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German Pages 96 [101] Year 1915
Unser Kriegserlebnis In seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung dargestellt von
Ludwig Iacobskötter Domprediger in Bremen
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
(Döge uns der Geist von 1914 erhalten bleiben! von Hindenburg
Der Mutter meiner Rinder
Einrahmung. Wir sind nicht nur von Kampf und Feinden
umstellt. Schlimmeres noch braut sich an unseren Grenzen und Küsten zusammen: Nebel, der alles
unsicher macht und verschlingt. Nach dem Verrat Italiens hat der französische
General Lyautey zu den Konsuln der Ententemächte bei
einem Bankett
in Tanger folgendes
gesagt:
„Alle, die in der Welt für die Rettung der Zivili
sation, des Rechtes und der Freiheit des Geistes gegen die Mächte der Finsternis und des Todes
kämpfen,
begrüßen
die Entscheidung
der großen,
edlen, italienischen Nation, der Erbin Roms, der Mutter der modernen Zivilisation und aller wahren
Kultur mit Begeisterung ..." And der Pariser Schriftsteller Eduard Schure
schreibt etwa zu gleicher Zeit: „Es handelt sich für Italien sondern
Sieg.
nicht
allein
auch
um
um einen
einen politischen
glänzenden
Sieg,
moralischen
Am den Sieg der Wahrheit über die Lüge,
des Glaubens über den Zweifel, des Geistes über die Materie, der Zivilisation über die Barbarei, der Humanität über die rohe Gewalt ..."
VI
Aber diesen Nebel muß die Sonne der Ge
schichte aufgehen.
Von wem ging in der neu
zeitlichen Geistesgeschichte die Rettung des Geistes
aus? Aber diesen Nebel muß die Sonne unseres geistes geschichtlichen Kriegserlebnisses siegen.
Denn in
ihm geht zum zweitenmal die deutsche Rettung des Geistes strahlend auf.
And vom taufrischen Morgen gesegnet müssen wir uns für den kommenden Tag rüsten.
Darum
auf an die Arbeit!
Bremen, 19. Juni 1915. Ludwig Iacobskötter.
Inhalt. Leite
Einrahmung..............................................................................V
Die Rufgabe...............................................................................1
I. Das geistesgeschichtliche Thema der Neu zeit .................................................................................. 3 a) seine geschichtliche Entstehung............................... 3 b) seine geschichtliche Entwicklung............................. 16 1. bis zur erstmaligen deutschen Lösung . . 16 2. bis zur neuen Krisis und neuen Erfassung des neuzeitlichen Themas.............................. 39
II. Unser Kriegserlebnis selbst.............................. 65 a) Die moderne Sehnsucht wurde erfüllt ... 65 b) Die moderne Krisis wurde geheilt .... 69 c) Das Thema der neuzeitlichen Geistesgeschichte wurde praktisch gelöst............................................. 76 Lin Schlußwort zum neuen Ritfang................................. 88
Die Aufgabe. Wie dieser Krieg enden wird, weiß noch niemand
von uns. mit
jenem
Das heißt, wir wissen's alle, wir wiffen's heimlichen,
schnurstracks
aus unserm
tiefsten Lebensnerv aufsprießenden Wissen: wir wer
den siegen.
Ob schon im Verlauf dieses Krieges
oder nach einem vorläufigen Frieden in einem zweiten
deutschen Krieg, steht dahin.
Aber in dem Kampf,
zu dem wir in diesem Krieg aufgerufen und an
getreten sind, werden wir siegen.
Diese Gewißheit
ist künftighin für uns die Achse der Welt; bricht sie entzwei, hört für uns die Weltgeschichte auf.
Diese Gewißheit ist nicht ein Produkt strate
gischer oder politischer Berechnungen.
Diese Be
rechnungen müssen vielmehr selbst mit dieser Gewiß
heit als mit dem entscheidenden Faktor in diesem Ringen rechnen.
Unsere Siegesgewißheit ist
die Frucht des geistesgeschichtlichen Erleb
nisses, mit dem dieser Krieg uns gesegnet und zu einer neuen Zukunft berufen hat.
Das eben ist das Eigentümliche und Einzigartige unseres Kriegserlebniffes, daß dieser Krieg sich nicht
nur mit nationalen Zielen vermählte und einen 3acobsftotter, Unser Krtegserlebnis. 1
2 national-politischen Willen mobilisierte, daß er nicht bloß die Fortführung unserer Politik oder gar ein Geschäftsunternehmen mit „anderen Mitteln" dar stellte,
sondern eine große geistesgeschichtliche
Entwicklung katastrophal zum Abschluß brachte
und
neue
eine
geistesgeschichtliche
Epoche schöpferisch begründete.
Es mag schon
hier darauf hingewiesen werden, daß mit dieser Er
fassung dieser großen geschichtlichen Wendung sich der
spezifisch
deutsche Charakter
unseres Wesens
Nur muß man sofort hinzu
eigenartig betätigte.
fügen, daß er durch diese Betätigung sich nicht nur erwies, sondern zugleich sich neu begründete und schuf. — Diese geistesgeschichtliche Wendung
und Sendung, die dieser Krieg uns brachte,
gilt es zu begreifen, um sie zu befestigen und für die Zukunft wirksam zu machen.
*
*
*
Dazu wird zunächst eine geschichtliche Orientie
rung größeren Stils nötig sein.
Wir müssen dabei
versuchen, das geistesgeschichtliche Thema der Neu
zeit zu finden.
Lassen wir dann in großen Linien
an unseren Augen vorüberziehen, wie man an den
entscheidenden Wendepunkten diese Aufgabe verstand und zu lösen suchte, so dürfen wir hoffen, in der
geistigen Situation finden zu können.
vor
dem Kriege
uns zurecht
Von hier aus muß sich dann die
geistesgeschichtliche Bedeutung unseres Kriegserleb-
niffes ergeben.
3
I. Das geistesgeschichtliche Thema der Neuzeit. a) Seine geschichtliche Entstehung. In uns allen zittert noch die Erschütterung nach,
die den Zusammenbruch des mittelalterlichen Geistes lebens begleitete, so wie im Manne noch die Er
schütterung jener Stunde nachzittert, in der er von
seiner Jugend, von Erziehung und Unterricht, von Kirchgang und Familienleben im Elternhaus Ab
schied nahm.
In diesem Nachzittern bekundet sich,
so könnte man sagen, unser allgemeingeschichtliches
Bewußtsein.
Selbst wenn es uns niemand beweisen
könnte, wir fühlen es auf Schritt und Tritt in Ver kehr und Auseinandersetzung mit den Formen und Arteilen und Begriffen, die aus jener Zeit in Bau
denkmälern und Institutionen, in Wissenschaft und Lebenshaltung, in Kunst und Weltgefühl, in Lebens
stimmungen
und
-Programmen bis in unsere un
mittelbare Gegenwart hineinragen, wir fühlen, daß
mit unserer Stellung
zu den Forderungen und
Fragen des gesamten Lebens im Gegensatz zu jener Zeit eine neue aufgekommen ist.
Es hat sich eben
ein neuzeitliches Bewußtsein gebildet und mit ihm eine neue Welt, mögen nun auch die Fermente dieses Bewußtseins im Mittelalter nachzuweisen sein, in
der Neuzeit sind sie erst bewußtseinsbestimmend und
1*
4 damit geschichtsbildend geworden.
Denn nicht das
einfache Auftauchen und Dasein der Dinge bildet die Geschichte,
sondern die Beziehungen, die die
Dinge zu den bestimmenden Lebenszentren gewinnen, prägen den Charakter einer Epoche.
Machen wir uns einmal geschichtlich die Wen dung zur Neuzeit klar! Wir fassen zu diesem Zweck nur die großen Llm-
riffe und Grundlinien des mittelalterlichen Geistes lebens ins Auge.
Die Schnörkel und Verzierungen
müssen wir freilich beiseite lassen! Die Gesamthaltung des Mittelalters dem Wissens stoff gegenüber ist die des lernbegierigen gläubigen
Schülers, der sich willig der Autorität des Lehrers unterwirft und seine Hauptaufgabe darin sieht, auf zunehmen und weiterzugeben, was ihm die Schule
überlieferte.
Die Wahrheit ist für den mittel
alterlichen Denker nicht in erster Linie ein vielver
zweigtes Problem, das der einzelne durch sein Er leben und Forschen zu enträtseln hat, sondern eine objektive Realität, die gelernt und behalten und
weiter vermittelt werden muß und kann.
Die Wahr
heit ist erkennbar und lehrbar, weil es Institutionen auf der Welt gibt, denen dieser Schatz von dem Äerrn der Wahrheit selbst geschenkt und überant
wortet ist.
Diese Institutionen sind die Kirche und
die Philosophie.
Die Kirche ist dank der inspirierten
heiligen Schrift, der Tradition der Kirchenväter und der Lehrentscheidungen der Konzilien in der Lage,
über Gott und die Entstehung und Leitung der
5 Welt, über Zweck und Sinn des Lebens den Gläu bigen genaue Auskunft zu geben.
Die Grenzlinien
zwischen den Kompetenzen der Gebiete, in denen die
Kirche oder die Philosophie gebietet, mögen manch
mal schwer zu ziehen sein und oft Anlaß zu Konflik ten geben, zuletzt bleibt doch die Einheit und Festig
keit des ganzen Reiches unbestritten, weil das eine Herrschaftsgebiet, nämlich das der Kirche, so wesent
lich mit dem Gebiet des Lebens überhaupt zusammen
fällt, daß allem anderen nur eine untergeordnete, sekundäre Bedeutung zufällt. Aufbau
des
Lebens
Lebensstimmung.
Diesem theoretischen
entspricht
die
praktische
Alles Erleben und Schaffen
hat keinen eigenartigen Kem und selbständigen Dies seitszweck, der eigentliche Kem und Zweck liegt im
Jenseits.
Der Asket, der die Welt flieht, und
der Mystiker, der sein Ich von der Umgebung ab
zieht und ins Unsichtbare, in Gott verlegt, sind die eigentlichen Lebenskünstler.
Darum bildet die aristo
telische Philosophie mit ihrer aus der altorientali schen
Geisteswelt
gewonnenen
Anschauung
vom
pyramidenartigen Stufenbau des Lebens die will kommene plastische Illustration der mittelalterlichen
Weltanschauung.
Das
wirtschaftliche,
staatliche,
wissenschaftliche Leben sind Stufen zu dem einen wirklichen Vollleben, zum religiös-kirchlichen.
AuS
dem beherrschenden Lebenszentrum der Kirche er geben sich dann die Gesetze für alle anderen Lebens
gebiete.
Die logische Zergliederung der feststehenden
Grundprinzipien ergibt das richtige Weltbild.
Die
6 intellektualistische,
deduktive
Methode
feiert
ihre
Triumphe.
Machen wir uns die Wirkung dieses Systems auf den Gebieten der Natur, der Wissenschaft und der
Religion
deutlich!
Es
herrscht
weder
selb
ständige Freude an der Natur, noch selbständige experimentelle Forschung
Erkenntnis derselben.
in
der
wissenschaftlichen
Aus allgemeinen Begriffen
wird das naturwissenschaftliche Weltbild konstruiert;
auf Grund feststehender Grundsätze wie, daß die Natur es an nichts Nötigem fehlen lasse und ihre
vernünftige Zweckmäßigkeit dem geistlich erleuchteten Verstand sicherlich erkennbar sei,
wird die philo
sophisch-theologische Deutung des Naturgeschehens
dekretiert. Allgemeine Begriffe, ewig gültige, zeitlos ab strakte Wahrheiten beherrschen auch daS wissen schaftliche Denken im allgemeinen.
Das wissen
schaftliche Erkennen rechnet nicht mit einer histori
schen Entwicklung, die Inhalte wenigstens sind von Anfang an da. Überall, wo Wahrheitsmomente erscheinen, können und müssen sie miteinander über
einstimmen.
Die
historische Kritik hat die Auf
gabe, diese Larmonie herzustellen, wo sie durch unvollkommene Überlieferung und dergl. gestört sein sollte. Am eigentümlichsten erscheint dieses intellektua
listische Einheitsstreben auf dem Gebiet der Reli gion.
Die
religiöse
Betätigung
und
Äerzens-
bewegung des einzelnen soll sich möglichst in einem
7 Nacherleben des Vorgeschriebenen und überkomme nen, in der Erfüllung der kirchlichen Ordnungen, in
dem Gehorsam gegenüber der kirchlichen Lehre und den kirchlichen Bestimmungen erschöpfen. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß eine der Laupt-
sorgen der mittelalterlichen Kirche darauf gerichtet
war, jedes irreguläre, individuelle Erleben Gottes einzufangen in die Netze der offiziellen Dogmatik
und unterzuordnen unter die kirchliche Lierarchie. Darum wird beides immer verzweigter und diffe-
renzietter,
immer
formenreicher
und abgestufter.
Nur daß keine Frömmigkeit neben oder außer der
Kirche sich entfalte und betätige!
die Seele
können sich
Kirche. Übersieht
man
nur
das
Denn Gott und
finden
Ganze,
innerhalb der
so
bekommt
man den Eindruck einer gewaltigen Geschlossenheit, einer durchgehenden Ordnung, eines festgegliedetten
Systems!
Lier war wirklich eine Einheit erreicht,
hier war eine Festigkeit gewonnen, die alles um spannte und alle stützte und hielt.
Lier war eine
ewige Bindung des Einzelbewußtseins an Gesetze
und Formen höheren Lebens erreicht, hier wirtten
unabhängig vom Einzelnen Kategorien des Erlebens
und Normen des Landelns.
Lier war mitten in
dieser Welt eine geistig-religiöse Welt stabiliert, die, von einer ewigen Welt gehalten, für die Ewigkeit
zur Lerrschaft berufen schien.
And in der Tat,
niemals hätte eine Macht von außen an ihren Grundfesten rütteln können; nur von innen, nur
8 vom Innersten her konnten diesem Weltbau Ge
fahren drohen. gebiete, eigne
die
Wenn etwa die einzelnen Lebens
einzelnen
Kraft
besonderen
gewannen
und
in
Daseinsbestände sich
aus
selbst
brechende vulkanische Kräfte sammelten, dann mußten die Grundpfeiler dieses Weltreiches wanken.
Denn
dieses Reich herrschte nur unumschränkt, weil es
die einzelnen Lebensgebiete zu unselbständigen Fak
toren beschränkt hatte.
Der mittelalterliche Dom
hatte alles Denken, Fühlen, Wollen, Natur und Staat, Welt und Kunst, Wissenschaft und Seele
in sich hineingebaut, — wenn nun das Gestein, das
gleichsam
nur durch den Grundriß und Bauplan
des ganzen Gebäudes Leben hatte, selbst nach eignen
Gesetzen lebendig würde,--------- dann war der Zu sammenbruch dieses Domes nicht aufzuhalten.
Diese einzelnen
Entwicklung
zum Eigenleben
der
kennzeichnet
die
Lebensbestände
Wendung zur Neuzeit. ES kam eine Bewegung auf, die sich nach und
nach gegen alle vorhin gezeichneten Grundlinien des
mittelalterlichen Geisteslebens
wendete:
bloß rezeptive Art der Bildung,
gegen die
gegen die aus
schließliche Herrschaft der Autorität und Tradition,
gegen die unpersönliche Lebensführung, gegen die intellektualistische,
dedukttve
Methode,
gegen
die
dogmatische Bindung des religiösen Erlebens.
Die große Lebensbewegung der Renaissance
war es zuerst, die mit ihrem neuen Verständnis der antiken Kunst
und Platos
die Kirchentüren des
9 sprengte.
mittelalterlichen Domes
Eine
wirkliche
Lebensbewegung flutete aus dem Dämmerlicht der Kirchennacht in das Helle Tageslicht der herrlichen
Eine neue Weltfreudigkeit,
weiten, weiten Welt.
ein neue- Weltgefühl wuchs heran, das nach an derem Rhythmus pulsierte, als die vorgeschriebene
Leilslehre es erlaubte. — Zusammen mit diesem Erwachen des Gefühls regte sich ein neuerwachtes historisch-kritisches Denken. Die Grundlagen der Kirchenlehre wurden historisch geprüft und die Über
lieferung kritisch gesichtet. Den Austritt des neuzeitlichen Menschen über haupt aus dem Dom des mittelalterlichen Geistes
kann man sich
lebens
am besten an der Wen
dung zum Kopernikanischen Weltbild und an
Luthers Reformation deutlich machen. Der Titel der sechs Bücher des Kopernikus:
„De
Revolutionibus
orbium
caelestium“ spricht
zwar nur von „Umdrehungen der Himmelskörper", aber eS lag in der Arbeit des weltabgeschiedenen Frauenburger Kanonikus wirklich etwas Revolutio näres, etwas Weltumwälzendes. Nach langer, langer
Zeit hatte hier zum ersten Mal wieder ein Denker ver
sucht, die Erde und das Weltall nach den glei chen wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten.
Lier war theoretisch mathematisch das Dogma durch brochen, das der Erde „besondere Kräfte" und eine besondere Stellung im Weltall einräumte.
Prinzip
Dasselbe
der mathematischen Gesetzmäßigkeit,
das
für die Limmelskörper galt, wurde hier angewendet
10 auf die Bewegungen des irdischen Daseins dieser Welt.
Damit war grundsätzlich die metaphysische,
theologische und symbolische Naturbetrachtung ent
thront und der Weg für eine rein wissenschaftliche Durchforschung der Natur, also der Weg für die
Mechanik, für die Chemie, Physik, Technik und Naturwissenschaft überhaupt frei gemacht. Nun war die Welt leer von Geheimnissen, leer
von heiligem Zauber und dunklen göttlichen Kräften. Freilich zugleich ward sie voll von Aufgaben für
den messenden, forschenden, tätigen Menschen.
Es
galt nun die richtige Vorstellung von dem gesetz
mäßigen Gang der Bewegungen und Veränderungen
und den -zweckmäßigen Gebrauch der Naturkräfte zu
finden. Der von fester Wahrheitsüberlieferung los gebundene, kritisch, induktiv forschende Mensch der
Neuzeit trat auf die Bühne der Welt.
AuS dem
Geführten war ein Suchender, aus dem Beschützten und Gehüteten ein Entdecker und Abenteurer ge
worden. Gleichsam Land in Land mit dem künstleri schen und wissenschaftlichen Menschen trat aber
auch, und das war das eigentlich Epochemachende, der religiöse Mensch aus dem Tor des mittel alterlichen Domes heraus ans Licht.
Vergegenwärtigen wir uns an zwei großen Auf tritten in Luthers Leben diesen Kirch enausttitt des religiösen Menschen.
Der
äußere Zuschnitt
der Leipziger
Dis
putation ist noch ganz mittelalterlich-katholisch.
11 Man ist vor der Disputation feierlich zur Messe gegangen, man singt vor Eintritt in die Verhand
lungen knieend das „veni Spiritus sancte“.
Luther
war ja auch noch ganz Mönch, ganz Glied der
Kirche, ohne Familie, ohne Vaterland, ohne Inter esse an den Vorgängen in der Welt, nur um das Lei!
seiner Seele
und
seiner Gemeinde bemüht.
Erst kurz vor Leipzig hören wir ihn von „Deutsch land" reden.
als
Das Vaterland steigt vor ihm auf,
ihm die Anfehlbarkeit des Papstes und der
Kirche zu versinken drohte.
