S-Bahn zu sitzen‹; ›ich komme mir vor wie strafversetzt‹; ›menschlich ist der Wechsel vom Einzel- in das Großraum-Büro ein Prestige- und Autoritätsverlust‹; ›ich würde zu meinen Studienkollegen nicht sagen, daß ich in einem Großraum-Büro sitze‹; ›man ist nur noch eine Nummer‹; ›die Distanz zu den Damen ist dahin, das ist auch durch den Nußbaum-Schreibtisch nicht behoben, man behandelt 57 Ebd., S. 27 f. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Zu Großraumbüros in der City Nord siehe: Soggia, City Nord, S. 77–83; Lange, Vom Kontor zum Großraumbüro. 61 Axel Boje, Das Grossraum-Büro. Merkmale – Einrichtung – Wirtschaftlichkeit, München 1968. 62 Ebd., S. 10. 63 Ebd., S. 80 f.
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mich wie ihresgleichen‹; und vieles andere mehr.«64 Trotz ihrer Vielschichtigkeit kamen die Einwände immer wieder auf den gleichen Punkt zurück. In ihnen drückte sich ein weit verbreitetes Unbehagen über die sich verändernde eigene soziale Stellung aus. Angesichts der wachsenden Zahl der Angestellten, dem zunehmende Einsatz von Büromaschinen und der Zusammenfassung in Großraumbüros näherten sich die Arbeitsbedingungen der Großverwaltungen zunehmend denen der Werkhallen an. Doch damit nicht genug. Während sich die Arbeitsbedingungen der Angestellten verschlechterten, verbesserten sich die Entlohnung und die soziale Absicherung der Arbeiter deutlich. Die einst so klare Hierarchie zwischen Angestellten und Arbeitern löste sich mehr und mehr auf. Bereits 1962 hatte Rolf Spaethen, der Vorsitzende der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG), im Spiegel diese Befürchtung ausgesprochen: »Wir können uns nicht länger damit abfinden, sozial nivelliert zu werden.«65 Auch eine Karikatur, mit der das Nachrichtenmagazin seine Titelgeschichte über den DAG Vorsitzenden illustrierte, verwies auf diese Angst der Angestellten (Abb. 16)66. Eine riesige Fabrik füllte fast das gesamte Bild aus. Von links trat ein Mann, den seine untersetzte Statur, sein Kittel und seine Mütze als Arbeiter kennzeichneten, auf ein Fließband, um sich von diesem auf die gegenüberliegende Seite transportieren zu lassen. Nachdem ein Kran einen Sack mit der Aufschrift Ehre auf das Fließband gehoben hatte, verließ er dort freudestrahlend die Fabrik. Seine schlanke Statur, sein Anzug und sein Hut wiesen ihn nun als Angestellten aus. Darunter stand anklagend: »Fabrikation von Angestellten h / c«67 Jeder, so die Befürchtung, schien nun Angestellter werden zu können. Demgegenüber waren die Forderungen der DAG darauf ausgerichtet den sozialen Abstand zwischen Arbeitern und Angestellten wiederherzustellen. Unter anderem durch eine längere Lohnfortzahlung, höhere Renten und einen Steuerfreibetrag für angemessene Kleidung. Für diese Forderungen warb sie mit dem Slogan: »Wir schneidern dem Angestellten den neuen sozialen Maßanzug.«68 Im Jahr 1968 zogen 1.800 Angestellte der Esso AG in die City Nord.69 Zuvor waren sie in verschiedenen über die Innenstadt verstreuten Gebäuden untergebracht. Das neue »Esso-Haus«70 in der City Nord bestand aus einem Flachbau und einem dahinterliegenden vierflügeligen Hochhaus. In dessen dreizehn Stockwerken waren sowohl Einzelbüros als auch Großraumbüros untergebracht.71 Die Einzelbüros befanden sich in den schmalen Nord- und Südflügeln, die Großraumbüros in den kompakteren Ost- und Westflügeln. Zahlreiche 64 Ebd., S. 71 f. 65 Weiße Kragen, in: Der Spiegel, 27.6.1962, S. 24–34, hier S. 24. 66 Ebd., S. 26. 67 Ebd. 68 Ebd., S. 34. 69 Esso A. G., Das Esso-Haus, Hamburg 1969, S. 2 f. 70 Ebd. 71 Ebd.
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Rolltreppen erschlossen das vollklimatisierte Gebäude. Aber vor allem das Rechenzentrum setzte Maßstäbe. Darauf wies die Esso AG ausdrücklich hin. In einer Selbstdarstellung aus dem Jahr 1969 machte sie deutlich: »Das neue Verwaltungsgebäude der Esso A. G. verfügt über eines der größten Rechenzentren der deutschen Industrie. Im Mittelpunkt steht eine neue Großrechenanlage IBM 360/65 mit 10 Bandeinheiten, einem Großraumplattenspeicher und drei Schnelldruckern. Die Ausstattung der Anlage ermöglicht es, mehrere Aufgaben gleichzeitig abzuwickeln. Sie wird für Planrechnungen und technische Berechnungen genauso herangezogen wie für statistische Auswertungen und Verwaltungsarbeiten.«72 Auch auf einer Fotografie war dieses Rechenzentrum zu sehen (Abb. 17)73. Der Großrechner füllte einen gesamten Büroraum aus, an den verschiedenen Ein- und Ausgabegeräten saßen und standen zahlreiche mit Anzügen bekleidete Angestellte und im Vordergrund war der Schriftzug IBM zu erkennen. Nachdem die Esso AG bereits 1958 den ersten Großcomputer in Hamburg eingesetzt hatte, gehörte sie auch in den folgenden Jahren zu den Vorreitern der Automatisierung.74 Angesichts dessen machte der Spiegel sie in einer Titelgeschichte über »Elektronenroboter«75, die im Jahr 1965 erschien, zu einem der Aufhänger. Fasziniert beschrieb das Nachrichtenmagazin die Geschwindigkeit, mit der ein Großrechner die detaillierten Geschäftspläne der Esso AG errechnete, und fuhr fort: »Der kalkulierende Roboter in Hamburg gehört zur Vorhut einer rasch wachsenden Armee von westdeutschen Elektronenrechnern. Wie bei der Automation in den Werkshallen, so verdrängen auch in den Büroetagen die Drahtgehirne mehr und mehr menschliche Arbeitskraft. Mit einer Geschwindigkeit von 300.000 Kilometern in der Sekunde erledigen Stromimpulse in Augenblicken, woran die Fakturistin, der bilanzsichere Buchhalter oder selbst die Lochkartenmaschine stundenlang rechnen.«76 Mit dem Einzug der Großrechner in die Büros kündigten sich tiefgreifende Veränderungen des Arbeitsalltags an. Wenigen Spezialisten in den Rechenzentren stand eine wachsende Zahl von Sachbearbeitern gegenüber, deren Qualifikationen entwertet wurden. Das Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft prognostizierte eine »Polarisierung: unten Ameisen, oben Braintrust«77. Vor allem der US -amerikanische Konzern International Business Machines (IBM) gewann mehr und mehr an Bedeutung. Mit dem IBM 360 war es ihm im Jahr 1964 gelungen, den weltweiten Standard für Großcomputer zu setzen.78 72 Ebd., S. 18. 73 Ebd., S. 18 f. 74 Sieg der Mikrosekunde, in: Der Spiegel, 26.5.1965, S. 52–66, hier S. 58. 75 Ebd. 76 Ebd., S. 52. 77 Ebd., S. 62. 78 Zu Großcomputern und IBM siehe: Martin Campbell-Kelly u. a., Computer. A History of the Information Machine, Boulder 20143, S. 119–142; Schuhmann, Der Traum vom perfekten Unternehmen; James W. Cortada, The Digital Flood. The Diffusion of Information Technology Across the U. S., Europe and Asia, Oxford 2012.
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Zeitweise lag sein Marktanteil in Westdeutschland bei über 70 Prozent.79 Vor diesem Hintergrund baute IBM Standorte in verschiedenen westdeutschen Städten auf, darunter auch in Hamburg. Im Jahr 1967 zog der Konzern in ein an der Ost-West-Straße errichtetes Hochhaus. In dessen siebzehn Stockwerken arbeiteten gegen Ende des Jahrzehnts um die 800 Angestellte.80 Auch die Hochschulen wuchsen mit großer Geschwindigkeit. Darauf wies die Broschüre »Erfahrungen beim Aufbau und Ausbau der Universität Hamburg« hin, welche die Pressestelle des Senats im Jahr 1963 veröffentlichte.81 Auf dem Bucheinband war eine Fotografie des Campus abgedruckt (Abb. 18)82. Links im Vordergrund stand eine Gruppe von Studenten, die zu diesem Zeitpunkt noch Anzüge trugen. Dahinter waren das Auditorium Maximum, das über einen Hörsaal mit 2.000 Sitzplätzen verfügte, und das Hochhaus der Philosophischen Fakultät, das vierzehn Stockwerke hoch war, zu erkennen.83 Beide Neubauten waren eine unmittelbare Reaktion auf die schnell steigende Zahl der Studenten. Nachdem diese im Jahr 1955 mit 8.000 einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte, arbeitete der Senat einen Rahmenplan aus, der insgesamt 50 Neubauten vorsah.84 Im Zuge eines Sofortprogramms, das jährliche Investitionen in Höhe von elf Millionen DM umfasste, sollten die dringlichsten Neubauten verwirklicht werden.85 Schon drei Jahre später mussten die Planungen überarbeitet werden, da nun bereits 11.000 Studenten eingeschrieben waren.86 Der »Bauliche Entwicklungsplan 1958–1964« verdoppelte die jährlichen Investitionen auf 25,5 Millionen DM.87 Aber auch er wurde schnell von der Wirklichkeit überholt. Im Jahr 1963 konstatierte die Baubehörde: »Trotz reger Bautätigkeit nimmt die 79 Heinz Michaels, Die Superschnellen, in: Die Zeit, 10.7.1970, S. 25. 80 Mindestens sechs Stunden am Tag, in: Hamburger Abendblatt, 9.7.1970, S. 7. Zum IBMHochhaus siehe: Ulrich Cornehl, »Raummassagen«. Der Architekt Werner Kallmorgen 1902–1979, Hamburg 2003, S. 378–380. 81 Hans von Heppe, Erfahrungen beim Aufbau und Ausbau der Universität Hamburg, Hamburg 1963. Zur Universität Hamburg siehe: Rainer Nicolaysen, »Frei soll die Lehre sein und frei das Lernen«. Zur Geschichte der Hamburger Universität, Hamburg 2008; Eckhart Krause, Auf von Melles Wiese: Universität zwischen Aufklärung und Barbarei, in: Jürgen Lüthje (Hrsg.), Universität im Herzen der Stadt. Eine Festschrift für Dr. Hannelore und Prof. Dr. Helmut Greve, Hamburg 2002, S. 34–69; Michael Holtmann, Die Universität Hamburg in ihrer Stadt. Bauten, Orte und Visionen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Hamburg 2009; Silke Jendrowiak, Der Forschung – Der Lehre – Der Bildung. Hamburg und seine Universität, Hamburg 1994. 82 Heppe, Erfahrungen beim Aufbau, Bucheinband. 83 Baubehörde Hamburg, Die Neubauten der Universität Hamburg, Hamburg 1962, o. S. 84 Senat Hamburg, Bauplanung für die Universität Hamburg, Hamburg 1955, S. 10f und S. 19–27. 85 Ebd., S. 33. 86 Universität Hamburg, Baulicher Entwicklungsplan 1958–1964 auf der Grundlage des Sonderprogrammes 1958–1960 und des Sofortprogrammes von 1955, Hamburg 1958, S. 3. 87 Ebd., S. 6–8.
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Raumnot immer groteskere Formen an. […] so ist bereits jetzt, 2 Jahre vor Ablauf des baulichen Entwicklungsplanes 58–64, nicht mehr zu übersehen, daß der ungeheure und unvorhersehbare Zustrom der Studenten sowie die dynamische Entwicklung zahlreicher Disziplinen die bisherigen Planungen sprengten.«88 Auch der Wissenschaftsrat wandte sich den rasch steigenden Studentenzahlen zu. In seinen Empfehlungen, die er im Jahr 1960 veröffentlichte, lehnte er es ausdrücklich ab, die Studentenzahlen zu beschränken. Stattdessen sprach er sich für einen weiteren Ausbau der Universitäten aus. Maßgeblich war für ihn die Berufsfreiheit: »Die Bundesrepublik muß als demokratisches Gemeinwesen ihre Bildungseinrichtungen so erweitern, daß sie dem Bedürfnis aller Volksschichten nach wissenschaftlicher Ausbildung entsprechen.«89 Zudem verwies er darauf, dass in der Bundesrepublik die Nachfrage nach Akademikern wachse: »Als hochindustrialisiertes Land kann sie nicht den Notwendigkeiten ausweichen, die sich aus der wissenschaftlich-technischen Entwicklung ergeben; diese verlangt mehr wissenschaftlich ausgebildetes Personal in Wirtschaft und Verwaltung.«90 Die Gefahr »eines akademischen Proletariats«91 bestehe nicht. Dies sah der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) grundsätzlich anders. In seiner Denkschrift »Hochschule in der Demokratie«92, die er im Jahr 1961 erstmals veröffentlichte, verwies er darauf, dass sich die gesellschaftliche Stellung der Studenten grundsätzlich verändert habe: »Seitdem die Hochschule nicht mehr ein ›Raum spielerischer Muße‹ und ›zweckfreier‹ Forschung ist, sondern zunehmend als ein ›Betrieb‹ im Zusammenhang des gesamtgesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsprozesses anwendbare Forschungsergebnisse und einsetzbare, fachwissenschaftlich qualifizierte Arbeitskraft produziert, ist auch der Student faktisch ein junger intellektueller Arbeiter, der im Arbeits prozess der Wissenschaft ausgebildet wird. Die Arbeit des Studenten besteht darin, an der Herstellung seiner eigenen wissenschaftlich qualifizierten Arbeitskraft für den Beruf sowie – in vermittelter Weise – an der Ausbildung anderer Studenten und an der Vorbereitung und Erarbeitung von Forschungsergebnissen mitzuarbeiten. Er ist funktional gesehen in einer ähnlichen Position wie ein Lehrling oder ein junger Arbeiter in der Fabrikausbildung.«93 Im Laufe der 1960er strömten immer mehr Studenten an die Universitäten. Bis zum Jahr 1970 erhöhte sich ihre Zahl allein in Hamburg auf 29.000.94 Vor
88 Baubehörde Hamburg, Universität Hamburg 1962. Eine Untersuchung zur Vorbereitung eines Entwicklungsplanes, Hamburg 1963, S. 1. 89 Wissenschaftsrat, Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau wissenschaftlicher Einrichtungen. Teil 1. Wissenschaftliche Hochschulen, Tübingen 1960, S. 49 f. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 50. 92 Sozialistischer Deutscher Studentenbund, SDS -Hochschuldenkschrift. Nachdruck der 2. durchgesehenen Auflage von 1965, Frankfurt am Main 1972. 93 Ebd., S. 133. 94 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 45.
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diesem Hintergrund spitzten sich die Auseinandersetzungen zu. Viele Studenten begannen nun sich als Arbeiter zu begreifen. In einer Titelgeschichte über die Studentenbewegung, die im Jahr 1969 erschien, konstatierte der Spiegel: »Mit einer Vehemenz, die den Wohlstandsbürgern unfaßlich war, entluden sich studentische Enttäuschungen und Aggressionen. Schmährufe gegen Professoren und Steine gegen Springer-Fenster, Rektoratsbesetzungen und Straßenschlachten, Streiks in Instituten und Provokationen vor Gericht – das waren untrügliche Zeichen dafür, daß zum ersten Male in diesem Jahrhundert eine Studentengeneration links von der etablierten Gesellschaft stand. Dies zu bewirken, bedurfte es eines weltweiten jugendlichen Aufbegehrens gegen die vermutete Öde einer Industriegesellschaft, die – so sahen es die Studenten – Hochschulen als Fließbandfabriken zur Herstellung von Fachidioten unterhält; bedurfte es einer reformunwilligen Universität, in der sich die Studenten mancherorts – so der Tübinger Pharmakologe Fred Lembeck – ›zusammendrängen, fast so wie Bambusstäbe im Mekong-Delta‹; bedurfte es eines Krieges in eben jenem Mekong-Delta, der einer neuen Studentengeneration als Musterbeispiel der Inhumanität gegenüber Ländern der Dritten Welt erschien; bedurfte es schließlich des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der die Hochschulmisere als zwangsläufiges Übel einer dem Tode geweihten spätkapitalistischen Gesellschaft interpretierte.«95 Eines der Bilder, mit denen der Spiegel diese Titelgeschichte illustrierte, zeigte einen verwüsteten Seminarraum der Hamburger Universität (Abb. 19)96. Stühle und Tische standen kreuz und quer, die Wände waren voll mit Graffiti. Unter anderem war zu lesen: »Die Freude an der Zerstörung ist eine schöpferische Freude.«97 Unmittelbar nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, das am 1. April 1968 verübt wurde, blockierten aufgebrachte Studenten die Druckereien des SpringerVerlags.98 Auch in Hamburg versuchten mehrere tausend Demonstranten die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern.99 Dabei kam es zu massiven Straßenschlachten. Einhellig machten die Demonstranten die aggressive Berichterstattung von Bild-Zeitung und Berliner Zeitung für das Attentat verantwortlich. Zugleich verwies die spontane Schuldzuweisung auf die Debatten über die fortschreitende Pressekonzentration, die in den vorangegangenen Jahren geführt worden waren.
95 Mit dem Latein am Ende, in: Der Spiegel, 23.6.1969, S. 38–58, hier S. 49–51. 96 Ebd., S. 58. Zur Studentenbewegung in Hamburg siehe: Rainer Nicolaysen, »Unter den Talaren Muff von tausend Jahren.«. Ein Hamburger Studentenprotest trifft den Nerv der Ordinarienuniversität, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 111–126. 97 Mit dem Latein am Ende, in: Der Spiegel, S. 58. 98 Verlorenes Wochenende, in: Der Spiegel, 22.4.1968, S. 25–27, hier S. 26 f. 99 Um 22.40 hagelte es die ersten Steine, in: Hamburger Abendblatt, 13.4.1968, S. 3.
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Bereits im Jahr 1967 hatte der SDS unter dem Slogan »Enteignet Springer«100 eine Kampagne gegen den Springer-Verlag initiiert. In einem auf der Delegiertenkonferenz des SDS beschlossenen Konzept hieß es: »Die demokratische Öffentlichkeit ist zerstört. Die ökonomische Konzentration, Oligopolbildung und Monopolisierungstendenzen in der Presse machen das Grundrecht der Informations- und Meinungsfreiheit zum Exklusivrecht weniger privater Großverleger. Die Organisation der Presse als privates Profitunternehmen und ihre überwiegende Finanzierung durch die Industrie und Verbraucherwerbung stellen die Kommunikationsmittel in den Dienst der Manipulation.«101 In besonderem Maße gelte dies für den Springer-Verlag. Dessen Kampagne gegen die Studentenbewegung entlarve die »bundesrepublikanische Meinungsfreiheit als das Recht des wirtschaftlich stärksten Verlegers auf die Zerstörung dieser Freiheit«102. Seine »Verhetzung der Berliner Bevölkerung« gehe bis zur »Aufforderung zum Totschlag«.103 Nur wenn die Macht des Verlagshauses gebrochen werde, könne die bestehende Gesellschaft überwunden werden. Ein mögliches Mittel sei, die Auslieferung von Zeitungen zu blockieren.104 Die Kampagne des SDS war Teil einer breiteren öffentlichen Debatte über den wachsenden Einfluss des Springer-Konzerns.105 Unter anderem meldete sich auch der Herausgeber der Zeit, Gerd Bucerius, zu Wort. Dabei lehnte er nicht nur dessen politische Ausrichtung ab, sondern erkannte in dem deutlich größeren Konzern auch eine Gefahr für die eigene Unabhängigkeit. So machte Gerd Bucerius deutlich: »Bei der Verbindung zwischen Geist und Geschäft gerät also in der Presse durch den Zwang zum Wettbewerb der Geist auf die Verlustseite. Die Presse wurde geschaffen von Intellektuellen, die in den Hinterstuben der Café-Häuser die herrschende Gewalt kritisierten und das Publikum aufklärten. – Heute ist eine Zeitung erfolgreich, wenn sie dem Publikum nach dem Munde redet, es in seinen Ressentiments und Voreingenommenheiten bestärkt und daher zum gesellschaftlich notwendigen Wandel untauglich macht. Das gleiche gilt uneingeschränkt für die Massenpresse. Bei vielen kleinen Tageszeitungen ist einstweilen noch der Idealismus der Verleger ein Korrektiv – wie
100 22. ordentliche Delegiertenkonferenz des SDS . Resolution zum Kampf gegen Manipulation und für die Demokratisierung der Öffentlichkeit, in: Neue Kritik 8 (1967) H. 4, S. 28–34, hier S. 32 f. 101 Ebd., S. 30. 102 Ebd., S. 31 f. 103 Ebd. 104 Ebd., S. 33 f. 105 Zum Aufstieg des Springer-Verlags siehe: Axel Schildt, Großstadt und Massenmedien. Hamburg von den 1950ern bis zu den 1980ern, in: Clemens Zimmermann (Hrsg.), Stadt und Medien. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2012, S. 249–263; Hans-Peter Schwarz, Axel Springer. Die Biographie, Berlin 2008; Karl Christian Führer, Erfolg und Macht von Axel Springers »Bild«-Zeitung in den 1950er-Jahren, in: Zeithistorische Forschungen 4 (2007) H. 3, S. 311–336.
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lange noch?«106 Deswegen, so Bucerius, müsse die Auflagenhöhe des SpringerVerlags in Zukunft beschränkt werden. Auch Rudolf Augstein trat öffentlich für diese Forderung ein.107 Zugleich wandte sich der vom ihm herausgegebene Spiegel mehrfach den Hintergründen der Pressekonzentration zu, unter anderem in einer im Herbst 1967 veröffentlichten Titelgeschichte über Axel Springer.108 Darin wies das Nachrichten magazin darauf hin, dass seit den 1950ern die Zahl der selbstständigen Zeitungsredaktionen erheblich zurückgegangen sei. Demgegenüber gewönnen einige wenige Tageszeitungen beständig an Einfluss. Allein der Anteil der sieben von Axel Springer herausgegebenen Tageszeitungen liege bei 40 Prozent der Gesamtauflage aller Tageszeitungen.109 Zentrale Ursache für die zunehmende wirtschaftliche Konzentration sei der wachsende Kapitalbedarf für Redaktionsgebäude und Drucktechnologie. Dies unterstrich die Illustration einer der Magazinseiten (Abb. 20)110. Insgesamt waren vier Fotografien abgebildet. Die beiden oberen Fotografien zeigten den Redaktionssitz und das Druckereigebäude des Springer-Verlags in der Hamburger Innenstadt. Sowohl die 14 Stockwerke des Hochhauses als auch die modernen Rotationsdruckmaschinen, die durch die großflächigen Fenster zu erkennen waren, verwiesen auf die wirtschaftliche Kraft des Konzerns.111 Auch die beiden unteren Fotografien zeigten einen Redaktionssitz und eine Druckerei. Doch das in die Jahre gekommene Bürgerhaus und die veraltete Druckerpresse ließen keinen Zweifel daran, dass es die dort hergestellte Lüneburger Landeszeitung nicht mehr lange geben werde. Dass die neuen Technologien zu wirtschaftlicher Konzentration führten, bestritt auch Axel Springer nicht. Doch im Unterschied zu seinen Kritikern sah er dazu keine Alternative. In einer Rede, die er im Herbst 1967 vor dem ÜberseeClub hielt, verteidigte er sein Vorgehen: »Mein Haus geriet zu allererst dadurch in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, daß es sich dem allgemeinen Trend zur wirtschaftlichen Großformation angeschlossen hat. Wir beobachten auch hier in Deutschland seit Mitte der 50er Jahre, daß sich in allen Bereichen der Wirtschaft Unternehmen zusammenschließen, um ihren vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden. Riesenhafte Wirtschaftsgebilde sind entstanden – in der Automobilindustrie, in der chemischen Industrie, in der Stahlindustrie. Diese Entwicklung wird allgemein als notwendig angesehen.«112 Angesichts der sich 106 Gerd Bucerius, Machtmißbrauch durch Pressekonzentration, in: Wirtschaftsdienst. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 48 (1968) H. 9, S. 489–491, hier S. 489. 107 Rudolf Augstein, Enteignen?, in: Der Spiegel, 25.9.1967, S. 24–25. 108 Stimmen verstummt, in: Der Spiegel, 25.9.1967, S. 36–57. 109 Ebd., S. 36. 110 Ebd., S. 52. 111 Zum Springer-Hochhaus in der Hamburger Innenstadt siehe: Karin von Behr, Ferdinand Streb 1907–1970. Zur Architektur der fünfziger Jahre in Hamburg, Hamburg 1991, S. 51–55. 112 Axel Springer, Viel Lärm um ein Zeitungshaus. Rede des Verlegers Axel Springer vor dem Übersee Club in Hamburg. 26. Oktober 1967, Berlin 1967, S. 1 f.
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anbahnenden »technischen Revolution«113, die in neuen Drucktechnologien, dem Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung in den Redaktionen und in Nachrichtensatelliten ihren Ausdruck finden werde, sei ein weiteres Wachstum der Zeitungsverlage notwendig. Eine Gefahr für die Meinungsfreiheit bestehe seiner Ansicht nach nicht. Unterdessen wuchs der öffentliche Druck auf den Springer-Verlag immer mehr an. Im Mai 1968, und damit nur wenige Wochen nach den Osterunruhen, veröffentlichte eine vom Bundesinnenministerium eingesetzte Pressekommission ihren Abschlussbericht. Darin empfahl die Kommission, in der unter anderem der Kartellamtspräsident Eberhard Günther und der Zeit-Herausgeber Gerd Bucerius mitgearbeitet hatten, die Auflagenhöhe von Verlagskonzernen gesetzlich einzuschränken.114 Noch im Sommer 1968 verkaufte Axel Springer die Zeitschriften Jasmin, Eltern, Bravo, Twen und Das Neue Blatt. Der Spiegel kommentierte: »Axel Springer, des ewigen Trommelfeuers gegen seinen Konzern müde, verschreckt wohl auch durch den Bericht der Günther-Kommission, hat eine Frontverkürzung vorgenommen.«115 In den folgenden Jahren erfasste die Debatte um Pressekonzentration und Machtmissbrauch auch andere Verlagshäuser, insbesondere den Spiegel-Verlag, der in den 1960ern rasant gewachsen war.116 Gegen Ende des Jahrzehnts hatte der Spiegel im Pressehaus am Speersort, in dem auch die Zeit und der Stern ihren Redaktionssitz hatten, bereits vier Etagen angemietet.117 Dennoch musste ein Teil der 500 Angestellten in angrenzenden Kontorhäusern untergebracht werden.118 Angesichts dessen entschied die Verlagsleitung, ein neues Bürogebäude anzumieten. Im Jahr 1969 zogen die Beschäftigten in ein 13-stöckiges Hochhaus, das an der Ost-West-Straße errichtet worden war.119 Schon kurz nach dem Umzug brachen interne Konflikte auf. Erneut richtete sich die Kritik gegen die Macht eines einzelnen Verlegers. Doch im Unterschied zu den vorangegangenen Auseinandersetzungen um Axel Springer stand nun das Verhältnis zwischen Verleger und Journalisten im Mittelpunkt. In einem anonym veröffentlichten Flugblatt formulierten sechs Spiegel-Redakteure eine scharfe Kritik an Rudolf Augstein: »Der ›Spiegel‹ schreibt über Mitbestimmung, aber er verhindert, daß Mitbestimmung im ›Spiegel‹ praktiziert wird. Eine 113 Ebd., S. 2 f. 114 Weißer Wal, in: Der Spiegel, 27.5.1968, S. 76–77. 115 Springer-Entflechtung, in: Die Zeit, 28.6.1968, S. 1. 116 Zum Aufstieg des Spiegel-Verlags siehe: Axel Schildt, Großstadt und Massenmedien; Karl Christian Führer, Medienmetropole Hamburg. Mediale Öffentlichkeiten 1930– 1960, München 2008, S. 246–272; Peter Merseburger, Rudolf Augstein. Biographie, München 2007. 117 Zum Pressehaus am Speersort siehe: Ralf Lange, Architektur in Hamburg. Der große Architekturführer. Über 1000 Bauten in Einzeldarstellungen, Hamburg 2008, S. 38. 118 Spiegel-Verlag / Hausmitteilung. Betr.: Umzug, in: Der Spiegel, 3.2.1969, S. 5. 119 Zum Spiegel-Hochhaus siehe: Cornehl, »Raummassagen«, S. 380.
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bürokratische Hierarchie macht jeden selbsttätigen Impuls und jede Diskussion unmöglich. Der Zynismus der kapitalistischen Produktionsweise entmündigt den Redakteur in diesem System widerstandslos zum willigen Automaten: Im Akkordmaßstab spuckt er Nachrichtenmaterial aus und verstümmelt es unter der Kontrolle technokratischer Funktionäre zur Ware.«120 Zugleich riefen die Verfasser die Journalisten zum Widerstand auf. Um die unhaltbaren Arbeitsbedingungen zu verändern, müsse man gemeinsam für eine umfassende demokratische Mitbestimmung kämpfen. Im Unterschied zu anderen Verlagshäusern, in denen es zu ähnlichen Auseinandersetzungen kam, einigten sich beim Spiegel Redakteure und Verleger nicht auf ein Redaktionsstatut.121 Stattdessen schwelte der Konflikt fort. Schließlich entließ Rudolf Augstein im Jahr 1971 einen der Ressortleiter. Als daraufhin die »Spiegel-Apo«122 mit Streik drohte, reagierte Augstein in zweifacher Weise. Zum einen erneuerte er sein Angebot, den Redakteuren die Hälfte des Spiegel-Verlages zu übertragen und bis zum Ende des Jahrzehnts ein Vetorecht der Redakteure bei wichtigen Entscheidungen einzuführen.123 Zum anderen entließ er mehrere linke Redakteure. Da eine Solidarisierung der übrigen Angestellten ausblieb, war damit der Konflikt entschieden. Kurze Zeit später veröffentliche einer der entlassenen Redakteure, Bodo Zeuner, ein Buch mit dem Titel »Veto gegen Augstein. Der Kampf der SpiegelRedaktion um Mitbestimmung«124. Im Zentrum des Buches stand die Frage, wieso die linken Redakteure mit ihrem Anliegen, eine umfassende Demokratisierung durchzusetzen, gescheitert waren. Zeuner machte verschiedene Ursachen aus. Die Machtstellung des Verlegers Rudolf Augstein, dessen gleichzeitige Abhängigkeit von Banken und Werbekunden sowie schließlich das Selbstverständnis der Redakteure: »Journalisten haben es schwer sich als Arbeitnehmer zu begreifen. Je mehr sie faktisch zu industriellen Warenproduzenten werden, um so mehr suchen sie Zuflucht bei Statusideologien, die ihr tägliches Tun überhöhen, etwa der Illusion, sie verwirklichten Meinungsfreiheit, oder der Mär, sie verfertigten literarisch Beachtliches.«125 Gegen Ende der 1960er prägten Bürohochhäuser den südlichen Teil der Innen stadt. Demgegenüber dominierten Warenhäuser den nördlichen Teil, vor allem
120 Bodo Zeuner, Veto gegen Augstein. Der Kampf der »Spiegel«-Redaktion um Mitbestimmung, Hamburg 1972, S. 181 f. 121 Zu den nach 1968 in den Redaktionen ausgebrochenen Konflikten siehe: Christina von Hodenberg, Der Kampf um die Redaktionen. »1968« und der Wandel der westdeutschen Massenmedien, in: dies. / Detlef Siegfried, (Hrsg.), Wo »1968« liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2006, S. 139–163. 122 Haug von Kuenheim, Ende der Spiegel-Apo, in: Die Zeit, 1.10.1971, S. 4. 123 Hans Otto Eglau, Bescherung beim »Spiegel«, in: Die Zeit, 4.12.1970, S. 44. 124 Zeuner, Veto gegen Augstein. 125 Ebd., S. 23 f.
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in der nahe des Hauptbahnhofs gelegenen Mönckebergstraße.126 Im Jahr 1967 eröffnete der Karstadt-Konzern hier eine modernisierte Filiale des Kleinpreiswarenhauses Kepa.127 Hinter einer mit Aluminium verkleideten Fassade befanden sich drei vollklimatisierte, künstlich beleuchtete und durch Rolltreppen erschlossene Verkaufsetagen. Von Lebensmitteln über Textilien bis hin zu Kleinmöbeln standen mehr als 7.000 Artikel zum Verkauf, für Preise zwischen zwei und vier Mark.128 Eine Anzeige im Hamburger Abendblatt pries »tolle Preisüberraschungen und Eröffnungsangebote«129 an. Darunter waren 10.000 Brathähnchen, 3.000 Herrensporthemden, 20.000 Paar Damenstrümpfe und 1.000 Kaffee-Services.130 Vor allem die Masse zählte. Etwas anders sah dies bei zwei Vollwarenhäusern aus, die sich in unmittelbarer Nähe ansiedelten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite eröffnete im Jahr 1968 eine Filiale von Horten.131 Die charakteristische weiße Wabenfassade des Neubaus war schon von weitem zu erkennen. Nur ein Gebäude weiter befand sich seit 1967 eine Filiale von Kaufhof.132 Von dem dortigen Kontorhaus war nur die Backsteinfassade erhalten geblieben. Das Angebot in den beiden Vollwarenhäusern war deutlich größer als das von Kepa. Auf jeweils sechs Geschossen boten sie mehr als 100.000 Produkte an, von billigen bis hin zu sehr teuren.133 Dahinter stand das Ziel, die verschiedenen Kundenwünsche in einem einzigen Geschäft zu befriedigen. Dies unterstrich auch der Slogan, mit dem Kaufhof für seine neue Filiale warb. Er lautete: »Alles unter einem Dach«134 Zugleich verwies der Slogan auf die wachsende wirtschaftliche Konzentration. Jedes neue Warenhaus trug dazu bei, den angestammten Fachhandel zu verdrängen. Nicht mehr der »Krämer alten Typs«, so fasste der Spiegel pointiert zusammen, sondern der »qualifizierte Manager« präge nun den Handel.135 Aber 126 Zu Warenhäusern siehe: Ralf Banken, »Was es im Kapitalismus gibt, gibt es im Warenhaus«. Die Entwicklung der Warenhäuser in der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 57 (2012) H. 1, S. 3–30; Peter Erbstößer, Warenhaus und Stadtstruktur. Geschichte, funktionelle Anforderungen und gegenwärtiger Stand der Beziehungen zwischen Warenhaus und umgebender Stadtstruktur, Essen 1979. Zur Mönckebergstraße siehe: Jan Lubitz, Die Mönckebergstraße. Hamburgs Weg zur Großstadt, Hamburg 2009; Hermann Hipp, Wie eine Starkstromleitung: Die Mönckebergstraße, in: Volker Plagemann (Hrsg.), Industriekultur in Hamburg. Des Deutschen Reichs Tor zur Welt, München 1984, S. 36–39. 127 Alle drei Etagen haben eine gute Klima-Anlage, in: Hamburger Abendblatt, 31.8.1967, S. 7. 128 Ebd. 129 Kepa-Anzeige, in: Hamburger Abendblatt, 30.8.1967, S. 15. 130 Ebd. 131 Hamburg ist eine Einkaufsstadt von Weltformat, in: Hamburger Abendblatt. Beilage »Leistung und Erfolg«, 30.10.1968, S. XII . 132 Donnerstag ist festliche Eröffnung, in: Hamburger Abendblatt, 24.10.1967, S. 5. 133 Ebd., S. 5; Hamburg ist eine Einkaufsstadt von Weltformat, in: Hamburger Abendblatt, S. XII . 134 Rollband für stündlich 8.000 Kaufhof-Kunden, in: Hamburger Abendblatt, 21.7.1967, S. 5. 135 Neue Riesen, in: Der Spiegel, 15.3.1971, S. 46–65, hier S. 60.
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das war nur die eine Seite der Entwicklung. Auf der anderen Seite nahm die Zahl der einfachen Verkäuferinnen deutlich zu. Diesen Verkäuferinnen wandte sich die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen in einer Broschüre zu, die im Jahr 1972 in einer Schriftenreihe für Betriebsräte und Vertrauensleute erschien. Unter dem Titel »Warenhäuser in der Expansion. Karstadt – Kaufhof – Horten im Spiegel ihrer Bilanzen«136 setzte sich Ingrid Schreiber-Lange mit den Arbeitsverhältnissen in den Warenhauskonzernen auseinander. Durch technische und organisatorische Neuerungen verlören die »traditionellen, viele Funktionen umfassenden Verkaufstätigkeiten«137 mehr und mehr an Bedeutung. Stattdessen wachse die Kluft zwischen spezialisierten und einfachen Arbeiten. Angesichts einer schmalen Schicht von Angestellten mit mittlerer Qualifikation und einer breiten Masse von Angestellten mit geringer Qualifikation müsse von einer »Polarisierung der Qualifikationsstruktur«138 gesprochen werden. Dies zeige sich unter anderem bei den von Karstadt für das Jahr 1971 veröffentlichten Zahlen. So stünden 2.200 Abteilungsleitern mehr als 50.000 sonstige Festangestellte und etwa 6.000 Aushilfen gegenüber.139 Dies ging mit einer sozialen Polarisierung einher. 21 Prozent der Gesamtbelegschaft von Karstadt waren im Jahr 1970 Teilzeitbeschäftigte und Aushilfen.140 Bei anderen großen Warenhauskonzernen sah es noch schlechter aus. Bei Kaufhof lag der Anteil bei 29 Prozent, bei Horten bei über 30 Prozent, ein Großteil davon Verkäuferinnen.141 Angesichts dessen klafften die Monatsverdienste zwischen weiblichen und männlichen Angestellten im Einzelhandel immer weiter auseinander. Während männliche Angestellte im Jahr 1970 durchschnittlich 1.290 DM verdienten, waren es bei weiblichen Angestellten nur 775 DM.142 Angesichts dessen blickte Ingrid Schreiber-Lange pessimistisch in die Zukunft: »Die Arbeitsteilung und Spezialisierung ermöglicht weitere Rationalisierungsmaßnahmen, insbesondere die Personaleinsatzplanung und den Einsatz von Teilzeitkräften in Stoßzeiten, wodurch die durchschnittliche Auslastung aller Beschäftigten des Verkaufsbereichs wesentlich erhöht werden kann. Je weniger qualifiziert und umfassend die Tätigkeit an einem Arbeitsplatz nämlich ist, desto leichter lassen sich die dort einzusetzenden Arbeitnehmer auswechseln. Auch der hohe Anteil weiblicher ungelernter Arbeitskräfte in den Warenhäusern läßt sich daher erklären. Vieles spricht für die Behauptung von Lutz, daß in dem Maße, in dem unqualifizierte Arbeitsplätze im Büro geschaffen werden, eben die Betriebe und Unternehmen zu ihrer Besetzung mehr Frauen heranziehen […] 136 Ingrid Schreiber-Lange, Warenhäuser in der Expansion. Karstadt – Kaufhof – Horten im Spiegel ihrer Bilanzen, Düsseldorf 1972. 137 Ebd., S. 54 f. 138 Ebd., S. 55. 139 Ebd., S. 53. 140 Ebd., S. 55 f. 141 Ebd. 142 Ebd., S. 60.
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und daß dies auch für die Läden des Einzelhandels und die Verkaufsabteilungen der Warenhäuser zutrifft.«143 Über viele Jahrzehnte war die Mönckebergstraße der begehrteste Standort für Warenhäuser. Vom benachbarten Hauptbahnhof strömten die Kunden direkt in die Verkaufsetagen. In dem Maße, in dem mehr und mehr Kunden über ein eigenes Auto verfügten, begann sich dies zu ändern. Um die Attraktivität der Warenhäuser zu erhalten, mussten die Konzerne reagieren. Sie errichteten neben ihren innerstädtischen Filialen eigene Parkhäuser und sie folgten ihren Kunden an den Stadtrand. Besonders deutlich zeigte sich dies bei Karstadt. Ende der 1960er betrieb der Konzern neben Warenhäusern in der Mönckebergstraße zahlreiche weitere Filialen in Hamburg. Diese waren in zwei Ringen um das Stadtzentrum herum angeordnet. Der erste Ring bestand aus Filialen in den historisch gewachsenen Zentren der ehemals selbstständigen Städte Altona, Wandsbek und Harburg. Der zweite Ring umfasste ein am Rand Hamburgs gelegenes »Vorort-Warenhaus«144. Weitere sollten folgen. Unterdessen wuchs eine ernst zu nehmende Konkurrenz heran. Seit dem Ende der 1960er errichteten neue Handelsunternehmen zahlreiche Verbrauchermärkte auf der »grünen Wiese«. Angesichts der durch die Lage am Stadtrand günstigen Grundstücke, der durch eingeschossige Hallen geringen Baukosten und der durch Selbstbedienung niedrigen Personalausgaben lagen die Preise für Lebensmittel, Kosmetikartikel und Textilien deutlich unter denen der Warenhäuser. Zugleich befanden sich die Verbrauchermärkte vorzugsweise entlang von Bundesstraßen und verfügten über riesige Parkplätze. Damit entsprachen sie einer suburbanen Lebensweise, für die das Auto auch beim Einkauf unverzichtbar war. Diesem Trend wandte sich der Spiegel im Jahr 1968 zu: »Vor allem aber nutzen die V-Märkte neue Kaufgewohnheiten der Verbraucher. Die Bewohner der wuchernden Vorstädte schätzen es, mit dem Auto einzukaufen und dabei keine Parkplatzsorgen zu haben. Außerdem verfügen sie über immer mehr Vorrats- und Kühlraum und können deshalb den Bedarf für eine ganze Woche mit nach Hause nehmen.«145 Und urteilte dann: »Die neuen V-Märkte sprießen allenthalben wie Unkraut.«146 Gegen Ende der 1960er rückten die Folgen der Suburbanisierung zunehmend in den Mittelpunkt der Hamburger Stadtplanung. Sie prägten auch das »Entwicklungsmodell für Hamburg und sein Umland«, das der Bürgermeister Herbert Weichmann im Juni 1969 der Bürgerschaft vorstellte.147 Dem ungeordneten 143 Ebd., S. 55. 144 Drang nach draußen, in: Der Spiegel, 30.9.1969, S. 70–73, hier S. 70. 145 Pleiten mitgegründet, in: Der Spiegel, 27.5.1968, S. 80. 146 Ebd. 147 Staatliche Pressestelle Hamburg, Für Hamburgs Zukunft. Ansprache von Bürgermeister Professor Dr. Weichmann vor der Bürgerschaft bei der Bekanntgabe des Entwicklungsmodells am 2. Juli 1969, Hamburg 1969. Zum Entwicklungsmodell siehe: Necker / Woyke, Vom Achsenkonzept zur Metropolregion.
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Wachstum der Stadt setzte er dabei eine geplante Entwicklung entgegen: »Die rasante Evolution besonders der letzten 20 Jahre im Bereich von Wissenschaft und Technik, die Wanderungsbewegungen der Bevölkerung, die wachsende Verflechtung des gesellschaftlichen Lebens, kurz: die Dynamik einer nicht mehr statischen, sondern sich ständig verändernden Umwelt haben die historische Begrenzung der staatlichen Aufgaben auf die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung eben in den Bereich der Historie verwiesen. Der Staat von heute ist aufgerufen, der gesellschaftlichen Entwicklung der modernen Zeit durch Übernahme immer größerer Leistungen in quantitativer wie in qualitativer Richtung zu dienen und der Entwicklung dabei nicht nur nachzufolgen, sondern sie vorauszudenken und durch Eingriffe zu lenken. In diesem Sinne ist Planung neben der Verwaltung- und Dienstfunktion zum Wesenselement des Staates geworden.«148 Ziel der Planer war es nicht, die Suburbanisierung aufzuhalten. Dies erschien weder als möglich, noch als wünschenswert. Stattdessen ging es darum, ordnend einzugreifen. Neben dem Achsenkonzept Fritz Schumachers sowie den bereits bestehenden Ausfallstraßen und Schnellbahnlinien orientierten sich die »Leitvorstellung für die räumliche Struktur Hamburgs und seines Umlandes«149 dabei an dem »System der zentralen Standorte«150. Dieses System der zentralen Standorte verdeutlichte eine dem Entwicklungsplan beigefügte Karte (Abb. 21)151. Die Karte setzte sich aus zwei Blättern zusammen. Einem ersten, auf dem sich eine topographische Karte befand, und einem zweiten, transparenten, auf dem das System der zentralen Standorte verzeichnet war. Unangefochtener Mittelpunkt war die durch ein rotes Vieleck markierte Hamburger Innenstadt. Von diesem Mittelpunkt aus nahmen verschiedene Achsen ihren Ausgang. Die mit grau und pink gekennzeichneten städtischen Haupt- und Nebenachsen und die lilafarbenen Regionalachsen, die sich bis weit in das Umland erstreckten. Entlang dieser Achsen waren die immer kleiner werdenden Unterzentren angeordnet. Auf sie verwiesen innerhalb des Stadtgebiets rote, im Umland grüne Punkte. Neben bereits bestehenden Zentren waren neu zu errichtende »Bezirksentlastungszentren« wesentlicher Teil der Planung.152 Sie waren den bestehenden Bezirkszentren vorgelagert und sollten die in die äußere Stadt gezogenen Bewohner mit »großstädtischem Angebot«153 versorgen. Gerade in ihnen zeigte sich der Sog an den Stadtrand, dem die Innenstadt ausgesetzt war. Gleichzeitig unterschied die Karte zwischen »Management- und Service-Funktionen«154. Kreise kennzeichneten Zentren, die auf Service-Funktionen und damit auf Dienstleistungen für die Bevölkerung ausgerichtet waren. Vielecke standen für 148 Staatliche Pressestelle Hamburg, Für Hamburgs Zukunft, S. 4. 149 Ebd., S. 5. 150 Ebd., S. 9. 151 Ebd., Anhang. 152 Ebd. 153 Ebd., S. 24. 154 Ebd., S. 23.
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Zentren, in denen sich Management-Funktionen und damit Großverwaltungen von Konzernen befanden. Auch für diese waren »City-Entlastungszentren«155 geplant. So sah das Entwicklungsmodell vor, die nördlich des Stadtparks errichtete City Nord durch zwei weitere »Managementzentren«156 in Altona und Harburg zu ergänzen. Zugleich waren die Planungen Ausdruck des ungebrochenen Wachstums der Konzernverwaltungen. Darauf wies die Baubehörde in einem 1973 veröffentlichten Artikel hin. Die Nachfrage nach Büroflächen sei ungebrochen. Bis zum Jahr 1985 rechne sie mit einem zusätzlichen Bedarf in Höhe von bis zu 200 Hektar Bruttogeschossfläche.157 Angesichts dieser Zahlen gebe es zu einem Bau zusätzlicher Managementzentren keine Alternative.
155 Ebd., Anhang. 156 Ebd., S. 9. 157 Dreier, Die City Nord, S. 133.
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Im Herbst 1967 nahm der Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann an einem Volksfest teil, das die stadteigene Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona (SAGA) in der Großsiedlung Osdorfer Born ausrichtete.1 Feierlich übergab der Sozialdemokrat die 400.000. Wohnung, die nach 1945 in Hamburg gebaut worden war, an das Ehepaar Heinz und Ursula Meibaum und deren fünf Kinder. Bis dahin hatte die Familie in einem Lager der Sozialbehörde wohnen müssen. Trotz der enormen Anzahl der bereits gebauten Wohnungen, so Herbert Weichmann in seiner Ansprache, bestehe die »Wohnungsnot«2 fort. Die Anstrengungen dürften deswegen in den kommenden Jahren nicht verringert werden. Die Wohnungsnot zu überwinden, war in den 1950ern und 1960ern eines der zentralen Ziele sozialdemokratischer Politik. Wohnungsnot meinte dabei immer zweierlei, zum einen die Notunterkünfte in den ausgebombten Städten der Nachkriegszeit, zum anderen die dunklen, feuchten und überbelegten Arbeiterwohnungen der Gründerzeitviertel. Beides sollte der Vergangenheit angehören. Dementsprechend stand der Wohnungsbau im Mittelpunkt der städtebaulichen Planung. So wies der Aufbauplan weite Teile der Stadt als »Wohnbaugebiete« aus (Abb. 1)3. Leitend war der »Grundsatz der gesunden Wohnbebauung«4. Dieser sah vor, Wohnhäuser und Fabriken klar voneinander zu trennen, die Dichte auf 500 Bewohner pro Hektar Nettobauland zu beschränken und die eng bebauten Hinterhöfe durch Zeilenbauten, Hochhäuser und ausgedehnte Grünflächen zu ersetzen.5 Zukünftig sollte jede Wohnung über ausreichend Licht und Luft verfügen. Eine zentrale Rolle spielten dabei die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen, die in der Tradition der Genossenschaften der Arbeiterbewegung standen. Neben der SAGA war vor allem die bundesweit tätige, gewerkschaftseigene Neue Heimat von Bedeutung.6 Vor diesem Hintergrund stieg der Anteil 1 Aus dem Soziallager in die 400.000. Wohnung, in: Hamburger Abendblatt, 24.10.1967, S. 3. Zum Wohnungsbau in Hamburg in den 1950ern und 1960ern siehe: Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 108–179; Dorothee Stapelfeldt, Wohnungsbau der 50er Jahre in Hamburg, Münster 1993; Dirk Schubert, Hamburger Wohnquartiere. Ein Stadtführer durch 65 Siedlungen, Berlin 2005, S. 224–291; Axel Schildt, Hamburg – Versuch einer zweiten Moderne, in: Klaus von Beyme (Hrsg.), Neue Städte aus Ruinen. Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, München 1992, S. 78–97. 2 Aus dem Soziallager, in: Hamburger Abendblatt, S. 3. 3 Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960, Abbildung 1. 4 Paul Nevermann, Hamburg an der Schwelle eines neuen Jahrzehnts, S. 54. 5 Senat Hamburg, Gesetz über den Aufbauplan, S. 465. 6 Zu den gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen Neue Heimat und SAGA siehe: Peter Kramper, Neue Heimat. Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs- und Städtebau 1950–1982, Stuttgart 2008; Heinrich Thöns /
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der Sozialwohnungen an allen Wohnungen im Stadtgebiet bis 1970 auf 45,2 Prozent an.7 Der Schwerpunkt der Bautätigkeit lag dabei auf der äußeren Stadt. Auf unbebauten Äckern und Feldern entstanden Großsiedlungen für zehntausende Bewohner. Nur dort schien es möglich zu sein, in kurzer Zeit eine große Zahl von Wohnungen zu bauen. Erst in einer späteren Phase sollte dann die wesentlich aufwendigere »Sanierung«8 der innerstädtischen Altbauviertel erfolgen. Angesichts des Mangels an Bauland, der in dem Stadtstaat Hamburg besonders ausgeprägt war, stand der Geschosswohnungsbau im Mittelpunkt. Gegenüber Zeilenbauten und Hochhäusern spielten Einfamilienhäuser nur eine untergeordnete Rolle. Ihr Anteil an den insgesamt in Hamburg fertiggestellten Wohnungen schwankte in den 1950ern und 1960ern zwischen 10 und 20 Prozent.9 Doch schon knapp hinter der Landesgrenze sah dies grundsätzlich anders aus, vor allem in den nördlich von Hamburg gelegenen schleswig-holsteinischen Dörfern und Kleinstädten.10 Angetrieben durch die einsetzende Massenmoto risierung, den weit verbreiteten Wunsch nach sozialem Aufstieg und, nicht zuletzt, die Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung entstanden dort zahlreiche neue Einfamilienhausgebiete. Vor allem durch das Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956, das den Vorrang von »Familienheimen«11 bei der staatlichen Förderung festschrieb. Mit dieser Wohnungsbaupolitik verfolgte die CDU weitreichende gesellschaftspolitische Ziele. Neben der sozialen Absicherung durch Manfred Sack, SAGA . 75 Jahre Siedlungsaktiengesellschaft. Hamburg 1922–1977, Düsseldorf 1997. 7 Hamburgische Wohnungsbaukasse, Hamburgische Wohnungsbaukasse 1970, Hamburg 1970, S. 17. 8 Edmund Schmidt-Eichberg / Theodor Schüler, Der Aufbauplan 1960, in: Architektenund Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1954–1968, Hamburg 1969, S. 28–33, hier S. 29. 9 Joachim Brohm, Der Wohnungsbau, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1954–1968, Hamburg 1969, S. 393–395, hier S. 393. 10 Zur Suburbanisierung in Hamburg in den 1950ern und 1960ern siehe: Meik Woyke, Mehr als nur »Schlafzimmer von Hamburg«. Suburbanisierung und struktureller Wandel im südlichen Schleswig-Holstein seit 1945, in: Demokratische Geschichte. Jahrbuch für Schleswig-Holstein 18 (2007) H. 1, S. 217–254; Meik Woyke, »Wohnen im Grünen«? Siedlungsbau und suburbane Lebensstile im nördlichen Umland von Hamburg von den fünfziger bis zu den siebziger Jahren, in: Zeitgeschichte in Hamburg 2005, Hamburg 2006, S. 22–49. 11 Bundesministerium für Wohnungsbau, Grundsätze, Leistungen, Aufgaben der Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung, Bonn 1960, S. 6 f. Zur Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung in den 1950ern und 1960ern siehe: Clemens Zimmermann, Wohnungspolitik – Eigenheim für alle?, in: Tilman Harlander (Hrsg.), Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland, Stuttgart 2001, S. 330–349; Günther Schulz, Eigenheimpolitik und Eigenheimförderung im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Axel Schildt / Arnold Sywottek (Hrsg.), Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 1988, S. 409–439.
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»Bildung von Eigentum in den Händen weitester Kreise unserer Bevölkerung«12 und der Unterstützung von »kinderreichen Familien«13 spielte die Angst vor »Proletarisierung und Vermassung«14 eine entscheidende Rolle. In den 1950ern und 1960ern waren konservative und sozialdemokratische Wohnungsbaupolitik durch offene Gegensätze geprägt: traditionelle Einfamilienhäuser statt moderner Hochhäuser, Eigentum statt Mietwohnung, ländliches statt städtisches Leben, kurz: Katholische Soziallehre statt Arbeiterbewegung. Dennoch sollten die Berührungspunkte nicht übersehen werden. Beide richteten sich ausdrücklich an Arbeiter und Angestellte, die sich aufgrund ihrer geringen Einkünfte ansonsten nur deutlich schlechtere Wohnungen hätten leisten können. Und beide richteten sich nicht allein gegen das Wohnungselend der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dies veranschaulicht eine Rede, die der spätere Bundeswohnungsbauminister Paul Lücke im Jahr 1951 hielt. Darin hieß es: »Während noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahezu jede deutsche Familie ihr eigenes Häuschen besaß, führten die Industrialisierung der Gründerzeit und die damit verbundene rein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Wohnungspolitik zur planlosen Zusammenballung der Menschen in den Großstädten. Die damals geltende rechtliche Ordnung der Grundstücks- und Bodenverhältnisse gab der Bodenspekulation freien Raum. Die Folge waren die berüchtigten Mietskasernen. Wer heute nach der Zerstörung durch den Bombenkrieg durch die Trümmerfelder unserer deutschen Großstädte geht, erlebt das schonungslos offengelegte Bild dieser für unser Volk so verfehlten Wohnungspolitik. Noch aus den Trümmern der zerstörten Mietskasernen ersieht man die Enge der Wohnungen und glaubt noch die zerstörende Wirkung der lichtlosen Hinterhöfe zu verspüren, in denen deutsche Menschen und deutsche Familien zu Proleten gestempelt wurden.«15 Innerhalb der Hamburger Stadtgrenzen war die Neue Heimat die treibende Kraft. Wenn der Senat die »nötigen Voraussetzungen« schaffe, so kündigte das gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen im Jahr 1963 an, könne es in den kommenden vier Jahren 43.000 neue Wohnungen in zwölf Großsiedlungen bauen.16 Zu den Gebieten, welche die Neue Heimat als mögliche Standorte ausgewählt hatte, gehörte auch der Osdorfer Born, ein in den westlichen Vororten gelegener Grünzug. Noch im selben Jahr begann hier ein Planungsteam mit den 12 Bundesministerium für Wohnungsbau, Grundsätze, Leistungen, Aufgaben der Wohnungsbaupolitik, S. 6 f. 13 Paul Lücke, Die Funktion des Eigenheims in der Sozialordnung unserer Zeit, in: ders. (Hrsg.), Der Weg zu einer familiengerechten Wohnungsbaupolitik, Bergisch Gladbach 1951, S. 7–14, hier S. 10. 14 Konrad Adenauer, Rede vor dem Arbeitskreis »Ehe und Familie« des Deutschen Katholikentages im Plenarsaal des Deutschen Bundestages am 22.9.51, in: Paul Lücke (Hrsg.), Der Weg zu einer familiengerechten Wohnungsbaupolitik, Bergisch Gladbach 1951, S. 3. 15 Lücke, Die Funktion des Eigenheims, S. 8 f. 16 Neues Heim, Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1962, Hamburg 1963, S. 8.
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Vorarbeiten. Zwei Jahre später veröffentlichte die Neue Heimat ein städtebauliches Gesamtkonzept.17 Für den Osdorfer Born spreche dessen Nähe zu den Arbeitsstätten der City, des Hafens und des Industriegebiets Ottensen. Dieser Lagevorteil ließe sich durch eine neue Schnellbahnlinie und den Ausbau der Stadtautobahnen weiter verbessern. In Zusammenarbeit mit der SAGA und zwei weiteren gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen könnten hier 4.700 Wohnungen für 16.000 Menschen entstehen.18 Weitgehend im »Montagebau«19. Deren genaue Anordnung legte das Planungsteam in einem »Lageplan der Großwohnanlage Osdorfer Born« fest (Abb. 22)20. An den Rändern der Großsiedlung waren Reihenhäuser und Atriumhäuser vorgesehen. Daran schloss ein Bereich mit drei- bis viergeschossigen Wohnungsbauten an. Im Zentrum folgten schließlich zwei Hochhausgruppen mit bis zu 17 Stockwerken.21 Diese »Verdichtungszone« sollte zugleich als »urbanes Gerüst« der Großsiedlung dienen.22 Neben Wohnungen waren hier Läden und öffentliche Einrichtungen geplant, darunter Kindergärten, Schulen, Jugendheime und Kirchen. Zudem waren öffentliche Parkplätze und Grünflächen verzeichnet. Auf dieser Grundlage arbeiteten die beteiligten gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen die Planungen weiter aus. Die Verantwortung für die »Verdichtungszone« übernahm die SAGA . In ihrem Auftrag entwarf der Architekt Fritz Trautwein zwei riesige Hochhausgruppen. Eine 450 Meter lange und eine 160 Meter lange, die er im rechten Winkel zueinander anordnete.23 Diese »Hochhausbänder« waren bis zu 21 Stockwerke hoch und gingen damit noch einmal deutlich über die Vorgaben des Gesamtkonzepts hinaus.24 Insgesamt entstanden in diesen beiden Hochhausgruppen bis zum Jahr 1969 mehr als 1.000 neue Wohnungen.25 Erklärtes Ziel von Fritz Trautwein war es, eine abwechslungsreiche Architektur zu schaffen. Zu diesem Zweck setze er die Hochhausbänder aus unterschiedlich hohen Einzelhäusern zusammen. Zudem versuchte er durch abgeknickte Balkone anregende Fassaden zu gestalten. Eine der Fassaden war auf einer Fotografie zu sehen, welche die Zeitschrift Bauwelt im Jahr 1971 veröffentlichte (Abb. 23)26. Diese Fotografie, die mit der Bildunterschrift »Teilansicht der Südfassade von Wohnblock B mit den versetzten Balkonen, die als Fertig-Elemente vor die Außenwand gehängt sind« versehen war, legte sein Scheitern offen. Schon kurz nach der Fertigstellung überwog 17 Diether Haas, Grosswohnanlage Osdorfer Born, in: Neue Heimat. Monatshefte für neuzeitlichen Wohnungsbau 12 (1965) H. 2, S. 1–13. 18 Ebd., S. 4. 19 Ebd., S. 6. 20 Ebd., S. 5. 21 Ebd., S. 10. 22 Ebd. 23 Hamburg: Osdorfer Born, in: Bauwelt 62 (1971) H. 22, S. 934–936, hier S. 934. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 936. 26 Ebd., S. 934.
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der Eindruck von Monotonie und Eintönigkeit. Gegen die Montagebauweise und die riesigen Dimensionen konnten architektonische Feinheiten nur wenig ausrichten. Zu Beginn der 1970er wuchs das öffentliche Unbehagen gegenüber den neu entstandenen Großsiedlungen mehr und mehr an. Angesichts dessen wandte sich die Baubehörde in der groß angelegten Untersuchungsreihe »Siedlungsform und Verhalten«27 den dortigen Lebensverhältnissen zu. Ausdrückliches Ziel war eine »städtebauliche Erfolgskontrolle«28. Im Jahr 1971 interviewte sie 800 der zu diesem Zeitpunkt 14.000 Bewohner der Großsiedlung Osdorfer Born.29 Zielpersonen der Befragung waren Hausfrauen, da, so die Begründung der Baubehörde, diese sich am besten in dem Wohngebiet auskennen würden. Die Fragen reichten dabei von der Zahl der Kinder, über den Beruf des Haushaltsvorstandes bis hin zur Zufriedenheit mit der Wohnung und dem Bild des Stadtteils. Die Untersuchung ergab, dass die Großsiedlung Osdorfer Born durch junge Familien von Facharbeitern und einfachen Angestellten geprägt war. 72 Prozent der befragten Hausfrauen waren verheiratet, 56 Prozent betreuten Kinder unter 15 Jahren und 59 Prozent waren nicht berufstätig.30 Bei 23 Prozent war der Haushaltsvorstand als Facharbeiter tätig, bei 27 Prozent als niederer oder mittlerer Angestellter.31 Demgegenüber lag der Anteil der ungelernten Arbeiter bei nur 5 Prozent.32 Beamte, leitende Angestellte und Selbstständige spielten nur eine untergeordnete Rolle. Fragen nach Arbeitslosigkeit fehlten in der Untersuchung der Baubehörde vollständig. In Zeiten der Vollbeschäftigung schien dies nicht von Interesse zu sein. Für die meisten Befragten stellte der Umzug in die mit Zentralheizung, Warmwasser, Vollbad und moderner Küche ausgestatteten Sozialwohnungen einen sozialen Aufstieg dar. Zuvor hatten 56 Prozent in einer vor 1948 errichteten Altbauwohnung und 40 Prozent als Untermieter oder bei den eigenen Eltern gelebt.33 Vor diesem Hintergrund waren die Größe der Wohnung, die gute Ausstattung und die niedrige Miete der meistgenannte Grund für den Umzug. Die Zufriedenheit mit der neuen Wohnung war groß. Doch zugleich sahen die meisten Befragten in dem Umzug nur einen Zwischenschritt. Knapp die Hälfte gab an, am liebsten in einem freistehenden Einzelhaus wohnen zu wollen.34 42 Prozent hatten schon mit dem Gedanken gespielt, erneut umzuziehen.35 Diese ambivalente Haltung fand auch in dem Bild der Großsiedlung seinen Ausdruck. Die Mehrzahl der Bewohner empfand den neuen Stadtteil als 27 Baubehörde Hamburg, Untersuchungsreihe Siedlungsform und Verhalten. Untersuchungs gebiet 3: Osdorfer Born, Hamburg 1974. 28 Ebd., S. If. 29 Ebd., S. 2f und S. 5 f. 30 Ebd., S. 40, S. 11 und S. 26. 31 Ebd., S. 39. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 1 f. 34 Ebd., S. 30. 35 Ebd., S. 33.
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»vertraut«, »eintönig«, »langweilig«, »grau«, »sauber«, »übersichtlich«, »lebhaft«, »gepflegt« und »unpersönlich«.36 Im Mittelpunkt der Untersuchungsreihe »Siedlungsform und Verhalten« stand die soziale Lage in den Großsiedlungen. Aber um diese besser einordnen zu können, erforschte die Baubehörde auch »Kontrastgebiete«37, darunter das im Westen Hamburgs gelegene Einfamilienhausgebiet Niendorf-Nord. Ein dem Untersuchungsbericht beigefügter Lageplan verdeutlichte dessen städtebauliche Eigenheiten (Abb. 24)38. Kleine, entlang von Straßen angeordnete Parzellen prägten das Wohngebiet. Darauf standen von Gärten umgebene Wohnhäuser, die sich in der Regel im Besitz der Bewohner befanden. Zum einen handelte es sich um Neubauten aus den 1950ern und 1960ern, zum anderen um modernisierte Häuser aus der Zwischenkriegszeit. Weder Geschäfte und Gewerbe noch Spielplätze und öffentliche Grünanlagen waren vorhanden. Das Leben konzentrierte sich auf die eigenen vier Wände und den eigenen Garten. Gerade die kleinteilige Bebauung, das individuelle Eigentum und die fehlenden öffentlichen Einrichtungen unterschieden das Einfamilienhausgebiet Niendorf-Nord deutlich von der Großsiedlung Osdorfer Born. Inwieweit sich dies auf die soziale Lage auswirkte, sollte die Untersuchung klären. Insgesamt befragte die Baubehörde im Jahr 1971 in Niendorf-Nord mehr als 300 Bewohner.39 Und wiederum waren Hausfrauen die Zielpersonen. Die Ergebnisse der Befragung legten offen, dass trotz der beträchtlichen städtebaulichen Unterschiede von einem schroffen sozialen Gegensatz nicht die Rede sein konnte. Auch das Einfamilienhausgebiet Niendorf Nord war durch Familien von Facharbeitern und einfachen Angestellten geprägt. Für die Mehrheit der Einwohner stellte der Erwerb eines Einfamilienhauses einen sozialen Aufstieg dar. Zuvor hatten 58 Prozent in einer vor 1948 errichteten Altbaumietwohnung und 42 Prozent als Untermieter oder in der Wohnung der Eltern gelebt.40 67 Prozent der befragten Hausfrauen waren verheiratet, 30 Prozent betreuten Kinder unter 15 Jahren und 59 Prozent waren nicht berufstätig.41 Bei 23 Prozent der Befragten war der Haushaltsvorstand als Facharbeiter tätig, bei 17 Prozent als niederer oder mittlerer Angestellter.42 Dennoch ließen sich Abweichungen ausmachen. Der Anteil der ungelernten Arbeiter war mit 1 Prozent deutlich niedriger, jener der Selbstständigen mit 12 Prozent deutlich höher.43 Doch der eigentliche Unterschied bestand in der weitaus größeren Zufrieden36 Ebd., S. 31 f. 37 Baubehörde Hamburg, Untersuchungsreihe Siedlungsform und Verhalten. Untersuchungs gebiet 5: Niendorf-Nord, Hamburg 1974, S. 1. 38 Ebd., S. 3. 39 Ebd., S. 4. 40 Ebd., S. 1 f. 41 Ebd., S. 35, S. 11 und S. 25. 42 Ebd., S. 34. 43 Ebd.
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heit. Zu den meistgenannten Gründen für den Kauf eines Einfamilienhauses gehörten die Heirat, die Möglichkeit Eigentum zu erwerben, die Größe des neuen Hauses sowie die Wohnlage im Grünen. Für 90 Prozent der Befragten war das freistehende Einfamilienhaus die beliebteste Wohnform.44 Für 71 Prozent war Niendorf-Nord das bevorzugte Wohngebiet.45 Erst mit großem Abstand folgten die Elbvororte. Aufstiegsorientierung bei gleichzeitiger Zufriedenheit mit dem Erreichten prägte in den Jahren des Booms das Leben in den Einfamilienhausgebieten, in Niendorf-Nord und darüber hinaus Wie weit der Wunsch nach einem Eigenheim verbreitet war, verdeutlicht die Ausstellung »Fertighaus 63«, die der Stern im Jahr 1963 in Quickborn, einer nördlich von Hamburg gelegenen Kleinstadt, organisierte.46 Verärgert über die hohen Kosten beim Bau seines eigenen Hauses hatte der Chefredakteur und Herausgeber des Sterns, Henri Nannen, in seiner Illustrierten eine Serie über Fertighäuser veröffentlicht. Da diese unter den Lesern auf große Resonanz stieß, entschloss sich Henri Nannen nun eine eigene Ausstellung zu organisieren. In seinem Auftrag errichteten Hersteller aus Finnland, Schweden und Westdeutschland innerhalb weniger Wochen ein neues Wohngebiet am Rande von Quickborn. Umgeben von Bäumen und einem kleinen See entstanden 46 verschiedene Fertighäuser.47 Diese Ausstellung erwies sich ebenfalls als großer Erfolg. Im Sommer 1963 kamen mehr als 250.000 Menschen nach Quickborn.48 Einen seiner größten Fürsprecher fand Henri Nannen dabei in dem Bundeswohnungsbauminister Paul Lücke. In einem Vorwort, das dieser zu einem eigens veröffentlichten Sonderheft des Sterns beisteuerte, hob Lücke ein weiteres Mal die herausragende Bedeutung des Wohnungsbaus hervor. Seit der Gründung der Bundesrepublik seien sieben Millionen Wohnungen gebaut worden. Danach fuhr er fort: »Besonders freue ich mich darüber, daß von diesen sieben Millionen Neubauwohnungen rund zwei Millionen Familienheime sind. Nicht nur dieses Ergebnis, sondern auch die Zahl von über vier Millionen Bausparverträgen mit einer Bausparsumme von 75 Milliarden Mark zeigt, wie stark der Wille in unserer Bevölkerung – vor allem bei den Arbeitnehmern – ist, zu einem Familienheim im Grünen zu gelangen. Die Bundesregierung wird daher wie bisher auch künftig die Schaffung und breite Streuung von Eigentum an Haus und Boden mit allen Kräften fördern.«49 Auf den darauffolgenden Seiten des Sonderhefts dokumentierte der Stern mit zahlreichen Plänen, Grundrissen und Fotografien die in Quickborn ausgestell44 45 46 47
Ebd., S. 29. Ebd., S. 30. Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63, Hamburg 1963. Eine Siedlung in 80 Tagen, in: Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63, Hamburg 1963, S. 6–7. 48 Manfred Sack, Nicht erfüllte Typen-Träume, in: Die Zeit, 27.9.1963, S. 40. 49 Paul Lücke, Millionen sparen für ein Familienheim, in: Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63, Hamburg 1963, S. 8.
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ten Fertighäuser. Eines davon stammte von dem Versandhandelsunternehmen Quelle. In einer gestellten Fotografie dieses »Quelle-Hauses« verdichteten sich zentrale Aspekte des Fertighausbaus Anfang der 1960er (Abb. 25)50. Am oberen Bildrand war ein auf einer Leiter stehender Mann zu sehen, der die »Installationszelle mit Bad, Heizung und halber Küche«51 montierte. Die Schiebermütze und der Blaumann kennzeichneten ihn als Arbeiter. Dieser Arbeiter stand für die beabsichtigte Rationalisierung des Hausbaus. Durch industrielle Serienproduktion sollte der Anstieg der Baukosten begrenzt und der »Traum vom eigenen Haus«52 in greifbare Nähe gerückt werden. Ausdrücklich hob der Stern hervor: »Für Beamte, Angestellte und Arbeiter wie für mittlere Geschäftsleute – also Interessenten mit begrenztem Einkommen – wird das Fertighaus ganz neue, vor allem aber realisierbare Möglichkeiten bieten, zum eigenen Heim zu kommen.«53 Doch der Arbeiter bildete nicht das eigentliche Zentrum des Bildes. Obwohl er die Montage noch nicht abgeschlossen hatte, war das Quelle-Haus bereits eingerichtet und bewohnt. Auf der linken Bildseite war die Küche zu erkennen. Dort stand eine Frau am Herd und brühte Kaffee auf. Einfamilienhäuser waren für Frauen vor allem Orte der Hausarbeit, daran ließ die Fotografie keinen Zweifel. Umso wichtiger sei deshalb, so der Stern, eine zweckmäßige Kücheneinrichtung, denn: »in der Küche verbringt die Hausfrau viel Zeit. Hier beginnt sie den Tag und hier endet abends ihre Arbeit.«54 An die Küche grenzte an der rechten unteren Bildseite das Badezimmer an. Vor dem Spiegel stand ein Mann in einem Anzug. Bald würde er das Badezimmer verlassen, das von seiner Frau zubereitete Frühstück zu sich nehmen und dann mit seinem Auto in das Büro in der Innenstadt fahren. So vielschichtig der Kreis der Interessenten, so eindeutig war das Bild des zukünftigen Lebens. Der Traum vom eigenen Haus war immer auch der Traum vom sozialen Aufstieg. In zahlreichen Überschriften pries das Stern-Sonderheft »Fertighaus 63« die Vorteile der industriellen Fertigung. Unter anderem titelten die Journalisten »Ein Haus an einem Tag« »Vier Pakete – ein Haus«, »Massiv-Häuser vom Fließband« und »Klinker und Platten«55. Anfang der 1960er boomte der Bau von Fertighäusern. Doch der eigentliche Schwerpunkt der Montagebauweise lag im sozialen Wohnungsbau.56 Vor allem die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen trieben den Einsatz von Betonfertigteilen voran. 1966 waren in 50 Lotte Tiedemann, Menschlich wohnen, in: Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63, Hamburg 1963, S. 180–209, hier S. 196. 51 Ebd. 52 Henri Nannen, Lieber Sternleser!, in: Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63, Hamburg 1963, S. 12–13, hier S. 12. 53 Tiedemann, Menschlich wohnen, S. 182. 54 Ebd., S. 190. 55 Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63. 56 Zur Großtafelbauweise siehe: Uta Hassler / Hartwig Schmidt (Hrsg.), Häuser aus Beton. Vom Stampfbeton zum Großtafelbau, Dortmund 2003.
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Hamburg bereits mehr als 3.000 Wohnungen auf diese Weise errichtet worden.57 Damit lag der Anteil des Montagebaus an der Gesamtzahl der mit öffentlichen Geldern geförderten Geschosswohnungen bei etwa 30 Prozent.58 Ebenso wie bei den Einfamilienhäusern waren die schnell ansteigenden Baukosten eines der zentralen Probleme des sozialen Wohnungsbaus. Da im Unterschied zu anderen Branchen die Produktivität in der Bauwirtschaft nur langsam stieg, schlugen sich die Lohnerhöhungen unmittelbar in den Baukosten nieder. Zugleich herrschte in der Bauwirtschaft ein Mangel an Arbeitskräften. Angesichts von Boom und Vollbeschäftigung wanderte eine wachsende Zahl von Bauarbeitern in Branchen mit besseren Arbeitsbedingungen ab. Vor allem die ungeschützte Arbeit im Freien, die fehlenden Sozialeinrichtungen wie Kantinen und Duschen sowie die ständig wechselnden Arbeitswege galten als Nachteile. Allein im Jahr 1966 verließen in Westdeutschland 55.000 Arbeitskräfte das Baugewerbe.59 Dem standen nur 15.000 neu beschäftigte »Gastarbeiter« gegenüber.60 Immer stärker wuchs der Druck zur Rationalisierung. Auf diesen Zusammenhang wies auch ein Überblicksartikel über den Montagebau in Hamburg hin, der im Jahr 1967 im Bundesbaublatt erschien. Darin hieß es: »Die Rationalisierungsbestrebungen haben nach Ausschöpfung der Arbeitskräftereserven zu einer stärkeren Mechanisierung in allen Bereichen der Bauwirtschaft geführt. Die Verwendung kleiner Fertigteile nahm zu und ist heute für Bau- und Ausbauarbeiten eingeführt. Auf dem Wege zu einer noch weitergehenden Rationalisierung als Folge der Diskrepanz zwischen Produktionskapazität und Produktionsbedarf war es jedoch erforderlich, nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Nur so konnte die gewünschte Zahl von Wohnungen überhaupt errichtet werden. Dort, wo die Voraussetzungen dafür gegeben waren – kontinuierlicher Bedarf gleicher Teile bei wirtschaftlich tragbaren Entfernungen zwischen Produktionsstätten und Baustellen, Arbeitskräftemangel und Investitionsfreudigkeit – kam es zur Industrialisierung im Wohnungsbau.«61 In Westdeutschland gehörte Hamburg zu den Vorreitern der Industrialisierung im Wohnungsbau. Im Jahr 1960 hatte hier die erste Fabrik begonnen, große Betonfertigteile herzustellen. Die Produktion der Montagebau Thiele GmbH beruhte dabei auf dem aus Frankreich stammenden Verfahren »Camus«62. Dieses Verfahren hatte Raymond Camus, ausgehend von seinen Erfahrungen
57 Karl Sommer, Sieben Jahre Montagebau in Hamburg, in: Bauzentrum Hamburg 3 (1967) H. 1, S. 11–13, hier S. 12. 58 Ebd., S. 13. 59 Ebd., S. 11. 60 Ebd. 61 Horst Becker, Montagewohnungsbau in Hamburg. Ein Überblick über die Entwicklung der Verfahren Camus-Thiele und Larsen & Nielsen in den Jahren 1959 bis 1967, Wies baden 1967, S. 523. 62 Montagebau Thiele GmbH & Co. (System Camus), in: Bauzentrum Hamburg 3 (1967) H. 1, S. 20–25, hier S. 20.
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als »›Citroen‹-Fließbandingenieur«63, im Jahr 1949 entwickelt. Allein in Frankreich wurden in den folgenden Jahren tausende Wohnungen gemäß dieser Vorgaben hergestellt. Zudem erwarben auch Baubetriebe aus Algerien, Groß britannien, Österreich, Italien, Japan, der Sowjetunion und aus Westdeutschland Lizenzen.64 In dem Maße, in dem sich die Serienproduktion von Betonfertigteilen durchsetze, änderte sich die Arbeit auf den Baustellen. An die Stelle von Maurern, die Ziegelstein für Ziegelstein aufeinandersetzten, traten Monteure, die mit Hilfe von Kränen riesige Betonplatten zusammenfügten. So waren die Fertigteile des Verfahren Camus bis zu 6,70 Meter mal 4,20 Meter groß und bis zu zehn Tonnen schwer.65 Gleichzeitig verlagerte sich die Arbeit von den wechselnden Baustellen in stationäre Fabriken. Anfang der 1960er beschäftigte die Montagebau Thiele GmbH in ihrem Werk in Hamburg-Billbrook 146 Arbeiter.66 Der Produktionsablauf orientierte sich dabei am »Fließbandprinzip«67. Nachdem die Rohstoffe per Schiff und Lastkraftwagen angeliefert und in riesigen Türmen gemischt worden waren, floss der Beton auf zwei nebeneinanderliegende Fließbänder. Hier verteilten Arbeiter den Beton in auf Tischen angebrachten Metallschalungen und beförderten die gegossenen Platten zum Trocknen in eine Heizkammeranlage. Nach Abschluss weiterer Arbeiten, unter anderem dem Einfügen der Fenster, transportierten Lastkraftwagen die Fertigteile dann zu den verschiedenen Baustellen. Pro Jahr produzierte die Fabrik Betonplatten für bis zu 1.300 Wohnungen, unter anderem im Auftrag der SAGA, die beim Bau der Großsiedlung Osdorfer Born auch auf das Verfahren Camus zurückgriff.68 Eine Fotografie, welche die Zeitschrift Bauwelt im Jahr 1971 veröffentlichte, zeigte die »Montage geschoßhoher Stahlbeton-Fertigteile«69 beim Bau der zentralen Hochhausgruppen (Abb. 26)70. Der Industrialisierung der Bauwirtschaft, so die allgemeine Überzeugung der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, gehöre die Zukunft. Eine Zukunft, in der niedrige Baukosten weiterhin den Bau von Sozialwohnungen ermöglichen sollten. Die neuen Wohngebiete, die in den Jahren des Booms in Hamburg entstanden, waren durch den Grundsatz der Funktionstrennung geprägt. Mit ihnen sollten die Gründerzeitviertel, in deren Hinterhöfen sich Arbeiterwohnungen und rauchende Fabrikschlote drängten, endgültig der Vergangenheit angehören. 63 Traum von der Stange, in: Der Spiegel, 18.4.1962, S. 48–66, hier S. 51. 64 Montagebau Thiele, in: Bauzentrum Hamburg, S. 20. 65 Ebd., S. 20 f. 66 Institut für Bauforschung, Untersuchungen an Montagebauten nach dem Verfahren Camus in Hamburg, Hannover 1965, S. 6.8b. 67 Ebd., S. 4.1. 68 Montagebau Thiele, in: Bauzentrum Hamburg, S. 20; Hamburg: Osdorfer Born, in: Bauwelt, S. 936. 69 Hamburg: Osdorfer Born, in: Bauwelt, S. 936. 70 Ebd.
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Aber der Grundsatz der Funktionstrennung richtete sich nicht nur gegen das chaotische Nebeneinander von Industriearbeit und Wohnen. Mehr und mehr übertrugen Städtebauer, Architekten und Soziologen ihn auf andere Bereiche. Unter anderem auf die Grundrissgestaltung von Küchen. Diesem Thema wandte sich auch die Zeitschrift Neue Heimat. Monatshefte für den neuzeitlichen Wohnungsbau zu. Unter der Überschrift »In der Küche essen? Vorschläge für Küche und Eßplatz in der Wohnung« veröffentlichte sie im Jahr 1956 einen Artikel von Lotte Tiedemann.71 Insbesondere gegen die »Wohnküche«72, die in den Arbeiterwohnungen der Gründerzeitviertel weit verbreitet war, richtete sich die Kritik der Küchenplanerin. Da die Wohnküche sowohl zum Wohnen als auch zur Küchenarbeit genutzt werde, bestehe ein »ständiges durcheinander sämtlicher Vorgänge«73 Dies gelte insbesondere für den in der Mitte der Wohnküche stehenden Tisch: »Er dient einer vier- bis sechsköpfigen Familie für alle nur denkbaren Zwecke. Die Hausfrau muß ihn für jede Art von Küchenarbeit in Anspruch nehmen, da neben dem Herd eine Arbeitsplatte fehlt und neben dem Spülausguß weder das schmutzige noch das gespülte Geschirr abgestellt werden kann. An diesem Tisch wird gegessen. Neben der Mutter, die gerade Kartoffeln schält, ist das Kind mit seinen Schularbeiten beschäftigt. An diesem Tisch muß genäht, geflickt, gebügelt werden; und immer ist einer dem anderen im Weg.«74 Dem chaotischen Nebeneinander der Wohnküche setzte Lotte Tiedemann eine Reihe von modernen Küchentypen entgegen. Vor allem die »Arbeitsküche«75 mit Durchreiche sah sie als vorbildlich an. Ein solcher »zweckmäßiger Grundriß« illustrierte auch ihren Artikel (Abb. 27)76. In der Küche war so wenig Platz, dass sie nur noch zum Kochen genutzt werden konnte. Im angrenzenden Wohnzimmer war die Möblierung so angeordnet, dass sie Essbereich und Wohnbereich klar voneinander trennte. Stühle und Esstisch in der einen sowie Polstermöbel und Couchtisch in der anderen Ecke legten von vorneherein die Nutzungen fest. Damit sollte innerhalb der Wohnung die Funktionstrennung durchgesetzt werden. Eine Funktionstrennung, die immer auch weibliche und männliche Bereiche voneinander schied. Dass die Hausfrauen in der Küche arbeiteten und die Ehemänner sich im Wohnzimmer bedienen ließen, war vollkommen unumstritten. Zugleich ging es der Küchenplanerin nicht darum, Küche und Wohnzimmer voneinander abzuschotten. Vielmehr strebte sie ein geordnetes Nebeneinander an, um so die Hausarbeit zu erleichtern. Dabei spielte 71 Lotte Tiedemann, In der Küche essen? Vorschläge für Küche und Eßplatz in der Wohnung, in: Neue Heimat. Monatshefte für neuzeitlichen Wohnungsbau 3 (1956) H. 4/5, S. 32–40. 72 Ebd., S. 35. 73 Ebd., S. 33. 74 Ebd., S. 34 f. 75 Ebd., S. 37. 76 Ebd., S. 33.
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die durch einen Pfeil hervorgehobene Durchreiche eine zentrale Rolle. Sie sollte der Hausfrau ermöglichen, die im Wohnzimmer spielenden Kinder zu beaufsichtigen und die Laufwege, die für das Servieren des Essens notwendig waren, auf ein Minimum zu reduzieren. Der Frage, wie sich die Hausarbeit erleichtern lasse, widmete sich im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnungsbau auch Kaethe Lübbert-Griese. In ihrem Beitrag in der Broschüre »Die moderne Küche«, die eine gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft von Küchenherstellern im Jahr 1956 herausgab, wies sie auf die sehr hohe Arbeitsbelastung von westdeutschen Hausfrauen hin. So liege die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei einer nicht berufstätigen Hausfrau bei 63,3 Stunden, bei einer halbtags berufstätigen Hausfrau bei 77,4 Stunden und bei einer voll berufstätigen Hausfrau bei 86 Stunden.77 Dies bleibe nicht ohne Folgen: »Die berufstätige Hausfrau rückt mit ihrer 86-Stundenwoche an die Grenze der Leistungsfähigkeit (98-Stundenwoche), und es ist leicht vorstellbar, daß Erschöpfung und Krankheit unausbleiblich sind. Warnende Zahlen der Statistik besagen, daß 85 % aller sozialversicherten Frauen berufsunfähig oder invalide werden, ehe sie die gesetzliche Altersgrenze erreichen, und daß ihre häufigsten Erkrankungen in Herzschäden und Kreislaufstörungen bestehen.«78 Seitdem die Kleinfamilie die Großfamilie abgelöst habe, könnten Mütter nicht mehr auf die Hilfe von Großmüttern und alleinstehenden Schwestern zurückgreifen. Da es zudem immer schwieriger werde, eine Haushaltsgehilfin zu finden, seien immer mehr Frauen auf sich allein gestellt. Angesichts dessen sei die »Rationalisierung«79 der Hausarbeit die einzige Möglichkeit, die Arbeitsbelastung zu verringern. Ausgehend von arbeitswissenschaftlichen Studien80 formulierte die Küchenplanerin unter anderem detaillierte Ratschläge für ein »rationelles und leichtes Geschirrwaschen«81. Entscheidend sei der »fließende
77 Kaethe Lübbert-Griese, Hauswirtschaft heute, in: Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche (Hrsg.), Die moderne Küche, Hildesheim 1956, S. 11–13, hier S. 11 f. 78 Ebd. 79 Kaethe Lübbert-Griese, Bedeutung der Lebenshaltung, in: Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche (Hrsg.), Die moderne Küche, Hildesheim 1956, S. 12–13. 80 Kaethe Lübbert-Griese, Entwicklung der Küche und Wandel der Hauswirtschaft, in: Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche (Hrsg.), Die moderne Küche, Hildesheim 1956, S. 7–11, hier S. 10. Zur Rationalisierung der Küchenarbeit siehe: Antonia Surmann, Gute Küchen – wenig Arbeit. Deutsches Küchendesign im westeuropäischen Kontext 1 909–1989, Berlin 2010; Margret Tränkle, Neue Wohnhorizonte. Wohnalltag und Haushalt seit 1945, in: Ingeborg Flagge (Hrsg.), Geschichte des Wohnens. 1945 bis heute. Aufbau, Umbau, Neubau. Bd. 5, Stuttgart 1999, S. 687–806; Kristina Hartmann, Alltagskultur, Alltagsleben, Wohnkultur, in: Gert Kähler (Hrsg.), Geschichte des Wohnens. 1918–1945. Reform, Reaktion, Zerstörung. Bd. 4, Stuttgart 1996, S. 183–301. 81 Kaethe Lübbert-Griese, Das Geschirrspülen, in: Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche (Hrsg.), Die moderne Küche, Hildesheim 1956, S. 23–25, hier S. 24.
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Arbeitsablauf«82. Diese arbeitswissenschaftlichen Studien fanden auch Eingang in die Typenpläne der Küchenhersteller, die im Anschluss an Kaethe LübbertGrieses Beitrag in einer langen Liste erschienen. Nur ein Jahr später legte der Deutsche Normenausschuss mit der DIN 18022 die Abmessungen von Spülen, Schränken und Herden erstmals umfassend fest, unter maßgeblicher Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft »Die moderne Küche«.83 Gerade in den neu errichten Großsiedlungen und Einfamilienhausgebieten prägten standardisierte Grundrisse und Einbauküchen die Hausarbeit. Doch noch bevor sich diese Ansätze zur Rationalisierung vollständig durchsetzen konnten, wurden sie von einem anderen, viel weitergehenden Umbruch überlagert. Immer häufiger übernahmen nun Maschinen die anfallenden Arbeiten, vor allem das Waschen. Ein Jahrzehnt nachdem Kaethe Lübbert-Griese die enorme Arbeitsbelastung der Hausfrauen beklagt hatte, verfügte bereits jeder zweite westdeutsche Haushalt über eine Waschmaschine.84 Und dies war erst der Anfang. In der im Jahr 1966 veröffentlichen Titelgeschichte »Küche, Kinder, Krise. Die deutsche Frau« konstatierte der Spiegel: »Der Abwaschroboter – er steht schon in rund 200.000 Haushalten – verschafft der deutschen Hausfrau eine Zeitersparnis von jährlich 244 Arbeitsstunden. In 14 Prozent aller Wohnungen und über der Hälfte aller 1964 gebauten Wohnungen Westdeutschlands verrichten thermostatgesteuerte Öl-, Gas-, Elektro- und Fern-Heizer das, was vor kurzem noch über Kellertreppen keuchende Hausfrauen verrichten mußten. Nicht zu errechnen sind die Arbeitsstunden, welche die Industrie den Hausfrauen abnimmt, indem sie ihnen die geputzte Möhre, topfbereit den Rotkohl, das vorgefertigte Kartoffelmus, den tiefgekühlten Nachtisch, die tranchierte Weihnachtsente, cellophanverpackt und nur noch des Wärmens bedürftig, in die Küche liefert.«85 In einem rasanten Tempo, so fuhr das Nachrichtenmagazin fort, verändere sich der Alltag der Hausfrauen. Neben der »Mechanisierung des Haushalts« und der »Verlagerung der Hausarbeit in die Industrie« trage die »Senkung der Kinderzahl« maßgeblich dazu bei, die Arbeitsbelastung zu verringern.86 Die Folgen seien ambivalent. Zum einen bedeute dies eine erhebliche Entlastung. Zum anderen führe dies jedoch zu einem »Lebenssinn-Verlust«87 Dies gelte vor allem bei Frauen, die sich nicht mehr um kleine Kinder kümmern müssten: 82 Kaethe Lübbert-Griese, Die Küchenarten und Küchenformen, in: Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche (Hrsg.), Die moderne Küche, Hildesheim 1956, S. 28–36, hier S. 29 f. 83 Manfred Sack, Von Küchen haben sie keinen Dunst, in: Die Zeit, 3.6.1966, S. 54. 84 Grete im Wunderland, in: Der Spiegel, 19.12.1966, S. 42–55, hier S. 43 f. 85 Ebd., S. 42. Zur Technisierung der Hausarbeit siehe: Martina Heßler, »Mrs. Modern Woman«. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Haushaltstechnisierung, Frankfurt am Main 2001, S. 54–63; Tränkle, Neue Wohnhorizonte; Barbara Orland, Wäsche waschen. Technik und Sozialgeschichte der häuslichen Wäschepflege, Reinbeck 1991. 86 Grete im Wunderland, in: Der Spiegel, S. 43 f. 87 Ebd.
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»›Verödung‹, ›Daseinsleere‹, ›Lebensdefizit‹ sind denn auch die Vokabeln, mit denen Psychologen und Soziologen den inneren Zustand der berufslosen Vierzigjährigen beschreiben.«88 Diese Diagnose unterstrichen auch die Bilder, welche die Titelgeschichte illustrierten, darunter eine Fotografie, die eine Hausfrau in einer modernen Küche zeigte (Abb. 28)89. Sie lässt sich als Sinnbild für die Hausarbeit Mitte der 1960er fassen. Zum einen verwiesen Einbauküche, Elektroherd und Kühlschrank mit Eisfach auf den bereits erreichten sozialen Aufstieg und die deutliche Arbeitsentlastung. Zum anderen legte die allein arbeitende Hausfrau die Einsamkeit offen, die den Alltag in den Küchen der Einfamilienhausgebiete und Großsiedlungen prägte. Diesen sozialen und psychischen Problemen der »Nur-Hausfrauen«90 wandte sich nun auch die Öffentlichkeit zu. Eine wachsende Zahl von Ärzten und Psychologen sahen in der Berufstätigkeit einen Therapieansatz. Unter ihnen ein Hamburger Frauenarzt, den der Spiegel mit folgenden Worten zitierte: »Die befriedigende Arbeit erhält die Frau länger jung und fördert die Spannkraft – um es mit einem Wort unserer Tage zu sagen, sie wirkt östrogenähnlich.«91 Unmittelbarer Anlass für die Titelgeschichte war der »Erste Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft«.92 Dieser Bericht ging auf eine Initiative der SPD -Bundestagsfraktion aus dem Jahr 1962 zurück. Angesichts der sprunghaft angestiegenen Berufstätigkeit der Frau, so die Begründung für den Antrag, stelle sich die Frage, wie die westdeutsche Gesellschaft mit dieser neuen Situation umgehe. Vier Jahre später legte die Bundesregierung einen mehr als 600 Seiten umfassenden Bericht vor. Zunächst verwies sie auf die ungebrochen hohe Bedeutung der Hausarbeit. Eine Hausfrau in einem Mehrpersonenhaushalt arbeite durchschnittlich 60 Stunden pro Woche.93 Insgesamt falle in westdeutschen Haushalten ein Arbeitsaufwand von 52 Milliarden Stunden pro Jahr an.94 Diese Zahl liege nur unwesentlich unter den in der westdeutschen Wirtschaft geleisteten 60 bis 65 Milliarden Arbeitsstunden.95 Dies unterstreiche die bleibende »volkswirtschaftliche Bedeutung der Leistung der Frau in Familie und Haushalt«96. Dennoch habe sich die Hausarbeit in den letzten Jahren grundlegend verändert. »Im modernen Haushalt ist die rein manuelle Tätigkeit gegenüber anderen Aufgaben stark zurückgetreten. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die ›Hege- und Sorgefunktionen‹, also die Schaffung einer Familienatmosphäre der Ordnung und Geborgenheit, und die 88 Ebd., S. 53 f. 89 Ebd., S. 44. 90 Ebd., S. 53 f. 91 Ebd. 92 Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft, Drucksache V/909, Bad Godesberg 1966. 93 Ebd., S. 28. 94 Ebd. 95 Ebd. 96 Ebd., S. 22.
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›disponierende Funktion‹ der Hausfrau.«97 Zudem trete für eine wachsende Zahl von Frauen die Berufsarbeit neben die Hausarbeit.98 Aber auch unter den erwerbstätigen Frauen, so der Bericht der Bundes regierung, vollzögen sich tiefgreifende Umbrüche. Während die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen in Bauernhöfen, Handwerksbetrieben und Einzelhandelsgeschäften zurückgehe und die der Arbeiterinnen stagniere, gebe es immer mehr weibliche Angestellte. Zugleich seien neben ledigen Frauen zunehmend auch verheiratete Frauen berufstätig. Gerade die Zahl der berufstätigen Mütter erhöhe sich deutlich. Diese Umbrüche gingen mit veränderten Motiven für die Berufstätigkeit einher. Neben wirtschaftlicher Not und sozialem Aufstieg gewönnen »Entfaltung der Persönlichkeit« und »Selbstverwirklichung« an Bedeutung.99 Angesichts dessen sei der Alltag von Frauen durch ein »Spannungsverhältnis«100 zwischen Berufsarbeit und Hausarbeit gekennzeichnet. Dabei machte die Bundesregierung, im Anschluss an die in Hamburg tätige Soziologin Elisabeth Pfeil, vier verschiedene Typen von berufstätigen Müttern aus: den »Hausmuttertyp«, der sich vollständig mit der Hausarbeit identifiziere, nur in Notlagen berufstätig werde und sich vor allem bei Arbeitern und Angestellten finde; den »modifizierten Hausmuttertyp«, bei dem, trotz einer mehr oder weniger starken Bindung an den Beruf, der Schwerpunkt weiterhin im häuslichen Bereich liege; den Typus der »familienzugewandten Berufsfrau«, der sich bemühe den Ansprüchen beider Lebensbereiche gerecht zu werden, der sich hohen Leistungsanforderungen aussetze und der sich vor allem unter freiberuflichen und akademisch gebildeten Frauen finde; und schließlich der »familienentfremdete Berufsfrauentyp«, der die Hausarbeit nur noch als zweitrangig betrachte.101 Dieser Typus, der unter Arbeiterinnen nur selten vorkomme, sei unter selbstständigen und akademisch gebildeten Frauen, die in ihrer Berufstätigkeit Befriedigung fänden, »wohl etwas häufiger«102. Unterdessen nahm der Anteil der berufstätigen Frauen weiter zu. Allein von 1960 bist 1970 stieg die Erwerbstätigenquote der Frauen in Hamburg von 39,7 Prozent auf 51,3 Prozent an.103 97 Ebd., S. 10. 98 Zur Berufstätigkeit von Frauen siehe: Thomas Schlemmer, Befreiung oder Kolonisierung? Frauenarbeit und Frauenerwerbstätigkeit am Ende der Industriemoderne, in: Anselm Doering-Manteuffel u. a. (Hrsg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 79–108; Duden, Kontinuität oder Epochenbruch?; Monika Mattes, Krisenverliererinnen?; Ute Frevert, Umbruch der Geschlechterverhältnisse? Die 60er Jahre als geschlechterpolitischer Experimentierraum, in: Axel Schildt u. a. (Hrsg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 642–660. 99 Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen, S. 78. 100 Ebd., S. 10 f. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 96; Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 69.
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Auch Jugendliche begannen sich von dem als trostlos empfundenen Leben in den Vororten abzuwenden. Unter ihnen wuchs im Laufe der 1960er die Unzufriedenheit. Dies verdeutlicht ein von dem Gammler Peter Habersaat verfasstes Gedicht, das im Jahr 1967 im Anhang des Buches »Gammler, Beatniks, Provos. Die schleichende Revolution« erschien. Darin hieß es: »Der Vater geht ins Büro! / Aktenmappe, Thermosflasche, Butterbrot! / Der Vater kommt aus dem Büro! / Aktenmappe, Thermosflasche leer, / Butterbrot gegessen! / Die Mutter geht zum Einkaufen! / Tasche leer, Portemonnaie voll! / Die Mutter kommt vom Einkaufen! / Tasche voll, Portemonnaie leer! / Der Sohn geht zur Schule! / Mappe voll Bücher, / Kopf voll Musik! / Der Sohn kommt aus der Schule! / Mappe voller Bücher, Kopf leer! / Die Familie geht essen! / Die Teller voll, die Mägen leer! / Die Familie hat gegessen! / Die Teller leer, die Mägen voll! / Die Familie geht schlafen! / Vater, Mutter und Sohn! / Der Stumpfsinn hält reiche Beute!«104 Dieser für ihn unerträglichen Langeweile setzte Peter Habersaat das Leben auf der Straße entgegen. Gemeinsam mit anderen Gammlern zog er zwischen verschiedenen europäischen Großstädten umher.105 Dort waren seit den frühen 1960ern auf öffentlichen Plätzen, in Parks und in Kneipen feste Treffpunkte entstanden, unter anderem in Rom auf der Spanischen Treppe, in München im Englischen Garten, in Frankfurt an der Hauptwache, in Westberlin vor der Gedächtniskirche und in Hamburg auf der Reeperbahn. Insgesamt war die Zahl der Gammler gering. Im Jahr 1966 gingen Schätzungen von nicht mehr als 800 in Westdeutschland und rund 5.000 in Europa aus.106 Doch so gering ihre Zahl war, so groß war das Aufsehen, das sie auslösten, nicht zuletzt im Spiegel, der ihnen im Herbst 1966 eine Titelgeschichte widmete. Auf dem Titelbild war eine Gruppe von langhaarigen Jugendlichen zu sehen, die dicht gedrängt vor einer schmuddeligen Mauer saßen (Abb. 29)107. Einer der Langhaarigen spielte auf einer Gitarre, die anderen hörten zu. Dieses Bild arbeitete wesentliche Merkmale der neuen Subkultur heraus und kennzeichnete sie zugleich als Gegenentwurf zur Lebensweise der Vororte: ausdauerndes Nichtstun statt Leistung und Arbeit, schmuddelige Lässigkeit statt Ordnung und Disziplin, selbstgewählte Armut statt sozialem Aufstieg, gemeinsames Leben statt Isolation und, nicht zuletzt, künstlerische Kreativität statt Langeweile. Grundlage für die Titelgeschichte des Spiegels waren Gerichtsprotokolle, Polizeiberichte und Gespräche mit den Gammlern selbst. Darin machten diese keinen Hehl aus ihrer Lebenseinstellung. Der Spiegel zitierte sie mit den Worten: »Arbeiten? Seh’n wir 104 Margret Kosel, Gammler, Beatniks, Provos. Die schleichende Revolution, Frankfurt am Main 1967, S. 151. 105 Zur Subkultur der Gammler siehe: Timothy Scott Brown, West Germany and the Global Sixties. The Antiauthoritarian Revolt, 1962–1978, Cambridge 2013; Detlef Siegfried, Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre, Göttingen 2006, S. 399–428. 106 Schalom aleichem, in: Der Spiegel, 19.9.1966, S. 70–80, hier S. 70 f. 107 Ebd., Titelseite.
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so aus?«108, »Alles, was wir haben, gehört jedem ein bißchen«109 und »Daß wir leben, feiern wir«.110 Auch die Zeit wandte sich der neuen Subkultur zu. Unter dem Titel »Aber eine Zahnbürste hat jeder« ließ sie den jungen Soziologen Ulrich Bathke von seinen Forschungen berichten.111 Idealtypisch kennzeichnete Bathke die Lebensweise der Gammler als Welt »ohne Statussymbole«, »ohne Wertschätzung des Eigentums«, »der Solidarität« und »der Repressionsarmut«.112 Sie sei eine Antwort auf die zunehmenden Spannungen zwischen der Eintönigkeit der Arbeit und den Versprechungen der Freizeit: »Während der Normalbürger in mindestens zwei Welten lebt – in der Welt der Arbeit und in der Welt der Freizeit – möchten Gammler allein im Bereich der Freizeit zu Hause sein.«113 Aber die Reaktionen waren nicht durchgängig so verständnisvoll. Während liberale Zeitschriften wie der Spiegel oder die Zeit zwischen ironischer Distanz und soziologischer Bestandsaufnahme schwankten, machten andere aus ihrer Ablehnung keinen Hehl. Immer wieder kam es auf öffentlichen Plätzen zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Gammlern und aufgebrachten Passanten. Konservative Zeitungen forderten ein hartes Durchgreifen. Und Bundeskanzler Ludwig Erhard erklärte dem »Gammler-Unwesen« den »Krieg«.114 Diese Empörung, die in den Gammlern einen offenen Angriff auf die eigene Lebensweise erkannte, griff auch Freddy Quinn auf. Im Herbst 1966 veröffentlichte der Schlagersänger, der nahe der Reeperbahn seine Karriere begonnen hatte, die Single »Wir«. Darin hieß es: »Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir! / Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? Wir! / Ihr lungert herum in Parks und in Gassen! /Wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? / Wir! Wir! Wir! / Wer hat den Mut, für euch sich zu schämen? Wir! / Wer läßt sich unsre Zukunft nicht nehmen? Wir / Wer sieht euch alte Kirchen beschmieren / und muß vor euch jede Achtung verlieren? Wir! Wir! Wir! / Denn jemand muß da sein, der nicht nur vernichtet, der uns unseren Glauben erhält / der lernt, der sich bildet, sein Pensum verrichtet / zum Aufbau der morgigen Welt. / Die Welt von morgen sind bereits heute: wir / Wer bleibt nicht ewig die lautstarke Meute? Wir! Wer sagt sogar, daß Arbeit nur schändet? / Wer ist so gelangweilt, so maßlos verblendet? Ihr! Ihr! Ihr!«115 Unter der Überschrift »Es bröckelt«116 veröffentlichte der Spiegel im Jahr 1969 einen Artikel über den westdeutschen Wohnungsbau. Darin nahm er die 108 Ebd., S. 70. 109 Ebd., S. 72. 110 Ebd., S. 76. 111 Ulrich Bathke, Aber eine Zahnbürste hat jeder, in: Die Zeit, 25.3.1966, S. 64. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 Erhard erklärt Gammlern den Krieg, in: Hamburger Abendblatt, 24.6.1966, S. 1. 115 Freddy gegen Gammler, in: Hamburger Abendblatt, 5.11.1966, S. 55. 116 Es bröckelt, in: Der Spiegel, 3.2.1969, S. 38–63.
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Bedenken auf, die einige Soziologen, Stadtplaner und Publizisten seit den frühen 1960ern formuliert hatten. Diese kritische Ausrichtung unterstrich auch die Illustration der ersten Doppelseite (Abb. 30)117. Die nebeneinander stehenden Fotografien mehrerer Großsiedlungen erzeugten den Eindruck einer überwältigenden Eintönigkeit. Sie zeigten tausende von Geschosswohnungen, die sich kaum voneinander unterscheiden ließen. In diesen Gesamteindruck fügte sich auch eine Fotografie ein, auf der eine Reihe von Eigenheimen zu erkennen war. Deren aufeinanderfolgende Giebeldächer wirkten nicht weniger monoton. Sowohl die immer weiter wachsenden Großsiedlungen als auch die wuchernden Einfamilienhäuser sah der Spiegel als Ausdruck der gleichen Krise: »Nach Hunderttausenden zählt das Heer der Kläger, die zwischen Hamburg und München, Köln, Kassel und Berlin in tristen Vorstadt-Gettos hausen − eingepfercht in die engen Zellen betongrauer Wohnmaschinen, eingemauert in die trostlose Gleichförmigkeit von Miethaus-Zeilen, verbannt in die grüne Einöde genormter Reihenhaussiedlungen und Eigenheim-Parzellen.«118 Zwar hätten der Bau von Großsiedlungen und die Förderung von Eigenheimen entscheidend dazu beigetragen, das Wohnungselend der Nachkriegszeit zu überwinden. Doch nun zeigten sich die Schattenseiten. Der moderne Städtebau habe »gespenstisch leblose Schlafstädte«119 hervorgebracht. Ein weitgehender Zusammenbruch des sozialen Zusammenhalts und zunehmende psychische Beschwerden wie innere Unruhe, Schlaflosigkeit und allgemeines Unlustgefühl seien die Folge. Zudem häuften sich auch in den Einfamilienhausgebieten die Probleme. In den USA sei dies bereits unübersehbar. Zustimmend zitierte der Spiegel einen westdeutschen Architekten, der das Leben in den dortigen Vororten scharf kritisierte. Gerade die Planungskonzepte des Architekten Frank Lloyd Wright seien gescheitert: »Die ›Broadacre city‹ – ein Widerspruch in sich – will zurück ins Dorf, will die Farm für jeden. Allerdings wird jedem nur die Perversion einer Farm zuteil, in der die Hausfrauen vegetieren, durch hochentwickeltes Hausgerät ohne Ersatz ihres alten Daseinszweckes beraubt, als ›grüne Witwen‹ an Sozialneurosen laborierend oder als abgestumpfte Bruthennen ein sozial verkümmerndes Kind ›sittend‹, das im Umkreis keinen gleichaltrigen, gleichgesinnten Spielgefährten finden kann, während der Ehemann sein Einfamilienhaus-Glück unter anderem mit stundenlangen Autofahrten während der Rushhour auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bezahlt.«120 Trotz dieser sich abzeichnenden Risse war der Traum vom eigenen Haus noch lange nicht zerbrochen. Weiterhin zogen junge Familien in neue Einfamilienhausgebiete, die am Rand der Stadt entstanden. Neben dem Willen zum sozialen Aufstieg und der konservativen Wohnungsbaupolitik blieb auch die Massenmotorisierung eine der treibenden Kräfte. Allein von 1960 bis 1970 stieg 117 118 119 120
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die Zahl der Autos in Hamburg von 175.000 auf 433.000 an.121 Immer weniger bestimmte die Lage des Arbeitsplatzes die Wahl des Wohnortes. Während viele Angestellte und Facharbeiter nach wie vor in der City und im Hafen arbeiteten, wohnten sie nun im Umland. Die Zahl der Berufspendler, die jeden Morgen die Landesgrenzen überschritten, stieg von 97.000 im Jahr 1960 auf 135.000 im Jahr 1970 an.122 Dies blieb für die Einwohnerzahl Hamburgs nicht ohne Folgen. Im Jahr 1964 hatte sie mit 1.857.000 ihren Höchststand erreicht.123 Danach begann die Stadt zu schrumpfen. Demgegenüber stieg die Einwohnerzahl in den an Hamburg angrenzenden Landkreisen deutlich an, von 827.000 im Jahr 1961 auf mehr als eine Million im Jahr 1970.124 Im Jahr 1967 erschien der Abschlussbericht der »Unabhängigen Kommission für den Aufbauplan der Freien und Hansestadt Hamburg«125. Darin wandte sich die Kommission, in welche die Bürgerschaft unter anderem auch den Architekten Fritz Trautwein und die Familiensoziologin Elisabeth Pfeil berufen hatte,126 dem »Wanderungsdefizit«127 zwischen Stadt und Umland zu. Einen Rückgang der Bevölkerung im Stadtzentrum sah sie als alternativlos an. Weiterhin befürwortete sie dessen »Auflockerung und Gliederung«128. Zugleich zweifelte sie an der Attraktivität des innerstädtischen Wohnens. Eine Mehrheit der Hamburger wünsche sich, an den Stadtrand zu ziehen.129 Problematisch sei hingegen die fehlende staatliche Planung. Viel zu häufig habe das »zufällige Landangebot«130 in Umlandgemeinden den Standort neuer Wohngebiete bestimmt. Dies habe zu einer Überlastung der Straßen durch »Berufspendlerströme«131 und zu einer »Zersiedlung der Landschaft«132 geführt. Notwendig sei deswegen eine »Stadtund Regionalplanung«133, die nicht an der Stadtgrenze ende. Diese müsse sicherstellen, dass neue Wohngebiete vor allem an den Haltestellen von Schnellbahnlinien und entlang von Autobahnen entstünden. Dazwischen müssten breite Grünzüge erhalten bleiben. 121 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 229; Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 90. Zur Massenmotorisierung in Hamburg siehe: Bardua / Kähler (Hrsg.), Die Stadt und das Auto. 122 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 100; Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 66. 123 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1970/71, S. 9. 124 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Taschenbuch 1971, Hamburg 1971, S. 22. 125 Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960. 126 Ebd., S. 12 f. 127 Ebd., S. 28. 128 Ebd., S. 15. 129 Ebd., S. 80. 130 Ebd., S. 90. 131 Ebd., S. 15. 132 Ebd., S. 59. 133 Ebd., S. 11.
Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim
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In den folgenden Jahren fanden diese Empfehlungen Eingang in die Politik des Senats. Insbesondere in die Planungen für die Trabantenstadt Billwerder-Allermöhe. Im Jahr 1972 berichtete das Hamburger Abendblatt unter der Überschrift »Größtes deutsches Projekt: Hamburg baut neue Stadt an der Oberelbe«134 erstmals über das Vorhaben. In enger Zusammenarbeit mit der Neuen Heimat plane der Senat im Südosten Hamburgs einen vollkommen neuen Stadtteil. Entlang der Schnellbahnlinie nach Bergedorf sei vorgesehen, Wohnungen für 80.000 und Arbeitsplätze für 40.000 Menschen zu schaffen.135 Die Kosten lägen bei sechs Milliarden DM.136 Baubeginn sei voraussichtlich im Jahr 1975.137 Vordergründig setzte der Senat mit der Trabantenstadt Billwerder-Allermöhe die Wohnungsbaupolitik der 1950er und 1960er fort. Vor allem Sozialwohnungen sollten gebaut werden. Doch neben die Bekämpfung der Wohnungsnot traten nun neue Ziele. Dies machte der Staatsrat Diether Haas in einer Rede deutlich, die er im Jahr 1973 hielt: »Der Senat hat die von ihm mit dem Projekt verfolgten Ziele folgendermaßen definiert: ›Das Projekt Billwerder-Allermöhe ist wesentliches Element einer Stadtentwicklungspolitik, die die Anziehungskraft Hamburgs für die Bevölkerung und Wirtschaft nicht nur erhalten, sondern verbessern und steigern soll. Das Projekt soll helfen, – den durch ständige Abwanderung junger und aufstrebender Familien bedingten unausgewogenen Altersaufbau der Bevölkerung zu verbessern und einer ungünstigen Entwicklung der Sozialstruktur vorzubeugen; – den noch bestehenden Wohnraummangel weiter abzubauen und die Nachfrage nach größeren und besseren Wohnungen zu befriedigen; – Betrieben, die an ihrem bisherigen Standort keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr haben, auf Hamburger Gebiet in günstiger Lage gut erschlossene Flächen zur Verfügung zu stellen; – durch die Ansiedlung neuer Produktions- und Dienstleistungsbetriebe die Hamburger Wirtschaftskraft zu steigern und attraktive Arbeitsplätze zu gewinnen.«138
134 Größtes deutsches Projekt: Hamburg baut neue Stadt an der Oberelbe, in: Hamburger Abendblatt, 8.7.1972, S. 1. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd. 138 Diether Haas, Rede am 26. Oktober 1973 in Bergedorf, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Projekt Billwerder-Allermöhe. Der Planungsprozeß. Eine Zusammenstellung wichtiger Beschlüsse, Ergebnisse und Reden, Hamburg 1974, S. 20–28, hier S. 20 f.
4. Hochhäuser statt Slums
Entschieden trat Ernst May, der im Jahr 1954 die Stelle als »Chefplaner«1 der Neuen Heimat übernommen hatte, für eine umfassende »Sanierung«2 des Gründerzeitviertels Altona-Altstadt ein. Auch die Altbauten, die nicht durch Bombardements zerstört worden waren, sollten abgerissen werden. An ihrer Stelle entwarf er einen modernen Stadtteil. Mit dem bezeichnenden Namen »Neu-Altona«3. Kurze Zeit später begann ein Planungsbüro, das mit Vertretern der Neuen Heimat und der Baubehörde besetzt war, mit den Vorarbeiten für den insgesamt 210 Hektar großen Stadtteil.4 Angesichts der Größe des Gebiets und der Radikalität der Vorgehensweise stießen die Planungen auf großes öffentliches Interesse, unter anderem im Spiegel, in dem im Mai 1955 eine Titelgeschichte über Ernst May erschien. Darin schilderten die Journalisten einen Besuch in Altona-Altstadt: »Viele Blicke folgten dem großen, breitschultrigen Mann, der an einem sonnigen Märztage des vergangenen Jahres in den Hinterhof stapfte. Die Hände in den Taschen seines dunklen Überziehers, durchmaß er die enge Schlucht vom Torweg bis zu der kalkbeworfenen Mauer am anderen Ende des Hofes. Hinter den staubgrauen Gardinen wurde es lebendig. Hier und da öffneten sich die Fenster, und Frauen in buntgemusterten Hauskitteln beugten sich ungeniert hinaus. Selbst die reifenspielenden Kinder hielten inne und bestaunten den Hünen – selten nur kommt ein Fremder hierher, obwohl nur wenige Schritte entfernt der große Autostrom von der Hamburger Innenstadt zu den Elbvororten jagt. Der Riese, der soviel Aufsehen erregte, hatte mittlerweile vier jüngere Herren um sich versammelt. Mißbilligend wies er auf die tristen Fassaden des Hinterhofs. Aus den düsteren Hausfluren wallte Küchendunst. Nur ein Wort sagte der Hüne zu seinen Begleitern: ›Slums‹.«5 1 Der Plan-Athlet, in: Der Spiegel, 4.5.1955, S. 30–37, hier S. 30 f. 2 G. Baumann, Neu-Altona, eine großartige Chance, in: Hamburger Abendblatt, 27.11.1954, S. 5. 3 Ebd. Zu Neu-Altona siehe: Sylvia Necker, Zwischen Abriss, Neuplanung und Rekonstruktion. Neu-Altona als Teil des Hamburger Wiederaufbaus 1950–1979, in: Georg WagnerKyora (Hrsg.), Wiederaufbau europäischer Städte. Rekonstruktionen, die Moderne und die lokale Identitätspolitik seit 1945, Stuttgart 2014, S. 423–443; Seidel, Ernst May; Christoph Timm, »… Die Kraft des freien Westens«. Neu-Altona – Wiederaufbau als Stadtsanierung, in: Axel Schildt / Arnold Sywottek (Hrsg.), Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 1988, S. 461–493. 4 Baubehörde Hamburg, Neu-Altona. Planung zum Aufbau und zur Sanierung eines kriegszerstörten Stadtkerngebietes in der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1958, S. 18. 5 Der Plan-Athlet, in: Der Spiegel, S. 30.
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Vier Jahre nach diesem Besuch veröffentlichte die Baubehörde das Buch »Neu-Altona. Planung zum Aufbau und zur Sanierung eines zerstörten Stadtkerngebietes in der Freien und Hansestadt Hamburg«6. Darin wandte sie sich ausführlich der Geschichte des Stadtteils zu. Im Zuge der Industrialisierung war Altona-Altstadt rasant gewachsen. Von 1840 bis 1905 hatte sich die Zahl der Einwohner von 30.000 auf mehr als 90.000 erhöht.7 Danach ging sie deutlich zurück, vor allem durch den Zweiten Weltkrieg. Dennoch lag im Jahr 1955 die Zahl der Einwohner schon wieder bei 42.000 Menschen.8 Weiterhin war Altona-Altstadt ein Arbeiterviertel. Im Jahr 1955 waren 65 Prozent der dort wohnenden Erwerbstätigen Hilfs- oder Facharbeiter.9 Zugleich durchzog eine Vielzahl kleinerer Werkstätten, Fabriken und Lager den Stadtteil. Insgesamt arbeiteten im Jahr 1950 in knapp 3.000 Betrieben mehr als 15.000 Beschäftigte.10 Einen Eindruck von der »Enge und Unordnung der Bebauung«11 vermittelte eine der Fotografien, mit denen die Baubehörde das Buch illustrierte (Abb. 31)12. Von einem Häuserdach aus blickte der Betrachter auf dicht bebaute Hinterhöfe. Gründerzeithäuser mit heruntergekommenen Fassaden grenzten unmittelbar an Fabriken mit riesigen Schornsteinen. Über dem Stadtteil lag der Dunst von Fabriken und Kohleheizungen. Alles war grau, bis auf die weiße Bettwäsche, die zum Lüften aus einem der Fenster hing. Bessere Lebensverhältnisse, daran bestand für die Baubehörde kein Zweifel, konnten nur durch Abriss und Neubau erreicht werden. Dies unterstrich auch der Bucheinband (Abb. 32)13. Unter der Überschrift »Neu-Altona« war ein Luftbild der westlichen inneren Stadt zu sehen. Die außerhalb des neuen Stadtteils liegenden Gebiete waren rot eingefärbt: die Elbe und der Fischereihafen im Süden, der Bahnhof Altona und die angrenzenden Industriegebiete im Nordwesten und das Vergnügungsviertel St. Pauli im Osten. Breite gelbe Linien, die den Verlauf der zukünftigen Hauptverkehrsstraßen markierten, überlagerten das Luftbild. Bis zu 38 Meter breite Straßen sollten den reibungslosen Ablauf des Berufsverkehrs gewährleisten, der aus der äußeren Stadt und dem Umland zum Hafen und in die City strömte.14 Auch in den Stadtteilen, die außerhalb des eigentlichen Planungsgebietes lagen, setzte dies den Abbruch von Altbauten voraus. Unter den gelben Linien schimmerten die abzureißenden Gründerzeithäuser hindurch. Gerade hier zeigte sich die »Dynamitwirkung des Autos«15, von welcher der Spiegel in seinem Portrait über Ernst May geschrieben hatte. Das 6 Baubehörde Hamburg, Neu-Altona. 7 Ebd., S. 24. 8 Ebd. 9 Ebd., S. 50. 10 Ebd., S. 62. 11 Ebd., S. 31. 12 Ebd., S. 10. 13 Ebd., Bucheinband. 14 Ebd., S. 85–88. 15 Der Plan-Athlet, in: Der Spiegel, S. 31 f.
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Planungsgebiet selbst war türkis gekennzeichnet. Hier war von den bestehenden Gebäuden nichts mehr zu sehen. Stattdessen überlagerte der »Programmplan Neu-Altona«16 das Luftbild. Dieser Programmplan wies eine vollkommen neue Architektur aus. An die Stelle von Blockrandbebauung und dicht bebauten Hinterhöfen waren Zeilenbauten und Hochhäuser getreten. Eine »großzügige neue städtebauliche Ordnung« hatte die »zersplitterten Grundstücksflächen« abgelöst.17 Zugleich hatten die Planer Wohnen und Arbeiten klar voneinander getrennt. Angesichts der Nähe zum Hafen und zum Industriegebiet in Ottensen blieb Neu-Altona ein wichtiger Gewerbestandort. Aber die Fabriken und Werkstätten waren aus den Hinterhöfen herausgelöst und in zwei Gewerbegebieten konzentriert worden, eines davon direkt am Elbrand.18 Dies galt auch für Kaufhäuser, Büros und Hotels, für die neu geschaffene Geschäftsgebiete vorgesehen waren. Zudem trugen große Parks zu einem »aufgelockerten und durchgrünten Stadtbild«19 bei. Angesichts seiner »Nähe zu Hafen und Industrie«, so hob die Baubehörde hervor, werde auch Neu Altona ein »Arbeiter-Wohngebiet« sein, aber eines mit deutlich verbesserten Wohnverhältnissen.20 Jeder der 36.000 Einwohner sollte zukünftig über eine gut ausgestattete, helle und luftige Wohnung verfügen.21 Um dieses Ziel zu erreichen, plante die Baubehörde 7.000 alte Wohnungen abzureißen und durch 9.000 neue zu ersetzen.22 Für »Slums«, so die Überzeugung, war in einer modernen Stadt nicht länger Platz. Im Jahr 1961 arbeiteten in Hamburg mehr als 30.000 Menschen im Schiffbau, davon allein 26.000 bei fünf Großwerften.23 Doch die wirtschaftliche Bedeutung des Schiffbaus ging weit darüber hinaus. Zulieferbetriebe für die Großwerften prägten auch die Elektrotechnik und den Maschinenbau mit ihren zusammen knapp 60.000 Arbeitsplätzen.24 Im Unterschied zum Schiffbau spielten in diesen beiden Branchen auch mittlere und kleinere Betriebe eine wichtige Rolle. Dies galt vor allem für den Maschinenbau. Von 28.000 Arbeitern und Angestellten waren knapp 18.000 in Betrieben mit weniger als 1.000 Beschäftigten tätig.25 Wegen der geringeren Größe und wegen des nicht benötigten Zugangs 16 Arthur Dähn, Neu-Altona, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1954–1968, Hamburg 1969, S. 239–250, hier S. 242. 17 Baubehörde Hamburg, Neu-Altona, S. 13 f. 18 Ebd., S. 47. 19 Ebd., S. 74 f. 20 Ebd., S. 50. 21 Ebd., S. 49. 22 Ebd., S. 56. 23 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1962, Hamburg 1962, S. 134 und S. 143 f. Zum Schiffbau siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 36–40 und S. 46. 24 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1962, S. 134. 25 Ebd., S. 144.
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zum Wasser waren diese Betriebe über das gesamte Stadtgebiet verstreut. Allein im Bezirk Altona, zu dem unter anderem die Gründerzeitviertel Altona-Altstadt und Ottensen gehörten, waren mehr als 7.000 Menschen in Maschinenbaubetrieben beschäftigt.26 Einer dieser Betriebe war die Theodor Zeise Spezialfabrik für Schiffschrauben, die mitten im dicht bebauten Ottensen lag.27 Im Jahr 1868 hatte Theodor Zeise die Maschinenbaufabrik an der Friedensallee gegründet. Schon früh spezialisierte er sich auf den Bau von Schiffsschrauben und ging enge Geschäftsbeziehungen mit den nahe gelegenen Werften ein. Mit deren Aufstieg begann auch der Aufstieg der Zeise-Fabrik. In den folgenden Jahrzehnten gelang es dem Zulieferer sich durch zahlreiche technische Neuerungen als Weltmarktführer zu etablieren. Daran konnte das Unternehmen auch nach dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen. Vor allem von dem einsetzenden Boom der Tankschifffahrt profitierte die Zeise-Fabrik. Je mehr die Nachfrage nach billigem Erdöl wuchs, desto größere Tanker gaben die Erdöl-Konzerne bei den Werften in Auftrag. Und mit der Größe der Tanker wuchs auch die Größe der Schiffsschrauben. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung zum Jahreswechsel 1966/1967. Für einen 190.000 Tonnen tragenden Tanker, den Esso bei den Howaldtswerken in Kiel in Auftrag gegeben hatte, fertigte die Zeise-Fabrik die Schiffsschraube an.28 In einer Anzeige warb der Zulieferer mit dem Slogan: »Der größte Schiffspropeller, der je gegossen wurde« (Abb. 33)29. Vor einem weißen Hintergrund hing der riesige Rohling am Haken eines Kranes. Am unteren Bildrand hielt ein Arbeiter, der mit einem Blaumann und einer Schiebermütze bekleidet war, einen der Flügel in der Hand. Gegenüber dem Rohling, der einen Durchmesser von 8,90 Metern hatte und 70 Tonnen schwer war, wirkte er verschwindend klein.30 Neben dem schieren Ausmaß der Schiffsschraube verwies auch eine Zeichnung des Esso-Tankers auf die zentrale Bedeutung der Erdölindustrie. Aber die Anzeige unterstrich nicht nur die wirtschaftlichen Verflechtungen. Zugleich legte sie den Arbeitsprozess innerhalb der Fabrik offen, durch die Fotografie der Schiffsschraube und durch eine kurze Legende, die den Betrachter über den Durchmesser, das Gewicht und das verwendete Material Alcunic informierte. Alcunic war eine eigens von Zeise entwickelte Nickel-Mangan-AluminiumBronze.31 In Elektro-Induktionsöfen, die ein Fassungsvermögen von bis zu 30 Tonnen hatten, schmolzen die Arbeiter die verschiedenen Metalle.32 Dann 26 Ebd., S. 150. 27 Zur Zeise-Fabrik siehe: Anne Mahn, Propeller des Fortschritts. Die Zeises in HamburgAltona, Hamburg 2008. 28 Riesenpropeller auf dem Weg nach Kiel, in: Hamburger Abendblatt, 18.3.1967, S. 3. 29 Theodor Zeise Spezialfabrik für Schiffsschrauben Hamburg-Altona, Der größte Schiffspropeller, der jemals gegossen wurde, Hamburg 1967. 30 Ebd. 31 Zum Arbeitsprozess in der Zeise-Fabrik siehe: Mahn, Propeller des Fortschritts, S. 36–43. 32 Theodor Zeise Spezialfabrik für Schiffsschrauben Hamburg-Altona, Der größte Schiffspropeller.
