Ungleichbehandlung als Norm: Eine dogmatische Analyse des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts in Deutschland. Habilitationsschrift 9783161558269, 9783161558276, 316155826X

Das Privatrecht wird durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit geprägt und durch unionsrechtlich vorgegebene Diskriminier

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German Pages 542 [567] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
§ 1 Problemstellung
§ 2 Untersuchungsmethode
A. Rechtsphilosophische und sozialethische Ansätze zur Legitimation privatrechtlicher Diskriminierungsverbote
B. Ökonomische Analyse des Rechts
I. Effizienz von privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverboten
1. Präferenzbedingte versus statistische Diskriminierung
2. Relevanz der Erkenntnisse für den Untersuchungsgegenstand?
a) Rechtspolitische Bewertung
b) Berücksichtigung bei der Auslegung der bestehenden Diskriminierungsverbote
II. Ökonomische Analyse der Rechtsdurchsetzung
C. Rechtsvergleichung
§ 3 Gang der Untersuchung
Erster Teil: Die ratio legis der in Deutschland bestehenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote
§ 1 Diskussionsstand – egalitaristische versus nicht-egalitaristische Erklärungsmuster
A. Diskriminierungsschutz als Ausfluss des Gleichheitsprinzips
I. Materialisierung des Gleichheitsbegriffs durch Anerkennung einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit
II. Die Frage nach dem Grad der Materialisierung – Formelle und materielle Gleichheit im engeren Sinn
B. Alternative (nicht-egalitaristische) Begründungsansätze
I. Freiheitliche Begründungsansätze
1. Diskriminierungsverbote als Ausfluss der Vertragsfreiheit
2. Privatrechtsbezogene Diskriminierungen als Persönlichkeitsverletzung
II. Herleitung von Diskriminierungsverboten aus dem Gedanken sozialstaatlicher Teilhabesicherung
§ 2 Analyse und Bewertung
A. Defizite der nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze
B. Die Flucht in nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze als Ausdruck der Ablehnung einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit
I. Die deutsche Angst vor dem Totalitarismus
II. Alte Schlachten, neues Schlachtfeld? – vom nationalen Umsetzungsrecht zur unionalen Regelungsvorgabe
1. Das Unionsrecht als zwingender Bezugspunkt für die Ergründung der ratio legis des deutschen Antidiskriminierungsrechts
2. Rückzugsgefechte auf verlorenem Posten – Der Versuch einer nicht-egalitaristischen Deutung unionaler Regelungsvorgaben und die Gründe seines Scheiterns
§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts – egalitaristisches Schutzkonzept mit originär-individueller Schutzfunktion
A. Die dogmatisch-konzeptionelle Verwurzelung des Rechts auf Nichtdiskriminierung im allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz
B. Die Zielkonzeption hinter dem Prinzip der Gleichbehandlung – vom binnenmarktbezogenen Diskriminierungsschutz zum Grundrecht auf Gleichbehandlung
I. Ein Grundsatz – zwei Zielkonzeptionen
II. Hintergrund: Metamorphose der EU von der Wirtschaftszur Wertegemeinschaft
III. Auswirkungen auf die Zielrichtung des Diskriminierungsschutzes
1. Indienststellung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zur Verwirklichung des Binnenmarktes
2. Die (nicht mehr ganz so) neue Zielkonzeption: Diskriminierungsverbote als originär-individuelle Rechte auf Gleichbehandlung
a) Das Urteil Defrenne II oder die Geburtsstunde eines Grundrechts auf gleiches Entgelt
b) Ausweitung auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben außerhalb des Entgelts
c) Ausweitung auf weitere Unterscheidungsmerkmale und Lebensbereiche
IV. Das Verhältnis der beiden Zielkonzeptionen in Bezug auf die einzelnen Diskriminierungsverbote
1. Dichotomie oder Wandel der Zielkonzeption als fortschreitender Prozess?
2. Der Grad des Wandels der Zielkonzeption in Bezug auf die einzelnen Diskriminierungsverbote
a) Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
b) Diskriminierung im Hinblick auf die übrigen Unterscheidungsmerkmale außerhalb der Staatsangehörigkeit
Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland
§ 1 Die unionsrechtliche Ebene
A. Die Rechtsquellen des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes im Einzelnen
I. Primärrecht
1. Inhaltliche Gewährleistungen
a) Diskriminierungsverbote
aa) Diskriminierungsverbote der (Gründungs-)Verträge
(1) Artikel 157 Abs. 1 AEUV (Artikel 141 EG/119 EWG)
(2) Artikel 18 Abs. 1 AEUV (Artikel 12 bzw. 7 EG/5 EWG), Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch
bb) Diskriminierungsverbote der Grundrechte-Charta
(1) „Doppelung“ der vertraglichen Diskriminierungsverbote in Bezug auf Staatsangehörigkeit und Geschlecht (Artikel 21 Abs. 2, Artikel 23 GR-Ch)
(2) Diskriminierung aus anderen Gründen (Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch)
b) Konfligierende Freiheitsrechte privater Verbotsadressaten
2. Kompetenzen zum Erlass von Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr
a) Artikel 157 Abs. 3 AEUV (ex Artikel 141 Abs. 3 EG)
b) Artikel 19 AEUV
aa) Gegenstand, Entstehungsgeschichte und Funktion
bb) Die Reichweite der Ermächtigung
(1) Artikel 19 AEUV als subsidiäre Kompetenznorm
(2) Artikel 19 AEUV als akzessorische Kompetenznorm?
II. Sekundärrecht
1. Überblick
2. Die Richtlinien im Einzelnen
a) Diskriminierung wegen des Geschlechts
aa) Richtlinie 2006/54/EG (konsolidierte Gleichbehandlungsrichtlinie)
bb) Richtlinie 2010/41/EU
cc) Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie)
b) Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft – die Richtlinie 2000/43/EG (Antirassismus-Richtlinie)
c) Diskriminierung wegen anderer Gründe
aa) RL 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf)
bb) Der fehlende Baustein: Richtlinienentwurf vom 2.7.2008, KOM (2008) 426 endgültig
B. Das Binnenverhältnis der Regelungsebenen des unionalen Diskriminierungsschutzes
I. Das rechtsquellentheoretische Ideal: Primärrecht als Auslegungs- und Gültigkeitsmaßstab für das Sekundärrecht
II. Friktionen mit dem rechtsquellentheoretischen Ideal: Umkehr der Normhierarchie als Folge der Mangold-Rechtsprechung des EuGH
1. Sekundärrecht als Rechtserkenntnisquelle für das Primärrecht
a) Das Urteil Mangold oder die „Entdeckung“ eines Grundrechts auf Nichtdiskriminierung wegen des Alters durch den EuGH
aa) Sachverhalt und Vorlagefragen
bb) Entscheidung des EuGH
cc) Kritik im Schrifttum
dd) Alternative Deutung: Genese und inhaltliche Definition des Primärrechts durch den Unionsgesetzgeber?
b) Bestätigung durch nachfolgende Urteile
aa) Navas, Palacios de la Villa
bb) Bartsch
cc) Kücükdeveci
dd) AMS
ee) Rasmussen
2. Verlust der Kontrollfunktion des Primärrechts als unausweichliche Konsequenz – der Fall Test Achats
3. Legitimation für eine inverse Normhierarchie im unionalen Antidiskriminierungsrecht
a) Schwache Binnenhierarchisierung als allgemeines Charakteristikum des Unionsrechts
b) Inverse Normhierarchie als Konsequenz der Steuerungsfunktion grundrechtskonkretisierender Richtlinien
aa) Die Aktivierung der mitgliedstaatlichen Bindung an Charta-Grundrechte durch konkretisierende Richtlinien
bb) Rückkoppelungseffekte hinsichtlich der Grundrechtsbindung des Unionsgesetzgebers
cc) Öffnungsklauseln
4. Detailfragen
a) Reichweite: Keine Bedeutung für die Vertragsgrundrechte aus Artikel 157 und 18 AEUV
b) Äußerste Konkretisierungsgrenze?
c) Fesselung des Sekundärrechtsgebers oder dynamische Verweisung auf Richtlinieninhalt?
III. Folgen für den Untersuchungsgegenstand
C. Außenverhältnis der unionsrechtlichen zur nationalen Ebene – Die Bindung der Mitgliedstaaten an die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote
I. Die Bindung an die Vorgaben des Unionsrechts als Ausfluss des Loyalitätsgebots des Artikels 4 Abs. 3 EUV
II. Sonderproblem: Reichweite der mitgliedstaatlichen Bindung in Bezug auf die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote
1. Unbeschränkte Bindung an die Vertragsgrundrechte
2. Beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch gemäß Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch
a) Die vom Begriff der „Durchführung des Unionsrechts“ erfassten Konstellationen
b) Die Türöffnerfunktion von Richtlinien für die Anwendbarkeit der Charta-Grundrechte nach dem Urteil Kücükdeveci
c) Die Reichweite der Bindung an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch bei der Umsetzung von Richtlinien
aa) Unbeschränkte Bindung an die Charta-Grundrechte auch bei Umsetzungsspielräumen
bb) Verhältnis zum nationalen Grundrechtsschutz
III. Art der Bindung
1. Bindung des Gesetzgebers
a) Richtlinien
b) Primärrechtliche Diskriminierungsverbote
2. Bindung der Judikative
a) Unionsrechtskonforme Auslegung
b) Unmittelbare Wirkung
aa) Das Urteil Van Gend en Loos
bb) Funktion der unmittelbaren Wirkung subjektiver unionaler Rechtsverbürgungen
cc) Gegenständliche Voraussetzungen – Subsumtionsfähigkeit der unionsrechtlichen Vorgabe unter den vorliegenden Sachverhalt
dd) Persönliche Voraussetzung – Der Verfahrensgegner als Adressat der unionsrechtlichen Vorgabe
(1) Rechtsstreitigkeiten gegenüber dem Staat (Vertikalverhältnis)
(2) Rechtstreitigkeiten zwischen Privatpersonen (Horizontalverhältnis)
(a) Keine Horizontalwirkung von Richtlinien
(b) Horizontalwirkung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote?
(aa) Artikel 157 Abs. 1 AEUV und Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Übrigen
(bb) Artikel 18 Abs. 1 AEUV
(cc) Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs 1 GR-Ch außerhalb des Verbotes der Entgeltdiskriminierung?
(c) Zwischenergebnis
c) Negative Ausschlusswirkung unionsrechtlicher Normen als Ausweg?
aa) Das Urteil Simmenthal II als Ausgangspunkt
bb) Negative Ausschlusswirkung auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten? – Koppelung des Unanwendbarkeitspostulats an die unmittelbare Wirkung der unionsrechtlichen Maßstabsnorm
(1) Keine (horizontale) Ausschlusswirkung von Richtlinien
(2) Negative Ausschlusswirkung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote – von Caballero zu Mangold
(3) Staatliche Pflicht zum Schutz vor privater Diskriminierung als zusätzliche Voraussetzung für eine Kontrolle des nationalen Antidiskriminierungsrechts am Maßstab des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch
(a) Grundsätzliche Anerkennung des Schutzpflichtkonzepts durch den EuGH
(b) Übertragbarkeit auf die Diskriminierungsverbote des Artikel 21 Abs.1 GR-Ch?
(aa) Sicherstellung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern gemäß Artikel 23 GR-Ch, 8 AEUV
(bb) Artikel 5 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
(cc) Im Übrigen: Keine Herleitung von Schutzpflichten aus Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch in Verbindung mit Artikel 14 EMRK
(dd) Die Antidiskriminierungsrichtlinien als Rechtserkenntnisquelle für einen Schutzpflichtfunktion des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch? – Von der inhaltlichen zur funktionalen Konkretisierung des Primärrechts
cc) Zwischenfazit zur Ausschlusswirkung
d) Folgen für den Untersuchungsgegenstand
§ 2 Die nationale Ebene
A. Verfassungsrecht
I. Die beschränkte Maßstabswirkung des Grundgesetzes für das deutsche Antidiskriminierungsrecht
II. Die Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts für das autonom-nationale Antidiskriminierungsrecht – Zwischen Übermaß und Untermaßverbot
B. Einfaches Gesetzesrecht
I. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
1. Überblick
2. Partielle Determinierung durch Vorgaben des Unionsrechts
3. Struktur und Inhalt des Gesetzes
II. Sonstige Regelungen mit Bezug zum Antidiskriminierungsrecht
Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots
§ 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie zwischen Gleichheit und Freiheit
A. Die Instrumentalisierung des Einzelnen zur Gewährleistung gesellschaftlicher Gleichheit und deren Begrenzung durch die Privatautonomie
B. Folgerungen für die Ausgestaltung des Diskriminierungstatbestands
I. Die freiheitswahrende Funktion der Elemente des Diskriminierungstatbestands
II. Implikationen aus der Einordnung als Gleichheitsverbürgung
§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen
A. Verbotene Unterscheidungsmerkmale
I. Allgemeine Fragen
1. Abschließender Katalog oder offener Tatbestand?
2. Klassifizierung von Unterscheidungsmerkmalen
a) Symmetrische und asymmetrische Merkmale
b) Veränderbarkeit des Merkmals als Kriterium für eine Hierarchie der Unterscheidungsmerkmale?
II. Merkmale im Einzelnen
1. Rasse und ethnische Herkunft
a) Die herkunftsbezogene Ablehnung von Personen als gesellschaftliches Phänomen
b) Rasse
c) Ethnische Herkunft
d) Abgrenzung zur Staatsangehörigkeit
2. Geschlecht
3. Behinderung
4. Religion und Weltanschauung
5. Sexuelle Identität
6. Alter
B. Der gegenständlich-personelle Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots
I. Funktion
1. Gegenständlicher Anwendungsbereich
2. Personeller Anwendungsbereich: Einseitige Schutzrichtung oder Ausdehung auf die Marktgegenseite?
II. Erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot
1. Allgemeines
2. Diskriminierungsrechtlicher Status von Organmitgliedern
a) Organmitglieder und unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff
b) Schutz nur vor Zugangsdiskriminierung oder voller Schutz?
c) Schutz vor Diskriminierung auch in Bezug auf das Organverhältnis?
d) Friktionen mit divergierenden Freiheitsrechten der Anteilseigner?
3. Allgemeiner Anwendungsausschluss des AGG in Bezug auf Kündigungen gem. § 2 Abs. 4 AGG
III. Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot
1. Deutsche Regelung
2. Die Staffelung des Anwendungsbereichs als Antwort auf die Frage nach der Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre
C. Verbotenes Verhalten
I. Das Verhältnis der Handlungsformen – eigenständige Tatbestände oder Flankenschutz?
II. Das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot
1. Die Bedeutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung für das Verständnis des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts
2. Annäherung an den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung
a) Die klassische Fokussierung auf das Diskriminierungsopfer und die Defizite dieses Ansatzes im Hinblick auf die Ergründung des Wesenskerns des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung
b) Alternative Herangehensweise
3. Der Rumpftatbestand: Personale Benachteiligung unter Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal
a) Abstrakte Benachteiligung von Personen
b) Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal
aa) Die Bedeutung des Wortes „wegen“ und seine Auslegung in Rechtsprechung und Literatur
bb) Normen im Kopf – Die private Entscheidungsmaxime des Verbotsadressaten als Bezugspunkt des Anknüpfungsverbots
cc) Konsequenzen im Hinblick auf einzelne Fallgruppen
(1) Schutz vor Diskriminierung von Nicht-Merkmalsträgern (Putativdiskriminierung)
(2) Drittdiskriminierung
4. Das Vergleichspersonenkonzept und seine Bedeutung für die Definition der unmittelbaren Diskriminierung
a) Vergleichsperson und Vergleichsrahmen – auf der Suche nach dem heiligen Gral des Antidiskriminierungsrechts
b) Die Vergleichsperson
aa) Konkrete versus abstrakte Vergleichsperson – zwei Wege führen nach Rom
bb) Vergleichsperson und verbotenes Merkmal
cc) Der situative Vergleichbarkeitstest als materiell-rechtliches Korrektiv?
c) Diskriminierung ohne Diskriminierungsopfer? – Das Urteil Feryn als Probe aufs Exempel für die Deutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot
5. Rechtfertigung
a) Das System der Rechtfertigungsgründe im unional determinierten Antidiskriminierungsrecht
b) Funktion des Rechtfertigungselements im Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung
aa) Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte als Ausdruck wesentlicher Unterschiede im Rahmen des Tatbestands von Gleichheitsgeboten
bb) Besondere Funktion in Bezug auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote: Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen als Ausdruck der Privatautonomie
c) Rechtfertigungsgründe im Einzelnen
aa) Erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot
(1) Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung
(a) Allgemeines
(b) Sonderproblem: Kundenpräferenzen
(c) Nichterfüllung des Anforderungsprofils wegen Behinderung, Schwangerschaft oder Mutterschaft
(2) Ungleichbehandlung durch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – Freiraum für Präferenzen des Arbeitgebers
(3) Diskriminierungen wegen des Alters – Segmentierung des Arbeitslebens zum Wohle der Allgemeinheit oder des Arbeitgebers?
bb) Allgemeines Zivilrecht
(1) Sachlicher Grund
(2) Verhältnismäßigkeit als ungeschriebenes Merkmal
(3) Sonderproblem statistische Diskriminierungen: Lehren aus dem Urteil Test Achats
cc) Positive Maßnahmen: Die sensible Bruchlinie zwischen formeller und materieller Gleichheit
III. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Verbot der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal
1. Definition und Genese
2. Funktion
3. Der Tatbestand
a) Anknüpfung an ein neutrales Merkmal
b) Besondere Benachteiligung
aa) Der Gruppenvergleich als Herzstück des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung
bb) Homogene und inhomogene Gruppenbildung als Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung
cc) Die Benachteiligung von Teilgruppen als Grenzfall
dd) Nachweis
c) Rechtfertigung
Vierter Teil: Die Rechtsfolgen
§ 1 Der unionsrechtliche Rahmen: Freie Wahl der Rechtsfolgen oder obligatorisch privatrechtlicher Rechtsbehelf?
A. Die Bedeutung des Begriffs Sanktion
B. Die Kontroverse um die angebliche Sanktionsneutralität des Unionsrechts
C. Sichtung des Normbestands – Vorgaben der Richtlinien
I. Spezifische Regelungen zur Nichtigkeit diskriminierender Vertragsbedingungen und zum Schadensersatz
II. Die beiden Generalklauseln: Rechtsschutz und Sanktionen
D. Ein Blick zurück: Die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 76/207/EWG
I. Das Urteil von Colson als Ausgangspunkt für die Dichotomie der Rechtsfolgen
1. Gegenstand des Verfahrens und Feststellungen des Gerichtshofs
2. Schlussfolgerungen
a) Der Schutz subjektiver Rechte des Diskriminierungsopfers als zentrales Ziel von Rechtsfolgenanordnungen
b) Individualschutz nach dem Grundsatz ubi ius, ibi remedium
c) Verhaltenssteuerung als zusätzliches Element
d) Zwischenfazit: Doppelte Zielrichtung von Rechtsfolgenregelungen
II. Das Urteil Marshall II
E. Kodifizierung der Rechtsprechung des EuGH durch den Unionsgesetzgeber und Ausweitung auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen außerhalb des Erwerbslebens
F. Übertragung auf Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale?
§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen
A. Die primäre Ebene – unmittelbare Abhilfe
I. Nichtigkeit diskriminierender Bestimmungen in Einzeloder Kollektivverträgen
1. Unionsrechtliche Vorgaben
2. Deutsches Recht
II. Abhilfe gegen Diskriminierungen außerhalb vertraglicher Regelungen
1. Unionsrechtliche Vorgaben
a) Keine unionsrechtliche Verpflichtung zur Etablierung primärer Abhilfemöglichkeiten
b) Möglichkeit und Grenzen der Etablierung primärer Abhilfemöglichkeiten
aa) Diskriminierende Vertragsverweigerung
bb) Diskriminierende Beendigung von Vertragsverhältnissen
cc) Sonderproblem: Organverhältnisse
2. Deutsches Recht
a) Unwirksamkeit diskriminierender Kündigungen gemäß § 134 BGB
b) Kontrahierungszwang im Falle der Vertragsverweigerung?
B. Die sekundäre Ebene: Schadensersatzansprüche des Diskriminierungsopfers
I. Unionsrechtliche Vorgaben
1. Grundlegende Feststellungen
a) Die Rechtsprechung des EuGH zur Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen
b) Insbesondere: Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität
2. Einzelne Aspekte
a) Verschuldensunabhängige Haftung
b) Voller Schadensausgleich (Totalreparation)
aa) Allgemeine Regel
bb) Materieller und immaterieller Schaden
cc) Insbesondere: Materieller Schadensersatz
(1) Entgangener Gewinn und Zinsen
(2) Ersatzfähiger Schaden bei Auswahlentscheidungen
(a) Chance als Schaden versus Alles-oder-Nichts-Prinzip
(b) Höhe des materiellen Schadens des subjektiv bestqualifizierten Bewerbers
dd) Haftungsobergrenzen
ee) Überkompensatorische Schadenselementezur Gewährleistung der Abschreckungswirkung versus „Prävention durch Kompensation“?
c) Ausschlussfristen
II. Deutsches Recht
1. Überblick
2. Vertretenmüssen
3. Materieller Schadensersatz
a) Voller Schadensausgleich oder Beschränkung auf den Vertrauensschaden?
b) Berechnung bei diskriminierender Verweigerung des Zugangs zu Dauerschuldverhältnissen
4. Immaterieller Schadensersatz
a) Immaterieller Schadensersatz und Prävention
b) Vorhandensein eines immateriellen Schadens
c) Berechnung
C. Beweisfragen
I. Das Problem: Die Verborgenheit der diskriminierenden Entscheidungsmaxime und die Auswirkungen auf die Effektivität des Diskriminierungsverbots
II. Die Reaktion des Unionsrechts: Verlagerung der Beweislast auf den Beklagten
1. Vorliegen einer Diskriminierung
a) Entwicklung
b) Bedeutung für die einzelnen Arten der Diskriminierung
c) Tatsachen, die eine Diskriminierung vermuten lassen
aa) Allgemein
bb) Das erforderliche Beweismaß
cc) Mögliche Indizien, inbesondere: Vergleichspersonenkonzept
dd) Fehlende Auskunft als Indiz für eine Diskriminierung?
d) Gegenbeweis des Beklagten
2. Subjektive Bestqualifikation bei der Bewerbung um eine Beschäftigung
3. Auswirkungen und Grenzen des prozessualen Vergleichspersonenkonzepts
a) Objektivierung subjektiver Entscheidungsmaxime als Preis für die effektive Durchsetzung des Diskriminierungsverbots
b) Die Grenzen des Vergleichspersonenkonzepts in Abhängigkeit zur Leistungspflicht des potentiellen Diskriminierungsopfers
III. Deutsches Recht
Gesamtergebnis
§ 1 Erster Teil
§ 2 Zweiter Teil
§ 3 Dritter Teil
§ 4 Vierter Teil
Literaturverzeichnis
Sach- und Personenregister
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 9783161558269, 9783161558276, 316155826X

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Citation preview

I

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 228

II

III

Oliver Mörsdorf

Ungleichbehandlung als Norm Eine dogmatische Analyse des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts in Deutschland

Mohr Siebeck

IV Oliver Mörsdorf, geboren 1972; Studium der Rechtswissenschaften in Trier, Maastricht und Köln, 1999 Erstes Staatsexamen; Referendariat im LG-Bezirk Aachen; 2001 Zweites Staatsexamen; 2005 Promotion; 2014–2017 Lehrstuhlvertretungen in Bonn, Düsseldorf und München; 2017 Habilitation; 2018 Vertretung des Lehrstuhls Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Potsdam.