Denn um den Primat
des Papstes ging jetzt der Streit. In Leipzig sollte er zum ersten Mal zur Katastrophe führen. Eck hatte seinen Gegner mit dem Linweis, daß er ähnlich wie Lus lehre, am sichersten niederstrecken zu können geglaubt.
sich
Aber siehe da, Luther bindet
nicht unbedingt an
heilige Konzilsbeschlüffe.
Manche Artikel des Lus seien recht christlich und
evangelisch, so wagt er zu behaupten.
Dem Lerzog
von Sachsen stieg darüber so heiß die Wut und
der Ekel über den Ketzer in die Kehle, daß er mit seinem beliebten Fluch quittierte: „Das walt die
Sucht!" Aber noch verwahrt sich Luther dagegen, daß er sich gegen das Konstanzer Konzil überhaupt
gewendet habe. — In Worms ist auch diese letzte Scheu überwunden. Der Offizial Eck hält dem ab trünnigen Sohn die Land der Verzeihung möglichst weit entgegen: „Wenn er die Artikel, die das Kon
widerriefe,
dann
würde man schon eine Weise finden . . . ."
Aber
stanzer Konzil verdammt habe,
12 siehe da, Luther fordert Helle, klare Gründe, sonst
sei sein Gewissen in der Schrift gebunden.
And
etwas wider das Gewissen zu tun, das erklärt dieser Mann für unmöglich. Diese Erklärung dünkte dem
Kaiser so ungeheuerlich, daß er Luther noch einmal fragen ließ.
Dann brach
schieden.
Er glaubte, nicht recht gehört zu haben.
er auf.
Jetzt war die Sache ent
Luther aber soll beim Linausgehen die
Land in die Luft geworfen haben, wie die deutschen Landsknechte taten, wenn sie einen besonders guten Stoß geführt hatten, und in seine Lerberge kam er
mit dem Ruf: „Ich bin hindurch!"--------------
Er war hindurch, durch
die Tür des welt
umspannenden Doms; und er hatte ihm einen Stoß
versetzt, wie er gefährlicher nicht zu denken war. Anstatt anzuerkennen, daß es eine inhaltlich fertige Wahrheit gäbe, die von der Kirche überliefert und
von den Konzilien mit unfehlbarer Treffsicherheit auf einzelne Fälle angewendet wird, anstatt an zuerkennen, daß die Wahrheit durch heilige Er leuchtung
einer kirchlichen Korporation
festgestellt
werden könnte, hatte er „Helle, klare Gründe" ge
fordert.
And anstatt sich in seinem Glaubensleben
an Kirchenlehre und Konzilsentscheidungen zu binden,
hatte er sich auf sein persönliches, unbestreitbares Erleben der in der heiligen Schrift ihn erreichenden Offenbarung Gottes berufen.
Wieder war, ähnlich wie durch Kopernikus, die bisherige Welt um vieles leerer und ärmer geworden.
Die
intellektualistische
Einwirkung
des
heiligen
13 Geistes war geschwunden; der Mensch schien selbst in den letzten Fragen des Lebens nur auf sich ge
Ein ganzer Limmel war eingestürzt, —
wiesen.
dafür aber war eine Kraft der Tiefe quellend auf
gebrochen, die die schier leer gewordene Welt bald mit buntestem Leben erfüllen sollte,--------eine Kraft
der Tiefe, die zugleich das einzige menschliche Organ ist, Kraft aus der Löhe zu gewinnen, — persön
liches Erleben.
Lier wird nun die ganze damalige Wendung des
gesamten
Lebens
vollends
klar.
Lier
muß
das geistesgeschichtliche Thema der Neuzeit gesucht
und gefunden werden. Ein losgebundner, ungebundner, freier Mensch
steht im Hellen Licht des neu geschenkten Tages auf unübersehbarem Feld.
Was Wunder,
daß viele
geblendet die Augen schließen, daß viele sich toll ge-
berden, daß viele schnell wieder mit bunten Kirchen fenstern das Licht abschließen möchten.
Aber im
Grunde ist die Wendung vollzogen und die neue
Aufgabe völlig klar vorgezeichnet.
Das Weltzeit
alter des Menschen im eigentlichen Sinn hat be
gonnen, das des Staates und der Kirche ist vor über. Alles Überkommene wird neu zum Problem und zur Aufgabe, muß es nach und nach werden; alles
will
werden,
wird.
kritisch
geprüft
und
persönlich
erlebt
ehe es anerkannt und zu eigen gemacht
Es gilt, die Welt von innen zu gestalten
und neu zu durchforschen, alle Erscheinungen ins
Innerliche zu wenden, alle Erlebnisse neu zu äußem.
14 Ja, einen neuen Simmel und eine neue Erde gilt es zu schaffen.
Unermeßlich
groß lag die neue Aufgabe vor
dem neu aufgeschlossenen Auge.
Unermeßlich groß
aber war auch der Verlust, mit dem man die neue Wendung bezahlt hatte, und nicht weniger groß
schienen die Gefahren, die auf dem neuen Wege lauerten.
Wo war nun
die Geschlossenheit,
die
Festigkeit, die Sicherheit und einheitliche Größe der
Vergangenheit?
Wo war der Mutterschoß un
bewußten Kulturbesihes, in dem jeder liebreich ge wärmt des Lebens genießen konnte? Wo waren die wohltätigen Knospenblätter, die den Keim des er wachenden Bewußtseinslebens des Einzelnen so lange
schützend umschlossen, bis das eigene Leben zu selb ständigem Blühen erstarkt war?
Wo waren die
Formen des Erlebens und Normen des Sandelns, die unabhängig von der Willkür und Arbeit des Einzelnen herrschten und jedem, auch dem Geringsten, so etwas wie Stil und Anteil an dem großen Gesamt-
lebm sicherten?
3a, wo war denn noch irgend ein
fester, den täppischen oder frivolen Versuchen des
Einzelnen entnommener höherer Besitz?
Wenn jeder
kritisieren und jeder persönlich erwerben durfte und
sollte, wer garantierte dann, daß es überhaupt noch zu irgendwelcher Wahrheit im eigentlichen Sinne
kommen würde, — wo war dann eine Instanz, die zuletzt über gut und böse entscheiden könnte? —
wie sollte das persönliche Gotterleben und Gottfinden jemals aus der vagen Sphäre der Illusion und Zu-
15 fälligkeit in eine Sphäre objektiver Gewißheit führen? Alles und jedes Gut geistiger, sittlicher und religiöser
Art mußte unsicher und nebelhaft werden, der Ruin
der Kultur, der Sittlichkeit und Religion schien un ausbleiblich, wenn es nicht gelang, neue allgemein
gültige Maßstäbe des Wahrheitserkennens, neue überindividuelle Gesetze des Landelns, neue über
persönliche Wirklichkeiten der ewigen Welt Gottes zu gewinnen.
Sollte nicht das Ganze des Lebens
in Tumult, Chaos und Illusion sich auflösen, so mußte sich eine neue Welt überpersönlicher Kate gorien,
Normen und Wirklichkeiten kristallisieren,
eine neue Welt, die unmittelbar und unbestreitbar
das
Äerrschersiegel
Geistes Gottes
des
an sich
schöpferisch
trug.
gebietenden
Diese neue Welt
aber mußte, wenn nicht die große erlebte Wendung im Grund vemeint werden sollte, dem losgebundnen,
frei denkenden und persönlich erlebenden Menschen
ursprünglicher und tiefer als früher sich öffnen, ja
sich gerade von ihm aus mit innerer Notwendigkeit ergeben.
And hier enthüllt sich denn das geistes
geschichtliche Thema der Neuzeit: es gilt, vom neuzeitlichen Menschen auS eine neue Begründung, eine neue überpersönliche Bin
dung
in
einer
giösen Ordnung
ewigen
geistig-sittlich-reli
der Dinge
zu
gewinnen,
in jener höheren Welt, die ebenso sehr dem
Wesen des Geistes wie der Arsprünglichkeit persönlichen Erlebens entspricht.
16
b) Seine geschichtliche Entwicklung. Daß die eben genannte Aufgabe wirklich das tiefste Thema der neuzeitlichen Entwicklung inner halb der Geistesgeschichte ist, lehrt meines Erachtens
die weitere Geschichte sehr deutlich.
Wir wollen
versuchen, die Spuren der Erfassung und Lösung jener Aufgabe in zwei Laufrichtungen zu verfolgen;
wir werden das Ringen um das neu gestellte Wahr
heitsproblem und um das religiöse Problem be gleiten und werden auf diesem Wege zunächst zu
unserer nicht geringen Freude 1. bis zur erstmaligen deutschen Lösung
deS neuzeitlichen Themas gelangen. Bevor wir näher auf das Wahrheit-problem eingehen, sei ein kleiner Exkurs nach England
gestattet,
weil hier
in
einem
scharfsinnigen und
witzigen Kopf das naturwissenschaftliche Problem
der Neuzeit seine eigentümliche Wendung zur Technik findet, die ebenso charakteristisch für das Land ist,
in dem sie gemacht wurde, wie verhängnisvoll, freilich auch ftuchtbar für die Zukunft sein sollte.
And
schon um dieser zwiefachen Bedeutung interessiert uns hier jene Wendung. England hat, soweit ich sehe, wenig wirklich neu
zeitliche Menschen hervorgebracht.
Der eine, auf
den dies Prädikat in seltenem Maße zutrifft, war
17 Shakespeare.
Für ihn allerdings wandelt sich die
ganze Welt zum Problem und zur großen schöpferi schen Aufgabe.
Äamlet ist zweifellos ein Typus
des neuzeitlichen Menschen von erschütternder Größe.
Eigentümlich, wie in dieser Gestalt gleichsam in der
Idee die ganze problematische Struktur und Ent
wicklung der Neuzeit konzipiert ist. Anter Elisabeths Szepter aber ward noch eine andere Richtung der neuzeitlichen Entwicklung
in
der Idee vollzogen.
Bacon von Verulam entdeckt den Machtcharakter
der Philosophie, er erfindet die eminent praktische Tendenz des Wissens, ja das Programm des Welt
imperiums
der empirischen Wissenschaft:
beherrschung durch Naturerkenntnis.
Natur
Alle übrigen
Fragen haben nur sekundäre Bedeutung und bleiben dem Wünschen und Wählen des so oder so ge
stimmten Individuums überlassen.
Hauptsache ist
Macht, alles andere ist Sport und Schmuck. Tat sächlich hat Bacon in seiner „Nova Atlantis" fast
alle technischen Erfindungen der Neuzeit bis zum
Telephon und Luftschiff in der Idee vorweggenommen und bildet somit die ideelle Quelle der technischen Weltanschauung, die uns so Großes an Leistung
Er hat ganz England
und an Gefahr bringen sollte.
schließlich in seinen Bannkreis gezogen,
Äamlets
Erbe aber und damit das eigentliche geistesgeschicht
liche Thema der Neuzeit ward von anderen Völkern übernommen.
*
*
*
18 Wir bemerkten oben schon, daß durch die neu zeitliche Wendung das Wahrheitsproblem eine
ganz neue Fassung erhalten hatte.
Wenn es nicht
einen festen, lehrbaren Besitz von Wahrheit gibt, ist
dann überhaupt noch Erkenntnis im eigentlichen Sinn
des Wortes möglich?
Wo sind allgemeingültige
Maßstäbe des Wissens?
Wo ist eine Garantie,
daß unsere Vorstellungen und Arteile nicht rein will
kürliche, zufällige Bilder und Gleichnisse darstellen,
die vielleicht weder schädlich noch nützlich, aus keinen Fall aber wahr und richtig sind?
Muß nicht an
der Möglichkeit allgemeingültiger Erkenntnis über haupt gezweifelt werden? — Diese Fragen stellte
sich zuerst mit aller Strenge Descartes.
Erstellte
sie sich aber zugleich, um sie zu beantworten.
Er
wollte alles in Zweifel ziehen, um die letzten un bezweifelbaren Elemente des Wissen- und der Er
kenntnis zu finden. Diese Elemente fand er nun nicht in einzelnen Lehrsätzen, sondern in der elementaren Tatsache, daß er überhaupt fragend und zweifelnd, also denkend tätig war.
Die Tatsache des Zwei
felns, also eines Denkaktes war unbezweifelbar, war
unmittelbar gewiß.
Also wirkt in uns doch ein
geistiges Leben, also denkt in uns ein irgendwie ge
artete- denkendes Ich.
Dieses Ich aber ist nicht
identisch mit dem denkenden Kopf, mit dem empiri
schen Ich dieses einen Philosophen.
Es denkt und
wirkt in allen, es ist ein überpersönliches, in sich selbst lebendes geistiges Ich.
Im denkenden Selbstbewußt
sein des Einzelichs bricht also eine geistige Macht,
19 eine geistige Wirklichkeit durch, die nicht von dem Einzelwesen selbsttätig erzeugt ist, sondern an welcher
der einzelne nur durch den
Denkens teilhat.
jeweiligen Akt seines
Die Seinsgewißheit des Geistes
ist vor allem Arteil über die Nichtigkeit der Vor
stellungsinhalte,
die
einzelne
Denker
Epochen bilden mögen, gesichert.
oder
ganze
Die bekannte For
mel, in der Descartes die Entdeckung dieses archi
medischen Punktes, der außer ihm liegt und doch
ihn selbst hält und bindet, aussprach, heißt: cogito,
ergo sum (ich denke, also ich bin). Ich verweilte bei dieser Lösung der Grundfrage,
ob überhaupt selbständiges Denken und Erkennen möglich sei, deswegen etwas länger, weil hier wirklich eine entscheidende Erkenntnis gewonnen ist und weil
die fernere Entwicklung das Wahrheitsproblem des halb so verhängnisvoll verwirrte, weil sie gerade das
oben abgewiesene Mißverständnis der kartesianischen Lösung systematisch entfaltete.
Man ging nämlich
in der folgenden Spekulation prinzipiell vom empi
rischen Einzelich und nicht von jenem überindivi
duellen Gesamtich aus.
Man fragte, was weiß ich
von den Dingen, wie entstehen in mir, dem so und so viel Jahr alten, in X geborenen Y Vorstellungen und Erkenntnisse?
Das Verdienst,
diese Wendung
vollzogen zu
haben, gebührt den englischen Denkern.
Locke
und Berkeley und Lume wollen alle irgendwie
erklären, wie daS vorstellende Ich psychologisch ent steht, und glauben damit gezeigt zu haben, wie Vor2*
20 stellungen und Denkverknüpfungen usw. sich bilden.
Auf diesem Wege gelangte man zu der wahrhaft erschüttemden Einsicht, daß das Sein, die Substanz
der Dinge gleichbedeutend ist mit ihrem „Vorgestellt werden",
ja daß wir's eigentlich alle mit diesen
unseren Vorstellungsreihen zu tun haben.
Die Denk
akte aber, die zur Bildung dieser unserer Vorstel
lungen führen, sind, so meinte schließlich Lume,
mehr oder weniger verhärtete Gewohnheiten;
so
bilden wir z. B. aus dem gewohnheitsmäßigen zeit lichen Nacheinander ein ursächlich bedingtes Wir kungsverhältnis, nämlich den Sah der Kausalität.
In Wirklichkeit sind diese Begriffe und scheinbaren Denkgesehe völlig unverbindliche Verknüpfungen un
serer Vorstellungen. Mit dieser Philosophie
war also
dann das
Wahrheitsproblem an jener Klippe angekommen, an dem wir von Anfang an infolge der neuzeitlichen Wendung zum lo-gebundenen Einzelbewußtsein alle
und jede Sicherheit der Erkenntnis scheitern sahen.
Wenn die Begriffe von Substanz und Kausalität
zuletzt Erzeugnisse des einzelnen denkenden Ichs sind,
dann lassen sich niemals die Erfahrungen, die mit
Lilfe dieser Begriffe gewonnen worden find, zu all gemeingültigen, objektiv geltenden Arteilen und Er
kenntnissen zusammenfaffen.
Dann sind aber nicht
nur alle metaphysischen Systeme, denen ja noch nicht einmal empirische Erfahrung zu Lilfe kommt, sondern auch alle Theorien der Naturforschung, die nur mit
jenen so zufälligen, unverbindlichen Begriffen arbeiten
21 können, haltlos und unnütze Zeitvergeudung oder kin dische Spielerei. Mit der Wissenschaft im eigentlichen
Sinne ist es dann jedenfalls vorbei.
Nun kann man
ja freilich sagen, dieser Verlust muß eben dann wie
so viele andere ertragen werden, und schließlich wird vielleicht der Verlust strenger wissenschaftlicher Er kenntnis noch am ehesten verschmerzt. Ähnlich müssen jene englischen Denker im stillen empfunden
haben, denn man hört nicht, daß sie mit innerer elementarer Gewalt gegen die letzten Konsequenzen ihrer vollendet skeptischen Denkweise revoltiert und angekämpft hätten.
Ein solcher titanischer Kampf
gegen die Lerrschaft der Resignation und Illusion in den Fragen wahrer Erkenntnis brach in einer
deutschen Seele aus, und er entstand, weil dieser deutsche Kopf unerbittlicher und reiner als die Aus
länder die Konsequenzen der vorgetragenen Einsichten Dieser
zog.
echt
deutsche Kämpfer
war Im
manuel Kant.
Wenn wir sagen, daß Kant wieder zuerst echte Wissenschaft
möglich
gemacht hat, so sagen wir
nicht mehr und nicht weniger als dies, daß er vom Boden
der
neuzeitlichen
Entwicklung
malig das Wahrheitsproblem
her
erst
grundsätzlich
gelöst hat. Wollen wir diese deutsche Kulturtat ersten
Ranges in ihrer vollen Bedeutung würdigen, so ist es nötig, einen Blick auf die allgemeinere Kultur
lage,
soweit
sie
geistesgeschichtlicher
Art
ist,
zu
werfen.---------Man war nach und nach durch das
22 Emporblühen der weltlichen Philosophie und der
Naturforschung in eine gewisse Triumphstimmung deS
weltlichen
Denkens
geraten.
Man glaubte
nachgerade berechtigt und befähigt zu sein,
eine
Weltanschauung aus den rein natürlichen Mitteln
des vernünftigen Denkens gewinnen zu können. Latte man ftüher noch das Reich des Äbersinn-
lichen auf sich beruhen lassen, so erhob nun die sich reif fühlende Weltweisheit den Anspruch, die Ge samtheit der Wirklichkeit, ohne Rücksicht auf ihre
geschichtlich gewordene Gestalt, frisch von der Ver
nunft her begründen zu können und aufbauen zu
müssen.
Der neuzeitliche Mensch der „Hellen, klaren
Gründe" glaubte nun endlich berufen zu sein, den
für die
Ton
gesamte Lebensstimmung
und
den
Grundriß für den tageshellen Bau einer rattonalen Weltanschauung angeben zu sollen.
Wer will ver
kennen, daß in dieser großen Bewegung des Ratio
nalismus
ein
gut
Teil
Wahrheitssuchen lebt,
das aus den unmittelbaren Tiefen des Menschseins quillt?
Wer erkennt nicht, daß in dieser Bewegung
letztlich eine große ftisch-fröhliche Bejahung der reli giös-sittlichen und der geistigen Welt überhaupt steckte!
And dennoch stellte dieser ganze Versuch
eine ungeheure Gefahr dar.
Die Gmndlagen zu
dem beabsichttgten Bau waren gänzlich unfähig, das Gebäude zu ttagen. Die krittsche Philosophie hatte sie ja aufs nachhaltigste unterminiert. Während
die
elementaren Möglichkeiten irgendwelcher Er
kenntnis bezweifelt wurden und jedenfalls höchst un-
23 sicher geworden waren, wollte man eine ganze Welt anschauung
den.
auf
das
vernünftige
und
grün
Der ganze Bau würde völlig in der Lust
hängen und einstens jämmerlich seinen
Denken
die
wertvollsten
Trümmern
zusammenbrechen
Güter der Menschheit in
begraben!