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transportierte ein Kranführer die flüssige Legierung in einer Gusspfanne in die Gießereihalle. Dort hatten Arbeiter, ausgehend von den Zeichnungen des Konstruktionsbüros, eine Hohlform aus Lehm und Ziegelsteinen gebaut. In diese Hohlform goss der Kranführer das flüssige Metall. Der Guss der Schiffsschraube dauerte nur wenige Minuten, das Aushärten bis zu sieben Tage. Nachdem das Metall erkaltet war, hoben die Arbeiter den Rohling mit einem Kran aus der Formgrube. Diesen Arbeitsschritt zeigt die für die Anzeige verwendete Fotografie. Danach drehten Arbeiter eine Narbe in den Rohling und schliffen ihn ab. Schließlich transportierte ein Tieflader die nun maßgenaue und glatte Schiffschraube zu der Montage auf die Werft. Vor allem das Gießen der Schiffsschraube war mit erheblichen Belastungen verbunden. Giftige Dämpfe griffen die Lungen und Augen der Arbeiter an, schwärzten die Wände der Gießereihalle und breiteten sich im Stadtteil aus.33 Gerade auch in den Wohngebäuden, die unmittelbar an die Zeise-Fabrik angrenzten. Dass dieses ungeordnete Nebeneinander für die Unternehmensleitung zu einem Problem geworden war, hatte jedoch einen anderen Grund. Um immer größere Schiffsschrauben herstellen zu können, musste sie immer größere Werkhallen errichten. Schon Mitte der 1950er zeichnet sich ab, dass dies im dicht bebauten Ottensen bald nicht mehr möglich sein würde. Deswegen entschied die Unternehmensleitung, das Werk an den Stadtrand zu verlagern. Etwa ein Jahrzehnt später, als die Schiffschraube für den Esso-Tanker gegossen wurde, befand sich die Schleiferei, und damit ein wesentlicher Teil des Werkes, bereits in Stellingen. Und auch die Gießerei sollte bald folgen. Da die Unternehmensleitung von einem weiteren Wachstum der Schiffschrauben ausging, war dies fest eingeplant. Dieser optimistische Blick in die Zukunft prägte auch die Festschrift, die die Theodor Zeise Spezialfabrik für Schiffschrauben, anlässlich ihres hundertjährigen Bestehens, im Jahr 1968 herausgab. Trotz ihrer langen Geschichte, so die Verfasser, sei die Zeise-Fabrik »immer jung geblieben«34. Auch das Hamburger Abendblatt teilte diese Zuversicht. Ausführlich berichtete es über die riesigen Schiffsschrauben, die das Unternehmen in den vorangegangenen Jahren hergestellt hatte. Und schloss dann: »In der Fertigung befinden sich aber noch viel Größere für die Supertanker von morgen, die auch in Zukunft den Ruf der Firma Zeise bestätigen werden.«35 In seiner Dissertation, die im Jahr 1954 unter dem Titel »Der Hamburger Hafenarbeiter. Soziale Probleme beim Güterumschlag«36 erschien, wandte sich der wirtschaftsnahe Wissenschaftler Werner Klugmann auch den Wohnverhältnissen zu. Weiterhin lebe die Mehrheit der Gelegenheitsarbeiter »in der inneren 33 Mahn, Propeller des Fortschritts, S. 52. 34 Theodor Zeise GmbH & Co., 100 Jahre Theodor Zeise Hamburg-Altona. Spezialfabrik für Schiffsschrauben, Darmstadt 1968, o. S. 35 100 Jahre Theodor Zeise, in: Hamburger Abendblatt, 1.11.1968, S. 32. 36 Klugmann, Der Hamburger Hafenarbeiter.
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Stadt und im inneren Ring der Wohngebiete um die City und die Alster«37. Eine Erhebung des Gesamthafenbetriebs aus dem Jahr 1952 habe ergeben, dass von 9.500 registrierten Hafenarbeitern 66 Prozent dort ihren Wohnsitz hätten.38 Vor allem die Stadtviertel Neustadt, St. Pauli und Altona-Altstadt seien beliebt. Erklären lasse sich dies mit der von »Tradition und Gewohnheiten beeinflußten Haltung der Hafenarbeiter«, dem »Verhaftetsein mit dem angestammten Wohnstadtteil« und den Besonderheiten der Hafenarbeit.39 Die Hafenarbeiter müssten eine Viertelstunde vor Schichtbeginn an den Anlegestellen am Hafenrand erscheinen, um von dort mit Barkassen zu ihrem eigentlichen Arbeitsplatz in den Stückgutfrachtern und Kaischuppen transportiert zu werden. Auch das Schichtende verzögere sich durch den Rücktransport um eine Viertelstunde. Noch länger dauere der Arbeitstag bei den Beschäftigten des Gesamthafenbetriebs. Diese seien verpflichtet eine Stunde vor Abfahrt der Barkassen ihre Arbeitskarte beim Gesamthafenbetrieb abzugeben. Zusammen mit der halbstündigen Mittagspause verlängere sich der Acht-Stunden-Tag so auf zehn Stunden.40 Um auf dem Weg zur Arbeit nicht noch mehr Zeit zu verlieren, versuchten deswegen gerade die Gelegenheitsarbeiter, in der Nähe des Hafens zu wohnen. Die »traditionelle Lage der hauptsächlichen Hafenarbeiterwohngebiete«41 bestimmte auch das Verhältnis von Stadt und Hafen. Zwischen Landungsbrücken und Baumwall, und damit genau dort, wo die dicht bevölkerten Viertel des Zentrums an das Elbufer angrenzten, befand sich seit dem 19. Jahrhundert das »Einfallstor in den Hafen«42. Von hier verteilten die Barkassen den »Arbeiter strom«43, der aus den nördlich gelegenen Stadtteilen kam, im Hafengebiet. Darauf verwies auch die Karte »Das Hafenerweiterungsgebiet von 1960 und die gegenwärtige Generalplanung« (Abb. 2)44. In sie waren die Anlegestellen der Barkassen ebenso eingezeichnet wie die Hafenarbeiterviertel Neustadt und St. Pauli. Aber das nördliche Elbufer war nicht nur ein Einfallstor in den Hafen. Es war auch ein Einfallstor in die Stadt, vor allem für die Seeleute der Stückgutfrachter, die bis zu zwei Wochen lang im Hafen festmachten. Dies verdeutlichte ein mehrsprachiger Reiseführer für das Vergnügungsviertel St. Pauli, der im Jahr 1956 erschien. Über eine Fotografie, die Hafenarbeiter auf dem Weg zu Arbeit zeigte (Abb. 34)45, war in englischer Sprache zu lesen: »St. Pauli – a suburb of Hamburg, whose inhabitants for the greater part work in the docks; but this is not all: St. 37 Ebd., S. 100 f. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 101 f. 40 Ebd., S. 103 f. 41 Ebd., S. 104. 42 Ebd. 43 Ebd., S. 107 f. 44 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, Anlage 2. 45 Dirks Paulun, St. Pauli, Flensburg 1956, S. 9.
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Pauli is Hamburg’s famous amusement centre, known all over the world and for more than a century greatly favoured by sailors. Already from far away can be seen the massive Bismarck monument und here begins the ›Reeperbahn‹. St. Pauli’s main street, where you find literally hundreds of places of amusement, everywhere teeming with life and vitality. The Reeperbahn carries the visitor from one excitement to another, and just to walk along the street is an adventure.«46 Das sollte sich auch an einem Abend im Herbst 1960 zeigen. Damals, so erzählt Klaus Voormann, habe er sich ein weiteres Mal mit seiner Freundin Astrid Kirchherr gestritten. Um sich dem zu entziehen, sei er alleine durch die Straßen der Stadt gezogen: »Irgendwann landete ich auf der Reeperbahn im berüchtigten Stadtteil St. Pauli. An der Ecke Große Freiheit hielt ich an, um eine Tüte Pommes zu kaufen. Ich beobachtete die typische Szene: düster blickende Türsteher, die Besucher in die jeweiligen Clubs und Etablissements zu locken versuchten, teilweise in recht handgreiflicher und direkter Form. Hier befand sich auch das Hippodrom, wo sonst kleine Esel ihre Runden zogen. Durch die halb geöffnete Tür sah ich, wie sich zwei vollschlanke Frauen mit Schlamm bewarfen. Das Publikum grölte, und der Türsteher versuchte mich hineinzuzerren. Ich schüttelte ihn ab. Das alles gefiel mir irgendwie nicht. Es machte mir sogar Angst. Ich dachte daran, was meine Mutter wohl sagen würde, wenn sie mich an diesem Ort gesehen hätte. Ich war bereits im Begriff nach Hause zu laufen, als ich wie vom Blitz getroffen stehen blieb. Was war denn das? Es kam von einem der benachbarten Kellerclubs. Musik, wie ich sie nie zuvor gehört hatte.«47 Zufällig hatte Klaus Voormann den Kaiserkeller entdeckt, den ein knappes Jahr zuvor gegründeten ersten Rock’n’Roll-Club Hamburgs.48 Zwar war Bill Haley bereits 1958 in der Ernst-Merck-Halle aufgetreten. Aber nachdem die Konzertbesucher versucht hatten, zwischen den Stuhlreihen zu tanzen, war es zu Schlägereien mit dem studentischen Ordnungsdienst und der Polizei gekommen.49 Danach weigerten sich die großen Hallen, weitere Rock ’n’ RollKonzerte auszurichten. Erst der Kaiserkeller bot den jugendlichen Fans erneut die Möglichkeit, die Musik live zu hören, die sie ansonsten nur aus englischen Radiostationen, seltenen Platten und aus der Jukebox in der Kneipe kannten. Dementsprechend groß war der Erfolg. Schnell eröffneten weitere Rock ’n’ RollClubs. Immer mehr junge englische Bands, vor allem aus Liverpool, spielten nun in St. Pauli, unter ihnen auch die noch unbekannten Beatles.50 46 Ebd. 47 Klaus Voormann, »Warum spielst du Imagine nicht auf dem weißen Klavier, John«. Erinnerungen an die Beatles und viele andere Freunde, München 2003, S. 39. 48 Dieter Beckmann / K laus Martens, Star-Club, Reinbek 1980, S. 11–13. 49 Konzertante Schlägerei, in: Die Zeit, 30.10.1958, S. 11. 50 Zu den Beatles in Hamburg siehe: Spencer Leigh, The Beatles in Hamburg. Der Beginn einer Ära, Hamburg 2011; Ulf Krüger / Ortwin Pelc (Hrsg.), The Hamburg Sound. Beat, Beatles und Große Freiheit, Hamburg 2006; Rainer Moers, Die Beatles. Geschichte und Chronologie, Hamburg 2000; Beckmann / Martens, Star-Club.
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Die Musiker unterschieden sich kaum von dem Publikum, das vor der Bühne tanzte. Junge Männer mit spitzen Schuhen, Lederjacken und Haartollen, junge Frauen mit Reifröcken und Pferdeschwanz. Rock ’n’ Roll, daran bestand kein Zweifel, war die Musik von Arbeiterjugendlichen. Diese »Halbstarken«51 prägten die Clubs in St. Pauli. Doch ab 1960 begann sich dies zu ändern. Nun kamen neue Besucher, unter ihnen auch Klaus Voormann, der in einem Berliner Villenviertel aufgewachsen und zum Studium an der Kunsthochschule nach Hamburg gezogen war. Fasziniert von der Musik und fasziniert von der durch Alkohol, Sex und Gewalt geprägten Atmosphäre verbrachte Voormann den gesamten Abend im Kaiserkeller. Rückblickend schrieb er: »Ich, der Sohn einer großbürgerlichen Arztfamilie, der bis zu diesem Zeitpunkt das Wort Rock ’n’ Roll nicht mal richtig buchstabieren konnte, war plötzlich mittendrin in des Teufels Lasterhöhle. Statt Beethoven und Biedermeier-Sofa in der Frohnau-Villa bevorzugte ich nun ›Long Tall Sally‹ auf dem Klappstuhl in einem düster-verruchten Keller.«52 Zusammen mit seiner »Kunstschul-Clique«53, zu der neben Astrid Kirchherr auch Jürgen Vollmer gehörte, kam er in den folgenden Wochen und Monaten immer wieder in den Kaiserkeller zurück. Eben noch hatten sie sich als »Exis«54 verstanden, Bücher von Jean-Paul Sartre gelesen und Jazz gehört. Nun begeisterten sie sich für den Rock ’n’ Roll. Dennoch unterschieden sie sich weiterhin deutlich von den Halbstarken. Statt schwarzer Lederjacken trugen sie schwarze Rollkragenpullover, statt Pferdeschwänzen und Haartollen Kurzhaarfrisuren und lange nach vorne gekämmte Haare. Schon bald weckte ihr auffälliges Aussehen das Interesse der Beatles. Nach und nach freundeten sich die Musiker aus Liverpool mit den Kunststudenten aus Hamburg an. Die zuvor festgefügten Grenzen zwischen den Söhnen und Töchtern von Arbeitern und denen von Angestellten, Beamten und Selbstständigen begannen sich aufzulösen. Schließlich eröffnete im Frühjahr 1962 der Star-Club.55 In einem alten Kino an der Großen Freiheit, so das gemeinsame Ziel des Inhabers Manfred Weissleder und des Geschäftsführers Horst Fascher, sollte der beste Rock ’n’ Roll-Club Hamburgs entstehen. Zu diesem Zweck hatten sie die alten Kinosessel herausreißen lassen und eine große Tanzfläche geschaffen. Und sie hatten die Beatles engagiert, die sich in den vorangegangenen Jahren eine große Fangemeinde erspielt hatten. Sowohl Weissleder als auch Fascher waren fest in dem Hafenviertel verankert. Weissleder, der in den 1950ern als Elektriker in St. Pauli angefangen
51 52 53 54 55
Jürgen Vollmer, The Beatles in Hamburg. Photographien 1961, München 2004, S. 5. Voormann, Warum spielst du Imagine, S. 42 f. Ebd., S. 43. Vollmer, The Beatles in Hamburg, S. 5. Beckmann / Martens, Star-Club, S. 16–18. Zum Star-Club siehe: Julia Sneeringer, »StarClub auf!«. Musikkultur und Jugendprotest im Hamburg der 1960er Jahre, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 94–109; Siegfried, Time Is on My Side, S. 209–237.
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hatte, betrieb eine Reihe von Striptease-Bars.56 Fascher, der als Sohn eines Seemanns in der nahe gelegenen Neustadt aufgewachsen war, arbeitete als Rausschmeißer.57 Aber der von ihnen gegründete Star-Club zog schon bald ein neues Publikum an. Bereits am ersten Abend bildete sich vor dem Eingang eine große Schlange, die bis zur Reeperbahn reichte. 1.200 Rock ’n’ Roll-Fans drängten sich in dem restlos ausverkauften Star-Club, unter ihnen eine wachsende Zahl von Schülern und Studenten.58 Gleichzeitig veränderte sich auch das Auftreten der Beatles. Dies verdeutlicht eine Fotografie, die in einem Schaukasten vor dem Star-Club aushing (Abb. 35)59. Darauf posierten John Lennon, George Harrison, Paul McCartney und Pete Best mit ihren Instrumenten. Weiterhin waren sie mit schwarzen Lederhosen und schwarzen Lederjacken bekleidet. Doch nur noch Pete Best hatte eine Haartolle. Die drei anderen hatten unter dem Einfluss der Kunstschul-Clique ihre Frisuren verändert. Auch sie trugen nun lange nach vorne gekämmte Haare. Im Laufe des Jahres 1962 spielten die Beatles dutzende Male im Star-Club. Für eine Wochengage von 500 DM.60 Danach kehrten sie nach Liverpool zurück. Erst vier Jahre später kamen sie wieder nach Hamburg. Die Jugendzeitschrift Bravo, die vom Springer-Konzern herausgegeben wurde, hatte sie für die »Bravo-Beatles-Blitz-Tournee« engagiert. Für eine Gesamtgage von 360.000 DM gaben die Beatles im Juni 1966 jeweils zwei Konzerte in München, Essen und Hamburg.61 Allein in Hamburg kamen 11.200 Zuschauer in die Ernst-MerckHalle.62 Immer noch trugen die Beatles die langen nach vorne gekämmten Haare, die in der Zwischenzeit als »Pilzköpfe«63 berühmt geworden waren. Aber an die Stelle der schwarzen Lederklamotten waren dunkle Anzüge getreten. Auch vor der Bühne herrschte, trotz der kreischen Mädchen, weitgehend Ordnung. Ein großes Polizeiaufgebot überwachte den ordnungsgemäßen Ablauf in der vollständig bestuhlten Halle.64 Doch außerhalb der Halle sah dies grundsätzlich anders aus. Hier hatten sich tausende Fans ohne Eintrittskarte versammelt, unter ihnen auch Jugendliche mit schwarzen Lederjacken und langen Haaren. Nachdem sich die Fans trotz mehrfacher Aufforderung geweigert hatten zu gehen, trieb die Polizei sie mit Schlagstöcken und Wasserwerfern auseinander.65
56 Beckmann / Martens, Star-Club, S. 147 f. 57 Horst Fascher, Let the Good Times Roll! Der Star-Club-Gründer erzählt, Frankfurt am Main 2006. 58 Beckmann / Martens, Star-Club, S. 16–18. 59 Krüger / Pelc, The Hamburg Sound, S. 41. 60 Moers, Die Beatles, S. 92. 61 Ebd., S. 393 f. 62 Ebd. 63 Vollmer, The Beatles in Hamburg, S. 26 f. 64 The Beatles am 26. Juni 1966 in der Ernst-Merck-Halle Hamburg. Eine Dokumentation des Polizeieinsatzes, R: Kommando der Schutzpolizei, Deutschland 2003. 65 Ebd.
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Seit dem Ende der 1950er waren die Bauarbeiten für Neu-Altona nur schleppend vorangekommen. Bis zum Jahr 1967 waren von den einst geplanten 9.000 Wohnungen erst 4.300 fertiggestellt.66 Gerade die »Sanierung« der Häuserblöcke, die den Zweiten Weltkrieg weitgehend unzerstört überstanden hatten, machte kaum Fortschritte. Von den 7.000 als »überaltert« eingestuften Wohnungen waren kaum mehr als 1.000 tatsächlich abgerissen worden.67 Zudem hatte Neu-Altona keine unmittelbaren Nachfolger gefunden. Auch in den 1960ern prägten heruntergekommene Altbauten und brachliegende Trümmerflächen die innere Stadt. Während am Rande Hamburgs immer mehr Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete entstanden, hatten sich die Gründerzeitviertel kaum verändert. Erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts kam erneut Unruhe auf, vor allem durch die Planungen für das Alsterzentrum, die die Neue Heimat im Jahr 1966 der Öffentlichkeit vorstellte.68 Im Mittelpunkt des Vorhabens, so hieß es in einer Broschüre, stehe der »stark überalterte Hamburger Stadtteil St. Georg«69. Zu einer Sanierung bestehe keine Alternative.70 Die vorhandene Bebauung müsse, mit Ausnahme zweier Kirchen, vollständig abgerissen werden. Stattdessen werde ein »Kranz aus Hochhäusern«71 entstehen. Dessen riesige Dimension unterstrich eine Fotomontage (Abb. 36)72. Am Ufer der Außenalster erhoben sich bis zu 63 Stockwerke hohe Türme.73 In den Türmen, so die Neue Heimat, seien Wohnungen für 20.000 Menschen, im Sockel Einkaufs- und Büroflächen für 15.000 Beschäftigte und unter der Erde U-Bahn-Linien, mehrspurige Straßen sowie Parkebenen für 16.000 Autos vorgesehen.74 Insgesamt erfordere dies Investitionen in Höhe von zwei Milliarden DM.75 Im Alsterzentrum erkannte die Neue Heimat eine Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart, die »auch im Jahre 2000 noch nicht veraltet sein wird«76. Zu Recht wachse die Kritik am Städtebau der Nachkriegszeit. Gerade in den Stadtzentren seien die Chancen, welche die Zerstörungen des Krieges geboten hätten, nicht genutzt worden. Dazu habe auch das starre Festhalten an der Charta von Athen beigetragen: »Das damals noch unerschüttert auf dem Podest stehende städtebauliche Idol der Verminderung der Bevölkerungs66 Baubehörde Hamburg, Neu-Altona, S. 56; Dähn, Neu-Altona, S. 250. 67 Baubehörde Hamburg, Neu-Altona, S. 56; Dähn, Neu-Altona, S. 250. 68 Zum Alsterzentrum siehe: Kramper, Neue Heimat, S. 341–361; Norbert Baues, Konkrete Stadtutopie – Alsterzentrum in St. Georg, in: Ulrich Höhns (Hrsg.), Das ungebaute Hamburg. Visionen einer anderen Stadt in architektonischen Entwürfen der letzten hundertfünfzig Jahre, Hamburg 1991, S. 188–199. 69 Neue Heimat, Das Alsterzentrum. Ein Vorschlag zur Erneuerung des Hamburger Stadtteils St. Georg, Hamburg 1966, S. 5. 70 Ebd., S. 11. 71 Ebd., S. 6 f. 72 Ebd., S. 10. 73 Ebd., S. 11. 74 Ebd. 75 Ebd., S. 13 f. 76 Ebd., S. 5.
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dichte in den Innenstädten und die geringeren Schwierigkeiten des Bauens auf der grünen Wiese oder dem Acker ließen zahlreiche neue Stadtviertel an den Peripherien entstehen, aufgelockert, von Grün durchzogen, mit viel Licht und Luft, mit langen Wegen zur Arbeitsstätte und – wie man heute sagt – auch mit viel Langeweile. Das bunte Leben und Treiben in den Innenstädten ging zurück. Es gab und gibt das Phänomen der nach Geschäftsschluß toten Citys.«77 Für die Zukunft, so die Neue Heimat, gehe es darum, diese Fehler zu vermeiden. Besonders das Alsterzentrum könne dazu beitragen, dass ein abwechslungsreiches großstädtisches Leben entstehe. Allerdings nicht für die bisherigen Einwohner von St. Georg. Sozialwohnungen waren nicht vorgesehen.78 Ziel der Planungen war es zudem, den kleinteiligen Grundbesitz der innenstadtnahen Altbauviertel neu zu ordnen. Aus unabhängigen Eigentümern von Gründerzeithäusern sollten Anteilseigner einer einzigen Immobiliengesellschaft werden. Dabei vertraute die Neue Heimat nicht auf freiwillige Zustimmung. Bereits in der Vergangenheit sei manche »großzügigere Planungskonzeption« an »zersplitterten Grundstücken und Interessen« gescheitert.79 Deswegen sei ein »Städtebauförderungsgesetz« notwendig, das weitgehende Enteignungen ermögliche.80 Um für dieses Gesetz zu werben, präsentierte die Neue Heimat die Planungen einer breiten Öffentlichkeit, unter anderem mit einer Ausstellung, die Anfang 1967 in St. Pauli stattfand.81 Im 20. Stockwerk des Iduna-Hochhauses, das am Rande des Stadtteils lag, konnten Besucher ein Großmodell des Alsterzentrums bewundern. Und sie konnten ihren Blick über einen »überalterten« Stadtteil schweifen lassen, der ebenfalls keine Zukunft mehr zu haben schien. Unter der Überschrift »Neues St. Pauli zwischen Elbe und Reeperbahn« veröffentlichte das Hamburger Abendblatt im September 1968 einen mehrseitigen Artikel über die Sanierung von St. Pauli-Süd.82 Darin berichtete es ausführlich über den Planungsstand der Baubehörde: »Nur wenige Gebäude bleiben in diesem Viereck erhalten. Bereits im nächsten Jahr wird mit dem ersten Bauabschnitt begonnen. In gut zehn Jahren soll ›Neu-St.-Pauli‹ verwirklicht sein. Die berühmt-berüchtigte Herbertstraße und andere Ecken, die zu den Sehenswürdigkeiten von St. Pauli gehören, mit obskuren Kneipen und
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Ebd., S. 3 f. Alsterzentrum vor der Bezirksversammlung, in: Hamburger Abendblatt, 23.11.1966, S. 6. Neue Heimat, Das Alsterzentrum, S. 3. Zum Städtebauförderungsgesetz siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 198 f. 81 So könnte St. Georg aussehen, in: Hamburger Abendblatt, 10.1.1967, S. 4. 82 Ferdinand Gatermann, Neues St. Pauli zwischen Elbe und Reeperbahn, in: Hamburger Abendblatt, 12.9.1968, S. 1–3, hier S. 1. der geplanten Sanierung von St. Pauli-Süd siehe: Cornehl, »Raummassagen«, S. 120f und S. 401f; Olaf Bartels, Hamburgs ElbGesichter, in: Ulrich Höhns (Hrsg.), Das ungebaute Hamburg. Visionen einer anderen Stadt in architektonischen Entwürfen der letzten hundertfünfzig Jahre, Hamburg 1991, S. 100–109.
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dunklen Hinterhöfen, werden verschwinden.«83 Stattdessen werde ein moderner Stadtteil entstehen: »Dieses City-Gebiet soll so dicht bebaut werden, wie es in Hamburg nach dem Krieg nirgendwo geschehen ist. Das Projekt kann mit dem Alsterzentrum, der geplanten Neugestaltung von St. Georg, verglichen werden. Der Vorteil in St. Pauli: Die Stadt hat dort bereits einen Großteil der Grundstücke aufgekauft.«84 Auch die Bilder, mit denen das Hamburger Abendblatt den Artikel illustrierte, betonten den Bruch zwischen alter und neuer Stadt. Der Fotografie eines dunklen Hinterhofs auf dem Titelblatt standen Abbildungen von verschiedenen städtebaulichen Modellen im Innern der Ausgabe entgegen, darunter auch der Entwurf des Architekturbüros Werner Kallmorgen und Partner. Gerade in ihm zeigte sich die Radikalität des Neuanfangs (Abb. 37)85. Die verfallenden Gründerzeithäuser, engen Hinterhöfe und Fabrikschlote, die St. Pauli-Süd bis dahin geprägt hatten, waren vollständig beseitigt worden. An ihre Stelle war eine »Hochhauskette am Elbufer«86 getreten, mit bis zu 30 Stockwerken.87 Dahinter durchzogen langgestreckte Zeilenbauten den Stadtteil. Demgegenüber sollte sich die Nutzung des Stadtteils nur wenig verändern. Dies unterstrich der Bausenator Cäsar Meister in einem Artikel, den er im Jahr 1970 in einer Festschrift der St. Pauli Kirche veröffentlichte. Die für St. Pauli prägende »Mischung von Wohnen, Arbeiten und Vergnügen«88 müsse erhalten bleiben. Zugleich, so fuhr Meister fort, gehe es darum, die verschiedenen Nutzungen voneinander zu trennen und in verschiedenen Bereichen des Stadtteils zusammenzufassen: Vergnügungseinrichtungen und Geschäfte an der Reeper bahn und einer neu zu schaffenden Fußgängerzone, Büros in den Hochhäusern, Gewerbe am Elbhang und Wohnungen in den dazwischenliegenden Zeilenbauten. Vor allem dem Wohnen wandte sich der sozialdemokratische Senator, der selbst in St. Pauli aufgewachsen war, mit besonderer Aufmerksamkeit zu. So machte er im Hinblick auf die bestehenden Altbauten deutlich: »Mehr als die Hälfte dieser Häuser stammt aus der Zeit vor 1880. Sie stehen zu eng, ihre sanitäre Ausrüstung genügt nicht mehr unseren Ansprüchen und auch die Versorgungseinrichtungen reichen nicht aus. Das Wohnen ist eng vermengt mit der gewerblichen Nutzung und das hat zu erheblichen Schwierigkeiten geführt. Darum mußte St. Pauli in die Überlegungen für die Sanierung Hamburgs eingeschlossen werden.«89 Die schlechten Verhältnisse in den »Wohnungen für Arbeiter«90 könnten nur durch Neubauten überwunden werden. Insgesamt plante 83 Gatermann, Neues St. Pauli, S. 1. 84 Ebd. 85 Cäsar Meister, Gedanken zur baulichen Erneuerung St. Paulis, in: Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Pauli Süd (Hrsg.), Sankt Pauli Kirche zu Hamburg 1820–1970. Eine Hamburgensie anno 1970, Hamburg 1970, S. 56–61, hier S. 59. 86 Gatermann, Neues St. Pauli, S. 3. 87 Ebd. 88 Meister, Gedanken zur baulichen Erneuerung, S. 56. 89 Ebd. 90 Ebd.
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die Baubehörde neue Wohnungen für 10.000 Menschen.91 Vorbild sei dabei der nahegelegene Hexenberg. Dort bereitete die stadteigene SAGA gerade den Bau von mehr als 400 Sozialwohnungen vor.92 Zudem wandte sich Cäsar Meister dem drastischen Bevölkerungsrückgang zu. In St. Pauli war die Zahl der Einwohner allein von 1961 bis 1970 von 45.000 auf 33.000 zurückgegangen.93 In der gesamten inneren Stadt war sie von 845.000 auf 678.000 gesunken.94 Gerade junge deutsche Familien zogen in die Neubauwohnungen der Großsiedlungen, oder, wenn sie es sich leisten konnten, in Einfamilienhäuser am Stadtrand.95 Vor diesem Hintergrund warnte der Bausenator vor einer »Tendenz zur Entvölkerung«96. Auch deswegen sei der »Neubau innerstädtischer Wohnkomplexe«97 notwendig. Im Jahr 1971 veröffentlichte der Senat den »Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der ausländischen Arbeitnehmer in Hamburg«.98 Darin hob er deren wirtschaftliche Bedeutung hervor. Angesichts fehlender »Arbeitskräftereserven im Inland« hätten Unternehmen mit Hilfe der Bundesanstalt für Arbeit »Arbeitskräfte aus dem Ausland« angeworben.99 Vor allem aus der Türkei, Jugoslawien, Italien, Griechenland, Portugal und Spanien. Von 1959 bis 1970 sei allein die Zahl der »beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer« in Hamburg von 6.000 auf 45.000 angestiegen.100 Ein Großteil arbeitete in der Metallindustrie, der Elektrotechnik, dem Maschinenbau und dem Baugewerbe. Besonders die 91 Gatermann, Neues St. Pauli, S. 1. 92 Karlheinz Riecke, Hafennahe Wohnungen am Hexenberg in Altona, in: Architektenund Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 432–433. 93 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 1; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1970/71, S. 1. 94 Baubehörde Hamburg, Leitgedanken für Stadtteile der inneren Stadt in Hamburg, Hamburg 1977, S. 34. 95 Zur Abwanderung junger Familie an den Stadtrand siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 73 f., S. 77–79 und S. 90 f. 96 Meister, Gedanken zur baulichen Erneuerung, S. 56 f. 97 Ebd. 98 Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der ausländischen Arbeitnehmer in Hamburg. Anlage zur Bürgerschaftsdrucksache VII /1186, Hamburg 1971. Zur Arbeitsmigration während des Booms siehe: Lina Nikou, »Mein Name ist Ausländer«. Alltagserfahrungen und Migrationspolitik in der Stadt, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 217–230; Aytaç Eryılmaz u. a. (Hrsg.), Projekt Migration, Köln 2005; Elia Morandi, Italiener in Hamburg. Migration, Arbeit und Alltagsleben vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2004; Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, Bonn 2003; Klaus J. Bade, Ausländer, Aussiedler, Asyl. Eine Bestandsaufnahme, München 1994. 99 Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der ausländischen Arbeitnehmer, S. 5. 100 Ebd., S. 29.
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»erhöhte regionale Mobilität« der »ausländischen Arbeitnehmer« mache es möglich, sie in die »Brennpunkte des Bedarfs« zu lenken.101 Um einen dauerhaften Aufenthalt, so der Senat, gehe es dabei nicht: »Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland. Mit der Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern wird keine Aufstockung der Bevölkerung des Bundesgebiets angestrebt. Erfahrungsgemäß kann davon ausgegangen werden, daß die ausländischen Arbeitnehmer überwiegend nur eine Zeitlang in der Bundesrepublik arbeiten und dann wieder in die Heimat zurückkehren.«102 Dies fand auch in den Wohnverhältnissen seinen Ausdruck. Der vorübergehenden Anstellung als Hilfsarbeiter entsprach die vorübergehende Unterbringung in betriebseigenen Baracken. Dies verdeutlichten zwei Fotografien, mit denen der Spiegel im Jahr 1964 eine Titelgeschichte über »Gastarbeiter« in Deutschland illustrierte (Abb. 38)103. Die linke Fotografie zeigte die Außenansicht eines »Ausländer-Wohnheims in Hamburg«. Hinter der Baracke war ein großer Stahlmast zu erkennen, der auf die Lage in einem Industriegebiet verwies. Die rechte Fotografie zeigte das Innere der Baracke. Dicht gedrängt saßen mehrere Männer auf einem Etagenbett. Zusammen legten die beiden Foto grafien die Situation der »Gastarbeiter« offen. Sie verwiesen auf die Arbeit in der Industrie, den provisorischen Charakter des Aufenthalts und die untergeordnete gesellschaftliche Stellung, gerade im Vergleich zu deutschen Facharbeitern, von denen eine wachsende Zahl in Sozialwohnungen und staatlich geförderten Eigenheimen lebte. Demgegenüber schien die Unterbringung in Baracken für ausländische Arbeitnehmer weiterhin angemessen zu sein. Auch Anfang der 1970er spielten »Gemeinschaftsunterkünfte für ausländische Arbeitnehmer«104 eine zentrale Rolle, insbesondere in der Wahrnehmung des Senats. Weite Teile seines Berichts beschäftigten sich mit diesem Thema. Im Jahr 1970 gebe es in Hamburg 586 Unterkünfte, in denen zehn und mehr ausländische Arbeitnehmer gemeldet seien.105 In Mietwohnungen, Baracken, umgebaute Kinos und Hotels seien insgesamt knapp 17.500 Menschen unter gebracht.106 Doch zugleich legte der Bericht offen, dass sich ein grundlegender Umbruch vollzog. Entgegen der gesamten Ausrichtung der Anwerbepolitik, die den Unternehmen vorschrieb, Wohnraum für die von ihnen beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen, lebten 1970 nur noch ein Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen in Gemeinschaftsunterkünften.107 Der Senat konstatierte: »Die meisten ausländischen Arbeitnehmer wohnen 101 Ebd., S. 5. 102 Ebd. 103 Per Moneta, in: Der Spiegel, 7.10.1964, S. 44–58, hier S. 53. 104 Bericht über die wirtschaftliche und soziale Lage der ausländischen Arbeitnehmer, S. 15 f. 105 Ebd., S. 15. 106 Ebd. 107 Ebd., S. 6.
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privat«.108 Dies habe verschiedene Ursachen, darunter »illegale Einreise«109,»Arbeitsplatzwechsel«110 und das »Nachholen von Familienangehörigen«111. Die Anwerbung von ausländischen Arbeitnehmern war von vorneherein mit einer nicht regulierten Zuwanderung verbunden. Auf der Suche nach einem besseren Leben reisten Türken, Spanier und Portugiesen auf eigene Faust in westdeutsche Großstädte und suchten sich dort Arbeit. Dabei waren sie auf privat angemietete Wohnungen angewiesen. Gleiches galt für diejenigen, die innerhalb Deutschlands das Unternehmen wechselten. Zudem gab es bei der Mehrheit der verheirateten Männer den Wunsch, die eigene Familie nachzuholen. Da die meisten Wohnheime jedoch auf alleinstehende Männer ausgerichtet waren, setzte auch dies den Umzug in eine eigene Wohnung voraus. Deswegen stieg der Anteil privater Unterkünfte schnell an. Dies erkannte auch der Senat. Aber die eigentliche Dynamik, die hinter dem Umzug in eigene Wohnungen stand, blieb ihm verborgen. Die »Gastarbeiter« waren nicht länger bereit, sich in die Rolle einzufügen, die ihnen deutsche Unternehmer und Politiker zudachten. Sie hatten ihre eigenen Pläne. Schon wenige Jahre später hatten die betriebseigenen Gemeinschaftsunter künfte jede Bedeutung verloren. Nun diskutierte die Öffentlichkeit über drohende »Gettos«112. Erneut wandte sich der Senat den Wohnverhältnissen der ausländischen Arbeitnehmer zu. Unter anderem gab er bei der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen (GEWOS) eine wissenschaftliche Studie in Auftrag, die im Jahr 1975 unter dem Titel »Ausländische Arbeitnehmer in Hamburg. Wohnsituation und Integration in ausgewählten Wohngebieten« erschien. Darin machten die Forscher eine Reihe von »Gastarbeiter-Schwerpunkt-Gebieten«113 aus. Neben »Gebieten in unmittelbarer Nähe von Hafen- und Industriegebieten« gehörten dazu »innerstädtische Gebiete mit gemischt wohnlich-gewerblicher Nutzung« und »innerstädtische Gebiete mit überwiegender Wohnnutzung«114. Unter anderem verwiesen die Forscher auf die Stadtviertel St. Georg, Ottensen, Altona-Altstadt und St. Pauli.115 So wie im Süden der Hafen grenzte im Norden die Universität an die Arbeiterviertel der inneren Stadt. Lange Zeit wirkte sich dies kaum aus. Zu gering war die Zahl der Studenten, zu abgeschottet die Lebenswelten. Aber gegen Ende der 1960er begann sich dies zu ändern. Zum einen durch das rasante Wachstum der 108 Ebd. 109 Ebd., S. 7. 110 Ebd., S. 15. 111 Ebd., S. 14 f. 112 Einzelne Stadtteile für Ausländer sperren?, in: Hamburger Abendblatt, 6.12.1973, S. 5. 113 Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen, Ausländische Arbeitnehmer in Hamburg. Wohnsituation und Integration in ausgewählten Wohngebieten, Hamburg 1975, S. 10 f. 114 Ebd. 115 Ebd.
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Universität. Allein von 1953 bis 1970 stieg die Zahl der Studenten von 6.000 auf 29.000 an.116 Zum anderen durch den Wandel der studentischen Wohnformen, der nach 1967 einsetzte. Noch unmittelbar vor Ausbruch der Studentenrevolte war dies nicht absehbar, zumindest nicht für die Statistiker des Hamburger Studentenwerks, die im Sommersemester 1967 eine Vollerhebung unter den eingeschriebenen Studenten durchführten.117 38,9 Prozent der Studenten, so das Ergebnis, lebten bei Eltern und Verwandten, deren Wohnungen meist weit von der Universität entfernt lagen, 36,2 Prozent wohnten zur Untermiete, 11, 7 Prozent, unter ihnen viele Verheiratete, waren Hauptmieter einer eigenen Wohnung und 7,7 Prozent waren in Studentenwohnheimen untergekommen. Von weiteren Alternativen war keine Rede. Währenddessen hatten politische Aktivisten aus dem Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) begonnen, mit neuen Wohnformen zu experimentieren. Anfang des Jahres 1967 gründeten sie in Westberlin die ersten beiden Kommunen.118 In einem Artikel, der zwei Jahre später im Kursbuch erschien, berichteten die Mitglieder der Kommune 2 aus ihrem Alltag: »Sieben Erwachsene und zwei Kinder zogen im Februar 1967 in das Berliner SDS -Zentrum. Sie wollten gemeinsam politisch arbeiten. Doch kurz nach dem Einzug begannen die Privatprobleme das Zusammenleben zu beherrschen. Es war jetzt nicht mehr zu übersehen, daß die Frauen in der Küche kochten, während die Männer politisch diskutierten. Oder: Ein unglückliches Verhältnis konnte nicht mehr im sorgfältig abgedichteten Privatbereich vergraben werden, wenn man den ganzen Tag zusammenlebte. Hatten wir zunächst geglaubt, daß im Laufe einer politischen Zusammenarbeit auch die individuellen Schwierigkeiten sich der kollektiven Bearbeitung erschließen würden, so merkten wir schnell: Wir mußten uns erst einmal mit jahrelang abgewehrten individuellen Problemen (Unfähigkeit zu einer Liebesbindung, unerträglich gewordene Ehen) befassen, ehe wir produktiv würden arbeiten können.«119 Schnell entfalteten die Kommunen eine große Anziehungskraft. Auch in Hamburg fanden sich Nachahmer. Ende der 1960er gründeten Aktivisten des SDS hier die »APO -Press-Kommune«.120 Gemeinsam zogen sie in ein Gründerzeithaus in St. Pauli und gaben dort die Zeitschrift APO -Press heraus. Zunächst schien das nach außen gerichtete politische Engagement im Vordergrund zu 116 Heppe, Erfahrungen beim Aufbau, S. 17; Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 45. 117 Wolfgang Nahrstedt, Wohnsituation und Wohnwünsche der Studenten. Ergebnisse einer Erhebung im SS 1967 an der Universität Hamburg, Hamburg 1970, S. 1 f. 118 Zu Kommunen und Wohngemeinschaften siehe: Sven Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin 2014, S. 351–458; Siegfried, Time Is on My Side, S. 645–655. 119 Kommune 2, Kindererziehung in der Kommune, in: Kursbuch 5 (1969) H. 17, S. 147–178, hier S. 151. 120 Günter Zint, Zintstoff. 50 Jahre deutsche Geschichte. Fotos von Günter Zint, Petersberg 2007, S. 41.
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stehen. Doch dahinter verbarg sich auch hier etwas anderes. Dies verdeutlicht eine Fotografie von Günter Zint (Abb. 39)121. Darauf war eine Gruppe von jungen Männern und Frauen zu sehen, die um einen Küchentisch saßen. Die Fotografie ließ keinen Zweifel an der linksradikalen Einstellung der Bewohner. Auf einem Schrank stand ein Mao-Büste, an der Wand hingen sowjetische Propagandaplakate und auf dem Tisch lag die aktuelle Ausgabe der APO -Press. Gleichzeitig waren die Einflüsse der Subkulturen der 1950er und 1960er unübersehbar: von den Lederjacken der Halbstarken, über das enge Aneinanderrücken der Gammler bis zu den Halstüchern der Hippies. In dem Maße, in dem sich politische Radikalität und subkulturelle Einflüsse verbanden, entstand eine neue Lebensweise. Gerade die festgefügten Geschlechterrollen gerieten ins Wanken. Einige der Männer trugen nun lange Haare, einige der Frauen kurze. Zugleich unterschied sich die gemeinsam eingerichtete Küche deutlich von denen der Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete.122 Im Mittelpunkt des Raumes stand ein großer Tisch, der fast vollständig mit benutzten Suppentellern, leeren Bierflaschen und Zeitschriften bedeckt war. Trotzdem machte sich keine der jungen Frauen daran, diesen aufzuräumen. Mit ihrer demonstrativen Gleichgültigkeit lehnten sie sich gegen das Leben als Hausfrauen auf. Wenn Vereinzelung und Langeweile der Preis für eine saubere und ordentliche Küche war, dann waren sie nicht bereit ihn zu entrichten. Eng verbunden mit dieser Verweigerung war die Rückbesinnung auf die Wohnküche. Die klare Grenze zwischen Küche und Wohnzimmer, welche die modernen Küchenplanerinnen durchzusetzen versucht hatten, begann sich erneut aufzulösen. Mit einem Tisch, an dem nicht mehr nur gegessen, sondern auch gelesen, diskutiert und gefeiert wurde, und mit einem danebenstehenden Sofa. In den folgenden Jahren wurden aus den Kommunen allmählich Wohngemeinschaften. Die hohen politischen Ansprüche traten mehr und mehr zurück. Gleichzeitig breitete sich die neue Wohnform mit rasanter Geschwindigkeit aus. Darauf wies im Jahr 1973 auch eine Studie des Deutschen Studentenwerks hin: »Daß mehr als jeder vierte Student in eine Wohngemeinschaft ziehen will, läßt darauf schließen, daß es sich hier nicht um wenige übersensibilisierte sog. ›ausgeflippte‹ Individuen handelt, sondern daß die von der Studentenbewegung aufgeworfenen Fragen nach neuen Lebenszusammenhängen inzwischen ein bewußtes Problem für weite Teile der Studentenschaft sind.«123 Zu diesem Zeitpunkt lebten in Hamburg bereits 20,4 Prozent der Studenten in Wohngemeinschaften, vor allem in den großen Wohnungen verfallender Gründerzeithäuser.124 121 Ebd. 122 Zur Kücheneinrichtung in den Großsiedlungen und Einfamilienhausgebieten siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 81–84. 123 Gerhard Kath u. a., Das soziale Bild der Studenten in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der 7. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks im Sommersemester 1973, Frankfurt am Main 1974, S. 70. 124 Ebd., S. 68.
5. Die fordistische Stadt
In den 1960ern und frühen 1970ern strebte die fordistische Stadt ihrem Höhepunkt entgegen. Eine Reihe übergreifender Entwicklungen kennzeichnete die verschiedenen städtischen Räume und die mit ihnen verbundenen Arbeitswelten. Insgesamt lassen sich sieben Dimensionen ausmachen: 1. internationale Arbeitsteilung, 2. industrielle Produktion, 3. Rationalisierung, 4. Zentra lisierung, 5. Trennung von Arbeit und Leben, 6. Status der Lohnarbeit und 7. Suburbanisierung. Zu 1: Während des Booms war die Weltwirtschaft durch das Fortwirken des Kolonialismus geprägt. Den wenigen Zentren der industriellen Produktion in Westeuropa, den USA und Japan standen weite Teile Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gegenüber, die in erster Linie Lieferanten von Rohstoffen waren. Diese Struktur der Weltwirtschaft lässt sich, im Anschluss an die Dependenztheorie, mit dem Begriff der internationalen Arbeitsteilung fassen.1 Sie fand in den Handelsströmen, die durch die Hafenstadt Hamburg flossen, einen deutlichen Ausdruck.2 Hamburg importierte Rohstoffe und exportierte Industrieprodukte. Gerade Südamerika gehörte zu den traditionell wichtigsten Handelspartnern, unter anderem für die Reederei Hamburg Süd, deren Stückgutfrachter der CapSan-Klasse auf die Linienfahrt zwischen nordwesteuropäischen und südamerikanischen Häfen ausgerichtet waren. Diese ungleichen Handelsbeziehungen wirkten sich auch auf die Industrie aus. Noch Anfang der 1960er spielte die »importorientierte Industrie«3, die Rohstoffe aus den Ländern des globalen Südens veredelte, für die Hamburger Wirtschaft eine wichtige Rolle.4 Die Bandbreite reichte von der Margarineindustrie bis hin zur Textilindustrie. Mit der Dekolonisierung, zu deren wichtigsten Folgen der Aufbau eigener Industrien in den ehemaligen Kolonien gehörte, gerieten diese Branchen in die Krise. Immer deutlicher trat nun hervor, dass ihr Standort in den Seehäfen des Nordens nicht auf wirtschaftlichen Vorteilen, sondern auf politischem Einfluss beruhte. Der Niedergang der importorien tierten Industrie lässt sich deswegen als erstes Anzeichnen einer globalen Macht verschiebung fassen. 1 Zur internationalen Arbeitsteilung siehe: Hans-Jürgen Puhle (Hrsg.), Lateinamerika. Historische Realität und Dependencia-Theorien, Hamburg 1977; Dieter Senghaas (Hrsg.), Peripherer Kapitalismus. Analysen über Abhängigkeit und Unterentwicklung, Frankfurt am Main 1974; André Gunder Frank, Kapitalismus und Unterentwicklung in Lateinamerika, Frankfurt am Main 1968. 2 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 29–32. 3 Jürgensen / Predöhl, Produktivitätsorientierte Regionalpolitik, S. 61. 4 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 42 f.
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Dass Hafen und Industrie eng miteinander verflochten waren, zeigte sich auch beim Schiffbau.5 Entscheidend war hier der nationalstaatliche Rahmen, innerhalb dessen die westdeutschen Reedereien und Werften enge Geschäftsbeziehungen unterhielten. So hatte Hamburg Süd die Stückgutfrachter der Cap-San-Klasse Anfang der 1960er bei Hamburger und Kieler Großwerften in Auftrag gegeben. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Hamburg zu einem der weltweit wichtigsten Standorte des Schiffbaus. Doch im Laufe des Jahrzehnts verloren Hamburg und andere westeuropäische Hafenstädte erheblich an Bedeutung. Demgegenüber stieg der Weltmarktanteil der japanischen Werften rasant an, vor allem wegen einer umfassenden staatlichen Förderung, einer effizienteren Arbeitsorganisation und der deutlich niedrigeren Löhne. Bereits Mitte der 1960er gab es in Hamburg erste Anzeichen von Krise und Stagnation. Aber diese wurden von dem schnellen Wachstum des Massengutumschlags überlagert. Zunehmend rückte der Import von Kohle, Erzen und Erdöl in den Mittelpunkt. Insbesondere der Erdölumschlag bestimmte die Entwicklung des Hafens. Dass Erdöl Kohle als wichtigsten Energieträger ablöste, führte zu einem massiven Internationalisierungsschub. Damit verstärkten sich die ungleichen Handelsbeziehungen, die sich in anderen Bereichen bereits aufzulösen begannen. Treibende Kraft waren dabei die internationalen Erdölkonzerne, die in immer größeren Tankern das Erdöl aus den Förderländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens in die Häfen Westeuropas, Nordamerikas und Japans transportierten. Diese anschwellenden Erdölströme prägten den Hamburger Hafen. Während des Booms waren die Planungen für dessen Ausbau in erster Linie auf den Massengutumschlag ausgerichtet, vom Programm für den Ausbau der Tankschiffhäfen über die Generalplanung für die Hafenerweiterung bis hin zum Tiefwasserhafen Neuwerk.6 Im Zentrum standen dabei große Hafenbecken und riesige Industrieflächen. Zudem wirkte sich der Boom des Erdölumschlags auf den Schiffbau aus.7 Zunehmend konkurrierten die Großwerften darum, von internationalen Erdölkonzernen Aufträge zu erhalten. Zu Beginn der 1970er bauten die Großwerften vor allem Supertanker. Auch außerhalb des Hafens hatte das rasante Wachstum des Erdölumschlags erhebliche Folgen. So bestimmten die expandierenden Verwaltungen der Erdölkonzerne die Entwicklung der Hamburger Innenstadt.8 Besonders deutlich zeigte sich dies in der neu entstehenden City Nord, in der unter anderem Esso und British Petroleum Bürogebäude errichteten. Zugleich ging der Einfluss des Erdöls weit über einzelne Branchen hinaus. Die preisgünstige und unbegrenzt verfügbare Energie war eine der zentralen Grundlagen des Booms. Sie trieb das Wirtschaftswachstum an, ermöglichte eine umfassende Technisierung des Alltags und bestimmte die Erwartungen an die Zukunft. Darauf verwies nicht 5 6 7 8
Siehe ebd., S. 32. Siehe ebd., S. 29–31 und S. 46–48. Siehe ebd., S. 46. Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 54–56 und S. 58 f.
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zuletzt das große Interesse, das der Atomenergie entgegengebracht wurde. In der Hoffnung, dass diese Zukunftstechnologie jeden Mangel an Energie beseitigen werde, spiegelte sich letztlich die Gegenwart des Booms. Gerade für die Hamburger Wirtschaftspolitik hingen Erdöl und Atomenergie eng zusammen.9 Zentraler Ausgangspunkt war dabei die sich abzeichnende Krise des Ruhrgebiets. In dem Maße, in dem Erdöl an die Stelle der Kohle trat, gerieten die Standorte der Schwerindustrie in Bewegung. Eine wachsende Zahl von Großbetrieben der Stahl- und Chemieindustrie folgte der neuen Energiequelle und siedelte sich in den großen Seehäfen an. Von diesem »Zug ans Meer«10 wollte Hamburg profitieren, durch den Ausbau der Hafenanlagen für den Massengutumschlag und durch den Bau von Atomkraftwerken. Zu 2: In den 1960ern war die industrielle Produktion das Kraftzentrum, auf das die wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Entwicklung Hamburgs ausgerichtet war.11 Zahlreiche größere und kleinere Fabriken prägten die innere Stadt. Innerhalb des Hafengebiets befanden sich riesige Ölmühlen, Raffinerien und Werften.12 In den angrenzenden Gründerzeitvierteln hatten viele kleinere Zulieferer ihren Sitz, insbesondere für den Schiffbau.13 Und schließlich war auch die Innenstadt ein wichtiger Standort für Industriebetriebe.14 Unter anderem unterhielt der Springer-Konzern hier seine eigene Druckerei. Jeden morgen strömten Hunderttausende in die Fabriken der Stadt. Arbeiter stellten weiterhin die Mehrheit der Beschäftigten. Dies hatte auch großen Einfluss auf die sozialen Verhältnisse in den Wohngebieten.15 In besonderem Maße galt dies für die Gründerzeitviertel. Aber auch in den Großsiedlungen und Einfamilienhausgebieten lebten viele Facharbeiter. Zudem bestimmte die industrielle Produktion die Zuwanderung nach Hamburg. Vor allem Fabriken warben ausländische Arbeitskräfte an. Darauf, und nicht nur auf das Provisorische des Aufenthalts, verwies die Bezeichnung »Gastarbeiter«16. Während des Booms waren die industriellen Großbetriebe zentrale Orte der politischen Auseinandersetzung.17 Der Einfluss der Gewerkschaften beruhte darauf, dass sie hier verankert waren. Gerade die Werften stellten eine wichtige Machtbasis dar. Diese Stärke der Gewerkschaften eröffnete auch für den sozialdemokratisch geführten Senat erhebliche politische Spielräume. Sie ermöglichten es ihm, eine umfassende soziale Absicherung durchzusetzen. 9 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 44 und S. 46–48. 10 Bremke, Ein Hafen im Meer, S. 27. 11 Zum Zusammenhang von Industrie und Stadt siehe: Heßler / Zimmermann, Perspektiven historischer Industriestadtforschung; Reulecke, Geschichte der Urbanisierung. 12 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 29 f., S. 36 f. und S. 42 f. 13 Siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 94–96. 14 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 62–65. 15 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 74–79 sowie Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–94. 16 Per Moneta, in: Der Spiegel, S. 44. 17 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 36 f.
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Zugleich sah der Senat in einem fortwährenden Wirtschaftswachstum die entscheidende Voraussetzung dafür, diese Politik weiter fortführen zu können. Dass Wirtschaftswachstum dabei weitgehend gleichbedeutend mit Wachstum der Industrie war, zeigte sich in der Art und Weise, in der die Wirtschaftsbehörde auf die sich abzeichnende Krise einzelner Industriebranchen reagierte. Für sie bestand die Antwort auf den »relativen Wachstumsrückstand«18 und die »UnterIndustrialisierung«19 darin, neue Industriebranchen anzusiedeln. Eine Zukunft ohne Industrie war bis in die frühen 1970er hinein unvorstellbar. Auch der moderne Städtebau war untrennbar mit der Industrie verbunden.20 In gewisser Weise lässt er sich als den Versuch fassen, die Probleme der Industrialisierung mit den Mitteln der Industrialisierung zu lösen. Die Großsiedlungen des Booms waren ein unmittelbarer Gegenentwurf zu den Gründerzeitvierteln der Hochindustrialisierung: Planung statt Spekulation, Funktionstrennung statt Hinterhoffabriken, Licht und Luft statt Mief und schließlich kühles Raster statt historistischer Ornamente. Zudem ließen die Fassaden der Wohnhochhäuser, die aus Betonplatten zusammengesetzt waren, keinen Zweifel daran, dass der moderne Städtebau immer auch eine ästhetische Überhöhung der industriellen Produktion war. Nur vordergründig schien dies bei den neuen Einfamilienhausgebieten anders zu sein. Zwar verwiesen die traditionellen Giebeldächer auf die Sehnsucht nach dem einfachen Landleben. Doch letztlich beruhte die suburbane Lebensweise auf der standardisierten Massenproduktion von Kühlschränken, Elektroherden, Fernsehern, Fertighäusern und Autos.21 Vor allem bei der Massenmotorisierung zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Expansion der Automobilindustrie auf der einen und dem Entstehen einer neuen Lebensweise auf der anderen Seite. Grundlegende Entwicklungen der 1960er, von mehrspurigen Durchbruchstraßen in der Innenstadt über die Planungen für Stadtautobahnen bis zu den Einfamilienhausgebieten selbst, waren eine Folge davon, dass die Automobilkonzerne neue Absatzmärkte erschlossen. Demgegenüber spielten die Wünsche der Konsumenten ebenso wie die Konzepte der Städtebauer nur eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig lassen sich bereits in den 1960ern erste Gegentendenzen ausmachen, welche die zentrale Rolle der industriellen Produktion in Frage stellten. Allmählich rückte die geistige Arbeit in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung. Darauf verwiesen die sich vervielfachende Zahl der Studenten und der damit einhergehende Ausbau der Universität.22 Aber vor allem zeigte sich diese Entwicklung in der deutlich zunehmenden Zahl der Angestellten.23 18 Jürgensen / Predöhl, Produktivitätsorientierte Regionalpolitik, S. 48 f. 19 Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 1970, S. 22. 20 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 27–29 sowie Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 72–74. 21 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 79 f. und S. 89 f. 22 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 60–62. 23 Siehe ebd., S. 51.
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Anfang der 1970er überstieg sie zum ersten Mal die der Arbeiter. Gerade die Konzernverwaltungen wuchsen in rasantem Tempo.24 Damit veränderte sich auch die Hamburger Innenstadt. An die Stelle von Kontorhäusern traten nun Hochhäuser. Zugleich dehnte die Innenstadt sich mit dem Bau des Managementzentrums City Nord über die Wallanlagen hinaus aus. Neben den Verwaltungen internationaler Konzerne trugen auch die großen Medienunternehmen zum Wachstum der Innenstadt bei, unter ihnen der Springer-Verlag und der Spiegel-Verlag, die seit ihrer Gründung in der Nachkriegszeit erheblich an wirtschaftlichem Gewicht gewonnen hatten.25 Zudem entstanden gegen Ende der 1960er zahlreiche neue Warenhäuser.26 Entscheidend ist jedoch, dass diese Entwicklungen letztlich auf die industrielle Produktion bezogen blieben. Die Dienstleistungen der Innenstadt lassen sich in den 1960ern nur in ihrem Verhältnis zur Industrie fassen. Angesichts des sich beschleunigenden Wachstums von Universitäten und Verwaltungen schien eine Proletarisierung zu drohen, zumindest für besorgte Angestellte und radikalisierte Studenten. Die Verwaltungen waren in der Regel Verwaltungen von Industriekonzernen. Und auch die Warenhäuser waren als Orte des Massenkonsums untrennbar mit der industriellen Massenproduktion verbunden. Demgegenüber spielten Werbung, Image und Lifestyle nur eine untergeordnete Rolle. Sie hatten noch nicht dazu geführt, dass sich die Konsumstile vervielfältigten. Noch konnten alle Waren unter einem Dach verkauft werden. Die geringe wirtschaftliche Bedeutung, die Kreativität und Kultur noch zu Beginn der 1960er-Jahre hatten, verdeutlicht nicht zuletzt die Geschichte des Star-Clubs.27 Die Betreiber des Musikclubs, in dem die Beatles ihre Karriere begannen, waren Außenseiter, die wenig mit etablierten Unternehmern gemein hatten. Zu 3: Während des Booms gewann die Fließbandproduktion mehr und mehr an Bedeutung. Auf der Grundlage von arbeitswissenschaftlichen Studien zerlegten Ingenieure komplexe Aufgaben in möglichst einfache Arbeitsschritte. Systematisch trennten sie planende von ausführenden Tätigkeiten und ordneten letztere entlang von Fließbändern an. Deren unerbittlicher Rhythmus sollte die Produktivität erhöhen und so die Arbeitskosten dauerhaft senken. Die verschiedenen Ansätze, die sich an der Fließbandproduktion orientierten, fasst diese Untersuchung als Rationalisierung.28 Damit liegt ihr ein enges Verständnis dieses Begriffs zugrunde. Da die Fließbandfertigung große Serien voraussetze, breitete sie sich zunächst in der Konsumgüterindustrie aus, insbesondere in der Automobilindustrie, in der sich erste Ansätze bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts fanden. In 24 25 26 27 28
Siehe ebd., S. 51 und S. 54–56 Siehe ebd., S. 62–65. Siehe ebd., S. 66–69. Siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 98–100. Zu Rationalisierung und Taylorismus siehe: Rüdiger Hachtmann, Fordismus. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: https://docupedia.de/zg/Fordismus (8.3.2016); Saldern, »Alles ist möglich«; Hachtmann/Saldern, Das fordistische Jahrhundert.
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den 1950ern und 1960ern erfasste die Rationalisierung immer mehr Wirtschaftsbereiche, darunter die Branchen der Investitionsgüterindustrie, in denen Einzelanfertigungen den Produktionsprozess bestimmten. Wegen der fehlenden großen Serien schien es in diesen Branchen lange Zeit unmöglich zu sein, die Fließbandproduktion zu übernehmen. Doch angesichts von Vollbeschäftigung, Arbeitskräftemangel und steigenden Löhnen wuchs auch hier der Druck. Die Lösung, welche die Ingenieure schließlich fanden, bestand in der seriellen Herstellung von Vorprodukten, aus denen dann die Einzelanfertigungen zusammengefügt wurden. Das zeigte sich unter anderem im Schiffbau.29 Auf den Werften wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Schiffe hergestellt, die den jeweiligen Anforderungen der Reedereien entsprachen. Für jedes dieser Schiffe mussten Facharbeiter die Stahlplatten einzeln zuschneiden und dann auf den Helgen transportieren. Anfang der 1960er begannen Ingenieure den aufwendigen Produktionsprozess zu rationalisieren. Im Zentrum standen nun standardisierte Stahlplatten, die per Fließband in die Hallen transportiert, zu großen Sektionen zusammengeschweißt und mit Kränen auf den Helgen gehoben wurden. Ein ähnlicher Umbruch vollzog sich in der Bauwirtschaft.30 Auch hier hatten es die verschiedenen Vorgaben der Auftraggeber erschwert, standardisierte Arbeitsabläufe einzuführen. Noch zu Beginn der 1960er war die Branche durch einen hohen Anteil handwerklicher Tätigkeiten gekennzeichnet. Doch im Laufe des Jahrzehnts setzte sich die »Industrialisierung im Wohnungsbau«31 zunehmend durch. An die Stelle von Maurern traten Fabrikarbeiter, die am Fließband riesige Betonplatten gossen. Diese Veränderungen der Arbeitsorganisation blieben nicht auf die Industrie beschränkt. Immer weitere Teile der Gesellschaft begannen, sich an der Fließbandproduktion auszurichten. Zu den Schwerpunkten gehörten die Verwaltungen internationaler Konzerne.32 Die steigenden Kosten, die mit deren rasantem Wachstum einhergingen, zwangen die Unternehmensleitungen dazu, die Arbeitsabläufe effizienter zu organisieren. Vor diesem Hintergrund gewann die »Rationalisierung«33 der Büroarbeit zunehmend an Bedeutung. Erneut bestand der Lösungsansatz darin, komplexe Aufgaben in Routinetätigkeiten zu verwandeln. Damit näherte sich die Arbeit in den Verwaltungen der in den Werkhallen an. Neue Leistungsanreize durch Akkordlohn, die Technisierung durch Einsatz von Büromaschinen und die Einrichtung von Großraumbüros bestimmten den Alltag einer wachsenden Zahl von Angestellten. Doch während in den Fabriken mehrheitlich Männer an den Fließbändern arbeiteten, verrichteten die Routinetätigkeiten in den Verwaltungen fast ausschließlich Frauen. Mit 29 30 31 32 33
Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 37–39. Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 79–81. Becker, Montagewohnungsbau in Hamburg, S. 523. Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 51–54 und S. 56–58. Alsleben, Rationeller Schreibdienst, S. 38.
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besonderer Deutlichkeit zeigte sich dies in den Schreibbüros der Konzernverwaltungen, in denen weibliche Angestellte den gesamten anfallenden Schriftverkehr übernahmen. Gleichzeitig gingen die Ansätze zur Rationalisierung über den Bereich der Erwerbsarbeit hinaus. Arbeitswissenschaftliche Studien, die sich mit der Hausarbeit beschäftigten, erreichten in den 1950ern den Höhepunkt ihres Einflusses.34 Dabei unterschied sich die Ausgangslage in den Küchen erheblich von der in den Fabriken und Büros. Das zentrale Problem war nicht die Senkung der Arbeitskosten, sondern die Überlastung der Hausfrauen. Diese hatte verschiedene Ursachen. In den Kleinfamilien gab es nicht länger mithelfende weibliche Familienangehörige. Es herrschte ein allgemeiner Mangel an Haushaltsgehilfinnen, da junge Frauen die Arbeit in Fabriken und Büros der in privaten Haushalten vorzogen. Und auch unter den verheirateten Frauen war eine steigende Zahl berufstätig. Da es außerhalb jeder Diskussion stand, dass Männer im Haushalt helfen könnten, sahen Küchenplanerinnen den einzigen Ausweg darin, die Hausarbeit zu rationalisieren. Auch im Haushalt sollte ein fließender Arbeitsablauf zu einer größeren Effizienz führen. Im Mittelpunkt standen dabei Routinetätigkeiten und harte körperliche Arbeit, die noch in den 1950ern den Alltag der Hausfrauen bestimmten. Auf der Grundlage arbeitswissenschaftlicher Studien gestalteten Küchenplanerinnen Wohnungsgrundrisse, ordneten die Kücheneinrichtung neu an und gaben Ratschläge an Hausfrauen. Gerade in den Küchengrundrissen der Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete sowie in den standardisierten Einbauküchen fand die Rationalisierung der Hausarbeit ihren Ausdruck. Die Bemühungen, effizientere Abläufe zu schaffen, blieben nicht auf einzelne Arbeitsbereiche beschränkt, sondern erfassten die gesamte Stadt. Insbesondere für den modernen Städtebau war die Fließbandfertigung ein überaus wichtiger Bezugspunkt. Wie kaum ein anderes Baumaterial bestimmten Betonfertigteile die Ästhetik der Nachkriegsmoderne.35 Noch deutlicher zeigte sich dieser Zusammenhang in städtebaulichen Konzepten, die Stadtplaner und Wirtschaftswissenschaftler gegen Ende der 1960er ausarbeiteten. An die Stelle der »punktförmigen Ballung«, die Hafenstädte wie Hamburg in besonderem Maße prägte, sollten »bandförmige Lösungen« treten.36 Mit dem Entwicklungsmodell für die Region Unterelbe rückten diese Überlegungen in das Zentrum der Hamburger Wirtschaftspolitik. Um fließende Abläufe zu schaffen, plante der Senat, die verschiedenen Industriebranchen und städtischen Funktionen entlang von »Entwicklungsbändern«37 anzuordnen. Obwohl die Rationalisierung tief in die bestehende Arbeitswelt eingriff, überwogen die Kontinuitäten. Weiterhin spielten Routinetätigkeiten, die vielfach mit 34 35 36 37
Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 81–84. Siehe ebd., S. 75 f. Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960, S. 47. Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 19722, Anlage.
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harter körperlicher Arbeit verbunden waren, eine zentrale Rolle. Genau dies sollte sich durch einige umwälzende technologische Neuerungen, die in den 1950ern und 1960ern ihren Anfang nahmen, grundsätzlich verändern. In dem sie aufwendige Arbeitsschritte ersetzten, führten sie zu einem sprunghaften Anstieg der Produktivität. Zugleich machten sie ganze Gruppen von Arbeitern und Angestellten überflüssig. Diese technologischen Neuerungen lassen sich als Automatisierung fassen.38 Zu den wichtigsten gehörte der Container.39 Das erste Containerterminal im Hamburger Hafen, das im Jahr 1968 seinen Betrieb aufnahm, führte dazu, dass sich die Effizienz des Stückgutumschlags massiv erhöhte. Zugleich machte es mit einem Schlag die Schauerleute, und damit eine der zentralen Gruppen der Hafenarbeiter, überflüssig. Eine weitere zentrale technische Neuerung, die seit Mitte der 1960er mehr und mehr Verbreitung fand, war der Großcomputer.40 Sein Einsatzbereich reichte von den Werften über den Containerumschlag bis hin zu den Konzernverwaltungen. Die Automatisierung setzte sich in den Fabrikhallen, Hafenanlagen und Büros nur allmählich durch. Lange Zeit bestanden neue Technologien und ältere Produktionsabläufe nebeneinander. Vollkommen anders sah dies in den privaten Haushalten aus. Auch hier begannen in den 1950ern und 1960ern vollautomatische Waschmaschinen und andere »Roboter«41 Routinetätigkeiten und harte körperliche Arbeit zu übernehmen.42 Doch im Unterschied zur Erwerbstätigkeit verdrängten in der Hausarbeit die neuen Technologien die älteren Arbeitsabläufe mit einer rasanten Geschwindigkeit. Bereits Mitte der 1960er verfügte eine Mehrheit der Haushalte über eine eigene Waschmaschine. Damit veränderte sich der Charakter der Hausarbeit innerhalb weniger Jahre grundlegend. Während Routinetätigkeiten und harte körperliche Arbeit an Bedeutung verloren, trat die Sorgearbeit zunehmend in den Vordergrund. Zu 4: Bis in die frühen 1970er hinein war Größe gleichbedeutend mit Effizienz. Zahlreiche Großtechnologien prägten die Arbeitswelt: Fließbänder, Großcomputer, Atomkraftwerke, Containerschiffe und Supertanker. Gerade die Supertanker bestimmten während des Booms die Entwicklung Hamburgs.43 Um die Transportkosten zu senken, gaben die internationalen Erdölkonzerne immer gigantischere Tanker in Auftrag. Dies zwang die Werften ihrerseits dazu entsprechende Hallen und Helgen zu bauen. Zugleich waren die Supertanker die treibende Kraft hinter dem Ausbau des Hafens. Um weiterhin von diesen angelaufen zu werden, ließ die Stadt die Fahrrinne vertiefen, riesige Hafenbecken 38 Zum Begriff der Automatisierung siehe: Martina Heßler, Zur Persistenz der Argumente im Automatisierungsdiskurs, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016) H. 18/19, S. 17–24; Schuhmann, Der Traum vom perfekten Unternehmen; André Gorz, Wege ins Paradies. Thesen zur Krise, Automation und Zukunft der Arbeit, Berlin 1983. 39 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 40–42. 40 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 58–60. 41 Grete im Wunderland, in: Der Spiegel, S. 42. 42 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 84–86. 43 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 29–31 und S. 46–48.
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anlegen und weiträumige Landflächen für Raffinerien aufschütten. Einen Höhepunkt fanden diese Bemühungen in den Planungen für den Tiefwasserhafen Neuwerk. Aber auch jenseits des Hafens wuchsen die Dimensionen, nicht zuletzt in der Innenstadt.44 Großraumbüros für mehrere hundert Personen traten an die Stelle von Ein- und Mehrpersonenbüros, Hochhäuser lösten die deutlich kleineren Kontorhäuser ab und die Ausmaße der City Nord übertrafen die der alten Innenstadt um ein Vielfaches. Ähnliches galt für die neu errichteten Wohngebiete. Sowohl bei den Großsiedlungen auf der grünen Wiese als auch bei den Sanierungen der Gründerzeitviertel standen gewaltige Hochhauskomplexe im Mittepunkt.45 Gerade im Vergleich mit den kleinteiligen Gründerzeithäusern, die im Zuge der Sanierung abgerissen werden sollten, zeigte sich der damit verbundene Maßstabssprung. Erneut ging es um Effizienz. Erst diese Hochhauskomplexe machten es möglich, zehntausende neuer Wohnungen zu bauen. Zudem schufen sie die Voraussetzungen dafür, durch große Serien von Betonfertigteilen die Kosten zu senken. Vor diesem Hintergrund stiegen die ohnehin schon enormen Größenordnungen gegen Ende der 1960er noch einmal deutlich an und erreichten in den Planungen für das Alsterzentrum und die Großsiedlung Billwerder-Allermöhe ihren Höhepunkt. Großtechnologien und gewaltige Gebäudekomplexe setzten hohe Investitionen voraus. Da diese nicht von kleineren Unternehmen aufgebracht werden konnten, verstärkten sie die wirtschaftliche Konzentration. Das zeigte sich vor allem im Hafen. Während des Booms dominierten wenige international tätige Konzerne den gesamten Erdölumschlag. Diese Entwicklung griff auf den Schiffbau über. Nach einer Vielzahl von Übernahmen und Fusionen gab es zu Beginn der 1970er mit Blohm + Voss und HDW nur noch zwei Großwerften.46 Vergleichbare Tendenzen beeinflussten auch die City. Erneut spielten die internationalen Erdölkonzerne eine zentrale Rolle47 Sie gehörten zu den wichtigsten Bauherren für neue Bürohochhäuser und sie waren Vorreiter beim Einsatz von Großcomputern. Aber auch ansonsten war die Innenstadt durch eine immer weiter fortschreitende wirtschaftliche Konzentration geprägt. Seit dem Ende der 1960er unterhielt der US -amerikanische Konzern IBM, dessen Aufstieg eng mit dem Großcomputer verbunden war, in einem neu errichteten Hochhaus eine Zweigstelle.48 In der Verlagsbranche waren allein große Unternehmen wie der Springer-Verlag in der Lage, die notwendigen finanziellen Mittel für zeitgemäße Redaktionsgebäude und die neueste Drucktechnologie aufzubringen.49 Zudem verdrängten die Warenhauskonzerne mit ihren mehrgeschossigen Neubauten 44 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 51–59. 45 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 74–77 und S. 90 f. sowie Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–94 und S. 101–104. 46 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 46. 47 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 55 f. und S. 58. 48 Siehe ebd., S. 59 f. 49 Siehe ebd., S. 62–65.
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den Fachhandel.50 Auch in den neu entstehenden Wohngebieten beschleunigte sich die wirtschaftliche Konzentration. Nur noch wenige gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen konnten den Bau von Großsiedlungen und die Sanierungen von Gründerzeitvierteln verwirklichen.51 Zunehmend traten große Konzerne an die Stelle der kleinen Genossenschaften der Arbeiterbewegung, darunter die Neue Heimat, die sich im Besitz der Gewerkschaften befand, und die SAGA, die der Stadt gehörte. Die hohen Investitionen in Großtechnologien und riesige Gebäudekomplexe erforderten langfristige Planungen. Angesichts dessen zielte die wirtschaftliche Konzentration auch darauf ab, die Unwägbarkeiten des Marktes auszuschalten. Zugleich wiesen die langfristigen Planungshorizonte immer häufiger über einzelne Unternehmen hinaus. Manche Vorhaben erstreckten sich über einen so langen Zeitraum, dass sie nur mit umfassender staatlicher Unterstützung verwirklicht werden konnten. Unter anderem galt dies für den Hafenausbau, die Atomkraftwerke, die Großsiedlungen und die Sanierung von Gründerzeitvierteln.52 In all diesen Bereichen spielten während des Booms staatlich kontrollierte Unternehmen eine herausragende Rolle: die HHLA, die unter anderem das erste Containerterminal in Hamburg errichtete, die HEW, die wesentlich den Bau von Atomkraftwerken vorantrieb und nicht zuletzt die SAGA . Auch darüber hinaus griff die Stadt aktiv in die wirtschaftliche Entwicklung ein. Sie nahm dabei die dominierenden technologischen und wirtschaftlichen Tendenzen der Zeit auf. Diese Tendenzen wurden durch den Einfluss der Arbeiterbewegung, die in ihrem Streben nach sozialer Gerechtigkeit den ungezügelten Kräften des Marktes entgegentrat, weiter verstärkt. In die gleiche Richtung wirkte die keynesianistische Wirtschaftstheorie, welche die staatliche Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung für notwendig erachtete. Dementsprechend war es innerhalb des sozialdemokratisch geführten Senats weitgehend unumstritten, dass dauerhaftes Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung umfassende staatliche Eingriffe erforderten. Dies zeigte sich insbesondere in dem Anspruch der Wirtschaftsbehörde, durch den Ausbau des Hafens und die Errichtung von Atomkraftwerken neue Industriebetriebe anzuziehen. Schließlich trug der Einfluss des modernen Städtebaus dazu bei, die staatliche Planung weiter zu verstärken. Moderne Architekten und Stadtplaner lehnten Spekulation entschieden ab. Vor allem die Gründerzeitviertel galten ihnen als Folge ungezügelten Gewinnstrebens. Dem setzten sie, im Anschluss an Le Corbusier, den »PLAN DER STADT«53 entgegen. 50 Siehe ebd., S. 66–69. 51 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 74–77 und S. 90 f. sowie Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–94 und S. 101–104. 52 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 29–31, S. 40–42 und S. 46–48, Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 72 f. und S. 90 f. sowie Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–94 und S. 101–104. 53 Hilpert, Le Corbusiers »Charta von Athen«, S. 117.
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Zusammengenommen machten Großtechnologien, wirtschaftliche Konzentration und umfassende staatliche Planung eine der prägenden Entwicklungen des Booms aus, eine Entwicklung, die sich mit dem Begriff der Zentralisierung fassen lässt.54 Doch bereits gegen Ende der 1960er, als die Zentralisierung ihrem Höhepunkt entgegenstrebte, wuchs das gesellschaftliche Unbehagen. Dieses Unbehagen fand in der Studentenrevolte seinen sichtbarsten Ausdruck. Die Blockade des Springer-Konzerns im Frühjahr 1968 war der erste massive Protest, der sich gegen die Zusammenballung von Großtechnologie und wirtschaftlicher Konzentration richtete.55 Weitere sollten folgen. Zu 5: Mit den Gründerzeitvierteln ragte die Zeit der Hochindustrialisierung in die Zeit des Booms hinein.56 Gerade das ungeplante Nebeneinander von Wohngebäuden und Hinterhoffabriken sowie die durchlässigen Grenzen zum Hafen kennzeichneten diese Viertel. Zugleich waren auch in den Wohnküchen der überfüllten Mietwohnungen Arbeit und Leben kaum voneinander getrennt. Damit unterschieden sich die Gründerzeitviertel deutlich von anderen Teilen der Stadt, in denen sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Trennung von Arbeit und Leben mehr und mehr durchgesetzt hatte.57 Treibende Kraft war das Wachstum von Industrie, Hafenumschlag und Verwaltung. Dies brachte erst einzelne Gebäude, dann ganz Stadtteile hervor, die allein auf die jeweiligen Tätigkeiten ausgerichtet waren. So hatten im Hafengebiet Kaianlagen, Speicher und Werften die Wohngebäude fast vollständig verdrängt.58 Und auch in der Innenstadt traten Büro- und Geschäftsbauten zunehmend an die Stelle der Gängeviertel.59 Das zeigte sich nicht zuletzt beim Bau des Unilever-Hochhauses, für das in den frühen 1960ern zahlreiche Wohngebäude abgerissen wurden. Ihre Entsprechung fand diese Entwicklung in Stadtteilen, die fast ausschließlich auf das Wohnen ausgerichtet waren, zunächst in den Villenvierteln, später in den Einfamilienhausgebieten und in den Großsiedlungen. Im Unterschied zu den Villenvierteln und Einfamilienhausgebieten spielte für die Großsiedlungen der moderne Städtebau eine entscheidende Rolle. In den Großsiedlun gen fand die Funktionstrennung, die spätestens seit der Charta von Athen eines der zentralen Themen des modernen Städtebaus war, ihren deutlichsten Ausdruck.60 Ziel der Stadtplaner war es, die vier städtischen Grundfunktionen 54 Zum Begriff der Zentralisierung siehe: Dirk van Laak, Planung, Planbarkeit und Planungseuphorie, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, URL: http://docupedia.de/ zg/Planung (29.7.2016); Marco Revelli, Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit, Münster 1999, S. 53–65. 55 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 62–65. 56 Siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–98. 57 Zur Trennung von Arbeit und Leben siehe: Jürgen Kocka, Mehr Last als Lust. Arbeit und Arbeitsgesellschaft in der europäischen Geschichte, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 46 (2005) H. 2, S. 185–206. 58 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 29–31. 59 Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 51 f. 60 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 27–29.
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Arbeit, Wohnen, Verkehr und Erholung voneinander zu trennen und verschiedenen Teilen der Stadt zuzuordnen. Insbesondere das unmittelbare Nebeneinander von Wohnhäusern und Hinterhoffabriken sollte überwunden werden. In Zukunft sollten Arbeiterfamilien nicht länger in Wohnungen leben müssen, die von Lärm und Abgasen belastet waren. Ausgehend von diesem Grundsatz entstanden während des Booms zehntausende neuer Wohnungen. Zudem trugen die Schnellbahnlinien und die sich beschleunigende Massenmotorisierung erheblich dazu bei, dass sich die Trennung zwischen Arbeit und Leben weiter verfestigte. Je weniger die Wahl des Wohnorts von der Lage des Arbeitsplatzes abhängig war, desto größer wurden die Distanzen. Vor allem in der Figur des Pendlers, der morgens sein Eigenheim verließ, um mit dem Auto in das Büro in der Innenstadt zu fahren, verdichtete sich diese Entwicklung.61 Nicht nur zwischen den verschiedenen Teilen der Stadt, sondern auch in den Gebäuden selbst vollzog sich während des Booms eine zunehmende Trennung von Arbeit und Leben. Maßgeblichen Anteil daran hatte die Rationalisierung. Entscheidend für den fließenden Arbeitsablauf war, dass sich Arbeiter und Angestellte der betrieblichen Maschinerie unterordneten. Dies sollte den immer gleichen Ablauf der hintereinander angeordneten Arbeitsschritte sicherstellen. Demgegenüber galten sich überlagernde Funktionen, zufällige Begegnungen und private Gespräche als Störfaktoren, die es zu vermeiden galt. Dass Persönliches keine Rolle spielen sollte, zeigte sich nicht zuletzt in der weit verbreiteten formellen Arbeitskleidung, von den Blaumännern der Arbeiter bis hin zu den Anzügen der Angestellten und Studenten. In dieser Eindeutigkeit galt die Trennung zwischen Arbeit und Leben nur für Männer. Bei Frauen war das Verhältnis deutlich vielschichtiger. Zunächst lässt sich auch bei ihnen eine sich vertiefende Trennung ausmachen. So veränderte sich im Laufe der 1960er die Struktur der weiblichen Erwerbstätigkeit.62 Während die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen zurückging, stieg die der weiblichen Angestellten an. Damit verloren Arbeitsverhältnisse, in denen der Vorgesetzte der eigene Ehemann war, an Bedeutung. Die unpersönlichen Hierarchien großer Unternehmen bestimmten nun den Alltag von immer mehr Frauen. Vor allem im Einzelhandel, in dem große Warenhäuser die kleinen Fachgeschäfte verdrängten, lässt sich diese Entwicklung ausmachen. Doch zugleich waren auch die berufstätigen Frauen in erster Linie Hausfrauen. Bei Hausfrauen, ob berufstätig oder nicht, konnte von einer Trennung zwischen Arbeit und Leben nicht die Rede sein. Hausarbeit war nicht nur unbezahlt, sie war auch grenzenlos. Gerade die Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete waren für Frauen Orte der Arbeit. Dennoch wirkte die Trennung zwischen Arbeit und Leben bis in die Wohnungen hinein. Gemeinsam setzten sich Küchenplanerinnen und moderne Architekten dafür ein, auch dort neue Grenzen zu ziehen.63 Insbesondere die 61 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 77–79 und S. 88–90. 62 Siehe ebd., S. 84–86. 63 Siehe ebd., S. 81–84.
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Küche und das Wohnzimmer sollten voneinander getrennt werden. Zum einen zielte dies darauf ab, den reibungslosen Ablauf der Küchenarbeit sicherzustellen. Zum anderen sollte der Mann, der sich im Wohnzimmer erholte, nicht länger gestört werden. Im Laufe der 1960er erfasste die Trennung zwischen Arbeit und Leben immer mehr gesellschaftliche Bereiche. Gleichzeitig zeichnete sich eine grundsätzliche Krise ab. Zunehmend entwickelten sich Eintönigkeit und Langeweile zu zentralen gesellschaftlichen Problemen. Darauf verwiesen die öffentlichen Debatten über verödete Innenstädte, monotone Großsiedlungen und trostlose Einfamilienhausgebiete. Aber auch die wachsende Zahl von berufstätigen Hausfrauen kann in diesen Zusammenhang eingeordnet werden, vor allem weil sich deren Motivation veränderte. Während die materielle Not allmählich an Bedeutung verlor, trat der Wunsch nach Selbstverwirklichung mehr und mehr in den Vordergrund.64 Dies zeigte sich nicht zuletzt darin, dass sich die soziale Zusammensetzung verschob. Einer abnehmenden Zahl von Arbeiterinnen stand eine zunehmende Zahl von Studentinnen, und damit von zukünftigen Akademikerinnen, gegenüber. Angesichts dessen lässt sich die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen auch als Flucht vor der Monotonie, Trostlosigkeit und Vereinzelung der Vororte deuten. Gleiches gilt für die entstehenden jugendlichen Subkulturen, von den Fans der Beatmusik über die Gammler bis hin zu den linksradikalen Studenten. All diese Subkulturen wandten sich von den Vororten ab und dem Zentrum der Stadt zu. In besonderem Maße zeigte sich dies bei den linksradikalen Studenten, die seit dem Ende der 1960er in den Gründerzeitvierteln zahlreiche Kommunen und Wohngemeinschaften ins Leben riefen, nicht trotz des chaotischen Nebeneinanders von Wohngebäuden, Werkstätten und Kneipen und der veralteten Wohnküchen, sondern gerade deswegen.65 Zu 6: Die 1950er und 1960er waren, trotz aller Einschnitte, durch eine ungebrochen große Bedeutung der Arbeiterbewegung gekennzeichnet. Deren Einfluss zeigte sich auf verschiedenen Ebenen: im Selbstverständnis der Arbeiter, in der Verankerung der Gewerkschaften in den Großbetrieben, in der wichtigen Rolle von Genossenschaften und schließlich im sozialdemokratisch geführten Senat. Angesichts von beständigem Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung gelang es der Arbeiterbewegung in den Jahrzehnten des Booms eine immer umfassendere soziale Absicherung durchzusetzen. Mehr und mehr verallgemeinerte sich die Vorstellung, dass jeder Erwerbstätige über grundlegende soziale Rechte verfüge. Dies lässt sich als Status der Lohnarbeit fassen.66 Die soziale Absicherung erstreckte sich nun auch auf Randbereiche, die bis dahin unberücksichtigt geblieben waren, insbesondere auf den Hafen, der wegen 64 Siehe ebd., S. 84–86. 65 Siehe ebd., S. 87 f. sowie Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 98–100 und S. 106–108. 66 Zum Begriff Status der Lohnarbeit siehe: Robert Castel, Die Stärkung des Sozialen. Leben im neuen Wohlfahrtsstaat, Hamburg 2005; Robert Castel, Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz 2000.
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der unregelmäßig ankommenden Schiffe seit langem durch Gelegenheitsarbeit geprägt war. Hier trug der »Garantielohn«67 des Gesamthafenbetriebs maßgeblich dazu bei, unsichere Arbeitsverhältnisse in unbefristete Vollzeitstellen zu verwandeln.68 Aber auch der Sanierung der Gründerzeitviertel, und damit der Stadtteile, in denen viele Gelegenheitsarbeiter aus dem Hafen lebten, lag ein ähnlicher Ansatz zugrunde. Erneut bestand das Ziel darin, Armut und Elend, die als Überbleibsel des 19. Jahrhunderts galten, endgültig zu überwinden. Im sozialen Wohnungsbau, der in den 1960ern seinem Höhepunkt entgegenstrebte, fand der Status der Lohnarbeit seinen deutlichsten Ausdruck. Gerade die neu errichteten Großsiedlungen ermöglichten es zehntausenden von Arbeitern und einfachen Angestellten aus heruntergekommenen Altbauwohnungen in gut ausgestattete Sozialwohnungen zu ziehen. Treibende Kraft waren dabei die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen. Vor allem die stadteigene SAGA und die gewerkschaftseigene Neue Heimat, die beide in der Tradition der Genossenschaften standen, hatten eine große Bedeutung.69 Kaum eine Hamburger Großsiedlung entstand ohne ihre Beteiligung. Dies verweist darauf, wie sehr der Städtebau der Nachkriegsmoderne auf der anhaltenden Stärke der Arbeiterbewegung beruhte. Auch jenseits des Einflussbereichs der Arbeiterbewegung wirkten starke gesellschaftliche Kräfte auf eine umfassende soziale Absicherung hin. Neben der Deutschen Angestelltengewerkschaft ist hier vor allem die katholische Soziallehre zu nennen. Ein weiteres Mal schlugen sich die Anstrengungen im Wohnungsbau nieder. Ausdrücklich unterstützte die konservative Bundesregierung einfache Angestellte und Arbeiter in ihrem Wunsch, ein eigenes Haus zu bauen.70 Trotz aller Unterschiede traf sich an diesem Punkt die konservative Eigenheimförderung mit dem sozialdemokratisch geprägten sozialen Wohnungsbau. Beide verfolgten das Ziel, den Lebensstandard von weiten Teilen der Bevölkerung zu verbessern. Zugleich war nicht nur die konservative, sondern auch die sozialdemokratische Wohnungspolitik auf die Kleinfamilie zugeschnitten. Dementsprechend zogen in erster Linie junge Familien in die neuen Einfamilienhausgebiete und Großsiedlungen. Während des Booms waren die sozialen Rechte um zwei Pole herum orga nisiert, zum einen um die unbefristete Vollzeitstelle, zum anderen um die Kleinfamilie. Ausgehend von diesen beiden Polen breitete sich eine umfassende soziale Absicherung aus. Viele Bereiche, die seit langem durch Armut und Unsicherheit geprägt waren, schrumpften in sich zusammen. Dennoch lassen sich bereits für die 1960er und frühen 1970er zwei Bruchstellen ausmachen. Eine erste zeigte sich bei den Frauen. Deren soziale Absicherung beruhte in erster 67 Klugmann, Der Hamburger Hafenarbeiter, S. 71. 68 Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 33–36. 69 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 72–77 und S. 90 f. sowie Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–94 und S. 101–104. 70 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 73 f.
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Linie auf einer lebenslang bestehenden Ehe mit einem berufstätigen Mann. Demgegenüber spielte die eigene Berufstätigkeit nur eine untergeordnete Rolle. Sie galt als vorübergehende Beschäftigung vor und als Zuverdienst während der Ehe. Angesichts dessen breiteten sich unsichere Arbeitsverhältnisse von Frauen aus, insbesondere Teilzeitstellen, die eine bessere Verbindung von Hausarbeit und Erwerbstätigkeit ermöglichen sollten und die zugleich den Interessen der Unternehmen entsprachen.71 Bereits zu Beginn der 1970er, und damit auf dem Höhepunkt des Booms, gab es in den großen Warenhäusern eine Vielzahl von weiblichen Teilzeitbeschäftigten und Aushilfen. Die zweite Bruchstelle waren die Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitsmigranten.72 Auch die Arbeitsmigranten stellten, in der allgemeinen Vorstellung, eine Ausnahme gegenüber der Norm des männlichen deutschen Erwerbstätigen dar. Sie galten als vorübergehend Beschäftigte, die kurzfristig den Mangel an Arbeitskräften ausgleichen und danach in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollten. Vor diesem Hintergrund wurde der sozialen Absicherung der »Gastarbeiter«73 keine größere Bedeutung beigemessen. Seinen sichtbarsten Ausdruck fand dies in den Wohnverhältnissen. Baracken und andere provisorische Unterkünfte bestimmten den Alltag vieler Arbeitsmigranten. Zu 7: In den 1960ern und frühen 1970ern war die Suburbanisierung eine der zentralen gesellschaftlichen Tendenzen.74 Angetrieben durch die Massenmotorisierung, die konservative Wohnungsbaupolitik, die preisgünstigen Grund stücke und durch den Wunsch nach einem eigenen Haus im Grünen entstanden im Umland Hamburgs zahlreiche neue Einfamilienhausgebiete.75 Mit dem Umzug an den Stadtrand setzte sich eine Entwicklung fort, die mit den Villenvierteln des 19. Jahrhunderts begonnen hatte. In ihr verband sich die Abkehr von der Industriestadt mit dem Willen zum sozialen Aufstieg. Während die Einfamilienhausgebiete vor sich hin wucherten, beruhten die Großsiedlungen auf umfassenden Planungen. Doch auch sie trugen wesentlich dazu bei, dass sich der Schwerpunkt der Stadt nach außen verlagerte. Die gemeinnützigen Wohnungskonzerne bevorzugten Standorte in der äußeren Stadt, da dort genügend unbebaute Grundstücke zur Verfügung standen.76 Zudem war auch für die
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Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 67–69. Siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 104–106. Per Moneta, in: Der Spiegel, S. 44. Zum Begriff der Suburbanisierung siehe: Clemens Zimmermann, Die »Suburbanisierung« als Konzept der Stadt-Land-Beziehungen, in: Franz-Werner Kersting / ders. (Hrsg.), Stadt-Land-Beziehungen im 20. Jahrhundert. Geschichts- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Paderborn 2015, S. 55–68; Gerd Kuhn, Suburbanisierung: Das Ende des suburbanen Zeitalters?, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 33 (2002) H. 2, S. 5–12; Tilman Harlander (Hrsg.), Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland, Stuttgart 2001. 75 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 89 f. 76 Siehe ebd., S. 74–77 und S. 90 f.
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neuen Bewohner der Großsiedlungen der Umzug an den Stadtrand mit einem deutlichen sozialen Aufstieg verbunden. Die Suburbanisierung blieb nicht auf die Wohngebiete beschränkt, sondern erfasste immer weitere Bereiche der Stadt, zunächst die Warenhäuser und Selbstbedienungsmärkte, die den Einwohnern an den Stadtrand folgten.77 Aber auch für die expandierenden Konzernverwaltungen verlor die Innenstadt zunehmend an Bedeutung.78 Da der Senat das alte Stadtbild erhalten wollte, bot er den Konzernen Ausweichflächen an, die sich jenseits der Wallanlagen befanden. Vor allem in der City Nord entstanden seit den frühen 1960ern zahlreiche Hochhäuser. Zugleich waren weitere Managementzentren vorgesehen, die ebenfalls außerhalb der Innenstadt errichtet werden sollten. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich auch in den Hafen- und Industriegebieten. Wegen der immer größer werdenden Hafenanlagen und Fabrikgebäude war im Zentrum der Stadt nicht mehr genügend Platz.79 Angesichts dessen verlagerte sich der Schwerpunkt des Massengutumschlags, der Schwerindustrie und des Containerumschlags auf die südlich der Elbe gelegenen Erweiterungsflächen, die bis dahin landwirtschaftlich genutzt worden waren. Die wirtschaftspolitischen Planungen des Senats spitzten diese Tendenzen weiter zu. Entlang von »Entwicklungsbändern«80, die sich bis tief in die Region erstreckten, sollten Atomkraftwerke, Stahlhütten und Chemiebetriebe angesiedelt werden. Vor allem dem Tiefwasserhafen Neuwerk, der mitten in der Elbmündung geplant wurde, kam eine herausragende Rolle zu. Die Zukunft der Industrie, daran ließen die Planungen keinen Zweifel, lag nicht länger im Stadtzentrum, sondern in der Region. Während sich der Schwerpunkt der städtischen Entwicklung nach außen verlagerte, entstanden im Zentrum neue Ränder. Gerade der Niedergang der Gründerzeitviertel lässt sich als Kehrseite der Suburbanisierung fassen.81 Im Laufe der 1950er und 1960er ging die Zahl der Einwohner drastisch zurück. Insbesondere junge Familien zogen weg. Auch die expandierenden Industriebetriebe, die in den engen Hinterhöfen nicht mehr genügend Platz fanden, wanderten nach und nach ab. Und schließlich trugen auch die ins Stocken geratenen Sanierungen dazu bei, den Verfall weiter zu beschleunigen. Nur wenn dieser Verfall der Gründerzeitviertel in den Blick genommen wird, ist ein angemessenes Verständnis der Suburbanisierung möglich. Dennoch lassen sich seit den späten 1960ern auch hier Gegentendenzen ausmachen. Erneut wandten sich Senat und gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen den Gründerzeitvierteln zu.82 Eine Lösung für deren unübersehbare Krise sahen sie darin, die Sanierungen wiederaufzunehmen. Vorgesehen 77 78 79 80 81 82
Siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 69–71. Siehe ebd., S. 54–56 und S. 69–71. Siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 29–31 und S. 44–48. Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 19722, Anlage. Siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 92–94 und S. 101–104. Siehe ebd., S. 101–104.
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war, die bestehende Bebauung vollständig abzureißen und durch neue Hochhauskomplexe zu ersetzen. Gerade die Planungen für das Alsterzentrum und für Neu-St. Pauli lösten großes Aufsehen aus. Rückblickend sind jedoch zwei andere Veränderungen, denen die Zeitgenossen zunächst wenig Aufmerksamkeit schenkten, wesentlich bedeutsamer. Mehr und mehr zogen Studenten, die in Kommunen und Wohngemeinschaften zusammenleben wollten, und Arbeitsmigranten, die sich der Unterbringung in Baracken verweigerten, in die verfallenden Gründerzeitviertel.83 Während des Booms war die räumliche Ordnung der Arbeitswelt in Hamburg durch eine Reihe übergreifender Tendenzen gekennzeichnet: internationale Arbeitsteilung, industrielle Produktion, Rationalisierung, Zentralisierung, Tren nung von Arbeit und Leben, Status der Lohnarbeit und Suburbanisierung. Zusammen bestimmten sie die Gestalt der fordistischen Stadt. Demgegenüber waren die Gegentendenzen, die sich bereits in den 1960ern herausbildeten, zu schwach und vereinzelt, um die bestehende Ordnung grundsätzlich in Frage zu stellen. Aber genau dies sollte sich nach 1973 verändern.
83 Siehe ebd., S. 104–108.
Zweiter Teil: Die Krise. Hamburg von 1973 bis 1989
1.
Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung
Am Morgen des 29. Februars 1972 traten in Rotterdam, Bremen und Hamburg mehrere hundert Seeleute in einen 36 Stunden langen Warnstreik.1 Damit verliehen sie der Forderung Nachdruck, die Löhne um 10 Prozent zu erhöhen. Auf einer Fotografie, die das Hamburger Abendblatt am nächsten Tag veröffentlichte, war einer der streikenden Seeleute zu sehen (Abb. 40)2. Ein älterer deutscher Mann stand am Bug eines Stückgutfrachters und hielt ein Plakat der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) in die Luft. Darauf stand: »Dieses Schiff wird bestreikt«. Das zentrale Ziel der ÖTV, die 13.000 der insgesamt 45.000 westdeutschen Seeleute vertrat,3 bestand in der »Angleichung der Heuern an die Bezüge der in anderen Bereichen Beschäftigten«4. Seit dem Ende der 1960er war sie dabei in großen Schritten vorangekommen, vor allem wegen der Vollbeschäftigung. Da immer mehr Seeleute auf besser bezahlte und weniger strapaziöse Stellen auf dem Festland gewechselt waren, hatten sich die Unternehmensverbände gezwungen gesehen, den weitreichenden Forderungen der Gewerkschaften nachzukommen. Angesichts dessen war die Monatsheuer langjähriger Matrosen von 1969 bis 1971 um 44 Prozent auf nun 844 DM angestiegen.5 Rückblickend sprach der Verband deutscher Reeder von »der Lohnexplosion der Jahre 1970/71«6. Mit dem Warnstreik im Winter 1972 versuchte die ÖTV an die erfolgreichen Tarifauseinandersetzungen der vorangegangenen Jahre anzuknüpfen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten die Reedereien bereits damit begonnen, die Spielregeln zu ihren Gunsten zu verändern. Dies verdeutlicht ein Interview, dass der Sprecher der Geschäftsführung der Hamburg Süd John de La Trobe im Jahr 1971 der Zeitschrift Hansa gab. Auf die Frage, ob sich die Reederei mit dem Thema des Flaggenwechsels beschäftige, verwies de La Trobe zunächst auf die wirtschaftliche Lage: »Nicht nur die Hamburg Süd, sondern alle deutschen Ree1 Warnstreik ohne Zwischenfälle, in Hamburger Abendblatt, 1.3.1972, S. 1. 2 Eine Annäherung nach Streikende ist nicht in Sicht, in: Hamburger Abendblatt, 1.3.1972, S. 30. 3 ÖTV will Streik in der Seeschiffahrt, in: Hamburger Abendblatt, 29.2.1972, S. 1. 4 Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Bezirksverwaltung Hamburg, Geschäftsbericht 1968–1971, Hamburg 1972, S. 44 f. 5 Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Bezirksverwaltung Hamburg, Geschäftsbericht 1976–1979, Hamburg 1980, S. 87. 6 Verband Deutscher Reeder, Seeverkehr unter verschiedenen Flaggen. Zur Internationa lisierung der deutschen Seeschiffahrt, Hamburg 1974, S. 37.
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Die Krise. Hamburg von 1973 bis 1989
dereien sehen sich vor ernsten Schwierigkeiten durch die Kostenexplosion in den vergangenen Monaten und Jahren. Problematisch erscheinen uns weniger die konkurrierenden billigen Flaggen wie beispielsweise die Liberias, sondern die teure deutsche Flagge.«7 Danach stellte klar: »Unter diesen Umständen ist es nur zu verständlich, wenn deutsche Reeder – also auch die Hamburg Süd – ihre Schiffe unter ausländische Flagge stellen, ähnlich wie deutsche Industrieunternehmen, die Produktionsstätten im Ausland errichten, um konkurrenzfähig zu bleiben.«8 Kurze Zeit später begannen die westdeutschen Reedereien, diese Überlegungen in die Tat umzusetzen. Im Laufe des Jahres 1972 erreichte die Ausflaggung ihren ersten Höhepunkt.9 Indem die Reedereien die von ihnen betriebenen Schiffe in die Schiffsregister von Ländern wie Liberia, Panama, Singapur und Griechenland eintragen ließen, umgingen sie die in Westdeutschland gültigen Tarifverträge, Sicherheitsbestimmungen und Steuergesetze. Zu den Vorreitern gehörte die Hamburg Süd, die Anfang 1973 bereits 42 ihrer 63 Frachter ausgeflaggt hatte.10 Pro Schiff und Jahr sparte sie so 200.000 bis 400.000 DM, ein Großteil davon Lohnkosten.11 Um die deutschen Seeleute durch schlechter bezahlte ausländische Seeleute ersetzen zu können, hatte die Hamburg Süd schon frühzeitig vorgesorgt. Gemeinsam mit anderen westdeutschen und britischen Reedereien hatte sie gegen Ende der 1960er den Southern Pacific Marine Service gegründet.12 Mit dieser Agentur, die ihren Sitz auf den im Südpazifik gelegenen Gilbertinseln hatte, warb sie nun die Seeleute für die ausgeflaggten eigenen Schiffe an. In den 1970ern vertieften sich die Umbrüche in der Seeschifffahrt. Dazu trug auch die Containerisierung bei. Da die neuen Containerfrachter deutlich größer als die alten Stückgutfrachter waren, wurden immer weniger Schiffe benötigt. Zusammen mit der Ausflaggung führte dies dazu, dass sich die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge erheblich verringerte. Vor allem für die dort beschäftigten Seeleute hatte dies schwerwiegende Folgen. Ihre Zahl brach von 48.000
7 Die Hamburg Süd heute. Ein »Hansa«-Interview mit Dr. John de La Trobe, in: Hansa. Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 108 (1971) H. 21, S. 2021–2024, hier S. 2023. 8 Ebd. 9 Verband Deutscher Reeder, Seeverkehr unter verschiedenen Flaggen, S. 47 f. Zu den Umbrüchen in der Seeschifffahrt siehe: Niels P. Petersson, Schifffahrt und Globalisierung, in: Merkur 67 (2013) H. 4, S. 329–341; Fritz Fiehler, »Aus dem Ruder gelaufen« – die deutsche Schiffahrt, in: Heiner Heseler / Hans Jürgen Kröger (Hrsg.), »Stell Dir vor, die Werften gehörn uns …«. Krise des Schiffbaus oder Krise der Politik?, Hamburg 1983, S. 51–63. 10 Fünfte Kolonne, in: Der Spiegel, 16.4.1973, S. 54–57, hier S. 57. 11 Ebd. 12 Kai Krüger, Geschunden und ausgebeutet, in: Die Zeit, 21.11.1975, S. 69. Zur Agentur der Hamburg Süd siehe: Maria Borovnik, Transnationalism of Merchant Seafarers and Their Communities in Kiribati and Tuvalu, in: Helen Lee / Steve Tupai Francis (Hrsg.), Migration and Transnationalism, Canberra 2009, S. 143–157.
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im Jahr 1970 auf 28.000 im Jahr 1980 ein.13 Gleichzeitig verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen auf den ausgeflaggten Schiffen drastisch. Die Löhne der neu angestellten ausländischen Seeleute lagen um mehr als die Hälfte unter denen der westdeutschen Seeleute.14 Zum Teil erhielten sie nur noch 100 DM im Monat.15 Vielfach blieben sie ohne Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Ein aus der Südsee stammender Seemann berichtete im Jahr 1975 in der Zeit: »Es gibt keinen deutschen Reeder, der uns sympathisch ist. Wir erleben alle und überall das gleiche: Überstunden werden gestrichen, wir machen die schäbigste Arbeit, wir geben in den Häfen die Nachtwachen. Auf den Heuerbüros haben die Weißen Vortritt. Und an Bord sind die Deutschen immer gleich: die erste Woche prima, die zweite Woche ein Bier, die dritte Bier und Whisky und vorbei mit dem Frieden. Dann arbeiten nur wir noch.«16 Aber Armut und Arbeitslosigkeit zwangen die asiatischen Seeleute dazu, dennoch auf von deutschen Reedern betriebenen Schiffen anzuheuern. Vor diesem Hintergrund kommentiert die ÖTV: »Die unter den billigen Flaggen fahrenden Seeleute mußten Arbeitsbedingungen eingehen, die einen Rückschritt in der sozialen Sicherheit um 50 Jahre brachten.«17 Noch Anfang 1972 hatte die ÖTV um die »Angleichung der Heuern an die Bezüge der in anderen Bereichen Beschäftigten«18 gekämpft. Nun stand sie vor der Aufgabe, den freien Fall der Arbeitsbedingungen zu stoppen. Damit rückte die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), in der sich weltweit Gewerkschaften aus dem Transportbereich zusammengeschlossen hatten, in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Ziel der ITF war es, auch bei den »Billigflaggenschiffen«19 einen Tarifvertrag durchzusetzen und so ein Minimum an Bezahlung festzuschreiben. Viele Reedereien weigerten sich, diesen Vertrag zu unterschreiben. Andere stimmten zu, hielten sich aber nicht an die Vereinbarung. Angesichts dessen kam es weltweit zu zahlreichen Arbeitskonflikten. Allein im Hamburger Hafen fanden zwischen 1976 und 1979 dreizehn Streiks auf ausgeflaggten Schiffen statt.20 Dabei erkämpften die ausländischen Seeleute Lohnzahlungen in Höhe von fast einer Million US -Dollar.21 Einen dieser Streiks dokumentierte die ÖTV in ihrem 1980 erschienenen Geschäftsbericht mit einer 13 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Shipping Statistics Yearbook 1994, Bremen 1994, S. 249. 14 Kai Krüger, Mit allen Wasser gewaschen, in: Die Zeit, 28.11.1975, S. 41. 15 Kai Krüger, Geschunden und ausgebeutet, S. 69. 16 Ebd. 17 Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Bezirksverwaltung Hamburg, Geschäftsbericht 1972–1975, Hamburg 1976, S. 49. 18 Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Bezirksverwaltung Hamburg, Geschäftsbericht 1968–1971, S. 44 f. 19 Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Bezirksverwaltung Hamburg, Geschäftsbericht 1976–1979, S. 52. 20 Ebd. 21 Ebd.
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Die Krise. Hamburg von 1973 bis 1989
Fotografie. Die Aufnahme zeigte eine Gruppe von südpazifischen Seeleuten, die auf der Gangway eines Schiffes standen (Abb. 41)22. Einer der Seeleute hielt ein selbstgemachtes Schild mit dem Schriftzug »WE ARE ON STRIKE FOR ITF CONT« in der Hand. Im Hintergrund hing an der Bordwand des Schiffes ein weiteres Plakat. Darauf war zu lesen: »Dieses Schiff wird bestreikt«. Auch gegen Ende des Jahrzehnts nutze die ÖTV dieselben Plakate. Ansonsten hatte sich fast alles verändert. Im Laufe der 1970er trieb die Hamburger Wirtschaftsbehörde die Industrialisierung der Region Unterelbe weiter voran. Mehr und mehr nahmen die großangelegten Planungen Gestalt an.23 In einer ausführlichen Reportage, die im Jahr 1974 unter dem Titel »Hier entsteht ein neuer Ruhrpott« erschien, stellte der Spiegel fest: »Um fast jeden Preis, gewiß mit Milliardenaufwand, sollen die beiden Uferseiten der Unterelbe für gigantische Industrie- und Kraftwerke, gewaltige Verkehrsbauten und neue Hafenanlagen erschlossen werden. Die Stromlandschaft, die sich über gut hundert Kilometer erstreckt, könnte, was die schiere Zusammenballung von Energie, Technik und Verkehr angeht, sogar das Ruhrrevier in zehn, zwanzig Jahren übertreffen, so alles realisiert wird, was auf dem Papier steht.«24 Diese Einschätzung unterstrich der Spiegel mit einer Karte (Abb. 42)25. Schwarze vertikale Balken markierten die zukünftigen »IndustrieSchwerpunkträume«, vom Hafenerweiterungsgebiet im Süden Hamburgs über Stade und Brunsbüttel bis hin zum Tiefwasserhafen Neuwerk. Zugleich wiesen verschiedene Piktogramme auf bestehende und geplante industrielle Großbetriebe hin, darunter Werften, Raffinerien, Chemiefabriken, Stahlhütten, Aluminiumwerke und schließlich Atomkraftwerke. Allein zwölf Atomkraftwerke waren vorgesehen.26 Ein erstes Atomkraftwerk hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Betrieb aufgenommen. Seit 1972 unterhielten die stadteigenen Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) es in Stade.27 Zudem befand sich in Brunsbüttel ein zweites im Bau.28 Rund um diese beiden Atomkraftwerke siedelten sich eine Raffinerie, zwei Chemiefabriken und ein Aluminiumwerk an.29 Auch im Hamburger Hafengebiet, das seit langem durch Werften und Raffinerien geprägt war, gewannen mit einer Stahlhütte und einem Aluminiumwerk neue Industriebranchen an
22 Ebd., S. 55. 23 Zur Industrieansiedlung in der Region Unterelbe siehe: Christoph Strupp, Kooperation und Konkurrenz; Michael Grüttner, Wem die Stadt gehört. Stadtplanung und Stadtentwicklung in Hamburg 1965–1975, Hamburg 1976. 24 Hier entsteht ein neuer Ruhrpott, in: Der Spiegel, 28.10.1974, S. 49–67, hier S. 52. 25 Ebd., S. 54 f. 26 Ebd., S. 52. 27 Stader Kernkraftwerk offiziell übergeben, in: Hamburger Abendblatt, 20.5.1972, S. 4. 28 Erster Rammschlag für Kernkraftwerk, in: Hamburger Abendblatt, 29.5.1970, S. 2. 29 Hier entsteht ein neuer Ruhrpott, in: Der Spiegel, S. 52.
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Bedeutung.30 Gerade mit dem Aluminiumwerk verband die Wirtschaftsbehörde große Hoffnungen. Es sollte zu einer »Initialzündung für weitere Industrieansiedlungen«31 im südlich der Elbe gelegenen Hafenerweiterungsgebiet führen und so den Wohlstand Hamburgs dauerhaft sichern. Um dieses Ziel zu erreichen, war die Wirtschaftsbehörde bereit, hohe Subventionen zu zahlen. In einem Vertrag, den der Wirtschaftssenator Helmuth Kern im Jahr 1969 mit dem US amerikanischen Unternehmer J. Louis Reynolds abgeschlossen hatte, sicherte Hamburg dem Aluminiumkonzern Zahlungen in Höhe von 227 Millionen DM zu, darunter einen Zuschuss von 78 Millionen an die HEW, damit diese verbilligten Strom liefern konnte. Zudem übernahm Hamburg Bürgschaften in Höhe von 534 Millionen DM.32 Als Gegenleistung verpflichtete sich der Aluminiumkonzern ein Schmelz- und Walzwerk in Hamburg aufzubauen und 1.200 Arbeitsplätze zu schaffen.33 Im Jahr 1970 begann Reynolds mit dem Bau des Werkes. Drei Jahre später nahm es die Produktion auf.34 Für die Bevölkerung der vormals landwirtschaftlich genutzten Gebiete hatten die Industrieansiedlungen einschneidende Folgen. Zunehmend waren Dorfbewohner, Bauern und Fischer von der Räumung von Dörfern, der Enteignung von Land und der Verschmutzung von Luft und Wasser betroffen. Da die Wirtschaftsbehörde darauf keine Rücksicht nehmen konnte und wollte, wuchs der Unmut, und mit dem Unmut die Bereitschaft gerichtlich gegen die Industrieansiedlungen vorzugehen, so auch bei dem Bauern Hans-Herbert Langeloh aus dem Alten Land, der in den Fluorabgasen der Aluminiumhütte eine Gefährdung für die von ihm angepflanzten Blumen sah.35 Da die Stadt die Bau- und Betriebsgenehmigung für Reynolds erst 1973 und damit drei Jahre nach Baubeginn ausgestellt hatte, siegte der Bauer mit seiner Klage. Im Jahr 1974 verfügte das Verwaltungsgericht eine vollständige Stilllegung des Schmelzwerkes.36 Diese Entscheidung löste eine heftige öffentliche Debatte aus. So fragte die Zeit: »Sind 12.000 Gladiolen wichtiger als 1.200 Arbeitsplätze?«.37 Schließlich entschied das Oberverwaltungsgericht, die Produktion bis zu einer endgültigen Entscheidung auf zwei Drittel der Kapazität zu beschränken.38 Schon diese Produktionsbeschränkung machte das Werk zu einem Verlustgeschäft. Als Mitte der 1970er die weltweite Nachfrage nach Aluminium einbrach, kündigte Reynolds an, den Standort in Hamburg stillzulegen. Nur durch weitere Subventionen in Millionenhöhe gelang es dem Hamburger Senat, den 30 Einmalig an der Küste, in: Der Spiegel, 25.1.1971, S. 75. 31 Treten Sie ab, Herr Bürgermeister, in: Der Spiegel, 28.2.1972, S. 52–65, hier S. 57. 32 Aus dem Märchenbuch, in: Der Spiegel, 18.8.1975, S. 32–34, hier S. 32. 33 Die teure Hütte des Senator Kern, in: Die Zeit, 22.8.1975, S. 24. 34 Ebd. 35 Zum Konflikt um Reynolds siehe: Strupp, Kooperation und Konkurrenz; Grüttner, Wem die Stadt gehört, S. 64–68. 36 Hamburg: Skandal um Reynolds, in: Hamburger Abendblatt, 12.6.1974, S. 1. 37 Horst Bieber, Gladiolen oder Arbeitsplätze, in: Die Zeit, 6.9.1974, S. 12. 38 Hier entsteht ein neuer Ruhrpott, in: Der Spiegel, S. 55–57.
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Betrieb aufrechtzuerhalten.39 Von einer »Initialzündung für weitere Industrieansiedlung«40 war nun keine Rede mehr. Stattdessen spottete die Zeit über »Die teure Hütte des Helmuth Kern«41. Auch in anderen entlang der Elbe gelegenen Dörfern wuchs der Widerstand. Als im Jahr 1973 erste Überlegungen für den Bau eines Atomkraftwerkes in Brokdorf öffentlich wurden, schlossen sich die Bewohner der Wilstermarsch zu der Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe zusammen, unter ihnen viele Bauern.42 In der Wilstermarsch lag der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten noch in den 1970ern bei fast 27 Prozent.43 Für die hier ansässigen Bauern spielte die Elbe seit vielen Jahrhunderten eine zentrale Rolle. Über einen weitverzweigten Sielverband bewässerten sie mit deren Wasser ihre Weiden. Um diese Grundlage ihres Wirtschaftens fürchteten die Bauern. Schon in den vorangegangenen Jahren war die Elbe mehr und mehr durch Industrieabwässer verschmutzt worden. Nun sollte in unmittelbarer Nähe zu einer der Schleusen des Sielverbandes das Atomkraftwerk Brokdorf gebaut werden. Die Bauern sahen die Gefahr, dass durch die Abwässer die Elbe, die Wiesen, die Kühe und schließlich die Milch radioaktiv verseucht werden könnte.44 Für sie bedrohte der Bau des Atomkraftwerkes ihre wirtschaftliche Existenz. In den folgenden Jahren engagierten sich zahlreiche Bauern und Dorfbewohner, unterstützt von Physikern aus Hamburg und Bremen, gegen das geplante Atomkraftwerk.45 Von diesen Protesten ließ sich die Kraftwerk Brokdorf GmbH, die von den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) und den Nordwestdeutschen Kraftwerken (NWK) gegründet worden war, nicht beeindrucken. Im Jahr 1974 beantragte sie die Betriebsgenehmigung. Gegen diesen Antrag sammelte die Bürgerinitiative mehr als 31.000 Unterschriften und reichte Klage ein.46 Gleichzeitig wuchsen die Zweifel, ob auf diesem Weg der Bau des Atomkraftwerkes zu verhindern sei. Als im Jahr 1975 die Bauern von Wyhl den dortigen Bauplatz besetzten, begann auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe über einen weitergehenden Widerstand zu diskutieren.47 Schließlich veröffentlichte sie zusammen mit anderen Initiativen Ende 1975 die »Erklärung der norddeutschen Bürgerinitiativen und Lebensschutzverbände an die Bevölkerung«48. Wenn der Bau des Atomkraftwerkes beginne, habe man 39 Aus dem Märchenbuch, in: Der Spiegel, S. 33 f. 40 Treten Sie ab, Herr Bürgermeister, in: Der Spiegel, S. 57. 41 Die teure Hütte des Senator Kern, in: Die Zeit, S. 24. 42 Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe, Brokdorf. Der Bauplatz muß wieder Wiese werden!, Hamburg 1977, S. 49 f. 43 Ebd., S. 22. 44 Ebd., S. 28–30. 45 Ebd., S. 85–94. 46 Ebd., S. 52. 47 Ebd., S. 58. 48 Ebd., S. 59 f.
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keine andere Wahl, als den Bauplatz zu besetzen: »Weil wir wissen – daß das geplante Atomkraftwerk Brokdorf und die übrigen schon bestehenden und noch geplanten Atomkraftwerke, ihr Atommüll und ihre zukünftigen Ruinen unser Land und unser Leben gefährden – daß der Betrieb des Atomkraftwerkes – und der nachfolgenden Industrie – die Qualität der Luft, des Wassers und des Bodens und damit die Existenzgrundlage der Landwirtschaft und des mit ihr verbundenen Gewerbes zerstört und die Betroffenen als billige Arbeitskräfte in die Fabrik gehen müssen – daß die Atomingenieure keinen Schutz bieten können gegen Verseuchung der Luft, die wir atmen, des Wassers, das wir trinken, der Pflanzen und Tiere, die wir essen – und weil wir nicht warten können, bis die Katastrophe da ist.«49 Als die Kraftwerk Brokdorf GmbH im Herbst 1976 mit den Bauarbeiten begann, eskalierte der Konflikt. 8.000 Menschen folgten dem Aufruf der Bürgerinitiativen, 2.000 von ihnen durchbrachen die mit Stacheldraht gesicherten Absperrungen.50 Nur unter massivem Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern gelang es der Polizei den Bauplatz wieder zu räumen.51 In den folgenden Wochen und Monaten spitzten sich die Auseinandersetzungen weiter zu. Bei einem erneuten Anlauf überwanden 30.000 Menschen die weiträumigen Straßensperren und lieferten sich am Bauzaun Schlachten mit der Polizei.52 Allein in Hamburg engagierten sich nun mehr als 1.000 Menschen in die Bürgerinitiative Umweltschutz Unterlebe.53 Vor diesem Hintergrund ordnete das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht einen Baustopp bis zur endgültigen Entscheidung an.54 Dennoch weiteten sich die Proteste aus. Anfang 1977 trafen sich Vertreter von 150 Bürgerinitiativen in Wilster.55 Wenig später nahmen 60.000 Menschen an Kundgebungen in Itzehoe und am Bauplatz teil.56 Nach den Ereignissen von Brokdorf verbreitete sich die westdeutsche AntiAKW-Bewegung mit großer Geschwindigkeit.57 Innerhalb kurzer Zeit folgten versuchte Bauplatzbesetzungen in Grohnde, Malville und Kalkar. In seinem Buch »Gegen den Atomstaat«58, das im Jahr 1979 erschien, dokumentierte der Hamburger Fotograf Günter Zint die Auseinandersetzungen an den Bauzäunen. Immer wieder bildete Zint Bauern und Studenten ab, die sich gemeinsam an den 49 50 51 52 53 54 55 56 57
Ebd., S. 59. Ebd., S. 68–70. Ebd., S. 105–113. Ebd., S. 68–70. Ebd., S. 127. Ebd., S. 145. Ebd., S. 149. Ebd., S. 163. Zur Anti-AKW-Bewegung siehe: Anselm Doering-Manteuffel u. a. (Hrsg.), Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 1985, Tübingen 2015; Uli Borchers u. a., Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv. Bd. I. Die AKW-Protestbewegung von Wyhl bis Brokdorf, Hamburg 2011; Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011, S. 209–229; Brand, Aufbruch in eine neue Gesellschaft, S. 85–117. 58 Günter Zint, Gegen den Atomstaat. 300 Fotodokumente, Frankfurt am Main 1979.
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Protesten beteiligten. Dies verdeutlicht auch eine Fotografie, die er im Herbst 1976 in Brokdorf gemacht hatte (Abb. 43)59. Im Vordergrund stand ein konservativ gekleidetes älteres Ehepaar. Vor allem der Hut des Mannes kennzeichnete ihn als Bauern.60 Dahinter stand eine Gruppe von jüngeren Männern, die Parkas und Bauhelme trugen. Beide Kleidungsstücke verwiesen zurück auf die städtischen Subkulturen der 1960er. Die Parkas waren schon bei den Gammlern und bei den Ostermärschen beliebt.61 Die Bauhelme trugen Aktivisten des SDS erstmals bei der Schlacht am Tegeler Weg im Jahr 1968.62 Die Fotografie von Günter Zint legte das unwahrscheinliche Bündnis von konservativen Bauern aus der Wilstermarsch und linksradikalen Studenten aus der Großstadt Hamburg offen, ohne das sich die Wucht des Konflikts um das Atomkraftwerk Brokdorf nicht verstehen lässt. Seit dem Herbst 1976 prägten linksradikale Studenten die Auseinandersetzungen an den Bauzäunen. Viele von ihnen waren Mitglieder des Kommunistischen Bundes, der in den 1970ern zu den wichtigsten maoistischen Gruppen in Hamburg gehörte und der später eine zentrale Rolle bei der Gründung der Grün Alternativen Liste (GAL) spielen sollte.63 Dabei richtete sich der gemeinsame Widerstand von Bauern und Studenten nicht nur gegen Atomkraftwerke, sondern gegen die forcierte Industrialisierung insgesamt. Deren Folgen waren auch in den innerstädtischen Gründerzeitvierteln, die seit den späten 1960ern Hochburgen der Neuen Linken waren, immer deutlicher zu spüren. Wachsender Autoverkehr, Planungen für Stadtautobahnen und »Kahlschlagsanierungen« belasteten die dortigen Lebensverhältnisse. So sehr sich Studenten und Bauern in ihren politischen Vorstellungen unterschieden, so sehr glichen sich die Zerstörungen in Altbaugebieten und Dörfern. Bereits im Herbst 1976 erfasste der Konflikt um die Atomenergie auch die SPD. Gemeinsam mit den Beschäftigten des Betreibers demonstrierte der Kieler SPD -Politiker und ÖTV-Funktionär Hans Schwalbach in Brokdorf für den Bau des Kraftwerks. In einer Rede warf er den Atomkraftgegnern eine »Maschinenstürmerei zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung«64 vor. Demgegenüber beteiligte sich der Hamburger SPD -Politiker Freimut Duve an den Protesten der Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe. Duve, der in den 1960ern Mitarbeiter
59 Ebd., S. 28 f. 60 Zur zeitgenössischen Darstellung von Bauern siehe: Bauern gegen Bonn, in: Der Spiegel, 13.2.1967, Titelseite. 61 Zum Parka bei Gammlern und Ostermarschierern siehe: Kosel, Gammler, Beatniks, Provos, S. 132f; Magnum Photos, 1968 Magnum Throughout the World. Text by Eric Hobsbawm and Marc Weitzmann, Paris 1998, S. 56 f. 62 Zum Bauhelm bei der Schlacht am Tegeler Weg siehe: Wolfgang Kraushaar, 1968. Das Jahr, das alles verändert hat, München 1998, S. 227 f. 63 Zum Kommunistischen Bund siehe: Michael Steffen, Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991, Berlin 2002. 64 Eis ohne Energie, in: Der Spiegel, 8.11.1976, S. 115–120, hier S. 120.
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des Wirtschaftssenators Helmuth Kern gewesen war,65 formulierte dabei eine grundsätzliche Kritik an der vorherrschenden Wirtschaftspolitik: »Alle Zukunftsindustrie, die heute gefördert wird, zeichnet sich durch dreierlei aus: Sie braucht übermäßig viel Energie, sie braucht übermäßig viel Kapital und sie braucht besonders wenig Arbeitskräfte: Der Staat verteilt gewaltige Geldsummen in Form von direkten und indirekten Hilfen in vollautomatische, hochrationalisierte, elektronisch gesteuerte Prozesse, die eines am wenigsten bieten: langfristige Arbeit für den Menschen.«66 Die große Wucht der Anti-AKW-Bewegung stellte die vorhandenen Planungen grundsätzlich in Frage. Darin bestand auch für den Zeit-Chefredakteur Theo Sommer kein Zweifel. In einer Rede, die er Ende 1977 im Übersee-Club hielt, konstatierte er: »Seit Jahren haben die Planer in aller Welt auf die Atomkraft gesetzt, als unversiegbare Quelle billiger Energie, Garant fortdauernden Wachstums und Unterpfand eines zumindest gleichbleibenden Lebensstandards. […] Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, so müssen wir all diese Projektionen […] heute als unrealistisch betrachten. Der wachsende Widerstand der Bürgerinitiativen, die jüngsten Urteile der Gerichte, die neue Zögerlichkeit der Parlamente und Parteien signalisieren der Kernkraft sieben magere Jahre. Niemand sollte sich etwas vormachen: Praktisch haben wir heute in der Bundesrepublik ein Moratorium.«67 Anfang des Jahres 1973 fiel im Aufsichtsrat des Schiffbaukonzerns Howaldtswerke-Deutsche Werft (HDW) die Entscheidung, die Werft in Finkenwerder, und damit einen der drei Hamburger Standorte, zu schließen.68 Ein Großteil der 1.600 Beschäftigten sollte von den Standorten Reiherstieg und Ross übernommen werden.69 Zugleich sprach sich der Aufsichtsrat dafür aus, dass sich die verbliebenen beiden Werke auf Nebengeschäfte und Schiffsreparaturen beschränkten. Zukünftig sollte der Neubau von Handelsschiffen in Kiel zusammengefasst werden. Zwei Entwicklungen hatten den Ausschlag gegeben. Zum einen hatte sich in den vorangegangenen Jahren der wirtschaftliche Schwerpunkt zunehmend nach Kiel verlagert, vor allem nachdem die Fusion mit Blohm + Voss, der zweiten noch bestehenden Hamburger Großwerft, gescheitert war.70 Weiter verstärkt wurde dieses Ungleichgewicht dadurch, dass das Land Schleswig-Holstein, im Unterschied zur Stadt Hamburg, an der HDW beteiligt
65 Michael Ludwig Müller, Berlin 1968. Die andere Perspektive, Berlin 2008, S. 39. 66 Freimut Duve, Energielücke? Wir haben eine Phantasielücke!, in: ders. (Hrsg.), Atomenergie / Brokdorf / Unterelbe, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 99–105, hier S. 103. 67 Theo Sommer, Kernenergie als politische Streitfrage. Vortrag am 20. Oktober 1977 im Übersee-Club, in: Der Übersee-Club Hamburg (Hrsg.), Jahrbuch 1976/1977, Hamburg 1982, S. 1–16, hier S. 2. 68 Voll in der Tasche, in: Der Spiegel, 15.1.1973, S. 52–53, hier S. 52. 69 Horst-Wolfgang Bremke, Feierabend in Finkenwerder, in: Die Zeit, 19.1.1973, S. 33. 70 Ebd.
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war. Zum anderen bot nur die Förde, die deutlich tiefer als die Elbe war, die Voraussetzung für den Bau von Supertankern. Bereits 1972 hatte die Bundesregierung in einem Gutachten empfohlen, den Großschiffbau an am tiefen Wasser gelegene Standorte zu verlagern.71 Mit der Umstrukturierung Anfang 1973 folgte der größte westdeutsche Schiffbaukonzern dieser Empfehlung. Insgesamt 200 Millionen DM investierte er in die Kieler Werft, ein Großteil davon in ein 400 Meter langes und 90 Meter breites Dock, in dem Supertanker mit einer Tragfähigkeit von bis zu 700.000 Tonnen gebaut werden konnten.72 Hans Birnbaum, der Aufsichtsratsvorsitzende der HDW, machte deutlich: »Wenn wir zur Größe keinen Mut haben […] landen wir in Kiel dort, wo wir mit unseren Anlagen in Hamburg-Finkenwerder gelandet sind. Dann können wir dichtmachen.«73 Zu diesem Zeitpunkt war Schiffbau weitgehend gleichbedeutend mit Tankerbau. Im Jahr 1973 lag der Anteil der Bruttoregistertonnen (BRT) von Tankern am weltweiten Auftragsbestand bei 76 Prozent.74 Die meisten dieser Aufträge gingen nach Japan. Aber auch westdeutsche Großwerften wie AG Weser, Bremer Vulkan und HDW gelang es, neue Aufträge einzuwerben. Zusammen hatten die westdeutschen Großwerften 1973 über 20 Tanker in ihren Auftragsbüchern und waren damit bis Ende 1975 ausgelastet.75 Angesichts dessen kommentierte der Spiegel: »Tatsächlich aber sehen auch Westdeutschlands Schiffswerften einer unabwendbaren Auftragsflut, besonders im Großtankerbau, entgegen. Denn Energiewirtschaftler und Mineralölkonzerne verkünden bereits seit gut einem Jahr, daß sich die Produktion des Energieträgers Erdöl (Marktanteil 60 Prozent) in den nächsten zehn Jahren verdoppeln müßte, wenn in den Industrieländern das Licht nicht ausgehen soll. Fast sämtliche Ölförderländer − rund 80 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Mineralöls kommt aus den Wüstenstaaten am Mittelmeer, am Persischen Golf oder aus Schwarzafrika – liegen von den Verbraucherzentren weit entfernt. Um die doppelte Menge Mineralöl herbeizuschaffen, muß auch die Tanker-Armada verdoppelt werden.«76 Wenige Monate später hatten diese Prognosen jede Gültigkeit verloren.77 Mit dem Ölboykott der OPEC im Herbst 1973 und den dadurch ausgelösten 71 72 73 74
Horst-Wolfgang Bremke, Geklagt wird immer, in: Die Zeit, 30.3.1973, S. 43. Orders abgefangen, in: Der Spiegel, 17.9.1973, S. 38–41. Ebd., S. 38. Institut für Wirtschaftsforschung, Die Entwicklung des Welthandels und dessen Einfluß auf den Weltschiffbau. Teil 2: Entwicklung der Seeverkehrsleistungen und des Tonnagebedarfs – Konsequenzen für den Schiffbau, München 1978, Tabelle 34. 75 Ein unerwarteter Boom, in: Die Zeit, 16.2.1973, S. 36. 76 Voll in der Tasche, in: Der Spiegel, 15.1.1973, S. 52. 77 Zum Ölboykott der OPEC siehe: Rüdiger Graf, Öl und Souveränität. Petroknowledge und Energiepolitik in den USA und Westeuropa in den 1970er Jahren, Berlin 2014; David Reynolds, One World Divisible. A Global History since 1945, London 2000, S. 369–402; Jens Hohensee, Der erste Ölpreisschock 1973/74. Die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der arabischen Erdölpolitik auf die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, Stuttgart 1996.