ISBN  978-3-16-155826-9 / eISBN 978-3-16-155827-6 DOI 10.1628/978-3-16-155827-6 ISSN  0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der Stempel-Garamond gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

V

Meinen Eltern

VI

VII

Vorwort Die Pflicht des Staates zur Gleichbehandlung seiner Bürger wird heute von kaum jemand in Frage gestellt. Demgegenüber wird die Inpflichtnahme Einzelner zur Herstellung gesellschaftlicher Gleichheit im Rahmen privater Vertragsverhältnisse noch immer verbreitet als öffentlich-rechtlicher Fremdkörper im traditionell vom Grundsatz der Vertragsfreiheit geprägten Privatrechtssystem wahrgenommen. Stein des Anstoßes sind nicht zuletzt die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerten Regelungen des Antidiskriminierungsrechts, die im Wesentlichen auf Regelungsvorgaben der Europäischen Union zurückgehen. Ungeachtet (oder gerade wegen?) dieser Herkunft werden die genannten Regelungen nur allzu oft am Maßstab der nationalen Rechtsordnung mit ihrer (vermeintlich) strikten Trennung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht gemessen und infolgedessen als systemfremdes „Gesinnungsrecht“ verworfen. Was in diesem Falle fast immer unterbleibt, ist eine unbefangene Analyse der unionalen Regelungsvorgaben aus ihrem eigenen System heraus. Dies ist allerdings in höchstem Maße bedauerlich, erschließen sich doch Regelungsanliegen und -mechanismen des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts erst aus der engen dogmatischen Verknüpfung dieser speziellen Materie mit dem übrigen Unionsrecht und den Zielen des dahinterstehenden Integrationsprojekts. Den Versuch, diese Verknüpfungen offenzulegen und hieraus Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung des einschlägigen nationalen Privatrechts zu ziehen, habe ich im Rahmen der vorliegenden Arbeit unternommen. Die Arbeit wurde von der juristischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Sommersemester 2017 als Habilitationsschrift angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich die Arbeit auf den Stand von Dezember 2017 gebracht; nach diesem Zeitpunkt erschienene Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Dank schulde ich zuerst meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. em. Wulf-Henning Roth, LL.M Harvard, der mir im Rahmen meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Institut die ebenso komplexe wie spannende Materie des Unionsprivatrechts erst erschlossen und mir stets den nötigen Freiraum zur Durchführung meines Projekts gewährt hat. Des Weiteren danke ich Herrn Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens über die Weihnachtstage sowie die zahlreichen wertvollen Hinweise und Anregungen für die Veröffentlichung dieser Arbeit. Einschließen in mei-

VIII

Vorwort

nen Dank möchte ich Frau Referendarin Julia Brinkmann für die ebenso kritische wie gründliche Durchsicht des Manuskripts, sowie die Herren Tobias Witscher und Andreas Heinen für die kompetente Lösung so mancher (computer-)technischer Probleme bei dessen Erstellung. Dank gebührt ferner den Mitarbeitern des von mir derzeit vertretenen Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht der Universität Potsdam, Herrn Assessor Marek Kneis und Frau Assessorin Antje Herold, für die Unterstützung bei der Anfertigung des Sachregisters. Für unzählige spannende Diskussionen und regen Gedankenaustausch über viele Jahre hinweg danke ich schließlich meinen ehemaligen und aktuellen Kollegen aus dem Kreise der Mitarbeiter des Instituts für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Bonn und aus dem Kreise der Bonner Habilitanden. Nicht zuletzt gilt mein besonderer Dank jedoch meiner Mutter, die mich in jeder nur erdenklichen Form unterstützt und meine wissenschaftlichen Bemühungen über all die Jahre stets wohlwollend und mit unerschütterlichem Glauben an deren Gelingen begleitet hat. Ihr und meinem viel zu früh verstorbenen Vater möchte ich diese Arbeit widmen. Bonn, im Mai 2018

Oliver Mörsdorf

IX

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   XI

Einleitung § 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    1 § 2 Untersuchungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   10 § 3 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   22 Erster Teil:

Die ratio legis der in Deutschland bestehenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote § 1 Diskussionsstand – egalitaristische versus nicht-egalitaristische Erklärungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   27 § 2 Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   35 § 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts – egalitaristisches Schutzkonzept mit originär-individueller Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   49 Zweiter Teil:

Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland § 1  Die unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   72 § 2  Die nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  175

X

Inhaltsübersicht

Dritter Teil:

Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots § 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie zwischen Gleichheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  187 § 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  194 Vierter Teil:

Die Rechtsfolgen § 1 Der unionsrechtliche Rahmen: Freie Wahl der Rechtsfolgen oder obligatorisch privatrechtlicher Rechtsbehelf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  373 § 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  395

Gesamtergebnis § 1  Erster Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  493 § 2  Zweiter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  495 § 3  Dritter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  498 § 4  Vierter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  507 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  515 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  535

XI

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   IX

Einleitung § 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1 § 2 Untersuchungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10 A. Rechtsphilosophische und sozialethische Ansätze zur Legitimation privatrechtlicher Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . .  10 B. Ökonomische Analyse des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Effizienz von privatrechtsbezogenen Diskriminierungs verboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präferenzbedingte versus statistische Diskriminierung . . . . . . . . 2. Relevanz der Erkenntnisse für den Untersuchungs gegenstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 12  13  13

 15 a) Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15 b) Berücksichtigung bei der Auslegung der bestehenden Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16

II. Ökonomische Analyse der Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . .  19 C. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  19 § 3 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22

XII

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil:

Die ratio legis der in Deutschland bestehenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote § 1 Diskussionsstand – egalitaristische versus nicht-egalitaristische Erklärungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  27 A. Diskriminierungsschutz als Ausfluss des Gleichheitsprinzips . . . . . . . . . .  27 I. Materialisierung des Gleichheitsbegriffs durch Anerkennung einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . .   27 II. Die Frage nach dem Grad der Materialisierung – Formelle und materielle Gleichheit im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . .  29 B. Alternative (nicht-egalitaristische) Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . I. Freiheitliche Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskriminierungsverbote als Ausfluss der Vertragsfreiheit . . . . 2. Privatrechtsbezogene Diskriminierungen als Persönlichkeits verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Herleitung von Diskriminierungsverboten aus dem Gedanken sozialstaatlicher Teilhabesicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 31  31  31  32  34

§ 2 Analyse und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  35 A. Defizite der nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . .  35 B. Die Flucht in nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze als Ausdruck der Ablehnung einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit . . . . . . I. Die deutsche Angst vor dem Totalitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Alte Schlachten, neues Schlachtfeld? – vom nationalen Umsetzungsrecht zur unionalen Regelungsvorgabe . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Unionsrecht als zwingender Bezugspunkt für die Ergründung der ratio legis des deutschen Antidiskrimi nierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückzugsgefechte auf verlorenem Posten – Der Versuch einer nicht-egalitaristischen Deutung unionaler Regelungs vorgaben und die Gründe seines Scheiterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 40  40  41

 41

 42

§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts – egalitaristisches Schutzkonzept mit originär-individueller Schutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49 A. Die dogmatisch-konzeptionelle Verwurzelung des Rechts auf Nichtdiskriminierung im allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

Inhaltsverzeichnis

XIII

B. Die Zielkonzeption hinter dem Prinzip der Gleichbehandlung – vom binnenmarktbezogenen Diskriminierungsschutz zum Grundrecht auf Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ein Grundsatz – zwei Zielkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hintergrund: Metamorphose der EU von der Wirtschafts zur Wertegemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen auf die Zielrichtung des Diskriminierungs schutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Indienststellung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zur Verwirklichung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die (nicht mehr ganz so) neue Zielkonzeption: Diskriminierungsverbote als originär-individuelle Rechte auf Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 52  52  53  55  55

 56 a) Das Urteil Defrenne II oder die Geburtsstunde eines Grundrechts auf gleiches Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  56 b) Ausweitung auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben außerhalb des Entgelts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  57 c) Ausweitung auf weitere Unterscheidungsmerkmale und Lebensbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  59

IV. Das Verhältnis der beiden Zielkonzeptionen in Bezug auf die einzelnen Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  61 1. Dichotomie oder Wandel der Zielkonzeption als fortschreitender Prozess? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  61 2. Der Grad des Wandels der Zielkonzeption in Bezug auf die einzelnen Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  62 a) Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .  62 b) Diskriminierung im Hinblick auf die übrigen Unterscheidungs merkmale außerhalb der Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  63

Zweiter Teil:

Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland § 1 Die unionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  72 A. Die Rechtsquellen des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  73 I. Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  73 1. Inhaltliche Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  73 a) Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  73 aa) Diskriminierungsverbote der (Gründungs-)Verträge . . . . . . . . . .  73

XIV

Inhaltsverzeichnis

(1) Artikel 157 Abs. 1 AEUV (Artikel 141 EG/119 EWG) . . . . . . (2) Artikel 18 Abs. 1 AEUV (Artikel 12 bzw. 7 EG/5 EWG), Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Diskriminierungsverbote der Grundrechte-Charta . . . . . . . . . . . (1) „Doppelung“ der vertraglichen Diskriminierungsverbote in Bezug auf Staatsangehörigkeit und Geschlecht (Artikel 21 Abs. 2, Artikel 23 GR-Ch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Diskriminierung aus anderen Gründen (Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konfligierende Freiheitsrechte privater Verbotsadressaten . . . . . . . . .

 73  74  76

 76  77  77

2. Kompetenzen zum Erlass von Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . .  80 a) Artikel 157 Abs. 3 AEUV (ex Artikel 141 Abs. 3 EG) . . . . . . . . . . . . . b) Artikel 19 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gegenstand, Entstehungsgeschichte und Funktion . . . . . . . . . . . bb) Die Reichweite der Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Artikel 19 AEUV als subsidiäre Kompetenznorm . . . . . . . . . (2) Artikel 19 AEUV als akzessorische Kompetenznorm? . . . . . II. Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Richtlinien im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diskriminierung wegen des Geschlechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richtlinie 2006/54/EG (konsolidierte Gleichbehandlungs richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Richtlinie 2010/41/EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft – die Richtlinie 2000/43/EG (Antirassismus-Richtlinie) . . . . . . . . . . . . c) Diskriminierung wegen anderer Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . RL 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf) ���� aa) bb) Der fehlende Baustein: Richtlinienentwurf vom 2.7.2008, KOM (2008) 426 endgültig . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Das Binnenverhältnis der Regelungsebenen des unionalen Diskriminierungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das rechtsquellentheoretische Ideal: Primärrecht als Auslegungs- und Gültigkeitsmaßstab für das Sekundärrecht . . . . . II. Friktionen mit dem rechtsquellentheoretischen Ideal: Umkehr der Normhierarchie als Folge der Mangold Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sekundärrecht als Rechtserkenntnisquelle für das Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 80  80  80  81  81  83  91  91  92  92  92  93  94  94  95  95  95  96  96

 98

 98 a) Das Urteil Mangold oder die „Entdeckung“ eines Grundrechts auf Nichtdiskriminierung wegen des Alters durch den EuGH . . . . . .  98

Inhaltsverzeichnis

aa) Sachverhalt und Vorlagefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Alternative Deutung: Genese und inhaltliche Definition des Primärrechts durch den Unionsgesetzgeber? . . . . . . . . . . . . b) Bestätigung durch nachfolgende Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Navas, Palacios de la Villa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bartsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kücükdeveci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) AMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rasmussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV   98   99  100  101  103  103  105  105  108  109

2. Verlust der Kontrollfunktion des Primärrechts als unausweichliche Konsequenz – der Fall Test Achats . . . . . . . . . .  110 3. Legitimation für eine inverse Normhierarchie im unionalen Antidiskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  113 a) Schwache Binnenhierarchisierung als allgemeines Charakteristikum des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inverse Normhierarchie als Konsequenz der Steuerungsfunktion grundrechtskonkretisierender Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Aktivierung der mitgliedstaatlichen Bindung an Charta ­Grund­rechte durch konkretisierende Richtlinien . . . . . . . . . . . . bb) Rückkoppelungseffekte hinsichtlich der Grundrechtsbindung des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 113  116  116  119  121

4. Detailfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  125 a) Reichweite: Keine Bedeutung für die Vertragsgrundrechte aus Artikel 157 und 18 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Äußerste Konkretisierungsgrenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fesselung des Sekundärrechtsgebers oder dynamische Verweisung auf Richtlinieninhalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folgen für den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Außenverhältnis der unionsrechtlichen zur nationalen Ebene – Die Bindung der Mitgliedstaaten an die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bindung an die Vorgaben des Unionsrechts als Ausfluss des Loyalitätsgebots des Artikels 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonderproblem: Reichweite der mitgliedstaatlichen Bindung in Bezug auf die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unbeschränkte Bindung an die Vertragsgrundrechte . . . . . . . . . 2. Beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch gemäß Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch . . . . . . . . . . . . . .

 126  126  127  128

 129  129

 130  130

 131 a) Die vom Begriff der „Durchführung des Unionsrechts“ erfassten Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  132

XVI

Inhaltsverzeichnis

b) Die Türöffnerfunktion von Richtlinien für die Anwendbarkeit der Charta-­Grund­rechte nach dem Urteil Kücükdeveci . . . . . . . . . . c) Die Reichweite der Bindung an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch bei der Umsetzung von Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unbeschränkte Bindung an die Charta-­Grund­rechte auch bei Umsetzungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zum nationalen Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

 133  134  135  136

III. Art der Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  138 1. Bindung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  138



a) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  138 b) Primärrechtliche Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  140

2. Bindung der Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  140 a) Unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Urteil Van Gend en Loos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Funktion der unmittelbaren Wirkung subjektiver unionaler Rechtsverbürgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gegenständliche Voraussetzungen – Subsumtionsfähigkeit der unionsrechtlichen Vorgabe unter den vorliegenden Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Persönliche Voraussetzung – Der Verfahrensgegner als Adressat der unionsrechtlichen Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsstreitigkeiten gegenüber dem Staat (Vertikalverhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtstreitigkeiten zwischen Privatpersonen (Horizontalverhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Keine Horizontalwirkung von Richtlinien . . . . . . . . . . . (b) Horizontalwirkung primärrechtlicher Diskrimi nierungsverbote? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Artikel 157 Abs. 1 AEUV und Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Übrigen . . . . . . . . (bb) Artikel 18 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch außerhalb des Verbotes der Entgelt diskriminierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Negative Ausschlusswirkung unionsrechtlicher Normen als Ausweg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Urteil Simmenthal II als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . bb) Negative Ausschlusswirkung auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten? – Koppelung des Unanwendbarkeits postulats an die unmittelbare Wirkung der unions rechtlichen Maßstabsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine (horizontale) Ausschlusswirkung von Richtlinien . . . (2) Negative Ausschlusswirkung primärrechtlicher Diskrimi nierungsverbote – von Caballero zu Mangold . . . . . . . . . . . .

 140  142  142  142

 146  147  147  148  149  150  150  151

 156  159  159  159

 160  161  162

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XVII

(3) Staatliche Pflicht zum Schutz vor privater Diskriminierung als zusätzliche Voraussetzung für eine Kontrolle des nationalen Antidiskriminierungsrechts am Maßstab des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  165 (a) Grundsätzliche Anerkennung des Schutzpflicht konzepts durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  165 (b) Übertragbarkeit auf die Diskriminierungsverbote des Artikel 21 Abs.1 GR-Ch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  166 (aa) Sicherstellung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern gemäß Artikel 23 GR-Ch, 8 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  167 (bb) Artikel 5 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen . . . . . . .  167 (cc) Im Übrigen: Keine Herleitung von Schutz pflichten aus Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch in Verbindung mit Artikel 14 EMRK . . . . . . . . . . . . . .  168 (dd) Die Antidiskriminierungsrichtlinien als Rechts erkenntnisquelle für einen Schutzpflichtfunktion des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch? – Von der inhalt lichen zur funktionalen Konkretisierung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  169 cc) Zwischenfazit zur Ausschlusswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  172 d) Folgen für den Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  173

§ 2 Die nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  175 A. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  175 I. Die beschränkte Maßstabswirkung des Grundgesetzes für das deutsche Antidiskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  175 II. Die Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts für das autonom-nationale Antidiskriminierungsrecht – Zwischen Übermaß und Untermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  177 B. Einfaches Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Partielle Determinierung durch Vorgaben des Unionsrechts . . 3. Struktur und Inhalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonstige Regelungen mit Bezug zum Antidiskriminierungs recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 179  179  179  179  181  182

XVIII

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Dritter Teil:

Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots § 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie zwischen Gleichheit    und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  187 A. Die Instrumentalisierung des Einzelnen zur Gewährleistung gesellschaftlicher Gleichheit und deren Begrenzung durch die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  187 B. Folgerungen für die Ausgestaltung des Diskriminierungs tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  188 I. Die freiheitswahrende Funktion der Elemente des Diskriminierungstatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  188 II. Implikationen aus der Einordnung als Gleichheitsverbürgung . . .  189 § 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands    im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  194 A. Verbotene Unterscheidungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschließender Katalog oder offener Tatbestand? . . . . . . . . . . . . 2. Klassifizierung von Unterscheidungsmerkmalen . . . . . . . . . . . . .

 194  195  195  198 a) Symmetrische und asymmetrische Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  198 b) Veränderbarkeit des Merkmals als Kriterium für eine Hierarchie der Unterscheidungsmerkmale? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  199

II. Merkmale im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  201 1. Rasse und ethnische Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  201 a) Die herkunftsbezogene Ablehnung von Personen als gesellschaftliches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ethnische Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung zur Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 201  202   205  208

2. Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religion und Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sexuelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 210  211  215  218  220

B. Der gegenständlich-personelle Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenständlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personeller Anwendungsbereich: Einseitige Schutzrichtung oder Ausdehung auf die Marktgegenseite? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 221  221  222  223

Inhaltsverzeichnis

XIX

II. Erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  227 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  227 2. Diskriminierungsrechtlicher Status von Organmitgliedern . . .  227 a) Organmitglieder und unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff . . . . .  227 b) Schutz nur vor Zugangsdiskriminierung oder voller Schutz? . . . . . .  229 c) Schutz vor Diskriminierung auch in Bezug auf das Organverhältnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  235 d) Friktionen mit divergierenden Freiheitsrechten der Anteilseigner?  236

3. Allgemeiner Anwendungsausschluss des AGG in Bezug auf Kündigungen gem. § 2 Abs. 4 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutsche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Staffelung des Anwendungsbereichs als Antwort auf die Frage nach der Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verbotenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis der Handlungsformen – eigenständige Tatbestände oder Flankenschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung für das Verständnis des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Annäherung an den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 237  242  242

 244  248  248  248

 248

 250 a) Die klassische Fokussierung auf das Diskriminierungsopfer und die Defizite dieses Ansatzes im Hinblick auf die Ergründung des Wesenskerns des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung  250 b) Alternative Herangehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  251

3. Der Rumpftatbestand: Personale Benachteiligung unter Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal . . . . . . . . . . . . . .  251 a) Abstrakte Benachteiligung von Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutung des Wortes „wegen“ und seine Auslegung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normen im Kopf – Die private Entscheidungsmaxime des Verbotsadressaten als Bezugspunkt des Anknüpfungs verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen im Hinblick auf einzelne Fallgruppen . . . . . . . . (1) Schutz vor Diskriminierung von Nicht-Merkmalsträgern (Putativdiskriminierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Drittdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 251  252  252

 254  260  260  261

XX

Inhaltsverzeichnis

4. Das Vergleichspersonenkonzept und seine Bedeutung für die Definition der unmittelbaren Diskriminierung . . . . . . .  263 a) Vergleichsperson und Vergleichsrahmen – auf der Suche nach dem heiligen Gral des Antidiskriminierungsrechts . . . . . . . . . . b) Die Vergleichsperson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkrete versus abstrakte Vergleichsperson – zwei Wege führen nach Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleichsperson und verbotenes Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der situative Vergleichbarkeitstest als materiell-rechtliches Korrektiv? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Diskriminierung ohne Diskriminierungsopfer? – Das Urteil Feryn als Probe aufs Exempel für die Deutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 263  266  266  273  275

 283

5. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  293 a) Das System der Rechtfertigungsgründe im unional determinierten Antidiskriminierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  293 b) Funktion des Rechtfertigungselements im Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  294 aa) Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte als Ausdruck wesentlicher Unterschiede im Rahmen des Tatbestands von Gleichheitsgeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  294 bb) Besondere Funktion in Bezug auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote: Rechtfertigung von Ungleich behandlungen als Ausdruck der Privatautonomie . . . . . . . . . . . .  295 c) Rechtfertigungsgründe im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  297 aa) Erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . .  297 (1) Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung . . .  297 (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  297 (b) Sonderproblem: Kundenpräferenzen . . . . . . . . . . . . . . . .  302 (c) Nichterfüllung des Anforderungsprofils wegen Behinderung, Schwangerschaft oder Mutterschaft . . . . .  312 (2) Ungleichbehandlung durch Religions- und Welt anschauungsgemeinschaften – Freiraum für Präferenzen des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  321 (3) Diskriminierungen wegen des Alters – Segmentierung des Arbeitslebens zum Wohle der Allgemeinheit oder des Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  328 bb) Allgemeines Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  338 (1) Sachlicher Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  339 (2) Verhältnismäßigkeit als ungeschriebenes Merkmal . . . . . . . .  343 (3) Sonderproblem statistische Diskriminierungen: Lehren aus dem Urteil Test Achats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  345 cc) Positive Maßnahmen: Die sensible Bruchlinie zwischen formeller und materieller Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  349

Inhaltsverzeichnis

XXI

III. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Verbot der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition und Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 353  353  356  360 a) Anknüpfung an ein neutrales Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  360 b) Besondere Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  362 aa) Der Gruppenvergleich als Herzstück des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  362 bb) Homogene und inhomogene Gruppenbildung als Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung . . . .  363 cc) Die Benachteiligung von Teilgruppen als Grenzfall . . . . . . . . . .  364 dd) Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  366 c) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  367

Vierter Teil:

Die Rechtsfolgen § 1 Der unionsrechtliche Rahmen: Freie Wahl der Rechtsfolgen oder obligatorisch privatrechtlicher Rechtsbehelf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  373 A. Die Bedeutung des Begriffs Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  373 B. Die Kontroverse um die angebliche Sanktionsneutralität des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  374 C. Sichtung des Normbestands – Vorgaben der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . .  376 I. Spezifische Regelungen zur Nichtigkeit diskriminierender Vertragsbedingungen und zum Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . .  376 II. Die beiden Generalklauseln: Rechtsschutz und Sanktionen . . . . . .  377 D. Ein Blick zurück: Die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 76/207/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Urteil von Colson als Ausgangspunkt für die Dichotomie der Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand des Verfahrens und Feststellungen des Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutz subjektiver Rechte des Diskriminierungsopfers als zentrales Ziel von Rechtsfolgenanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individualschutz nach dem Grundsatz ubi ius, ibi remedium . . . . . . c) Verhaltenssteuerung als zusätzliches Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit: Doppelte Zielrichtung von Rechtsfolgen regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 378  378  378  380  380  381  384  386

II. Das Urteil Marshall II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  387

XXII

Inhaltsverzeichnis

E. Kodifizierung der Rechtsprechung des EuGH durch den Unionsgesetzgeber und Ausweitung auf geschlechts bezogene Diskriminierungen außerhalb des Erwerbslebens . . . . . . . . . . .  389 F. Übertragung auf Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  390 § 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  395 A. Die primäre Ebene – unmittelbare Abhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtigkeit diskriminierender Bestimmungen in Einzel oder Kollektivverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abhilfe gegen Diskriminierungen außerhalb vertraglicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine unionsrechtliche Verpflichtung zur Etablierung primärer Abhilfemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit und Grenzen der Etablierung primärer Abhilfe möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Diskriminierende Vertragsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Diskriminierende Beendigung von Vertragsverhältnissen . . . . . cc) Sonderproblem: Organverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 396  396  396  399  399  399   400  401  401  403  404

2. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  405 a) Unwirksamkeit diskriminierender Kündigungen gemäß § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  405 b) Kontrahierungszwang im Falle der Vertragsverweigerung? . . . . . . .   406

B. Die sekundäre Ebene: Schadensersatzansprüche des Diskriminierungsopfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  409 I. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  409 1. Grundlegende Feststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  409 a) Die Rechtsprechung des EuGH zur Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  409 b) Insbesondere: Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität . . .  411

2. Einzelne Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  412 a) Verschuldensunabhängige Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voller Schadensausgleich (Totalreparation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materieller und immaterieller Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Insbesondere: Materieller Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entgangener Gewinn und Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ersatzfähiger Schaden bei Auswahlentscheidungen . . . . . . .