Wer
warnt
die
Bauleute, wer zerreißt ihren Grundriß, ehe es zu
spät ist? Lier offenbart sich von neuem der rettende
Charakter der Tat Kants.
Er zerstört die Grund
lagen des Rationalismus und entdeckt die Möglich
keit echter Erkenntnis. Diese rettende deutsche Tat gliedert sich in drei Akte. 1. Kant erkennt den methodischen Grund
fehler der Aufklärungsphilosophie und des eng lischen
Skeptizismus.
Sie
gingen
vom Einzel
subjekt aus und fragten, wie im Einzelich der In halt der Vorstellungswelt
und des Bewußtseins
entstünde, sie ftagten nach dem genetischen Entstehen des Bewußtseins im Einzelsubjekt.
Man muß aber
vielmehr fragen, ob nicht im Geistesleben überhaupt, so wie es sich in Wissenschaft und Recht, Kunst
und Religion, Gesellschaft und Sittlichkeit darstellt,
Funküonen der Vernunft im höchsten Sinne wirksam sind,
die nicht von der Entwicklung des Einzel
bewußtseins abgeleitet werden können, die vielmehr
vor aller Erfahrung und ohne alle Erfahrung für sich bestehen.
Diesen von allen zeitlichen und per
sönlichen Zufälligkeiten unabhängigen,
in sich be-
24
gründeten Inhalt der Vernunftbetätigung gilt es
herauszuschälen und damit die Welt einer über alle hinausgehenden
Sachlichkeit zu begreifen.
Diese
„Apriorität" der geistigen Welt findet Kant auf allen drei Gebieten des Bewußtseins, des Denkens, Wollens und Fühlens.
2. Was das Denken anbetrifst, also hinsichtlich allgemeingültiger Erkenntnis, so
der Frage
ist hier freilich zuerst zu sagen, — und das ist eben
die zweite rettende Tat Kants — daß wissenschaft liche Erkenntnis im strengen Sinn nur möglich ist im Amkreis sinnlicher Erfahrung. Über übersinnliche Dinge ist nie auf dem Wege wissenschaftlicher Er kenntnis etwas auszumachen, man kann hier weder
bestreiten noch bejahen.
Zermalmte dieser Satz die
Grundvoraussetzung des Rationalismus, so zerstörte die Entdeckung der apriorischen Struktur der über
individuellen „Anschauungsformen" und Denkkate gorien
des
Geistes den englischen Skeptizismus.
Diese überall und für alle geltenden Formen deS
Erkennens und denkenden Verarbeitens der sinnlich
gegebenen Wahrnehmungsinhalte ermöglichen wissen schaftliche Erkenntnis.
3. Aber
wissenschaftliche Erkenntnis ist nicht
der einzige Weg zur Wahrheit.
Die übersinnliche,
weltüberlegene Wirklichkeit ist da, und es gibt einen Weg in ihre Lebenssphäre, das ist der Weg prak tischen, lebens.
unmittelbar sittlich-religiösen Er Indem der Mensch die Maximen der
sittlichen Welt durch die Tat anerkennt, reicht er
25 über seine empirisch erfahrbare Zuständlichkeit hinaus und nimmt teil an einer selbständigen Welt ewiger
Zu dieser Welt gehört die Freiheit sitt
Werte.
licher Entscheidung, die sittliche Weltordnung und zuletzt Gott, als Gesetzgeber der in dieser sittlichen
Welt
gewordenen
heimisch
Persönlichkeit.
Im
tätigen Glauben an die Notwendigkeit und fort schreitende Verwirklichung dieser sittlichen Welt im Kampf mit dem „radikalen Bösen" betätigt sich die
Seele der Religion.------------------------Ich nannte Kants Philosophie eine Kulturtat. Sie ist es allerdings im höchsten Sinne.
Denn
hier wird das Thema der neuzeitlichen Kultur erst malig gelöst. In Kant begriff sich das von der
Gebundenheit
der
mittelalterlichen Kirche
gelöste
Kulturbewußtsein in seinem unbedingt wertvollen,
selbständig lebenden, auf sich selbst gestellten In Es erfaßte sich in seinen ewigen Wurzeln.
halt.
Denn indem die Kulturfunkttonen Wissenschaft, Kunst, Sittlichkeit, Religion als Betäügungen
eines
weltüberlegenen,
lebens
begriffen
unabhängigen
Geistes
wurden, kam der fteigewordene
Geist zu sich selbst und fand in seiner überpersön lichen kategorialen Sttuttur jene ewige Bindung
und
Ordnung
sturz des
wieder,
die mit dem Zusammen
mittelalterlichen Lebenssystems
verloren
zu sein schien.
Diese deutsche Lösung der neuzeitlichen Aufgabe war erreicht worden, indem zwei Seiten
des deutschen Wesens sich grundsätzlich betätigten:
26 die rücksichtslose, strenge Sachlichkeit und die dramatische Kraft ursprünglichen Er
lebens.
*
*
*
Das Ungenügende der Kantischen Lösung liegt offenbar auf Seiten des religiösen Problems.
Zwar ist auch hier, grundsätzlich
angesehen, von
Kant schon Entscheidendes geleistet: Gott ist nicht
das Resultat unserer Spekulation, sondern das Ziel unseres Willens und nur als solches durch prak
tisches Erleben
erreichbar.
Zweifellos
aber tritt
diese Einsicht bei Kant nicht bestimmend und uni versal genug auf.
Wir treten Kant nicht zu nahe,
wenn wir sagen, der erkennende und sittliche neuzeit liche Mensch hat sich in ihm grundsätzlich zurecht
gefunden, — wir werden aber nun zu prüfen haben,
unter welchem Kampf und in welcher Form der frei
gewordene religiöse Mensch die universale, überpersön liche, bezwingende Macht Gottes als die bindende
und rettende Kraft seines innersten Lebens entdeckte. Es ist gewiß nicht zufällig, daß derjenige, der
das religiöse Problem von der neuen geistigen Ge
samtlage aus erfaßte und höchst charatteristisch wen
dete, ein Jude war. Die Form, in der sich Spinoza gemäß der gesamtgeistigen Entwicklung das religiöse
Problem darstellte, war folgende: Schon durch die künstlerische Verinnerlichung des Lebens und Er
lebens in der Renaissance, viel mehr aber noch durch die ursprüngliche Gewalt Luthers und seiner Be-
27 wegung war das dem Ewigen zugewandte Innen
leben in seiner Selbständigkeit, in seiner eigenen Ge
Zu dieser geistigen
setzmäßigkeit ans Licht getreten.
Welt der Innerlichkeit trat in schneidendem Gegen satz die neu entdeckte Gesetzmäßigkeit des körperlich
natürlichen Lebens.
Geist und Körper, Gott und
Materie, — im Mittelalter dualistisch religiös als
zwei gegeneinander streitende Mächte begriffen, for derten eine Neubestimmung ihres gegenseitigen Ver
hältnisses.
Dazu aber reichte der alte überlieferte
Gottesbegriff nicht mehr aus, wie ihn noch Descartes
und alle anderen naiv gebrauchten.
Der Gottes
begriff mußte über den Gegensatz von Geist und Körper hinaus gehoben, es mußte eine Arwirklichkeit
ewiger Att gefunden werden, in der diese beiden
Lebenspole
zu
einer
inneren
Einheit
verbunden
Lier setzt Spinozas philosophische Grund
würden.
these ein.
Sie drückt zugleich die innerste Eigen
art dieses tief religiös empfindenden, mystisch ge stimmten Denkers aus.
Er sieht Natur und Gott
Welt und Gott muß aufs innigste zu
in eins.
einem wesenhaften Sein verbunden werden.
Gott
ist nicht nur schöpferische Arsache der Welt, die
Welt ist vielmehr selbst Gott in seinem ausgebreiteten
Wesen.
Gott ist das Ding aller Dinge, die einzige
Substanz,
alle einzelnen Dinge,
ob Seelen oder
Körper, sind nur Erscheinungsformen, Lebensarten dieser Substanz.
Gott ist so das gewisseste von
allen wie auch das einzig liebenswette; die Gottes liebe ist das höchste aller Güter!-------- Das Eigen-
28 tümliche an diesem spinozistischen Pantheismus war, daß er bei aller Glut der Empfindung im Gewand
streng
logischer,
auftrat.
mathematischer
BeweiSfühmng
Lier leben die beiden künftig fich entfal
tenden Richtungen, die die neuzeitliche Erfassung des religiösen Problems zunächst bestimmen sollten,
noch friedlich nebeneinander, die rationalistisch kritische und die mystisch-pantheistische.
Bald
gingen sie getrennt ihre eigenen Wege. Die Ausbildung des rationalistisch-kritischen Prinzips begann England und vollendete Frank
reich, während es in Deutschland vielleicht nie zu einer reinlichen Scheidung beider Prinzipien kam.
— Die englischen Deisten glaubten auf Grund vernünftiger Überlegungen die Religion auf ihre elementar
einfachen Grundlinien
zurückführen zu
können. Sie reinigten das Christentum von aller mysterienhaften Überwucherung und behaupteten so
zu einer allgemeingültigen Menschheitsreligion ein fachster Art gelangen zu können.
Sie leitete dabei
der fröhliche Glaube, daß man Gott aus der ver nünftigen Zweckmäßigkeit
des Weltalls
erweisen
könne, sie beriefen sich für die ewige Gültigkeit des
Sittengesetzes auf das Gewissen, sie meinten die
Ansterblichkeit
als
Ausgleich
zwischen
sittlicher
Leistung und Glückseligkeit mit innerer Notwendig
keit fordem zu dürfen.
Sie glaubten damit einen
Boden gefunden zu haben, auf dem alle Konfes
sionen sich einigen könnten.
Sie sahen nicht, daß
mit denselben Mitteln logischer, historisch-kritischer
29 Beweisführung auch die letzten kahlen Grundpfeiler
ihrer Religion angesägt werden konnten.
Diesen
Fortschritt zu einer von aller historischen und meta
physischen Gebundenheit freien radikalen Kritik hat die französische Literatur des 18. Jahrhunderts
in gründlicher Weise vollzogen.
Mit Voltaire hob
diese Entwicklung an, mit dem grundsätzlichen Ma terialismus
der
Enzyklopädisten
und
Lolbachs
„Systeme de la nature“ schloß sie theoretisch ab. Damit war die neuzeitliche Entwicklung bei einer
völligen Verneinung der Selbständigkeit einer religiösen Welt angelangt.
Diese theoretische Ver
neinung hätte gewiß nicht zu der großen praktischen,
geschichtlichen Katastrophe der Revolution geführt, wenn sich nicht mit ihr einerseits die Entwicklung
des losgebundenen gesellschaftlich-staatlichen Indi
viduums und andererseits, was uns hier vor allem interessiert, die Ausbildung jenes anderen, in Spinoza
vorliegenden Prinzips, des unmittelbaren Ge fühls, verbündet hätte.
es durch Rousseau.
Zu diesem Bündnis kam
Indem Rousseau den Wahn
der Kulturseligkeit mit elementarer Leidenschaft zer störte und Natur und Ursprünglichkeit als einzige Quelle echten Lebens predigte, führte er das von aller historischen und metaphysischen Gebundenheit, nun
auch noch durch die rationale Kritik befreite genia lische, unmittelbare Ich geschichtsbildend in die
Entwicklung der Neuzeit ein.
Das Geschichts
bildende dieses genialischen, auf sich selbst gestellten
souverän
herrschenden Ichs bestand zunächst und
30 zwar vor allem auf französischem Boden in der
Zerstörung, in der Revolution.
Nun hatte der
theoretische Materialismus seine Glut bekommen, das Evangelium vom Menschenrecht auf glückliches Dasein seine Stichflamme, mit der der große Brand entzündet wurde.
Damit aber hatte auch praktisch
das Problem der Religion aufgehört zu existieren. Aber gerade aus dem in Rousseau auflodernden
Feuer des unmittelbaren Gefühls sollte in Deutsch
land die Neubelebung und Neubegründung religiöser Innerlichkeit und der ewigen Bindung in
Gott erfolgen.
Ich rede hier von jener großen
geistigen Bewegung in Deutschland, die als Gegen-
stück zu der verstandesmäßigen Aufklärung die Ent
wicklung des losgebundnen neuzeitlichen Menschen nach Seiten des Gemüts, des unmittelbaren Ge fühls, der genialen Intuitton zu einem vorläufigen Abschluß bringen sollte.
Es bleibt ewig denkwürdig,
daß in Königsberg nicht nur die Zerstörung der falschen und der Anfang der echten neuzeitlichen erkenntnismäßigen Entwicklung zur Tat wurde durch
Kant, sondern daß hier neben Kant Lamann
schrieb und die schöpferische Argewalt der unmittel
baren Intuition literarisch neu zu Ehren brachte. Sein großer Jünger Lerder war es dann,
der
jenes Rouffeausche Gefühlsprinzip in Deutschland zur großen, fruchtbarsten Bewegung geschichtlicher Art
entfaltete,
vorzüglich dadurch, daß
er
den
Größten der Zeit, Goethe, in seinen entscheidenden
Iugendjahren für diese Bewegung gewann.
Aus
31 der Losgebundenheit des unmittelbaren Gefühls, des genialisch-schöpferischen Ichs
erwuchs
die deutsche
Denn auch Schiller ist erst
klassische Dichtung.
durch die weckende und befruchtende Wirkung der in Goethes
und Lerders Schriften auf ihn ein
stürmenden
neuen
Bewegung
Propheten berufen worden.
auch
etwas,
Tiefen
es
revoltierte
selbstherrlichen
zum Dichter und
Lier revoltierte freilich
aus den unbewußten
Argefühls
heraus I
Lier
ging's auch gegen Zopf und Philisterei, gegen Tra-
ditton und jegliche fremde, dem Individuum und dem Volkstum fremde Fessel, hier aber, in dieser
deutschen Revolution waren mitten in der Zer trümmerung des Alten neue aufbauende, staltende Kräfte rüstig am Werk.
ge
Religiös neu begründend und aufbauend aber
wurde
diese Bewegung
Schleiermacher
zu
erst
einer
wirklich,
als sie in
Neuerfassung der
Eigenart der Religion führte. Neben Werthers Leiden sind Schleiermachers Reden über die Reli gion „an die Gebildeten unter ihren Verächtern" das klassische Werk der genialischen Epoche. In ihm wird zugleich die deutsche Rettung aus der revo
lutionären
Gefahr dieser Bewegung grundsätzlich
vollzogen. Kant hatte die eigentlich deutsche Revolution besorgt, er hatte die rattonalistischen Stützen der Metaphysik, deren sich die gebildete Gesellschaft der Auftlärung sicher glaubte bedienen zu können, um
gestürzt.
Diese Wirkung Kants drang zuerst auf
32 Nun war die Flutwelle genialischen
die Geister ein.
Empfindens und Schaffens über daS junge Deutsch
land gekommen.
Frei von jeder rational zu be
metaphysischen Autorität
gründenden
schien nun
das künstlerische Ich sich einen Freibries höchster
persönlicher Willkür ausstellen zu dürfen.
Die echte
leidenschaftliche Empfindung legitimierte jede
und
Sache als recht und gut, mochten die Philister auch noch so sehr die Nase rümpfen. Die genialische
Epoche schien in sentimentaler, romantischer Wild
heit enden zu müssen.
Wo war denn auch eine
letzte, bindende, aus übermenschlicher Löhe ge bietende Wirklichkeit gleich universaler, ursprünglicher, schöpferischer Art, die beherrschend, ohne zu knebeln,
gesetzgebend,
ohne
zu vergewaltigen,
sich geltend
machen könnte? Nun,
so
antwortet
Schleiermacher,
diese
höchste, innerliche befteiende und befruchtende Ab hängigkeit von Gott bricht an eben derselben Stelle ja gerade in jener Arfunktion der Seele durch, die so
verhängnisvoll zu völliger Willkür zu führen
vermag — im unmittelbaren Gefühl.
Dies un-
mittelbare Gefühl nämlich, diese tiefste schöpferische
Einheit unsere- bewußten und unbewußten Seins kommt
erst dann
Eigenatt,
wirklich
zu seiner
Tiefe und
wenn es sich eins weiß mit dem An
endlichen, wenn es sich selbst ergreift in seiner inner
sten
Gebundenheit
ans Universum.
Unsere
uni
versale Bestimmung vermag nur unser universales Gefühl zu erfassen, die Einheit unseres gesamten
33 Personbewußtseins wird nur erlebt in unmittelbarer
Bindung ans All.
Nicht in einem Erkennen, nicht
in einem Wollen kommt das Selbstbewußtsein des Menschen zur Erfassung seiner ursprünglichsten Be
ziehung, sondern in dem Gefühl der „schlechthinigen Abhängigkeit von Gott". — Damit war der Ratio
nalismus gleichsam positiv religiös überwunden und
abgetan, damit war aber zugleich das große Ent weder— Oder,
der wahrhaft dramatische Cha
rakter unseres geistig-persönlichen Lebens in der Tiefe erfaßt und die Eigenart und universale Spannung
religiösen Erlebens aufgedeckt. Entweder der Mensch
kommt durch Ausbildung
und Betätigung jenes
„Sinnes und Geschmacks" für das Unendliche und
in der unmittelbaren Hingabe seines Ichs an Gott zu seinem eigentlichen Selbst, oder er bleibt halb
und zerspalten, ohne Einheit und stete Innerlichkeit und verwüstet in Ode und Gleichgiltigkeit oder in
leidenschaftlicher Raserei und ungezügeltem Genuß den innersten Kern seines Wesens. Sier hilft kein Wissen und Vernünfteln, hier hilft nur persönliche Entscheidung.
Keine äußere Autorität oder Tradi
tion kann hier zuletzt ausschlaggebend wirken, hier gibt es nur den aus der Sache selbst wirkenden
Zwang der inneren Notwendigkeit persönlichen Er lebens.
Religion
haben heißt eben,
auf Grund
persönlichen Erlebens unter Hingabe seines Selbst
sich für Gott entscheiden, — und das ist auch zu
gleich der einzige Weg, Gottes gewiß zu werden und ein Wissen von Gott zu bekommen. IacobrkKtter, Unser Kriegserlebnis.
3
34 Hiermit war jene genialische Bewegung zu ihrer eigentlichen
kulturbildenden
Höhe
gekommen.
Latte bei Kant die tiefe Besinnung auf das eigent
liche Wesen des Erkennens zur Neugründung einer überindividuellen Struktur des wissenschaftlichen und sittlichen Lebens geführt, so war in Schleiermacher
die neuzeitliche Entwicklung des religiösen Problems
bis zur Neuentdeckung der universalen und wahrhaft
schöpferischen Bedeutung der erlebten Gemeinschaft mit Gott vorgedrungen.
Damit aber war das neuzeitliche Thema zu
einer vorläufigen Lösung geführt worden.
Der
innerlich ftei gewordene, von jeder äußeren Autorität
losgebundene Mensch war von neuem in einer über individuellen Sicherheit und Festigkeit,
in einer
höheren Ordnung und Bindung des geistigen Lebens,
die aus der in der Sache selbst gegründeten nor mativen
Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit stoß,
verankett worden. schehen.