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drastischen Preissteigerungen kam der stetige Anstieg des weltweiten Rohöl verkehrs über See zu einem Ende. Nach Jahrzehnten des Wachstums brach er im Jahr 1975 um 13,5 Prozent ein.78 Unterdessen lieferten die Werften die Supertanker, die während des Booms in Auftrag gegeben worden waren, an die Reedereien aus. Einem immer weiterwachsenden Angebot an Tankern stand eine schwindende Nachfrage nach Rohöltransporten gegenüber. Die Verluste der Reedereien schnellten in die Höhe. Da schon die bestehenden Schiffe nicht ausgelastet waren, ließen sie zudem kaum noch neue bauen. Der Auftragsbestand an Tankern, der im Jahr 1973 mit 98 Millionen BRT einen absoluten Höchststand erreicht hatte, ging bis 1977 auf 10 Millionen BRT zurück.79 Die Krise, an deren Anfang der Ölboykott der OPEC gestanden hatte, traf nun mit voller Wucht die Werften, gerade auch die HDW. Von den vier Supertankern mit einer Tragfähigkeit von je 480.000 Tonnen, die während des Booms bei HDW in Auftrag gegeben worden waren, wurden alle vier storniert.80 Und auch neue Auftrage waren nicht in Sicht. Die Krise blieb nicht auf den Bau von Tankern beschränkt, sondern erfasste die gesamte westdeutsche Werftindustrie. Maßgeblichen Anteil daran hatte die sich verschärfende weltweite Konkurrenz. Die japanischen Schiffbaukonzerne, die sich vor dem Ölpreisschock weitgehend auf Supertanker konzentriert hatten, nahmen nun vermehrt Aufträge für Massengutfrachter und Containerschiffe an. Sie drängten damit in die Nischen, in die sich Werften wie Blohm + Voss schon in Zeiten des Booms zurückziehen mussten. Gleichzeitig tauchten neue Wettbewerber auf dem Weltmarkt auf. Ernüchtert konstatierte der Spiegel im Jahr 1978: »Neben überdimensionierten Kapazitäten und flauen Aussichten auf einen neuen Orderboom drücken Newcomer auf die Stimmung in den Kontoren der etablierten Werften. Junge Schiffbau-Nationen wie Korea, Taiwan, die Philippinen und Brasilien ziehen unverdrossen neue Schiff-Fabriken in die Höhe und unterbieten selbst die Japaner im internationalen Geschäft. In Korea kostet die Arbeitsstunde eines Werftarbeiters zwei Mark, in Japan elf und in Deutschland 18,50 Mark.«81 Gegenüber diesen Konkurrenten konnte Blohm + Voss nicht bestehen. Ende 1977 lief dort mit dem Massengutfrachter Australien Progress das letzte große Handelsschiff vom Stapel.82 Danach zog sich auch diese Großwerft auf Rüstungsproduktion und Schiffsreparaturen zurück. Der
78 Institut für Wirtschaftsforschung, Die Entwicklung des Welthandels, Tabelle 1. Eigene Berechnung. 79 Ebd., Tabelle 34. 80 Bruno Bock, Gebaut bei HDW. Howaldswerke-Deutsche Werft AG . 150 Jahre, Herford 1988, S. 197. 81 Auf dem trockenen, in: Der Spiegel, 6.2.1978, S. 68–73, hier S. 70. Zum Aufstieg Asiens siehe: Reynolds, One World Divisible, S. 403–451. 82 Hans Jürgen Witthöft, Tradition und Fortschritt. 125 Jahre Blohm + Voss, Hamburg 2002, S. 572.
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Niedergang des Hamburger Schiffbaus, in dem zu diesem Zeitpunkt noch etwa 12.000 Menschen arbeiteten,83 war unübersehbar geworden.84 Die wirtschaftlichen Umbrüche hatten im Hafengebiet tiefe Spuren hinterlassen. Das verdeutlicht der »Entwicklungsplan«85 des Jahres 1976. In diesem Entwicklungsplan analysierte die Wirtschaftsbehörde die Hafenentwicklung seit 1960, prognostizierte zukünftige Veränderungen und legte die Grundlinien der Hafenpolitik fest. Zudem gab eine Karte Auskunft über die »Nutzung des Hafengebiets« (Abb. 44)86. Innerhalb des Hafens, der durch eine dicke rote Linie vom Rest der Stadt abgegrenzt war, unterschied die Wirtschaftsbehörde zwischen drei grundsätzlichen Nutzungen: »Massengutumschlag und Lageranlagen«, »Industrie- und Gewerbeanlagen« sowie »Stückgut-Umschlaganlagen«. Auf der einen Seite unterstrich die Karte, dass Massengutumschlag und Industrieansiedlungen weiterhin eine große Rolle spielten. Ausgedehnte lila Flächen in Steinwerder, Ross und Reiherstieg markierten die Lage der noch vorhandenen Großwerften. Große braune Flächen verdeutlichten, dass der Hamburger Hafen ein wichtiger Standort für Tanklager und Betriebe der Mineralölverarbeitung geblieben war. Graue Flächen am neu geschaffenen Dradenauhafen verwiesen darauf, dass sich hier eine Stahlhütte und ein Aluminiumwerk angesiedelt hatten. Und schließlich kennzeichneten dunkellila-weiße Streifen den Standort des Sandauhafens, wo bis 1977 eine Umschlaganlage für Eisenerz und Kohle gebaut werden sollte. Auf der anderen Seite legte die Karte offen, dass das Wachstum von Industrie und Massengutumschlag ins Stocken geraten war. Das Missverhältnis zwischen den geplanten und den tatsächlichen Industrieansiedlungen und Hafenanlagen war unübersehbar. Die Betriebe der Grundstoffindustrie füllten nur einen Bruchteil des mit gelb-weißen Streifen markierten Hafenerweiterungsgebietes aus. Der Dradenauhafen wirkte gegenüber den mit blau-weißen Streifen markierten Flächen für zukünftige Hafenbecken winzig. Dass keine weiteren Ansiedlungen von Großbetrieben der Industrie in Sicht und keine weiteren Hafenanlagen für Massengut geplant waren, verstärkte diesen Eindruck. Zugleich breiteten sich auch innerhalb des bestehenden Hafengebiets mit gelb markierte »Erweiterungsflächen« aus. Unter anderem zeigte sich dies in Finkenwerder. Dort wo noch wenige Jahre zuvor mehr als tausend Arbeiter und Angestellte auf einer Werft beschäftigt waren, befand sich nun eine Industriebrache.
83 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Taschenbuch 1979, Hamburg 1979, S. 77. 84 Zur Krise des Schiffbaus in Hamburg siehe: Kloberg, Werftensterben in Hamburg; Heiner Heseler / Hans Jürgen Kröger, Aufstieg und Niedergang des deutschen Schiffbaus, in: dies. (Hrsg.), »Stell Dir vor, die Werften gehörn uns …«. Krise des Schiffbaus oder Krise der Politik?, Hamburg 1983, S. 21–49. 85 Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen. 86 Ebd., S. 23.
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Demgegenüber rückte der Containerumschlag allmählich in das Zentrum der Hafenentwicklung.87 Bis 1974 stieg der Containerisierungsgrad des Stückgutumschlags auf 18 Prozent an.88 Auch diese Schwerpunktverlagerung schlug sich in der Karte über die Nutzung des Hafengebiets nieder. Die »Containerspezialanlagen«, die auf dem Waltershof gelegen waren, kennzeichnete die Wirtschaftsbehörde mit roter Farbe und hob sie so deutlich gegenüber dem Rest des Freihafens hervor. Zudem wies sie das Hafenerweiterungsgebiet um Altenwerder, das noch 1960 für Massengutumschlag und Industrieansiedlungen vorgesehen war,89 mit rot-weißen Streifen als Standort eines neuen Containerterminals aus. Aber nicht nur in den Erweiterungsgebieten bestimmte die Containerisierung zunehmend die Entwicklung. Auch im östlich gelegenen Freihafen, der durch eine Vielzahl schmaler Kaizungen geprägt war, zeichneten sich grundlegende Veränderungen ab. Da die neuen Umschlagsverfahren große Landflächen benötigten, begann die Stadt damit, die zwischen den Kaizungen gelegenen Hafenbecken zuzuschütten. Unter anderem galt dies für den Segelschiffhafen, den die Karte mit rosa-weißen Streifen als zukünftige Landfläche auswies. An die Stelle der traditionellen Kaizungen und Schuppen traten nun »MehrzweckTerminals«90, in denen neben Stückgutfrachtern auch Roll-on-Roll-off-Schiffe und Containerschiffe abgefertigt werden konnten. Angesichts des hohen Investitionsbedarfs, der mit der Containerisierung verbunden war, wandelte sich auch die Unternehmensstruktur. Da die Stadt nicht über genügend Haushaltsmittel verfügte, um die veralteten Hafenanlagen vollständig zu ersetzen, führte sie im Jahr 1970 eine »neue Hafenordnung« für den Freihafen ein.91 Fortan beschränkte sie sich auf den Ausbau der Hafenbecken und Kaianlagen und überließ die Errichtung von Schuppen und Kränen den privaten Hafenunternehmen und der weiterhin stadteigenen, aber nun ebenfalls privatwirtschaftlich geführten HHLA . Die hohen Summen, welche die Hafenunternehmen nun in den Freihafen investierten, beschleunigten die Containerisierung des Stückgutumschlags. Zugleich führte dies dazu, dass wenige große Hafenunternehmen die vielen kleinen verdrängten. Noch einschneidender waren die Veränderungen der Arbeitswelt. In einer Studie, die im Jahr 1981 unter dem Titel »Vom Stauhaken zum Container. Eine vergleichende Untersuchung der tariflichen und betrieblichen Regelungen der
87 Zur Containerisierung siehe: Strupp, Im Bann der »gefährlichen Kiste«; Schemmer, Arbeitswelten im Wandel; Herzig / Trautmann (Hrsg.), Arbeiter und technischer Wandel. 88 Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen, S. 25. 89 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, S. 6. 90 Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen, S. 28. 91 Ebd., S. 5 f. Zum Verhältnis von Stadt und Hafenwirtschaft siehe: Strupp, Kooperation und Konkurrenz; Kai Kähler, Zwischen Wirtschaftsförderung und Wirtschaftsbetrieb. Hamburgs öffentlicher Kaibetrieb im Wandel, 1910–1970: Von staatlicher Kaiverwaltung in den freien Wettbewerb, Bremen 2010.
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Hafenarbeit in den norddeutschen Häfen«92 erschien, wandte sich die ÖTV diesen Umbrüchen zu: »Charakteristisches Merkmal der Entwicklung der deutschen Häfen ist, daß sich Umschlag und Beschäftigung seit Mitte der sechziger Jahre scherenartig auseinanderentwickeln. Ein langfristig wachsender Stückgutumschlag erfordert immer weniger Arbeitskräfte.«93 An der Ursache bestehe kein Zweifel: »Die deutliche Entkoppelung der Umschlags- und Beschäftigtenentwicklung ist Resultat der hohen Produktivitätsentwicklung in den Häfen, die mit der Ausbreitung des Gabelstaplers Anfang der sechziger Jahre begann und heute vor allem durch die wachsende Containerisierung und den Ro-Ro-Umschlag bewirkt wird.«94 Diese Entkoppelung von Umschlags- und Beschäftigtenentwicklung verdeutlichen auch die Statistiken für den Hamburger Hafen. Während der Stückgutumschlag von 12 Millionen Tonnen im Jahr 1966 auf 16 Millionen Tonnen im Jahr 1978 anstieg, nahm im gleichen Zeitraum die Zahl der Hafenarbeiter von 17.000 auf 13.000 ab.95 Besonders stark betraf dieser Rückgang die ungelernten Gelegenheitsarbeiter. Die Zahl der Aushilfsarbeiter ging von mehr als 1.000 im Jahr 1960 auf 140 im Jahr 1978 zurück, die der Gesamthafenarbeiter von 4.500 auf 1.200.96 Gerade die Schauerleute, die im Schiffsinnern die Säcke und Kisten geschleppt hatten, verloren durch die Containerisierung ihre Arbeit, unter ihnen viele, die in den Jahren des Booms als »Gastarbeiter« nach Hamburg gekommen waren. Von 1970 bis 1978 brach allein die Zahl der im Hafen beschäftigten Portugiesen um 57 % ein.97 Im Unterschied dazu waren die Beschäftigungsverhältnisse bei der HHLA und den anderen großen Hafenunternehmen deutlich stabiler. Zunehmend bildete sich eine hochqualifizierte, stetig beschäftigte und gut bezahlte »Stammbelegschaft«98 heraus. Die Studie der ÖTV stellte fest: »Hervorstechendes Merkmal der Entwicklung der Entlohnung der Hafenarbeiter ist die wachsende Ausdifferenzierung der Lohngruppen, die sich in den siebziger Jahren ausgebildet hat. Diese Entwicklung ist im Zusammenhang mit der wachsenden Industrialisierung und Technisierung des Hafenumschlags zu sehen. Es entstanden neue Funktionen, die in dem alten Eingruppierungsschema nicht vorgesehen waren. Zugleich bildeten sich auch Spezialistengruppen aus, die über entsprechende Marktmacht verfügten und so in der Lage waren, höhere Eingruppierungen durchzusetzen.«99 Seinen Ausdruck fand diese Marktmacht der Spezialistengruppen auch in dem Tarifvertrag, den die ÖTV für das Jahr 1980 abschloss. Den 92 93 94 95 96 97 98 99
Abendroth, Vom Stauhaken zum Container. Ebd., S. 13. Ebd., S. 15 Ebd., S. 14. Ebd., S. 21. Ebd., S. 81. Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen, S. 27. Abendroth, Vom Stauhaken zum Container, S. 45.
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Aushilfsarbeitern in der untersten Lohngruppe standen nun die Container brückenfahrer in der höchsten Lohngruppe gegenüber.100 Im Jahr 1979 veröffentlichte die Zeitschrift Hansa den Artikel »Hafenprojekte und Regionalpolitik an der deutschen Küste – eine Erfolgsbilanz?«101. Darin rechnete Arthur Rommel mit den Planungen für Tiefwasserhäfen ab, die während des Booms ausgearbeitet worden waren: »Zum Bau eines deutschen Tiefwasserhafens ist es nicht gekommen. Die Notwendigkeit und räumliche Lage eines solchen Hafens wird kaum noch öffentlich diskutiert. Zu schnell ist die vermutete Entwicklung gebremst worden. Insbesondere die sogenannte Ölkrise im Herbst 1973 hat gezeigt, wie leicht wirtschaftliche Prognosen falsifiziert werden können, wenn sie von der euphorischen Stimmung vergangener statt rationaler Beurteilung der zukünftigen Entwicklung getragen werden.«102 Auch die Planungen für den Tiefwasserhafen Neuwerk hatten auf der Annahme eines ungebrochen hohen Wirtschaftswachstums beruht. Zu Beginn des Jahrzehnts sagte die Wirtschaftsbehörde einen Anstieg des westdeutschen Mineralölverbrauchs von 130 Millionen Tonnen im Jahr 1970 auf 300 Millionen Tonnen im Jahr 2000 voraus.103 Bereits für 1980 erwartete sie einen Verbrauch von 180 Millionen Tonnen. Die Prognosen für den Import von Eisenerz wiesen in eine ähnliche Richtung. Bis zur Jahrtausendwende sollte sich dieser von 40 Millionen auf 70 Millionen Tonnen erhöhen.104 Mit dem Bau des Tiefwasserhafens Neuwerk, so die Annahme der Wirtschaftsbehörde, werde die Region Unterelbe von den anschwellenden Handelsströmen profitieren. Doch diese Erwartungen erfüllten sich nicht. Von 1973 bis 1979 sanken die westdeutschen Rohölimporte um fünf Millionen Tonnen.105 In dem Maße, in dem sich die eigenen Prognosen als falsch erwiesen, wuchs auch in der Wirtschaftsbehörde die Skepsis gegenüber der Planbarkeit der Zukunft. Die Selbstgewissheit, mit der sie Anfang der 1970er die wirtschaftliche Tragfähigkeit eines Tiefwasserhafens vorausgesagt hatte, schien gegen Ende des Jahrzehnts nicht länger zeitgemäß zu sein. Eine weitere Ursache für die stockenden Planungen sah Arthur Rommel in der zunehmenden Bedeutung des Umweltschutzes. Viel zu lange seien Wohlstand und Wirtschaftswachstum gleichgesetzt worden. Diese Zeiten seien nun vorbei: »Inzwischen hat man – und nicht nur durch die Bürgerinitiativen – gelernt, daß der Wohlstand der Bevölkerung ein recht komplexes Gebilde ist, 100 Ebd., S. 36 f. 101 Arthur Rommel, Hafenprojekte und Regionalpolitik an der deutschen Küste – eine Erfolgsbilanz?, in: Hansa. Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 116 (1979) H. 14, S. 1105–1108. 102 Ebd., S. 1106. 103 Hans Laucht, Neuwerk / Scharhörn, S. 51 f. 104 Ebd., S. 52. 105 Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften, Jahrbuch Energiestatistik 1982, Luxembourg 1984, S. 140.
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das auch zahlreiche immaterielle und sogar irrationale Komponenten enthält. Ein hohes Einkommen nützt wenig, wenn es teilweise für Immissionsschutz, Beseitigung von Krankheitserscheinungen u. ä. ausgegeben werden muß. Weil diese Zusammenhänge übersehen wurden, sind bei der Industrialisierung des norddeutschen Küstenraumes zahlreiche Fehler begangen worden, deren Ausmaße erst langsam ins Bewußtsein gerückt sind.«106 Um diese Fehler zukünftig zu vermeiden, müssten neben den privaten Kosten, die bei dem Betrieb einer Industrieanlage anfielen, auch die »sozialen Kosten einer Produktion«107, die durch die Einleitung von Abwässern und den Ausstoß von Abgasen in die Umwelt entstünden, in den Blick genommen werden. In besonderem Maße gelte dies für die von Befürwortern eines Tiefwasserhafens vertretene Position, es gebe ein »preisgünstiges Energieangebot auf Atombasis«.108 Wenn die Kosten für die Entsorgung des Atommülls einbezogen würden, dann sei der Betrieb von Atomkraftwerken weit davon entfernt, wirtschaftlich zu sein. Unter den Unternehmensverbänden, welche die Zeitschrift Hansa heraus gaben, waren Rommels Positionen alles andere als mehrheitsfähig. Aber allein die Entscheidung, diese abzudrucken, zeigte, wie sehr die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bewegung geraten waren. Dem konnte sich auch die Hamburger Politik nicht entziehen. Nach und nach schwand die Zustimmung für den Tiefwasserhafen Neuwerk.109 Gegen Ende des Jahres 1979 lehnte es der Hamburger Senat schließlich ab, ein Planfeststellungsverfahren einzuleiten.110 Nur wenige Politiker bedauerten diese Entscheidung, unter ihnen der ehemalige Wirtschaftssenator Helmuth Kern, der die Planungen für den Tiefwasserhafen Neuwerk einst maßgeblich vorangetrieben hatte. In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt machte Kern deutlich: »Leider herrscht bei den Politikern heute der Trend vor, über langfristige Zukunftsprojekte möglichst nicht zu entscheiden. Ich halte dies für bedauerlich. Denn nach guter Hamburger Tradition ist auch die Vorsorge für künftige Generationen nötig. Die Angst vor dem Anfassen großer Projekte wird uns noch einmal teuer zu stehen kommen.«111 Auch im Hamburger Stadtgebiet geriet die Hafenerweiterung ins Stocken, insbesondere in Altenwerder. Um ein weiteres Containerterminal bauen zu können, hatte der Senat Mitte des Jahrzehnts begonnen, das Dorf zu räumen. Doch
106 Rommel, Hafenprojekte und Regionalpolitik, S. 1107. 107 Ebd. 108 Ebd. 109 Zum Scheitern des Tiefwasserhafens Neuwerk-Scharhörn siehe: Strupp, Kooperation und Konkurrenz; Driesen, Welt im Fluss, S. 138f; Engel / Tode, Hafen Stadt Hamburg, S. 120–122. 110 Mammutprojekt Tiefwasserhafen ist offiziell »beerdigt«, in: Hamburger Abendblatt, 27.10.1979, S. 9. 111 Wolfgang H. Schmidt, Die Angst vor dem Tiefwasser-Hafen. Interview mit Ex-Senator Helmuth Kern, in: Hamburger Abendblatt, 4.9.1979, S. 7.
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nicht alle der 2.000 Bewohner willigten ein. Einige, unter ihnen der Obstbauer Claus Schwartau, weigerten sich ihre Häuser zu verlassen. Als der Senat, unter Rückgriff auf das Hafenerweiterungsgesetz von 1961, die Enteignung einleitete, zog er vor Gericht. Anfang 1979 gab das Landgericht seiner Klage statt, da, so die Begründung, das Hafenerweiterungsgesetz nicht dem im Bundesbaugesetz festgelegten Grundsatz der Bürgerbeteiligung entspreche.112 Wegen mangelnder Erfolgsaussichten brach der Senat daraufhin das Enteignungsverfahren ab. Dennoch ließ die Landesregierung keinen Zweifel daran, dass sie den Bau des Containerterminals Altenwerder, dem sie eine zentrale Bedeutung für die wirtschaftliche Zukunft Hamburgs zuschrieb, durchsetzen werde. Mit diesem Ziel machte der Senat sich daran, die rechtlichen Grundlagen für ein neues Enteignungsverfahren zu schaffen. Drei Jahre später legte er das Hafenentwicklungsgesetz der Bürgerschaft zur Entscheidung vor.113 Der Gesetzentwurf beschränkte sich nicht darauf, das Enteignungsverfahren neu zu ordnen, sondern legte zudem in einem Hafengebietsplan die neuen Grenzen des Hafens fest (Abb. 45)114. Rote Linien schieden den Hafen und das Hafenerweiterungsgebiet vom Rest der Stadt. Das Hafenerweiterungsgebiet selbst war rot schraffiert. Im Vergleich zum alten Hafenerweiterungsgesetz waren die Grenzen deutlich enger gezogen. Vor allem die westlich und südlich von Finkenwerder gelegenen Flächen schloss der neue Hafengebietsplan nicht länger ein. Insgesamt hatte sich das Hafenerweiterungsgebiet mehr als halbiert, von 2.500 Hektar im Jahr 1961 auf 1.050 Hektar im Jahr 1982.115 Der Senat begründete dies mit der Rücksicht auf die »Lebensinteressen Finkenwerders«116 und reagierte damit auf den Widerstand der dort ansässigen Bevölkerung. Zugleich schlug sich darin aber auch eine Schwerpunktverlagerung innerhalb des Hafens nieder. Während der Senat die für Massengutumschlag und Industrieansiedlungen vorgesehenen Flächen um Finkenwerder aufgab, hielt er an dem Bau eines neuen Containerterminals und damit an der Räumung des Dorfes Altenwerder fest. Zu Beginn des Jahres 1982 verabschiedete die Hamburger Bürgerschaft einstimmig und ohne jede Diskussion das neue Hafenentwicklungsgesetz.117 Angesichts dessen wuchs der gesellschaftliche Unmut weiter an und fand bei den Wahlen im Juni 1982 einen deutlichen Ausdruck. Erstmals zog die Grün-Alter-
112 Horst Wisser, Bauern-Sieg in Altenwerder, in: Hamburger Abendblatt, 8.5.1979, S. 1. 113 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Hafenentwicklungsgesetz, Drucksache 9/3205, Hamburg 1981. Zum Hafenentwicklungsgesetz von 1982 siehe: Helmut SchulzSchaeffler, Das hamburgische Hafenentwicklungsgesetz. Kommentar, Kehl 1991. 114 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Hafenentwicklungsgesetz, Anlage 1. 115 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, S. 13; Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Hafens sichern, in: Hansa. Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 118 (1981) H. 3, S. 207–208, hier S. 207. 116 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Hafenentwicklungsgesetz, S. 25. 117 »Hände weg von Moorburg«, in: Der Spiegel, 13.12.1982, S. 42–48, hier S. 42.
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native Liste in die Bürgerschaft ein.118 Zu ihren Hochburgen gehörten neben dem Universitätsviertel auch die im Hafenerweiterungsgebiet gelegenen Dörfer.119 Im März 1983 machte die Bild-Zeitung die Pläne des HDW-Vorstandes öffentlich, mehr als 4.000 Arbeiter und Angestellte zu entlassen, 2.400 davon allein in Hamburg.120 Damit spitzte sich die Krise der Werften ein weiteres Mal zu.121 Als Reaktion auf die Berichte kam es im Hamburger Werk Ross zu ersten Warnstreiks und Demonstrationen.122 Eine dieser Demonstrationen dokumentierte der Fotograf Uwe Schaffrath (Abb. 46)123. Im Hintergrund der Fotografie waren ein Verwaltungsgebäude, ein Mast mit dem Schriftzug HDW und eine Schiffbauhalle zu erkennen, im Vordergrund die ersten Reihen des Demonstrationszuges. Die HDW-Beschäftigten, von denen viele in den Jahren des Booms als »Gastarbeiter« nach Hamburg gekommen waren, trugen Blaumänner und Bauhelme.124 Am linken Bildrand flatterte die rote Fahne der IG Metall. Der Ort der Demonstration, die Arbeitskleidung und die rote Fahne verwiesen unmittelbar auf die Traditionen der Arbeiterbewegung. Sie verwiesen auf die Fabrik als maßgeblichen Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, das Bewusstsein über die ökonomische Bedeutung der eigenen Arbeit und auf die Bereitschaft, sich ausgehend davon gemeinsam für die eigenen Interessen einzusetzen. Noch zu Beginn der 1980er, daran konnte kein Zweifel bestehen, waren die Werften Zentren der Gewerkschaften. Dies verdeutlichte auch der Organisationsgrad der HDW-Beschäftigten, der bei 74 Prozent lag.125 Doch gleichzeitig herrschte, im Unterschied zu den Kämpfen um Lohn erhöhungen, die während des Booms geführt worden waren, eine defensive, fast schon fatalistische Ausrichtung vor. Auch dies legte die Fotografie offen. Eines der Transparente fasste die Zielsetzung der Proteste unmissverständlich zusammen: 118 Zur den Anfängen der Grünen siehe: Joachim Szodrynski, Fliegen Schmetterlinge nur einen Sommer? Prolog der Grün-Alternativen in Hamburg, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 203–216. Silke Mende, »Nichts rechts, nicht links, sondern vorn«. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011; Arnold Sywottek, Hamburg seit 1945, S. 455–458. 119 Viola Roggenkamp, »Die Elbe gehört uns allen«, in: Die Zeit, 18.6.1982, S. 13. 120 Schatten über der Messe, in: Hamburger Abendblatt, 23.9.1986, S. 16. 121 Zur Krise des Schiffbaus in Hamburg im Jahr 1983 siehe: Kloberg, Werftensterben in Hamburg; Heseler / K röger, Aufstieg und Niedergang des deutschen Schiffbaus. 122 Holger Mahler, »Sie schmeißen raus, sie machen dicht«. Holger Mahler, Schiffbauer, Betriebsratsvorsitzender bei HDW-Hamburg, in: Heiner Heseler / Hans Jürgen Kröger (Hrsg.), »Stell Dir vor, die Werften gehörn uns …«. Krise des Schiffbaus oder Krise der Politik?, Hamburg 1983, S. 94–105, hier S. 100–102. 123 Heiner Heseler / Hans Jürgen Kröger (Hrsg.), »Stell Dir vor, die Werften gehörn uns …«. Krise des Schiffbaus oder Krise der Politik?, Hamburg 1983, S. 92 f. 124 Mahler, »Sie schmeißen dich raus«, S. 94. 125 Johannes Müllner / Wolfgang Franz, Das kämpfen nimmt dir keiner ab. Schiffbaukrise und Gegenwehr am Beispiel HDW-Hamburg, Düsseldorf 1985, S. 35.
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»HDW-Vorstand klopf keine hohlen Sätze, wir wollen sichere Arbeitsplätze!«126 Zudem bestimmten Symbolen der Trauer und des Todes den Demonstrationszug. Unter anderem trugen die Beschäftigten ein Schild, auf dem ein Geier auf der HDW-Werft abgebildet war, und drei schwarze Fahnen, auf denen die Namen Finkenwerder, Reiherstieg und Ross standen.127 Bereits 1973 hatte HDW das Werk Finkenwerder geschlossen, 1979 folgte das Werk Reiherstieg und nun, so die allgemeine Überzeugung unter Beschäftigten und Gewerkschaftern, werde bald auch das Werk Ross folgen. Von Werkschließung zu Werkschließung war der Unmut gewachsen. Noch 1973 hatte es, da die meisten Beschäftigten von den anderen Hamburger HDWWerken übernommen worden waren, keine größeren Proteste gegeben. 1979 hatten, trotz der ablehnenden Haltung des langjährigen Betriebsrates Werner Peters, der an einer Zusammenarbeit mit dem Unternehmensvorstand festhielt, erste Warnstreiks gegen die Entlassung von 770 Arbeitern und Angestellten stattgefunden.128 1983 standen die Zeichen auf Sturm. Der neue Betriebsratsvorsitzende Holger Mahler, der zwei Jahre zuvor als Spitzenkandidat unzufriedener Gewerkschafter den offiziellen Kandidaten der IG Metall Werner Peters besiegt hatte, ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass es bei weiteren Massenentlassungen keine Zusammenarbeit mit dem HDW-Vorstand geben werde.129 Diese Haltung machten Holger Mahler und die anderen Aktiven Metaller auch auf einem Transparent im März 1983 deutlich. Darauf war zu lesen: »Aktive Metaller: Sozialpartnerschaft sichert keine Arbeitsplätze!«130 Aber auch für die Manager des Schiffbaukonzerns, gegen die sich die Kampfansage der Gewerkschafter richtete, war der Spielraum immer kleiner geworden. Die von ihnen geplanten Massenentlassungen standen am Ende eines langen Niedergangs. Seit den späten 1960ern war die Zahl der HDW-Beschäftigten in Hamburg massiv zurückgegangen, von 12.500 im Jahr 1968 auf 4.600 im Jahr 1982.131 Zudem hatte der Schiffbaukonzern allein in den Geschäftsjahren 1981 und 1982 Verluste in Höhe von fast 250 Millionen DM angehäuft.132 Ohnehin schon geschwächt hatte die weltweite Wirtschaftskrise, die durch den Sturz des Schahs und den darauf folgenden zweiten Ölpreisschock ausgelöst worden war, die HDW hart getroffen.133 Erneut vergaben die Reedereien kaum noch Aufträge. 126 Die auf dieser Fotografie verdeckten Wörter des Transparents lassen sich mit Hilfe anderer Fotografien rekonstruieren. Siehe: Alles überflüssig, in: Der Spiegel, 28.3.1983, S. 114–116, hier S. 114. 127 Die Schriftzüge auf den Fahnen sind auf anderen Fotografien klar zu erkennen. Siehe ebd. 128 Mahler, »Sie schmeißen dich raus«, S. 96 f. 129 Ebd., S. 98 f. 130 Müllner / Franz, Das kämpfen nimmt dir keiner ab, S. 72. 131 Ebd., S. 34. 132 Die Wende zum Ende, in: Die Zeit, 25.3.1983, S. 11–14, hier S. 12. 133 Zum zweiten Ölpreisschock siehe: Frank Bösch / Rüdiger Graf, Reacting to Anticipations. Energy Crises and Energy Policy in the 1970s. An Introduction, in: Historical Social Research 39 (2014) H. 4, S. 7–21; Stefan Göbel, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre. Aus-
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Zugleich bauten die »nachdrängenden Niedriglohn-Länder«134 ihre Stellung auf dem Weltmarkt weiter aus. So stieg der Anteil Südkoreas am Weltschiffbau, der 1965 noch bei 0,0 % gelegen hatte, bis 1985 auf 14,4 Prozent an.135 Vor diesem Hintergrund schwand die Bereitschaft der Eigentümer, das heißt der Bundesregierung und der schleswig-holsteinischen Landesregierung, weitere Verluste zu übernehmen. Immer weiter erhöhte sich der Druck auf den Vorstands vorsitzenden Klaus Ahlers. Den einzig verbliebenen Ausweg erkannte er schließlich darin, sich aus dem Schiffbau zurückzuziehen. Dementsprechend sah das »Unternehmenskonzept 83« vor, den Schiffsneubau in Hamburg vollkommen einzustellen und den in Kiel auf Kriegsschiffe zu beschränken. Dies schloss von vorneherein ein, die Zahl der Beschäftigten drastisch zu verringern. Anfang September 1983 übermittelte der HDW-Vorstand dem Hamburger Betriebsrat schließlich eine Liste mit 1.354 Entlassungsanträgen.136 Daraufhin hielt der Betriebsrat eine Pressekonferenz vor den Werkstoren ab. Umringt von Angestellten und Arbeitern diskutierten der Betriebsratsvorsitzende Holger Mahler und der ebenfalls anwesende Vorstandsvorsitzende Klaus Ahlers über die Alternativlosigkeit des Unternehmenskonzepts und die Nöte der Belegschaft. Als Klaus Ahlers die Entlassung von Schwerbehinderten als betriebswirtschaftlich notwendig rechtfertigte, schrie eine HDW-Angestellte ihn verzweifelt an: »Wissen Sie eigentlich was Sie da mit uns machen? Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet, wenn Sie da vorne in der Betriebsversammlung stehen und deutliche Grimassen ziehen? Leute, die hier jahrelang geknüppelt haben und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt haben, die beachten Sie nicht einmal mit ein bisschen Würde. Wissen Sie eigentlich, was das heißt, was in den Abteilungen passiert? Haben Sie eigentlich in den letzten Tagen geschlafen? Wir nicht! Ich sitze seit drei Wochen da und fress’ nur Tabletten.«137 Damit war die Angestellte nicht allein. Viele weitere Beschäftigte und deren Familien sahen sich in ihrer Existenz bedroht, unter ihnen eine Gruppe von Ehefrauen, die an den Landungsbrücken in einen mehrtägigen Hungerstreik trat.138 Die Befürchtungen teilte auch der IG Metall-Funktionär Frank Teichmüller. In einer Rede, die er vor 3.000 Arbeitern und Angestellten in der Innenstadt hielt, warnte er vor den verheerenden Folgen der Massenentlassungen: »HDW wird damit für uns zum Lehrstück für die Zukunft, die uns in Hamburg und die dieser Küstenregion zugedacht ist: Arbeitslosigkeit, Kürzungen der Sozialleistungen bei gleichzeitiger Steuerwirkungen auf die Wirtschaft von Industriestaaten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten, Japans, Großbritanniens und Frankreichs, Berlin 2013; Reynolds, One World Divisible, S. 369–402. 134 Alles überflüssig, in: Der Spiegel, 28.3.1983, S. 114–116, hier S. 116. 135 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Shipping Statistics Yearbook 2012, Bremen 2012, S. 269. 136 HDW Hamburg kündigt Massenentlassung an, in: Hamburger Abendblatt, 7.9.1983, S. 1. 137 »Das war ne gute Übung«. 9 Tage Betriebsbesetzung. Teil 1, R: Medienpädagogisches Zentrum Hamburg, BRD 1985, TC: 21:30–25:00. 138 Hungern bei Tee und Kerzenschein, in: Hamburger Abendblatt, 8.9.1983, S. 1.
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begünstigung für die Arbeitgeber und Aufhebung von Schutzgesetzen. Das ist die Politik, die hier deutlich wird, exemplarisch deutlich wird, hier an der Küste und im gesamten Bundesgebiet.«139 In dieser Situation fiel die Entscheidung, das Werk Ross zu besetzen. Mit Eisenketten blockierten Arbeiter die Werktore und übernahmen die Kontrolle über die Werft. Zugleich erhoben sie weitreichende Forderungen. Dem Unternehmenskonzept des HDW-Vorstandes setzten sie eine grundsätzliche Neuorientierung der Schiffbaupolitik entgegen. Sie traten für eine 35-StundenWoche bei vollem Lohnausgleich, eine Ausweitung der Mitbestimmung, eine alternative Produktion jenseits des Schiffbaus und eine Verstaatlichung aller Großwerften ein.140 Auf diese Weise, so die Überzeugung der Beschäftigten, könnten die eigenen Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Mit ihrer Besetzung der HDW-Werft stießen sie unter der Bevölkerung auf große Zustimmung. Rund 10.000 Menschen beteiligten sich an einem »Solidaritätsfest« vor den Werktoren.141 Zudem kamen innerhalb weniger Tage Spenden in Höhe von 300.000 DM zusammen.142 Getragen von einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung nahm eine Abordnung des Betriebsrates Gespräche mit Politikern in Hamburg und Bonn auf. Doch während der Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi die Forderung nach Erhalt der Arbeitsplätze grundsätzlich befürwortete, lehnten der Bund und das Land Schleswig-Holstein jedes Zugeständnis ab. Eine Woche nach Beginn der Besetzung stimmten sie im Aufsichtsrat dem unveränderten Unternehmenskonzept zu. Gleichzeitig erhöhte der Vorstand den Druck auf die Besetzer. Er drohte mit einer fristlosen Kündigung aller Beschäftigten, einem Ausschluss von den Leistungen des Sozialplanes, einer Sperrung durch das Arbeitsamt und mit einer Räumung durch die Polizei. Angesichts dieser Drohungen stimmte eine Mehrheit der Betriebsversammlung dafür, die Besetzung zu beenden. Am Nachmittag entfernten Arbeiter die Ketten an den Werktoren. Der Werkschutz übernahm erneut die Kontrolle. Zwei Tage nach Ende der Besetzung erhielten 1.354 Arbeiter und Angestellte ihre Kündigungsschreiben.143 Ein Jahr später führte die IG Metall eine repräsentative Befragung unter den ehemaligen HDW-Beschäftigten durch. Die Ergebnisse waren entmutigend. Von den Entlassenen waren 63 Prozent weiterhin arbeitslos, und selbst von denen, die eine neue Arbeit gefunden hatten, verdienten nun 67 Prozent weniger als zuvor.144 Auch insgesamt stieg die Arbeitslosenquote in Hamburg sprunghaft 139 »Das war ne gute Übung«. 9 Tage Betriebsbesetzung. Teil 2, R: Medienpädagogisches Zentrum Hamburg, BRD 1985, TC: 13:20–15:14. 140 Mahler, »Sie schmeißen dich raus«, S. 105. 141 HDW: Gedrückte Stimmung beim Solidaritätsfest, in: Hamburger Abendblatt, 19.9.1983, S. 4. 142 Heinz Michaels, »Wir haben den Mut nicht verloren«, in: Die Zeit, 23.9.1983, S. 2. 143 Chronik der Besetzung bei HDW, in: Arbeiterpolitik. Informationsbriefe der Gruppe Arbeiterpolitik, 30.10.1983, S. 11–13, hier S. 13. 144 Müllner / Franz, Das kämpfen nimmt dir keiner ab, S. 201 f.
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an, von 7,4 Prozent im Jahr 1982 auf 11,2 Prozent im Jahr 1984.145 Um an die Folgen der Massenentlassungen zu erinnern, legte der HDW-Betriebsratsvorsitzende Holger Mahler an deren ersten Jahrestag einen Kranz nieder. Auf der Schleife war zu lesen: »Hier wurden vor einem Jahr mehr als 1.200 Arbeitsplätze ›beerdigt‹.«146 Rückblickend sprach man nun vom »Werftensterben«147. Ende November 1983, und damit wenige Wochen nach den Massenentlassungen bei HDW, hielt der Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi vor dem Übersee-Club eine vielbeachtete wirtschaftspolitische Rede. Unter dem Titel »Unternehmen Hamburg«148 konstatierte Dohnanyi eine tiefe Krise der Stadt, die er an mehreren sich überlagernden Entwicklungen festmachte. Von 1960 bis 1970 sei die Hamburger Wirtschaft um durchschnittlich knapp 4 Prozent pro Jahr gewachsen, von 1970 bis 1982 nur um durchschnittlich knapp 2 Prozent.149 Die Arbeitslosigkeit habe sich von 0,4 Prozent im Jahr 1970 auf 10,3 Prozent im Oktober 1983 erhöht.150 Demgegenüber sei die Zahl der Industriearbeitsplätze von 316.000 im Jahr 1960 auf 179.000 im Jahr 1983 und damit um 40 Prozent zurückgegangen.151 Und schließlich seien die Ausgaben für Sozialhilfe von 238 Millionen DM im Jahr 1973 auf 850 Millionen DM im Jahr 1983 angestiegen.152 In dieser Krise Hamburgs, so die Überzeugung Dohnanyis, finde ein einschneidender wirtschaftlicher Umbruch seinen Ausdruck. In der Vergangenheit habe der Erfolg der Stadt auf dem Zugang zum Meer beruht, vom Handel im Hafen über den Schiffbau bis hin zur Grundstoffindustrie. In der Gegenwart sei daraus eine Ursache des Niedergangs geworden: »Aber weil Elbe, Nordsee und die Weltmeere so lange so ertragreich waren und so bedeutsam für die Entwicklung Hamburgs waren, haben wir nicht rechtzeitig erkannt, daß die wirtschaftliche Entwicklung im Industriezeitalter natürliche Standortvorteile – also Vorteile, die sich auf Bedingungen der Natur gründen – in ihrer Bedeutung immer weiter zurückdrängt. Diejenigen Industriestädte, die auf Kohle- oder auf Erzlagerstätten gegründet wurden, illustrieren diese Entwicklung überdeutlich. Statt der natürlichen Produktionsfaktoren wächst im wissenschaftlich-technischen Zeitalter die Bedeutung der von Menschen, der von Wissenschaft und
145 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 72. 146 Müllner / Franz, Das kämpfen nimmt dir keiner ab, S. 210. 147 Erst im Jahr 1986 verwendete das Hamburger Abendblatt erstmals die Bezeichnung »Werftensterben«. Siehe: Schatten über der Messe, in: Hamburger Abendblatt, 23.9.1986, S. 16. 148 Dohnanyi, »Unternehmen Hamburg«, S. 1–28. Zur Rede von Klaus von Dohnanyi siehe: Klaus Ronneberger u. a., Die Stadt als Beute, Bonn 1999, S. 29–33. 149 Dohnanyi, »Unternehmen Hamburg«, S. 3. 150 Ebd., S. 4. 151 Ebd. 152 Ebd., S. 5.
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Technik geschaffenen Standortvorteile. Und hier liegt heute Hamburgs wirkliche Schwäche.«153 Demgegenüber hätten Städte, die über keine natürlichen Standortvorteile verfügten, den Umbruch deutlich früher erkannt, vor allem München und Stuttgart, deren gegenwärtiger Erfolg sich darauf gründe, dass sie, im Unterschied zu Hamburg, von einem »industriellen, wissenschaftlichen Unternehmertum«154 geprägt seien. Angesichts dessen habe sich in der Bundesrepublik ein »Süd-Nord-Gefälle«155 verfestigt. Und dies sei erst der Anfang: »Der Einfluß von Wissenschaft und Technik auf die wirtschaftliche Entwicklung wird in den kommenden Jahrzehnten weiter zunehmen. Und diejenigen Standorte werden in Zukunft die größten Chancen haben, die nicht nur im Bereich von Wissenschaft und Technik, sondern die auch durch Wohnqualität, Freizeitwert und Kultur die größte Anziehungskraft auf diejenigen Menschen ausüben, die Schöpfer der neuen Industrien und Dienstleistungen sind. Denn der Kopf bringt seinen Standort mit.«156 Gerade in dem letzten Satz verdichtete sich eine grundlegende Neuausrichtung der Hamburger Wirtschaftspolitik. Bis in die 1970er hinein war diese nahezu gleichbedeutend mit der Förderung des Hafens gewesen. In dessen Erweiterung und vor allem in dem Bau des Tiefwasserhafens Neuwerk hatte der langjährige Wirtschaftssenator Helmuth Kern den Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg gesehen. Mit dem Zugang zu seeschifftiefem Wasser, mit preiswerter Atomenergie und mit hohen Subventionen hatte er versucht, Betriebe der Chemie-, Stahl- und Aluminiumindustrie in die Region Unterelbe zu locken. Wissenschaft und Forschung hatten, wenn überhaupt, nur eine unter geordnete Rolle gespielt. Genau dies sollte sich nun ändern. Neben dem Hafen, der trotz aller Einschränkungen weiterhin wichtig bleiben sollte, richteten sich die politischen Bemühungen nun auf den Dienstleistungsbereich. Dohnanyi sprach von Hamburg als »Medienmetropole der Bundesrepublik« und als »Zentrum der Printmedien«.157 Zudem setzte er seine Hoffnungen auf die wissensintensiven Industrien. Insbesondere der Gründung der Technischen Universität Hamburg-Harburg im Jahr 1978, zu deren Schwerpunkten der Flugzeugbau gehörte, schrieb Dohnanyi eine große wirtschaftspolitische Bedeutung zu.158 Zudem erwähnte er ausdrücklich das Flugzeugbauunternehmen MesserschmittBölkow-Blohm (MBB).159 Deren Werk in Finkenwerder war, nach der Ende der 1960er gefällten Entscheidung der französischen, westdeutschen, britischen und spanischen Regierung, eine gemeinsame Flugzeugindustrie aufzubauen, zu einem der wichtigsten 153 154 155 156 157 158 159
Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Ebd., S. 6 f. Ebd., S. 10. Ebd., S. 14. Ebd., S. 15 f. Ebd., S. 15.
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Standorte des zivilen Flugzeugbaus in Europa aufgestiegen.160 Im Jahr 1983 arbeiteten hier etwa 6.000 Beschäftigte am Bau des Airbus.161 Gleichzeitig hatte sich auch im Flugzeugbau der wirtschaftliche Schwerpunkt nach Süden verlagert. Gegen Ende der 1930er-Jahre hatte ein Tochterunternehmen der Schiffswerft Blohm + Voss, die Hamburger Flugzeugbau GmbH, das Werk in Finkenwerder errichtet.162 Doch diese anfänglich enge Verbindung zwischen Schiffbau und Flugzeugbau hatte sich seit den späten 1960ern mehr und mehr aufgelöst. Nachdem die Hamburger Flugzeugbau GmbH mit anderen westdeutschen Flugzeugunternehmen zur MBB fusioniert war, befand sich der Sitz der Unternehmensleitung in Ottobrunn bei München. Zudem waren bis 1980 mit Siemens, der Allianz-Versicherung und Bosch große süddeutsche Unternehmen eingestiegen.163 Im Unterschied dazu hielt kein Hamburger Unternehmen nennenswerte Anteile. Nur die Stadt war an der MBB beteiligt. Auch innerhalb des europäischen Konsortiums Airbus Industrie war der Einfluss klar verteilt. Das größte Werk und der Verwaltungssitz befanden sich von vornherein in Toulouse.164 Gegen Ende der 1980er zeichneten sich auch innerhalb des Hafens grundlegende Veränderungen ab. Darauf wies der Entwicklungsplan hin, den die Wirtschaftsbehörde im Jahr 1989 veröffentlichte. Schon der Titel »Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft«165 machte den Einschnitt deutlich. Nicht mehr Massengutumschlag und Grundstoffindustrie, sondern Containerumschlag und Dienstleitung standen nun im Zentrum des Hafens. Die entscheidende Ursache erkannte die Wirtschaftsbehörde darin, dass sich die globalen Handelsströme verlagerten: »Seit Mitte der 70er Jahre vollziehen sich tiefgreifende Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung. Der Anteil der Rohstoffe am internationalen Handel geht beständig zurück, die Anteile der Halb- und Fertigprodukte nehmen zu.«166 Neben dem Ausbau von Raffinerien und Chemiebetrieben in Rohölförderländern und dem Aufstieg der Schiffbau-, Automobil- und Elektrotechnik-Industrie in Schwellenländern sei die »Internationalisierung der Produktion«167 eine weitere wichtige Ursache: »Die Industrie 160 Airbus: Plötzlich auf Weltniveau, in: Der Spiegel, 25.6.1979, S. 84–90. Zur Geschichte des zivilen Flugzeugbaus in Westdeutschland siehe: Ulrich Kirchner, Geschichte des bundesdeutschen Verkehrsflugzeugbaus. Der lange Weg zum Airbus, Frankfurt am Main 1998. 161 Bei MBB droht Kurzarbeit, in: Hamburger Abendblatt, 3.11.1983, S. 40. 162 Zur Geschichte der Hamburger Flugzeugbau siehe: Hermann Pohlmann, Chronik eines Flugzeugwerkes 1932–1945, Stuttgart 1979; Susanne Wiborg, Walther Blohm. Schiffe und Flugzeuge aus Hamburg, Hamburg 1993. 163 Fusion im Nordlicht, in: Der Spiegel, 8.12.1980, S. 51–53. 164 Jedes Flugzeug ein Millionengrab, in: Der Spiegel, 9.5.1977, S. 104–113, hier S. 106 f. 165 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft. Entwicklung – Ziele – Chancen, Hamburg 1989. 166 Ebd., S. 12. 167 Ebd., S. 13.
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verläßt durch Schaffung eines internationalen Produktionsverbundes und durch weltweite Beschaffung (das sogenannte global sourcing) nationale Grenzen, um ihre Produktionskosten weiter zu senken. Diese Internationalisierung der Produktion erfordert eine strenge Just-in-time-Belieferung und hängt somit aufs engste von leistungsfähigen Logistik-Konzepten ab.«168 Die weltwirtschaftlichen Umbrüche hinterließen in der Umschlagsentwicklung des Hamburger Hafens tiefe Spuren. Nachdem der Massengutumschlag von 1975 bis 1979 noch einmal von 35 Millionen auf 45 Millionen Tonnen gestiegen war, brach er im darauffolgenden Jahrzehnt um fast ein Drittel ein und lag 1990 bei nur noch 32 Millionen Tonnen.169 Besonders stark war der Rückgang bei den Rohölimporten. Demgegenüber verdoppelte sich der Stückgutumschlag von 14 Millionen Tonnen im Jahr 1975 auf 29 Millionen Tonnen im Jahr 1990.170 Den neuen Schwerpunkt verdeutlichte auch eine Weltkarte, welche die Wirtschaftsbehörde im Anhang an den Hafenentwicklungsplan veröffentlichte und in welche die wichtigsten Handelsbeziehungen des Hamburger Hafens eingezeichnet waren. (Abb. 47)171. Nur noch der Stückgut- und Containerumschlag waren vermerkt. Und mit deutlichem Abstand war »Fernost« das wichtigste Handelsgebiet. Gleichzeitig stieg der Containerisierungsgrad weiter an. 1988 wurden mehr als 66 Prozent des Stückguts im Container transportiert.172 Zwei Jahrzehnte nachdem das erste Vollcontainerschiff den Hamburg Hafen angelaufen hatte, zeigte sich nun das ganze Ausmaß der Umbrüche. Der Containerumschlag war deutlich schneller und kostengünstiger als der konventionelle Stückgutumschlag. Er war Teil einer umfassenden »Transportkette«173, die Schiffe ebenso wie Züge und Lastkraftwagen umfasste. Aber vor allem konnte er durch den umfassenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien genau gesteuert werden. Erst die »Informationskette«174, welche die Transportkette ergänzte, machte es möglich, weltweit eine pünktliche Lieferung zu garantieren. Damit wurde der Containerumschlag zur Grundlage einer neuen Unternehmensorganisation. Immer häufiger sprach man nun von »global sourcing«, »Just-in-time« und »Logistik«.175 168 Ebd. 169 Statistikamt Nord, Schifffahrt und Außenhandel Hamburgs 1970 bis 2011, Hamburg 2012, S. 6; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Taschenbuch 1980, Hamburg 1980, S. 115. 170 Statistikamt Nord, Schifffahrt und Außenhandel Hamburgs 1970 bis 2011, S. 8. 171 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft, S. 74 f. 172 Ebd., S. 15. 173 Ebd., S. 23. 174 Ebd. 175 Ebd., S. 13. Zu Logistik und Just-in-time-Produktion siehe: Levinson, The Box, S. 264–278; Broeze, The Globalisation of the Oceans, S. 79–113; Steffen Bukold u. a., Der Hamburger Hafen und das Regime der Logistik. Zum Strukturwandel im Güterverkehr und seinen Auswirkungen auf die Hamburger Hafenwirtschaft, Hamburg 19922.
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Vor diesem Hintergrund trat der Hafenentwicklungsplan des Jahres 1989 für eine der Zukunft zugewandte Wirtschaftspolitik ein: »Der Rückblick auf die letzten zehn Jahre zeigt, wo der Hafen heute steht. Die Seehäfen sind nicht mehr überwiegend Umschlagsplatz für Güter zwischen Land- und Seeverkehrsträgern und Standort für Industrien, die seeschifftiefes Wasser benötigen. […] Dieser Strukturwandel geht über die bisherigen schrittweisen Entwicklungen der letzten Jahre hinaus. Die Seehäfen befinden sich in einer strategischen Neuorientierung für die nächsten Jahrzehnte: vom Universalhafen traditioneller Prägung zum Dienstleistungszentrum internationaler und intermodaler Transport- und Informationsketten.«176
176 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft, S. 23.
2. Zwischen Einkaufspassage und Personal Computer
In den 1970ern stieg die Zahl der Studenten in Hamburg weiter an. Von 1970 bis 1980 erhöhte sie sich von 29.000 auf 45.000.1 Mit mehreren Neubauten versuchte die Universität, den fortwährenden Zustrom aufzufangen, unter anderem mit dem Geomatikum, das unweit des alten Schröderstifts gelegen war.2 Dieses Hochhaus, das die Baubehörde im Jahr 1975 fertigstellte, war mit seinen 22 Stockwerken das mit Abstand höchste Gebäude der Universität.3 Bis zu 3.000 Studenten und Lehrkräfte fanden hier Platz.4 Zudem unterstrich die Fassade, die sich aus großen Betonplatten zusammensetzte, die enormen Dimensionen des Gebäudes. Die Anfänge der Planungen reichten bis in die Zeit des Booms zurück. Bereits 1963 hatte die Baubehörde in der »Untersuchung für die Vorbereitung eines Entwicklungsplanes« darauf hingewiesen, dass der Park des Schröderstifts für die Universitätserweiterung genutzt werden könne.5 Auch die Großtafelbauweise bei Universitätsbauten, die das Geomatikums entscheidend prägen sollte, beruhte auf dieser Studie.6 Um die Kosten für den Ausbau der Universität zu senken, drängte die Baubehörde auf eine weitgehende Standardisierung. Unter der Überschrift »Vorbedingung für die Beschleunigung der Universitätsbauten«7 machte sie deutlich: »Wie in den gerade zitierten Beispielen des Schulbaus und des ›Universitätsbausprungs‹ von 1958 gezeigt, ist es möglich, das Bauvolumen für einen Zweck rapide zu steigern. Voraussetzung ist jedoch nicht nur die zügige Finanzierung, Vorbedingungen sind gleichermaßen eine vorausschauende Grundstückspolitik, großzügig vorbereitete Planung und, soweit möglich, bautechnische Rationalisierung und Typisierung.«8 Danach fuhr sie fort: »Vor diesen Vereinfachungen wird die Möglichkeit einer bautechnischen Rationali1 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 45. 2 Zu den Universitätsbauten der 1970er siehe: Jürgen Steffen, Universität Hamburg, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 346–351. 3 Hauptnutzfläche nimmt stark zu, in: Uni HH. Berichte und Meinungen aus der Universität Hamburg 6 (1975) H. 37, S. 6–7. 4 Hamburger Rundblick, in: Hamburger Abendblatt, 30.6.1975, S. 4. 5 Baubehörde Hamburg, Universität Hamburg 1962. Eine Untersuchung zur Vorbereitung eines Entwicklungsplanes, Hamburg 1963, S. 53–54. 6 Zur Großtafelbauweise siehe: Hassler / Schmidt (Hrsg.), Häuser aus Beton. 7 Baubehörde Hamburg, Universität Hamburg 1962, S. 62. 8 Ebd.
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sierung noch einer eingehenden Untersuchung bedürfen, denn die Verhältnisse des Schulbaus, die zur Typisierung einluden, sind auf den Universitätsbau nicht direkt übertragbar. In welchem Umfang trotz der differenzierten Materie die Planung standardisiert und vereinfacht werden kann, hängt in erster Linie von der Bereitschaft der Universität ab, individualistisches Denken und individualistische Ansprüche, soweit diese den Bau betreffen, einer gemeinsam zu findenden, großen Linie unterzuordnen.«9 Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Baubehörde die Studie veröffentlichte, galten Typisierung, Standardisierung und Massenproduktion als unabdingbare Voraussetzungen des gesellschaftlichen Fortschritts. Dem hatte sich, so die allgemeine Vorstellung, der Einzelne unterzuordnen. Doch Mitte der 1970er war der Glaube an die Segnungen der Industriegesellschaft nicht länger ungebrochen. Immer häufiger wurde die Frage nach den Grenzen des Wachstums gestellt. Darauf weist auch eine Fotomontage hin, die im Jahr 1974 auf der Titelseite der Zeitschrift Uni HH. Berichte und Meinungen aus der Universität Hamburg erschien (Abb. 48)10. Über der Frage »Wohin wächst die Universität?« erhob sich ein Turm, der aus verschiedenen historischen Bauwerken zusammengesetzt war, darunter einem griechischen Tempel, einer gotischen Kirche, dem Hauptgebäude der Universität Hamburg und, an der Spitze, dem Geomatikum, das trotz seiner Größe und trotz der Schwere der Betonplatten seltsam fragil wirkte. Auch in anderen Teilen der Stadt wurden in den 1970ern Hochhäuser verwirklicht, die während des Booms geplant worden waren, insbesondere in der City Nord. Im Jahr 1977, und damit acht Jahre nach Abschluss des Bauwettbewerbs, stellte die Deutsche Bundespost hier das neue Verwaltungsgebäude der Oberpostdirektion fertig.11 Damit fand der zweite Bauabschnitt der City Nord seinen Abschluss.12 Insgesamt 22.000 Menschen arbeiteten nun in dem modernen Stadtteil.13 Allein in dem Hochhaus der Oberpostdirektion, das sich in vier zwölfstöckige Flügel untergliederte, waren 1.500 Beschäftigte untergebracht.14 Neben den riesigen Ausmaßen bestimmten Standardisierung und Massenproduktion den Neubau. Dies verdeutlicht eine Fotografie, welche die Oberpostdirektion in einer Selbstdarstellungsbroschüre veröffentlichte (Abb. 49)15. Schier endlose Betonbänder, die aus Tausenden von Fertigteilen bestanden, dominierten die Fassade. 9 Ebd. 10 Wohin wächst die Universität?, in: Uni HH. Berichte und Meinungen aus der Universität Hamburg 5 (1974) H. 29, Titelseite. 11 Oberpostdirektion Hamburg, Oberpostdirektion Hamburg im neuen Haus, Hamburg 1977, S. 57. 12 Zum zweiten Bauabschnitt der City Nord siehe: Soggia, City Nord, S. 128–169; Gerhard Dreier, City Nord, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 103–107. 13 Dreier, City Nord, S. 104. 14 Oberpostdirektion Hamburg, Oberpostdirektion Hamburg im neuen Haus, S. 15. 15 Ebd., S. 93.
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Doch in dem langen Zeitraum, der zwischen Planung und Verwirklichung lag, hatten sich tiefgreifende Veränderungen vollzogen. Während die Industrialisierung des Bauens mit dem Hochhaus der Oberpostdirektion einen ihrer Höhepunkte fand, verschärfte sich die öffentliche Kritik. Zunehmend wandten sich jetzt auch Architekten vom modernen Städtebau ab.16 Angesichts dessen konstatierte der Spiegel im Jahr 1977: »Die moderne Architektur ist tot. Beton wurde zum Reizwort: Synonym für alles Schlechte dieser Welt. Die Menschen fliehen die neuen Städte, ihre heftige Hinwendung zum Alten wurde zum vernichtenden Urteil über das Lebenswerk einer Architektengeneration.«17 Bereits zwei Jahre zuvor hatte der Spiegel-Redakteur Peter M. Bode einen Artikel veröffentlicht, in dem er die zeitgenössische Büroarchitektur grundsätzlich kritisierte.18 Vor allem das Verwaltungsgebäude der Hamburg-Mannheimer Versicherung lehnte er entschieden ab. In dem riesigen Neubau, den das Unternehmen im Jahr 1974 in der City Nord errichtet hatte, arbeiteten zusammengenommen 2.500 Menschen.19 In einzelnen Großraumbüros, die sich über ganze Etagen erstreckten, fanden bis zu 550 Angestellte Platz.20 Auf einer Fotografie, mit welcher der Spiegel den Artikel seines Redakteurs illustrierte, war eines dieser Großraumbüros zu sehen (Abb. 50)21. Mehrere mit Anzügen und Kostümen bekleidete Angestellte saßen an frei angeordneten Schreibtischen, die durch Grünpflanzen, Stellwände und Aktenschränke voneinander abgegrenzt waren. Aber das durchgehende Raster der Deckenabhängung legte die tatsächliche Dimension des Raumes schonungslos offen. Angesichts dessen stellte Peter M. Bode fest: »Die kürzlich eröffnete Zentrale der ›Hamburg-Mannheimer‹ ist das Prunkstück der verwegen einseitigen Hamburger ›City Nord‹. Hierzulande haben die Verwaltungsplaner eine ganze Ideologie um die Großraumidee gesponnen«.22 Doch ihnen gelinge es immer weniger, die Schattenseiten zu überdecken: »Deutsche Planer und Denker haben mit philosophischer und soziologischer Gründlichkeit bewiesen, daß der Großraum das Beste sei, für den angestellten Büromenschen und auch für das Unternehmen, wegen der besseren Kommunikation für die einen und wegen der höheren Effektivität für die anderen. Dem Ausmaß nach oben sind keine Grenzen gesetzt: über fünfhundert arbeitende Personen in einem durchgehenden Raum. Bei solchen Dimensionen
16 Zur Abkehr von der Nachkriegsmoderne in Hamburg siehe: Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 154–179; Meyhöfer, Hamburg, S. 174–189. 17 Architekten: Kistenmacher im Büßerhemd, in: Der Spiegel, 19.9.1977, S. 206–223, hier S. 206. 18 Peter M. Bode, Großraum in der dritten Dimension, in: Der Spiegel, 3.3.1975, S. 122–124. 19 Ebd., S. 122. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 123. 22 Ebd., S. 122.
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muß letztlich auch der cleverste Architekt versagen.«23 Diese Einsicht setzte sich nun allmählich durch, auch bei Architekten. Unterdessen war die Unzufriedenheit der Angestellten zu keinem Zeitpunkt verschwunden. Im Gegenteil: Im Laufe der 1970er und 1980er breitete sie sich weiter aus. Darauf deutet eine Untersuchung hin, welche die Technische Universität Hamburg-Harburg im Jahr 1988 unter dem Titel »Bauliche und räumliche Auswirkungen von Veränderungen im Büroflächensektor. Fallstudie City-Nord« veröffentlichte.24 Im Rahmen der Fallstudie führten die Forscher Interviews mit Verantwortlichen von 15 in der City Nord ansässigen Unternehmen, darunter Esso Deutschland, Britisch Petroleum, die Nova-Versicherung und die Landesversicherungsanstalt. Die Großraumbüros, so die vielfach geäußerte Einschätzung, hätten sich im Alltag nicht bewährt. Auch die Unternehmensleitungen kritisierten nun die Vollklimatisierung, die künstliche Beleuchtung, den hohen Geräuschpegel und die fehlende Individualität.25 Damit griffen sie genau die Punkte auf, die bereits in den 1960ern von Angestellten bemängelt worden waren. Hintergrund dieses Sinneswandels waren die massiven wirtschaftlichen Folgen, welche die andauernde Unzufriedenheit der Angestellten hatte. So berichtete die Landesversicherungsanstalt von »gebäudebedingten Einbußen der Produktivität« von etwa 30 Prozent.26 Pro Tag seien die Angestellten nur fünf bis sechs Stunden leistungsfähig.27 Und schließlich: »Die Idee des Großraumes ist falsch!«28 Zugleich ging die Unzufriedenheit der Angestellten weit über die Großraumbüros hinaus.29 Darauf verweisen die Umfragen über die Arbeitseinstellung der Westdeutschen, die das Allensbacher Institut in den 1960ern und 1970ern durchführte. In größeren zeitlichen Abständen stellten die Meinungsforscher die Frage: »Welche Stunden sind Ihnen ganz allgemein am liebsten: die Stunden während der Arbeit oder die Stunden, während Sie nicht arbeiten, oder mögen Sie beide gern?«30 Dabei stieg der Anteil der Berufstätigen, der mit »Wenn ich
23 Ebd., S. 122 f. 24 Peter Schroeders / Dieter Vogt, Bauliche und räumliche Auswirkungen von Veränderungen im Büroflächensektor. Fallstudie City Nord, Hamburg 1988. 25 Ebd., S. 25–35. 26 Ebd., S. 35. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Zum Wertewandel siehe: Isabel Heinemann, Wertewandel. Version 1.0, in: DocupediaZeitgeschichte, URL : http://docupedia.de/zg/Wertewandel?oldid=106492 (16.4.2016); Bernhard Dietz u. a. (Hrsg.), Gab es den Wertewandel? Neue Forschungen zum gesellschaftlich-kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren, München 2014; Jenny Pleinen / Lutz Raphael, Zeithistoriker in den Archiven der Sozialwissenschaften. Erkenntnispotenziale und Relevanzgewinne für die Disziplin, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014) H. 2, S. 173–195. 30 Elisabeth Noelle-Neumann, Werden wir alle Proletarier? Wertewandel in unserer Gesellschaft, Zürich 19792, S. 61.
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nicht arbeite« antwortete, von 1962 bis 1976 deutlich an, bei Arbeitern von 36 auf 54 Prozent, bei Angestellten und Beamten von 27 auf 42 Prozent.31 In einem Beitrag, der im Jahr 1975 unter dem Titel »Werden wir alle Proletarier?« in der Zeit erschien, wandte sich die Leiterin des Allensbacher Instituts, Elisabeth Noelle-Neumann, diesen Umbrüchen zu: »Im materiellen Bereich verbürgerlichen die Arbeiter, ein bürgerlicher Lebensstandard ist in Bezug auf Besitz und Sicherheit praktisch erreicht. Im geistigen Bereich der Einstellungen und Wertvorstellungen vollzieht sich umgekehrt jedoch eine Anpassung an die Unterschichtsmentalität, den bürgerlichen Werten entgegengesetzte Haltungen: Arbeitsunlust, Ausweichungen vor Anstrengung, auch der Anstrengung des Risikos. An die Stelle langfristiger Zielspannung treten der Drang nach unmittelbarer Befriedigung, Egalitätsstreben, Zweifel an der Gerechtigkeit der Belohnungen und Status-Fatalismus«.32 Gerade in den »zerschlissenen, ausgewaschenen blue jeans der im Wohlstand aufgewachsenen Jugend« zeige sich die »Anpassung an die Unterschicht«.33 Zu Beginn des Jahres 1978 spitzten sich die Konflikte in der Druckindustrie zu.34 Nachdem die IG Druck und Papier zu Schwerpunktstreiks in einzelnen Druckereien aufgerufen hatte, reagierten die Unternehmerverbände mit umfassenden Aussperrungen.35 Daraufhin hielt die Gewerkschaft weitere Urabstimmungen ab. Allein in Hamburg stimmten die Belegschaften von Gruner + Jahr, Bauer Druck und Springer für einen Arbeitskampf.36 Auf dessen Höhepunkt streikten in Westdeutschland 4.000 Drucker, 40.000 waren ausgesperrt.37 Auslöser der hart geführten Auseinandersetzungen war, dass seit der Mitte der 1970er mehr und mehr Druckereien den althergebrachten Bleisatz durch neue Technologien ersetzten. Neben den sinkenden Anschaffungskosten stellten die steigenden Lohnkosten den wichtigsten Anreiz dar. Von 1969 bis 1976 hatten sich, nach Angaben der Unternehmerverbände, die Lohnkosten für Facharbeiter in der Druckindustrie nahezu verdoppelt.38 In dem Einsatz von Computern 31 Ebd., S. 61 f. 32 Elisabeth Noelle-Neumann, Werden wir alle Proletarier?, in: Die Zeit, 13.6.1975, S. 4. 33 Ebd. 34 Zum Druckerstreik 1978 siehe: Hugo Reister, Profite gegen Bleisatz. Die Entwicklung der Druckindustrie und die Politik der IG Druck, Berlin 1980; Claudia Weber, Rationalisierungskonflikte in Betrieben der Druckindustrie, Frankfurt am Main 1982. 35 Leonhard Mahlein, Rationalisierung, sichere Arbeitsplätze, menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Zum Arbeitskampf in der Druckindustrie 1978, Stuttgart 1978, S. 56 f. 36 Ebd., S. 57 f. 37 Detlef Hensche, Arbeitskämpfe in der Druckindustrie 1976 und 1978. Erhaltung des Realeinkommens und Sicherung der Arbeitsplätze, in: Karl-Jürgen Bieback u. a. (Hrsg.), Streikfreiheit und Aussperrungsverbot. Zur Diskussion einer gewerkschaftlichen Forderung, Neuwied 1979, S. 23–66, hier S. 56 und 58. 38 Commerzbank, Druckindustrie, eine Branche im Umbruch. Eine zusammenfassende Analyse aus der Sicht der Commerzbank, in: Druckwelt 26 (1976) H. 31, S. 1139–1140, hier S. 1139.
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erkannten die Unternehmen die Möglichkeit, die Kosten wieder zu senken. Ein Artikel, den die Zeitschrift der Verlegerverbände ZV + ZV veröffentlichte, legte diese Sichtweise offen: »In der lohnintensiven grafischen Industrie sind die Personalkosten die bedeutendste Kostenart. Und innerhalb dieser Gruppe sind es vor allem die Kosten der Satzherstellung, die den größten Anteil haben. Die bisherige, mehr oder weniger handwerkliche Produktion und das schwerfällige Blei stehen einer industriellen und somit wirtschaftlichen Zeitungsherstellung entgegen. Hier gilt es also, die Hebel anzusetzen, denn in der Bleisatzherstellung kann eine wesentliche Steigerung für die Zukunft nicht erwartet werden. Es gibt daher keinen anderen Weg als den über die neuen computergesteuerten Licht- und Fotosatzanlagen.«39 Dabei ließ der Artikel keinen Zweifel an den Beweggründen aufkommen: »Natürlich ist es das Hauptziel, Mitarbeiter aus den Satzbereichen einzusparen.«40 Die Umstellung auf den Fotosatz, und dies ist entscheidend, ging weit über die vorangegangenen Rationalisierungen hinaus. Sie war gleichbedeutend mit einer vollständigen Automatisierung des Satzes. Darauf wies auch eine Studie der Commerzbank hin, welche die Zeitschrift des Bundesverbandes Druck, die Druckwelt, im Jahr 1976 veröffentlichte: »Mit Hilfe der Elektronik kann die Durchschnittsleistung eines Handsetzers – theoretisch – um das Tausendfache auf bis zu einer Million Buchstaben in der Stunde gesteigert werden. Es versteht sich, daß hier ›keine Hand‹ eines Druckers, Setzers oder Metteurs mehr ›im Spiel‹ ist. Der Redakteur schreibt den Text – ein einziges Mal – in ein Bildschirmterminal und korrigiert hier bis zur endgültigen Fassung. Über eine EDV-Anlage wird dann jeder Buchstabe mit einer Kathodenstrahlröhre auf lichtempfindliches Photomaterial ›geschossen‹. Die belichteten Filme werden – mit Hilfe von Schere und Leuchttisch – zu kompletten Zeitungsseiten montiert und durch phototechnische Verfahren auf Kunststoffplatten übertragen, die direkt in die Rotationsmaschine wandern.«41 Mit diesem sprunghaften Anstieg der Produktivität, so die Commerzbank, habe auch in der Druckindustrie das »Computer-Zeitalter«42 begonnen. In dem Maße, in dem die Kathodenstrahlröhre die Hand ablöste, verloren die Setzer ihre einst zentrale Stellung im Produktionsprozess. Auch die wenigen verbliebenen Tätigkeiten erforderten kaum noch spezifische Qualifikationen. Das ermöglichte den Unternehmen, die Bildschirmterminals direkt in den Redaktionen aufzustellen und mit Redakteuren und Stenotypistinnen zu besetzen. Dabei ging es nicht nur darum, die Arbeitsabläufe zu vereinfachen. Zugleich zielte das Vorgehen der Unternehmen darauf ab, die Lohnkosten durch den Ein-
39 Paul Schröter, Stufenweise Umstellung einer Tageszeitung auf Filmsatz, in: ZV + ZV. Zeitschrift für Presse + Werbung 72 (1975) H. 4/5, S. 68–71, hier S. 68. 40 Ebd., S. 69. 41 Commerzbank, Druckindustrie, S. 1140. 42 Ebd.
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satz schlecht bezahlter weiblicher Angestellter weiter zu senken. Eine Titelseite, mit der die Zeitschrift der Verlegerverbände ZV + ZV im Jahr 1975 erschien, unterstrich diesen Zusammenhang (Abb. 51)43. Für das Schwerpunktheft »Rationalisierung in Zeitungs- und Zeitschriften-Druckereien« hatte die Redaktion die Fotografie eines neuen EDV-Systems ausgewählt. Nicht zufällig bediente eine junge weibliche Angestellte die Anlage. Gerade den Verlegern ging es darum, die Grenze zwischen Arbeitern und Angestellten, zwischen Fabrik und Büro neu zu ziehen, zu Ungunsten der Arbeiter. Schon früh erkannte die IG Druck und Papier, dass die technologischen Neuerungen die Stellung der Setzer und damit die eigene Machtbasis erschüttern würden. Angesichts dessen bemühte sie sich, Tarifverhandlungen über den Fotosatz aufzunehmen.44 Gegen Ende des Jahres 1976 begannen schließlich die Gespräche mit den Unternehmerverbänden. Um trotz des massiven Produktivitätsanstiegs die Arbeitsplätze der Setzer zu sichern, forderte die Gewerkschaft, den Einsatz der neuen Technologie umfassend zu reglementieren. Die Arbeit an den Bildschirmterminals sollte nur von Facharbeitern und nur zu Facharbeiterlöhnen verrichtet werden dürfen. Zudem sollte sie auf vier Stunden pro Tag begrenzt werden. Bei den Verhandlungen stand die Gewerkschaftsführung von vornherein unter massivem Druck der eigenen Mitglieder. Gerade der Hamburger Ortsverband kritisierte mögliche Zugeständnisse an die Unternehmerverbände scharf. In einer 1977 veröffentlichten Erklärung machte er deutlich: »Wir, die Betroffenen, fordern keine vorübergehenden Lösungen und keinen sozialen Vorrang. Wir fordern eine feste Besetzungsregelung, d. h. ausschließlich Fachkräfte der Druckindustrie an die neuen Geräte. Nur mit dieser Forderung kann der schrittweisen Ausrottung der Facharbeiter in der größtmöglichen Rationalisierung in den Redaktionen entgegengewirkt werden.«45 Dass die Drucker den Fotosatz als eine existentielle Bedrohung empfanden, verdeutlichte auch eine Fotografie, die eine Demonstration in Hamburg dokumentierte (Abb. 52)46. Auf einem Schild, das einer der älteren Männer in seinen Händen trug, war zu lesen: »Die Druckunternehmer wollen: – Arbeitsplätze vernichten – ganz Berufe ausradieren – unser Einkommen drücken« Drei Wochen nach Beginn der Streiks und Aussperrungen, mit denen der Konflikt Anfang 1978 eskaliert war, einigten sich Gewerkschaft und Unternehmerverbände auf einen Tarifvertrag, der die Einführung des Fotosatzes regle-
43 Rationalisierung in Zeitungs- und Zeitschriften-Druckereien, in: ZV + ZV. Zeitschrift für Presse + Werbung 72 (1975) H. 47/48, Titelseite. 44 Hensche, Arbeitskämpfe in der Druckindustrie, S. 45 f. 45 IG Druck und Papier. Ortsverein Hamburg, Arbeitsplätze müssen gesichert werden!, in: Otto Jacobi u. a. (Hrsg.), Gewerkschaftspolitik in der Krise. Kritisches Gewerkschaftsjahrbuch 1977/78, Berlin 1978, S. 37. 46 Mahlein, Rationalisierung, S. 15.
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mentierte.47 Im Mittelpunkt stand ein Kompromiss bei den Besetzungsregeln. In den ersten acht Jahren sollten sämtliche anfallende Arbeiten von Fachkräften der Druckindustrie verrichtet werden. Danach waren keine weiteren Beschränkungen vorgesehen. Diese Besetzungsregeln konnten den Bedeutungsverlust der Facharbeiter nicht aufhalten. Allein in Hamburg sank die Zahl der Beschäftigten in der Druckindustrie von 11.000 im Jahr 1970 auf 7.000 im Jahr 1980.48 Auch in den kommenden Jahrzehnten ging die Beschäftigung in der Industriebranche, die einst die Innenstadt geprägt hatte, weiter zurück. Im Jahr 2010 lag sie bei weniger als 2.000.49 Seit den 1970ern war die industrielle Massenproduktion nicht länger das Maß aller Dinge. Immer häufiger richtete sich die Aufmerksamkeit auf deren zerstörerische Folgen, auch in der Innenstadt. Gerade die Wahrnehmung der Massenmotorisierung änderte sich grundlegend. Nicht mehr die Notwendigkeiten des Autoverkehrs, sondern die Belange der Fußgänger rückten nun in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Dies verdeutlicht das Gutachten »Fußgängerzonen City Hamburg«, das die Baubehörde bei der Technischen Universität München in Auftrag gegeben hatte und das sie im Jahr 1973 veröffentlichte.50 In diesem Gutachten überprüften die Münchener Wissenschaftler das Vorhaben, ein zusammenhängendes Netz von Fußgängerzonen in der Hamburger Innenstadt zu schaffen. Zentraler Ausgangspunkt waren die Auswirkungen der Massenmotorisierung. In der Innenstadt seien Fußgänger davon besonders stark betroffen. Neben der »außerordentlichen Strapazierung durch Lärm und Abgase« führe der Autoverkehr zu einer »Beeinträchtigung des Stadterlebnisses«.51 Dies zerstöre die »unbeschwerte Aufmerksamkeit für das Stadtbild und die Attraktionsf ülle des Kernbereichs«52. Vor diesem Hintergrund sprachen sich die Wissenschaftler dafür aus, ausgedehnte Fußgängerzonen zu schaffen. Zugleich setzte sich auch unter den Geschäftsleuten die Einsicht durch, dass, um Käufer anzulocken, nicht nur die Fahrt in die City, sondern auch der Aufenthalt in der City so angenehm wie möglich gestaltet werden musste. Diese sich abzeichnende Abkehr vom Auto war alles andere als unumstritten. Darauf verwies eine Titelgeschichte des Spiegels aus dem Jahr 1973, die sich den Umbrüchen im Stadtverkehr widmete. Auf der Titelseite war eine Fotomontage 47 Tarifvertrag über Einführung und Anwendung rechnergesteuerter Textsysteme, in: Industriegewerkschaft Druck und Papier (Hrsg.), Schwarzbuch. Über das Unternehmerverhalten im Arbeitskampf der Druckindustrie 1978, Stuttgart 1979, S. 187–191. 48 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1970/71, S. 164; Statistisches Landesamt Hamburg, Produzierendes Gewerbe 1980/81, Hamburg 1983, S. 13. 49 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Jahrbuch 2011/2012, Hamburg 2012, S. 130. 50 Gerhard Krasser u. a., Fußgängerzonen City Hamburg. Auswirkungen auf die Straßenverkehrserschließung. Untersuchungsbericht Teil I, Hamburg 1973. 51 Ebd., S. 7 f. 52 Ebd., S. 8.
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zu sehen, die eine westdeutsche Einkaufsstraße zeigte (Abb. 53)53. Obwohl zwischen den Warenhäusern eine vierspurige Straße verlief, war für die Autos kein Durchkommen. Ein riesiges Absperrgitter versperrte ihnen den Weg. Darunter war zu lesen: »Stadtverkehr. Wird das Auto ausgesperrt?« Zum einen ließ auch der Spiegel keinen Zweifel an den drastischen Auswirkungen des Autoverkehrs: »Die Verfremdung der Stadtbilder durch Asphaltschlangen und Blechkarawanen, die Vergeudung an Zeit und Geld, Lebensbedrohung und Luftverseuchung stellen die Funktion des Automobils als urbanes Transportmittel zunehmend in Frage, haben die Metropolen, wie der Hamburger Sozialmediziner Dr. Dieter Oeter sagt, seit langem in ›Höllen von Lärm, Gestank und Gefahr‹ verwandelt.«54 Zum anderen warnte das Nachrichtenmagazin jedoch vor den wirtschaftlichen Folgen, die mit einer Aussperrung des Autos verbunden wären.55 Wenn die Nachfrage nach Neuwagen im Inland einbreche, seien zahllose Arbeitsplätze in der Automobilbranche bedroht. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Krise auf die Mineralölwirtschaft und die eng mit ihr verbundene Chemie industrie übergreife. Ungeachtet dieser Einwände entstanden im Laufe der 1970er in der Hamburger Innenstadt zahlreiche Fußgängerzonen.56 Darüber hinaus richtete sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf die Gestaltung öffentlicher Plätze.57 Im Jahr 1977 beschloss der Senat den Rathausmarkt neu zu ordnen.58 Bis dahin war der zentrale Platz der Stadt vor allem als Verkehrsknotenpunkt und als Parkplatz genutzt worden. Nun sollte er dazu beitragen, die Innenstadt zu beleben. Fünf Jahre später schloss der Senat die Arbeiten ab. Weite Teile des Rathausmarktes waren nun Fußgängern vorbehalten. Zudem unterstrichen Bäume, Denkmäler und eine frei stehende Arkadenreihe den Charakter des Platzes. Die »Renaissance«59 der Plätze, die in dem erneuerten Rathausmarkt ihren deutlichsten Ausdruck fand, war gleichbedeutend mit einer Abkehr vom modernen Städtebau, nicht nur im Hinblick auf den Autoverkehr. Auch Standardisierung und Typisierung, und damit die industrielle Massenfertigung insgesamt, sollten keine Rolle mehr spielen. Stattdessen galt nun die historisch gewachsene Einzigartigkeit als zeitgemäß. In seinem Artikel »Plätze in Hamburg« unterstrich der Oberbaudirektor Klaus Müller-Ibold: »Ein weiteres Ziel sollte es in unserer heutigen Situation also sein, dem sich hierin ausdrückenden Vielfaltserfordernis 53 Stadtverkehr: Wird das Auto ausgesperrt?, in: Der Spiegel, 7.5.1973, Titelseite. 54 »Überall Geschubse und gereiztes Klima«, in: Der Spiegel, 7.5.1973, S. 54–81, hier S. 55–57. 55 Ebd., S. 76–79. 56 Zu Fußgängerzonen in der Hamburger Innenstadt siehe: Gert Kähler, Auto, Straße und Verkehr, S. 82–87. 57 Klaus Müller-Ibold, Plätze in Hamburg, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 78–82. 58 Baubehörde Hamburg, Neugestaltung des Rathausmarktes. Der städtebauliche Ideenwettbewerb ist entschieden, Hamburg 1977. 59 Müller-Ibold, Plätze in Hamburg, S. 78.
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in der Stadtgestalt Raum zu geben. Allzusehr erzeugen allgemein und im Vornhinein schon Normen und Richtlinien einen automatischen Mechanismus der Gleichförmigkeit und damit auch der Eintönigkeit. Es sollten deshalb keine gestalterischen Einzelvorschriften sozusagen ›zentral von oben her‹ bei der Gestaltung vorgegeben werden.«60 Gegen Ende der 1970er bestimmte der Rückgriff auf die Vergangenheit die Entwicklung der Innenstadt. Neben der Renaissance der Plätze hatte die »Renaissance der Passagen«61 daran einen entscheidenden Anteil. Innerhalb kurzer Zeit entstanden zahlreiche neue Einkaufspassagen.62 Ausdrücklich stellten die Architekten und Architekturkritiker dem schnellen Autoverkehr das langsame Flanieren durch die glasgedeckten Ladenstraßen gegenüber, unter anderem in einem Schwerpunktheft der Architekturzeitschrift Bauwelt, das im Jahr 1981 erschien.63 Einem ausführlichen Bericht über die neuen Hamburger Passagen hatten die Autoren ein Zitat von Walter Benjamin vorangestellt: »Um 1840 gehörte es vorübergehend zum guten Ton, Schildkröten in den Passagen spazieren zu führen. Der Flaneur ließ sich gern sein Tempo von ihnen vorschreiben. Wäre es nach ihm gegangen, so hätte der Fortschritt diesen ›pas‹ lernen müssen. Aber nicht er behielt das letzte Wort, sondern Taylor, der das ›Nieder mit der Flanerie‹ zur Parole machte«.64 Kehrseite der Renaissance der Passagen war der Niedergang der Warenhäuser.65 Kaum noch gelang es ihnen, die auseinanderstrebenden Kundenwünsche unter einem Dach zu befriedigen. Vor allem zwei gegenläufige Entwicklungen machten ihnen zu schaffen. Zum einen wuchs infolge der Konsumzurückhaltung, die nach der Wirtschaftskrise von 1973 einsetzte, die Beliebtheit von Verbrauchermärkten und Discountern. Gerade deren Lage am Stadtrand ermöglichte deutlich kostengünstigere Angebote. Zum anderen stieg die Nachfrage nach hochwertigen Konsumgütern, von Mode bis hin zu Stereoanlagen. Damit gewann der Fachhandel der Innenstädte verlorene Marktanteile zurück. Angesichts dieser sich verschärfenden Konkurrenz sprach der Vorstandsvorsitzende des Karstadt-Konzerns Walter Deuss im Jahr 1978 von einem »Zwei-FrontenKrieg zwischen Verbrauchermärkten und Fachgeschäften«66. Besonders die
60 Ebd., S. 80. 61 Flucht nach innen, in: Der Spiegel, 16.2.1981, S. 201–208, hier S. 208. 62 Zu Passagen in der Hamburger Innenstadt siehe: Kähler, Von der Speicherstadt zur Elbphilharmonie, S. 173–175; Meyhöfer, Hamburg, S. 182f; Peter Illies / Günter Timm, Passagen in Hamburg, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 91–103. 63 Peter Illies, Die Hamburger Passagen. Anmerkungen aus städtebaulicher Sicht, in: Bauwelt 72 (1981) H. 40/41, S. 1770–1772. 64 Passagen in Hamburg, in: Bauwelt 72 (1981) H. 40/41, S. 1768–1769, hier S. 1768. 65 Zur Krise der Warenhäuser siehe: Banken, »Was es im Kapitalismus gibt«. 66 Kaufhaus-Konzerne im Abwehrkampf, in: Der Spiegel, 20.2.1978, S. 76–83, hier S. 80.
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Kleinpreis-Warenhäuser traf das veränderte Konsumverhalten hart. Zunehmend brachen die Umsätze ein. Um weitere Verluste zu vermeiden, fällte die Unternehmensleitung von Karstadt schließlich die Entscheidung, sämtliche Kepa-Filialen zu schließen, darunter die in der Mönckebergstraße.67 Stattdessen orientierte sich der Warenhaus-Konzern nun seinerseits am Fachhandel. Bereits 1979 eröffnete Karstadt an gleicher Stelle ein Fachgeschäft für Sportartikel.68 Aber auch die Architekten begannen, sich vom Warenhaus abzuwenden, unter ihnen Volkwin Marg. In seinem Artikel »Handel im Wandel«, den er im Jahr 1981 in der Architekturzeitschrift Bauwelt veröffentlichte, formulierte er eine scharfe Kritik an den Warenhausbauten der Nachkriegszeit: »Die ersten Jahrzehnte schienen dem Götzen des schieren quantitativen Konsums Recht zu geben: Gefragt war Masse, Anschaffen, Umsatzsteigerung. Dem deutschen Konsum-Nachholbedürfnis nach dem Kriege wurde mit merkantilem Zynismus begegnet: Kaufhäuser degenerierten zu übereinander gestapelten Lager-Paletten, durch deren künstlich-schlechte Luft und hühnerfarmartige Beleuchtung die konsumwütigen Massen mittels Elevatoren von Geschoß zu Geschoß gebaggert werden. Ausblick und Sonnenlicht konnten nur stören, jeder an die Psyche des Käufers verschenkte Kubikmeter Raum galt als vergeudet. Der inneren Struktur entsprach die äußere Erscheinungsform: hastige Verpackungsarchitektur großformatiger Container.«69 Schließlich stellte Volkwin Marg fest: »Der TerroristenSlogan ›Macht kaputt was Euch kaputt macht‹ richtete sich nicht ganz zufällig besonders gegen Kaufhäuser, er mißbrauchte ein unterschwelliges Mißbehagen über die merkantile Verödung städtischen Lebens.«70 Trotzdem war Marg alles andere als pessimistisch. So vehement seine Kritik am Massenkonsum war, so sehr konnte er sich für neue Einkaufspassagen begeistern. In ihnen erkannte er nicht nur eine wiederentdeckte Form der Architektur, sondern auch eine wiederentdeckte Form des Konsums. »Das Kaufen soll wieder Spaß machen, soll urbanes Vergnügen sein, und man wünscht sich wieder Raumerlebnisse. Architektur wird wieder neben dem Kommerz erlaubt. Bleibt zu hoffen, daß dieser Wandel von Dauer sei.«71 Auch mit seinen eigenen Bauten wollte Marg dazu beitragen. Zusammen mit Meinhard von Gerkan entwarf er das Hanse-Viertel, und damit eine von sieben Passagen, die von 1978 bis 1982 in der Hamburger Innenstadt errichtet wurden.72 Den Warenhäusern in der Mönckebergstraße stand nun das Passagenviertel am Gänsemarkt gegenüber. Maßgeblichen Anteil daran hatten auch Versicherungen und Fonds, die nach neuen Anlagenmöglichkeiten suchten. Zu den Bauherren der Hamburger Einkaufspassagen, die insgesamt 400 Millionen DM investierten, gehörten unter 67 Gunhild Freese, Die Krise kam im 50. Jahr, in: Die Zeit, 17.6.1977, S. 21. 68 Für Zelttypen und »Spielteufel«, in: Hamburger Abendblatt, 28.3.1979, S. 9. 69 Volkwin Marg, Handel im Wandel, in: Bauwelt 72 (1981) H. 40/41, S. 1766–1767. 70 Ebd., S. 1767. 71 Ebd. 72 Illies / Timm, Passagen in Hamburg, S. 91–103.
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anderem die Iduna-Versicherung, die Hamburg-Mannheimer Versicherung, die Allianz-Lebensversicherung und der British Petroleum Pension Trust.73 Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich das Passagenviertel zum Publikumsmagneten. In ihm fand ein neues Konsumverhalten seinen Ausdruck. Dem Flanieren durch glasgedeckte Ladenstraßen, der Atmosphäre von Cafés und Restaurants und der Vielzahl kleiner Geschäfte kam nun eine entscheidende Bedeutung zu. Vor allem in der Galleria Passage, die von den Schweizer Architekten Robert und Trix Haussmann entworfen worden war, verdichtete sich der Bruch mit den Warenhäusern.74 Der Neubau, der im Jahr 1982 fertiggestellt wurde, setzte sich aus einer zweigeschossigen Passage und drei fünfgeschossigen Bürotürmen zusammen. Vordergründig fügte er sich mit einer Fassade aus rotem und gelbem Backstein in die umliegenden Bauten ein. Doch im Innern der Passage gaben die Architekten jede Zurückhaltung auf. Dies verdeutlicht eine Fotografie, welche die Architekturzeitschrift Werk, Bauen + Wohnen veröffentlichte (Abb. 54)75. Fußboden und Pfeiler bestanden aus schwarz-weißem Marmor, im oberen Stockwerk durchbrachen bogen- und kreisförmige Fensteröffnungen die Wand und darüber erhob sich ein gläsernes Tonnendach. Zudem hatten Robert und Trix Haussmann das am Ausgang gelegene Fenster mit dem Bild eines Falten werfenden Vorhangs bemalen lassen. Bis in die Einzelheiten hinein war die Gestaltung der Galleria Passage durch historische Zitate geprägt. Die gelb-roten Klinker der Fassade nahmen Bezug auf die nahegelegene Alte Post, der schwarz-weiße Marmor auf die Pariser Passagen des 19. Jahrhunderts und die bogenförmigen und runden Fensteröffnungen auf das Palladio-Motiv.76 Aber diese Zitate waren keine unschuldige Wiederholung der Vergangenheit. Sie waren ein bewusster Affront gegenüber der »Erstarrung«77 der modernen Architektur. Raster, Typisierung und Betonplatten setzten sie ein ironisches Spiel mit Oberflächen, Ornamenten und Illusionen entgegen. Die standardisierte Massenproduktion und mit ihr der Massenkonsum hatten als Vorbild ausgedient.78 Diese neue Haltung blieb nicht auf die Architektur beschränkt. Ironie und Zitat prägten seit den frühen 1980ern auch die Populärkultur.79 Der Redakteur 73 Ebd. 74 Galleria, in: Bauwelt 72 (1981) H. 40/41, S. 1847–1849; Ulrike Jehle-Schulte, Inszenierung einer Passage. »Galleria« in Hamburg, in: Werk, Bauen + Wohnen 37 (1983) H. 12, S. 9–13. 75 Jehle-Schulte, Inszenierung einer Passage, S. 9. 76 Galleria, in: Bauwelt, S. 1848. 77 Trix und Robert Haussmann, Zu unseren Arbeiten, in: Werk, Bauen + Wohnen 35 (1981) H. 10, S. 29–32, hier S. 32. 78 Zur Architektur der Postmoderne siehe: Meyhöfer, Hamburg, S. 174–189; Heinrich Klotz (Hrsg.), Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960–1980, Braunschweig 1984; Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. Entstehung einer alternativen Tradition, Stuttgart 1978. 79 Zur Populärkultur der 1980er siehe: Nadja Geer, ›If you have to ask, you can’t afford it‹. Pop als distinktiver Selbstentwurf der 1980er Jahre, in: Bodo Mrozek u. a. (Hrsg.), Popgeschichte. Bd. 2: Zeithistorische Fallstudien 1958–1988, Bielefeld 2014, S. 337–357; Diana
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der Hamburg Musikzeitschrift Sounds, Diedrich Diederichsen, schrieb rückblickend: »Niemand glaubte mehr an den natürlichen Ausdruck. Alle Elemente waren referentiell, bezogen auf die Historie der Pop-Kultur, nichts war mehr unschuldig, alles überspitzt bewußt, intellektuell, campy und trotzdem schön und berückend.«80 Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch der Spiegel. In einer Titelgeschichte, die im Jahr 1982 erschien, konstatierte er eine »Zersplitterung Jugendlicher in immer neuere Gruppenstile und Stammes-Subkulturen«81 und eine zunehmende »Inszenierung des eigenen Ichs«82. Diese Einstellung zeige sich bei der Musikzeitschrift Sounds, neuen Szene-Treffpunkten wie dem Café Schöne Aussichten und der wachsenden Zahl von Second-Hand-Modegeschäften. Eines dieser Modegeschäfte befand sich in der Galleria Passage. Dort verkaufte das Loft Mode aus den 1950er-Jahren.83 Gleichzeitig siedelten sich in Hamburgs Modellprojekt der Moderne, der City Nord, weitere Konzernverwaltungen an. Im Rahmen des dritten und letzten Bauabschnitts, der sich von 1975 bis 1991 erstreckte, entschieden sich unter anderem IBM, Nixdorf und Hewlett-Packard für den nördlich des Stadtparks gelegenen Standort.84 Der hohe Anteil an IT-Unternehmen verwies auf die schnell wachsende Bedeutung der Branche. Zunehmend bestimmten Computer die Arbeitswelt. In besonderem Maße galt dies für die City Nord selbst. Die dort ansässigen Konzernverwaltungen, die schon in den 1960ern Vorreiter der Büroautomatisierung waren, hatten auch zwei Jahrzehnte später ihren Vorsprung noch nicht eingebüßt.85 Darauf verwies die Studie »Bauliche und räumliche Auswirkungen von Veränderungen im Büroflächensektor. Fallstudie City-Nord«86, die Wissenschaftler der Technischen Universität HamburgHarburg im Jahr 1988 veröffentlichten. Zum Zeitpunkt der Befragung waren bei der Esso AG 800 der insgesamt 1.200 Angestellten an Bildschirmarbeitsplätzen tätig.87 Ein Teil davon verfügte über einen Zugang zum Zentralrechner. Wesentliche Arbeitsbereiche wie etwa die Lohnbuchhaltung waren vollständig auf EDV umgestellt. Auch bei der Hamburg-Mannheimer Versicherung waren die technologischen Neuerungen weit vorangeschritten. Von den insgesamt
80 81 82 83 84 85 86 87
Weis (Hrsg.), Cool aussehen. Mode & Jugendkulturen, Berlin 2012; Willi Bucher / K laus Pohl (Hrsg.), Schock und Schöpfung. Jugendästhetik im 20. Jahrhundert, Darmstadt 1986, S. 11–182. Diedrich Diederichsen, Sexbeat. 1972 bis heute, Köln 1985, S. 41 f. »In meinem Film bin ich der Star«, in: Der Spiegel, 26.4.1982, S. 234–249, hier S. 238. Ebd., S. 240 f. Klamotten-Geheimtipp, in: Hamburger Abendblatt, 4.9.1984, S. 5. Schroeders / Vogt, Bauliche und räumliche Auswirkungen, S. 13–18. Zum dritten Bauabschnitt der City Nord siehe: Soggia, City Nord, S. 170–193. Zur Büroautomatisierung in der City Nord siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 58–60. Schroeders / Vogt, Bauliche und räumliche Auswirkungen. Ebd., S. 10.
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2.800 Angestellten arbeiteten 80 Prozent an Computern.88 Übertroffen wurde das Versicherungsunternehmen nur von den US -amerikanischen IT-Unternehmen IBM und Hewlett-Packard. Hewlett-Packard hatte jeden Arbeitsplatz mit einem Bildschirm ausgestattet.89 IBM verfügte über ein Local Area Network (LAN), das den Standort in der City Nord mit dem an der Ost-West-Straße verband und an das insgesamt 850 Terminals angeschlossen waren.90 In dem Maße, in dem sich die Computer in den Konzernverwaltungen durchsetzten, veränderte sich der dortige Arbeitsalltag. Mehr und mehr Routine tätigkeiten wurden automatisiert. Ganze Arbeitsbereiche schrumpften in sich zusammen, darunter der einst zentrale Schreibdienst. So kündigte die HamburgMannheimer Versicherung an, die Zahl der Schreibkräfte weiter zu verringern, von 70 auf zukünftig 20.91 Aber auch Sekretärinnen, deren Aufgaben nun direkt von ihren Vorgesetzten übernommen werden konnten, verloren an Bedeutung. Zugleich blieb der Einsatz von Computern in der Regel auf Sachbearbeiter beschränkt. Der »textverarbeitende Manager«92, das heißt der Manager, der selbst am Computer arbeitete, war in den 1980er zumeist noch eine Zukunftsvision. Eine Ausnahme stellten die US -amerikanischen IT-Unternehmen dar. Auch hier ließen sie die anderen Verwaltungen hinter sich. Insbesondere HewlettPackard setzte auf eine neue Arbeitsorganisation, die das gesamte Unternehmen umfasste. Davon berichteten die Wissenschaftler der Technischen Universität Hamburg-Harburg: »Die Hewlett-Packard Vertriebs GmbH weist eine Betriebsorganisation auf, die von Anbeginn auf die Integration von Arbeitsvorgängen ausgelegt war. Die Abteilungen variieren von der Größenstruktur und Zusammensetzung ständig. Ein Prinzip ist die Auflösung klassischer Hierarchien, die nach Auffassung der Unternehmensphilosophie schnelle und transparente Kommunikationsabläufe blockieren. Neue Bürotechniken verbessern die Durchlässigkeit abteilungsübergreifender Kommunikation. Die HP-Büroorganisation ist Anwendungs- und Anschauungsfeld für eigene Produkte zugleich. Jeder kann mit jedem kommunizieren. Das Bemühen um ein familiäres Betriebsklima ist zentraler Bestandteil der Unternehmensphilosophie. Von der ökonomischen Seite betrachtet sollen die Vorteile des ›Kleinbetriebes‹ mit den Merkmalen Überschaubarkeit, Vertrautheit etc. für den Vorteil des Gesamtunternehmens genutzt werden. Dazu gehört auch die Nutzung spontaner Einfälle, die Förderung des informellen Ideenaustausches. Produktivitätssteigerungen werden erreicht durch Rotationen von Mitarbeitern zwischen Teams, die Bildung von Ad-hoc-Gruppen, das Pooling bestimmter Fähigkeiten etc. Um diese Merkmale der Betriebsorganisation zu ermöglichen, ist eine permanente Neuzuteilung
88 89 90 91 92
Ebd., S. 22 f. Ebd., S. 13–15. Ebd., S. 15 f. Ebd., S. 22 f. Ebd., S. 11 f.
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der stofflichen Büroressourcen (Fläche und Gerät) erforderlich. ›Alle 3 Monate kommen bei uns die Möbelpacker und räumen um.‹«93 Zugleich setzte sich der Personal Computer, und damit die zentrale technologische Neuerung der frühen 1980er, in den Konzernverwaltungen nur allmählich durch.94 Auch gegen Ende des Jahrzehnts bestimmten Bildschirmterminals, die von einem zentralen Großrechner abhängig waren, den Alltag der Angestellten, selbst bei Hewlett-Packard. Von deren Beschäftigten in der City Nord arbeiteten alle an einem Bildschirm, aber nur jeder Dritte an einem Personal Computer.95 Im Unterschied zum Großcomputer vollzogen sich beim Personal Computer die entscheidenden Umbrüche nicht länger in den Konzernverwaltungen. Die stetig sinkenden Kosten machten ihn vor allem für kleinere Unternehmen attraktiv. Zunehmend setzten nun auch Anwaltskanzleien und Werbeagenturen die neue Technologie ein. Seinen sichtbarsten Ausdruck fand dies in dem Boom der Ratgeberliteratur, der gegen Ende der 1980er einsetzte. Gerade weil die neuen Nutzer nicht auf jahrzehntelange Erfahrungen zurückgreifen konnten, war der Bedarf groß. Mehrere Verlage legten Buchreihen auf, in denen sie die neue Welt des Computers erklärten, unter ihnen der Fischer Verlag. In dessen Buchreihe Fischer Computer erschien im Jahr 1993 der Ratgeber »Der PC in Büro und Betrieb«96, der sich ausdrücklich an mittlere und kleinere Unternehmen richtete. In seiner Einleitung wandte sich der Verfasser Hubertus A. Röttgen noch einmal den Veränderungen zu, die durch den Personal Computer ausgelöst worden waren: »Seit Einführung des Personal Computers im Jahre 1981 durch IBM hat sich das Aussehen des modernen Büros ständig verändert. Während diese Entwicklung zunächst auf große und mittelgroße Betriebe beschränkt gewesen ist, hält der PC – bedingt durch den enormen Preisverfall – inzwischen auch in den Klein- und Mittelbetrieben verstärkt Einzug. Es wird geschätzt, daß im Jahr 2000 mehr als 60 Prozent aller Beschäftigten – unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit – nicht mehr ohne Computerkenntnisse auskommen werden. Nahezu jedes Büro wird zu diesem Zeitpunkt mit EDV ausgerüstet sein. Bei den Unternehmen mit bereits vorhandener EDV sind zwei Tendenzen erkennbar: Zum einen besteht vielfach die Absicht, die bereits installierte mittlere Daten
93 Ebd., S. 13–15. 94 Zum Übergang vom Großcomputer zum Personal Computer siehe: Andreas Boes u. a., Von der ›großen Industrie‹ zum ›Informationsraum‹. Informatisierung und der Umbruch in den Unternehmen in historischer Perspektive, in: Anselm Doering-Manteuffel u. a. (Hrsg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 57–78; Campbell-Kelly, Computer, S. 229–252; Cortada, The Digital Flood; James Sumner, »Today, Computers Should Interest Everybody«. The Meanings of Microcomputers, in: Zeithistorische Forschungen 9 (2012) H. 2, S. 307–315. 95 Schroeders / Vogt, Bauliche und räumliche Auswirkungen, S. 13–15. 96 Hubertus A. Röttgen, Der PC in Büro und Betrieb. Hard- und Software, lokale Netze, Sicherheit und Ergonomie, Frankfurt am Main 1992.
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verarbeitung durch die im Unterhalt kostengünstigere PC-EDV ganz oder teilweise zu ersetzen. Dieser Vorgang wird mit Downsizing bezeichnet. Zum anderen werden bereits vorhandene PC-Arbeitsplätze zunehmend zu einem lokalen Netzwerk (Local Area Network / L AN) zusammengeschlossen: Dies nennt man Vernetzung.«97 Obwohl durch den Einsatz des Computers viele Tätigkeiten automatisiert wurden, stieg die Zahl der Angestellten in Hamburg weiter an, von 374.000 im Jahr 1970 auf 422.000 im Jahr 1990.98 Mit der Zahl der Angestellten erhöhte sich auch die Nachfrage nach Büroflächen. Gegen Mitte der 1980er stand dieser Nachfrage kein entsprechendes Angebot mehr gegenüber. Schon lange gab es innerhalb der Wallanlagen kaum noch Platz für Neubauten. Aber auch die City Nord kam, da die Bauarbeiten weitgehend abgeschlossen waren, nicht länger in Frage. Zudem wuchs unter den dort ansässigen Unternehmen die Unzufriedenheit. Immer häufiger beklagten sie sich über die »Monostruktur von Nutzungen«99, über das mangelhafte Angebot an Geschäften und Restaurants und über die schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Um diesen Mangel zu beheben, suchte die Baubehörde nach neuen Flächen für City-Erweiterungen. Zunehmend richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Hafengebiet, in dem sich im Zuge der Containerisierung des Stückgutumschlags, des Werftensterben und des Abstiegs des Fischereihafens große Brachflächen ausgebreitet hatten. In der tiefen Krise des Hafens sah der Oberbaudirektor Egbert Kossak neue Möglichkeiten für die Stadt. In seinem Buch »Stadt im Fluss«, das er im Jahr 1989 veröffentlichte, machte er deutlich: »Erst heute, nachdem dieser Niedergang in fast allen großen Hafenstädten unübersehbar geworden ist, werden die außerordentlich faszinierenden Chancen für städtebauliche Verbindungen von Stadt und Hafen erkannt. Vancouver und Boston, New York und Liverpool, Rotterdam und London haben mit großem Erfolg die Neuordnung der brach gefallenen historischen Hafenzonen, die Neugestaltung des Stadtrands am Hafen, die Stadterweiterung in den Hafen hinein zu einer zentralen Aufgabe ihrer innerstädtischen Entwicklungspolitik gemacht. Hamburg hat es noch vor sich, diese Aufgabe konsequent anzugehen, auch wenn diese planerisch weitgehend vorbereitet ist.«100 Die Stadterweiterung in den Hafen hinein, für die Egbert Kossak eintrat, stellte einen grundlegenden Bruch mit dem Städtebau der vorangegangenen Jahrzehnte dar. Von der Achsenplanung Fritz Schumachers bis hin zum Entwicklungsmodell Herbert Weichmanns war das Wachstum Hamburgs über weite Strecken des 20. Jahrhunderts auf die äußere Stadt und auf das Umland
97 98 99 100
Ebd., S. 13. Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 70. Schroeders / Vogt, Bauliche und räumliche Auswirkungen, S. 67. Egbert Kossak, Hamburg. Stadt im Fluss, Hamburg 1989, S. 194.
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ausgerichtet.101 Gerade weil der Hafen boomte, wandte die Stadt sich von ihm ab. Erst mit dessen Bedeutungsverlust begann sich dies zu ändern. Nun erhoben Vertreter der Baubehörde Anspruch auf Flächen, die seit langem von der Wirtschaftsbehörde verwaltetet wurden. Unter ihnen war auch Brigitte Kraft-Wiese, die zu der eigens eingerichteten Projektgruppe Elbufer gehörte. Nachdrücklich hob sie die wirtschaftspolitische Bedeutung hervor, welche die Umwandlung von brachgefallenen Hafengebieten habe: »Um die Chancen Hamburgs im nationalen und internationalen Wettbewerb um die Ansiedlung neuer Unternehmen mit zukunftsorientierten, sicheren Arbeitsplätzen zu steigern, hat sich der Senat zum Ziel gesetzt, das Image der Innenstadt als Ort für Arbeiten, Wohnen, Freizeit – als Ort für ›Leben in der Großstadt‹ – zu verbessern.«102 Dies weise über die bestehende Innenstadt hinaus: »Im Sinne einer aktiven Stadtentwicklungspolitik sollen nun neue bebaubare Flächen und attraktive Standorte in Ergänzung zu den bisherigen Präferenzräumen der City angeboten werden.«103 Der Schwerpunkt der Planungen lag auf einem schmalen Streifen, der sich entlang des nördlichen Elbufers erstreckte. Hier waren neue Bürobauten, Wohnhäuser und Geschäfte vorgesehen, die Unternehmen aus der Medienbranche anziehen sollten.104 Für die neuen Gebäude, die zwischen den Markthallen am Deichtor und dem Kühlturm in Övelgönne hintereinander aufgereiht werden sollten, prägte der Oberbaudirektor Egbert Kossak das Bild der »Perlenkette«105. Mit dem Architekturwettbewerb für das neue Verlagsgebäude von Gruner + Jahr, der im Jahr 1984 entschieden worden war, nahm eine erste größere »Perle« bereits Gestalt an.106 Mit dem »Bauforum 85« sollten weitere folgen. Zu diesem städtebaulichen Ideenwettbewerb, der im Jahr 1985 in der restaurierten Altonaer Fischmarkthalle stattfand, hatte die Baubehörde 80 Architekten aus verschiedenen europäischen Ländern eingeladen, unter ihnen die späteren Stararchitekten Zaha Hadid und Coop Himmelb(l)au.107 Ziel des Bauforums war es, bestehende Sichtweisen aufzubrechen und neue Ideen für die Gestaltung des nördlichen Elbufers 101 Zur Kontinuität der Achsenplanung siehe: Necker / Woyke, Vom Achsenkonzept zur Metropolregion. 102 Brigitte Kraft-Wiese, Das nördliche Elbufer. Eine »Perlenkette«? Das Bauforum im Kontext der Stadtentwicklungsmaßnahmen am nördlichen Elbufer, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen. Hafenstadt. II . Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 132–133, hier S. 132. 103 Ebd. 104 Zur den Planungen für das nördliche Elbufer siehe: Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 192f; Dirk Schubert / Hans Harms, Wohnen am Hafen. Leben und Arbeiten an der Wasserkante. Stadtgeschichte, Gegenwart, Zukunft. Das Beispiel Hamburg, Hamburg 1993, S. 140–148; Bartels, Hamburgs Elb-Gesichter. 105 Egbert Kossak, Hamburger Bauforum 1985. Oder die Baukultur braucht Provokation, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II . Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 13–14, hier S. 14. 106 Otto Steidle / Uwe Kiessler, Verlagshaus Gruner + Jahr Hamburg, München 1991, S. 32. 107 Kossak, Hamburg. Stadt im Fluss, S. 201.
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zu entwickeln. Immer wieder war dabei von »Kreativität und Phantasie«108 die Rede. Auch der Architekturkritiker Manfred Sack wies in seinem Beitrag zum Ausstellungskatalog ausdrücklich darauf hin: »Ideenwettbewerbe dieser Art verheißen keine Rezepte, aber Anregungen. Sie sind notwendig, um die Phantasie aus der Befangenheit des Alltags der ›Von-Tag-zu-Tag-Politik‹ zu befreien und auf bisher nicht entdeckte Möglichkeiten zu lenken, einfacher: Denkbahnen freizuhalten. Sie ermutigen Architekten zu ›kühnen‹ Vorschlägen, sie wecken die Neugier von Investoren, vor allem aber erhofft man sich von ihnen, daß sie den Politikern die Augen öffnen.«109 Unter der Vielzahl der Entwürfe stach der von Coop Himmelb(l)au heraus. In einem Text, den sie im Ausstellungskatalog veröffentlichten, erklärten die Wiener Architekten ihr Vorhaben: »In einem Boot mitten im Hafen schienen uns das bewohnte Ufer der Elbstraße und das leblose des Containerterminals schräg gegenüber verwechselbar und austauschbar. Und wir tauschten im ersten Entwurfsansatz nicht nur die Ufer und damit das Planungsgebiet, sondern auch die Begriffe Hafenstadt und Medienstadt. Wie oft sehen wir denn den Hafen der Stadt Hamburg (wenn wir nicht gerade davorstehen), aber jede Woche können wir – und das auch in Wien – andere Teile der Stadt Hamburg sehen. Diese Stücke heißen Stern, Spiegel, Zeit, Art, Geo. Sie sind die lesbare, aber noch unsichtbare Silhouette der Stadt Hamburg. Und diese unsichtbare Silhouette haben wir sichtbar gemacht, ihr eine physische Form gegeben. Und einen Namen: Skyline.«110 Indem Coop Himmelb(l)au von der Medienstadt und nicht von der Hafenstadt sprachen und indem sie den Schwerpunkt auf das südliche Elbufer legten, spitzten sie die wirtschaftlichen Umbrüche zu. Dieser Ansatz lag auch den drei Elementen zugrunde, aus denen sich ihr Entwurf zusammensetzte: den »Hamburger Häusern«111, in denen die Wohn- und Arbeitsflächen frei verfügbar waren, dem »Medienbogen«112, der das nördliche mit dem südlichen Elbufer verband, und der Skyline, deren 300 Meter hohe »Büro- und Redaktionstürme«113 auf der Elbinsel in die Luft ragten. Für die Zukunftsvision von Coop Himmelb(l)au hatte der Hafen jede Bedeutung verloren. Dieser Bruch mit der Vergangenheit zeigte sich auch in der Gestalt der Skyline. An die Stelle der von Kubus und Raster geprägten modernen Hochhäuser traten verdrehte und aufgebrochene Baukörper (Abb. 55)114. 108 Kossak, Hamburger Bauforum 1985, S. 14. 109 Manfred Sack, Im Zweifel für die Idee. Pläne für die Stadt am Wasser, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II . Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 19–21, hier S. 21. 110 Coop Himmelb(l)au, Skyline (1985). Silhouette für eine Stadt wie Hamburg, in: Bau behörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II . Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 52–53, hier S. 53. 111 Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 Ebd., S. 52 f.
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Auch in der Wirtschaftspolitik spielten Presse, Werbung, Film und Videotext eine immer wichtigere Rolle. Je mehr die Werften in die Krise gerieten, desto heller strahlte die Medienbranche. Um deren tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung zu ermitteln, gab die Wirtschaftsbehörde ein Forschungsprojekt über den »Medienplatz Hamburg«115 in Auftrag. Eine umfangreiche Unternehmensbefragung ergab, dass im Jahr 1984 in der Region Hamburg 45.000 Menschen in der Medienwirtschaft beschäftigt waren, knapp 61 Prozent davon im Printbereich.116 In einem Projektbericht konstatierte Wolfgang Hoffmann-Riem: »Die Region Hamburg ist für wichtige Bereiche der Kommunikationswirtschaft der Medienplatz Nr. 1 in der Bundesrepublik. Die Medienwirtschaft hat eine erhebliche Bedeutung für den Wirtschaftsraum Hamburg. Dies wirkt sich auch auf die Hamburger Medienpolitik aus. Spätestens seit einer Rede des Ersten Hamburger Bürgermeister vor dem Übersee-Club im November 1983 haben in Hamburg Maßnahmen hohe politische Priorität, die den Wirtschaftsstandort unterstützen und insbesondere seine Wettbewerbsfähigkeit absichern. Ziel dieser Politik ist die langfristige Weichenstellung für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Freien und Hansestadt Hamburg.«117 In einem Artikel, den er Anfang des Jahres 1985 veröffentlichte, machte der Spiegel-Redakteur Karl-Heinz Krüger einen »Umschwung der Bürohausarchitektur«118 aus. Endgültig vorbei sei die Zeit der Bürobauten, die in den 1960ern entworfen worden seien. Während viele der alten Gebäude sanierungsbedürftig seien, stehe in neuen Architekturwettbewerben immer häufiger der Satz: »Klima tisierte Großraumlösungen sind nicht erwünscht.«119 Gleichzeitig wachse die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ansätzen: »Vorstände und Aufsichtsräte und mit ihnen die Architekten haben sich davon überzeugen lassen, daß auch moderne Büros nicht unmenschlich sein müssen, daß Verwaltungsbauten nicht die Kälte und Monotonie der lebens- und umweltfeindlichen Wachstumsära zur Schau tragen müssen. Plötzlich scheinen Begriffe wie ›Wohlbefinden‹ und ›Wirtschaftlichkeit‹ wieder miteinander vereinbar; das Schlagwort von der ›Humanisierung der Arbeitsplätze‹ geht mit dem Konzept der energiesparenden Bauweise zusammen. Die Einsicht, daß ein zufriedener Mitarbeiter auch ein leistungsfähiger Mitarbeiter sei, bestimmt die Baupläne der neuen Bürohaus-Architektur.«120 Eines der Beispiele, das Karl-Heinz Krüger anführte, war der Entwurf von Otto Steidle und Uwe Kiessler für das neue Verlagsgebäude von Gruner + Jahr. Drei Jahre nachdem die beiden Münchener Architekten den Wettbewerb ge115 Wolfgang Hoffmann-Riem, Medienplatz Hamburg. Zusammenfassender Projektbericht, Baden-Baden 1987. 116 Ebd., S. 40 und S. 45. 117 Ebd., S. 35. 118 Karl-Heinz Krüger, Babylonische Signale der Unvernunft, in: Der Spiegel, 21.1.1985, S. 140–147, hier S. 140. 119 Ebd., S. 144. 120 Ebd., S. 140.
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wonnen hatten, begannen auf einem am Baumwall gelegenen Trümmergrundstück die Bauarbeiten.121 Über mehrere Jahrzehnte hatte die Stadt diese Fläche freigehalten, um die Zufahrt für einen dritten, letztlich nicht verwirklichten Elbtunnel bauen zu können. Nun sollte hier eine der ersten großen »Perlen« am nördlichen Elbufer entstehen. Im Jahr 1990 zogen 2.000 Angestellte von Gruner + Jahr in das kurz zuvor fertiggestellte Gebäude ein, darunter die Redaktionen von Stern, Brigitte, Art und Schöner Wohnen.122 Gerade in seinem Verhältnis zur Stadt unterschied sich der neue Verlagssitz grundsätzlich von den Bürohochhäusern der 1960er. Steidle und Kiessler hatten ihn nicht als Solitär, sondern als »Stadt in der Stadt«123 konzipiert. Ihr Vorbild waren die kleinteiligen Gängeviertel, die im 19. Jahrhundert das Bild Hamburgs bestimmt hatten.124 Dies zeigt ein von ihnen erstellter Lageplan (Abb. 56)125. Das gesamte Gebäude war in Zeilenbauten untergliedert, zwischen denen sich grüne Innenhöfe befanden. Weite Teile waren nicht höher als fünf Stockwerke.126 Damit fügte sich der Verlagssitz in das umliegende Stadtviertel ein. Zudem blieb die Hauptkirche Sankt Michaelis das höchste Bauwerk der näheren Umgebung. Durch einen öffentlichen Fußweg, der durch den Verlagssitz hindurch auf einen unterhalb der Kirche gelegenen Platz führte, hoben die Architekten die Bedeutung des städtischen Wahrzeichens weiter hervor. Im Innern des Gebäudes setzen sich die vielfältigen Bezüge auf die Stadt fort. Hier verbanden glasgedeckte Straßen und Plätze die Büros der Angestellten. Auch die Gestaltung der Innenräume stellte einen Neuanfang dar. Statt Großraumbüros bauten die Architekten Einzelbüros. Zudem unterschieden sie ausdrücklich zwischen Verwaltungsarbeit und Redaktionsarbeit: »Ein Verlagshaus ist kein Bürohaus. Redaktionelle Arbeit ist kreativ und produktiv; sie stellt nicht in erster Linie einen Verwaltungsvorgang dar. Die ihr gemäße Architektur kann sich nicht auf die Typologie der Bürohausarchitektur beziehen, stattdessen auf bauliche Strukturen, die die Phantasie anregen, ebenso die Kommunikation. Räume mit Werkstatt- und Ateliercharakter sowie offene, tagesbelichtete Erschließungssysteme stellen wesentliche Merkmale der ›Medienwerkstatt‹ dar.«127 Zu den Vorzügen des neuen Verlagsbaus zählten Steidle und Kiessler die zahlreichen Oberlichter, durch die Tageslicht in die Büros und Flure fiel, die zu öffnenden Fenster, die eine individuelle Belüftung ermöglichten, und die verschiedenen Treppen, über die nahezu das gesamte Gebäude zugänglich war. Damit setzten sie sich von dem künstlichen Licht, der Vollklimatisierung und 121 Steidle / K iessler, Verlagshaus Gruner + Jahr Hamburg, S. 32. 122 Ebd., S. 18. 123 Otto Steidle / Uwe Kiessler, Verlag Gruner + Jahr. 8 Thesen, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II . Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 138–143, hier S. 143. 124 Steidle / K iessler, Verlagshaus Gruner + Jahr Hamburg, S. 24–26. 125 Steidle / K iessler, Verlag Gruner + Jahr. 8 Thesen, S. 141. 126 Steidle / K iessler, Verlagshaus Gruner + Jahr Hamburg, S. 24–26. 127 Steidle / K iessler, Verlag Gruner + Jahr. 8 Thesen, S. 138.
Zwischen Einkaufspassage und Personal Computer
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den Fahrstühlen ab, die den Alltag in den Großraumbüros prägten. Gegenüber deren Kälte und Anonymität strebten die Architekten eine warme, persönliche Atmosphäre an. Ein besonderes Augenmerk legten sie dabei auf die Gestaltung von Treppen und Fluren. »Treppen und Flure sind nicht nur funktionale Verbindungswege. Sie können Bewegungen und Begegnungen erlebbar machen und so zum Verhältnis der ›Bewohner‹ (auch die Arbeitswelt kann bewohnbar sein) untereinander und zu deren Kommunikation beitragen. Die verbundenen Wege sollen deshalb in allen Bereichen hell und ›luftig‹ sein. Es soll keine summenden Ventilatoren und flimmernde Flurbeleuchtung geben. Die Arbeitswelt soll die gleichen Qualitäten haben, die wir von unseren Wohnbereichen erwarten. Die Treppen und Flure haben so betrachtet eine soziale und psychologische Funktion.«128 Wie sich die beiden Architekten den zukünftigen Alltag bei Gruner + Jahr vorstellten, verdeutlichten sie auch mit einer Illustration (Abb. 57)129. Während einige der Journalisten an Schreibtischen saßen, von denen sie in die begrünten Innenhöfe gucken konnten, standen andere lässig in den Fluren, darunter ein junger Mann mit orangem Jackett und löchriger Jeans. Seit Mitte der 1980er begann sich in der Medienbranche eine neue Arbeitskultur herauszubilden, so auch bei dem einflussreichen Lifestyle-Magazin Tempo, zu dessen Autoren unter anderem Olaf Dante Marx, Reinald Goetz, Christian Kracht und Matthias Horx gehörten.130 Von Anfang an war der Redaktionsalltag dadurch gekennzeichnet, dass sich die Grenzen zwischen Arbeit und Leben auflösten. Darauf wies die Tempo-Praktikantin Bettina Röhl nachdrücklich hin. Rückblickend schrieb sie über ihren ersten Arbeitstag: »Im Januar 1986 – das erste Tempo-Heft mit einigen Blaublütern auf dem Titel war gerade erschienen – stellte ich mich bei Tempo vor und nahm wenige Tage später erstmals an einer Montags-Konferenz teil. Die fand zu meiner Freude nicht in der Redaktion, sondern im schicken Café ›Schöne Aussichten‹ statt. Ich war in die Gründerzeitvilla im vornehmen Harvestehuderweg gefahren, von Konsulaten umgegeben, zu den Redaktionsräumen, die ich für meinen neuen Arbeitsplatz hielt und wo eine lachende Sekretärin mich zum Dienstantritt ins Café schickte. Für Tempo war dort allmontäglich ein separierter Teil reserviert. Die Crew saß um einen großen Frühstückstisch herum, feixend und lachend. In der Mitte der sich ironisierend und mit angespitzter Intellektualisiererei die Bälle zuwerfenden Redakteure saß in seinem unvermeidlichen Edel-Strickpullover verhalten grinsend der junge Chefredakteur Markus Peichl. Hier endlich spielte die Musik, die an der Uni verklungen war, hier war der Spaß, den ich vermisste«. Zugleich wandte sich Bettina Röhl den Journalisten zu, die damals dort tätig waren: »Die Tempo-Redakteure waren im Schnitt gut Mitte 20 und kamen entgegen dem gängigen Vorurteil, Tempo beschäftige nur Yuppies, eher aus linken Medien – 128 Ebd., S. 139. 129 Ebd., S. 143. 130 Bettina Röhl, »Erst Galeere, dann Palmenstrand«. Meine Erinnerungen, URL: http:// bettinaroehl.blogs.com/mainstream/tempo_tempo_tempo/ (14.4.2016).
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von ›konkret‹ ›taz‹, ›Pflasterstrand‹. Doch um links oder rechts ging es hier nicht mehr. Auf dem Zettel, den die Redaktionssekretärin verteilt hatte, stand unten das Motto des Tages: ›Erst Galeere, dann Palmenstrand. Euer Markus.‹ Mein spontanes Gefühl: Diese Konferenz, bei der uns Salat mit erlesenen Krabben und sonstigen Schalentieren und echter geräucherter norwegischer Flusslachs mit frischem O-Saft, Kaffee, Tee und was man sonst wollte, vorgesetzt wurde, war also die Galeere. Wie sah der Palmenstrand aus?«131
131 Ebd.
3. Das Ende der Großsiedlungen
Bis in die frühen 1970er hinein ging der Senat davon aus, dass Hamburg weiterwachsen werde, auf bis zu 2,1 Millionen Einwohner.1 Vor diesem Hintergrund rückte das Großprojekt Billwerder-Allermöhe in das Zentrum der Stadtentwicklung.2 Zusammen mit der Neuen Heimat plante der Senat, dort Wohnungen für 80.000 Menschen zu bauen,3 vor allem für »junge und aufstrebende Familien«4. Zugleich verfolgte er das Ziel, Industrie- und Dienstleistungsbetriebe anzusiedeln und so 40.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.5 Insgesamt sollten auf einer Fläche von 2.300 Hektar sechs Milliarden Mark investiert werden.6 In Billwerder-Allermöhe, davon war der Hamburger Bürgermeister Peter Schulz überzeugt, werde die »Stadt der Zukunft«7 entstehen. Um den Erfolg des Großprojekts zu gewährleisten, setzte die Baubehörde auf umfassende Vorarbeiten. In einem Beitrag, den die Architekturzeitschrift Stadtbauwelt im Jahr 1974 veröffentlichte, bezeichnete der Oberbaudirektor Klaus Müller-Ibold dies als »Durchplanung«8. Die Baubehörde habe fünf »interdisziplinär zusammengesetzten Planungsbüros« den Auftrag erteilt, »Planungsalternativen« für einen »Programmplan« auszuarbeiten.9 Neben Architekten und Stadtplanern seien dabei auch Soziologen und Ökonomen einbezogen worden. Diesen Planungsbüros habe die Baubehörde eine ebenfalls interdisziplinäre Gruppe von »Obergutachtern«10 übergeordnet. In zahlreichen Treffen seien die auftauchenden Probleme gemeinsam diskutiert worden. Schließlich hätten die Obergutachter, nach einer sechswöchigen Vorprüfung und einer einwöchigen Schlussklausur, einen Entwurf ausgewählt und dem Senat empfohlen. Aus diesem aufwendigen Verfahren ging die Freie Planungsgruppe Berlin um Egbert Kossak als Sieger hervor. In ihrem Programmplan schlug sie weitreichende städtebauliche Neuerungen vor, unter anderem ein »Grachtensystem als 1 Staatliche Pressestelle Hamburg, Für Hamburgs Zukunft, S. 7. 2 Zum Großprojekt Billwerder-Allermöhe siehe: Tassilo Braune, Billwerder-Allermöhe, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 128–130. 3 Größtes deutsches Projekt, in: Hamburger Abendblatt, S. 1. 4 Haas, Rede am 26. Oktober 1973, S. 20 f. 5 Größtes deutsches Projekt, in: Hamburger Abendblatt, S. 1. 6 Ebd. 7 Allermöhe – Getto für die junge Mittelklasse?, in: Der Spiegel, 5.11.1973, S. 78–84, hier S. 79–81. 8 Klaus Müller-Ibold, Ziele und Absichten des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, in: Stadtbauwelt 11 (1974) H. 42, S. 92–116, hier S. 93. 9 Ebd., S. 95. 10 Ebd.
