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German Pages 267 [268] Year 1924
Unserer
Ruch Lernjahre Ein Buch der Erziehung
Don
Dr. Hugo Gruber Geheime« Studienrat Oberstudiendirektar der Viktoria Luisrn-Schule in Berlin-Dilmersdarf
Dritte,
neubearbeitete Auflage Druck und Verlag 9t. Oldenbourg, München und Berlin
1925
Der Mutter meiner Kinder iugeeignet.
Vorwort zur ersten Auflage. Omnia sponte fluant, absit violentia rcbus (Comeams, Orbis pictus.)
em trefflichen Werke von Adolf Matthias „Wie er ziehen
wir
unseren
Sohn
Benjamin?"
verdankt
diese» Buch die Anregung, steht ihm aber in Anlage und Inhalt fern.
Daß in
Lernfahren" -auch
„Ruth»
die
Frauenbestre
bungen der Gegenwart gestreift werden mußten, liegt nahe
und bedarf nicht erst eingehender Begründung.
Warum ich „Ruth" wählte? Ruth bedeutet die Freun din, die Genossin.
Der Vater Theodor Körner» schreibt
in einem Briefe vom 11. Februar „3
gestehe,
daß
e»
mir
1809 an den Sohn:
erwünscht
wäre,
wenigsten»
etliche Jahre mit meinem ««»gebildeten Sohn al« Freund zu verleben."
Sind un« Eltern nicht auch unsere Töchter
wahre Freundinnen, denen wir, gleich unseren Söhnen, da« Beste, wa« wir zu geben vermögen, Weisungen für da» Leben, bieten?
Wenn zu un« dann au« der gesamten Le
bensführung unserer Töchter die dankbare Gesinnung Ruth» zur Naemi spricht: „Wo du hingehest, da will ich auch hin-
gehen, wo du bleibest, da bleibe ich auch," so haben wir den herrlichsten Lohn.
-
Dann aber heißt auch unsere älteste Tochter Ruth. Verlin-Wilmersdorf, im März 1902.
Dr. Hugo Gruber.
Vorwort zur zweiten Auflage. i«
günstig« Beurteilung
meiner
mich zur neuen Bearbeitung,
die
Schrift schon
ermutigte
die
durch
Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens in Preußen
gerechtfertigt erscheint.
Von besonderem Nutzen waren mir
eingehendere Besprechungen
in
der
„Deutschen Literatur
zeitung (Adolf Matthigtz), im „Literarischen Zentralblatt",
der „Lehrerin in Schule und Haus" (Hasberg), der „Deutscheu Monatsschrift für das gesamte Leben der Gegenwart"
„Pädagogischen Wochenblatt
für
gebildeten Lehrerstand Deutschland«",
der
(D. Weißenfels),
den akademisch
„Mädchenschule",
dem
dem
„Bayerischen
Schulwart",
der
„Praxis der Erziehungsschule" (W. Metz), dem „Frauen-
beruf", der „Saarbrücker Zeitung" (Zarth), in „Haus und Schule" (ZwitzerS) und im „Deutschen Schulmann". Einen nicht geringen Teil der in jenen Besprechungen geäußerten
Wünsch« habe ich in der neuen Auflage erfüllt.
Meinem
lieben Kollegen, Herrn Direktor Heinrich in Göttingen, sei
besonder« gedankt.
Sachkundige
Beurteiler werden mich
auch fernerhin durch ihre Ratschläge erfreuen. Berlin-Wilmersdorf, im August 1909.
Der Verfasser.
Vorwort zur dritten Auflage.
chon seit Kritgebeginn war da« „Ruthbuch", wie e« in
weitcn Kreisen genannt wird, vergriff««.
inzwischen
auch
auf
d«m
Gebiete
der
Di« -ch
Erziehung
und
de» Unterrichts vorbereitenden neuen Verhältnisse bedingte« di« vollständige Neubearbeitung und die spät« Veröffent
lichung des Buches, da« wieder unter feiner alten Bezeich
nung „Unserer Ruth Lernjahre" hinauSgeht. — Im neunten
Kapitel (Lektüre) durst« ich mich des fachkundigen Rate«
meines verehrien AmtSgenoffen, de« Herrn Studiendirektor«
Dr. Ewert in Berlin-Steglih, erfreuen. Auch di« „Frauen
berufe" von Dr. Hilde Jende-Radomski habe» mir bei der Abwägung weiblicher Beruf« hier und dort werivolle Hin-
weif« gewährt. Daß mein Buch in einer größere« Zahl von Ober
lyzeen regelmäßig durchgearbeitet und de« Sitzungen päda
gogischer
Vorbereitungsanstalten
zugrunde
gelegt
wurde,
darf wohl als ein Zeichen der Zustimmung angesehen werden, die es unter den Vertretern der Pädagogik gefundm hat. Berlin-Wilmersdorf, im August 1025.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis Seit«
1. Kapitel: Die ersten Lebensjahre.......................................
1
2. Kapitel: Dom Elternhaus zur Schule..........................
16
3. Kapitel: Vorbereitung für den ersten Unterricht
42
4. Kapitel: Lehrerin oder Lehrer?............................................... 48
5. Kapitel: Forderungen der Schule. Hilfe des Hauses
6. Kapitel: Nadelarbeit und Handfertigkeit 7. Kapitel: Nebenstunden.
Nachhilfe.
.
57
....
76
Willkürliche Aus
dehnung der Ferien..................................................... 87
8. Kapitel: Umgang...............................................................................96 9. Kapitel: Lektüre.............................................................................107
10. Kapitel: Urteilen
und Verurteilen...................................... 121
11. Kapitel: Höhere Lehranstalten für die weibliche Jugend
127
12. Kapitel: Gemeinsame Erziehung der Geschlechter .
.
147
13. Kapitel: Religiöse, soziale und vaterländische Erziehung
153
14. Kapitel: Abgang von der Schule.............................................160 15. Kapitel: Im Penfionate..........................................................164
16. Kapitel: Don der Schule zur Familie................................ 178
17. Kapitel: Notwendigkeit der Berufswahl................................ 197 18. Kapitel: Abwägung weiblicher Berufe............................... 202
J9. Kapitel: Eintritt in die Gesellschaft......................................254
Erste- Kapitel.
Die ersten Lebensjahre im Elternhause. ür di« Erziehung Ruth- ist «- von Bedeutung, zuerst
der Frage näh«r zu treten, «er über da- Kind zu h«. stimmen hat.
Wird Ruth vom Vater und von der Mutter erzogen oder
haben
sich
Großvater
und
Großmutter,
irgendein«
Tante oder «in Onkel oder endlich auch di« Dienstmagd dieseRecht angrmaßt?