In Deutschland war daS ge
Deutsche sachliche Strenge und deut
sche unmittelbare, schöpferische Arsprünglichkeit und Tiefe hatten den ewigen Charakter
des
hinsichtlich
Geisteslebens
seines
Ar
sprungs, Wesens und Zweckes gerettet.
* Die
Probe
gegründete
deutsche
Denkmale
*
Echtheit
der
gend bestanden und drei
*
hat
dieses
neu
Geistesleben überwälti-
grandios
dokumentiert durch
seiner Eigenart:
durch
35 die
klassische
deutsche Dichtung
in
Goethe und
Schiller, durch die klassische deutsche Philosophie in Schelling, Fichte und Segel, und durch die
innere und äußere Wendung in der Zeit der Be freiungskriege. All die Krisen,
Aufgaben, Spannungen und
Entdeckungen, Rettungen und Neugründungen, von denen wir in den bisherigen neuzeitlichen Entwick
lungen sprachen, finden in dem Lebenskampf und
-Werk Schillers und Goethes ihre tiefpersönliche Aussprache und ihre großkünstlerische Gestaltung. Ja, in beiden wird, jedesmal von ganz verschie
denen Ausgangspunkten her, das eigentliche neu zeitliche Thema und seine vorhin entwickelte deutsche Lösung wie in einem persönlichen Denkmal verewigt.
Wie der leidenschaftliche, zügellose Schiller durch das Erlebnis der überindividuellen Gesetzmäßigkeit des geistigen Seins und Sollens zum unermüdlich tätigen Propheten dieser ewigen Wirklichkeitswelt wird, wie Goethe alle Tendenzen der Neuzeit, vom
naturwissenschaftlichen bis zum philosophischen und genialischen in sich vereinigt und in seiner Lebens
gestaltung eine ewig fest in sich gegründete Welt unmittelbarer Innerlichkeit und höchster Geistigkeit
in Schmerzen aus sich gebiert und formend gestaltet, das ist in Wahrheit Erfüllung der mit der Wendung
zur Neuzeit gegebenen Verheißung, das ist Funda
ment für jede weitere Geistesgeschichte.
Es ist viel
leicht, um dies noch besonders hervorzuheben, nicht
immer genügend gewürdigt worden, inwiefern gerade 3*
36 bei Goethe in der Beziehung zwischen individueller Besonderheit
dem
und
„Allgemeinmenschlichen",
zwischen genialischer Ursprünglichkeit und dem „Ob jektiv-gegenständlichen", zwischen leidenschaftlich be wegter Lebendigkeit und der heiligen „Pflicht deS Tages" und der „maßvollen Gestaltung" das neu
zeitliche Thema eine höchst charakteristische, positiv fruchtbare Lösung erfährt.
von sich sagen,
Goethe konnte mit Recht
was er einmal kurz vor seinem
Tode aussprach, daß er den Deutschen ein „Be
freier" gewahr
sei:
geworden geworden,
„denn
daß,
wie
sie
sind
an mir
der Mensch
von
innen heraus leben, der Künstler von innen heraus
wirken müsse, indem er, gebärde er sich, wie er will, immer nur sein Individuum zutage fördern
wird".
Goethe aber hat nicht nur zur weiteren „Be freiung" des neuzeitlichen Menschen sein Teil bei getragen, er hat zugleich eine neue höhere sachliche
Bindung ewiger Art vollzogen.
So hält er den
jungen Romantikern entgegen: „Die höchste und einzige Operation der Natur und Kunst ist die Ge staltung und in der Gestaltung die Spezifikation, damit ein jedes ein Besonderes, Bedeutendes
werde,
von
sei und
bleibe."
tiefsten Kämpfen und
And
es
ist wie eine
höchsten Siegen um
wehte Inschrift unter das Denkmal nicht nur seines Lebens, sondem dieser ganzen deutschen Geistes epoche, wenn er in seinem 79. Jahre in Schloß
Dornburg dichtet:
37 And wenn mich am Tage die Ferne blauer Berge sehnlich Zieht, — nachts das Übermaß der Sterne prächtig mir zu Läupten glüht — alle Tag und alle Nächte rühm ich so des Menschen Los: Denkt er ewig sich ins Rechte, ist er ewig schön und groß.
*
Daß
*
*
in dieser deutschen Wendung,
die man
den deutschen Idealismus zu nennen pflegt, sich
gleichsam der losgebundene Geist selbst wieder in seiner inneren Festigkeit ergriffen hatte, dafür zeugt
zweitens die Energie, mit welcher die Philosophie
in Schelling und Segel und Fichte sich neu des ge samten Lebens in Natur, Geschichte und Geisteswelt einheitlich zu versichern strebt.
Schelling weist den geistigen Charakter des Universums an einem Querschnitt durch die Natur
nach.
Die Natur ist ein zweckvolles System der
unbewußten Vernunft, das in der Erzeugung des Bewußtseins seinen Zweck und Sinn hat. Sier
ist die auf empirischem Weg gewonnene Natur erkenntnis in den Rahmen einer großen geistigen
Betrachtung geordnet. Wie hätte das geschehen können, wenn nicht dieser Rahmen in seiner über
individuellen Sicherheit neu erlebt worden war? Segel zeigt ebenfalls den geistigen Charakter
der Welt auf, indem er einen Längsschnitt durch die Welt- und Menschheitsgeschichte tut.
Im histo
rischen Prozeß vollzieht sich eine „Selbstbewegung der Wahrheit", diese Bewegung vollzieht sich nach
logischen Gesehen, die dem „objektiven" Geist wesen-
38 hast innewohnen.
Im Recht, im Staat, in der
sittlichen Idee, in der „fleischgewordenen Gattungs-
vernunft", im Reich des „absoluten Geistes" kommt der Geist zu sich
selbst. — Mit welcher
welt
gebietenden Sicherheit herrscht hier wieder ein über
individueller, mit Vernunft, Wahrheit und Sittlich keit gesättigter Geist! Lier ist die deutsch-idealistische Lösung des neuzeitlichen Problems souverän und
reich über alle Gebiete des Lebens entfaltet, hier ist
eine Weltanschauung geistiger Att von neuem stabiliert und unabhängig vom willkürlichen Wünschen und Wirken des einzelnen und dennoch in tiefer
Verbindung mit der frei gewordenen Innerlichkeit und Arsprünglichkeit der Seele aufgerichtet.
Diese neue Lerrschaft des Geistes trat mit ge schichtsbildender, tief umgestaltender Macht hervor, als sie in Fichte ihre nationale Beziehung und Ausprägung gewann.
Fichte wußte dem deutschen
Volk es als seine heilige nattonale Aufgabe ein dringlich zu machen, für diese geistige Welt und ihre
individuelle Offenbarung im besonderen Volkstum der deutschen Nation Gut und Blut einzusetzen. Indem sich die Führer der Befreiungskriege
zu dieser Sendung innerlich bekannten, erhielten sie die Kraft, das durch die große Not und die schwere Zeit innerlich aufgeweckte Volk zum heiligen Krieg
für seine gottgewollte Pflicht und Aufgabe zu mo bilisieren.
Die Besteiungskriege waren das heilige
Blutfiegel, das ein Volk unter diese deutsche Lösung des neuzeitlichen Themas drückte, das Tatbekenntnis,
39 mit dem sich eine ganze Nation grundsätzlich zum
Dienst an einer ewigen Welt geistiger Art ver pflichtete.
Man hatte ein Leben ewiger Art neu
gefunden, nun konnte man das Leben einsetzen, um es für immer zu gewinnen.
*
*
*
Aber die Entwicklung sollte nicht auf dieser Löhe
bleiben.
Sie sollte noch einmal in tiefe Abgründe
und neue, schwerste innere Krisen und Zerklüftungen führen, ehe sie zu neuer Löhe siegreich emporstieg. Wir haben es darum nun mit der Entwicklung zu
tun, die 2.
bis zur neuen Krisis und neuen Erfassung des neuzeitlichen Themas
führte. Arndt hatte gewiß recht, wenn er den Nörglern,
die Goethes nationale Indifferenz tadelten, entgegen
hielt, Goethe repräsentiere das geistige Deutschland, um das man kämpfe. Lind Goethe hatte recht, wenn er im November 1815 dem Listoriker Luden gegen
über seine Zweifel äußerte, ob denn die Wieder geburt und Erweckung, von der jetzt die Rede fei,
wirklich das Volk ergriffen habe, und darauf hinwies, daß man diese Bewegung vor allem auch „nach
oben" wirksam machen müsse.
Die neue Krisis
setzte ein, als das „neue Deutschland" trotz der Be freiungskriege ein Traum und Plan der Philosophen
und Dichter blieb, und als trotz der Erweckung des
40 Volkes die Behörden und Fürsten, die Regierungen in Staat und Kirche die freie Entwicklung geistigen
und religiösen Lebens mehr hemmten als förderten.
Gewiß, die Kirche erlebte eine Neubelebung und
in bescheidenen Grenzen eine Weiterbildung der re
formatorischen Dogmatik.
Aber indem die Theologie
sich einerseits zu eng mit den Denkformen der Legelschen Philosophie verbündete und andererseits die
Fühlung mit der neu auflebenden, stark pulsierenden
Romantik verlor, kam sie zusammen mit der als re aktionär empfundenen Kirche nach und nach in jene
Isolierung, an der sie im ganzen 19. Jahrhundert laborierte.
Am verhängnisvollsten aber war es, daß
die politischen Behörden eine positiv fördernde und fruchtbare Verbindung mit dem neuen geistigen
Deutschland nicht zu finden vermochten.
Zu dem
allen kam noch hinzu, was vielfach übersehen worden
ist, daß die Prinzipien der Aufklärung einerseits und
die der genialisch-romantischen Bewegung anderer seits sich trotz der Aufrichtung des Idealismus, der beide Richtungen in sich aufnahm und doch auch
wieder grundsätzlich überwand, gleichsam noch nicht isoliert ausgelebt hatten, sondern noch einmal, jedes für sich, den Versuch zu einer ihrer Eigenart
voll entsprechenden Lebensgestaltung wagen mußten. Diese Versuche erhielten nun eben ihre Nahrung aus der Anzufriedenheit, die mit der weiteren Ent
wicklung der politischen und kirchlichen Dinge zur
Grundstimmung der geistig beweglichsten Kreise des Volkes
wurde.
Als nun vollends auch die
41 Mängel, ja die Anhaltbarkeit der Legelschen Philo
sophie, die lange schützend und nährend geherrscht
hatte, erschreckend zutage traten, ward der ganze Besitz einer geistigen Weltanschauung problematisch und eine ungelöste Frage der Zukunft.
Grundstimmung
Ja, die
der geistigen Führer wurde die
Sehnsucht nach einer völligen Neugründung des ge samten Lebens überhaupt.
Diese Sehnsucht äußerte
sich auf dem politischen Gebiet teils in Verfolg
demokratischer Ziele, teils in dem Verlangen nach Einheit des Reiches.
1848 einerseits, das Frank
furter Parlament und die Kaiserkronedebatten an
dererseits sind die geschichtlichen Etappen dieser na tionalen politischen Sehnsucht. Bismarck wurde ihr Erfüller, das Deutsche Reich ihr Lohn. Auf geistigem Gebiet gebar diese Sehnsucht
eine höchst charakteristische Wendung unserer Geistes geschichte, die in Männern wie Lebbel, Wagner und Nietzsche ihre typischen Vertreter finden und bis in
unsere jüngste Zeit, bis in den „modernen Lebens typus" hinein bedeutungsvoll nachwirken sollte. In ihr kam es zu einer neuen Krisis in der Entfaltung des neuzeitlichen Themas vom genialisch-romantischen Prinzip her. Ehe ich aber diese Wendung, mit der wir dann
unmittelbar in die Zeit vor dem Kriege eindringen, vorführe, muß ich noch das Aufkommen der Krisis
zeigen,
die
aus
der
Entfaltung des rationa
listischen Prinzips über unsere Geistesgeschichte
hereinbrechen sollte.
42 Die Revolution im geistigen Staate der Äegel-
schen Philosophie ward eingeleitet durch den Kampf, den das „Leben Jesu" von D. Fr. Strauß entfachte. Geschichte
Strauß kritisierte Jesus und die biblische vom
Standpunkt
schichtsauffassung aus.
der
Äegelschen
Ge
Der Christus des Glaubens
wurde dabei eine Schöpfung des mythenbildenden Gesamtgeistes.
Dieser Versuch entfachte den Kampf
über die historischen Grundlagen des Christentums und über die Persönlichkeit Gottes und die An
sterblichkeit der Seele.
Darf man im Legelschen
Sinne bei seiner Anschauung vom Gesamtgeist von einer Persönlichkeit Gottes im strengen Sinne reden,
hat der einzelne, der doch nur Durchgangspunkt
des unendlichen Geistes ist, so etwas wie eine un sterbliche Seele? — Man sieht,
wie hier ratio
nalistisch-kritische und romantisch-pantheistische Ten
denzen gemeinsam auflösend und zerklüftend wirken.
3m Laufe des Kampfes spalteten sich Schulen, die
sich heftig befehdeten, — mit der Festigkeit und Einheit einer geistigen Weltanschauung war es vor
läufig vorbei. — Die Folgezeit gehörte der Aus bildung einer materialistischen Weltanschauung.
Feuerbach kritisiert den Legelschen Gesamtgeist als Illusion des Individuums und will nur — echt rationalistisch und romantisch zugleich — den ein
zelnen gelten lassen.
Seine Gedanken erhalten dann
schon eine materialistische, ja sozialistische Richtung,
wenn er gesunde Lebensbedingungen für den ein zelnen fordert, damit sich das Einzelich frei ent-
43 wickeln könne.
Der Mensch ist,
was er „ißt".
L. Knapp wendet dann die Legelsche
Geschichts
betrachtung ins gesellschaftlich-ökonomische, ja ins mechanistisch-materialistische um.
Die Erscheinungen
des individuellen und gesellschaftlichen Lebens sind nur Muskelvorgänge, eine Idee, die in Marx und
Engel zu einer systematisch unterbauten Geschichts
auffassung führt: alle historischen Prozesse sind nur
Bewegungen des materiellen Weltinhaltes,
jener
bildet also nicht eine „Selbstbewegung der Wahr heit" den Kern der Geschichte, sondern nur ein Kon
glomerat ökonomischer Bedürfnisse, die geistigen Be dürfnisse sind nur Begleiterscheinungen jener. — Da
mit ist der populäre Materialismus eingeleitet,
der zusammen mit der Sehnsucht nach dem sozialistischen Zukunstsstaat dem neu aufsteigenden Arbeiter
stand die geistige Grundlage zu der großen wirtschaft
lichen Kampforganisation der Sozialdemokratie gab. Eine wissenschaftliche Stärkung erhielt diese Weltan sicht durch das Eindringen des Darwinismus, jener schienen die Rätsel der organischen Zweckmäßigkeit
durch eine mechanische Erklärung gelöst, und zum zweiten Mal in Deutschland ergreift der ratio nalistische Wahn die Gemüter, als könne man auf
Grund unbezweifelbarer naturwissenschaftlicher Tat»
sacken und historischer Kritik eine, auch die meta physischen Probleme des Lebens lösende Weltan schauung aufbauen. Im naturalistischen Monis
mus schafft sich diese Ansicht ihre Dogmatik und tritt als eine organisierte Gemeinde agitativ auf.
Der
44 Materialismus
ist also nun,
wirtschaftlich fundamentiert
wissenschaftlich und
und organisiert,
zum
erstenmal in Deutschland eine große, kulturbildende
Macht und wird durch die ungeheure Steigerung
des Luxus, der Genußsucht und der Geldherrschaft eine tief wurzelnde Lebens st immung weitester Volksschichten.--------- Das neuzeitliche Thema ist
dank fortschreitender ungebundener Kritik gleichsam von unten her gelöst. Der Mensch ist nicht in einer oberen Welt geistiger Werte und Normen, sondern in der unteren Welt der Triebe und der vergänglichen
zufälligen irdischen Werte verankert.
Ein wahrhaft
trostloser Anblick für den, der einen ewigen, geistigen Sinn unserer Geschichte liebt und finden möchte, trost los wahrhaftig, wenn nicht diese Weltansicht nur
einer der Pole gewesen wäre, zwischen denen die Entwicklung unserer Geistesgeschichte im 19. Jahr
hundert verlaufen ist.
Die Eigenart dieser Ent
wicklung im vergangnen Jahrhundert ist aber gerade
ihre Gegensätzlichkeit und polare Spannkraft. — — Verschaffen
wir uns zunächst
von dieser
tiefgehenden Zerklüftung einen lebendigen Ein druck,
um schon angesichts des tief aufgeriffenen
Ackers der Zeit neue Loffnung für eine junge Saat und eine kommende Ernte schöpfen zu können. 1799
war
Schellings
System
der Natur
philosophie erschienen; alles ist auf teleologische, symbolische Deutung, auf inneren Sinn und Ein heit gestellt.
Es entsprach diese Philosophie durch
aus der Grundstimmung der Zeit, die die Seele der
45 Natur und die Natürlichkeit der Seele wieder neu entdeckt hatte. wurde
Das so eingeleitete Jahrhundert aber
das Jahrhundert
der nüchternen Natur
forschung und rechnenden Naturbeherrschung.
Das
naturphilosophisch begonnene Jahrhundert schien im Naturalismus endigen zu wollen.
Der Natur ward
systematisch die Seele ausgetrieben, bis nur noch
das Knochengerippe von Gesetzen dem betrachtenden Mikroskop entgegenstarrte.
And dennoch ist dieses
Jahrhundert begnadigt gewesen, die „Landschaft" im eigentlichen künstlerischen Sinn erlebend zu ent decken, und dennoch lebt am Ende des Jahrhunderts eine Dichtung, die so tief und kühn wie keine zu
vor die Natur zu beseelen strebt.
1807
Geistes.
erschien
Äegels
Phänomenologie
des
Die Geschichte ward vergeistigt, der Sinn
und Zweck der Völkergeschichte und Weltgeschichte aufgedeckt. Das so eingeleitete Jahrhundert aber sollte das Jahrhundert nüchterner Geschichtsforschung
werden.
Prinzipiell ward jedes Suchen nach einem
durchgehenden Sinn der Geschichte abgewiesen, und etwaige dahingehende Versuche als unwissenschaft
lich verpönt.
And dennoch sah schon das Ende dieses
Jahrhunderts ein Geschlecht, das sich tief innerlich gegen den „Listorizismus" wandte und nach großen Zusammenfassungen der Geschichte und inneren Deu
tungen zu hungern begann.
Das Jahrhundert beginnt mit der Romantik, mit dem genialischen Selbstgefühl, mit dem schöpfe-
rischen Ich, — und sollte das Jahrhundert der
46 Maschine, des Kapitalismus, des Sozialismus, des Beamtenstaates, der staatlichen Erziehungsaufsicht, des alles gleich machenden Verkehrs werden. Über
all bilden sich Massenkomplexe unpersönlicher Art, die der Entfaltung des Individuums durchaus feind
lich sind.
Alles wird zur G. m. b. £>., zu Vereinen
und Verbänden, zu Kongressen und Konferenzen. Der
Sozialismus
möchte
das
Gottesurteil
Masse zur obersten Instanz erheben.
der
Die sozio
logische Wissenschaft will aus dem „Milieu" den Charakter ableiten.
Die „Gesellschaft" schreibt jedem
einzelnen die ungeschriebenen, aber um so binden
deren Gesetze vor. Individuums?
Wo bleibt Recht und Kern des
And doch ist es da! Ja, viel stärker
als je!