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stadtbildprägendes Element«, einen »hohen Anteil an garten- und freiflächenbezogenen Wohnungen«, eine »vielfältige Überlagerung der unterschiedlichen Stadtfunktionen mit der Funktion Arbeiten« und einen weitgehenden Verzicht auf Hochhäuser.11 Dies verdeutlichte auch der »Testentwurf für ein Wohnquartier in dem Stadtteil Billwerder-Allermöhe« (Abb. 58)12. Keine der Wohnbauten sollte höher als sieben Stockwerke sein. Dennoch wuchs das öffentliche Unbehagen. Mit seiner immensen Größe, seiner ausufernden Planung und der zentralen Rolle der Neuen Heimat, so die vielfach geäußerte Kritik, setze Billwerder-Allermöhe den verfehlten Großsiedlungsbau der 1960er fort. Der Spiegel sprach von einem »Getto für die junge Mittelklasse«13, die CDU befürchtete »seelenlose Betonsilos auf der grünen Wiese«14 und auch die FDP lehnte das Großprojekt entschieden ab. Doch die mit absoluter Mehrheit regierende SPD, die das Gros der Architekten, die Gewerkschaften und die Neue Heimat an ihrer Seite wusste, zeigte sich unbeeindruckt. Erst nachdem sie bei den Bürgerschaftswahlen im Frühjahr 1974 diese Mehrheit verloren hatte, lenkte die SPD ein. Noch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen setzte sie die Vorarbeiten aus. Zudem sah sie sich gezwungen, der FDP umfangreiche Zugeständnisse zu machen. Unter anderem sah die Vereinbarung vor, die Zahl der zukünftigen Bewohner auf 65.000 zu beschränken und in einem unabhängigen Gutachten die Wohnwünsche der Hamburger untersuchen zu lassen.15 Damit waren die Planungen ins Stocken geraten. Zugleich zeigte sich immer deutlicher, wie schlecht es um die öffentlichen Finanzen stand. Während die Steuereinnahmen im Zuge der Wirtschaftskrise und der fortgesetzten Abwanderung ins Umland einbrachen, schossen die Ausgaben durch die wachsenden Personalkosten, die steigenden Energiepreise, die zunehmenden Zinsen und durch die »hohen Investitionsvorbelastungen«16 in die Höhe. Um dieser Schieflage entgegenzuwirken, kündigte der Senat im Herbst 1974 ein drastisches Sparprogramm an. Auch für die zahlreichen Großprojekte hatte dies tiefgreifende Folgen. Dies unterstrich der Nachfolger von Peter Schulz, Hans-Ulrich Klose: »Angesichts einer Finanzierungslücke in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1978 von 1,4 Milliarden Mark können wir uns gigantische Projekte nicht mehr leisten.«17 Nach und nach setzte sich nun auch in der SPD die Einschätzung durch, dass das Großprojekt Billwerder-Allermöhe nicht länger zeitgemäß war.
11 Die fünf Gutachten, in: Stadtbauwelt 11 (1974) H. 42, S. 96–115, hier S. 98. 12 Ebd., S. 97. 13 Allermöhe – Getto für die junge Mittelklasse?, in: Der Spiegel, S. 78 f. 14 Ebd. 15 Architekten-Wettbewerb für erste Baustufe Allermöhe, in: Hamburger Abendblatt, 9.5.1974, S. 3. 16 Hans-Ulrich Klose, Hamburgs Zukunft sichern. Regierungserklärung von Hans-Ulrich Klose am 29. Januar 1975 vor der Hamburger Bürgerschaft, Hamburg 1975, S. 1. 17 Kaum noch Chancen für Allermöhe, in: Hamburger Abendblatt, 5.11.1974, S. 1.
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Als zwei Jahre danach das Schweizer Forschungsinstitut Prognos dem Senat das Gutachten über die Wohnwünsche der Hamburger überreichte, war die Entscheidung gegen das Großprojekt längst gefallen. Dennoch verdeutlichte das Gutachten noch einmal allen Beteiligten die enorme Kluft, die zwischen den Konzepten der Planer und den Wünschen der Bevölkerung bestanden hatte. Von den 1.800 Hamburgern, die das Forschungsinstitut befragt hatte, bevorzugten nur acht Prozent das Leben in einem Haus mit acht bis zehn Wohnungen, bei Hochhäusern waren es sogar nur drei Prozent.18 Neben Gründerzeitvierteln wie St. Pauli gehörten Großsiedlungen wie Osdorfer Born zu den unbeliebtesten Wohngebieten. Demgegenüber wünschte sich die Hälfte der Befragten ein Leben im Einfamilienhaus. Vor allem junge Familien aus der Mittelschicht, so Prognos, seien bereit ins Umland zu ziehen, um sich dort ihren Traum zu verwirklichen. Angesichts dessen müsse von einem massiven Rückgang der Einwohnerzahl ausgegangen werden, auf nur noch 1,53 Millionen im Jahr 1985.19 Wenn der Wohnungsbau im bisherigen Umfang fortgesetzt werde, dann drohe in Zukunft ein erheblicher Leerstand. Gegen Ende der 1970er rückte der Einfamilienhausbau in den Mittelpunkt der Hamburger Wohnungspolitik.20 Neben einem Mietwohnungsprogramm legte der Senat nun auch ein Einfamilienhausprogramm auf, das den Bau von 10.000 Eigenheimen im Stadtgebiet ermöglichen sollte.21 Zudem beauftragte der Senat das stadteigene Wohnungsbauunternehmen SAGA, in dem Vorort Poppenbüttel eine Bauausstellung zu organisieren. Ausgangspunkt der Bauausstellung war das zentrale Problem der neu ausgerichteten Wohnungspolitik. Um die weitere Abwanderung junger Familien zu verhindern, musste der Senat einen Ausgleich zwischen dem Wunsch nach einem Eigenheim und dem Mangel an bezahlbaren Grundstücken finden. In einem Vorwort, das er für die Informationsbroschüre »Hamburg Bau ’78« verfasst hatte, wies Hans-Ulrich Klose ausdrücklich darauf hin: »Die Idee, eine Einfamilienhausausstellung in die Großstadt Hamburg zu bringen, könnte auf den ersten Blick wie ein Widerspruch in sich aussehen. Hohe Bodenpreise, Baulandknappheit und Wohnungsmangel haben die Bauherrn in Hamburg gezwungen, vorwiegend kostensparend in die Höhe zu bauen. Der Geschoßwohnungsbau hat sich deshalb neben den naturgemäß eingeschränkten Möglichkeiten der Einzelhausbebauung weitgehend als die großstadtspezifische Bauform durchgesetzt. In jüngster Zeit ist jedoch in Hamburg auf Grund von Untersuchungen und Befragungen die Erkenntnis gewachsen, daß dem Wunsch vieler Bürger, im eigenen Haus zu wohnen, in der Stadtentwicklungspolitik ein 18 Prognos, Qualitativer und quantitativer Wohnungsbedarf und Wanderungen in der Freien und Hansestadt Hamburg. Kurzbericht, Basel 1976, S. 18 f. 19 Ebd., S. 22 f. 20 Zu Suburbanisierung in Hamburg in den 1970ern siehe: Woyke, Mehr als nur »Schlafzimmer von Hamburg«; Woyke, »Wohnen im Grünen«?. 21 10.000 Eigenheime für die Hamburger, in: Hamburger Abendblatt, 4.4.1978, S. 9.
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hoher Stellenwert beigemessen werden sollte. Dabei geht es nicht um den Traum von der Luxusvilla, sondern um den Wunsch eigener Herr in einem Haus zu sein, das von Konzeption und Preis für normale Großstadtbürger attraktiv ist.«22 Im Jahr 1978 wurde die »Hamburg Bau ’78« eröffnet.23 Unter dem Motto »Einfamilienhäuser für die Großstadt« stellten gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen, Bausparkassen und Fertighaushersteller insgesamt 221 Häuser aus.24 Ihr städtebaulicher Lösungsvorschlag bestand darin, »verdichtete Eigenheimquartiere«25 zu schaffen. Dem freistehenden Einfamilienhaus, das große Grundstücke benötigte, stellten die Architekten das »Doppelhaus«, das »Garten hofhaus«, oder das »Stadthaus« entgegen.26 Trotz der kleinen Grundstücke sollten diese neuen Hausformen die Vorzüge des freistehenden Einfamilienhauses erhalten, vor allem den vor privaten Blicken geschützten Garten und die individuelle Gestaltung. Gerade letztere sollte sie auch von den Reihenhäusern unterscheiden, die wegen ihrer »Monotonie«27 als wenig attraktiv galten. Die »Hamburg Bau ’78« stieß auf großes öffentliches Interesse. Zum einen bei »bauwilligen Hamburger Familien«28. Insgesamt kamen 160.000 Menschen nach Poppenbüttel.29 Zum anderen bei Architekten, Planern und Politikern, die in der Abwanderung von jungen Familien aus den Großstädten ein bedeutendes Probleme sahen. Um die 10.000 Experten besuchten die Ausstellung.30 Eines der »Einfamilienhäuser für die Großstadt«, das während der Bau ausstellung besichtigt werden konnte, bildete der Architekten- und Ingenieursverein Hamburg in seiner Überblicksdarstellung »Hamburg und seine Bauten 1969 bis 1984« ab (Abb. 59)31. Zu sehen war eine junge Familie, die vor ihrem neuen Gartenhofhaus saß. In dieser unscheinbaren Fotografie zeigte sich die wohnungspolitische Neuausrichtung der 1970er. In dem Maße, in dem die Abwanderung junger Familien die Wohnungsnot als zentrales Problem ablöste, änderten sich Zielgruppe, Hausformen und Baumaterialien. An die Stelle von Arbeiterfamilien, Großsiedlungen mit Hochhäusern und Betonplatten traten 22 Hamburger Stadtentwicklungsgesellschaft (Hrsg.), Hamburg Bau ’78. Einfamilienhäuser für die Großstadt, Hamburg 1978, S. 3. 23 Zur »Hamburg Bau ’78« siehe: Schubert, Hamburger Wohnquartiere, S. 296–299; Reinhard Buff, »Hamburg Bau ’78«, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 124–128. 24 Hamburger Stadtentwicklungsgesellschaft (Hrsg.), Hamburg Bau ’78, S. 7. 25 Klaus Müller-Ibold, Das Einfamilienhaus in der Großstadt, in: Hamburger Stadtentwicklungsgesellschaft (Hrsg.), Hamburg Bau ’78. Einfamilienhäuser für die Großstadt, Hamburg 1978, S. 10–13, hier S. 11 f. 26 Ebd. 27 Lola Poulakos, Das Stadthaus fügt sich reizvoll ein, in: Hamburger Abendblatt Journal, 12.8.1978, S. 1. 28 Alternativen zu einem kommunalen Problem, in: Hamburger Abendblatt, 19.4.1978, S. 6. 29 Karl Denkner, Eine Chance wurde konsequent genutzt, in: Hamburger Abendblatt Journal, 3.10.1978, S. 9. 30 Ebd. 31 Buff, »Hamburg Bau ’78«, S. 125.
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Mittelschichtsfamilien, verdichtete Einfamilienhausgebiete und Backstein. Nicht mehr die industrielle Massenproduktion von Wohneinheiten, sondern die handwerkliche und damit individuelle Gestaltung von »Wohnqualität«32 galt jetzt als entscheidend. Zugleich legte die Fotografie nahe, dass sich die Rollenverteilung in den Familien nur wenig verändert hatte. Auch wenn die Haare länger und die Haltungen lässiger geworden waren, blickte die Frau noch immer zu ihrem Ehemann auf. In eine ähnliche Richtung verwiesen auch die Beiträge, die in der Informationsbroschüre »Hamburg Bau ’78« erschienen. In einem Artikel, der unter der Überschrift »Über die Kunst des Wohnens« Ratschläge für die angemessene Einrichtung des Wohnzimmers gab, hieß es in betont lockerem Tonfall: »Über den eigentlichen Wohnraum, das Zimmer also, um das sich letztlich alles dreht, wird es kaum Diskussionen geben. Nur, was soll in diesem Raum alles geschehen können: Der Hausherr will seine Ruhe im gemütlichen Sessel, die Kinder sollen Auslauf haben und dabei möglichst niemanden stören, man muß hier repräsentieren können – was das auch sein mag – und will natürlich auch den Tatort-Krimi konsumieren, dann muß die schwere und teure Polstergarnitur, am besten die ›Wohnlandschaft‹ ihren Platz finden, und eine massive Bücherwand mit Bareinrichtung ist unterzubringen und … und … Schließlich muß das Ganze auch noch beim täglichen Säubern ebenso wie beim Frühjahrsputz von der halbtags berufstätigen Hausfrau bewältigt werden können.«33 Die Ehefrau war nun berufstätig, aber Hausarbeit war weiterhin ausschließlich Frauenarbeit. Und wenn Männer in der Küche standen, dann war es keine Arbeit mehr. Daran ließ ein weiterer Artikel der Informationsbroschüre, der sich der Sonderausstellung über Kücheneinrichtungen zuwandte, keinen Zweifel. Zunächst ging der Verfasser auf die zunehmende Rationalisierung der Küchenarbeit ein: »Die Küche ist im Laufe der Jahre zu einem hochtechnisierten Arbeitsplatz geworden. Wenn man dort rationell arbeiten will, muß die Einrichtung richtig angeordnet sein. Wissenschaftliche Arbeitsplatzstudien und praktische Erfahrung haben zu Planungsregeln geführt, die von Fachleuten auch bei der individuellen Planung berücksichtigt werden.«34 Danach fuhr er fort: »Die Küche wird aber auch mehr und mehr zu einer Art Hobby-Raum, denn das Kochen wird zu einer kreativen Freizeitbeschäftigung, auch der Männer. Die Küche sollte deshalb nicht nur sehr praktisch, sondern auch form- und farbschön sein.«35
32 Müller-Ibold, Das Einfamilienhaus in der Großstadt, S. 11 f. 33 Über die Kunst des Wohnens, in: Hamburger Stadtentwicklungsgesellschaft (Hrsg.), Hamburg Bau ’78. Einfamilienhäuser für die Großstadt, Hamburg 1978, S. 26–29, hier S. 28 f. 34 Küche und Arbeitsraum. Sonderschau 7. Juli bis 23. Juli, in: Hamburger Stadtentwick lungsgesellschaft (Hrsg.), Hamburg Bau ’78. Einfamilienhäuser für die Großstadt, Hamburg 1978, S. 38. 35 Ebd.
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Noch während sich die städtische Wohnungspolitik auf die junge aufstrebende Familie ausrichtete, geriet deren Grundlage ins Wanken. Immer tiefere Risse durchzogen die einst festgefügte Rollenverteilung. In Hamburg begann der Anteil der Verheirateten an der Wohnbevölkerung zu sinken, von 51,3 Prozent im Jahr 1970 auf 45,2 Prozent im Jahr 1980.36 Gleichzeitig stieg die Zahl der Geschiedenen erheblich an, von 72.000 auf 101.000.37 Eng damit verbunden war eine weitere Entwicklung. Von 1960 bis 1980 erhöhte sich die Erwerbstätigenquote der Frauen von 39,7 Prozent auf 54,1 Prozent.38 Erstmals war nun die Mehrheit der Frauen berufstätig. Ihren Ausdruck fanden diese Umbrüche, die sich in ähnlicher Weise auch in den anderen Bundesländern vollzogen, in einem neuen Ehe- und Scheidungsrecht, das in den Jahren 1976 und 1977 in Kraft trat. Bis dahin hatte das Eherecht den finanziellen Unterhalt der Familie als Aufgabe des Mannes und die Haushaltsführung als Aufgabe der Frau festgeschrieben. Nun konnten die Ehepartner die Rollverteilung frei vereinbaren. Die Zeit titelte: »Hausfrauen-Ehe abgeschafft«39. Auch das Verhältnis von Geschiedenen änderte sich. Indem der Gesetzgeber eine Unterhaltspflicht des Besserverdienenden festschrieb, stärkte er die Stellung geschiedener Frauen. Angesichts der damit verbundenen Machtverschiebung prophezeite der Spiegel in einer Titelgeschichte, die im Jahr 1976 erschien: »Vom 1. Juli an ist der Fall der Fälle nicht mehr nur Vision: Nach 20 Jahren Ehe packt die Nur-Hausfrau, 38, ihre Koffer und verläßt den Ehemann, 42, sowie die Kinder, 12 und 18, weil sie ›das patriarchalische Gebaren des Hausherrn‹ satthat. Ihr steht das halbe Haus zu, das sie gerade verlassen hat. Sie bekommt die Hälfte des Rentenanspruchs gutgeschrieben, den er erworben hat. Für die Dauer der wiederaufgenommenen Ausbildung als Röntgenassistentin hat er Unterhalt in Höhe von 700 Mark monatlich zu leisten. Nur ihren Anspruch aufs Sorgerecht für die beiden Söhne weist das Familiengericht ab; für die Kinder soll der Vater aufkommen dürfen. Das mag selten vorkommen, eine Karikatur ist es nicht. Daß eine Frau, die bislang gezwungen war, eine leere oder lästige Ehe nur aus wirtschaftlichen Gründen aufrechtzuerhalten, sich von dieser Last befreit, nimmt das Gesetz in Kauf. Früher hätte sie nicht einmal ausziehen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, wegen ›böswilligen Verlassens‹ schuldig
36 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 14. 37 Ebd. Zur Geschichte der Ehescheidung siehe: Steven Mintz, The Prime of Life. A History of Modern Adulthood, Cambridge (Massachusetts) 2015, S. 97–146; Christopher Neumaier, Ringen um Familienwerte. Die Reform des Ehescheidungsrechts in den 1960er/ 70er Jahren, in: Bernhard Dietz u. a. (Hrsg.), Gab es den Wertewandel? Neue Forschungen zum gesellschaftlich-kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren, München 2014, S. 201–225; Monika Wienfort, Verliebt, verlobt, verheiratet. Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik, München 2014, S. 236–266. 38 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 96; Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 69. 39 Eva Marie von Münch, Hausfrauen-Ehe abgeschafft, in: Die Zeit, 15.10.1976, S. 65.
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geschieden zu werden; kein Pfennig hätte ihr zugestanden.«40 Eine Fotografie, welche die Titelgeschichte illustrierte, unterstrich diese Einschätzung. Sie zeigte einen Mann, der mit einem Kleinkind auf dem Arm am Herd stand und kochte (Abb. 60)41. Darunter stand »Familienszene 1977«42. Gerade die neue Frauenbewegung trieb die gesellschaftlichen Umbrüche voran.43 Maßgeblichen Anteil daran hatte die Journalistin Alice Schwarzer. Nachdem sie die Selbstbezichtigungskampagne »Wir haben abgetrieben!« initiiert hatte, veröffentlichte sie kurz nacheinander drei Bücher mit Erfahrungsberichten von Frauen. Im Jahr 1971 erschien »Frauen gegen § 218«, im Jahr 1973 »Frauenarbeit – Frauenbefreiung« und im Jahr 1975 »Der kleine Unterschied und seine großen Folgen«.44 Neben Abtreibung und Sexualität gehörte Hausarbeit zu den zentralen Themen. Eigentlich, so Alice Schwarzer, habe es in dem Buch »Frauenarbeit – Frauenbefreiung« allein um Berufstätigkeit gehen sollen. Im Laufe der Gespräche habe sich jedoch gezeigt, dass Hausarbeit weiterhin den Alltag von Frauen bestimme. Zwar sei Berufstätigkeit die einzige Möglichkeit, Isolation und Abhängigkeit zu überwinden. Aber die Doppelbelastung schreibe die untergeordnete Stellung der Frauen fest, sowohl im Haushalt als auch in den Büros und Fabriken: »Das ist das neue Frauenleitbild: Frauen dürfen nicht nur berufstätig sein, sie sollen sogar berufstätig sein. Aber sie dürfen – zum Nutzen des Kapitals und des Patriarchats – ihr KKK-Leitbild dabei nicht aus den Augen verlieren. In Küche und Kinderzimmer arbeiten Frauen ohne Widerspruch und schuldbewußt – weil berufstätig – weiterhin allein; im Büro und am Fließband bleiben sie das willig-billige Arbeitskraftpotential – weil vor allem Mutter und Ehefrau –, auf das die Wirtschaft längst nicht mehr verzichten kann.«45 Nur wenn Frauen sich zusammenschlössen, sei es möglich, grundsätzliche Verbesserungen durchzusetzen. Notwendig seien bessere Bildungschancen, eine »strikte Teilung«46 der Hausarbeit und schließlich eine effizientere Organisation: »Die Erziehungs- und Hausarbeit muß weitgehend vom Kollektiv übernommen, die Hausarbeit industrialisiert werden. Das heißt ausreichend 24-Stunden-Krippen und -Kindergärten, die von Frauen und Männern betrieben werden; Kinder40 Neues Scheidungsrecht: Dreimal zahlen, in: Der Spiegel, 27.6.1977, S. 33–46, hier S. 46. 41 Ebd., S. 36. 42 Ebd. 43 Zur neuen Frauenbewegung siehe: Gisela Notz, Warum flog die Tomate? Die autonome Frauenbewegung der Siebzigerjahre. Entstehungsgeschichte – Organisationsformen – politische Konzepte, Neu-Ulm 2006; Kristina Schulz, Der lange Atem der Provokation. Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik und in Frankreich 1968–1976, Frankfurt am Main 2002; Ute Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main 1987, S. 272–287. 44 Alice Schwarzer, Frauen gegen § 218. 18 Protokolle, Frankfurt am Main 1971; Alice Schwarzer, Frauenarbeit – Frauenbefreiung. Praxis-Beispiele und Analysen, Frankfurt am Main 1973; Alice Schwarzer, Der kleine Unterschied und seine großen Folgen. Frauen über sich. Beginn einer Befreiung, Frankfurt am Main 1975. 45 Schwarzer, Frauenarbeit – Frauenbefreiung, S. 8 f. 46 Ebd., 27.
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horte und Ganztagsschulen, in denen die Geschlechterrollen nicht perpetuiert werden, denn an der Reproduktion der Gattung haben nicht nur Mütter, sondern hat die gesamte Gesellschaft ein elementares Interesse – es ist nicht einzusehen, warum die Kindererziehung ausschließlich den Frauen aufgebürdet werden soll. Was die Hausarbeit angeht, die noch immer vorindustriell betrieben wird, so ist sie ein schlichter Anachronismus. Auch das Brot wird schließlich längst nicht mehr im Haus gebacken. Großküchen mit teilweise und ganz vorbereiteten Gerichten müssen zur Verfügung stehen, wenn beide Partner berufstätig sind. Schon beim Häuserbau muß die Rationalität der Hausarbeit eine entscheidende Rolle spielen.«47 Anfang der 1970er waren diese radikalen Forderungen weit davon entfernt, mehrheitsfähig zu sein. Doch mit ihren Büchern, die in hoher Auflage erschienen, trug Alice Schwarzer wesentlich dazu bei, die Anliegen der neuen Frauenbewegung über die anfänglichen Hochburgen hinaus zu verbreiten. Dies verdeutlicht die Adressenliste, die im Anhang des Buches »Frauenarbeit – Frauen befreiung« erschien.48 Neben Frauengruppen aus Westberlin und München waren zahlreiche Initiativen aus anderen westdeutschen Städten aufgeführt, unter anderem auch aus Hamburg. Unter der Überschrift »Die fetten Jahre sind vorbei« wandte sich der Spiegel im Spätsommer des Jahres 1980 dem Ende des Booms zu. Was das Nachrichten magazin unter den »fetten Jahren« verstand, verdeutlichte die Titelseite (Abb. 61)49. Eine Zeichnung zeigte eine Familie, die sich im Garten ihres Einfamilienhauses um einen reich gedeckten Tisch versammelt hatte. Neben dem Haus standen drei Autos. Im Vordergrund war ein Swimmingpool zu erkennen. Aber eine aufziehende tiefschwarze Gewitterwolke trübte die Stimmung. Gebannt blickten die Familienmitglieder auf einen Blitz, der in das Haus einzuschlagen drohte. Nicht zufällig glich der Blitz einer einbrechenden Wachstumskurve. Die Wirtschaftskrise hatte das Leben in den Vororten erreicht. Rückblickend zeigte sich jetzt, wie eng die »neue Vorortzivilisation«50 und der wirtschaftliche Boom miteinander verknüpft waren. Die niedrigen Erdölpreise der 1950er und 1960er gehörten nicht nur zu den zentralen Ursachen des »Dauerwachstums«51, sie waren auch eine unabdingbare Voraussetzung der sich beschleunigenden Suburbanisierung. Erst sie hatten es für einfache Angestellte und Facharbeiter erschwinglich gemacht, jeden Tag zwischen dem Eigenheim am Stadtrand und den Arbeitsstätten im Zentrum zu pendeln. Diese Zeit des billigen Öls hatte mit den beiden Ölpreisschocks von 1973 und 1979 ein abruptes Ende gefunden. Der Spiegel konstatierte: »Nachdem die Ölländer ihren Stoff 47 48 49 50 51
Ebd., S. 26 f. Ebd., S. 187 f. Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel, 8.9.1980, Titelseite. Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel, 8.9.1980, S. 32–47, S. 39 f. Ebd., S. 47.
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20 Jahre lang viel zu billig verkauft hatten, verkauften sie ihn nun reichlich teuer. Nachdem sie zwei Jahrzehnte den gewaltigen Boom der westlichen Industriegesellschaften subventioniert hatten, belegten sie ihre Kundschaft nun mit einer Art Wachstumssteuer. Die Ausbeuter von einst wurden die Gebeutelten.«52 Vor allem der zweite Ölpreisschock habe sich als »Wachstumstöter«53 erwiesen. Neben dem drastischen Anstieg der Ölpreise sah der Spiegel in der Sättigung der Märkte eine weitere wesentliche Ursache der Wirtschaftskrise.54 In den 1950ern und 1960ern hatte das Zusammenspiel von Massenproduktion und Massenkonsum die Wirtschaft angetrieben. Je mehr Autos, Kühlschränke und Waschmaschinen produziert wurden, desto mehr sanken die Preise. Und je mehr die Preise sanken, desto mehr Leute konnten sich die Konsumgüter leisten. Doch dieser Kreislauf war ins Stocken geraten. Im Jahr 1979 verfügten bereits 77,6 Prozent aller westdeutschen Haushalte über ein Auto, 88,5 Prozent über einen Kühlschrank und 93,8 Prozent über eine Waschmaschine.55 Diese »Vollversorgung«56, so der Spiegel, werde im kommenden Jahrzehnt zu einem deutlichen Rückgang der Nachfrage führen. Zudem werde die japanische Industrie zu einer ernsthaften Konkurrenz. Nach der »Zerstörung der internationalen Werftindustrie« sei mit der Automobilindustrie nun eine »industrielle Schlüsselbranche« bedroht.57 Angesichts dessen, so der Spiegel, hätten sich die Zukunftsprognosen der frühen 1970er als vollkommen falsch erwiesen: »Statt des sozialen Schlaraffen landes eine Million Arbeitslose, statt des Bildungsparadieses verschreckte Akademiker, statt des perfekten Fernstraßennetzes stornierte Autobahnprojekte, statt des Sechszylinders für den Kleinbürger das Sparauto für den Mittelstand, statt wilden Raffinerieausbaus schrumpfender Ölverbrauch, statt fünf Prozent Wachstum hohe Staatsschulden und drohende Stagnation, statt zwei Millionen Neckermannflieger nur 700.000, und kein Wort mehr vom Überschallverkehr.«58 Anfang der 1980er war der Optimismus, der die Jahrzehnte des Booms bestimmt hatte, endgültig verflogen. Ein allgemeines Krisenbewusstsein griff um sich. Dieses Krisenbewusstsein prägte auch das neue »Stadtentwicklungskonzept«,
52 Ebd., S. 42. Zu den Ölpreisschocks von 1973 und 1979 siehe: Bösch / Graf, Reacting to Anticipations; Göbel, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre; Hohensee, Der erste Ölpreisschock 1973/74. 53 Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel, S. 42. 54 Zur Marktsättigung für standardisierte Massenprodukte siehe: Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart, Bonn 20112, S. 365–369. 55 Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel, S. 40. 56 Ebd., S. 39 f. 57 Ebd., S. 45. Zum Aufstieg der Industrie in Asien siehe: Reynolds, One World Divisible, S. 403–451; Volker Hentschel, Wirtschaftsgeschichte des modernen Japans. Bd. 2. Japans Weg zur wirtschaftlichen Weltmacht, Stuttgart 1986. 58 Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel, S. 36.
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das der Hamburger Senat im Jahr 1980 veröffentlichte.59 In seinem Vorwort schwankte Hans-Ulrich Klose zwischen Ratlosigkeit und Trotz: »Ein Stadtentwicklungskonzept mit zeitlich weitreichender Perspektive – geht das überhaupt in einer Zeit, in der mancher von der Zukunft mehr befürchtet als erhofft, in der Prognosen über ein Jahr hinaus fast als unseriös gelten und viele schöne Pläne in den Archiven vergilben? Ist nicht eine eher vorsichtige Politik zur Sicherung des Erreichten für unsere Stadt das Gebot der Stunde? Die Antwort auf solche Fragen ist eindeutig: In der Entwicklung einer Großstadt und Metropole gibt es Stillstand nur als Vorstufe zum Niedergang. Wer die Zukunft gewinnen will, muß sie vorausdenken und mit Blick auf künftige Generationen bewußt gestalten.«60 Kaum mehr als ein Jahrzehnt lagen zwischen dem Stadtentwicklungskonzept des Jahres 1980 und seinem Vorgänger, dem »Entwicklungsmodell für Hamburg und sein Umland«61. Aber die Herausforderungen, denen sich die Politiker stellen mussten, hatten sich vollständig verändert. Noch 1969 hatte das Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung im Mittelpunkt gestanden. Nun gehörten die schwindende Bedeutung der Industrie und der stetige Rückgang der Einwohner zu den drängendsten Problemen. Mehr und mehr hatte sich der Niedergang der Stadt verfestigt. Von 1961 bis 1979 war die Zahl der Industriearbeiter um 150.000 zurückgegangen.62 Seit 1964 hatte sich die Zahl der Einwohner um mehr als 200.000 verringert.63 Und obwohl sich die Bevölkerungsverluste gegenüber dem Umland deutlich verlangsamt hatten, von 16.000 im Jahr 1971 auf 11.000 Ende der 1970er, waren deren Folgen immer stärker zu spüren.64 Während Familien aus der Mittelschicht in die umliegenden Landkreise zogen, wuchs in der Stadt der Anteil der Arbeitslosen, vor allem in den verfallenen Gründerzeitvierteln. Vor diesem Hintergrund stellte das Stadtentwicklungskonzept einen gefährlichen »Entmischungsprozeß«65 fest. Während die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sich vergrößerten, schrumpfte der Handlungsspielraum der Stadt in sich zusammen. Angesichts der weiterhin schlechten Haushaltslage standen sämtliche Maßnahmen des Stadtentwicklungskonzepts unter einem »Finanzierungsvorbehalt«66. Wegen der gescheiterten Großprojekte war zugleich die Skepsis gegenüber umfassenden Planungen gewachsen. Unter anderem zeigte sich dies im Straßenbau. In den 1950ern und 1960ern hatte die Stadt weitreichende Vorhaben ausgearbeitet, unter anderem im Aufbauplan von 1960, in dem ein Netz aus gelben Linien 59 Senat Hamburg, Stadtentwicklungskonzept, Hamburg 1980. 60 Ebd., S. 1. 61 Staatliche Pressestelle Hamburg, Für Hamburgs Zukunft. Zum Entwicklungsmodell von 1969 siehe: Necker / Woyke, Vom Achsenkonzept zur Metropolregion. 62 Senat Hamburg, Stadtentwicklungskonzept, S. 20. 63 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1965, Hamburg 1965, S. 9; Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 10. 64 Senat Hamburg, Stadtentwicklungskonzept, S. 7. 65 Ebd., S. 13. 66 Ebd., S. 22.
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den zukünftigen Verlauf der Stadtautobahnen kennzeichnete (Abb. 1)67. Zu jedem Zeitpunkt sollte der Verkehr frei fließen können. Demgegenüber spielte der Berufsverkehr, und damit die Zeit der höchsten Verkehrsbelastung, für das Stadtentwicklungskonzept keine Rolle mehr. Nur wenn der reibungslose Ablauf des Wirtschaftsverkehrs gefährdet war, sollten einzelne Straßen ausgebaut werden. Die damit verbundene Kehrtwende verdeutlicht die Karte »Engpässe im bestehenden Straßennetz (9–15 Uhr) im Jahr 1990« (Abb. 62)68. Den Herausforderungen der Zukunft sollte nicht mehr durch »Ableitung aus modellhaften Gesamtvorstellungen«, sondern durch »punktuelle Ansätze und Teillösungen« begegnet werden.69 Bis zum Jahr 1979 hatten sich bei dem Einfamilienhausprogramm, das der Senat aufgelegt hatte, 16.000 Familien für ein Grundstück im Stadtgebiet beworben.70 Doch an diesen Grundstücken mangelte es. Lediglich 3.000 Antragstellern hatte die Baubehörde einen Bauplatz zuweisen können.71 Um diesen Missstand zu beheben, wandte sich die Politik erneut den Flächen in Billwerder-Allermöhe zu, die sich ohnehin im Besitz der Stadt befanden. Im Jahr 1979 nahm der Senat die Planungen für das Großprojekt, die er drei Jahre zuvor ausgesetzt hatte, wieder auf.72 Weitere drei Jahre später beschloss die Bürgerschaft den »Bebauungsplan Allermöhe 21/Billwerder 15«73. Der Bau des neuen Wohngebiets konnte beginnen. Hinter dieser vordergründigen Kontinuität verbarg sich ein grundlegender Umbruch. Im Laufe eines Jahrzehnts war die »Stadt der Zukunft«74 auf weniger als ein Zehntel ihrer anfänglichen geplanten Größe geschrumpft. Von den einst vorgesehenen 2.300 Hektar sollten nur noch 125 Hektar bebaut wer den.75 Statt Wohnungen für 80.000 Menschen plante der Senat Wohnungen für 10.000 Menschen.76 Und von den 40.000 Arbeitsplätzen war überhaupt keine 67 68 69 70
Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960, Abbildung 1. Senat Hamburg, Stadtentwicklungskonzept, S. 48. Ebd., S. 46. Karl Denkner, So soll Hamburg attraktiver werden, in: Hamburger Abendblatt, 26.1.1979, S. 3. 71 Ebd. 72 Ebd. Zu Planung und Bau des Wohngebietes Allermöhe in den 1980ern siehe: Schubert, Hamburger Wohnquartiere, S. 286–289; Peter Goerke, Großsiedlung Neu-Allermöhe (Ost) in Hamburg, in: Tilman Harlander (Hrsg.), Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland, Stuttgart 2001, S. 432–441; Neuallermöhe-Ost, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1985–2000, Hamburg 1999, S. 274–277. 73 Baubehörde Hamburg, Allermöhe. Wohnen am Wasser, Hamburg 1989, S. 2 f. 74 Allermöhe – Getto für die junge Mittelklasse?, in: Der Spiegel, S. 79. 75 Größtes deutsches Projekt, in: Hamburger Abendblatt, S. 1; Baubehörde Hamburg, Allermöhe, S. 2 f. 76 Größtes deutsches Projekt, in: Hamburger Abendblatt, S. 1; Baubehörde Hamburg, Allermöhe, S. 2 f.
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Rede mehr.77 Gleichzeitig hatte der Senat seine Bindung an die Neue Heimat gelockert. Zu Beginn der 1980er war der gewerkschaftseigene Wohnungsbaukonzern nicht länger der zentrale Ansprechpartner. Stattdessen arbeitete die Baubehörde mit verschiedenen kleineren gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen und mit privaten Bauherren zusammen.78 Mehr und mehr ließ die Stadt die Großsiedlungen der 1960er hinter sich. Dies zeigte sich auch in der architektonischen Gestaltung. Schon der 1973 veröffentlichte »Testentwurf für ein Wohnquartier in dem Stadtteil Billwerder-Allermöhe« hatte einen weitgehenden Verzicht auf Hochhäuser vorgesehen (Abb. 58)79. Als die Baubehörde die Planungen wieder aufnahm, spitzte sie diesen Ansatz weiter zu. Die Höhe der Neubauten beschränkte sie auf drei bis vier Stockwerke. Zudem verringerte sie die Fläche, die für Geschosswohnungsbauten vorgesehen war. Dies veranschaulicht der »Übersichtsplan des neuen Wohngebietes Allermöhe« aus dem Jahr 1988 (Abb. 63)80. Die im Zentrum des Wohngebiets gelegenen »Geschoßwohnungen« waren von einem breiten Ring aus »Einfamilien-/Reihenhäusern« umgeben. Zusätzlich zu den 2.000 Geschosswohnungen waren nun 1.500 Einfamilienhäuser geplant,81 ein Großteil davon »in verdichteter Bauweise als Reihen- oder Stadthäuser«82. Bis in die architektonischen Details hinein setzte sich diese Neuausrichtung fort. Nicht zufällig war für den Übersichtsplan rot als Farbe für den Geschosswohnungsbau ausgewählt worden. Diese Farbe verwies auf das bevorzugte Baumaterial des neuen Wohngebiets, den roten Backstein.83 Nichts sollte mehr an die Bauten des Booms erinnern. Zu Beginn der 1980er hatte die industrielle Massenproduktion von Wohnungen in Hamburg jede Bedeutung verloren. Die Zahl der pro Jahr fertiggestellten Wohnungen war seit den späten 1960ern drastisch zurückgegangen, von 18.000 auf 6.000.84 Während fast keine neuen Großsiedlungen mehr gebaut wurden, prägten die bereits errichteten weiterhin den Alltag. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Technischen Universität Hamburg-Harburg untersuchte der Stadtplaner Dirk Schubert diesen Bestand. Insgesamt, so Schubert im Jahr 1986, gebe es in Hamburg 40 Großsiedlungen mit zusammen 102.000 Wohnungen.85 77 Größtes deutsches Projekt, in: Hamburger Abendblatt, S. 1. 78 Baubehörde Hamburg, Allermöhe, S. 11. 79 Die fünf Gutachten, in: Stadtbauwelt, S. 97. 80 Baubehörde Hamburg, Allermöhe, S. 12 f. 81 Ebd., S. 2 f. 82 Ebd., S. 11. 83 Ebd. 84 Joachim Brohm, Wohnungsbau. Wandlungen im Wohnungsbau in der Zeit von 1969– 1984, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 406–410, hier S. 406. 85 Dirk Schubert, Großwohnsiedlungen in Hamburg. Übersicht, Bestandsaufnahme, Probleme, in: Hans Harms / ders. (Hrsg.), Qualitätsveränderungen und langfristige Verbesserungen von Gross-Siedlungen. Ein Tagungsbericht, Hamburg 1986, S. 57–73, hier S. 62.
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Allein zwischen 1966 und 1977 seien 47.000 Wohnungen in 14 Großsiedlungen entstanden.86 Gerade diese Großsiedlungen, die ein hoher Anteil der »Fertigteilbauweise«, »Wohngebirge« und das Leitbild »Urbanität durch Dichte« kennzeichne, hätten sich als krisenanfällig erwiesen.87 In Gesprächen mit Experten aus dem Baudezernat, der Stadtplanungsabteilung und der Sozialdezernate seien im Hinblick auf einzelne Großsiedlungen »soziale Erosionsprozesse«, »Konzentration von ›Problemmietern‹«, »Ghettoisierung« und »Verbronxung« angesprochen worden.88 Jugendkriminalität und Vandalismus breite sich aus. Zudem gebe es »hohe Ausländeranteile«89. Eine dieser Großsiedlungen war das im Osten Hamburgs gelegene Mümmelmannsberg. Von 1970 bis 1979 waren dort 7.200 Wohnungen gebaut worden, unter maßgeblicher Beteiligung der Neuen Heimat.90 Kurz nach Abschluss der Arbeiten setzte der Niedergang ein. Die Zahl der Einwohner sank von 22.000 Menschen im Jahr 1979 auf weniger als 18.000 im Jahr 1985.91 Immer mehr Wohnungen standen leer. Zeitweise lag die Leerstandquote bei der Neuen Heimat bei 15 Prozent.92 Allein zwischen 1984 und 1986 kam es bei einem Fünftel aller Wohnungen zu einem Mieterwechsel.93 Vor diesem Hintergrund stieg der Ausländeranteil bis 1987 auf 26 Prozent und damit auf mehr als das Doppelte des Hamburger Durchschnitts an.94 In der Öffentlichkeit galt Mümmelmannsberg nun als Inbegriff einer gescheiterten Großsiedlung, so auch für die Stadtteilzeitung Billhorn, die sich im September 1985 mit dem wachsenden Leerstand befasste. Auf der Titelseite waren unbefahrene Straßen, eingeschlagene Scheiben und brennende Hochhäuser zu sehen (Abb. 64)95. Mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete Rocker, Punks und Zombies wankten dem Betrachter entgegen. Darunter war zu lesen 86 Ebd., S. 68. 87 Ebd., S. 66. Zur Krise der Großsiedlungen in Hamburg siehe: Sylvia Necker, Hässlich aber innovativ? Architektur und soziale Wirklichkeit der Großsiedlung Steilshoop, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 161–174; Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 162–165; Michael Ferner u. a., Gross-Siedlungen in Hamburg. Übersicht, Bestandsaufnahme, Probleme, Hamburg 1988. 88 Schubert, Großwohnsiedlungen in Hamburg, S. 72. 89 Ebd. 90 Baubehörde Hamburg, Stadterneuerung in Hamburg. Nachbesserung des Stadtteils Mümmelmannsberg, Hamburg 1990, S. 4. Zur Großsiedlung Mümmelmannsberg siehe: Schubert, Hamburger Wohnquartiere, S. 266–269. 91 Baubehörde Hamburg, Stadtteilaktivitäten in den Siedlungen Osdorfer Born und Mümmelmannsberg, Hamburg 1986, S. 39; Baubehörde Hamburg, Stadterneuerung in Hamburg, S. 5. 92 Baubehörde Hamburg, Stadterneuerung in Hamburg, S. 6. 93 Ebd., S. 5. 94 Ebd. 95 Baubehörde Hamburg, Stadtteilaktivitäten, S. 171.
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»Vision oder Wirklichkeit? Mümmelmannsberg im Jahr 2000«. Das war kaum mehr als eine rhetorische Frage. Die Redaktion der Stadtteilzeitung konnte sich die Zukunft der Großsiedlung nur als Horrorfilm vorstellen: »Niemand wird heute noch ernsthaft behaupten können, die in den 60er und 70er Jahren geschehene Errichtung von Trabantenstädten habe sich bewährt. Einst als wohnungspolitischer Fortschritt gefeiert, ist längst ein gesellschaftspolitischer Fluch daraus geworden.«96 Diese düstere Prognose teilte auch die Zeit. In einer im Jahr 1986 veröffentlichten Reportage stellte sie fest: »Viele Familien sind in letzter Zeit fortgezogen, jüngere, besserverdienende, ehrgeizige Menschen vor allem. Ungefähr jede achte Wohnung steht leer, fast jede fünfte Wohnung wechselt jedes Jahr den Mieter. Viele der Bewohner sind arbeitslos, Sozialhilfeempfänger, Zuwanderer aus dem Ausland. Zwar sind heute Ärzte, Geschäfte, ein Postamt vorhanden, aber die Abwanderung hält an.«97 Auch die Baubehörde beschäftigte sich mit der Krise der Großsiedlungen. Im Jahr 1986 veröffentlichte sie die Studie »Stadtteilaktivitäten in den Siedlungen Osdorfer Born und Mümmelmannsberg«98. Bevor die Verfasser mögliche Lösungsansätze skizzierten, setzten sie sich mit den Ursachen der Probleme auseinander. Unter anderem wiesen sie auf städtebauliche Mängel, fehlende soziale Einrichtungen, die sich verzögernde Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und die drohende Baufälligkeit von Gebäuden hin. Aber die eigentliche Ursache für den Niedergang der Großsiedlungen erkannten sie in gesamtgesellschaftlichen Umbrüchen. Dabei machten sie zwei gegenläufige Entwicklungen aus. Zum einen würden die »neuen gesellschaftlichen Bewegungen«, für welche die Großsiedlungen Sinnbild einer »durchrationalisierten« Gesellschaft seien, bis weit in die Mittelschicht hinein ausstrahlen.99 Zum anderen wachse mit der »Neuen Armut«100 die Zahl der Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfänger. Während sich die »›Durchschnittsfamilie‹« von den Großsiedlungen abwende, so fuhren die Verfasser der Studie fort, entwickelten sie sich für »zahlreiche gesellschaftliche Problemgruppen wie kinderreiche Familien, Sozialhilfeempfänger, Bewohner aus aufgelösten Wohnlagern, Ausländern, Asylanten, Aussiedler, Haftentlassene«101 zum letzten Zufluchtsort. Im Jahr 1982 enthüllte der Spiegel, dass sich führende Manager des gewerkschaftseigenen Wohnungsbauunternehmens Neue Heimat jahrzehntelang selbst bereichert hatten, unter ihnen der Vorstandsvorsitzende des Gesamtkonzerns Albert Vietor und die beiden Geschäftsführer der Neue Heimat Nord Georg
96 97 98 99 100 101
Ebd., S. 172. Hans Jakob Ginsburg, Mit der Politik nicht viel im Sinn, in: Die Zeit, 24.10.1986, S. 2. Baubehörde Hamburg, Stadtteilaktivitäten. Ebd., S. 11 f. Ebd., S. 9. Ebd., S. 14 f.
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Bamberg und Wolfgang Vormbrock.102 Auch zahlreiche Gewerkschaftsführer waren in den Skandal verwickelt. Sie hatten als Kontrolleure versagt und als Mitwisser geschwiegen. Die Enthüllungen des Spiegels stürzten die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft, deren Anfänge bis zu den Genossenschaften der frühen Arbeiterbewegung zurückreichten, in eine schwere Krise. Lange Zeit hatte die Neue Heimat als zentraler Bestandteil der »Gegenmacht zur privatkapitalistischen Wirtschaft«103 gegolten. Nun, so konstatierte der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, offenbare sie die »häßlichsten Züge des Kapitalismus«104. Der Skandal, den der Spiegel aufdeckte, stellte einen tiefen Einschnitt dar. Innerhalb kürzester Zeit verloren die Neue Heimat und mit ihr die Gewerkschaften dramatisch an Einfluss, gerade auch in Hamburg. Nach 1945 hatte es kaum eine Großsiedlung gegeben, an deren Planung die Neue Heimat nicht beteiligt war, von Neu-Altona über Osdorfer Born und Mümmelmannsberg bis hin zu Billwerder-Allermöhe.105 Über viele Jahrzehnte war die Zusammenarbeit zwischen dem sozialdemokratischen Senat und dem gewerkschaftseigenen Wohnungsbauunternehmen einer der Grundpfeiler der Stadtentwicklung. Nun wandte sich die SPD von der Neuen Heimat ab. Zu Beginn des Jahres 1983 stimmten auch die sozialdemokratischen Abgeordneten der Bürgerschaft dafür, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.106 Zu dessen Untersuchungsauftrag gehörte die »Prüfung der Gemeinnützigkeit«, »Geschäftsverbindungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Unternehmensgruppe Neue Heimat« und »Verflechtungen zwischen der Unternehmensgruppe Neue Heimat und Bediensteten der Freien und Hansestadt Hamburg«.107 Drei Jahre später veröffentlichte die Bürgerschaft einen fast tausendseitigen Abschlussbericht. Angesichts zahlreicher Gesetzesverstöße empfahl der Bericht die »Auflösung des NH-Konzerns«108. Zugleich legte er die wirtschaftliche Notlage des Wohnungsbauunternehmens offen. Zu den großen Verlusten, welche die Neue Heimat seit 1974 angehäuft habe, hätte verschiedene sich überlagernde Ursachen beigetragen: »sinkende Bautätigkeit der NH«, »Verschlechterung der Produktivitätsziffern«, »anhaltend negatives Dienstleistungsergebnis im Vergleich zur übrigen Wohnungswirtschaft«, »Leerstandsverluste bei Miet- und Eigentumsobjekten«, »hohe unrentierliche Grundstücksbestände«, »Mindereinnahmen durch ›Mietverzichte‹«, »hoher Zinsaufwand durch hohe Fremd102 Gut getarnt im Dickicht der Firmen, in: Der Spiegel, 8.2.1982, S. 92–104; »Da mußten längst die Staatsanwälte hin«, in: Der Spiegel, 15.2.1982, S. 91–98. 103 »Da mußten längst die Staatsanwälte hin«, in: Der Spiegel, S. 93 f. 104 Rudolf Augstein, Vom gemeinen Nutzen, in: Der Spiegel, 15.2.1982, S. 92. 105 Zur Bedeutung der Neuen Heimat für die Stadtentwicklung im Hamburg während des Booms siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 74–77 und S. 90 f. 106 Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Aufsichtstätigkeit der Behörden gegenüber der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Drucksache 11/5900, Hamburg 1986, S.3. 107 Ebd., S. 4. 108 Ebd., S. 977.
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finanzierung« und »Übernahme von verlustbringenden Geschäften aus dem NHS -Bereich«.109 Die Ursachen, die der Untersuchungsbericht anführte, verweisen darauf, dass sich der wirtschaftliche Niedergang nicht allein auf unfähige und korrupte Manager zurückführen lässt. Entscheidend war der Zusammenbruch des Geschäftsmodells, das nach 1945 den Aufstieg der Neuen Heimat zum größten westdeutschen Wohnungskonzern ermöglicht hatte. Die Expansion der Neue Heimat beruhte auf dem Boom des Wohnungsbaus, der vom Wiederaufbau entfacht worden war. Innerhalb weniger Jahrzehnte errichtete sie hunderttausende Wohnungen, die meisten davon in Großsiedlungen. In der festen Erwartung, dass dieses Wachstum anhalten werde, nahm sie hohe Kredite auf, stellte zahlreiche Mitarbeiter ein und kaufte riesige Grundstücke auf. Doch der Boom des Wohnungsbaus fand in den 1970ern ein abruptes Ende. Dies verdeutlichen die Statistiken, die der Untersuchungsausschuss für seinen Abschlussbericht zusammenstellte. Im Jahr 1965 hatten die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen in Westdeutschland insgesamt 165.000 Wohnungen errichtet, im Jahr 1979 waren es nur noch 36.000.110 Allein bei der Neuen Heimat ging die Zahl der fertiggestellten Wohnungen von 31.000 auf 7.000 zurück.111 Während sie immer weniger baute, blieben die eingegangenen Verpflichtungen bestehen. Hohe Kreditkosten, unterbeschäftigte Mitarbeiter und nicht verwertbare Grundstücke führten nun zu erheblichen Verlusten. Die wirtschaftliche Krise der Neuen Heimat, daran ließen die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses keinen Zweifel, war untrennbar mit dem Bedeutungsverlust der Großsiedlungen verbunden. Aber zugleich zeigte sich in ihr die Unfähigkeit der Gemeinwirtschafts-Manager, sich an die neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Dies galt, zumindest nach Ansicht des Spiegels, nicht nur für die Neue Heimat. Auch in den Führungsetagen der Gewerkschaften, so das Nachrichtenmagazin, gäben alte Männer den Ton vor, deren Vorstellungen in der Weimarer Republik und während des Booms geprägt worden seien. Befangen im »Wachstumsdenken«112 der vorangegangenen Jahrzehnte hätten sie keine Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart. Und an anderer Stelle: »Das Debakel mit der Neuen Heimat hat gezeigt, wohin die Verkrustungen einer Großorganisation führen können. Aber es ist mit Sicherheit nicht der letzte Fall. Der Bewußtseinswandel vieler Menschen in Richtung Umwelt und Natur ist genauso an den Arbeitnehmerorganisationen vorbeigegangen wie die neue Unbescheidenheit der Frauen.
109 Ebd., S. 220 f. Zum wirtschaftlichen Niedergang der Neuen Heimat siehe: Kramper, Neue Heimat, S. 403–606. 110 Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Aufsichtstätigkeit, S. 220 f. 111 Ebd. 112 »Eine Kulturrevolution ist nötig«, in: Der Spiegel, 17.5.1982, S. 50–57, hier S. 53–57.
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Auf die Veränderungen in den Köpfen der modernen Angestellten haben sie ebensowenig eine Antwort wie auf das neue Lebensgefühl der Jugendlichen.«113 Unterdessen wuchs unter den Gewerkschaftsführern die »Panik«114. Sie befürchteten, dass der finanzielle Niedergang der Neuen Heimat auch den DGB mit sich reißen könnte. Immer mehr traten die politischen Ziele, die sie einst mit der Gemeinwirtschaft verfolgt hatten, in den Hintergrund. Mit ihrer Zustimmung verkaufte die Neue Heimat von 1982 bis 1985 mehr als 50.000 Sozialwohnungen, weitere 100.000 sollten folgen.115 Je mehr Wohnungen sie anbot, desto mehr brachen die Preise ein. Zugleich erwiesen sich Wohnungen aus Großsiedlungen wie Mümmelmannsberg als nahezu unverkäuflich. Bis 1985 stiegen die Verluste deswegen auf 500 Millionen DM an.116 Die Gesamtverschuldung lag jetzt bei 17,8 Milliarden Mark.117 Angesichts der sich zuspitzende Krise fällte ein kleiner Kreis von Gewerkschaftsführern und Managern im Jahr 1986 die Entscheidung, den gesamten Konzern für eine Mark an den Bäckereibesitzer Horst Schiesser zu verkaufen.118 Der mittelständische Unternehmer Schiesser, der unter anderem auch mit Bonbons, Motorenöl und Teddybären handelte, sollte nun einen milliardenschweren Konzern sanieren. Den Verkauf rechtfertigte der DGB -Vorsitzende Ernst Breit mit den Worten: »Das ist die Lösung eines marktwirtschaftlichen Problems mit marktwirtschaftlichen Mitteln.«119 Was ein Befreiungsschlag sein sollte, erwies sich schnell als Desaster, vor allem für die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften. Bei ihrem Entschluss hatten die Funktionäre keinerlei Rücksicht genommen, weder auf die tausenden Beschäftigten, denen die Entlassung drohte, noch auf die hunderttausenden Mieter, die das Ende der Sozialbindung ihrer Wohnungen und damit drastische Mieterhöhungen befürchten mussten. Immer mehr Arbeiter und Mieter wandten sich verbittert von der Neuen Heimat, vom DGB und von der SPD ab. Ein Chemiearbeiter, der in der Großsiedlung Mümmelmannsberg lebte, brachte die weit verbreitete Haltung in einer Reportage der Zeit auf den Punkt: »Früher war ich ja ein starker Sozialdemokrat. Aber jetzt, wo ich arbeitslos bin und das hier jetzt nicht mehr der Mümmelmannsberg ist, sondern der Brötchen-Berg von dem Schiesser, gibt es für mich meine Partei nicht mehr.«120 Auch bei den Gläubigern der Neuen Heimat stieß der Verkauf auf schroffe Ablehnung. Zu keinem Zeitpunkt waren die Banken bereit, mit dem ihrer Ansicht 113 Stephan Burgdorff, Das Arbeitnehmer-Establishment, in: Der Spiegel, 6.10.1986, S. 140. 114 »Herr, sie wissen nicht, was sie tun«, in: Der Spiegel, 22.9.1986, S. 24–32, hier S. 24 f. 115 »So schnell wie möglich alles verkloppen«, in: Der Spiegel, 7.10.1985, S. 146–156, hier S. 146. 116 1,8 Milliarden aus der Gewerkschaftskasse, in: Der Spiegel, 13.10.1986, S. 28. 117 »So schnell wie möglich alles verkloppen«, in: Der Spiegel, S. 156. 118 »Herr, sie wissen nicht, was sie tun«, in: Der Spiegel; Neue Heimat. »Das wird mächtig reinhauen«, in: Der Spiegel, 29.9.1986, S. 17–22. 119 »Herr, sie wissen nicht, was sie tun«, in: Der Spiegel, S. 25 f. 120 Ginsburg, Mit der Politik nicht viel im Sinn, S. 2.
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Die Krise. Hamburg von 1973 bis 1989
nach unseriösen Schiesser zusammenzuarbeiten. In dem sie die Verhandlungen mit dem Bäckereibesitzer platzen ließen, zwangen sie den DGB, die Neue Heimat zurückzukaufen.121 Um einen sofortigen Zusammenbruch zu verhindern, mussten die Gewerkschaften den Konzern mit mehreren Milliarden Mark stützen. Gleichzeitig begannen sie die Wohnungsbestände an die Bundesländer zu verkaufen, darunter auch 42.000 Wohnungen an die Stadt Hamburg.122 Gegen Ende der 1980er-Jahre hatte der DGB das ehemals größte westdeutsche Wohnungsbauunternehmen fast vollständig abgewickelt. Auch die gesamtgesellschaftlichen Folgen waren gravierend. Bereits im Jahr 1988 beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU und FDP ein Gesetz, das die rechtliche Sonderstellung der gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen aufhob.123 Ab dem Jahr 1990 waren diese nicht mehr von Vermögens-, Körperschafts-, Gewerbe- und Grunderwerbsteuer befreit. Im Gegenzug wurde die Gewinnausschüttung nicht länger auf vier Prozent beschränkt und die unbefristete Sozialbindung der Wohnungen abgeschafft. Von vornherein war klar, dass durch diese ordnungspolitische Entscheidung die Zahl der Sozialwohnungen in den kommenden Jahrzehnten drastisch zurückgehen würde. Aber dieser Liberalisierung des Wohnungsmarktes hatten weder die Gewerkschaften noch die SPD etwas entgegenzusetzen. Zu sehr hatte sie der Skandal um die Neue Heimat geschwächt. Bis in die 1980er hinein dominierten Männer die politischen Führungspositionen, in den Gewerkschaften, in den Parteien und in den Parlamenten. Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sah dies nicht anders aus. Frauen spielten, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Gegen Mitte des Jahrzehnts begann sich dies zu ändern. Immer offener stellten Frauen die althergebrachten Hierarchien in Frage. In Hamburg fand diese »neue Unbescheidenheit«124 ihren sichtbarsten Ausdruck in der Frauenfraktion der Grün-Alternativen Liste (GAL).125 Für die Bürgerschaftswahl, die im Jahr 1986 stattfand, stellte die GAL ausschließlich weibliche Kandidaten auf. Hinter der Idee standen die »Frechen Frauen« um Adrienne Goehler. In einem Interview mit dem Spiegel machte die Feministin deutlich: »Meine Position ist: Männer haben einen wahnsinnigen Vorsprung in den Machtetagen, da haben wir einen riesigen Nachholbedarf.«126 121 Nur noch zahlen, in: Der Spiegel, 17.11.1986, S. 131–133. 122 Ohne Geschrei, in: Der Spiegel, 29.5.1989, S. 118–124, hier S. 121. 123 Doppelt und dreifach, in: Der Spiegel, 15.8.1988, S. 90–91; Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Neue Heimat, Unterrichtung der Bürgerschaft über die Auswertung des Berichts und über die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen, Drucksache 13/6645, Hamburg 1990, S. 6. 124 Burgdorff, Das Arbeitnehmer-Establishment, S. 140. 125 Zur GAL -Frauenfraktion siehe: Martina Muckli, »Einbruch in die Männerwelt«? Chancen und Restriktionen einer Veränderung von Politik durch Frauen am Beispiel der GAL -Frauenfraktion in Hamburg, Hamburg 1990. 126 »Uns stinkt das Gelaber schon lange«, in: Der Spiegel, 21.4.1986, S. 65–71, hier S. 67.
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Von den 8.000 Führungspositionen in der Bundesrepublik seien nur 170 mit Frauen besetzt.127 Um dies zu ändern, sei ein frecher und unbescheidener Vorschlag notwendig. Und dies sei erst der Anfang: »Freut euch mal nicht zu früh. Unsere nächsten Angriffsobjekte müssen so Institutionen wie der Spiegel sein, auch so ’ne Bastion der Männer-Herrlichkeit. Stellt euch mal vor, eure Ressortleiter würden für zwei Jahre durch Frauen abgelöst.«128 Auch in dem Wahlprogramm, mit dem die GAL bei der Bürgerschaftswahl antrat, hatten feministische Vorstellungen ihren Niederschlag gefunden. In ihm formulierten die Grünen eine deutliche Kritik an der Rollenverteilung, die der Kleinfamilie zugrunde lag: »Gegenüber Streß- und Konkurrenzdruck im öffentlichen und Erwerbsleben erhoffen sich viele Menschen in der privaten ›Gegenwelt‹ Familie Erholung und persönliche Anerkennung. Damit dies funktioniert – dafür werden vor allem bisher Frauen mit ihrer Hauptlast der Hausarbeit verantwortlich gemacht.«129 Demgegenüber gehe es darum, die »Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit« zwischen Männern und Frauen aufzuteilen und Frauen die »freie Wahl der Lebensformen« zu ermöglichen.130 Zugleich trat die GAL dafür ein, die Benachteiligungen im Berufsleben zu überwinden, unter anderem durch eine Frauenquote im Öffentlichen Dienst. Jede zweite Stelle sollte zukünftig mit einer Frau besetzt werden.131 Mit ihrem radikalen Ansatz stießen die Grünen bei der Bürgerschaftswahl auf großen Zuspruch. Während die SPD, nicht zuletzt wegen des Skandals um die Neue Heimat, deutlich verlor, entfielen 10,4 Prozent aller abgegebenen Stimmen auf die GAL .132 Das Wahlforschungsinstitut Infas kommentierte: »Die soziale Stellung der Frau, ihre fortwährende Benachteiligung in Beruf, in Gesellschaft und – nicht nur bei Berufstätigkeit und Doppelbelastung – in der Familie bleiben trotz des langfristig nachweisbaren Bewußtseins- und Wertewandels zugunsten größerer Rollenflexibilität und Chancengleichheit relevante Themen der öffentlichen Diskussion in der Bundesrepublik. Mehr noch als CDU und SPD haben die Grünen von Anbeginn an diesem Umstand Rechnung getragen, integrieren sie doch schließlich einen Teil der feministischen Bewegung: In Parteiprogrammen und durch öffentliche Präsenz räumen die Grünen der Geschlechterproblematik seit jeher breiten Raum ein.«133 Insbesondere unter berufstätigen Frauen, so Infas, finde dies viel Anklang. Von ihnen würden 36 Prozent die Idee einer Frauenliste unterstützen.134 Spätestens mit dieser Bürgerschaftswahl war aus den
127 Ebd., S. 67–69. 128 Ebd., S. 69. 129 Grüne GAL , Programm zur Bürgerschaftswahl ’86, Hamburg 1986, S. 12. 130 Ebd. 131 Ebd., S. 11. 132 »Wir sind nicht am Ende des Trauerspiels«, in: Der Spiegel, 17.11.1986, S. 30–31. 133 Infas, Infas-Report Wahlen. Hamburg 1986. Bürgerschaftswahl am 9. November 1986. Analysen und Dokumente, Bonn 1986, S. 124–125. 134 Ebd.
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vereinzelten autonomen Frauengruppen, die in den frühen 1970ern gegründet worden waren, eine breite gesellschaftliche Bewegung geworden. Ende des Jahres 1986 zogen 13 weibliche Abgeordnete der GAL in die Bürgerschaft ein. Diesen »Einbruch in die Männerwelt«135, so einer der Slogans der Frauenliste, unterstrichen sie dadurch, dass sie Anzüge und Fliegen trugen (Abb. 65)136. Mit ihrer ironischen Performance eigneten sie sich einen Raum an, in dem seit jeher Männer den Ton angegeben hatten. Daran hatte sich bis Ende der 1970er wenig geändert. Im Gegenteil: Von 1961 bis 1978 war der Frauenanteil in der Bürgerschaft von 17,5 Prozent auf zehn Prozent gesunken.137 Erst mit Erstarken der Grünen begann sich dies zu ändern. Vor allem das Wahlergebnis von 1986 stellte einen Einschnitt dar. Sprunghaft stieg der Anteil der weiblichen Abgeordneten auf 33,3 Prozent an.138 In dem Erfolg der GAL-Frauenliste fand ein weitreichender gesellschaftlicher Umbruch seinen Ausdruck.139 Noch in den 1960ern waren Frauen in ihrer großen Mehrheit in untergeordneter Stellung tätig, als mithelfende Familienangehörige, als Fließbandarbeiterinnen und als Sekretärinnen. Insbesondere die mangelnde Bildung galt als Hindernis für den beruflichen Aufstieg.140 Zudem waren Frauen, die Weisungen an männliche Untergebene erteilten, für viele kaum vorstellbar.141 Verstärkt ab Mitte der 1980er lösten sich diese festgefügten Verhältnisse auf. Zunehmend forderten Frauen gehobene Positionen im Berufsleben ein. Vor diesem Hintergrund stieg die Zahl der Studentinnen deutlich an. Allein in Hamburg erhöhte sie sich von 4.000 im Jahr 1960 auf 26.000 im Jahr 1991.142 Zudem traten Frauen in Universitäten, Unternehmen und Parteien immer häufiger für Frauenquoten ein. Angesichts der sich ausweitenden Debatte titelte der Spiegel im Jahr 1986 »Frauen drängen sich rein«143. Gleichzeitig beschäftigte sich die Spiegel-Reporterin Valeska von Roques mit der Frage, wieso sich so viele Männer dieser Forderung verweigerten: »In vertrackter Verknotung bedroht zudem die bessere Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben die ganz privaten Lebensmuster von Männern, die sich eben diese Muster 135 Heide Soltau, Lob für ihr freundliches Wesen, in: Die Zeit, 27.11.1988, S. 23. 136 Bettina Musall, »Die Frauen schenken sich nichts«, in: Der Spiegel, 4.5.1987, S. 55–59, hier S. 55. 137 Handbuch der Hamburgischen Bürgerschaft. Personalien. 17. Wahlperiode, Hamburg 2002, S. 403–406. 138 Ebd. 139 Zur Berufstätigkeit von Frauen siehe: Schlemmer, Befreiung oder Kolonisierung?; Duden, Kontinuität oder Epochenbruch?; Mattes, Krisenverliererinnen?; Karin Hausen, Arbeit und Geschlecht, in: Jürgen Kocka u. a. (Hrsg.), Geschichte und Zukunft der Arbeit, Frankfurt am Main 2000, S. 343–361. 140 Bericht der Bundesregierung über die Situation der Frauen, S. 79. 141 Ebd., S. 80. 142 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 65; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Taschenbuch 1992, Hamburg 1992, S. 63 143 Frauen drängen sich rein, in: Der Spiegel, 25.8.1986, Titelseite.
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ausgesucht haben.«144 Gerade Politiker seien darauf angewiesen, »daß eine zweite Arbeitskraft ihren privaten Bereich in Ordnung hält und dafür sorgt, daß am Morgen ein frisches Oberhemd zur Verfügung steht, daß der Koffer für die nächste Wahlreise gepackt wird. Ist von Politikern zu erwarten, daß ausgerechnet sie ihren eigenen häuslichen Service gefährden, indem sie dafür sorgen, daß mehr Frauen in der Politik mitmischen können?«145
144 Valeska von Roques, »Quoten verschaffen uns einen Fuß in der Tür«, in: Der Spiegel, 25.8.1986, S. 32–47, hier S. 47. 145 Ebd.
4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern
Im Jahr 1971 gelang es der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung, das Städtebauförderungsgesetz gegen den hinhaltenden Widerstand von Haus- und Grundbesitzern durchzusetzen, nach mehr als zehnjähriger Diskussion und drei gescheiterten Anläufen.1 Das neue Gesetz sah umfassende Eingriffe in bestehende Eigentumsrechte vor. Zu diesem Zweck schuf es den Aufgabenbereich des »Sanierungsträgers«2, der auf die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen zugeschnitten war. In »Sanierungs- und Entwicklungsgebieten«3 konnten die Sanierungsträger den Haus- und Grundbesitzern vorschreiben, zu bauen, zu modernisieren oder abzureißen. Zudem hatten sie die Möglichkeit, die Wertsteigerungen von Grundstücken abzuschöpfen, die auf staatliche Planungen zurückgingen. Nicht mehr »Bodenspekulation«, sondern »Sozialbindung des Eigentums« sollte den Städtebau prägen.4 Damit, so die Überzeugung der Bundesregierung, bestanden nun die Voraussetzungen dafür, die Lebensverhältnisse in den verfallenden Altbauvierteln grundsätzlich zu verbessern. In seinem Vorwort, das er für das Buch »Städtebau nach neuem Recht. Grundriß des Städtebauförderungsgesetzes« verfasste, unterstrich der Bundesbauminister Lauritz Lauritzen: »Es gibt wohl kaum eine Stadt oder eine Gemeinde, in der nicht mehr oder minder große Teile der Bausubstanz hoffnungslos veraltet sind, mit Wohnungen, die heutigen Vorstellungen und Anforderungen nicht mehr entsprechen und zum Teil einfach menschenunwürdig sind. In diesen alten Stadtteilen fehlt die notwendige Ausstattung mit öffentlichen Einrichtungen verschiedenster Art und mit den wohnungsergänzenden Einrichtungen der Daseinsvorsorge.«5 Danach fuhr er fort: »Der Umfang der Maßnahmen ist gewaltig! Er läßt sich am ehesten mit der Aufgabe des Wiederaufbaus nach 1945 vergleichen, wenn sich auch der Charakter der notwendigen städtebaulichen Aufgaben grundlegend geändert hat.«6 Von Anfang an hatte die Neue Heimat in das Städtebauförderungsgesetz große Hoffnungen gesetzt. Von ihm erwartete sie sich zahlreiche neue Aufträge. Entschieden war sie deswegen für dieses Gesetz eingetreten, insbesondere mit den Planungen für das Alsterzentrum, die sie im Jahr 1966 der Öffentlichkeit 1 Lauritz Lauritzen, Einführung, in: Kurt Walter (Hrsg.), Städtebau nach neuem Recht. Grundriß des Städtebauförderungsgesetzes, Bonn 1971, S. 11–16. Zum Städtebauförde rungsgesetz siehe: Kramper, Neue Heimat, S. 396–406. 2 »Länge mal Breite mal Geld«, in: Der Spiegel, 7.6.1971, S. 54–72, hier S. 67. 3 Lauritz Lauritzen, Einführung, S. 13 f. 4 Ebd. 5 Ebd., S. 11 f. 6 Ebd., S. 12 f.
Von Fabrikruinen zu Medienhäusern
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vorgestellt hatte.7 Nur wenn der Einfluss der Haus- und Grundbesitzer eingeschränkt werde, so die damalige Argumentation der Neuen Heimat, könnten die neuen Hochhäuser in St. Georg verwirklicht werden. Doch in dem Jahr, in dem das Städtebauförderungsgesetz verabschiedet wurde, hatte das Großprojekt seine Zukunft bereits hinter sich. Nachdem Senat und Öffentlichkeit das Vorhaben zunächst begrüßt hatten, wuchs in den folgenden Monaten und Jahren der Widerstand. Gerade die Haus- und Grundbesitzer in St. Georg verweigerten sich. Schließlich lenkte der Senat ein. Als 80 Prozent der betroffenen Eigentümer Anfang 1970 den Abriss ihrer Häuser ablehnten, schloss der Senat sich diesem Votum an.8 Damit war das Alsterzentrum gescheitert. Unterdessen gerieten auch die Planungen für die anderen Gründerzeitviertel ins Stocken. Je deutlicher sich abzeichnete, wie hoch die Kosten tatsächlich waren, desto mehr verbreitete sich die Skepsis. Vor diesem Hintergrund schrieb die Koalitionsvereinbarung, welche die SPD im Jahr 1970, trotz absoluter Mehrheit, mit der FDP abschloss, einen vorläufigen Verzicht auf großangelegte Sanierungen fest. Das Hamburger Abendblatt titelte: »Große Pläne bleiben Papier. Hamburger Stadtgebiet wird nicht erneuert«9 Ende 1971, kurz nachdem das Städtebauförderungsgesetz in Kraft getreten war, griff eine Gruppe von CDU-Bürgerschaftsabgeordneten dieses Thema in einer Anfrage an den Senat erneut auf. Auf die von ihnen gestellte Frage, »In welcher zeitlichen Reihenfolge sollen welche Flächensanierungen durchgeführt werden?«10, antwortete der Senat: »Flächensanierungen mit vollständigem oder weitgehendem Gebäudeabbruch sind schon wegen der damit verbundenen erheblichen und langfristigen finanziellen Bindungen – vor allem hinsichtlich der unrentierlichen Kosten und öffentlichen Investitionen – zunächst nicht vorgesehen. Das Hauptgewicht wird in begrenzten, in sich geschlossenen Stadterneuerungsmaßnahmen liegen, in denen Sanierungsmaßnahmen mit unterschiedlicher Eingriffsintensität wie Modernisierung, Entkernung, Blocköffnung bis zu teilweiser Freilegung und Neubebauung nach Neuordnung der Grundstücksverhältnisse durchgeführt werden.«11 Zu den Gründerzeitvierteln, in denen der Senat in den späten 1960ern eine umfassende Sanierung geplant hatte, gehörte auch Ottensen.12 Dessen krumme 7 Zu den Planungen für das Alsterzentrum siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 101 f.. 8 Alsterzentrum: Eigentümer wollen selbst sanieren, in: Hamburger Abendblatt, 28.1.1970, S. 2. 9 Ferdinand Gatermann, Hamburger Stadtgebiet wird nicht erneuert, in: Hamburger Abendblatt, 13.4.1970, S. 1. 10 Große Anfrage der Abg. Dr. Westphal, Ehlers, Francke, Friebe, Sanders, Siegmann (CDU), Betr.: Auswirkungen des Inkrafttretens des Gesetzes über Städtebauförderung (Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden) für Hamburg, Drucksache VII /1509, Hamburg 1971, o. S. 11 Ebd. 12 Hubschrauber sollen in Ottensen landen, in: Hamburger Abendblatt, 30.5.1969, S. 2. Zur Geschichte von Ottensen siehe: Brigitte Abramowski, »Straßenkampf auf dem Weg
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Straßen, dicht gedrängte Mietshäuser und lärmende Hinterhoffabriken hatten vollständig abgerissen und durch Bürohochhäuser, neue Wohngebäude und mehrspurige Straßen ersetzt werden sollen. Aber auch diese Vorhaben kamen zu Beginn des neuen Jahrzehnts kaum voran. Stattdessen setzte sich der Niedergang des Stadtteils fort. Immer mehr Autos quälten sich durch viel zu enge Straßen, eine wachsende Zahl von Industriebetrieben verlagerte die Produktion an den Stadtrand, und die Haus- und Grundbesitzer investierten, wegen der ungewissen Zukunft, kaum noch in die veralteten Wohngebäude. Von diesen Gebäuden stammten fast 90 Prozent aus der Zeit vor 1945.13 Dementsprechend schlecht ausgestattet waren die Wohnungen. Ofenheizung, fehlende Dusche sowie Klo im Treppenhaus bestimmten weiterhin den Alltag. Um dem zu entgehen, verließen tausende Bewohner den Stadtteil. Gerade junge Familien zogen in die neuen Einfamilienhausgebiete und Großsiedlungen, in denen Zentralheizung, Elektroherd, Dusche und eigenes Klo längst zum Standard gehörten. Von 1950 bis 1975 sank die Wohnbevölkerung in Ottensen von 57.000 auf 33.000.14 Zurück blieben vor allem Rentner. Mehr als jeder fünfte Einwohner war älter als 65 Jahre.15 Auch nachdem sich die Flächensanierungen als undurchführbar erwiesen hatten, blieb die Überalterung der Gründerzeitviertel ein drängendes Problem der Stadtplanung. Unter den Entscheidungsträgern wuchs nun die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. So stieß im Jahr 1973 die Idee des Architekturkritikers der Zeit, Manfred Sack, in einem Modellprojekt Alternativen zum Abriss verfallender Altbauviertel aufzuzeigen, auf breite politische Unterstützung. Gemeinsam entschieden sich das Bundesbauministerium, die Hamburger Baubehörde und die SAGA dafür, das Modellprojekt umzusetzen. Als Wohngebiet wählte die Baubehörde die Karl-Theodor-Straße in Ottensen aus.16 Ebenso wie der übrige Stadtteil war das Wohngebiet durch vielbefahrene Straßen, dunkle Hinterhöfe, baufällige Häuser und schlecht ausgestattete Wohnungen geprägt. Zudem befanden sich mehrere Grundstücke in städtischem Besitz. Hier sollte exemplarisch gezeigt werden, wie sich die Lebensbedingungen auch ohne Abriss und Neubau verbessern ließen. Bereits Anfang des nächsten Jahres fand in Ottensen ein erstes Arbeitstreffen von sechs Architekturbüros statt, unter ihnen die Gruppe 3 B Architekten, zwischen City und Autobahn«. Bürgerprotest gegen Verkehrsplanung, in: Stadtteilarchiv Ottensen (Hrsg.), Unterwegs in Ottensen. Geschichte und Geschichten von Verkehr und Bewegung, Hamburg 2010, S. 140–143; Elisabeth von Dücker (Hrsg.), Ottensen. Zur Geschichte eines Stadtteils, Hamburg 1983. 13 Manfred Sack, Ottensen. Stadtteilentwicklung in Hamburg dargestellt am Beispiel Ottensen, Hamburg 1977, o. S. 14 Baubehörde Hamburg, Leitgedanken für Stadtteile der inneren Stadt, S. 34 15 Ebd. 16 Baubehörde Hamburg, Stadterneuerung in kleinen Schritten. Ottensen, Hamburg 1975. Zu dem von der Zeit initiierten Modellprojekt siehe: Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 168–170.
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Kammerer + Beltz und Partner sowie die Planungsgruppe für metadisziplinäre Umweltgestaltung me di um. Sie alle gehörten zu einer neuen Generation von Architekten, die von der Kritik am modernen Städtebau und vom gesellschaftlichen Aufbruch nach 1968 beeinflusst war.17 Den Bau von Großsiedlungen am Stadtrand lehnten sie ebenso ab wie die Flächensanierungen im Stadtzentrum. Stattdessen traten sie für die Mischung von Wohnen und Arbeiten, Kleinteiligkeit und Denkmalschutz ein. Schnell gelang es ihnen, sich auf eine gemeinsame Vorgehensweise zu einigen. Schritt für Schritt sollten die Lebensbedingungen in der Karl-Theodor-Straße verbessert werden, durch Modernisierungen, maßstabsgerechte Neubauten und den vereinzelten Abriss baufälliger Häuser. Von vornherein wollten sie dabei eng mit Mietern, Grundeigentümern und Gewerbetreibenden zusammenarbeiten. Ihr ausdrückliches Ziel bestand darin, »daß niemand vertrieben, kein Mieter geschröpft, kein Vermieter um sein Eigentum gebracht werden soll«.18 Besonders deutlich zeigte sich dies beim angestrebten Mietniveau. Auch in den zukünftig modern ausgestatteten Wohnungen sollte es unter dem von neu errichteten Sozialwohnungen liegen. Nach zahlreichen Treffen und Diskussionen präsentierten die sechs Architektengruppen im Jahr 1975 im Altonaer Rathaus ihre Entwürfe. Die Ausstellung, die in der Öffentlichkeit auf großes Interesse stieß, trug den Titel »Unternehmen Mottenburg«19. Die abwertende Bezeichnung für den Arbeiterstadtteil Ottensen, »Motten« stand umgangssprachliche für die einst dort grassierende Tuberkulose, verwies nun auf ein weithin beachtetes Modellprojekt. Wenige Monate später wählte eine Jury, die mit Architekten, Politikern, Behördenvertretern, Mietern und Grundeigentümern besetzt war, die Entwürfe von Kammerer + Beltz und Partner sowie der Gruppe 3 B Architekten aus. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die auf den ersten Arbeitstreffen formuliert worden waren, sah der Vorschlag eine behutsame Erneuerung des Wohngebiets vor. Dies unterstrich eine Skizze, welche die Jury veröffentlichte (Abb. 66)20. Die Altbauten waren weitgehend erhalten, der Verkehr beruhigt und Bäume gepflanzt worden. Dieser neue städtebauliche Ansatz gewann in den folgenden Jahren mehr und mehr an Einfluss, unter anderem in den »Leitgedanken für die innere Stadt«, die der Senat im Jahr 1977 veröffentlichte. Ausgangspunkt der Leitgedanken war der fortgesetzte Niedergang der innenstadtnahen Altbaugebiete. Allein von 1961 bis 1975 sei die Wohnbevölkerung in der inneren Stadt von 845.000 auf 598.000 zurückgegangen.21 Es drohe ein »sich selbst beschleunigender Erosionsprozeß«22. 17 Zur Abkehr vom modernen Städtebau in den 1970ern siehe: Kähler, Von der Speicherstadt bis zur Elbphilharmonie, S. 154–179; Meyhöfer, Hamburg, S. 174–189; Klotz (Hrsg.), Moderne und Postmoderne; Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. 18 Baubehörde Hamburg, Stadterneuerung in kleinen Schritten, S. 23 f. 19 Ebd. 20 SAGA-Pressestelle, An alle Mieter, Grundeigentümer, Gewerbetreibende im Plangebiet Karl-Theodor-Str., Hamburg 1975, S. 3. 21 Baubehörde Hamburg, Leitgedanken für Stadtteile der inneren Stadt, S. 34. 22 Ebd., S. 13.
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Zugleich trage die Krise der Gründerzeitviertel maßgeblich dazu bei, dass die gesamte Stadt an Einwohnern verliere. Auch der Bürgermeister Hans-Ulrich Klose wandte sich in seinem Vorwort, das er für die Leitgedanken verfasst hatte, diesem Zusammenhang zu: »Mehr als 100.000 Menschen haben Hamburg in den vergangenen 10 Jahren verlassen und sind (überwiegend) in das Hamburger Umland gezogen. Die Gründe für diese Abwanderung – ein Problem, das nicht nur Hamburg, sondern alle großen Städte der Bundesrepublik angeht – sind sehr unterschiedlich: in einigen Stadtteilen unzureichende Wohnbedingungen (zu kleine, zu teure oder mangelhaft ausgestattete Wohnungen), in anderen ein gestörtes Wohnumfeld (zu wenig Freizeiteinrichtungen und Kinderspielplätze, vereinzelt schlechte Einkaufsmöglichkeiten usw.) und schließlich Umweltbelastungen durch Industrie und Verkehr. Hier genau setzt die neue Stadtentwicklungspolitik an.«23 Um dem Verfall der innenstadtnahen Altbaugebiete und damit der Abwanderung junger Familien entgegenzuwirken, setzte der Senat nun auf die »Stadterneuerung in kleinen Schritten« und die »Modernisierung« von Altbauten.24 Allein von 1973 bis 1982 lagen die staatlichen Zuschüsse für Modernisierungen und Instandsetzungen in Hamburg bei 520 Millionen DM.25 Im Jahr 1975 gab das Landesplanungsamt die Karte »Gebäudebestands-Untersuchung Ottensen. Gebäudenutzung« heraus (Abb. 67)26. Verschiedene Farben kennzeichneten die Nutzungen der einzelnen Häuserblöcke. Rot stand für »Nur Wohnen«, orange für »Überwiegend Wohnen«, grau für »Überwiegend Arbeitsstätten« und dunkelblau für »Nur Arbeitsstätten«. Darüber hinaus waren die Standorte von »Fabriken« gesondert vermerkt. Zum einen verdeutlichte die Karte, dass Ottensen weiterhin einem Gründerzeitviertel des späten 19. Jahrhunderts ähnelte. Große Teile waren durch ein enges Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten geprägt. Vor allem im Norden ballten sich zahlreiche Industriebetriebe. Zum anderen legte sie offen, dass sich tiefgreifende Veränderungen anbahnten. Grüne Flächen verwiesen auf leerstehende Gebäude und Brachen. Die einst dort ansässigen Fabriken hatten ihre Produktion an den Stadtrand verlagern oder vollständig die Tore schließen müssen. Aber auch die noch bestehenden Industriebetriebe, die auf der Karte nach wie vor in dunkelblau verzeichnet waren, befanden sich im Niedergang. Einer dieser Industriebetriebe war die Schiffsschraubenfabrik Zeise. Noch im Jahr 1968 hatte das Unternehmen anlässlich seines hundertjährigen Jubiläums optimistisch in die Zukunft geblickt.27 Nun machte ihm der Niedergang der 23 Ebd. 24 Ebd., S. 13 f. 25 Gerhard Bahte u. a., Stadterneuerung in Hamburg, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 58–77, hier S. 74. 26 Baubehörde Hamburg, Gebäudebestands-Untersuchung Ottensen. Ortsteile 210–213. Gebäudenutzung, Hamburg 1975. 27 Zur Schiffsschraubenfabrik Zeise siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 94–96.
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Tankerschifffahrt zu schaffen. Nach der Ölkrise von 1973 fanden die riesigen Schiffsschrauben, auf die sich Zeise spezialisiert hatte, kaum noch Abnehmer.28 Schon 1975 stand das Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt mehr als 400 Arbeiter und Angestellte beschäftigte, kurz vor dem Bankrott.29 Nur die Übernahme durch einen wesentlich kleineren Konkurrenten sicherte den Fortbestand. Statt auf Schrauben für Tanker setzte der neue Besitzer nun auf Schrauben für Containerschiffe. Zudem verringerte er die Zahl der Beschäftigten. Trotzdem häufte die Schiffsschraubenfabrik weitere Verluste an. Als sich die Hamburger Werften, die sich selbst in einer existenzbedrohenden Krise befanden, weigerten, ihren überschuldeten Zulieferer zu unterstützen, war das Aus besiegelt. Ende 1979 meldete das Unternehmen Konkurs an. Zugleich entließ es die verbliebenen 213 Beschäftigten, darunter auch den Former Herrn Wöhler.30 In einem Interview, das er kurz nach seiner Kündigung gab, berichtete er: »Ich mach das zum dritten Mal mit. Ich war 12 Jahre bei der Firma Hermann Michaelsen, da hieß es plötzlich: wir geben auf. Dann bin ich bei Kampnagel in Oldesloh angefangen, die gingen nach 8 Jahren kaputt. Da bin ich zu Zeise gekommen, ich hab auch gedacht, bei Zeise erreichst du deinen Lebensabend – Schiete, nach 4½ Jahren wars vorbei. Jetzt bin ich 50, jetzt bin ich wieder da – ja diesmal ist’s vorbei, diesmal schaff ich das nicht mehr.«31 Ende 1979 versteigerte der Konkursverwalter die letzten verbliebenen Maschinen. Die Fabrikhallen an der Friedensallee, in denen wenige Monate zuvor noch Hunderte von Arbeitern ihren Lohn verdient hatten, standen nun leer (Abb. 68)32. Sie waren zu einer Ruine geworden. In den folgenden Jahren beschleunigte sich der Niedergang der Industrie. Nach und nach verschwanden die Fabriken, die einst den Stadtteil geprägt hatten, und mit ihnen die Arbeiter. Von 1970 bis 1987 ging deren Zahl in Ottensen von 7.300 auf 4.900 zurück.33 In verdichteter Form zeigten sich hier die Umbrüche, die ganz Hamburg erfassten. Im gesamten Stadtgebiet brach die Zahl der Arbeiter ein, von 301.000 im Jahr 1970 auf 215.000 im Jahr 1987.34 Gleichzeitig vervielfachte sich die Zahl der arbeitslosen Arbeiter. Statt 1.000 fanden nun 60.000 keine neue Stelle mehr.35
28 Zur Krise der Tankerschifffahrt siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 137–140. 29 W. Furler, Frischer Wind für die Riesenpropeller, in: Hamburger Abendblatt, 9.8.1975, S. 10. 30 Zeise nicht zu Blohm + Voss, in: Hamburger Abendblatt, 20.9.1979, S. 32. Zum Konkurs von Zeise siehe: Mahn, Propeller des Fortschritts, S. 66–68. 31 Hans Michel u. a., Konkurs der Schiffsschraubenfabrik Zeise in Hamburg-Altona, Hamburg 1981, S. 11 32 Ebd., Bucheinband. 33 Statistisches Landesamt Hamburg, Die Hamburger Stadtteile. Teil 2: Bezirk Altona, Hamburg 1997, S. 20 f. 34 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 70. 35 Ebd., S. 71.
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Während seiner Zeit als Bürgermeister kam Hans-Ulrich Klose immer wieder auf den Niedergang der Gründerzeitviertel zurück. So auch in seiner Regierungserklärung, die er Anfang 1975 hielt. Ein besonderes Augenmerk legte er dabei auf die sich verändernde soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung: »Die Umlandwanderung – auch die innerstädtische Wanderung – führt insbesondere in Stadtteilen mit zum Teil schon erheblichen städtebaulichen Mängeln, zum Beispiel Ottensen, St. Georg, St. Pauli und Wilhelmsburg, zu unerwünschten sozialstrukturellen Umschichtungen. Die nach Alter und Einkommen mobilen Bevölkerungsgruppen verlassen die ihnen – zum Beispiel aufgrund eines gestörten Wohnumfeldes – nicht mehr zusagenden Wohnungen in diesen Stadtteilen. Durch Zuzüge von sozial schwächeren Gruppen entwickelt sich eine Bevölkerungsstruktur, in der der Anteil der sozial Schwachen und der Randgruppen immer stärker zunimmt. Ein Indiz – und ich betone neben anderen – für den Stand dieser Entwicklung kann der Anteil der Ausländer an der jeweiligen Gesamtbevölkerung sein.«36 In den vorangegangenen Jahren, so fuhr Klose fort, habe sich diese Tendenz zunehmend verfestigt: »Gegenwärtig erleben wir in Hamburg wie auch in anderen deutschen und europäischen Großstädten einen Prozeß der Konzentration von Ausländern in bestimmten Stadtteilen. Diese Konzentration vollzieht sich ungesteuert und ohne soziale Abstützung und folgt einer, so scheint es, fast zwangsläufigen Eigengesetzlichkeit. Es hilft nicht, diese Entwicklung bedauernd zu beobachten und mit Reizworten – zum Beispiel Gettobildung – zu beschreiben; sie muß unter stadtentwicklungspolitischen Gesichtspunkten gesteuert werden.«37 Um das zu erreichen, sei es notwendig, ein Ausländerkonzept auszuarbeiten. Knapp zwei Jahre später veröffentlichte der Senat die »Leitlinien für die hamburgische Ausländerpolitik«38. Grundlage der detaillierten Empfehlungen waren zahlreiche Statistiken und Karten, die einen umfassenden Einblick in die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migranten ermöglichten. Allein von 1969 bis 1973 war die Zahl der Ausländer aus Anwerbeländern von 36.000 auf 73.000 gestiegen.39 Auch nach dem Anwerbestopp nahm sie weiter zu, auf 80.000 im Jahr 1975.40 Darunter waren viele Familien. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen lag nun bei 26 Prozent.41 Damit veränderten sich auch die Wohn36 Klose, Hamburgs Zukunft sichern, S. 8. 37 Ebd., S. 15 f. 38 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Leitlinien für die hamburgische Ausländerpolitik, Drucksache 8/1990, Hamburg 1976. 39 Ebd., S. 49. 40 Ebd. Zur Arbeitsmigration nach 1973 siehe: Nikou, »Mein Name ist Ausländer«; Eryılmaz, Projekt Migration; Morandi, Italiener in Hamburg, S. 215–359; Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, S. 231–262; Bade, Ausländer, Aussiedler, Asyl, S. 38–90; Ute Bartram u. a., Ausländer in Ottensen. »Gastarbeiter oder Mitbürger?, in: Elisabeth von Dücker (Hrsg.), Ottensen. Zur Geschichte eines Stadtteils, Hamburg 1983, S. 211–229. 41 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Leitlinien für die hamburgische Ausländerpolitik, S. 49.
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verhältnisse. Dies verdeutlicht die Karte »Ausländer aus Anwerbeländern in den Konzentrationsgebieten nach Baublöcken« (Abb. 69)42. Verschiedene Farben wiesen deren Anteile an der Wohnbevölkerung aus. Gelb stand für fünf bis zehn Prozent, orange für zehn bis 15 Prozent, rot für 15 bis 25 Prozent, grün für 25 bis 35 Prozent und lila für 35 Prozent und mehr. Am höchsten war der Anteil in den Hafen- und Industriegebieten. Da hier fast keine deutschen Staatsbürger ansässig waren, fielen die »Gastarbeiter«, die weiterhin in Baracken und Wohnheimen lebten, umso stärker ins Gewicht. Doch insgesamt spielten sie kaum noch eine Rolle. Nur 10 Prozent aller Ausländer aus Anwerbeländern wohnten im Jahr 1975 noch in Unternehmensunterkünften.43 Stattdessen hatten die innenstadtnahen Altbaugebiete erheblich an Bedeutung gewonnen. Allein 40 Prozent wohnten in sieben »Konzentrationsgebieten«44, darunter die nördlich der Elbe gelegenen Gründerzeitviertel St. Pauli, Altona-Altstadt, St. Georg, Ottensen und südliches Eimsbüttel. Während die Gesamtzahl der Einwohner hier deutlich abnahm, stieg der Anteil der »Gastarbeiter« in schneller Geschwindigkeit an. Von 1969 bis 1975 erhöhte er sich in St. Georg um 57,6 Prozent, in St. Pauli und Altona-Altstadt um 191,4 Prozent und in Ottensen um 219,3 Prozent.45 In diesen drei Gebieten kam jetzt fast jeder fünfte Einwohner aus einem der Anwerbeländer.46 Der Senat stellte fest: »Ihre spezifische Nachfrage nach billigen Altbauwohnungen fand ihr Angebot vor allem in den Stadtteilen, in denen Art und Zustand der Wohnungen sowie das Wohnumfeld nur noch ein niedriges Qualitätsniveau erreichen. Insofern können nach hamburgischen Untersuchungen Konzentrationen von Ausländern aus Anwerbeländern vereinfacht als das Spiegelbild der Konzentration minderer Wohnqualitäten angesehen werden.«47 Nicht nur bei den Wohnverhältnissen, sondern auch bei den Arbeitsverhältnissen zeichnete sich Mitte der 1970er ein grundlegender Wandel ab. Während des Booms waren Griechen, Italiener, Jugoslawen, Portugiesen, Spanier und Türken angeworben worden, um die leeren Stellen für ungelernte Arbeiter in der Metallindustrie, auf den Baustellen und im Hafen zu besetzen. Arbeitslosigkeit spielte für sie kaum eine Rolle. Nach 1973 änderte sich dies rasant. Als ungelernte Arbeiter waren sie in besonderem Maße vom Niedergang der Industrie betroffen. Schon im Jahr 1976 konstatierte der Senat, »daß ein Teil der heute in Hamburg arbeitenden Arbeitnehmer aus Anwerbeländern nicht nur aus konjunkturellen, sondern auch langfristig aus strukturellen Gründen einem hohen Beschäftigungsrisiko ausgesetzt ist«48. In den folgenden Jahren nahm
42 Ebd., Anlage. 43 Ebd., S. 13 f. 44 Ebd. 45 Ebd., S. 46. 46 Ebd., S. 38. 47 Ebd., S. 13. 48 Ebd., S. 11 f.
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die Arbeitslosigkeit unter Ausländern weiter zu. Bis zum Jahr 1987 stieg sie auf 25,6 Prozent an.49 Zugleich ließ sich, ebenfalls ab Mitte der 1970er, ein weiterer Umbruch in den Arbeitsverhältnissen beobachten. Gerade in Wohngebieten, in denen es einen hohen Ausländeranteil gab, machten sich ehemalige »Gastarbeiter« mit eigenen Lebensmittelgeschäften und Restaurants selbstständig. Zunehmend prägten diese kleinen Unternehmen das Straßenbild der Gründerzeitviertel. Darauf verweist auch eine Fotografie, mit der das Stadtmagazin Szene Hamburg im Jahr 1975 eine Reportage über den Stadtteil Ottensen illustrierte (Abb. 70)50. Stolz und selbstbewusst standen die Inhaber vor ihrem Lebensmittelgeschäft. Hinter ihnen waren Gemüsekisten, gestapelte Konserven und eine Girlande aus kleinen türkischen Flaggen zu erkennen. Seit den späten 1960ern hatten junge Erwachsene zahlreiche Wohngemeinschaf ten gegründet. Vor allem geräumige Wohnungen in Gründerzeithäusern erfreuten sich großer Beliebtheit. Die Mieten waren niedrig, die Hausbesitzer wenig wählerisch und die Wohnungen, im Unterschied zu den Neubauten der Nachkriegszeit, nicht auf die Kleinfamilie zugeschnitten. Im Jahr 1976 lebten 22 Prozent aller Hamburger Studenten in Wohngemeinschaften.51 Zudem entschied sich eine wachsende Zahl von Schulabbrechern, Jobbern und jungen Arbeitslosen dafür, mit Gleichgesinnten zusammenzuwohnen. Wohngemeinschaften waren zu einem wichtigen Experimentierfeld geworden, in denen neue Lebensformen erprobt werden konnten. Hier wuchs der Wunsch, auch andere Bereiche des Alltags gemeinsam zu gestalten, unter anderem beim Schwarzmarkt, einem der ersten Hamburger Alternativprojekte. In einer Selbstdarstellung berichteten die Beteiligten: »Im Januar 1975 fing alles an. Einige Wohngemeinschaften in und um Hamburg wollten mehr zusammen machen als nur zusammenwohnen, wollten nicht nur in der Freizeit zusammen sein, sondern auch bei der Arbeit. Wir wollten uns selbst organisieren, um ein weitgehend ökonomisch unab hängiges, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.«52 Neben einem Info-Zentrum, das nahe der Universität im Keller eines Gründerzeithauses unterkam, entstanden zahlreiche weitere Projekte, von einer Autowerkstatt bis hin zu
49 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 72. 50 Iki Mann, Der Spaziergang des Monats: Entdecken Sie mal Ottensen, in: Szene Hamburg, 1.11.1975, S. 12–15, hier S. 14. 51 Gerhard Kath, Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse der 8. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks im Sommersemester 1976, Frankfurt am Main 1977, S. 175. 52 Schwarzmarkt, Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst, in: Klaas Jarchow (Hrsg.), Dörfer wachsen in der Stadt. Beiträge zur städtischen Gegenkultur, Alpen 1980, S. 196– 201, hier S. 196 f. Zur Alternativbewegung siehe: Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft; Arndt Neumann, Kleine geile Firmen. Alternativprojekte zwischen Revolte und Management, Hamburg 2008; Brand, Aufbruch in eine neue Gesellschaft, S. 154–192.
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einem Entrümpelungsunternehmen. Insgesamt schlossen sich hundert Menschen im Schwarzmarkt zusammen.53 Immer wieder setzten sie sich mit ihren Erfahrungen auseinander, so auch in einem Artikel, der im Jahr 1976 in der linksradikalen Zeitschrift Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft erschien: »Wir suchen nach neuen Formen des Zusammenlebens und der gemeinsamen Arbeit, wenn wir auf dem Land unser Getreide selbst anbauen, den Einkauf gemeinsam organisieren, unsere Fähigkeiten und Materialien gemeinsam austauschen, unsere Fahrzeuge selbst reparieren, unsere Kneipe selbst organisieren und das, was wir schön finden, Stoffpuppen, Teppiche, Töpferwaren etc. selbst herstellen. Denn Arbeiten macht Spaß, wenn ich die Arbeit selbst organisieren, über das Produkt selbst entscheiden und nicht für jemanden, sondern für mich arbeiten kann, wenn die Arbeit nicht fremdbestimmt zum Kapital geformt wird.«54 Trotz aller Widrigkeiten seien sie mit dem Schwarzmarkt diesem Ziel näher gekommen: »Auch wenn die Warengesellschaft uns immer wieder einholt, so sind wir doch nicht der besonderen Brutalität des Fließbandes unterworfen und müssen uns nicht an das Kapital verkaufen, wenn wir nicht in der Fabrik arbeiten und im Entrümplungskollektiv ›Boden und Keller besenrein‹ machen. Wir müssen uns aber immer noch bezahlen lassen, um leben zu können. Als Produzenten von Kunstgegenständen, als Vermittler für indische Tücher und als Reparaturarbeiter sind wir dem kapitalistischen Vermarktungsprozeß unterworfen, allerdings in einer weniger allumfassenden zerstörerischen, einer anachronistischen Stufe.«55 Ihre Projekte begriffen die Beteiligten ausdrücklich als Gegenentwurf zu Industriegesellschaft und moderner Stadt. Im Kleinen wollten sie eine andere Gesellschaft vorwegnehmen. Auch dem Buch »Dörfer wachsen in der Stadt«, in dem im Jahr 1980 Selbstdarstellungen des Schwarzmarktes und anderer Kollektive erschienen, lag dieser Ansatz zugrunde. Der Umschlag des Buches zeigte zwei gegenläufige Zukunftsentwürfe (Abb. 71 und 72)56. Auf der Vorderseite war die Zeichnung eines Altbauviertels zu sehen. Die Jahreszahl 1984, die auf der Fassade des Gründerzeithauses zu erkennen war, hatte hier ihren Schrecken verloren. Aus einem der Fenster hing ein Transparent mit dem Slogan »Gemeinsam sind wir unverträglich«, einer der Bewohner hielt ein Fähnchen mit der Sonne der Anti-AKW-Bewegung in die Luft und im Erdgeschoss hatte ein makrobiotisches Lebensmittelgeschäft eröffnet. Vor der Tür tobten nackte Kinder, ein älteres Paar tanzte über den Bürgersteig und zwei Männer rissen den Asphalt auf, um einen Baum zu pflanzen. Zudem verwies ein kleines Schwein auf das Logo von Netzwerk Selbsthilfe, einer 1978 in Westberlin gegründeten 53 Claus J. Carstensen, Gegenökonomie und Alternativkultur. Eine antagonistische Antwort?, in: Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft 2 (1976) H. 2, S. 9–12, hier S. 9 f. 54 Ebd., S. 10 f. 55 Ebd., S. 11 f. 56 Klaas Jarchow (Hrsg.), Dörfer wachsen in der Stadt. Beiträge zur städtischen Gegenkultur, Alpen 1980, Bucheinband.
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Organisation, die alternative Projekte unterstützte.57 Auch die angrenzende City war nicht wiederzuerkennen. Rund um die Hochhäuser wuchsen Bäume, auf den Flachdächern bewirtschafteten Traktoren neu angelegte Felder und die Grünen waren mit ihrer Parteizentrale eingezogen. Auf der Rückseite des Umschlags stellten die Herausgeber des Buches diesem optimistischen Bild einer grünen Stadt die Schreckensvision eines industrialisierten Dorfes entgegen. Eine Autobahn drängte sich zwischen alte Fachwerkhäuser, mehrere Hochhäuser waren entstanden und im Hintergrund qualmten die Schornsteine der Fabriken. Darunter war in spiegelverkehrter Schrift »Städte wachsen quer durchs Dorf« zu lesen. Anfang der 1980er, so legte die Umschlagsgestaltung nahe, zeichneten sich zwei Alternativen ab, entweder ein Mehr an Industrie, Autobahnen und Hochhäusern oder eine erneute Hinwendung zu Handwerk, Natur und Altbauten. Auf diese Frage gaben die vielen Alternativprojekte eine klare Antwort. »Hamburgs Alternativer Stattführer«, den der Schwarzmarkt herausgab, verzeichnete im Jahr 1980 fast 300 Initiativen, Gruppen und Projekte, unter ihnen Arbeitslosenselbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke, Buchläden, Druckereien, Fahrradwerkstätten, Kneipen, Frauenzentren, Kinderläden, Kinos, Mieterinitiativen, Verlage, Piratensender und Stadtmagazine.58 Gleichzeitig ging der Einfluss der Alternativbewegung weit über die unmittelbar Beteiligten hinaus. Auch in anderen gesellschaftlichen Kreisen entfaltete sie eine immer größere Anziehungskraft. Ihre Ideen und Vorstellungen von einem anderen Leben und Arbeiten stießen auf eine große Offenheit. Darauf wies der Spiegel in einer Titelgeschichte hin, die ebenfalls im Jahr 1980 erschien: »Der Überdruß an der Wohlstandskultur und der Frust in der eintönigen Industrie-Produktion sorgten wohl gleichermaßen dafür, daß sich in den Siebzigern etliche Millionen ganz aus dem Getriebe der westlichen Konsumgesellschaften ausklinkten. Diese Aussteiger – in der Mehrzahl Jugendliche, aber auch erfolgsverwöhnte Ältere – symbolisieren die entschiedenste Form der Abkehr von den gängigen Leistungsnormen. Und wenn sie auch beim ersten Hinsehen vielleicht nur wenig mit jenen zu tun haben, die nur ihre Arbeitszeit ein wenig herabsetzen möchten, so bietet ihre entschiedene Leistungsverweigerung doch das spektakulärste Indiz für die gewandelte Einstellung zur Arbeit.«59 Im Laufe der 1980er setzte sich der Niedergang der Gründerzeitviertel fort. Immer deutlicher waren die Folgen von Containerisierung und Werftensterben zu spüren. Arbeitslosigkeit und Verarmung prägten den Alltag, vor allem auch in St. Pauli. Im Jahr 1987 lebten dort 10,7 Prozent der Menschen von der
57 Netzwerk Selbsthilfe, in: Stattführerkollektiv (Hrsg.), Hamburgs Alternativer Stattführer, Hamburg 1980, S. 394–395. 58 Stattführerkollektiv (Hrsg.), Hamburgs Alternativer Stattführer, Hamburg 1980, S. 396–398. 59 »Einfach mehr Freizeit haben«, in: Der Spiegel, 30.6.1980, S. 36–52, hier S. 44.
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Arbeitslosenunterstützung.60 Weitere 10,7 Prozent bezogen andere staatliche Leistungen wie Sozialhilfe oder BAföG.61 Da die Gesamtzahl der Einwohner drastisch zurückgegangen war, von 43.000 im Jahr 1961 auf 24.000 im Jahr 1987, blieben zudem viele Grundstücke und Häuser ungenutzt.62 Die Zeichen des Verfalls waren unübersehbar. Doch zugleich boten gerade die Leerstände und Brachen Freiräume für alternative Lebensformen, so auch in einigen heruntergekommenen Gründerzeithäusern am Hafenrand. Diese Häuser, die sich im Besitzt der SAGA befanden, hatte das Studentenwerk übergangsweise an Studenten vermietet.63 Als die Nutzung Ende 1981 auslief, zogen andere Jugendliche in die nun leerstehenden Wohnungen. Die Besetzung der Hafenstraße hatte begonnen.64 Ein Videofilm, der im Jahr 1985 unter dem Titel »Terrible Houses in Danger« veröffentlicht wurde, dokumentierte die ersten Jahre der Besetzung. Ausführlich ließ er die neuen Bewohner zu Wort kommen. So erzählte Arne: »Ich gehör’ sicherlich zu den Leuten, die hier mit am längsten wohnen, das heißt jetzt über dreieinhalb Jahre. Ich bin im Dezember ’81 hier eingezogen und das war damals so ’ne Geschichte für mich. Mir war sehr wichtig, dass ich mit vielen Leute zusammenwohne und dass wir auch anders zusammenwohnen, als das in Mietshäusern oder ähnlichen Sachen, selbst wenn es ziemlich korrekte Häuser sind, möglich ist. Kohle hat natürlich auch ’ne Rolle gespielt. Es war auch als Arbeitsloser nicht ganz so einfach, und ist es wohl auch immer nicht, in Hamburg Wohnungen zu kriegen.«65 Und ein anderer Besetzer ergänzte: »Das sind so mehrere Gründe. Einmal, dass hier ziemlich viel Freiraum war, so wie man die Wohnungen halt selber irgendwie aufbauen will. Wenn man kein Bock auf irgend ’ne Wand hat, dann haut man sie halt weg und macht sich ein größeres Zimmer. Zum anderen war es so dieses politische Ding. Es war halt in der Zeit so von den Hausbesetzerszenen.«66 Nachdem die Besetzung zunächst unbemerkt geblieben war, gingen die Jugendlichen im Jahr 1982 an die Öffentlichkeit. In Verhandlungen einigten 60 Statistisches Landesamt Hamburg, Die Hamburger Stadtteile. Teil 1: Bezirk HamburgMitte, Hamburg 1997, S. 38. 61 Ebd. 62 Ebd., S. 8. 63 Terrible Houses in Danger 1981–1985, R: Medienpädagogisches Zentrum Hamburg / Hafenstraße, BRD 1985, TC: 3:09–4:37. 64 Zum Konflikt um die Hafenstraße siehe: Monika Sigmund, Die Hafenstraße und das »Wunder von Hamburg«, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München 2012, S. 264–279; Simone Beate Borgstede, Der Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen. St. Pauli Hafenstraße 1981–1987, in: Das Argument 52 (2010) H. 289, S. 849–858; Monika Sigmund / Marily Stroux, Zu bunt. Wandbilder in der Hafenstraße, Hamburg 1996. 65 Terrible Houses in Danger 1981–1985, TC: 1:33–2:04. 66 Ebd., TC: 2:05–2:21.
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sie sich mit der SAGA auf befristete Mietverträge.67 Bis Ende 1986 sollten sie in ihren Wohnungen bleiben dürfen. Nun begannen die Jugendlichen damit, die baufälligen Häuser zu renovieren. Sie setzten Fenster und Türen ein, verputzten Wände und deckten Dächer. Dabei brachte sie ein Baugerüst, das nach Abschluss der eigentlichen Arbeiten längere Zeit vor einer weiß gestrichenen Brandschutzmauer stand, auf die Idee, dort ein riesiges Wandbild zu malen. Im Jahr 1984 stellten die Besetzer das Zack-Wandbild fertig, das in den kommenden Jahren auf kaum einer Fotografie der Hafenstraße fehlen sollte (Abb. 73)68. Das Wandbild setzte sich aus einer Vielzahl kleinerer Bilder zusammen. Zu sehen war der entführte Hanns-Martin Schleyer, der ein Schild mit der chemischen Formel für LSD in den Händen hielt, die buckelnde Katze der Jobber- und Erwerbsloseninitiativen, das Penny-Schwein, das ein Blaulicht umgeschnallt hatte, der stolpernde Donald Duck und eine Banane, die in eine Deutschlandfahne gehüllt war. Zudem war die Mauer mit unterschiedlichsten Slogans bedeckt, von »Zack« über »Love is a Battlefield« bis hin zu »Kriminelle aller Länder vereinigt euch«. In dieser Collage zeigte sich das Selbstverständnis der Besetzer. Die bunten Farben setzten den grauen Fassaden der Stadt ein anderes Lebensgefühl entgegen, die rotzige Haltung nahm die Einflüsse des Punks auf und der Verzicht auf eine zentrale Forderung versinnbildlichte ihre Unterschiedlichkeit. Unter den mehr als hundert Besetzern waren Studenten und Arbeitslose, Punks und Junkies, Alternative und Autonome.69 Doch so vielfältig sie waren, so entschieden lehnten sie die bestehende Gesellschaft ab. Nichts sollte ihre Selbstbestimmung einschränken. Unterdessen rückte das nördliche Elbufer, und mit ihm der Hang, auf dem die Häuser der Hafenstraße standen, in den Mittelpunkt der städtischen Politik. Entlang eines mehrere Kilometer langen Streifens plante der Oberbaudirektor Egbert Kossak hier die Neubauten der »Perlenkette«70. Insbesondere Unternehmen aus der Medienbranche sollten angezogen werden. Die große wirtschaftspolitische Bedeutung der Perlenkette unterstrich auch der Senat: »Im Rahmen der Standortpolitik des Senats ist die Neuordnung und Attraktivitätssteigerung des nördlichen Elbufers eine der wichtigsten städtebaulichen Aufgaben der Stadt Hamburg.«71 Um diese Neuordnung umzusetzen, schrieb die Baubehörde etliche städtebauliche Wettbewerbe aus, darunter auch einen für den Hafenrand von St. Pauli. Ein Testentwurf aus dem Jahr 1983 steckte den Rahmen ab 67 Michael Herrmann u. a., »Hafenstraße«. Chronik und Analysen eines Konflikts, Hamburg 1987, S. 135. 68 Sigmund / Stroux, Zu bunt, S. 65. 69 Hafenstraße: »Sie sind das C in der SPD«, in: Der Spiegel, 23.11.1987, S. 24–31, hier S. 24 f. 70 Kossak, Hamburger Bauforum 1985, S. 13 f. Zur Perlenkette siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassage und Personal Computer, S. 170–175. 71 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Attraktivitätssteigerung des nördlichen Elbufers von Neumühlen bis Deichtormarkt, Drucksache 11/5217, Hamburg 1985, o. S.
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(Abb. 74)72. Im Vordergrund stand die Umnutzung von brachgefallenen Hafenanlagen. Und da, wo sich die Planungen mit dem Rand des Gründerzeitviertels St. Pauli überschnitten, fügten sich die Neubauten in den Bestand ein. Im Unterschied zu den 1960er spielten Flächensanierungen keine Rolle mehr. Stattdessen ging es nun um »Stadtreparatur«73. Zunächst sollte dies auch für die Häuser der Hafenstraße gelten. Doch innerhalb des Senats setzten sich die Stimmen durch, die in den dort lebenden Punks, Junkies und Autonomen ein Hindernis für die übergeordneten wirtschaftspolitischen Ziele sahen und die deswegen für einen sofortigen Abriss eintraten. Gemeinsam versuchten die Baubehörde, die SAGA und der Bezirk ab 1985 die Bewohner aus den Häusern zu drängen, trotz der noch bestehenden Mietverträge. Angesichts dessen spitzte sich der Konflikt um die Hafenstraße zu. Immer wieder lieferten sich die Besetzer heftige Straßenschlachten mit der Polizei. Gleichzeitig wuchs die Empörung über das Vorgehen des Senats. Nach einem Aufruf des Initiativkreises für den Erhalt der Hafenstraße, in dem sich zahlreiche linke Gruppen und Parteien zusammengeschlossen hatten, gingen Ende 1986 fast 10.000 Menschen auf die Straße.74 Zudem bot eine Vermittlergruppe um den Millionenerben Jan Philipp Reemtsma dem Senat an, die Häuser der Hafenstraße für einen symbolischen Preis zu kaufen. Dennoch scheiterten die Verhandlungen. Vor allem der rechte Flügel der SPD, zu dem neben dem Bausenator Eugen Wagner auch der Innensenator Alfons Pawelczyk gehörte, verweigerte sich jedem Kompromiss. Im November 1987 schien schließlich die Räumung der Hafenstraße kurz bevorzustehen.75 Zu diesem Zweck hatte der Senat 6.000 Polizisten aus dem Bundesgebiet zusammengezogen. Daraufhin begannen die Besetzer meterhohe Barrikaden zu errichten.76 Über einen Piratensender riefen sie Unterstützer dazu auf, zu den Häusern zu kommen. In dieser zugespitzten Situation entschied sich der Bürgermeister Klaus von Dohnanyi gegen eine weitere Eskalation und trat vor die Presse. Wenn die Besetzer die Barrikaden beseitigten, dafür gebe er sein Ehrenwort, schließe er einen Pachtvertrag ab. Dieses Angebot nahmen die Besetzer an. Nachdem sie die Barrikaden abgebaut hatten, unterzeichnete Dohnanyi die Vereinbarung. In einer Erklärung, die ein Sprecher kurze Zeit später im Fernsehen verlas, machte der Initiativkreis für den Erhalt der Hafenstraße deutlich: »Die Hafenstraße ist durchgesetzt. Die Häuser bleiben stehen. Die Bewohnerinnen und Bewohner können hier erst einmal weiterleben. Es ist der Erfolg unseres gemeinsamen langen Kampfes, den die Bewohnerinnen und 72 Baubehörde Hamburg, Städtebaulicher Ideenwettbewerb Hafenrand. Dokumentation, Hamburg 1985, o. S. 73 Architekten-Contor Schäfer + Ferdinand, Städtebaulicher Wettbewerb Hafenrand, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen. Hafenstadt. II . Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 146–147, hier S. 146. 74 Herrmann u. a., »Hafenstraße«, S. 186 f. 75 Hafenstraße: »Sie sind das C in der SPD«, in: Der Spiegel. 76 Ebd., S. 24 f.
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Bewohner im Bündnis mit vielen Organisationen, Menschen und Gruppen wie Kirchen, Jusos, Grün-Alternativen, Kommunisten, Autonomen und Antiimperialistischen Gruppen geführt haben. Was jetzt zustande gekommen ist, wäre schon vor Wochen möglich gewesen. Auch ohne den Aufmarsch von 6.000 Polizisten, die seit Tagen den Stadtteil und die Stadt Hamburg belagern. Es war erst notwendig, mit Barrikaden und vielen Menschen die Entschlossenheit und den Widerstandswillen zur Durchsetzung der Hafenstraße zu demonstrieren.«77 In der Studie »Medienplatz Hamburg«, die Wolfgang Hoffmann-Riem im Jahr 1987 im Auftrag des Senats veröffentlichte, wies er auf die wachsende wirtschaftliche Bedeutung von Zeitschriftenverlagen, Werbeagenturen, Musiklabels und Produktionsfirmen für Film und Fernsehen hin. Insgesamt seien in der Region Hamburg 45.000 Menschen in der Medienbranche beschäftigt.78 Eine Besonderheit der Branche liege darin, dass viele von ihnen bei kleineren Unternehmen oder als Selbstständige arbeiteten. Es gebe allein 7.500 freie Mitarbeiter.79 Hinzu kämen 20.000 weitere, die gelegentlich für die Medienunternehmen tätig seien.80 Und ihre Zahl nehme weiter zu: »Vieles deutet darauf hin, daß die Medienwirtschaft weiter dazu neigen wird, den Bedarf an bestimmten Qualifikationen bzw. an bestimmten Arbeitskräften in besonders hohem Maße durch freie Mitarbeiter zu decken. Die gilt vor allem für den inhaltlich kreativen Bereich. Für die Unternehmen stellen die freien Mitarbeiter ein flexibles und z. T. hochqualifiziertes Arbeitskräftepotential dar.«81 Zunehmend bestimmten diese freien Mitarbeiter, und nicht mehr die Zulieferbetriebe der Großwerften, die Arbeitswelt der Gründerzeitviertel. Zahlreiche Grafikdesigner, Journalisten und Kameraleute entschieden sich nun dafür, sich dort ein eigenes Büro aufzubauen. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich dabei leerstehende Fabrikgebäude, darunter auch das der Schiffsschraubenfabrik Zeise in Ottensen.82 In einer der ehemaligen Fabrikhallen, die das Architekturbüro me di um im Auftrag eines privaten Investors umgebaut hatte, eröffnete im Jahr 1987 das »Medienhaus«83. Anlässlich der Einweihung, zu der auch der Bürger77 Irgendwie Irgendwo Irgendwann 1986–1987, R: Medienpädagogisches Zentrum Hamburg / Hafenstraße, BRD 1988, TC: 39:59–40:41. 78 Hoffmann-Riem, Medienplatz Hamburg, S. 45. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Medienbranche für Hamburg siehe auch Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 170–176. 79 Hoffmann-Riem, Medienplatz Hamburg, S. 61 f. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 64. 82 Zur Umnutzung der Zeise-Fabrik siehe: Mahn, Propeller des Fortschritts, S. 69–71; Meyhöfer, Hamburg, S. 202–203; Dirk Meyhöfer, Werkstatt oder Verlagsmaschine? Medienbauten, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1985–2000, Hamburg 1999, S. 94–111. 83 Dirk Meyhöfer, Eisen und Stein. Medienhaus Altona / Restaurant Eisenstein, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch ’89, Hamburg 1989, S. 50–57, hier S. 57.
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meister Klaus von Dohnanyi anwesend war, schrieb das Hamburger Abendblatt: »Das Wahrzeichen des neuen Hamburger Medienhauses ist ein Schornstein. Unsichtbar von der eleganten Vorderfront des Gebäudes, ragt er fast ein wenig verschämt im Hinterhof in den Ottensener Himmel – ein Symbol jener Zeiten, als Hamburg noch wie Hafen buchstabiert wurde und in der Friedensallee 14 bis 16 Schiffsschrauben statt Filme entstanden. Diese Zeiten sind lange vorbei. ›Medien-Software‹ heißt das neue Zauberwort, mit dem der lahmenden Wirtschaft der Hansestadt wieder auf die Beine geholfen werden soll. In diesem Sinn fügt sich das Gebäude der ehemaligen Schiffsschraubenfabrik Theodor Zeise nahtlos in die Standortpolitik des Senats ein. ›Small is beautiful‹ könnte als Motto über dem Haus stehen, das ›zwischen 14 und 17 Firmen‹ der Medienbranche beherbergt – je nachdem, ob man Fotografen, Journalisten und Filmemacher nun als Einmann-Betriebe rechnet.«84 Gerade die Kleinteiligkeit und das enge Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten, das die Gründerzeitviertel seit jeher geprägt hatte, machten nun deren abermalige Attraktivität aus. Beide entsprachen den Anforderungen eines neuen Arbeitsalltags. Zum einen waren die freien Mitarbeiter als Einmann-Betriebe auf kleine Büroräume angewiesen. Zum anderen vermischte sich bei ihnen fortwährend Berufliches und Privates. Ihre Aufträge erhielten sie nicht mehr von Vorgesetzten, sondern vielfach von Bekannten und Freunden, und wenn es viele Projekte gab, dann arbeiteten sie auch an Abenden und Wochenenden. Die damit verbundenen Ansprüche schlugen sich auch in der Umnutzung der Zeise-Hallen nieder. Neben Büroräumen entstanden hier neue Wohnungen und vor allem neue Restaurants, die von vornherein auch auf zwangloses Weiterarbeiten und geschäftliche Kontaktpflege ausgerichtet waren. Knapp ein Jahrzehnt nach dem Konkurs der Schiffsschraubenfabrik gab es in den Zeise-Hallen bereits drei verschiedene Restaurants, die Filmhauskneipe, das Leopold und das Eisenstein. Insbesondere das 1988 eröffnete Eisenstein, dessen Gestaltung auf Entwürfen des Architekturbüros me di um beruhte, entwickelte sich schnell zu einem wichtigen Treffpunkt.85 Auch das Hamburger Abendblatt berichtete ausführlich. Eine große Fotografie, die den Artikel illustrierte, zeigte den Innenraum des Restaurants (Abb. 75)86. Vor einem gemauerten Schornstein, auf dem das jahrzehntlange Gießen von Schiffsschrauben tiefe Spuren hinterlassen hatte, saßen modisch gekleidete Gäste an weiß gedeckten Tischen. Darunter war zu lesen: »Vor einem stillgelegten Ofen und neben Stützpfeilern, an denen vertikale Leuchtröhren die Höhe des Saales betonen, läßt sich trefflich über Postmoderne und postindustrielle Gesellschaft philosophieren, bei Entenbrust
84 Jens Glüsing, Es fehlen nur noch Parkplätze, in: Hamburger Abendblatt, 6.10.1987, S. 11. 85 Meyhöfer, Eisen und Stein, S. 50. 86 René Gralla, Herr E. und die Paradiesvögel der Postmoderne, in: Hamburger Abendblatt Journal, 23.7.1988, S. 6.
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mit R ahmpfifferlingen und Rösti (28 Mark), dazu ein Weißwein Pouilly-Fuissé (G. Dubœuf 1986)«.87 Gegen Ende der 1980er traten in den Gründerzeitvierteln die sozialen Unterschiede immer deutlicher hervor.88 Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Drogensüchtigen standen gutverdienende Beschäftigte der Medienbranche gegenüber. Angesichts dessen nahmen die Spannungen zu. Insbesondere die neuen Restaurants galten nun als Zeichen eines sich ankündigenden Umbruchs. In einem Flugblatt, das dazu aufrief, das Restaurant Eisenstein zu besetzen, hieß es im Jahr 1988: »Eine bestimmte Sorte moderner Unternehmen soll in unser Viertel gelockt werden, z. B. ›Neue Medien‹ Betriebe, Mikroelektronik; kurz ›High-Tech-Betriebe‹, in denen wenige Menschen beschäftigt werden, aber viel Kapital steckt. Es werden dort keine normalen Arbeiter mehr benötigt, sondern ›Young Urban Professionals‹ (kurz: Yuppies). Andere, hier alteingesessene Menschen werden vertrieben. Dieser Vorgang nennt sich ›soziale Entmischung‹, das bedeutet Vertreibung der Ausländer, Alten, Arbeitslosen und all derer, die der Standortpolitik im Wege stehen. Sie werden funktions- und erwerbslos, verarmen und werden in die Sozialbausilos am Stadtrand abgedrängt.«89
87 Ebd. 88 Zu den Anfängen der Gentrifizierung in Hamburg siehe: Ingrid Breckner, Urban Poverty and Gentrification. A Comparativ View on Different Areas in Hamburg, in: HansChristian Petersen (Hrsg.), Spaces of the Poor. Perspectives of Cultural Sciences on Urban Slum Areas and Their Inhabitants, Bielefeld 2013, S. 193–208; Carl-Heinrich Busse, Gentrification. Stadtteile im Konflikt – Beispiele aus Hamburg, in: Jörg Blasius / Jens S. Dangschat (Hrsg.), Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel, Frankfurt am Main 1990, S. 196–212; Jens S. Dangschat / Jürgen Friedrichs, Gentrification in der inneren Stadt von Hamburg. Eine empirische Untersuchung des Wandels von drei Wohnvierteln, Hamburg 1988. 89 Archiv der Sozialen Bewegungen, Oh, Protest jetzt in Ottensen, Hamburg 1988.
5. Der Strukturbruch
Nach 1973 geriet die fordistische Stadt ins Wanken. Das relative Gleichgewicht gegeneinander wirkender Kräfte, auf dem diese räumliche Ordnung der Arbeitswelt beruht hatte, begann sich aufzulösen. Manche Kräfte schwächten sich ab, andere kamen neu hinzu. Immer tiefere Risse durchzogen nun die verschiedenen städtischen Räume und die damit verbundenen Arbeitswelten. Bis hin zu dem Punkt, an dem die bestehende Ordnung zerbrach. Es kam zu einem »Strukturbruch«1. Daran schloss sich eine Zeit der Krise an, die bis Ende der 1980er andauerte. Diesen Jahren des Übergangs, in denen die alte Ordnung zerfallen und die neue sich noch nicht verfestigt hatte, wendet sich das zweite Zwischenkapitel zu. Ausgangspunkt sind dabei die sieben Dimensionen der fordistischen Stadt: 1. die internationale Arbeitsteilung, 2. die industrielle Produktion, 3. die Rationalisierung, 4. die Zentralisierung, 5. die Trennung von Arbeit und Leben, 6. der Status der Lohnarbeit und 7. die Suburbanisierung. Nicht nur die Zeit des Booms, so die grundsätzliche Annahme der folgenden Ausführungen, sondern auch die Zeit der Krise lässt sich entlang dieser Dimensionen fassen. Zu 1: Im Zuge der weltwirtschaftlichen Umbrüche, die in den 1970ern einsetzten, verloren die westlichen Industrieländer erheblich an Kraft. Zunehmend verlagerten sich die globalen Schwerpunkte, vor allem mit dem OPEC-Boykott von 1973 und der Iranischen Revolution von 1979. Während sich die Terms of Trade deutlich zugunsten der erdölproduzierenden Länder verbesserten, fand in Westeuropa und den USA die Zeit des preisgünstigen und unbegrenzt verfügbaren Erdöls ein abruptes Ende. Eine der zentralen Grundlagen des Booms brach weg. Auch für den Hamburger Hafen hatte dies schwerwiegende Folgen. Der Massengutumschlag, der bis 1973 im Zentrum der Hafenentwicklung gestanden hatte, verlor immer mehr an Bedeutung.2 Da der Import von Erdöl, und mit ihm der Import von Erzen, weit hinter den Erwartungen zurückblieb, gerieten die Hafenerweiterungen ins Stocken. Schließlich stoppte der Senat im Jahr 1979 die Vorarbeiten für den Tiefwasserhafen Neuwerk. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich bei den Industrieansiedlungen, die eng an den Umschlag von Erdöl und Erzen gekoppelt waren.3 Nur mit hohen Subventionen war es der Wirtschaftsbehörde gelungen, Industriebetriebe wie die Reynolds-Aluminiumfabrik im Hafengebiet anzusiedeln. Doch die erhoffte »Initialzündung«4 blieb aus.