Gewiß meinen «- di« „Alten" mit dem
„Herzen-kind" gut; fi« sehen ihm sein« Wünsch« an
den
Augen ab, da doch Vater und Mutter noch lange nicht di«
Erfahrung de- Leben- beflhen, um in den verschirdenen Lagen,
di« ihnen hier zum erstenmal «ntgegentrtten, da- Rechte zu finden.
Hat denn nicht auch di« Tante lange genug Er
fahrungen in der kinderreiche« Familie de- Bruder- oder der Schwester sammeln dürfen, um fi« nun zu verwerten? Wa
der Tante zugebilligt wird, sollt« man dem alten Freunde de»
großelterlichen
Hause-
vorenthalten?
Ist
denn
sein
stet- bereite- Eintreten in früheren Tagen so ganz in Ver
gessenheit gekommen, und erinnert fich di« jung« Mutter nicht mehr der freudig«« Stunden, di« ihr von jener Seite ost«
mal- durch «in schöne- Geschenk bereitet wurden?
Aber auch
da- alte Inventar, di« Dienstmagd, di« von der Mutter an
gelernt und von dem Ellernhaus« der Tochter überkommen, hat ficherlich zur Genüge dargetan, wa- fle zu leisten ver
mag.
Nun soll ihr Einfluß bei der Jugend von heut« nicht
mehr in Bettacht kommen?
I. Kapitel. Man könnt« allen diesen freiwilligen Teilnehmern an der
Erziehung des Kinde« da« bekannte Wort rntgegenhalten, da« von dem Vorwitz handelt.
Lasset den Eltern di« Für
sorge für Ruth; sie werde» am besten wissen, wann Ruth
Hunger und Durst hat; st« werden «rmeffen können, ob Ruth diese« zu tun oder jene« zu lassen hat.
'Man red« ihnen
nicht darein, noch weniger schlage man sich zu e i n e r Partei und suche di« andere von der Nützlichkeit dessen, was man geraten hat, zu überzeugen.
Unerwünschte« Eingreifen ver-
letzt; «« ist auch so überflüssig wie di« Ratschläge, dir einem
Reisenden, der zum erstenmal di« Alpen besuchen will, bei
der bloßen Erwähnung seiner Absicht von anderer Seit« werden: „Dorthin gehen Sie, da« lassen Sie, da« müssen Sie mitnehmen . . .",
«ährend
sich
der
Nachbar
über
dies« Vorschläge lustig macht, bi« weniger auf den wege
gewandten al« auf den wortgewandten Mann Hinweisen.
Selbst ist der Mann; auch Eltern haben ein Anrecht, sich dies« Mahnung zu eigen zu machen.
Da« mögen Ruth«
Eltern tun.
den Mitteln
Vor allem mögen sie in
einig
bleiben, die Ruth« Erziehung dienen; dann wird ihr auch
der rechte Weg gebahnt sein. Nicht al«
ob Ruth« Eltern
den Entschluß
kund tun
sollten, daß um ihre« Kinde« willen ein« Mauer zwischen ihnen und anderen errichtet sei.
Wohlgemeinten Winken
gegenüber wird man nicht unzugänglich sein, zumal dann nicht, wenn st« mit der notwendigen Zurückhaltung gegeben
werden.
E« kann in der Tat gleichgültig sein, ob dann der
Großmutter zuliebe Ruth« Aehnlichkeit mit der Mutter her vorgehoben wirb, oder aber
die Tante
sich
darin
gefällt,
Ruth« Wesen mit ihrem eigenen, mit der Art, wie sie sich 2
Di«
trfleii
Lebensjahr«
im
Elternhaus«.
l'rht gibt ober in der Jugend -«geben hat, zu vergleichen.
Hat aber di« sorgsame Tante «in« besondere Vorlieb« für einen Vorname», warum sollten ihr die Eltern Ruths nicht den Gefallen tun, ihrem Kind« vier anstatt drei Vornamen
zu gebe»? Die Wahl de« Rufnamens ist Sach« der Eltern.
Diese- Recht macht man ihnen wohl nicht streitig; und „Ruth" mag nicht fern gelegen haben, wenn man erwägt, daß den Eltern am Traualtar das bekannt« Wort au- dem
Buche Ruth mit auf den Lebensweg gegeben «ar, da- von
der Treu« der Moabiterin zur alten Naemi handelt.
Damit
rechtferttgt sich auch da« Abweich«» von der heutigen Sitte
der Doppelnamen, di« glücklicherweise mir für Rufnamen in Betracht kommen.
Hiafichtlich der anderen Vornamen, di«
Ruth während der Zeit des Leben« anhasten, braucht man nicht ängstlich zu sein; dafür ist durch di« Rufnamen ihrer beiden Großmütter gesorgt, auch wen»
dies«
Ulrike
und
Konstanz« hießen.
Daß man übrigen« thedem Doppelnamen für da« männ« lich« Geschlecht benutzt«, berichtet un« der Liebling-dichter unserer Großmütter, Langbein, in seinem „guten Rat": „Um seltne Namen ist jetzt eft bei Taufen net;
Wer aber einen wünscht zu haben, Bei dem ihm nicht Nachäffung draht, Der nenne seinen Knaben — Juda» Jschariath!"
Wer soll Pate bei Ruth sein?
Natürlich kommt in
erster Linie nur der männlich« Teil der Verwandtschaft und Freundschaft in Betracht; denn e« wäre «inerseiis ein« Ab
sage an di« überkommen« Gewohnheit, dem Jungen weiblich« und dem Mädchen männliche Paten zu gebrn, anderseits
muß doch auch einigermaßen Ersatz dafür geschaffen werden,
1. Kapitel.
daß ein Teil der Verwandtschaft schon bei der Namengebung berücksichtigt wird.