Der Subjektivismus in Kunst und Er
ziehung,
in Lebenshaltung und
eins der
großen
Geschmack
Programmatischen
des ausgehenden 19. Jahrhunderts! kenlose Sichausleben wird einzig Lebenswerte ersehnt.
wird
Schlagworte
Das schran
von vielen als das Ja, sogar „Solipsis
mus" wird ernsthaft vertreten: „Mir geht nichts
über mich!"
Das Jahrhundert begann mit Schleiermachers Reden über die Religion und mit der religiösen
Erweckung der Freiheitskriege und erklärte im Laufe der Zeit die Religion für ungefährliche Geschmacks
und Privatsache und sah dungen aller Art.
„neuheidnische" Grün
And dennoch wurde das Zen
trum die stärkste Partei im Reichstag und das Wort vom neuen religiösen Suchen und Sehnen die
47 Überschrift über viele geschriebene und ungeschriebene
Bücher der neuen Zeit. Die
zweite
des Jahrhunderts
Äälfte
brachte
das riesenhafte Anschwellen der Großstädte und die
Kaninchenställe
bauten.
Stein
großstädtischen Kasernen
der
Asphalt hielten ihren grau
und
farbigen, grauenerregenden Einzug in die blühenden
Gefilde unserer Gärten und Gründe.
Der Boden
wucher entwurzelte Millionen aus dem nährenden
Mutterboden der eignen Scholle und der freizügige,
rasend eilende Verkehr trieb die Menschen zu un gezählten Paaren aus dem Paradies einer eignen Leimat.
And dennoch ward in diesem Jahrhundert
die Leilquelle der Sommerfrische geradezu entdeckt.
Jeder
Sommer
sah
eine
Völkerwanderung
nach
Wald, Gebirge und Meer in immer größer wer
Mit nie gekannter Inbrunst
denden Dimensionen.
ward die Natur umarmt, und Neusiedelungen und Gartenstadtprojekte,
Naturhygiene
und
Freilicht-
und -Luftvereine suchten dem starken Bedürfnis nach Rückkehr zur
Natur
entgegenzukommen.
Zuletzt
ward aus der Jugend heraus dieser Zug zur Natur geradezu organisiert und brach sich in einer elemen
taren Lebensbewegung Bahn. Ich könnte noch eine ganze Weile fortfahren, die hin und her wogenden Gegensätze deS 19. Jahr
hunderts zu schildern.
Aber die Tatsache ist zu
offenkundig und uns allen noch allzu fühlbar, als daß es weiterer Schilderung bedürfte. Auch das Resul
tat dieses
Zustandes
dürfte uns allen ebenso
48 Lin und her geschleudert zwischen
bekannt sein.
den verschiedensten Strömungen, hin und her ge zerrt vom Kampf der sich befehdenden Weltanschau
ungen und religiösen und kirchlichen Streitigkeiten
steht der neuzeitliche Mensch, bar jeder geschichtlich überlieferten, ohne weiteres herrschenden und bestim menden höheren Ordnung und Bindung geistiger Art rein auf sich selbst.
der
wirtschaftlichen,
Mitten in der Spannung
kulturellen
und
politischen
Gegensätze, aus dem Leimatboden und der mütter lichen Erde entwurzelt sucht das neuzeitliche Ich schier vergebens nach einer es innerlich tragenden
Sicherheit und ewig gültigen Festigkeit.
Gewiß lag in diesem abenteuernden Freibeuter-
tum ein großer Reiz, und weite Horizonte neuer Möglichkeiten
taten
auf.
sich
Das völlig
frei
schwebende Ich vermochte in Höhen zu steigen, die vordem ein verschlossenes Jenseits waren, vermochte
Differenziertheiten durchzukosten, die dem irgendwie gebundenen
Menschen unzugänglich waren.
And
dennoch, nach und nach schob sich drohender als je
zuvor
Zenit:
die
Stand
geistige
hier
Schicksalsfrage
nicht
in den
im letzten Grunde der
seelische Bestand, der geistige Gehalt der Mensch
heit überhaupt in Gefahr?
Lösten sich hier nicht
nach und nach alle allgemeingültigen Perspektiven,
Organe, Kategorien und Kräfte unseres geistigen
Erlebens in irrlichterierende, gespensterhafte Einzel
versuche unkompetenter Art auf?
Ließ sich denn
mit diesem nervös zerfaserten, kritisch hin und her
49 geworfenen Menschen überhaupt noch so etwas wie Kultur, wie Lebensstil, wie geistige- Lebensgebäude schaffen?
An Ansichten und Erlebnissen, Versuchen
und Verneinungen, Entwürfen und Verzichten hatte
man
so
viel,
um
die
tapezieren zu können.
ganze
Welt
damit aus
Aber nur eins hatte man
nicht: Stil, höheren Rhythmus, in sich selbst be wegte und fortschreitende Kultur!
Schon machte
sich der Verlust einer alle bindenden Gewalt geistiger
Leistung und Aufgabe höchst gefahrdrohend im sitt lichen Zerfall weitester Schichten, in Züchtung ober flächlichster Talmikultur, in geistloser Nachbetung
des Auslands, in Geckentum und virtuosenhaftem Kraftmeiertum auch dem bürgerlichen Durchschnitts
menschen bemerkbar.
Eins wurde jedenfalls immer
klarer: was man brauchte, da- waren nicht Lei!» mittel und Pflästerchen isolierter Art, — sollte eine neue Rettung des sich verflüchtenden Geistes mög
lich sein, so war es nur möglich durch eine Neuschöpfung schlechthin.
Neue Menschen brauchte
man, einer neuen Menschheit harrte man entgegen. — Dahin liefen denn zuletzt nun alle Bestrebungen
zur Rettung wahrhafter Kultur aus: den neuen Menschen zu
züchten
und zu
schaffen, der
bei
aller Differenziertheit des modernen Erlebens von einer
inneren
quellfrischen
Ursprünglichkeit durch
strömt und von einer höheren geistigen Welt ewiger
Art getragen würde! gebildet
werden,
wenn
Eine neue Jugend mußte
der
geistigen Kultur ein
neuer Morgen beschieden sein sollte. Jacobsftötter, Unser Uriegserlebnis.
Deshalb warf 4
50 sich nun alles auf Erziehungsprobleme und päda
gogische
Versuche.
„Kind",
sowohl
Man
von
stürzte sich
der Sehnsucht
auf das nach
dem
„Kindlichen" schlechthin als auch von dem Wunsch geleitet, dem Volke zu einer neuen Kindheit zu
verhelfen.
Staat und Kirche, Gesellschaft und alle
möglichen Vereine, Kaiser und Demokratie machten
sich an die Erziehungsarbeit und organisierten eben das, was man brauchte, — eine „Jugendbewegung". Ich machte schon darauf aufmerksam, daß aus der Jugend selbst heraus unter mannigfaltigen, jedem heute geläufigen Namen diesem Reformieren von oben eine reformatorische Bewegung von unten und
von innen elementar begegnete.
Lier aber interessiert uns vor allem, daß in diesem Bemühen tatsächlich das tiefste Problem des Geisteslebens des 19. Jahrhunderts eigen tümlich zum Ausdruck kam, das Problem, dem die
tiefsten
theoretischen
und
künstlerischen
Lebens
versuche der Großen im letzten Jahrhundert galten, das Problem, dessen eigenartige Lösung im modernen Leben-typus de- „Genialismus",
wie ich
diesen
modernen Ausläufer der großen romantischen Be wegung nenne, vorliegt.
Indem ich zuletzt mich diesem eigentlich „mo dernen Lebenstypus" zuwende, nehme ich die
tiefsten Tendenzen der GeisteSgeschichte im 19. Jahr
hundert auf und knüpfe wieder bei jener Zeit der
Sehnsucht nach Neuschöpfung der Dinge an, von der ich oben andeutend sprach.
51 Die große Lebensfrage, um die es sich in diesem Stadium der Entfaltung des neuzeitlichen Themas handelt, bringt schon Karl Immermann 1836 ziem
lich scharf zum Ausdruck.
Er sagt: „Was ist nun
das Charakteristische der modernen Zeit?
Das In
dividuum hat sich mit seinen Ansprüchen bis zur
eigensinnigsten,
ja
krankhaftesten
Spitze
herauf
getrieben, aber eben darum ist es auch über den
Punkt der Befriedigung in sich selbst schon hinweg. Alle Menschen empfinden jetzt ein Bedürfnis nach allgemeingültigen
Unterlagen
des
Daseins,
nach
organischen, objektiven Lebensformen, ohne gleich
wohl
zur Ergreifung desselben schon geschickt zu
sein,
weil
es dabei immer auf eine starke Ent
äußerung des Egoistischen ankommt.
Eine Kirche
gibt es kaum noch, der Feudalismus hat ganz auf
gehört und etwas Analoges wie den Staat des Altertums erblicken wir nur erst in der Zukunft in
dämmernden Amriffen." Von hier aus versteht man, daß Männer wie Lebbel, Wagner und Nietzsche, jeder in seiner
Art, ihr Lebenswerk darin sahen, den neuen Men schen, das Zeitalter einer neuen Menschheit, ja den
neuen
Gott
heraufzuführen.
Allen
voran
ist
Nietzsche Märtyrer des vorhandenen Chaos und
Prophet einer neuen Welt geworden.
Nietzsche ist
in gewissem Sinn das chaotische Gegenspiel zu dem kosmischen
Lebensdenkmal
Goethes.
Jede
letzte
Festigkeit historischer, sittlicher und metaphysischer Art wird in diesem „Äbertypus" de- losgebundenen 4*
52 neuzeitlichen Ich zertrümmert.
Man hat über dem
ümstürzen des Bestehenden und dem vielfach frivolen Geschrei des Iertrümmerers vielfach die im Innersten
durchaus positive Tendenz dieses Titanen übersehen. Denn seine eigentliche Leistung ist die: er wendet
und verwendet das romantische Ideal zum welt gebärenden Lebensprinzip.
Der Romantiker läßt ja
im Gmnde nur den hohen, ja den höchsten Moment gesteigerter schöpferischer Anmittelbarkeit als wahr haft lebenswert gelten.
Nietzsche unternimmt es,
diesen Moment zu der dauernden Löhenlage des künftigen Normalmenschen,
des
der neuen Menschheit zu erheben. die Senne
künftigen Typus
In Nietzsche ist
jener oben besprochenen Sehnsucht so
straff gespannt, daß sie ihren gefiederten Pfeil über alle Grenzen, ja bis ins Jenseits von Gut und Böse, in das Neuland des Übermenschen schwirren läßt.
Der in höchster ürsprünglichkeit aus sich selbst
lebende und in solcher unmittelbaren Schöpferkraft mit dem ganzen All eins seiende Mensch, das ist der Typ jener Gattung, die wir züchten müssen, wenn unsere ganze sogenannte Geschichte und Kultur nicht untergehen soll.
Lier ist das eigentlich mo
derne Menschenproblem
in
der Tiefe erfaßt:
wie wird der in sich zerspaltene, zwischen bewußter Reflexion und unbewußtem Schaffensdrang hin und
her gezerrte, den alten überirdischen Quellen des Lebens entlaufene Mensch zu einer neuen, au- sich selbst quellenden ürsprünglichkeit, zu einer schöpfe
rischen und
damit metaphysisch organisietten ün-
53 Es ist die Frage nach
Mittelbarkeit umgeschaffen?
dem neuen Kindwerden des aller Naivität baren modernen Menschen.--------------
problem
„Moderne"
die
Indem
entfaltet
charakteristisch
jene
und
weiterbildet,
dieses
Menschen
Lösung
Nietzsches
entsteht der „moderne
Lebenstypus" im engeren Sinne, den ich „Genia-
lismus" nenne, entsteht zuletzt dann eine neue tiefste Krisis der Geschichte des neuzeitlichen 3ch will kurz an einigen Beispielen zeigen,
Themas.
wie dies moderne Menschenproblem innerhalb der „Moderne" vielfach zur Aussprache gekommen ist. Zwei Äußerungen nur mögen uns daran er
innern, daß wir hier auch in gewissem Sinne das europäische Menschenproblem der modernen Zeit
vor uns
haben.
Gaston Paris
Der Romanist
charatterisiert den Dichter Sully Prudhomme fol Anglück
ist
das
Anglück
gendermaßen:
„Sein
unserer Zeit:
Das Verlangen nach der Illusion
und die Anfähigkeit an sie zu glauben, das gebiete
rische Bedürfnis nach Wahrheit und der Schrecken vor
ihren
Enthüllungen,
die übertriebene Ent
wicklung der Empfindungsfähigkeiten und das Miß trauen,
das
in diese Empfindung
wird." — — Julius Bab
selbst gesetzt
glaubt in Bernhard
Shaw einen typischen Fall des modernen Menschen
problems sehen zu müssen.
Dieser protestanttsche
Ire, der nichts denken kann, ohne sich kritisch die Anvollkommenheit seines Denkens
zersetzend
zum
Bewußtsein zu bringen, kommt nach England, in
54 das
Land
des
unproblematischen Landelns,
skrupellosen Schaffens.
„And deshalb
wird",
des
so
schreibt Bab in seiner geistvollen Biographie, „Bern hard Shaws Lebensziel:
durchdringenden
ganz wachen,
auf dem
Lebensbewußtsein
des
Iren
die
ganze Welt englischer Sicherheit und Schaffenslust
neu zu gründen, neu zu gründen auf die Termino logie eine- erweiterten und erneuten Protestantis
Dies aber ist nur, —" so heißt
mus
es dann höchst charakteristisch weiter bei Bab —
„eine nationale Variation über das eigentliche Kul turproblem der europäischen Gegenwart: Aus einem
fruchtlos Wissenden
und unweise
Landelnden soll er erzeugt werden,
der wissende
Geschlecht
von
Täter!"-------------------------------------------------------------------
Der „wissende Täter" soll „erzeugt" werden, d. h. der Mensch, der durch die bleiche Äelle unseres,
jeder schützenden Knospenhülle beraubten Bewußt seins hindurchgegangen ist und nun ein neues dämmemdes Anbewußtes finden muß, aus dem heraus
er unmittelbar schöpferisch, nach innerlich gleichsam
instinktiv wirkenden Gesetzen zu leben vermag. — Auch Grete Meisel-Leß hat in ihrem zweibän
digen Roman „Die Intellettuellen" dies Problem
der europäischen Gegenwart richtig gesehen.
Professor doziert
dort
im
1. Band so:
Ein „Diese
schöne schlafwandlerische Sicherheit des Trieb- und
Instinttmenschen
ist für uns verloren .. .
Die
Zeiten aber, wo der intellettuelle Wille so geübt
ist, daß er den Menschen zu derselben fast auto-
55 malischen Reaktion führt, wie das der gesunde In
stinkt, der Trieb besorgt — so daß auch der kompli zierte Mensch ein Ganzes und Deutliches wird — die sind noch nicht da."
Der neue, der „gesteigerte" Mensch, wie die Ver fasserin sagt, muß gefunden werden.
Das ergreifendste und dichterisch schönste, ja wenn man
will
das
klassische Denkmal
des
modernen
Menschenproblems ist Gerhart Lauptmanns „Ver sunkene Glocke".
schreiben,
Ich müßte das ganze Stück aus
um zu zeigen,
wie elementar hier die
eigentliche Not des modernen Menschen zum Aus druck kommt.
Ich will mich aber hier mit der Auf
forderung, es daraufhin durchzulesen oder sich an zusehen, begnügen und an einem anderen, weniger bekannten Werk Lauptmanns das nämliche zeigen.
Ich meine „Gabriel Schillings Flucht".
Der aus
dem intellektualistischen Asphaltmeer
Berlins entfliehende Maler Schilling sucht auf der
Nordseeinsel, was ihm fehlt, naive Einheitlichkeit, tiefstes, unbewußtes, gläubiges Einssein mit dem Grund aller Dinge.
Meertiefe, dämonische, un-
reflektierende Natur und Griechenland — höchste
harmonische Einheit von Form und Kraft, Geist
und Wille — schweben ihm als einzige Rettung vor. „Dort stammen wir her, dort gehören wir hin!" —
sagt er vom Meer.
And an einer anderen Stelle
heißt es: „Die Sache ist die: ich bin nicht mehr ich! Mein ganzes Wesen, meine ganze ursprüngliche Art zu sein, ist . .. umgebildet; glaube mir, daß ich mir
56 entfremdet bin.
Ich bin alledem entrückt und ent
fremdet worden, womit und wozu ich geboren bin und wodurch ich allein existiere und wachse.
Das
habe ich verloren, das suche ich nun ... ich muß blindlings fast wieder zum Kinde wer den ..1 ... „horch mal die See rauscht bis hier
herauf."... „Oh! Oh!! Oh!!l Oh!!!! Das Ele ment! Da- Element! ..."1
Man muß Schilling, den durch die Asphaltkultur des modernen Intellekts seiner Ursprünglichkeit be raubten Mann, in jener Szene gesehen haben, wie
er mit den Länden weit vortastend mit dem immer
tiefer aufquellenden „Oh" dem Meere zuschreitet:
„das Element, das Element", — um die ergreifendste Statue der modernen Menschennot unvergeßlich vor Augen zu haben. Lind nun brauchen wir uns nur vorzustellen, jener
Schilling ließe plötzlich
die ausgestreckten Lände
kreisend auseinandergehen und umfasse so mit beiden Armen den ganzen Llmkreis des gesamten Lebens, um mit dieser schöpferischen Geste gleichsam die ganze Schöpfung wie ein Orchester zum Klingen und
Jauchzen aufzurufen in dem sieghaften Glauben, daß alles nur auf diesen Wink gewartet habe,-------- um uns die Wendung zu der positiven Lösung, zu dem eigenartigen Rettungsversuch zu veranschaulichen, der
im „GenialismuS" des modernen Lebenstypus vor liegt. — Das, was man brauchte, war, wir sahen es. 1 Von mir gesperrt.
57 neue Arsprünglichkeit, unmittelbares Einssein mit den tief aus sich selbst aufsteigenden Quellen des Lebens.
Im
genialischen Moment künstlerischen Schaffens
und Erlebens fand zweifellos diese Sehnsucht ihre Erfüllung.
Nun denn also kommt es darauf an, die
Seele von vomherein und von Grund auf und auf
der ganzen Linie auf diese Funktion einzustellen und sie dauernd in jener enthusiastischen Verzückung zu erhalten, vor der die geheimsten Tore des Lebens
sich wie mit einem Zauberschlag öffnen, au- der fort und fort eine neue Welt geboren wird.
ES galt
also, das gesamte Leben in Gesellschaft und Bildung, im Ertragen und Gestalten, im Genießen und Leiden,
in Vergangenheit und Gegenwatt und Zukunft, nach
oben und nach unten, kurz in allen Dimensionen und
Inhalten in den Strudel genialischer Anmittelbarkeit einzubeziehen.
Dann lag der Grundfehler der
ganzen bisherigen Entwicklung, daß sie nicht versucht hatte, die Welt vom Puntte unmittelbarer, schöpfe
rischer, enthusiastischer Bejahung aus den Angeln zu heben, um sie damit sich zu eigen zu machen und
so
mählen.
sich
ihrem
eigentlichen
Sinne
zu
ver
Nichts gibt es auf der Welt und im
Leben, was nicht dazu da sei, diesen Zustand ur sprünglicher Innerlichkeit, unmittelbaren Erlebens zu
fördern.