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Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 29. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 140–146. Siehe ebd., S. 132–134. Treten Sie ab, Herr Bürgermeister, in: Der Spiegel, S. 57.
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Gegen Ende der 1980er spielten Massengutumschlag und Schwerindustrie für den Hamburger Hafen keine größere Rolle mehr. Auch für den Schiffbau stellten die drastisch steigenden Erdölpreise einen tiefen Einschnitt dar.5 Während des Booms hatten die westlichen Erdölkonzerne, die ein beständiges Wachstum des Erdölverbrauchs erwarteten, immer größere Supertanker bauen lassen. Als sie nun fast keine neuen Aufträge mehr vergaben, stürzte dies den westdeutschen Schiffbau und mit ihm die Hamburger Werften in eine tiefe Krise. Zugleich gingen die Folgen der Erdölpreisschocks weit über den Hafen hinaus. Der Niedergang der Großwerften erfasste die Zulieferbetriebe, von denen viele ihren Sitz in den Gründerzeitvierteln hatten. Die Cityerweiterungen der 1980er waren nicht länger auf die Großverwaltungen der Erdölkonzerne ausgerichtet.6 Und die Abwanderung in die Einfamilienhausgebiete am Stadtrand, die immer auch auf kostengünstigem Erdöl beruht hatte, verlangsamte sich deutlich.7 Neben dem Aufstieg der erdölproduzierenden Länder war die Entstehung neuer industrieller Zentren ein weiterer wesentlicher Umbruch, der die Weltwirtschaft in den 1970ern und 1980ern kennzeichnete. Zu diesem Umbruch, der ebenfalls zu Lasten der westlichen Industrieländer ging, trugen zwei gegenläufige Entwicklungen bei. Zum einen verlagerten westliche Konzerne ihre Produktionsstandorte in Länder des globalen Südens. Zum anderen entstanden dort neue, staatlich geförderte Unternehmen, vor allem in Ostasien. Trotz aller Unterschiede hatten beide Entwicklungen eine gemeinsame Ursache. Angesichts der Stärke der westlichen Arbeiterbewegung hatte sich ein globales Lohngefälle herausgebildet, das zu erheblichen Kostenvorteilen in südlichen Ländern führte. Dieses Ungleichgewicht wurde durch die neuen sozialen Bewegungen weiter verstärkt. In dem Maße, in dem es der Umweltschutzbewegung gelang, schärfere Gesetze durchzusetzen, entstand auch beim Umweltschutz ein globales Gefälle. In diese weltwirtschaftliche Neuordnung fügten sich die Veränderungen im Hamburger Hafen ein. Insbesondere die Reedereien gehörten dabei zu den Schrittmachern.8 Als Reaktion auf die sich ausbreitenden Arbeitskämpfe flaggten sie weite Teile ihrer Flotte aus und ersetzten westdeutsche durch deutlich schlechter bezahlte asiatische Matrosen. Während sie so die Forderung nach höheren Löhnen ins Leere laufen ließen, verblieben die Unternehmenssitze in Hamburg. Die westliche Dominanz bestand fort. Vollkommen anders verlief die Entwicklung im Schiffbau.9 Hier mussten die Hamburger Werften mit neuen Schiffbaukonzernen, die sich in Japan und Südkorea etabliert hatten, um die wenigen verbliebenen Aufträge konkurrieren. Wegen der deutlich niedrigeren Löhne, welche die neuen Wettbewerber zahlten, blieb dies vielfach vergeblich. 5 6 7 8 9
Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 137–140. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 170–173. Siehe Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 184–186. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 129–132. Siehe ebd., S. 137–140 und S. 146–150.
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Zunehmend verlagerte sich der weltweite Schwerpunkt des Schiffbaus nach Ostasien. Demgegenüber wurden in Hamburg kaum noch neue Schiffe gebaut. Das »Werftensterben«10 begann. Zugleich waren die neuen industriellen Zentren auch eine der maßgeblichen Ursachen dafür, dass die Ansiedlung von Großbetrieben der Schwerindustrie scheiterte. Der »Zug ans Meer«11, den die Wirtschaftsbehörde bis in die frühen 1970er erwartet hatte, blieb in den Anfängen stecken. Statt vom Ruhrgebiet an die Elbe verlagerte sich die Schwerindustrie von Westeuropa nach Ostasien. Aber der weltwirtschaftliche Wandel stürzte nicht den gesamten Hamburger Hafen in die Krise. Seit dem Ende der 1960er stieg der Containerumschlag beständig an.12 Zahlreiche neue Containerterminals entstanden. Damit rückte der Stückgutumschlag, der während des Booms nur noch eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, erneut in das Zentrum der Hafenentwicklung. Allerdings unter grundsätzlich veränderten Bedingungen. Die sinkenden Kosten des Containerumschlags trugen maßgeblich zu einer »Internationalisierung der Produktion«13 bei. Immer mehr richtete sich der Stückgutumschlag dabei auf die neuen industriellen Zentren in Ostasien aus. Vor diesem Hintergrund veränderten sich die Handelsströme, die durch den Hafen flossen. Der Ausfuhr von Industrieprodukten stand nicht länger die Einfuhr von Rohstoffen gegenüber. Stattdessen dominierten Industrieprodukte jetzt auch den Import. Gegen Ende der 1980er bestimmte die internationale Arbeitsteilung, die auf der Unterordnung der Rohstofflieferanten des Südens unter die Industrieproduzenten des Nordens beruht hatte, nicht länger die Stellung Hamburgs in der Weltwirtschaft. Zu 2: Der enge Zusammenhang von Industrialisierung und Verstädterung, der Hamburg seit dem späten 19. Jahrhundert geprägt hatte, löste sich nach 1973 mehr und mehr auf. Die riesigen Hafen- und Industriegebiete, die im Zentrum der Stadt entstanden waren, schrumpften in sich zusammen.14 Innerhalb des Hafens breiteten sich große Brachflächen aus. Zudem schränkte der Hafengebietsplan des Jahres 1982 die Erweiterungsflächen erheblich ein. Kaum jemand rechnete mehr mit einem erneuten Wachstumsschub. Gleichzeitig vollzogen sich auch innerhalb des noch genutzten Hafengebiets tiefgreifende Umbrüche. Mit dem Rückgang des Massengutumschlags, den gescheiterten Industrieansiedlungen und dem Werftensterben verlor die Industrie ihre einst zentrale Stellung. Demgegenüber rückte mit dem Containerumschlag auch die Logistik, die auf dem Einsatz neuer Informationstechnologien beruhte, in den Mittelpunkt der Entwicklung. Erst die »Informationskette«, welche die »Transportkette« ver-
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Schatten über der Messe, in: Hamburger Abendblatt, S. 16. Bremke, Ein Hafen im Meer, S. 27. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 141–143 und S. 152–154. Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft, S. 13. 14 Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 140–146.
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doppelte, ermöglichte eine präzise Steuerung der globalen Warenflüsse.15 Nicht mehr die Koppelung von Massengutumschlag und Schwerindustrie, sondern die von Stückgutumschlag und Dienstleistung bestimmte jetzt den Hafen. In diesen übergreifenden wirtschaftlichen Wandel fügte sich die wachsende Bedeutung des Flugzeugbaus ein.16 Für diese wissensintensive Industrie spielten Dienstleistungen von Anfang an eine bedeutende Rolle. So trug die Gründung der Technischen Universität Hamburg-Harburg maßgeblich dazu bei, dass sich Hamburg als Standort der westeuropäischen Flugzeugindustrie etablieren konnte. Nach 1973 prägten Dienstleistungen zunehmend die Wirtschaft Hamburgs. Damit änderte sich die Stellung, welche die City im städtischen Gefüge einnahm. Schon während des Booms war sie über die Wallanlagen hinausgewachsen. Doch seit den 1980ern richteten sich die Cityerweiterungen auf die Hafen- und Industriebrachen, die im Zentrum der Stadt entstanden waren. Deren Umnutzung war der Ausgangspunkt der Perlenkette, die der Senat seit den 1980ern plante.17 Am nördlichen Elbufer, das während des Booms ein wichtiger Bestandteil des Hafens gewesen war, sollten zahlreiche Bürogebäude entstehen, unter anderem das neue Verlagsgebäude von Gruner + Jahr. Die Grenzen zwischen City und Hafen begannen sich zu verschieben. Aber auch innerhalb des Dienstleistungsbereichs vollzogen sich grundsätzliche Veränderungen. Darauf verwies die zentrale Rolle, die Verlagsbauten für die Perlenkette spielten. Während Verwaltungen von Industriekonzernen ihre dominierende Stellung verloren, gewann die Medienbranche erheblich an wirtschaftlichem Gewicht, von Zeitungsverlagen über Werbeagenturen bis hin zu Produktionsfirmen für Film und Fernsehen.18 Für diese Medienunternehmen kam der industriellen Massenfertigung nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu. Stattdessen richtete sich ihr Fokus auf Wissen, Image und Lifestyle. Aus der Hafen- und Industriestadt war eine »Medienstadt«19 geworden. Zusammen mit dem Hafen und der City veränderten sich auch die Gründerzeitviertel. Erneut überlagerten sich die verschiedenen Umbrüche. Zum einen kam es, ebenso wie im Hafen, zu einer umfassenden Deindustrialisierung.20 Insbesondere der Niedergang der Großwerften riss viele Zulieferer mit sich. Immer mehr Fabrikgebäude standen leer. Zum anderen gewann der Dienstleistungsbereich erheblich an Bedeutung.21 Zahlreiche kleinere Unternehmen, die den großen Medienkonzernen in der City zuarbeiteten, siedelten sich an. Besonders brachgefallene Fabrikgebäude erfreuten sich großer Beliebtheit, unter ihnen die 15 Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft, S. 23. 16 Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 150–152. 17 Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 170–173. 18 Siehe ebd., S. 171–176. 19 Coop Himmelb(l)au, Skyline (1985), S. 53. 20 Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 202 f. 21 Siehe ebd., S. 212–214.
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Zeise-Hallen, in denen ein »Medienhaus«22 an die Stelle einer »Spezialfabrik für Schiffsschrauben«23 trat. Das Leben und Arbeiten im Zentrum der Stadt wurde nicht länger durch die Industrie bestimmt. Deren schwindende Bedeutung zeigte sich auch darin, dass die standardisierte Massenproduktion ihre vereinheitlichende kulturelle Kraft verlor. Noch während des Booms hatte der Massenkonsum den Alltag bestimmt. Doch in dem Maße, in dem Werbung, Image und Lifestyle an Einfluss gewannen, vervielfältigten sich die Konsumstile. Gerade die Warenhäuser, deren Aufstieg eng mit dem Massenkonsum verbunden war, stürzte dies in eine schwere Krise.24 Ihr Anspruch, alles »unter einem Dach«25 zu verkaufen, entsprach immer weniger den Erwartungen der Kunden. Vor diesem Hintergrund erlebten die Passagen eine unerwartete Renaissance.26 Im Unterschied zu den Warenhäusern waren die neuen Passagen, die seit dem Ende der 1970er in der Hamburger Innenstadt entstanden, nicht durch einen einheitlichen Verkaufsraum geprägt. Für die Vielzahl der Konsumstile gab es jetzt eine Vielzahl von kleineren Geschäften. Der Lifestyle-Konsum hatte seine räumliche Entsprechung gefunden. Auch in einer weiteren Hinsicht befanden sich die Passagen im Zentrum der kulturellen Umbrüche. So gehörte die Galleria Passage zu den wichtigsten postmodernen Bauten Hamburgs. Die Architektur der Postmoderne war nicht nur ein Gegenentwurf zu jener der Moderne. Zugleich beruhte sie auf der ausdrücklichen Ablehnung der industriellen Massenproduktion.27 Diese Haltung, die viele Architekten in den 1970ern und 1980ern einnahmen, zeigte sich auf verschiedenen Ebenen. Dem Auto, und damit dem industriellen Massenprodukt schlechthin, setzte die neue Generation von Architekten den »Flaneur«28 entgegen. Für ihn schufen sie Plätze und Passagen. An die Stelle der Fließbandfertigung von Betonfertigteilen trat für sie das Handwerk. Erneut prägte Backstein die Fassaden. Statt auf die Nüchternheit der Industrie vertrauten sie auf »Kreativität und Phantasie«29. Und schließlich brachen sie mit einer Vorstellungswelt, die sich als Glaube an die Modernisierung fassen lässt. Die Ausrichtung auf industrielles Wachstum, lineareren Fortschritt und einen vereinheitlichten Raum wiesen die postmodernen Architekten entschieden zurück. Demgegenüber faszinierte es sie, räumliche und zeitliche Ordnungen zu vervielfältigen. Ausgehend davon wandten sie sich der Vergangenheit zu. Sie zitierten historische Baustile, beschäftigten sich mit dem Denkmalschutz und traten für die Umnutzung von alten Fabrikgebäuden ein. Dieser Ansatz lag 22 Meyhöfer, Eisen und Stein, S. 57. 23 Theodor Zeise GmbH & Co., 100 Jahre Theodor Zeise Hamburg Altona. Spezialfabrik für Schiffsschrauben, Darmstadt 1968. 24 Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 164 f. 25 Rollband, in: Hamburger Abendblatt, S. 5. 26 Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 164–167. 27 Siehe ebd., S. 162–167. 28 Passagen in Hamburg, in: Bauwelt, S. 1768. 29 Kossak, Hamburger Bauforum 1985, S. 14.
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auch dem Restaurant Eisenstein zugrunde, das gegen Ende der 1980er in den Zeise-Hallen eröffnete.30 Vor allem die vielfältigen Bezüge auf die Industrie stachen hervor, von dem Namen Eisenstein bis hin zu den rußgeschwärzten Wänden. Aber die Industrie, und dies war der entscheidende Unterschied zur modernen Architektur, stand nicht länger für die Zukunft. Sie war ein Überbleibsel einer untergegangenen Welt. Oder anders formuliert: Der postmoderne Blick auf verfallende Fabrikgebäude glich dem romantischen auf Burgruinen. Zu 3: Die Fließbandfertigung, auf die in den 1960ern weite Teile der Arbeitswelt ausgerichtet waren, verlor in den folgenden beiden Jahrzehnten massiv an Bedeutung. Wesentlichen Anteil daran hatte eine allgemeine Krise der Arbeitsmoral, die sowohl Arbeiter als auch Angestellte erfasste. In den Fabrikhallen und Büros liefen die Rationalisierungsmaßnahmen immer häufiger ins Leere. Mit besonderer Deutlichkeit zeigte sich dies in der City Nord, deren neue Verwaltungshochhäuser durch Großraumbüros geprägt waren.31 Während des Booms galten diese den Planern als Büros der Zukunft. In ihnen sahen sie die Möglichkeit, die Kosten der Büroarbeit dauerhaft zu senken. Doch das Gegenteil trat ein. Die ablehnende Haltung der Angestellten führte zu einem massiven Einbruch der Produktivität. Angesichts dessen wandten sich die Unternehmensleitungen von den Großraumbüros ab. Einer der zentralen Ansätze zur Rationalisierung der Büroarbeit war gescheitert. Gleichzeitig, doch zunächst unabhängig davon, begannen auch in Hamburg kleine gegenkulturelle Gruppen mit neuen Formen des Arbeitens und Lebens zu experimentieren.32 Zentraler Ausgangspunkt war eine radikale Kritik der »Fabrikgesellschaft«33. Vor allem die Fremdbestimmung und Monotonie der Fließbandarbeit lehnten sie entschieden ab. Stattdessen wandten sie sich handwerklichen Traditionen zu. Nicht die immer gleichen Routinetätigkeiten, sondern selbstbestimmte und vielfältige Arbeitsschritte sollten ihren Alltag prägen. Um dies zu verwirklichen, schlossen sich junge Erwachsene in Alternativprojekten zusammen, gerade auch in den Gründerzeitvierteln. Aber die Bedeutung der Alternativbewegung ging weit darüber hinaus. Bis in die gesellschaftliche Mitte hinein entfaltete sie eine große Anziehungskraft. Diese Attraktivität, und das ist der entscheidende Punkt, lässt sich nicht erklären, ohne die allgemeine Krise der Arbeitsmoral in den Blick zu nehmen. Weiter verstärkt wurde der Niedergang der Rationalisierung dadurch, dass die Routinetätigkeiten, die während des Booms den Arbeitsalltag bestimmt hatten, ihre zentrale Stellung verloren. Deren Umfang verringerte sich drastisch. Neben der Verlagerung der Industrieproduktion nach Ostasien trug vor allem die Automatisierung dazu bei, von der Containerisierung des Stückgutumschlags
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Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 212–214. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 157–159. Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 206–208. Carstensen, Gegenökonomie und Alternativkultur, S. 9 f.
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bis hin zum Einsatz rechnergesteuerter Maschinen in den Fabrikhallen.34 Angesichts dessen schnellte unter ungelernten Arbeitern die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Aber auch in den Verwaltungen übernahmen Computer immer häufiger die dort anfallenden Routinetätigkeiten.35 In dem Maß, in dem sich Bildschirmarbeitsplätze verbreiteten, verrichteten Sachbearbeiter und leitende Angestellte die Schreibarbeiten wieder selbst. Das neue Ideal des »textverarbeitenden Managers«36 entstand. Demgegenüber schrumpften die Schreibbüros, in denen weibliche Angestellte im Akkord arbeiteten, in sich zusammen und verschwanden schließlich ganz. Während einfache Arbeiten stetig an Bedeutung verloren, rückten im Laufe der 1980er kreative Tätigkeiten in den Mittelpunkt der Arbeitswelt. Die Logistik verarbeitete Informationen, der Flugzeugbau setzte wissenschaftliche Erkenntnisse um und die Medienbranche schuf Wissen, Image und Lifestyle. Immer häufiger war jetzt von »Kreativität und Phantasie«37 die Rede. Damit veränderten sich auch die Anforderungen an die Arbeitsorganisation. Nun stellte sich die Frage, welches Arbeitsumfeld neue Ideen ermöglichte. Für diese Frage hatten die Antworten, welche die Rationalisierung im Hinblick auf eine effiziente Organisation von Routinetätigkeiten gefunden hatte, kaum noch Bedeutung. Stattdessen erwies sich die Alternativbewegung als ein wegweisendes Experimentierfeld. Gerade wegen ihrer Rückbesinnung auf die Vergangenheit des Handwerks gewann sie für die Zukunft der Arbeit an Bedeutung. Nicht zufällig zog es viele kleinere Medienunternehmen in die Hochburgen der Gegenkultur, die Gründerzeitviertel. Zu 4: Bis in die frühen 1970er prägten Großtechnologien, wirtschaftliche Konzentration und umfassende staatliche Planung die Entwicklung Hamburgs. Alles wurde immer größer. Doch in den folgenden Jahrzehnten kehrte sich diese Tendenz um. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dies in dem Scheitern der Großprojekte.38 Die meisten der Planungen, welche die Stadt kurz vor Ende des Booms aufgenommen hatte, schlugen fehl. Der Tiefwasserhafen Neuwerk wurde ebenso wenig verwirklicht wie die Großsiedlung Billwerder-Allermöhe und die riesigen Hochhauskomplexe des Alsterzentrums. Diese Vorhaben fanden keine Fortsetzung. Die 1980er waren ein Jahrzehnt ohne neue Großprojekte. Wesentlichen Anteil daran hatten die neuen sozialen Bewegungen. Nach 1968 bestimmte der Widerstand gegen die Zentralisierung mehr und mehr die politische Auseinandersetzung, von der Anti-AKW-Bewegung, in der sich Bauern und Studenten der Ansiedlung industrieller Großbetriebe widersetzten, bis hin zur Hausbesetzerbewegung, in der Jugendliche gegen den Abriss von Altbauten 34 35 36 37 38
Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 141–143 und S. 146–150. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 167–170. Schroeders / Vogt, Bauliche und räumliche Auswirkungen, S. 11 f. Kossak, Hamburger Bauforum 1985, S. 14. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 132–137 und S. 143 f., Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 177–179 sowie Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 198 f.
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kämpften.39 Zudem zeigte sich gerade hier der enge Zusammenhang zwischen dem Aufbruch von 1968 und der Postmoderne.40 Sowohl die neuen sozialen Bewegungen als auch die neue Generation von Architekten wandte sich von großen Zukunftsentwürfen ab. Statt für Großsiedlungen und Flächensanierungen begeisterten sie sich jetzt für die Kleinteiligkeit der Gründerzeitviertel. Auch wirtschaftliche und technologische Umbrüche führten dazu, dass die Zentralisierung an Kraft verlor, vor allem im Hafen. In den Jahrzehnten des Booms hatten die internationalen Erdölkonzerne dessen Ausbau vorangetrieben.41 Die immer größeren Supertanker, die sie in Auftrag gaben, hatten immer größere Werft- und Hafenanlagen notwendig gemacht. Nach den Erdölpreisschocks brach diese Entwicklung ab. An die Stelle der Supertanker traten die Containerschiffe, mit deutlich ambivalenteren Folgen.42 Auf der einen Seite war der Containerumschlag ebenfalls durch immer größere Schiffe, Hafenanlagen und Unternehmen geprägt. Auf der anderen Seite schufen Containerumschlag und Logistik die Vorrausetzung dafür, dass die industrielle Produktion ausgelagert werden konnte. Der Zentralisierung im Stückgutumschlag stand das Outsourcing in anderen Wirtschaftsbranchen gegenüber. In eine ähnliche Richtung wiesen auch die Umbrüche, die sich seit den späten 1970ern innerhalb der Computertechnologie vollzogen. Mit dem Personal Computer, der den Großcomputer ablöste, kehrte sich die technologische Entwicklung um.43 Größe war nicht länger gleichbedeutend mit Effizienz. Dezentralisierung und Verkleinerung gewannen an Gewicht, mit tiefgreifenden Folgen, gerade auch für die Arbeitsorganisation im Dienstleistungsbereich. Hier schuf der Personal Computer die Voraussetzung dafür, dass immer mehr Aufgaben an kleinere Unternehmen vergeben werden konnten. Damit endete das Wachstum der Unternehmensverwaltungen und mit ihm das der Bürogebäude. Der Maßstabssprung zwischen den Kontorhäusern der Innenstadt und den Hochhäusern der City Nord fand keine Fortsetzung. Stattdessen begannen die Bürogebäude zu schrumpfen. Weiter verstärkt wurde dieser Umbruch dadurch, dass neue Branchen an Bedeutung gewannen. Im Unterschied zu den Großverwaltungen der Erdölindustrie, denen die weiträumige City Nord entsprach, war die Medienbranche durch eine Vielzahl von freien Mitarbeitern geprägt, für welche die eng bebauten Gründerzeitviertel attraktiv waren. Aber auch die wenigen großen Medienkonzerne wollten nicht länger groß wirken. Ausdrücklich orientierte sich der neue Verlagsbau von Gruner + Jahr an der Kleinteiligkeit der Gängeviertel.
39 Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 134–137 sowie Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 208–212. 40 Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 199–202 und S. 212–214. 41 Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 137–140. 42 Siehe ebd., S. 140–143 und S. 152–154. 43 Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 167–170.
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Schließlich trug auch die Krise der staatlichen Planung dazu bei, dass die Zentralisierung ihre prägende Kraft verlor.44 Dabei überlagerten sich verschiedene Entwicklungen. Die Erdölpreisschocks sorgten für eine zunehmende Un sicherheit und stellten so Vorhaben, die auf langfristigen Zukunftserwartungen beruhten, grundsätzlich in Frage. Die wachsenden Haushaltsdefizite schränkten die staatliche Handlungsfähigkeit erheblich ein. Und mit jedem weiteren gescheiterten Großprojekt verstärkte sich die Skepsis. Angesichts dessen verloren umfassende staatliche Planungen weitgehend an Bedeutung. An ihre Stelle traten Improvisation und vorsichtiges Vorantasten. Besonders deutlich zeigte sich dies in den Gründerzeitvierteln, in denen die »Stadterneuerung in kleinen Schritten«45 die großangelegten Flächensanierungen ablöste. Zu 5: Während des Booms hatten klare Trennungen die räumliche Ordnung der Arbeitswelt gekennzeichnet, zwischen Arbeit und Leben, zwischen den Funktionen der Stadt und zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit. Doch im Laufe der 1970er und 1980er wurden die einst klaren Grenzen immer durchlässiger. Erneut gehörten die Alternativprojekte, in denen sich junge Erwachsene zusammenschlossen, zu den wichtigsten Experimentierfeldern. Sie unterschieden nicht zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit, sie entdeckten die Gründerzeitviertel neu und sie verbanden Berufliches und Persönliches. Auch während der Arbeit war Platz für freundschaftliche Beziehungen. Denn Arbeit sollte vor allem »Spaß«46 machen. Dieser Ansatz machte die Alternativprojekte zu einem wichtigen Vorläufer einer neuen Arbeitsorganisation. Gerade die strikte Trennung von Arbeit und Leben hatte dazu beigetragen, dass sich in den Fabrikhallen und Büroräumen Eintönigkeit und Langeweile ausbreiten konnten. Mit dem Persönlichen sollte nun die Freude an der Arbeit zurückkehren. Zugleich zielte die neue Offenheit auf ein Arbeitsumfeld ab, das Kreativität ermöglichte. Im Hinblick auf Routinetätigkeiten hatten absichtslose Begegnungen und ungeordnete Kommunikationswege Störungen des reibungslosen Ablaufes dargestellt. Für eine Arbeitsorganisation, in deren Mittelpunkt kreative Tätigkeiten standen, waren sie ein möglicher Ausgangspunkt für neue Ideen. Gerade das Zufällige sollte die Kreativität befördern. In der Medienbranche setzten sich die Veränderungen besonders schnell durch.47 Im neuen Verlagsgebäude von Gruner + Jahr waren die Flure nicht mehr darauf ausgerichtet, kurze und effiziente Wege zu den jeweiligen Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Stattdessen gestalteten die Architekten sie als Straßen und Plätze. Ebenso wie die Stadt sollte das Verlagsgebäude zu einem Ort der zufälligen Kontakte und beiläufigen Gespräche werden. In dem einflussreichen Lifestyle-Magazin Tempo waren die Redaktionssitzungen mit einem üppigen Frühstück im Café verbunden. Nicht zufällig kamen viele der Redakteure von 44 45 46 47
Siehe Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 185–187. Baubehörde Hamburg, Stadterneuerung in kleinen Schritten. Carstensen, Gegenökonomie und Alternativkultur, S. 10 f. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 173–176.
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Alternativzeitungen wie dem Pflasterstrand und der Taz. Und auch bei der Umnutzung der Zeise-Hallen zeigte sich die Bedeutung des Persönlichen.48 Neben Büroräumen für kleine Unternehmen und Freiberufler spielten von vornherein Restaurants eine zentrale Rolle. Zugleich machte es die Zeise-Hallen umso attraktiver, dass auch in dem angrenzenden Gründerzeitviertel Ottensen Arbeiten und Wohnen eng miteinander verbunden waren. Nicht nur in der Arbeitsorganisation begannen sich die Grenzen aufzulösen. Auch in der Stadtplanung fand im Laufe der 1970er und 1980er eine ähnliche Neuorientierung statt. Erneut gehörten Eintönigkeit und Monotonie zu den drängendsten Problemen. Je mehr ein Stadtviertel durch Funktionstrennung geprägt war, desto langweiliger wurde es. Mit besonderer Deutlichkeit zeigte sich dies bei der City Nord, die einzig und allein auf Konzernverwaltungen ausgerichtet war. Schon früh erkannten einzelne Publizisten und Städtebauer in der Mischung verschiedener Funktionen die Lösung für dieses Problem. So sollten lebendige Stadtteile geschaffen werden. Seit den 1980ern setzte sich dieser Ansatz bei den Cityerweiterungen durch, vor allem bei der Perlenkette.49 Von vornherein sahen die Planungen der Baubehörde Bürobauten, Museen und Wohnhäuser vor. Darüber hinaus zeigte sich hier, wie eng die Funktionsmischung in der Stadtplanung und die Entgrenzung in der Arbeitsorganisation miteinander verbunden waren. So war der neue Verlagsbau von Gruner + Jahr eines der zentralen Gebäude der Perlenkette. Damit änderte sich auch der Blick auf die Gründerzeitviertel.50 Wegen des chaotischen Nebeneinanders von Wohngebäuden und Hinterhoffabriken hatten sie lange Zeit als bloßes Überbleibsel des 19. Jahrhunderts gegolten. Nur wenn diese verschiedenen Funktionen klar voneinander getrennt würden, so die Überzeugung moderner Architekten, könnten auch für Arbeiter Wohnungen geschaffen werden, die nicht durch Lärm, Abgase und Erschütterungen belastet seien. Aber in dem Maße, in dem Medienunternehmen an die Stelle von Hinterhoffabriken traten, war die Mischung von Arbeiten und Wohnen nicht länger von Nachteil. Das Überbleibsel der Vergangenheit verwandelte sich in ein Modell für die Zukunft. Während der Aufstieg der Gründerzeitviertel begann, setzte der Niedergang der Großsiedlungen ein. Dabei lässt sich ein spiegelbildliches Verhältnis ausmachen. Wegen der umfassenden Funktionstrennung galten die Großsiedlungen in den 1960ern als Vorgriff auf die Zukunft. In den 1980ern war aus ihnen, gerade deswegen, ein Relikt der Vergangenheit geworden.51 Der Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen hatte in den 1960ern jene zwischen Erwerbsarbeit und Hausarbeit entsprochen. Mit besonderer Deutlichkeit zeigte sich dies in den Großsiedlungen und Einfamilienhausgebieten. Für die Ehemänner, die zu ihren Arbeitsplätzen im Hafen und in der City pendelten, 48 49 50 51
Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 212–214. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 170–173. Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 198–202. Siehe Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 188–190.
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waren sie ein Raum der Freizeit und Erholung. Für die Ehefrauen, die den Haushalt führten, waren sie ein Raum der Arbeit. Vor allem für die Vollzeithausfrauen waren die Grenzen zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit fest gefügt. Ihr Alltag beschränkte sich weitgehend auf die Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete. Doch mit der steigenden weiblichen Erwerbsquote wurden die Grenzen durchlässiger.52 Immer mehr Frauen bewegten sich zwischen den verschiedenen Sphären hin und her. Zugleich, und dies ist entscheidend, wuchs der Anteil der hochqualifizierten Frauen erheblich an. Gerade für diese Frauen rückte die Berufsarbeit mehr und mehr in den Mittelpunkt des Alltags. Mit ihrer ökonomischen Unabhängigkeit eröffneten sich neue Lebensperspektiven, auch jenseits der Kleinfamilie. Ebenso wie die Zahl der Studentinnen stieg auch die Zahl der Scheidungen deutlich an. Zugleich lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen der zunehmenden Bedeutung weiblicher Erwerbstätigkeit und dem Erstarken der Frauenbewegung ausmachen. Nicht zufällig fand die Frauenliste, mit der die GAL 1986 zur Bürgerschaftswahl antrat, unter berufstätigen Frauen besonders viel Zustimmung.53 Zu 6: Nach dem Ende des Booms setzte ein massiver Machtverlust der Arbeiterbewegung ein. In dem Maße, in dem industrielle Großbetriebe an Bedeutung verloren, schränkte sich der Handlungsspielraum der Gewerkschaften ein. Gerade die Verlagerung des Schiffsbaus nach Ostasien hatte tiefgreifende Folgen. Dies verdeutlicht die gescheiterte Besetzung der HDW-Werft im Jahr 1983.54 Auf der einen Seite machte dieser Konflikt den immer noch vorhandenen Einfluss der Arbeiterbewegung sichtbar. Ohne eine kämpferische Belegschaft und eine breite gesellschaftliche Unterstützung wäre die mehrtägige Besetzung nicht möglich gewesen. Auf der anderen Seite lief der Arbeitskampf vollständig ins Leere. Nicht die Stärke der Unternehmensleitung, sondern deren Schwäche verhinderte jedes Zugeständnis. Angesichts der wachsenden globalen Konkurrenz und der immer höheren Verluste stand die Unternehmensleitung selbst mit dem Rücken zur Wand. Nach dem ergebnislosen Ende der Werftbesetzung zerbrach die gewerkschaftliche Gegenmacht. Die Werftschließung und die damit verbundenen Massenentlassungen verwandelten kämpferische Arbeiter in vereinzelte Arbeitslose. In eine ähnliche Richtung wirkte die Automatisierung, vor allem in der Druckindustrie.55 Die technologischen Neuerungen führten zu einem sprunghaften Anstieg der Produktivität. Ganze Arbeitsbereiche wurden von rechnergesteuerten Maschinen übernommen. Dagegen richteten sich die großen Druckerstreiks der späten 1970er. Ein letztes Mal zeigte sich die Stärke der Facharbeiter. Aber den Siegeszug des Fotosatzes konnten sie nicht aufhalten. Mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung schwand auch die politische Bedeutung, die sie 52 53 54 55
Siehe ebd., S. 179–184 und S. 194–197. Siehe ebd., S. 194–197. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 146–150. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 159–162.
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sich in jahrzehntelangen Auseinandersetzungen erkämpft hatten. Ambivalenter waren die Folgen der Containerisierung.56 Auch hier drängte der technologische Wandel mit den Gelegenheitsarbeitern des Stückgutumschlags eine der zentralen Gruppen der Arbeiterbewegung an den Rand. Damit fanden die wilden Streiks, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts den Hafen geprägt hatten, ein Ende. Zugleich entstand jedoch eine »Stammbelegschaft«57 aus durchsetzungsstarken Arbeitern, die maßgeblichen Einfluss auf die Hafenentwicklung nahm. Zusammen führten Verlagerung und Automatisierung zu einer deutlichen Schwächung der Arbeiterbewegung. Insbesondere die Bereiche, in denen die Gewerkschaften stark verankert waren, verloren erheblich an Gewicht, vom Stückgutumschlag im Hafen über den Schiffbau bis hin zur Druckindustrie. Demgegenüber rückten Branchen, in denen es kaum gewerkschaftliche Traditionen gab, in den Vordergrund. Weiter verstärkt wurde der Niedergang der Gewerkschaften durch die sich verfestigende Arbeitslosigkeit. In den Jahren des Booms hatte die Vollbeschäftigung den Belegschaften große Handlungsspielräume eröffnet. Danach kehrte sich die Entwicklung um. Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz lähmte nun die Bereitschaft zum Konflikt. Immer deutlicher zeigten sich im Laufe der 1970er und 1980er die sozialen Folgen der Massenarbeitslosigkeit. Perspektivlosigkeit und Verarmung griffen um sich. Neben den Gründerzeitvierteln waren hauptsächlich die Großsiedlungen betroffen.58 Als in den 1960ern und 1970ern die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen die Großsiedlungen gebaut hatten, war die Nähe zu den Arbeitsplätzen in anderen Teilen der Stadt in die Standortwahl eingeflossen. Für viele der einfachen Angestellten und Facharbeiter, die in die gut ausgestatteten Neubauwohnungen gezogen waren, hatten die Großsiedlungen für einen, wenn auch bescheidenen, sozialen Aufstieg gestanden. Mit dem drastischen Rückgang der Arbeitsplätze in Hafen und Industrie änderte sich dies grundlegend. Schnell stieg die Zahl der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger an. Wer es sich leisten konnte, wanderte in die Einfamilienhausgebiete am Stadtrand ab. Statt für sozialen Aufstieg standen die Großsiedlungen nun für sozialen Abstieg. Vor allem der steigende Ausländeranteil galt als Kennzeichen der Krise. Gerade ehemalige »Gastarbeiter«59 waren von der Arbeitslosigkeit betroffen.60 Die untergeordnete Stellung, die sie während des Booms als Hilfsarbeiter, Bewohner von Baracken und Ausländer eingenommen hatten, erwies sich nun als Ausgangspunkt einer abschüssigen Entwicklung. Maßgeblichen Anteil an dem Bedeutungsverlust der Arbeiterbewegung hatte auch der Zusammenbruch der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft.61 Wäh56 57 58 59 60 61
Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 141–143. Behörde für Wirtschaft und Verkehr, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen, S. 27. Siehe Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 188–190. Per Moneta, in: Der Spiegel, S. 53. Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 204–206. Siehe Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 190–194.
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rend des Booms war in Hamburg kaum ein städtebauliches Großprojekt ohne die Neue Heimat verwirklicht worden. Insbesondere im sozialen Wohnungsbau hatte der gewerkschaftseigene Konzern eine zentrale Rolle gespielt. Darin hatte sich der Anspruch der Gewerkschaften gezeigt, die gesamte Gesellschaft zu gestalten und so eine umfassende soziale Absicherung durchzusetzen. Die fortwährende Expansion der Neuen Heimat hatte dabei auf dem ungebrochenen Wachstum von Wirtschaft und Stadt beruht. Dies galt insbesondere für die industrielle Massenfertigung von Wohnungen in den Großsiedlungen. Nachdem Stadt und Wirtschaft zu schrumpfen begannen, gelang es den Gewerkschaften nicht, den Wohnungsbaukonzern neu auszurichten. Als der Spiegel im Jahr 1982 aufdeckte, dass sich führende Manager über Jahrzehnte bereichert hatten, befand sich der Wohnungsbaukonzern bereits in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Vor diesem Hintergrund entschied sich der DGB dazu, die Neue Heimat abzuwickeln. Damit verschwand eine der zentralen Säulen der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft. Eng damit verbunden war der Bedeutungsverlust des sozialen Wohnungsbaus. Der Zusammenbruch der Neuen Heimat war die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die konservative Bundesregierung die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften abschaffen konnte. Schon gegen Ende der 1980er zeichnete sich deswegen ab, dass zukünftig die Zahl der Sozialwohnungen erheblich zurückgehen würde. Verstärkt wurde der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus durch eine Reihe weiterer Veränderungen, darunter die Abkehr von den Großsiedlungen, in denen die meisten Sozialwohnungen entstanden waren, der sich verlagernde Schwerpunkt in der Wohnungspolitik des Senats, für den nicht mehr die »Wohnungsnot«62, sondern die »Abwanderung junger und aufstrebender Familien«63 das zentrale Problem darstellte, und die merkliche Neuausrichtung der Architektur. Während für moderne Architekten der soziale Wohnungsbau eine zentrale Rolle gespielt hatte, wandten sich postmoderne Architekten immer häufiger anderen Bauaufgaben zu, von Passagen über Bürobauten bis hin zu Museen. Im Laufe der 1970er und 1980er wurde der Status der Lohnarbeit immer brüchiger. Neben dem Niedergang der Arbeiterbewegung trug dazu vor allem die Krise der Kleinfamilie bei. Mit ihr begann sich die soziale Absicherung von Frauen, die an die Unterordnung unter den Ehemann gebunden war, allmählich aufzulösen. Dies hatte, je nach sozialer Stellung, gegensätzliche Auswirkungen. Bei hochqualifizierten Frauen gewann die soziale Absicherung über die Berufstätigkeit zunehmend an Bedeutung. Bei Frauen mit schlechter Qualifikation und Teilzeitbeschäftigung war der Alltag immer häufiger durch Prekarität gekennzeichnet. Zu 7: Nach 1973 verlor die suburbane Lebensweise allmählich an Attraktivität.64 Die Erdölpreisschocks verteuerten das Pendeln, die um sich greifende 62 Aus dem Soziallager, in: Hamburger Abendblatt, S. 3. 63 Haas, Rede am 26. Oktober 1973, S. 20 f. 64 Siehe Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 182–185.
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Arbeitslosigkeit machte den allgemeinen sozialen Aufstieg fragwürdig und mit dem Lebensmodell der Vollzeithausfrau geriet auch die Kleinfamilie in die Krise. Darüber hinaus löste sich mit der Entgrenzung von Arbeit und Leben das komplementäre Verhältnis zwischen Einfamilienhausgebieten und City auf. Dennoch setzte sich in den 1970ern und 1980ern die Abwanderung in die am Stadtrand gelegenen Einfamilienhausgebiete fort, allerdings mit deutlich verlangsamtem Tempo. Gleichzeitig brachen andere Entwicklungsstränge, welche die Suburbanisierung während des Booms geprägt hatten, fast vollständig ab. In den 1980ern errichteten die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen kaum noch neue Großsiedlungen am Stadtrand.65 Auch die Wirtschaftsbehörde scheiterte mit ihrem Vorhaben, entlang von »Entwicklungsbändern«66, die sich bis tief in die Region erstreckten, eine Vielzahl neuer Industriebetriebe anzusiedeln.67 Die tatsächlich errichteten Atomkraftwerke und Industriebetriebe blieben weit hinter den Planungen zurück. Statt zu einer Suburbanisierung der Industrie kam es zu einer globalen Verlagerung. Schließlich zeigte sich auch bei den Cityerweiterungen die schwindende Kraft der Suburbanisierung.68 In den 1960ern waren sie, da Hafen und Industrie das Zentrum dominierten, auf den Stadtrand ausgewichen. So entstand die City Nord in einem Baugebiet, das nördlich des Stadtparks gelegenen war. Mit dem Bedeutungsverlust von Hafen und Industrie änderte sich dies grundlegend. Nun richteten sich die Planungen auf die Umnutzung von Hafen- und Industriebrachen und damit auf das Zentrum der Stadt. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dies in der Perlenkette, die der Senat am nördlichen Elbufer entwickelte. Vor diesem Hintergrund begann sich die Stellung, welche die Gründerzeitviertel im städtischen Gefüge einnahmen, grundsätzlich zu verändern. In den 1960ern war der Verfall der Gründerzeitviertel die Kehrseite der boomenden Suburbanisierung. Doch dieser Verfall setzte sich in den folgenden Jahrzehnten nicht einfach fort.69 Zunehmend prägten Gegenkultur und neue soziale Bewegungen die heruntergekommenen Stadtteile. Hier experimentierten die Bewohner mit neuen Arbeits- und Lebensformen, jenseits von Büro und Fabrik und jenseits der Kleinfamilie. Eine neue Generation von Architekten, die sich diesen Vierteln zuwandte, erkannte in deren Kleinteiligkeit, Funktionsmischung und Blockrandbebauung ein Vorbild für die Stadt der Zukunft. Zudem siedelten sich hier viele kleine Unternehmen und Freiberufler aus der Medienbranche an. Gerade diese wachsende Bedeutung der Gründerzeitviertel wies darauf hin, dass die Suburbanisierung in den 1980ern nicht länger das allgemeine Modell war.
65 66 67 68 69
Siehe ebd., S. 177–179 und S. 188–190. Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 19722, Anlage. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 143 f. Siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 170–173. Siehe Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern.
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Zugleich überkreuzten sich diese Aufbrüche mit den Folgen der Deindustrialisierung. Nicht nur der Aufstieg der Medienbranche, sondern auch der Niedergang von Hafen und Industrie hinterließ tiefe Spuren. Angesichts dessen wuchs die soziale Polarisierung. Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Ausländern auf der einen Seite standen »Young Urban Professionals«70 auf der anderen Seite gegenüber. Kurz: Gegen Ende der 1980er befanden sich die Gründerzeitviertel im Zentrum der gesellschaftlichen Umbrüche. Nachdem sich die räumliche Ordnung der fordistischen Stadt nach 1973 aufgelöst hatte, folgte eine Zeit der Krise, die sich über mehr als ein Jahrzehnt hinzog. Aber gegen Ende der 1980er begannen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse erneut zu verfestigen. Die ersten Umrisse einer neuen Ordnung waren nun zu erkennen. Die neoliberale Stadt entstand.
70 Archiv der Sozialen Bewegungen, Oh, Protest jetzt in Ottensen.
Dritter Teil: Die wachsende Stadt. Hamburg von 1989 bis 2008
1.
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Im einem Vortrag, den der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft (HHLA), Peter Dietrich, im Jahr 1990 hielt, wandte er sich den Folgen des Mauerfalls zu.1 Mit diesem Ereignis, so Dietrich, hätten die Prognosen der vergangenen Jahre, die von einer »Südverlagerung der Wirtschaft« innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und einer fortgesetzten »Randlage« des Hamburger Hafens ausgegangen seien, jede Bedeutung verloren.2 Nun rücke Osteuropa in den Mittelpunkt der Entwicklung: »Die aus ideologisch-politischen Gründen jahrzehntelang von den Weltmärkten ferngehaltenen Industrien Ostmitteleuropas werden eine sehr schnelle Wiedereingliederung in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung suchen. Sie müssen sich einfügen in die globalen Einkaufs-, Versorgungs- und Produktionsstrategien der multinationalen Industrien der Vereinigten Staaten, Westeuropas und der Pazifikanrainer.«3 Für den Hamburger Hafen stelle dies eine große Chance dar. Das »Wiedererstarken des traditionellen Hinterlandes« könne zu einer »neuen Zentralität« führen.4 Um diese Chance wahrzunehmen, sei es erforderlich, dass die Hamburger Hafenbetriebe unverzüglich die alten Verkehrsverbindungen ins Hinterland wiederherstellten. In den folgenden Jahren machte sich Peter Dietrich daran, diese Ankündigung in die Tat umzusetzen. Bereits Ende 1991 gründete die HHLA gemeinsam mit der Spedition Eugen Wenk und der polnischen Staatsbahn PKP das Tochterunternehmen POLZUG. Bald darauf verkehrten die Containerzüge der POLZUG regelmäßigen zwischen Hamburg und Warschau.5 Und dies war erst der Anfang. Im Laufe der 1990er und 2000er vervielfachte sich die Zahl der Bahnverbindungen, die den Hamburger Hafen mit Bahnhöfen in Polen und anderen osteuropäischen Ländern verbanden. Gleichzeitig wuchs das Transportaufkommen der POLZUG mit schneller Geschwindigkeit, von knapp 5.000 Standardcontainern im ersten vollen Berichtsjahr auf 143.000 im Jahr 2007.6 Maßgeblichen Anteil hatte der Handel mit Flachbildfernsehern. Seit dem Ende der 1990er-Jahre verlagerten 1 Peter Dietrich, Öffnung Ost-Mitteleuropas und Folgen für den Hafenstandort Hamburg, in: Hansa. Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 127 (1990) H. 15, S. 834–838. Zur Geschichte des Hamburger Hafens nach 1989 siehe: Driesen, Welt im Fluss, S.160–215; Engel / Tode, Hafen Stadt Hamburg, S. 147–175; Bukold u. a., Der Hamburger Hafen und das Regime der Logistik. 2 Dietrich, Öffnung Ost-Mitteleuropas, S. 837. 3 Ebd., S. 836. 4 Ebd., S. 837. 5 POLZUG , Gründung und Aufbau, URL: http://www.polzug.de/company/foundation-anddevelopment.html (24.5.2016). 6 Ebd.; HHLA , Geschäftsbericht 2007, Hamburg 2008, S. 27
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asiatische Konzerne die Endmontage von Unterhaltungselektronik in »steuerlich begünstigte Sonderwirtschaftszonen«7, welche die polnische Regierung eingerichtet hatte. Damit umgingen sie die Importzölle, welche die Europäische Union zum Schutz der einheimischen Industrie erhob, mit durchschlagendem Erfolg. Jeder zehnte Flachbildschirm, der in der EU verkauft wurde, kam im Jahr 2005 aus Polen.8 Bis zum Ende des Jahrzehnts sollte der Marktanteil auf 75 Prozent ansteigen.9 Zu dieser Entwicklung hatte auch POLZUG beigetragen. Schon im Jahr 1996 hatte das Tochterunternehmen der HHLA ein eigenes Büro in Seoul eröffnet und so die logistischen Voraussetzungen für die Verlagerung asiatischer Fabriken in polnische Sonderwirtschaftszonen geschaffen. Dies hob die HHLA in ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 2007 ausdrücklich hervor: »Komponenten für die Geräteendmontage kommen aus Produktionsstätten in ganz Ostasien über den Hamburger Hafen mit leistungsstarken, getakteten Blockzugverkehren auf die POLZUG -Terminals in Polen – etwa nach Wroclaw. Sendungsverfolgung, Zwischenlagerung im Terminal, Zollabfertigung – der Bahnlogistiker POLZUG bietet einen Rundum-Service, der die Logistikkette zwischen Containerterminal im Überseehafen und polnischer Produktionsstätte knüpft. Und auch beim Export der fertig montierten Flachbildgeräte ist POLZUG mit dabei. Auf den kürzeren innereuropäischen Strecken dominiert der LKW, beim Transport nach Großbritannien, Schweden und auch Übersee übernimmt die HHLA-Bahngesellschaft die Lieferung zum Seehafen.«10 POLZUG sei, so die HHLA, »Profiteur wie Mitorganisator des polnischen Weges der Globalisierung«11. Zugleich war POLZUG nur eine von mehreren neuen Tochtergesellschaften, mit denen der wachsende Containerverkehr an den Hamburger Hafen gebunden werden sollte. So war die HHLA an weiteren Bahngesellschaften, einer LKW-Spedition und einer Reederei für Feederverkehre beteiligt. Zusammen boten diese Unternehmen »ein umfassendes Transportnetzwerk auf der Schiene, der Straße und dem Seeweg«12. Dessen Ausmaß machte eine Karte deutlich, welche die HHLA in ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 2007 veröffentlichte (Abb. 76)13. Die Verkehrsverbindungen reichten bis nach Skandinavien im Norden, der Ukraine im Osten und Ungarn im Süden. Der Hamburger Hafen hatte sein Hinterland zurückgewonnen. Unter dem Titel »Logistisches Dienstleistungszentrum Hafen Hamburg. Chancen einer neuen Ära«14 gab die Wirtschaftsbehörde im Jahr 1997 den neuen 7 HHLA , Geschäftsbericht 2007, S. 28. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Ebd., S. 29. 11 Ebd., S. 27 f. 12 Ebd., S. 29. 13 Ebd., S. 20. 14 Wirtschaftsbehörde Hamburg, Hafenentwicklungsplan 1997. Logistisches Dienstleistungszentrum Hafen Hamburg. Chancen einer neuen Ära, Hamburg 1997.
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Hafenentwicklungsplan heraus. Im Mittelpunkt stand das ungebrochene Wachstum des Containerumschlags. Nachdem dieser von 1,2 Millionen Standardcontainern im Jahr 1985 auf über 3,0 Millionen im Jahr 1996 angestiegen war, rechnete die Wirtschaftsbehörde auch für das kommende Jahrzehnt mit einer deutlichen Zunahme.15 Immer wichtiger wurde die Frage, wie die anschwellenden Containerströme zukünftig bewältigt werden könnten. Eines der zentralen Handlungsfelder, das der Hafenentwicklungsplan dabei ausmachte, war der Einsatz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien: »Die neuen arbeitsteiligen und zergliederten Beschaffungs-, Produktions- und Absatzstrukturen erfordern einen immer komplexeren Steuerungsaufwand zur Zusammenführung der Einzelaktivitäten. Dies macht Systemlösungen einer neuen Dimension notwendig. Sie beinhalten die Organisation und Sicherstellung einer integrierten globalen Transportkette, deren Teile mit der Präzision eines komplizierten Uhrwerks aufeinander abgestimmt sind und exakt ineinandergreifen. Bei der Gestaltung und Kontrolle ist auch zunehmend die Nutzung aufwendiger Informations- und Datenkommunikationstechniken unumgänglich.«16 Diese Einschätzung unterstrich die Wirtschaftsbehörde mit einer Illustration, die sie dem Themenbereich voranstellte (Abb. 77)17. Über einem um die Erde kreisenden Satelliten, den eine gestrichelte Linie mit Hamburg verband, war zu lesen: »Hafen Hamburg online – High-Tech-Dienstleistung via Datenautobahn«. Ein weiteres zentrales Handlungsfeld war der Bau eines neuen Containerterminals. Im selben Jahr, in dem der Hafenentwicklungsplan erschien, begannen in Altenwerder die Aufspülungsarbeiten.18 Gemeinsam stellten die Stadt Hamburg, die HHLA und die Hapag-Lloyd rund 650 Millionen Euro zur Verfügung.19 Der HHLA-Vorstandsvorsitzende Peter Dietrich sprach von der »größten Einzelinvestition in der Geschichte des Hamburger Hafens«20. Ziel der Anstrengung war es, ein Containerterminal zu errichten, das allen Anforderungen der Zeit entsprach. So machte die HHLA deutlich: »Die Kriterien lagen auf der Hand: Zuverlässige Höchstleistung für wachsende Schiffsgrößen – auf knapper Fläche und im Hochlohnland Deutschland.«21 Ihren Ausdruck fanden diese Kriterien in einer neuen Arbeitsorganisation. Als im Jahr 2002 das erste Containerschiff in Altenwerder abgefertigt wurde, waren die Abläufe fast vollständig automatisiert.22
15 Ebd., S. 18. 16 Ebd., S. 22. 17 Ebd., S. 60 f. 18 Zum Containerterminal Altenwerder siehe: Driesen, Welt im Fluss, S. 172 f. 19 Jetzt kommen die Containerriesen, in: Hamburger Abendblatt, 26.10.2002, S. 11. 20 Ebd. 21 HHLA , Der Klassenbeste feiert Geburtstag, URL: https://hhla.de/de/container/altenwer der-cta/geschichte-cta.html (24.5.2016), o. S. 22 Jetzt kommen die Containerriesen, in: Hamburger Abendblatt, S. 11.
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Einen Einblick ermöglicht eine Zeichnung, welche die HHLA veröffentlichte. (Abb. 78)23. Die abgebildete Containerbrücke war mit zwei Laufkatzen ausgestattet. Die erste Laufkatze, die von einem Fahrer gesteuert wurde, hob die Container von dem Schiff auf die Plattform der Brücke. Auf dieser Plattform entfernten Hafenarbeiter die Sicherungen. Danach setzte die automatisierte zweite Laufkatze die Container auf einem Automated Guided Vehicle (AGV) ab. Dieses computergesteuerte Fahrzeug transportierte die Container dann zu den Blocklagern, in denen sie von einem ebenfalls computergesteuerten Kran übereinandergestapelt wurden. Erst kurz vor dem Weitertransport griff erneut ein Hafenarbeiter in das Geschehen ein. Per Joystick setzte er die Container auf Lastkraftwagen und Zügen ab. Entscheidend für den Umschlag war nicht mehr harte körperliche Arbeit, sondern eine komplexe Software im Leitstand. Erst dieses »Gehirn des Terminals«24 machte es möglich, dass das vollausgebaute Terminal eine Kapazität von jährlich 1,9 Millionen Standardcontainern erreichen konnte.25 Aber die enorme Steigerung der Kapazität ging nicht mit einem entsprechenden Zuwachs an Arbeitsplätzen einher. Angesichts der fast vollständigen Automatisierung waren nicht mehr als 700 Hafenarbeiter erforderlich.26 Mit dem Containerterminal Altenwerder war der Computer endgültig in das Zentrum der Hafenarbeit gerückt. Ohne ihn war es unmöglich geworden, die stetig wachsende Zahl von Containern zu bewältigen. In einer Reportage, die im Jahr 2002 erschien, stellte der Spiegel fest: »Im Hamburger Hafen geht das modernste Container-Terminal der Welt in Betrieb: ein neuer Knoten in einem Netz, das den globalen Handel von Grund auf verändert. Frischfleisch, Autoteile oder Porzellanmöpse reisen computergesteuert um die Erde – wie die Datenpakete durchs Internet.«27 Wie wichtig die Informations- und Kommunikationstechnologien zu Beginn des neuen Jahrtausends geworden waren, zeigte sich auch in den neuen Metaphern, mit denen die Zeitgenossen die Entwicklung zu fassen versuchten. Noch 1997 war die Autobahn ein Bild für den Datenverkehr gewesen. Nur fünf Jahre später hatte sich das Verhältnis von realer und virtueller Welt umgekehrt. Nun war das Internet ein Bild für den Containerumschlag. Vor diesem Hintergrund nahm die Zahl der Arbeiter im Hamburger Hafen weiter ab. Allein von 1989 bis 1998 verringerte sie sich von 8.300 auf 5.000.28 Neben den 23 HHLA , Geschäftsbericht 2008, Hamburg 2009, S. 24; HHLA , Wie von Geisterhand, URL: http://hhla.de/de/container/altenwerder-cta/so-funktioniert-cta.html (24.5.2016). 24 HHLA , Die Entwicklerin, URL: http://hhla.de/de/container/altenwerder-cta/10-jahre10-koepfe/4.html (24.5.2016). 25 Rainer Horn, Kräne und Container von Geisterhand gesteuert, in: Hamburger Abendblatt, 25.10.2002, S. 26. 26 Ebd. 27 Manfred Dworschak, Die trojanischen Kisten, in: Der Spiegel, 1.7.2002, S. 130–133, hier S. 130. 28 In Hafenbetrieben geht der Stelleabbau weiter, in: Hamburger Abendblatt, 18.9.1995, S. 21; Neue Arbeitsplätze im Hafen, in: Hamburger Abendblatt, 2.8.2000, S. 26.
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Hafeneinzelbetrieben baute auch der Gesamthafenbetrieb Stellen ab.29 In diesem Unternehmen, das einst gegründet worden war, um die Gelegenheitsarbeit im Stückgutumschlag zu überwinden, ging die Zahl der Beschäftigten von 1.300 auf 1.000 zurück.30 Aber auch die verbliebenen Gesamthafenarbeiter mussten, da die anderen Hafenunternehmen kaum noch zusätzliche Arbeitskräfte anforderten, immer häufiger tatenlos nach Hause gehen. Das stürzte den Gesamthafenbetrieb, der auch jetzt noch Garantielöhne auszahlte, in eine tiefe wirtschaftliche Krise. Ab 1996 schrieb er rote Zahlen.31 Gerade die Folgen der Containerisierung trugen zu dem Niedergang des Gesamthafenbetriebs bei. Mit der Automatisierung des Stückgutumschlags verschwanden die Arbeitsbereiche, in denen der Gesamthafenbetrieb stark verankert gewesen war. Im Unterschied zu den 1950ern waren Schauerleute jetzt kaum noch gefragt. Zugleich war der neue Arbeitsbereich des Containerpackens, der immer mehr an Bedeutung gewann, nicht länger an den Hafen gebunden. In seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1998 wandte sich der Gesamthafenbetrieb ausführlich diesem Umbruch zu: »Eine für den Gesamthafenbetrieb und den Gesamthafenarbeiter folgenreich werdende Entwicklung bahnte sich in den 80er Jahren ebenfalls mit der Expansion des Containerverkehrs an, und die GHBG nahm den Faden auf: ›Wo also findet sich im Hafen von heute, im ›logistischen Zentrum Hafen‹, die Hafenarbeit wieder? Vorbei sind die Zeiten, da man nur Schiff und Ladung in den Hafen zu ziehen brauchte, um … Hafenarbeit zu gewinnen. Das Schiff hat sich vom Wasser unabhängig gemacht und ist, in kleinere Einheiten – Container genannt – zerlegt, fähig geworden, ins fernste Hinterland auf Schiene und Straße zu rollen. Dabei schert es sich nicht um die bis dahin unverrückbare Ordnung, daß Hafenarbeit im Hafen stattfindet, und zwar zu einheitlichen Regeln und Bedingungen, die die Träger des Gesamthafenbetriebs in Form der Satzung für den GHB und in Form von Tarifverträgen aufgestellt haben. Das Laden und Löschen von Seeschiffen, der Inbegriff der Hafenarbeit, vollzieht sich immer stärker in Form des Packens und Auspackens von Containern mit hohen Anteilen weitab des Hafens. Einheitliche Regeln und Bedingungen gibt es damit nicht mehr. Das unter anderen Lohnund Rahmenbedingungen arbeitende ›Hinterland‹ ist mit Dienstleistern, die im direkten Wettbewerb zu den Hafenbetrieben stehen, bis in den Hafen eingedrungen.‹«32 Seit den späten 1980ern entstanden außerhalb des Hafengebiets zahlreiche neue Logistikzentren. Hier übernahmen Arbeiter das Containerpacken, deren Löhne deutlich unter denen des Gesamthafenbetriebs lagen. Von vornherein 29 Zur Geschichte des Gesamthafenbetriebs siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 33–36. 30 In Hafenbetrieben geht der Stelleabbau weiter, in: Hamburger Abendblatt, S. 21; Neue Arbeitsplätze im Hafen, in: Hamburger Abendblatt, S. 26. 31 Weniger Lohn für Hafenarbeiter, in: Hamburger Abendblatt, 27.11.1999, S. 21. 32 Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft, Jahresbericht 1998, Hamburg 1999, S. 26.
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war der Anteil der Zeitarbeiter hoch. Gegen diese Entwicklung versuchte sich die Geschäftsführung des Gesamthafenbetriebs zu stemmen. Doch die einzige Möglichkeit, den eigenen Bedeutungsverlust zu stoppen, sah sie darin, die Arbeitsbedingungen im Hafen denen des Hinterlandes anzupassen. Unter dem Druck von Zeitarbeitsfirmen setzte die Geschäftsführung nach und nach schlechtere Arbeitsbedingungen für die Gesamthafenarbeiter durch, vor allem in dem neu geschaffenen Bereich Distribution und Containerpacken. Ende der 1990er lagen die vom Gesamthafenbetrieb gezahlten Löhne für Containerpacker 30 Prozent unter denen für Hafenarbeiter im konventionellen Stückgutumschlag.33 Zugleich nahm eine »Zeitarbeitstochter der GHB«34 den Betrieb auf.35 Weitere zehn Jahre später hatte sich der Gesamthafenbetrieb fast vollständig in ein Zeitarbeitsunternehmen verwandelt. Nun war es an der Zeit für einen neuen Namen. In dem Geschäftsbericht für das Jahr 2007 hieß es zur Begründung: »Ein wichtiger Punkt war die Trennung von verschiedenen Begrifflichkeiten für unser Haus. Wir haben uns darauf verständigt, nach außen hin nur noch unter dem Namen ›GHB‹ aufzutreten. Diese drei Buchstaben bilden unsere neue Marke und sind dementsprechend Hauptbestandteil unseres neuen Logos, das textlich durch den Zusatz ›Personaldienstleister für den Hafen‹ ergänzt wird. […] Auf diese Weise wird ein Wiedererkennungswert erzielt, der entscheidend zur Etablierung der Arbeitgebermarke GHB beitragen soll.«36 Im Laufe der 1990er und 2000er rückte die Logistik in das Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung. Laut einer Studie, welche die Logistik-Initiative Hamburg veröffentlichte, waren im Jahr 2009 in der Metropolregion Hamburg 136.000 Menschen direkt in der Logistik beschäftigt, neben Berufskraftfahrern und Speditionskaufleuten vor allem auch Lager-und Transportarbeiter.37 Ihre Zahl lag bei knapp 32.000.38 Räumlicher Schwerpunkt war dabei nicht der Hafen, sondern die Gebiete entlang der Autobahnen. In den dort gelegenen Logistikzentren fanden viele Geringqualifizierte und viele Migranten Arbeit. Zudem war der Anteil der Zeitarbeiter ungebrochen hoch. Darauf wiesen die Verfasser der Studie ausdrücklich hin. Seit langem habe sich »die Zeitarbeit als wesentliches Flexibilisierungsinstrument in volatilen Branchen wie der Logistik«39 etabliert. Zunehmend setzte sich die Zeitarbeit auch in anderen Branchen durch. In kaum mehr als einem Jahrzehnt verdoppelte sich in Hamburg der Anteil der Leiharbeiter an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, von 1,7 Prozent 33 Gefahr für Hamburgs Gesamthafenbetrieb, in: Hamburger Abendblatt, 30.7.1997, S. 19. 34 Weniger Hafenarbeiter, in: Hamburger Abendblatt, 25.8.1998, S. 23. 35 Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft, Jahresbericht 1998, S. 32 f. 36 GHB. Personaldienstleister für den Hafen, Jahresbericht 2007, Hamburg 2008, S. 5. 37 Logistik-Initiative Hamburg, Logistik-Arbeitsmarktmonitoring 2009 für die südliche Metropolregion Hamburg, Hamburg 2011, S. 16. 38 Ebd., S. 45. 39 Ebd., S. 37.
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Ende der 1990er auf 3,4 Prozent im Jahr 2011.40 Für die Betroffenen hatte dies drastische Folgen.41 Das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines ungelernten Hilfsarbeiters in Leiharbeit lag im Jahr 2010 fast 44 Prozent unter dem eines ungelernten Hilfsarbeiters mit regulärer Beschäftigung.42 Zugleich war mehr als jedes zweite Beschäftigungsverhältnis in der Zeitarbeit nach weniger als drei Monaten wieder beendet.43 Auch in der Hamburger Industrie setzten sich die Umbrüche fort. Mehr und mehr gewann die Luftfahrtindustrie an Bedeutung. Allein das Airbus-Werk in Finkenwerder beschäftigte 7.000 Menschen.44 Weitere 5.400 arbeiteten für die Lufthansa Technik, die sich nahe dem Flughafen niedergelassen hatte.45 Neben den eigenen Flugzeugen warteten sie hier auch die Flugzeuge anderer Fluglinien. Darüber hinaus bauten sie die Inneneinrichtungen von Privatflugzeugen um.46 Seitdem die »Luftwerft«47 im Jahr 1954 den Betrieb aufgenommen hatte, waren die Aufgaben stetig gewachsen.48 Ihren Niederschlag hatte dies nicht nur in einer steigenden Zahl der Beschäftigten, sondern auch in zahlreichen Neubauten gefunden. Um die Jahrtausendwende standen auf dem Werksgelände rund hundert kleinere und größere Gebäude, darunter die riesigen Wartungshallen für Jumbo-Jets.49 Dieses Werksgelände stieß zunehmend an seine Grenzen, vor allem die Haupteinfahrt, die dem anschwellenden Strom von Beschäftigten, Lieferanten und Kunden kaum noch gewachsen war. Um diesen Missstand zu beheben, entschied die Unternehmensleitung, die Haupteinfahrt zu erweitern und ein neues Empfangsgebäude zu bauen. Zudem strebte sie an, ein Zeichen für
40 Tanja Buch u. a., Die Entwicklung der Beschäftigung in Hamburg. Anzeichen für eine Spaltung des Arbeitsmarktes?, URL: http://doku.iab.de/grauepap/2012/beschaeftigungs entwicklung_Hamburg.pdf (24.5.2016), S. 8. 41 Zur Zeitarbeit siehe: Karin Scherschel (Hrsg.), Neue Prekarität. Die Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik – europäische Länder im Vergleich, Frankfurt am Main 2012; Tanja Buch / Annekatrin Niebuhr, Zeitarbeit in Hamburg. Aktuelle Entwicklungstendenzen und Strukturen, Nürnberg 2008; Berthold Vogel u. a. (Hrsg.), Leiharbeit. Neue sozialwissenschaftliche Befunde zu einer prekären Beschäftigungsform, Hamburg 2004. 42 Buch, Die Entwicklung der Beschäftigung in Hamburg, S. 9. 43 Ebd. 44 Elisabeth Stimmig / Rolf Zamponi, Bis zum Schluß gezittert, in: Hamburger Abendblatt, 27.4.1999, S. 19. 45 Lufthansa-Basis baut neues Empfangsgebäude, in: Hamburger Abendblatt, 6.4.1999, S. 16. 46 Hans-Jörg Munke, Die Nummer eins auf dem Weltmarkt, in: Hamburger Abendblatt, 21.3.2000, S. 8. 47 Vertrag heute unterzeichnet, in: Hamburger Abendblatt, 2.12.1953, S. 3. 48 Ebd. 49 Kaye Geipel, Das Flugzeug ist gelandet: Neues Empfangsgebäude der Lufthansa-Technik, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2000, Hamburg 2000, S. 50–55, hier S. 51.
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die »Dynamik eines High-Tech-Betriebs der Luftfahrtindustrie«50 zu schaffen, das die unscheinbaren Gewerbebauten des Werksgeländes überstrahlen sollte. Diesen Anspruch sah sie in dem Entwurf des Hamburger Architekturbüros Renner Hainke Wirth verwirklicht.51 Anfang des Jahres 2000 weihte die Lufthansa Technik ihr neues Empfangsgebäude ein (Abb. 79)52. Über dem zweigeschossigen, gläsernen Bau erhob sich ein geschwungenes weit hinausragendes Dach, das vollständig mit Aluminium verkleidet war. Die fließende Form und die glatte Oberfläche weckten zahlreiche Assoziationen, vom Flugzeugflügel bis hin zur Walflosse.53 Zugleich fügten sie sich in die zeitgenössische »Blob-Architektur«54 ein, die sich seit Mitte der 1990er in Westeuropa und den USA verbreitet hatte. Eng verbunden mit dem neuen Stil war der Einsatz von Computer-Aided Design (CAD). In dem Maße, in dem sich die neuen Computerprogramme in den Architekturbüros durchsetzten, begannen fließende Formen das Raster als zentrales Gestaltungsprinzip abzulösen. In einem Essay, der im Jahr 2001 in dem Ausstellungskatalog »Digital Real« erschien, wandte sich der Architekturkritiker Andreas Ruby diesem Zusammenhang zu: »Die Herausforderung besteht heute darin, die architektonische Form aus dem Klammergriff der Massenproduktion zu befreien. Die, vor allem auch durch die Einführung der Fließbandproduktion durch Henry Ford 1914, auch unter Architekten popularisierte Erkenntnis, dass der Produktionspreis eines Einzelteils mit steigender Stückzahl sinkt, hat in der Architektur zum Primat der uniformen Massenform geführt, was besonders im Wohnungs- und Städtebau der Moderne unübersehbare Folgen hinterlassen hat. Durch die konsequente Anwendung von CAD / CAM könnte die Architektur das eherne Gesetz der Serie heute aushebeln. Das Besondere dieser Technologien ist, dass mit demselben Herstellungsverfahren unterschiedlichste Formen produziert werden können. Für die computergesteuerte Fräse macht es keinen Unterschied, ob sie eine kubische oder hyperbolische Form aus dem Styroporblock ausfräst. Und da der Arbeitsvorgang vollständig automatisiert ist, bleibt der Herstellungspreis prinzipiell derselbe.«55 Im Guggenheim Museum Bilbao, das der US -amerikanische Architekt Frank O. Gehry im Jahr 1997 fertigstellte, zeigte sich dieser Umbruch mit besonderer 50 Die neue Millionen-Einfahrt, in: Hamburger Abendblatt, 20.1.2000, S. 15. 51 Geipel, Das Flugzeug ist gelandet, S. 54 52 Ebd., S. 50 f. 53 Ebd. 54 Zur Blob-Architektur siehe: Svenia Schneider, Blob-Architektur für das 21. Jahrhundert. Neues Paradigma oder Relaunch einer ehrwürdigen Tradition?, Marburg 2012; John K. Waters, Blobitecture. Waveform Architecture and Digital Design, Gloucester (Massa chusetts) 2003; Peter Cachola Schmal (Hrsg.), Digital Real. Blobmeister: Erste gebaute Projekte, Basel 2001. 55 Andreas Ruby, Beyond Form. Architektur im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit, in: Peter Cachola Schmal (Hrsg.), Digital Real. Blobmeister: Erste gebaute Projekte, Basel 2001, S. 206–213, hier S. 206–210.
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Deutlichkeit.56 Da er mit seinen komplexen Formen immer wieder an die Grenze des technisch Machbaren gestoßen war, hatten Mitarbeiter seines Architekturbüros begonnen, mit der Software Catia zu experimentieren. Catia ermöglichte es, dreidimensionale Objekte am Bildschirm zu entwerfen, die Kosten der verschiedenen Formen zu berechnen und die Daten direkt an computergesteuerte Maschinen zu übertragen. Bei der »metallischen Blüte«57 des Guggenheim Museums kam diese Software zum ersten Mal in großem Maßstab zum Einsatz. Rückblickend erinnerten sich zwei der Mitarbeiter: »Viele der Formen, die er entwickelt, sind heute nur durch den Computer möglich. Bilbao ist ein perfektes Beispiel. Vor der Entwicklung der Computeranwendungen in unserem Büro hätten wir uns davon verabschieden müssen. Es wäre vielleicht eine Ideenskizze gewesen, aber wir wären niemals in der Lage gewesen es zu bauen. Bilbao hätte mit einem Bleistift und einem Lineal gezeichnet werden können, aber es hätte Jahrzehnte gedauert.«58 Die Software, die Frank O. Gehry für den Bau des Guggenheim Museums Bilbao verwendete, war ursprünglich für die Flugzeugindustrie entwickelt wor den. Um komplizierte Bauteile herstellen zu können, hatte der französische Luftfahrtkonzern Dassault im Jahr 1967 begonnen, ein entsprechendes Computerprogramm auszuarbeiten.59 Vierzehn Jahr später brachte das eigens gegründete Tochterunternehmen Dassault Systèmes die erste Version von Catia auf den Markt, in enger Zusammenarbeit mit IBM.60 In den folgenden Jahren setzte sich das Computerprogramm in immer mehr Branchen durch. Die Zahl der Unternehmen, die Catia einsetzten, stieg von 400 im Jahr 1985 auf 8.000 im Jahr 1995.61 Dennoch blieb die Luftfahrt ein wichtiger Schwerpunkt. Auch Airbus griff auf die Entwurfssoftware zurück, unter anderen in seinem Werk in Finkenwerder.62 In einem Beitrag für die Zeitschrift Hansa, der im Jahr 2001 unter dem Titel »A380 – industriepolitische Perspektiven für Norddeutschland«63 erschien, wandte sich der Staatsrat der Wirtschaftsbehörde, Heinz Giszas, den anstehenden Grundsatzentscheidungen zu. Zentraler Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der Bedeutungsverlust der Industrie. Wenn von der Hamburger Wirtschaft 56 Zum Guggenheim Museum Bilbao siehe: Frank O. Gehry, Guggenheim Museum Bilbao, Ostfildern-Ruit 1997. 57 Guggenheim Museum in Bilbao. Frank O. Gehry, in: Arch+ 28 (1995) H. 128, S. 24–25, hier S. 24. 58 Frank O. Gehry, Guggenheim Museum Bilbao, New York 1999, S. 138. Eigene Über setzung. 59 Francis Bernard, A Short History of CATIA & Dasault Systemes. May 2003, URL: http:// ridwan.staff.gunadarma.ac.id/Downloads/files/8426/history-catia.pdf. (23.5.2016), S. 3. 60 Ebd., S. 12. 61 Ebd., S. 18 und S. 27. 62 Es passt nicht, in: Der Stern, 19.10.2006, S. 196–204, hier S. 200. 63 Heinz Giszas, A380 – industriepolitische Perspektiven für Norddeutschland, in: Hansa. Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 138 (2001) H. 9, S. 85–88.
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gesprochen werde, dann spiele die Industrie nur noch eine untergeordnete Rolle: »Die Erklärung hierfür bietet der Strukturwandel der letzten Jahrzehnte, der in Hamburg gewaltige wirtschaftliche Veränderungsprozesse bewirkte. Von 1970 bis 1998 reduzierte sich die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt zwar nur um 69.000. Im produzierenden Gewerbe sank die Beschäftigtenzahl aber um 176.000, im Handel und Verkehr um 82.500, während bei den Dienstleistungsunternehmen knapp 166.000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Sehr plastisch wird die Veränderung des Arbeitsplatzangebotes beim Schiffbau. So fanden z. B. 1960 in der Boomphase der Werftindustrie noch rd. 32.000 Menschen direkt im Schiffbau Beschäftigung. Im Jahr 2000 waren es dagegen nur noch rd. 2.800.«64 Trotzdem sei die Industrie »weiterhin von strategischer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Hamburg«65. Dies gelte vor allem für die Luftfahrtindustrie. Insgesamt seien bei Airbus, Lufthansa Technik und einem Netz von Zuliefererbetrieben 21.000 Menschen beschäftigt.66 Die damit verbundenen Chancen müssten von der Hamburger Wirtschaftspolitik konsequent genutzt werden: »Nach einer jahrelangen Diskussion über eine Perspektivlosigkeit der Industrie in Hamburg bietet sich neben den Wertschöpfungs- und Arbeitsplatzeffekten die Chance zur Renaissance des Industriestandortes auch im Bewusstsein der Menschen, und zwar als Standort für innovative Industrien.«67 Von herausragender Bedeutung sei es dabei, dass Airbus den A380 in Hamburg produziere. Ende der 1990er hatte der europäische Luftfahrtkonzern begonnen, den Bau des neuen Großflugzeugs zu planen.68 Für die Endmontage waren unter anderem Toulouse und Hamburg im Gespräch. Von vornherein war unumstritten, dass die enormen Ausmaße des A380, der auf 800 Passagiere ausgelegt war, es notwendig machen würden, Start- und Landebahnen zu verlängern und größere Hallen zu bauen.69 Für das Werk in Finkenwerder, das von Dörfern, den Obstbaugebieten und dem unter Naturschutz stehenden Flussgebiet Mühlenberger Loch umgeben war, stellte dies ein erhebliches Problem dar. Die Lösung bestand für die Wirtschaftspolitiker der Stadt darin, inmitten des Flussgebiets 140 Hektar neue Landflächen aufzuschütten.70 Um im Wettbewerb mit den anderen Standorten bestehen zu können, sicherten sie Airbus zudem zu, die dabei anfallenden Kosten von mehr als einer Milliarde Mark zu übernehmen.71 Im
64 Ebd., S. 85. 65 Ebd. 66 Ebd., S. 85 f. 67 Ebd., S. 86. 68 Zum Bau des A380 siehe: Graham M. Simons, The Airbus A380. A History, Barnsley 2014; Andreas Spaeth, Airbus 380. Der fliegende Gigant aus Europa, Königswinter 2005. 69 Hans Aschermann, Planfeststellung: Airbus-Werkserweiterung im Mühlenberger Loch, in: Hansa. Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 140 (2003) H. 1, S. 63–74, hier S. 63. 70 Ebd., S. 64 f. 71 Gunther Latsch, Geplatzte Träume, in: Der Spiegel, 1.3.2003, S. 84–85, hier S. 84.
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Gegenzug stellte Airbus die Schaffung von 2.000 Arbeitsplätzen in Aussicht.72 Zudem sollten bei Zulieferern weitere 2.000 Arbeitsplätze entstehen. Nach einem Machtkampf zwischen französischen und deutschen Managern fiel Ende des Jahres 2000 die Entscheidung über den Produktionsstandort des A380.73 Ein Großteil der Endmontage sollte zukünftig in Toulouse stattfinden. Demgegenüber sollte Hamburg für weite Teile des Rumpfes, die Seitenleitwerke, die Innenausstattung und die Lackierung verantwortlich sein. Das Vorgehen der Wirtschaftsbehörde löste breite Proteste aus, vor allem unter Naturschützern, Bauern und den Bewohnern der am Elbufer gelegenen Villengebiete.74 Sie befürchteten, dass seltene Pflanzen und Tiere verschwinden, Obstanbaugebiete geschädigt und die Lärmbelastungen wachsen würden. Insgesamt 30.000 Menschen schlossen sich zu dem Schutzbündnis für Hamburgs Elbregion zusammen.75 Durch Eingaben beim Planungsverfahren und durch Klagen versuchten sie, das Zuschütten des Mühlenberger Loches zu verhindern. Letztendlich blieb dies vergeblich. Geschlossen setzten die Parteien der Bürgerschaft, die Unternehmensverbände und die Gewerkschaften den Bau des A380 in Hamburg durch.76 Vieles erinnerte an die Konflikte der vorangegangenen Jahrzehnte. Mit einem wesentlichen Unterschied. Um die Koalition mit der SPD nicht zu gefährden, stimmte die GAL , entgegen der eigenen Überzeugung, der Zerstörung des Naturschutzgebietes zu. Der grüne Umweltsenator Alexander Porschke rechtfertigte dies mit den Worten: »Wir haben uns nicht verständigen können, aber unter dem Strich ist die Entscheidung richtig.«77 Wenige Monate nachdem ihn die Abgeordneten der CDU, der FDP und der Schill-Partei zum neuen Bürgermeister gewählt hatten, stellte Ole von Beust im Jahr 2002 das »Leitbild: Metropole Hamburg – Wachsende Stadt«78 der 72 Alexander Jung, Völlig abgehoben, in: Der Spiegel, 6.8.2001, S. 90–93, hier S. 91 f. 73 Dinah Deckstein u. a., Das Zehn-Milliarden-Abenteuer, in: Der Spiegel, 10.5.2004, S. 84–95, hier S. 86–88. 74 Zum Konflikt um das Mühlenberger Loch siehe: Uwe Westphal / Renate Nimtz-Köster, Das Mühlenberger Milliardenloch. Wie ein Flugzeug die Politik beherrscht, Hamburg 2005. 75 Widerstand gegen Kerosin-Äpfel, in: Der Spiegel, 31.1.2000, S. 179. 76 Sie wollen den Airbus A380, in: Hamburger Abendblatt, 7.2.2001, S. 1. 77 Senat. Mühlenberger Loch für den Super-Airbus, in: Hamburger Abendblatt, 10.6.1998, S. 1. 78 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild: Metropole Hamburg – Wachsende Stadt, Hamburg 2002. Zur Debatte um das »Leitbild Wachsende Stadt« siehe: Axel Schildt / Dirk Schubert (Hrsg.), Städte zwischen Wachstum und Schrumpfung. Wahrnehmungs- und Umgangsformen in Geschichte und Gegenwart, Dortmund 2008; Uwe Altrock / Dirk Schubert (Hrsg.), Wachsende Stadt. Leitbild – Utopie – Vision?, Wiesbaden 2004; Rainer Volkmann (Hrsg.), Erfolgsmodell »Metropole Hamburg – Wachsende Stadt«? Ein neoliberales Leitbild und seine Folgen, Hamburg 2006; Jürgen Oßenbrügge u. a., »Metropole Hamburg – wachsende Stadt«. Begleitgutachten im Auftrag der Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 2002.
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Öffentlichkeit vor. Am Anfang des Leitbildes, das die Entwicklung der Stadt in den kommenden Jahren entscheidend prägen sollte, standen die veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen: »Der Wirtschaftsstandort Hamburg sieht sich durch die Globalisierung insbesondere der Wirtschafts- und Kommunikationsströme einer verschärften Konkurrenz auf internationaler Ebene ausgesetzt. Der weltweite Güter- und Dienstleistungsverkehr wird sich um ein Vielfaches erhöhen. Dadurch wird es zu einer Neuverteilung der Standortgunst kommen und in der Folge zu Gewinnern und Verlierern unter den Standorten. Vorausschauende Metropolen setzen deshalb bereits heute darauf, sich in der internationalen Konkurrenz stärker zu positionieren.«79 Vorbild seien Städte wie Barcelona, Kopenhagen, Toronto und Seattle. Um sich in dieser »Spitzengruppe der internationalen Metropolen«80 zu etablieren, müsse Hamburg seine Anstrengungen vervielfachen. Neben dem Wachstum von Wirtschaft und Beschäftigung sei auch das Wachstum der Bevölkerung maßgeblich. Dabei gehe es darum, die Entwicklung der vorangegangenen Jahrzehnte dauerhaft umzukehren. Bis zum Jahr 1964, in dem die Zahl der Einwohner mit 1,9 Millionen ihren bisherigen Höhepunkt erreicht habe, sei Hamburg stetig gewachsen.81 Danach habe ein lang anhaltender Niedergang eingesetzt. Im Jahr 1986 hätten nur noch 1,6 Millionen Menschen in der Hansestadt gelebt.82 Erst mit der »Grenzöffnung nach Osten und kriegsbedingten Flüchtlingsströmen aus Südosteuropa«83 sei die Zahl der Einwohner erneut gestiegen, auf 1,7 Millionen im Jahr 1996.84 Nach zwei Jahren der Stagnation nehme sie seit 1998 weiter zu, allerdings unter grundsätzlich veränderten Vorzeichen.85 Nun trügen vor allem junge Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zum Wachstum der Stadt bei. An diese positive Entwicklung müsse die Politik anknüpfen. Wichtigste Zielgruppe seien »junge Familien mit Kindern«86 und »junge kreative Menschen«87 wie Auszubildende, Studenten und Fachkräfte. Auch zukünftig müsse ein überdurchschnittlicher Anteil der Zuziehenden aus diesen Gruppen kommen. Denn, so fuhr der Senat fort: »In der globalen Konkurrenz kommt es zunehmend darauf an, attraktiv für international orientierte Führungskräfte und innovative Leistungsträger zu sein. Hamburg benötigt deshalb optimale Bedingungen für die Zuwanderung von Know-how-Trägern. Ziel muss sein, Netto-Importeur von qualifizierten Arbeitskräften zu werden.«88 Dafür sei eine 79 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 65. 80 Ebd., S. 4. 81 Ebd., S. 5 82 Ebd. 83 Ebd. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Ebd., S. 12. 87 Ebd., S. 13. 88 Ebd., S. 20.
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veränderte Wirtschaftspolitik notwendig. Nicht nur »harte Standortfaktoren«89, sondern auch »weiche Standortfaktoren«90 bestimmten die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt. Um in der »Konkurrenz um kreative Menschen«91 zu bestehen, würden Sicherheit, Sauberkeit, Lebensqualität und kulturelles Angebot immer wichtiger. Die neue Wirtschaftspolitik, die das »Leitbild Wachsende Stadt« einforderte, beschränkte sich nicht darauf, kreative Menschen anzuziehen. Gleichzeitig strebte sie an, Wirtschaftsräume zu fördern, die Innovation ermöglichten. Zentraler Bezugspunkt war der Begriff des Clusters: »Auch und gerade in den innovativen Bereichen kommt einer erfolgreichen Cluster-Bildung in der Metropolregion besondere Bedeutung zu. Denn ungeachtet des Trends zur Globalisierung und der weltweiten Verfügbarkeit von Wissen und Information spielt im Entstehungsprozess von innovativen Unternehmen in neuen Branchen die räumliche Nähe von potenziellen Kooperationspartnern, Ideen und Ratgebern sowie Zulieferern, Abnehmern, Anbietern aus verwandten etablierten Branchen, Forschungs- und Transfereinrichtungen, Hochschulen und Kapitalgebern etc. eine wichtige Rolle, damit ein sich gegenseitig verstärkender Prozess in Gang kommt.«92 Die Erfahrung zeige, »dass die vielfältigen Kooperationsbeziehungen für die gewünschte Inkubationswirkung nur in ›engen‹ Agglomerationsräumen entsteht, in denen die Akteure des Clusters ›zu Fuß‹ vernetzt sind.«93 Insgesamt sechs dieser Cluster machte das Leitbild für die Stadt Hamburg aus. Zu ihnen zählte sie »Life Sciences«, »Nano- und optische Technologien«, »IT und Medien«, »Luftfahrtindustrie«, »Hafen und Logistik« sowie »China«.94 Diese wirtschaftlichen Schwerpunkte sollten durch »Qualifizierung und Nachwuchsförderung«, »Forschung und Entwicklung«, »Marketing & PR« und »Netzwerkbildung« weiter gestärkt werden.95 Obwohl das »Leitbild Wachsende Stadt« zu den einflussreichsten politischen Konzepten der 2000er gehörte, war es weder von Politikern noch von Behördenmitarbeitern formuliert worden. Weite Teile des Leitbildes beruhten auf der Studie »Hamburg Vision 2020«96, die ein Jahr zuvor erschienen war. Diese Studie, welche die US -amerikanische Unternehmensberatung McKinsey aus eigener Initiative erstellt hatte, gab die politische Ausrichtung vor, die dann vom Senat 89 Ebd., S. 10. 90 Ebd. 91 Ebd. 92 Ebd, S. 20. 93 Ebd., S. 21. 94 Ebd., S. 2. 95 Ebd, S. 21. 96 McKinsey & Company, Hamburg Vision 2020. Vom nationalen Zentrum zur europäischen Metropole, Hamburg 2001. Zur Unternehmensberatung McKinsey siehe: Duff McDonald, The Firm. The Story of McKinsey and its Secret Influence on American Business, New York 2013; Thomas Leif, Beraten & verkauft. McKinsey & Co. – der große Bluff der Unternehmensberater, München 2008.
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übernommen wurde. Bereits bei der Unternehmensberatung hieß es: »Hamburg braucht einen neuen Entwicklungsschub, um wieder an die Spitze der Region und in die Gruppe der dynamischen Metropolen Europas zu gelangen – Vision Hamburg 2020.«97 Zudem gingen auch die Überlegungen zu den Clustern auf entsprechende Vorarbeiten zurück. So empfahl McKinsey, dass sich Hamburg künftig auf die »Cluster« »Kreative Berufe«, »Logistik«, »(Greater) China Portal«, »High-Tech-Medizin« und »Luftfahrt« konzentrieren solle.98 Grundlage der Studie »Vision Hamburg 2020« waren Interviews mit insgesamt »80 Meinungsbildnern« aus »Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Medien, Politik und Verbänden«.99 Damit wollte die Unternehmensberatung zu einem »Schulterschluss der regionalen Eliten«100 beitragen. Aufschlussreich war vor allem, wen sie nicht befragte. Weder Vertreter von Bürgerinitiativen noch Vertreter von Gewerkschaften rechnete McKinsey den wichtigen Meinungsbildnern zu. Ende des Jahres 2005 zog die chinesische Reederei China Shipping mit ihrer Europazentrale in die Hamburger Hafencity. Dort hatte sie ein eigenes Bürogebäude errichten lassen.101 Mit seinen übereinandergestapelten schwarzen Boxen und seinen rostroten Stahlträgern erinnerte der Neubau, der von den Architekten Bothe Richter Teherani (BRT) entworfen worden war, an eine Containerbrücke (Abb. 80)102. Die wichtige, aber letztlich begrenzte technologische Neuerung, die sich in den 1960ern durchzusetzen begann, war in den 2000ern zum Symbol der Globalisierung geworden, einer Globalisierung, für die der Handel mit China eine immer wichtigere Rolle spielte.103 Das rasante Wachstum der chinesischen Wirtschaft, das sich nach dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2002 weiter beschleunigte, war eine der zentralen Ursachen für den erneuten Boom des Hamburger Hafens.104 Allein von 2000 bis 2006 stieg der Containerumschlag zwischen Hamburg und China von 700.000 auf 2,6 Millionen Standardcontainer an.105 Immer mehr chinesische Unternehmen 97 McKinsey & Company, Hamburg Vision 2020, S. 2. 98 Ebd., S. 7–9. 99 Ebd., S. 2. 100 Ebd., S. 11. 101 Claas Gefroi, Fern dem Wasser, fern der Stadt: Der Sandtorkai, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2005, Hamburg 2005, S. 10–23. 102 Jürgen Bruns-Berentelg u. a., Hafencity Hamburg. Das erste Jahrzehnt, Hamburg 2012, S. 103. 103 Zum Zusammenhang von Containerisierung und Globalisierung siehe: Levinson, The Box, S. 264–278; Broeze, The Globalisation of the Oceans, S. 115–163. 104 Zum Aufstieg Chinas zur globalen Wirtschaftsmacht siehe: Shenggen Fan u. a. (Hrsg.), The Oxford Companion to the Economics of China, Oxford 2014; Tobias ten Brink, Chinas Kapitalismus. Entstehung, Verlauf, Paradoxien, Frankfurt am Main 2013; Kevin Honglin Zhang (Hrsg.), China as the World Factory, London 2012. 105 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Monitor Wachsende Stadt. Bericht 2007, Hamburg 2007, S. 23.
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eröffneten Niederlassungen in der Hansestadt. Deren Zahl stieg von 214 im Jahr 2000 auf 400 im Jahr 2006.106 Zudem unterhielten 700 Hamburger Firmen Geschäftsbeziehungen mit China.107 Bereits zu Beginn des Jahrzehnts hatte sich die Hamburger Wirtschaftspolitik neu ausgerichtet. So hatte es im »Leitbild Wachsende Stadt« geheißen: »Die Herausforderung für die Zukunft wird es sein, Hamburg zu einem europäischen Brückenkopf für und nach China zu entwickeln. Dazu gehört, Hamburg noch stärker als bislang zu einem Knotenpunkt für den europäischen China-Handel auszubauen, ein Zentrum für Dienstleistungsangebote rund um den ChinaHandel in Europa aufzubauen, forciert chinesische Investitionen nach Hamburg zu holen, aber auch die Präsenz Hamburgs in Shanghai zu verstärken.«108 Daran anknüpfend setzten sich Vertreter von Politik und Wirtschaft in den folgenden Jahren dafür ein, die Zusammenarbeit zu vertiefen. Um weitere chinesische Unternehmen davon zu überzeugen, ihre Europazentralen in der Hafencity anzusiedeln, schlug die Handelskammer nun, neben anderen Maßnahmen, den »Ausbau der weichen Standortfaktoren chinesischer Kultur, Gastronomie und Freizeit in einem sichtbar chinesisch geprägten Quartier«109 vor. Aber die Begeisterung über die neuen Möglichkeiten, die sich durch den Handel mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht zu bieten schienen, war nicht ungebrochen. Zu den pessimistischen Stimmen gehörte auch der Spiegel. Mehrfach wandte sich das Nachrichtenmagazin den negativen Folgen für die deutsche Industrie zu, so auch im Frühjahr 2004: »Es ist noch nicht lange her, da galt das Modell Deutschland als Exportschlager, als Muster einer funktionsfähigen Volkswirtschaft. Dann fielen in Europa die Grenzen, und auch China wandte sich der Marktwirtschaft zu. Plötzlich tauchten neue, viel billigere Konkurrenten auf. Seither hat sich der weltweite Wettbewerb enorm verschärft, die deutschen Unternehmen gerieten gewaltig unter Druck. Um Kosten zu sparen, verkleinerten sie ihre Belegschaften oder verlagerten Teile der Produktion ins Ausland. Gleichzeitig drängten immer mehr Billigarbeiter ins Land. Wie wird Deutschland diese Herausforderung bestehen? Müssen die Löhne auf osteuropäisches oder chinesisches Niveau sinken?«110 Nur wenige Monate später griff die Redaktion das Thema erneut auf. In einer Titelgeschichte beklagte sie, dass bei immer mehr Produkten der »Anteil der Importe aus Niedriglohnländern«111 anwachse, unter anderem bei Fernsehern, wo er bereits bei 77 Prozent liege.112
106 Ebd. 107 Handelskammer Hamburg, Positionen 2004, Hamburg 2004, S. 79. 108 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 44. 109 Handelskammer Hamburg, Positionen 2004, S. 82 f. 110 Christine Böhringer u. a., Das globale Job-Roulette, in: Der Spiegel, 25.4.2005, S. 80–92, hier S. 80. 111 Dietmar Hawranek u. a., Bye-bye »Made in Germany«, in: Der Spiegel, 25.10.2004, S. 94–109, hier S. 106. 112 Ebd.
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Für das Titelblatt wählte die Redaktion ein weit verbreitetes Symbol. Neben der Schlagzeile »Deutschland: Exportweltmeister (von Arbeitsplätzen)« war dort die Fotografie eines Containers zu sehen (Abb. 81)113. Im Jahr 2001 lieferte die südkoreanische Großwerft Samsung Heavy Industries die Cap San Nicolas aus. Sie war das erste von sechs Containerschiffen, welche die deutsche Reederei Hamburg Süd dort in Auftrag gegeben hatte.114 Mit der neuen Cap-San-Klasse, deren Namen auf die Stückgutfrachter der frühen 1960er anspielte, setzte ein rasantes Wachstum ein.115 In den folgenden Jahren ließ Hamburg Süd Dutzende weiterer Containerschiffe bauen.116 Auch die anderen deutschen Reedereien expandierten schnell. Die Zahl der von ihnen vergebenen Aufträge stieg von 101 im Jahr 2002 auf 643 im Jahr 2007 an.117 Zu den wichtigsten Ursachen gehörte der wirtschaftliche Aufstieg Chinas. In einem Artikel, der im Jahr 2004 erschien, machte der Spiegel deutlich: »Unabhängig von den allgemeinen Effekten der Globalisierung gibt es aber vor allem einen klar auszumachenden Grund für den größten Boom in der Geschichte der Schifffahrt: China. Längst ist das asiatische Riesenland die Fabrikhalle der Welt, in der nicht mehr nur Großkonzerne so gut wie jede Ware preisgünstig zusammenschrauben lassen – egal, ob Motorola-Handys, Adidas-Turnschuhe oder Infineon-Halbleiter. So unterschiedlich die Produkte, haben sie doch eines gemeinsam: Transportiert werden sie im Container.«118 Wie sehr sich die wirtschaftliche Entwicklung auf China ausrichtete, verdeutlicht auch eine Fotomontage, welche die HSH Nordbank in ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 2007 veröffentlichte (Abb. 82)119. Zu sehen war ein weiträumiges Panorama. Auf dessen linker Seite befand sich die Hamburger Innenstadt. Vor dem Fernsehturm und dem Michel lagen am Elbufer mehrere Museumsschiffe vor Anker, darunter der Stückgutfrachter Cap San Diego. Ein vollbeladenes Containerschiff mit der Inschrift Hamburg, das einen breiten Strom überquerte, verband die linke mit der rechten Bildseite. Hier erinnerte nichts mehr an eine nord113 Deutschland: Exportweltmeister (von Arbeitsplätzen), in: Der Spiegel, 25.10.2004, Titelseite. 114 Rolf Zamponi, Neue Schiffe, neue Jobs, in: Hamburger Abendblatt, 28.12.2000, S. 21. Zum Schiffbau in Südkorea siehe: Heiner Heseler, Südkoreas Vorherrschaft im Weltschiffbau. Ursachen und Auswirkungen, in: Korea. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft 6 (2001) H. 1, S. 158–178; Reynolds, One World Divisible, S. 420–424; Gabriel Jonsson, Shipbuilding in South Korea. A Comparative Study, Stockholm 1995. 115 Zu den Stückgutfrachtern der frühen 1960er siehe Kapitel 1. Hafen- und Industriestadt, S. 32 f. 116 Hans Jürgen Witthöft, Hamburg Süd. Eine illustrierte Chronik der Ereignisse, Hamburg 2009, S. 202–227. 117 Alexander Jung, Maritime Antragswelle, in: Der Spiegel, 2.11.2009, S. 100–101, hier S. 101. 118 Thomas Schulz, Die Kulis der Globalisierung, in: Der Spiegel, 7.6.2004, S. 86–92, hier S. 88. 119 HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2007, Hamburg / K iel 2008, Klapper 1.
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deutsche Stadt. Während Dschunken das Flussufer entlang fuhren, drängten sich im Hintergrund die Hochhäuser einer chinesischen Großstadt. Für das wirtschaftliche Wachstum Hamburgs, daran ließ diese Fotomontage keinen Zweifel, war der Handel mit China von herausragender Bedeutung. Dies unterstrich die kurze Selbstdarstellung der HSH Nordbank, die das Bild einrahmte. Auf der linken Seite stand: »Norddeutschland ist unsere Heimat und die Basis für unsere erfolgreiche internationale Entwicklung …«120 Und auf der rechten Seite: »… in attraktiven Märkten rund um den Globus. Der wachsende Handel zwischen den großen Wirtschaftsregionen bietet der HSH Nordbank ein hohes Potential. Insbesondere in Asien bauen wir unsere Präsenz weiter aus. So schaffen wir Mehrwert für unsere Kunden vor Ort.«121 Neben den sichtbaren Warenströmen zwischen chinesischen Fabriken und europäischen Häfen gehörten die sich mit ihnen verbindenden unsichtbaren Finanzströme zu den zentralen Ursachen für den Boom der deutschen Schifffahrt in den 2000ern. Maßgeblich daran beteiligt war die HSH Nordbank, die im Jahr 2003 aus der Fusion der Hamburgischen Landesbank mit der Landesbank Schleswig-Holstein hervorgegangen war.122 Zu Beginn des neuen Jahrtausends stieg sie zum »weltgrößten Schiffsfinanzierer«123 auf. Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich ihr Kreditvolumen für Schiffsfinanzierungen. Noch im Jahr 1994 hatte es, die damals noch unabhängigen Landesbanken zusammengenommen, bei umgerechnet drei Milliarden Euro gelegen.124 Bis 2006 stieg es auf 22 Milliarden Euro an.125 Dass auch andere Banken immer großzügigere Kredite vergaben, hing eng mit einigen Ausnahmeregeln im Steuerrecht zusammen, die der Deutsche Bundestag beschlossen hatte, um Schifffahrt und Schiffbau zu stärken. Die Ausnahmeregeln, die im Jahr 1999 in Kraft traten, sahen unter anderem eine Tonnagesteuer vor.126 Im Unterschied zu anderen Unternehmen besteuerte der Staat bei den Reedereien nicht mehr die tatsächlich erzielten Gewinne, sondern lediglich die Größe der Schiffe. Auch für Anleger waren die deutlich niedrigeren Abgaben attraktiv. Neben Immobilien- und Medienfonds entwickelten sich Schiffsbeteiligungen zum wichtigen Steuersparmodell für Wohlhabende. In kurzer Zeit strömten nun Milliarden von Euro in die deutsche Schifffahrt. Bereits im Jahr 2006 befanden sich 1157 der weltweit 3499 Containerschiffe in deutschem Besitz.127 120 Ebd. 121 Ebd. 122 Zur HSH Nordbank siehe: Norbert Dieckmann, Die Entwicklung der deutschen Landesbanken, Norderstedt 2012; Joachim Bischoff u. a., Tatort HSH Nordbank. Über »Bankenrettungen«, Landesbanken und Schlammschlachten, Hamburg 2010. 123 HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2007, S. 12. 124 Erfolgreicher Bankenplatz Deutschland. Internationalisierung schreitet voran, in: Hansa. International Maritime Journal 144 (2007) H. 8, S. 66–76, hier S. 71. 125 Ebd. 126 Gang von der Küste, in: Der Spiegel, 3.8.1998, S. 42–43, hier S. 43. 127 Thomas Schulz, Schneller, größer, Meer, in: Der Spiegel, 17.2.2007, S. 80–83, hier S. 81.
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Vor allem Hamburger Banken, Emissionshäuser und Reedereien profitierten, unter ihnen der Charterreeder Claus-Peter Offen. Auf die Frage der Zeit »Wie erklären Sie sich den Erfolg des Hamburger Hafens?« antwortete er: »Man muss sich das mal genau anschauen. Nach dem Krieg waren wir auf Platz 27 unter ferner liefen. Heute gruppiert sich in und um Hamburg ein Drittel der Weltflotte. Hier schlägt das Herz der Globalisierung. Auf dem Chartermarkt für Schiffe befinden sich fast 80 Prozent des Weltmarktes in Hamburg, mit entsprechendem Personalbestand. Hamburg ist wichtigster Finanzplatz für die Seeschifffahrt weltweit, mit allem, was dazu gehört, Versicherungen, Schiffsmaklern. Von den zehn größten Seeschifffahrtsfinanzdienstleistern befinden sich sechs in Hamburg. Der größte ist die Hamburgische Landesbank. Hier passiert was!«128 Nur wenige Kilometer von der City entfernt war von dem Boom der Schifffahrt wenig zu spüren. Trotz gleichzeitiger Milliardeninvestitionen stagnierte bei den wenigen verbliebenen Werften die Beschäftigung. Nur knapp 3.000 Menschen fanden hier ihr Auskommen.129 Kaum einer der Aufträge, die Fondsanbieter und Reedereien vergaben, blieben in der Stadt. Stattdessen ließen sie fast alle Schiffe im Ausland bauen.130 Vor diesem Hintergrund stieg der Weltmarktanteil asiatischer Werften weiter an. Im Jahr 2010 lag er bei 93,2 Prozent.131 Für die Veranstaltungsreihe »Unternehmen Hamburg. Gespräche im Elysée«132 hatte das Hamburger Abendblatt Anfang 2003 den CDU-Finanzsenator Wolfgang Peiner eingeladen. Thema des Abends war die Privatisierung öffentlicher Unternehmen.133 Zu Beginn seiner Rede blickte Peiner, der vor seiner Berufung zum Senator Vorstandsvorsitzender des Versicherungskonzerns Gothaer ge wesen war, auf das vorangegangene Jahrzehnt zurück: »Seit Mitte der 90er Jahre erleben wir im kommunalen Bereich in Deutschland eine echte Privatisierung. Das heißt Unternehmen wie Stadtwerke oder Krankenhäuser werden wirklich privat betrieben. Problematisch in diesem Zusammenhang ist aber, dass die öffentliche Hand von der Kassenlage getrieben wird, statt bewusst die 128 Emanuel Eckhard, Suchen Sie mal diese Leute, in: Die Zeit, 26.1.2006, S. 16. 129 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2010/2011, Hamburg 2011, S. 134. 130 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Shipping Statistics Yearbook 2010, S. 215. 131 Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, Shipping Statistics Yearbook 2011, Bremen 2011, S. 269 f. 132 Wie Hamburg seine Firmen verkauft, in: Hamburger Abendblatt, 5.3.2003, S. 21. 133 Zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen siehe: Ralf Ahrens u. a., Vermarktlichung. Zeithistorische Perspektiven auf ein umkämpftes Feld, in: Zeithistorische Forschungen 12 (2015) H. 3, S. 393–402; Marcel vom Lehm, Geschichte eines »Sachzwangs«. Privatisierung als historischer Prozess, in: Neue Politische Literatur 58 (2013) H. 1, S. 59–76; Norbert Frei / Dietmar Süß (Hrsg.), Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012; Hans-Jürgen Bieling u. a. (Hrsg.), Liberalisierung und Privatisierung in Europa. Die Reorganisation der öffentlichen Infrastruktur in der Europäischen Union, Münster 2008.
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Privatisierung zu steuern.«134 Dies gelte auch für Hamburg. Um das Haushaltsdefizit zu finanzieren, habe der sozialdemokratisch geführte Senat seit 1994 mehrere stadteigene Unternehmen privatisiert, darunter die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW). Zu Beginn des neuen Jahrzehnts biete sich nun die Chance, diese kurzfristige Ausrichtung durch eine langfristige zu ersetzen: »Ich sehe es als meine Aufgabe an, weitere Privatisierungen mit strategischen und ordnungspolitischen Zielen zu verbinden. Sie müssen sich nach der Aufgabenstellung der Unternehmen richten und nach deren strategischer Bedeutung für die Freie und Hansestadt Hamburg.«135 Zu diesem Zweck habe man, so Peiner, die noch vorhandenen stadteigenen Unternehmen in vier Kategorien unterteilt. Die erste Kategorie umfasse Unternehmen, die wichtig für die Infrastruktur der Stadt seien. Hier sei der Verkauf von Anteilen, nicht aber der Verkauf der Mehrheit denkbar. Zur zweiten Kategorie gehörten Unternehmen, die für die »langfristige Sicherung des Wirtschaftsstandortes Hamburg von herausragender Bedeutung sind«136. Hier werde die Stadt zumindest 26 Prozent der Anteile halten. Die dritte Kategorie beinhaltete »Unternehmen, die zur Erfüllung fachspezifischer Ziele von Bedeutung sind«137. Hier wolle der Staat eine Mindestbeteiligung halten, zum Beispiel durch »Public Private Partnership«138. Alle anderen Unternehmen könnten ohne Einschränkung privatisiert werden. Wenige Monate nach der programmatischen Rede von Wolfgang Peiner veröffentlichte der Senat eine Liste, welche die 62 wichtigsten öffentlichen Unternehmen der Stadt den vier Kategorien zuordnete.139 Das Wohnungsbauunternehmen SAGA GWG, die Hochbahn und der Flughafen sollten zu 49,9 Prozent, der Landesbetrieb Krankenhäuser, die HSH Nordbank und die HHLA zu 74,9 Prozent und das Ausstellungshaus Deichtorhallen und die Staatsoper fast vollständig verkauft werden können. In den folgenden Jahren trieb der Senat die Privatisierung voran, unter anderem auch bei der HHLA . In besonderem Maße hatte das stadteigene Hafenunternehmen von dem Boom der Containerschifffahrt profitieren können. Vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2006 war der Containerumschlag der HHLA von 2,8 auf 6,1 Millionen Standardcontainer gestiegen.140 Bis zum Jahr 2015 sollte er sich erneut verdoppeln, auf dann 12 Millionen Standardcontainer.141 Dafür waren jedoch erhebliche Investitionen erforderlich. Allein die HHLA benötigte 1,2 Milliarden Euro.142 Insgesamt lagen die Kosten für den Ausbau des Hafens 134 Wie Hamburg seine Firmen verkauft, in: Hamburger Abendblatt, S. 21. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd. 138 Ebd. 139 Was die Stadt verkaufen will – und was nicht, in: Hamburger Abendblatt, 3.9.2003, S. 13. 140 Bob Geisler, HHLA sieht sich fit für die Börse, in: Hamburger Abendblatt, 22.2.2007, S. 23. 141 Ebd. 142 Jörg Schmitt u. a., Kulturkampf am Kai, in: Der Spiegel, 18.12.2006, S. 88.
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bei 2,3 Milliarden Euro.143 Um diese hohen Investitionen zu finanzieren, strebte der Senat an, die Mehrheit des Hafenunternehmens an private Anleger zu verkaufen. Zudem sah er in dem Einstieg »strategischer Investoren«144 die Möglichkeit, weitere Verkehre an den Hafen zu binden und so die Stellung der HHLA langfristig zu stärken. Gegen Mitte der 2000er war das Marktumfeld für dieses Vorhaben günstig. Containerterminals galten als »Zukunftsbranche«145, globale Konzerne wie Hutchison Port Holdings mit Sitz in Hongkong und Dubai Ports World mit Sitz in Dubai waren entstanden und immer mehr Investmentbanken und Fonds legten hier ihr Geld an. Im Jahr 2005 schien der Senat einen Käufer gefunden zu haben. Wenn die Deutsche Bahn ihre Unternehmenszentrale von Berlin nach Hamburg verlege, so die getroffene Vereinbarung, dann könne sie die Mehrheit an der HHLA übernehmen.146 Da sich ein neuer Unternehmenssitz der Deutschen Bahn politisch nicht durchsetzen ließ, scheiterte die Übernahme. Daraufhin änderte der Senat sein Vorgehen. Nun sollten 49,9 Prozent der Anteile an einen einzelnen Investor verkauft werden.147 Zu den Wettbewerbern gehörten neben der Deutschen Bahn, der Baukonzern Hochtief, der Hafenbetreiber Dubai Ports World, die australische Bank Macquarie und die beiden Finanzinvestoren 3i und Allianz Investment.148 Während der Senat große Hoffnungen in den Einstieg eines privaten Investors setzte, überwogen bei den Beschäftigten der HHLA die Ängste. Sie befürchteten, dass dieser auf schlechtere Arbeitsbedingungen und Entlassungen drängen werde. Unterstützt vom Betriebsrat und der Gewerkschaft Ver.di wandten sie sich gegen die Privatisierung. Je konkreter die Pläne für den Verkauf wurden, desto mehr nahm ihr Widerstand zu. Schließlich verweigerten die HHLABeschäftigten Ende des Jahres 2006 die Arbeit auf den Containerterminals. Insgesamt 2.000 Betroffene gingen auf die Straße.149 Am Rande der Demonstration machte einer der Hafenarbeiter deutlich: »Wird das Unternehmen privatisiert, dann regieren hier nur noch finanzwirtschaftliche Interessen. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, Jobs gehen verloren. Außerdem muss der Ausverkauf der Stadt gestoppt werden.«150 In den folgen Monaten erhöhten die Hafenarbeiter den Druck. Nachdem sie einen dauerhaften Boykott der Überstunden angekündigt hatten, lenkte der 143 Rolf Zamponi, Milliarden für tausende neue Jobs im Hafen, in: Hamburger Abendblatt, 21.12.2006, S. 21. 144 Schmitt u. a., Kulturkampf am Kai, S. 88. 145 Thomas Schulz, Kampf um die Kaimauern, in: Der Spiegel, 21.8.2006, S. 82–86, hier S. 82. 146 Ver.di. Stadt muß HHLA behalten, in: Hamburger Abendblatt, 12.4.2006, S. 28. 147 Geisler, HHLA , S. 23. 148 Ebd. 149 Bob Geisler / Vanessa Seifert, Arbeiter legen Hamburger Hafen lahm, in: Hamburger Abendblatt, 15.12.2006, S. 21. 150 Das sagen die Mitarbeiter, in: Hamburger Abendblatt, 15.12.2006, S. 21.
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Senat ein. Anfang des Jahres 2007 verabschiedete er sich von dem Vorhaben, 49,9 Prozent der Unternehmensanteile an einen einzelnen Investor zu verkaufen. Stattdessen sollten nun 30 Prozent der Aktien an der Börse angeboten werden.151 In einem Artikel kommentierte der Spiegel: »Es ist ein Sieg der Straße. Denn die Gewerkschaft Ver.di hatte mit allerlei effektiven Obstruktionsmethoden gegen die Pläne des Senats opponiert: Massenkundgebungen, Bummelstreiks, Krankmeldungen, Ablehnung von Überstunden. Das sind überaus wirksame Mittel in einer Branche, in der Zeit wirklich Geld ist. Wäre der Konflikt tatsächlich eskaliert, hätte das die HHLA pro Woche bis zu 30 Millionen Euro kosten können: Weil die Containerriesen länger im Hafen liegen müssten, drohte ein Schiffsstau auf der Elbe und Schadensersatzforderungen der Reeder, oder die Schiffe hätten gar auf Konkurrenzhäfen in Norddeutschland ausweichen müssen und wären im schlimmsten Fall der Hansestadt dauerhaft als Kunden verlorengegangen.«152 Eine Fotomontage, die den Bericht illustrierte, unterstrich diese Einschätzung (Abb. 83)153. Über dem Porträt des Bürgermeisters Ole von Beust war ein hell erleuchtetes Containerterminal zu sehen. Umgeben von riesigen Portalhubwagen standen dort wenige hundert Männer in orangener Arbeitskleidung. In diesen streikenden Hafenarbeitern, so legte es die Montage nahe, hatte die Privatisierungspolitik des Senats ihre Grenze gefunden. Zugleich machte die Fotografie der Streikenden sichtbar, worin deren Macht bestand. Sie waren Spezialisten in einer hochtechnisierten Arbeitswelt. Unter dem Titel »Im Focus dynamischer Wachstumsmärkte«154veröffentlichte die Wirtschaftsbehörde im Jahr 2005 einen neuen Hafenentwicklungsplan. Eine Karte über die »Flächennutzung im Hafen Hamburg«, die als Teil des Entwicklungsplans erschien, legte die neue räumliche Ordnung des Hafens offen, die sich nach 1989 herausgebildet hatte (Abb. 84)155. Orangene Striche auf rosa Hintergrund wiesen weite Teile des Hafengebiets dem Containerumschlag zu. Auch die Flächen für Logistik, die mit braunen Giebeln auf gelbem Hintergrund gekennzeichnet waren, nahmen großen Raum ein. Demgegenüber spielten andere Nutzungen nur noch eine untergeordnete Rolle. Dies verdeutlichten auch die veröffentlichten Statistiken. Nachdem der Containerumschlag von zwei Millionen Standardcontainern im Jahr 1990 auf sieben Millionen im Jahr 2004 gestiegen war, lag sein Anteil am Gesamtumschlag des Hamburger Hafens bei fast 65 Prozent.156 Angesichts des Booms, der seit mehr als einem Jahrzehnt anhielt, stellte die Wirtschaftsbehörde fest: »Die Entwicklungsaus151 Bob Geisler / Christoph Wohlleben, »Die Kollegen können wieder lächeln«, in: Hamburger Abendblatt, 14.3.2007, S. 21. 152 Cordula Meyer / Janko Tietz, Sieg der Straße, in: Der Spiegel, 19.3.2007, S. 102. 153 Ebd. 154 Behörde für Wirtschaft und Arbeit Hamburg, Im Focus dynamischer Wachstumsmärkte. Chancen und Entwicklungspotentiale des Hamburger Hafens, Hamburg 2005. 155 Ebd., Anlage. 156 Ebd., S. 10.
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sichten des Hamburger Hafens sind ausgezeichnet. Ausgehend von der veränderten wirtschaftsgeographischen Lage Hamburgs seit den 1990er Jahren und der erfolgreichen Positionierung im Verkehr zwischen den Wachstumspolen Ostasien und Osteuropa ist auch zukünftig mit starkem Wachstum im Hafen zu rechnen.«157 Bis zum Jahr 2010, so die Prognose der Wirtschaftsbehörde, werde der Containerumschlag auf knapp 13 Millionen Standardcontainer ansteigen.158 Weitere fünf Jahre später seien mehr als 18 Millionen zu erwarten.159 Der Anteil des Containers am Gesamtumschlag werde dann bei 79 Prozent liegen.160 Dementsprechend richtete die Wirtschaftsbehörde den Ausbau des Hafens vollständig auf den Containerumschlag aus. In einer »mittelfristigen Perspektive«161 sollte im Mittleren Freihafen das Containerterminal Steinwerder gebaut werden. Darüber hinaus war das Hafenerweiterungsgebiet in Moorburg für ein weiteres Containerterminal vorgesehen. Nach Erscheinen des Hafenentwicklungsplanes setzte sich das rasante Wachstum des Containerumschlags zunächst fort. Von 2004 bis 2007 stieg er von sieben Millionen Standardcontainern auf fast zehn Millionen an.162 Doch mit der Pleite der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers und der darauffolgenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise fand der Boom ein abruptes Ende.163 Im Jahr 2009 brach der Containerumschlag im Hamburger Hafen auf sieben Millionen Standardconatiner ein.164 Danach gelang es nicht mehr, an die vorangegangenen Wachstumsraten anzuknüpfen. Im Jahr 2010 lagen die tatsächlichen Umschlagszahlen um fünf Millionen unter denen, die der Hafenentwicklungsplan im Jahr 2005 prognostiziert hatte.165 Damit waren die Pläne für die Erweiterung überholt. Die Wirtschaftsbehörde verschob den Bau des Containerterminals Steinwerder auf unbestimmte Zeit.166 Mit voller Wucht erfasste die globale Finanz- und Wirtschaftskrise auch die Containerschifffahrt. Während der Welthandel einbrach, lieferten die Werften die vor 2008 in Auftrag gegebenen Schiffe aus. Angesichts dessen schossen die Verluste der Reedereien in die Höhe. Neben der Hamburg Süd galt dies vor 157 Ebd., S. 22 f. 158 Ebd. S. 23. 159 Ebd. 160 Ebd. 161 Ebd., S. 33 f. 162 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2012/2013, Hamburg 2013, S. 166. 163 Zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 siehe: Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus, Berlin 2013; Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010; Paul Krugman, Die neue Weltwirtschaftskrise, Bonn 2009. 164 Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2012/2013, S. 166. 165 Ebd.; Behörde für Wirtschaft und Arbeit Hamburg, Im Focus dynamischer Wachstumsmärkte, S. 23. 166 Martin Kopp / Olaf Preuß, Ausbau des mittleren Hafens nicht vor 2020, in: Hamburger Abendblatt, 8.1.2013, S. 1.
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allem für die zweite große Hamburger Linienreederei, die Hapag Lloyd. Nur eine Staatsbürgschaft in Höhe von 1,2 Milliarden Euro rettete sie im Jahr 2009 vor dem Konkurs.167 Noch einschneidender waren die Folgen für den Rest der Branche. Da die Linienreedereien die Charterverträge, die sie in den Jahren des Booms abgeschlossen hatten, kündigten, griff die Krise auch auf die Charterreedereien, Emissionshäuser und Banken über. Vielen Schiffsfonds drohte nun die Pleite. Banken wie die HSH Nordbank waren zu Rückstellungen in Milliardenhöhe gezwungen.168 Gleichzeitig fanden sich immer weniger Anleger, die noch bereit waren, ihr Geld in Schiffsfonds anzulegen. Allein von 2007 bis 2008 brach die Zahl der Schiffbauaufträge deutscher Reedereien von 643 auf 215 ein.169 Vier Jahre nach Ausbruch der Krise berichtete der Spiegel: »Es geht nicht um das Überleben der einen oder anderen Reederei, sondern um das Geschäftsund Finanzierungsmodell der gesamten deutschen Branche. Die Geldquellen, die Deutschland zur Nummer eins auf dem Containermarkt gemacht haben, sind mit dieser Krise auf Jahre versiegt.«170 Und urteilte dann: »Der Markt ist praktisch tot«171.
167 Rolf Zamponi, Milliarden-Staatshilfe für Hamburger Reederei, in: Hamburger Abendblatt, 29.9.2009, S. 25. 168 Beat Balzli / Wolfgang Reuter, Aus dem Ruder gelaufen, in: Der Spiegel, 22.3.2010, S. 110–111, hier S. 111. 169 Jung, Maritime Antragswelle, S. 101. 170 Isabell Hülsen, Opfer des Größenwahns, in: Der Spiegel, 16.4.2012, S. 80–81. 171 Ebd., S. 81.
2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser
Zu Beginn seiner vielbeachteten Rede, die er im Jahr 1997 vor dem ÜberseeClub hielt, wandte sich der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau direkt an den anwesenden Bundespräsidenten Roman Herzog: »Herr Bundespräsident. Sie haben zu Recht kürzlich festgestellt: ›Die Welt ist im Aufbruch – sie wartet nicht auf Deutschland.‹ Auf Hamburg wartet sie auch nicht.«1 Wenn die Stadt im »internationalen Metropolenwettbewerb«2 bestehen wolle, so fuhr der Sozialdemokrat fort, müsse sie ihre Wirtschaftspolitik neu ausrichten, vor allem im Hinblick auf den Dienstleistungssektor: »Wachstumsimpulse werden über eine Generation vor allem durch Handels-, Verkehrs-, Logistik-, Finanz-, Medien-, Unterhaltungs-, Kultur- und Tourismusdienstleistungen eintreten. Gestern erst war im Wirtschaftsteil deutscher Zeitungen von 150.000 neuen Arbeitsplätzen und einem Marktvolumen von 110 Milliarden bis zum Jahr 2000 nur durch Multimedia die Rede. […] Wer denn sonst, wenn nicht wir in Hamburg, hat die Chance, sich von dem langfristigen, ja nach dem Jahr 2000 weitergehenden strukturellen Innovationsprozeß allein dieses Sektors einen Standortvorteil zu sichern?«3 Eine der notwendigen Voraussetzungen bestehe darin, die City zu erweitern. Das Hafengebiet, das südlich der Speicherstadt gelegen sei, biete hier eine einmalige Chance. In unmittelbarer Nähe zur bestehenden Innenstadt könnten zahlreich neue Bürobauten entstehen. Damit war Voscherau zum eigentlichen Thema seines Vortrags gekommen, den bis dahin geheim gehaltenen Planungen für die Hafencity.4 Ausdrücklich wies er auf die historische Bedeutung des Vorhabens hin. Ebenso wie die Industrialisierung des Hafens gegen Ende des 19. Jahrhunderts werde die Hafencity einen tiefen Einschnitt darstellen. Nach mehr als hundert Jahren, in denen das Flussufer durch den Hafen geprägt gewesen sei, werde die Stadt nun an die Elbe zurückkehren.
1 Henning Voscherau, Vortrag zum Übersee-Tag. 7.5.1997, in: Der Übersee-Club Hamburg (Hrsg.), Jahrbuch 1996/97, Hamburg 1998, S. 9–20, hier S. 12. 2 Ebd., S. 11. 3 Ebd., S. 13. 4 Zur Hafencity siehe: Dirk Meyhöfer, Hafencity Hamburg Waterfront. Architekturführer, Hamburg 2014; Egbert Kossak, Speicherstadt und Hafencity, Hamburg 2013; Gert Kähler / Sandra Schürmann, Spuren der Geschichte. Hamburg, sein Hafen und die Hafencity, Hamburg 2010; Jörn Weinhold, Port Culture: Maritime Entertainment and Urban Revitalisation, 1950–2000, in: Martina Heßler / Clemens Zimmermann (Hrsg.), Creative Urban Milieus. Historical Perspectives on Culture, Economy, and the City, Frankfurt am Main 2008, S. 179–205; Dirk Schubert (Hrsg.), Hafen- und Uferzonen im Wandel. Analysen und Planungen zur Revitalisierung der Waterfront in Hafenstädten, Berlin 2001.
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Entscheidend für den zukünftigen Erfolg seien vor allem »weiche Standort bedingungen«5. Gerade eine zeitgemäße städtebauliche Gestaltung könne zu der »Attraktivität«6 der Hafencity beitragen. Auch hier sei eine Abkehr von der Vergangenheit erforderlich: »Stadtentwicklung war in Deutschland lange gekennzeichnet durch die räumliche Trennung von Arbeiten, Wohnen, Einkaufen, Versorgung und Freizeit. Auch für Hamburg hatte sich dies so ergeben. Heute denken wir anders über die räumliche Trennung von Nutzungen. Was die Innenstadt als Herz und Aushängeschild angeht, so haben wir die Vision eines revitalisierten Stadtraumes mit lebendiger Nutzungsmischung von Arbeiten, Wohnen, Versorgung, Freizeit, Fremdenverkehr, Kultur. Die Erweiterung der Innenstadt um den innerstädtischen Hafenrand eröffnet die in Jahrzehnten einzigartige Möglichkeit, diese Vision Realität werden zu lassen.«7 Ihren Niederschlag fanden diese wirtschaftspolitischen und städtebaulichen Grundsatzentscheidungen auch in dem »Masterplan«8 für die Hafencity, den die Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH im Jahr 2000 ver öffentlichte. Der Masterplan beruhte auf dem Entwurf der Architektengruppe um Kees Christianse, die sich in einem städtebaulichen Wettbewerb durchgesetzt hatte. Mit ihm legte die Stadt den Rahmen für die Entwicklung des neuen Stadtteils fest. Insgesamt umfasste das Planungsgebiet 155 Hektar, davon 55 Hektar Wasserflächen.9 Für die Bauarbeiten, die im folgenden Jahr beginnen sollten, veranschlagte der Masterplan einen Zeitraum von 25 Jahren.10 Insgesamt strebte er an, in der Hafencity Dienstleistungsflächen für 20.000 Arbeitsplätze zu schaffen, ein Großteil davon für Unternehmen aus der »digitalen Wirtschaft« und den »Neuen Medien«.11 Um die neuen Branchen anzuziehen, verfolgte der Masterplan das Ziel, einen lebendigen und abwechslungsreichen Stadtteil aufzubauen. Zu diesem Zweck legte er fest, den charakteristischen Wechsel zwischen den Wasserflächen der Hafenbecken und den Landflächen der Kaizungen zu erhalten, das Erweiterungsgebiet in vielfältige, kleinere »Quartiere«12 zu unterteilen und eine »städtisch gemischte Nutzungsstruktur«13 durchzusetzen. Neben Büroflächen sah er deswegen auch 5.500 Wohnungen für bis zu 12.000 Einwohner vor.14 Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf »gehobenen städtischen Wohnformen«15. 5 Voscherau, Vortrag zum Übersee-Tag, S. 18. 6 Ebd. 7 Ebd., S. 17 f. 8 Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung, Hafencity Hamburg. Der Masterplan, Hamburg 2000. 9 Ebd., S. 80. 10 Ebd., S. 6. 11 Ebd., S. 7 und S. 80. 12 Ebd., S. 10. 13 Ebd., S. 7. 14 Ebd., S. 80. 15 Ebd., S. 7.
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Zudem sollten Einzelhandel, Kultureinrichtungen und ein Kreuzfahrtterminal Besucher und Touristen anlocken. Die herausgehobene Bedeutung, die der Nutzungsmischung zukam, unterstrich auch die Karte »Räumliche Verteilung von Art und Maß der Nutzung« (Abb. 85)16, die als Teil des Masterplans erschien. Verschiedene Farben wiesen die vorgesehenen Nutzungen aus. Unter anderem standen rot für »Wohnnutzung«, orange für »Gemischte Nutzung«, braun für »Kerngebietstypische Nutzung«, lila für »Sondernutzung« und dunkelgrün für »Öffentliches Grün«. Die Art und Weise, in der die verschiedenen Farbflächen auf den Kaizungen angeordnet waren, glich einem Flickenteppich. Einzelne Zonen waren nur wenige Meter breit. Gerade diese dichte Überlagerung von Wohnen, Arbeit und Freizeit sollte Urbanität ermöglichen. Von vornherein war es unter den beteiligten Politikern und Architekten unumstritten, dass sich ein Großprojekt wie die Hafencity nur in Zusammenarbeit mit privaten Investoren verwirklichen lasse. Um die Immobilienwirtschaft frühzeitig einzubinden, richtete die Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung mbH bereits im Jahr 1998, und damit zwei Jahre bevor sie den Masterplan veröffentlichte, das »Erste Immobilienwirtschaftliche Expertensymposium« aus.17 Offen formulierten die Vertreter der Branche dort ihre Erwartungen, so auch Jürgen Ehrlich von der Deutschen Immobilien Fonds AG, der einen Vortrag über die »Entwicklung des Hamburger Immobilienmarktes im Wettbewerb der europäischen Standorte« hielt.18 Im Hinblick auf »Markbewertungskriterien« wie »Rendite«, »Wertentwicklungspotential« und »Mietsteigerungspotential«, so der Fondsmanager, sei die Lage in Hamburg zufriedenstellend.19 Auch bei »weichen Faktoren« wie »Image« und »Wohnqualität« habe die Stadt viel zu bieten.20 Dennoch bleibe einiges zu tun: »Im Zusammenhang mit der Hafencity wird es notwendig sein, daß ein architektonisches Erscheinungsbild entsteht, das über die Grenzen hinaus Bekanntheitsgrad haben wird und damit auch einem Vergleich mit London oder Paris standhält. Spektakuläre Architektur hilft, Zeichen zu setzen.«21 Während die Planungen für die Hafencity allmählich Gestalt annahmen, verschärfte sich die Krise der City Nord.22 Vor allem der schleichende Bedeutungsverlust der Mineralölindustrie machte der Geschäftsstadt am Stadtpark zu 16 Ebd., Anlage 3. 17 Bernd Tiedemann, Vorwort, in: Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (Hrsg.), Erstes Immobilienwirtschaftliches Expertensymposium, Hamburg 1999, S. 5. 18 Jürgen Ehrlich, Entwicklung des Hamburger Immobilienmarktes im Wettbewerb der europäischen Standorte (gewerbliche Immobilien), in: Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (Hrsg.), Erstes Immobilienwirtschaftliches Expertensymposium, Hamburg 1999, S. 18–24. 19 Ebd., S. 18–19. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Zur City Nord in den 1990ern und 2000ern siehe: Soggia, City Nord, S. 220–257.