 412  416  416  417  419  419  421

Inhaltsverzeichnis

XXIII

(a) Chance als Schaden versus Alles-oder-Nichts-Prinzip  421 (b) Höhe des materiellen Schadens des subjektiv bestqualifizierten Bewerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  426 dd) Haftungsobergrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  427 ee) Überkompensatorische Schadenselementezur Gewährleistung der Abschreckungswirkung versus „Prävention durch Kompensation“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  429 c) Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  434

II. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertretenmüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materieller Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 437  437  437  443

a) Voller Schadensausgleich oder Beschränkung auf den Vertrauensschaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  443 b) Berechnung bei diskriminierender Verweigerung des Zugangs zu Dauerschuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  447

4. Immaterieller Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  450



a) Immaterieller Schadensersatz und Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  450 b) Vorhandensein eines immateriellen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  455 c) Berechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  458

C. Beweisfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Problem: Die Verborgenheit der diskriminierenden Entscheidungsmaxime und die Auswirkungen auf die Effektivität des Diskriminierungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Reaktion des Unionsrechts: Verlagerung der Beweislast auf den Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorliegen einer Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 460

 460

 461  462 a) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  462 b) Bedeutung für die einzelnen Arten der Diskriminierung . . . . . . . . .  463 c) Tatsachen, die eine Diskriminierung vermuten lassen . . . . . . . . . . . .  465 aa) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  465 bb) Das erforderliche Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  466 cc) Mögliche Indizien, inbesondere: Vergleichspersonenkonzept ��  468 dd) Fehlende Auskunft als Indiz für eine Diskriminierung? . . . . . .  470 d) Gegenbeweis des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  478

2. Subjektive Bestqualifikation bei der Bewerbung um eine Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  479 3. Auswirkungen und Grenzen des prozessualen Vergleichs personenkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  481 a) Objektivierung subjektiver Entscheidungsmaxime als Preis für die effektive Durchsetzung des Diskriminierungsverbots . . . . .  481 b) Die Grenzen des Vergleichspersonenkonzepts in Abhängigkeit zur Leistungspflicht des potentiellen Diskriminierungsopfers . . . . .  483

III. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  484

XXIV

Inhaltsverzeichnis

Gesamtergebnis § 1 Erster Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  493 § 2 Zweiter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  495 § 3 Dritter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  498 § 4  Vierter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  507 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  515 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  535

1

Einleitung § 1 Problemstellung „Das Zivilrecht ist geprägt vom Grundsatz der Privatautonomie.“ So oder so ähnlich lautet es noch heute in jedem Lehrbuch zum Zivilrecht oder Schuldrecht. Die Möglichkeit der Privatrechtssubjekte, eigenständig über das „Ob“ und „Wie“ eines Vertragsschlusses zu entscheiden, wird dabei traditionell mit deutlichen Worten etwa als „Akt der Freiheit“ (Larenz)1 oder, bewusst provokativ, als „Akt der Selbstherrlichkeit“ (Flume)2 umschrieben. Erst im Anschluss an diese grundsätzliche Feststellung finden sich Relativierungen und Einschränkungen des Prinzips sowie Hinweise auf bestehende gesellschaftliche und soziale Machtungleichgewichte, die der Freiheit des Einzelnen Grenzen zu setzen vermögen. Die in diesem Kontext unter dem Stichwort „Materialisierung“ der Vertragsfreiheit diskutierten Probleme betrafen indes bis vor wenigen Jahren im Wesentlichen die Inhaltsfreiheit, also die Freiheit beider Vertragsparteien, den Inhalt des von ihnen geschlossenen Vertrages selbst zu bestimmen.3 Die sich in der Vertragsfreiheit manifestierende Richtigkeitsgewähr des durch autonome Privatrechtssubjekte ausgehandelten Vertragsschlusses4 wurde hierbei zunehmend durch die Erkenntnis in Frage gestellt, dass nicht jeder in gleicher Weise in der Lage ist, seine Interessen im Rahmen von Vertragsverhandlungen zu wahren. Reaktion auf diese Erkenntnis waren zum einen eine verschärfte Kontrolle des Inhalts von Verträgen durch die Gerichte am Maßstab der §§ 138, 242 und 307 ff. BGB sowie der – zum Teil unionsrechtlich determinierte – stetige Ausbau des privatrechtlichen Verbraucherschutzes, der 1 

Larenz, Schuldrecht I, S. 40. Flume, Rechtsgeschäft S. 6. 3 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. 4  Die heute als Grundsatz weitgehend anerkannte These von der Richtigkeitsgewähr des ausgehandelten Vertrages, wonach sich im Vertragsschluss die unterschiedlichen Interessen der Vertragsparteien zu einem sinn- und kompromisshaften Ganzen zusammenfügen, geht zurück auf Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130, 156. Die Qualifikation des Vertragsschlusses als Instrument zur Verwirklichung objektiver Gerechtigkeitsvorstellungen und nicht etwa als Ausdruck subjektiver Selbstbestimmung barg allerdings in ihrem Kern bereits die Notwendigkeit einer Ergebniskorrektur für Fälle, in denen sich die Grundannahme als falsch erweist. Instruktiv zum Ganzen Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 76 ff. 2 

2

Einleitung

spätestens mit dem Erlass der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie auch Kernmaterien des BGB erfasst hat. Weitgehend verschont von Beschränkungen blieb dagegen zunächst die Abschlussfreiheit, also die Möglichkeit des Einzelnen darüber zu bestimmen, ob mit einer bestimmten Person überhaupt ein Vertrag zu bestimmten Bedingungen geschlossen (oder fortgeführt) werden soll. Einzige Ausnahme stellten insoweit für lange Zeit sondergesetzliche Regelungen dar, die unter bestimmten engen Voraussetzungen eine Verpflichtung zum Vertragsschluss anordnen. Ein solcher Kontrahierungszwang besteht etwa im Kartellrecht gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen als Folge einer Diskriminierung von Konkurrenten und Abnehmern (Artikel 102 AEUV, § 20 GWB) sowie gegenüber Energieversorgungs- oder Personenbeförderungsunternehmen. In der allgemeinen Privatrechtswissenschaft und -Lehre fristeten diese punktuellen Beschränkungen der Abschlussfreiheit indes lange Zeit ebenso ein Exotendasein wie der durch die Rechtsprechung aus § 826 BGB hergeleitete allgemeine Kontrahierungszwang gegenüber (quasi-)monopolistischen Anbietern (lebens-)wichtiger Güter und Dienstleistungen.5 Dies mag damit zusammenhängen, dass die genannten Regelungen keine Pflicht zur Gleichbehandlung um ihrer selbst willen statuieren, sondern einzig die Gewährleistung des Güteraustausches aus übergeordneten Zielen des Wettbewerbs oder der Daseinsvorsorge zum Ziel haben. Die Abschlussfreiheit in ihrem Kerngehalt wird durch diese Art zweckgebundener Gleichbehandlungspflichten mithin nicht ernsthaft in Frage gestellt. Eine nicht zweckgebundene Pflicht zur Gleichbehandlung außerhalb bereits bestehender vertraglicher Bindungen war dem deutschen Privatrecht dagegen lange Zeit fremd. Zwar fand sich im „Kleingedruckten“ einiger Lehrbücher bisweilen der dezente Hinweis, dass sich – auch außerhalb der Sicherung des Wettbewerbs und oder der Daseinsvorsorge – aus den Generalklauseln des BGB in Verbindung mit grundrechtlichen Wertungen unter eng umgrenzten Voraussetzungen ein Verbot herleiten lasse, den Vertragschluss mit einer bestimmten Person allein aus rassistischen bzw. sonstigen in der Person des Anderen begründeten Motiven heraus zu verweigern.6 Schulbeispiel war häufig die gegebenenfalls noch mit beleidigenden Äußerungen garnierte Weigerung des Betreibers einer Diskothek, einem dunkelhäutigen Menschen Zugang zu gewähren. Über diese im Ergebnis allseits konsentierte Feststellung hinausgehend konnte sich aber ein Grundsatz der Nichtdiskriminierung oder gar ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot im deutschen Privatrecht schon angesichts der im deutschen Verfassungsrecht bis heute umstrittenen Frage nach der Drittwirkung der Gleichheitssätze des Artikels 3 GG nicht etablieren. 5  Eine Ausnahme stellt insoweit die Monographie von Busche ‚Privatautonomie und Kontrahierungszwang‘ dar; vgl. darüber hinaus Bydlinski, AcP 180 (1980). 1 ff. 6  Larenz, Schuldrecht I, § 4 IV 3.

§ 1 Problemstellung

3

In einem speziellen Bereich des Privatrechts, dem Arbeitsrecht, sieht sich die Abschlussfreiheit hingegen bereits seit Längerem deutlich stärkeren Beschränkungen unter dem Aspekt der Gleichheit ausgesetzt.7 Die Impulse für diese Beschränkungen gingen allerdings nicht vom nationalen Recht, sondern vom Recht der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union aus. So statuiert Artikel 157 AEUV (ex Artikel 119 EWG/141 EG) den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten, sondern auch unmittelbar gegenüber privaten Arbeitgebern.8 Darüber hinausgehend verbot der später in § 7 AGG aufgegangene § 611a BGB aF seit dem 14.8.1980 in Umsetzung der Richtlinie 76/207/EWG9 jede Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben und damit auch im Zusammenhang mit der Begründung von Arbeitsverhältnissen. Das hiermit einhergehende freiheitsbeschränkende Potential des § 611a BGB aF, dessen Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Vorgaben aufgrund der zögerlichen Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber mehrfach den EuGH beschäftigt hatte10, verblieb jedoch zunächst noch weitgehend unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der allgemeinen Privatrechtswissenschaft; ließ sich die Vorschrift doch als Kuriosum eines Sonderrechtsgebietes begreifen, in welchem der Vertragsfreiheit seit jeher unter der Ägide des Arbeitnehmerschutzes ein deutlich geringerer Stellenwert eingeräumt wird als im übrigen Privatrecht.11 Mit anderen Worten: Wenn der Arbeitgeber ohnehin im bestehenden Arbeitsverhältnis sowie, mit Abstrichen, bei dessen Beendigung zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer verpflichtet ist, stellt sich die Beschränkung der Abschlussfreiheit des Arbeitgebers bei der Begründung von Arbeitsverhältnissen eher als quantitativer denn als qualitativer Sprung dar. Eine auch in qualitativer Hinsicht neue Ära der Gleichbehandlung im Privatrecht wurde allerdings um die Jahrtausendwende mit dem Erlass der „Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation“12 eingeleutet,13 welche sich auf  7  Instruktiv insoweit die ebenso knappe wie inhaltlich dichte monographische Abhandlung von Wiedemann, Die Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, 2001.  8 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 8/11, 40 – Defrenne II.  9  Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 1976 L 39/40. 10  Vgl. nur die Urteile EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 – von Colson, sowie EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 – Draempaehl. 11  Die Sonderrolle des Arbeitsrechts in Bezug auf den privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutz betont auch Jestaedt, VdVdDSL 64 (2005) S. 298, 300. 12  Von einer „neuen“ Generation von Richtlinien spricht auch Kocher, in: Riesenhuber, AGG, S. 55, 57. 13  Konkret handelt es sich um die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22; die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in

4

Einleitung

die im Vertrag von Amsterdam eingeführte Kompetenznorm des Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV) stützten. Bereits die Richtlinien verpflichteten die Mitgliedstaaten zu einer deutlichen Ausweitung des Diskriminierungsschutzes sowohl auf weitere Rechtsbereiche außerhalb des Arbeitsrechts als auch auf weitere Unterscheidungsmerkmale neben dem Geschlecht. Der deutsche Gesetzgeber hat diese unionsrechtlichen Vorgaben durch den Erlass des zum 18.8.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nicht nur eins zu eins umgesetzt, sondern durch Ausweitung des allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots auf insoweit nicht unionsrechtlich vorgesehene Unterscheidungsmerkmale sogar übererfüllt. Seitdem ist in Deutschland sowohl für den Bereich des Arbeitsrechts als auch für zivilrechtliche Massengeschäfte jede Diskriminierung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Behinderung, der Religion, der sexuellen Identität, des Alters sowie – nur im Arbeitsrecht – der Weltanschauung verboten (§§ 7, 19 Absatz 1 AGG). Ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft besteht darüber hinaus ganz allgemein im Hinblick auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (§ 19 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG). Die damit vollzogene Ausdehnung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung auf Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, wie etwa Mietverträge, aber auch den öffentlich annoncierten Verkauf von Alltagsgegenständen, rückte das Thema des Diskriminierungsschutzes dann auch erstmals in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit und führte zu einer bisweilen emotional geführten Debatte über die Grenzen der Vertragsfreiheit und die Legitimität privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote. Während die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes von den einen als überfälliger Schritt hin zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft begrüßt wurde,14 beklagten andere die hiermit verbundenen Eingriffe in die Privatautonomie15 und wähnten Deutschland gar auf dem Weg in eine neue „Tugendrepublik“16 oder in den Totalitarismus.17 Die Heftigkeit der Debatte um die Legitimität privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote verwundert nur auf den ersten Blick; spiegelt sie doch grundsätzliche sozialethische, philosophische und nicht zuletzt verfassungsrechtliche Differenzen über das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit wider. In Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16 sowie die Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004, L 373/37. 14  Baer, ZRP 2002, 290 ff.; Neuner, JZ 2003, 57 ff. 15  Adomeit, NJW 2002, 1622 ff.; Pfeiffer, ZGS 2002, 165; Picker, JZ 2002, 880 ff.; kritisch: Eichenhofer, DVBl 2004, 1078 ff. Einen guten Überblick über die Flut kritischer Beiträge im Übrigen liefert Jestaedt, VdVdDSL 64 (2005) S. 298, 301 f., dort insbesondere Fußnote 10. 16  Säcker, ZRP 2002, 286 ff. 17  Braun, JuS 2002, 424.

§ 1 Problemstellung

5

der öffentlichen Wahrnehmung steht dabei die Frage im Vordergrund, welcher Stellenwert der Privatautonomie gegenüber einer Verpflichtung Privater zur Gleichbehandlung einzuräumen ist. Was aber auf den ersten Blick wie ein einfaches Aufeinanderprallen der Antipoden Gleichheit und Freiheit anmutet, stellt sich bei näherem Hinsehen als deutlich komplexeres, mehrschichtiges Problem dar; wird doch die Privatautonomie der Adressaten privatrechtlicher Diskriminierungsverbote von niemandem, auch nicht von den glühendsten Verfechtern eines weitreichenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes, in ihrem Kern in Frage gestellt. Die Frage, wieviel private Gestaltungsmacht den Adressaten privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote verbleiben soll, umschreibt somit ein reines Abwägungsproblem, das im Rahmen politischer Aushandlungsprozesse im Sinne praktischer Konkordanz aufzulösen ist. Die Auswirkungen des Abwägungsergebnisses auf den dogmatischen Wesenskern privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote sind allerdings gering. Weit größere Relevanz kommt insoweit jedoch der Beantwortung der Frage zu, zugunsten welchen Anliegens oder welcher Rechtsposition des Diskriminierungsopfers die Privatautonomie des Verbotsadressaten zurückweichen soll. Klärungsbedürftig ist mithin die ratio legis privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote. Dies mag auf den ersten Blick überraschen; scheint doch der Zweck von Diskriminierungsverboten gerade in der Verwirklichung einer wie auch immer definierten Art von Gleichheit zu bestehen. Dies ist aber nur die eine, wenn auch eine prominente, Lesart privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote. Ihr gegenüber steht jedoch eine vor allem in in Deutschland im Vordringen begriffene Lesart, die privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote nicht in einem gleichheitlichen Sinne deuten, sondern durch alternative Erklärungskonzepte ersetzen möchte. Im Angebot stehen insoweit neben einem sozial- bzw. verteilungspolitischen Ansatz vor allem freiheitliche Erklärungsmodelle. Ungleichbehandlungen stellen sich danach wahlweise als Beschränkungen der (materiell verstandenen) Privatautonomie des Diskriminierungopfers oder im weitesten Sinne als Verletzung seiner Persönlichkeit dar. Erst auf dieser Ebene, also bei der Frage nach der richtigen Deutung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote, geht es im eigentlichen Sinne um die das Antidiskriminierungsrecht prägende Frage von Gleichheit und Freiheit. Entscheidet man sich für die Freiheit, so gestaltet sich die Abwägung mit der Freiheit des Verbotsadressaten als rein innerfreiheitlicher Diskurs, entscheidet man sich für die Gleichheit, prallen beide Positionen unmittelbar aufeinander. Der gleichheitliche Erklärungsansatz, den man mit Fug und Recht als den klassischen Ansatz bezeichnen kann, hat mittlerweile wohl in Grünberger seinen engagiertesten Verfechter gefunden. In seiner programmatischen Habilitationsschrift „Personale Gleichheit“18 unternimmt Grünberger den ehrgei18 

Grünberger, Personale Gleichheit – Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Zivil-

6

Einleitung

zigen Versuch, einen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz als prägenden Grundsatz des Privatrechts zu etablieren. Der Ansatz geht damit weit über das von Grünberger als „besonderes Gleichbehandlungsrecht“ bezeichnete Antidiskriminierungsrecht hinaus, indem er daneben auch sonstige fragmentarische Gleichbehandlungsgebote im Arbeitsrecht, im Gesellschaftsrecht und im Wettbewerbsrecht in den Blick nimmt und zu einem Gesamtprinzip verknüpft. Als prominentester Vertreter eines freiheitlichen Erklärungsansatzes für das geltende Antidiskriminierungsrecht ist in den letzten Jahren Lobinger in Erscheinung getreten, der für eine Deutung des AGG als ein dem Schutz der Persönlichkeit des Diskriminierenden verpflichtetes Sondergesetz wirbt.19 Die Begründung für seine These entnimmt Lobinger der Dogmatik des deutschen Zivilrechts, in welches sich ein gleichheitlicher Ansatz, der bei Lobinger als „moralpädagogischer Ansatz“ firmiert, nicht einfüge. 20 Beide Ansätze könnten, was die inhaltliche Deutung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote angeht, nicht weiter auseinanderliegen. Die Unterschiede betreffen aber vor allem das Ergebnis. Gemeinsam ist beiden Ansätzen dagegen die Suche nach einem einheitlichen Erklärungsansatz für die in Deutschland bestehenden Diskriminierungsverbote, der sich harmonisch in das gewachsene Privatrecht einfügt oder dieses gar prägt. Diese Herangehensweise verwundert angesichts der bereits oben gewonnenen Erkenntnis, dass das deutsche Antidiskriminierungsrecht und das restliche deutsche Privatrecht nicht aus einem Guss stammen, ja noch nicht einmal durch denselben Regelgeber geschaffen wurden. Das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht scheint sich somit einer das übrige nationale Privatrecht einbeziehenden Betrachtung gerade zu entziehen und teilt insoweit das Schicksal weiterer, von unionsrechtlichen Vorgaben überformter Materien des deutschen Privatrechts, die sich angesichts ihrer supranationalen Provenienz nicht in das gewachsene nationale Privatrechtssystem einfügen wollen. 21 Die Zumutungen der in diesem Zusammenhang allerorten beklagten Friktionen und Systembrüche scheinen aber den Wunsch nach einer Dogmatik, die das Ganze statt nur einen Teil davon erklärt, eher zu beflügeln denn zu frustrieren. Unterschiedlich sind nur die jeweils gewählten Bezugspunkte für die Entwicklung einer einheitlichen Dogmatik, was letztlich das inhaltliche Ergebnis nicht unerheblich beeinflusst. recht, 2013. Einen gleichheitlichen Ansatz verfolgt auch Schiek in ihrer im Jahr 1999 veröffentlichten Habilitationsschrift „Differenzierte Gerechtigkeit – Diskriminierungsschutz und Vertragsrecht“. 19  Lobinger, in Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 ff.; ders. unlängst AcP 216 (2016), 28, 84 ff.; in diesem Sinne auch Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 125 ff.: („AGG als Persönlichkeitsschutzgesetz“), der den von ihm propagierten persönlichkeitsrechtlichen Ansatz aber primär auf der Basis des Unionsrechts begründet. 20  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 84 ff. 21  Zu diesem Thema vgl. Gsell, AcP 214 (2014) 99 ff.; Herresthal, JbJZivWiss 2008, 139, 152 ff.

§ 1 Problemstellung

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Für Lobinger ist der Bezugspunkt einer einheitlichen Dogmatik des Antidiskriminierungsrechts die freiheitliche Dogmatik des deutschen Zivilrechtssystems, in welches es sich einfügen soll. Grünberger wagt den Befreiungsschlag, indem er einen gemeinsamen, der nationalen wie unionalen Regelungsebene übergeordneten, letzlich auf einer Meta-Ebene angesiedelten privatrechtsbezogenen Gleichbehandlungsgrundsatz sucht und findet. Beide Versuche der harmonischen Einbindung des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts in ein nationales oder übergeordnetes Privatrechtskonzept bergen aber letztlich ihre Tücken: der Versuch von Lobinger, weil er mit seinem „Heimwärtsstreben“ auf den Boden der deutschen Zivilrechtsdogmatik den Fokus auf das nationale Recht verengt und die unionale Ebene ausblendet, der Versuch von Grünberger, weil er mit seiner Suche nach einem beide Regelungsebenen vereinenden Erklärungssatz Gefahr läuft, einer Chimäre nachzujagen. Die vorliegende Arbeit verfolgt vor diesem Hintergrund ein bescheideneres, zugleich aber realistischeres Ziel, indem sie zwar ebenfalls eine dogmatische Durchdringung des in Deutschland geltenden Antidiskriminierungsrechts anstrebt, sich hierbei aber auf das Unionsrecht als allein maßgebliche Rechtsquelle fokussiert. Was das Ziel der dogmatischen Durchdringung des Antidiskriminierungsrechts betrifft, soll sich die Arbeit von der Vielzahl an Monographien und sonstigen Beiträgen abheben, in denen es in erster Linie um die Darstellung aller oder bestimmter Regelungsinhalte des deutschen Antidiskriminierungsrechts geht und dogmatisch-systematische Zusammenhänge entweder ausgeblendet oder nur am Rande gestreift werden. Dieses eher deskriptive Konzept hatte in der Phase nach der Schaffung des AGG im Jahre 2006 durchaus seine Berechtigung; galt es doch zunächst, die neue Materie überhaupt in ihren konkreten Regelungsaussagen zu erschließen und für die Anwendung in der Praxis handhabbar zu machen. Gerade die Fokussierung auf Einzelfragen hat das gesamte Rechtsgebiet aber nur allzu oft als ein schillerndes, in seinem zentralen Regelunganliegen unverstandenes Sonderrechtsgebiet erscheinen lassen. Will man das Verständnis, wenn schon nicht die Akzeptanz dieses Rechtsgebiets fördern, ist es somit unumgänglich, die Frage zu beantworten, was das im AGG verankerte, durch das Unionsrecht determinierte Antidiskriminierungsrecht in seinem Innersten ausmacht, was sein übergeordnetes Ziel ist und wie sich dieses Ziel in seinen einzelnen Regelungen realisiert. Der Zeitpunkt sich dieser Aufgabe zu widmen, erscheint nunmehr, mehr als 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des AGG, auch vor dem Hintergrund der aus diesem Anlass erst kürzlich veröffentlichten Evaluation der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, 22 passend gewählt. 22  Evaluation zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, herausgegeben am 9.8.2016 vom Büro für Recht und Wisssenschaft der Antidiskriminierungstelle des Bundes unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. Christiane Brors, abrufbar im Internet unter www.antidiskriminierungsstelle.de.