Aber e« ist nicht immer leicht, die rechte Wahl zu treffen, nm auf keiner Seite anzustoßen; denn die Patenschaft scheint noch immer den nächsten Verwandten in Erbpacht gegeben zu fein, und ihnen allein gesteht man so noch all gemein da» Recht zu, für da» Wohl und Wehe de» Heran wachsenden Kinde» zu sorgen, unbekümmert darum, ob sie selbst schon bejahrt find. Vielleicht geben sie sich zuweilen der Meinung hin, daß da» Alter dem Vater nicht mehr die AuSficht gestattet, sein Kind zu erziehen. Werden die Paten dann eintreten? Im allgemeinen ist e» Regel geworden, daß da» Patenkind selbst zusehen muß, wie e» sich schlecht und recht durch da» Leben schlägt. Ruth» Paten find auch Freunde de« Hause», die dadurch nicht betroffen werden, daß man nach der Zeiten Sitte von ihnen ein Geschenk am Jahrestage der Geburt voraussetzt. Sie hätten e» auch gespendet, wenn sie dieser Ehre nicht teilhastig geworden wären. Hier und dort ist man jetzt davon abgegangen, den Taustag zum Geschenklag zu prägen. Mit dem Herkommen, die weise Frau am Tauftage zeitweilig al« Hauptperson wirken zu sehen, hat man auch gebrochen. Ruth« Eltern laffen an der übernommenen Verpflichtung die Freunde de» Hause« und die Verwandten nicht teilnehmen, und so ist da» Häubchen, da« einst so zierlich inmitten de« Teller« lag und mit ihm vereint die Runde unter den Geladenen zu machen pflegte, um die stet« hilfsbereite Frau mit klingender Münze zu belohnen, abgeschafst. Hier gibt e« keinen, der nicht von Herzen diesem Wandel, den die Zeit
Di« ersten Lebensjahr« im Elternhaus«. geschaffen
Hal,
zustimmt.
Wenn
aber mit dem
Ueber-
kommenen aufgeräumt wird, dann auch von Grund au». Doch
das verstimmt oft di« Alten, belustigt hingegen die Jungen.
Wo ist das Steckkiffen »ergangener Tag«?
Ruth hat
«in Taufkleid erhalten und nimmt fich darin nicht übel aus;
und di« Aermel find mit rosaseidenen Bändchen geschmückt; Tülldurchzug - meint «in« Bas« und rümpft di« Nase, al» fie di« modischen Elter» betrachtet und au» ihrem Munde di«
Rechtfertigung hört, warum fie vom Kiffen Abstand genom
men und da» Kleidchen gewählt hätten.
Wie gern wär«
fie der Großmutter Ruths um den Hals gefallen, als dies« von der Neurrungssucht der füngerea Generation redet« und di« Deranttvortting für das schwach« Kreuz Ruths denen
überließ, kümmern.
di« fich um
die Erfahrungen
Aber Taustag
—
tag«, um so mehr Freudenlag«.
des Alters
nicht
Freudenlag; ft mehr Tauf
So möchte man «» weit
hin verkündigen, wenn nicht di« Sorge für di« Zukunft auch
«in Wort mitspräch«; und wenn dann ein« Els« und «in«
Christa in de» kommenden Jahren über di« Taufe gehaften werden und kein Han» und kein Peter erscheinen?
Da hört
man wohl au» der Bergpredigt immer von neuem da» Wort,
da» auf di« Vögel unter dem Himmel hinweist, aber auch
auf den Höchsten, der fie all« «rnährl.
Und mit Recht tritt
diese Mahnung immer wieder an unser Ohr, auch an jenem
Tag«, der Ruth der Gemeind« der Christe» zuführen soll.
Der Tauftag ist «in Freudentag, und «in Freudentag soll
er auch bleiben, an dem der Dank der Elter» zu dem Höch,
sten «mporsteigt und mit ihm di« innig« Bitte, da» Kind mit den Gabe» auSzustatten, di« für da» Lebe» notwendig
find.
An den Gräbern ihrer Kinder gedenken ost Eltern
I. Kapitel. der Stunde, da sie de- reichen Kindersegens müde waren; an den Gräbern der Kinder
aber
sehen
sie es
auch «in,
welches Unrecht fi« auf sich luden, al» fir da« Leben derer nicht wünschten, um deren Tod sie nun Nagen. Ruth» Eintritt in di« Welt war ein« Freud« für Eltern,
Großeltern, Tanten und Freunde.
Nun eilen sie alle zum
Tauftag« herbei, um — das Kind zu erfreuen; sie kommen
mit einer Gabe, die ihnen der Augenblick «ingegeben hat.
Daraus wird «ine Gewohnheit.
Wenn immer der Geburis,
tag Ruths naht, pflegen die Tanten die Köpf« zusammen,
zustecken, di« Großeltern beraten mit ihnen über «in prak. tische» Geschenk, di« Freunde hingegen wählen ein« Spielfache, da Gegenstände des Anzug» den Eltern nicht gerade
angenehm sein dürften, obwohl niemand darüber etwas G«.
naurres weiß. Sicherlich haben diese Praktiker oft gegen di« Ansicht der Eltern gefehlt; Spielsachen und nützlich« Dinge schließen einander im allgemeinen aus.
Wie «S aber mit nützlichen
Spielsachen bestellt ist, entgeht ost denen, die in ihnen da
recht« Geschenk' erblicken. der Zeit Puppen
in
So sammeln sich denn im Lauf«
den verschiedensten Größen
an,
anch
Küchen und Puppenstuben, Bälle in Grau und in Bunt, mit und ohn« Netz, Ankleidefiguren, Geschirr für Gesellschaften und zum täglichen Zerbrechen, Bilderbücher und Dilderbau« kästen, dunste und hell« Puppenkleider, auch solch« au- Seid«
und Samt: alle» nur nützlich« Sachen, wie di« Geber de» Eltern gegenüber rühmen, wenn sie die Gabe herbeibringen.
Auch pflegen die Schenkenden mit entsprechenden Erklärungen nicht zurückhaltend zu sein.
Da hat e- ihnen die Pupp«
mit den goldblonden Haaren und dem modefarbenen Kleide
Di< erst««
kede-ojahr« im Elternhaus«,
angetan, die sicherlich nicht verfehlen wird, Ruth» Geschmack
zu fördern: ,,Pr«is« dem Ki»d» di« Pupp«», Wofür «e begierig die Groschen hin wirft; Wahrlich du wirst Krämer» und Kinder» «in Gott."
„Hier vrrmag Ruth di« Anfänge der Kochkunst zu trei«
den," meint «in« gutherzig« Tante: „Ihr könnt auch später den Spiritusbrenner durch den Gasbrenner ersetzen". „Ich
wählt« di« Puppenstube," erklärt «in« ander« Patin, „um auch euch"
—
und damit meint sie die Eltern Ruth»
—
„eine Freud« zu machen; ihr «erdet «» selbst zugeben muffen, daß durch ein Geschenk dieser Art der Ordnungssinn eure»
Kinde» nicht zum wenigften gefördert wird."
Und Ruth
freut sich über all« di« Ding«, und di« Eltern mahnen da» Kind zum Dank« oder fallen in seine Danke-wort« «in;
nur da« Inventar, die Dienstmagd, spricht zuweilen, wen« auch in halblautem Ton«, so etwa« von „bald in di« Rum
pelkammer kommen".