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schaffen. Im Laufe der 1960er und 1970er hatten sich dort die Großverwaltungen von Esso Deutschland, der Benzin und Petroleum AG, der Deutschen Shell und der Deutschen Texaco angesiedelt.23 Doch mit den Ölkrisen von 1973 und 1979 setzte der Niedergang der Branche ein.24 Die sich verschärfende Konkurrenz zwang die Konzerne zu immer neuen Sparmaßnahmen, gerade auch die Deutsche Shell. Kurz vor Ausbruch der ersten Ölkrise hatte sie begonnen, einen Neubau für 2.000 Angestellte in der City Nord zu errichten.25 Gegen Ende der 1990er arbeiteten dort nur noch 850 Menschen.26 Große Teile des Bürogebäudes mussten untervermietet werden. Da weitere 370 Stellen abgebaut werden sollten, fiel im Jahr 1998 schließlich die Entscheidung, die City Nord zu verlassen und in ein kleineres Bürogebäude in einem anderen Stadtteil zu ziehen.27 Das Hamburger Abendblatt kommentierte: »Schock für Hamburg: Der Mineralölkonzern verringert die Belegschaft. Und verläßt den Überseering. Die City Nord droht zum Auslaufmodell zu werden.«28 In einer Studie, die im Jahr 1999 erschien, setzte sich der Senat ausführlich mit den Ursachen des Abstiegs auseinander.29 Neben dem »Strukturwandel«30 in der Mineralölwirtschaft, der Versicherungsbranche und der Post machte er die stadtplanerische Ausrichtung als zentrales Problem aus: »Die City Nord entspricht als weitgehend monofunktionales Bürohausquartier in ganz besonderer Weise dem Leitbild ihrer Entstehungszeit, der ›funktionsgetrennten Stadt‹. Funktionen wie Wohnen, Einkaufszentrum und soziale Infrastruktur wurden nur in geringem Umfang und nur in der ›Zentralen Zone‹ integriert. Diese Lösung entspricht nicht mehr den modernen, unternehmensorientierten städtebaulichen Konzepten von heute, die sich in Hamburg andernorts vorrangig auf gemischt genutzte und inspirierende Milieus für Arbeitsstätten richtet. Zu einem solchen Profil kann sie sich in absehbarer Zeit auch nicht entwickeln.«31 Darüber hinaus seien die Bürogebäude veraltet. Insbesondere die unbeliebten Großraumbüros und die teure Vollklimatisierung trügen dazu bei, den Niedergang zu verstärken. Bereits 75.000 Quadratmeter blieben ungenutzt.32 Fünf von 23 großen Bürogebäuden drohe der Leerstand.33 23 Zur City Nord während des Booms siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 54–56. 24 Zu den Ölkrisen von 1973 und 1979 siehe: Göbel, Die Ölpreiskrisen der 1970er Jahre; Reynolds, One World Divisible, S. 369–402; Hohensee, Der erste Ölpreisschock 1973/74. 25 Grundstein für neues Shell-Verwaltungshaus, in: Hamburger Abendblatt, 9.3.1972, S. 5. 26 Shell baut 370 Stellen ab, in: Hamburger Abendblatt, 13.11.1998, S. 19. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 5./6. Mai 1999. Entwicklung der City Nord, Drucksache 16/4686, Hamburg 2000. 30 Ebd., S. 3. 31 Ebd., S. 5. 32 Ebd., S. 8. 33 Ebd., S. 3.
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Unterdessen wanderten weitere Konzerne aus der City Nord ab, neben Mineralölkonzernen wie der Deutschen Shell und der BP auch IBM, Nixdorf und die Telekom.34 Vor allem die Telekom, die einen Umzug in das »Medienzentrum Kampnagel«35 plante, urteilte harsch über das einstige Modellprojekt. Einer ihrer Manager stellte klar: »Diese Architektur hat keinen Bezug zu Hightech und Zukunftstechnologien, für die die Telekom steht.«36 Auch der Niedergang der Mönckebergstraße setzte sich fort.37 Gegen Ende der 1990er strömten immer weniger Kunden in die dort gelegenen Warenhäuser. Um den Bedeutungsverlust der wichtigsten Einkaufsstraße Hamburgs aufzuhalten, entschieden sich die Warenhauskonzerne für einen grundsätzlichen Neuanfang. Allein Kaufhof investierte 100 Millionen DM.38 An die Stelle des alten Warenhauses Kaufhof, das 1967 unter dem Motto »Alles unter einem Dach«39 im Klöpperhaus eröffnet hatte, trat die »Galeria Kaufhof Mö«40. Großzügige helle Eingänge, kleine Geschäfte und Markenwaren sollten nun ein »LifestyleAmbiente«41 schaffen. Zudem schloss der Kaufhof-Konzern, der den HortenKonzern übernommen hatte, die in der Mönckebergstraße gelegene Filiale des früheren Konkurrenten. Stattdessen zogen die »Trendy-Kaufhof-Tochter ›Lust for Life‹«42 und der Elektronikmarkt Saturn in den Warenhausbau ein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite investierte der Karstadt-Konzern 30 Millionen DM in seinen dortigen Sportartikelladen.43 Schon Ende der 1970er hatte Karstadt Sport die Verkaufsräume des Kleinpreiswarenhauses Kepa übernommen.44 Zwei Jahrzehnte später sollte das Fachgeschäft durch einen Neubau weiter gestärkt werden. In diesem Gebäude, das im Jahr 1999 fertiggestellt wurde, verdichteten sich die Umbrüche in der Mönckebergstraße. Eine Foto grafie, die das Jahrbuch »Architektur in Hamburg« veröffentlichte, zeigte die Veränderungen (Abb. 86)45. Im Unterschied zu den Warenhausbauten der 1960er 34 Volker Mester / Jens Meyer-Wellmann, IBM verlässt die City Nord, in: Hamburger Abendblatt, 19.3.2002, S. 20; Umzug in Hamburg, in: Hamburger Abendblatt, 6.8.2003, S. 21. 35 Kahlschlag in der City Nord, in: Hamburger Abendblatt, 18.1.1999, S. 21. 36 Ebd. 37 Zur Mönckebergstraße siehe: Lubitz, Die Mönckebergstraße. 38 Klaus-Christian Schulze-Schlichtegroll, Kaufhof / Horten: Das wird alles neu, in: Hamburger Abendblatt, 19.3.1999, S. 11. 39 Rollband, in: Hamburger Abendblatt, S. 5. Zu Warenhäusern in der Mönckebergstraße in den 1960ern siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 66–69. 40 Schulze-Schlichtegroll, Kaufhof / Horten: Das wird alles neu, S. 11. 41 »Brutal sein«, in: Der Spiegel, 5.2.2001, S. 123–125, hier S. 123 f. 42 Schulze-Schlichtegroll, Kaufhof / Horten: Das wird alles neu, S. 11. 43 Nataly Bombeck, Karstadt plant Riesenkaufhaus mit Arena, in: Hamburger Abendblatt, 3.12.1998, S. 13. 44 Zur Krise der Kleinpreiswarenhäuser in den 1970ern siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 164 f. 45 Till Briegleb, Erinnerungswürdiges Resultat: Umbau und Aufstockung Karstadt Sporthaus, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2000, Hamburg 2000, S. 80–81, hier S. 80.
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war der siebengeschossige Neubau vollständig verglast. An den Ecken gab die Glasfassade den Blick auf die Verkaufsflächen frei. Ansonsten ermöglichte sie es, riesige Werbeplakate aufzuhängen. Zudem hatten die Architekten für das Dach eine »Sport- und Eventstätte«46 entworfen. Die Arena, die von außen wie eine Skulptur wirkte, konnte für zahlreiche Sportarten genutzt werden. Sie war umgeben von einer leicht geneigten Tartanlaufbahn, die bis zu 400 Zuschauern Platz bot.47 Im Innern des Fachgeschäfts fanden sich mit einem Kletterturm und einem Snowboard-Simulator weitere Attraktionen. Auch eine mehrseitige Beilage zum Hamburger Abendblatt, die anlässlich der Eröffnung erschien, hob den Stellenwert von Events hervor. Darin warb Karstadt Sport: »Ob Fußball, Basketball oder Handball, ob Tennis, Golf oder Reiten, ob Leichtathletik, Snowboarding, Mountainbiking oder Fitness – das Sporthaus präsentiert für nahezu jede Sportart ein hochwertiges Angebot an Geräten, Ausstattung, Bekleidung und Accessoires. Zahlreiche Marken-Shops und innovative High-Tech-Anlagen zur praxisnahen Demonstration der unterschiedlichsten Sportarten sorgen für zusätzliche Reize. Und das ist noch lange nicht alles: Eine Event-Arena auf dem Dach des Hauses, das neue Restaurant ›Flow‹, dessen Außenterrasse einen fantastischen Blick über Hamburg ermöglicht und beeindruckende audiovisuelle Multimedia-Inszenierungen sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass Karstadt mit seinem neuen Sporthaus unserer Zeit einen Schritt voraus ist.«48 Die Warenhauskonzerne verkauften keine Massenartikel mehr, sie verkauften nun Erlebnisse. Gleichzeitig lässt sich eine deutliche Kontinuität ausmachen. Bereits während des Booms hatten Kaufhof und Karstadt zahlreiche weibliche Teilzeitbeschäftigte und Aushilfen eingesetzt.49 In den folgenden Jahrzehnten nahm deren Anteil weiter zu, in den Warenhäusern und darüber hinaus. Um die Jahrtausendwende bestimmten Vollzeitstellen nicht länger die Arbeitswelt des Einzelhandels. Gerade im Einsatz von geringfügig Beschäftigten sahen die Unternehmen die Möglichkeit, in Zeiten zunehmender Konkurrenz und dere gulierter Öffnungszeiten zu bestehen. Mit den Minijobs, welche die rot-grüne Bundesregierung im Zuge der Hartz-Reformen einführte, verfestigte sich diese Entwicklung.50 Im Jahr 2004 standen den 39.000 Vollzeitstellen im Hamburger 46 Ein »Stadion« über den Dächern Hamburgs, in: Hamburger Abendblatt. Karstadt Sport. Anzeigen extra, 1.11.1999, S. 5. 47 Ebd. 48 Sport-Shopping in einer neuen Dimension, in: Hamburger Abendblatt. Karstadt Sport. Anzeigen extra, 1.11.1999, S. 1. 49 Zur Teilzeitbeschäftigung in westdeutschen Warenhäusern während des Booms siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 66–69. 50 Zu Minijobs im Einzelhandel siehe: Liselotte Hinz, Minijobs im Einzelhandel, in: WSI Mitteilungen 65 (2012) H. 1, S. 58–60; Dorothea Voss / Claudia Weinkopf, Niedriglohnfalle Minijob, in: WSI Mitteilungen 65 (2012) H. 1, S. 5–12; Herbert Hofmann, Minijobs im Handel – beliebt, aber kaum Chancen für Arbeitslose, in: Ifo-Schnelldienst 57 (2004) H. 23, S. 22–25.
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Einzelhandel 18.000 Teilzeitbeschäftigte und 20.000 geringfügig Beschäftigte gegenüber, ein Großteil davon Frauen.51 In einer Titelgeschichte, die Anfang des Jahres 2004 erschien, wandte sich der Spiegel den deutschen Universitäten zu.52 Während die Nachfrage nach Akademikern wachse, sei der universitäre Alltag durch lange Studienzeiten, viele Studienabbrecher und eine geringe Leistungsbereitschaft gekennzeichnet. Zu einer Reform der Hochschulen bestehe deswegen keine Alternative. Ein Hebel, um die dringend notwendigen Veränderungen durchzusetzen, seien Studiengebühren. Aus »Staatsbetrieben«53 könne so das »Unternehmen Uni«54 werden, dass mit anderen Universitäten um die besten Studenten konkurriere. Zudem hätten »Studentenkunden«55 ein größeres Interesse, das Studium schnell abzuschließen. Insbesondere die US -amerikanischen Elite-Universitäten seien vorbildlich. Diese Einschätzung, so der Spiegel, setze sich allmählich auch unter Politikern der SPD und der Grünen durch. So habe Bundeskanzler Gerhard Schröder »Elite-Universitäten« als »zentrales Innovationsprojekt der Agenda 2010« benannt.56 Mitte der 2000er hatte die Debatte über fehlende Leistungsbereitschaft und unzureichende Wettbewerbsfähigkeit auch die Universitäten erreicht, und ebenso wie in anderen Bereichen schienen die Ursachen der Krise klar zu sein. Sie lagen, so das verbreitete Urteil, in den durch die Sozialdemokratie und Neue Linke geprägten 1960ern und 1970ern. Vor allem der Spiegel machte sich diese Stoßrichtung zu eigen. Schon die Titelseite ließ daran keinen Zweifel (Abb. 87)57. Hinter dem Schriftzug »Die teure Billig-Uni. Sanierung durch Studiengebühren?« waren Studenten zu sehen, die durch ein klassizistisches Eingangsportal strömten. Aber das Eingangsportal war nicht mehr als eine Kulisse. Nur notdürftig verbarg es einen heruntergekommenen Bau der Nachkriegsmoderne. Zudem waren die Studenten, welche die Universität verließen, vollständig unbekleidet. Auf der einen Seite spielten das marode Gebäude 51 Senat Hamburg, Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion »Die Linke« »Zur Situation des Einzelhandels«, Drucksache 19/3396, Hamburg 2009, S. 32 und S. 41. 52 Julia Koch / Katja Thimm, Geist gegen Gebühr, in: Der Spiegel, 12.1.2004, S. 36–50. Zur Debatte um Studiengebühren siehe: Norbert Krause, Die Debatte um Studiengebühren. Systematische Rekonstruktion eines Meinungswandels, Wiesbaden 2008; Andreas Kötzing, Editorial. Hochschulpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 56 (2006) H. 48, S. 2. 53 Koch / Thimm, Geist gegen Gebühr, S. 50. 54 Ebd., S. 43. 55 Ebd., S. 50. 56 Ebd., S. 36 f. Zur Agenda 2010 siehe: Christoph Butterwegge, Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine andere Republik?, Weinheim 2015; Edgar Wolfrum, Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998–2005, München 2013; Sebastian Nawrat, Agenda 2010 – ein Überraschungscoup? Kontinuität und Wandel in den wirtschafts- und sozialpolitischen Programmdebatten der SPD seit 1982, Bonn 2012; Oliver Nachtwey, Marktsozialdemokratie. Die Transformation von SPD und Labour Party, Wiesbaden 2009. 57 Die teure Billig-Uni, in: Der Spiegel, 12.1.2004, Titelseite.
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und die nackten Studenten auf die schlechte Finanzlage und auf die aktuellen Proteste an. Auf der anderen Seite waren sie Sinnbilder für die Ursachen des Niedergangs. Der moderne Universitätsbau stand für die sozialdemokratische Bildungspolitik, die durch die Demokratisierung des Hochschulzugangs und durch die Mitbestimmung in der Gruppenuniversität geprägt war.58 Die nackten Studenten verwiesen auf Hippies und Kommunarden, die sich Ordnung und Disziplin verweigerten.59 Trotz aller Gegensätzlichkeit von Sozialdemokratie und Gegenkultur standen beide für den Mangel an Leistung, Wettbewerb und Elite. In diesem Sinne hieß es im Innern des Heftes: »Die staatlichen Universitäten, einst geistige Zentren des Landes, haben der Masse nicht standgehalten.«60 Einen seiner wichtigsten Verbündeten fand der Spiegel in Jörg Dräger, der seit dem Jahr 2001 als Hamburger Wissenschaftssenator tätig war. Bevor Dräger im Alter von nur 33 Jahren zum Senator berufen wurde, hatte er an einer US amerikanischen Elite-Universität in Physik promoviert, bei der Unternehmensberatung Roland Berger gearbeitet und eine private Ausgründung der Technischen Universität Hamburg-Harburg geleitet.61 Er stand damit für all das, was nach Einschätzung des Spiegels und einer wachsenden Zahl von Politikern, den deutschen Universitäten fehlte. Dräger, der sich selbst als »Wissenschaftsmanager«62 bezeichnete, machte sich schon bald daran, grundlegende Veränderungen durchzusetzen. Er berief eine Kommission für die Hochschulreform ein, an welcher der ehemalige Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung der Bertelsmann-Stiftung Detlef MüllerBöling und mehrere Mitarbeiter der Unternehmensberatung McKinsey beteiligt waren.63 Er legte den Entwurf für ein Hochschulmodernisierungsgesetz vor, das vorsah, die Hochschulpräsidenten zukünftig von extern besetzten Hochschulräten wählen zu lassen und die Hamburger Hochschulen langfristig nach 58 Zur sozialdemokratischen Hochschulpolitik in den 1960ern und 1970ern siehe: Philipp B. Bocks, Mehr Demokratie gewagt? Das Hochschulrahmengesetz und die sozialliberale Reformpolitik 1969–1976, Bonn 2012; Nicolaysen, »Frei soll die Lehre sein«; Silke Jendrowiak, Der Forschung. 59 Zur Gegenkultur in den 1960ern und 1970ern siehe: Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft; Sven Reichardt / Detlef Siegfried (Hrsg.), Das alternative Milieu. Antibürgerlicher Lebensstil und linke Politik in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1983, Göttingen 2010; Neumann, Kleine geile Firmen; Christina von Hodenberg / Detlef Siegfried (Hrsg.), Wo »1968« liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2006. 60 Koch / Thimm, Geist gegen Gebühr, S. 40. 61 Per Hinrichs, Abschied vom Überflieger, in: Uni Spiegel, 14.4.2008, URL: http://www. spiegel.de/unispiegel/studium/hamburger-hochschulpolitik-abschied-vom-überflieger -a-547437.html (27.5.2016). 62 Ebd. 63 Kommission Zukunftsorientierte Hochschullandschaft Metropole Hamburg 2012, Strukturreform für Hamburgs Hochschulen. Entwicklungsperspektiven 2003 bis 2012, Ham burg 2003.
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US -amerikanischem Vorbild in Stiftungen umzuwandeln.64 Und er klagte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot von Studiengebühren.65 Dass in den 2000ern die Reform der Hochschulen zu einem der wichtigsten politischen Themen wurde, war eng mit den wirtschaftlichen Umbrüchen der vorangegangenen Jahrzehnte verbunden. In dem Maße, in dem Wissen und Innovation in Industrie und Dienstleistung an Bedeutung gewannen, schoss die Nachfrage nach Akademikern in die Höhe. Angesichts dessen vervielfachte sich die Zahl der Studenten. Allein in Hamburg stieg sie von 12.000 im Jahr 1960 auf 64.000 im Jahr 2000.66 Bis zum Ende des folgenden Jahrzehnts wuchs sie auf 76.000 an.67 Auf diesen Zusammenhang wies Dräger ausdrücklich hin. In einem Vortrag, den er im Jahr 2003 im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Unternehmen Hamburg. Gespräche im Elysée« hielt, machte er deutlich: »Hamburg hat keine Rohstoffe und kaum Industrie. Die Chance der Stadt sich gut zu positionieren, liegt deshalb darin, das geistige Kapital auszubauen und sich in eine Spitzenposition in Lehre, Forschung und Wissenstransfer zu bringen. Doch als der jetzige Senat vor rund eineinhalb Jahren startete, war die Ausgangsposition der Hochschulen dazu zu schwach. Als Erstes hat der Senat Cluster als Kernpunkte, die für die Weiterentwicklung der Stadt wichtig sind, erarbeitet. Diese sind die Bereiche Lebenswissenschaften, Nanotechnologie, Informationstechnologien und Medien sowie Luftfahrt, Hafen / Logistik und Welthandel (mit China). Diese Bereiche sind stark wissensbasiert. Deshalb werden in all diesen Bereichen Akademiker benötigt. Doch Hamburgs Hochschulen können dies nach sechs Jahren Sparkurs ohne strukturelle Veränderungen heute nicht mehr leisten. Sie bilden sogar oft am Bedarf vorbei aus. Um die Hochschulen wettbewerbsfähig zu machen, bedarf es grundlegender Reformen – nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene.«68 Neben der Rede des Wissenschaftssenators dokumentierte das Hamburger Abendblatt auch die anschließende Diskussion. Für diesen Bericht, in dem verschiedene Wissenschaftler und Unternehmer zu Wort kamen, wählte sie den bezeichnenden Titel: »Wichtig ist, was wir für die Elite tun«69. Die neue Hochschulpolitik, für die Jörg Dräger eintrat, war alles andere als unumstritten. Als Anfang des Jahres 2002 der Entwurf für das neue Hochschulgesetz bekannt wurde, begannen die Proteste. Tausende Studenten beteiligten
64 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Entwurf eines Hochschulmodernisierungsgesetzes, Drucksache 17/1661, Hamburg 2002, S. 1–28. 65 Julia Koch, Studium auf Pump, in: Der Spiegel, 19.4.2003, S. 76–78, hier S. 76 f. 66 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 65; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 2002/2003, Hamburg 2002, S. 76. 67 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2011/2012, S. 41. 68 Jörg Dräger, Fitnesskur für Hamburgs Hochschulen, in: Hamburger Abendblatt, 9.4.2003, S. 25. 69 Wichtig ist, was wir für die Eliten tun, in: Hamburger Abendblatt, 9.4.2003, S. 25.
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sich an Demonstrationen, Warnstreiks und Blockaden.70 In einer Broschüre, die im Herbst 2002 erschien, rechnete der AStA der Universität Hamburg mit der Politik des Senats ab: »Was Herr Dräger unter ›Modernisierung‹ versteht, ist u. a. die Einführung von Studiengebühren, den Abbau der Mitspracherechte von Hochschulmitgliedern, die Einschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit für die Studierenden, die Schließung von Studiengängen und vieles andere mehr. Damit knüpft er nahtlos an das an, was in diesem Hamburger Senat ›Mainstream‹ ist, nämlich eine repressive Politik, die sich nicht zuletzt durch Sozial-, Bildungs- und Demokratieabbau, Privatisierung und Ökonomisierung auszeichnet.«71 Dies werfe eine grundsätzliche Frage auf: »Ist Bildung ein Menschenrecht und ein öffentliches Gut oder eine ›Ware‹, für die die einzelnen ›Kundinnen‹ bezahlen müssen?«72 Gleichzeitig nahmen in der Broschüre des AStA die Proteste der Studenten breiten Raum ein. Unter anderem zeigte eine Fotografie die Blockade des Philosophenturms (Abb. 88)73. Auf einem der Transparente stand »Ne Traivallez Jamais«. Damit griffen die Studenten eine Parole der Situationisten auf, die im Pariser Mai berühmt geworden war.74 Auch die protestierenden Studenten selbst sahen sich in der Tradition von 1968. Obwohl sich die Proteste an den Hamburger Hochschulen in den folgenden Jahren fortsetzten, gelang es Dräger, sein Reformvorhaben weitgehend durchzusetzen. Aber dies war, zumindest im Hinblick auf die Studiengebühren, nur ein vordergründiger Erfolg. Unter dem Druck der Proteste setze sich die SPD gegen Ende des Jahrzehnts erneut für ein kostenloses Erststudium ein. Nachdem sie im Jahr 2011 die Bürgerschaftswahl gewonnen hatte, schaffte sie die allgemeinen Studiengebühren wieder ab.75 Gegen Ende der 1990er beflügelte der Boom der New Economy die Hoffnungen, die Hamburger Politiker in die Hafencity setzten.76 Immer wieder verwiesen sie auf die Neuen Medien, so auch der Wirtschaftssenator Thomas Mirow. In 70 AStA der Uni Hamburg, Undemokratisch, unsozial, unwissenschaftlich, unmodern. Ein Jahr Hochschulpolitik unter dem Rechtssenat, Hamburg 2002. 71 Ebd., S. 5. 72 Ebd., S. 18. 73 Ebd., S. 42. 74 Marcus Greil, Lipstick Traces. Von Dada bis Punk. Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, Hamburg 1996, S. 168. Zur Bedeutung der Situationisten für den Mai 1968 siehe: Ingrid Gilcher-Holtey, »Die Phantasie an die Macht«. Mai 68 in Frankreich, Frankfurt am Main 1995. 75 Auslaufmodell Bezahlstudium: Hamburg schafft Studiengebühren ab, in: Spiegel Online, 13.9.2011, URL: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/auslaufmodell-bezahl studium-hamburg-schafft-studiengebuehren-ab-a-786022.html (27.5.2016). 76 Zur New Economy siehe: Mathias Stuhr, Mythos New Economy. Die Arbeit an der Geschichte der Informationsgesellschaft, Bielefeld 2010; Manuel Castells, Die Internet-Galaxie. Internet, Wirtschaft und Gesellschaft, Wiesbaden 2005, S. 75–128; Nicole Mayer-Ahuja / Harald Wolf (Hrsg.), Entfesselte Arbeit – neue Bindungen. Grenzen der Entgrenzung in der Medien- und Kulturindustrie, Berlin 2005; Dieter Läpple u. a. (Hrsg.),
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einem Vortrag, den er im Jahr 1998 vor dem Ersten Immobilienwirtschaftlichen Symposium der Hafencity hielt, führte er aus: »Eine zentrale Bedeutung kommt bei der Entwicklung des Dienstleistungssektors insbesondere den Medien zu. Hamburg ist bereits heute der führende deutsche Medienplatz, gemeinsam mit München. Das traditionelle Rückgrat der Hamburger Medienlandschaft bilden dabei die Printmedien. Mehr als die Hälfte aller verkauften Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland sind Produkte Hamburger Verlagshäuser. Aber auch alle anderen Bereiche der Medienwirtschaft sind hier stark und mit besonderer Qualität vertreten. Von den erfolgreichen Rundfunksendern über Film-, Fernseh- und Videoproduktionen, Musikhäuser, Werbe- und PR-Agenturen mit international anerkannten kreativem Potential bis zu den in letzter Zeit fast explosionsartig zunehmenden Multimediaunternehmen. Hamburg ist erst in diesem Jahr von einem namhaften Branchendienst aus München zur Multimediahauptstadt erklärt worden.«77 Auch die Statistiken würden dies verdeutlichen: »Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: rund 7.500 Unternehmen beschäftigen etwa 60.000 Menschen und erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von über 50 Mrd. DM. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der in Hamburg ansässigen Medienunternehmen um mehr als 20 % gestiegen. Allein im letzten Jahr waren 1.630 Neugründungen zu verzeichnen. Die Hamburger Medienwirtschaft zählt deshalb zu den dynamischsten Wirtschaftszweigen der Stadt.«78 Um das Jahr 2000 erreichte der Boom der New Economy seinen Höhepunkt. Das Internet galt als die entscheidende Technologie der Zukunft, am Neuen Markt schossen die Börsenkurse in die Höhe und Gruner + Jahr brachte mit der Financial Times Deutschland eine eigene Tageszeitung für die neue Zielgruppe heraus.79 Auch der Spiegel sprach nun wie selbstverständlich von »Start-ups«, »Venture Capital«, »E-Commerce« und »High Potentials«, von »digitaler Revolution« und »alter Wirtschaft«.80 In diese Zeit fielen die Anfänge für eines der ersten Großprojekte der Hafencity, den »MediaCityPort«81. Der Kaispeicher A, einer der wichtigsten Hafenbauten der 1960er, sollte in eine »Medienstadt unter einem Dach«82 umgebaut werden. Auf einer Bruttogeschossfläche von 50.000 Quadratmetern planten die Investoren Büroräume für Start-up-Unternehmen, eine
Neue Medien – neue Arbeit? Hamburg im Vergleich mit internationalen Metropolen, Hamburg 2004; Alexander Meschnig / Mathias Stuhr, www.revolution.de. Die Kultur der New Economy, Hamburg 2001. 77 Thomas Mirow, Hamburgs wirtschaftliche Zukunft als nordeuropäische Metropole, in: Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (Hrsg.), Erstes Immobilienwirtschaftliches Expertensymposium, Hamburg 1999, S. 8–14, hier S. 10 f. 78 Ebd. 79 Jan Fleischhauer u. a., »Es regiert die Gier«, in: Der Spiegel, 13.3.2000, S. 104–116, hier S. 104 f. 80 Ebd. 81 Startsignal für die Medienstadt im Hafen, in: Hamburger Abendblatt, 27.1.2001, S. 17. 82 Ebd.
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Medienakademie, ein Fitnessstudio, einen Club und mehrere Wohnlofts.83 Ihr Vorhaben priesen sie als »Rundum-Sorglos-Paket für die digitale Wirtschaft«84 an. Zudem versprachen sie vollmundig: »Es ist eine Lust- und Lebenswerkstatt für kreative, mit schöpferischer Kraft beseelte Menschen, die Spaß und Genugtuung daran empfinden, tagtäglich Neues und Revolutionäres zu schaffen.«85 Als die Investoren zu Beginn des Jahres 2001 einen internationalen Architekturwettbewerb ausschrieben, stießen sie auf großes Interesse.86 Unter den zahlreichen Architekten, die eigene Entwürfe einreichten, befanden sich auch Coop Himmelb(l)au, die schon Mitte der 1980er von »Büro- und Redaktionstürmen«87 im Hafengebiet geträumt hatten.88 Letztlich setzten sich die niederländischen Architekten Benthem Crouwell durch.89 Ihr Entwurf sah an Stelle des alten Kaispeichers einen mehrfach gekrümmten, gläsernen Büroturm vor. Noch Anfang 2003 war auf der Titelseite der Broschüre »Hafencity Hamburg. Die aktuellen Projekte« ein Computermodell des MediaCityPort abgebildet (Abb. 89)90. Doch in der Zwischenzeit hatte der Crash der New Economy dem Großprojekt seine wirtschaftliche Grundlage entzogen. Da die Investoren den Baubeginn immer weiter hinauszögerten, entzog die Stadt ihnen schließlich im Spätsommer 2003 das Baurecht.91 Erst das Scheitern des MediaCityPort machte den Weg frei für die Elbphilharmonie.92 Nachdem der Immobilien-Projektentwickler Alexander Gérard in den vorangegangenen Jahren vergeblich dafür geworben hatte, den Kaispeicher A in ein Konzerthaus umzuwandeln, wandte sich die Stadt nun ernsthaft dem Vorhaben zu.93 Vor allem zwei Aspekte schienen dem Senat vielversprechend zu sein. Zum einen der spektakuläre Entwurf, den die Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron im Auftrag von Gérard entwickelt hatten. 83 Unterlagen online abrufen, in: Hamburger Abendblatt, 10.3.2001, S. 41. 84 Startsignal für die Medienstadt im Hafen, in: Hamburger Abendblatt, S. 17. 85 Ebd. 86 Planungen für MediaCityPort im Internet dokumentiert, in: Immobilien-Wirtschaft. Extra Journal. Beilage zum Hamburger Abendblatt, 20.4.2001, S. 1. 87 Coop Himmelb(l)au, Skyline (1985), S. 53. 88 Till Briegleb, Eine Vision wird Wirklichkeit. Auf historischem Grund: Die Elbphilharmonie entsteht, Hamburg 2007, S. 60 f. Zu den Entwürfen von Coop Himmelb(l)au für die Medienstadt Hamburg von 1985 siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 170–173. 89 Birgit Müller, MediaCityPort, in: Bauwelt 92 (2001) H. 39, S. 11. 90 Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung, Hafencity Hamburg. Die aktuellen Projekte, Hamburg 20035, Titelblatt. 91 Media City Port gescheitert, in: Hamburger Abendblatt, 18.9.2003, S. 7. 92 Zur Elbphilharmonie siehe: Barbara Kisseler, Die Elbphilharmonie. Ein Konzerthaus als neues Wahrzeichen der Stadt, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 2000–2015, Kiel 2015, S. 24–28; Meyhöfer, Hafencity Hamburg Waterfront, S. 30–33 und S. 72–75; Till Briegleb, Eine Vision wird Wirklichkeit. 93 Jürgen Dahlkamp u. a., Neuschwanstein an der Elbe, in: Der Spiegel, 22.3.2010, S. 44–50, hier S. 45 f.
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Zum anderen sein Versprechen, dass das Konzerthaus durch Luxuswohnungen und ein Luxushotel querfinanziert werde und deswegen nur geringe Kosten für den öffentlichen Haushalt anfielen. Lediglich das Grundstück des Kaispeichers A müsse die Stadt den Investoren zur Verfügung stellen.94 Dieses Versprechen stellte sich schon bald als falsch heraus. Eine Machbarkeitsstudie, die im Jahr 2005 der Bürgerschaft vorgelegt wurde, rechnete mit Gesamtkosten in Höhe von 190 Millionen Euro, davon 77 Millionen, die vom öffentlichen Haushalt getragen werden müssten.95 Dass die Bürgerschaft dennoch dem Bau der Elbphilharmonie zustimmte, hing eng mit der städtebaulichen Bedeutung zusammen, die dem Großprojekt zugeschrieben wurde. Dass spektakuläre Konzerthaus, so argumentierten die Befürworter, könne entscheidend zur »Belebung«96 der Hafencity beitragen. Nur die Mischung von Kulturbauten, Wohnungen und Büros können einen urbanen Stadtteil schaffen. Dabei waren städtebauliche und wirtschaftspolitische Ziele eng miteinander verbunden. Gerade Urbanität galt als wichtiger weicher Standortfaktor. Deren Bedeutung hatte der Wirtschaftssenator Thomas Mirow bereits 1998 vor dem Ersten Immobilienwirtschaftlichen Forum der Hafencity hervorgehoben: »Die eigentliche Innovationsstärke aber wird von den Menschen selbst bestimmt. Qualifizierte, kreative, unternehmende, unternehmerische Menschen für die Stadt zu gewinnen und an sie zu binden, ist deshalb eine Schlüsselaufgabe für die Sicherung von regionaler Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb kommt den sog. ›weichen‹ Standortfaktoren gerade in den Metropolregionen eine rasch weiterwachsende Bedeutung zu. Die Qualität einer Region als Wohn-, Lebens- und Arbeitsort entscheidet wesentlich mit über die Position im Standortwettbewerb. Aspekte wie Ausbildung und Bildung, Kultur und Freizeit, innere Sicherheit, öffentlicher Nahverkehr und Umwelt müssen qualitativ gepflegt und gestärkt werden, um das für die weitere Entwicklung einer Region erforderliche Human Capital an sich zu binden.«97 Diese Debatte um weiche Standortfaktoren gewann Mitte der 2000er weiter an Schwung, insbesondere durch die eingängigen Thesen, die der US -amerikanische Wirtschaftsgeograf Richard Florida mit seinen Büchern und Vorträgen verbreitete.98 In Zukunft, so Florida, werde der wirt94 Philharmonie auf dem Kaispeicher?, in: Hamburger Abendblatt, 27.6.2003, S. 11. 95 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Elbphilharmonie«, Drucksache 20/11500, Hamburg 2014, S. 28. 96 ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft, Elbphilharmonie Hamburg, Hamburg 2006, S. 6. 97 Mirow, Hamburgs wirtschaftliche Zukunft als nordeuropäische Metropole, S. 13. 98 Richard L. Florida, The Rise of the Creative Class and How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2004. Zur Bedeutung von Richard Florida siehe: Charlotta Mellander u. a. (Hrsg.), The Creative Class Goes Global, London 2014; Matthias Peter Reich, Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland. Hype oder Zukunftschance der Stadtentwicklung?, Wiesbaden 2013; Stefan Krätke, The Creative Capital of Cities. Interactive Knowledge Creation and the Urbanization Economies of Innovation, Chichester 2011; Jamie Peck, Struggling with the Creative Class, in: International Journal of Urban and Regional Research 29 (2005) H. 4, S. 740–770.
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schaftliche Erfolg von Städten davon abhängen, ob es ihnen gelinge, die »Kreative Klasse«99 anzuziehen. Neben »Technologie« und »Talent« sei deshalb auch »Toleranz« entscheidend.100 Gerade in Hamburg fand Richard Florida viele Anhänger. So beauftragte der Senat die Unternehmensberatung Roland Berger mit einer Studie über die »Talentstadt Hamburg«.101 Auch der Spiegel folgte in einer Titelgeschichte, die im Jahr 2007 erschien, seinen Thesen. Unter der Überschrift »Was Städte sexy macht« schrieb das Nachrichtenmagazin: »Woher kommt der nächste Bill Gates, und wohin geht er? Brillante Köpfe können sich in der vernetzten Welt aussuchen, wo sie ihre Zelte aufschlagen. Zwischen den Metropolen ist ein heftiger Wettbewerb um die neue kreative Klasse angebrochen, denn von ihr hängen Fortschritt und Innovation ab.«102 Zahlreiche Bilder illustrierten die Titelgeschichte, darunter auch ein Computermodell der Elbphilharmonie, das der Spiegel mit der Bildunterschrift »Symbol für das neue Selbstverständnis«103 versehen hatte (Abb. 90)104. Untrennbar war die Elbphilharmonie mit den wirtschaftspolitischen Debatten ihrer Entstehungszeit verbunden. Die Glasskulptur, die sich über den Backsteinmauern des alten Kaispeichers erhob, stand für einen Aufbruch in eine neue Zeit, die nicht mehr durch Hafen und Industrie bestimmt war. Aber vor allem versinnbildlichte sie die Bereitschaft, sich im »globalen Wettbewerb« um die »klügsten Köpfe« zu behaupten. Im Laufe der 2000er nahm die Hafencity allmählich Gestalt an. Mehrere Konzerne entschieden sich dafür, ihre Verwaltungen in den neuen Stadtteil zu verlegen, unter ihnen auch Unilever. Im Jahr 2006 gab das Management bekannt, das es mit den 1.200 Angestellten der Deutschlandzentrale in einen Neubau am Strandkai übersiedeln werde.105 Das Unilever-Hochhaus, das man zu Beginn der 1960er in der Innenstadt errichtet habe, entspreche nicht länger den Anforderungen.106 In einem internationalen Architekturwettbewerb, den die Unternehmensleitung noch im selben Jahr ausschrieb, setzten sich Behnisch Architekten aus Stuttgart mit ihrem Entwurf durch. Bereits 2009 konnten die soeben fertiggestellten Büroräume von den Angestellten bezogen werden.107 99 100 101 102
Florida, The Rise of the Creative Class. Ebd., S. 249–266. Roland Berger Strategy Consultants, Talentstadt Hamburg. Endbericht, Hamburg 2007. Erich Follath / Gerhard Spörl, Was Städte sexy macht, in: Der Spiegel, 20.8.2007, S. 99–103, hier S. 99. 103 Ebd., S. 101. 104 Ebd. 105 Melanie Wassink, Unilever zieht in die Hafencity, in: Hamburger Abendblatt, 28.3.2006, S. 26. 106 Zum Unilever-Hochhaus in der Hamburger Innenstadt siehe Kapitel 2. Vom Kontorhaus zur City Nord, S. 51–54. 107 Zum Unilever-Haus in der Hafencity siehe: Ulrike Sengmüller, Behnisch Architekten, Stuttgart. Unilever-Haus, Hamburg, München 2011; Ulrich Höhns, Behnisch Architekten. Firmenzentrale Unilever Deutschland, Österreich, Schweiz, in: Deutsches Architekturmuseum (Hrsg.), Deutsches Architekturjahrbuch 2010/11, München 2010,
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Zwei Auflagen, welche die in Hafencity Hamburg GmbH umbenannte Gesellschaft für Hafen und Standortentwicklung mit der Grundstücksvergabe verknüpft hatte, bestimmten den Neubau.108 Zum einen sollten neben Büros auch Wohnungen entstehen. Zum anderen sollte das Elbufer öffentlich zugänglich bleiben. Die grundsätzliche Lösung, die das Stuttgarter Architekturbüro für diese Auflagen fand, verdeutlicht ein Lageplan (Abb. 91)109. Von vornherein waren die verschiedenen Nutzungen auf verschiedene Gebäude verteilt. Dem siebengeschossigen Unilever-Haus, in dem die neuen Büroräume untergebracht waren, stellte das Architekturbüro den siebzehngeschossigen Marco Polo Tower an die Seite, in dem sich ausschließlich Luxuswohnungen befanden.110 Zudem öffnete sich das Unilever-Haus gegenüber der Stadt. Der vieleckige Grundriss bezog sich auf die umliegenden Straßen und Häuser, durch das Atrium führte ein öffentlich zugänglicher Fußweg und im Erdgeschoss boten mehrere Geschäfte die Markenprodukte des Konzerns an. Auch die durchsichtige Folie, welche das Architekturbüro vor die Glasfassade gespannt hatte, verstärkte den Eindruck eines fließenden Übergangs zwischen Innen und Außen.111 Gerade an diesem Punkt trafen sich die städtebaulichen Vorgaben mit den Anforderungen der neuen Arbeitsorganisation. Der Unilever-Konzern, so machte ein leitender Angestellter kurz nach dem Umzug deutlich, gleiche einem »atmenden Organismus«112. Mit jedem Kauf und jedem Verkauf eines Unternehmens, mit jedem neu gegründeten und jedem aufgelösten Projektteam verändere er seine Gestalt. Genau darauf sei das neue Unilever-Haus ausgelegt. Im Innern des Bürogebäudes hatten Behnisch Architekten, gemäß den Vorgaben des Managements und in enger Zusammenarbeit mit den Organisationsberatern des Quickborner Teams, die festgefügten Grenzen zwischen den einzelnen Abteilungen und Arbeitsplätzen aufgelöst.113 Stattdessen proklamierten sie: »Der Arbeitsplatz in der neuen Unilever-Zentrale ist – überall.«114 Daran anschließend führten sie aus: »Ob Mitarbeiterrestaurant, Meetingpoint, Konferenzräume oder Bürolandschaft – es existiert eine Vielfalt an Räumen, die eine lebendige und flexible Arbeitsatmosphäre schaffen soll. Die Arbeitsplätze erhalten ihre Identität durch ihre Lage in ganz verschiedenen Raumsituationen: Konzentrierte, private Arbeitsbereiche stehen öffentlichen und freien Flächen gegenüber, fast alle S. 40–47; Dirk Meyhöfer, Nachhaltiger Städtebau – Das Unilever-Gebäude in der Hafencity, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2009, Hamburg 2009, S. 10–17; Till Briegleb, Das Markenhaus. Verwaltungsgebäude in Hamburg. Behnisch Architekten, in: Baumeister 106 (2009) H. 11, S. 38–46. 108 Meyhöfer, Nachhaltiger Städtebau, S. 10–13; Till Briegleb, Das Markenhaus, S. 43. 109 Sengmüller, Behnisch Architekten, S. 6. 110 Ebd., S. 4; Behnisch Architekten, Marco Polo Tower. Hamburg, Germany, Stuttgart 2010, S. 12. 111 Behnisch Architekten, Unileverhaus. Hafencity Hamburg, Stuttgart 2010, S. 21. 112 Ein neues Produkt, R: Harun Farocki, Deutschland 2012, TC: 23:02–23:43. 113 Ebd. 114 Behnisch Architekten, Unileverhaus, S. 41.
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Arbeitsplätze sind offen, es gibt keine Türen.«115 Neben den flexiblen Projektteams gehörten die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, also Laptop, Internet und Mobiltelefon, die nicht länger an einen einzigen Ort gebunden waren, zu den entscheidenden Voraussetzungen der neuen Büroorganisation.116 Vor diesem Hintergrund verschaffte der Verzicht auf feste Arbeitsplätze dem Unternehmen erhebliche Kostenvorteile. Neue Projektteams erforderten nun keine aufwendigen Umbauarbeiten mehr. Zudem konnte die Gesamtzahl der Einzelarbeitsplätze reduziert werden, da es zu jedem Zeitpunkt Angestellte gab, die an Treffen in den Besprechungsräumen teilnahmen. Gleichzeitig strebte die architektonische Gestaltung an, neue Formen der Zusammenarbeit zu ermöglichen. Erneut spielten die aufgelösten Grenzen eine wichtige Rolle. So hoben Behnisch Architekten hervor: »Vom Erdgeschoss bis zur Dachterrasse gehört das Gebäude den Mitarbeitern. Flache Hierarchien spiegeln sich konkret im Layout des neuen Hauses, denn hier sitzen nicht diejenigen oben, die oben sind, sondern alle.«117 In das übergeordnete Ziel fügte sich auch die innere Erschließung des Bürogebäudes ein. Wie Straßen eine Stadt, erschlossen zahlreiche Treppen und Brücken die verschiedenen Büroebenen, die um das Atrium herum angeordnet waren. Diese sich überlagernden Wege sollten vielfältige Beziehungen zwischen den Angestellten schaffen und so neue Ideen anregen. Ausdrücklich wiesen Behnisch Architekten auf diesen Zusammenhang hin: »Die neue Unilever-Zentrale lebt durch ihr Netzwerk – und zwar ganz wörtlich. An den unterschiedlichsten Stellen verbinden Brücken, Treppen und Stege die einzelnen Ebenen. Sie ziehen sich als Wegegeflecht durch den Raum. […] Es gibt keine Barrieren – durch kurze Wege, sofortige Erreichbarkeit und eine Vielfalt an Übergängen. Aber es muss auch nicht immer der direkte Weg genommen werden. Die Architektur soll inspirieren, manchmal neue Richtungen einzuschlagen und nicht auf ausgetretenen Pfaden zu bleiben. Und hier stößt man zur eigentlichen Idee offener Strukturen vor. Nicht nur ein Weg, sondern viele Wege führen zum Ziel.«118 Bis in die architektonischen Details hinein war das Unilever-Haus in der Hafencity dabei ein Gegenentwurf zu dem Unilever-Hochhaus in der Innenstadt. Mit besonderer Deutlichkeit zeigte sich dies bei den Teeküchen. Im alten Unilever-Hochhaus hatten die fensterlosen Teeküchen nur eine untergeordnete Rolle 115 Ebd. 116 Zu den Auswirkungen von Projektarbeit und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Büroarbeit siehe: Anne von Streit, Entgrenzter Alltag – Arbeiten ohne Grenzen? Das Internet und die raumzeitlichen Organisationsstrategien von Wissensarbeitern, Bielefeld 2011; Birgit Apitzsch, Flexible Beschäftigung, neue Abhängigkeiten. Projektarbeitsmärkte und ihre Auswirkungen auf Lebensverläufe, Frankfurt am Main 2010; Luc Boltanski / Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003; Hans J. Pongratz / G. Günter Voß, Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen, Berlin 2003. 117 Behnisch Architekten, Unileverhaus, S. 41. 118 Ebd., S. 32.
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gespielt.119 Sie sollten der Erfrischung dienen und ansonsten möglichst wenig von der Arbeit ablenken. Im neuen Unilever-Haus hatte sich dies grundlegend verändert. Den Teeküchen sprachen die Architekten nun eine hervorgehobene Rolle für die Produktivität des Unternehmens zu: »Mit dem Begriff Teeküche wären die Meetingpoints nur unzureichend beschrieben – die Arrangements von Küchen, Holztischen, Sesseln und Sofas wirken entspannt und einladend und bilden eine Plattform für einen anregenden Treff. Hier liegt die Post bereit, man holt sich einen Kaffee oder zieht eine Kopie, und dabei stößt man immer wieder auf Kollegen, mit denen man spricht. Ein natürlicher Treffpunkt, der Kommunikation fördert und der innerhalb eines Arbeitstages gleich mehrfach aufgesucht wird. Denn es sind diese spontanen Begegnungen, die zufälligen Impulse, die bei der Lösung eines Problems oft die entscheidende Wendung einleiten können.«120 Eine Fotografie, die in einer Broschüre über das Unilever-Haus erschien, verdeutlichte die neue informelle Arbeitsatmosphäre (Abb. 92)121. Männer und Frauen saßen auf Barhockern, Küchenstühlen und Sofas. Einige der Angestellten trugen Jeans, T-Shirts und Sonnenbrille im Haar. Arbeit und Freizeit sollten nicht länger ein Gegensatz sein. Dazu erklärten Behnisch Architekten: »Es ist glaube ich wichtig, dass so ein Gebäude vermittelt, dass Arbeiten kein Zwang darstellen muss. Es sollte auf keinen Fall ein Ort sein, in dem ich erinnert werde zu arbeiten.«122 Noch Anfang der 1990er war die Hamburgische Landesbank fest in der Stadt verankert.123 Zu den wichtigsten Aufgaben der Anstalt öffentlichen Rechts gehörte die regionale Wirtschaftsförderung, genauer die Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen. Da eine umfassende staatliche Garantie ihr die Gelegenheit bot, sich Geld zu niedrigen Zinssätzen zu leihen, war dies mit einträglichen Gewinnen verbunden. Aber im Laufe des Jahrzehnts begannen sich die Rahmenbedingungen grundlegend zu verändern. Zum einen orientierten sich die deutschen Privatbanken, allen voran die Dresdner Bank, die Commerzbank und die Deutsche Bank, immer mehr an den globalen Finanzmärkten.124 Sie 119 Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg, S. 32. 120 Behnisch Architekten, Unileverhaus, S. 35. 121 Ebd., S. 40. 122 Work Hard – Play Hard, R: Carmen Losmann, Deutschland 2011, TC: 4:45–5:00. 123 Zur Geschichte der Landesbanken siehe: Hans-Peter Burghof, Das Auslaufen der Gewährsträgerhaftung für Sparkassen und Landesbanken 2001/5. Neue Wettbewerbsbedingungen im deutschen Kreditgewerbe, in: Dieter Lindenlaub u. a. (Hrsg.), Schlüsselereignisse der deutschen Bankengeschichte, Stuttgart 2013, S. 464–477; Daniel Seikel, Der Kampf um öffentlich-rechtliche Banken. Wie die europäische Kommission Liberalisierung durchsetzt, Frankfurt am Main 2013; Thomas Hofmann, Der öffentliche Bankensektor Deutschlands im Umbruch. Aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven, Hamburg 2006. 124 Ulf B. Christen u. a., Das System HSH Nordbank – langer Aufstieg, jäher Absturz, in: Hamburger Abendblatt, 10.1.2009, S. 16–17, hier S. 16. Zur Ausrichtung der deutschen Großbanken auf die globalen Finanzmärkte seit den 1990ern siehe: David Furch, Markt-
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übernahmen ausländische Investmentbanken und eröffneten in London und New York einflussreiche Niederlassungen. Zunehmend trat der kurzfristige Handel an den Börsen an die Stelle der langfristigen Beteiligung an deutschen Industrieunternehmen. Angesichts dessen schossen die Gewinne in die Höhe, insbesondere im Vergleich mit den staatlichen Finanzinstituten. Zum anderen erhoben Privatbanken im Jahr 1999 bei der EU-Kommission Einspruch gegen die staatlichen Garantien für deutsche Landesbanken.125 Die damit verbundenen niedrigen Zinssätze, so ihre Argumentation, seien eine Wettbewerbsverzerrung. Als sich die EU-Kommission und die Bundesregierung nach zweijährigen Verhandlungen darauf einigten, die staatlichen Garantien bis Mitte 2005 auslaufen zu lassen, stellte dies für die Landesbanken einen tiefen Einschnitt dar. Das alte Geschäftsmodell, das auf einer kostengünstigen Finanzierung beruhte, hatte keine Zukunft mehr. Zugleich schien die Lösung offensichtlich zu sein. Auch die staatlichen Finanzinstitute sollten an den hohen Gewinnen der globalen Börsenzentren teilhaben. Unter den Landesbankern, die sich auf Augenhöhe mit den Investmentbankern in London und New York sahen, und den Politikern, die auf zusätzliche Einnahmen für den öffentlichen Haushalt hofften, setzte sich diese Überzeugung schnell durch. Vor diesem Hintergrund stieß die Initiative der schleswig-holsteinischen Landesregierung, die Landesbank Schleswig-Holstein und die Hamburgische Landesbank zu fusionieren, auf große Zustimmung, vor allem bei dem Hamburger Finanzsenator Wolfgang Peiner und bei dem Vorstandsvorsitzenden der Hamburgischen Landesbank Alexander Stuhlmann. Im Jahr 2003 stimmte auch die Bürgerschaft dafür, die HSH Nordbank Aktiengesellschaft zu gründen.126 Spätestens jetzt standen die Zeichen auf globale Expansion. In dem ersten Geschäftsbericht der HSH Nordbank, der im Jahr 2004 erschien, ließen die Manager daran keinen Zweifel. Sie sahen sich nun als zukünftige »Top-Player im nordeuropäischen Bankenmarkt«127 und strebten die »Kapitalmarktfähigkeit 2006«128 an. In den folgenden Jahren legte die HSH Nordbank weltweit Gelder in Milliardenhöhe an. Neben der Schiffsfinanzierung gehörte das Immobiliengeschäft zu den Schwerpunkten.129 Allein vom Jahr 2003 bis zum Jahr 2006 stieg das Geschäftsvolumen von 207 auf 242 Milliarden Euro, die Gewinne, der Ge-
wirtschaften unter dem Druck globalisierter Finanzmärkte. Finanzsysteme und Cor porate-Governance-Strukturen in Deutschland und Italien, Wiesbaden 2012; Paul Windolf (Hrsg.), Finanzmarkt-Kapitalismus. Analysen zum Wandel von Produktionsregimen, Wiesbaden 2005; Wolfgang Streeck / Martin Höpner (Hrsg.), Alle Macht dem Markt? Fallstudien zur Abwicklung der Deutschland AG , Frankfurt am Main 2003. 125 Christen u. a., Das System HSH Nordbank, S. 16. 126 Ebd., S. 16 f. 127 HSH Nordbank, Stark in die Zukunft. Geschäftsbericht 2003, Hamburg / K iel 2004, S. 30. 128 Ebd., S. 7 f. 129 Zur Schiffsfinanzierung durch die HSH Nordbank siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 248–250.
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schäftsbericht sprach von »risikoadäquaten Renditen«130, von 262 auf 460 Millionen Euro und die Gesamtbezüge des Vorstandes von knapp vier auf mehr als acht Millionen Euro.131 Wesentlichen Anteil an diesem Geschäftsergebnis hatten die weltweiten Niederlassungen. Von den insgesamt 4.400 Angestellten arbeiteten 800 im Ausland.132 Zugleich wies der Geschäftsbericht zahlreiche Niederlassungen, Dependancen und Tochtergesellschaften außerhalb Deutschlands aus, unter anderem in Kopenhagen, Helsinki, Stockholm, Oslo, Warschau, Riga, Tallinn, London, Luxemburg, Amsterdam, Paris, New York, Cayman Islands, San Francisco, Hongkong, Singapur, Shanghai und Hanoi.133 In dem Maße, in dem sich die HSH Nordbank an den globalen Finanzmärkten orientierte, wuchs das Interesse privater Anleger. Schließlich übernahm im Jahr 2006, mit Zustimmung der beiden Landesregierungen, eine Investorengruppe um J. Christopher Flowers 27 Prozent der Anteile an dem staatlichen Finanzinstitut.134 Zu diesem Zeitpunkt gehörte Christopher Flowers mit einem Privatvermögen von 1,2 Milliarden Dollar zu den 400 reichsten US -Amerikanern.135 Nach seiner Tätigkeit bei der Investmentbank Goldman Sachs hatte er eine Beteiligungsgesellschaft gegründet, die auf den Bankensektor spezialisiert war. Nun machte er sich daran, auch den Kurs der HSH Nordbank zu bestimmen. Gemeinsam mit dem Management und den anderen Eigentümern trieb er den Börsengang voran. Spätestens im Jahr 2008, so der ambitionierte Zeitplan, sollten die Aktien der HSH Nordbank frei gehandelt werden können.136 Zu Beginn des Jahres 2007 veröffentlichte die Baubehörde den Entwurf für das »Räumliche Leitbild«.137 In zahlreichen Karten und einem ausführlichen Konzept legte sie darin die Grundzüge für die städtebauliche Entwicklung Hamburgs bis zum Jahr 2022 fest.138 Wichtigster Ausgangspunkt war das »Leitbild Wachsende Stadt«, das der Senat fünf Jahre zuvor herausgegeben hatte.139 Im Anschluss daran wandte sich die Baubehörde den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen zu. Auch im Städtebau gelte es, Antworten auf die damit verbundenen Herausforderungen zu finden. In seinem Vorwort unterstrich der 130 HSH Nordbank, Akzente setzen. Geschäftsbericht 2006, Hamburg / K iel 2007, S. 61 131 Ebd., o. S. und S. 138; HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2003, S. 171. 132 HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2006, o. S. 133 Ebd., S. 154–157. 134 Finanzcoup: US -Investoren steigen bei der HSH Nordbank ein, in: Hamburger Abendblatt, 31.8.2006, S. 1; HSH-Verkauf: Hamburg gibt grünes Licht, in: Hamburger Abendblatt, 27.9.2006, S. 27. 135 The 400 Richest Americans. #322 J. Christopher Flowers, in: Forbes, 21.9.2006, URL: http://www.forbes.com/lists/2006/54/biz_06rich400_J-Christ (13.5.2014). 136 HSH Nordbank will auch Häfen finanzieren, in: Hamburger Abendblatt, 28.2.2007, S. 25. 137 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Räumliches Leitbild. Entwurf, Hamburg 2007. 138 Ebd., S. 14. 139 Ebd. Zum »Leitbild Wachsende Stadt« siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 243–246.
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Oberbaudirektor Jörn Walter: »Die Globalisierung der Wirtschaft, die neuen Informationstechnologien, der demographische und soziale Wandel, aber auch die Finanzlage der öffentlichen Haushalte verlangen von den Großstädten europaweit, dass sie sich neue Ziele, Handlungsfelder und Steuerungsinstrumente für die Stadtentwicklung erschließen müssen.«140 Gerade in der zentralen Karte des »Räumlichen Leitbildes«, dem »Leitplan«, fanden diese neuen Ziele, Handlungsfelder und Steuerungsinstrumente ihren Ausdruck (Abb. 93)141. Vordergründig ähnelte der Leitplan dem Aufbauplan aus dem Jahr 1960 (Abb. 1)142. Auf beiden Karten grenzten Farbflächen die einzelnen Bereiche der Stadt voneinander ab. Auf den zweiten Blick zeigte sich jedoch, dass die Markierungen auf vollkommen verschiedene Zusammenhänge verwiesen. Beim Aufbauplan hatte jede Farbe für eine bestimmte Nutzung gestanden. Beim Leitplan hatte diese Entsprechung, mit Ausnahme der Hafenflächen, die blau, und der Erholungsgebiete, die grün eingefärbt waren, ihre Bedeutung verloren. Stattdessen kennzeichneten die verschiedenen Farben nun mehr oder weniger urbane Stadtteile. Rot stand für die City, orange für die dicht bebauten Viertel der inneren Stadt, gelb mit roten Punkten für die angrenzende »Urbanisierungszone«143 und gelb für die äußere Stadt. Die Urbanisierung hatte die Funktionstrennung als wichtigstes städtebauliches Ziel abgelöst. Neben der geschlossenen, dichten Bebauung sah die Baubehörde die Nutzungsmischung als unabdingbare Voraussetzung an. Gerade die kleinteilige Verbindung von Wohnen und Arbeiten in der Hafencity galt ihr als vorbildlich. Anschließend daran sollten auch in den übrigen innerstädtischen Bereichen »Monostrukturen« durch »komplementäre Nutzungsangebote« aufgebrochen werden, unter anderem durch neue Wohnungen in der City.144 Auch in anderer Hinsicht unterschied sich der Leitplan deutlich von dem Aufbauplan. Der Aufbauplan hatte jedem einzelnen Quadratmeter Hamburgs eine bestimmte Farbe zugewiesen. Dieser Anspruch spielte bei dem Leitplan keine Rolle mehr. In der äußeren Stadt häuften sich die weißen Flächen. Zudem kennzeichneten sechs rote Ovale die Handlungsschwerpunkte im Stadtgebiet. An die Stelle der flächendeckenden Planung war ein »projektorientierter Ansatz«145 getreten. Für das »Räumliche Leitbild« stellten Urbanisierung und Projektorientierung wesentliche Neuerungen dar. Doch »der grundlegendste und wichtigste Paradigmenwechsel«146 bestand in etwas anderem. Vom Achsenplan Fritz Schumachers bis hin zum Entwicklungsmodell Herbert Weichmanns war die Hamburger Stadtplanung über weite Teile des 20. Jahrhundert auf die äußere Stadt und 140 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Räumliches Leitbild, S. 5. 141 Ebd., S. 1. 142 Unabhängige Kommission, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960, Abbildung 1. Zum Aufbauplan 1960 siehe Kapitel 1. Die Hafen- und Industriestadt, S. 27–29. 143 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Räumliches Leitbild, S. 1. 144 Ebd., S. 41. 145 Ebd., S. 48. 146 Ebd., S. 6.
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das Umland ausgerichtet.147 Entlang von verschiedenen Achsen, die durch Grünzüge voneinander abgegrenzt waren, sollte Hamburg wachsen. Noch im Leitplan war dies deutlich zu erkennen. Parallele orangene Striche markierten den Verlauf der Achsen. Aber diese Achsen spielten für die Wachsende Stadt nur noch eine untergeordnete Rolle. Nicht mehr nach Außen, sondern nach Innen sollte Hamburg zukünftig erweitert werden. Unter dem übergeordneten Motto »Mehr Stadt in der Stadt«148 verfolgte die Baubehörde das Ziel, brachliegende oder nur noch wenig genutzte Industrie- und Gewerbegebiete in neue Stadtteile umzuwandeln. Die größte »Konversionsfläche«149 befand sich dabei auf der Elbinsel. An Stelle der alten Hafenanlagen und Arbeiterviertel plante die Baubehörde hier das neue Zentrum der Stadt. Den nördlichen Abschluss bildete die Hafencity, den südlichen das inmitten des Harburger Binnenhafens gelegene Stadtentwicklungsprojekt »Channel Hamburg«150. In den folgenden Jahren sollten auch auf dem dazwischenliegenden Gebiet neue Quartiere für Dienstleistungsunternehmen und einkommensstarke Bewohner entstehen. Das ganze Ausmaß dieses »Sprungs über die Elbe«151 verdeutlichte erneut der Leitplan. Ein riesiger lila Keil unterteilte den Hamburger Hafen in zwei Teile. In dem Maße, in dem Hafenwirtschaft und Industrie an Bedeutung verloren, kehrte die Stadt an das Wasser zurück. Im selben Jahr, in dem das »Räumliche Leitbild« erschien, begannen auch die Bauarbeiten für die Elbphilharmonie. Auf den Mauern des alten Kaispeichers A errichtete der Baukonzern Hochtief nun ein aufsehenerregendes Konzerthaus. Weiterhin war die öffentliche Unterstützung groß. Sowohl für Politiker als auch für Journalisten stand die Elbphilharmonie für die Stärke Hamburgs im globalen Wettbewerb, für die Lebendigkeit der Hafencity und für die notwendige Ergänzung der städtischen Politik durch privates Engagement. Doch mit den immer weiter ansteigenden Gesamtkosten kippte allmählich die Stimmung. Bereits im Zuge der Auftragsvergabe waren sie von den 190 Millionen Euro, welche die Machbarkeitsstudie veranschlagt hatte, auf 352 Millionen Euro gestiegen.152 Nachdem die Bauarbeiten begonnen hatten, wuchsen die Gesamtkosten erneut drastisch an. In kaum mehr als einem Jahr erhöhten sie sich auf 561 Millionen Euro.153 Fünf Jahre später, im Jahr 2013, lagen sie bei 865 Millionen Euro.154
147 Zum Achsenplan Fritz Schumachers und zum Entwicklungsmodell Herbert Weichmanns siehe: Necker / Woyke, Vom Achsenkonzept zur Metropolregion. 148 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Räumliches Leitbild, S. 36. 149 Ebd., S. 6. 150 Ebd., S. 57 f. 151 Ebd., S. 6. 152 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Elbphilharmonie«, S. 28. 153 Ebd. 154 »Versaute Verhältnisse«, in: Der Spiegel, 10.6.2013, S. 118–124, hier S. 122.
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Gleichzeitig verzögerte sich die Fertigstellung. Erst im Jahr 2017, und damit acht Jahre später als geplant, sollte das Konzerthaus eröffnet werden können.155 Aus einem Wahrzeichen des Aufbruchs war eines des Scheiterns geworden.156 Eine der wesentlichen Ursachen der »Kostenexplosion«157 war der komplizierte rechtliche Rahmen.158 Von Anfang an war die Elbphilharmonie als »Public Private Partnership«159 konzipiert. An ihrer Verwirklichung war eine Vielzahl verschiedener Unternehmen beteiligt, unter ihnen das des Initiators Alexander Gerard, das in der Immobilien-Projektentwicklung tätig war, das Architekturbüro Herzog & de Meuron, das in seinen Zweigstellen in Basel, Hamburg, London, Madrid, New York und Hongkong fast 400 Angestellte beschäftigte, der Generalunternehmer Hochtief, der zu den größten Baukonzernen Europas gehörte, und schließlich der Auftraggeber, die ReGe Hamburg Projekt-Realisie rungsgesellschaft mbH, die laut Selbstdarstellung eine »hundertprozentige städtische Tochter mit privatwirtschaftlicher Organisation«160 war.161 Mitte der 2000er galten dem Senat Public Private Partnerships als Schlüssel zum Erfolg.162 Die Zusammenarbeit mit privaten Investoren zielte darauf ab, finanzielle Mittel für Großprojekte einzuwerben und so den öffentlichen Haushalt zu entlasten. Zugleich ging es darum, die Effizienz staatlicher Verwaltungen durch privatwirtschaftliches Management zu erhöhen. Diese politisch gewollte Schwäche des Staates trug bei der Elbphilharmonie wesentlich zum massiven Kostenanstieg bei.163 Da das Architekturbüro Herzog & de Meuron und der Generalunternehmer Hochtief keinen Vertrag abgeschlossen hatten, verlief die Koordination ausschließlich über die ReGe Hamburg Projekt-Realisierungs155 Ebd. 156 Zur Kostenexplosion bei der Elbphilharmonie siehe: Jobst Fiedler / Sascha Schuster, The Elbphilharmonie Hamburg, in: Genia Kostka / Jobst Fiedler (Hrsg.), Large Infrastructure Projects in Germany. Between Ambition and Realities, London 2016, S. 39–86; Dietrich Budäus, Fehlentwicklungen bei öffentlichen Großprojekten. Ursachen und Maßnahmen zu deren Vermeidung unter besonderer Berücksichtigung des Projekts »Elbphilharmonie« und der öffentlichen Beschaffungsvariante Public Private Partnership, Hamburg 2013, URL: http://www.dietrich-budaeus.de/dokumente/Gutachten_Elbphilharmonie. pdf (11.6.2016). 157 Dahlkamp u. a., Neuschwanstein an der Elbe, S. 46. 158 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Elbphilharmonie«, S. 13. 159 ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft, Elbphilharmonie Hamburg, S. 24. 160 ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft, Die ReGe Hamburg, URL: http:// www.rege.hamburg/ueber-uns/#c181 (27.5.2016). 161 Herzog & de Meuron, Profile, URL: http://www.herzogdemeuron.com/index/practice/ profile.html. (27.5.2016). 162 Zu Public Private Partnership und Privatisierung siehe: Eduardo Engel u. a., The Eco nomics of Public-Private Partnerships. A Basic Guide, New York 2014; Gerold Ambrosius, Hybride Eigentums- und Verfügungsrechte. Öffentlich-private Kooperationen in systematisch-theoretischer und historisch-empirischer Perspektive, Berlin 2012; Frei / Süß (Hrsg.), Privatisierung. 163 Dahlkamp u. a., Neuschwanstein an der Elbe, S. 46 f.
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gesellschaft. Mit dieser Aufgabe war die unterbesetzte stadteigene GmbH vollkommen überfordert. Während Herzog & de Meuron, die neben dem Entwurf auch die Ausführungsplanung übernommen hatten, nach Baubeginn weiter an der Gestaltung feilten, reagierte Hochtief auf jeden Änderungswunsch mit Preisaufschlägen, ohne dass die ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft in irgendeiner Weise eingeschritten wäre.164 Angesichts dessen vervielfachten sich die Gesamtkosten. Damit lief der Ansatz, den öffentlichen Haushalt durch Querfinanzierung und Spenden zu entlasten, ins Leere. Im Jahr 2007, in dem der Bau der Elbphilharmonie begann, stand dies nicht zur Debatte. Noch war der Glaube an die Effizienz der Märkte ungebrochen. Dies galt auch für die HSH Nordbank. Nachdem ihn ein Journalist Anfang des Jahres 2008 auf drohende Verluste angesprochen hatte, antworte der Bürgermeister Ole von Beust: »Die HSH Nordbank fährt gerade deshalb so gut, weil die politische Einflussnahme auf diese Bank sehr gering ist und wir Sachverständige dort haben im Vorstand und im operativen Bereich, die eben nicht, wie teilweise unter Rot-Grün, unter politischen Entscheidungen arbeiten müssen, sondern von ihrem Sachverstand her.«165 Nur wenige Monate später riss die globale Finanzkrise die HSH Nordbank mit sich.166 Nur eine Bürgschaft in Höhe von 30 Milliarden Euro, die sie vom Sonderfond Finanzmarktstabilisierung der Bundesregierung erhielt, rettete sie vor dem unmittelbaren Bankrott.167 Doch auch dies reichte nicht aus. Bereits Anfang des Jahres 2009 sahen sich die Landesregierungen von Hamburg und Schleswig-Holstein gezwungen, einer Kapitalerhöhung von drei Milliarden Euro und weiteren Bürgschaften in Höhe von zehn Milliarden Euro zuzustimmen.168 Für das Jahr 2008 wies der Geschäftsbericht der HSH Nordbank nun Verluste in Höhe von 2,8 Milliarden Euro aus.169 Schonungslos legte die Finanzkrise die Inkompetenz und Naivität des Managements offen. Obwohl dies bei anderen Investmentbanken zum Standard gehörte, verfügte die HSH Nordbank über kein Computerprogramm, das den Vorstand tagtäglich über das eingegangene Gesamtrisiko, den »Value at Risk«170, informierte. Schon vor dem Herbst 2008 war dies unter den Konkurrenten ein offenes Geheimnis. Rückblickend zitierte der Spiegel einen Insider: »Jeder in der Branche wusste damals, wenn ich meine Müllpapiere nirgendwo mehr loswerde, die HSH nimmt sie.«171 164 Ebd., S. 49. 165 Christen u. a., Das System HSH Nordbank, S. 17. 166 Zur globalen Finanzkrise von 2008 siehe: Streeck, Gekaufte Zeit; Vogl, Das Gespenst des Kapitals; Krugman, Die neue Weltwirtschaftskrise. Zum Scheitern der HSH Nodbank siehe: Dieckmann, Die Entwicklung der deutschen Landesbanken; Bischoff, Tatort HSH Nordbank. 167 »Das ist ein Wahnsystem«, in: Der Spiegel, 6.4.2009, S. 48–52, hier S. 50. 168 Beat Balzli u. a., Die Phantome des Dr. No, in: Der Spiegel, 9.3.2009, S. 76–80, hier S. 76. 169 HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2008, Hamburg / K iel 2009, o. S. 170 Beat Balzli u. a., Hai und Heringe, in: Der Spiegel, 23.11.2009, S. 104–107, hier S. 105. 171 Ebd.
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Für die HSH Nordbank stellte die globale Finanzkrise einen tiefen Einschnitt dar. Weder der angestrebte Börsengang noch eine weitere Expansion ließen sich verwirklichen. Stattdessen schrumpfte das Finanzinstitut wieder in sich zusammen. Von 2007 bis 2013 halbierte sich sein Geschäftsvolumen von 242 auf 119 Milliarden Euro.172 Zugleich begann es Personal abzubauen, vor allem bei den Niederlassungen im Ausland. Die Zahl der dortigen Angestellten, die im Jahr 2008 mit knapp 1.000 ihren Höchststand erreicht hatte, ging bis zum Jahr 2013 auf etwa 200 zurück.173 Vor diesem Hintergrund zog sich der US -amerikanische Investor J. Christopher Flowers aus der deutschen Finanzbranche zurück.174 Nach den hohen Verlusten, die er durch seinen Einstieg bei der HSH Nordbank und bei der Hypo Real Estate gemacht hatte, schloss er weitere Geldanlagen aus. In Deutschland habe sich, so seine Begründung, das »Investitionsklima«175 grundsätzlich verschlechtert. Gegen Ende des Jahrzehnts erfassten die Ausläufer der Finanz- und Wirtschaftskrise auch die Medienunternehmen.176 Da die großen Konzerne ihre Werbeetats kürzten, brachen bei den Zeitschriften- und Zeitungsverlagen die Anzeigenerlöse ein. Diese Kürzungen trafen eine ohnehin schon tief verunsicherte Branche. Die Zeit, in der sie sich von der Euphorie über die Möglichkeiten des Internets hatte mitreißen lassen, war längst vorbei. Nun wuchs die Angst vor den Folgen der Digitalisierung.177 Während immer mehr Leser ins Internet abwanderten, war kein neues Geschäftsmodell in Sicht. Nur wenige Nutzer waren bereit, im Internet für Informationen zu bezahlen. Wegen der sinkenden Einnahmen sahen sich die Verlagshäuser gezwungen, die weiterhin anfallenden Kosten zu senken. Immer häufiger entschieden sich die Unternehmensleitungen dafür, die Redaktionen verschiedener Zeitungen zusammenzulegen und Journalisten zu entlassen. Zu den Vorreitern gehörte das Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr. Um den Verlusten bei den Wirtschaftstiteln Capital, Impulse, Börse Online und Financial Times Deutschland entgegenzuwirken, kündigte es Ende 2008 an, die eigenständigen Redaktionen in Köln, München und Hamburg aufzulösen und in einer Zentralredaktion zusammenzufassen.178 Aber diese Kosteneinsparungen 172 HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2008, o. S.; HSH Nordbank, Fokussiert. Geschäftsbericht 2013. Stark für Unternehmer, Hamburg / K iel 2014, o. S. 173 HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2008, o. S.; HSH Nordbank, Fokussiert. Geschäftsbericht 2013, o. S. 174 US -Investor Flowers kehrt Deutschland den Rücken, in: Zeit Online, 2.3.2009, URL: http://www.zeit.de/online/2009/10/flowers-investment-deutschland (27.5.2016). 175 Ebd. 176 Markus Brauck u. a., Zukunft gesucht, in: Der Spiegel, 6.10.2008, S. 194–196, hier S. 194 f. 177 Cordt Schnibben, Breaking News, in: Der Spiegel, 5.8.2013, S. 56–63. Zur Zeitungskrise siehe: Claudia Mast, Zeitungsjournalismus im Internetzeitalter. Umfragen und Analysen, Berlin 2011; Stephan Weichert (Hrsg.), Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert, Göttingen 2009; Stephan Ruß-Mohl, Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA , Konstanz 2009. 178 Isabell Hülsen, Kulturschock am Baumwall, in: Der Spiegel, 24.11.2008, S. 86.
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stellten keine dauerhafte Lösung dar. Nur vier Jahre später spitzte sich die Krise erneut zu. Kurz nachdem die Frankfurter Rundschau Insolvenz angemeldet hatte, gab Gruner + Jahr bekannt, dass es die Financial Times Deutschland einstellen werde.179 Angesichts von Verlusten in Höhe von 300 Millionen Euro, welche die Tageszeitung seit ihrer Gründung im Jahr 2000 angehäuft habe, bestehe dazu keine Alternative.180 Zugleich entließ das Verlagshaus mehrere hundert Beschäftigte.181 Ernüchtert konstatierte der ehemalige Chefredakteur Andrew Gowers: »Wir waren die letzte Neugründung einer Bezahlzeitung in einem westlich-industrialisierten Land. Das sagt doch alles. Gedruckte Zeitungen sind eine niedergehende Industrie, das ist heute sehr viel klarer als Anfang 2000.«182 Zunehmend ähnelten die Berichte über die Zeitungsbranche nun denen über die niedergehende Werftindustrie. Erneut war von »Strukturanpassungsmaßnahmen«183, »Sanierungskonzepten«184 und »Kurzarbeit«185 die Rede. Und die Zeit fragte besorgt: »Hat das große Zeitungssterben begonnen?«186 Während Gruner + Jahr lange Zeit über keine weitergehende »digitale Strategie«187 verfügte, entdeckt der Springer-Verlag das Internet früh als neues Geschäftsfeld. Unter anderem stieg der Medienkonzern bei Online-Portalen wie Stepstone.de, Immonet.de und idealo.de ein.188 Bereits 2012 lag der Anteil der digitalen Medien am Gesamtgewinn des Springer-Konzerns bei 39 Prozent.189 Gleichzeitig begann sich der Konzern von seinem alten Kerngeschäft, den Printmedien, zu verabschieden. Mitte 2013 verkaufte Springer einen Großteil seiner Zeitschriften und Regionalzeitungen an die Funke-Mediengruppe, darunter auch das Hamburger Abendblatt.190 Angesichts sinkender Auflagen, allein beim Hamburger Abendblatt brach diese von 1998 bis 2013 um 123.000 ein, und zurückgehender Anzeigenerlöse sah Springer für diese Zeitungen und Zeitschriften keine Zukunft mehr.191
179 Gruner + Jahr gibt Wirtschaftstitel auf, in: Zeit Online, 20.11.2012, URL: http://www. zeit.de/wirtschaft/2012-11/gruner-jahr-wirtschaftsmedien-einstellung-verkauf (9.6.2016). 180 Ebd. 181 Zeitungskrise: Gruner + Jahr verkündet Aus für »Financial Times Deutschland«, in: Spiegel Online, 23.11.2012, URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gruner-jahrverkuendet-aus-fuer-financial-times-deutschland-a-868371.html (9.6.2016). 182 »Kräfte des Marktes«, in: Der Spiegel, 26.11.2012, S. 95. 183 »Es geht uns nicht gut«, in: Der Spiegel, 21.9.2009, S. 164–166, hier S. 164 f. 184 Schnibben, Breaking News, S. 63. 185 »Es geht uns nicht gut«, in: Der Spiegel, S. 164 f. 186 Malte Buhse / Patrick Kremers, Wer sterben und wer überleben wird, in: Zeit Online, 21.11.2012, URL: http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2012-11/Tageszeitung (9.6.2016). 187 Baustelle Baumwall, in: Der Spiegel, 10.9.2012, S. 151. 188 Markus Brauck u. a., Der Verkäufer, in: Der Spiegel, 29.7.2013, S. 122–125, hier S. 123. 189 Martin U. Müller, Die Platt-Macher, in: Der Spiegel, 13.5.2013, S. 144–146, hier S. 145. 190 Brauck u. a., Der Verkäufer, S. 122. 191 Schnibben, Breaking News, S. 58.
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Schon in den Monaten vor dem Verkauf hatte sich Springer immer weniger als Zeitungsverlag verstanden. Zahlreiche Manager waren in das Silicon Valley gereist, unter ihnen auch der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner und der Chefredakteur der Bild-Zeitung Kai Diekmann.192 Mehre Monate verbrachte Diekmann in Kalifornien. Er traf sich mit Start-up-Gründern und Risikokapitalgebern, recherchierte auf Technologieblogs und twitterte. Wie sehr sich Diekmann in die neue Umgebung einfügte, zeigt ein vom Spiegel veröffentlichtes Portrait (Abb. 94)193. Bis in die Details hinein inszenierte die Fotografie den Wandel des Springer-Konzerns von einem Zeitungsverlag zu einem »Digitalunternehmen«194. Apple-Laptop, Küchentisch, Kapuzenpullover und Bart waren an die Stelle von Bild-Zeitung, Schreibtisch, Anzug und zurückgegelten Haaren getreten. Unter dem Porträt stand ein Zitat des langjährigen Bild-Chefredakteurs: »Du musst dich selbst fressen, bevor es die anderen tun.«195
192 Matthias Geyer, Der Lehrling, in: Der Spiegel, 25.3.2013, S. 54–59, hier S. 54. 193 Ebd., S. 55. 194 Alina Fichter, Die große Wette, in: Zeit Online, 1.8.2013, URL: http://www.zeit.de/ 2013/32/springer-verlag-digitale-medien-journalismus (27.5.2016). 195 Geyer, Der Lehrling, S. 55.
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Weil ihnen angesichts drohender Arbeitslosigkeit und düsterer Zukunftsaussichten das Risiko zu groß erschien, waren im Laufe der 1980er immer weniger junge Familien in Einfamilienhäuser im Umland gezogen. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der nach 1989 einsetzte, gewann die Suburbanisierung wieder an Schwung. Erneut kamen Massenmotorisierung, konservative Wohnungs- und Familienpolitik, billigeres Bauland und der ungebrochene Traum vom Eigenheim im Grünen zum Tragen. Hamburgs Wanderungsverluste gegenüber dem Umland stiegen deutlich an, von 4.200 im Jahr 1988 auf 9.600 im Jahr 1996.1 Die neuen Einfamilienhausgebiete, die nun entstanden, fügten sich in einen lang andauernden Wandel ein. In den sechs Landkreisen, die an Hamburg angrenzten, war die Einwohnerzahl von 830.000 im Jahr 1961 auf 1.360.000 im Jahr 2000 angestiegen.2 Gleichzeitig hatten sich die Beziehungen zwischen Stadt und Umland vervielfacht. Da ein Großteil der Arbeitsplätze in Hamburg verblieben war, hatte sich die Zahl der Pendler von knapp 100.000 im Jahr 1960 auf mehr als 300.000 im Jahr 2000 erhöht.3 Zwei topographische Karten des Landkreises Pinneberg, die eine aus dem Jahr 1963, die andere aus dem Jahr 1994, verdeutlichen das Ausmaß der Veränderungen (Abb. 95 und 96)4. Noch Anfang der 1960er hatte sich das Umland wesentlich von der benachbarten Großstadt unterschieden. Dörfer und Kleinstädte, die von ausgedehnten Feldern und Wiesen umgeben waren, hatten den Landkreis geprägt. Bauernhöfe hatten den dortigen Alltag bestimmt. Dreißig Jahre später war die einst klare Grenze verschwommen. Aus Feldern und Wiesen waren neue Wohngebiete geworden, gerade um die alten Dörfer und Kleinstädte herum. In diesen neuen Ortsteilen waren freistehende Einfamilienhäuser, die in der Karte durch kleine schwarze Punkte ausgewiesen wurden, 1 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 2001/2002, Hamburg 2001, S. 23. 2 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Taschenbuch 1971, S.22; Statistisches Landesamt Hamburg, Stadtteil-Profile 2002, Hamburg 2002, S. 237. Zur Suburbanisierung in Hamburg siehe: Marcus Menzl, Leben in Suburbia. Raumstrukturen und Alltagspraktiken am Rand von Hamburg, Frankfurt am Main 2007; Woyke, Mehr als nur »Schlafzimmer von Hamburg«; Woyke, »Wohnen im Grünen«?. 3 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 1961, S. 100.; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 2002/2003, S. 143. 4 Landesvermessungsamt Schleswig-Holstein, Topographische Karte. Deutschland 1:50.000. Pinneberg L 2324, Kiel 1963; Landesvermessungsamt Schleswig-Holstein, Topographische Karte. Deutschland 1:50.000. Pinneberg L 2324, Kiel 1994.
Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete
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die vorherrschende Wohnform. Zugleich waren weder große Industriegebiete noch neue Geschäftszentren zu erkennen. Stattdessen verbanden Schnellbahnlinien und neu errichtete Autobahnen, die durch schwarz-weiße und orangene Linien gekennzeichnet waren, die Einfamilienhausgebiete mit dem Stadtzentrum Hamburgs. Zu den Kleinstädten des Landkreises Pinneberg gehörte auch Quickborn. Allein hier war die Zahl der Einwohner von 9.000 im Jahr 1960 auf 20.000 im Jahr 2000 gestiegen.5 Ring um Ring hatten sich immer neue Einfamilienhausgebiete um den alten Dorfkern gelegt, darunter auch das ehemalige Ausstellungsgelände der »Fertighaus 63«. Mit der 1963 eröffneten Fertighaussaustellung hatte der Herausgeber und Chefredakteur des Sterns, Henri Nannen, einen Beitrag dazu leisten wollen, dass sich junge Familien ihren Traum vom eigenen Haus verwirklichen konnten.6 Auch drei Jahrzehnte später hielt die Redaktion des Wochenmagazins an diesem Ziel fest. Gemeinsam mit der Bausparkasse Schwäbisch Hall organisierte sie im Jahr 1996 den Architekturwettbewerb »Mein Wunschhaus«.7 Die Schirmherrschaft übernahm der Bundesbauminister Klaus Töpfer. In einem Interview, das er dem Stern gab, stellte der Christdemokrat klar: »Die eigenen vier Wände dürfen kein Luxus sein.«8 Sein Ziel sei es, dass jeder zweite Deutsche Wohneigentum besitze.9 Um dieses »Haus der Zukunft«10 zu entwerfen, beauftragten das Wochenmagazin und die Bausparkasse zehn Architekturbüros. Über deren Entwürfe sollte eine Jury entscheiden, zu der neben dem langjährigen Hamburger Oberbaudirektor Egbert Kossak zwei Leser des Sterns gehörten.11 Auch ansonsten legten die Initiatoren großen Wert auf die Meinung der zukünftigen Bewohner. Wesentlicher Bestandteil des Architekturwettbewerbs war eine großangelegte Umfrage. Insgesamt 70.000 Leser füllten einen Fragebogen aus, mit deutlichem Ergebnis.12 Eine große Mehrheit wünschte sich, in einem Einfamilienhaus zu wohnen. Nichts anderes hatte die Redaktion erwartet. Schon auf der Titelseite der Ausgabe, der sie den Fragebogen beigelegt hatte, war ein solches »Traumhaus« ab gebildet (Abb. 97)13. Jenseits der leuchtenden Fassade, die für die Zukunft stand, hatte sich kaum etwas verändert. Weiterhin konnten sich die Journalisten ein
5 Statistisches Landesamt Schleswig-Holstein, Wohnbevölkerung der Gemeinden in Schleswig-Holstein am 30.6.1959, Kiel 1960, S. 12; Deutscher Städtetag, Statistisches Jahrbuch deutscher Gemeinden 2001, Berlin 2001, S. 19. 6 Zur Fertighausausstellung »Fertighaus 63« siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 78 f. 7 Mein Wunschhaus, in: Der Stern, 18.4.1996, S. 119. 8 »Die Baukosten bei uns müssen runter«, in: Der Stern, 18.4.1996, S. 152–156, hier S. 152. 9 Ebd. 10 Traumpreise, in: Der Stern, 18.4.1996, S. 130–132, hier S. 131. 11 Harald Schröder, Die Wunschhäuser, in: Der Stern, 31.10.1996, S. 120–138, hier S. 136. 12 Ebd. 13 Bauen Sie mit dem Stern Ihr Traumhaus, in: Der Stern, 18.4.1996, Titelseite.
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Traumhaus nur als freistehendes Haus mit Satteldach vorstellen, und mit einem Familienvater, der seine Arme um die Schultern seiner Frau legte. Während sich das Familienleben in den Vororten kaum zu verändern schien, beschleunigten sich in den Personalabteilungen großer Unternehmen die Umbrüche. Gerade hier gerieten die lange Zeit festgefügten Grenzen zwischen Familie und Beruf in Bewegung. Immer häufiger sprachen deutsche Manager und Unternehmensberater nun von »Work-Life-Balance«14, unter ihnen auch Gisela Erler, eine der wichtigsten Vertreterinnen des neuen Ansatzes. In einem Artikel, der im Jahr 2001 erschien, machte sie deutlich: »Soweit Firmen im Industriezeitalter das persönliche Umfeld ihrer Mitarbeiter berücksichtigten, trieben sie ›klassische Familienpolitik‹. Diese bestand darin, einem jederzeit zu Überstunden bereiten und verfügbaren männlichen Ernährer ein ausreichendes Familien-Gehalt zu bezahlen, ergänzt vielleicht durch wenig anspruchsvolle Teilzeitarbeitsplätze für Familienmütter, dazu ein Bündel von Sozialleistungen: vom Ferienheim bis zum Zuschuss für den Kommunionsanzug oder die Lehrstelle für den Nachwuchs. Heutige Work-Life-Balance-Angebote richten sich demgegenüber an beruflich erfolgreiche Väter, an alleinstehende Vielarbeiter, an Karrieremütter, an ältere Mitarbeiter, an Personen mit homosexuellen Partnerschaften oder Menschen mit gesundheitlichen Problemen – kurz: an die gesamte Belegschaft mit besonderem Augenmerk auf Führungskräfte. Sie reichen von Beratungs- und Vermittlungsdiensten zum Thema Kinderbetreuung, von der Errichtung neuer ›Notkindergärten‹ […], von der Unterstützung im Fall von Pflegebedürftigkeit von Eltern oder bei Krebserkrankungen in der Familie über die Krisenberatung bei Partnerschaftsproblemen bis hin zu erweiterten Möglichkeiten der Heimarbeit«.15 In dem Maße, in dem sich die Lebenslagen änderten, so die von Gisela Erler in zahlreichen Interviews und Artikeln vertretene Argumentation, sei eine neue Personalpolitik notwendig. In besonderem Maße gelte dies für »hochqualifizierten Mütter«16. Um die Frage, wie sich Kinder und Karriere miteinander vereinbaren ließen, kreiste auch ein Interview, das sie der Zeitschrift 14 Elisabeth von Thadden, Gesucht: Fachkraft mit Familiensinn, in: Die Zeit, 08.11.2001, S. 15–18, hier S. 15. Zur Work-Life-Balance siehe: Karin Jurczyk u. a., Entgrenzte Arbeit – entgrenzte Familie. Grenzmanagement im Alltag als neue Herausforderung, Berlin 2009; Arlie Russell Hochschild, Keine Zeit. Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet, Wiesbaden 20062; Karin Jurczyk, Work-Life-Balance und geschlechtergerechte Arbeitsteilung. Alte Fragen neu gestellt, in: Hartmut Seifert (Hrsg.), Flexible Zeiten in der Arbeitswelt, Frankfurt am Main 2005, S. 102–123. 15 Gisela Anna Erler, Unternehmenskultur in der nachindustriellen Wirtschaft, in: Christopher Pleister (Hrsg.), Genossenschaften zwischen Idee und Markt. Ein Unternehmenskonzept für die Zukunft?, Frankfurt am Main 2001, S. 105–114, hier S. 107 f. 16 Gisela Anna Erler, Work-Life Balance: Die unsichtbare Revolution, in: Dorothea Assig (Hrsg.), Frauen in Führungspositionen. Die besten Erfolgskonzepte aus der Praxis, München 2001, S. 157–177, hier S. 169 f.
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Frauenrat gab. Mehrfach kamen die Gesprächspartnerinnen auf die Probleme berufstätiger Mütter zurück. Den zentralen Stellenwert dieses Themas unterstrich auch die Fotografie mit der die Redaktion das Interview illustrierte (Abb. 98)17. Während eine junge Mutter in ihrem Wohnzimmer an einem Personal Computer arbeitete, turnte ihre kleine Tochter an ihr herum. Darunter war zu lesen: »Telearbeitsplatz: richtig ausbalanciert?«18 Gleichzeitig hob Gisela Erler ausdrücklich hervor, dass sich die neuen Angebote auch an Männer richten müssten, gerade weil ihnen nicht länger Hausfrauen bedingungslos den Rücken freihielten. In einem Artikel, den sie unter dem Titel »Work-Life- Balance. Die unsichtbare Revolution« veröffentlichte, machte sie deutlich: »Wo mehr Frauen erwerbstätig sind, und zwar engagiert und mit hoher beruflicher Verantwortung, werden auch ihre Partner immer stärker in die Verantwortung genommen. Partner beruflich engagierter Frauen leisten heute mehr Hausarbeit und Kinderbetreuung; sie müssen eher Kinder zum Kindergarten bringen, von der Schule abholen, in Notfällen einspringen. Auch wenn ihr Hausarbeitsanteil meist geringer ist als der der Frau, ist doch die Phase einer völligen Freistellung von Betreuungspflichten für diese Gruppe vorbei.«19 Schon bevor sie zu einer der wichtigsten Fürsprecherinnen des neuen Managementkonzeptes geworden war, hatte sich Gisela Erler für die Belange von Frauen und Müttern eingesetzt, als Verlegerin der feministischen Reihe Frauenoffensive bei Trikont20, als Familienforscherin beim Deutschen Jugendinstitut und als Politikerin der Grünen.21 So war sie eine der Initiatorinnen des Mütterkongresses, der, unterstützt von den Grünen, im Jahr 1986 in Bonn stattfand. Zusammen mit 500 Müttern kamen auch 200 Kinder.22 In einem »Müttermanifest«, das der Kongress nach langen Diskussionen verabschiedete, hieß es: »Es ist an der Zeit zu verstehen, daß Mütter außerhalb ihrer vier Wände nicht nur als Arbeitskräfte, Ehefrauen, Politikerinnen anwesend sein möchten, sondern auch Raum für ihre Kinder fordern. Eine Gesellschaft, die Kinder an der Hand zulassen soll, bedeutet eine ganz grundsätzliche Herausforderung an alle vorgegebenen Strukturen.«23 Dies erfordere weitreichende Neuerungen: »Was ansteht, ist nicht mehr und nicht weniger als die Schaffung einer mütterund kinderfreundlichen Öffentlichkeit, einer öffentlichen Wohnstube, eines nachbarschaftlichen Kinderzimmers, einer Überwindung der engen Familiengrenzen – ohne daß die Logik der Kneipe, des Betriebs oder gar der traditionellen 17 »Erziehung ist ein Kooperationsprozess«, in: Frauenrat 51 (2002) H. 2, S. 24–26, hier S. 25. 18 Ebd. 19 Erler, Work-Life-Balance, S. 172 f. 20 Gisela Erler, Vorbemerkung, in: Brigitte Galtier (Hrsg.), Frauen in der Offensive. Lohn für Hausarbeit oder: Auch Berufstätigkeit macht nicht frei, München 1974, S. 5–12. 21 »Erziehung ist ein Kooperationsprozess«, in: Frauenrat, S. 24. 22 Müttermanifest. Leben mit Kindern – Mütter werden laut, in: Frauenbildungszentrum Denk(t)räume (Hrsg.), Dokumentation zum Müttermanifest, Hamburg 1987, S. 1–4, hier S. 2. 23 Ebd., S. 1.
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Politik alles Leben durchdringt.«24 Mit dem Müttermanifest grenzten sich die Unterzeichnerinnen deutlich von anderen feministischen Ansätzen ab. Nicht die Interessen von berufstätigen Frauen, sondern die besonderen Bedürfnisse von Müttern waren Ausgangspunkt ihres Engagements. Zugleich standen sie der vielfach wiederholten Forderung, die Hausarbeit müsse zu gleichen Teilen von Männern und Frauen übernommen werden, skeptisch gegenüber. Sie seien, so ihre Begründung, nicht länger bereit, sich von dem »Schneckentempo«25, in dem Männer ihr Verhalten änderten, abhängig zu machen. Stattdessen gehe es darum, zunächst die Lebenssituation von Müttern zu verbessern, durch Bezahlung von Hausarbeit, eine umfassende Kinderbetreuung und »Experimente mit qualifizierter Teilzeitarbeit«26. Auch in den 1990ern und 2000ern hielt Gisela Erler an dem grundsätzlichen Ziel fest, die Lebenssituation von Müttern zu verbessern. Doch die Allianzen, die sie einging, änderten sich weitgehend. Den Auftakt bildete eine Zusammenarbeit mit dem Automobilhersteller BMW. In dessen Auftrag baute sie im Jahr 1991 in München das Kinderbüro auf, das Tagesmütter und Kindergartenplätze an die Beschäftigten des Konzerns vermittelte.27 Diese neue Dienstleistung nahmen in den folgenden Jahren mehr und mehr große Unternehmen in Anspruch. Bereits Mitte des Jahrzehnts gehörten auch Lufthansa, McKinsey und die Hypobank zu den Kunden.28 Bundesweit entstanden neue Zweigstellen. Zugleich weitete das Kinderbüro, das sich in pme Familienservice umbenannte, sein Angebot aus. Neben der Vermittlung von Tagesmüttern, Au-pairs und Kindergartenplätzen bot es nun auch Beratung in schwierigen Lebenslagen an. Im Jahr 2012 unterstützte pme Familienservice nach eigenen Angaben drei Millionen Menschen in 650 Unternehmen, Behörden und Verbänden.29 Zudem betrieb es über 70 eigene Kinderbetreuungseinrichtungen.30 Seit dem Jahr 1995 stellte pme Familienservice seine Dienstleistungen auch in Hamburg zur Verfügung.31 Zu den Unternehmen, die das neue Angebot in Anspruch nahmen, gehörten die HSH Nordbank, die Reederei Hamburg Süd, der Springer-Verlag und Gruner + Jahr.32 Insbesondere das Verlagshaus Gruner + Jahr war ein wichtiger Kunde. In dessen Auftrag gründete pme Familienservice
24 Ebd. 25 Ebd., S. 3. 26 Ebd. 27 Zufriedene Mütter, in: Der Spiegel, 21.2.1994, S. 67–69. 28 Ebd. 29 pme Familienservice, pme Lernwelten, Berlin 2012, S. 10. 30 Ebd. 31 pme Familienservice, Meilenstein 2015 – Work:Life:360°, URL: https://www.familien service.de/web/hamburg/artikel?id=5124454 (28.10.2014). 32 Jeannette Otto, Letzte Rettung, in: Die Zeit, 17.8.2006, S. 67; pme Familienservice, Wolkenzwerge Hamburg – Eine Kita der pme Familienservice, URL: https://www. familienservice.de/web/229103/7 (28.10.2014).
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im Jahr 2007 den Notfallkindergarten »Companykids«.33 Wenn keine andere Kinderbetreuung möglich war, konnten die Angestellten nun auf eine »Back-upEinrichtung«34 zurückgreifen, die rund um die Uhr geöffnet hatte. Ausführlich pries der Geschäftsbericht des Verlagshauses die neue Errungenschaft. Zunächst ließ er den Leiter des Personalbereichs zu Wort kommen: »›Familienförderung machen wir auch aus Eigeninteresse‹, so der oberste Personalmanager, ›wir wollen in dem Wettbewerb um die jungen, begabten Frauen künftig ganz vorn dabei sein. Durch die demografische Entwicklung werden in Zukunft die Talente knapp. Auf Männer allein können und wollen wir nicht bauen.‹«35 Danach fasste er zusammen: »Die Vereinbarkeit von Elternschaft und Karriere wird bald zum Schlüsselkriterium, an dem die Arbeitgeber gemessen werden. Neue Wege im Personalmanagement sind daher Pflicht.’«36 Auch in der übrigen Stadt setzten sich die Veränderungen fort. Bis zum Jahr 2010 stieg die Erwerbstätigenquote der 15- bis 65jährigen Frauen in Hamburg auf 67,6 Prozent an.37 Zugleich erhöhte sich an den Hochschulen der Anteil der Studentinnen auf 47,7 Prozent.38 Da immer mehr Frauen das Erwerbsleben prägten, waren die Unternehmen gezwungen, auf deren Bedürfnisse einzugehen, zumindest bei Hochqualifizierten. Eine der Fotomontagen, mit denen die Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche im Jahr 2000 ihren neuen Ratgeber illustrierte, zeigte einen mit einem Hemd bekleideten Mann an einem Herd (Abb. 99)39. Ihm gegenüber stand eine Frau, die neugierig das Essen probierte. Nicht zufällig trug sie einen Blazer. Die Küche, daran ließ diese Fotomontage keinen Zweifel, war nicht länger ein Raum, in dem eine Hausfrau den ganzen Tag verbrachte. Aus ihr war ein Raum des Vergnügens geworden, in dem sich ein berufstätiges Paar nach einem anstrengenden, aber erfüllten Arbeitstag traf und gemeinsam den Abend verbrachte. Bereits im Vorwort des Ratgebers, das den Titel »Mit einer neuen Küche ins neue Jahrtausend« trug, machte der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft deutlich: »Der Stellenwert des ›Küchenwohnens‹ wächst weiter. Die Küche ist in das Zentrum der Wohnung gerückt. Führende Architekten bestätigen uns, dass sich der Stellenwert des Wohnens hin zur Küche verschoben hat. Die Küche ist Mittel- und Treffpunkt der ganzen Familie und ein Ort kreativer Betätigung.«40
33 Gruner + Jahr, Jahresbericht 2006, Hamburg 2007, S. 51. 34 pme Familienservice, pme Familienservice – das Original!, URL: https://www.familien service.de/entstehung (28.10.2014). 35 Gruner + Jahr, Jahresbericht 2006, S. 53 f. 36 Ebd. 37 Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2011/2012, S. 94. 38 Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2012/2013, S. 47. 39 Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche, Ratgeber Küche, Mannheim 2000, S. 33. 40 Ebd., S. 1.
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Dies erfordere, so hieß es im Folgenden, eine neue Gestaltung. Küchen müssten »offene Räume« sein und keine »geschlossenen Kämmerchen«.41 Mit diesem Bekenntnis wandte sich die Arbeitsgemeinschaft Die Moderne Küche von ihren Ursprüngen ab. Der Verein, den westdeutsche Küchenhersteller im Jahr 1956 gegründet hatten, war gerade in seinen Anfangsjahren entschieden für die »Arbeitsküche« eingetreten.42 Zentrales Ziel der damals veröffentlichten Ratgeber war die »Rationalisierung«43 der Hausarbeit. Zugleich sollte die Küche, in der die Hausfrau arbeitete, klar von den Wohnräumen, in denen sich der Mann von seiner Berufstätigkeit erholte, getrennt sein. Knapp fünfzig Jahre später waren die Grenzen zwischen weiblich und männlich geprägten Räumen durchlässig geworden. Während immer mehr Frauen berufstätig waren, standen immer mehr Männer wenigstens gelegentlich am Herd. Damit verloren auch die Wände zwischen Küche und Wohnzimmer an Bedeutung. Auf diese Umbrüche wies im Jahr 2001 auch ein Schwerpunkt des Sterns hin. Unter der Überschrift »Grenzenlos« setzte sich der Journalist Jörn Voss darin mit der veränderten Küchengestaltung auseinander.44 Die Zeit des von Margarete Schütte-Lihotzky entworfenen »Arbeitslabors«45 sei endgültig vorbei. Stattdessen gewinne der »Wohnraum zum Kochen«46 wieder an Bedeutung. Wo immer man hingucke, fielen die Wände. Zunehmend zeige sich, dass Räume mit festgelegten Funktionen nicht länger den neuen Lebensgewohnheiten entsprächen: »Es scheint eine verkehrte Welt zu sein: Eine Frau schuf das perfekt rationalisierte Kochlabor, und die Männer geben den Ausschlag dafür, dass daraus ein wuseliger Gemeinschaftsraum wird, ein Spaßzimmer mit Kindergeschrei, geschwätzigen Diskussionen, abendlichen Gelagen in nonchalanter Unordnung. Merkwürdig auch, dass die Wandlung von der Servicestation zum Zentrum der Behausung in einer Zeit geschieht, da Familien schrumpfen, Singles und kinderlose Paare gerne auswärts essen und selbst wer sich redlich ernährt, vorwiegend zu Fertiggerichten greift oder den Pizzadienst ruft.«47 Doch möglicherweise, so der Journalist, sei dies erst der Anfang: »In New York, erzählt HausdesignExpertin Jane Withers, gibt es Büros, da versammeln sich Führungskräfte zum Brainstorming statt am Konferenztisch um einen Herd, nippen hier mal, probieren dort mal, und treffen zwischendurch Entscheidungen.«48
41 Ebd., S. 5. Zur offenen Küche siehe: Surmann, Gute Küchen – wenig Arbeit, S. 423–439; Tränkle, Neue Wohnhorizonte, S. 761–764. 42 Zur Arbeitsküche siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 81–84. 43 Lübbert-Griese, Bedeutung der Lebenshaltung, S. 12–13. 44 Jörn Voss, Grenzenlos, in: Der Stern, 29.3.2001, S. 138–147. 45 Ebd., S. 142. 46 Ebd. 47 Ebd., S. 144. 48 Ebd., S. 147.
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Fünf Jahre nach »Mein Wunschhaus«49 traten das Wochenmagazin Stern und die Bausparkasse Schwäbisch Hall erneut an die Öffentlichkeit. Gemeinsam kündigten sie einen weiteren Architekturwettbewerb an. Schon dessen Titel »Sternstadt«50 wies darauf hin, dass sich die Ausrichtung grundlegend verändert hatte. Dies unterstrich auch Norbert Thomas. In einem Beitrag, der anlässlich des Wettbewerbs im Stern erschien, machte er deutlich: »Eine Stadt der kurzen Wege wäre ideal, in der man auf kleinem Raum arbeiten kann und wohnen, einkaufen und Sport treiben, die Kinder unterbringen und die Alten. Bettenburgen und Büroballungen oder Einfamilienhaus-Einerlei: Solche städtebaulichen Monostrukturen sollten eigentlich ausgedient haben – und werden doch immer wieder aufs Neue hochgezogen.«51 Mit dieser Ansicht stehe er nicht allein: »Viele Menschen würden lieber heute als morgen vom zersiedelten Land in die Stadt zurückkehren, weil der urbane Lebensstil ihren gesellschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen eher entspricht als das Häuschen im Grünen. Doch die meisten Städte sind auf Heimkehrer nicht eingerichtet. Laut und schmutzig, unpersönlich, teuer und gefährlich … so präsentiert sich vielen das Leben in der Stadt.«52 Deswegen sei es an der Zeit, einen Neuanfang zu wagen. Vor allem ehemalige Fabrikgelände und andere zentral gelegene Brachen böten vielfältige Möglichkeiten. Im Unterschied zu bisherigen Ansätzen wie der Hafencity, die sich allein an »Wohneliten«53 richteten, müsse es darum gehen, neue innerstädtische Wohnviertel für »Normalos«54 zu schaffen. Auch im Jahr 2001 war eine Umfrage Teil des Architekturwettbewerbs. Ein ausführlicher Fragebogen, der dem Stern und der Zeitschrift der Bausparkasse Schwäbisch Hall, dem Mosaik, beigelegt war, richtete sich an Leser und poten tielle Kunden. Einleitend schrieben die Initiatoren: »Das Leben in der Stadt steht bei vielen Menschen wieder hoch im Kurs. Aber sind unsere Städte eigentlich lebenswert? Oder was muss sich ändern, damit wir uns wohler fühlen? Hier sind Sie gefragt. Der Stern und Schwäbisch Hall wollen mit dieser groß angelegten Leserumfrage herausfinden: Wie wollen wir wohnen?«55 Ein Großteil der anschließenden Fragen wandte sich den Bedingungen zu, unter denen sich »Normalos« ein Leben in der Stadt vorstellen könnten. Unter anderem sollten sie ihre 49 Mein Wunschhaus, in: Der Stern, S. 119. 50 Norbert Thomas, Wollen Sie auch so leben?, in: Der Stern, 19.4.2001, S. 146–156, hier S. 147. 51 Ebd., S. 154. Zur wachsenden Beliebtheit des innerstädtischen Wohnens siehe: Philip Engler, Reurbanisierung und Wohnwünsche. Die Bedeutung städtischer Strukturen für die Bevölkerung in der Stadtregion Hamburg, Berlin 2014; Klaus Brake / Günter Herfert (Hrsg.), Reurbanisierung. Materialität und Diskurs in Deutschland, Wiesbaden 2012; Susanne Frank, Die »Rückkehr« der Familien in die Stadt. Ende der Suburbanisierung?, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 42 (2011) H. 1, S. 64–75; Häußermann, Stadtpolitik, S. 362–373. 52 Thomas, Wollen Sie auch so leben?, S. 154. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Wie wollen wir wohnen?, in: Der Stern, 19.4.2001, S. 161–164, hier S. 161.
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Meinung zum Wohnen in »einem anspruchsvoll renovierten Altbau«, »Cafés, Läden, Kleinhandwerk«, »autofreien Zonen«, »Babysitter-Service«, der »OnlineAnbindung des Hauses« und zunehmender »Kriminalität« kundtun.56 Das Resultat fiel eindeutig aus. Von den 35.000 Menschen, die sich an der Umfrage beteiligten, äußerten 77 Prozent den Wunsch, »citynah« wohnen zu wollen.57 Ein Jahr später stellte Norbert Thomas die Ergebnisse des Wettbewerbs im Stern vor.58 Unter insgesamt 100 Projekten habe die Jury das Französische Viertel in Tübingen als Sieger ausgewählt. Nahe dem Stadtzentrum, »zwischen Kasernen und Asylbewerber-Baracken und Ausfallstraßen«59, sei ein vorbildliches Stadtviertel entstanden. In ihm zeige sich das »Modell einer ›neuen Urbanität‹«60. Werkstätten, Kneipen, Cafés, Märkte und ein Theater sorgten für einen »Mix aus Wohnen und Arbeit, Einkaufen und Kultur«61. Unter maßgeblicher Beteiligung privater Baugemeinschaften und zu vergleichsweise niedrigen Kosten entstünden im Umfeld des Französischen Viertels und den benachbarten Stadtteilen Wohnungen für mehrere tausend Menschen. Auch auf dem Titelblatt des Magazinschwerpunkts war der neue Stadtteil zu sehen (Abb. 100)62. Ein Luftbild zeigte die dicht gedrängten Geschosswohnungsbauten. Darunter kündigten Schlagzeilen die verschiedenen Themen an: »Urbanes Wohnen«, »Billiger Wohnen« und »Haus fertig, Ehe auch?« Dass sich die »Normalos« wieder der Stadt zuwandten, zeigte sich auch in Hamburg. Vom Jahr 1996 bis zum Jahr 2006 gingen die Wanderungsverluste gegenüber dem Umland von 9.600 auf 4.500 zurück.63 Gleichzeitig schwächten sich auch die Triebkräfte der Suburbanisierung ab. Die Massenmotorisierung hatte ihren Zenit überschritten. Erstmals ging in Hamburg die Zahl der Personenkraftwagen pro 1.000 Einwohnern zurück, von 463 im Jahr 2000 auf 404 im Jahr 2010.64 Noch deutlicher zeigten sich die Umbrüche bei den Familienverhältnissen. Bis zum Jahr 2010 sank der Anteil der Verheirateten an den Einwohnern Hamburgs auf 36,2 Prozent.65 Aus der traditionellen Kleinfamilie war eine Minderheit geworden. Demgegenüber gewannen andere Formen des Zusammenlebens mehr und mehr an Bedeutung, von Singles über Geschiedene bis hin zu Alleinerziehenden. 56 Ebd. 57 www.sternstadt.de, zitiert nach: Jürgen Schmitt u. a., Einfamilienhaus oder City? Wohnorientierungen im Vergleich, Wiesbaden 2006, S. 139. 58 Norbert Thomas, So wollen wir wohnen, in: Der Stern, 4.4.2002, S. 92–98. 59 Ebd., S. 95 f. 60 Ebd., S. 92. 61 Ebd. 62 Journal Bauen und Wohnen, in: Der Stern, 4.4.2002, S. 91. 63 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 2001/2002, S. 23; Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2008/2009, Hamburg 2008, S. 26. 64 Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 2002/2003, S. 188; Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2011/2012, S. 157. 65 Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2011/2012, S. 14.
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Die zentrale Ursache dafür, dass Hamburg gegen Ende der 1980er wieder zu wachsen begann, waren die Zuzüge aus dem Ausland. Allein im Jahr 1989 nahm die Stadt 5.000 Asylbewerber, 9.000 DDR-Übersiedler und 11.600 Aussiedler auf.66 Da nicht genügend Wohnungen vorhanden waren, mussten die Neuankömmlinge in Containersiedlungen, Wohnschiffen und Hotels untergebracht werden. Angesichts dessen sah sich der Senat zum Handeln gezwungen. So machte die Baubehörde deutlich: »1988/89 wandelte sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt, unter anderem durch einen sprunghaften Anstieg von Zuwanderern. Das Wort ›Wohnungsnot‹ tauchte wieder in den Schlagzeilen auf. Der Senat erhöhte daraufhin sein Wohnungsbauprogramm auf derzeit 4.400 Wohnungen jährlich, davon 2.500 im öffentlich geförderten Mietwohnungsbau.«67 Von vornherein ging die Baubehörde davon aus, dass es nicht ausreichen werde, Dachgeschosse auszubauen und Baulücken zu schließen. Nur durch »Großprojekte«68 könne die angestrebte Zahl neuer Wohnungen tatsächlich erreicht werden. Ein weiteres Mal rückten nun die unbebauten Flächen in Allermöhe in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Da der »Zeitdruck«69 groß war, griff der Senat zudem auf die schon vorhandenen Planungen zurück. Erneut beauftragte er die Freie Planungsgruppe Berlin, die im Jahr 1974 den Wettbewerb um die nie verwirklichte Großsiedlungen Billwerder-Allermöhe für sich entschieden hatte.70 Im Jahr 1991 veröffentlichte das Architekturbüro die »Erläuterungen zur Strukturplanung Neu-Allermöhe West«71. Insgesamt sollten in der Großsiedlung 4.500 neue Wohnungen entstehen.72 Viele der städtebaulichen Leitideen, von der guten S-Bahn-Anbindung über den Verzicht auf Hochhäuser bis hin zum »Wohnen am Wasser«73, ähnelten denen des Wohngebiets Allermöhe, das bereits im vorangegangenen Jahrzehnt gebaut worden war. Dennoch überwogen 66 Asylbewerber: Dramatischer Andrang, in: Hamburger Abendblatt, 10.8.1990, S. 4; Wohin mit den Umsiedlern?, in: Hamburger Abendblatt, 21.3.1990, S. 4. Zum Anstieg der Zuwanderung nach 1989 siehe: Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, S. 263–334; Bade, Ausländer, Aussiedler, Asyl. 67 Baubehörde Hamburg, Neu-Allermöhe West, Hamburg 1991, S. 15. 68 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Wohnungsbauprogramm 1990/91 und Vorbereitung künftiger Wohnungsbauprogramme für die Folgejahre ab 1992, Drucksache 13/5791, Hamburg 1990, S. 2. 69 Stadtentwicklungsbehörde Hamburg, Wohnen am Wasser in Neuallermöhe. Planung und Realisierung eines neuen Hamburger Stadtteils, Hamburg 2000, S. 15 f. 70 Zur Großsiedlung Billwerder-Allermöhe siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 90 f. sowie Kapitel 3. Das Ende der Großsiedlungen, S. 177–179. 71 Freie Planungsgruppe Berlin, Erläuterungen zur Strukturplanung Neu-Allermöhe West. Wohnbauvorhaben der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1991. Zu der Großsiedlung Neu-Allermöhe West siehe: Neuallermöhe-West, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1985–2000, Hamburg 1999, S. 278–283. 72 Freie Planungsgruppe Berlin, Erläuterungen zur Strukturplanung Neu-Allermöhe West, S. 27. 73 Baubehörde Hamburg, Neu-Allermöhe West, S. 4.
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die Unterschiede. Mit den wohnungspolitischen Problemen hatte sich auch die Architektur gewandelt. In den 1980ern hatte der Senat das Ziel verfolgt, die Abwanderung junger Familien zu verlangsamen. Dementsprechend hoch war der Anteil an Reihen- und Einfamilienhäusern. Insgesamt lag er bei 43 Prozent.74 In den frühen 1990ern stand die Wohnungsnot, die durch die Zuwanderung von Asylbewerbern, DDR-Übersiedlern und Aussiedlern ausgelöst worden war, im Vordergrund. Möglichst schnell sollten nun viele Wohnungen gebaut werden. Erneut stieg der Anteil der Geschosswohnungen an, auf insgesamt 83 Prozent.75 Den Unterschied zwischen den benachbarten Wohngebieten verdeutlichte auch eine Karte, welche die Freie Planungsgruppe Berlin erstellt hatte (Abb. 101)76. Während kleine Punkte den angeschnittenen östlichen Teil bestimmten, waren es im farblich hervorgehobenen westlichen Teil langgezogene Striche. Die ersten Wohnungen in Neu-Allermöhe West konnten im Jahr 1995 bezogen werden. Schon zwei Jahre später lebten dort 6.000 Menschen.77 Bis zum Jahr 2000 sollten es 18.000 sein.78 Aber noch bevor die Bauarbeiten abgeschlossen waren, häuften sich die negativen Presseberichte. Immer öfter schrieben Journalisten vom »sozialem Brennpunkt« und vom »Russen-Getto«.79 Zugleich zogen sie Parallelen zu den Großsiedlungen, die gegen Ende des Booms errichtet worden waren. Im Hamburger Abendblatt kommentierte Kristian Stemmler: »Steilshoop, Neuwiedenthal, Osdorfer Born, Mümmelmannsberg – muß diese Liste um den Namen Neuallermöhe-West verlängert werden? Die Namen der vier erstgenannten Großsiedlungen markieren eine verfehlte Hamburger Städtebaupolitik vergangener Jahrzehnte, die Gettos geschaffen hat, wo günstiger Wohnraum entstehen sollte. Architektonisch scheinen die Verantwortlichen aus dieser Erfahrung einigermaßen gelernt zu haben: Die Siedlung Neuallermöhe-West präsentiert sich in freundlichem Backstein mit viel Wasser, statt zwölfstöckiger Betonsilos dominieren vierstöckige Mehrfamilienhäuser. Doch der wachsende Frust der Jugendlichen im Viertel zeigt: Was die Belegung der Wohnungen und die Infrastruktur angeht, sind alte Fehler wiederholt worden. Offenbar sind hier alle soziologischen Erkenntnisse über das Entstehen sozialer Brennpunkte außer acht gelassen worden. Sonst hätte man erkennen müssen, daß der hohe Anteil von Aussiedlern zu einem Problem werden muß.«80
74 Baubehörde Hamburg, Allermöhe. Wohnen am Wasser, Hamburg 1989, S. 2 f. 75 Freie Planungsgruppe Berlin, Erläuterungen zur Strukturplanung Neu-Allermöhe West, S. 27. 76 Ebd., Anhang. 77 Michaela Brinkmeier, »Wir erwarten hier die schlimmste Ecke Hamburgs«, in: Hamburger Abendblatt, 4.12.1997, S. 16. 78 Bob Geisler, »Hier droht ein neuer Brennpunkt«, in: Hamburger Abendblatt, 8.4.1997, S. 15. 79 Geisler, »Hier droht ein neuer Brennpunkt«, S. 15; Michaela Brinkmeier, Oasen in Deutschlands größter Bauwüste, in: Hamburger Abendblatt, 10.6.1997, S. 16. 80 Kristian Stemmler, Wachsender Frust, in: Hamburger Abendblatt, 15.7.1997, S. 2.
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Kurz vor der Jahrtausendwende rückte die Krise der Großsiedlungen erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang legte der sozialdemokratisch geführte Senat ein »Gesamtprogramm zur sozialen Stadtteilentwicklung« vor.81 Im Zentrum dieses Programms stünden, so der Senat, Stadtteile, die durch große wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Probleme geprägt seien. Neben Altbauvierteln der inneren Stadt gelte dies vor allem für Großsiedlungen der 1960er und 1970er: »Die Ursachen dieser bedrohlichen ›Spaltung der Stadtgesellschaft‹ sind bekannt. Wirtschaftliche Strukturveränderungen mit Verlusten insbesondere an gewerblichen Arbeitsplätzen, eine sich fortsetzend öffnende Einkommensschere, wirtschaftliche Unsicherheit bis in die Mittelschichten, Zuwanderungsbewegungen vor allem in die ärmeren Stadtviertel und ein im unteren Preisniveau noch immer angespannter Wohnungsmarkt haben – wie in vielen anderen Großstädten auch – zu einer Konzentration von Armut in bestimmten Stadtteilen geführt.«82 Um dem entgegenzuwirken, habe der Senat in den vorangegangenen Jahren bereits erste Schritte unternommen. Daran gelte es nun anzuknüpfen. Zugleich seien die Einflussmöglichkeiten nur begrenzt: »Die Stadt kann den Strukturwandel, der sich im Zeichen der Globalisierung noch beschleunigt, nur wenig beeinflussen. Die anhaltenden Sparzwänge der öffentlichen Hand beschränken zudem die Handlungsmöglichkeiten. Damit steht die Politik der sozialen Stadtteilentwicklung mit knappen Mitteln vor wachsenden Problemen. Umso dringender ist ein wirksamer Einsatz dieser Mittel geboten. Erste Bedingung dafür ist Klarheit über die Ziele, die eine Politik der sozialen Stadtteilentwicklung realistischerweise verfolgen kann. Sie kann nicht die Arbeitsplätze ersetzen, die in der privaten Wirtschaft weggefallen sind. Gleichwohl kann sie das Entstehen neuer Beschäftigungsmöglichkeiten im ersten und im zweiten Arbeitsmarkt, aber auch im Bereich der Selbsthilfe fördern. Sie kann auch nicht die Armut beseitigen, die im Gefolge von Arbeitslosigkeit und Beschneidung sozialer Leistungen entstanden ist und sich in bestimmten Quartieren konzentriert. Gleichwohl kann sie den negativen Entwicklungen und dem Unwirtlich-Werden dieser Quartiere entgegenarbeiten.«83 Zwei Jahre nachdem das Gesamtprogramm des Senats erschienen war, legte die Convent Planung und Beratung GmbH für einen der Stadtteile, die Groß81 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Soziale Stadtteilentwicklung, Drucksache 16/1360, Hamburg 1998, S. 1. Zur Krise der Großsiedlungen siehe: Christiane Reinecke, Am Rande der Gesellschaft? Das Märkische Viertel – eine West-Berliner Großsiedlung und ihre Darstellung als urbane Problemzone, in: Zeithistorische Forschungen 11 (2014) H. 2, S. 212–234; Martin Siebel / Walter Kronauer (Hrsg.), Polarisierte Städte. Soziale Ungleichheit als Herausforderung für die Stadtpolitik, Frankfurt am Main 2013; Sabine Kraft, Editorial. Planung und Realität, in: Arch+ 44 (2011) H. 203, S. 11; Hartmut Häußermann u. a. (Hrsg.), An den Rändern der Städte. Armut und Ausgrenzung, Frankfurt am Main 2004. 82 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Soziale Stadtteilentwicklung, S. 2. 83 Ebd.
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siedlung Osdorfer Born, eine ausführliche Studie vor. Unter dem Titel »Quartiersentwicklungskonzept Osdorfer Born 2000«84 machte sie eine Reihe sich überlagernder Problemlagen aus. Langjährige Arbeitslosigkeit, so das Beratungsunternehmen, habe zum sozialen Abstieg vieler Bewohner geführt. Verstärkt werde dies dadurch, dass der Zusammenhalt der Familien nachlasse. Mit der Zahl der Alleinerziehenden nehme auch die Armut zu. Im Jahr 1998 seien von 12.800 Bewohnern 20,6 Prozent auf Sozialhilfe angewiesen, mehr als doppelt so viele wie im Hamburger Durchschnitt.85 Zu dieser »räumlichen Konzentration von Armut«86 trügen auch »selektive Migrationsprozesse«87 bei. Während junge deutsche Familien den Stadtteil verließen, zögen Asylbewerber und Aussiedler aus Containersiedlungen und Wohnschiffen in die freigewordenen Wohnungen. Angesichts dessen sei der Anteil der Ausländer auf 19,6 und jener der Aussiedler auf 15 Prozent gestiegen.88 Zunehmend zeichne sich eine »Polarisierung der BewohnerInnen«89 ab. Alteingesessenen deutschen Bewohnern stünden junge Familien von Asylbewerbern und Aussiedlern gegenüber. Darüber hinaus sei der Alltag in der Großsiedlung durch bauliche Mängel, fehlende soziale Einrichtungen und das »allgemeine Negativ-Image des Osdorfer Born«90 geprägt. Reißerische Presseberichte über Kriminalität und Verwahrlosung führten dazu, dass sich die Situation weiter verschlechtere, vor allem für Jugendliche, die nach Ausbildungsplätzen suchten. Da sie ansonsten Nachteile befürchteten, verschwiegen viele bei Bewerbungsgesprächen ihren tatsächlichen Wohnort.91 Ausgehend von der Analyse der Problemlagen schlug das Quartiersentwicklungskonzept eine Reihe von Maßnahmen vor, von dem Bau von Betreuerlogen für die Hochhäuser, über mehr soziale Angebote für Jugendliche bis hin zu der »Intensivierung ›positiver Pressearbeit‹«92. Doch für das entscheidende Problem, die fehlenden Arbeitsplätze, hatte auch das Quartiersentwicklungskonzept keine Lösung. In den 1960ern war die Nähe zum Hafen und zu den Industriegebieten in Ottensen einer der Gründe dafür gewesen, dass am Osdorfer Born eine neue Großsiedlung gebaut worden war.93 Knapp 40 Jahre später begnügte sich das Beratungsunternehmen mit dem Hinweis, dass es in der nahegelegenen Arena im Volkspark Beschäftigungsmöglichkeiten gebe.94
84 Convent, Quartiersentwicklungskonzept Osdorfer Born 2000. -Vorläufiger Entwurf –, Hamburg 2000. 85 Ebd., S. 17. 86 Ebd., S. 3 f. 87 Ebd. 88 Ebd., S. 17. 89 Ebd., S. 3 f. 90 Ebd., S. 55 f. 91 Ebd. 92 Ebd., S. 5. 93 Siehe Kapitel 3. Zwischen Trabantenstadt und Eigenheim, S. 74 f. 94 Convent, Quartiersentwicklungskonzept Osdorfer Born 2000, S. 5.
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Die Maßnahmen des Senats trugen nicht dazu bei, dass sich die Lage in den Großsiedlungen grundlegend verbesserte. Weiterhin bestimmten Arbeitslosigkeit und Verarmung den Alltag, unter anderem im Osdorfer Born. Im Jahr 2007 lag der Anteil der Hartz-IV-Empfänger dort bei 31,2 Prozent.95 Diese anhaltende Krise der Großsiedlungen bildete den Hintergrund vor dem der deutschsprachige Gangsta-Rap zu einer der prägenden Subkulturen der 2000er aufstieg.96 Die Erfahrung von Ausgrenzung und Benachteiligung und der Anspruch auf Teilhabe und Macht verbanden sich darin mit dem Einfluss US -amerikanischer Vorbilder und den reißerischen Presseberichten über Kriminalität. In zahlreichen Musikvideos inszenierten sich Jugendliche als Gangster. Neben teuren Autos, nackten Frauen, Kapuzenpullovern und Goldketten spielten darin Großsiedlungen eine zentrale Rolle, so auch in einer Spiegel-TV-Reportage, die im Jahr 2008 die Doppel-H-Gang um den Gangsta-Rapper Bacapon portraitierte (Abb. 102)97. Vor den Hochhäusern einer Hamburger Großsiedlung stehend machte Bacopon deutlich: »Wir sind die Stimme der Gosse. Wir sind die Stimme der Straßen, der Unterschicht, der Ausländer und auch der Deutschen, die hier in der Umgebung leben. Wir sind das andere Gesicht von dieser wunderschönen Stadt, das über Jahre vergessen wurde.«98 Mit dem »Leitbild: Metropole Hamburg – Wachsende Stadt«99, das der christdemokratisch geführte Senat im Jahr 2002 veröffentlichte, verschärfte sich der politische Tonfall. Um in Zeiten der Globalisierung zu bestehen, so das vielfach wiederholte Argument, müsse die Stadt ihre Anstrengungen verstärken. Dies gelte auch für die Bevölkerungsentwicklung: »Ein zentrales Ziel der wachsenden Stadt ist die Erhöhung der Einwohnerzahl Hamburgs. Nur mit einem hohen Anteil von Familien, Kindern, (jungen) kreativen Menschen, qualifizierten Fachkräften und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern kann die Stadt die Dynamik, das Flair und den Einfluss einer internationalen Metropole entwickeln.«100 Immer deutlicher zeige sich die große wirtschaftliche Bedeutung, welche die Zusammensetzung der Einwohner habe: »Die Akkumulation von
95 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Hamburger Stadtteil-Profile 2007, Hamburg 2007, S. 241. 96 Zum deutschen Gangsta-Rap siehe: Martin Seeliger, Deutscher Gangstarap. Zwischen Affirmation und Empowerment, Berlin 2013; Marc Dietrich / Martin Seeliger (Hrsg.), Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem PopPhänomen, Bielefeld 2012. 97 Alexandra Ringling, Doppel H für Hamburg. Eine Gang will nach oben, in: Spiegel-TVReportage, 18.2.2008, TC: 1:57. 98 Ebd., TC: 1:50–2:10. 99 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt. Zum »Leitbild Wachsende Stadt« siehe: Altrock / Schubert (Hrsg.), Wachsende Stadt; Volkmann (Hrsg.), Erfolgsmodell. 100 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 17.