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Einleitung

Ausgangspunkt für eine dogmatische Erschließung des Antidiskriminierungsrechts soll zudem, und in diesem Punkt unterscheidet sich der hier gewählte Ansatz von dem von Grünberger, Lobinger und anderer Autoren, 23 ausschließlich das Unionsrecht sein. Denn das Antidiskriminierungsrecht ist in seinem Ursprung und seiner dogmatischen Konzeption Unionsrecht und bleibt dies auch dann, wenn es vom Umsetzungsgesetzgeber in nationale Formen gegossen wird. Eine Fokussierung auf das Unionsrecht ist daher aufgrund seines Vorranges gegenüber dem nationalen Recht schon rechtlich geboten. Zudem befreit sie von der den Erkenntnisprozess bisweilen hemmenden Pflicht, die Kompatibilität der getroffenen Feststellungen mit nationalen oder (vermeintlich) übergeordneten Regelungsmustern zu ergründen. Zwar ist das Streben nach Einheit und Systemkohärenz des Privatrechts ein durchaus legitimes Ziel. Das unionsrechtlich determinierte Antidiskriminierungsrecht ist allerdings das falsche Objekt für derartige Bestrebungen, da es sich, wie zu zeigen sein wird, mit seinem auf Gleichheit abzielenden Grundmotiv krass von dem im wesentlichen auf Abgrenzung von Freiheitssphären ausgerichteten deutschen Privatrecht abhebt. Zentraler Punkt, in welchem sich die beiden Systeme unterscheiden, ist dabei die Beantwortung der Frage, ob Gleichheitsrechten eine gesellschaftliche Dimension innewohnt, die neben dem Staat auch Private in die Pflicht nimmt. Das Unionsrecht bejaht diese Frage ohne Wenn und Aber. Im deutschen Recht berührt sie hingegen einen wunden, bis heute nicht geklärten Punkt. Dies manifestiert sich nicht zuletzt in den heftigen Ablehnungsreaktionen, welche die Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien und die darauffolgende Schaffung des AGG ausgelöst haben. Solche, der Verschiedenheit der Regelgeber geschuldete Diskrepanzen lassen sich nicht mit einem einheitlichen Erklärungsansatz, sei es in die eine oder andere inhaltliche Richtung, nivellieren. Vielmehr sind mögliche Friktionen zwischen dem System des unionalen Diskriminierungsschutzes und dem bestehenden deutschen Privatrechtssystem zunächst einmal als immanentes Wesensmerkmal eines Mehrebenensystems hinzunehmen. Der Charakter des dem Unionsrecht entstammenden Antidiskriminierungsrechts einschließlich seiner deutschen Umsetzungsregelungen als „legal transplant“ wird hierbei als gegeben akzeptiert. Denn nur durch einen neutralen Blick, der nicht durch das abweichende nationale Normumfeld getrübt ist, lässt sich das unionsrechtlich determinierte Antidiskriminierungsrecht zunächst aus sich heraus begreifen, um sodann in einem zweiten Schritt Wesensunterschiede zur nationalen Privatrechtsordnung und den sie tragenden Grundprinzipien benennen zu können. Hierzu möchte die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten. Etwaigen rechtspolitischen Bewertungen des gefundenen Ergebnisses, einschließlich der hieraus eventuell zu ziehenden Konsequenzen, wird sich diese Arbeit dagegen 23  Ebenfalls einen übergeordneten Ansatz verfolgt etwa Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit durch reflexiven Diskriminierungsschutz, 2010.

§ 1 Problemstellung

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bewusst enthalten. Denn zum einen besteht an klaren Positionierungen hinsichtlich des rechtspolitischen Für und Wider eines privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes kein Mangel; zum anderen könnten die im Falle einer negativen Bewertung zu ziehenden Konsequenzen in nicht viel mehr bestehen als einem an die Mitgliedstaaten gerichteten Appell, die bestehenden Regelungen ganz oder teilweise abzuschaffen. Gegenstand der im Rahmen dieser Untersuchung angestrebten dogmatischen Erschließung sollen ausschließlich die durch das Recht der Europäischen Union determinierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote des deutschen Rechts sein, wie sie primär im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ihren Ausdruck gefunden haben. Der Fokus liegt hierbei auf der Bindung des einzelnen Arbeitgebers oder Anbieters von Gütern und Dienstleistungen, weil gerade diese Inpflichtnahme Privater zur Gewährleistung gesellschaftlicher Gleichheit die Besonderheit der Rechtsmaterie ausmacht und ihre Einbindung in das deutsche Privatrechtssystem erschwert. Nicht in die Untersuchung miteinbezogen werden dagegen Gleichbehandlungsgebote in anderen Teilgebieten des deutschen Rechts, etwa dem Arbeits-, Gesellschaftsoder Wettbewerbsrecht, weil diese Gleichbehandlungsgebote dem autonom-nationalen Recht zuzuordnen sind und damit aus einer anderen Quelle fließen als das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht. Eine einheitliche dogmatische Betrachtung würde durch diesen Umstand erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Ebenfalls nicht näher beleuchtet werden über den Grundsatz der Nichtdiskriminierung hinausgehende Normen oder Programme, die auf den Ausgleich gesellschaftlich vorgefundener Benachteiligungen bestimmter Gesellschaftsgruppen im Wege der aktiven Förderung von Angehörigen dieser Gruppen gerichtet sind. Denn im Rahmen solcher positiver Maßnahmen, die von ihrem Inhalt her eine große Bandbreite möglicher Themen abdecken können, geht es nicht, wie bei den Diskriminierungsverboten, um die Verwirklichung des dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz innewohnenden Gebots der Gleichbehandlung von Gleichem, sondern um das Gebot der Ungleichbehandlung von Ungleichem als dessen Gegenpol. Die Verwirklichung des letztgenannten, bisweilen als Gleichstellung bezeichneten Ziels folgt anderen Regeln als das auf Gleichbehandlung ausgerichtete Antidiskriminierungsrecht und lässt sich daher nicht in dessen Dogmatik einbinden. Eine Ausnahme besteht nur insoweit, als aktive Gleichstellung der Angehörigen einer Gruppe, wie etwa im Falle verbindlicher Quoten beim Zugang zur Beschäftigung, mit einer Ungleichbehandlung von Angehörigen einer anderen Gruppe einhergeht und damit in ein Spannungsverhältnis zum Gleichbehandlungsprinzip gerät. Hier muss das Antidiskriminierungsrecht selbst den Konflikt auflösen. Die entsprechenden Regelungen sind damit notwendig Teil der Dogmatik des Antidiskriminierungsrechts und als solche im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zu behandeln.

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§ 2 Untersuchungsmethode Das Thema Schutz vor Diskriminierung im Privatrecht lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. So werfen an Private gerichtete Diskriminierungsverbote zuallererst die Frage nach ihrer rechtsphilosophischen Legitimation auf. Darüber hinaus ergibt sich aus der Vorbildfunktion des US-amerikanischen Antidiskriminierungsrechts und der Existenz von Umsetzungsvorschriften in nahezu allen Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeit, auch andernorts gefundene Lösungen etwa im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen verbotener Diskriminierung zu berücksichtigen. Schließlich stellt sich die Frage nach den wohlfahrtsökonomischen Auswirkungen von Regeln, welche die Vertragsfreiheit der Wirtschaftssubjekte beschränken und damit in den freien Markt eingreifen. Fragestellungen aus dem Bereich des Antidiskriminierungsrechts scheinen damit geradezu prädestiniert für den Rückgriff auf die Erkenntnisse fremder Disziplinen wie etwa der Rechtsphilosophie, der Rechtsvergleichung oder der ökonomischen Analyse des Rechts. Im Rahmen der hier durchzuführenden Erschließung der dogmatischen Struktur des unionsrechtlich definierten Antidiskriminierungsrechts in Deutschland stößt ein solcher methodenpluralistischer Ansatz dagegen an seine Grenzen, weil nicht alle der genannten Methoden in diesem Kontext gleichermaßen einen Erkenntnisgewinn versprechen.

A. Rechtsphilosophische und sozialethische Ansätze zur Legitimation privatrechtlicher Diskriminierungsverbote Letztere Aussage gilt in besonderem Maße für die Frage nach der rechtsphilosophischen bzw. sozialethischen Legitimation für die Existenz privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote und die damit verbundene Beschränkung der Vertragsfreiheit der Verbotsadressaten. Lauber verweist in diesem Zusammenhang auf die seit der Antike bestehende untrennbare Verknüpfung von Recht und Philosphie und bedauert, dass die Diskussion um das Antidiskriminierungsrecht in Deutschland hauptsächlich positivrechtlich geführt werde. 24 24 

Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit, S. 20.

§ 2 Untersuchungsmethode

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Diese Feststellung verdient Widerspruch und das gleich in zweierlei Hinsicht. Zunächst erscheint bereits der Ausgangsbefund von Lauber insoweit falsch, als sich in nahezu jeder längeren Abhandlung zum Antidiskriminierungsrecht zumindest kurze Ausführungen zu den philosophischen Grundlagen eines privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes finden. Dies geschieht leider nur allzu häufig ohne Anbindung an den Rest der jeweiligen Untersuchung. Auf diese Feststellung gründet sich der zweite Einwand gegen den von Lauber erhobenen Vorwurf der mangelnden Berücksichtigung philosophischer Erkenntnisse bei der Erschließung des Antidiskriminierungsrechts. Voraussetzung für die Einbeziehung von Erkenntnissen jedweder Disziplin muss doch sein, dass diese Erkenntnisse einen Beitrag zu der in Rede stehenden Untersuchung zu leisten vermögen. Eine pauschale Forderung nach Berücksichtigung philosophischer Erkenntnisse ist da wenig hilfreich. Letzteres gilt in besonderem Maße für die vorliegende Untersuchung. Deren Ziel ist nämlich, wie bereits dargelegt, weder die kritische, rechtspolitische Hinterfragung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote als solcher noch die Entwicklung eines optimal austarierten Antidiskriminierungsrechts de lege ferenda, sondern einzig die dogmatische Durchdringung des im AGG verankerten und durch das Unionsrecht determinierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes in Deutschland. Zwar lässt sich auch in diesem Kontext die Legitimationsfrage nicht ausblenden; setzt doch – im Gegenteil – die dogmatische Erschließung eines Rechtsgebiets nachgerade zwingend die Kenntnis des gesetzgeberischen Ziels voraus, das im Antidiskriminierungsrecht in der Tat untrennbar mit verschiedenen rechtsphilosophischen Legitimationsansätzen verknüpft zu sein scheint. So macht es etwa einen bedeutenden Unterschied, ob privatrechtliche Diskriminierungsverbote eine Pflicht zur Gleichbehandlung um ihrer selbst willen anordnen oder lediglich eine Persönlichkeitsverletzung ahnden sollen. Entscheidend ist insoweit aber nicht die Frage nach dem philosophisch oder sozialethisch „richtigen“ Legitimationsansatz, sondern einzig die Frage, welcher konkrete Legitimationsansatz den im deutschen Recht vorgefundenen und zum großen Teil durch das Unionsrecht determinierten Diskriminierungsverboten tatsächlich zugrunde liegt. Zur Beantwortung dieser Frage nach der ratio legis des bestehenden Antidiskriminierungsregimes bedarf es allerdings gerade keiner „vom bestehenden Recht losgelösten Ergründung der hinter diesem stehenden allgemeinen Prinzipien mit dem Ziel, die das Prinzip tragenden Vorschriften vom Mantel der Angepasstheit zu befreien und aus ihnen generalisierende Grundsätze zu entwickeln.“25 Erforderlich und ausreichend ist insoweit vielmehr eine rechtsdogmatisch-methodische Analyse des unionsrechtlichen Normbestands einschließlich der diesen erschließenden und fortentwickelnden Rechtsprechung des EuGH. Letztere zeichnet sich aber, auch 25 

So aber der ambitionierte Ansatz von Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit, S. 29.

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Einleitung

im Bereich des Antidiskriminierungsrechts, eher weniger durch den Rückgriff auf rechtsphilosophische Erwägungen aus, sondern vielmehr durch die systematische Verknüpfung der besonderen Diskriminierungsverbote mit dem allgemeinen unionalen Gleichheitsgrundsatz, auf welchen sowohl der EuGH als auch die Erwägungsgründe der Antidiskriminierungsrichtlinien regelmäßig rekurrieren. Allein aus dieser systematischen Verknüpfung und der damit einhergehenden Übernahme der (unionalen wie nationalen) Gleichheitssätzen eigenen Normstruktur lassen sich bereits die wesentlichen dogmatischen Besonderheiten herleiten, welche das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht prägen. Dies gilt in besonderem Maße für den im Rahmen dieser Untersuchung herauszuarbeitenden Charakter der unionalen Diskriminierungsverbote als normbezogene Anknüpfungsverbote mit all den hieraus im Laufe der Untersuchung zu ziehenden Konsequenzen. Einer rechtsphilosophischen Argumentation bedarf es zur Gewinnung dieser Erkenntnisse nicht, was sich schon daran zeigt, dass dieselbe Normstruktur allen im unionalen Gleichheitsgrundsatz wurzelnden Diskriminierungsverboten einschließlich der am Binnenmarktziel orientierten Grundfreiheiten eigen ist, denen ein philosophischer Ansatz eher nicht zuzuschreiben sein dürfte.

B. Ökonomische Analyse des Rechts Als ergiebiger für das Thema der vorliegenden Arbeit könnte sich auf den ersten Blick die ökonomische Analyse des Rechts erweisen. Diese Disziplin, die ihre Ursprünge in den USA hat, widmet sich der Untersuchung von Auswirkungen rechtlicher Normen auf die volkswirtschaftliche Wohlfahrt. Hierzu werden in einem ersten Schritt auf Basis verschiedener ökonomischer Theorien über das Verhalten von Menschen Aussagen über die Wirkung bestimmter Normen getroffen, welche sodann in einem zweiten Schritt am Effizienzkriterium in seinen unterschiedlichen Ausprägungen gemessen werden. Das Ergebnis dieser Folgenbetrachtung rechtlicher Normen liefert zum einen wertvolle rechtspolitische Erkenntnisse für den Gesetzgeber, etwa im Zusammenhang mit geplanten Gesetzesänderungen, kann zum anderen aber auch – unter bestimmten Voraussetzungen – von den Gerichten bei der Auslegung bestehender Normen herangezogen werden. Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand ist zwischen zwei Bezugspunkten der ökonomischen Analyse des Rechts zu unterscheiden.

§ 2 Untersuchungsmethode

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I. Effizienz von privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverboten Im Laufe der Jahrzehnte wurden nahezu alle Bereiche des Rechts einer Überprüfung am Effizienzkriterium unterzogen. Das Antidiskriminierungsrecht als stetig in seiner Bedeutung wachsendes und auch in den USA kontrovers diskutiertes Rechtsgebiet stellt hierbei naturgemäß keine Ausnahme dar. 26 Für gewöhnlich wird hierbei heute unter Effizienzgesichtspunkten, je nach dem der Diskriminierung zugrunde liegenden Motiv, zwischen zwei verschiedenen Formen der Diskriminierung unterschieden. 27

1. Präferenzbedingte versus statistische Diskriminierung Nach dem von Gary Becker entwickelten Modell der präferenzbedingten Diskriminierung (taste based discrimination)28 beruht die Ungleichbehandlung von Personen mit bestimmten Merkmalen auf persönlichen Abneigungen oder Vorurteilen des Diskriminierenden. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist eine solche Ungleichbehandlung aufgrund irrationaler Motive schädlich, weil sie das Zustandekommen an sich vorteilhafter Transaktionen und damit letztlich die optimale Allokation von Ressourcen verhindert. Ungeachtet dieser Feststellung ist die Effizienz von Diskriminierungsverboten in den von dem Modell erfassten Fällen bis heute nicht geklärt. Nach klassischer und wohl auch heute noch herrschender Auffassung laufen Diskriminierungsverbote in Bezug auf präferenzbedingte Diskriminierungen grundsätzlich ins Leere, weil potentielle Vertragspartner, die aus den irrationalen Motiven heraus freiwillig auf Transaktionen mit einem Teil der Marktgegenseite verzichten, weniger wettbewerbsfähig sind als ihre das volle Transaktionspotential ausschöpfenden Konkurrenten und damit auf lange Sicht ohnehin vom Markt verdrängt würden. 29 Diskriminierungsverbote entfalten danach in ökonomischer Hinsicht bestenfalls eine neutrale, wenn nicht – unter Berücksichtigung der mit dem Erlass von Rechtsregeln allgemein verbundenen Kosten – sogar eine schädliche Wirkung. Nach einer anderen Auffassung kann der Wettbewerb präferenzbedingte Diskriminierungen dagegen nicht vollständig verhindern. So seien nicht-kommerzielle Privatrechtsakteure eher als kommerzielle Akteure bereit, wirtschaftliche

26  Vgl. hierzu die Ausführungen zur „racial discrimination“ von Richard Posner in seinem Standardlehrbuch „Economic Analysis of Law“, 6. Aufl. 2003, S. 681 ff. 27  Einen guten Überblick über den Diskussionsstand liefern von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 85 ff., sowie Thüsing, RdA 2003, 257 ff. und Vandenberghe, in: Schulze, Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 9 ff. 28  Becker, The Economics of Dis­crimi­nation, S. 14. 29  Adams, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 107 ff.; Epstein, Forbidden Grounds, S. 445; Posner, U. Pa.L.Rev. 136 (1987) 513, 514.

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Verluste als Preis für ihre Präferenzen in Kauf zu nehmen.30 Ferner könne auch bei kommerziellen Marktakteuren mangelnde Information zu einer verspäteten Reaktion auf die drohende Verdrängung vom Markt und damit zu einer verspäteten Abstellung diskriminierender Praktiken führen.31 Solchen Fällen von Marktversagen könnten Diskriminierungsverbote durchaus entgegenwirken. Insgesamt ergibt sich damit ein ambivalentes Bild hinsichtlich ökonomischer Auswirkungen von Diskriminierungsverboten in Bezug auf präferenzbedingte Diskriminierungen. Nach dem parallel von Arrow und Phelps entwickelten Modell der so genannten statistischen Diskriminierung (statistical discrimination)32 dient das vom Diskriminierenden gewählte Unterscheidungskriterium hingegen lediglich als Ersatzkriterium (proxy) für ein anderes, vertragsrelevantes Kriterium (Leistungsfähigkeit, Zahlungsfähigkeit, Gesundheitsrisiken, Lebensdauer), dessen tatsächliches Vorhandensein beim potentiellen Diskriminierungsopfer sich nicht oder nur unter prohibitiv hohen Kosten ermitteln lässt. Prominentes Beispiel für diese Form der Diskriminierung ist etwa die von Versicherern vorgenommene Risikobewertung anhand von Kriterien wie etwa dem Geschlecht oder dem Lebensalter, aus welcher sich für die Tarifgestaltung statistische Aussagen über Lebensdauer, Gesundheits- oder Unfallrisiken herleiten lassen. Auch im Bereich der Neubesetzung eines Arbeitsplatzes dürfte die Differenzierung nach persönlichen Merkmalen wie dem Geschlecht oder dem Alter regelmäßig nicht auf eine persönliche Abneigung des Arbeitgebers gegen Frauen oder ältere bzw. jüngere Menschen zurückzuführen sein, sondern auf eine vom Arbeitgeber vorausgesetzte Verbindung zwischen dem gewählten Unterscheidungskriterium und der Eignung für die zu besetzende Stelle. Diskriminierungsverbote, welche die Verwendung des gewählten Ersatzkriteriums untersagen und insoweit auch keine Rechtfertigung vorsehen, führen in den genannten Fällen dazu, dass zur Entscheidung über Abschluss oder Inhalt von Verträgen entweder auf eine Verwendung von Ersatzkriterien vollständig verzichtet wird oder auf ungenauere, statistisch weniger aussagekräftige Kriterien zurückgegriffen wird. Beide Reaktionen können indes zu Wohlfahrtsverlusten führen. Während ein vollständiger Verzicht auf die Verwendung von Ersatzkriterien mit höheren Kosten der Informationsbeschaffung einhergehen wird, kann die Verwendung weniger geeigneter Kriterien im schlimmsten Fall zu Fehlern im Auswahl- oder im Preisbildungsprozess führen. So erschwert etwa das Verbot der Verwendung bisher erprobter, statistisch aussagekräftiger Ersatzkriterien im Versicherungswesen die Einschätzung von Risiken durch die Versicherer und 30 

Epstein, Forbidden Grounds, S. 85. Donohue, U. Pa. L. Rev. 134 (1986) 1411. 32  Arrow, in: Pascal, Racial Dis­crimi­nation in Economic Life, 1972, S. 83 ff., 95 f.; Phelps, Am. Econ. Rev. 62 (1972) 659, 661; vgl. auch Aigner/Cain, Indus. & Lab.Rel. Rev. 30 (1977) 175. 31 

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führt damit letztlich zu einer Quersubventionierung schlechter Risiken durch gute Risiken, was wiederum auf lange Sicht eine Abwanderung der Versicherten mit guten Risiken vom Versicherungsmarkt und damit eine Verteuerung von Versicherungsleistungen zur Folge haben kann (adverse Selektion).33 Jedenfalls in den Fällen der statistischen Diskriminierung sind Diskriminierungsverbote somit unter wohlfahrtsökonomischen Gesichtspunkten, bei aller im Hinblick auf eine derart pauschale Aussage gebotenen Vorsicht, als eher schädlich einzustufen.34 Indem Diskriminierungsverbote aber in der Regel nicht zwischen den beiden Formen der Diskriminierung trennen, sondern die Anknüpfung an bestimmte Merkmale schlechthin verbieten, lässt sich die Feststellung negativer Wohlstandseffekte eines Verbots statistischer Diskriminierung letztlich auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote im Ganzen übertragen.

2. Relevanz der Erkenntnisse für den Untersuchungsgegenstand? Fraglich ist aber, inwieweit die soeben gewonnene Erkenntnis, dass privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote eher mit Wohlfahrtsverlusten denn mit Wohlfahrtsgewinnen einhergehen, für die vorliegende Untersuchung fruchtbar gemacht werden kann. Hierbei sind zwei Funktionen der ökonomischen Analyse zu unterscheiden.

a) Rechtspolitische Bewertung Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich den auf Basis der ökonomischen Analyse des Rechts getroffenen Aussagen über die ökonomischen Auswirkungen von Rechtsnormen in erster Linie rechtspolitische Erkenntnisse hinsichtlich der optimalen Ausgestaltung von Normen entnehmen lassen. Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand gilt insoweit aber die eingangs der Arbeit selbst auferlegte Beschränkung, die Legitimation der in Deutschland bestehenden, durch das Unionsrecht determinierten Diskriminierungsverbote nicht in Bezug auf ihre rechtspolitische Sinnhaftigkeit zu hinterfragen, sondern als gegeben hinzunehmen. Dies betrifft nicht nur Auswirkungen der Diskriminierungsverbote als solche, sondern auch die Auswirkungen von Rechtsfolgenregelungen, soweit sich diese Auswirkungen ihrem Zweck entsprechend allein darin erschöpfen, Diskriminierungen in den genannten Bereichen zu unterbinden. Privatrechtsbezogener Diskriminierungsschutz mag also unter ökonomischen Gesichtspunkten durchaus ein kostspieliges Unterfangen sein; die Ent33  Posner, Aging and Old Age, S. 327; Cooter, San Diego L. Rev. 31 (1994) 133, 158; Vandenberghe, in: Schulze, Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 9, 20; G. Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21, Jahrhundert, S. 13, 56. 34  Eidenmüller, in: Schulze/von Bar/Schulte-Nölke, Der akademische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen, S. 73, 86 f.; Thüsing, RdA 2003, 257, 259; Vandenberghe, in: Schulze, Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 9, 20.