Da» verletzt die Geber und trägt
der Sprecherin manchen Blick von oben nach unten «in,
bringt sie wohl auch zuweilen um de« Genuß «ine» ihr zu
gedachten Trinkgelde». Aber bi« Magd hat recht; da» soll ihr nicht bestritten
«erden.
Wenn der Geburtstag vorüber ist, hat sie vor
nehmlich mit dem Aufräumen der und argen Verdruß.
Geschenk«
viel Müh«
Anfänglich stimmen wohl noch di«
Töpfe zum Kochherd, im Lauf« der Wochen wird «» aber
immer schwerer, da» Paffend« zusammenzufinden; und wenn
e» wirklich früher einmal gepaßt hatt«, dann hat der Ge brauch «» nicht selten unpaffend gestaltet.
Da« Ende vom
Lied«: nach Wochen ein Chao«, au» dem man sich nicht mehr Gruber, Lernjahr«
2
7
1. Kapitel. Dieser Zug, da» Geschick alle» Irdi
zurechtfinde« kann.
schen nachjuahmen, scheint sich bei mancher Ruth «inzubür-
gern; aber die Eltern pflegen diesem Drange beizeiten einen Riegel »orzuschieben.
Da» Chao» entwirrt sich.
Was be
staubt in der Ecke de» Boden» liegt, kommt wieder jur Geltung.
Die Stühle der Puppenstube, die längst nicht mehr
Lehnen ihr Eigentum nennen, werden fein säuberlich von dem Schokoladenwaffer gesäubert, mit dem fi« bei Gelegenheit
einer Kindergesellschaft begossen waren, die
beflissene
indessen wird heimlich gebeten,
stet» Dienst-
die
zerbrochenen
Beine der Tischchen und Stühlchen wieder heil zu machen. Und sie nimmt sich der Gegenstände, die ihr auf den Opera-
tion»tisch gelegt werden, mit seltener Fürsorge an: Syndeti kon klebt, leimt und kittet alle». -
Mit der Erziehung de» Kinde» soll möglichst frühzeitig begonnen werden; da» ist ein alter Grundsatz, dem nicht selten
diejenigen
am
wenigstrn
neuem betonen.
nacheifern,
die ihn
immer
von
Von besonderer Wichtigkeit aber ist e», daß
die Erziehung im rechten Augenblick einsetzt.
Ruth vernich
tet« die Spielsachen, al» sie ein und zwei Jahre alt war; die Eltern ließen Ruth gewähren, schafften neu« an, hatten
auch nicht» dagegen, daß der Freunde»krei» immer von neuem
Ruth beschenkte.
Al» nun aber der vierte Geburtstag kam
und Ruth mit Wehmut
—
auch flehte Kinder sind weh
mütig gestimmt, namentlich wen« «» sich um
Puppen handelt
—
sah, daß sich
zerbrochen«
di« Spielsachen
nicht
in dem Maße vermehrten, al» sie selbst an Verstand zu-
nahm, vielmehr sich in demselben Maße verringerten, schloß
sie nicht darau», daß sie schon zu groß wär«, sondern erkannt« richtig, daß di« Eltern dem GeburtStagSmann Bescheid ge
st
Di« erst«» L«b«»»i»hre im Elternhaus«, sagt hätte», nicht- Neues 1» bringen, wenn fit da- Alte so
ganz außer acht lass«.
Da möge« wohl di« gütige« Geber in ihrem Jnnern über der Elter» Vorgehen wenig erbaut sei»; sie fühlen sogar, aber natürlich nur ganz im Geheimen, Mitleid mit die sicherlich nur
Ruth,
handelt«.
wie
andere Kinder ihre- Alter
Um de- liebe» Frieden« willen füge» sie sich,
drücke« vielleicht Ruth beim Kommen und Gehen nicht nur
«inen, sondern zwei Küff«, gleichsam al- Zeichen der Ent schuldigung, ungeschickterweis« auf den Mund, wählen /«doch
hinfort nicht Gegenständ« zum Spiel, sonder» zum Effea. So ist man vom Rege» in di« Traufe gekommen. Ruth verdirbt
sich
den Magen
Grund« meidet ganz
besonder-
und
wird
krank.
man fortan all« Süßigkeiten. zuträgliche
braucht sich über
Ding«
zum
Esten
Au- diesem Wer
aber
mitbringt,
ihre« Verbleib keine Gewiffen-biffe zu
machen; bafür finde» sich iuuner willige Abnehmer, nur nicht Ruth.
Dieser Wandel bleibt nicht «»bemerkt und bedingt
seit«»- der Geber «in andere- Verfahre», da- sich teilweis«
Ruth-
veränderter Behandlung
der Spielsachen anpaßt,
da- aber auch den Grundsatz der Nützlichkeit mehr in den Vordergrund stellt, ohn« damit gerade den Eltern Ruth
unter di« Arme zu greif«».
„Bücher und Heft« möge« di« Eltern allein kaufen," da- ist di« Ansicht der Verwandte» und Freund«; „aber
da- Kleid ist in der Tat zu dünn für di« Jahre-zeit, und darum kann e- wirklich niemand übelnehmen, wenn man
Ruth ein neue» Kleid mitbringt." neue- Früh/ahrekleid «in.
Und Ruth heimst «in
Wenn dann di« heißere» Tage
kommen, da man da- Kind doch nicht so warm anziehen kann,
1. Kapitel. wird ihm ein Helle- Gewand beschert mit rosa und anderen Schleifen und einer wunderschönen Schärpe geschmückt. Da.
ju kommen dann bunte Lederschuhe — denn andere Schuhe trägt Jedermann - und kurze Strümpfe, die zur Abhärtung
beitragen sollen.
Und
sie bringen
herbei,
alle, die
dem
Hause anverwandt und zugetan find, Hüte und Schärpen, Handschuhe und rosa, grüne und lachsfarbene Schmetter,
lingsschleifen für das Haar.
Die Sorge für die Leibwäsche
überläßt man den Eltern; und wenn dann der Sonntag
naht, da fich die Freunde persönlich von dem Aussehen Ruth»
überzeugen wollen, gibt e» ein Sinnen und Ueberlegen der Eltern, was fie Ruth um» und anhängen sollen, um alle zu
befriedigen und der Eifersucht oder de« Neid der Freunde des Hause» entgegenzutreten.