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Humankapital wird zunehmend zu einem treibenden Faktor des wirtschaftlichen Wachstums.«101 In den letzten Jahrzehnten habe, so konstatierte das Leitbild, hier vieles im Argen gelegen. Der »Suburbanisierungsprozess« habe dazu geführt, dass die Zahl der Einwohner von 1970 bis 1986 um 220.000 zurückgegangen sei.102 Zwar sei die Stadt danach erneut gewachsen, vor allem jedoch durch die »Grenzöffnung nach Osten« und »kriegsbedingte Flüchtlingsströme«.103 Von den 140.000 Einwohnern, die Hamburg bis 1996 hinzugewonnen habe, seien 70 Prozent Ausländer.104 Erst ab 1999 zeichne sich eine neue Entwicklung ab. Unter den 25.000 Einwohnern, die Hamburg seitdem an sich gebunden habe, seien viele junge Menschen aus anderen Bundesländern, die eine Ausbildung begönnen oder einen Arbeitsplatz anträten.105 Zugleich würden weniger Familien ins Umland abwandern. Um diese Ansätze zu befördern, müssten, so hob das Leitbild hervor, geeignete politische Maßnahmen ergriffen werden. Wenn im Stadtgebiet genügend Einfamilienhäuser, Reihenhäuser und Eigentumswohnungen zur Verfügung stünden, dann könnten junge Familien zum Bleiben bewegt werden. Zudem beeinflusse die »Vereinbarkeit von Familie und Beruf«106 immer häufiger die Entscheidung über den Wohnort. Deswegen wachse die Bedeutung von »Kindertagesbetreuung«, »Ganztagsschulen« und einer »familienfreundliche Gestaltung der Arbeitswelt«.107 Auch bei Studenten, Fachkräften und Managern müsse sich die Stadt von ihrer attraktiven Seite zeigen. Zu den »weichen Standortfaktoren«, die in der »Konkurrenz um kreative Menschen« entscheidend seien, gehöre nicht zuletzt ein »ansprechendes Wohnumfeld«.108 Demgegenüber sei die weiterhin große Zahl an Arbeitslosen ein »negativer Standortfaktor«109. Diese gelte es in Zukunft deutlich zu verringern. Zum einen sei es notwendig, dass ein »subventionierter Niedriglohnsektor« geschaffen werde.110 Zum anderen müsse die Quote von Sozialhilfeempfängern unter den neuen Einwohnern möglichst gering gehalten werden. Daran, dass dies gelingen werde, ließ das »Leitbild Wachsende Stadt« keinen Zweifel. Angesichts der »zielgruppenorientierten Strategie« sei von einem »unterdurchschnittlichen Anteil dieser Personengruppen an den Zuziehenden« auszugehen.111
101 Ebd., S. 20. 102 Ebd., S. 5. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd., S. 56. 107 Ebd. 108 Ebd., S. 10. 109 Ebd., S. 51. 110 Ebd. 111 Ebd., S. 12.
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In die übergeordnete Ausrichtung, die das »Leitbild Wachsende Stadt« vorgab, fügte sich auch der Wohnungsbau in der Hafencity ein. In besonderem Maße galt dies für den Marco Polo Tower, der in unmittelbarer Nähe der neuen Unternehmenszentrale des Unilever-Konzerns entstehen sollte.112 Entsprechend den Auflagen des Masterplans hatten Behnisch Architekten im Jahr 2006 neben dem langgestreckten Bürogebäude auch einen siebzehnstöckigen »Wohnturm«113 entworfen. Bis zum Jahr 2010 schloss die Projektgesellschaft Marco Polo Tower die Bauarbeiten ab. Insgesamt errichtete sie 58 Wohnungen, die bis zu 340 Quadratmeter groß waren.114 Eine Fotografie, die Behnisch Architekten in einer ihrer Broschüren veröffentlichte, zeigte das soeben fertiggestellte Hochhaus (Abb. 103)115. Gerade der Wechsel von rechteckigen und geschwungenen Formen gab ihm seine charakteristische Gestalt. Darauf wiesen die Stuttgarter Architekten ausdrücklich hin: »Der spannungsreiche Kontrast zwischen dem geometrisch geordneten Wohnraum und den freien und weichen Linien der umlaufenden Brüstungsbänder bieten auch aus dem Innenraum heraus ein besonderes Raumerlebnis. Die großzügigen, frei geschwungenen Terrassenräume schaffen in den Obergeschossen die Qualitäten einer Erdgeschosswohnung mit viel Freibereich. Sie erweitern den Wohnraum und werden von brüstungshohen, geschlossenen Bändern im Wechsel mit transparenten Glasbrüstungen gefasst, die die spielerische Form des Turmes zusätzlich stärken.«116 Zugleich legten sie offen, auf welches Vorbild sie zurückgegriffen hatten: »Die Wohnform der Villa mit Garten wird interpretiert: klassisch rechtwinklige Wohneinheiten werden von umlaufenden Freiflächen in Form von Balkonen und Terrassen umspielt.«117 Schon eine frühe Konzeptskizze, in der sie zahlreiche Villen zu einem Turm übereinandergestapelt hatten, enthielt den Kern des späteren Entwurfs (Abb. 104)118. Mit dieser Idee gaben Behnisch Architekten einem der zentralen Ziele der Hafencity eine architektonische Form. Reiche und Wohlhabende, die seit dem 19. Jahrhundert in die Vororte gezogen waren, sollten in das Zentrum der Stadt zurückkehren. Dementsprechend hoch waren die Preise für die neuen Eigentumswohnungen. Sie lagen zwischen 8.000 und 12.000 Euro pro Quadrat-
112 Zur Unilever-Unternehmenszentrale in der Hafencity siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 269–272. 113 Behnisch Architekten, Marco Polo Tower, S. 12. Zum Marco Polo Tower siehe: Gert Kähler / Gerwin Zohlen, Schlingernder Stapel. Marco Polo Tower in Hamburg, in: Baumeister 107 (2010) H. 11, S. 38–47; Christian Marquardt, Wohnen ist rund. Der Marco Polo Tower in der Hafencity, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2010, Hamburg 2010, S. 26–31. 114 Behnisch Architekten, Marco Polo Tower, S. 12 und S. 20. 115 Ebd., S. 9. 116 Ebd., S. 20. 117 Ebd. 118 Ebd., S. 37.
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meter, im Rohbau.119 Erst nach dem Kauf sollten die Luxusappartements, gemäß den Wünschen der Käufer, von ausgewählten Designern ausgebaut werden. Als der Marco Polo Tower im Jahr 2010 fertiggestellt wurde, lebten 930 Menschen in der Hafencity.120 Dies sollte, so sah es der Masterplan vor, erst der Anfang sein. Insgesamt strebte er 6.000 Wohnungen für 12.000 Menschen an.121 Um deren Bau auf die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner abstimmen zu können, beauftragte die Hafencity GmbH ihren »Haussoziologen«122 Marcus Menzl damit, die Lebensgewohnheiten in dem neuen Stadtteil zu erforschen. Gemeinsam mit der Soziologie-Professorin Ingrid Breckner veröffentlichte Marcus Menzl im Jahr 2011 die Studie »Wohnen in der Hafencity«. In seinem Vorwort, das er für das Buch verfasste, unterstrich der Geschäftsführer der Hafencity GmbH, Jürgen Bruns-Berentelg, dass das Ziel des Stadtteils darin bestehe, »mit den Mitteln des frei finanzierten Wohnungsbaus dennoch eine differenzierte soziale Bewohnerstruktur zu ermöglichen«123. Neben »Vorhaben im Luxuspreissegment«124 seien deswegen auch Bauflächen an Genossenschaften und Baugemeinschaften vergeben worden. Auch Marcus Menzel und Ingrid Breckner betonten in ihrer Analyse, die auf 79 qualitativen Interviews beruhte, die Vielschichtigkeit des neuen Stadtteils, unter anderem bei den Motiven für den Umzug.125 Neben »Wertstabilität der Eigentumsbildung« und »Distinktion«, seien auch »Urbanität«, »Zentralität« und »Vereinbarkeit von Wohnen – Arbeiten – Familie« wichtige Gründe.126 Zudem arbeiteten die beiden Soziologen die verschiedenen Milieus des neuen Stadtteils heraus. Prägend sei das Milieu der »Etablierten«127. Insgesamt gehörten ihm 43 Prozent der interviewten Bewohner an.128 Diese »gebildete, gut situierte Elite der Gesellschaft« habe »hohe Exklusivitätsansprüche«.129 Ihre Haltung zeige sich auch in dem Umgang mit Kritik: »Das Selbstbewusstsein dieses Milieus wird in den Interviews deutlich, wenn die Etablierten auf mediale Stigmatisierungen der Hafencity (›Reichengetto‹) angesprochen werden. Sie reagieren gelassen und geraten nicht in einen Rechtfertigungszwang«.130 Ein weiteres wichtiges Milieu, so fuhren die Forscher fort, sei jenes der »Bürgerlichen 119 Kaye Geipel, Der Behnisch-Tower, in: Bauwelt 102 (2011) H. 19, S. 30–37, hier S. 31. 120 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Hamburger Stadtteil-Profile 2010, Hamburg 2010, S. 24. Zur Hafencity siehe: Meyhöfer, Hafencity Hamburg Waterfront; Weinhold, Port Culture; Schubert (Hrsg.), Hafen- und Uferzonen im Wandel. 121 Bruns-Berentelg, Hafencity Hamburg. Das erste Jahrzehnt, S. 211. 122 Marcus Menzl u. a., Wohnen in der Hafencity. Zuzug, Alltag, Nachbarschaft, Hamburg 2011, S. 7. 123 Ebd. 124 Ebd. 125 Ebd., S. 81. 126 Ebd., S. 92. 127 Ebd., S. 83 f. 128 Ebd. 129 Ebd. 130 Ebd.
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Mitte«, dem etwa 30 Prozent der Befragten zugeordnet werden könnten.131 Diese seien Teil des »›statusorientierten Mainstreams‹«132 der deutschen Gesellschaft und strebten nach sicheren und geordneten Verhältnissen. Im Unterschied zu dem Milieu der Etablierten gehörten sie jedoch nicht der Oberschicht, sondern der Mittelschicht an. Mit »ihren ›normalen‹ Berufen und Einkommen«133 stelle der Umzug in die Hafencity für sie eine deutliche soziale Verbesserung dar. Schließlich ließen sich neben den beiden bestimmenden Milieus auch die der »Postmateriellen« und der »Aufsteiger« ausmachen.134 In ihrer Studie orientierten sich Marcus Menzl und Ingrid Breckner ausdrücklich an den »Sinus-Milieus für Deutschland 2010«135. Doch die Milieus der Hafencity wichen klar davon ab. Die »differenzierte soziale Bewohnerstruktur«136, von der Jürgen Bruns-Berentelg in seinem Vorwort gesprochen hatte, reichte nur von der oberen Mittelschicht bis hin zur Oberschicht. Die Milieus der unteren Mittelschicht und der Unterschicht fehlten vollständig. Dies verdeutlichen auch die amtlichen Statistiken. Unter den knapp tausend Bewohnern, die im Jahr 2010 in der Hafencity lebten, lag der Anteil der HartzIV-Empfänger bei 0,3 Prozent.137 Noch niedriger war mit 0,0 Prozent nur der Anteil der Sozialwohnungen.138 Auch für das »Räumliche Leitbild«139, das die Baubehörde im Jahr 2007 veröffentlichte, spielte der Wohnungsbau eine große Rolle. In seinem Vorwort betonte der Bausenator Axel Gedaschko: »Die deutlich gestiegene Attraktivität Hamburgs führt zu einem Einwohnerzuwachs – gleichzeitig wachsen die Ansprüche der Bürger an ihre Wohnsituation. Der Wohnungsbau steht daher im Räumlichen Leitbild besonders im Fokus.«140 Vor allem im Zentrum der Stadt sollten neue Wohnungen entstehen. Neben der Zielbotschaft »Mehr Stadt in der Stadt«141 zeigte sich dies auch im »Leitplan« (Abb. 93)142. Eine riesige lila Fläche kennzeichnete den »Sprung über die Elbe«. Hier, inmitten des ehemaligen Hafengebiets, ballten sich die wichtigsten städtebaulichen Großprojekte des Senats zusammen, von der Hafencity über die Internationale Bauausstellung in 131 Ebd., S. 84. 132 Ebd. 133 Ebd. 134 Ebd., S. 84 f. 135 Ebd., S. 81. Zu den Sinus-Milieus für Deutschland siehe: Sinus-Institut, Die aktualisierten Sinus-Milieus 2011. Basis-Infopaket. Beschreibungen, Daten, Illustrationen, Heidelberg 2011. 136 Marcus Menzl u. a., Wohnen in der Hafencity, S. 7. 137 Statistisches Amt, Hamburger Stadtteil-Profile 2010, S. 24. 138 Ebd., S. 25. 139 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Räumliches Leitbild. 140 Ebd., S. 3. 141 Ebd., S. 36. 142 Ebd., S. 1.
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Wilhelmsburg bis hin zum Channel Hamburg. Für all diese Vorhaben war die »Nutzungsmischung aus Wohnen, Arbeiten, Bildung, Freizeit, Kultur und Handel«143 und damit immer auch der Wohnungsbau von großer Bedeutung. Zudem wiesen im Leitplan rote Punkte auf gelbem Grund mehre »Urbanisierungszonen« aus. Im Übergang von der inneren in die äußere Stadt sollten ehemalige Fabrikgebäude, Kasernen und Eisenbahnflächen in Wohngebiete umgewandelt werden. Demgegenüber spielte die äußere Stadt, in der in den 1960ern und 1970ern zahlreiche Großsiedlungen errichtet worden waren, kaum noch eine Rolle. Am Rande des Leitplans mehrten sich die weißen Flächen. Zukünftig, so stellte die Baubehörde klar, gehe es um die »Abkehr von der Entwicklung der Ränder und die Konzentration auf die Mitte«144. Grundlage der Wohnungsbaupolitik, die das »Räumliche Leitbild« umriss, war eine Bevölkerungsprognose des Senats. Da Hamburg bis zum Jahr 2020 um 80.000 Einwohner wachsen werde, sei es erforderlich, in diesen Zeitraum 75.000 bis 90.000 neue Wohnungen zu bauen.145 Gegenwärtig ließen sich verschiedene Gruppen von Wohnungssuchenden ausmachen: »Als Hauptnachfrager, die derzeit nicht auf dem Hamburger Wohnungsmarkt befriedigt werden können und für die bevorzugt Angebote geschaffen werden sollen, werden eigentumsbildende Haushalte der 50+-Generation und der Familiengründergeneration identifiziert.«146 Durch eine »offensive Angebotspolitik«, die »Ausweisung von marktgerechten Wohnbauflächen« und die Zusammenarbeit mit »privaten Partnern« könne dieses Ziel erreicht werden.147 Vor allem die »innerstädtischen Eigentumsformen Hafencity Sandtorkai / Dalmannkai« seien ein »gutes Beispiel«.148 Neben diesen Hauptnachfragern gebe es auch »weitere Bedarfe nach Mietwohnungen im günstigen und mittleren Preissegment«149. Den Bau von Wohnungen im mittleren Preissegment werde man fördern. Für »Nachfrager mit geringer Mietzahlungsfähigkeit« setze man auf »Sickerprozesse«.150 Im Laufe der 2000er, dies verdeutlicht nicht zuletzt das »Räumliche Leitbild«, hatte der soziale Wohnungsbau seine einstige Bedeutung fast vollständig eingebüßt. Da gleichzeitig die Sozialbindung von zehntausenden Wohnungen auslief, die gegen Ende des Booms errichtet worden waren, führte dies zu erheblichen Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt. Immer weiter schrumpfte das Angebot von günstigen Unterkünften in sich zusammen. Noch im Jahr 1980 hatte in Hamburg der Anteil der Sozialwohnungen am gesamten Wohnungsbestand
143 Ebd., S. 54. 144 Ebd., S. 38. 145 Ebd., S. 25. 146 Ebd., S. 95. 147 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Räumliches Leitbild, S. 36 und S. 50. 148 Ebd., S. 86. 149 Ebd., S. 96. 150 Ebd.
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bei 45 Prozent gelegen.151 Bis zum Jahr 2010 brach er auf 11,1 Prozent ein.152 Auch die Zahl der Sozialwohnungen, die sich im Besitz der beiden stadteigenen Wohnungsunternehmen SAGA und GWG befanden, nahm deutlich ab. Von 107.000 im Jahr 1990 sank sie auf 60.000 im Jahr 2006.153 Statt sozialer Ziele rückte die Gewinnorientierung an die erste Stelle, vor allem im Zuge des Zusammenschlusses der beiden Wohnungsunternehmen, den der Senat im Jahr 1999 einleitete. Zwar hob die SAGA GWG weiterhin hervor, dass »Menschen aus unteren und mittleren Einkommensschichten«154 die wichtigste Zielgruppe seien und dass sie mehrere hundert Millionen jährlich in den Wohnungsbestand investiere. Doch gleichzeitig stellte sie den Neubau von Sozialwohnungen fast vollständig ein, verkaufte tausende Wohnungen und erhöhte kontinuierlich die Mieten. Vor diesem Hintergrund schossen die Gewinne in die Höhe, von 5,5 Millionen Euro im Jahr 1999 auf 106,5 Millionen Euro im Jahr 2008.155 Als die SAGA GWG in einer Jubiläumsbroschüre auf die ersten zehn Jahre ihres Bestehens zurückblickte, lautete der Titel »Wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Ausgleich«156. Ebenso wie das Management war auch der Senat in erster Linie am wirtschaftlichen Erfolg des Wohnungsunternehmens interessiert. Dessen Erträge sollten dazu beitragen, den städtischen Haushalt zu finanzieren. Obwohl sich die SAGA und die GWG im vollständigen Besitz der Stadt befanden, entschied der Senat im Jahr 2005, die Anteile der GWG an die SAGA zu verkaufen. Der Kaufpreis lag bei 500 Millionen Euro.157 Die jährlichen Raten in Höhe von 100 Millionen Euro, welche die SAGA ab 2007 zahlte, flossen in das »Sonderinvestitionsprogramm Wachsende Stadt«.158 Der Senat rechtfertigte dies als »Umschichtung von altem (in neues) Vermögen«159. Dabei werde der »Konzern Hamburg«160 als Einheit gesehen. 151 Senat Hamburg, Stadtentwicklungskonzept, S. 56. 152 Statistisches Amt, Hamburger Stadtteil-Profile 2010, S. 23. 153 Große Anfrage und Antwort des Senats, Betr.: Wohnungsbestand von SAGA GWG in Hamburg. Wegfall der Sozialbindung, Modernisierungen und Mieterhöhungen, Drucksache 19/2915, Hamburg 2009, S. 2; SAGA GWG , Wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Ausgleich. SAGA GWG Konzern 10 Jahre 1999–2009, Hamburg 2009, S. 48 f. 154 SAGA GWG , Wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Ausgleich, S. 35. 155 Ebd., S. 48 f. 156 Ebd. 157 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Verbundmaßnahmen zwischen hamburgischen öffentlichen Unternehmen. Erwerb der Anteile an der GWG Gesellschaft für Wohnen und Bauen mbH (GWG) durch die SAGA Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona (SAGA), Drucksache 18/3862, Hamburg 2006, S. 1 f. 158 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Verbundmaßnahmen zwischen hambur gischen öffentlichen Unternehmen, S. 1; Große Anfrage und Antwort des Senats, Betr.: Wohnungsbestand von SAGA GWG in Hamburg, S. 5. 159 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Verbundmaßnahmen zwischen hamburgischen öffentlichen Unternehmen, S. 1. 160 Ebd.
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Das »Sonderinvestitionsprogramm Wachsende Stadt« hatte der Senat bereits im Jahr 2004 aufgelegt. In den Jahren 2005 bis 2010 sollten im Rahmen dieses Programms eine Milliarde Euro in »Infrastrukturvorhaben und Projekte mit Leuchtturmcharakter« investiert werden.161 Insgesamt drei Schwerpunkte legte der Senat fest: »Sicherung und Ausbau des Wirtschaftsstandorts Hamburg«, »Stärkung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Hamburg« und »Steigerung der Attraktivität Hamburgs«.162 Allein für die »Steigerung der Attraktivität Hamburgs« sollten 365 Millionen Euro investiert werden, vor allem in den »Sprung über die Elbe«.163 Zu Beginn der 2000er entdeckten angelsächsische Private-Equity-Gesellschaften die neuen Anlagemöglichkeiten, die Deutschland ihnen bot.164 Ausgestattet mit Milliardenbeträgen aus Pensionsfonds und mit hohen Krediten übernahmen sie innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Unternehmen. Angesichts dessen konstatierte der Spiegel: »Die deutsche Wirtschaft wird radikal umgebaut – von ausländischen Investmentgesellschaften. Sie kaufen, was sie kriegen können: Industriebetriebe, Immobilienbestände, sogar faule Kredite, und sie hoffen auf riesige Profite.«165 Insbesondere die Wohnungsbestände galten den Finanzinvestoren als unterbewertet. Da Politiker aus Bund, Ländern und Kommunen in der Privatisierung von Wohnungsunternehmen die Möglichkeit sahen, Haushaltslöcher zu stopfen, stießen ihre Kaufangebote auf große Offenheit. Schnell wurde man sich einig. Bis Ende 2006 erwarben Privat-Equity-Gesellschaften in Deutschland 550.000 Wohnungen.166 Ein Großteil davon stammte aus öffentlichen Beständen. Allein das US -amerikanische Unternehmen Fortress übernahm 160.000 Wohnungen, unter anderen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Stadt Dresden und der Wohnungsgesellschaft Norden.167 Seinen deutschen Wohnungsbestand verwaltete Fortress über die luxemburgische Aktiengesellschaft GAGFAH. Den Namen GAGFAH, Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten, hatte Fortress von dem ehemaligen Wohnungsunter161 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Das Sonderinvestitionsprogramm »Hamburg 2010« (SIP), Drucksache 18/1146, Hamburg 2004, S. 1. 162 Ebd. 163 Ebd. 164 Zu Finanzinvestoren in Deutschland siehe: Jörg Huffschmid (Hrsg.), Finanzinvestoren: Retter oder Raubritter? Neue Herausforderungen durch die internationalen Kapitalmärkte, Hamburg 2007; Christian Böttger, Strukturen und Strategien von Finanzinvestoren, Düsseldorf 2006. 165 Beat Balzli / Christoph Pauly, Das Land der Schnäppchen, in: Der Spiegel, 20.12.2004, S. 68–70, hier S. 68. 166 Beat Balzli u. a., Der große Schlussverkauf, in: Der Spiegel, 18.12.2006, S. 64–79, hier S. 78 f. 167 Ebd. Zu Fortress siehe: Stefan Kofner, Strategien und Rahmenbedingungen kapitalmarktorientierter Wohnungsunternehmen am Beispiel der Gagfah, in: Institut für Wirtschaftsforschung Halle (Hrsg.), Zur Zukunft der kommunalen Wohnungspolitik in Deutschland und Europa, Halle (Saale) 2012, S. 77–101.
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nehmen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übernommen. Doch während der Name geblieben war, hatte sich das Geschäftsmodell grundlegend verändert. Von Anfang an ging es Fortress darum, möglichst schnell möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften, durch den Verkauf von Wohnungen, fortwährende Mieterhöhungen und durch die Senkung der Instandhaltungskosten. Während die GAGFAH Gewinne in Höhe von bis zu 180 Millionen Euro pro Jahre ausschüttete, senkte sie die Investitionen in den Bestand auf etwa 6 Euro pro Quadratmeter.168 Üblich waren 12 bis 15 Euro.169 Schon bald waren die Folgen unübersehbar, auch in Hamburg. Hier besaß die GAGFAH im Jahr 2011 etwa 9.400 Wohnungen.170 Neben der Großsiedlung Steilshoop gehörte Wilhelmsburg zu den Schwerpunkten. In einer dort gelegenen Großsiedlung und einem angrenzenden Gründerzeitviertel befanden sich 1.300 Wohnungen im Eigentum der GAGFAH.171 Nur wenige Jahre nach dem Einstieg des Investors prägten bröckelnde Fassaden, verdreckte Treppenhäuser, nicht funktionierende Aufzüge, undichte Fenster und verschimmelte Wände den Alltag. Laut einer Umfrage der AG Wohnungen waren 61 Prozent aller Wohnungen verschimmelt.172 Da ihre Beschwerden folgenlos geblieben waren, sahen sich die Mieter zu öffentlichen Protesten gezwungen. Auf einer Fotografie, die im Jahr 2011 entstand, waren sie vor den Hochhäusern der GAGFAH zu sehen (Abb. 105)173. Auf Sprechblasen machten sie ihre Forderungen deutlich: »Verwahrlosung stoppen«, »Wir vermissen die WG Norden« und »GAGFAH zurückkaufen«. Kurze Zeit später brachen die Mieter mit einem Bus zur Hamburger Zentrale der GAGFAH auf. Während der Busfahrt erzählte eine mit einem Kopftuch bekleidete Frau: »Aber die machen gar nichts. Die Wohnung schimmelt. Putz fällt von der Decke. Manchmal brennt das Licht nicht. Manchmal haben wir kein warmes Wasser. Und die Wohnung kostet mit Wasser, Strom 916 Euro Miete. Notfalls muss ich Hamburg verlassen.«174
168 Nils Klawitter / Andreas Wassermann, Einstürzende Altbauten, in: Der Spiegel, 23.5.2011, S. 68–70, hier S. 69. 169 Volker ter Haseborg / Lars Martin Nagel, Mieter-Aufstand gegen Wohnungskonzern, in: Hamburger Abendblatt, 19.4.2011, S. 1. 170 Volker ter Haseborg / Lars Martin Nagel, Die Akte Gagfah, in: Hamburger Abendblatt, 19.4.2011, S. 12–13. Zur GAGFAH in Hamburg siehe: Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg, Unternehmen Wilhelmsburg. Stadtentwicklung im Zeichen von IBA und IGS , Berlin 2013, S. 96–104. 171 Ebd. 172 AG Wohnen Wilhelmsburg, Immer Ärger mit der Gagfah. Eine Dokumentation über die Zustände im Bahnhofs- und Korallusviertel in Wilhelmsburg, Hamburg 2012, S. 6. 173 Christoph Twickel, Krisenviertel Hamburg-Wilhelmsburg: Einstürzende Neubauträume, in: Spiegel Online, 25.3.2011, URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/krisen viertel-hamburg-wilhelmsburg-einstuerzende-neubautraeume-a-753127.html (27.5.2016). 174 Protestfahrt gegen die Praxis des Wohnungskonzerns Gagfah in Hamburg, R: Left vision Clips, Deutschland 2011, URL: http://www.youtube.com/watch?v=a3WpkB2A6pA& feature=youtu.be (18.6.2016), TC: 1:39–1:57.
4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus
Im Jahr 1993 schloss das Architekturbüro me di um Architekten den Umbau der Zeise-Hallen ab.1 In dem ehemaligen Fabrikgebäude, das inmitten des Gründerzeitviertels Ottensen gelegen war, fanden neben Büroräumen und Restaurants nun auch ein Kindergarten, ein Universitätsinstitut, eine Ladenpassage und ein Kino Platz. Erneut waren etwa 300 Menschen beschäftigt.2 Die »Spezialfabrik für Schiffsschrauben«3 hatte sich in eine »Medien-Fabrik« verwandelt.4 Für das Beratungsunternehmen Trendbüro, das Matthias Horx und Peter Wippermann im Jahr 1992 in Hamburg gegründet hatten, machte dies die Zeise-Hallen zu einem attraktiven Veranstaltungsort.5 Im Jahr 1995 richtete es hier den Zweiten Deutschen Trendtag aus. Mehr als 200 Manager nahmen teil.6 Nach Zahlung einer Tagesgebühr von 640 DM ließen sie sich über die »Trends« der Zukunft informieren, unter anderem auch von Matthias Horx und Peter Wippermann selbst.7 In einer unübersichtlicher und komplexer werdenden Welt, so ihr zentrales Argument, wachse bei Managern der Bedarf an Orientierung. So hätten bei einer Umfrage des Forbes Magazine, die Anfang 1995 stattgefunden habe, weniger als 15 Prozent der deutschen Führungskräfte gewusst, was das Internet sei.8 Wenn ein Unternehmen auch in Zukunft Erfolg haben wolle, dann müssten die Manager über genaue Kenntnisse dieser Veränderungen verfügen. An diesem Punkt setzte die Trendforschung an. Sie befrage Experten, werte Zeitschriften und Fernsehprogramme aus, beobachte die elektronischen Medien und besuche Clubs und Läden. Ausgehend davon versuche sie, die maßgeblichen gesellschaftlichen Umbrüche zu bestimmen: »Trends sind die Grammatik des 1 Inge Maisch, Medienzentrum Zeisehallen. Stadt in der Stadt, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 1993, Hamburg 1993, S. 24–29. Zur Geschichte der Zeise-Fabrik seit den 1960ern siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums, S. 94–96 sowie Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 202 f. und S. 212–214. 2 Viel Platz für viel Kultur, in: Hamburger Abendblatt, 28.2.1996, S. 15. 3 Theodor Zeise GmbH & Co., 100 Jahre Theodor Zeise Hamburg-Altona. Spezialfabrik für Schiffsschrauben, Darmstadt 1968. 4 Anna Brenken u. a. (Hrsg.), Medien-Fabrik Zeisehallen, Hamburg 1993. 5 Chaos und Karate, in: Der Spiegel, 20.3.1995, S. 127. Zur Trendforschung siehe: Holger Rust, Zukunftsillusionen. Kritik der Trendforschung, Wiesbaden 2008; Holger Rust, Trendforschung. Das Geschäft mit der Zukunft, Düsseldorf 1996. 6 Chaos und Karate, in: Der Spiegel, S. 127. 7 Ebd. 8 Matthias Horx, Trendbuch 2. Megatrends für die späten neunziger Jahre, Düsseldorf 19962, S. 182
New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus
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Neuen, das in unsere Gewohnheiten einbricht und sie verändert. Und immer liegen ihnen solide soziographische Wandlungen zugrunde, vermischt mit und verschärft durch technologische Innovationen.«9 Neben der »Explosion der Netze« machte das Trendbüro »New Work« als weiteren »Megatrend« der 1990er aus.10 Immer deutlicher würden sich die Konturen einer neuen Arbeitswelt abzeichnen. Zu den wichtigsten Wegbereitern gehöre dabei die kalifornische Werbeagentur Chiat / Day. An die Stelle fester Arbeitsplätze sei dort die »Virtualisierte Arbeit«11 getreten. Ausgestattet mit Laptops, Mobiltelefonen und Rollschränken würden sich die Beschäftigten jeden Morgen ihren Arbeitsplatz neu aussuchen. Je nach Problem entstünden neue Teams. Zudem bestehe ein Großteil der Arbeit aus Kommunikation. Lange Zeit hätten die Arbeitsbedingungen der Werbebranche eine Ausnahme dargestellt. Doch in dem Maße, in dem die »Ideenwirtschaft«12 die »Massenproduktion«13 ablöse, ändere sich dies grundlegend: »Heute, in der Mitte der Neunziger, wachen wir plötzlich inmitten einer Weltökonomie auf. Keine Firma, keine Fabrik, kein Konzern, kein Hersteller, der im System der weltweiten Konkurrenz nicht zu permanenten Rationalisierungen gezwungen wäre. Für diesen dynamischen Prozeß reichen die Ressourcen der klassischen ›Führung‹ längst nicht mehr aus. Es gilt, die Kreativität der Mitarbeiter zu nutzen. Und das geht nicht ohne neue, basisnähere Verantwortungsstrukturen, ohne Schleifen des Mittelbaus, ohne Vertikalisierung.«14 Die Manager stünden nun vor der Aufgabe, die neuen Anforderungen in allen Unternehmensbereichen durchzusetzen: »Moderne Firmen zwingen die Mitarbeiter von oben zu Flexibilität, Selbstverantwortung und Emanzipation. Hier liegt der Kern von New Work: Die Systeme der Informationsgesellschaft haben das genau entgegengesetzte Interesse der alten Hierarchien, die ein möglichst reibungsloses Funktionieren von den Mitarbeitern erwarten. Die moderne Wirtschaft verlangt den vertikalen Mitarbeiter. Man könnte auch formulieren: New Work bedeutet im weitesten Sinne Neue Selbstständigkeit. Für jeden. Immer.«15 Als Matthias Horx diese Überlegungen formulierte, konnte er auf die Erfahrungen zurückgreifen, die er in den vorangegangenen Jahrzehnten gemacht hatte. In den späten 1970ern war er Teil des Redaktionskollektivs des linksradikalen Frankfurter Stadtmagazins Pflasterstrand gewesen.16 Schon in den damaligen Debatten hatten Autonomie, Selbstverantwortung und Emanzipation einen wesentlichen Bezugspunkt dargestellt. Sie hatten als utopischer Gegen9 10 11 12 13 14 15 16
Matthias Horx, Trendbuch 1, Düsseldorf 19942, S. 12. Horx, Trendbuch 2, S. 5. Ebd., S. 160. Ebd., S. 163. Ebd., S. 164. Ebd., S. 162. Ebd., S. 164. Michael Sontheimer, Zu gut um reich zu sein, in: Die Zeit, 30.12.1983, S. 38. Zum Lebensweg von Matthias Horx siehe: Neumann, Kleine geile Firmen, S. 61–72.
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entwurf zu den starren Hierarchien der »Fabrikgesellschaft«17 gegolten. Dieser Gegensatz verlor im Laufe der 1980er allmählich an Schärfe, gerade auch in der Alternativbewegung. In einem Beitrag zu einem Jubiläumsheft, das anlässlich des fünfjährigen Bestehens des alternativen Fördervereins Netzwerk Selbsthilfe erschien, machte Matthias Horx deutlich: »Es ist nicht so sehr der böse Kapitalismus, der unaufhörlich am Mythos Alternativbewegung nagt, es sind die Verheißungen und Erfolge der Bewegung selbst, die sich gegen die ursprünglichen Prämissen wenden. Gerade weil man in den Projekten ein selbstbestimmtes Arbeitsethos entwickeln konnte, gerade weil über weite Strecken die Lust an der eigenen Tätigkeit realisiert werden konnte, empfindet man über kurz oder lang das Kollektiv mehr als Kontrollinstanz denn als Heimat.«18 Demgegenüber entwarf Horx die Vision eines Alternativprojekts, in dem der Wunsch nach Autonomie mit neu eingeführten Hierarchien verbunden werde: »Zugegeben: Ein Kollektiv im alten Sinne wäre mein Wunschprojekt nicht mehr. Aber das Etikett wäre mir nicht so wichtig, wenn es mich nur nicht so auslaugen würde, wie die meisten Projekte das bislang tun. Meinetwegen könnte man es auch ›Team‹ nennen oder ›Gruppe mittelständischer Unternehmen mit gruppenbezogenem Management zu gesellschaftlich sinnvoller Produktion‹ oder einfach ›Firma, die Spaß macht‹. Wenn alle Firmen so wären, ja wo lebten wir denn da?«19 Im Jahr 2000 erreichte der Boom der New Economy seinen Höhepunkt. In einem Artikel, der unter der Überschrift »Das Mekka für E-Business« erschien, schrieb das Hamburger Abendblatt: »Keine Branche expandiert so rasant wie die Neuen Medien. Die Zahl der Internet- und Multimedia-Unternehmen in Hamburg ist inzwischen auf mehr als 1.000 angewachsen. Und sie verzahnen sich zunehmend mit der traditionellen Wirtschaft.«20 Zu diesem Zeitpunkt waren fast 20.000 Menschen in der digitalen Wirtschaft beschäftigt.21 Neben Zweigstellen US -amerikanischer Konzerne wie AOL waren darunter auch zahlreiche Neugründungen. Insbesondere im Schanzenviertel, einem Stadtteil, der an St. Pauli angrenzte, hatten sich viele Internet-Unternehmen angesiedelt, unter ihnen die Kabel New Media AG, die im Jahr 1993 in ein ehemaliges Fabrikgebäude am
17 Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft war der Titel einer für die frühe Alternativbewegung wichtigen Zeitschrift. Siehe: Neumann, Kleine geile Firmen. 18 Matthias Horx, Das Ende des alternativen Mythos. Einige Ketzereien, in: Netzwerk Rundbrief 6 (1983) H. 23, S. 23–24. 19 Ebd., S. 24. 20 Mark Hübner, Das Mekka für E-Business, in: Hamburger Abendblatt. Extra Journal, 11.12.2000, S. 14. Zu Aufstieg und Fall der New Economy siehe: Stuhr, Mythos New Economy; Castells, Die Internet-Galaxie, S. 75–127; Läpple (Hrsg.), Neue Medien – neue Arbeit?; Nicole Mayer-Ahuja / Harald Wolf (Hrsg.), Arbeit und Organisation in neuen Medien und Kulturindustrie – Modelle für die Zukunft?, Göttingen 2003; Meschnig / Stuhr, www.revolution.de. 21 Hübner, Das Mekka für E-Business, S. 14.
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Schulterblatt gezogen war.22 Deren Vorstandsvorsitzender Peter Kabel betonte gegenüber dem Hamburger Abendblatt: »Hamburg ist interessant, weil es den Bogen zwischen Business und Subkultur spannt und weil es die Heimat von Unternehmen und Professionals aus der Publishing-Industrie, der Werbung und der Multimedia-Szene ist.«23 Bevor Peter Kabel das nach ihm benannten Unternehmen gründete, hatte er Häuser besetzt, Kunst studiert, als selbstständiger Grafiker gearbeitet und zusammen mit Peter Wippermann und Matthias Horx das Trendbüro aufgebaut.24 Danach begann ein rasanter Aufstieg. Im Jahr 2000 befand sich Peter Kabel auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Über den Unternehmenssitz im Schanzenviertel hinaus, in dem allein 300 Mitarbeiter beschäftigt waren, verfügte Kabel New Media über Zweigstellen in München, Wien, Stockholm, London und New York.25 Unter anderem betreute es die Internetauftritte von BMW, Siemens, Karstadt, Dresdner Bank, Henkel und ProSiebenSat.1 Media. Seit 1999 wurde Kabel New Media am Neuen Markt gehandelt. Zeitweise stieg der Kurs der Aktie auf 80 Euro.26 Damit war die Multimedia-Agentur bis zu 1,3 Milliarden Euro wert.27 Angesichts dessen wählten das Manager Magazin und die Unternehmensberatung Ernst & Young Peter Kabel im Jahr 2000 zum »Entrepreneur des Jahres«28, im Alter von nur 37 Jahren. Ebenso jung und ehrgeizig wie der Vorstandsvorsitzende waren auch die Beschäftigten, die am Unternehmenssitz im Schanzenviertel tätig waren. Im Durschnitt waren sie nicht älter als 28 Jahre.29 70 Prozent waren Hochschulabsolventen, 30 Prozent Quereinsteiger.30 Der Frauenanteil lag bei 40 Prozent.31 Nicht der »glatte Lebenslauf«, sondern »Kreativität«, »Experimentierfreude« »Bereitschaft zum Grenzgängertum« und »Teamfähigkeit« galten als entscheidend, vor allem deswegen, weil es für das neue Medium Internet keine Standardlösungen gab.32 Alles musste neu erfunden werden. Auch ansonsten spielten Konventionen kaum eine Rolle. Die Mitarbeiter trugen Jeans und T-Shirt, konnten sich kostenlos massieren lassen und duzten ihren Chef. Die 22 Michael Kuhlmann, Keine Angst vor Kreativität, in: Hamburger Wirtschaft, 19.10.2000, S. 10–12, hier S. 11 f. 23 Hübner, Das Mekka für E-Business, S. 14. 24 Kabel New Media, Geschäftsbericht 1999/2000, Hamburg 2000, S. 10; René Martens / Günter Zint, St. Pauli. Kiez, Kult, Alltag, Hamburg 2000, S. 134 f. 25 Mathias Eberenz, Das neue Leben des Peter Kabel, in: Hamburger Abendblatt, 4.6.2005, S. 19; Kuhlmann, Keine Angst vor Kreativität, S. 11 f. 26 Melanie Wassink, Die Opfer des Internet-Professors, in: Hamburger Abendblatt, 23.9.2000, S. 23. 27 Christoph Pauly, Monsieur Minus, in: Der Spiegel, 14.5.2001, S. 124–126, hier S. 124. 28 Claus G. Schmalholz, Methoden der Macher, in: Manager Magazin, 26.5.2000, S. 58–61, hier S. 58. 29 Kuhlmann, Keine Angst vor Kreativität, S. 11 f. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd.
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lockere Atmosphäre machte die Fabriketage am Schulterblatt zu einem Ort, an dem sie sich gerne aufhielten. Dementsprechend lang waren die Arbeitszeiten. Da sie bis spät abends vor ihren Computern saßen, waren 60 bis 70 Stunden pro Woche keine Seltenheit.33 Einen zusätzlichen Anreiz boten die Aktien, mit denen die Beschäftigten bezahlt wurden. Mit einem »Desk Top Tool«, das auf ihren Computern installiert war, konnten sie sich jederzeit über den immer weiter steigenden Börsenkurs ihres Unternehmens informieren.34 Auch in dem Geschäftsbericht, den Kabel New Media im Jahr 2000 veröffentlichte, fand dieses neue Selbstverständnis seinen Ausdruck. Zum einen warb die Aktiengesellschaft darin um das Vertrauen der Anleger. Kabel New Media sei führend bei der »Betreuung von etablierten Unternehmen im Bereich E-Business.«35 Zum anderen gab sie einen Einblick in die neue Arbeitskultur. So hieß es im Geschäftsbericht: »Das beste Unternehmen ist nur so gut wie die Menschen, die dort arbeiten. Die wiederum können nur dann gut sein, wenn sie genügend Freiraum haben. Für ungewöhnliche Ideen. Für Blicke über den Tellerrand. Oder einfach fürs Seele-Baumeln-Lassen. Wo dieser Freiraum zu finden ist, ist von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich. Hier stellen wir einige Orte vor, die für unsere Mitarbeiter eine ganz besondere Bedeutung haben.«36 Zu den Beschäftigten, die ihre Lieblingsplätze vorstellten, gehörte der 30-jährige Copywriter Oliver (Abb. 106)37. Unter der Fotografie seines ungemachten Bettes war zu lesen: »Wenn ich mal zu Hause bin, steure ich direkt auf mein Bett zu. Und da bleibe ich dann auch. Von meinem Bett aus ist alles in Griffnähe: Telefon, Zeitung, Bücher, Fernbedienung. Im Dämmerzustand vor oder nach dem Tiefschlaf habe ich oft die besten Ideen. Dann springe ich auf und suche hektisch nach Stift und Zettel. Aber ein Computer kommt mir trotzdem nicht ins Bett. Gute Nacht!« Im Jahr 2000 schien es möglich zu sein, ein lässiges Leben zu führen, Spaß beim Arbeiten zu haben und nebenbei Millionär zu werden. Doch der Höhenflug währte nur kurz. Nachdem der Neue Markt gegen Ende des Jahres ins Trudeln geraten war, folgte ein rasanter Absturz, der auch Kabel New Media mit sich riss. In kaum mehr als einem Jahr brach der Kurs der Aktie von 80 Euro auf 15 Cent ein.38 Im Sommer 2001 musste Kabel New Media Insolvenz anmelden. Mit dem Platzen der Blase fand die New Economy ein abruptes Ende. Viele Unternehmen, deren Geschäftsmodelle sich als nicht tragfähig erwiesen hatten, verschwanden. Aber die grundlegenden gesellschaftlichen Umbrüche, die hinter dem schnellen 33 Konstantin von Hammerstein / Hans-Jürgen Jakobs, Küchenfee im WWW, in: Der Spiegel, 30.8.1999, S. 96–98, hier S. 96 f. 34 Matthias Geyer, Revolution unterm Hammer, in: Der Spiegel, 18.2.2002, S. 104–114, hier S. 106. 35 Kabel New Media, Geschäftsbericht 1999/2000, S. 3. 36 Ebd., S. 38. 37 Ebd., S. 45. 38 Mathias Eberenz, Das bittere Ende für Peter Kabel, in: Hamburger Abendblatt, 4.9.2001, S. 19.
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Aufstieg gestanden hatten, wirkten fort. Gerade die Finanzmärkte, das Internet und die neue Arbeitskultur bestimmten das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Darauf verweist auch das »Wörterbuch der New Economy«39, das der Duden-Verlag zu Beginn des Jahres 2001 veröffentlichte. Zusammengestellt hatte die Begriffe das Hamburger Beratungsunternehmen Trendbüro. Manche von ihnen verschwanden mit dem Crash, andere sind in den Sprachgebrauch der 2000er eingegangen, von Bandbreite, Best Practice, Brainstorming, Browser, Businessplan und Burn-out über Ich-AG, Incentive, Image, Inkubator, Innovationsmanagement und Investmentbanking bis hin zu Server, Shareholder Value, simsen, Socializing, Soft Skills, Spam und Start-up.40 In einem Schwerpunktheft, das Anfang 2001 erschien, wandte sich das Stadtmagazin Szene Hamburg dem Schanzenviertel zu. In seinem Editorial schrieb der Chefredakteur Christoph Twickel: »Im Frühling 2001 ist keine Rede mehr von ›Problemstadtteil‹. Das Viertel kippt Milchkaffee, die Schanzianer nennen ihn ›Galao‹, und die portugiesischen Straßencafés, die ihn ausschenken, ziehen die Angestellten der umliegenden Medienfirmen an wie die Motten das Licht. Mit ihren vielen Cafés, Bars, Restaurants und kleinen Läden scheint die Schanze zum Greenwich Village von Hamburg zu werden.«41 Im Innern des Heftes machten eigens gestaltete Postkarten auf die neuen Attraktionen aufmerksam, unter anderem auch das Transmontana (Abb. 107)42. Neben dem Schriftzug »Galao City – Willkommen am Schulterblatt« waren mehrere Fotografien des portugiesischen Cafés zu sehen. Vor dem Transmontana auf dem Bürgersteig zu sitzen, einen Milchkaffe zu trinken und die Sonne zu genießen war um die Jahrtausendwende zum Inbegriff eines neuen Lebensgefühls geworden. Manche sprachen sogar von einem »mediterranen Lifestyle«43. Noch im Jahr 1980 war davon im Schanzenviertel wenig zu spüren.44 Die wenigen Cafés und Kneipen, die es inmitten von grauen Fassaden und Trümmergrundstücken gab, schotteten sich mit geschlossenen Türen und Gardinen in den Fenstern von der Straße ab. Zudem war es unüblich, Stühle und Tische nach draußen zu stellen. Erst gegen Anfang der 1990er begann sich dies zu ändern. Entscheidenden Anteil daran hatte der urbane Lebensstil, der sich mit dem Aufstieg der New Economy durchzusetzen begann. Maßgebend waren nicht länger Familienväter, die zwischen dem Einfamilienhaus am Stadtrand und dem Büro in der City pendelten, sondern junge Singles, die in unmittelbarer Nähe der Internet-Start-ups in Altbauwohnungen lebten. Unter dem Eintrag »Third Place« 39 Peter Wippermann (Hrsg.), Duden. Wörterbuch der New Economy, Mannheim 2001. 40 Ebd. 41 Christoph Twickel, Galao, in: Szene Hamburg, 4.4.2001, S. 3. Zum Schanzenviertel siehe: Martens / Zint, St. Pauli, S. 104–141. 42 Stefanie Conrad u. a., Einkaufen & Ausgehen im Schanzenviertel, in: Szene Hamburg, 4.4.2001, S. 38–42, hier S. 38. 43 Martens / Zint, St. Pauli, S. 106 f. 44 Thomas Henning, Schanze, 1980, Hamburg 2011.
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war im Wörterbuch der New Economy zu lesen: »Früher waren die wichtigsten Orte für die Sozialisation eines Menschen das Zuhause und der Arbeitsplatz. Infolge des Singledaseins und der zunehmenden Mobilität verlagert sich das Zuhause immer mehr in die Öffentlichkeit, sozusagen an dritte Orte. Dies sind in der Regel gastronomische Einrichtungen wie Cafés oder Kneipen, die als ausgelagerte Wohnzimmer funktionieren.«45 Dieser urbane Lebensstil, der schnell an Anziehungskraft gewann, überkreuzte sich mit einem anderen wegweisenden Umbruch. Zunehmend bestimmten türkische Gemüsehändler, italienische Feinkostläden, griechische Restaurants und portugiesische Cafés das Straßenbild der Altbauviertel, so auch auf dem Schulterblatt, wo die Familie Oliveira im Jahr 1990 das Transmontana eröffnet hatte.46 Nicht zufällig entsprach das neue Angebot an Geschäften, Restaurants und Cafés den wichtigsten Anwerbeländern der 1960er und frühen 1970er.47 Für viele ehemalige »Gastarbeiter« war die Selbstständigkeit der einzige Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, von der sie als ungelernte Arbeiter in besonderem Maße betroffen waren. Nachdem die Arbeitslosenquote von Ausländern in Hamburg im Jahr 1987 mit 25,6 Prozent ihren Höchststand erreicht hatte, sank sie bis zum Jahr 2011 auf 15,7 Prozent.48 Gleichzeitig stieg die Zahl der »Betriebe unter Leitung ausländischer Staatsangehöriger« auf 23.500 an, darunter viele kleine Selbstständige.49 Vor diesem Hintergrund entschied sich Kazim Abaci im Jahr 2000 dafür, den Verein Unternehmer ohne Grenzen zu gründen.50 Kazim Abaci, der in der Türkei geboren wurde, war als Kind nach Deutschland gekommen, wo seine Eltern in der Fabrik arbeiteten. Nachdem er hier zur Schule gegangen war, ein Studium der Volkswirtschaftslehre abgeschlossen und als Steuer- und Wirtschaftsprüfer gearbeitet hatte, baute er Unternehmer ohne Grenzen auf. Zentraler Ausgangs45 Wippermann (Hrsg.), Duden. Wörterbuch der New Economy, S. 98. Zum Zusammenhang von neuen Arbeitsformen und der wachsenden Beliebtheit des Schanzenviertels siehe: Anne Vogelpohl, Die Reproduktion urbaner Vielfalt. Ansätze im Hamburger Schanzenviertel, in: Dieter Läpple u. a. (Hrsg.), Zeiten und Räume der Stadt. Theorie und Praxis, Opladen 2010, S. 91–108; Thomas Pohl, Entgrenzte Stadt. Räumliche Fragmentierung und zeitliche Flexibilisierung in der Spätmoderne, Bielefeld 2009. 46 Uly Foerster, Kaffee-Lust – oder wie die Galão-Mania Hamburg erobert, in: Hamburger Abendblatt, 13.8.2001, S. 15. 47 Zum Zusammenhang von Arbeitsmigration und Gastronomie siehe: Maren Möhring, Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland, München 2012; Bodo Freund, Portugiesische Restaurants und Cafés in Hamburg. Beginn eines ethnischen Gewerbes?, in: Teresa Pinheiro (Hrsg.), Portugiesische Migrationen. Geschichte, Repräsentation und Erinnerungskulturen, Wiesbaden 2010, S. 131–150; Hans Gerwin Burgbacher, Migrantenunternehmer. Existenzgründung und -förderung am Beispiel Hamburgs, Münster 2004; Morandi, Italiener in Hamburg, S. 283–285. 48 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 72; Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch Hamburg 2012/2013, S. 99. 49 Olaf Preuß, Dönerbude war gestern, in: Hamburger Abendblatt, 16.12.2011, S. 25. 50 Ebd.
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punkt der Vereinstätigkeit waren die sozialen Folgen der Massenarbeitslosigkeit.51 In einer Broschüre, die den Kongress »migration@work« dokumentierte, hieß es: »Im Unterschied zu allen früheren Phasen der Stadtentwicklung funktioniert der Arbeitsmarkt heute nicht mehr als die ›Integrationsmaschine‹. Früher mussten Zugewanderte zwar oft unter erbärmlichen Bedingungen ihr neues Leben beginnen, hatten aber zumindest Arbeit und konnten somit auf ein besseres Leben hoffen. Inzwischen gehört Massenarbeitslosigkeit seit mehr als 30 Jahren zur gesellschaftlichen Realität. Eine Chance auf Erwerbsarbeit haben heute fast nur noch Menschen mit einer qualifizierten Ausbildung oder diejenigen, denen der Sprung in die Selbstständigkeit glückt.«52 Um möglichst vielen Migranten diesen Sprung zu ermöglichen, unterhielt Unternehmer ohne Grenzen zwei Anlaufstellen, eine in St. Pauli, die andere in Wilhelmsburg. Allein von 2001 bis 2005 beriet der Verein dort etwa 1.500 Menschen.53 Die Statistiken, die er dabei erhob, ermöglichen einen Einblick in deren soziale Lage. Zum einen zeigte sich der enge Zusammenhang von Anwerbung, Massenarbeitslosigkeit und Existenzgründung. 53 Prozent der Ratsuchenden hatten einen türkischen Migrationshintergrund, 56,5 Prozent waren arbeitslos und 66 Prozent wollten sich in den Bereichen Handel, Dienstleistungen und Gastronomie selbstständig machen.54 Zum anderen verwiesen die Statistiken auf eine wachsende soziale Differenzierung. Während 22,5 Prozent über keine Berufsausbildung verfügten, hatten 12,5 Prozent ein abgeschlossenes Hochschulstudium.55 Zu den Themen, die der Spiegel im Jahr 2000 in der Artikelserie »Die Welt im 21. Jahrhundert« aufgriff, gehörten auch die veränderten Familienverhältnisse. Unter der Überschrift »Die Flickenfamilie« schrieb das Nachrichtenmagazin: »Das Vater-Mutter-Zwei-Kinder-Ideal wird allmählich abgelöst von einem komplexen Bündnis aus Eltern, Kindern, Stiefeltern, Ex-Frauen und Ex-Männern, Stiefkindern, Schwiegereltern, Ex-Schwiegereltern, Großeltern und vielen angeheirateten oder auch wieder ehemals angeheirateten Verwandten. Von den rund zehn Millionen Familien mit Kindern in Deutschland entsprechen nach Expertenschätzungen zwischen 1,5 und 2,5 Millionen nicht mehr dem FünfzigerJahre-Modell aus verheirateten Eltern und leiblichen Kindern. Stattdessen setzen sie sich aus Stiefvätern und Stiefmüttern oder unverheirateten Lebenspartnern zusammen, die Kinder aus früheren Ehen mitbringen und dann vielleicht noch 51 Zur Arbeitsmigration in Hamburg seit den 1960ern siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums S. 104–106 sowie Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 204–206. 52 Unternehmer ohne Grenzen (Hrsg.), Schauen Sie doch mal genau hin, Hamburg 2005, S. 6 f. 53 Brit Tiedemann, 5 Jahre Gründungszentrum. Eine Bilanz, in: Unternehmer ohne Grenzen (Hrsg.), Integration durch Selbstständigkeit. 5 Jahre Gründungszentrum – Bilanz und Perspektiven, Hamburg 2006, S. 14–17, hier S. 16 f. 54 Ebd. 55 Ebd.
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gemeinsamen Nachwuchs haben.«56 Darüber hinaus würden Unverheiratete, Geschiedene, Singles sowie schwule und lesbische Paare mehr und mehr die Gesellschaft prägen. Gerade die Zahl der alleinstehenden Älteren nehme deutlich zu. Angesichts dessen seien neue Formen des Zusammenlebens erforderlich. So »könnten Wohnprojekte entstehen, in denen Menschen verschiedener Generationen leben und füreinander sorgen: Die Jüngeren schleppen die Mineralwasserkisten, die Älteren passen auf die Kinder auf. Schon jetzt gibt es in mehreren Städten solche funktionierenden Mehr-Generationen-Wohngemeinschaften.«57 Auch in Hamburg hatte die Kleinfamilie ihre alles überragende Bedeutung verloren. Vom Jahr 1970 bis zum Jahr 2000 war der Anteil der Verheirateten an der Wohnbevölkerung von 51,3 auf 41,3 Prozent zurückgegangen.58 Demgegenüber hatte sich der Anteil der Ein-Personen-Haushalte an allen Haushalten von 35,8 auf 47,9 Prozent erhöht.59 Noch deutlicher zeigten sich die Umbrüche in den Gründerzeitvierteln.60 Im Jahr 2000 bestanden in Ottensen 55,9, in St. Pauli 63,4 und in St. Georg 67,8 Prozent der Haushalte aus einer Person.61 Zudem hatten die Bewohner dieser Stadtteile seit langem mit neuen Formen des Zusammenlebens experimentiert, neben Kommunen, Wohngemeinschaften und besetzten Häusern auch mit Wohnprojekten.62 Die Anfänge der Wohnprojekte, die der Spiegel als Lösungen für die Probleme des neuen Jahrhunderts pries, gingen bis in die frühen 1980er zurück.63 Die ersten, die es in Hamburg gab, waren nach56 Marianne Wellershoff, Die Flickenfamilie, in: Der Spiegel, 14.12.2000, S. 176–180, hier S. 176 f. Zu den sich ändernden Familienverhältnissen siehe: Rüdiger Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, Wiesbaden 20087. 57 Wellershoff, Die Flickenfamilie, S. 180. 58 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 14; Statistisches Landesamt Hamburg, Statistisches Jahrbuch 2002/2003, S. 13. 59 Statistisches Landesamt Hamburg, Hamburger Zeitreihen 1970–1997, S. 32f; Statistisches Landesamt Hamburg, Stadtteil-Profile 2001, Hamburg 20012, S. 15. 60 Zum Zusammenhang zwischen dem Aufkommen neuer Lebensformen und der wachsenden Beliebtheit von Gründerzeitvierteln siehe: Engler, Reurbanisierung und Wohnwünsche; Sigrun Kabisch u. a., Reurbanisierung aus soziodemographischer Perspektive. Haushalte und Quartierswandel in der inneren Stadt, in: Klaus Brake / Günter Herfert (Hrsg.), Reurbanisierung. Materialität und Diskurs in Deutschland, Wiesbaden 2012, S. 113–129; Frank, Die »Rückkehr« der Familien in die Stadt; Monika Alisch, Frauen und Gentrification. Der Einfluß von Frauen auf die Konkurrenz um den innerstädtischen Wohnraum, Wiesbaden 1993. 61 Statistisches Landesamt Hamburg, Stadtteil-Profile 2001, S. 15, S. 17 und S. 49. 62 Zu Kommunen, Wohngemeinschaften und besetzten Häusern siehe Kapitel 4. Hochhäuser statt Slums S. 106–108 sowie Kapitel 4. Von Fabrikruinen zu Medienhäusern, S. 206–212. 63 Zu Wohnprojekten in Hamburg siehe: Ingrid Lempp / Tina Stadlmayer (Hrsg.), Max-B. Ein außergewöhnliches Wohnbauprojekt in Hamburg, Hamburg 2010; Dirk Schubert, Baugemeinschaften, Wohnprojekte und neue Gruppenbaukulturen in Hamburg, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2004, Hamburg 2004, S. 174–179; Stattbau Hamburg (Hrsg.), Wohnprojekte, Baugemeinschaften, soziale Stadtentwicklung. Das Stattbaubuch, Hamburg 2002; Joachim Reinig, Wohn-
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träglich legalisierte Hausbesetzungen. In ihnen trafen sich die Interessen des Senats, der die Konflikte um verfallende Altbauten in geordnete Bahnen lenken wollte, mit denen der Hausbesetzer, die trotz Selbsthilfe staatliche Unterstützung bei der Instandsetzung benötigten. Nachdem der städtische Haushalt im Jahr 1984 erstmals entsprechende Gelder auswies, gründeten der Verein Mieter helfen Mietern, die Autonomen Jugendwerkstätten und das Netzwerk Selbsthilfe den alternativen Sanierungsträger Stattbau Hamburg.64 Trotz der massiven Spannungen, die durch die Auseinandersetzungen um die Hafenstraße und andere besetzte Häuser hervorgerufen wurden, gewann die staatliche Förderung in den folgenden Jahren zunehmend an Bedeutung. Bis zum Jahr 1989 entstanden in Hamburg 28 Wohnprojekte mit zusammen 900 Bewohnern, unter anderem in Ottensen, St. Georg und dem Schanzenviertel.65 Von vornherein verband sich das Anliegen, bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, mit dem Wunsch, auf eine andere Art und Weise zusammenzuleben. Bei den Initiativen, die Stattbau Hamburg förderte, zeigte sich dies in der »Wohngemeinschaft Jung und Alt« mit besonderer Deutlichkeit.66 In Winterhude lebten Studenten, Beamte, Freiberufler und Rentner unter einem Dach. Die sechs Männer und sechs Frauen waren zwischen 23 und 69 Jahren alt. Neben WG -Zimmern, Küchen, Bädern und Gemeinschaftsräumen gab es in dem Haus auch mehrere Büros. In einer Selbstdarstellung, die im Jahr 1989 erschien, schrieben die Bewohner: »Unser Erfolgsrezept: Die meisten von uns haben sich schon vor dem Zusammenziehen recht gut gekannt. Das hat uns spätere Enttäuschungen erspart. Und etwaige Nachrücker wählen wir sorgfältig aus. Ein einziges Veto genügt, den Kandidaten abzulehnen. Außerdem leben wir trotz des familienähnlichen Altersunterschieds nicht hierarchisch, sondern demokratisch und mit Sympathie, Vertrauen, Solidarität und Offenheit. Jeder von uns sagt in gemeinsamer Runde, was ihn privat und im Gruppenleben beschäftigt und was ihn erfreut oder verärgert hat. So können Aggressionen rechtzeitig abgebaut werden oder gar nicht erst aufkommen, nicht einmal bei dem gruppentypischen Thema Ordnung und Sauberkeit.«67 Eine Fotografie, mit der die Bewohner ihre Selbstdarstellung illustrierten, unterstrich diesen Anspruch (Abb. 108)68. Indem sie sich in einem Kreis auf den Boden setzten, brachten sie zum Ausdruck, dass es unter ihnen kein Oberhaupt gab. Die langen Haare der Männer und die kurzen der Frauen verdeutlichten, dass ihr Zusammenleben nicht auf festgefügten Geschlechterrollen beruhte. Und auch der Raum, darauf wiesen die projekte in Hamburg, in: ders. (Hrsg.), Wohnprojekte in Hamburg von 1980 bis 1989, Darmstadt 1989, S. 5–12. 64 Reinig, Wohnprojekte in Hamburg, S. 7–9. 65 Ebd., S. 5 f. 66 Wohngemeinschaft Jung und Alt, Die Jarre – Wohngemeinschaft im Kindergarten, in: Joachim Reinig (Hrsg.), Wohnprojekte in Hamburg von 1980 bis 1989, Darmstadt 1989, S. 76–77, hier S. 76. 67 Ebd. 68 Ebd., S. 77.
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Teekannen, der Schreibtisch, die Aktenordner und die Stereoanlage hin, hatte keine eindeutige Funktion mehr. In der Wohngemeinschaft Jung und Alt hatten sich sowohl die Grenzen zwischen den Generationen und Geschlechtern als auch die zwischen Arbeit und Leben aufgelöst. Während die Konflikte um besetzte Häuser im Laufe der 1990er allmählich in den Hintergrund traten, gewann der Wunsch, auf eine andere Art und Weise zusammenzuleben, weiter an Bedeutung. Zahlreiche Initiativen entschieden sich nun dafür, selbst Häuser zu bauen. Deren Förderung wurde zu einem festen Bestandteil städtischer Politik. Bis zum Jahr 2002 betreute allein Stattbau Hamburg um die 80 Vorhaben, ein Großteil davon in Altbaugebieten.69 Zu diesem Zeitpunkt waren Wohnprojekte längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Unter der Überschrift »Innovative Wohnformen brauchen andere Räume« konstatierte der alternative Sanierungsträger: »Mit der Pluralisierung der Lebensstile haben sich Wohnbedürfnisse im Hinblick auf Wohnstandort, Wohnumfeld, Größe und Zuschnitt von Wohnungen stark ausdifferenziert. Wohnprojekte sind in erheblichem Maße daran beteiligt, innovative Wohnungsgrundrisse zu realisieren, die ihren Bedürfnissen entsprechen: veränderbare Grundrisse, gleich große und nachträglich teilbare Zimmer, Wohnküchen etc. sind in Wohn projekten vielfach erprobt worden. Aus der Kritik an den nicht mehr passenden Wohnungsgrundrissen im traditionellen Wohnungsbau sind durch Beteiligung der NutzerInnen an der Planung qualitätsvolle Grundrissalternativen entstanden.«70 Darüber hinaus gehe es immer häufiger darum, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach zu ermöglichen: »Die Integration von Wohnen und Arbeiten wird gerade von mittelschichtsorientierten Nutzern gefordert und in vielen Projekten auch realisiert, wenn es sich um Existenzgründungen oder Arbeitsplätze im tertiären Sektor handelt.«71 Unterdessen verschwanden die letzten großen Fabriken aus den Gründerzeitvierteln. Auch die Bavaria-St. Pauli-Brauerei, deren Standort sich seit vielen Jahrzehnten an der Bernhard-Nocht-Straße befand, schloss im Jahr 2002 für immer die Tore.72 Noch zwei Jahre zuvor waren dort mehr als 200 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.73 Nun legte die Holsten-Brauerei die Abfüllung in St. Pauli still und verkaufte das Grundstück an eine Gruppe von Investoren. Wenig später begann der Abriss der alten Backsteinhallen. An deren Stelle sollte das
69 Stattbau Hamburg (Hrsg.), Wohnprojekte, Baugemeinschaften, soziale Stadtentwicklung, S. 62–104. 70 Britta Becher / Josef Bura, Gemeinschaftliche Wohnformen für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung, in: Stattbau Hamburg (Hrsg.), Wohnprojekte, Baugemeinschaften, soziale Stadtentwicklung. Das Stattbaubuch, Hamburg 2002, S. 11–16, hier S. 14. 71 Ebd., S. 16. 72 Lars Haider, Das Ende von Bavaria, in: Hamburger Abendblatt, 23.12.2000, S. 25. 73 Astra braucht Holsten, in: Hamburger Abendblatt, 1.3.2000, S. 23.
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»Bavaria-Quartier« entstehen.74 Im Mittelpunkt des Bauprojekts standen drei etwa zwanzigstöckige Hochhäuser, das Hotel Empire Riverside von Willi Bartels, das sich an Geschäftsreisende und zahlungskräftige Touristen richtete, der AstraTurm von DWI Immobilien, in dem die Angestellten von Medienunternehmen Platz finden sollten, und das Atlantic Haus von Quantum Immobilien, für das frühzeitig Mietverträge mit großen Werbeagenturen abgeschlossen worden waren, unter anderem mit dem deutschen Marktführer BBDO Germany, der mit seinen 600 Hamburger Beschäftigten nach St. Pauli ziehen wollte.75 Neben den Hochhäusern waren auf dem ehemaligen Fabrikgelände, das insgesamt drei Hektar groß war, weitere Neubauten vorgesehen, in denen zusätzliche Büros, Geschäfte und Restaurants sowie Wohnungen untergebracht werden sollten. Insgesamt waren 300 neue Wohnungen geplant.76 Im Unterschied zu den Bürogebäuden waren hier Baugenossenschaften federführend. Dennoch sollten keine Sozialwohnungen entstehen. Stattdessen wurden »hochwertige Wohnungen«77 angestrebt. An wen sich diese richteten, verdeutlichte ein Computermodell, das in einer Werbebroschüre über das Bavaria-Quartier erschien (Abb. 109)78. Abgebildet waren mehrere an die Hopfenstraße angrenzende Neubauten, die sich mit ihrer kubischen Form, ihren Erkern, Balkonen und Dachterrassen und ihrer roten Farbe deutlich von den Gründerzeitbauten unterschieden, welche die andere Straßenseite prägten. Auch die animierten Bewohner hoben sich von denen des umliegenden Stadtteils ab. Der junge Mann mit Hemd und Krawatte, die Mutter mit Kind und das ältere Paar mit konservativer Freizeitkleidung stammten allesamt aus der deutschen Mittelschicht. Arbeiter im Blaumann, Arbeitslose in Jogginghosen, Migrantinnen mit Kopftuch und Punks mit bunten Haaren waren nicht dargestellt, und auch keine der Prostituierten, die zu diesem Zeitpunkt noch an den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser saßen. 74 Wilhelm Bartels Bavaria-Grundstücksgesellschaft (Hrsg.), Bavaria, Hamburg 2003, Rückseite; Matthias Rebaschus, Ein neues Gesicht für St. Pauli, in: Hamburger Abendblatt, 27.9.2004, S. 17. Zum Bavaria-Quartier siehe: Hanno Rauterberg, Es fehlt das Offene und Kleinteilige. Bavaria-Quartier auf St. Pauli, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2013, Hamburg 2013, S. 180–181; Claas Gefroi, Aufbruch durch Abbruch? Bavaria-Quartier in Hamburg St. Pauli, in: Deutsche Bauzeitung 143 (2009) H. 4, S. 38–47; Hanno Rauterberg, Vorne die Reeperbahn, hinten die Buchsbaumterrasse. Das Bavaria-Quartier auf St. Pauli, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2008, Hamburg 2008, S. 10–16. 75 Grundsteinlegung für den neuen Astra-Turm, in: Hamburger Abendblatt, 15.6.2006, S. 14; Matthias Rebaschus, Bavaria-Gelände: 600 Werber ziehen nach St. Pauli, in: Hamburger Abendblatt, 25.9.2004, S. 13; Matthias Rebaschus, Der letzte Coup vom KiezKönig, in: Hamburger Abendblatt, 26.9.2003, S. 13. 76 Matthias Rebaschus, Der neue Riese am Hafen, in: Hamburger Abendblatt, 16.4.2002, S. 11. 77 Karsten Broockmann, Das große Loch im Herzen von St. Pauli, in: Hamburger Abendblatt, 16.6.2004, S. 19. 78 Claas Gefroi, Baufelder und Architekten, in: Wilhelm Bartels Bavaria-Grundstücksgesellschaft (Hrsg.), Bavaria, Hamburg 2003, S. 44–78, hier S. 53.
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Dabei war gerade der Aufstieg von Willi Bartels eng mit dem Rotlichtmilieu verbunden.79 Das Hippodrom, ein von seinem Vater geerbtes Vergnügungslokal in der Großen Freiheit, und das Eros-Center, ein von ihm gegründetes Großbordell an der Reeperbahn, hatten in den 1950ern und 1960ern den Grundstein für seinen Haus- und Grundbesitz gelegt. Anfang des neuen Jahrtausends besaß er zehn Hotels, 40 Lokale und 2.800 Wohnungen.80 Mit dem Empire Riverside sollte ein weiteres Hotel dazukommen. Willi Bartels befand sich auf dem Höhepunkt seiner langen Karriere. Doch zugleich zeichnete sich mit dem BavariaQuartier eine deutliche Machtverschiebung ab. Zunehmend gewannen global agierende Immobilienfonds und Investmentbanken an Einfluss. Im Jahr 2007, noch bevor die Bauarbeiten auf dem ehemaligen Fabrikgelände vollständig abgeschlossen waren, hatten zwei der drei Hochhäuser bereits die Besitzer gewechselt. Das Atlantic-Haus gehörte nun der Schweizer Großbank UBS , der Astra-Turm der US -amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley.81 Auch in St. Pauli hatte das begonnen, was eine Immobilienhändlerin gegenüber dem Hamburger Abendblatt als »Einmarsch internationaler Investoren«82 bezeichnete. Von Anfang der 1990er bis Mitte der 2000er waren in Hamburg die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau gesunken. Die durchschnittlichen Quadratmeterpreise, die in Wohnungsanzeigen im Hamburger Abendblatt verlangt wurden, gingen von umgerechnet 10,20 Euro im Jahr 1993 auf 8,60 im Jahr 2006 zurück.83 Erst danach kehrte sich die Marktentwicklung um. Bis zum Jahr 2014 stiegen die geforderten Mieten auf 11,80 Euro pro Quadratmeter an.84 Ein ähnlicher, wenn auch leicht verschobener Umbruch, zeigte sich bei den Eigentumswohnungen. Nachdem die durchschnittlichen Quadratmeterpreise zunächst kaum gestiegen waren, zogen sie gegen Ende des Jahrzehnts deutlich an, von 1.900 Euro im Jahr 2009 auf 3.200 Euro im Jahr 2014.85 Dass sich die Mieten im frei finanzierten Wohnungsbau und die Preise für Eigentumswohnungen sprunghaft erhöhten, hatte mehrere sich überlagernde Ursachen. Während die Zahl der Einwohner wuchs, ging jene der fertiggestellten Wohnungen spürbar zurück. Zudem kauften internationale Immobilienfonds 79 Michael Seufert / Sepp Ebelseder, Kiez-Karriere: Vom Koch zum König, in: Hamburger Abendblatt, 19.7.2001, S. 8. 80 Ebd. 81 Astra-Turm verkauft, in: Immobilien Zeitung, 7.4.2011, S. 18; Büromarkt Hamburg, in: Immobilien Zeitung, 2.8.2007, S. 18. 82 Büromarkt Hamburg, in: Immobilien Zeitung, S. 18. 83 Jens Meyer-Wellmann, Hamburg – Mieten noch einmal gesunken, in: Hamburger Abendblatt, 4.4.2006, S. 11; Ernst-Gerhardt Scholz, Mieten so niedrig wie zuletzt 1991, in: Hamburger Abendblatt, 25.3.2004, S. 13. 84 Oliver Schirg, Wohnen: Wilhelmsburg teurer, Hafencity billiger, in: Hamburger Abendblatt, 2.4.2014, S. 9. 85 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Hamburger Stadtteil-Profile 2009, Hamburg 2010, S. 28; Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Hamburger Stadtteil-Profile 2014, Hamburg 2014, S. 23.
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erneut große Wohnungsbestände auf. In einem Artikel, der im Jahr 2008 erschien, konstatierte die Immobilien Zeitung: »Mit Cerberus, Oaktree und Blackstone haben im vergangenen Jahr drei Finanzinvestoren der ›ersten Welle‹ ihre Wohnungspakte für jeweils einen Milliardenbetrag zu Geld gemacht. Längst rollt die ›zweite Welle‹ über Deutschland mit ausländischen Investoren, die sich ihren Bestand aus kleineren Paketen und Einzelobjekten zusammenpuzzeln. Mit Erfolg.«86 Besonders drastisch fielen die Preissteigerungen in den Gründerzeitvierteln aus.87 Maßgeblichen Anteil daran hatte die zunehmende Beliebtheit der dort gelegenen Wohnungen. Parallel zur allgemeinen Marktentwicklung verschob sich die Stellung, welche die Gründerzeitviertel im städtischen Gefüge einnahmen. Im Jahr 2007 stellte das Hamburger Abendblatt mit Blick auf St. Georg, das Schanzenviertel und St. Pauli fest: »Stadtteile, die bisher eher nicht zu den Top-Wohnlagen gehörten, mausern sich offenbar immer mehr zu neuen InAdressen.«88 Wenige Jahre später hatten sich die meisten Altbauviertel in überdurchschnittlich teure Stadtteile verwandelt. Vor allem St. Pauli veränderte sich grundlegend. Die durchschnittlichen Mieten, die in den Wohnungsanzeigen im Hamburger Abendblatt verlangt wurden, stiegen von 8,50 Euro pro Quadratmeter im Jahr 2005 auf 15 Euro im Jahr 2014.89 Ebenso deutlich erhöhten sich die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen, von 1.900 auf 4.800 Euro.90 Im Jahr 2014 waren Eigentumswohnungen in dem ehemaligen Arbeiterstadtteil teurer als in dem traditionsreichen Villenviertel Blankenese, um mehr als 600 Euro pro Quadratmeter.91 Auch die veränderte Vorgehensweise der Finanzinvestoren hatte dazu beigetragen. Solange die internationalen Immobilienfonds den Kauf von großen zusammenhängenden Wohnungsbeständen anstrebten, spielten für sie die Gründerzeitviertel, in denen der Haus- und Grundbesitz seit jeher zersplittert war, kaum eine Rolle. Erst als sie begannen, kleinere Bestände zu kaufen, verlagerte sich ihr Interesse von den niedergehenden Großsiedlungen auf die 86 Die zweite Welle: »Wir haben Zeit für Deutschland«, in: Immobilien Zeitung, 6.3.2008, S. 6. 87 Zu Gentrifizierung in Hamburg siehe: Breckner, Urban Poverty and Gentrification; Thomas Pohl / Katharina Wischmann, Wohnungsmarktdynamik und stadtpolitische Konflikte in Hamburg. Ein Beitrag zur Gentrificationforschung, in: Europa Regional 19 (2011) H. 2, S. 41–55; Till Briegleb, Vom Schmuddel- zum Szeneviertel. Der unerwartete Wiederaufstieg von St. Pauli, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2005, Hamburg 2005, S. 196–205. 88 Ernst-Gerhardt Scholz, Hamburger Mieten steigen wieder an, in: Hamburger Abendblatt, 2.4.2007, S. 11. 89 Gymnasium Ohnmoor, Hamburger Wohnungsmarkt 2015, URL: www.bautschweb.de (13.5.2015). 90 Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Hamburger Stadtteil-Profile 2005 und Umland-Profile, Hamburg 2005, S. 24; Statistisches Amt, Hamburger StadtteilProfile 2014, S. 29. 91 Statistisches Amt, Hamburger Stadtteil-Profile 2014, S. 77.
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boomenden Altbaugebiete. Damit kehrte sich auch der Umgang mit den neu erworbenen Wohngebäuden um. Während das Ziel, in möglichst kurzer Zeit möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften, das gleiche blieb, bestand das bevorzugte Mittel nicht länger darin, die Kosten für den Unterhalt auf ein Minimum zu reduzieren. Stattdessen sollten nun aufwendige Renovierungen hohe Mietsteigerungen rechtfertigen. Zu den Investoren, die diesen Weg einschlugen, gehörte auch Akelius. Nach 2006 kaufte der schwedische Immobilienkonzern, der seinen Sitz auf den Bahamas hatte, innerhalb weniger Jahre 18.000 Wohnungen in Deutschland auf.92 Allein in Hamburg verfügte er über 3.000.93 Einer der Schwerpunkte war das Portugiesenviertel, das unweit der Landungsbrücken gelegen war.94 Noch in den frühen 1980ern hatten in dem Hafenviertel vor allem Arbeiter gelebt.95 Nachdem in unmittelbarer Nähe das neue Verlagsgebäude von Gruner + Jahr eröffnet hatte, begann sich dies zu ändern.96 Im Laufe der 1990er entstanden zahlreiche portugiesische Cafés und Restaurants. Dort zu wohnen, wurde immer beliebter. Mit der Hafencity, die in den 2000ern allmählich Gestalt annahm, rückte das Portugiesenviertel weiter an das Zentrum der städtischen Entwicklung heran.97 Vor diesem Hintergrund erwarb Akelius mehrere Häuser. Wenn eine der Wohnungen frei wurde, renovierte er sie aufwendig. Zukünftig sollten sie über einen »First Class«-Standard verfügen.98 Dementsprechend einschneidend waren die Mieterhöhungen. Während einige der langjährigen Bewohner nur 7,20 Euro pro Quadratmeter bezahlten, waren es bei Neuvermietungen 19,10 Euro.99 Unter den Alteingesessenen wuchs deswegen die Angst. Immer häufiger, so berichtete der Hamburger Mieterverein, würden verunsicherte Mieter fragen: »Müssen wir das auch bald zahlen? Dann müssen wir ausziehen, so viel Geld können wir nicht aufbringen.«100
92 Akelius Foundation, The Foundation, URL: http://foundation.akelius.de/en/pages/why (12.5.2015); Akelius GmbH, Fakten, URL: https://akelius.de/en/akelius/organisation/ facts (12.5.2015). 93 Rainer Link, Günstig war gestern. Wie Akelius Mieten in die Höhe treibt, in: Mietraum 2, Dezember 2013, S. 6–8, hier S. 8. 94 Eckhard Pahlke / Volker Stahl, Neuverträge: Die Mietenbremse muss kommen!, in: Mieter-Journal 24 (2014) H. 2, S. 6–8, hier S. 6 f. 95 Zum Wandel des Portugiesenviertels siehe: Heike Herrmann, »Und plötzlich war alles anders«. Die Effekte des Gruner + Jahr-Pressehauses auf die südliche Neustadt von Hamburg, in: Jürgen Friedrichs (Hrsg.), Gentrification. Theorie und Forschungsergebnisse, Opladen 1996, S. 261–281. 96 Zum Verlagsbau von Gruner + Jahr siehe Kapitel 2. Zwischen Einkaufspassagen und Personal Computer, S. 173–175. 97 Zur Hafencity siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 256–258 und S. 265–269. 98 Pahlke / Stahl, Die Mietenbremse muss kommen!, S. 7. 99 Ebd., S. 6 f. 100 Ebd., S. 6.
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Im Höchstgebotsverfahren verkaufte die Stadt im Jahr 2002 eines der letzten verbliebenen Gängeviertel an Harald Schulz und Hans-Peter Werner.101 Vollmundig kündigten die beiden Investoren an, ein neues Quartier mit einer »Mischung von Loftwohnungen, Galerien, Künstlerläden, Ateliers, Cafés, Restaurants«102 zu schaffen. Danach passierte lange Zeit nichts. Mehrfach scheiterten Schulz und Werner daran, die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen. Erst als der niederländische Finanzfond Hanzevast das Vorhaben an sich zog, schien sich dies zu ändern.103 Die Verhandlungen, die der neue Investor mit der Stadt aufnahm, drehten sich vor allem um den Denkmalschutz. Während die Stadt für den Erhalt der Backsteinfabriken und Gründerzeithäuser eintrat, drängte Hanzevast auf deren Abriss. Anfang 2008 kam es zu einer Einigung. Ein städtebaulicher Vertrag ermöglichte dem Investor nun, sieben der insgesamt zwölf historischen Gebäude ganz oder teilweise durch Neubauten zu ersetzen.104 Mit der globalen Finanzkrise, die im Herbst des Jahres ausbrach, gerieten auch diese Planungen ins Wanken. Da Hanzevast, zu dessen Kerngeschäft Schiffsfonds gehörten, hohe Verluste gemacht hatte, konnte er die Investitionen in Höhe von 38 Millionen Euro nicht länger alleine tragen.105 Erneut verzögerten sich die Bauarbeiten. Im Sommer 2009, sieben Jahre nach Verkauf des Gängeviertels, hatten sie noch immer nicht begonnen. In der Zwischenzeit hatte eine Gruppe von Künstlern einen Teil des Gängeviertels angemietet.106 Schon mehrfach hatten sie sich in vorübergehend leerstehenden Gebäuden Atelierräume eingerichtet, unter anderem im Brandshof an der Elbbrückenstraße und im SKAM an der Reeperbahn. Und jedes Mal hatten sie, weil ein Investor andere Pläne verfolgte, die Gebäude wieder verlassen müssen. Auch im Gängeviertel, in das sie im Jahr 2007 gezogen waren, drohte ihnen von Anfang an die Kündigung. Angesichts dessen fingen die Künstler an, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu hinterfragen. Rückblickend erzählte Christiane Ebeling: »Es ging um Erfahrungsaustausch. Wir wollten unter anderem Strategien entwickeln, wie wir es schaffen, als Künstler oder Kreative nicht immer nur Pioniere für einen Aufwertungsprozess oder eine Imageverbesserung von Orten zu sein. Wie man sich dem aktiv entgegenstellt, um nicht demnächst vor dem nächsten Investor flüchten zu müssen.«107 Als die 101 Neues Quartier für 1.000 Bewohner, in: Hamburger Abendblatt, 11.3.2006, S. 14. 102 Ebd. 103 Matthias Rebaschus, Bezirk billigt 30-Millionen-Projekt im Gängeviertel, in: Hamburger Abendblatt, 17.1.2008, S. 14. 104 Rebecca Kresse u. a., Künstler im Gängeviertel ziehen aus – und ein, in: Hamburger Abendblatt, 27.10.2009, S. 11. 105 Vom Arbeiterviertel zum Spekulationsobjekt, in: Hamburger Abendblatt, 22.10.2009, S. 14; Gängeviertel-Sanierung stockt: Bauherr sucht Geldgeber, in: Hamburger Abendblatt, 17.6.2009, S. 9. Zu Finanzkrise und Schiffsfonds siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 254 f. 106 Christoph Twickel, Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle, Hamburg 2010, S. 89–92. 107 Ebd., S. 94.
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Stadt das Mietverhältnis beendete, fiel unter den Künstlern die Entscheidung, dieses Mal nicht stillschweigend weiterzuziehen. Im Sommer 2009 besetzte eine Gruppe von 200 Menschen das Gängeviertel, mit einer Kunstausstellung.108 Als Schirmherr hatten sie den Maler Daniel Richter gewinnen können. Zugleich erhob die Initiative »Komm in die Gänge« weitreichende Forderungen. Sie trat für den Rückkauf durch die Stadt, für den vollständigen Erhalt der Gebäude, für die dauerhafte Nutzung durch Ateliers, Veranstaltungsräume und preisgünstige Wohnungen und für die Selbstverwaltung durch eine Genossenschaft ein. Bereits am ersten Wochenende besuchten 3.000 Menschen das Gängeviertel.109 In den kommenden Wochen und Monaten kamen mehr als 15.000 Menschen.110 Auch über das Gängeviertel hinaus gerieten die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bewegung. Mehr als zwei Dutzend Initiativen schlossen sich zu dem Netzwerk »Recht auf Stadt« zusammen.111 Eine öffentliche Kontroverse über die Stadtentwicklung brach aus. Vor allem das Manifest »Not in Our Name, Marke Hamburg«, das eine Gruppe von Musikern, Schauspielern und Clubbetreibern im Herbst 2009 im Gängeviertel vorstellte, trug maßgeblich dazu bei. Innerhalb kurzer Zeit unterzeichneten 5.000 Menschen den Aufruf.112 Sowohl die Zeit als auch das Hamburger Abendblatt druckten ihn in voller Länge ab. Scharf kritisierten die Verfasser darin den schwarz-grünen Senat: »Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US -Ökonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die ›kreative Klasse‹ wohlfühlt. ›Cities without gays and rock bands are losing the economic development race‹, schreibt Florida. Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedlungsgebiet für diese ›kreative Klasse‹ zu werden. Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer ›Image City‹ unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von der Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der ›pulsierenden Metropole‹, die ›ein 108 Matthias Gretzschel, Mit Fantasie gegen den Verfall, in: Hamburger Abendblatt, 24.8.2009, S. 6. 109 Ebd. 110 Thomas Andre u. a., Wo Wachstum zum Brennpunkt wird, in: Hamburger Abendblatt, 3.11.2009, S. 11. 111 René Gabriel u. a., Scheibchen für Scheibchen. Verhandlungschronologie bis Status Quo, in: Gängeviertel (Hrsg.), Mehr als ein Viertel. Ansichten und Absichten aus dem Hamburger Gängeviertel, Hamburg 2012, S. 93–103, hier S. 99 f. Zur Recht-auf-StadtBewegung in Hamburg siehe: Moritz Rinn, Konflikte um die Stadt für alle. Das Machtfeld der Stadtentwicklungspolitik in Hamburg, Münster 2016; Peter Birke, Sozialproteste im »unternehmerischen« Hamburg, in: Norbert Gestring u. a. (Hrsg.), Stadt und soziale Bewegungen, Wiesbaden 2014, S. 83–97; Peter Birke, Herrscht hier Banko? Die aktuellen Proteste gegen das Unternehmen Hamburg, in: ders. u. a. (Hrsg.), Krisen, Proteste. Beiträge aus Sozial.Geschichte Online, Berlin 2012, S. 183–220; Jonas Füllner / David Templin, Stadtplanung von unten. Die »Recht auf Stadt«-Bewegung in Hamburg, in: Andrej Holm / Dirk Gebhard (Hrsg.), Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignung, Hamburg 2011, S. 79–104. 112 Gabriel u. a., Scheibchen für Scheibchen, S. 100.
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anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur‹ bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als ›Marke Hamburg‹ in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird.«113 Für den eigenen Alltag habe diese Politik schwerwiegende Folgen: »Uns macht es die ›wachsende Stadt‹ indessen zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Proberäume zu finden, oder Klubs und Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von den ›pulsierenden Szenen‹ steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt.«114 Vor allem das Hamburger Abendblatt stellte sich entschieden auf die Seite der Besetzer. Allzu lange, so der stellvertretende Chefredakteur, sei der Städtebau den »Interessen der Investoren«115 untergeordnet worden. Weite Teile Hamburgs seien mittlerweile durch die »übliche einfallslose Architektur«116 geprägt. Aus diesem Grund habe der »Kampf um Ateliers, Galerien und Wohnraum«117, der im Gängeviertel geführt werde, die Sympathie der Hamburger. Mit dem öffentlichen Überdruss, dem das Hamburger Abendblatt in seiner Berichterstattung Ausdruck verlieh, wuchs der Druck auf den Senat. Schließlich fällte er die Entscheidung, das Gängeviertel für 2,8 Millionen Euro zurückzukaufen.118 Wenig später begannen die Verhandlungen mit der Initiative »Komm in die Gänge«. Mitten in der Hamburger Innenstadt, umgeben von gläsernen Bürotürmen und teuren Eigentumswohnungen sollten nun Ateliers, Galerien und preisgünstige Wohnungen entstehen. Diesen Kontrast unterstrich eine Fotografie, die im Jahr 2011 erschien (Abb. 110)119. Hinter den Wänden des Gängeviertels, die mit Street Art und Graffiti bedeckt waren, erhob sich die glatte Fassade des Unilever-Hochhauses. Vordergründig ähnelte die Aufnahme einer Fotomontage, die der Unilever-Konzern im Jahr 1966 veröffentlicht hatte (Abb. 13)120. Aber die Aussage hatte sich in ihr Gegenteil verkehrt. Nun stand das Gängeviertel, und nicht das Unilever-Hochhaus, für die Zukunft der Stadt.
113 Das Dokument des Aufschreis, in: Hamburger Abendblatt, 31.10.2009, S. 16. 114 Ebd. 115 Karl Günther Barth, Jetzt muss es der heimliche Schirmherr richten, in: Hamburger Abendblatt, 21.10.2009, S. 13. 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Künstler siegen – Hamburgs historisches Gängeviertel ist gerettet, in: Hamburger Abendblatt, 16.12.2009, S. 1. 119 R. Scheer, Fotografie des Gängeviertels, URL: https://www.flickr.com/photos/scheer hamburg/5333359242/in/photolist-98hRTG/ (27.5.2016). 120 Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg, S. 14.
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Zu Beginn des neuen Jahrtausends war der US -amerikanische Wirtschaftsgeograf Richard Florida zu einem der weltweit wichtigsten Stichwortgeber stadtpolitischer Leitbilder geworden.121 Von der Fähigkeit von Städten, möglichst viele Künstler, Wissenschaftler, Programmierer, Juristen und Manager anzuziehen, so seine in mehreren Bestsellern und Hunderten von Vorträgen wiederholte Überlegung, hänge zukünftig deren wirtschaftlicher Erfolg ab.122 Nur mit neuesten Technologien, hochqualifizierten Wissensarbeitern und Toleranz gegenüber anderen Lebensformen könnten sich Städte im globalen Wettbewerb behaupten. Unter den zahllosen Veröffentlichungen, die diesen Ratschlag aufgriffen, war auch das Gutachten »Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg«123, welches das Architekturbüro Studio UC / K laus Overmeyer im Auftrag der Baubehörde erstellt hatte. Zentraler Ausgangspunkt des Gutachtens, das Anfang 2010 erschien, war das große wirtschaftliche Gewicht der »Kulturund Kreativwirtschaft«124. Insgesamt umfasse sie mit dem Architekturmarkt, dem Buchmarkt, der Designwirtschaft, der Filmwirtschaft, dem Kunstmarkt, dem Markt für darstellende Künste, der Musikwirtschaft, dem Pressemarkt, der Rundfunkwirtschaft, der Software / Games-Industrie und dem Werbemarkt elf Teilbranchen. In ihnen seien im Jahr 2007 mehr als 64.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tätig gewesen.125 Darüber hinaus könnten den Teilbranchen 13.300 steuerpflichtige Unternehmen, ein Großteil davon Freiberufler, zugeordnet werden.126 Die wirtschaftliche Bedeutung, die kreative Tätigkeiten in den 2000ern erlangt hatten, hob auch eine der Collagen hervor, mit denen das Architekturbüro sein Gutachten illustrierte (Abb. 111)127. Kreuz und quer überlagerten sich orangene Schriftzüge. Verschiedene Begriff der Debatte, die Richard Florida ausgelöst hatte, waren zu lesen, darunter Talent, Creativ Class, Kreativwirtschaft, Kreative Milieus. Dazwischen waren mehrere junge Männer und Frauen zu erkennen, die Turnschuhe, T-Shirts und Jacketts trugen. Sie blickten auf ihre Laptops, unterhielten sich oder legten die Hände in den Schoss. An Stelle von Köpfen hatten sie Glühbirnen. Arbeit, daran ließ die Collage keinen Zweifel, bedeutete vor allem, neue Ideen zu haben. Ausgehend davon wandten sich die Verfasser des Gutachtens ihrem eigentlichen Thema zu, den besonderen »Raumbedürfnissen«128 des neuen Wirtschaftszweigs. Auf einer Karte, die mit dem Titel »Analyse – Milieutypen und 121 Zur Bedeutung von Richard Florida siehe: Mellander (Hrsg.), The Creative Class Goes Global; Reich, Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland; Krätke, The Creative Capital of Cities; Peck, Struggling with the Creative Class. 122 Siehe unter anderem: Florida, The Rise of the Creative Class. 123 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg, Hamburg 2010. 124 Ebd., S. 24. 125 Ebd., S. 30. 126 Ebd., S. 30 f. 127 Ebd., S. 20. 128 Ebd., S. 12 f.
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Standorte« versehen war, legten bunte Punkte und konzentrische Kreise offen, welche städtischen Räume in die »Wertschöpfungsketten«129 der Kultur- und Kreativwirtschaft eingebunden waren (Abb. 112)130. Ihren Anfang nahmen sie in den Standorten der großen Medienunternehmen, die mit türkiser Farbe gekennzeichnet waren, insbesondere die Verlagshäuser von Gruner + Jahr, Spiegel und Springer, die mit ihren »spektakulären Flagschiffarchitekturen«131 die Innenstadt prägten. Daneben markierten blaue Punkte die Standorte der Hochschulen, die zu wichtigen Impulsgebern geworden waren. Ausgehend von der Innenstadt erstreckten sich die Wertschöpfungsketten bis in die Gründerzeitviertel hinein. Orange, konzentrische Kreise hoben die verschiedenen »Trendund Szene-Milieus« hervor. Gerade die dort ansässigen Freiberufler und Startups arbeiteten an neuen Ideen, die dann von den großen Medienunternehmen aufgegriffen werden konnten. Gleichzeitig machte die Karte die Konflikte sichtbar, welche die Szene- und Trend-Milieus durchzogen. Auf die Brennpunkte der »Gentrifizierungskritik« verwies ein Piktogramm, das einen Menschen mit einem Schild in der Hand zeigte. Auch an anderer Stelle kam das Gutachten auf dieses Thema zurück, vor allem auf die widersprüchliche Rolle der Kreativen: »In den Protesten zeigt sich ein Grunddilemma innerstädtischer Revitalisierungsprozesse: Ihre eigentlichen Initiatoren, in der Regel junge Zuzügler und Kreative, die vernachlässigte Stadtviertel zu attraktiven Orten öffentlichen Lebens und Arbeitens machen, werden zum Opfer ihres eigenen Erfolgs. Die innerhalb des Aneignungsprozesses entstehenden Identitäten und Szenen ziehen weitere Investitionen und den Zuzug etablierter Unternehmen und Bewohner nach sich. Von steigenden Mieten und Bodenpreisen profitieren in erster Linie Grundstückseigentümer und Investoren. Die ursprünglichen Auslöser des langjährigen Transformationsprozesses bleiben von der Wertschöpfungskette ausgeschlossen. Es sei denn, sie erwerben selbst Eigentum oder ihnen gelingt, parallel zur Veränderung von Quartieren, die eigene berufliche Konsolidierung.«132 Doch von beruflicher Konsolidierung konnte bei den meisten kaum die Rede sein. Im Jahr 2007 lag das durchschnittliche Monatseinkommen der 10.500 selbstständigen Künstler, Journalisten, Schauspieler und Musiker, die in Hamburg bei der Künstlersozialkasse versichert waren, nach Abzug des Versicherungsbeitrags bei 785 Euro.133
129 Ebd., S. 60. 130 Ebd., S. 38–41. 131 Ebd, S. 60. 132 Ebd., S. 14 f. 133 Maja Barthelmes, Kreative Wirtschaft Hamburg. Eine Analyse der Bedeutung der Kreativwirtschaft für Hamburg, Hamburg 2008, S. 33 f.
5. Die neoliberale Stadt
Nach 1989 begannen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse erneut zu verfes tigen. Die verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Kräfte fügten sich zu einer neuen räumlichen Ordnung der Arbeitswelt zusammen. Die neoliberale Stadt entstand. Diese lässt sich entlang von sieben Dimensionen fassen: 1. Globalisierung, 2. Kreativität, 3. Digitalisierung, 4. Netzwerk, 5. Entgrenzung, 6. Prekarisierung und 7. Renaissance der Stadt Zu 1: Ein beispielloser Boom des Containerumschlags prägte in den 1990ern und frühen 2000ern den Hamburger Hafen.1 Nach einer tiefen Krise, die sich über mehr als ein Jahrzehnt hingezogen hatte, rückte der Hafen wieder in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung, in fast vollständig veränderter Form. Dem rasanten Wachstum des Containerumschlags stand der weitgehende Bedeutungsverlust der anderen Hafenbereiche gegenüber. Traditioneller Stückgutumschlag, Schiffbau, Massengutumschlag und Schwerindustrie spielten keine größere Rolle mehr. Der Hamburger Hafen war zu einem »logistischen Dienstleistungszentrum«2 geworden. Bereits gegen Ende der 1980er hatten sich die Grundlagen der neuen Hafenordnung herausgebildet, zum einen die untrennbare Verbindung von Containe risierung und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, zum anderen die immer enger werdenden Handelsbeziehungen nach Ostasien. Dennoch stellten die Ereignisse des Jahres 1989 einen tiefen Einschnitt dar. Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, durch den der Hamburger Hafen sein Hinterland zurückgewann, bekam die Neuausrichtung den entscheidenden Schub.3 Die Hafenunternehmen knüpften an alte wirtschaftliche Beziehungen an und trugen maßgeblich dazu bei, Osteuropa in die globale Wirtschaft einzubinden. In besonderem Maße galt dies für die HHLA, die mehrere staatliche Eisenbahnbetriebe in Osteuropa aufkaufte. Gleichzeitig hatte der wirtschaftliche Aufstieg Ostasiens wesentlichen Anteil an dem Aufschwung des Hamburger Hafens, der nun die beiden »Wachstumspole Ostasien und Osteuropa«4 mit einander verband. Vor allem die Handelsbeziehungen mit China, das sich zunehmend zum globalen industriellen Zentrum entwickelte, gewannen weiter an Gewicht.5 1 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 234–236 und S. 253 f. 2 Wirtschaftsbehörde Hamburg, Hafenentwicklungsplan 1997. Logistisches Dienstleistungs zentrum Hafen Hamburg. Chancen einer neuen Ära, Hamburg 1997. 3 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 233 f. 4 Behörde für Wirtschaft und Arbeit Hamburg, Im Focus dynamischer Wachstumsmärkte, S. 22 f. 5 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 246–248.
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Aus Tausenden von Fabriken, die in den chinesischen Küstenregionen entstanden, transportierten Containerschiffe die Industrieprodukte nach Europa. Der Umschlag erfolgte gerade auch über den Hamburger Hafen. Vor diesem Hintergrund siedelten sich zahlreiche chinesische Unternehmen in Hamburg an, darunter die Reederei China Shipping, die in der Hafencity eine Zweigstelle eröffnete. Zudem richtete sich die städtische Wirtschaftspolitik auf China aus. Nach Ansicht des Senats sollte Hamburg zu »einem europäischen Brückenkopf für und nach China«6 werden. Die Folgen der anschwellenden Handelsströme waren ambivalent. Während einige Branchen profitierten, wurden andere durch den ansteigenden Import von Industrieprodukten vom Markt verdrängt.7 Zu diesen Branchen gehörte neben der Unterhaltungselektronik auch der Schiffbau. Die Aufträge für Hunderte von neuen Containerschiffen, die Hamburger Reedereien und Schiffsfonds zu Beginn der 2000er vergaben, landeten fast ausschließlich bei ostasiatischen Konzernen. Angesichts dessen setzte sich, trotz des globalen Booms von Schifffahrt und Schiffbau, der Niedergang der Hamburger Werften fort. Ein weiteres Kraftzentrum, auf das sich Hamburg ausrichtete, waren die globalen Finanzmärkte. Dass diese seit dem Ende der 1990er schnell an Bedeutung gewannen, war das Resultat von zwei gegenläufigen Tendenzen. Zum einen entschieden sich immer mehr Hamburger Unternehmen dafür, weltweit zu investieren.8 So stieg die HSH Nordbank innerhalb weniger Jahre zu einem der wichtigsten Schiffsfinanzierer auf. Aus zwei regionalen Landesbanken war eine globale Investmentbank geworden, mit Zweigstellen in London und New York. Darüber hinaus kontrollierten Schiffsfonds, die ihren Sitz in der Hansestadt hatten, einen großen Teil der internationalen Containerflotte. Zum anderen begannen global tätige Investmentbanken und Finanzfonds ihr Geld in Hamburg anzulegen.9 Den Boom der New Economy und den zeitweisen Aufstieg Hamburgs zur deutschen »Multimediahauptstadt«10 hätte es ohne Risikokapital nicht gegeben. Überdies stand der Städtebau unter dem zunehmenden Einfluss internationaler Investoren. Zunächst galt dies vor allem für die Cityerweiterungen und die damit verbundenen Bürobauten, von der Hafencity bis hin zum Bavaria-Quartier in St. Pauli. Im Laufe der 2000er bildete sich mit Wohngebäuden ein zusätzlicher Schwerpunkt der Investitionen heraus. Nicht mehr gemeinnützige Wohnungsunternehmen und lokale Haus- und Grundbesitzer, sondern global ausgerichtete Fonds dominierten nun den Wohnungsmarkt.
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Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 44. Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 233 f. und S. 246–250. Siehe ebd., S. 248–250 sowie Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 272–274. Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 258, Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 302 f. sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 315–323. 10 Mirow, Hamburgs wirtschaftliche Zukunft als nordeuropäische Metropole, S. 10 f.
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Schließlich bestimmten die Debatten über die »Globalisierung«11 die gesellschaftlichen Verhältnisse der 1990er und 2000er. Mit dem Verweis auf die damit verbundenen Zwänge rechtfertigten Manager, Unternehmensberater und Politiker wirtschaftsfreundliche Maßnahmen. Wegen der »internationalen Konkurrenz«12, so das vielfach wiederholte Argument, sei eine Kürzung von Sozialleistungen und eine Entlastung der Unternehmen unumgänglich. Globalisierung war eine Chiffre für die Alternativlosigkeit der neuen gesellschaftlichen Ordnung.13 Dies ändert jedoch nichts daran, dass die 1990er und 2000er durch einen massiven Globalisierungsschub gekennzeichnet waren.14 Mehr und mehr hatte sich die Stadt auf die neuen weltweiten Schwerpunkte ausgerichtet, die mit der Industrialisierung Chinas und der Expansion der Finanzzentren in New York und London entstanden waren. Mit der globalen Finanzkrise, die im Jahr 2008 begann, brach dieser Schub ab. Auch für Hamburg stellte der Börsencrash einen tiefen Einschnitt dar.15 Nach Verlusten in Milliardenhöhe schrumpfte die HSH Nordbank erneut zu einem regional tätigen Bankhaus, viele der Schiffsfonds mussten Konkurs anmelden und der Containerumschlag im Hafen stagnierte über mehrere Jahre. Gegenwärtig hat sich die Globalisierung der Stadt deutlich abgeschwächt und in Teilen sogar umgekehrt. Zu 2: Ob in Managementkonzepten, in der Wirtschaftspolitik oder im Städtebau, seit dem Ende der 1980er war immer häufiger von Kreativität die Rede.16 Mit dem Begriff der »kreativen Klasse«17, der von zahlreichen Unternehmensberatern, Politikern und Architekten aufgegriffen wurde, erreichte diese Ent-
11 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 65. 12 Ebd. 13 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 243–246, Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 274–276 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–306. 14 Zum Begriff der Globalisierung siehe: Lutz Raphael, Die Geschichte der Bundesrepublik schreiben als Globalisierungsgeschichte, in: Frank Bajohr u. a. (Hrsg.), Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik, Göttingen 2016, S. 203–218; Angelika Epple, Globalisierung / en. Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitge schichte, URL: http://docupedia.de/zg/Globalisierung (18.7.2016); Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, Bonn 2012, S. 226–268; Reinhard Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Europa und die Welt seit 1500, Paderborn 2007; Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003. 15 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 253–255 sowie Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 278 f. 16 Zum Begriff der Kreativität siehe: Angela McRobbie, Be Creative. Making a Living in the New Culture Industries, Cambridge 2016; Andreas Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin 2012; Martina Heßler / Clemens Zimmermann (Hrsg.), Creative Urban Milieus. Historical Perspectives on Culture, Economy, and the City, Frankfurt am Main 2008; Gerald Raunig / U lf Wuggenig (Hrsg.), Kritik der Kreativität, Wien 2007. 17 Follath / Spörl, Was Städte sexy macht, S. 99.
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wicklung in den 2000ern ihren Höhepunkt.18 Dass die Überlegungen Richard Floridas auf so viel Zustimmung stießen, verweist auf eine grundlegende Neuordnung, die sich in der Arbeitswelt vollzogen hatte. Nicht mehr die industrielle Massenproduktion, sondern die Herstellung von Informationen, Wissen, Image und Lifestyle bestimmte eine wachsende Zahl von Wirtschaftsbereichen. Damit änderten sich die Anforderungen an die Beschäftigten. An die Stelle von standardisierten Abläufen trat die Notwendigkeit, tagtäglich neue Lösungen für neue Probleme zu finden. Maßgeblich waren jetzt Kreativität und, um einen weiteren allgegenwärtigen Begriff aufzugreifen, »Innovation«19. Im Laufe der 1990er und 2000er waren die Konturen dieser neuen Arbeitswelt zunehmend deutlicher zu erkennen. Während die Zahl der Beschäftigten in der Industrie weiter zurückging, stieg sie im Dienstleistungsbereich fortlaufend an. Damit verschoben sich die Grenzen, die zwischen den verschiedenen Bereichen verliefen.20 Immer weiter drang die City in Gebiete vor, die einst Hafen und Industrie vorbehalten waren, insbesondere mit der »Hafencity«21. Mitten im ehemaligen Zentrum des Stückgutumschlags errichteten Investoren nun Bürobauten. Zudem siedelten sich in den Gründerzeitvierteln, in denen bis in die 1970er Zulieferbetriebe für die Großwerften ansässig waren, zahlreiche Dienstleistungsunternehmen an. Auch in der zeitgenössischen Architektur fanden diese Veränderungen ihren Ausdruck. Die Umnutzung von ehemaligen Hafen- und Industriebauten entwickelte sich zu einem der zentralen Themen. Von der »Medien-Fabrik«22, die in den Hallen der Schiffsschraubenfabrik Zeise entstand, bis hin zur Elbphilharmonie, deren gläserner Aufbau auf dem Sockel des Kaispeichers A ruhte, lassen sich all diese Gebäude als Ästhetisierung des Strukturwandels fassen.23 Dass sich der Schwerpunkt von Hafen und Industrie auf City und Dienstleistungen verlagerte, stellte eine wesentliche Dimension der Neuerungen dar. Ebenso wichtig waren jedoch die Umbrüche, die innerhalb der verschiedenen Bereiche stattfanden. In dem »logistischen Dienstleistungszentrum«24, in das sich der Hafen transformiert hatte, dominierte die Computertechnologie, und damit die Verarbeitung von Informationen, den Arbeitsalltag.25 Ähnliche Neuerungen prägten die Industrie. Viele der verbliebenen Branchen, hier ist vor allem der Flugzeugbau zu nennen, beruhten in entscheidendem Maße auf 18 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 265–269 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 318–323. 19 Follath / Spörl, Was Städte sexy macht, S. 99. 20 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 256–258 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–309 und S. 314–316. 21 Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung, Hafencity Hamburg. Der Masterplan. 22 Brenken u. a. (Hrsg.), Medien-Fabrik Zeisehallen. 23 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 265–269 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–309. 24 Wirtschaftsbehörde Hamburg, Hafenentwicklungsplan 1997. 25 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 234–236.
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wissenschaftlicher Forschung.26 Auch deswegen hatten die Hochschulen stetig an wirtschaftlichem Gewicht gewonnen.27 Vor diesem Hintergrund wandte sich die städtische Politik in den 2000ern verstärkt Forschung und Lehre zu. Das »Unternehmen Uni«28 sollte wirtschaftliches Wachstum befördern, durch »Wissenstransfer«29 und durch seinen Beitrag zur »Talentstadt Hamburg«30. Gleichzeitig vollzogen sich auch innerhalb des Dienstleistungsbereichs schwerwiegende Veränderungen. Während die Konzernverwaltungen allmählich an Bedeutung verloren, rückte die Medienbranche in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung.31 Mit dem Internet, das sich ab Mitte der 1990er rasend schnell verbreitete, begann der Aufstieg Hamburgs zur deutschen »Multimediahauptstadt«32. Großer Beliebtheit erfreute sich dabei das Schanzenviertel, in dem sich zahlreiche »Start-ups«33 ansiedelten. Um das Jahr 2000 galt diese »New Economy«34 als zukunftsweisend. Die Manager etablierter Konzerne eiferten ihr nach, im Hinblick auf die neue Arbeitskultur, das Internet und die Finanzmärkte. Obwohl diese Euphorie kurze Zeit später einen deutlichen Dämpfer erlebte, spielte die Medienbranche weiterhin eine wichtige Rolle. Darauf verweist nicht zuletzt die Debatte um die »Kultur- und Kreativwirtschaft«35, die im weiteren Verlauf des Jahrzehnts die städtische Wirtschaftspolitik prägte. Eng verbunden mit der Medienbranche war zudem der steigende Einfluss des Marketings. Bereits in den 1980ern waren im Umfeld der großen Verlagshäuser viele Werbeagenturen entstanden. In den folgenden Jahren orientierten sich mehr und mehr gesellschaftliche Bereiche an der Werbung.36 Unter anderem galt dies für die Innenstadt, wo sich gegen Ende der 1990er die letzten verbliebenen Warenhäuser in Passagen verwandelten. Fast vollständig hatte der Lifestyle-Konsum den Massenkonsum abgelöst. Aber auch im Städtebau schlug sich der neue Schwerpunkt nieder. Zunehmend richtete sich die Aufmerksamkeit auf die »Marke Hamburg«37. So zielte der Bau der Elbphilharmonie von vornherein darauf ab, ein neues Image für Hamburg zu schaffen, ein Image, das weitere »kreative«38 Menschen anziehen sollte. 26 Siehe ebd., S. 239–243. 27 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 262–265. 28 Koch / Thimm, Geist gegen Gebühr, S. 43. 29 Dräger, Fitnesskur für Hamburgs Hochschulen, S. 25. 30 Roland Berger Strategy Consultants, Talentstadt Hamburg. 31 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 265–269 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–309 und S. 314–316. 32 Mirow, Hamburgs wirtschaftliche Zukunft als nordeuropäische Metropole, S. 10 f. 33 Wippermann (Hrsg.), Duden. Wörterbuch der New Economy, S. 141. 34 Ebd. 35 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Kreative Milieus und offene Räume, S. 24. 36 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 260–262 und S. 265–269 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 318–321. 37 Das Dokument des Aufschreis, in: Hamburger Abendblatt, S. 16. 38 Mirow, Hamburgs wirtschaftliche Zukunft als nordeuropäische Metropole, S. 13.
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In den 2000ern war Kreativität zu einer tragenden Säule der neuen gesellschaftlichen Ordnung geworden. Trotzdem lassen sich Gegentendenzen ausmachen, vor allem der Crash der New Economy und das »Zeitungssterben«39, das gegen Ende des Jahrzehnts einsetzte. Immer deutlicher offenbarte sich die Ambivalenz des Internets. Zum einen löste es eine große wirtschaftliche Dynamik aus. Zum anderen untergrub es die Geschäftsgrundlagen vieler Medienunternehmen. In besonderem Maße galt dies für die großen Verlagshäuser der Hamburger Innenstadt. Einige, hauptsächlich der Springer-Verlag, setzten alles daran, ihrerseits ein »Digitalunternehmen«40 zu werden. Andere, wie etwa Gruner + Jahr, versuchten es mit Kürzungen und Personalabbau. In vielem glich die Zeitungsbranche einer »niedergehenden Industrie«41. Das Silicon Valley war jetzt Vorbild und Bedrohung zugleich. Zu 3: Spätestens in den 2000ern bestimmte die Computertechnologie die Arbeitswelt. Rückblickend lassen sich drei Wellen der Digitalisierung42 ausmachen: die Großcomputer, die ab Mitte der 1960er in Fabriken und Konzernverwaltungen eingesetzt wurden, die Personal Computer, die sich ab Anfang der 1980er auch bei kleineren Unternehmen und Freiberuflern durchsetzten, und schließlich das Internet, das ab Mitte der 1990er nahezu die gesamte Arbeitswelt durchdrang. Die Schnelligkeit und Wucht, mit der sich das Internet verbreitete, kann nicht erklärt werden, ohne die beiden ersten Wellen der Digitalisierung mit in den Blick zu nehmen. Seinen sichtbarsten Ausdruck fand dieser Umbruch darin, dass neue Branchen entstanden.43 Insbesondere in Hamburg siedelten sich viele IT-Unternehmen an. So wies das »Leitbild Wachsende Stadt« das »Cluster IT Medien«44 als einen der wirtschaftlichen Schwerpunkte aus. Aber die eigentliche Kraft von Computer und Internet zeigte sich nicht in dem Aufstieg einzelner Branchen, sondern darin, dass sie kaum einen Arbeitsbereich unverändert ließ. Die Automatisierung von Routinetätigkeiten muss als eine der wichtigsten Folgen der Digitalisierung begriffen werden, sowohl in den Fabrikhallen als auch in den Büroräumen. Mit ihr verloren Fließbandproduktion und Rationalisierung die zentrale Stellung, die sie in den 1960ern eingenommen hatten. Stattdessen prägten der Einsatz des Computers und die Lösung komplexer Aufgaben die 39 Buhse / K remers, Wer sterben und wer überleben wird. Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 279–281. 40 Fichter, Die große Wette. 41 »Kräfte des Marktes«, in: Der Spiegel, S. 95. 42 Zum Begriff der Digitalisierung siehe: Martina Heßler, Zur Persistenz der Argumente; Philipp Staab, The Next Great Transformation. Ein Vorwort, in: Mittelweg 36, 24 (2015) H. 6, S. 3–13; Jürgen Danyel, Zeitgeschichte der Informationsgesellschaft, in: Zeithistorische Forschungen 9 (2012) H. 2, S. 186–211; Castells, Die Internet-Galaxie; Manuel Castells, Das Informationszeitalter. Teil 1: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Opladen 2001. 43 Siehe Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–309. 44 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 2.
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Arbeitsorganisation. In den 1990ern und 2000ern bildete die Automatisierung von Routinetätigkeiten die kaum noch hinterfragte Grundlage der neuen Arbeitswelt. Besonders deutlich schlug sich dies im Containerumschlag nieder.45 Im Mittelpunkt des neuen Containerterminals in Altenwerder standen computergesteuerte Kräne und »Automated Guided Vehicles«46. Nicht mehr harte körperliche Arbeit, sondern die Überwachung des weitgehend selbstständig ablaufenden Umschlags war nun die wichtigste Aufgabe. An Stelle vieler unqualifizierter Arbeiter wurden dafür wenige hochqualifizierte benötigt. Trotz des beispiellosen Booms des Containerumschlags entstanden deswegen nur wenige neue Arbeitsplätze. Zudem gewannen computergesteuerte Maschinen in der Industrie weiter an Einfluss. Neben Routinetätigkeiten übernahmen sie zunehmend komplexere Aufgaben. Entscheidend war das »Computer Aided Design«47, das die automa tisierte Herstellung von nicht standardisierten Bauteilen ermöglichte.48 Ausgehend vom Flugzeugbau, für den die neue Technologie entwickelt worden war, breitete sie sich in anderen Branchen aus. Zu diesen Branchen gehörte die Architektur. Eine wachsende Zahl von Architekten setzte Computer Aided Design ein, hauptsächlich deswegen, weil es die Möglichkeit bot, immer vielschichtigere Bauten zu verwirklichen. Gerade an diesem Punkt zeigte sich die allgemeine Abkehr von der Fließbandproduktion. Während des Booms hatten Raster und Standardisierung die Architektur bestimmt. Auf ihnen beruhten die Betonplatten, aus denen sich die Hochhäuser der Großsiedlungen zusammensetzten. Diese künstlerische Überhöhung der industriellen Massenproduktion spielte für die Architektur der 1990er und 2000er keine Rolle mehr. Vor allem repräsentative Gebäude waren jetzt durch komplexe, gebrochene und zerfließende Formen gekennzeichnet. Viele Gebäude entstanden, die nicht länger auf vorangegangene Baustile verwiesen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die postmoderne Architektur, die sich in den 1970ern und 1980ern historischen Vorbildern und handwerklichen Techniken zuwandte, als Übergangsphase fassen, deren Bedeutung in erster Linie darin bestand, mit der Dominanz der Fließbandproduktion zu brechen. Zu 4: Maßgeblichen Anteil daran, dass sich Netzwerke in den 1990ern und 2000ern als wichtigstes gesellschaftliches Organisationsprinzip durchsetzten, hatte die rasante Verbreitung des Internets.49 Je mehr das Internet die Gesellschaft durchdrang, desto selbstverständlicher erschien es, sich in ähnlicher Weise zusammenzuschließen. Dennoch greift es zu kurz, die wachsende Bedeutung von Netzwerken allein als Effekt technologischer Neuerungen zu begreifen. 45 46 47 48 49
Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 234–236. HHLA , Wie von Geisterhand. Ruby, Beyond Form, S. 206–210. Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 239–241. Zum Begriff des Netzwerkes siehe: Boltanski / Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus; Castells, Die Internet-Galaxie; Castells, Das Informationszeitalter. Teil 1.
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Auch der fortdauernde Einfluss der neuen sozialen Bewegungen trug dazu bei. Bereits in den 1970ern waren diese für eine umfassende Dezentralisierung eingetreten, unter anderem die Alternativbewegung, die sich selbst als »Netzwerk«50 verstand. Darüber hinaus war der Aufstieg der Netzwerke eng mit der zunehmenden Vermarktlichung verbunden. Die neoliberale Vorstellung, der Markt sei der Ort der dezentralen und deswegen effizienten Entscheidungsfindung, wies große Berührungspunkte mit dem neuen Organisationsprinzip auf. In gewisser Weise war der Markt das Netzwerk schlechthin. Gerade im Vergleich zu den 1960ern stellte dies einen tiefen Einschnitt dar. Während des Booms waren Größe, Einheitlichkeit und Linearität gleichbedeutend mit Effizienz. Zahlreiche Großtechnologien und Großprojekte hatten die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt. In den 1990ern und 2000ern verkehrten sich diese Organisationsprinzipien in ihr Gegenteil. Jetzt galten Kleinteiligkeit, Vielfalt und Komplexität als Voraussetzungen für wirksames Handeln. Auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen lässt sich dieser Umbruch nachvollziehen, zunächst innerhalb von Unternehmen.51 Hier traten flexible Projekte und Teams an die Stelle von festgefügten Abteilungen und starren Hierarchien. Vor allem die New Economy trug entscheidend dazu bei. Ausgehend von den Internet-Start-ups der Gründerzeitviertel, in denen sich eine gegenkulturelle Haltung mit den neuen technologischen Möglichkeiten verband, entwickelte sich eine bis dahin ungekannte Arbeitskultur. Im Laufe der 2000er griffen etablierte Konzerne diese Ansätze auf. Darauf verweist das neue Bürogebäude, das Unilever in der Hafencity errichtete. Mit den festen Arbeitsplätzen verschwanden die zentralisierten Kommunikationswege. Stattdessen sollte ein Geflecht sich überlagernder Kontakte das wirtschaftliche Vorankommen garantieren. Auch zwischen den Unternehmen breiteten sich Netzwerke aus.52 Nicht mehr die umfassende Planung innerhalb eines Großbetriebs, sondern marktförmige Beziehungen zwischen verschiedenen kleineren Unternehmen galten nun als erfolgversprechend. Insbesondere durch »Outsourcing« sollten schlanke Unternehmen geschaffen werden. Seinen Ausdruck fand dies darin, dass die Bürogebäude zu schrumpfen begannen. So waren die Bürobauten, die in den 2000ern in der Hafencity entstanden, deutlich kleiner als jene, die in den 1960ern und 1970ern in der City und in der City Nord errichtet worden waren. Vor diesem Hintergrund setzte die Stadtplanung neue Akzente.53 In städtebaulichen Großprojekten spielte Kleinteiligkeit jetzt eine wichtige Rolle, nicht zuletzt bei der Hafencity, die in verschiedene kleinere Quartiere aufgeteilt wurde. Zudem verloren umfassende Planungen, die darauf abzielten, die gesamte Stadt zu vereinheitlichen, fast jede Bedeutung. Demgegenüber setzte sich ein »projekt50 Netzwerk Selbsthilfe, in: Stattführerkollektiv (Hrsg.), Hamburgs Alternativer Stattführer, Hamburg 1980, S. 394–395. 51 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 269–272. 52 Siehe ebd. 53 Siehe ebd., S. 256–258 und S. 274–276.
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orientierter Ansatz«54 durch. Einzelnen Schwerpunkten standen ausgedehnte weiße Flächen gegenüber. Damit fügte sich der Städtebau in eine übergreifende politische Neuausrichtung ein. Staatliches Handeln, so die sich durchsetzende Vorstellung, sei nur dann effizient, wenn es sich dem Markt unterordne. Vor allem in den 2000ern galten Privatisierungen als wegweisend.55 Von fast allen stadteigenen Unternehmen sollten Anteile verkauft werden, mehr und mehr »Public-Private-Partnerships«56 wurden initiiert und immer häufiger war vom »Unternehmen Hamburg«57 die Rede. Märkte und Netzwerke hatten Planung und Zentralisierung abgelöst. Kurz nach der Jahrtausendwende erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Danach häuften sich die Rückschläge. Das Public Private Partnership der Elbphilharmonie führte zu einer beispiellosen Kostenexplosion, der Versuch, die HSH Nordbank zu einem »Top-Player«58 auf den globalen Finanzmärkten zu machen, scheiterte und die Privatisierung von stadteigenen Unternehmen geriet ins Stocken. Gegen Ende der 2000er war der Glaube an die Effizienz der Märkte nicht länger ungebrochen. Zu 5: Mehrere sich überlagernde Entgrenzungen prägten die neue Ordnung der Arbeitswelt.59 Zunehmend lösten sich die klaren räumlichen Trennungen auf, die Hamburg während des Booms gekennzeichnet hatten, darunter die zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit. In den 1960ern hatte die Vollzeithausfrau, die weite Teile ihres Alltags in den Einfamilienhausgebieten und Großsiedlungen verbrachte, zu den wichtigsten sozialen Figuren gehört. Mit der steigenden Zahl von erwerbstätigen Frauen änderte sich dies grundlegend. Zusammen mit dem Bedeutungsverlust der Vollzeithausfrau verlor auch die Grenze zwischen männlicher und weiblicher Sphäre an Relevanz. Je häufiger diese Grenze überschritten wurde, desto durchlässiger wurde sie. Gerade bei hochqualifizierten Frauen rückte die Berufstätigkeit in den Mittelpunkt des Lebensentwurfs. Angesichts dessen wuchs der Druck, ein neues Arrangement zwischen Hausarbeit und Erwerbstätigkeit zu finden. Neben den langjährigen Debatten über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zeigte sich dies in dem Managementkonzept der »Work-Life-Balance«60, das seit der Jahrtausendwende an Einfluss gewann.61 In diesem neuen Ansatz verband sich der fortdauernde Einfluss der 54 55 56 57 58 59
Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Räumliches Leitbild, S. 48. Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 250–253. ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft, Elbphilharmonie Hamburg, S. 24. Wie Hamburg seine Firmen verkauft, in: Hamburger Abendblatt, S. 21. HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2003, S. 30. Zum Begriff der Entgrenzung siehe: Gerrit Herlyn u. a. (Hrsg.), Arbeit und Nicht-Arbeit. Entgrenzungen und Begrenzungen von Lebensbereichen und Praxen, München 2009; Jurczyk, Entgrenzte Arbeit – entgrenzte Familie; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt am Main 2007; Mayer-Ahuja / Wolf (Hrsg.), Entfesselte Arbeit; Karin Gottschall / G. Günter Voß (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag, München 2003. 60 Erler, Work-Life Balance. 61 Siehe Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 284–287.
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Frauenbewegung mit dem Interesse großer Dienstleistungsunternehmen, hochqualifizierte Mitarbeiterinnen langfristig an sich zu binden. Nicht mehr auf den männlichen Ernährer und dessen Kleinfamilie, sondern auf eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen, von Patchwork-Familien über Singles bis hin zu Alleinerziehenden, richtete sich die neue Personalpolitik aus. Unter anderem begannen die Dienstleistungsunternehmen damit, eigene Kindergärten zu finanzieren. Sie übernahmen einen Teil der zuvor unbezahlten Pflege- und Betreuungsarbeit, allerdings in erster Linie für »hochqualifizierte Mütter«62. Für geringqualifizierte Frauen, die im Einzelhandel arbeiteten, spielte Work-LifeBalance keine größere Rolle. Gleichzeitig begannen auch im privaten Bereich die Grenzen zu verschwimmen.63 Während des Booms hatte sich die Trennung zwischen dem Wohnzimmer, in dem der Ehemann Erholung fand, und der Küche, in der die Hausfrau arbeitete, durchgesetzt. Nun wandte sich, vor dem Hintergrund gegenkultureller Experimente, eine wachsende Zahl von Haushalten von der Arbeitsküche ab. In dem Maße, in dem neue Lebensformen jenseits der Kleinfamilie entstanden, löste sich innerhalb der Wohnungen die Unterscheidung zwischen männlichen und weiblichen Räumen auf. Erneut entwickelte sich die Wohnküche zum Lebensmittelpunkt. Neben den Grundrissen in Neubauten schlug sich dies in der zunehmenden Beliebtheit der Gründerzeitwohnungen nieder, die seit jeher durch Wohnküchen geprägt waren. Eine weitere Grenze, die im Laufe der 1990er und 2000er durchlässiger wurde, war die zwischen Arbeit und Leben. Ausgehend von der New Economy breitete sich eine Arbeitsorganisation aus, die althergebrachte Trennungen überwand.64 Dabei lassen sich zwei verschiedene Stränge ausmachen. Auf der einen Seite öffneten sich zahlreiche Unternehmen gegenüber vormals privaten Verhaltensweisen, nicht zuletzt deswegen, weil sie darin die Möglichkeit sahen, die Motivation der eigenen Beschäftigten zu erhöhen. In den Büroräumen kam mit Sofas und Küchentischen ungewohntes Mobiliar auf, mit Jeans und Kapuzenpullovern verbreitete sich eine informelle Arbeitskleidung und neue Konzepte wie »Teamfähigkeit«65 und »Soft-Skills«66 verwiesen auf die Bedeutung sozialer Fähigkeiten. Auf der anderen Seite waren viele Aufgaben nicht länger an einen festen Ort gebunden. Maßgeblichen Anteil daran hatten technologische Neuerungen wie Mobiltelefon, Laptop und Internet. Darüber hinaus unterschieden sich viele Arbeitsschritte kaum noch von anderen Lebensäußerungen, insbesondere bei Kreativen. Neue Ideen konnten sie überall haben, im Café, in der Küche oder im eigenen Bett. Beide Stränge führten dazu, dass Arbeit in immer 62 Erler, Work-Life Balance, S. 169 f. 63 Siehe Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 287 f. 64 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 265–267 und S. 269–272 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–309. 65 Kuhlmann, Keine Angst vor Kreativität, S. 11 f. 66 Wippermann (Hrsg.), Duden. Wörterbuch der New Economy, S. 224.