Von der Wiege bis zum Sarg, vom Greis
bis zum Kind, von der heroischen Tat bis zum täg lichen Landgriff, von tiefer Einsamkeit bis zu höchster Gemeinschaft, von Sünde und Not bis zum seligsten
Augenblick, alles sollte seinen Einzug halten in das
58
weit geöffnete Lerz des ursprünglich erlebenden und
sich gebenden Menschen.
Alles würde dadurch er
löst und zum Segen werden.
Die „Inbrunst zur
ganzen Welt" sollte die einzige Tugend und all
gemeingültige Forderung sein. „Ob dein Schiff nach Osten, Westen, Norden oder Süden zieht, überall zu Schöpfungsfesten winkt noch neues Weltgebiet»"
Diesen echt „genialistischen" Leitspruch setzte der 50jährige Dehmel
seiner
„schönen
wilden Welt"
voran, derselbe Dichter, der schon vor Jahrzehnten in seinen „Zwei Menschen" — zusammen mit Laupt-
manns „Glocke" — diese Wendung bedeutsam ein geläutet hatte.
Das Eigentümliche an diesem Genialismus aber war, daß er immer mehr seine eigene Sittlichkeit,
Religion und Metaphysik sich zu schaffen be gann. Nicht völlige Willkür und Zügellosigkeit wollte
er predigen, — nein, indem das Leben zur unmittel
baren Form schöpferischen Erlebens erlöst wurde, gab es sich selbst seine ihm innewohnenden Gesetze. Der, der das Leben in all seinen Formen, Fesseln
und Freiheiten bejahte, nahm damit selbst die Zügel in die Land, mit denen das Leben sich selbst lenkte.
Theoretisch und dogmatisch abgrenzen und feststellen freilich lassen sich diese Gesetze nicht.
Aber durch
die Tat schöpferischen Erlebens tritt man in den
inneren Organismus des Lebens ein.
Ja, durch
diese Tat gewinnt man Anteil an der im gesamten
59 Leben wirkenden, eben schöpferisch wirkenden Gott
In unseren Erlebnissen wird sie uns zu eigen,
heit.
kommt sie zur Aussprache, zu ihrer eigentlichen Ge
walt und Lerrschaft.
Von hier aus ergibt sich die
Religion und Metaphysik des „Genialismus".
an
Glaube
Der
das Leben ist die göttliche Tat des
Menschen, jedes Ereignis ist Gleichnis und Form
des in allen Zuständen und Erscheinungen wirkenden göttlichen Lebens. —-----------------------------------------------
Es ist auf den ersten Blick zu erkennen, daß
hier das romantische Lebensprinzip und Nietzsches
Auswirkung gekommen sind.
Ideal zur
And es
ließe sich wohl zeigen, daß diese Bewegung zu einer
Kulturbewegung unter uns geworden ist. nur
Nicht
auch Denker und Erzieher in
die Künstler,
Kirche, Schule und Leben zogen aus dieser Be wegung ihre Kraft, deren Auswirkung vielfach schon
mit den bestehenden Institutionen in starke Konsiitte zu geraten begann.
tief
von
Die Jugend vor allem war
dieser Bewegung
innerlich erfüllt.
ES
schien wirklich so, als ob die Rätsel des Daseins
und die schweren Nöte der modernen Seele damit gelöst und geheilt werden könnten.
Man wußte
eben so genau, wo es im tiefsten Sinne fehlte, man
wußte so deutlich, was kommen müsse, man empfand so stark, wie die neue Gesundheit anbrechen müsse, —
nun, so sprang man vom Lager auf und komman-
diette
sich
zweifelnder
gesund. nach
Man suchte
wie
neuer Arfprünglichkeit
ein
Ver
und An
mittelbarkeit, nun so versuchte man an den Besitz
60 solch ursprünglicher Kraft zu glauben und so zu
Man
leben,
als
ob man das Gesuchte besäße.
sehnte
sich
die Seele wund nach einer Neuaus
gießung
des Geistes unmittelbaren Erlebens und
aus sich selbst quellender schöpferischer Gestaltungs
kraft,
nun
so
man
beschwor
brünstigen Zauberformeln
sich
gleichsam
selbst,
mit in
bohrte
alle
Tiefen der eigenen Seele an und glaubte den neuen
Sprudel ursprünglichen Lebens rauschen zu hören.
Man mobilisierte alle Kräfte der eigenen Innerlich keit und behauptete vom Sinn des Lebens überhaupt zu solcher Mobilmachung ermächtigt und befähigt zu sein.
Das Leben sollte wieder mit eigener Glut
die frierende Seele wärmen, nun so umarmte man glühend
und
ekstatisch
das
gesamte Dasein
und
hoffte so alles zu einem neuen Guß ohne Sprung und Wunde umschmelzen zu können.
ES war in
der Tat ein Lebensversuch, der an Größe dem rationalistischen durchaus gleichkam, an innerer Be
rechtigung ihn übertraf. And dennoch war er im tiefsten Grunde tragisch,
ja in sich unmöglich und trug von vornherein den Stempel kommender schwerster Krisen an der Stirn. Man
mochte
sich
lange,
getragen
von
dem
Schwung der eigenen Kraftanstrengung, über den wirklichen Erfolg täuschen, man mochte auf neue
Mittel sinnen, soviel man wollte, — zuletzt mußte doch einmal die Erkenntnis aufdämmem, daß neue
Arsprünglichkeit, neue quellende Kindhaftigkeit sich
nicht
selbst
schaffen und geben ließ.
Man kam
61 eben trotz allem schließlich aus dem Zustand des Krampfes nicht heraus.
Mochten sich auch noch
so viele Momente gesteigerten Lebens, Momente
unmittelbaren Einsseins
mit dem All und Sinn
der Schöpfung ergeben, mochten sich immer wieder
weite Blicke und herrliche Entdeckungen eröffnen, —
wie sollte aus den aneinander gereihten Augenblicken ein neues stetes Sein sich entwickeln?
Wie sollte
aus dem immer von neuem erzeugten Akt des Er
lebens sich ein neuer gefestigter Zustand erheben? Das Ziel war zweifellos richtig, die neue Lebens
erfahrung,
die
neue Erkenntnis
vom eigentlichen
höchsten Wert des Menschenwesens ein höchst be deutender Fortschritt, — und doch, dies Ziel war
nicht durch Einsicht und Leistung der einzelnen und
durch eine Indienststellung von Einzelmomenten zu erreichen.
Eine neue Ursprünglichkeit und Kindlich
keit mußte wie ein Geschenk und als eine neue Be fruchtung über uns kommen, — aus uns selbst
konnte sie nicht geschaffen werden.
Zu
dieser
inneren,
gleichsam
seelischen
möglichkeit aber kommt die sachliche.
An
Man wollte
das gesamte Leben in seiner tatsächlichen Zuständlich-
keit restlos bejahen und so den übergeordneten, uns
alle bindenden Rhythmus des Lebens gewinnen, der seinem ewigen Sinn entsprach.
Aber war es wirk
lich auf die Dauer möglich, die harten Gegensätze des Lebens mit ein und derselben Seele liebend zu umfassen?
Blieben nicht doch zuletzt Wirklichkeiten
wie Sünde, Schuld und Tod spröde, ja tötende
62 Feinde auch des noch so feurig werbenden und be jahenden Lebens?
Mußte nicht der dualistische
Charakter unseres Daseins schließlich wieder schnei dend, scheidend und zur Entscheidung zwingend sich
Geltung verschaffen? Erlebnis
notwendige
And wie sollte diese- sachlich
dann
sozusagen
ertragen
Man hatte rastlos das gesamte Leben
werden?
so innig ans Lerz gedrückt wie nie zuvor, würden die Schwerter und Dornen, die doch nun einmal
da sind, in solcher Nähe nicht wahrhaft tödlich
wirken?
Waren denn wirklich die Spaltungen und
Abgründe
unseres Daseins
sicher überbrückt und
ausgefüllt, war denn wirklich ein heiliger Frieden
mit dem Reich des Dämonischen und Bösen und Brutalen und Gemeinen geschloffen?
War wirklich
eine Gemeinschaft mit Gott schon durch unmittelbare Vereinigung
mit dem gesamten Leben in seiner
natürlichen Breite und Tiefe gewonnen? Wir nannten den „GenialismuS" einen Lebens versuch! And gewiß, da- war er in grandiosem
Etil, und als Versuch war er nötig und von Segen. Aber dieser Versuch mußte eines Tages an seiner inneren und äußeren Anmöglichkeit scheitern.
Daß
er nur nicht unter der Form scheiterte, daß das Echte, das in ihm steckte, dabei mit in den Zusammenbmch hineingerissen würde!
Denn er trug
in sich, das sei zuletzt noch einmal hervorgehoben, eine
tiefe
geschichtliche Sendung,
deutsche Sendung. aus
ja eine tiefe
Es tat uns allen bitter not,
den Fesseln des Intellektualismus einerseits.
63 satten Materialismus
des
andererseits
nicht nur
durch kluge Erwägungen gelöst, sondern durch eine
losgerissen
Lebensbewegung
zu
Die
werden.
innersten Fähigkeiten und Organe unseres Erlebens mußten von Grund auf neu belebt und zum Er
fassen höchster Ziele und Werte geübt werden.
Die
moderne Seele mußte vom Sturm der Sehnsucht tiefinnerlichem
nach
Einssein
mit
einem
ewigen
Sinn des Lebens und nach der Einwurzelung in die sich selbst tragende Welt ewiger Werte, in die der inneren Struktur des Geistes selbsttätig
aus
wirkende Bindung
ewiger Att
aufgewühlt werden,
bis
zum Gmnde
sollte sie nicht im Schlamm
und Sand der modernen Luxuskultur verderben und
sterben.
Wir mußten einmal wieder von dem ur
sprünglichen
Erlebnischarakter
einen unmittelbaren Lauch verspüren.
des Geistes
Wir mußten
fähig werden, einer Erweckung und Neuschöpfung
unseres dieser
innersten
Selbst
entgegenzuharren,
denn
neuschaffende Segenssturm stand schon vor
der Tür, bald würde er das ganze Land erfüllen,
— wehe, wenn er dann nicht erlebnisfähige Lerzen und lebenssehnsüchtige Seelen fand! Schon aber lag auch jene Welt geistiger Werte
und Kräfte in den oberen Schichten unserer geistigen
Atmosphäre bereit, die jener Sturm uns von neuem tief in die Brust senken sollte. Innerhalb der Philosophie hatte der deutsche
Idealismus seine Auferstehung gefeiert. Akademische Lehrer
vermittelten
einer
begierig
aufnehmenden
64 Jugend die Grundsätze der geistigen Weltanschauung
Kant, Goethe, Schiller, Schelling,
unserer Großen.
Lege!, Fichte wurden lebendige Kräfte und Schätze
unseres
geistigen
Lebens.
Anter
neuen
Frage
stellungen, im Kampf mit neuen Problemen ward
die Sicherheit und Selbständigkeit der Geisteswelt und der Sittlichkeit neu dargetan, und selbst die
liberal-historische Theologie schmachtete wieder nach einem tieferen metaphysischen Trunk. — Es kam die Jahrhundertfeier von 1913.
Büchern,
ward
Neuausgaben,
In unzähligen
Reden und Dichtungen
die geistige Rüstung
jener
Zeit der Be-
fteiungskriege angepriesen und angelegt.
Der natio
nale Gedanke begann immer stärkere Anziehungskraft zu gewinnen.
Man lese,
wie der aus Amerika
zurückkehrende Leld in Lauptmanns „Atlantis" sein
Deutschland begrüßt, oder wie der fünfzigjährige Dehmel in seinem oben schon genannten Gedichtbuch die stärksten Lerzenstöne in Gedichten an Deutsch
land laut werden läßt.
And war nicht auch das
viel verlästette Festspiel Lauptmanns ein Lochgesang
auf den „deutschen Gedanken" und brachte nicht auch dieses Buch zuletzt ein ergreifendes Bekenntnis
zum deutschen Idealismus?
Kein Krittler hat das
zwar, soviel ich sehe, gewürdigt, und doch war es
wie ein Dokument unserer geistesgeschichtlichen Ent wicklung, daß dieser Dichter, der vom Naturalismus sozialistischer Färbung ausging, nun den „Geist", der
in Kunst, Kultur und Religion sich seine vielgestaltige Offenbarung schafft, pries!
65 In der Tat, das neue Erlebnis, das der Krieg bringen sollte,
war geistesgeschichtlich
sowohl
nach der formalen wie nach der inhaltlichen Seite aufs
fruchtbarste vorbereitet.
Die Atmosphäre
war gefüllt, das Land tief aufgepflügt — das herein brechende Gewitter mußte den deutschen Acker mit
Saat und Ernte segnen.
*
*
*
And nun darf und wird
I I. Unser Kriegserlebnis selbst in seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung vor uns aufsteigen! Ich glaube, sie besteht, kurz gesagt, darin,
daß die moderne Sehnsucht erfüllt, die mo
derne Krisis geheilt und das Thema der neu zeitlichen
Geistesgeschichte
praktisch
gelöst
wurde.
* a) Die moderne Sehnsucht wurde erfüllt, das ist der erste Leitstern,
der uns bei unserem
Antertauchen in das noch immer hochgehende Meer
unseres Kriegserlebniffes in eine bestimmte Richtung leiten möge! Von einem Kriegserlebnis, ja von unserem
Kriegserlebnis rede ich, und ich meine schon die Tat
sache, daß ich ernsthaft, der innersten Zustimmung meiner Leser gewiß, von „unserem Erlebnis" reden Jacobsftötter, Unser Kriegserlebnis. 5
65 In der Tat, das neue Erlebnis, das der Krieg bringen sollte,
war geistesgeschichtlich
sowohl
nach der formalen wie nach der inhaltlichen Seite aufs
fruchtbarste vorbereitet.
Die Atmosphäre
war gefüllt, das Land tief aufgepflügt — das herein brechende Gewitter mußte den deutschen Acker mit
Saat und Ernte segnen.
*
*
*
And nun darf und wird
I I. Unser Kriegserlebnis selbst in seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung vor uns aufsteigen! Ich glaube, sie besteht, kurz gesagt, darin,
daß die moderne Sehnsucht erfüllt, die mo
derne Krisis geheilt und das Thema der neu zeitlichen
Geistesgeschichte
praktisch
gelöst
wurde.
* a) Die moderne Sehnsucht wurde erfüllt, das ist der erste Leitstern,
der uns bei unserem
Antertauchen in das noch immer hochgehende Meer
unseres Kriegserlebniffes in eine bestimmte Richtung leiten möge! Von einem Kriegserlebnis, ja von unserem
Kriegserlebnis rede ich, und ich meine schon die Tat
sache, daß ich ernsthaft, der innersten Zustimmung meiner Leser gewiß, von „unserem Erlebnis" reden Jacobsftötter, Unser Kriegserlebnis. 5
66 kann, spricht Bände, nein mehr noch, bedeutet ein Wunder. —
Eine Erfahrung wird zu einem Erlebnis, wenn in dieser Erfahrung etwas schlechthin Allgemeingül
tiges und innerlich Notwendiges erfaßt wird, oder besser gesagt, wenn der Erfahrende von einem All
gemeingültigen und Notwendigen unmittelbar erfaßt
wird.
Das aber geschah uns, das begab sich über
uns, das bewegte sich durch uns hin! Wunder!
Welch ein
Nie war so viel von Erleben die Rede
gewesen als in der Epoche vor dem Krieg, und sicherlich lag in der Fähigkeit, persönlich zu erleben,
unsere Stärke!
Lind doch, wie blieb alles so ver
einzelt und in dieser Vereinzelung so zufällig und so wenig bedeutungsvoll!
Wie haftete unserem Er
leben so schmerzlich immer wieder der Charakter des
Gemachten, des Krampfhaften an!
Wie sehr glich
unser Erleben dem Rausch, der verfliegt, um einer
nur desto größeren Ernüchterung Platz zu machen. Diese
beiden Mängel,
das atomistische und das
krampfhafte unseres Erlebens waren es ja, die es nicht zu einer wirklichen neuschaffenden, neu uns gründenden Bewegung kommen ließen.
Der Grund
für diese Krankheit an der Wurzel unseres Erlebens lag aber ebenso sehr in uns wie außer uns!
Es
begab sich eben nichts bis zum letzten Grunde Er habenes und Erschütterndes, an dessen Erleben unsere
Seele zu sich selbst, zu eigener Ursprünglichkeit kom
men und gesunden konnte.
And wenn schon im
Einzelleben hie und da eine solche Bewegung ent-
67 stand, — eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine Blüte noch keinen Frühling.
Der ganze
Wald muß durchschüttelt und von innen heraus mit
tausend
Säften
durchströmt
werden,
wenn
das
Blühen ohne Ende anheben und sich alles, alles wenden soll. — And nun erlebten wir alle diesen Krieg. Noch
heute kann ich nur stammelnd davon sprechen.
Was
keiner gewollt, was keiner gedacht oder nicht so hatte denken können, ja fern von aller Reflexion und über
alles Denken und Verstehen brauste diese Not, diese
Wellnot, diese Lebensnot in urgewaltigem Sturm
über uns hin.
Wo war da der einzelne, der für
sich am Afer sitzend diesen Strom und Strudel bei sich bedenken konnte, — alle waren hinein- und mit
gerissen!
Ein Weltsturm fegte über uns hin und
beugte alle Bäume unter seine Wogen. Da erklang Rauschen des Waldes, da schlugen die Äste in einander, da verschlangen sich die Wurzeln, da wur
den wir zusammengeschauert zu einem Volk, zu einer Erlebnisgemeinschaft, zu einer Not- und Tod
gemeinschaft.
Ein Zittern und eine Seligkeit ging
durch uns alle, die wir das erlebten, — erlebten, weil wir's nicht wußten, daß wir es erlebten, weil wir Saiten der Larfe waren, auf denen ein über
lebensgroßer Meister spielte.
Darum
schluchzten
wir mitten unter Tränen und namenlosem Weh vor
Wonne auf, weil wir's alle fühlten, wir sind nicht tot und nicht halb erstorben, wir leben und er leben mit ganzer ungeteilter Seele das Anaussprech5*
68 liche, Anberechenbare, Elementare, Arsprüngliche! Darum loderte in unS mitten in der Gewißheit, daß
nun ein tausendfacher Tod auf uns niederpraffeln
würde, eine hellgleißende Lebensglut auf, weil wir es
sahen
und
ohne Motte empfanden,
Ansrigen sind tief innerlich eins mit uns!
alle die So mußte
es kommen, so elementar mußte es uns ergreifen,
wenn
anders
wir differenzietten,
tausendfach ge
spaltenen, wir isolietten, individuellen Sucher nach den Quellen ursprünglichen Lebens von seinen Fluten überspült und zu neuen Geschöpfen dieses unseres
Elementes umgeschaffen werden sollten!
Was wir
ersehnt und geahnt und mit tausend Mitteln ver
geblich uns zu erraffen versucht hatten, das erfüllte
sich nun!
Wir hatten so tief gewußt, daß nur die
ursprüngliche, unmittelbare Berührung mit dem mehr als menschlichen Leben dem Wesen seines Kemes
entsprechen und sein letztes Geheimnis eröffnen könne,
wir hatten so stark empfunden, daß nur dem so Er lebenden der allgemeingültige und notwendige Charatter dessen, was eigentlich Leben ist, sich offenbaren werde, nun standen wir in solchem Erleben, getragen
und durchströmt von ihm, nun, da wir ursprünglich und unmittelbar dem über uns Gekommenen be
gegneten, ward uns jene Arsprünglichkeit, jene un bewußte Anmittelbarkeit, jene neue Kindlichkeit ge schenkt, nach der unser tiefstes Sehnen ging.