Der rote Hut, die rosa Haar,
schleife und die grüne Schärpe, die braunen Lederschuhe und
die kurzen Strümpfe, die ihrer Ergänzung harren, da fich da» eine Paar nicht lange bewährt, werden vereinigt.
An
Sonntagen pflegt man dann, um der lieben Eintracht willen, die Harmonie de» Anzüge» weniger al» an Wochentagen zu
beachten.
So geht e« lange, keinem zum Schaden, man«
chem zum Nutzen.
Schließlich aber versagt auch ein Tau«
tengemüt, wenn e» sieht, wie ihm nur äußerlich Genüge ge-
schicht und seine Ratschläge und Geschenke nur dann Der. «ertung finden, wenn e»
die Verhältnisse vorteilhaft er.
scheinen lassen. Indessen ist man im Kreise der dem Hause Nahestehen, den darüber verstimmt, daß Ruth der Dienstmagd besondere
Zuneigung entgegenbringt.
Selbst die Eltern haben wahr,
genommen, daß ihr Ansehen unter diesem Einflüsse leidet; denn Ruth» Abendgebet:
Di«
ersten
Lebenssahr«
im
Elternhaus«.
„Ich ii» klein, mein Her» sei rem,
Soll niemand drin wohnen, al« Jesu« allein"
ist plötzlich ohn« ihr Zulun «in «nbere« geworben; bi« Magd hat Ruth beten gelehrt: „lieber Gott, kannst »Ne« geb«»; gib auch, wa« ich bitt« nun:
Schütz« dies« Macht mein leben, laß «ich sanft und sicher ruhn;
Sieh auch »»» dem Himmel nieder auf di« lieb« Eltern mein;
laß tiM
all« morgen wieder fröhlich und
dir
dankbar sein!"
Und bennoch schweigen bi« Eltern, eingebenk der Erfah
rung, baß Kindern im allgemeinen ein besonderer Hang zum
Dienstpersonal innewohnt, der nicht in die Brüche gehen bars
durch Vorhaltungen, bi« könnten.
vielleicht ohne Grunb geschehen
Da» alte Gebet scheint selbst
ben Eltern setzt
weniger für Ruth geeignet al« da» neue, unb fie finb ficher, daß nur gute Absicht bi« Belehrung veranlaßt hat.
Aber
bi« geistliche Belehrung geht weiter, ohne zunächst zur Kennt
nis der Eltern zu kommen.
„Ruth lernt ein kleine» Ge
dicht", heißt e», wenn fie länger al» sonst in ber Küche weilt;
inbeffen hört fie dort Gesangbuchverse und Bibel
sprüche, spricht auch verständnislos nach, wa» sie vernimmt, merkt auf Engel unb Satan und beschäftigt ihre Phan-
taste oft bi« zum späten Abend in einer Weise, daß fie schließlich au» dem Schlafe mit den Worten auffährt: „Will
Sala» mich
»«rschliagen,
So laß di« Engel singen:
Die« Kind soll unverletzet sein."
Nun ist ber Augenblick herangenaht, ber dem Lehreifer
der Magd eine Schranke setzt.
Ruth aber nimmt von dem
allen nur wahr, baß man mit ihr hinfort mehr spielt «l» betet.
Dann unb wann wird ihr auch wohl noch ein schöne«
1. Jt e , i t« L
Märchen erzählt, jedoch nut, wenn di« Eltern ausgegangen find und die Magd di« Verantwortung über das leibliche und geistig« Wohl Ruths selbst zu tragen hat. Aber Ruth wird auch zuweilen von den Eltern mitge nommen. Namentlich an schönen Sommer- und Winter tagen, wenn «S gilt, durch «inen Spaziergang in Wald und Feld die Gleichförmigkeit des Lebens zu bannen und neuen Mut zur Arbeit zu schaffen. Freilich zieht es Ruth meist vor, mit anderen Kindern auf dem schönen Hofe zu spielen, anstatt fein fittfam neben Vater und Mutter herzugehen und dann schließlich für alle Anstrengung, die ihr «in kleiner Marsch verursacht, al» Belohnung ein Glas abgekocht« und noch lauwarm« Milch zu bekommen, di« st« auch nur in mäßigen Zügen genießen darf. Ruth» Pate findet aber durchaus nichts darin, wenn da» Kind bei der Hitz« einmal einen tüchtigen Schluck Bier nimmt. Er bringt es auch fertig, gelegentlich einmal, wenn es Vater und Mutter nicht sehen, Ruth einige Tropfen Wein kosten zu lasten. Wenn es Vater und Mutter nicht sehen — also hinter dem Rücken der Eltern und gegen ihr ausdrückliches Verbot? Selbst das Kind, dem Schweigen gebottn wird, erkennt, daß hier nicht alles in Ordnung ist. Aus dem Zuttauen wird allmählich Mißtrauen gegen den Geber, und in Ruths Augen wähnt man den Vorwurf zu lesen: Du lehrst mich falsch« Wege gehen. Kinder sind nicht Träger von Geheimnissen, und so hat auch Ruth richtig gehandelt, al« sie es der Mutter sagt«. Ruth« Eltern erwächst nun die neu« Ausgabe, dem Kinde Bedürfniffe wieder abzugewöhnen, ehe sie zur Gewöhnheil oder gar zur Leidenschaft werden. Das Mißtrauen
Di« erst«, £«6en*ja^t« im Elternhaus«. de« Kind«» zum Paten
bleibt jedoch bestehen; aber auch
da« Mißtrauen der Eltern bleibt ihm nicht erspart; und wenn
di«
Jahr«
vorüber
gegangen
find
und Ruth
zur
Selbstbesinnung gekommen ist, steht ein« Anklägerin vor
ihm, di« zuweilen nur scherzend seiner Taten gedenkt.
Doch
auch im Scherz liegt Ernst, ost bitterer.
Ruth empfindet bald auch innig« Freud«, auf der Flur und
im Wald« zu weilen.
Und wenn der Vater dann sein« Ruth
an der Hand führt, so gedenkt er der Worte de« wackere«
Christian Gotthilf Salzmann: Da« ist «in herrliche« Ziel,
ei« gute«, stohe«, gesunde« und vrrständige« Kind sein eigen nennen zu dürfen, da« in fich selbst jene Glückseligkeil «mp-
findet, di« zum Wohl« der andern Menschen mittätig zu sein imstande ist.
— Di« Wunder der Natur, die Schöp
fung, bringen den Vater dazu, Ruth von dem lieben Gott
und seiner Gnad« zu erzählen, fi« vom Sichtbaren zum Un sichtbaren, von der Natur zu ihrem Schöpfer hinzuweisen, hinzuleiten.