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scheidung über die Hinnahme dieser Kosten ist indes mit der Etablierung der Diskriminierungsverbote durch den Unionsgesetzgeber gefallen.

b) Berücksichtigung bei der Auslegung der bestehenden Diskriminierungsverbote Eine Relevanz auch für den Untersuchungsgegenstand könnte der ökonomischen Analyse des Rechts allerdings im Rahmen der Auslegung der bestehenden Diskriminierungsverbote zukommen, soweit insoweit Spielräume bestehen. Die Berücksichtigung des Effizienzkriteriums bei der Auslegung und Anwendung bestehender Normen setzt allerdings nach zutreffender, wenngleich bestrittener Auffassung voraus, dass der jeweilige Regelgeber das Ziel der Wohlfahrtssteigerung verfolgt hat.35 Im Hinblick auf die derzeit in Deutschland bestehenden, in §§ 7, 19 AGG statuierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote ist dies jedoch im Grundsatz zu verneinen.36 Vielmehr wird dem Einzelnen im Rahmen der genannten Vorschriften, wie später noch ausführlich dargelegt werden wird, 37 entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben in erster Linie ein originär-individuelles Recht auf Nichtdiskriminierung eingeräumt, welchem auf der Ebene des Unionsrechts Grundrechtsqualität zukommt.38 Eine Funktionalisierung des Einzelnen zur Förderung der Binnenmarktintegration39 oder sonstiger ökonomischer Zwecke findet in diesem Bereich somit, anders als etwa im Rahmen der Grundfreiheiten oder des Wettbewerbsrechts, nicht statt.40 Zwar werden durch den Abbau von Diskriminierungen in bestimmten Bereichen des Privatrechtsverkehrs mittelbar auch 35  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 450 ff.; Franck, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 70, 90; Grundmann, RabelsZ 61 (1997), 423, 430 ff. 36  So zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, AGG Einl. Rn. 39; a.A. allerdings von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 45 ff., der unter Verweis auf die ökonomische Prägung des Arbeitsrechts, die ursprünglich marktintegrative Zielsetzung unionaler Diskriminierungsverbote sowie diverse Hinweise in den Erwägungsgründen zur RL 2000/78/EG eine (auch) ökonomische Zielsetzung der im AGG verankerten arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbote annimmt. 37  Siehe unten Erster Teil § 3 B. III. 2. und IV. 38  Zum Grundrechtscharakter des Artikel 157 Abs. 1 AEUV vgl. bereits EuGH, Rs. C-50/96, Slg. 2000, I-743, Tz. 57 – Schröder. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon und der hierdurch bewirkten Aufwertung der Grundrechtecharta zu bindendem Primärrecht (vgl. Artikel 6 Abs. 2 AEUV) ergibt sich der Grundrechtscharakter aller im AGG verwirklichten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote aus Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch. 39  Begriff bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 29, Schoch, NVwZ 1999, 457, 463 ff. 40  Vgl. allgemein zur funktionalen Subjektivierung Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, S. 55 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 272 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 29. Siehe auch unten Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) bb).

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der Austausch von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen im Binnenmarkt gefördert. Dieser Effekt wird aber vom Unionsgesetzgeber nicht primär angestrebt, sondern allenfalls – und sei es zur Begründung der in ihren Voraussetzungen unklaren Kompetenz aus Artikel 19 AEUV41 – wohlwollend begrüßt.42 Indem ökonomische Argumente mithin bei der Einräumung individueller Schutzpositionen im Antidiskriminierungsrecht keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen, verbietet sich grundsätzlich ein Rückgriff auf ökonomische Erwägungen im Rahmen der Anwendung der entsprechenden Vorschriften. Eine beschränkte Bedeutung könnte ökonomischen Argumenten indes für die Auslegung von Rechtfertigungsgründen zukommen. Denn auch wenn der Unionsgesetzgeber und der deutsche Gesetzgeber die mit der Etablierung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote verbundenen Kosten grundsätzlich in Kauf genommen haben, bedeutet dies nicht automatisch eine grenzenlose Akzeptanz solcher Kosten. Die insoweit vom (Unions)Gesetzgeber als tragbar hingenommene Grenze könnte sich daher gerade in der Möglichkeit manifestieren, Ungleichbehandlungen unter bestimmten Voraussetzungen zu rechtfertigen. Im Schrifttum wird vor diesem Hintergrund bisweilen die Rechtfertigungsebene ganz allgemein als potentielles Einfallstor für die Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen im Rahmen der Auslegung der in Deutschland geltenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote gewertet.43 Hinsichtlich einer derart pauschalen Aussage ist aber Vorsicht geboten. Denn Voraussetzung für die Berücksichtigung ökonomischer Erwägungen bei der Auslegung von Rechtfertigungsgründen wäre zunächst, dass der jeweils verantwortliche Regelgeber mit der Etablierung einer bestimmten Rechtfertigungsmöglichkeit tatsächlich eine ökonomische Zielsetzung verfolgt hat. Unmittelbar ökonomisch motiviert erscheinen aber auf den ersten Blick allenfalls solche Regelungen innerhalb der Antidiskriminierungsrichtlinien, die dem nationalen Gesetzgeber selbst die Möglichkeit einräumen, im Rahmen des Erlasses und der Anwendung von Regelungen nach den verbotenen Merkmalen zu differenzieren, um hiermit übergeordnete ökonomische Ziele zu verfolgen. In diesem Sinne sieht etwa Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG detaillierte, an Gemeinwohlbelangen orientierte Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung wegen des Alters vor, was den an späterer Stelle noch zu beleuchtenden besonderen Charakter dieses Diskriminierungsverbots unterstreicht. Von Bedeutung im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand sind allerdings in erster Linie diejenigen Rechtfertigungsmöglichkeiten, die wie §§ 8, 9 und 20 AGG privaten 41 

Siehe hierzu ausführlich unten Zweiter Teil § 1 A. I. 2. b). Siehe unten Erster Teil § 3 B. IV. 2. b). 43  So allgemein Grünberger, Personale Gleichheit, S. 665; grundlegend von Hoff, Das Verbot der Altersdiskriminierung aus Sicht der Rechtsvergleichung und der ökonomischen Analyse des Rechts, 2008. 42 

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Akteuren eine Ungleichbehandlung wegen eines verbotenen Merkmals im Ausnahmefall gestatten. Eine ökonomische Zielsetzung ist hier – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht ersichtlich, weil die genannten Rechtfertigungsmöglichkeiten dem Schutz der Privatautonomie dienen. Gleichwohl können rechtsökonomische Erwägungen auch insoweit eine Rolle spielen; wird doch die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal häufig von ökonomischen Motiven getragen sein. Regelmäßig dürfte dies etwa in Bezug auf statistische Diskriminierungen der Fall sein, wo das verbotene Merkmal als kostensparendes Ersatzkriterium (proxy) im Rahmen der (vor)vertraglichen Informationsbeschaffung fungiert. Derartige ökonomische Zielsetzungen des Einzelnen stellen zwar nicht für sich genommen einen zu berücksichtigenden Belang im Rahmen des Rechtfertigungsdiskurses dar, weil sich der Gesetzgeber diese nicht zu Eigen macht, sondern lediglich als Ausdruck der Privatautonomie des Einzelnen akzeptiert. Es ist indes weitgehend anerkannt, dass auch der Privatautonomie als solcher eine ökonomische Fuktion zukommt, indem sie über die marktsteuernde Wirkung individueller Präferenzen die optimale Allokation knapper Ressourcen gewährleistet.44 Auch wenn davon auszugehen ist, dass sich der Unionsgesetzgeber des ökonomischen Kontextes der Privatautonomie bewusst gewesen ist und diese Erkennntis bei der Einräumung von Rechtfertigungsmöglichkeiten eine Rolle gespielt hat, ist der hieraus zu ziehende Erkenntnisgewinn für die Auslegung der einzelnen Rechtfertigungsgründe freilich noch immer gering. Denn es ist im Schrifttum zu Recht anerkannt, dass die ökonomische Analyse des Rechts kein geeignetes Mittel zur Auflösung von Zielkonflikten zwischen Allokationseffizienz und Gerechtigkeitsprinzipien wie insbesondere dem Schutz von Menschenrechten darstellt.45 Ökonomische Argumente entfalten damit – außerhalb einer im Rahmen dieser Untersuchung nicht angestrebten rechtspolitischen Folgenbetrachtung – nur dort eine Relevanz für die Auslegung von Rechtnormen, wo mit dem Erlass der Verhaltensnorm als solcher ein originär ökonomischer Zweck verfolgt wurde, wie dies etwa im Kapitalmarktrecht und Wettbewerbsrecht der Fall ist. Für das Antidiskriminierungsrecht gilt dagegen die oben gewonne Erkennntis: Die Etablierung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote mag ein kostspieliges Unterfangen sein; die Akzeptanz dieser Kosten manifestiert sich aber bereits in der Etablierung solcher Verbote und darf damit nicht im Wege einer einschränkenden Auslegung unter ökonomischen Gesichtspunkten derselben unterlaufen werden.

44  G. Wagner, in: Blaurock/Hager, Obligationenrecht im 21. Jahrhundert, S. 13, 16 f. m.w.N. 45 Ähnlich Franck, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 70, 93; Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 219.

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II. Ökonomische Analyse der Rechtsdurchsetzung Der bescheidene Erkenntnisgewinn der ökonomischen Analyse des Antidiskriminierungsrechts für den Untersuchungsgegenstand impliziert aber nicht, dass rechtsökonomischen Erwägungen in diesem Kontext keinerlei Bedeutung zukäme, widmet sich doch die ökonomische Analyse des Rechts seit jeher auch der Frage, auf welche Weise sich Normen am effizientesten und kostensparendsten durchsetzen lassen.46 Die Befassung mit dieser Frage könnte für den Untersuchungsgegenstand relevant sein, weil ökonomische Prämissen über die Effizienz von Rechtsfolgenregelungen auch der Rechtsprechung des EuGH zur Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zugrunde liegen47 und in Teilbereichen des Unionsrechts – wenn auch nicht im Antidiskriminierungsrecht – sogar ausschlaggebender Faktor für die Begründung individuell einklagbarer, subjektiver Rechte als solcher waren.48 Soweit die unionsrechtlichen Vorgaben den Mitgliedstaaten die Wahl und Ausgestaltung der Rechtsfolgenregelungen überlassen, könnten die genannten ökonomischen Erwägungen somit bestimmte Lösungen nahe legen, wenn nicht sogar zwingend vorgeben. Dies ist insbesondere der Fall im Hinblick auf die unionsrechtlich gebotene Abschreckungswirkung nationaler Rechtsfolgenregelungen, die nicht nur für die Etablierung privater Schadensersatzansprüche als solche sondern auch für eine bestimmte inhaltliche Ausgestaltung derselben streitet. Dies wird im Zusammenhang mit der insoweit einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu erörtern sein.

C. Rechtsvergleichung Wertvolle Erkenntnisse im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand vermag indes die Rechtsvergleichung zu liefern, kann sie doch hinsichtlich der Rechtsfolgen privatrechtsbezogener Diskriminierungen gleich aus zwei Erkenntnisquellen schöpfen. Eine erste Quelle stellt das Recht der ebenfalls an die Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien gebundenen übrigen Mitgliedstaaten der Union dar. Zwar belassen die Richtlinien den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Erreichung des jeweiligen Richtlinienziels, der Etablierung der in den Richtlinien vorgebenen Diskriminierungsverbote als solche, keinen bedeutenden Umsetzungsspielraum. Im Hinblick auf die Sanktionierung privater Verstöße gegen die besagten Verbote verfügen die Mitgliedstaaten jedoch – jedenfalls in Detailfragen – über 46 

Franck, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 70, 93 dort Fußnote 141. Siehe unten Vierter Teil § 1 D. I. 2. c). 48  Zur funktionalen Subjektivierung siehe unten Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) bb). 47 

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einen begrenzten eigenen Handlungsspielraum, den diese auch teilweise genutzt haben.49 Die deutlich wichtigere rechtsvergleichende Erkenntnisquelle stellt jedoch zweifellos das Antidiskriminierungsrecht der USA dar, dessen Ursprünge bis in die Zeit des Bürgerkriegs und der damit verbundenen Abschaffung der Sklaverei zurückreichen.50 Die Bekämpfung der gesellschaftlichen Ausgrenzung der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe war dann auch das ursprüngliche Ziel der US-amerikanischen Antidiskriminierungsgesetzgebung, welche später sukzessive auf weitere Unterscheidungsmerkmale ausgedehnt wurde. Hinsichtlich der einschlägigen Rechtsquellen ist zu differenzieren: Während die Verpflichtung des Staates zur Gleichbehandlung aller Bürger bereits seit 1868 unmittelbar in der US-amerikanischen Verfassung verankert ist (14th amendment), finden sich die an Privatpersonen gerichteten Diskriminierungsverbote ausschließlich im einfachen Gesetzesrecht (federal law und state laws) und hier vornehmlich in Title VII des Civil Rights Act of 1964, im Age Dis­crimi­nation in Employment Act (ADEA) of 1967 und im Americans with Disabilities Act (ADA) of 1990. Die genannten Gesetze enthalten neben der Etablierung der Diskriminierungsverbote als solche auch detaillierte Regelungen hinsichtlich der den potentiellen Diskriminierungsopfern zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe. Ergänzt werden die gesetzlichen Regelungen durch die Rechtsprechung der US-Gerichte, die zum Teil wiederum im Rahmen nachfolgender Gesetzesänderungen kodifiziert wurde. Sowohl im Hinblick auf seine Regelungsdichte als auch im Hinblick auf seine lange Tradition und der hiermit einhergehenden tiefen Durchdringung der Materie durch die Wissenschaft stellt das USamerikanische Antidiskriminierungsrecht für die Behandlung des Untersuchungsgegenstands eine unverzichtbare Erkenntnisquelle dar. Dies gilt speziell vor dem Hintergrund, dass das US-amerikanische Antidiskriminierungsrecht ganz offensichtlich Vorbild für die Etablierung und Ausgestaltung des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes durch die Mitgliedstaaten, den Unionsgesetzgeber und nicht zuletzt den EuGH gewesen ist. So lassen sich bereits auf der Tatbestandsseite Rechtsfiguren wie die mittelbare Diskriminierung aber auch die Regelungen zur Rechtfertigung von Diskriminierungen nur schwerlich ohne Rückgriff auf das US-amerikanische Regelungsvorbild erklären. Auf der Ebene der Rechtsfolgen gilt selbiges im Hinblick auf die Berechnung von 49 

Eine vergleichende Analyse des italienischen Rechts liefert Haberl, Zivilrechtliche Diskriminierungsverbote in nationalen Privatrechtsgesellschaften, 2011. Kurze Länderberichte finden sich auch bei Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, (Frankreich, Belgien, England und Österreich) und Tobler, Remedies and Sanctions, S. 25 ff. (speziell zu Rechtsfolgenregelungen). 50  Zur historischen Entwicklung vgl. die instruktiven, durch zahlreiche Quellen aus Rechtsprechung und Wissenschaft belegten Ausführungen von Grünberger, S. 116–280. Einen (knappen) Überblick über die Entwicklung speziell des Verbots der Geschlechtsdiskriminierung liefert ferner Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 221–383.

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Schäden sowie die dem Diskriminierungsopfer einzuräumenden prozessualen Hilfestellungen bis hin zur Beweislastumkehr, welche über die Rechtsprechung des EuGH und die Tätigkeit des Unionsgesetzgebers letztlich auch Eingang in die Regelungen des deutschen AGG gefunden hat (vgl. § 22 AGG).

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§ 3 Gang der Untersuchung Der erste Teil der Untersuchung widmet sich der Frage nach der ratio legis der derzeit in Deutschland bestehenden unional determinierten Diskriminierungsverbote. Im Schrifttum werden insoweit – zum Teil ohne konkreten Normbezug unter Vermengung philosophischer und verfassungsrechtlicher Argumente – egalitaristische und nicht-egalitaristische Erklärungsansätze vertreten. Im Kern der Diskussion steht hierbei aber letztlich die Frage, ob dem Prinzip der Gleichheit über den Aspekt der Rechtsgleichheit hinausgehend auch eine gesellschaftliche Dimension innewohnt, aus der privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote hergeleitet werden können. Diese Frage lässt sich nicht abstrakt, sondern nur im Hinblick auf konkrete normative Vorgaben beantworten, die im Bereich des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts ausschließlich der unionsrechtlichen Ebene zuzuordnen sind. Die Frage nach der ratio legis privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote im Allgemeinen verkürzt sich damit auf die Frage nach der ratio legis des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts. Insoweit wird herauszuarbeiten sein, dass es sich bei den privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverboten des Unionsrechts um Gleichheitsverbürgungen mit gesellschaftspolitischer Zieldimension handelt. Im zweiten Teil der Arbeit werden die Rechtsquellen des in Deutschland geltenden, unional determinierten Diskriminierungsschutzes im Einzelnen in den Blick genommen und ihr wechselseitiges Verhältnis analysiert. Die Notwendigkeit einer solchen Analyse ergibt sich aus der Feststellung, dass die einzelnen Rechtsquellen in diesem Rechtsbereich auf unterschiedliche Regelgeber zurückzuführen sind und zudem auch innerhalb ihrer jeweiligen Regelungsebene teilweise in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Für den deutschen Rechtsanwender stellt sich das Antidiskriminierungsrecht damit nicht als homogener Normkomplex, sondern als in sich vielfach gestuftes Konglomerat von Normen dar. Zur Auflösung dieses auf den ersten Blick undurchschaubaren Konglomerats sollen die das Antidiskriminierungsrecht prägenden Rechtquellen zunächst getrennt nach unionaler und nationaler Regelungsebene dargestellt werden. Bei der Analyse der unionalen Ebene wird dabei besonderes Augenmerk auf das Binnengefüge der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote gelegt. Dieses ist mit der inhaltlichen und funktionalen Determinierung des Primärrechts durch das Sekundärrecht von einer dogmatischen Besonderheit geprägt, die auf das Außenverhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht

§ 3 Gang der Untersuchung

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durchschlägt und hier zu einer generellen Nichtanwendbarkeit richtlinienwidriger nationaler Antidiskriminierungsregelungen führt. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich dem Tatbestand der derzeit in Deutschland geltenden, weitgehend durch das Unionsrecht vorgegebenen Diskriminierungsverbote als Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolgen etwaiger Verstöße. Zu klären sein wird hierbei, neben der Frage nach den vom Verbot erfassten Unterscheidungsmerkmalen und Rechtsgeschäften, vor allem die Frage, welches Verhalten konkret als Diskriminierung im Sinne der genannten Verbote zu qualifizieren ist. Im Zentrum steht hierbei das in § 3 Abs. 1 AGG nach unionsrechtlichen Vorgaben definierte Verbot der unmittelbaren Diskriminierung, dem in wissenschaftlichen Abhandlungen oftmals erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zuteil wird.51 Dies allerdings zu Unrecht; handelt es sich doch bei dem Verbot der unmittelbaren Diskriminierung um den komplexesten Tatbestand, dessen Verständnis von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der weiteren Tatbestände von der mittelbaren Diskriminierung über die (sexuelle) Belästigung bis zur Anleitung zur Diskriminierung ist. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll ausgehend von der dogmatischen Verknüpfung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz der Charakter des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot herausgearbeitet werden, der Auslegung und Gewicht der einzelnen Voraussetzungen für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung bis hin zur Möglichkeit der Rechtfertigung maßgeblich prägt. Es folgt eine – deutlich knapper gehaltene – Auseinandersetzung mit dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung und seiner Doppelfunktion als Hilfsnorm zur Flankierung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung und als eigenständiger, auf Gewährleistung materieller Gleichheit abzielender Verbotstatbestand. Im vierten Teil der Arbeit sollen schließlich die Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen im Fokus stehen. Im ersten Kapitel ist hierbei – im Hinblick auf das Thema der Arbeit – die Frage zu klären, ob das Unionsrecht zwingend privatrechtliche Rechtsbehelfe des Diskriminierungsopfers oder sogar bestimmte Rechtsbehelfe wie etwa Schadensersatzansprüche oder einen Kontrahierungszwang vorschreibt. Dabei wird zunächst der im Schrifttum verbreiteten Auffassung einer „Sanktionsneutralität“ der unionalen Vorgaben entgegengetreten und basierend auf der Rechtsprechung des EuGH zur effektiven Durchsetzung individueller Rechte von der Notwendigkeit privatrechtlicher Rechtsbehelfe als Mindeststandard ausgegangen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit bestimmter zivilrechtlicher Rechtsbehelfe wird dagegen ein nach Unterscheidungsmerkmalen differenzierender Ansatz verfolgt. Das zweite Kapitel widmet sich der Frage nach der konkreten Ausgestaltung einzelner privatrechtlicher Rechtsbehelfe. 51  Die stiefmütterliche Behandlung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung bemängelt auch Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 197.

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Einleitung

Ausgangspunkt sind erneut die diesbezüglichen Vorgaben des Unionsrechts, die jeweils im Anschluss mit der deutschen Regelung abgeglichen werden. Diese Vorgaben betreffen zum einen das materielle Recht, zum anderen aber auch prozessuale Fragen. Auf der materiellrechtlichen Seite liegt der Schwerpunkt neben Abhilfemöglichkeiten auf der Primärebene wie etwa einem Kontrahierungszwang vor allem auf der Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen und hier speziell auf Fragen des Verschuldens, Schadenshöhe und der Kausalität. Auf der Ebene der prozessualen Durchsetzbarkeit wird schließlich auf das schwierige Problem des Beweises der Anspruchs- bzw. Haftungsvoraussetzungen eingegangen.

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Erster Teil:

Die ratio legis der in Deutschland bestehenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote Wer sich die dogmatische Durchdringung eines bestimmten Rechtsgebiets zur Aufgabe gemacht hat, muss sich zuvor der ratio legis vergewissern oder, wie Lobinger es unlängst ausgedrückt hat, sich das entsprechende Systemvorverständnis erarbeiten.1 In Bezug auf den Untersuchungsgegenstand stellt sich somit die Frage, welche konkrete gesetzgeberische Regelungsvorstellung den im AGG geregelten, durch Vorgaben des Unionsrechts determinierten oder doch zumindest inspirierten Diskriminierungsverboten zugrunde liegt. Diese Frage soll wegen ihrer Weichenstellungsfunktion für den gesamten weiteren Verlauf der Untersuchung isoliert vorab beantwortet werden. Auf den ersten Blick scheint eine Untersuchung der ratio legis des unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts, was die literarische Aufbereitung angeht, aus dem Vollen schöpfen zu können; nimmt die Frage nach der Legitimation privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote doch in nahezu allen Untersuchungen zum Antidiskriminierungsrecht einen mehr oder weniger prominenten Platz ein. Gleichwohl ist hier erhebliche Vorsicht geboten, weil die Frage nach der Legitimation privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote – abhängig von der Themenstellung der jeweiligen Untersuchung – unter verschiedenen Blickwinkeln und mit zum Teil höchst unterschiedlicher Zielsetzung diskutiert wird. So finden sich zum einen abstrakte, von der lex lata weitgehend losgelöste rechtsphilosophische oder rechtspolitische Abhandlungen zur Legitimation privatrechtsbezogener Diskriminierungsverboten im Allgemeinen 2, während andere Autoren die Legitimation solcher Diskriminierungsverbote primär unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Vorgaben beleuchten.3 Das Meinungsbild zur Legitimation von Diskriminierungsverboten stellt sich damit insgesamt als äußerst disparat 1 

Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 81. Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit, S. 94–147; Lobinger, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 28, 141 ff. 3  So insbesondere Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 29–113; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 63–257. Der von den genannten Autoren hergestellte Bezug zwischen Legitimation und Geltungsgrund soll hier angesichts der tatsächlich zwischen beiden Fragestellungen bestehenden Interdependezen (vgl. hierzu Grünberger, Personale Gleichheit, S. 541) keinesfalls kritisiert werden. 2 

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Erster Teil: Die ratio legis

dar und lässt sich nur in begrenztem Maße und nur unter Berücksichtigung des jeweiligen Untersuchungshintergrunds zur Klärung der hier allein interessierenden Frage nach der konkreten Legitimation des bestehenden, weitestgehend auf unionsrechtlichen Grundlagen beruhenden Antidiskriminierungsregimes fruchtbar machen.