Anter
den Wehen der großen Not kam es zur Geburts
stunde des neuen Menschen, den keine Veranstal tung und Kunst hatte erzeugen können, der uns ge-
69 schenkt werden sollte, als wir seiner am nötigsten bedurften.
Ein
jungfräulicher Boden umwärmte
keimend unsere Seele, die sich matt und alt gesehnt hatte. Wir Suchenden fühlten uns gefunden, wir
Rufenden fühlten uns berufen! wurden gesandt:
gesandt zu
Wir Sehnenden
einer Aufgabe, zu
der wir eben jetzt durch dies Erleben erst im Tiefsten
ausgerüstet worden waren.
Der neugeborene
Mensch im neugeborenen Volk war zum Kampf
geboren, zur Tat gerufen, zur Entscheidung ge zwungen, zur Verteidigung seiner eigenen höchsten
Aufgabe einberufen — aus ursprünglichstem Erleben heraus ward er, ohne daß er sich besinnen und in
die Zweifelshelle des
reflektierenden Bewußtseins
zurückkehren konnte, eingesetzt und eingesegnet zum Lebenskampf um seinen ureigensten Bestand, nämlich
um sein geschichtlich gewordenes, national ge Damit aber war
prägtes geistiges Sein!
b) dir moderne Krisis geheilt. Worin bestand die Krisis in der modemen geisteS-
geschichtlichen Entwicklung? Sie war enthalten in zwei Fragen. Die erste Frage war, ob es gelingen würde, den theoretisch überwundenen Materialismus
und Naturalismus durch eine alle ergreifende Lebens bewegung aus dem Zentrum des geistigen Gehalts der Wirklichkeit praktisch und von innen her zu über winden.
Der „Genialismus" hatte in diesem Sinne,
wir sahen es, größte Bedeutung. Aber hier erhob sich
70 eben die zweite Frage, ob die einmal kommende Kon
frontierung mit dem dualistischen Charakter unsere-
gegenwärtigen Lebens die auf höchste Anmittelbarkeit des Erlebens gerichtete Seele der Moderne nicht zer
schmettern, sondern mit einem göttlichen „her zu mir" auf die Seite des Geistes reißen würde. Jetzt wurden
beide Fragen durch unser Erlebnis in einem kaum zu erhoffenden Maße im Sinne des Geistes entschieden.
Die Perfidität,
die Hinterlist und Frivolität,
unter der unsere Feinde uns den Krieg aufzwangen, die geradezu unheimliche Kunst der Lüge und Ver
leumdung, der der moderne Nachrichtenapparat nach
dem Willen unserer Gegner dienen mußte, die völlige Anfähigkeit Willen,
in
und
der
dieser
völlige
unserer
Mangel
höchsten
an
gutem
Lebensgefahr
unsere Wahrhaftigkeit und unsere Gewissenhaftigkeit
zu erkennen, das alles traf unser ehrliches Gesicht wie eine Ohrfeige aus der Lölle, auf die wir nur mit dem Michaelschwert des Streiters für das Reich
des Geistes, der Wahrheit, des Rechtes, ja für das Reich Gottes antworten konnten. eben nicht anders!
Wir konnten
Das überweltliche Reich ewiger
Güter und Werte appellierte an unser innerstes Selbst
mit solch überwältigender Macht, daß wir aus tiefster Seele zu diesem Aufruf ja sagen mußten, mochten
wir damit auch immerhin gezwungen sein, schwere
Sünden und Fehler der Vergangenheit uns nun als Schuld zuzurechnen.
Die Spaltung der beiden
Welten de- Guten und Bösen, des Rechtes und
der Willkür, der Wahrheit und der Lüge, des Geistes
71 und der Geldgier ging eben nun auch durch unser
Inneres hindurch, und wir schieden uns von dem Reich der Finsternis und entschieden uns für die Waffen des Lichts.
Wer wagte in diesen Tagen
auch nur den Gedanken zu denken, daß es ein solches überindividuelles Reich des Geistes und der ewig wertvollen Güter vielleicht nicht gäbe?
Der Brand,
den die Feinde rings an unseren Grenzen entzündeten
und mit giftigen Gasen nährten, der Brand, der
unser Vaterland, unsere Freiheit, unsere kulturelle Sendung und geschichtliche Existenz bedrohte, be
leuchtete grell die Situation, in der wir uns als Menschen dieser Erde befanden und überhaupt be finden: wandelnd zwischen Abgründen, umlauert von
Todfeinden inneren Lebens und dennoch berufen zur herrlichen Freiheit der Kinder des Geistes.
Mit
einem Schlage gewann die gesamte Welt unserer großen idealistischen Führer, die Welt Kants, Schil
lers, Goethes, Fichtes unmittelbare, unbestrittene Wirklichkeit und Gewalt über uns.
Die überindi
viduelle heilige Macht des Geistes und der Pflicht
senkte sich in unsere Seele und wurde der Schick
sal-stern
in
unserer
Brust.
Wie
beteten
wir
an über solchen Worten wie die Fichtes in seiner
8. Rede:
„Es ist Göttliches in ihm (dem Volk)
erschienen
und
gewürdigt,
es
das zu
Ursprüngliche seiner
Lülle
unmittelbaren Verflößungsmittel
in
machen;
ferner
es
wird
darum
auch
dasselbe
hat
und
zu
seinem
der Welt zu
Göttliches
aus ihm hervorbrechen. ... Das Leben, bloß als
72 Leben, als Fortsehen des wechselnden Daseins, hat
für ihn ja ohnedies nie Wert gehabt, er hat es
nur gewollt als Quelle des Dauernden; aber diese
Dauer verspricht ihm allein die selbständige Fort dauer seiner Nation; um diese zu retten, muß er sogar sterben wollen, damit diese lebe und er in
ihr lebe das einzige Leben, daS er von je gemacht hat. ... Wer nicht zuvörderst sich als ewig erblickt, der hat überhaupt keine Liebe und kann auch nicht lieben ein Vaterland, dergleichen es für ihn nicht
gibt. ... Wem eins überliefert ist und in wessen Ge müte Simmel und Erde, Unsichtbares und Sichtbares
sich durchdringen und so erst einen wahren und gediegenen Simmel erschaffen, der kämpft bis auf den
letzten Blutstropfen,
um den teuren Besitz unge
schmälert wieder zu überliefern an die Folgezeit...." So wurden wir dem Geist, so wurden wir der
Geschichte, unserer Geschichte neu einverleibt. Wir standen ja mit diesem Ergriffenwerden von
der ewigen Geisteswelt nicht allein,
wir führten
diesen Kampf um das irdische und somit auch ums ewige Vaterland nicht zum erstenmal, wir fühlten
uns in einer Kette von Wirkungen, in einer Ge schichte unserer Art und unserer Sendung.
Die
Befehle, die aus dem souveränen Serrschaftsgebiet
selbständigen Geisteslebens unser Gewissen und unser
ganzes Sein trafen, legitimierten sich als geschicht liche Sendboten unserer eigentlichen Bestimmung
von jeher.
Wir wurden so nicht nur ein- unter
einander zu einem Volk, wir wurden auch eins mit
73 dem Leldengeschlecht, mit der klassischen Zeit unserer
Ja, alle Großen unseres Volkes
Vergangenheit!
aus Geschichte und Sage zogen vor uns her und
schwebten unseren Leeren voran, — der Geist der
Zeit ward eins mit dem Geist der Vorzeit.
Ge
schichte trug und erfüllte uns! Aber nicht nur unser geschichtliches Selbst ward uns so neu gegenwärtig, wir erlebten unser deut sches
Selbst
seiner
in
ewigen Bedeutung neu.
Indem wir auf die große Not, die über uns ge kommen war und die, wie wir nun sahen, tief mit un
serer eigentlichen geschichtlichen Sendung zusammen hing, so ursprünglich und durch entscheidungsvolle
Tat antworteten, eröffnete sich uns von neuem das Geheimnis
unserer
deutschen
Eigenart.
Wahr
haftigkeit, Sachlichkeit, Ursprünglichkeit, das ist ja
unser eigentlicher Charakter.
Den hatten wir nun
jetzt zu betätigen — und wir betätigten ihn wirklich. Unter dieser Tathandlung aber ward uns von neuem
tief innerlich gewiß, daß diese unsere Art die eigent liche Urstellung zu dem innersten Wesen des Geistes
darstelle.
wer mit ursprünglicher Tat und
Nur
völliger persönlicher Entscheidung sich den Aufgaben des Geisteslebens hingibt, dringt in sein Wesen ein.
Geistiges
Leben
ursprünglichen
erschließt
Tat
sich
reifenden
dem
zur
persönlichen
Er
nur
leben! — — Lier walten also ewige Beziehungen zwischen dem ewigen Geist und deutscher Art!
Aus
der Geschichte und unserer Eigenart und dem Tat charakter
des Geistes will ein Zusammenklang
74 werden, der die Armelodie wahren Lebens singt. — So
reichten
erlebten Beziehungen weit über
die
unser irdisches, zeitliches Dasein hinaus, sie reichten bis in die Ewigkeit, bis zu dem überpersönlich-per
sönlichen Quellpunkt allen wahren Geisteslebens, bis zu Gott.
Am der Treue willen gegenüber unserem
geschichtlichen Selbst, gegenüber unserem deutschen, ja gegenüber dem geistigen Selbst schlechthin hatten
wir diesen Kampf aufnehmen müssen, — wo war die Garantie, daß wir siegen würden?
Wo war die
Instanz, von der die Gewißheit zu holen war, daß die Sache des Geistes, des Rechts, der Freiheit, Wahrheit und Arsprünglichkeit, also unsere Sache,
die Sache unserer Geschichte nicht untergehen, sondern die Welt beherrschen würde?
Fragen,
Aus diesen
denen der geistige und sittliche Cha
zu
rakter unseres Kampfes uns drängte, erwuchs die
neue
Frage
nach
Geschichte in
Gott
der Welt.
und
dem
Sieg
seiner
Auf diese Frage ant
wortete die Geschichte Gottes selbst.
Daß es
eine solche mitten in der Weltgeschichte gibt, war
eine Tatsache, die uns ganz neu überwältigte.
Sie
drang so groß auf uns ein, daß wir sogar Frieden
mit
der Kirche
machten,
denn
wir
empfanden's
plötzlich wieder, in ihren, Zeugnissen aus der Ver
gangenheit und Gegenwart erreichte uns am lebendig
sten die Kunde von der Bewegung Gottes in der Welt, von seiner über Tod und Teufel siegenden Geschichte.
zu tun.
And um diese Geschichte war es uns
Nicht ob ein Gott sei, sondem was er
75 mit uns vorhabe, das war die Frage, an deren
Beantwortung uns alles gelegen war.
Wir hatten
uns lange nur aus dem Naturerleben heraus mit dem Gottesgefühl durchdringen
lassen,
jetzt aber
hungetten und dursteten wir nach Gewißheit seines Willens.
Darum trafen uns diejenigen Psalmen
und Worte Jesu und die Lieder unserer alten und neuen religiösen Sänger am tiefsten, die es uns mit Posaunen und Triumphgeschrei ins Lerz riefen, daß, wenn auch die Berge mitten ins Meer sänken und
die Welt unterginge, ja wenn auch die Welt voll Teufel wäre, Gottes Reich dennoch bleiben und bestehen würde I
And mit uns, die wir uns mit
Leib und Leben nun wieder neu diesem Reich ver schrieben hatten, mit uns, die wir nur mit Gott
allein siegen und in ihm allein leben wollten, mit
uns, daS sagten und sangen wir laut, würde Gott sein! — So ward aus der Situation des Kampfes
um Geist, Sittlichkeit und Seele, aus der Frage nach
Sieg
und Sinn in der Weltgeschichte die
lebendige Herrschaft Gottes neu
erlebt.
In die
Geschichte des Geistes und unserer eigentlichen Sen dung berufen, gewann die geschichtlich gewachsene Verbindung mit dem Gott der Geschichte wieder
neues Leben und die innere, ursprüngliche Bindung an ihn neue Kraft. —
—
—
—
—
—
—
Damit aber war nun in Wirklichkeit die moderne
Krisis
überwunden!
Der
neue Mensch
der
neuen Arsprünglichkeit und unbewußter An mittelbarkeit hatte einen geistig-sittlich-reli-
76 giösen Charakter gewonnen, der ebenso rein
aus seinem eigenen tiefsten Selbst wie aus
dem innersten Selbst deS Geistes überhaupt erwachsen war. Nun wird deutlich, daß damit auch
c) das Thema der nrurrillichen Geiflrsgeschichke praktisch gelöst worden ist.
Ich erinnere kurz daran, daß wir dies Thema in der Frage formuliert fanden: wie gewinnt der
von der alten Bindung des mittelalterlichen Geistes
lebens
losgebundene,
freigewordene
Mensch
bei
grundsätzlicher persönlicher Freiheit und Ursprünglich keit eine aus der inneren Gesetzmäßigkeit des Geistes lebens
selbst überindividuell herrschende Bindung
und höhere Ordnung?
Nun, hier war sie praktisch in größtem Stil erlebt. Erlebt war, wie die neu zur Herrschaft gekommene
innere Struktur
des
Geisteslebens
sich erhebt auf den Grundbegriffen: Vaterland,
Volk-tum, Geschichte, Kultur! Unsere geschichtlichen Erinnerungen hatten eunS deutlich gezeigt, die eigentliche Gefahr in der
Entwicklung der neuzeitlichen Geistesgeschichte er wuchs immer da, wo man versuchte, Welt und
Leben vom zu entwickeln.
freischwebenden Einzelbewußtsein aus
Sei es, daß es das rational-kritische,
sei es, daß es das genialisch-gefühlsmäßig bestimmte
77 Einzelbewußtsein
war,
was sich als Quelle und
Prinzip des gesamten Lebens zur Geltung bringen
wollte,
— immer vom freischwebenden Einzelich
drohten die tödlichen Krisen.
Darum sprachen wir
bei Kant und Schleiermacher und bei Fichte von
einer deutschen Rettung, weil hier überindividuelle, allgemeingültige Bindungen,
nämlich wissenschaft
liche, sittliche, religiöse und nationale Kategorien des Denkens und Erlebens zur Lerrschaft kamen.
Darin aber bestand das Rettende, daß diese Lerr schast keine Tyrannei und Sklavengewalt etablierte,
sondern
aus dem Charakter des Geistes erwuchs
und die Ursprünglichkeit persönlicher Tatentscheidung
förderte und forderte. Ehe zwischen
Wir sahen, wie diese tiefe
überindividuellem
Geistesleben
und
persönlichem Selbstleben im 19. Jahrhundert aus
einanderging und zuletzt zu einer lebensgefährlichen neuen Krisis und zu einer völligen Neuschöpfung beider Teile und ihrer Vereinigung Vor
allem
drängte. —
war ja auch die nationale Bindung
wieder gesprengt.
Man konstruierte ein internatio-
nales Einzelbewußtsein, das zwar nirgends existierte, aus dem aber doch Sinn und Wert des Lebens
abgeleitet wurde. Man war überhaupt auf dem besten Wege dazu, in freischwebender Stimmung und Kritik sich selbst und den Geist zu verflüchtigen.
Da wurden wir mit allem, was wir waren und dachten und erlebten, dem Vaterland in die Arme geworfen und an die Nation ursprünglich gebunden. Nur in dieser Form fanden wir nun uns und das
78 geistige
Selbst überhaupt garantiert.
Vaterland
und Nation gruben sich uns als ewige Formen des
Erlebens
und
als
Formen
deS
ewigen Lebens elementar in die Seele.
Erfassens Wir er
faßten uns in unserer geschichtlich bedingten Be grenztheit und ergriffen damit das Anbegrenzte und
Grenzenlose unseres Daseins.
Lierin enthüllte sich
uns inmitten ursprünglichen Erlebens ein ewiges
Gesetz menschlichen Geisteslebens.-------Ich will versuchen an einem Beispiel deutlich zu machen, was ich mit diesem „Gesetz", mit dem innersten Segen dieser „Bindung" meine. — Wie
entsteht ein musikalisches Kunstwerk? Offenbar nicht durch willkürliches Aneinanderreihen freischwebender Klänge. Der Klang wird zum Ton, indem er mit anderen Klängen zu Intervallen in Beziehung ge setzt wird.
Die Intervalle wiederum wollen von
einem höheren Rhythmus gebunden, der Rhythmus
aber muß durch die musikalische Form eines Liedes, Marsches oder einer Sonate usw. beherrscht werden. Diese Form aber erhält ihren eigentümlich konkret geistigen Inhalt und Wert durch da- künstlerische
Erlebnis, das sich darin ausspricht.
So eint sich
ursprüngliches Erleben mit sachentsprechender Bin dung zu einem Kunstwerk. And — so könnten wir
das Gleichnis noch weiterspinnen — dieses Kunstwerk macht in uns ewige Ahnungen und Beziehungen
lebendig, indem es im begrenzten Raum von dem wiedergebenden Künstler neu beseelt vor uns und in
uns ersteht.
79 Ich wollte damit sagen: Das eben ist die Eigen
art menschlichen Erlebens der ewigen Werte, daß
wir in der sachentsprechenden Begrenztheit ursprüng lich
des Anbegrenzten inne werden. des
Gesetze
menschlichen
Sier liegen
Geisteslebens
vor,
schlechterdings nicht aufgehoben werden können.
solches
Gesetz
unser
geistiges
aber
ist
wieder
neuzeitliches
lebenschaffend
Dasein
getreten
die Ein
in
mit
dem Vaterlandserlebnis, das uns der Krieg gebracht hat.
Vaterlandserlebnis nenne ich es, ich könnte es
auch Erlebnis
der Seimat und Familie nennen.
Ja, das Land und unser Saus und unsere Kinder sind uns neu geschenkt und wir neu an sie gebunden worden,
indem
wir für dieses Land und unsere
Sehnot, für unsere Nation und unser Vaterland leben und sterben wollten. And indem wir das Leben
dafür einsehten und daran banden, gewannen wir das
Leben selbst und ein neues ursprüngliches Bünd nis mit ihm.
Denn wohlgemerkt, in reiner Spon
taneität, in ursprünglicher Tathandlung entschieden wir uns für unser Vaterland. mit ihm
Der Bund der Ehe
ward in freier Liebe eingegangen und
darum im Simmel geschlossen.
Welch ein himm
lischer Kindersegen ist durch diesen Bund über unser Volk gekommen I Wie wurden alle sittlichen Ideen —
Treue, Opfer, Liebe, Mut, Dankbarkeit, Gemeinschaft, Vertrauen — wieder lebensvolle, tiefvertraute Ge stalten unseres täglichen Lebens!
„Bindung"
Wahrhaftig, diese
war wie jede echte geistige Tat eine
„Offenbarung" aus der Tiefe des Geistes selbst.-------
80 dieser
Mit
nationalen
Bindung
unsere-
Lebens und Erlebens ging Land in Land eine Bin dung an unser ureigenes Selbst.
Krieg
der
deutsche Krieg
sei
Daß dieser
und um deutsches
Wesen und deutsche- Sein oder Nichtsein ging, das war die charakteristische Form, unter der die
neue Lerrschast des Geisteslebens bei uns einzog. Nun wußten wir's: Wir dürfen nicht anders sein,
als wie wir sind und sein sollen, sonst hören wir auf zu sein und hören auf in unmittelbarer Be
ziehung zum Geistesleben überhaupt zu stehen. Das Geistesleben ist eben nicht eine abstrakte Formel und internationale Idee, sondern es ist eine kon
krete,
keit.
persönliche,
charaktervolle
Wirklich
Das war ja das Zweite, was Fichte uns
neu zu sagen hatte, daß das Deutschtum eine eigen
artige Ausprägung und Offenbarung des Geistes
lebens sei, ja daß das deutsche Volk ein „Llrvolk" d. h. mit dem innersten Wesen des Geistes
sei,
durch seine Eigenart in urelementarer Verbindung stehe.