Da« Kind empfindet hinfort keine Freud« im
wilden Laufen und Jagen; e« pflückt die Blumen am Wege«rand und läßt fich ihre Name« nennen. schönsten zu
einem Strauß«
zusammen,
Dann fügt e« di« um
fi«
heimzu-
bringen und ander« damit zu erste»««. Auch in den Bergen und an der See «eilt Ruth in ihren Kinderjahren.
Sie kommt während der Sommer
ferien dorthin. Wenn fich Estern
zum erstenmal mit ihren Kindern,
die vielleicht eben erst da« schulpflichtig« Aster erreicht haden, auf Reisen begeben, fich dann an der Schönheit einer Landschaft erfreuen und auch ihre Kinder darauf aufmerk
sam machen, so wundern fie fich zuweilen nicht wenig, daß
1. Kapitel. ihr« Empfindungen nicht geteilt «erden, ihnen sogar oft ein
gewiffer
Widerstand
wird.
entgegengesetzt
Di«
Eltern
rühmen den herrlichen Ort, die sonnigen Halden und tiefblauen Seen; sie preise» die reizvolle Ausficht.
Di« Kinder
vernehmen es, blicken wohl auch nach der Stell«, di« den
Gegenstand der Betrachtung bildet, hin; doch dann pflücken
fi« eine Beere oder erfreuen fich an einem Käfer, den fi« zufällig am Weg« entdecken, der ihnen von der Heimat her nicht
unbekannt
ist.
Ein
treffende» Wort Rousseau» in
seiner Vorrede zum „Emil": „Man kennt
nicht.
die Kindheit
Man sucht stet» den Mann im Kind« und d«nkt
nicht an da«, wa» «» vorher ist, «h« «« rin Mann ist", ««ist hi«r di« Eltrrn auf di« richtig« Fährt«.
Erst ganz
allmählich dämm«rt im Kind« da» Bewußtsein von der Er habenheit der Umgebung.
Man führe «» schrittweise dahin,
daß «» di« Ding« begreifen und ihr« Bedeutung, ihren Wert schätz«« lern«; dann wird «< schließlich auch ergriff««, und
sein« Sinne werden berauscht «erden von der Schönheit der Außenwelt, auf der da« Aug« des im Innern Gleichgültigen
regungslos und ermattet ruht. -
Wie wird di« Reise mit Ruth unternommrn? Wenn
hat,
Ruth
bedarf
fie
da» vierte
einer
Lebensjahr
besonderen
bereit» vollendet
Fahrkarte.
Zwar
ist
man im Freundeskreis« der Anflcht, daß man «» ihr noch
nicht ansehe, welche» Lebensjahr fi« erreicht hat.
Ruth-
Eltern aber wollen den Weg der Wahrheit um der kleinen
Ersparnis halber nicht verlaffen und «eisen da« Anfinnen zurück, Ruth ohn« Fahrkarte auf di« Reise mitzunehmen.
Ist da» wirklich allgemein üblich?
Sind wir nicht ost-
mal« in der Lage, zu beobachten, wie Eltern hier leicht mit 14
Di« «rft«n Lebensjahr« im Elternhaus«. der Wahrheit umgehen, und sollen wir un« da wunder«, wenn zehnjährig« und noch ältere Kinder sich für jünger au«,
gehen, al« fi« in der Tat find, nur, um auf Grund einer Kinderfahrkart« befördert zu werden? Haben fie nicht ost.
mal« in den Ettern ihr« Ratgeber gefunden? Und wenn auch nicht immer, vielleicht nur in seltenen Fällen, dem unrechten Tun di« gerecht« Straf« unmittelbar folgt, so vergrffe man nicht, seinen Anteil al« Vater oder Mutter an der beabfichtigten oder vollführten Täuschung, die
da« Kind unternimmt, in di« Wagschal« zu werstn.
Hast
du Vater und du Mutter in der Tat stet« dein Kind vor diesem Fehler zu bewahren verstanden? Hast du «« nie un. ternommen, um irgendwo
Eintrittsgeld zu ersparen, dein
Kind stillschweigend jünger zu machen, al« e« in Wirklichkeit
war?
Bist du ficher, daß von deinem Tun di« Kinde-seel«
unberührt geblieb«« ist?
Oder sollt« dein Kind geahnt ha
ben, sollt« es sogar zu der Ueberzeugung gelangt sein, daß
du ihm im Unrechttun «in Wegweiser geworden bist? Hast
du ihm vielleicht geradezu di« Mittel und Weg« an di« Hand gegeben, wie e« verfahren soll, um durch Täuschung, ja durch Betrug etwa« auf billiger« Weis« zu erlangen? selbst.
Prüf« dich
Wie di« Alten sungrn, so zwitschern di« Jungen:
„Der Uebel größte« aber ist di« Schul d".
Zweite« Kapitel.
Vom Elternhause zurSchule. Wahl derSchule.
l« Rousseau in dem ersten Buche seine« „Emil" »er-
kündigte: „So wie di« Mutter di« wahr« Amme de« Kinde« ist, so ist der Vater dessen eigentlicher Lehrer.
Aber
der gibt »er, nicht Zeit zu haben, darum werden die Kinder in Pensionen ausgetan, wo sie sich von der Lieb« entwöhnen; zerstreute Geschwister kennen einander kaum.
E« liegt «in
schwerer Fluch auf Derabsäumung der Daterpflicht", mochte
er seiner eigenen Handlungsweise gedenken, di« e« -uliesi, daß seine Kinder im Findelhause Unterkunft fanden, um vor dem sicheren Untergang« gerettet zu werden. Ruth« eigentliche Lehrmeisterin ist die Mutter; sie ist
zugleich die „wahre Amme".
De« Vater» Zeit ist in un
seren Tagen beschränkt; seine Tätigkeit gilt vor allem dem
Beruf«, um seiner Familie da« Notwendige zum Leben zu »erschaffen.
Auch wenn diese
Bedingung an den Vater
nicht gestellt wär«, dürste er di« Sttllung nie antreten, die ihm Rousseau, der seine Kinder sündhaft vernachläffigl«, vor
schreibt. Die ersten Jahre de« Kinde-leben« gehören der Mutter; sie hat di« schön« und zugleich verantwortungsvoll« Auf-
gäbe, di« Kindesseel« zu bilden, ihr den Begriff von Recht und Unrecht mit der Mild« «inzuflößen, wie sie dem weiblichen Geschlecht« im besonderen verliehen ist.