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§ 1 Diskussionsstand – egalitaristische versus nicht-egalitaristische Erklärungsmuster Grünberger unterteilt die zahlreichen im Schrifttum vertretenen Ansätze zur Erklärung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote grob vereinfachend in egalitaristische, auf dem Prinzip der Gleichheit basierende und nicht-egalitaristische, einen solchen Gleichheitsbezug verleugnende Ansätze4. Diese terminologische Unterteilung soll auch hier zugrundegelegt werden, weil sich in der Tat, wie zu zeigen sein wird, gerade entlang dieser Trennlinie die Geister hinsichtlich der grundsätzlichen Verfasstheit des Antidiskriminierungsrechts scheiden. Die Entscheidung für eine egalitaristische oder nicht-egalitaristische Position liefert dabei den zentralen Baustein für die Entwicklung einer Dogmatik des Antidiskriminierungsrechts. Den Unterschieden zwischen den verschiedenen nicht-egalitären Erklärungsansätzen kommt im Vergleich dazu bei weitem nicht dieselbe Bedeutung zu.

A. Diskriminierungsschutz als Ausfluss des Gleichheitsprinzips I. Materialisierung des Gleichheitsbegriffs durch Anerkennung einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit Klassischerweise werden Diskriminierungsverbote, die den Privatrechtsverkehr betreffen, als Ausprägungen des Gleichheitsprinzips gewertet, welches durch den Ausschluss einzelner Individuen von vertraglichen Austauschprozessen oder deren Benachteiligung bei der Ausgestaltung der Vertragsbedingungen verletzt wird.5 Das Gleichheitsprinzip kommt hier im Sinne des Zweiten Teils des Aristotelischen Gleichheitssatzes zum Tragen, Gleiches gleich zu 4 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 543 ff. Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 29 ff.; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 543, 559; Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 37 ff. Im internationalen Schrifttum dominieren egalitaristische Erklärungsansätze nahezu unangefochten, vgl. nur Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 1 ff.; Hepple/Barnard, Cambridge Law Journal 59 (2000), 562; Schiek/Waddington/Bell, Non-Dis­crimi­nation Law, S. 25 ff.; Tobler, Indirect Dis­crimi­ nation, S. 86. 5 

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Erster Teil: Die ratio legis

behandeln.6 Dieses Gebot wird allerdings nicht nur als Pflicht des Staates zur Gewährleistung gleicher Rechte für alle Individuen definiert (Rechtsgleichheit oder formelle Gleichheit), sondern vielmehr als ein die Gesellschaft im Ganzen und damit letztlich auch den Privatrechtsverkehr umfassendes Prinzip (substanzielle oder materielle Gleichheit). Diesem Ansatz liegt die Feststellung zugrunde, dass allein die Neutralität des Staates die tatsächliche Gleichheit der Individuen nicht zu gewährleisten vermag. Denn aufgrund der gesellschaftlich vorgefundenen Realitäten könnten die einzelnen Individuen ihre durch den Staat verbürgten gleichen Rechte (z.B. das Recht, Verträge zu schließen) nicht in gleichem Maße ausüben.7 So stehe dem Recht eines Mitglieds der Mehrheitsgesellschaft, mit Mitgliedern einer Minderheit nicht zu kontrahieren, zwar theoretisch ein äquivalentes Recht der Letzteren gegenüber, in gleicher Weise zu verfahren und Vertragsschlüsse mit Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft zu verweigern. In der Realität sorge aber die in der Gesellschaft vorgefundene Hierarchie zwischen Mitgliedern der Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft dafür, dass nur erstere überhaupt in der Lage seien, von ihrem formellen Recht auf Vertragsverweigerung tatsächlich Gebrauch zu machen. Dieses Problem8 lasse sich nur überwinden, wenn man eine die tatsächlichen Ungleichheiten berücksichtigende, gesellschaftliche Dimension von Gleichheit anerkenne, die auch Privatpersonen untereinander zur Gleichbehandlung verpflichte. Die Vertreter eines egalitaristischen Erklärungsansatzes für privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote sehen in diesen Verboten gerade die Ausprägung eines solchen gesellschaftlichen Gleichheitskonzepts. Ein derart weit verstandenes Gleichheitskonzept bzw. ein daraus abgeleitetes Recht auf Gleichbehandlung im Privatrechtsverkehr muss indes zwangsläufig in Konflikt zur Vertragsfreiheit des Verbotsadressaten geraten. Die Auflösung dieses Konflikts kann letztlich nur nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz erfolgen.

6 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, 6–7, wonach im Bereich des öffentlichen Rechts (bei der Besetzung von Ämtern und der Belastung mit Steuern) ungleiche Personen ungleich und gleiche Personen gleich zu behandeln sind. Die Reihenfolge der Gebote (Gebot der Ungleichbehandlung/Gleichbehandlung) weicht damit von der Reihenfolge der Gebote des nationalen (Artikel 3 Abs. 1 GG) wie unionalen Gleichheitssatzes ab (Gebot der Gleichbehandlung/Ungleichbehandlung). 7  Vgl. etwa die vielzitierte Polemik von Anatol France, in ‚le lys rouge (Die rote Lilie)‘: „Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet den Reichen wie den Armen, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“ 8  Grünberger, S. 106 ff., spricht insoweit von einem „zweiten Gleichheitsproblem“, das durch die Gewährung von Rechtsgleichheit allein nicht gelöst werde.

§ 1 Diskussionsstand

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II. Die Frage nach dem Grad der Materialisierung – Formelle und materielle Gleichheit im engeren Sinn Mit der Anerkennung eines auch das Verhalten Privater in den Blick nehmenden, gesellschaftsbezogenen Konzepts von Gleichheit ist allerdings noch keine Aussage über dessen gegenständliche Ausfüllung getroffen. Die Frage lautet insoweit, in welcher Weise ein Konzept gesellschaftsbezogener Gleichheit auf die Nivellierung der in der Gesellschaft vorgefundenen Ungleichheiten dringt. Das Meinungsspektrum zu dieser Frage erscheint ebenso vielfältig wie bisweilen undurchsichtig. Die am häufigsten anzutreffende Differenzierung ist eine solche zwischen formeller und materieller Gleichheit9. Dies erscheint in terminologischer Hinsicht verwirrend, weil das insoweit gewählte Begriffspaar von anderen Autoren bereits zur Abgrenzung zwischen (formeller) Rechtsgleichheit und einer um die gesellschaftliche Dimension erweiterten (materiellen) Gleichheit verwendet wird.10 Innerhalb des materiellen (= gesellschaftsbezogenen) Gleichheitsbegriffs soll die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Gleichheit hingegen lediglich den Grad der Materialisierung markieren.11 In diesem Sinne steht formelle Gleichheit für den bescheidensten Ansatz in Form eines an den Staat wie den Einzelnen gerichteten Verbots, Gleiches ungleich zu behandeln. Hiermit korrespondiert ein enges Verständnis von Diskriminierungsverboten als Verbot der Anknüpfung an bestimmte, zuvor fest definierte Unterscheidungsmerkmale, wie es sich im Verbot der unmittelbaren Diskriminierung abbildet. Ein materielles Gleichheitsverständnis (im engeren Sinne) umfasst hingegen ein Gebot, den in der Gesellschaft vorgefundenen tatsächlichen Ungleichheiten effektiv zu begegnen.12 Welcher konkrete Zustand gesellschaftlicher Gleichheit hierbei hergestellt werden soll, ist dabei allerdings ebenso umstritten13 wie die sich aus der Beantwortung dieser Frage ergeben 9 

Angelehnt an den im englischsprachigen Schrifttum favorisierten Begriff „substantive equality“. 10  Vgl. etwa Schiek/Waddington/Bell, Non-Dis­crimi­nation Law, S. 28: „The aim of substantive equality starts not from a theory of law but rather from a theory of justice. Equality as a right is meant to create a constitution of inclusion, not only in public but also in privatly governed (economic) relations.“ 11  In diesem Sinne etwa Bell, Industrial Law Journal 33 (2004), 242, 245 f.; Hepple/Barnard, Cambridge Law Journal, 59 (2000), 562; Mahlmann, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, § 1 Rn. 22 ff. 12  Bell, Industrial Law Journal 33 (2004) 242, 247; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 545 ff. 13  Guter Überblick über den diesbezüglichen, zum Teil disparaten Meinungsstand bei Hepple/Barnard, Cambridge Law Journal 59 (2000), 562. Als wesentliche Konzepte materieller Gleichheit (im weiteren Sinn) werden die Herstellung von Ergebnisgleichheit und die Herstellung von Chancengleichheit vertreten. Wie Grünberger, Personale Gleichheit, S. 545 ff. zu Recht anmerkt, darf der Begriff der Chancengleichheit in diesem Kontext jedoch nicht auf ein prozedurales Gebot „gleicher Spielregeln“ reduziert werden, weil hierdurch im Vergleich zu einem Konzept formeller Freiheit wenig gewonnen wäre.

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Erster Teil: Die ratio legis

den Konsequenzen für die Ausgestaltung von Diskriminierungsverboten. Ein im engeren Sinne materieller Gleichheitsbegriff beinhaltet aber als Mindeststandard ein Verbot der mittelbaren Diskriminierung im Sinne eines Verbots der Anknüpfung an vermeintlich neutrale Unterscheidungsmerkmale wie etwa Schulabschlüsse oder eine Teilzeitbeschäftigung, wenn durch die Anknüpfung an solche Merkmale Träger eines verbotenen Merkmals aufgrund struktureller Benachteiligungen in der Vergangenheit und einer hierdurch bedingten schlechteren Ausgangsposition in der Gegenwart faktisch bzw. statistisch benachteiligt werden.14 Auch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung lässt sich in weitestem Sinne noch dem ersten Aristotelischen Gebot zuordnen, Gleiches gleich zu behandeln, indem die faktische oder statistische Betroffenheit nur ein um diese Auswirkungen erweitertes merkmalbezogenes Anknüpfungsverbot generiert. In der Einbeziehung faktischer Benachteiligungen in den Diskriminierungsbegriff kann man aber auch bereits eine Verwirklichung des ersten Aristotelischen Gebots sehen, Ungleiches ungleich zu behandeln,15 weil eine schlichte, unmittelbar auf das verbotene Merkmal bezogene Pflicht zur Gleichbehandlung den faktisch bestehenden Ungleichheiten nicht gerecht würde.16 Allein das Gebot, Ungleiches ungleich zu behandeln vermag schließlich Maßnahmen zu legitimieren, die auf die aktive Förderung von Mitgliedern einer benachteiligten Gruppe zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit gerichtet sind. Hierbei handelt es sich aber gerade nicht mehr um dem Prinzip der Gleichbehandlung von Gleichem verpflichtete Diskriminierungsverbote. Vielmehr können positive, auf Gleichstellung gerichtete Maßnahmen mit letzteren gerade in Konflikt geraten, wenn die in Rede stehenden Maßmahmen, wie etwa eine Quotenregelung im Zusammenhang mit dem Zugang zur Beschäftigung die Bevorzugung von Angehörigen der benachteiligten Gruppe vorsieht.17

14  Die Frage, ob das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ein eigenständiges, dem Prinzip materieller Gleichheit verpflichtetes Diskriminierungsverbot enthält, oder nur der besseren Durchsetzung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung dient, ist freilich nicht unumstritten. Siehe dazu ausführlich unten Dritter Teil § 2 C. III. 2. 15  Siehe Fußnote 6. 16  Den Versuch einer Einordnung aller unionalen Diskriminierungsverbote auch unter den ersten Teil des Aristotelischen Gleichheitssatzes unternimmt Fuchs, Gleichbehandlungsverbot, S. 144 ff., 223 ff. Kritisch in Bezug auf eine Differenzierungspflicht im Arbeitsrecht dagegen Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 49. Vom allgemeinen unionalen Gleichheitsgrundsatz (siehe noch unten, § 3 A) ist das Gebot, Ungleiches ungleich zu behandeln, jedenfalls umfasst, vgl. EuGH, Rs. C-217/91, Slg. 1993, I-3923, Tz. 37 – Kommission gegen Spanien. 17  Siehe dazu unten Dritter Teil § 2 C. II. 5. c) cc).

§ 1 Diskussionsstand

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B. Alternative (nicht-egalitaristische) Begründungsansätze Nach einer anderen, in Deutschland im Vordringen befindlichen Auffassung lassen sich Eingriffe in die allen Privatrechtsteilnehmern gleichermaßen gewährte Vertragsfreiheit nicht aus dem Gleichheitsprinzip herleiten, welchem damit zugleich eine gesellschaftliche Dimension abgesprochen wird. Diskriminierungsverbote sind danach als Eingriffe in die Privatautonomie des Verbotsadressaten nur dann begründbar, wenn hierfür entgegenstehende Freiheitsrechte des Diskriminierten oder sonstige übergeordnete Rechtsprinzipien ­streiten.

I. Freiheitliche Begründungsansätze 1. Diskriminierungsverbote als Ausfluss der Vertragsfreiheit Zum Teil wird das Recht auf Nichtdiskriminierung beim Abschluss und der Ausgestaltung von Verträgen als unverzichtbarer Bestandteil der Vertragsfreiheit als solcher qualifiziert.18 Grundlage dieser Auffassung ist ein weites Verständnis der Vertragsfreiheit, wonach nur derjenige tatsächlich autonom in der Gestaltung seiner privatrechtlichen Beziehungen ist, der von den ihm eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch machen kann. Der traditionell liberalen Dimension der Vertragsfreiheit als Recht der Privatrechtsteilnehmer, autonom über das „ob“ und „wie“ eines Vertragsschlusses zu entscheiden (formelle oder negative Vertragsfreiheit) wird damit eine materielle Dimension der Vertragsfreiheit zur Seite gestellt, welche die unterschiedlichen gesellschaftlichen Ausgangspositionen der Privatrechtsteilnehmer in den Blick nimmt.19 Zwar wurde die Diskussion um eine „Materialisierung des Vertragsrechts“ zunächst vor allem im Hinblick auf die Legitimität von Einschränkungen der Inhaltsfreiheit geführt.20 Ist der Schritt weg von einem rein formellen Verständnis der Vertragsfreiheit aber erst einmal getan, lässt sich der dergestalt materiell aufgeladene Begriff der Vertragsfreiheit auch zur Begründung von Beschränkungen der Abschlussfreiheit durch Diskriminierungsverbote fruchtbar 18 

Coester, in: Festschrift Canaris, S. 115, 118, 121; Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit, S. 115 ff.; Looschelders, JZ 2012, 105, 106; Thüsing, in: MüKoBGB, Einl. AGG Rn. 38; Riesenhuber/Franck, JZ 2004, 529, 536 f.; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 346 ff.; wohl auch Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, 2015, S. 22 ff. 19  Vgl. hierzu den grundlegenden Beitrag von Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. 20  Als Ausprägungen einer Materialisierung der Vertragsfreiheit wurden etwa die Inhaltskontrolle von Verträgen am Maßstab der §§ 138, 242 bzw. des AGBG (heute §§ 307 ff. BGB) sowie die Einschränkung der Bindung an den geschlossenen Vertrag durch verbraucherschützende Widerrufsrechte in den Blick genommen, vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 295 ff.

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Erster Teil: Die ratio legis

machen. 21 Nach der Lesart der Vertreter einer solchen Auffassung impliziert die Vertragsfreiheit eines jeden Privatrechtsteilnehmers, dass ihm der Abschluss von Verträgen zu üblichen Konditionen nicht aus sachfremden Gründen wie etwa der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verweigert oder nur unter nachteiligen Bedingungen gewährt wird. 22 Die allgemein konsentierte „Freiheit vom Vertragsschluss“ mutiert hierdurch zu einer Freiheit (des Gegenübers) „zum Vertragsschluss“. 23

2. Privatrechtsbezogene Diskriminierungen als Persönlichkeitsverletzung Alternativ zu einer Herleitung von Diskriminierungsverboten aus der (materiell verstandenen) Vertragsfreiheit selbst wird das Recht auf Nichtdiskriminierung im Privatrechtsverkehr von einer im Vordringen befindlichen Auffassung als besondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts qualifiziert.24 Nach dieser Auffassung soll bereits der Ausschluss einer Person von privatrechtlichen Austauschverhältnissen oder die nachteilige Ausgestaltung solcher Vertragsverhältnisse für sich genommen unabhängig vom Vorliegen herabwürdigender Begleitumstände eine Persönlichkeitsverletzung darstellen, welche es durch Diskriminierungsverbote zu unterbinden gelte. Die Qualifikation von Ungleichbehandlungen beim Vertragsschluss als Persönlichkeitsrechtsverletzung entspricht zudem der Sichtweise des BAG. Ausgangspunkt waren zwei viel diskutierte Urteile aus dem Jahr 1989. 25 In diesen Urteilen hatte das Gericht als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH zur fehlenden Unionsrechtskon21  Exemplarisch für diesen Denkschritt Busche, Kontrahierungszwang und Privatautonomie, S. 126: „Die Inanspruchnahme der negativen Vertragsbegründungsfreiheit verstößt sodann gegen den Zweck der Vertragsfreiheit. Wenn die Rechtsordnung als Reaktion darauf dem Vertragsinteressenten einen Anspruch auf Vertragsschluss einräumt und den verweigernden Teil spiegelbildlich einem Kontrahierungszwang unterwirft, geht es der Sache nach nicht um die Aufhebung der Vertragsfreiheit sondern um die Funktionssicherung des Instituts.“ Ein ähnlicher Gedankengang findet sich bei Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 346 ff. und Lauber, Paritätische Vertragsfreiheit, S. 118 ff. 22  Vgl. auch den wegen der Diskontinuität des 15. Deutschen Bundestages nicht weiterverfolgten Referentenentwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) vom 6. Mai 2004, S. 74, wonach „sich die Privatautonomie nur entfalten [kann], wenn die Freiheit des Vertragsschlusses auch realisiert werden kann“. 23  Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 350. 24 Zuerst Salzwedel, in: Festschrift Jahrreiss, 1964, 339, 348; Dix, Gleichberechtigung durch Gesetz, 1984, S. 333, im Hinblick auf den Schutz vor Diskriminierungen nach dem Grundgesetz auch Zuleeg, RdA 1984, 325, 331 (Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 1 GG und Art. 1 GG); Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz und Privatrecht, S. 125 ff.; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, S. 248; Lobinger, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99, 172 ff., dezidierter ders. unlängst in AcP 216 (2016), 28, 84 ff.; Looschelders, JZ 2012, 105, 106 f. 25 BAG, NJW 1990, 65 ff. und BAG NJW 1990, 67 ff.

§ 1 Diskussionsstand

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formität des § 611a BGB in der Fassung vom 21.8.1980 eine Haftung des diskriminierenden Arbeitgebers wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus § 823 I BGB iVm Art. 1, 2 Abs. 1 GG hergeleitet.26 Diese Auffassung wurde im Schrifttum vielfach geteilt27. Folgerichtig wurde nach der Anpassung des § 611a aF BGB an die unionsrechtlichen Vorgaben auch dieser Norm 28 und später den Diskriminierungsverboten des AGG29 eine persönlichkeitsschützende Zielsetzung zugesprochen. Im Hinblick auf das AGG scheint dies auch der heutigen Sichtweise des BAG zu entsprechen. Zwar steht dieser Feststellung auf den ersten Blick der Leitsatz eines Urteils aus dem Jahr 2009 entgegen, wonach der Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2 AGG gerade keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfordert.30 Aus den Entscheidungsgründen wird aber deutlich, dass letzteres nur für eine „erhebliche“ Persönlichkeitsverletzung in Form einer „Herabwürdigung“ gelten soll.31 Gerade das Vorliegen einer solchen „qualifizierten“ Persönlichkeitsrechtsverletzung hatte nämlich das BAG im Rahmen der von ihm zwischenzeitlich praktizierten Herleitung eines Schadensersatzanspruchs des Diskriminierungsopfers aus § 823 Abs. 1 BGB in Anlehnung an seine allgemeine Rechtsprechung zur Entschädigung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen gefordert.32 Seit der Anpassung des nunmehr in §§ 7, 15 AGG aufgegangenen § 611a aF BGB an die Anforderungen des Unionsrechts bedarf es allerdings des Umwegs über das Deliktsrecht zur Begründung einer Entschädigung des Diskriminierungsopfers nicht 26  BAG NJW 1990, 65, „Im Arbeitsleben hat jeder Arbeitnehmer das Recht, nach sachangemessenen Maßstäben beurteilt zu werden. Ein Arbeitgeber, der bei der Auswahl zu Unrecht auf das Geschlecht abstellt, beeinträchtigt die Entfaltungsmöglichkeiten der Bewerber, die dem gesuchten Geschlecht nicht angehören. Darin liegt eine Herabwürdigung der beruflichen Fähigkeiten der ausgeschlossenen Bewerber. Sie werden bei der Bewerbung um Einstellung daran gehindert, die erstrebte Berufstätigkeit aufzunehmen, und damit ihre individuelle Persönlichkeit zu entfalten, indem ihnen die chancengleiche Teilnahme an einem Auswahlverfahren von vornherein verweigert wird. In der Benachteiligung eines Menschen aufgrund seines Geschlechts liegt zugleich eine Verletzung seiner Würde als Person. … Eine geschlechtsbezogene Diskriminierung verletzt regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dessen Inhalt für den Zugang zum Arbeitsverhältnis durch § 611a I konkretisiert wird.“ 27  Beyer/Möllers, JZ 1991, 24, 28 ff.; Wisskirchen, Mittelbare Diskriminierung, S. 149; weitere Fundstellen bei Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 125, dort Fußnote 1. Kritisch aber Kandler, Sanktionsregelungen, S. 149 ff. 28  Koppenfels, WM 2002, 1489, 1492. 29  So dezidiert Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 125 ff.: AGG als „Persönlichkeitsschutzgesetz“; ähnlich Adomeit/Mohr, AGG, § 3 AGG Rn. 15; Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 AGG Rn. 47; Lobinger, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99 ff.; ders. unlängst AcP 216 (2016), 28, 84 ff., G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1094. 30  BAG NZA 2009, 945; zweifelnd im Hinblick auf die Aussage des Urteils auch Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 127. 31  BAG NZA 2009, 945, 951. 32  BAG NJW 1990, 65, 66.

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Erster Teil: Die ratio legis

mehr.33 Anspruchsgrundlage ist nunmehr allein § 15 AGG iVm § 7 AGG, welcher neben der Ungleichbehandlung keine weiteren Voraussetzungen für eine Entschädigung des Diskriminierungsopfers nennt. Genau hierauf bezieht sich die Aussage des BAG, wonach für eine Haftung nach §§ 15, 7 AGG eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung im Sinne der Rechtsprechung zur Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB keine Voraussetzung sei. Eine Abkehr des Gerichts von der Wertung privatrechtsbezogener Diskriminierungen als Persönlichkeitsverletzungen lässt sich der Aussage dagegen nicht entnehmen. Vielmehr folgt – im Gegenteil – aus dem Verzicht auf das Vorliegen einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung, dass das Gericht die Ungleichbehandlung im Sinne des § 7 AGG bereits für sich genommen als einfache Persönlichkeitsverletzung ­wertet.34

II. Herleitung von Diskriminierungsverboten aus dem Gedanken sozialstaatlicher Teilhabesicherung Gänzlich ohne Rückgriff auf individuelle Rechtspositionen kommt schließlich ein weiterer Erklärungssansatz aus, wonach privatrechtliche Diskriminierungsverbote als Ausprägungen sozialstaatlicher Existenz- und Teilhabesicherung gerechtfertigt sind.35 Zentraler Gedanke hinter diesem Ansatz ist nicht ein Recht des Individuums auf Gleichbehandlung im gesellschaftlichen Kontext, sondern vielmehr die Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft am Sozialleben (social inclusion). Da dieses Ziel durch die strukturelle Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsteile gefährdet scheint, sollen Diskriminierungen in den für die soziale Teilhabe relevanten Lebensbereichen bekämpft werden und hierzu auch Private neben dem Staat in die Pflicht genommen werden.

33  Vgl. BAG NZA 2009, 945, 951: „§ 15 II AGG enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch, so dass nicht die Grundsätze, die für einen Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, anzuwenden sind. Nach diesen leitet sich aus § 823 I BGB i.V.m. Art. 2 I und 1 I GG ein Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens nur aus einer schwerwiegenden Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts her.“ 34  Zu den Folgen dieser Sichtweise für die Feststellung eines immateriellen Schadens siehe unten Vierter Teil § 2 B. II. 4. b). 35  Collins, Modern L. Rev. 66 (2003) 16 ff.; wohl auch Neuner, JZ 2003, 57 ff. Auch Bell, Antidiscrimination Law, S. 12 f. sieht in dem Gedanken der Teilhabe (social inclusion) ein wesentliches Motiv für privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote, argumentiert aber in anderem Zusammenhang auf einer gleichheitlichen Basis.