Eine solche Verbindung aber ist eben auch
eine Bindung,
die nicht übersehen werden darf,
wenn nicht beide Teile Schaden leiden sollen.
Das
ist eine Bindung, die ursprünglich bejaht werden
muß,
wenn sie ihren geistigen Segen geben soll.
Wir haben jetzt diese Bindung, daß ich so sage, in
einer Organisation
sprünglich
bejaht,
die
eine ganz ur
deutsche Schöpfung ist, ich meine das
deutsche Leer!
sprünglichkeit,
Lier ist Sachlichkeit und Ar-
unbedingter Gehorsam
und
höchste
81 Freiwilligkeit, überindividueller Wille und persön liche Entscheidung
einem
zu
in gegenseitiger Durchdringung
wunderbaren
Fülle
geistiger
höchster
Denkmal
des
Deutsch
Wiederum überwältigt uns die
tums geworden.
Kräfte,
sittlicher
Ideen
und religiöser Wirklichkeiten, die mit diesem Denk
mal ausgelöst und in die Erscheinung getreten sind.
In unserem
—
eine
Leer vermögen wir anzuschauen
organisatorische Verkörperung der geheimsten
Struttur unseres ureigenen Selbst und seiner ele
mentaren Verbindung mit dem Wesen de- Geistes. Linser deutsches Leer aber ist aus unserer deut schen
Geschichte
glaube ich, der
Ja,
gewachsen.
man
kann,
beweisen, daß seine Wurzeln tief in
deutschen Geistesgeschichte
liegen.
Oder sind
nicht Scharnhorst, Stein und Arndt, um nur diese zu nennen, praktische Jünger de- deutschen Idealis mus gewesen?
Lat nicht die allgemeine Wehrpflicht
ihre grundsätzliche Geburt schon im Kantschen Im perativ der Pflicht erlebt?
Jedenfalls ist es Tat
sache, daß für unS Deutsche daS Leer einer der vornehmsten Träger der Geschichte ist und von ihm
in ganz besonderem Sinn Stimmung und Erlebnis
der Geschichte ausgeht.
Denn man mag noch so
viel gegen die Geschichtsdarstellung vorbringen, die
nur von Kriegen und Moritaten zu berichten weiß, bei großen geschichtlichen Wendungen sieht alles auf die Armee, und ihr Anblick, ihr klirrender Schritt und ihre eiserne Sprache lassen uns erst ganz die
Schauer der Geschichte erleben! 3«cobs68tter, Unser Kriegserlebnis.
Auch hier tritt
6
82 eben in die Erscheinung, daß wir mit unserem Er leben deS Ansichtbaren an das Sichtbare gebunden
sind.
Als der junge Leutnant mit seinem Tambour
und seiner Gruppe Infanteristen den Kriegszustand
in der Stadt bekannt machte, da schritt Geschichte
über uns hin. —
—
—
—
And alles, was folgte, wirtte nun immer stärker in dieser Richtung.
Wir waren bei stärkster Gegen
wattsstimmung auf einmal mitten in unserer Ge
schichte, mitten in „Geschichte" überhaupt.
Wir
fragten wieder, von wannen wir seien und wo wir ständen und wohin wir gingen.
Wir wollten, wir
mußten den Geist und Sinn unserer Geschichte fassen, um im gegenwättigen Sturm deS richtigen
Kurses gewiß sein zu können.
And gewaltig hob
sich auS dem Auf und Nieder unserer Geschichte ein ewiger Sinn und Zweck, um den offenbar auch
diese neue tiefste Bewegung kreiste.
„Deutschen"
schlechthin
Lust
Daß wir dem
und
Recht
und
Freiheit erkämpften, das war offenbar unsere ge
schichtliche
Sendung
und
gegenwärtige Aufgabe.
im
besonderen
unsere
Nach den Kriegen gegen
stemde Sklaverei, nach dem Kampf gegen den Erb feind, — nun
Feinden.
der Kampf mit
einer Welt von
Nach den Kriegen um Freiheit und Ein-
heil der Nation, nun der Krieg um Recht und Sein
deutschen
Wesen-
überhaupt.
Nach
den
Kriegen, in denen einzelne Führer anfeuetten und herrschten, nun der Krieg, den recht eigentlich da ganze, neu geeinte Volk in heiliger Glut um seine
83 äußere und innere Existenz führte! — Daß deutsche
Art, deutsches Wesen sich entfalten könne nach innen und außen, das schien aber gerade deswegen ewigen
Sinn zu tragen, weil die innere notwendige Ver
zwischen
deutschem Selbst und geistigem
Selbst erlebt war.
Darum umwehte und trug uns
bindung
nun wirklich jene überzeitliche und überpersönliche
Macht, die man „Geschichte" nennt, es durchwaltete uns jene geheimnisvolle Verbindung mit den Vätern und Arvätern und jene unsichtbare Anterströmung
eines
immer
weiter zur
ewigen Gedankens.
Entfaltung
drängenden
Welch ein unerwartetes, über
raschendes Erlebnis für uns, die wir eigentlich be
ständig in der Stimmung und am Werke gewesen waren,
unser geistiges Sein
gleichsam
aus dem
Nichts neu zu schaffen, für uns, die wir unermeß
lich weit von der Welt der Väter uns getrennt ge
fühlt hatten, die wir kaum im Ernst mit einer
Macht gerechnet hatten, die sich schließlich auch ohne oder gegen unS in der Geschichte durchzusetzen weiß. Nun webten wir mit an dem Teppich, an dem die
früheren Geschlechter schon mit Lerzen und Länden
gearbeitet hatten, nun sahen wir seine Innenseite und
das
dienten.
große Bild,
dem
die tausend
Fäden
Nun standen wir vor dem Lerrn der Ge
schichte und baten ihn, daß er uns mit einstelle in
sein Riesenwerk und uns gebrauche zur Mitarbeit an der Vollendung seiner Zwecke.
Wie gab das
alles unserem Leben neue Wurzeln und neue Quellen! War es nicht so —, wenn wir auch nur einen 6*
84 Landgriff in dieser unserer Geschichte erlaubt be
kamen, so fühlten wir uns geadelt und geheiligt zu
echten Rittem des königlichen Sinnes unserer Ge
schichte.
aber
Das
war
da- Befreiende
und
Segnende bei dieser Neubindung an die Ge schichte, daß wir ihren innersten Kem als einen geistigen erkannten,
daß wir den Plunder von
Theorien, die von den bunten Zufälligkeiten und von
ökonomischen Bedürfnissen in der Ge
bloß
schichte
geredet
hatten,
jene
in
Rumpelkammer
warfen, die in diesen Tagen sowieso schon beinah übervoll war.
Du liebe Zeit, um ruhig und be
quem leben, schlafen, essen, heiraten und Kinder zeugen zu können,
dazu brauchten wir bei Gott
nicht diesen Krieg zu führen!
Wenn es sich um
weiter nichts in der Welt handelte, da konnte es
uns ja völlig kalt lassen, ob unser Bundesgenosse sein Recht bekam und seine Ehre behielt oder Mord und Bestechung ungestraft florierten. nicht
unsere
Jahrhunderts
letzten
ziehung
hatte,
innere
zu
für
Freiheit
einem
Nein, wenn
und äußere Entwicklung des
irgendwelche
ewigen
dessen Verwirklichung
und Selbständigkeit
positive
Weltzweck
Be
gewonnen
unser Volk
sein Pflichtteil
in
bei-
zutragen hat, dann war der Krieg Narrenwerk und die Welt ein Narrenhaus.
Es ist also keine Frage:
indem wir zu diesem Kampf anttaten, traten wir ein für einen geistigen Sinn und Wert der Geschichte,
für einen ewig wettvollen Zweck unserer Entwicklung und der Weltgeschichte überhaupt.
85 Damit aber wurde eine neue größte innere
Bindung geistiger Art vollzogen, wir verbanden uns mit einem geistigen Weltplan, mit einer ewigen Weltaufgabe, kurz mit dem eigentlichen Sinn der
Kultur.
Nicht Zivilisation also ist der Zweck der
Weltgeschichte, sondern Kultur.
Wiederum muß
ich sagen, Zivilisation, das heißt Verwirklichung
und
angenehmer
bequemer
Lebensmöglichkeiten,
hätten wir wahrscheinlich auch mit einem faulen Frieden erkaufen können. Aber weil wir nun einmal nicht davon lassen konnten, die Welt unter
der Perspektive der Arbeit, der geistigen Durch dringung,
der bewußten Offenbarung und Dar
stellung geistig-sittlich-religiöser Zdeen zu sehen, und weil wir erlebten, daß wir uns jedenfalls ewig ver
loren
geben
würden,
wenn wir diese deutsche
Stellung zur Welt, diese Kulturstellung
ver
lieren würden, darum setzten wir mit diesem Krieg unser Leben ein für die Tatsache und Erreichung
eines
geistigen Weltzieles.
Damit banden wir
uns aber an den Willen dessen, der diese Welt ge schaffen und bestimmt hat zu einem Schauplatz einer
menschlichen Geschichte, in der er,
der lebendige
Gott, persönlich erlebt werde und in solchem ur
sprünglichen, in Idee und Gestaltung sich aus wirkenden Erlebnis glorreich erscheine. Wir leisteten den Bürgereid im Reiche GotteS.
Damit aber trat nun erst vollends unser Kriegs
erlebnis in die Sphäre allgemeingültigen und notwendigen
Geschehens.
Wir
durften
und
86 mußten unS nun sagen, daß das, was wir jetzt er lebt hatten, daß diese Wendung zur ursprünglichen Tatentscheidung
für
selbständiges Geistesleben
in
der Form des Vaterlandes, der Geschichte, des eige
nen Selbst und der Kultur so oder ähnlich von allen Völkern vollzogen werden muß, wenn anders sie zu
ihrem
wollen.
eigentlichen Leben
und Zweck
kommen
Wir fühlten es, wir führten mit unserem
Erleben die Sache der Menschheit, unsere Seele war an ihre Sache und ihre Seele an unsere Sache
gebunden, wir litten und stritten für die Sache und
Seele der Welt. Daß auch diese Bindung ihren ewigen Segen
unmittelbar mit sich führte, dafür sorgte schon die
Form, in der wir diese Bindung vollzogen: Wir stritten und traten zum Kampf!
gerade
Darin erschien
wieder ein allgemeingültiges Gesetz echten
menschlichen Geisteslebens.
Gerade, daß wir um
unseren innersten ewigen Besitz kämpfen mußten, zuerst mit uns selbst und dann mit einer Welt von
Feinden, mußte uns gewiß machen, dem innersten Wesen des Geistes nahe zu sein!
Denn seine
Nähe bedeutet für uns Menschen Kampf, — die Gemeinschaft
mit
ihm
aber
ist
auch
Sieg, der die Welt überwunden hat!
*
*
*
schon
der
87 Das ist die geistesgeschichtliche Bedeutung un seres Kriegserlebnisses:
Wir wurden zu unmittel
barem Erleben und zu ursprünglicher Tat befähigt, — wir sind neue Menschen geworden.
Dieser
neue Mensch aber trat ins Leben, indem er in dem
neugeeinten Volk zum Kampf berufen wurde für die menschlichen Erscheinungsformen ewigen Geistes
lebens.
Durch diese Verbindung und Bindung aber
wird dieser neue Mensch charaktervolle persönliche
Lebensform des Geistes selbst. Das neuzeitliche Thema: eine ursprüngliche
Neugründung in der innersten Gesetzmäßigkeit des in der Welt waltenden und herrschenden Geistes lebens ewiger Art, — ist damit für das Stadium
unserer Entwicklung praktisch, d. h. durch Erleben gelöst. Die zweite deutsche Rettung des Geistes
hat begonnen.
88
Ein Schlußwort zum neuen Anfang! Jedem Leser sollten nun eigentlich die Wangen
glühen!
Vor Zorn, daß das alles nicht wahr ist,
— nein besser vor Scham, daß es noch nicht wahr ist, — nein noch besser vor heiligem Feuer der Ent
schließung, daß das alles wahr werden soll! Grundzüge sind's, die ich versuchte vom Grund
unserer Seele abzulesen, Grundzüge, die das große Erlebnis in unsere Seele hineingepflügt hat.
weiß,
Gott
mit welch scharfem Pflug!--------- Ist es
noch nötig zu sagen, daß solche Grundzüge eines
großen Erlebnisses verwischt und überwuchert werden können bis zur Unkenntlichkeit------------- bis zu jener schwarzen Stunde, in der die Leiden der Resignation und des Anglaubens über uns mit vollem Spiel
triumphierend zur Tagesordnung übergehen?
Ist es
noch nötig, dem verehrten Leser einen Schauder bis ins tiefste Mark vor dieser schwarzen Stunde zu wünschen?
Glaubt er denn, daß unser Volk noch
einmal mit seinen Millionenscharen zu dem kristallnen
Strom des Lebens geführt werden wird?
Meint
er nicht auch, daß, wenn wir jetzt nicht uns mit
ihm auf immer verbünden, wir fürderhin in der Wüste werden ziehen müssen?-------- And die Leute
89 mit den Krügen des lebendigen Wassers werden für Narren geachtet werden, bis sie mit den leeren Scherben die Tränen der Verdurstenden sammeln. — Lat man nicht Fichtes letzte Rede gelesen? Ihr
Alten und Jungen, Gelehrten und Kaufleute, mit
Namen hat er Euch damals beschworen, den hei ligen Kampf um ewiges Leben im deutschen Volk zu
führen!
Laben
wir den
Schwur gehalten?
— Wie's auch sei, heute haben wir mehr erlebt,
als je, auch von Fichte, gedacht werden konnte! Was Fichte damals in der Idee schaute und un
erreichbar groß entwickelte, das ist heute in Lebens
wogen durch die Tiefe unseres Volkes gerauscht.
Grundzüge haben sie gegraben, — aber alles wird verloren gehen, wenn diese Grundzüge nicht
zum Grundriß werden für einen neuen Bau
des Lebens im ganzen Volk! Wessen Land zuckt nun bei diesen Worten nicht in Sehnsucht nach Kelle und Schwert?
Sie verdorre und verwelke,
die solche Sehnsucht nicht kennt! —
Glaubt doch nicht, daß irgend etwas schon fertig und voll erreicht sei! Erlebt ist es, das heißt, die Sonne ist aufgegangen, nun wirke jeder, solange es
Tag ist, damit die schwarze Stunde nicht komme! Jetzt ist die Zeit für Gelehrte und Angelehrte, für Alte und Junge, für Politiker und Künstler, für
Prediger und Kaufleute, — vom neuen Grundriß aus aufzubauen deutsches Leben ewiger Art in Wirt
schaft, Gesellschaft, Staat, Kunst und Kirche, jetzt
90 ist
die Zeit
mit Gott zu ringen und nicht ab
zulassen, bis er uns segne!
Jetzt kann er segnen!
Denn unser tagtäglicher
Kampf ein ganzes Jahr hindurch hat uns in eine
Lochschule
ausgenommen,
in der die
Grundzüge
unseres Kriegserlebnisses immer von neuem durch gearbeitet und vertieft werden müssen, wenn anders
wir überhaupt leben wollen. Darum hoffe ich für die Zukunft.
ich unseres Sieges in der Welt gewiß!
Darum bin In neuer
Llrsprünglichkeit ruhend in der Land des lebendigen Gottes, werden wir kämpfend wachsen und wachsend
siegen und leben!
Von demselben Verfasser erschien 1915:
Cagebucbblätter eines Oakeimgebliebenen 4. Rufl. (10.—12. Tausend). Erste Folge: Preis kartoniert 1 M. 25 Pf.
2. Rufi. (3.-4. Tausend). Zweite Folge: Preis kartoniert 1 M. 60 Pf. Was Tausende „Daheimgebliebene" empfinden, bringt Jaeobskötter treffend zum Ausdruck mit vollendeter Sprach gewalt und in sittlich tief begründeter Vaterlandsliebe, reich an prachtvollen Gedanken, noch reicher an gewissen stärkenden Antrieben, am reichsten an echter und edler Glut der Empfindung.
Einige Arteile: Der glückliche Gedanke eines Dichters, die großen Er eignisse unserer eisernen Zeit in Tagebuchblättern von heroi schein Stil zu beleuchten und die aewaltigen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, welche sie in einer hochaestimmten Künstlerseele auslösen, findet hier eine glückliche Aus führung . . . (Bremer Nachrichten.) . . . Diese Tagebuchblätter find mit Jugend, Kraft und Feuer geschrieben. Man wird von seiner Darstellung mit fortgerissen . . . (Leipziger Neueste Nachrichten.)
. . . Iakobskotter gibt Tagebuchblätter, die die Seele des Deutschen zu Lause in dieser Zeit anfeuernd herrlich offenbaren. (Eckart.) Ein Buch voll Begeisterung und Kraft. Ein wunder voller Spiegel des Erlebens der Daheimgebliebenen in dieser gewaltigen Zeit. Linreißend geschrieben. Eine präch tige Gabe. (Wartburg.) iiiiiiiiiiiimiiiiiiiimiiiimiiiiiiiitiiiiiiiiiiiiiimiiiiimiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiimiimiiiiiiiiiiiiiiiimiiiii
Gustav Scbloefsmann’e Verlagsbuchhandlung (Gustav fick), Leipzig llllllllllllllllllllllllllllllll
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SCHRIFTEN von RUDOLF BUCKEN iiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimmiiiiHiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiHmiiiiiiiimiiiiiiii
Die Lebensanschauungen der großen Denker. Eine Entwiddungsgekhichte des Lebensproblems der Menldiheit von Plato bis zur Gegenwart. Zehnte Auflage. Geb. in Ganzleinen M. 11.—, geh. M. 10.— Geistige Strömungen der Gegenwart. Der Grundbegriffe der Gegenwart vierte, umgearbeitete Auflage. Neue Ausgabe. Geb. in Ganzleinen M. 9.—, geh. M. 8. — . Grundlinien einer neuen Lebensanschau» ung. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Geb. in Ganzleinen M. 5.—, geh. M. 4. —.
Können wir noch Christen sein? Geb. in Ganzleinen M. 4.50, geh. M. 3.60. Der Wahrheitsgehalt der Religion. Dritte, umgearbeitete Auflage. Geb. in Ganzleinen M. 10. —, geh. M. 9. —.
Der Kampf um einen geistigen Lebens inhalt. Neue Grundlegung einer Weitan» khauung. Zweite, neugeltaltete Auflage. Geb. in Ganzleinen M. 7.50, geh. M. 6.40. Nur in den Feierstunden des Lebens, wenn der Geilt sich ge* sammelt und die Seele sich selbst gefunden hat, ist es möglich, solche Bücher zu verliehen und zu genießen. Dann aber werden wir immer wieder zu ihnen zurückkehren und aus dem lauten Tageslärm und aus den feelenerniedrigenden Welthändeln zu ihnen flüchten, daß sie uns wieder zu Bewußtsein bringen, was uns ein Denker wie Rucken in seiner Art so eindringlich ge lehrt und gezeigt hat. iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimtiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiimiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Leipzig, Verlag von Veit *£) Comp.