Der Vater
ist zwar von der Erziehertätigkeit nicht ausgeschloffen, je-
SB e m Elternhaus« jur Schul« — Wahl b«r Schul«, doch wird er sich zunächst mit der beratende« Stimme be
gnügen,
«m
den Akt
der
Erziehung
nicht
Bahnen zu leiten »der wohl gar zu hemmen.
in
falsche
Kurzsichtige
Naturen, Menschen, die der rechten Erzieherart nie nach
gestrebt haben, werden wohl dann und wann einmal zu der falschen Ueberzeugung kommen und damit auch nicht hinter
dem Berge Hallen, daß die Mutter da« Heft in der Hand
halte, während der Vater zusehe.
Ist e« bei ihnen in der
Gedenken sie nicht ihrer eigenen
Jugend ander« gewesen? Kinderzahre mit Freuden?
Und wenn e« ander« gewesen
ist, wenn der Vater allein regiert und die Mutter sich sei
nem unbeugsamen Willen gefügt hat, ist e« nicht, al« ob
ein Wermutttropfen in die süße Zeit der Jugend fällt? Ist e« wirklich ungemischte Freude, an die sie zurückdenken
können?
Allerding« muß die Mutter auch dieser Aufgabe
in vollstem Maße gewachsen sein.
dern auch körperlich gesund,
Nicht nur geistig, son
muß sie
aller
trotz
sozialen
Pflichten, die sie sich auferlegt und mit denen ihre Abwesen,
heit oft entschuldigt wird, für den eigenen Haushalt aus reichende Zeit haben, um sich dem Kinde widmen zu können.
Sie allein wird beurteilen können, ob de« Vater« Vorwurf,
der dem Kinde gilt, schließlich ihr selbst gebührt, da sie seine Richtung im besonderen
bestimmt.
Und
wenn
e«
dann
heißt, daß Ruth in den Gerichten schon wählerisch sei, wenn auch der Vater seiner eigenen Jugend gedenkt, in der ihm die Wahl der Speisen nicht selbst überlaffen war, so
ist
e« die Mutter wieder, die dem rechten Ziele zusteuert, au« der mehr oder weniger hervortretenden Eßlust M Kinde«
auf sein körperliche« Befinden und nicht auf eine Laune oder gar auf ein Derwöhntsein zu schließen.
2. Kapitel. Soll man wirklich von einem wählerischen Kind« reden,
da» den Speis«» heul« nicht wie gestern zuspricht? Derjenige
Arzt hat in der Tat da» richtige Urteil abgegeben, der «» den Eltern an da» Herz legt, da» Kind nicht zum Esten
zu zwingen, sondern ihm di« Freiheit zu lasten, die für sein
Wohlbefinden notwendig ist.
Da» Auge de» rechten Er-
zieher» erkennt wahrlich, wenn Trotz und böser Will« bei
der Wahl der Speise» mitreden.
Dem soll nicht entgegen
stehen, daß «in verminderte» Wohlbefinden zuweilen erntn Zwang zur Aufnahme der Nahrung erheischt; dann ist eben
der normal« Zustand nicht vorhanden und ein« besondere Lag« gegeben.
In diesem Falle mag der Arzt entscheiden,
wenn di« sogenannten Hausmittel, denen immerhin ein« ge-
wist« Bedeutung zukommt, nicht nützen.
Indessen wächst Ruth zur Freud« der Eltern heran. E» naht bi« Zeit, da Ruth in die Schul« geschickt werden soll. Da» soll zu Ostern geschehen, wenige Wochen nach Voll endung de» sechsten Lebensjahre».
Warum auch nicht? Oder
sollte man den Reden der Leut« Gehör schenken, di« dem
Kinde gern noch den Sommer gewähren, ehe e» dem Schul-
zwang« überantwortet werd«?
Sollt« man der Anficht still
schweigend zustimmen, di« u r Schul« — Dahl btt Schul«, rückkehren, der kein« eigentlich« Familie vorau«setzt und di«
gemeinschaftlich« Erziehung der Kinder beider Geschlechter bi« zum sechste« Jahr« in Anstalten »orfieht; er will dort
vielmehr da« Kind für die Schul« vorbereitet»
und der
Mutter «in« Gehilfin geben, damit der Körper der Kinder
gekräftigt, die Sinne geübt und der erwachend« Geist be
schäftigt «erde«. Maa kann da« „Heureka! Kindergarten soll di« Anstalt heißen", verstehen, da« Fröbel «inst freudig in di« Berg«
hineinrief, al« er den rechten Namen für seine Gründung
gefund«» zu haben glaubt«.
Di« Gegner de« Kindergarten« waren auch zu einer Zeit
»och nicht verstummt, al« er seinen Einzug in di« Schul« hielt, al« die Neuordnung de« höheren Mädcheaschulwesen«
vom Jahr« 1908 bestimmt«, daß für di« praktische Einfüh rung aller Schülerinnen de« Oberlyzeum« in di« Klein-
kinder-Erziehung «in Kiader-artea mit der Anstalt zu ver binden sei.
Noch beharre« die Gegner bei der Behauptung,
daß der Kindergarten ohn« Verstand»!« für di« Seel« de« Kinde« wirk«, daß er di« Kinde-natur »erkenn«, da er di«
Kinder in einem Lebendalter, in welchem ihnen di« physische»
und psychischen Vorbedingungen noch nicht eigen sind, einer
künstlichen
Unterweisung unterwerf«.
I» Preuße» ging
man unter dem Kulludminister von Raumer sogar so weit,
den Kindergarten «in« Zeitlang zu »erbieten und ihn al« ein«
Gefahr
national«
zu
erklären.
Erst
z«ha
Jahr«
später wurde da« Verbot zurückgenommen. Man
darf
nicht
übersehen,
garten manch« überflüffige Kindern tut,
dir
daß
der
Kinder
Arbeit »ornehmlich an solchen
di« Mutter
im Hause
nicht
zu
ent-
2. Jt« f i t e L
behren brauch«», daß «r ferner die Kinder oft dazu verleitet, da« mechanische Erlernen dem verständni-vollen Eindringen in den Gegenstand vorzuziehen, eine Eigenart, die fich oft da
ganze Lebe» hindurch zum Nachteil de- einzelnen bemerkbar macht.
E» bleibe aber auch nicht unerwähnt, daß fich die
Zahl der Gegner de« Kindergarten« in jener Zeit merklich
mehrte,
al- der Vorstand de- Bunde« deutscher Frauen-
vereine, ohne in Betracht zu ziehen, daß dadurch fegen«volle Erziehung-kräfte in der Familie »»«geschaltet würden, die
Bitte an die deutschen Bundesregierungen richtete, für da«
vorfchulpflichtige Alter aller Kinder zwei Jahre lang den pflichtmäßigen Besuch de« Kindergarten- zu fordern.