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§ 2 Analyse und Bewertung Eine Analyse und Bewertung der Valenz der unterschiedlichen Erklärungsansätze für die in Deutschland geltenden unional determinierten Diskriminierungsverbote muss bei den alternativen, nicht-egalitaristischen Erklärungsansätzen ihren Ausgang nehmen. Denn diese sind es, die von ihren Verfechtern gegen die etablierten, schon in thematischer Hinsicht näherliegenderen egalitaristischen Erklärungsansätze in Stellung gebracht werden. Die nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze stehen daher in einer Bringschuld, das bestehende Antidiskriminierungskonzept besser zu erklären und zu rechtfertigen, als dies ein klassisch egalitaristischer Ansatz vermag. Dies entspricht offensichtlich auch der Sichtweise von Grünberger, der den nicht-egalitaristischen Ansätzen in seiner Habilitationschrift ein insgesamt vernichtendes Urteil ausstellt und ihnen die Fähigkeit zur Erklärung der lex lata rundweg abspricht.36 Ob dieses Urteil in seiner Pauschalität tatsächlich Bestand haben kann, soll nachfolgend in Bezug auf die einzelnen alternativen Erklärungsansätze untersucht werden.

A. Defizite der nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze Beginnt man hierbei mit dem zuletzt dargestellten, an die Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe anknüpfenden Erklärungsansatz, so scheint sich dieser Ansatz auf den ersten Blick als untauglich zu erweisen, das bestehende, unional determinierte Antidiskriminierungsrecht konzeptionell zu erklären. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man Teilhabesicherung im Sinne eines klassischen sozialstaatlichen Verständnisses als Sicherung eines minimalen Lebenstandards definiert. Denn ein solches Ziel vermag allenfalls einen begrenzten Kontrahierungszwang zur Versorgung mit gleichermaßen existenziellen wie knappen Gütern und Dienstleistungen, nicht aber das den Antidiskriminierungsregelungen immanente, den Güter und Dienstleistungsmarkt ebenso wie den Arbeitsmarkt umfassende Prinzip privatrechtlicher Gleichbehandlung zu erklären.37 So stellt 36 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 550 ff. Britz, VdVdDSL 64 (2005) S. 355, 386 ff.; Grünberger, Personale Gleichheit. S. 557, der zudem an gleicher Stelle zu Recht darauf hinweist, dass die Untauglichkeit des sozialstaatlichen Legitimationsansatzes zur Erklärung des bestehenden Antidiskriminierungsregimes 37 

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sich etwa die Verweigerung eines Vertragsschlusses wegen eines in § 1 AGG genannten Unterscheidungsmerkmals nicht nur dann als Verstoß gegen das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot gemäß § 19 AGG dar, wenn Gegenstand des begehrten Vertrages der Kauf von Grundnahrungsmitteln oder die Miete einer Wohnung ist. Verboten sind vielmehr auch Diskriminierungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Luxusgütern oder dem Angebot exklusiver Dienstleistungen. Ferner ist es für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot unschädlich, dass der Diskriminierte hinsichtlich des begehrten Gutes oder der begehrten Dienstleistung unter zumutbaren Bedingungen auf andere Anbieter ausweichen kann.38 Entscheidend ist vielmehr allein, dass der Diskriminierte wegen eines verpönten Unterscheidungsmerkmals anders behandelt wird als eine (fiktive) Vergleichsperson. Ein solches komparatives Element ist dem allein auf Beseitigung materieller Mangellagen ausgerichteten Sozialstaatsprinzip klassischer Prägung fremd.39 Dies heißt aber noch nicht, dass sich die Existenz der unional determinierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote nicht gleichwohl mit dem Gedanken der Teilhabesicherung als solcher begründen ließe, wenn man unter Teilhabesicherung, wie die Vertreter dieses Ansatzes, nicht nur die Gewährleistung des Existenzminimums, sondern die Gewährleistung gleichen Zugangs zu allen für die Teilhabe am Sozialleben relevanten Gütern verstünde. Es würde hier somit gerade nicht, wie von den Kritikern dieses Ansatzes offensichtlich unterstellt, um die quantitative Gewährleistung eines Minimums solcher Güter durch den Staat oder Einzelne gehen, sondern darum, dass diese „Güter“, worunter man in einem weiteren Sinne auch die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit zählen muss, allen Personen grundsätzlich gleichermaßen zur Verfügung stehen. Damit schließen sich Teilhabe und Gleichbehandlung als Erklärungsansätze für das bestehende Antidiskriminierungsrecht nicht aus. Sie ergänzen sich vielmehr dahingehend, dass der Aspekt der Teilhabesicherung den Bereich markiert, in dem das Prinzip der Gleichbehandlung zum Tragen kommen soll. Die gegenständliche Beschränkung des Anwendungsbereichs auf das Erwerbsleben und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen lässt sich auf diese Weise trefflich erklären. Auch die freiheitlichen Erklärungsansätze sind im Ausgangspunkt durchaus geeignet, das bestehende unional determinierte Antidiskriminierungskonzept konzeptionell zu erklären. Dies gilt zunächst für die Herleitung von Diskriminierungsverboten aus der materiell verstandenen Vertragsfreiheit des Diskriminierungsopfers. Denn der Freiheitsverstoß soll hier ja gerade in der Ungleichbehandlung als solcher bestehen. Aus dem gleichen Grund erscheint auch von den Vertretern dieses Ansatzes bisweilen selbst eingeräumt wird; vgl. insoweit Collins, Modern L. Rev. 66 (2003) 16, 42: „the current law does not fit precisely with the principles suggested by the aim of social inclusion.“ 38  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 557. 39  Britz, VdVdDSL 64 (2005) S. 355, 389 f.; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 557.

§ 2 Analyse und Bewertung

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die Qualifikation des Ausschlusses des Diskriminierungsopfers von kommerziellen Austauschprozessen als Persönlichkeitsrechtsverletzung zunächst plausibel. Zwar wird letzteres von einigen Autoren unter Verweis auf bestimmte Ausprägungen des Diskriminierungsschutzes wie etwa die Beschränkung auf bestimmte Unterscheidungsmerkmale40 oder die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung41 geleugnet. Diese Sichtweise basiert aber allein auf der Gleichsetzung einer Persönlichkeitsverletzung mit einem herabwürdigenden Verhalten im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß § 823 Abs. 1 BGB.42 Ein solches enges Verständnis des Begriffs Persönlichkeitsverletzung legen die Vertreter des persönlichkeitsrecht­ lichen Ansatzes jedoch gerade nicht an den Tag. Vielmehr gründet die konzeptionelle „Stärke“ dieses Ansatzes ja darauf, dass die Ungleichbehandlung für sich genommen als Persönlichkeitsverletzung qualifiziert wird. Die bisherige Rechtsprechung des BGH zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht stellt insoweit, wie Bader zu Recht feststellt, keinen limitierenden Faktor dar, weil der Gesetzgeber in der Kodifizierung neuer Arten der Persönlichkeitsverletzung frei ist.43 Die vermeintliche konzeptionelle Stärke eines solchen flexiblen Ansatzes markiert aber zugleich seine wesentliche argumentative Schwäche. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der genannte Ansatz eine alternative Erklärung für das bestehende unional determinierte Antidiskriminierungsrecht liefern soll, die ohne Bezugnahme auf den Aspekt der Gleichheit auskommt. Indem nämlich der Begriff der Persönlichkeitsverletzung von dem klassischen Erfordernis einer Herabwürdigung der Person im Sinne der bisherigen Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB entkoppelt und mit der Ungleichbehandlung als solcher gleichgesetzt wird, mutiert dieser Begriff letztlich zu einer leeren Hülle ohne eigene Aussagekraft. Denn es bedarf ja auch nach dieser Lesart zuerst der Feststellung eines Gleichheitsverstoßes, um hierauf einen nicht-egalitaristischen Erklärungsansatz aufbauen zu können. Letzteren Vorwurf muss sich auch der Ansatz gefallen lassen, wonach die gleichheitswidrige Verweigerung eines Vertragsschlusses einen Verstoß gegen eine materiell verstandene Vertragsfreiheit des Diskriminierungsopfers darstellen soll. Die Gleichsetzung von Ungleichbe40  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 557; Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 111. 41  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 557. 42  Exemplarisch für diese Sichtweise sind die Ausführungen von Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 111 f., wonach eine Diskriminierung den Eigenwert der Person nur dann in Frage stellt, wenn die Diskriminierung nach den konkreten Umständen zum Ausdruck bringt, dass der Betroffene als Mensch zweiter Klasse eingestuft wird. 43  Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 137. Der hiergegen vorgebrachte Einwand von Grünberger, Personale Gleichheit, S. 555, dass die Kodifikation einer neuen Art von Persönlichkeitsverletzung im AGG erst zu beweisen wäre, verfängt dagegen nicht, weil sich die Aussage Baders nur gegen eine Zementierung des Begriffs der Persönlichkeitsverletzung durch die lex lata richtet.

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Erster Teil: Die ratio legis

handlung und Freiheitsverstoß fordert hier zudem einen hohen dogmatischen Preis, indem zur Begründung dieser Sichtweise auf den für die so genannten Ungleichgewichtslagen entwickelten Materialisierungsgedanken zurückgegriffen werden muss, der schon für sich genommen mit einer Überdehnung des klassischen Verständnisses von Freiheit einhergeht und zu einem Zusammenprall formeller Abwehrgehalte und materieller Schutzgehalte innerhalb derselben Freiheitsverbürgung führt. Darüber hinaus unterscheidet sich die Verweigerung eines Vertragsschlusses auch in inhaltlicher Hinsicht von den Ungleichgewichtslagen.44 Während es bei letzteren um den Schutz der intellektuell, informationell oder materiell unterlegenen Vertragspartei vor der Bindungswirkung des geschlossenen Vertrages und damit letztlich um einen Schutz vor sich selbst geht, sollen Diskriminierungsverbote gerade das Nichtzustandekommen eines Vertrages zu äquivalenten Bedingungen ahnden. Der Schritt vom Schutz der unterlegenen Vertragspartei vor der Selbstbindung zur Etablierung eines nicht an eine strukturelle Unterlegenheit geknüpften „Rechts auf die Verfügbarkeit eines kontrahierungswilligen Vertragspartners“45 erscheint mithin keinesfalls zwingend.46 Solche Friktionen sind zwar im Hinblick auf eine Deutung der bestehenden unional determinierten Diskriminierungsverbote als Gewährleistung sozialer Teilhabe nicht zu besorgen. Es stellt sich aber letztlich auch hier das Problem, dass die konzeptionelle Eignung des Erklärungsansatzes mit der Zugrundelegung eines weiten, gleichheitsbezogenen Begriffsverständnisses von Teilhabe erkauft wird und damit ebenfalls nicht ohne den Rekurs auf gleichheitliche Argumentationsmuster auskommt. Die soben getroffenen Feststellungen zeigen das Dilemma auf, mit welchem sich die Vertreter nicht-egalitaristischer Ansätze konfrontiert sehen. Einerseits kommt diesen Ansätzen der Verdienst zu, die herkömmlichen egalitaristischen Erklärungsansätze für das bestehende Antidiskriminierungsrecht um weitere, wichtige Facetten zu ergänzen und damit als solche erst handhabbar zu machen. Denn die Charakterisierung privatrechtlicher Diskriminierungsverbote als Gleichheitsverbürgungen bleibt unvollständig, wenn nicht geklärt wird, warum Privatrechtssubjekte gerade in den geregelten Kontexten gleichzubehandeln sind. Hier liefern sowohl der persönlichkeitsrechtliche als auch der teilhaberechtliche Ansatz wertvolle Erklärungen für den aktuellen Normbestand. Sieht man etwa in der Verweigerung eines Vertragsschlusses eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, so ist ein Diskriminierungsverbot im privaten Kontext (Ehe und Familie) schon deshalb nicht geboten, weil der Herabsetzungscharakter insoweit deutlich geringer zu veranschlagen ist und deshalb hinter der Pri44  Britz, VdVdDSL 64 (2005) S. 355, 388 f.; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 93 ff. 45  So die überspitzte aber treffende Qualifikation von Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 92 (Überschrift) und S. 98. 46  Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 93 ff.

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vatautonomie des Verbotsadressaten zurücktreten muss.47 Noch einleuchtender erscheint insoweit der teilhaberechtliche Ansatz, weil, wie zu zeigen sein wird,48 nur dieser Ansatz erklären kann, warum zwar die Anbieter teilhaberelevanter „Güter“ (einschließlich Arbeit!) vom Diskriminierungsverbot erfasst sind, nicht aber die Nachfrager solcher Güter. Die nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze stoßen aber dort an ihre Grenzen, wo sie darauf angelegt sind, die egalitaristischen Erklärungsansätze nicht nur zu ergänzen sondern zu ersetzen. Denn ungeachtet ihres konkreten Anwendungsbereichs sind die unional determinierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote gerade auf Gleichbehandlung aller Vertragspartner oder Vertragsaspiranten angelegt und weisen damit das für Gleichheitsgebote typische komparative Element auf, welches sich freiheits- oder teilhaberechtlich nicht erschließen lässt, ohne wiederum gleichheitliche Argumentationsmuster zu bemühen. Es geht eben bei der Sicherung von Teilhabe klassischerweise darum, dem einzelnen abstrakt die soziale Teilhabe durch Zurverfügungstellung bestimmter Güter oder Mittel zu ermöglichen und auch der Schutz von Freiheitsrechten wie etwa dem Persönlichkeitsrecht erfolgt primär bezogen auf das einzelne Individuum, ohne dass die Behandlung anderer Personen für die Reichweite dieses Schutzes relevant wäre. Das unionsrechtlich determinierte Antidiskriminierungsrecht stellt dagegen nicht die Integrität einer einzelnen Person in den Vordergrund, sondern es nimmt die Behandlung von Personen stets nur im Verhältnis mit der Behandlung anderer Personen in den Blick und erfasst insoweit sogar, nach den vom EuGH im Urteil Feryn getroffenen Aussagen, Fallkonstellationen, in denen es an einem individuellen Diskriminierungsopfer fehlt und sich der Vorwurf in der bloßen Existenz einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime erschöpft.49 Das letztgenannte Urteil und seine Folgen für die Dogmatik des Tatbestands der unmittelbaren Diskriminierung werden erst an späterer Stelle eingehend analysiert.50 An dieser Stelle soll die Feststellung genügen, dass nur ein die Ungleichbehandlung als solche in den Blick nehmender, gleichheitlicher Ansatz eine hinreichende Erklärung für das geltende unional determinierte Antidiskriminierungsrecht zu liefern vermag. Ein klassisch-freiheitlicher oder teilhaberechtlicher, auf die Person des Diskriminierten fokussierter Erklärungsansatz muss hier scheitern. Im Ergebnis ist Grünberger mithin in seinem Urteil beizupflichten, dass die nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze nicht dazu geeignet sind, das Konzept des unionalen 47  Vgl. hierzu die eingehende, auf Grundlage des deutschen Verfassungsrechts vorgenommene Analyse bei Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz S. 226 ff.; ähnlich für die unional determinierten arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbote des AGG Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 125 ff. 48  Siehe unten Dritter Teil § 2 B. I. 2. 49 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 22 ff. – Feryn. 50  Siehe unten Dritter Teil § 2 C. II. 4. c).

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Antidiskrimierungsrechts in seinem auf Gleichbehandlung angelegten Wesen vollständig zu erfassen. Anders als Grünberger meint, sind diese Ansätze damit aber gleichwohl nicht wertlos, sondern es bedarf ihrer zur Erklärung der gegenständlichen Beschränkung der bestehenden Diskriminierungsverbote, die sich allein aus dem Gedanken der Gleichheit nicht erschließt.

B. Die Flucht in nicht-egalitaristischen Erklärungsansätze als Ausdruck der Ablehnung einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit I. Die deutsche Angst vor dem Totalitarismus Bei allem Mehrwert, welcher den nicht-egalitaristischen Erklärungsansätzen im Hinblick auf die Erschließung des aktuellen Normbestands zuzuerkennen ist, bleibt aber die Feststellung bestehen, dass diese Ansätze die ihnen zugedachte Funktion einer Ersetzung egalitaristischer Erkärungsansätze ohne Rekurs auf gleichheitliche Argumentationsmuster nicht zu erfüllen vermögen. Worin liegt dann aber die Motivation für die Etablierung solcher „gleichheitlicher Erklärungsansätze in freiheitlichem Gewand“51, wenn sich dasselbe oder gar ein überzeugenderes Ergebnis mit geringerem Argumentationsaufwand unter unmittelbarem Rückgriff auf das Gleichheitsprinzip begründen ließe? Der Versuch einer Beantwortung dieser Frage lenkt den Blick zurück auf die mit dem egalitaristischen Begründungsansatz als solchem verbundene Frage nach der Anerkennung einer gesellschaftlichen Dimension der Gleichheit. Die Frage, die man mit Fug und Recht als Kernfrage des Antidiskriminierungsrechts bezeichnen kann, ist so alt wie dieses Rechtsgebiet selbst. Sie stellte sich erstmals in den USA angesichts fortdauernder privater Diskriminierungen, welcher sich Bürger afrikanischer Herkunft auch nach der Abschaffung der Sklaverei und der damit einhergehenden Gewährung von Rechtsgleichheit ausgesetzt sahen.52 Der von Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bundesstaat und Einzelstaaten überlagerte Streit um die Etablierung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote zog sich über 100 Jahre hin und wurde erst mit dem Erlass des Civil Rights Act 1964 endgültig positiv entschieden. In Deutschland wird dagegen die Diskussion über die gesellschaftliche Dimension der Gleichheit, die hier vor allem die Drittwirkung der einzelnen Absätze des Artikels 3 GG betrifft,53 bis heute geführt und erlebte jüngst sogar eine deutliche Wiederbelebung im Zusammen51 

So die treffende Umschreibung von Grünberger, Personale Gleichheit, S. 553. Instruktiv hierzu der grundlegende, mit zahlreichen Quellen aus Rechtsprechung und Schrifttum untermauerte historische Abriss von Grünberger, Personale Gleichheit, S. 116– 212. 53 Ausführlich dazu Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 107–226; 52 

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hang mit der Pflicht zur Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation und der Schaffung des AGG.54 Die Heftigkeit der Debatte und die Schärfe der gegen die Einführung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote vorgebrachten Argumente machen dabei deutlich, dass die Idee einer gesellschaftlichen Dimension von Gleichheit nach wie vor von Teilen der deutschen Wissenschaft und Gesellschaft als nicht erstrebenswert oder gar totalitaristisch abgelehnt wird.55 Dies manifestiert sich etwa in der Charakterisierung eines auch Privatpersonen einbeziehenden Konzepts von Gleichheit als „Gesinnungsrecht“56 oder „Instrument sozial- und moralpädagogischer Verhaltenssteuerung.“57 Vor diesem Hintergrund erklärt sich dann auch, dass überwiegend im deutschen Schrifttum nicht-egalitaristischen gegenüber egalitaristischen Erklärungsansätzen für die im AGG geregelten Diskriminierungsverbote der Vorzug gegeben wird, bewegt man sich doch mit dem Versuch einer Einbindung dieses neuen Phänomens in das System des zivilrechtlich verankerten Integritätsschutzes oder der sozialstaatlichen Teilhabe­sicherung in (vermeintlich) vertrauten Bahnen.

II. Alte Schlachten, neues Schlachtfeld? – vom nationalen Umsetzungsrecht zur unionalen Regelungsvorgabe 1. Das Unionsrecht als zwingender Bezugspunkt für die Ergründung der ratio legis des deutschen Antidiskriminierungsrechts Die nationale Schlagseite der Diskussion um die ratio legis des privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes in Deutschland verwundert allerdings angesichts der Tatsache, dass die entsprechenden Vorschriften des deutschen Rechts unmittelbar oder mittelbar durch Vorgaben des Unionsrechts determiniert sind. Denn mit der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben in das vgl. ebenfalls Britz, VdVdDSL 64 (2005) S. 355, 360 ff. mit zahlreichen Nachweisen zum Streitstand. 54  Siehe dazu oben Einleitung, § 1. 55  Dies wird besonders deutlich bei Lobinger, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99, 114 ff.; kritisch im Hinblick auf die Verengung speziell der deutschen Debatte Lauber, in: Schulze, Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 181, 183: „The academic debate surrounding the sensitive subject of non discrimination law has therefore too often led in an emotional and prejudiced way along the beaten tracks.“ 56  Vgl. etwa von Medem, Kündigungsschutz, S. 54, der einen materiell-rechtlichen Vergleichbarkeitstest im Rahmen des Diskriminierungstatbestands für ein geeignetes Instrument hält, die Gefahr eines „reinen Gesinnungsrechts“ zu reduzieren. Auch das BAG betont, dass der Schutzzweck des AGG nicht darin bestehe, „eine unredliche Gesinnung des (potenziellen) Arbeitgebers zu sanktionieren, sondern vor ungerechtfertigter Benachteiligung zu schützen“. 57  Lobinger, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99, 122 f., ders. AcP 216 (2016), 28, 83.

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Erster Teil: Die ratio legis

nationale Recht hat der deutsche Gesetzgeber zugleich die diesen Vorgaben immanente ratio legis für das deutsche Recht übernommen.58 Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die unmittelbar durch die Antidiskriminierungsrichtlinien vorgegebenen Regelungen, sondern auch für diejenigen Regelungen, durch welche der Gesetzgeber das in den Richtlinien nur für bestimmte Unterscheidungsmerkmale vorgegebene Verbot der Diskriminierung im allgemeinen Privatrechtsverkehr auf weitere Unterscheidungsmerkmale ausgedehnt hat. Zwar entsprach diese „überschießende Umsetzung“ einer national-autonomen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers.59 Es ist aber nicht davon auszugehen, dass dieser Entscheidung eine andere Zielsetzung zugrunde lag als die Zielsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben, an deren Umsetzung die weitergehende Entscheidung des Gesetzgebers anknüpft. Im gesamten Bereich des deutschen Antidiskriminierungsrechts kommt somit weder der in Deutschland geführten Diskussion um die Legitimation von Diskriminierungsverboten noch der hiermit eng verknüpfte Frage nach den diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Vorgaben Bedeutung zu. Wie Jestaedt in Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht treffend festgestellt hat, scheint allerdings „Teilen sowohl der Zivil- als auch der Verfassungswissenschaft der Umstand des weitgehenden Maßstabwechsels – vom nationalen Verfassungsrecht hin zum Gemeinschaftsrecht – noch nicht recht bewusst geworden zu sein.“60 Überspitzt ließe sich auch feststellen, dass die deutsche Abwehrschlacht um die Zulässigkeit privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote lange Zeit auf dem nationalen Nebenkriegsschauplatz geschlagen wurde, während die diesbezügliche Entscheidung auf dem unionsrechtlichen Hauptkriegsschauplatz – von den Protagonisten bisweilen unbemerkt – längst gefallen war.

2. Rückzugsgefechte auf verlorenem Posten – Der Versuch einer nicht-egalitaristischen Deutung unionaler Regelungsvorgaben und die Gründe seines Scheiterns Auch wenn sich inzwischen, jedenfalls formell, die Einsicht durchgesetzt zu haben scheint, dass dem Unionsrecht und nicht dem nationalen Recht die Deutungshoheit für die ratio legis der in Deutschland geltenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote zukommt, so scheint sich mit dieser Einsicht doch zunächst nur der Kampf um eine nicht-egalitaristische Lesart des Antidiskriminierungsrechts auf die unionsrechtliche Ebene verlagert zu haben. 58  Die Übernahme des Begründungsansatzes des Unionsgesetzgebers durch den deutschen Gesetzgeber kommt in den Materialien zum AGG schon dadurch zum Ausdruck, dass an vielen Stellen auf die Erwägungsgründe der Richtlinien oder die dahinter stehende Rechtsprechung des EuGH Bezug genommen wird bzw. diese sogar unmittelbar übernommen werden, vgl. z.B. BT-Drs. 16/1780 S. 31, 35, 42 f., 46. 59  Näher dazu unten Zweiter Teil § 2 B. I. 2. 60  Jestaedt, VdVdDSL 64 (2005) S. 298, 304, dort Fußnote 27.

