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German Pages 24 [28] Year 1920
Dar Bildungrwesen Beiträge zur Neugestaltung des gesamten Vildungswesens Die Neugestaltung der Verhältnisse in unserem deutschen vaterlande hat gerade auf dem Gebiete des Bildungswesens eine ganze Anzahl von Problemen in den Vordergrund des Interesses gedrängt, zu denen die
pädagogische Wissenschaft und die sie vertretenden Grgane, die staatlichen und städtischen Erziehungsbehärden, die Lehrervereinigungen, die Zentral stellen zur Förderung der Volksbildung, und nicht zu vergessen die große
Zahl von Fachmännern, sich teilweise schon geäußert haben und noch äußern müssen,
wir erwähnen hier von den in Betracht kommenden Fragen
u. a. die einheitliche Gestaltung unseres gesamten Schulwesens, den Auf stieg und die Förderung der Begabten, die Keformbestrebungen aus dem Gebiete der Lehrerbildung, der religiösen Erziehung, des Fortbildungs
schulwesens,
die Umgestaltung und Neuordnung des fremdsprachlichen
Unterrichts, das Volksbildungswesen und hier im besonderen die Volks hochschule.
Auf allen diesen Gebieten Anregungen zu geben und zur
Klärung beizutragen, soll die Aufgabe unserer Sammlung sein, und in
Befolgung dieses Zieles schließt sie sich eng an ähnliche Unternehmungen
unserer Zeit an.
Sie will keine Parteipolitik treiben, sondern stellt sich
einzig in den Dienst der Pädagogik im weitesten Sinne des Begriffes. Es sollen in ihr aus den Kreisen der Pädagogik alle Stimmen zu Wort kommen, denen das geistige Wohl unserer Jugend und unseres Volkes
eine ernste Herzenssache ist. Nachfolgend genannte Herren sagten die Mitarbeit zu:
Ludolf Block, Ministerialrat i. Hess. Landesamt f. das Bildungswesen in J. Friedrich, Lehrer in Pfungstadt in Hessen svarmstadt Leopold Geller, Neallehrer in Gießen Dr. Rudolf Herzog, Professor der Klass. Philologie an der Univ. Gießen Dr. Wilhelm Horn, Professor der engl. Philologie an der Univ. Gießen Dr. Ernst horneffer, privatdozent der Philosophie an der Univ. Gießen Dr. Ferdinand Reinster, Professor, Waidmannslust b. Berlin Dr. August Messer, Gberschulrat, Prof. d. philos. u. pädag. a. d.Univ. Gießen Dr. Oebbecke, Geh. San.-Nat, Stadtarzt in Breslau D. Dr. Martin Schian, Prof, der Theologie an der Univ. Gießen Dr. Heinrich Schnell, Direktor der (vberrealfchule in Gießen Dr. Reinhard Strecker. Präs. d. Hess. Landesamtes f. das Bildungswesen in Dr. Adolf Thiele, Geh. Med.-Rat, Prof, in Dresden svarmstadt I. TewS, Generalsekretär d. Gesellsch. f. verbreitg. v. volksbildg. in Berlin Anfragen und Manuskripte sind zu richten an:
Dir. Dr. Roller, Gießen, Gstanlage 31 oder an die Verlagsbuchhandlung. Ankündigung bereits erschienener Hefte siehe 4. Umschlagseite.
Var vilduugrwesen Beiträge zur Neugestaltung des gesamten Bildungswesens in Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von
Dr. Karl Boller Direktor der HSH. Mädchenschule und Privatdozent für Pädagogik in Gießen
4. heft
——
Der radikale Zweifel in seiner Bedeutung für den
Philosophie-Unterricht von
August Messer ord. Prof. d. philos. u. pädag. a. d. Univ. Gießen, Gberschulrat
Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen 1920
Vas vildungrwesen Beiträge zur Neugestaltung des ge samten vildungswesens 1. heft. Zur Reform der Volksschullehrer bildung - Landschule und Einheits
schule.
Zwei Vorschläge zur Schul
reform von Dr. Karl Roller.
2. heft.
Deutsche
von 3. Friedrich.
3. heft.