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weitere Lebensbereiche eindrang. Die Kehrseite dieser Entwicklung zeigte sich in dem neuen Phänomen des »Burn-outs«67. Mit der durchlässiger werdenden Grenze zwischen Arbeit und Leben veränderte sich das Verhältnis zur Stadt. Im Unterschied zu den 1960ern schotteten sich die Unternehmen nicht mehr von ihrer Umgebung ab. Gerade das Nebeneinander von ehemaligen Hinterhoffabriken, Wohngebäuden, Geschäften und Cafés machte die Gründerzeitviertel zu einem attraktiven Standort für Startups. Aber auch die etablierten Konzerne wandten sich der Stadt zu.68 Vor allem das neue Unilever-Haus in der Hafencity beruhte auf diesem Ansatz. Dies zeigte sich in vielen Details, von dem Weg, der durch das Gebäude führte, über die öffentlichen Cafés und Geschäfte im Erdgeschoss bis hin zu den Folien, welche die Fassade verschwimmen ließen. Wesentlichen Anteil an diesem Umbruch hatte zudem der Städtebau.69 In den 1990ern und 2000ern hatte sich die seit langem vorgebrachte Kritik, dass Funktionstrennung zu langweiligen und monotonen Stadtteilen führe, allgemein durchgesetzt. Nun sollte die »Nutzungsmischung«70 Lebendigkeit und Urbanität gewährleisten. Ihren deutlichsten Ausdruck fand diese Neuausrichtung in der Hafencity, die von vornherein auf Arbeiten, Wohnen, Einkaufen und Kultur ausgerichtet war. Zugleich verschärfte sich die Krise der Stadtteile, die auf Funktionstrennung beruhten. So standen in der City Nord viele Büroräume leer. Aus der Nachkriegsmoderne war ein Auslaufmodell geworden. Eine ähnlich tiefgreifende Neuordnung hatte sich in der Wirtschaftspolitik vollzogen. Bis in die 1970er hinein hatte diese darauf abgezielt, industrielle Großbetriebe und Konzernverwaltungen anzuziehen. Standortpolitik bestand in erster Linie darin, genügend Grundstücke, gute Verkehrsverbindungen und preisgünstige Energie zur Verfügung zu stellen. Seit den 1980ern rückte die Konkurrenz um kreative Menschen in den Mittelpunkt der Bemühungen. Neben »harten« gewannen »weiche Standortbedingungen« an Einfluss.71 In diese Entwicklung fügte sich die Debatte über die »kreative Klasse«72 ein. Nur eine weltoffene Stadt, so argumentierte Richard Florida in den 2000ern, ziehe Kreative an. Deswegen sei neben »Technologie« und »Talent« auch »Toleranz« entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg einer Stadt.73 Damit löste sich die Grenze auf, die zwischen Wirtschaftspolitik auf der einen sowie Wohnungsbau, Kulturförderung und Bildungspolitik auf der anderen Seite bestanden hatte. Fast alles war jetzt von ökonomischer Bedeutung. 67 Ebd. 68 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 269–272. 69 Siehe ebd., S. 256–258 und S. 274–276. 70 Voscherau, Vortrag zum Übersee-Tag, S. 17 f. 71 Voscherau, Vortrag zum Übersee-Tag, S. 18. Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 256–258 und S. 267–269 sowie Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 322 f. 72 Florida, The Rise of the Creative Class. 73 Ebd., S. 249–266.
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Zu 6: Eine um sich greifende Prekarisierung kennzeichnete die 1990er und 2000er.74 Während Hochqualifizierte von dem Boom einzelner Branchen profitierten, bestand die Massenarbeitslosigkeit fort. Viele Geringqualifizierte waren dauerhaft verarmt. Gleichzeitig, und dies stellte eine weitere schwerwiegende Veränderung dar, war die städtische Politik immer weniger um sozialen Ausgleich bemüht. Mehr und mehr verschärfte sich der Tonfall.75 In Zeiten der Globalisierung, so die weit verbreitete Argumentation, könne Hamburg nur bestehen, wenn es die »Akkumulation von Humankapital«76 vorantreibe. Maßgeblich sei die Förderung des Wettbewerbs, der Leistungsbereitschaft und der »Elite«77. Erneut zeigte sich dies in der Hafencity mit besonderer Deutlichkeit. Das zentrale Ziel des neuen Stadtteils bestand darin, »qualifizierte, kreative, unternehmende, unternehmerische Menschen«78 anzuziehen. Kehrseite dieses Schwerpunktes war, dass diejenigen, die nicht der Elite angehörten, vernachlässigt wurden.79 Für die Zukunftsentwürfe der 2000er spielten die Anliegen von Arbeitslosen, Armen und Geringqualifizierten kaum noch eine Rolle. Da sie als »negativer Standortfaktor«80 galten, sollte ihr Anteil auch unter den Zuziehenden möglichst gering gehalten werden. Vor diesem Hintergrund wandte sich der Senat vom öffentlich geförderten Wohnungsbau ab. Zusammen mit der auslaufenden Sozialbindung führte dies dazu, dass der Bestand an Sozialwohnungen einbrach. Gerade im Vergleich zu den 1960ern und 1970ern bedeutete dies einen tiefen Einschnitt. Während des Booms hatte der Bau von Sozialwohnungen im Mittelpunkt des Städtebaus gestanden, gestützt durch sozialdemokratische Politiker, Gewerkschafter und moderne Architekten. In den 2000ern waren alle drei tragenden Säulen weggebrochen. Die SPD war auf einen neoliberalen Kurs eingeschwenkt, mit dem Zusammenbruch der Neuen Heimat hatten die Gewerkschaften jeglichen städtebaulichen Einfluss verloren und die Architektur hatte sich grundlegend gewandelt. Statt für Wohnungsbau begeisterten sich die
74 Zum Begriff der Prekarisierung siehe: Oliver Marchart (Hrsg.), Facetten der Prekarisierungsgesellschaft. Prekäre Verhältnisse. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Prekarisierung von Arbeit und Leben, Bielefeld 2013; Robert Castel / K laus Dörre (Hrsg.), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2009; Hartmut Häußermann u. a. (Hrsg.), An den Rändern der Städte. Armut und Ausgrenzung, Frankfurt am Main 2004; Castel, Die Metamorphosen der sozialen Frage; Pierre Bourdieu, Prekarität ist überall, in: ders., Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion, Konstanz 1998, S. 96–102. 75 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 243–246 sowie Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 295 f. 76 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 20. 77 Wichtig ist, was wir für die Eliten tun, in: Hamburger Abendblatt, S. 25. 78 Mirow, Hamburgs wirtschaftliche Zukunft als nordeuropäische Metropole, S. 13. 79 Siehe Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 293–295 und S. 299–303. 80 Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 51.
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zeitgenössischen Architekten für spektakuläre Repräsentationsbauten. Nicht zufällig war die Elbphilharmonie das herausragende Gebäude des Jahrzehnts. Unterdessen breiteten sich die sozialen Verwerfungen aus. Zwischen unbefristeten Vollzeitstellen und Arbeitslosigkeit entstand ein neuer Graubereich. Mehr und mehr Menschen waren von Zeitverträgen, Leiharbeit und geringfügiger Beschäftigung betroffen. Entscheidend war der Niedergang der Arbeiterbewegung. Jenseits der wenigen Kernbereiche, in denen die Gewerkschaften nach wie vor verankert waren, mehrten sich die Branchen, in denen es ihnen nicht gelang, Fuß zu fassen. Besonders ausgeprägt war der Kontrast zwischen Containerumschlag und Logistik.81 Weiterhin stellte die Stammbelegschaft der Containerterminals eine wichtige Machtbasis der Gewerkschaften dar. So widersetzten sich die Beschäftigten der HHLA erfolgreich den Privatisierungsplänen des Senats. Demgegenüber spielten die Gewerkschaften in den neuen Logistikzentren, die entlang der Autobahnen entstanden, keine Rolle mehr. Niedriglohn und Leiharbeit bestimmten den dortigen Alltag. Die schlecht abgesicherte Gelegenheitsarbeit, die innerhalb des Hafens zurückgedrängt worden war, gewann außerhalb des Hafens erneut an Boden. Eine weitere Hochburg prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse war der Einzelhandel.82 Vor allem Frauen arbeiteten in dieser Branche als geringfügig Beschäftigte und als Teilzeitkräfte. Zusätzlich verstärkt wurde die soziale Unsicherheit durch einen weiteren, jedoch unabhängig davon stattfindenden Umbruch. In dem Maße, in dem die Kleinfamilie sich auflöste, entfiel die soziale Absicherung über den Ehemann. Die Folgen dieser doppelten Entsicherung zeigten sich bei Alleinerziehenden, die in hohem Maße von Armut bedroht waren. Überdies waren auch Selbstständige einer zunehmenden Prekarisierung ausgesetzt.83 Mit der wachsenden Zahl von Gründern veränderten sich in den 1990ern und 2000ern die sozialen Hintergründe. Vielfach war der Aufbau eines Unternehmens der einzige Ausweg aus der Arbeitslosigkeit, insbesondere für viele Migranten, die nun eigene Geschäfte, Kioske und Imbisse betrieben. Damit verlagerte sich die Beschäftigung in einen Bereich, in dem es, weil Selbstständigkeit weiterhin mit wirtschaftlicher Stärke gleichgesetzt wurde, kaum soziale Absicherung gab. Vor allem in den Großsiedlungen, die am Rande der Stadt gelegen waren, konzentrierten sich Arbeitslosigkeit und Prekarität.84 Immer häufiger war von ihnen als »sozialen Brennpunkten«85 die Rede. Obwohl die eigentlichen Ursachen außerhalb dieser Stadtteile lagen, war ihr Abstieg alles andere als zufällig. Funktionstrennung, Betonfertigteile und riesige Dimensionen machten sie zu unbeliebten Überbleibseln einer vergangenen Zeit. Demgegenüber kehrte 81 Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 236–239 und S. 251–253. 82 Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 261 f. 83 Siehe Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 309–311 und S. 322 f. 84 Siehe Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 293–295. 85 Stemmler, Wachsender Frust, S. 2.
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sich in den Gründerzeitvierteln die Entwicklungsrichtung um.86 Viele Jahre waren sie durch Armut und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet gewesen. Doch hier überlagerte sich, im Unterschied zu den Großsiedlungen, der Niedergang von Hafen und Industrie mit dem Aufstieg neuer Dienstleistungsbranchen. Die zahlreichen Medienunternehmen, die sich in ehemaligen Fabrikgebäuden ansiedelten, trugen dazu bei, dass die Gründerzeitviertel auch als Wohnort an Attraktivität gewannen. Mit den steigenden Mieten wurden diejenigen, die nur über ein geringes Einkommen verfügten, aus den Gründerzeitvierteln verdrängt. Davon waren, und dies verweist auf die Widersprüchlichkeit der Entwicklung, zunehmend auch Künstler und Kreative betroffen. Nicht nur an den Rändern der Gesellschaft, sondern ebenso im Innern der »kreativen Klasse«87 hatten sich prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse ausgebreitet. Vor diesem Hintergrund muss auch der Konflikt um das Gängeviertel gesehen werden. Zu 7: Nachdem die Abwanderung in das Umland zu Beginn der 1990er noch einmal zugenommen hatte, zeichnete sich nach der Jahrtausendwende ein grundlegender Umbruch ab.88 Das Wohnen im Zentrum der Stadt wurde immer beliebter. Unter anderem verdeutlicht das die Stern-Umfrage »Wie wollen wir wohnen?«. Statt des Hauses im Grünen prägte jetzt der »urbane Lebensstil«89 die Wünsche. Es kam zu einer Renaissance der Stadt.90 Gerade die unübersichtlicher werdenden Familienverhältnisse trugen maßgeblich dazu bei. Mit der wachsenden Verbreitung neuer Lebensformen verlor das Einfamilienhaus seine hervorgehobene Stellung. Demgegenüber wuchs die Beliebtheit von Mietund Eigentumswohnungen. Neben Patchwork-Familien und Singles hatten daran berufstätige Mütter wesentlichen Anteil. Für sie machte es die »Stadt der kurzen Wege«91 einfacher, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit miteinander zu verbinden. Weiter verstärkt wurde die Hinwendung zur Stadt dadurch, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Leben durchlässiger wurden. In dem Maße, in dem sich Arbeiten, Wohnen, Kultur und Einkaufen überlagerten, löste sich das komplementäre Verhältnis zwischen City und Einfamilienhausgebieten auf. Ebenso wie die Mittelschicht wandte sich die Oberschicht Lebendigkeit 86 Siehe Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus. 87 Florida, The Rise of the Creative Class. 88 Siehe Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 282–284 und S. 289 f. 89 Thomas, Wollen Sie auch so leben?, S. 154. 90 Zum Begriff der Renaissance der Stadt siehe: Brake / Herfert (Hrsg.), Reurbanisierung; Frank, Die »Rückkehr« der Familien in die Stadt; Häußermann, Stadtpolitik, S. 362–373; Tilman Harlander, Zentralität und Dezentralisierung. Großstadtentwicklung und städtebauliche Leitbilder im 20. Jahrhundert, in: Clemens Zimmermann (Hrsg.), Zentralität und Raumgefüge der Großstädte im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 23–40; Dieter Läpple, Thesen zu einer Renaissance der Stadt in der Wissensgesellschaft, in: Norbert Gestring u. a. (Hrsg.), Jahrbuch StadtRegion 2003. Schwerpunkt: Urbane Regionen, Opladen 2004, S. 61–78. 91 Thomas, Wollen Sie auch so leben?, S. 154.
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und Urbanität zu.92 Besonders deutlich zeigte sich dies beim Marco Polo Tower in der Hafencity, dessen Architektur an übereinander gestapelte Villen erinnern sollte. Auch insgesamt richtete sich der Städtebau neu aus.93 Mit dem »Sprung über die Elbe«94 verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Umnutzung ehemaliger Hafen- und Industriegebiete. Von der Hafencity im Norden bis hin zum Channel Hamburg im Süden sollte hier das neue Zentrum der Stadt entstehen. Voraussetzung für diese Rückwendung zur Stadt war der Abstieg von Hafen und Industrie. Ohne den Bedeutungsverlust des traditionellen Stückgutumschlags und ohne das Werftensterben wäre der Sprung über die Elbe nicht möglich gewesen. Im Vergleich zu den 1960ern und frühen 1970ern stellte dies eine Zäsur dar. Während des Booms hatte sich das Wachstum der Stadt an »Entwicklungsachsen«95 orientiert, die sich bis weit in die Region erstreckten. Nun richtete es sich nach innen. So war »Mehr Stadt in der Stadt«96 das Motto des neuen »Räumlichen Leitbildes«. Ein ähnlicher Wandel vollzog sich in der Wirtschaftspolitik, vor allem mit dem »Leitbild Wachsende Stadt«, in dessen Mittelpunkt der Begriff des »Clusters«97 stand.98 Dieser Begriff, der sich mit Zusammenballung übersetzten lässt, beruhte auf der Auffassung, dass erst die räumliche Nähe zwischen verschiedenen Unternehmen, Zulieferern und Forschungseinrichtungen die Voraussetzungen für Innovation schafft. Damit gewann die Zusammenballung schlechthin, die Stadt, wieder an wirtschaftlichem Gewicht. Vor diesem Hintergrund kam es zu einer Renaissance der Gründerzeitviertel. Deren städtisches Gefüge, das unter vollkommen anderen gesellschaftlichen Verhältnissen entstanden war und das über viele Jahrzehnte als veraltet und rückständig galt, erwies sich erneut als zeitgemäß. Gerade die dichte Bebauung, die Kleinteiligkeit und das chaotische Nebeneinander von Wohngebäuden und Hinterhoffabriken machten die neue Attraktivität aus. Wegbereiter waren die neuen sozialen Bewegungen. Den Alternativprojekten, die sich seit den 1970ern in leerstehenden Ladengeschäften und Hinterhofwerkstätten angesiedelt hatten, folgten in den 1980ern die Medienunternehmen, in den 1990ern die InternetStart-ups und in den 2000ern die Kreativen.99 In den »Szene- und TrendMilieus«100 entstanden die neuen Ideen, die dann von den etablierten Unternehmen der Kreativwirtschaft aufgegriffen werden konnten. Wesentlichen Anteil 92 93 94 95 96 97 98 99
Siehe Kapitel 3. Am Rand. Großsiedlungen und Einfamilienhausgebiete, S. 297–299. Siehe Kapitel 2. Die Rückkehr der Innenstadt ans Wasser, S. 274–276. Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Räumliches Leitbild, S. 6. Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung, Hamburg 19722, Anlage. Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Räumliches Leitbild, S. 36. Staatliche Pressestelle Hamburg, Leitbild Wachsende Stadt, S. 20. Siehe Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 243–246. Siehe Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 304–309 und S. 318–323. 100 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Kreative Milieus und offene Räume, S. 38–41.
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an der Renaissance der Gründerzeitviertel hatten auch die zahlreichen kleineren Geschäfte, Cafés und Kneipen, die um die Dienstleistungsunternehmen herum entstanden.101 Unter deren Gründern waren viele ehemalige »Gastarbeiter«, die seit langem in den Stadtteilen lebten. Parallel zu den Veränderungen der Arbeitswelt breiteten sich in den Gründerzeitvierteln neue Wohnformen aus. Ein weiteres Mal spielten gegenkulturelle Experimente eine entscheidende Rolle. Mit Kommunen, Wohngemeinschaften, Hausbesetzungen und Wohnprojekten entstanden neue Lebensformen, die über die Kleinfamilie hinauswiesen. Damit trugen sie zu der Beliebtheit der Stadtteile bei. Insbesondere die Wohnprojekte bildeten ein wichtiges Scharnier zwischen der Gegenkultur und der »Pluralisierung der Lebensstile«102 in den 1990ern und 2000ern.103 An diese Entwicklungen, deren Anfänge mehrere Jahrzehnte zurückreichten, knüpften zu Beginn des neuen Jahrtausends die Finanzfonds an.104 Ihre Investitionen trugen maßgeblich dazu bei, dass die Mieten und die Preise für Eigentumswohnungen sprunghaft anstiegen. Angesichts dessen kam die »Gentrifizierungskritik«105 auf. Dennoch greift es zu kurz, die Umbrüche allein als Folge der Immobilienspekulation zu begreifen. Spekulation verstärkt nur bestehende Tendenzen, sie schafft sie nicht. Dies verdeutlichen die gegensätzlichen Folgen, die der Einstieg von Finanzfonds in unterschiedlichen Stadtteilen hatte. In den aufstrebenden Gründerzeitvierteln führte er zu Luxussanierungen, in den niedergehenden Großsiedlungen zu Verfall und Verslumung. In den 1990ern und 2000ern bildete sich eine neue räumliche Ordnung der Arbeitswelt heraus. Diese räumliche Ordnung, die sich als neoliberale Stadt fassen lässt, war durch verschiedene Dimensionen gekennzeichnet: Globalisierung, Kreativität, Digitalisierung, Netzwerk, Entgrenzung, Prekarisierung und Renaissance der Stadt. Besonders ausgeprägt waren diese Merkmale in den frühen 2000ern. Doch seit der globalen Finanzkrise von 2008 sind vermehrt Gegentendenzen zu erkennen. Heute spricht vieles dafür, dass die neoliberale Stadt ihren Höhepunkt bereits hinter sich hat, ohne dass absehbar wäre, was auf sie folgen könnte.
101 Siehe Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 309–311. 102 Becher / Bura, Gemeinschaftliche Wohnformen, S. 14. 103 Siehe Kapitel 4. New Economy, Eigentumswohnungen, kreative Milieus, S. 311–314. 104 Siehe ebd., S. 314–323. 105 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Kreative Milieus und offene Räume, S. 38–41.
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Hat sich nach 1970 die räumliche Ordnung der Arbeitswelt in europäischen Städten grundsätzlich gewandelt? Diese Frage, die am Anfang der Untersuchung stand, kann im Hinblick auf die Fallstudie eindeutig bejaht werden. In Hamburg hat es einen Strukturbruch gegeben. Zu der Übertragbarkeit der Ergebnisse ist damit noch nichts gesagt. Vielmehr schließt sich eine Reihe weiterer Fragen an: Lässt die Fallstudie Rückschlüsse auf den gesamten Kontinent zu? Beschränkt sich ihre Reichweite auf nordwesteuropäische Städte?1 Verweist sie nur auf einen bestimmten Stadttypus, in diesem Fall die Hafenstadt?2 Oder steht sie allein für die Eigenlogik Hamburgs?3 Eine erste Antwort ermöglicht hier die Abhandlung »Stapellauf für ein neues Zeitalter. Die Industriemetropole Glasgow im revolutionären Wandel nach dem Boom (1960–2000)«4, die Tobias Gerstung im Jahr 2016 veröffentlichte. Darin wendet sich Gerstung zunächst der Geschichte Glasgows vor 1970 zu.5 Aufgrund der nahe gelegenen Kohle- und Erzvorkommen habe sich die schottische Stadt im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum der Schwerindustrie entwickelt. Vor allem die Stahlproduktion, der Schiffbau und der moderne Hafen hätten die Wirtschaft geprägt. Zugleich seien in unmittelbarer Nähe der Fabriken und Kaianlagen dicht bebaute Arbeiterviertel entstanden. In den dortigen Wohngebäuden hätten Not und Elend geherrscht. Um die gröbsten Auswüchse zu unterbinden, sei gegen Ende des 19. Jahrhunderts die kommunale Verwaltung eingeschritten. Damit habe die Zeit des »Social Muncipalism«6 begonnen. Aber erst der lang andauernde wirtschaftliche Boom, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann, habe die Voraussetzungen für umfassende staatliche Planungen geschaffen. Vor diesem Hintergrund sei es zu einem beträchtlichen Ausbau des Sozialstaats gekommen. Neben dem staatlichen Gesundheitswesen habe der Schwerpunkt auf dem sozialen Wohnungsbau gelegen. Gerade die städtebaulichen Großprojekte der Nachkriegsmoderne hätten daran einen großen 1 Zum Verhältnis zwischen nordwesteuropäischen Städten auf der einen sowie süd- und osteuropäischen Städten auf der anderen Seite siehe: Lenger, Metropolen der Moderne, S. 11–24. 2 Zum Verhältnis von Hamburg und anderen Hafenstädten siehe die von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte im Jahr 2014 ausgerichtet Tagung »Seaports in Transition. Global Change and the Role of Seaports since the 1950s«. 3 Zur Eigenlogik der Städte siehe: Martina Löw, Soziologie der Städte, Frankfurt am Main 2008. 4 Tobias Gerstung, Stapellauf für ein neues Zeitalter. 5 Ebd., S. 45–164. 6 Ebd., S. 163.
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Anteil gehabt. In den am Stadtrand gelegenen Großsiedlungen und in den neu gegründeten »New Towns«7 sei eine Vielzahl gut ausgestatteter Wohnungen errichtet worden. Zudem hätten weitreichende staatliche Eingriffe die Wirtschaftspolitik bestimmt. Ausdrückliches Ziel sei es gewesen, dem beginnenden Bedeutungsverlust von Stahlproduktion und Schiffbau durch die Ansiedlung neuer Industriebranchen entgegenzuwirken. Bis weit in die 1960er hinein habe es dabei außer Frage gestanden, dass Glasgow auch in Zukunft eine »Industriemetropole«8 bleiben werde. Genau dies habe sich in den folgenden Jahrzehnten grundlegend verändert. In den 1970ern und 1980ern hätten Stahlindustrie, Schiffbau und Hafen fast jedes Gewicht verloren. Angesichts dessen sei es zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit gekommen. Vor allem in den innerstädtischen Arbeitervierteln und in den Großsiedlungen hätten sich Verarmung und Perspektivlosigkeit ausgebreitet. Im Jahr 1984 habe die Arbeitslosigkeit in einzelnen Stadtteilen bei fast 40 Prozent gelegen.9 Darüber hinaus hätten viele Menschen die Stadt verlassen. Von 1960 bis 2000 sei die Zahl der Einwohner von mehr als einer Million auf knapp 600.000 zurückgegangen.10 Aus Glasgow sei eine »schrumpfende Stadt«11 geworden. Diese Umbrüche, die nach 1970 einsetzten, stellen den eigentlichen Gegenstand von Gerstungs Abhandlung dar. Vor allem den politischen Lösungs ansätzen, mit denen die Krise überwunden werden sollte, gilt seine Aufmerksamkeit. Anhand von zwei Fallstudien zeichnet er nach, wie sich die kommunale Verwaltung neu orientierte. In der ersten beschäftigt er sich mit der Umnutzung der innerstädtischen Hafen- und Industriegebiete.12 Im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs seien im Zentrum Glasgows zahlreiche Brachflächen entstanden. Um dem entgegenzuwirken, hätten lokale Politiker verschiedene »Public-Privat-Partnerships«13 angestoßen. In enger Zusammenarbeit mit privaten Investoren seien wichtige Bauprojekte verwirklicht worden. Bereits im Jahr 1985 habe auf dem Gelände des Queen’s Docks das Scottish Exhibition and Conference Center eröffnet.14 Etwas später sei das Sanierungsgebiet Merchant City gefolgt.15 Dort seien leerstehende Fabrikgebäude in neue Büros und teure Eigentumswohnungen umgewandelt worden. Ihren Höhepunkt habe diese Entwicklung mit mehreren spektakulären Kulturbauten gefunden, die entlang des Flussufers errichtet worden seien, darunter das von den Stararchitekten Foster
7 8 9 10 11 12 13 14 15
Ebd., S. 141. Ebd., S. 49. Ebd., S. 201. Ebd., S. 202 f. Ebd., S. 321. Ebd., S. 204–303. Ebd., S. 232. Ebd., S. 236. Ebd., S. 272 f.
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and Partners entworfene Clyde Auditorium, das im Jahr 1997 seinen Betrieb aufgenommen habe.16 In seiner zweiten Fallstudie wendet sich Gerstung der wachsenden Bedeutung des Stadtmarketings zu.17 Bis in die 1980er hinein sei Glasgow in der britischen Öffentlichkeit mit wirtschaftlichem Niedergang, Arbeitslosigkeit und Kriminalität gleichgesetzt worden. Bei den Bemühungen der Stadtverwaltung, private Investoren und hochqualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, habe sich dies als großes Hindernis erwiesen. Deswegen habe für kommunale Politiker die Öffentlichkeitsarbeit eine immer wichtigere Rolle gespielt. Besonders hervorzuheben seien der Start der Werbekampagne »Glasgow’s Miles Better«18 im Jahr 1983 und der Titel der »Kulturstadt Europas«19 im Jahr 1990. Beides habe maßgeblich dazu beigetragen, das negative Image der Stadt zu überwinden. Zugleich sei die wirtschaftliche Bedeutung von Kunst, Kultur und Medien erkannt worden. Vor diesem Hintergrund habe sich in den 1990ern ein neues Selbstverständnis herausgebildet. Seitdem begreife sich Glasgow als »Kreative Stadt«20. Die Umbrüche in Glasgow und die in Hamburg verliefen nicht vollkommen gleichförmig. Während Thatchers Kurswechsel die Deindustrialisierung beschleunigte, stemmten sich ihr die westdeutschen Bundes- und Landespolitiker entgegen.21 So trugen die hohen Subventionen für den Flugzeugbau maßgeblich dazu bei, dass Hamburg seine industrielle Basis nicht vollständig verlor.22 Zudem hatten die anschwellenden Handelsströme zwischen Ostasien und Europa entgegengesetzte Folgen. Der Glasgower Hafen, der weit abseits der neuen Schifffahrtslinien lag, verschwand in der Bedeutungslosigkeit.23 Für den Hamburger Hafen begann ein beispielloser Boom.24 Aber letztlich überwiegen die Gemeinsamkeiten. Tobias Gerstungs Untersuchung ist deswegen ein deutlicher Hinweis darauf, dass in nordwesteuropäischen Hafenstädten nach 1970 ein Strukturbruch stattgefunden hat. Da zu wenige vergleichbare Studien vorliegen, kann die Frage, ob dies auch für andere europäische Großstädte gilt, nicht abschließend beantwortet werden.25 Dennoch ermöglicht der Blick auf einzelne prägende Bauten eine erste 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25
Ebd., S. 291. Ebd., S. 304–390. Ebd., S. 321. Ebd., S. 340. Ebd., S. 369. Ebd., S. 197–203. Zu den Unterschieden zwischen Großbritannien und Westdeutschland siehe: Lutz Raphael, Life Cycle and Industrial Work: West German and British Patterns in Times of Globalization, in: German Historical Institute London Bulletin 38 (2016) H. 2, S. 23–45. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 150–152 sowie Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 241–243. Gerstung, Stapellauf für ein neues Zeitalter, S. 161. Siehe Kapitel 1. Ausflaggung, Werftensterben, Containerisierung, S. 152–154 sowie Kapitel 1. Die neuen Cluster, S. 246–248. Lenger, Metropolen der Moderne, S. 19.
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Annäherung. Zu den Bauten, in denen die gesellschaftlichen Umbrüche ihren deutlichsten Ausdruck fanden, gehörten in Hamburg und in Glasgow 1. die Großsiedlungen, 2. die Umnutzung von Hafen- und Industriegebieten und 3. die spektakulären Kulturbauten. Wenn diese auch in anderen europäischen Städten von Bedeutung waren, so die Prämisse der folgenden Ausführungen, dann deutet das darauf hin, dass sich dort ähnliche Veränderungen vollzogen haben. Zu 1: Großsiedlungen zählten zu den wichtigsten Bauten des Booms.26 Von den 1950ern bis in die 1970er entstanden in westdeutschen Städten riesige neue Wohngebiete, unter anderem die Neue Vahr in Bremen, das Märkische Viertel in Westberlin und Neuperlach in München.27 Anfang der 1990er lebten in diesen Großsiedlungen zwei Millionen Menschen in 600.000 Wohnungen.28 Verwandte Entwicklungen lassen sich in anderen nordwesteuropäischen Ländern ausmachen. Im Umland schwedischer Großstädte wurden seit den 1950ern zahlreiche ABC-Städte gebaut. Seinen Höhepunkt erreichte dieser öffentlich geförderte Wohnungsbau mit dem 1965 aufgelegten Millionenprogramm, in dessen Folge mehr als 100.000 neue Wohnungen pro Jahr realisiert wurden.29 Auch in britischen Städten spielten staatliche Eingriffe während des Booms eine zentrale Rolle. Hier entstanden im Zuge der Slumsanierung zahlreiche Housing Estates. Diese innerstädtischen Hochhaussiedlungen bestimmten, neben den New Towns, den britischen Städtebau. Allein von 1955 bis 1975 wurden 440.000 Wohnungen in Hochhäusern errichtet.30 Übertroffen wurden die anderen nordwesteuropäischen Länder von Frankreich. Hier wurden besonders viele Großsiedlungen verwirklicht. Mit ihnen sollte die Wohnungsnot, die in den Barackensiedlungen der Stadtränder herrschte, der Vergangenheit angehören. Bereits 1965 gab es in Frankreich 200 Grand Ensembles, die jeweils mindestens 1.000 Wohnungen umfassten.31 Die Hälfte dieser Grand Ensembles befand sich rund um Paris. Zugleich rückte ab Mitte der 1960er die Planung von Villes Nouvelles mehr und mehr in den Mittelpunkt. Im Großraum Paris sollten insgesamt acht Trabantenstädte für jeweils 400.000 Bewohner entstehen.32 26 Zu Großsiedlungen siehe: Lenger, Metropolen der Moderne, S. 664–672; Christiane Reinecke, Laboratorien des Abstiegs? Eigendynamiken der Kritik und der schlechte Ruf zweier Großsiedlungen in Westdeutschland und Frankreich, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 44 (2013) H. 1, S. 25–34; Kraft, Editorial. Planung und Realität; Lampugnani, Die Stadt im 20. Jahrhundert, S. 697–719; Gert Kähler, Reisen bildet. Der Blick nach außen, in: Ingeborg Flagge (Hrsg.), Geschichte des Wohnens. 1945 bis heute. Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart 1999, S. 949–1036. 27 Themenschwerpunkt Planung und Realität. Strategien im Umgang mit den Großsiedlungen, in: Arch+ 44 (2011) H. 203. 28 Heike Liebmann / Werner Rietdorf, Großsiedlungen in Ostmitteleuropa zwischen Gestern und Morgen, in: Europa Regional 9 (2001) H. 2, S. 78–88, hier S. 79 f. 29 Kähler, Reisen bildet, S. 960. 30 Ebd., S. 977. 31 Lampugnani, Die Stadt im 20. Jahrhundert, S. 715. 32 Ebd.
Schluss
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Trotz aller Unterschiede, die zwischen den nordwesteuropäischen Ländern bestanden, lassen sich einige übergreifende Wesenszüge ausmachen. Für die Großsiedlungen spielten staatliche Interventionen in den Wohnungsmarkt eine zentrale Rolle. Mit ihnen sollte die Immobilienspekulation ein Ende finden. Sie waren durch die Arbeiterbewegung geprägt, sei es durch gewerkschaftliche Genossenschaften, sei es durch sozialdemokratisch geführte Regierungen. Sie fügten sich in den Ausbau des Sozialstaats ein. Ihre gut ausgestatteten Sozialwohnungen trugen maßgeblich dazu bei, die miserablen Lebensverhältnisse in den Gründerzeitvierteln, Slums und Bidonvilles zu überwinden. Sie standen unter dem Einfluss des modernen Städtebaus. Kennzeichnend waren Hochhäuser und eine strikte Funktionstrennung. Sie beruhten auf der Industrialisierung des Wohnungsbaus. Ihr Erscheinungsbild wurde durch riesige Betonplatten bestimmt. Und sie setzten das Wachstum der Wirtschaft voraus. Weil die Großsiedlungen fast ausschließlich aus Wohnungen bestanden, waren sie immer auf Industriegebiete und Büroviertel ausgerichtet, entweder auf bestehende oder auf neu zu schaffende. In den Großsiedlungen verdichteten sich die Merkmale, die während des Booms die nordwesteuropäischen Gesellschaften gekennzeichnet hatten, und ebenso wie die Gesellschaften insgesamt wurden nach dessen Ende auch die Großsiedlungen von tiefgreifenden Veränderungen erfasst. Der Neubau ganzer Stadtteile, der in den 1960ern und 1970ern seinen Höhepunkt erreicht hatte, fand keine Fortsetzung. In Westdeutschland wurde in den 1980ern außerhalb von Hamburg keine einzige neue Großsiedlung mehr verwirklicht.33 Zudem brach mit dem gewerkschaftseigenen Wohnungsbaukonzern Neue Heimat der wichtigste Bauherr in sich zusammen. In Schweden ging seit dem Wahlsieg der Konservativen im Jahr 1976 die Zahl der neugebauten Wohnungen kontinuierlich zurück. Im Jahr 1997 waren es nur noch knapp 11.000.34 In Großbritannien zog sich der Staat, nachdem Margaret Thatcher im Jahr 1979 die Wahlen gewonnen hatte, weitgehend aus dem Wohnungsbau zurück.35 Zudem begann die Tory-Regierung damit, den Bestand zu privatisieren. Das Right to Buy sollte den Mietern ermöglichen, die eigene Sozialwohnung zu kaufen und sich in Eigentümer zu verwandeln. Schließlich scheiterten in Frankreich die großangelegten Planungen für die Villes Nouvelles. Statt für 3,2 Millionen entstanden nur Wohnungen für eine Million Menschen.36 Dass der Neubau von Großsiedlungen in den 1980ern und 1990ern fast vollständig eingestellt wurde, war Ausdruck umfassender gesellschaftlicher Umbrüche. Der Staat überließ 33 Johann Jessen, Großsiedlung – West, in: Hartmut Häußermann (Hrsg.), Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen 20002, S. 104–115, hier S. 104. 34 Kähler, Reisen bildet, S. 963. 35 Maren Harnack, Vom Wohnen für alle zur Notlösung für Arme: Kommunaler Wohnungsbau in London nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 44 (2013) H. 1, S. 60–72. 36 Lampugnani, Die Stadt im 20. Jahrhundert, S. 715.
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den Wohnungsbau wieder dem Markt, die Arbeiterbewegung verlor dramatisch an Einfluss, der Sozialstaat wurde nicht länger ausgebaut und die Architekten wandten sich von Sozialwohnungen, Betonplatten und Funktionstrennung, und damit von der Moderne, ab. Gleichzeitig setzte der Niedergang der bestehenden Großsiedlungen ein. Während des Booms hatten in ihnen vor allem einfache Angestellte und Facharbeiter gelebt. Sie waren Wohnviertel der unteren Mittelschicht. Seit den 1970ern begann sich dies zu ändern. Gerade in den Großsiedlungen zeigten sich die Folgen der Deindustrialisierung. Hier konzentrierten sich Arbeitslosigkeit, Verarmung und Perspektivlosigkeit. Während ungelernte Arbeiter, unter ihnen viele Migranten, in die Großsiedlungen zogen, wanderten Familien aus der Mittelschicht in andere Stadtteile ab. Mit besonderer Deutlichkeit zeigte sich diese Krise der nordwesteuropäischen Großsiedlungen in den französischen Banlieues, in denen es seit den frühen 1980ern immer wieder zu massiven Unruhen kam.37 Zwar verwandelten sich längst nicht alle Großsiedlungen in soziale Brennpunkte. Aber gerade die sozialen Brennpunkte bestimmten nun die öffentliche Wahrnehmung. Aus Modellen für die Zukunft waren gescheiterte Stadtviertel geworden. Trotz der enormen Bedeutung, die Großsiedlungen für Nordwesteuropa hatten, lag ihr eigentlicher Schwerpunkt in den sozialistischen Ländern Mittelund Osteuropas. Gegen Ende der 1980er wohnten in der DDR 25 Prozent, in Rumänien 26 Prozent, in Ungarn 29 Prozent und in Polen 35 Prozent der Bevölkerung in Plattenbauten.38 Insgesamt lebten in den Großsiedlungen ost- und mitteleuropäischer Städte mehr als 34 Millionen Menschen in etwa elf Millionen Wohnungen, unter anderem in Leipzig-Grünau, Warschau-Bemowo, Bratislava-Petrzalka, Prag-Repy, Budapest-Csepel und Bukarest-Drumul-Taberei.39 Die Großsiedlungen der sozialistischen Städte wiesen große Ähnlichkeiten mit ihren westlichen Pendants auf. Auch sie beruhten auf der industriellen Massenproduktion von Betonplatten, der strikten Trennung von Wohnen und Arbeiten und dem Ziel, die Lebensverhältnisse von weiten Teilen der Bevölkerung zu verbessern. Darüber hinaus lag der Schwerpunkt der Bautätigkeit ebenfalls in den 1960ern und 1970ern. Dennoch lässt sich ein entscheidender Unterschied ausmachen. Das Ausmaß staatlichen Handelns ging weit über das in Nordwesteuropa hinaus. Den öffentlichen Eingriffen in den bestehenden Wohnungsmarkt stand eine zentralistische Planung des gesamten Bauwesens gegenüber. 37 Zu den Unruhen in den Banlieues siehe: Robert Castel, Negative Diskriminierung. Jugendrevolten in den Pariser Banlieues, Hamburg 2009; François Dubet / Didier Lapeyronnie, Im Aus der Vorstädte. Der Zerfall der demokratischen Gesellschaft, Stuttgart 1994. 38 Christine Hannemann, Großsiedlung – Ost, in: Hartmut Häußermann (Hrsg.), Großstadt. Soziologische Stichworte, Opladen 20002, S. 91–103, hier S. 97; Liebermann / R ietdorf, Großsiedlungen in Ostmitteleuropa, S. 80. 39 Liebmann / R ietdorf, Großsiedlungen in Ostmitteleuropa, S. 79 f.
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Neben der erheblich höheren Zahl an Großsiedlungen zeigte sich dies darin, dass deren Bau auch in den 1980ern fortgesetzt wurde. Im Unterschied zu nordwesteuropäischen Städten gab es keine gesellschaftlichen Kräfte, die auf eine Neuausrichtung hätten hinwirken können. So umfassend die zentralistische Planung bis 1989 war, so umfassend war danach der Bruch. Innerhalb weniger Jahre zogen sich die ehemals sozialistischen Staaten fast vollständig aus dem Wohnungsbau zurück. Bis Mitte der 1990er sank die Zahl der pro Jahr fertiggestellten Wohnungen in Polen, Ungarn und Rumänien um 60 bis 80 Prozent.40 Zudem wurde der staatliche Wohnungsbestand privatisiert. Im Jahr 1999 lag die Wohneigentumsquote in Rumänien bei 94,6 Prozent.41 Zwar prägte nach wie vor eine breite soziale Mischung den Alltag, doch in einzelnen Großsiedlungen häufte sich der Leerstand. Vor allem die sozialistischen Planstädte waren betroffen. Zusammen mit den zentralen Industriebetrieben begannen die Städte zu schrumpfen. Der Niedergang der Planstädte erfasste auch Eisenhüttenstadt. Von 1989 bis 2004 ging in dem dortigen Stahlwerk die Zahl der Beschäftigten von 12.000 auf 3.000 zurück.42 Zugleich sank die Zahl der Einwohner von 52.000 auf 38.000.43 Vor diesem Hintergrund begann die Stadt damit, unbewohnte Plattenbauten abzureißen. Im Vergleich dazu spielten Großsiedlungen in Südeuropa nur eine untergeordnete Rolle. Aber auch in diesem Teil des Kontinents haben sie ihre Spuren hinterlassen, insbesondere in Italien. Nicht nur die informellen Siedlungen an den Rändern der Städte, sondern auch der soziale Wohnungsbau prägte dort die ersten Nachkriegsjahrzehnte. Zu den wichtigsten Großsiedlungen, die in dieser Zeit entstanden, gehörten Quartiere INA-Casa di Forte Quezzi in Genua, Nuovo Corviale in Rom, Zona Espansione Nord in Palermo und Vele di Scampia in Neapel.44 Von 1962 bis 1975 wurde im Norden Neapels der neue Stadtteil errichtet. Zeitweise wohnten bis zu 70.000 Menschen in sieben riesigen Hochhäusern.45 Diese Hochhäuser, die in den 1960ern als vorbildlich galten, waren wenige Jahrzehnte später zum Inbegriff von Verarmung und Perspektivlosigkeit geworden. In dem Buch »Gomorrha«, das Roberto Saviano im Jahr 2006 veröffentlichte, stellten sie zentrale Schauplätze von Drogenhandel und blutigen Auseinandersetzungen dar.46 In ihnen zeigt sich das Scheitern der europäischen Großsiedlungen in besonders drastischer Weise.
40 Ebd., S. 82 f. 41 Ebd., S. 82. 42 Dagmara Jajeśniak-Quast, Die sozialistische Planstadt Eisenhüttenstadt im Vergleich mit Nowa Hutta und Ostrava-Kunčice, in: Thomas M. Bohn (Hrsg.), Von der »europäischen Stadt« zur »sozialistischen Stadt« und zurück? Urbane Transformationen im östlichen Europa des 20. Jahrhunderts, München 2009, S. 99–113, hier S. 110. 43 Ebd. 44 Diane Ghirardo, Italy, London 2013, S. 136–170. 45 Ebd., S. 163. 46 Roberto Saviano, Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra, München 2007.
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Zu 2: Gerade die Umnutzung von Hafen- und Industriegebieten verweist auf einen tiefen Einschnitt.47 Noch in den 1960ern bestimmten gewaltige Hafenanlagen und Industriebetriebe die Zentren nordwesteuropäischer Hafenstädte. Jeden Morgen strömten Hunderttausende von Arbeitern auf die Kais und in die Werften. Doch im Laufe der 1970er und 1980er beschleunigten sich die wirtschaftlichen Umbrüche. Vor allem zwei Veränderungen waren entscheidend. Zum einen verdrängte die Containerisierung den konventionellen Umschlag. Während außerhalb der Städte neue Containerterminals gebaut wurden, verloren die innerstädtischen Stückguthäfen ihre einstige Bedeutung. Zum anderen verlagerten sich weite Teile des Schiffbaus nach Ostasien. Da die hiesigen Großwerften der Konkurrenz aus Japan, Südkorea und China nicht gewachsen waren, musste eine nach der anderen abgewickelt werden. Darüber hinaus erfasste der Niedergang auch andere Industriebranchen. Angesichts dessen weiteten sich in den Stadtzentren die Brachflächen aus. Dies ging mit massiven sozialen Verwerfungen einher. Arbeitslosigkeit und Verarmung griffen um sich. Zugleich gewannen, insbesondere in den 1990ern und 2000ern, andere Nutzungen an Einfluss. Im Zuge großangelegter Stadtentwicklungsprojekte wurden auf den Brachflächen zahlreiche Wohnhäuser, Parkanlagen, kulturelle Einrichtungen, Einkaufsmöglichkeiten und Bürobauten geschaffen. Neue Arbeitsplätze entstanden, in erster Linie für Hochqualifizierte. Zu den Vorreitern gehörten die britischen Hafenstädte. Bereits in den frühen 1980ern begann hier die Umnutzung von ehemaligen Hafen- und Industriegebieten. Besonders aufsehenerregend war der Wandel Londons.48 Über viele Jahrhunderte hatte der Londoner Hafen zu den wichtigsten der Welt gehört. Im East End, das im Zentrum der Stadt gelegen war, ballten sich die Docks, Werften, Fabriken, Kneipen und Arbeiterwohnungen. Noch im Jahr 1964 liefen hier wöchentlich fünfhundert Schiffe ein.49 Zu diesem Zeitpunkt hatte der Stadtteil seine besten Tage bereits hinter sich. Allein zwischen 1961 und 1971 gingen 80.000 Arbeitsplätze verloren.50 Auch danach setzte sich der Abstieg fort. Da die neuen Containerterminals flussabwärts entstanden, versanken die 47 Zur Umnutzung von Hafen- und Industriegebieten siehe: Christoph Bernhardt, Stadt am Wasser, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 34 (2003) H. 2, S. 4–13; Schubert (Hrsg.), Hafen- und Uferzonen im Wandel; Han Meyer, City and Port, Rotterdam 1999; Axel Priebs, Hafen und Stadt. Nutzungswandel und Revitalisierung alter Häfen. Herausforderungen für Stadtentwicklung und Stadtgeographie, in: Geographische Zeitschrift 86 (1998) H. 1, S. 16–30; Hartmut Häußermann / Walter Siebel (Hrsg.), Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen 1993. 48 Zu den Londoner Docklands siehe: Dirk Schubert, Vom Traum zum Alptraum? Von den Docks zu den Docklands – Strukturwandel und Umbau der ehemaligen Hafenareale in London, in: ders. (Hrsg.), Hafen- und Uferzonen im Wandel. Analysen und Planungen zur Revitalisierung der Waterfront in Hafenstädten, Berlin 2001, S. 195–218; Stephanie Williams, Docklands, London 1993; Brian Edwards, London Docklands. Urban Design in an Age of Deregulation, Oxford 1992. 49 Schubert, Vom Traum zum Alptraum?, S. 196. 50 Ebd.
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innerstädtischen Hafenanlagen in der Bedeutungslosigkeit. Anfang der 1980er stellten sie ihren Betrieb ein. Außerdem wurden die letzten verbliebenen Fabriken stillgelegt. Zusammen mit den Brachflächen breiteten sich Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit aus. Kurz nachdem Margaret Thatcher die Regierung übernommen hatte, rückten die Brachflächen des East Ends in den Mittelpunkt der britischen Wirtschaftspolitik. Schon im Jahr 1981 nahm die London Docklands Development Corporation ihre Arbeit auf. Insgesamt umfasste das Planungsgebiet eine Fläche von 22 Quadratkilometern.51 In den folgenden Jahrzehnten errichteten private Investoren dort eine Vielzahl neuer Bürobauten, darunter die Hochhäuser des Business Districts Canary Wharf, in die Investmentbanken wie HSBC , Citigroup, Barclays, JP Morgan Chase, Credit Swisse und Morgan Stanley einzogen. Nicht mehr Hafenarbeiter, sondern Investmentbanker bestimmten nun den Stadtteil. Die Londoner Docklands sind das spektakulärste Beispiel für die Umnutzung innerstädtischer Hafen- und Industriegebiete. Zugleich sind sie nur eines unter vielen anderen. Seit den 1980ern wurden in den meisten nordwesteuropäischen Hafenstädten ähnliche Stadtentwicklungsprojekte verwirklicht, unter anderem in Liverpool, Glasgow, Dublin, Oslo, Göteborg, Kopenhagen, Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen.52 Ähnliche Umbrüche lassen sich seit den 1990ern auch in südeuropäischen Hafenstädten beobachten, vor allem in Barcelona. Hier setzten die Politiker die Olympischen Sommerspiele des Jahres 1992 als Hebel ein, mit dem sie eine umfassende Stadterneuerung verwirklichten.53 Besonders deutlich zeigte sich dies in dem Stadtteil Poblenou. Nachdem Barcelona zu einem Zentrum des Baumwollhandels aufgestiegen war, hatten sich dort zahlreiche Textilfabriken angesiedelt. Bis in die 1970er hinein bestimmte die Industrie den Stadtteil. Danach begann der Niedergang. Vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung, große Teile des Olympischen Dorfs in Poblenou zu bauen. An die Stelle der leerstehenden Fabrikhallen traten zu Beginn der 1990er Unterkünfte für Sportler und ausgedehnte Parkanlagen. Nach Ende der Olympiade wurden diese Unterkünfte in Wohngebäude für die gehobene Mittelschicht und in Büroräume umgewandelt. Damit fügten sie sich in eine grundsätzliche wirtschaftliche Neuausrichtung ein. Während die alten Hafenanlagen und Industriebauten aus dem Zentrum der Stadt verschwanden, rückten Dienstleistungen, Kultur und Tourismus in den Mittelpunkt. Zugleich wurde die städtische Unterschicht mehr und mehr aus 51 Ebd., S. 198. 52 Brian Doucet, Rich Cities with Poor People. Waterfront Regeneration in the Netherlands and Scotland, Utrecht 2010; Schubert (Hrsg.), Hafen und Uferzonen im Wandel; Priebs, Hafen- und Stadt. 53 Zu den Olympischen Sommerspielen 1992 in Barcelona siehe: Meyer, City and Port, S. 113–180; Soledad Garcia, Barcelona und die Olympischen Spiele, in: Hartmut Häußermann / Walter Siebel (Hrsg.), Festivalisierung der Stadtpolitik. Stadtentwicklung durch große Projekte, Opladen 1993, S. 251–277.
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den zentralen Vierteln Barcelonas verdrängt. Vergleichbare Stadtentwicklungsprojekte finden sich auch in anderen südeuropäischen Hafenstädten. Zu nennen sind die Expo 92 in Genua, Euroméditerranée in Marseille, Abandoibarra in Bilbao und die Expo 98 in Lissabon.54 In deutlichem Kontrast dazu spielten entsprechende Vorhaben in Osteuropa lange Zeit kaum eine Rolle. Doch in den 2000ern zeichneten sich auch dort erste Ansätze ab, so in Danzig, wo auf dem ehemaligen Gelände der Lenin-Werft ein neuer Stadtteil für Büros, Wohnungen und kulturelle Einrichtungen entstehen soll.55 Die Umnutzung von zentral gelegenen Hafen- und Industriegebieten verweist darauf, dass sich die europäischen Hafenstädte in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert haben. Nicht mehr Industrie, sondern Dienstleistungen bestimmen nun deren Entwicklung. Zudem lassen sich diese Neuordnungen als Sonderfall eines allgemeineren Umbruchs fassen. In vielen anderen europäischen Städten hat die Industrie ebenfalls drastisch an Bedeutung verloren, insbesondere in den Regionen, die durch Kohlebergbau und Stahlindustrie gekennzeichnet waren. Dies verdeutlichen die Umbrüche im Ruhrgebiet. Die Zechen und Hochöfen, auf die bis in die 1960er hinein das Arbeiten und Leben ausgerichtet war, stellten in den folgenden Jahrzehnten weitgehend den Betrieb ein. Gegen Ende der 1980er hatten sich zahlreiche Industriebrachen ausgebreitet. Diesen ungenutzten Flächen wandte sich die Internationale Bauausstellung Emscher Park zu, die von 1989 bis 1999 im nördlichen Ruhrgebiet stattfand. Teil der Bauausstellung war die Route der Industriekultur, die allein 25 Ankerpunkte umfasste.56 Einer dieser Ankerpunkte war die Zeche Zollverein in Essen. In den Bauten des Steinkohlebergwerks, das im Jahr 1986 stillgelegt wurde, befinden sich mittlerweile mehrere Museen, Restaurants und Cafés. Gleichzeitig stellt die Route der Industriekultur nur eines von zahlreichen weiteren großangelegten Vorhaben dar. So treibt die Stadt Dortmund seit dem Jahr 2001 die Umnutzung des ehemaligen Betriebsgeländes des Phoenix-Stahlwerks
54 Zur Umnutzung von Hafen- und Industriegebieten in südeuropäischen Städten siehe. H. V. Savitch u. a., Marseille. France’s Great Port City Comes Back from the Brink, in: Fritz Wagner u. a. (Hrsg.), Transforming Distressed Global Communities, Farnham 2015, S. 31–50; Richard Marshall (Hrsg.), Waterfronts in Postindustrial Cities, London 2001; Peter Weber / Michael Schott, Lissabon. Stadtentwicklung zur Wasserfront, in: Europa Regional 9 (2001) H. 1, S. 16–25. 55 Zur Umnutzung von Hafen- und Industriegebieten in Danzig siehe: Alexander Tölle, Quartiersentwicklung an innerstädtischen Uferzonen. Die Beispiele Hamburg Hafencity, Lyon Confluence und Gdańsk Mlode Miasto, Berlin 2005, S. 195–216. 56 Zur Industriekultur im Ruhrgebiet siehe: Gerhard Kaldewei, Themenschwerpunkt Industriekultur, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 39 (2008) H. 1, S. 5–9; Kai-William Boldt / Martina Gelhar, Das Ruhrgebiet. Landschaft, Industrie, Kultur, Darmstadt 2008; Angelika Schwarz (Hrsg.), Industriekultur, Image, Identität. Die Zeche Zollverein und der Wandel in den Köpfen, Essen 2008; Andrea Höber / Karl Ganser (Hrsg.), Industriekultur. Mythos und Moderne im Ruhrgebiet. Im Rahmen der IBA Emscher Park, Essen 1999.
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voran.57 Auf einer mehr als 200 Hektar großen Fläche entstehen ein HightechZentrum für IT-Unternehmen, ein Stadtteil mit Bürogebäuden, kulturellen Einrichtungen und Wohnhäusern sowie ein großer See. Auch im Ruhrgebiet, das über mehr als ein Jahrhundert durch Kohle und Stahl geprägt war, rücken heute Wissen und Kultur in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung. Zu 3: In den 1980ern setzte ein beispielloser Boom spektakulärer Kultur bauten ein.58 In zahlreichen europäischen Städten entstanden neue Museen, Opernhäuser und Konzerthallen. Obwohl jede dieser Bauten für sich in Anspruch nahm, herausragend zu sein, kann eine Reihe gemeinsamer Merkmale ausgemacht werden, gerade im Vergleich zu den 1960ern. Statt der Autonomie der Kunst stellte nun deren wirtschaftspolitische Instrumentalisierung den zentralen Ausgangspunkt dar. Die neuen Kulturbauten sollten den Städten ein attraktives Image verleihen und so dazu beitragen, Hochqualifizierte und Kreative anzuziehen. Zu diesem Zweck waren die Politiker bereit, hohe Subventionen zu zahlen. Demgegenüber kam der Ansiedlung von industriellen Großbetrieben keine große Bedeutung mehr zu. Diese wirtschaftspolitische Neuausrichtung fand in der architektonischen Gestaltung ihre Entsprechung. Global tätige Stararchitekten entwarfen aufsehenerregende Formen, welche die Städte unverwechselbar machen sollten. Dass sie ihre komplexen Entwürfe überhaupt verwirklichen konnten, verdankten sie dem Einsatz von Computer Aided Design. Der Einsatz von Computertechnologie hatte die Industrialisierung des Bauwesens abgelöst. Und auch in einer weiteren Hinsicht unterschieden sich die Stararchitekten von den Architekten der Nachkriegsmoderne. Für sie stellten Repräsentationsbauten, und nicht länger der soziale Wohnungsbau, die zentrale Bauaufgabe dar. Kurz: Die spektakulären Kulturbauten lassen sich als Inbegriff der neuen gesellschaftlichen Ordnung fassen. In ihnen zeigten sich mit der Kulturalisierung der Ökonomie, der Digitalisierung der Architektur und der Abkehr von den Problemen der einfachen Bevölkerung einige der grundlegenden Charakteristika, welche die europäischen Städte in den 1990ern und 2000ern kennzeichneten. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung mit dem Guggenheim Museum Bilbao, das im Jahr 1997 eröffnete.59 Nicht Hafen, Schiffbau und Stahlindustrie,
57 Andreas Keil / Burkhard Wetterau, Metropole Ruhr. Landeskundliche Betrachtungen des neuen Ruhrgebiets, Essen 2013, S. 30. 58 Zum Boom spektakulärer Kulturbauten in europäischen Städten siehe: Celina Kress u. a., Spektakel, Allheilmittel, Forschungsfeld: Perspektiven auf »Urban Icons«, in: Informationen zur modernen Stadtgeschichte 42 (2011) H. 2, S. 7–16; Andreas Reckwitz, Die Selbstkulturalisierung der Stadt. Zur Transformation moderner Urbanität in der »Creative City«, in: Mittelweg 36, 18 (2009) H. 2, S. 2–34; Heßler / Zimmermann (Hrsg.), Creative Urban Milieus. 59 Zum Guggenheim Museum Bilbao siehe: Frank Roost, Symbole des Strukturwandels von Metropolregionen: Leuchtturmprojekte in Bilbao und dem Ruhrgebiet, in: Informa tionen zur modernen Stadtgeschichte 42 (2011) H. 2, S. 69–82; Marshall (Hrsg.), Water-
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sondern Dienstleistung, Kultur und Tourismus sollten zukünftig den wirtschaftlichen Erfolg der Stadt gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen, entschieden sich die Politiker dafür, Subventionen in Höhe von 170 Millionen US -Dollar zu zahlen.60 Darüber hinaus sicherten sie weitere jährliche Zuschüsse zu. Damit konnten sie das New Yorker Guggenheim Museum, das sich gerade in einen global tätigen Museumskonzern verwandelte, dafür gewinnen, eine seiner neuen Zweigstellen in der bis dahin eher unscheinbaren baskischen Hafenstadt zu errichten. Die eindrucksvolle Gestalt des neuen Guggenheim-Museums, die der Stararchitekt Frank O. Gehry mit Hilfe des Computer Aided Designs realisierte, trug in den folgenden Jahren maßgeblich dazu bei, das Image Bilbaos zu verändern, von einer grauen Industriestadt zu einer Metropole der Zukunft. Immer häufiger war nun vom Bilbao-Effekt die Rede. Ohne Zweifel war das Guggenheim Museum Bilbao der meist beachtete Museumsbau der letzten Jahrzehnte. Dennoch lässt auch er sich in die lange Reihe spektakulärer Kulturbauten einordnen, die in den 1990ern und 2000ern in europäischen Städten errichtet wurden. Zu den neuen Museen, Opernhäusern und Konzerthallen, die sich gerade in ihrer Unverwechselbarkeit glichen, gehörten das Centro Cultural de Belém in Lissabon, das Museu d’Art Contemporari in Barcelona, der Neubau der Tate Modern in London, das Imperial War Museum in Manchester, das MAXXI in Rom, das Musée de Confluences in Lyon, das Operahuset in Oslo, das Riverside Museum in Glasgow, der Neubau des EYE Film Instituut Nederland in Amsterdam und das letztlich nicht verwirklichte Vilnius Guggenheim Hermitage Museum.61 Dabei blieb die Bautätigkeit nicht auf niedergehende Hafen- und Industriestädte beschränkt. Auch in Autostädten wie Wolfsburg finden sich mittlerweile aufsehenerregende Kulturbauten.62 Unmittelbarer Auslöser war dort die Krise, in welche die Volkswagen AG Anfang der 1990er geriet. In der Folge strebten die lokalen Politiker an, die einseitige Abhängigkeit der Stadt von der Automobilindustrie zu verringern. Unter anderem sollte ein Science Center Touristen nach Wolfsburg locken. Im Jahr 2005 wurde das neue Ausstellungshaus eröffnet. Gestaltet hatte es die Stararchitektin Zaha Hadid. fronts in Postindustrial Cities; Kerstin Meyer, »El Guggi« und »Los Fosteritos«. Die Revitalisierung von Hafen- und Industriebrachen im Großraum Bilbao, in: Dirk Schubert (Hrsg.), Hafen und Uferzonen im Wandel. Analysen und Planungen zur Revitalisierung der Waterfront in Hafenstädten, Berlin 2001, S. 295–318. 60 Alan Riding, A Gleeming New Guggenheim for a Grimmy Bilbao, in: New York Times, 24.6.1997, S. 9. 61 Zu neuen Museumsbauten in europäischen Städten siehe: Suzanne Greub / Thierry Greub (Hrsg.), Museen im 21. Jahrhundert. Ideen, Projekte, Bauten, München 2006; Vittorio Magnago Lampugnani / Angeli Sachs (Hrsg.), Museen für ein neues Jahrtausend. Ideen, Projekte, Bauten, München 1999; Victoria Newhouse, Wege zu einem neuen Museum. Museumsarchitektur im 20. Jahrhundert, Ostfildern-Ruit 1998. 62 Zur Autostadt Wolfsburg siehe: Annette Harth u. a., Stadt als Erlebnis: Wolfsburg. Zur stadtkulturellen Bedeutung von Großprojekten, Wiesbaden 2010.
Schluss
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Zusammengenommen sind das Scheitern der Großsiedlungen, die Umnutzung von Hafen- und Industriegebieten und der Boom spektakulärer Kulturbauten deutliche Hinweise darauf, dass sich seit den 1970ern die räumliche Ordnung der Arbeitswelt in europäischen Städten grundlegend gewandelt hat. Der Schwerpunkt der Veränderungen lag dabei in nordwesteuropäischen Städten. Vor allem hier überlagerten sich die verschiedenen Neuerungen. Zugleich spricht jedoch vieles dafür, dass sich auch in süd- und osteuropäischen Städten ein Strukturbruch vollzogen hat.
Bildteil
Abb. 1: Aufbauplan 1960
Abb. 2: Karte des Hafenerweiterungsgebietes 1960
Abb. 3: Querschnitt durch eine Hamburger Kaizunge 1965
Abb. 4: Querschnitt »Das Schiff löscht am Kai« 1962
Abb. 5: Einzelbild aus »Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters« 1966
Abb. 6: Fotografie einer Sicomat-Brennmaschine in der Schlieker-Werft 1960
Abb. 7: Karikatur »Automation – Risiko und Chance« 1965
Abb. 8: Spiegel-Magazinseite »Gefährliche Kiste« 1967
Abb. 9: Wirtschafts-Entwicklungsmodell für die Region Unterelbe 1972
Abb. 10: Titelseite »Der Trend zum Großschiff« 1968
Abb. 11: Planungsmodell des Tiefwasserhafens Scharhörn 1976
Abb. 12: Fotografie der Ost-West-Straße
Abb. 13: Fotomontage zum Unilever-Hochhaus 1966
Abb. 14: Fotografie des Schreibdienstes im Unilever-Hochhaus 1966
Abb. 15: Fotomontage zur City Nord 1962
Abb. 16: Karikatur »Fabrikation von Angestellten« 1962
Abb. 17: Fotografie des Rechenzentrums im Esso-Haus in der City Nord 1969
Abb. 18: Bucheinband »Ausbau der Universität« 1963
Abb. 19: Fotografie eines zerstörten Seminarraumes 1969
Abb. 20: Spiegel-Magazinseite über den Springer-Verlag 1967
Abb. 21: Entwicklungsmodell für Hamburg und sein Umland 1969
Abb. 22: Lageplan der Großsiedlung Osdorfer Born 1965
Abb. 23: Fotografie von Hochhäusern in der Großsiedlung Osdorfer Born 1971
Abb. 24: Lageplan des Einfamilienhausgebietes Niendorf-Nord 1974
Abb. 25: Fotografie eines Quelle-Fertighauses 1963
Abb. 26: Fotografie der Montage von Hochhäusern in der Großsiedlung Osdorfer Born 1971
Abb. 27: Grundriss einer Arbeitsküche mit Durchreiche 1956
Abb. 28: Fotografie einer Hausfrau in einer modernen Küche 1966
Abb. 29: Spiegel-Titelseite »Gammler in Deutschland« 1966
Abb. 30: Spiegel-Magazinseiten über den Wohnungsbau 1969
Abb. 31: Fotografie des Sanierungsgebietes Altona-Altstadt 1958
Abb. 32: Bucheinband »Neu-Altona« 1958
Abb. 33: Werbeanzeige der Theodor Zeise Spezialfabrik für Schiffsschrauben 1967
Abb. 34: Fotografie von Hafenarbeitern 1956
Abb. 35: Fotografie der Beatles 1962
Abb. 36: Fotomontage des Alsterzentrums 1966
Abb. 37: Modell für St. Pauli-Süd 1968
Abb. 38: Fotografien von Ausländer-Wohnheim 1964
Abb. 39: Fotografie der APO -Press-Kommune in St. Pauli
Abb. 40: Fotografie eines streikenden Seemannes 1972
Abb. 41: Fotografie von streikenden Seeleuten 1980
Abb. 42: Karte des Industriereviers Niederelbe 1974
Abb. 43: Fotografie von Demonstranten in Brokdorf 1976
Abb. 44: Karte der Nutzung des Hafengebietes 1976
Abb. 45: Hafengebietsplan 1982
Abb. 46: Fotografie von demonstrierenden HDW-Arbeitern 1983
Abb. 47: Karte der Hauptrelationen des Stückgut- und Containerverkehrs 1989
Abb. 48: Titelseite »Wohin wächst die Universität?« 1974
Abb. 49: Fotografie der Oberpostdirektion in der City Nord 1977
Abb. 50: Fotografie eines Großraumbüros der Hamburg-Mannheimer Versicherung 1975
Abb. 51: Titelseite »Rationalisierung in Zeitungs- und Zeitschriften-Druckereien« 1975
Abb. 52: Fotografie von demonstrierenden Druckern 1978
Abb. 53: Spiegel-Titelseite »Wird das Auto ausgesperrt?« 1973
Abb. 54: Fotografie der Galleria Passage 1983
Abb. 55: Modell der Medienskyline 1985
Abb. 56: Lageplan des Verlagsgebäudes von Gruner + Jahr 1986
Abb. 57: Zeichnung eines Flures im Verlagsgebäude von Gruner + Jahr 1986
Abb. 58: Testentwurf für Wohnquartier in Billwerder-Allermöhe 1974
Abb. 59: Fotografie eines Gartenhofhauses der »Hamburg Bau ’78«
Abb. 60: Fotografie eines kochenden Mannes mit Kleinkind 1977
Abb. 61: Spiegel-Titelseite »Die fetten Jahre sind vorbei« 1980
Abb. 62: Karte der Engpässe im Straßennetz 1980
Abb. 63: Übersichtsplan des Wohngebietes Allermöhe 1988
Abb. 64: Titelseite zu Großsiedlung Mümmelmannsberg 1985
Abb. 65: Fotografie der GAL -Frauenfraktion 1986
Abb. 66: Skizze des Modellprojektes Unternehmen Mottenburg 1975
Abb. 67: Karte der Gebäudenutzung in Ottensen 1975
Abb. 68: Fotografie der leerstehenden Zeise-Fabrik 1981
Abb. 69: Karte der Ausländer in Konzentrationsgebieten 1976
Abb. 70: Fotografie eines türkischen Lebensmittelgeschäftes in Ottensen 1975
Abb. 71: Bucheinband »Dörfer wachsen in der Stadt« 1980 (Vorderseite)
Abb. 72: Bucheinband »Dörfer wachsen in der Stadt« 1980 (Rückseite)
Abb. 73: Fotografie des Zack-Wandbildes der Hafenstraße 1984
Abb. 74: Testentwurf für städtebaulichen Wettbewerb zum Hafenrand 1983
Abb. 75: Fotografie des Restaurants Eisenstein in den Zeise-Hallen 1988
Abb. 76: Karte des Hinterlandnetzwerkes der HHLA 2007
Abb. 77: Illustration »Hafen Hamburg online« 1997
Abb. 78: Schaubild des Arbeitsablaufes auf dem Containerterminal Altenwerder
Abb. 79: Fotografie des Empfangsgebäudes der Lufthansa Technik 2000
Abb. 80: Fotografie der Europazentrale von China Shipping in der Hafencity
Abb. 81: Spiegel-Titelseite »Exportweltmeister von Arbeitsplätzen« 2004
Abb. 82: Fotomontage im Geschäftsbericht der HSH Nordbank 2007
Abb. 83: Spiegel-Magazinseite »Sieg der Straße« 2007
Abb. 84: Karte der Flächennutzung im Hafen 2005
Abb. 85: Karte der Nutzung der Hafencity 2000
Abb. 86: Fotografie von Karstadt Sport in der Mönckebergstraße 1999
Abb. 87: Spiegel-Titelseite »Die teure Billig-Uni« 2004
Abb. 88: AStA-Broschüre über Studentenproteste 2002
Abb. 89: Titelseite »Hafencity Hamburg. Die aktuellen Projekte« 2003
Abb. 90: Computermodell der Elbphilharmonie 2007
Abb. 91: Lageplan des Unilever-Hauses in der Hafencity 2011
Abb. 92: Fotografie eines Meetingpoints im Unilever-Haus 2010
Abb. 93: Leitplan des »Räumlichen Leitbildes« 2007
Abb. 94: Fotografie von Kai Diekmann im Silicon Valley 2013
Abb. 95: Karte des Landkreises Pinneberg 1963 (Ausschnitt)
Abb. 96: Karte des Landkreises Pinneberg 1994 (Ausschnitt)
Abb. 97: Stern-Titelseite »Traumhaus« 1996
Abb. 98: Fotografie einer berufstätigen Mutter 2002
Abb. 99: Fotomontage eines Paares in einer offenen Küche 2000
Abb. 100: Luftbild des Französischen Viertels in Tübingen 2002
Abb. 101: Lageplan von Neu-Allermöhe West 1991
Abb. 102: Einzelbild aus Spiegel-TV-Reportage über die Doppel-H-Gang 2008
Abb. 103: Fotografie des Marco Polo Towers in der Hafencity 2010
Abb. 104: Konzeptskizze für den Marco Polo Tower 2010
Abb. 105: Fotografie von protestierenden Mietern der GAGFAH in Wilhelmsburg 2011
Abb. 106: Fotografie aus dem Geschäftsbericht von Kabel New Media 2000
Abb. 107: Fotomontage über das Transmontana im Schanzenviertel 2001
Abb. 108: Fotografie der Wohngemeinschaft Jung und Alt 1989
Abb. 109: Computermodell des Bavaria-Quartiers in St. Pauli 2003
Abb. 110: Fotografie des Gängeviertels 2011
Abb. 111: Collage aus dem Gutachten »Kreative Milieus und offene Räume« 2010
Abb. 112: Karte der kreativen Milieus 2010
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Autor und Verlag danken für die Überlassung von Bildvorlagen und die Erteilung von Publikationsgenehmigungen. Der Autor hat sich entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechts bemüht, die Abdruckgenehmigungen bei den Rechteinhabern einzuholen. Nicht in allen Fällen ist es gelungen, den Kontakt zu den Rechteinhabern aufzunehmen. Wir bitten deshalb gegebenenfalls um Mitteilung. Abb. 1: Staatsarchiv Hamburg (Unabhängige Kommission für den Aufbauplan der Freien und Hansestadt Hamburg, Stellungnahme zum Aufbauplan 1960 der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1967, Abbildung 1.); Abb. 2: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Grundlagen für den künftigen Ausbau des Hafens Hamburg, Hamburg 1960, Anlage 2); Abb. 3: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg 1945 bis 1965. Zwanzig Jahre Aufbau und Entwicklung, Hamburg 1965, S. 50 f.); Abb. 4: Friedrich Böer (Friedrich Böer, Alles über ein Schiff. Eine kleine Schiffskunde, Freiburg 1962, S. 60 f.); Abb. 5: bpk, S. Fischer Stiftung, Leonore Mau (Der Tag eines unständigen Hafenarbeiters, R: Hubert Fichte / Leonore Mau, BRD 1966, TC: 00:03:47.); Abb. 6: Schiffahrts-Verlag Hansa (Joseph Hermann van Riet, Der Aufbau der Schlieker Werft, in: Hansa. Zeitschrift für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen 97 (1960) H. 25/26, S. 1253–1257, hier S. 1256.); Abb. 7: Oswald Meichsner (Günter Friedrichs (Hrsg.), Automation. Risiko und Chance. Beiträge zur zweiten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall, Bd. 2, Frankfurt am Main 1965, S. 644 f.); Abb. 8: Der Spiegel 53/1967 (Gefährliche Kiste, in: Der Spiegel, 25.12.1967, S. 26–27, hier S. 26.); Abb. 9: Staatsarchiv Hamburg (Helmuth Kern, Ein Modell für die wirtschaftliche Entwicklung der Region Unterelbe, Hamburg 19722, Anlage.); Abb. 10: Blohm + Voss (Blohm + Voss, Der Trend zum Großschiff, Hamburg 1968, Titelblatt.); Abb. 11: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen. Entwicklungsplan, Hamburg 1976, Anlage.); Abb. 12: Hamburgisches Architekturarchiv (Olaf Bartels, Werner Hebebrand (1899–1966) und der Mythos der »Stunde Null«, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2009, Hamburg 2009, S. 194–205, hier S. 204.); Abb. 13: Unilever Deutschland (Otto Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg, München 1966, S. 14.); Abb. 14: Unilever Deutschland (Otto Jungnickel, Unilever-Haus Hamburg, München 1966, S. 128.); Abb. 15: Staatsarchiv Hamburg (Senat Hamburg, Hamburgs neue Geschäftsstadt am Stadtpark, Hamburg 1962, S. 26.); Abb. 16: Der Spiegel 26/1962 (Weiße Kragen,
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in: Der Spiegel, 27.6.1962, S. 24–34, hier S. 26.); Abb. 17: Staatsarchiv Hamburg, Esso Deutschland (Esso A. G., Das Esso-Haus, Hamburg 1969, S. 18 f.); Abb. 18: Staatsarchiv Hamburg (Hans von Heppe, Erfahrungen beim Aufbau und Ausbau der Universität Hamburg, Hamburg 1963, Bucheinband); Abb. 19: Der Spiegel 26/1969 (Mit dem Latein am Ende, in: Der Spiegel, 23.6.1969, S. 38–58, hier S. 58.); Abb. 20: Der Spiegel 40/1967 (Stimmen verstummt, in: Der Spiegel, 25.9.1967, S. 36–57, hier S. 52.); Abb. 21: Staatsarchiv Hamburg (Staatliche Pressestelle Hamburg, Für Hamburgs Zukunft. Ansprache von Bürgermeister Professor Dr. Weichmann vor der Bürgerschaft bei der Bekanntgabe des Entwicklungsmodells am 2. Juli 1969, Hamburg 1969, Anhang.); Abb. 22: Hamburgisches Architekturarchiv, Diether Haas (Diether Haas, Grosswohnanlage Osdorfer Born, in: Neue Heimat. Monatshefte für neuzeitlichen Wohnungsbau 12 (1965) H. 2, S. 1–13, hier S. 5.); Abb. 23: Hans Meyer-Veden (Hamburg: Osdorfer Born, in: Bauwelt 62 (1971) H. 22, S. 934–936, hier S. 934.); Abb. 24: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Untersuchungsreihe Siedlungsform und Verhalten. Untersuchungsgebiet 5: Niendorf-Nord, Hamburg 1974, S. 3.); Abb. 25: Gruner + Jahr (Lotte Tiedemann, Menschlich wohnen, in: Nannen-Verlag (Hrsg.), Fertighaus 63, Hamburg 1963, S. 180–209, hier S. 196.); Abb. 26: Hans Meyer-Veden (Hamburg: Osdorfer Born, in: Bauwelt 62 (1971) H. 22, S. 934–936, hier S. 936.); Abb. 27: Hamburgisches Architekturarchiv (Lotte Tiedemann, In der Küche essen? Vorschläge für Küche und Eßplatz in der Wohnung, in: Neue Heimat. Monatshefte für neuzeitlichen Wohnungsbau 3 (1956) H. 4/5, S. 32–40, hier S. 33.); Abb. 28: Der Spiegel 52/1966 (Grete im Wunderland, in: Der Spiegel, 19.12.1966, S. 42–55, hier S. 44.); Abb. 29: Der Spiegel 39/1966 (Schalom aleichem, in: Der Spiegel, 19.9.1966, Titelseite.); Abb. 30: Der Spiegel 6/1969 (Es bröckelt, in: Der Spiegel, 3.2.1969, S. 38–63, hier S. 38 f.); Abb. 31: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Neu-Altona. Planung zum Aufbau und zur Sanierung eines kriegszerstörten Stadtkerngebietes in der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1958, S. 10.); Abb. 32: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Neu-Altona. Planung zum Aufbau und zur Sanierung eines kriegszerstörten Stadtkerngebietes in der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1958, Bucheinband); Abb. 33: Zeise-Fabrik (Theodor Zeise Spezialfabrik für Schiffsschrauben Hamburg-Altona, Der größte Schiffspropeller der jemals gegossen wurde, Hamburg 1967.); Abb. 34: Dirks Paulun (Dirks Paulun, St. Pauli, Flensburg 1956, S. 9.); Abb. 35: Museum für Hamburgische Geschichte (Ulf Krüger / Ortwin Pelc (Hrsg.), The Hamburg Sound. Beat, Beatles und Große Freiheit, Hamburg 2006, S. 41.); Abb. 36: Hamburgisches Architekturarchiv (Neue Heimat, Das Alsterzentrum. Ein Vorschlag zur Erneuerung des Hamburger Stadtteils St. Georg, Hamburg 1966, S. 10.); Abb. 37: Hamburgisches Architekturarchiv, Wilfried Rahn (Cäsar Meister, Gedanken zur baulichen Erneuerung St. Paulis, in: Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde St. Pauli Süd (Hrsg.), Sankt Pauli Kirche zu Hamburg 1820–1970. Eine Hamburgensie anno 1970, Hamburg 1970, S. 56–61, hier S. 59.); Abb. 38: Der Spiegel 41/1964 (Per Moneta, in: Der Spiegel, 7.10.1964, S. 44–58, hier S. 53.); Abb. 39: Panfoto (Günter Zint,
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Zintstoff. 50 Jahre deutsche Geschichte. Fotos von Günter Zint, Petersberg 2007, S. 41.); Abb. 40: Deutsche Presse-Agentur (Eine Annäherung nach Streikende ist nicht in Sicht, in: Hamburger Abendblatt, 1.3.1972, S. 30.); Abb. 41: ÖTV Hamburg (Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr. Bezirksverwaltung Hamburg, Geschäftsbericht 1976–1979, Hamburg 1980, S. 55.); Abb. 42: Der Spiegel 44/1974 (Hier entsteht ein neuer Ruhrpott, in: Der Spiegel, 28.10.1974, S. 49–67, hier S. 54 f.); Abb. 43: Panfoto (Günter Zint, Gegen den Atomstaat. 300 Fotodokumente, Frankfurt am Main 1979, S. 28 f.); Abb. 44: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Konzepte für morgen. Entwicklungsplan, Hamburg 1976, S. 23.); Abb. 45: Staatsarchiv Hamburg (Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Hafenentwicklungsgesetz, Drucksache 9/3205, Hamburg 1981, Anlage 1.); Abb. 46: Uwe Schaffrath (Heiner Heseler / Hans Jürgen Kröger (Hrsg.), »Stell Dir vor, die Werften gehörn uns …«. Krise des Schiffbaus oder Krise der Politik?, Hamburg 1983, S. 92 f.); Abb. 47: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Verkehr Hamburg, Hafen Hamburg. Dienstleistungszentrum mit Zukunft. Entwicklung – Ziele – Chancen, Hamburg 1989, S. 74 f.); Abb. 48: Universität Hamburg (Wohin wächst die Universität?, in: Uni HH. Berichte und Meinungen aus der Universität Hamburg 5 (1974) H. 29, Titelseite.); Abb. 49: Staatsarchiv Hamburg, Deutsche Post (Oberpostdirektion Hamburg, Oberpostdirektion Hamburg im neuen Haus, Hamburg 1977, S. 93.); Abb. 50: Der Spiegel 10/1975 (Peter M. Bode, Großraum in der dritten Dimension, in: Der Spiegel, 3.3.1975, S. 122–124, hier S. 123.); Abb. 51: Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (Rationalisierung in Zeitungs- und Zeitschriften-Druckereien, in: ZV + ZV. Zeitschrift für Presse + Werbung 72 (1975) H. 47/48, Titelseite.); Abb. 52: IG Druck und Papier (Leonhard Mahlein, Rationalisierung, sichere Arbeitsplätze, menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Zum Arbeitskampf in der Druckindustrie 1978, Stuttgart 1978, S. 15.); Abb. 53: Der Spiegel 19/1973 (Stadtverkehr: Wird das Auto ausgesperrt?, in: Der Spiegel, 7.5.1973, Titelseite.); Abb. 54: Ruppert Immobilien (Ulrike Jehle-Schulte, Inszenierung einer Passage. »Galleria« in Hamburg, in: Werk, Bauen + Wohnen 37 (1983) H. 12, S. 9–13, hier S. 9.); Abb. 55: Gerald Zugmann / w ww.zugmann.com (Coop Himmelb(l)au, Skyline (1985). Silhouette für eine Stadt wie Hamburg, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II. Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 52–53.); Abb. 56: Steidle + Partner, Kiessler + Partner (Otto Steidle/Uwe Kiessler, Verlag Gruner + Jahr. 8 Thesen, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II. Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 138–143, hier S. 141.); Abb. 57: Steidle + Partner, Kiessler + Partner (Otto Steidle / Uwe Kiessler, Verlag Gruner + Jahr. 8 Thesen, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen, Hafenstadt. II. Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 138–143, hier S. 143.); Abb. 58: Freie Planungsgruppe Berlin (Die fünf Gutachten, in: Stadtbauwelt 11 (1974) H. 42, S. 96–115, hier S. 97.); Abb. 59: APB. Architekten BDA (Reinhard Buff, »Hamburg Bau ’78«, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg (Hrsg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 124–128, hier S. 125.);
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Abb. 60: Der Spiegel 27/1977 (Neues Scheidungsrecht: Dreimal zahlen, in: Der Spiegel, 27.6.1977, S. 33–46, hier S. 36.); Abb. 61: Der Spiegel 37/1980 (Die fetten Jahre sind vorbei, in: Der Spiegel, 8.9.1980, Titelseite.); Abb. 62: Staatsarchiv Hamburg (Senat Hamburg, Stadtentwicklungskonzept, Hamburg 1980, S. 48.); Abb. 63: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Allermöhe. Wohnen am Wasser, Hamburg 1989, S. 12 f.); Abb. 64: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Stadtteilaktivitäten in den Siedlungen Osdorfer Born und Mümmelmannsberg, Hamburg 1986, S. 171.); Abb. 65: Der Spiegel 19/1987 (Bettina Musall, »Die Frauen schenken sich nichts«, in: Der Spiegel, 4.5.1987, S. 55–59, hier S. 55.); Abb. 66: Kammerer und Belz, Gruppe 3-B (SAGA-Pressestelle, An alle Mieter, Grundeigentümer, Gewerbetreibende im Plangebiet Karl-Theodor-Str., Hamburg 1975, S. 3.); Abb. 67: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Gebäudebestands-Untersuchung Ottensen. Ortsteile 210–213. Gebäudenutzung, Hamburg 1975.); Abb. 68: Hans Michel (Hans Michel u. a., Konkurs der Schiffsschraubenfabrik Zeise in Hamburg-Altona, Hamburg 1981, Bucheinband.); Abb. 69: Staatsarchiv Hamburg (Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, Leitlinien für die hamburgische Ausländerpolitik, Drucksache 8/1990, Hamburg 1976, Anlage.); Abb. 70: Jens Büchsenmann (Iki Mann, Der Spaziergang des Monats: Entdecken Sie mal Ottensen, in: Szene Hamburg, 1.11.1975, S. 12–15, hier S. 14.); Abb. 71: Klaas Jarchow, Uli Klink (Klaas Jarchow (Hrsg.), Dörfer wachsen in der Stadt. Beiträge zur städtischen Gegenkultur, Alpen 1980, Bucheinband.); Abb. 72: Klaas Jarchow, Uli Klink (Klaas Jarchow (Hrsg.), Dörfer wachsen in der Stadt. Beiträge zur städtischen Gegenkultur, Alpen 1980, Bucheinband.); Abb. 73: Marily Stroux (Monika Sigmund / Marily Stroux, Zu bunt. Wandbilder in der Hafenstraße, Hamburg 1996, S. 65.); Abb. 74: Staatsarchiv Hamburg (Baubehörde Hamburg, Städtebaulicher Ideenwettbewerb Hafenrand. Dokumentation, Hamburg 1985, o. S.); Abb. 75: Patrick Piel (René Gralla, Herr E. und die Paradiesvögel der Postmoderne, in: Hamburger Abendblatt Journal, 23.7.1988, S. 6.); Abb. 76: HHLA (HHLA, Geschäftsbericht 2007, Hamburg 2008, S. 20.); Abb. 77: Staatsarchiv Hamburg (Wirtschaftsbehörde Hamburg, Hafenentwicklungsplan 1997. Logistisches Dienstleistungszentrum Hafen Hamburg. Chancen einer neuen Ära, Hamburg 1997, S. 60 f.); Abb. 78: HHLA (HHLA, Geschäftsbericht 2008, Hamburg 2009, S. 24.); Abb. 79: Klaus Frahm, Artur Images (Kaye Geipel, Das Flugzeug ist gelandet: Neues Empfangsgebäude der Lufthansa-Technik, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2000, Hamburg 2000, S. 50–55, hier S. 50 f.); Abb. 80: Hafencity Hamburg, Thomas Hampel (Jürgen Bruns-Berentelg u. a., Hafencity Hamburg. Das erste Jahrzehnt, Hamburg 2012, S. 103.); Abb. 81: Der Spiegel 44/2004 (Deutschland: Exportweltmeister (von Arbeitsplätzen), in: Der Spiegel, 25.10.2004, Titelseite.); Abb. 82: HSH Nordbank, Marco Moog (HSH Nordbank, Geschäftsbericht 2007, Hamburg / Kiel 2008, Klapper 1.); Abb. 83: Der Spiegel 12/2007, Kay Nietfeld, Ulrich Perrey, Deutsche Presse-Agentur (Cordula Meyer / Janko Tietz, Sieg der Straße, in: Der Spiegel, 19.3.2007, S. 102.); Abb. 84: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Arbeit Hamburg, Im Focus
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dynamischer Wachstumsmärkte. Chancen und Entwicklungspotentiale des Hamburger Hafens, Hamburg 2005, Anlage); Abb. 85: Hafencity Hamburg (Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung, Hafencity Hamburg. Der Masterplan, Hamburg 2000, Anlage 3.); Abb. 86: Andrea Flak (Till Briegleb, Erinnerungswürdiges Resultat: Umbau und Aufstockung Karstadt Sporthaus, in: Hamburgische Architektenkammer (Hrsg.), Architektur in Hamburg. Jahrbuch 2000, Hamburg 2000, S. 80–81, hier S. 80.); Abb. 87: Der Spiegel 3/2004 (Die teure Billig-Uni, in: Der Spiegel, 12.1.2004, Titelseite.); Abb. 88: AStA der Universität Hamburg (AStA der Uni Hamburg, Undemokratisch, unsozial, unwissenschaftlich, unmodern. Ein Jahr Hochschulpolitik unter dem Rechtssenat, Hamburg 2002, S. 42.); Abb. 89: Hafencity Hamburg (Gesellschaft für Hafenund Standortentwicklung, Hafencity Hamburg. Die aktuellen Projekte, Hamburg 20035, Titelblatt.); Abb. 90: Der Spiegel 34/2007, Herzog & de Meuron (Erich Follath / Gerhard Spörl, Was Städte sexy macht, in: Der Spiegel, 20.8.2007, S. 99– 103, hier S. 101.); Abb. 91: Behnisch Architekten (Ulrike Sengmüller, Behnisch Architekten, Stuttgart. Unilever-Haus, Hamburg, München 2011, S. 6.); Abb. 92: Adam Mørk (Behnisch Architekten, Unileverhaus. Hafencity Hamburg, Stuttgart 2010, S. 40.); Abb. 93: Staatsarchiv Hamburg (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Räumliches Leitbild. Entwurf, Hamburg 2007, S. 1.); Abb. 94: Der Spiegel 13/2013, Peter Lueders (Matthias Geyer, Der Lehrling, in: Der Spiegel, 25.3.2013, S. 54–59, hier S. 55.); Abb. 95: Landesamt für Vermessung und Geoinformation Schleswig-Holstein (Landesvermessungsamt SchleswigHolstein, Topographische Karte. Deutschland 1:50.000. Pinneberg L 2324, Kiel 1963.); Abb. 96: Landesamt für Vermessung und Geoinformation SchleswigHolstein (Landesvermessungsamt Schleswig-Holstein, Topographische Karte. Deutschland 1:50.000. Pinneberg L 2324, Kiel 1994.); Abb. 97: Gruner + Jahr (Bauen Sie mit dem Stern Ihr Traumhaus, in: Der Stern, 18.4.1996, Titelseite.); Abb. 98: Annett Ahrends (»Erziehung ist ein Kooperationsprozess«, in: Frauenrat 51 (2002) H. 2, S. 24–26, hier S. 25.); Abb. 99: Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche (Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche, Ratgeber Küche, Mannheim 2000, S. 33.); Abb. 100: Gruner + Jahr (Journal Bauen und Wohnen, in: Der Stern, 4.4.2002, S. 91.); Abb. 101: Freie Planungsgruppe Berlin (Freie Planungsgruppe Berlin, Erläuterungen zur Strukturplanung Neu-Allermöhe West. Wohnbauvorhaben der Freien und Hansestadt Hamburg, Hamburg 1991, Anhang.); Abb. 102: Spiegel-TV-Magazin (Alexandra Ringling, Doppel H für Hamburg. Eine Gang will nach oben, in: Spiegel-TV-Reportage, 18.2.2008, TC: 1:57.); Abb. 103: Roland Halbe (Behnisch Architekten, Marco Polo Tower. Hamburg, Germany, Stuttgart 2010, S. 9.); Abb. 104: Behnisch Architekten (Behnisch Architekten, Marco Polo Tower. Hamburg, Germany, Stuttgart 2010, S. 37.); Abb. 105: Christoph Twickel (Christoph Twickel, Krisenviertel HamburgWilhelmsburg: Einstürzende Neubauträume, in: Spiegel Online, 25.3.2011, URL: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/krisenviertel-hamburg-wilhelms burg-einstuerzende-neubautraeume-a-753127.html (27.5.2016).); Abb. 106: Kabel New Media (Kabel New Media, Geschäftsbericht 1999/2000, Hamburg 2000,
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S. 45.); Abb. 107: Anja Lubitz (Stefanie Conrad u. a., Einkaufen & Ausgehen im Schanzenviertel, in: Szene Hamburg, 4.4.2001, S. 38–42, hier S. 38.); Abb. 108: Wohngemeinschaft Jung und Alt (Wohngemeinschaft Jung und Alt, Die Jarre – Wohngemeinschaft im Kindergarten, in: Joachim Reinig (Hrsg.), Wohnprojekte in Hamburg von 1980 bis 1989, Darmstadt 1989, S. 76–77, hier S. 77.); Abb. 109: Architekten PFP Planungs GmbH Hamburg | Genova (Claas Gefroi, Baufelder und Architekten, in: Wilhelm Bartels Bavaria-Grundstücksgesellschaft (Hrsg.), Bavaria, Hamburg 2003, S. 44–78, hier S. 53.); Abb. 110: René Scheer (R. Scheer, Fotografie des Gängeviertels, URL: https://www.flickr.com/photos/scheerham burg/5333359242/in/photolist-98hRTG/ (27.5.2016).); Abb. 111: Studio UC , Klaus Overmeyer (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg, Hamburg 2010, S. 20.); Abb. 112: Studio UC , Klaus Overmeyer (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg, Kreative Milieus und offene Räume in Hamburg, Hamburg 2010, S. 38–41.)
Abkürzungen
AG Aktiengesellschaft AG Arbeitsgemeinschaft AGV Automated Guided Vehicle AOL America Online BBDO Batten, Barton, Durstine & Osborn Company BMW Bayerische Motoren Werke BP British Pretoleum BRT Bothe Richter Teherani BRT Bruttoregistertonnen CAD Computer-Aided Design CAD / CAM Computer-Aided Design / Computer-Aided Manufacturing CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands DAG Deutsche-Angestellten Gewerkschaft DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DM Deutsche Mark EDV Elektronische Datenverarbeitung EU Europäische Union FDP Freie Demokratische Partei GAGFAH Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten GAL Grün-Alternative Liste GEWOS Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen GHB Gesamthafenbetrieb GHBG Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GWG Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft HDW Howaldtswerke-Deutsche Werft HEW Hamburgische Electricitäts-Werke HHLA Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft HP Hewlett-Packard HSCB Hongkong & Shanghai Banking Corporation HSH Nordbank Hamburgisch-Schleswig-Holsteinische Nordbank IBM International Business Machines IG Metall Industriegewerkschaft Metall INA-Casa Istituto Nazionale delle Assicurazioni-Casa IT Informationstechnologie ITF Internationale Transportarbeiter-Föderation JP Morgan Chase John Pierpont Morgan Chase LAN Local Area Network MBB Messerschmitt-Bölkow-Blohm NH Neue Heimat NHS Neue Heimat Städtebau
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Abkürzungen
NWK Nordwestdeutsche Kraftwerke ÖTV Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr PC Personal Computer PKP Polskie Koleje Państwowe ReGe Projekt-Realisierungsgesellschaft SAGA Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona SAGA GWG Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona Gemeinnützige WohnungsSDS SKAM SPD
Ver.di VW WTO ZV + ZV
gesellschaft Sozialistischer Deutscher Studentenbund Schöne Kunst allen Menschen Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Volkswagen World Trade Organisation Zeitungs-Verlag und Zeitschriften-Verlag
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen Abendroth, Michael u. a.: Vom Stauhaken zum Container. Eine vergleichende Untersuchung der tariflichen und betrieblichen Regelungen der Hafenarbeit in den norddeutschen Häfen, Stuttgart 1981. Adenauer, Konrad: Rede vor dem Arbeitskreis »Ehe und Familie« des Deutschen Katholikentages im Plenarsaal des Deutschen Bundestages am 22.9.51, in: Paul Lücke (Hrsg.), Der Weg zu einer familiengerechten Wohnungsbaupolitik, Bergisch Gladbach 1951, S. 3. AG Wohnen Wilhelmsburg: Immer Ärger mit der Gagfah. Eine Dokumentation über die Zustände im Bahnhofs- und Korallusviertel in Wilhelmsburg, Hamburg 2012. Airbus: Plötzlich auf Weltniveau, in: Der Spiegel, 25.6.1979, S. 84–90. Akelius Foundation: The Foundation, URL: http://foundation.akelius.de/en/pages/ why (12.5.2015). Akelius GmbH: Fakten, URL: https://akelius.de/en/akelius/organisation/facts (12.5.2015). Alle drei Etagen haben eine gute Klima-Anlage, in: Hamburger Abendblatt, 31.8.1967, S. 7. Allermöhe – Getto für die junge Mittelklasse?, in: Der Spiegel, 5.11.1973, S. 78–84. Alles überflüssig, in: Der Spiegel, 28.3.1983, S. 114–116. Alsleben, Kurd: Das Großraumgebäude der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in der Hamburger City Nord, in: Das Rationelle Büro 18 (1967) H. 3, S. 24–28. Alsleben, Kurd u. a.: Rationeller Schreibdienst, Barmstedt 1958. Alsterzentrum: Eigentümer wollen selbst sanieren, in: Hamburger Abendblatt, 28.1.1970, S. 2. Alsterzentrum vor der Bezirksversammlung, in: Hamburger Abendblatt, 23.11.1966, S. 6. Alternativen zu einem kommunalen Problem, in: Hamburger Abendblatt, 19.4.1978, S. 6. Andre, Thomas u. a.: Wo Wachstum zum Brennpunkt wird, in: Hamburger Abendblatt, 3.11.2009, S. 11. Arbeitsgemeinschaft Die moderne Küche: Ratgeber Küche, Mannheim 2000. Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg: Unternehmen Wilhelmsburg. Stadtentwicklung im Zeichen von IBA und IGS , Berlin 2013. Architekten-Contor Schäfer + Ferdinand: Städtebaulicher Wettbewerb Hafenrand, in: Baubehörde Hamburg (Hrsg.), Stadt am Hafen. Hafenstadt. II. Hamburger Bauforum 1985, Hamburg 1986, S. 146–147. Architekten: Kistenmacher im Büßerhemd, in: Der Spiegel, 19.9.1977, S. 206–223. Architekten-Wettbewerb für erste Baustufe Allermöhe, in: Hamburger Abendblatt, 9.5.1974, S. 3. Archiv der Sozialen Bewegungen: Oh, Protest jetzt in Ottensen, Hamburg 1988.
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Register
Personenregister Abaci, Kazim 310 Ahlers, Klaus 148 Alsleben, Kurd 53 f., 56 f. Andresen, Knud 12 Augstein, Rudolf 64–66, 191 Bacapon 295 Bamberg, Georg 190 f. Bartels, Willi 315 f. Bathke, Ulrich 88 Baumann, Zygmunt 13 Benjamin, Walter 164 Berger, Roland 263, 269 Best, Pete 100 Beust, Ole von 243 f., 253, 278 Birnbaum, Hans 138 Bitzegeio, Ursula 12 Bode, Peter M. 157 f. Böer, Friedrich 32 f. Boje, Axel 57 f. Breckner, Ingrid 298 f. Breit, Ernst 193 Bruns-Berentelg, Jürgen 298 f. Bucerius, Gerd 63–65 Camus, Raymond 80 f. Christianse, Kees 257 Deuss, Walter 164 Diederichsen, Diedrich 167 Diekmann, Kai 281 Dietrich, Peter 233, 235 Doering-Manteuffel, Anselm 8 f. Dohnanyi, Klaus von 7, 149–151, 211, 213, 263 Döpfner, Mathias 281 Döring, Jörg 10 Dräger, Jörg 263–265
Drucker, Peter 37 Duden, Barbara 12 f. Dutschke, Rudi 62 Duve, Freimut 136 f. Ebeling, Christiane 319 Ehrlich, Jürgen 258 Eisenstadt, Shmuel N. 13 f. Erhard, Ludwig 88 Erler, Gisela 284–286 Fascher, Horst 99 f. Fichte, Hubert 33 f. Florida, Richard 268 f., 320, 322 Flowers, J. Christopher 274, 279 Ford, Henry 240 Foucault, Michel 20 Gates, Bill 269 Gedaschko, Axel 299 Gehry, Frank O. 240 f., 352 Gérard, Alexander 267 f. Gerkan, Meinhard von 165 Gerstung, Tobias 14 f., 341–343 Gilcher-Holtey, Ingrid 22 Giszas, Heinz 241 f. Glasersfeld, Ernst von 10 f. Goehler, Adrienne 194 f. Goetz, Reinald 175 Gowers, Andrew 280 Günther, Eberhard 65 Haas, Diether 91 Habersaat, Peter 87 Hadid, Zaha 171, 352 Harrisson, George 100 Harvey, David 16 Häußermann, Hartmut 16
512 Haussmann, Robert 166 Haussmann, Trix 166 Hebebrand, Werner 27, 50 f. Herzog, Jacques 267 Herzog, Roman 256 Hoffmann-Riem, Wolfgang 173, 212 Horx, Matthias 175, 304–307 Jürgensen, Harald 42 f..
Register
Meuron, Pierre de 267 Mirow, Thomas 265 f., 268 Mittag, Jürgen 12 Müller-Böling, Detlef 263 Müller-Ibold, Klaus 163 f., 177 Nannen, Henri 78, 283 Nevermann, Paul 27 Noelle-Neumann, Elisabeth 159
Kabel, Peter 307 Kallmorgen, Werner 103 Kern, Helmuth 44, 48, 133 f., 137, 144, 151 Kiessler, Uwe 173–175 Kirchherr, Astrid 98 f. Klose, Hans-Ulrich 178–180, 186, 202, 204 Klugmann, Werner 34 f., 96 f. Koselleck, Reinhart 11 f., 20 Kossak, Egbert 170 f., 177, 210, 283 Kracht, Christian 175 Kraft-Wiese, Brigitte 171 Krüger, Karl-Heinz 173 f.
Oeter, Dieter 163 Offen, Claus-Peter 250 Oswin 39 f. Overmeyer, Klaus 322 f.
Lampugnani, Vittorio Magnago 21 Langeloh, Hans-Herbert 133 Lauritzen, Lauritz 198 Le Corbusier 27 Lenger, Friedrich 13 f. Lennon, John 100 Lembeck, Fred 62 Lübbert-Griese, Kaethe 83 f. Lücke, Paul 74, 78
Raphael, Lutz 8 f. Rau, Susanne 10 Reckwitz, Andreas 13 Reemtsma, Jan Philipp 211 Reulecke, Jürgen 13 Reynolds, J. Louis 133 Richter, Daniel 320 Riet, Joseph Hermann van 38 Röhl, Bettina 175 f. Rommel, Arthur 143 f. Roques, Valeska von 196 f. Röttgen, Hubertus A. 169 f. Ruby, Andreas 240 Ruhnau, Heinz 36 f.
Maack, Hans 40 f. Mahler, Holger 147 f., 150 Marg, Volkwin 165 Marx, Olaf Dante 175 Mau, Leonore 33 f. May, Ernst 45 f., 92 f. Mayer, Margit 16 McCartney, Paul 100 Meibaum, Heinz 72 Meibaum, Ursula 72 Meister, Cäsar 103 f. Menzl, Marcus 298 f.
Paul, Gerhard 21 Pawelczyk, Alfons 211 Peichl, Markus 175 Peiner, Wolfgang 250 f., 273 Peters, Werner 147 Pfeil, Elisabeth 86, 90 Porschke, Alexander 243 Quinn, Freddy 88
Sack, Manfred 172, 200 Saldern, Adelheid von 16 Sarasin, Philipp 20 Sartre, Jean-Paul 99 Saviano, Roberto 347 Schaffrath, Uwe 146 Schiesser, Horst 193 f.
513
Register
Schiller, Karl 43 Schleyer, Hanns Martin 210 Schreiber-Lange, Ingrid 68 f. Schubert, Dirk 188 f. Schumacher, Fritz 44 f., 70, 170, 275 f. Schulz, Harald 319 Schulz, Peter 177 Schütte-Lihotzky, Margarete 288 Schwalbach, Hans 136 Schwartau, Claus 145 Schwarzer, Alice 183 f. Sill, Otto 49 f. Soja, Edward W. 10 Sommer, Theo 137 Spaethen, Rolf 58 Springer, Axel 64 f. Steidle, Otto 173–175 Stemmler, Kristian 292 Strupp, Christoph 18 Stuhlmann, Alexander 273 Teichmüller, Frank 148 f. Thatcher, Margaret 345, 349 Thielmann, Tristan 10 Thomas, Norbert 289 f. Tiedemann, Lotte 82 f. Töpfer, Klaus 283
Trautwein, Fritz 75 f., 90 Trobe, John de la 129 f. Twickel, Christoph 309 Vietor, Albert 190 Vollmer, Jürgen 99 Voormann, Klaus 98 f. Vormbrock, Wolfgang 191 Voscherau, Henning 256 f. Voss, Jörn 288 Wagner, Eugen 211 Wagner, Peter 13 Walter, Jörn 275 Wehler, Hans-Ulrich 21 Weichmann, Herbert 69 f., 72, 170, 275 f. Weissleder, Manfred 99 f. Werner, Hans-Peter 319 Wippermann, Peter 304, 307 Withers, Jane 288 Wright, Frank Lloyd 89 Zeise, Theodor 95 Zeuner, Bodo 66 Zint, Günter 108, 135 f.
Sachregister Abwanderung 91, 104, 178–181, 186, 190, 200–202, 282 f. Achsenplanung 170, 275 f. AG Weser 138 Airbus 152, 239, 241–243 Akelius 318 Algerien 81 Allermöhe 187 f., 291 f. Allianz 152, 166, 252 Alsterzentrum 101–103, 198 f. Alternativprojekte 206–208, 305 f. Altona 69,71, 95 Altona-Altstadt 92–95, 97, 106, 205 American Lancer 41 Amsterdam 30, 274, 349, 352
Angestellte 13, 49, 51, 53–60, 65 f., 68, 74, 76 f., 79, 86, 90, 94, 99, 140, 146–149, 157–159, 161, 167–170, 174, 184, 193, 203, 259, 269–272, 274, 277, 279, 287, 309, 314 f., 346 Anti-AKW-Bewegung 134–137, 207 Antwerpen 30, 349 AOL 306 APO -Press-Kommune 107 f. Arbeiter 7, 13, 33–40, 51, 58, 61 f., 72, 74, 76 f., 79–82, 86, 90, 93–97, 99, 103–106, 139 f., 142 f., 146–149, 159–162, 180, 184, 186, 193, 196, 201, 203, 205 f., 214, 236–239, 247, 252 f., 276, 310, 314 f., 317 f., 341 f., 346, 348 f.
514 Arbeitsgemeinschaft die Moderne Küche 83 f., 287 f. Arbeitsküche 13, 82–84, 288 Arbeitslosigkeit 7 f., 29, 33, 39, 76, 131, 148–150, 185 f., 190, 193, 203, 205 f., 208–210, 214, 282, 293–296, 310 f., 315, 342 f., 346, 348 f. Armut 87, 131, 190, 293–295 AStA 265 Asylbewerber 190, 290–292, 294 Atomkraftwerke 44, 48, 132, 134–137, 144, 208, 151 Aufbauplan 1960 27–29, 45, 50, 55, 72, 90, 186 f., 275 Ausflaggung 129–132 Aussiedler 190, 291 f., 294 Automatisierung 38–40, 43, 59, 84 f., 116, 159–162, 167, 235–237, 329 f. Automobilindustrie 37, 64, 185, 352 Autonomie (Zeitschrift) 207 Autonome Jugendwerkstätten 313 Bahamas 318 Bandstadt 44–46 Barcelona 244, 349, 350, 352 Barclays 349 Basel 277 Baubehörde 28 f., 50, 52, 55 f., 60, 71, 76 f., 92–94, 102, 104, 155 f., 162, 170 f., 177, 188, 190, 200, 210 f., 224, 274–276, 291, 299 f., 322 Bauern 133–136, 144–146, 243 Bausparkasse Schwäbisch Hall 283, 289 Bauwelt 75, 81, 164 f., 177 Bavaria-Quartier 314–316 Bavaria-St. Pauli-Brauerei 314 BBDO 315 Behnisch Architekten 269–272, 297 f. Benthem Crouwel 267 Bergedorf 91 Berlin 45, 63, 87, 89, 99, 107, 184, 207, 252, 344 Berliner Zeitung 62 Bertelsmann-Stiftung 263 Betonfertigteile 75 f., 79–82, 155–157 Bilbao 240 f., 350–352
Register
Bild-Zeitung 62, 146, 281 Billhorn 189 f. Billwerder-Allermöhe 91, 177–179 Blackstone 317 Blankenese 78, 92, 317, 321 Blob-Architektur 240 Blohm + Voss 37, 46, 117, 137, 139, 152 BMW 286, 307 Bosch 152 Boston 170 Bothe Richter Teherani 246 Bratislava 346 Bravo 65, 100 Bremen 30, 37, 41, 129, 134, 344 Bremer Vulkan 138 British Petroleum 29, 55, 166, 259 f. Brokdorf 134–136 Budapest 346 Bukarest 346 Bundesbaublatt 80 Bundesministerium für Wohnungsbau 83 Bundesregierung 73, 78, 85 f., 138, 148, 198, 227, 261, 273, 278 Bundestag 85, 194, 249 Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe 134 f. Bürgerschaft 90, 145 f., 178, 187, 191 f., 194–196, 243, 265, 268, 273 Büroarchitektur 19, 51–59, 65, 71, 94, 101, 103, 157 f., 161, 166- 175, 212 f., 246, 256 f., 259, 266 f., 269–272, 288, 304–309, 313, 315, 349–351 CAD / CAM 240 f.
Café Schöne Aussichten 167 Cap-San-Klasse 32 f., 41, 248 Cayman Islands 274 CDU 73, 178, 194 f., 199, 243, 250, 283, 295, 320 Cerberus 317 Channel Hamburg 276, 300 Chiat / Day 305 China 245–249, 264, 348 China Shipping 246 Citigroup 349 City 49–71, 155–176, 256–281
515
Register
City-Erweiterung 54–56, 70 f., 167, 170–172, 256–258 City Nord 54–59, 156–158, 167–169, 258–260 Claudius Peters AG 55 Cluster 245 f., 264 Commerzbank 160, 272 Containerterminal Altenwerder 141, 144–146, 235 f. Containerterminal Burchardkai 41 Containerumschlag 40–42, 141–143, 152–154, 170, 233–238, 251–254 Convent Planung und Beratung 293 f. Coop Himmelb(l)au 171 f., 267 Credit Swisse 349 DAG 58
Danzig 350 Das Rationelle Büro 56 DDR 346 DDR-Übersiedler 291 f. Deichtorhallen 251 Deindustrialisierung 137–140, 146–151, 186, 202 f., 314 Dekolonisierung 42 f. Der Spiegel 19, 42 f., 58 f., 62, 64–69, 84 f., 87–89, 92 f., 105, 113, 132,138 f., 157, 162 f., 167, 172 f., 178, 182, 184 f., 190–192, 194–196, 208, 227, 236, 247 f., 253, 255, 262 f., 266, 269, 278, 281, 295, 302, 311 f., 323 Deutsche Bahn 252 Deutsche Bank 272 Deutsche Immobilien Fonds AG 258 Deutscher Ring 51 Deutsches Jugendinstitut 285 Deutsche Werft 37 DGB 193 f. Die Zeit 19, 65, 88, 133 f., 137, 159, 182, 190, 193, 250, 280, 320 Digitalisierung 220 f., 329 f. Dortmund 350 f. Dresden 302 Dresdner Bank 272, 307 Druckindustrie 159–162 Druckwelt 160 Dubai Ports World 252
Dublin 349 DWI Immobilien 315 Ehescheidung 182 f., 290, 312 Eigenheimförderung 73 f., 78, 179–181 Eimsbüttel 205 Eigentumswohnungen 15, 296–298, 300, 316 f., 321, 342 Einfamilienhausgebiete 73 f., 77–79, 88–90, 179–181, 184 f., 282–284 Einkaufspassagen 164, 165–167 Eisenstein 213 f. Elbphilharmonie 17, 267–269, 276–278, 321 Elite 246, 262–264, 289, 297–299 Emden 37 Entgrenzung 223–225, 332–334 Entwicklungsmodell 44 f., 69–71, 170, 186, 275 f. Ernst & Young 307 Essen 100 Esso 29, 55, 58 f., 95 f., 158, 167, 259 EU-Kommission 273 Europäische Städte 13 f., 341–353 FDP 178, 194, 199, 243
Fertighaus 63 78 f., 283 Fertighäuser 78 f. Financial Times Deutschland 266, 279 f. Finanzkrise 254 f., 278 f., 319 Finanzmärkte 248–250, 258, 272–274, 278 f., 302 f., 307–309, 314–318 Finnland 78 Fischer Verlag 169 Flächensanierung 92–94, 101–104, 198 f. Fließbandfertigung 15, 37 f., 45, 52, 57 f., 62, 79–81,183, 196, 207, 219, 240 Flugzeugbau 151 f., 239–243 Forbes Magazine 304 Fordistische Stadt 16, 109–125 Fortress 302 f. Frankfurt am Main 87, 305 Frankfurter Rundschau 280 Frankreich 151, 80 f., 241, 243, 344–346 Frauenerwerbstätigkeit 76 f., 83, 85 f., 181–184, 194–197, 261 f., 284–288 Frauenbewegung 183 f., 194–196, 285 f.
516
Register
Frauenrat 285 Freie Planungsgruppe Berlin 177 f., 291 f. Funktionstrennung 27 f., 81–83, 259, 275 Fußgängerzone 162 f.
Gruppe 3 B Architekten 200 f. Guggenheim Museum Bilbao 240 f., 351 f. Günther-Kommission 65 GWG 301
GAGFAH 302 f. GAL -Frauenliste 194–196
Hafencity 17, 246 f., 256–258, 265–272, 275 f., 289 297–300, 318 Hafenerweiterung 29 f., 132 f., 140 f., 144–146, 254 Hafenstraße 209–212, 313 Hafen- und Industriegebiete 27–48, 129–154, 233–255 Hamburg Bau ›78 179–181 Hamburger Abendblatt 19, 67, 91, 96, 102 f., 129, 144, 199, 213, 250, 259, 261, 264, 280, 292, 306 f., 316 f., 320 f. Hamburger Flugzeugbau GmbH 152 Hamburger Mieterverein 318 Hamburgische Landesbank 55, 272 f. Hamburg-Mannheimer 157, 166–168 Hamburg Süd 32, 129 f., 248, 254, 286 Handelskammer 28, 247 Hanoi 274 Hansa 34, 38–40, 129, 143 f., 241 Hanse-Viertel 165 Hanzevast 319 Hapag-Lloyd 235, 255 Harburg 69, 71, 151, 276 Hausarbeit 13, 79, 82–86, 181, 183 f., 195, 284–288 Hausbesetzungen 209–212, 312 f., 319–321 Hausfrauen 13, 76 f., 82–85, 89, 108, 181–184, 285 HDW 7, 46, 137–139, 146–150 Helsinki 274 Henkel 307 Herzog & de Meuron 267, 277 f. HEW 44, 55, 118, 132–134, 251 Hewlett-Packard 167–169 HHLA 41, 141 f., 233–236, 251–253 Hippodrom 98, 316 Hochtief 252, 276–278 Hoechst 55 Holsten-Brauerei 314 Hongkong 252, 274, 277 Horten 67 f., 260
Galleria Passage 166 f. Gammler 34, 87 f., 108, 136 Gängeviertel 51 f., 174, 318–321 Gangstarap 295 Gartenhofhäuser 180 f. Gastarbeiter 104–106, 204–206, 310 Gelegenheitsarbeit 33–36, 96 f. Gemeinschaftsunterkünfte 105 f. Gentrifizierung 214, 314–321, 323 Genua 347, 350 Geomatikum 155 f. Gesamthafenbetrieb 36, 97, 237 f. Getto 89, 106, 178, 189, 204, 292, 298 Gewerkschaften 36–40, 58, 68, 129, 131 f., 146–150, 159, 161 f., 190–194 Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen 68 GEWOS 106 Glasgow 14 f., 341–344, 349, 352 Globalisierung 215–217, 324–326 Göteborg 349 Gothaer 250 Grangemouth 41 Griechenland 104, 130 Grohnde 135 Großbritannien 81, 98, 130, 151, 234, 343–345, 348 f. Großcomputer 41, 58–60, 167–169 Großraumbüros 13, 53, 56–58, 157 f., 174 f., 259 Großsiedlungen 72–77, 79–81, 88–91, 177–179, 187–194, 291–295, 303, 344–347 Grün-Alternative Liste 136, 145 f., 194–196, 208, 212, 243, 261 f., 285, 320 Gründerzeitviertel 92–108, 198–214, 304–323 Gruner + Jahr 159, 171, 173–175, 266, 279 f., 286 f., 318, 323
517
Register
Howaldtswerke 37, 95 HSCB 349 HSH Nordbank 248–251, 255, 272–274, 278 f., 286 Humankapital 268, 296 Hutchison Port Holdings 252 Hypobank 286 Hypo Real Estate 279
Kreativität 217–220, 326–329 Küchen 13, 76, 79, 82 f., 84 f., 92, 107 f., 181, 183 f., 271 f., 281, 287 f., 313 f. Künstler 13, 33 f., 99 f., 319–321 Kursbuch 107
Japan 39, 43, 81, 138 f., 185, 216, 348 JP Morgan Chase 349 Jugoslawien 104, 205
Landesbank Schleswig-Holstein 249, 273 Landesbetrieb Krankenhäuser 251 Landesversicherungsanstalt 55, 158 Landkreis Pinneberg 282 f. Langeweile 84 f., 87 f., 102, 108 Lehman Brothers 254 Leipzig 346 Leitbild Wachsende Stadt 243–247, 274, 295–297 Liberia 130 Lifestyle-Konsum 165–167, 260 f. Lissabon 350, 352 Liverpool 98–100, 170, 349 Logistik 153 f., 234–238, 245 f., 253, 256, 264 London 17,170, 258, 273 f., 277, 307, 325 f., 348 f., 352 London Docklands 349 Lufthansa Technik 239 f., 242 Luxemburg 274, 302 Lyon 352
Kabel New Media 306–308 Kaiserkeller 98 f. Kalkar 135 Kammerer + Beltz und Partner 201 Kampnagel 203, 260 Karstadt 67–69, 164 f., 260 f., 307 Kassel 89 Kaufhof 67 f., 260 f. Kepa 67, 165, 260 Kiel 32, 37, 95, 110, 136–138, 148 Kleinfamilie 83, 195, 206, 290, 312 Köln 89, 279 Kommunen 107 f., 312 Kommunistischer Bund 136 Konzernverwaltungen 51–56, 58, 71, 167–169, 258–260, 269–272 Kopenhagen 244, 274, 349 Kreative Klasse 268 f., 320–323
Macquarie 252 Madrid 277 Malville 135 Manager Magazin 307 Manchester 352 Marco Polo Tower 270, 297–299 Marktsättigung 185 Marseille 350 Massengutumschlag 29–31, 42 f., 46–48, 138–140, 143, 146, 152 f. Massenkonsum 67, 164–166, 185 Massenmotorisierung 49–51, 54, 73, 89 f., 162 f., 282, 290 Mauerfall 233 MBB 151 f. McKinsey 245 f., 263, 286 Mecklenburg-Vorpommern 244 MediaCityPort 266 f.
IBA Wilhemsburg 299 f. IBM 41, 59 f., 167–169, 241, 260
Iduna-Versicherung 102, 166 IG Druck und Papier 159, 161 IG Metall 36, 39 f., 146–149 Immobilienwirtschaft 28, 198 f., 258, 273, 302 f., 314–319 Immobilien Zeitung 317 Industrielle Produktion 111–113, 217–220 Internationale Arbeitsteilung 109–112, 215–217 Internet 8 f., 266, 271, 279–281, 304–309 Italien 81, 104, 205, 310, 347 ITF 131 f.
518 Medienbranche 7, 62–66, 151, 171–176, 210, 212–214, 245 f., 256 f., 260, 264–267, 279–281, 304–309, 315, 323 Medienskyline 172 me di um Architekten 201, 212 f., 304 Mein Wunschhaus 283 f. Mieter helfen Mietern 313 Migration 104–106, 189 f., 204–206, 244 f., 291–296, 309–311, 318 Mineralölindustrie 28–30, 43, 55, 58 f., 95 f.,158, 167, 258–260 Moderne 13 f., 15 f., 27–29, 31 f., 44–46, 52, 55, 74, 76, 82–85, 89–94, 103, 108, 156 f., 163, 166 f., 172 f., 201, 207, 240, 259, 262 f. Mönckebergstraße 66–69, 165, 260 f. Montagebau Thiele 80 f. Morgan Stanley 316, 349 Mühlenberger Loch 242 f. Mümmelmannsberg 189 f., 191, 193, 292 München 87, 89, 100, 151 f., 162, 173, 184, 266, 279, 286, 307, 344 Naher Osten 30, 46 Neapel 347 Neoliberale Stadt 16, 324–339 Netzwerk 221–223, 330–332 Netzwerk Selbsthilfe 207 f., 306, 313 Neu-Altona 92–94, 101 Neue Heimat 17, 45, 72, 74 f., 82, 91 f., 101 f., 177 f., 188–195 178, 189–195, 198 f., 345 Neue-Heimat-Skandal 190–194 Neustadt 97, 100 Neu-St.-Pauli 102–14 New Economy 256 f., 265–267, 306–310 New York 170, 254, 273 f., 277, 288, 307, 325 f. Niederlande 267, 319 Niedersachsen 46, 244 Niedriglohn-Länder 148, 247 Niendorf-Nord 77 f. Nixdorf 167, 260 Nordrhein-Westfalen 244 Nova-Versicherung 55, 158 Nutzungsmischung 257 f., 268, 270, 275, 290, 300
Register
NWK 134
Oaktree 317 Oberpostdirektion 156 f. Ölpreisschocks 138 f., 143, 147, 184 f., 202 f., 259 Organisationsteam Schnelle 57 Osdorfer Born 72, 74–77, 81, 179, 190 f., 292–295 Oslo 274, 349, 352 Ostasien 153, 234, 246–250, 254 Österreich 81 Osteuropa 31, 233 f., 247, 254, 346, 350 Ost-West-Straße 50 f., 60, 65, 168 Ottensen 75, 94–96, 106, 199–206, 212 f., 294, 304, 312 f. ÖTV 36, 129, 131 f., 136, 142 f. Palermo 347 Palette 34 Panama 130 Paris 17, 166, 258, 265, 274, 344 Passagenviertel am Gänsemarkt 165 f. Patchworkfamilie 311 f. Pendler 50, 90, 120 282 Perlenkette 170–172, 210 f. Personal Computer 169 f., 285 Pflasterstrand 176, 224, 305 Philosophenturm 60, 265 PKP 233 pme Familienservice 286 f. Polen 233 f., 346 f. POLZUG 233 f. Poppenbüttel 179 f. Portugal 104, 106, 142, 205, 309 f., 318 Portugiesenviertel 318 Postmoderne 10, 12, 14, 213, 166 f. Prag 346 Prekarisierung 225–227, 335–337 Pressekonzentration 63–65 Privatisierung 250–253 Prognos 179 Projektarbeit 271, 305 f. ProSiebenSat.1 Media 307 Public Private Partnership 251, 277 f. Quantum Immobilien 315
Register
Quelle 79 Quickborn 78, 283 Quickborner Team 270 Rathausmarkt 163 Rationalisierung 113–116, 220 f. Raum 10–12 Räumliches Leitbild 274–276, 299 f. Redaktionsstatuten-Bewegung 65 f. ReGe Hamburg Projekt-Realisierungsgesellschaft 277 f. Renaissance der Plätze 163 f. Renaissance der Stadt 227–229, 337–339 Renner Hainke Wirth 240 Reynolds Aluminium 133 f. Riga 274 Rom 87, 352 Rotterdam 30 f., 41, 47, 129, 170, 349 Ruhrgebiet 111, 217, 350 f. Rumänien 346 f. SAGA 72, 75, 81, 104, 179, 200, 209–211,
251, 301 Samsung Heavy Industries 248 San Francisco 274 Saturn 260 Schanzenviertel 306–310, 313, 317 Schiffbau 36–39, 43, 46, 94–96, 137–140, 146–150, 242, 248, 250 Schifffahrt 32, 248–250, 254 f. Schiffsfonds 249 f., 255, 273 Schill-Partei 243 Schleswig-Holstein 73, 135, 137, 148 f., 249, 273, 278 Schweden 78, 234, 345 Schlieker-Werft 37 f. Schreibdienst 53 f., 168 Schwarzmarkt 206–208 Schweiz 166, 179, 267, 316 Schwerindustrie 14 f., 47, 64, 132–134, 140, 150–152, 163, 341 SDS 61–63, 107, 136 Seeleute 97 f., 129–132 Selbstständige 206–208, 212 f., 309–311, 313 f. Seattle 244
519 Senat 44, 54, 60, 74, 91, 104–106, 133, 144 f., 163, 171, 177–179, 186–188, 191, 199, 201 f., 204 f., 210–213, 244 f., 251–253, 259, 264 f., 267, 269, 274, 277, 291–293, 295, 299–302, 313, 320 f., Seoul 234 Shanghai 247, 274 Shell 29, 259 f. Siemens 152, 307 Silicon Valley 281 Singapur 130, 274 SKAM 319 SPD 27–29, 72, 74, 85, 103, 136, 178, 191, 193–195, 198 f., 211, 243, 251, 261–263, 265, 293, 345 Sowjetunion 45, 81 Sozialer Wohnungsbau 72–76, 194, 291 f., 299–301 Spanien 104, 106, 151, 205 Spatial Turn 10 f. Springer-Verlag 62–65, 100, 159, 280 f., 286, 323 Sprung über die Elbe 276, 299 f., 302, 300–302 Staatsoper 251 Städtebauförderungsgesetz 198 f. Stadtentwicklungskonzept 185–187 Stadterneuerung 201 f., 210 f. Star-Club 99 f. Stattbau Hamburg 313 f. Status der Lohnarbeit 121–123, 225–227 Stern 19 f., 65, 78 f., 172, 174, 283 f., 288–290 Sternstadt 289 f. St. Georg 101–103, 106, 199, 204 f., 312 f., 317 Stockholm 274, 307 St. Pauli 34, 93, 97–100, 102–104, 106 f., 179, 204 f., 208–211, 306 311 f., 314–317 Streik 35, 129, 131 f., 146–150, 159, 161 f., 252 f. Strukturbruch 8 f., 215–229 Stückgutumschlag 31–36, 42 f. Studentenbewegung 61–63, 107 f., 262–265, Studentenwerk 107 f., 209
520 Studiengebühren 262–265 Stülcken 37 Stuttgart 151, 269 f., 297 Subkultur 19, 34, 87 f., 98–100, 107 f., 136, 167, 206–212, 263, 265, 295, 307 Suburbanisierung 69–71, 88–90, 123–125, 184 f., 227–229, 296 Südamerika 32 Südkorea 139, 148, 216, 248, 348 Süd-Nord-Gefälle 150 f. Supertanker 46, 96, 138 f. Taiwan 139 Tallinn 274 Taz 176, 224 Telekom 260 Tempo (Zeitschrift) 175 f. Texaco 259 The Beatles 98–100 Tiefwasserhafen Neuwerk 46–48, 143 f. Toronto 244 Toulouse 152, 242 Transmontana 309 f. Trendbüro 304 f., 307, 309 Trennung von Arbeit und Leben 119–121, 223–225 Trikont-Verlag 285 Türkei 104, 106, 205 f., 310 f. Übersee-Club 27, 64, 137, 150, 173, 256 UBS 316 Umland 17, 44, 69 f., 90,93, 170 f., 178 f., 186, 202, 204, 276 282 f., 290, 296, 344 Umnutzung 15, 211–214, 276, 299 f., 304, 306 f., 314,348–351 Umweltschutz 134–136, 143 f., 242 f. Ungarn 234, 346 f. Unilever 51–53, 269–272, 297, 321 Universität 60–62, 106 f., 146, 151, 155 f., 158, 162, 167 f., 188, 196, 206, 262–265, 304 Unternehmensberatungen 245 f., 263, 269, 307 Unternehmen Hamburg 7, 150 f., 25, 264 Unternehmen Mottenburg 200 f.
Register
Unternehmer ohne Grenzen 310 f. Urbanität 189, 258, 268, 289 f., 275, 298, 300, 309 f. USA 40, 59, 117, 168, 240, 245, 262, 264, 268, 274, 295, 302, 306, 316, 322 Vancouver 170 Verbrauchermärkte 69 Ver.di 252 f. Verlagerung der Industrie 30, 139 f., 152 f., 233 f., 247 f., 250 Versicherungen 55, 68, 152, 157 f., 165 f., 167 f., 250, 259 Verwaltungs-Berufsgenossenschaft 55 f. Vilnius 352 Volkswagen AG 352 Wandsbek 69 Warenhäuser 66–69, 164 f., 260–262 Warschau 233, 274, 346 Weibliche Teilzeitarbeit 68 f., 261 f. Weiche Standortfaktoren 245, 257, 268 Werftensterben 146–150, 170, 203, 242 Wertewandel 158 f., 208 Wien 172, 307 Wilhelmsburg 204, 299 f., 302 f., 311 Winterhude 313 Wirtschaftsbehörde 29–31, 42, 46 f., 132 f., 140 f., 143, 152–154, 171, 173 234 f., 241–243, 253 f. Wissenschaftsrat 61 Wohnungsgesellschaft Norden 302 Wohnungsnot 72–74, 91, 180, 291 f., 344 Wohngemeinschaften 108, 206, 312 Wohngemeinschaft Jung und Alt 313 f. Wohnküche 82, 108, 287 f., 314 Wohnprojekte 312–314 Wolfsburg 352 Work-Life-Balance 284–287, 296, 298 WTO 246 Zeise-Hallen 95 f., 202 f., 212 f., 304 Zeitarbeit 238 f. Zentralisierung 116–119, 221–223 ZV + ZV 160 f.