Nicht achtlos sollte man an den Vorschlägen, die der bekannte Oberfchulrat Hermann Schiller gibt, vorübergehen,
der in klarer Erkenntnis nicht so sehr den Besuch de« Ki». dergarten» seitens der Kinder aus den besseren Ständen be
tont, obwohl er nicht der Ansicht ist, daß diese nicht auch in
die Kindergärten gehen sollten.
Hermann Schiller ist über
zeugt, daß Kindergärten für die Dörfer und die Arbeiter-
bevölkerung der Großstädte und der Fabrikbezirke not tun,
da diesen Kindern sowohl sprachlich als auch nach dem Umfang ihre» Vorstellungskreife» und der Fähigkeit der (Eltern, den Kindern nach diesen beiden Richtungen hin Förderung
angedeihen zu lassen, zuerste Hilfe zuteil werden müsse, die
privaten Kindergärten
ihnen aber
nicht
zugänglich
find.
Staat und Gemeinde sollten die Hilfe gewähre«.
Sicherlich wird man auch feiten» der Gegner die Be deutung der Kindergärten nicht verkennen. wünschen müssen, daß
Man wird aber
ihre Tätigkeit vor allem auf jene
Kinder gerichtet fei, die ohne Aufsicht sind und die elterliche
CD em Elternhaus« jur Schul« — Wahl der Schul«. Pfleg« entbehren muffen, dadurch aber in Gefahr geraten zu verwahrlosen. Pestalojzi hat recht, wenn er es nicht „jedem Narrenvater und jeder Narrenmutter" freistellt, aus ihren Kindern da« zu machen, was fi« aus ihnen machen wollen. Nicht unbeachtet bleib« auch Henny Schumachers Ansicht, di« sich in ihrer Schrift über Fröbel dahin äußert, daß di« väterlich« Crziehungskrast de» Manne» auch im Kindergarten nicht ganz ausgeschaltet werben dürfe, um de- Manne» und um de» Kinde» willen; denn di« zumeist stärker« sachlich« Einstellung de» Manne» sei auch schon im Kleinkinde-aller notwendige» Erziehungsmittel zur Sachlichkeit. — Wenn euft jur Schul« - Wahl b«r Schul«, {u
Haus«,
da
doch
em«
groß«
Ansteckungsgefahr
vor
liegt?" „Da» geht halt so nicht an," erwidert« der «acker«
Schulmeister, „dazu bedürfen fi« «ine» ärztlichen Zeugniffrs, und da» kostet immer «in« Mark; da lasten fi« lieber di« Kinder in di« Schul« gehen."
Also deshalb?
Da konnt«
man es den Eltern wirklich nicht übelnehm««, wenn fi« mit
aller Entschiedenheit für «in« Befferung der Zustände ein
traten, die dann auch da» Gesetz betreffend di« Bekämpfung überiragbarer Krankheilen gebracht hat. — Soll Ruth nach der Grundschule «in« öffentlich« höher« Mädchenschule besuchen?
In vielen Fällen wird eine Wahl ausgeschloffen fei«, da di« Zahl der öffentliche« höheren Lehranstalten für Mäd chen noch v«rhältni»mäßig gering ist.
Meist find fie nur
in größeren Städte« vorhanden, dort aber auch reichlich ge füllt.
Au« dieser Tatsache erhellt bereits «in« gewiff« Vor-
lieb« der Elter« für öffentlich« Anstalten, und die Erfahrung lehrt, daß ihnen von jener Seit« auch Vertrauen entgegen
gebracht wird. Man wird aber den Privatschulen di« Daseinsberechti
gung in keiner Weis« streilig machen dürfen, zumal fi« in
einigen Gegenden
di«
einzigen
Bildungsstätten
find
und
bleiben für unser« Töchter, di« nach einer höhere« Bildung streben.
Di« Gemeinden, in denen fie vorhanden find, ver
mögen ost nicht di« Kosten für de« Unterhalt einer oder
mrhrerer öffentlicher Lyzeen aufzubringen, zum Teil find fi« sogar nicht einmal imstande, ihre private» Anstalten durch
Geldmittel zu unterstützen. Die Privatschult vermag anderer
seits einzelnen Schülerinnen, di« besonderer Rückficht bedürfen, von wesentlichem Vorteil zu sein, da fi« mir in Ausnahme-
2. Kapitel. fällen an der Ueberfüllung der Klaffen wie di« öffentlichen
Anstalten leidet.
Bedarf die Tochter einer gewiffen Rück
sicht, so mag sie walten; den» eS ist selbstverständlich, daß sich Lehrer und Lehrerin in weniger überfüllten Klaffen den ein-
zelnen Schülerinnen mehr widmen können.
Soll man aber anderstitS di« Vorteil« der öffentlichen Lyzeen verschweigen, da sie doch offenbar sind?
Soll man
sich wirklich der Selbsttäuschung hingebrn, daß di« Ideale
in der Privatschul« «in« beffer« Pflegt erfahren, die weib-
liche Erziehung hingegen in ihrer Eigenart in dem öffent lichen Lyzeum Gefahr läuft?
Da» scheint in einigen Krei
sen «in geflügelte» Wort geworden zu sein. Warum übernehmen denn di« Gemeinden die nicht unbedeutenden Kosten, um öffentlich« Lyzeen zu gründen und
zu erhalten, wenn sie ihren Zweck ohne besonder« Ausgaben
erreichen könnten?
Warum begünstigen di« vorgesetzten Be
hörden di« Errichtung dieser Art Schulen, wenn sie nicht von
ihren Vorzügen überzeugt wären?
Oder sollt« wirklich «in
denkender Mensch auf den Gedanken kommen, daß die Ver treter
einer Stadtgemeinde,
deren Einkünfte
unter
dem
Vorhandensein einer ärmeren Bevölkerung wesentlich leiden,
Ausgaben
zustimmen
sollten,
die
im Grund«
genommen
zwecklos sind? Auf der Zusammensetzung des Lehrerkollegiums beruht zum großen Teile da« Ansehen der Schul«.
Nun dürfen
wir zwar Gott danken, daß un» nicht solch« Lehrertypen be-
schieden find, wie sie uns Otto Ernst im „Flachsmann al» Er-
zieher" vorführt; auch di« schlichtest« Privatschule kann damit in unseren Tagen nicht aufwarten, und könnte sie «»,
dann wär« sie nicht wert, den Namen „Schule" zu führen.
V »» Elternhaus« jur 0