IN. 1.80
Volkstumspädagogik,
IN. 2.50
Gedanken zur Auslese der Be
gabten
in Schule
R. Block.
und
Leben
von
3m Druck.
von Münchow'fche Universitäts-Druckerei (Otto Rindt Ww.) Ließen.
3
Einleitung. Wenn Aristoteles das Staunen als Beginn des Philosophieren? bezeichnet, so mutz man darunter einen Seelenzustand verstehen, der
dem des Philisters, dem alles Gewohnte „selbstverständlich" ist, schnür«
stracks entgegensteht. und Fragen;
Das „Staunen" ist also verwundertes Stutzen
es ist Zweifeln und Nichtwissen da, wo aller Welt alles
klar ist; es bedeutet Schwierigkeiten finden und „Nein" sagen da, wo Herr Jedermann „Ja" sagt und alles glatt und in bester Drdnung findet. So ist Sokrates dem athenischen Spießbürger zum Ärgernis ge
worden mit seinem ewigen Fragen, mit seiner „verrückten" Behaup tung, er wisse wenigstens, daß er nichts wisse, während seine vortreff
lichen Zeitgenoffen selbst darüber noch in Unkenntnis seien. So hat Deskartes die gläubigen Seelen in Aufruhr versetzt, indem er den Grundsatz aufstellte,man müsse einmal im Leben an allem zweifeln
(de omnibus dubitandum).
Endlich hat Nietzsche in seinem wundervollen Zarathustra-Uapitel „von den drei Verwandlungen" den radikalen Zweifel und die alles
zerstörende Verneinung (symbolisiert durch den „Löwen des Geistes")
als notwendige Durchgangsstufe zum positiven Schaffen und Aufbauen
bezeichnet. Was uns so von großen philosophischen Denkern aller Seiten als
eine geistig-seelische Notwendigkeit bezeugt wird, das sollte der philo
sophische Unterricht nicht außer Acht lasten.
Der tiefbohrende und oft
bis zum äußersten Skeptizismus vordringende Zweifel wird nicht vielen von denen erspart bleiben, bei denen sich der philosophische Unterricht
überhaupt lohnt.
Ulan muß also bei ihm darauf bedacht sein, aus
diesem Zweifel heraus in das Philosophieren hineinzuführen, das ja
selbst nichts anderes ist, als Zweifeln und Suchen mit der Zuversicht, durch Denken und Forschen zur Erkenntnis zu gelangen und damit wieder auf festen Boden zu kommen.
4 Diese Methode des Philosophie-Unterrichts wird aber nicht schon
dadurch ausreichend verwirklicht, daß man etwa die Zweifel des Des
kartes nacherleben läßt und die Jünger den Weg führt, auf dem er wieder zu seiner Gewißheit kam. (Es gilt die Zweifel des heutigen Geschlechts in ihrer abgründigen Tiefe und alles unterwühlenden Kraft
kennen zu lernen, um den versuch zu machen, sie von innen her zu
überwinden, ihnen von ihren eignen Voraussetzungen und Fragestellungen her die Wendungen ins positive zu geben.
Dazu scheint es mir ein gutes Mittel zu sein, freie Aussprachen mit Studierenden (bzw. auch schon mit Schülern) zu ver
anstalten, bei denen diese Gelegenheit finden, die Zweifel und kritischen Bedenken, von denen sie innerlich bewegt sind, offen und unverhohlen darzulegen. Sie werden das freilich nur dann tun, wenn sie das ver trauen haben, daß man ihnen nichts übel nimmt, daß man ihnen keinen
moralischen Vorwurf daraus macht, wenn sie bestimmte Ansichten und Überzeugungen der „gutgesinnten" und „korrekten" Menschen nicht
haben; daß man endlich ihre Fragen und Einwürfe nicht als „verrückt" oder „unreif" von oben her abtut, sondern daß man ernst, gewissenhaft und sachlich darauf eingeht.
Am leichtesten und fruchtbarsten werden sich solche freien und
offenen Aussprachen verwirklichen lassen in engem und vertrautem
Kreise.
Doch sind sie auch bei größerer Teilnehmerzahl möglich.
Beleg und Beispiel dafür diene das Folgende.
AIs
(Es ist darin der Vor
trag eines Studierenden wiedergegeben, der in packender Form wichtige Zweifel ausspricht, die m.