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Den Versuch, auf der Ebene des Unionsrechts einen nicht-egalitaristischen, am Schutz der Persönlichkeit orientierten Erklärungsansatz zu entwickeln, hat unlängst Lobinger im Rahmen eines grundlegenden Beitrags zu den Perspektiven der Privatrechtsdogmatik unternommen.61 Ausgangspunkt seiner, hier stark verkürzt wiedergegebenen Argumentation ist die Frage, welche Funktion einer klassischen, am Gesamtsystem des Privatrechts orientierten Privatrechtsdogmatik angesichts der zunehmenden Durchdringung des deutschen Privatrechts mit Rechtsnormen europäischer Provenienz zukommen kann. Als Gefahren für den Fortbestand einer nationalen Dogmatik im Mehrebenensystem benennt Lobinger dabei zum einen die Zerstörung des Ideals einer in sich konsistenten und nach innerer Widerspruchsfreiheit strebenden Rechtsordnung dadurch, dass das Recht nicht mehr gleichsam nur aus einer Hand zu kommen scheint.62 Zudem beförderten Einspeisungen aus anderen, höheren Rechtsebenen aus Rechtsbereichen, für die sich der Zivilist von Hause aus nicht zuständig fühle und in denen er nur dilettieren könne, einen Rechtsprechungspositivismus in Form einer Bereitschaft, praktisch wirksam gewordene Erkenntnisse aus diesen Bereichen als gegebene Daten für seine eigene Arbeit kurzerhand zu übernehmen.63 Für eine solche Kapitulation der klassischen Privatrechtsdogmatik sieht Lobinger indes keinen Anlass. Zum einen bestehe im Rahmen der Auslegung nationaler Rechtsnormen nach wie vor ein originärer Raum bei der Erkennntis des nationalen Rechts.64 Zum anderen eröffne aber auch das Unionsrecht selbst die Möglichkeit, unionale Vorgaben möglichst bruchlos in das in sich konsistente nationale Zivilrechtssystem einzufügen. Als Vehikel für ein solches Unterfangen nennt Lobinger zum einen Artikel 288 Abs. 3 AEUV, wonach die Wahl der Form und der Mittel der Zielverwirklichung explizit den Mitgliedstaaten überlassen bleibe.65 Die nationalen Gerichte, vor allem aber der nationale Gesetzgeber, seien dazu aufgerufen, belassene Spielräume selbstbewusst zu schützen und nicht jeden möglichen Konflikt mit Luxemburg zu scheuen.66 Nur auf diese Weise lasse sich die Akzeptanz des Integrationsprojekts sicherstellen.67 Zum anderen empfiehlt Lobinger (er nennt dies ein Postulat), mit der klassischen privatrechtsdogmatischen Methode das Unionsprivatrecht zu erschließen und aufzubereiten. Dies sei trotz rechtskultureller Unterschiede möglich, weil es beim Unionsrecht um ein grundsätzlich textlich verfasstes, mit eigenem Verbindlichkeitsanspruch ausgestattetes Ordnungssystem handele, dessen Aussagen vom

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Lobinger, AcP 216 (2016), 28 ff. Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 67 f. 63  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 68. 64  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 74 ff. 65  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 76 f. 66  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 76. 67  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 76. 62 

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Erster Teil: Die ratio legis

Rechtsanwender zu erschließen und nicht eigenmächtig zu erschaffen seien.68 Im Anschluss an seine allgemeinen Ausführungen zur Rolle der nationalen Zivilrechtsdogmatik versucht Lobinger auf der Basis der von ihm aufgestellten Postulate, die ratio legis (von ihm „systematisches Vorverständnis“ genannt) der in Deutschland geltenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote zu ergründen. Er stellt dabei drei mögliche Lesarten einander gegenüber,69 eine persönlichkeitsrechtlich-integritätsschützende, eine verteilungs-integrationspolitische und eine sozial- oder moralpädagogische Lesart. Wenig überraschend favorisiert Lobinger hierbei, wie schon im Rahmen früherer Beiträge70 die persönlichkeitsrechtlich-integritätsschützende Lesart.71 Er begründet dies damit, dass nur eine solche Lesart sich nahtlos in das in Deutschland überkommene Zivilrechtssystem einfüge, während dies im Hinblick auf eine verteilungs- und integrationspolitische Lesart allenfalls in Randbereichen der Fall sei und eine rein moralpädogisch ausgerichtete Lesart hierzu gänzlich im Widerspruch stehe.72 Im letzten Teil seines Beitrags erprobt und bestätigt Lobinger das von ihm aus der Dogmatik des deutschen Zivilrechts gewonnene persönlichkeitsrechtliche „Vorverständnis“ des unionalen Antidiskriminierungsrechts anhand der konkreten Ausgestaltung der Diskriminierungsverbote des AGG und der entsprechenden unionalen Vorgaben. Auf diesen letzten Teil der Argumentation von Lobinger braucht hier nicht mehr eigens eingegangen zu werden, weil hinsichtlich der fehlenden konzeptionellen Eignung nicht-egalitaristischer Ansätze zur Erklärung des geltenden Antidiskriminierungsrechts bereits oben das Notwendige gesagt wurde. Unerlässlich für die weitere Untersuchung ist allerdings eine Auseinandersetzung mit der Art und Weise, auf welche sich Lobinger sein „Vorverständnis“, also letztlich die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts erarbeitet; steht diese Vorgehensweise doch stellvertretend für eine im Schrifttum verbreitete, hier bereits zu Beginn der Arbeit in Frage gestellte Herangehensweise, die bei der methodischen Erfassung unionsrechtlicher Regelungsinhalte dem eigenen nationalen Systemverständnis verhaftet bleibt und sich hierdurch der Möglichkeit begibt, die unionsrechtliche Materie zunächst aus sich heraus zu erschließen. Die hieraus resultierenden Missverständnisse hinsichtlich des Regelungsanliegens dieser Materie münden dann nur allzu oft entweder in einer vorschnellen Kritik an der Materie als solcher oder in dem Versuch, vermeintliche „Abirrungen“ vom national definierten Regelungsanliegen mit Hilfe der

68 

Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 77. Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 82 f. 70  Lobinger, in: Isensee, Vertragsfreiheit und Diskriminierung, S. 99, 122 f. 71  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 84 ff. 72  Lobinger, AcP 216 (2016), 28.

69 

§ 2 Analyse und Bewertung

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nationalen Dogmatik „einzufangen“.73 Dies soll, auch zur Bestätigung der eigenen Vorgehensweise, im Folgenden kurz verdeutlicht werden. Beizupflichten ist Lobinger in seinem Ausgangsbefund, dass die zunehmende Durchdringung des nationalen Privatrechts mit Regelungen unionaler Provenienz einer auf Wahrung der Einheit des Systems angelegten dogmatischen Erschließung des Gesamtsystems nicht förderlich ist.74 Friktionen des Neuen mit dem Gewachsenen ergeben sich in nahezu allen Bereichen, wo unionsrechtliche Vorgaben zum Erlass privatrechtsregelnder Normen zwingen. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreben von Lobinger im Ansatz legitim, zur Vermeidung oder wenigstens Abmilderung solcher Friktionen auf Instrumentarien zurückzugreifen, die das Unionsrecht selbst zu diesem Zwecke zur Verfügung stellt. Im Fokus steht dabei in der Tat die den Mitgliedstaaten in Artikel 288 Abs. 3 AEUV eingeräumte Wahl von Form und Mittel bei der Umsetzung von Richtlinien in das nationale Rechtssystem; dient diese doch gerade der Gewährleistung einer möglichst schonenden Einpassung unionaler Normvorgaben in das nationale Rechtssystem.75 Die Grenze des den Mitgliedstaaten eingeräumten Umsetzungsspielraums ist freilich dort zu verorten, wo das Richtlinienziel durch eine zu weitgehende Rücksichtnahme auf nationale Eigenheiten nicht mehr erreicht wird.76 Die fehlende Vereinbarkeit dieses Ziels mit den dogmatischen Eigenheiten des nationalen Rechts ist somit kein Freifahrtschein für mitgliedstaatliche Renitenz bei der Umsetzung von Richtlinien. Als problematisch erscheint in diesem Zusammenhang daher bereits die von Lobinger an den nationalen Gesetzgeber adressierte Ermutigung, öfter die bestehenden Grenzen auszutesten und den Konflikt mit Luxemburg zu suchen, um hierdurch die Akzeptanz des Unionsrechts im Inland zu befördern. Denn wenn erst der bewusst in Kauf genommene Rechtsbruch die Akzeptanz der EU in den Mitgliedstaaten befördert, ist es um den Bestand der EU wahrlich schlecht bestellt. Darüber hinaus bedarf die Feststellung, wo die Grenzen des nationalen Umsetzungsspielraums liegen, ohnehin zunächst der Vergewisserung über das Richtlinienziel, um dessen Ergründung es Lobinger ja gerade geht. Das Regelungsziel der Antidiskriminierungsrichtlinien kann aber, will man einen Zirkelschluss vermeiden, nicht sei73  Beispielhaft für eine solche, selbst verschuldete Blickverengung stehen etwa die kritischen Äußerungen von Lobinger (EuZA 2009, 365, 367 ff.) zum Urteil des EuGH in der Rechtssache Feryn, in welchem der Gerichtshof, nach hiesiger Sichtweise zutreffend, die bloße Existenz einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime als unmittelbare Diskriminierung gewertet hatte. Siehe dazu ausführlich unten Dritter Teil § 3 C. II. 4. c). 74  Eigehend zur Zivilrechtsanwendung im europäischen Mehrebenensystem Gsell, AcP 214 (2014) 99 ff.; speziell zur Gefährdung der Einheit des Privatrechts in der „integrierten Staatlichkeit“ Herresthal, JbJZivWiss 2008, 139, 152 ff. 75  Ganz h.M., vgl. nur Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 87. 76  H.M. vgl. nur Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 28. Vgl. auch Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 87, wonach die Bedeutung der Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten nicht überschätzt werden sollte.

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nerseits unter Berufung auf Artikel 288 Abs. 3 AEUV über eine Rückbindung an die Dogmatik des deutschen Zivilrechts erschlossen werden. Hierfür bedarf es vielmehr einer autonomen Auslegung der unionsrechtlichen Vorgaben.77 Insoweit möchte nun Lobinger dem zur Auslegung des Unionsrechts zuvörderst berufenen EuGH mit dem Instrumentarium der traditionell privatrechtlichen Methode unter die Arme greifen. Dem von ihm antizipierten (und in der Sache berechtigten!) Hinweis auf rechtskulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten meint Lobinger begegnen zu können, indem er auf die textliche Verfasstheit des Unionsrechts verweist, welches vom Rechtsanwender zu erschließen und nicht eigenmächtig zu erschaffen sei. Die dahinterstehende Kampfansage an den EuGH ist deutlich: Jeder Jurist kann Texte lesen und interpretieren; ein diesbezügliches Monopol des EuGH ist abzulehnen. Nun erscheint freilich die ausschließlich textliche Erschließung des unionalen Antidiskriminierungsrechts nach der traditionell privatrechtlichen Methode ein kühnes Unterfangen, ist diese Rechtsmaterie doch, mehr noch als das Unionsrecht im Allgemeinen,78 durch die Rechtsprechung des EuGH geprägt. So steht bereits ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 1976 am Ausgangspunkt des gesellschaftspolitischen Diskriminierungsschutzes in der EU. Gemeint ist das Urteil Defrenne II, in welchem der Gerichtshof die unmittelbare Bindung privater Arbeitgeber an das heute in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerte Gebot der Entgeltgleichheit festgestellt79 und diesem Gebot zugleich Grundrechtscharakter zuerkannt hatte,80 ohne dass dies im äußerst kargen Text der damals primär am Binnenmarktziel orientieren Vorschrift zum Ausdruck gekommen wäre. In den folgenden gut zwanzig Jahren hat der EuGH die Dogmatik des Verbots der Geschlechtsdiskriminierung durch eine Vielzahl von Urteilen immer weiter vorangetrieben und verfeinert. Der textliche Bezugspunkt dieser Rechtsprechung beschränkte sich zu diesem Zeitpunkt auf den bereits genannten Artikel 157 Abs. 1 AEUV und die zwischenzeitlich erlassene, zehn Artikel umfassende Richtlinie 1976/207/EG zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf außerhalb des Entgelts. Erst im Zusammenhang mit der Verabschiedung der vier Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation um das Jahr 2000 wurde das unionale Antidiskriminierungsrecht auch in textlicher Hinsicht (in Bezug auf Unterscheidungsmerkmale und erfasste Rechts77  Zu Notwendigkeit und Durchführung einer unionsautonomen Auslegung vgl. nur Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 125, 135 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH. 78  Gsell, AcP 214 (2014), 99 konstatiert eine weitgehende Rechtsschöpfungsmacht des EuGH und führt diese darauf zurück, dass sich Auslegungsergebnisse im Unionsrecht angesichts der kompromisshaft vagen Formulierung von Rechtssätzen und der stetig wachsenden Zahl an Amtssprachen noch weniger als sonst im Wege deduktiver Subsumtion prognostizieren ließen. 79 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 40 – Defrenne II 80 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 8/11 – Defrenne II.

§ 2 Analyse und Bewertung

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materien) auf eine breitere Basis gestellt und auch hinsichtlich seiner Regelungsdichte vertieft. Letzteres geschah aber keinesfalls im lufleeren Raum, sondern es wurde in erster Linie die reichhaltige Rechtsprechung des EuGH, etwa zur Definition des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung, zu Beweislast und zu den Sanktionserfordernissen, kodifiziert. Dies wird noch ausführlich in den folgenden Abschnitten zu erörtern sein. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass weder die Ergründung einzelner Norminhalte, geschweige denn die Ergründung der ratio legis des gesamten unionalen Antidiskriminierungsrechts, losgelöst von der Rechtsprechung des EuGH gelingen kann. Auch ohne dass man der Rechtsprechung des EuGH Rechtsquellencharakter zuerkennt,81 wofür einiges spricht, folgt diese Feststellung schlicht aus der Tatsache, dass der Unionsgesetzgeber selbst bei der Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien die Rechtsprechung des EuGH textlich fixiert hat82 und bisweilen sogar ausdrücklich auf diese rekurriert.83 In diesem Fall ist die Rechtsprechung des EuGH aber bereits im Rahmen der teleologischen Auslegung der Normtexte zu berücksichtigen, der im Unionsrecht angesichts der nur schwachen Überzeugungskraft grammatikalischer Argumente84 eine noch gewichtigere Rolle zukommt als im nationalen Recht.85 In dieser Feststellung manifestiert sich, anders als Lobinger meint, weder ein „Rechtsprechungspositivismus“ noch die Geburt einer „neuen, strukturalisistisch-technokratisch anmutenden Dogmatik, die sich weniger um die Erschließung der inhaltlichen Aussagen des geltenden Rechts selbst als vielmehr um die Bestimmung des maßgeblichen justiziellen Erschließers im Mehrebenensystem kümmert“.86 Die Einbeziehung der Rechtsprechung des EuGH im Rahmen der methodischen Erschließung des unionalen Antidiskriminierungsrechts ist vielmehr lediglich der Erkenntnis geschuldet, dass das, was Lobinger als „das geltende Recht selbst“ bezeichnet, untrennbar mit dieser Rechtsprechung verwoben, ja sogar ohne diese schlicht nicht denkbar ist. Die starke Prägung durch die Rechtsprechung des EuGH ist somit zentraler Bestandteil der Dogmatik des unionalen Antidiskriminierungs81 

Zum Streitstand vgl. Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, S .302 ff. ein Beispiel von vielen genannt sei hier die wörtliche Übernahme des vom EuGH im Urteil von Colson aufgestellten Erfordernisses „wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen“ (vgl. EuGH Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 23 – von Colson) in den Text sämtlicher Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. Artikel 15 Richtlinie 2000/43/EG, Artikel 17 Richtlinie 2000/78/EG, Artikel 14, Richtlinie 2004/113/EG, Artikel 25 Richtlinie 2006/54/EG). 83  Vgl. etwa Erwägungsgründe 23, 24, 33 der Richtlinie 2006/54/EG. 84  Die begrenzte Aussagekraft des Wortlautarguments wird vor allem mit der Vielzahl von Sprachfassungen begründet, vgl. etwa Henninger, S. 264 ff., Europäisches Privatrecht und Methode, W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 819; drastisch Köndgen, GPR 2005, 105, wonach in keiner Rechtsordnung der Wortlaut so unergiebig ist wie im Unionsrecht. 85  Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 452 f.; Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, S. 285. 86  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 69. 82  Als

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Erster Teil: Die ratio legis

rechts, welche in dessen Anwendungsbereich und damit auch im Anwendungsbereich des angeglichenen nationalen Zivilrechts aufgrund des Umsetzungsbefehls der Richtlinien prävaliert. Kelsen setzt sich, insoweit ist dem konsternierten Befund Lobingers87 beizupflichten, eben doch durch. Für die Ergründung der ratio legis der in Deutschland geltenden, durch unionsrechtliche Vorgaben determinierten Diskriminierungsverbote ist somit die Rechtsprechung des EuGH eine unverzichtbare, wenn nicht sogar die maßgebliche Rechtserkenntnisquelle. Auch wenn der EuGH sich niemals zu dieser Frage geäußert hat, ist davon auszugehen, dass der EuGH bei der Etablierung und Ausgestaltung der unionalen Diskriminierungsverbote nicht deren Verträglichkeit mit der deutschen Zivilrechtsdogmatik im Blick gehabt haben dürfte. Mit der vermeintlich nahtlosen Einfügung in die deutsche Zivilrechtsdogmatik lässt sich somit die von Lobinger favorisierte integritätsschützende-­ persönlichkeitsrechtliche Deutung des unionalen Diskriminierungsschutzes nicht begründen. Dagegen drängt sich nach eingehender Lektüre des Textes der Antidiskriminierungsrichtlinien einschließlich ihrer Erwägungsgründe, der Stellungnahmen der Kommission sowie nicht zuletzt der Urteile des EuGH der Eindruck auf, dass das Unionsrecht meinen könnte, was es sagt, wenn es im Zusammenhang mit privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverboten von „Gleichbehandlung“ spricht. Dieser Eindruck trügt nicht. So soll dann auch im folgenden Abschnitt gezeigt werden, dass dem unionalen Antidiskriminierungsrecht mit seiner dogmatischen Verwurzelung im unionalen Gleichheitsgrundsatz ein um eine gesellschaftliche Dimension ergänztes Konzept von Gleichheit zugrundeliegt, welches nicht die Marktintegration, sondern die Gleichbehandlung um ihrer selbst willen im Blick hat.

87 

Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 68.

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§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts – egalitaristisches Schutzkonzept mit originär-individueller Schutzfunktion A. Die dogmatisch-konzeptionelle Verwurzelung des Rechts auf Nichtdiskriminierung im allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz Unionsrechtliche Diskriminierungsverbote finden sich nicht nur in den Antidiskriminierungsrichtlinien, sondern an zahlreichen Stellen des Unionsrechts. Am deutlichsten tritt dies heute in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch zutage, welcher mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon den Status von primärem Unionsrecht erlangt hat. Dieses zentrale Unionsgrundrecht verbietet Diskriminierungen wegen aller von den Richtlinien erfassten Unterscheidungsmerkmale sowie wegen zahlreicher weiterer Merkmale. Speziell im Hinblick auf das Unterscheidungsmerkmal Geschlecht enthält zudem bereits der Vertrag selbst mit dem in Artikel 157 AEUV (ex Art. 141 EG) verankerten Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ein entsprechendes, wenngleich thematisch beschränktes Diskriminierungsverbot. Darüber hinaus verbieten Artikel 18 AEUV (ex Artikel 12 EG) und nunmehr inhaltsgleich Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch jede Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit. Dies gilt letztlich auch für die Personenverkehrsfreiheiten, bei denen es sich – ungeachtet ihres zwischenzeitlichen Ausbaus zu Beschränkungsverboten durch den EuGH88 – im Kern ebenfalls um Diskriminierungsverbote in Bezug auf die Staatsangehörigkeit handelt.89 Ihre dogmatische Verankerung finden die Diskriminierungsverbote im allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheits(grund)satz. Zwar kannte das Unionsrecht ursprünglich kein geschriebenes Pendant zu Art. 3 Abs. 1 GG. Gleichwohl hat der EuGH schon früh im Rahmen der Rechtsfortbildung aus den 88  Vgl. nur für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 87, Tz. 5 – Dassonville; für die Niederlassungsfreiheit spätestens seit EuGH, Rs. C-19/92, Slg. 1993, 1663, Tz. 32 – Kraus. 89  Allgemein zur Dogmatik der Grundfreiheiten mit zahlreichen weiteren Nachweisen Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 AEUV, Rn. 28 ff.

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Erster Teil: Die ratio legis

Diskriminierungsverboten des Vertrags und hier insbesondere aus Artikel 34 Abs. 2 Uabs. 2 EG (Artikel 40 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV) einen entsprechenden Rechtssatz hergeleitet und diesen zu den Grundprinzipen des Gemeinschaftsrechts gezählt.90 Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz wurde sodann sukzessive auf sämtliche Bereiche des Unionsrechts ausgeweitet.91 Mit Artikel 20 GR-Ch („Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich“) hat diese Rechtsprechung nunmehr eine textliche Verankerung als Unionsgrundrecht erhalten. Der inhaltliche Aussagegehalt der Norm in der Rechtsprechung des EuGH entspricht Art. 3 Abs. 1 GG: Gleiche Sachverhalte dürfen danach nicht ungleich und ungleiche Sachverhalte dürfen nicht gleich behandelt werden, soweit hierfür nicht jeweils ein sachlicher Grund streitet.92 Das Verhältnis zwischen allgemeinem Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverboten charakterisiert der EuGH dahingehend, dass es sich bei letzteren um spezifische Ausprägungen des ersteren handelt.93 Gemeinsam ist beiden Arten von Rechtssätzen ihre dogmatische Struktur, die sich mit P ­ lötscher grob in die Feststellung des Vorliegens vergleichbarer Sachverhalte (Vergleichstatbestand), einer unterschiedlichen Behandlung dieser Sachverhalte sowie der fehlenden Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung aufteilen lässt.94 Der wesentliche Unterschied manifestiert sich hingegen in der Art, in der die Vergleichbarkeit der unterschiedlich behandelten Sachverhalte festgestellt wird. Während diese Feststellung beim allgemeinen Gleichheitsgrundsatz für jeden Einzelfall gesondert erfolgt, nehmen die spezielleren Diskriminierungsverbote die Vergleichbarkeitsprüfung dadurch vorweg, dass sie die Anknüpfung an bestimmte Unterscheidungsmerkmale grundsätzlich verbieten und damit insoweit die Vergleichbarkeit, vorbehaltlich einer Rechtfertigung unter engen Voraussetzungen, pauschal bejahen. Ungeachtet dieser Unterschiede im Detail hat der EuGH jedoch stets die dogmatische Verwurzelung der Diskriminierungsverbote im allgemeinen Gleichheitsgrundsatz betont. Dies kam besonders deutlich im Urteil Mangold aus dem Jahre 2005 zum Ausdruck. Dort hatte der EuGH das in diesem Urteil von ihm „entdeckte“, mittlerweile in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verankerte primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters als besondere Ausprägung 90 EuGH,

verb. Rs. 117/76 und 16/77, Slg. 1977, 1753, Tz. 7 – Ruckdeschel. Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Tridimas, The General Principles of EC Law, S. 59 ff. m.w.N. 92  Die aktuelle, auch das Gebot der Ungleichbehandlung von Ungleichem enthaltene Fassung findet sich erst in neueren Urteilen (vgl. etwa EuGH, Rs. C-217/91, Slg. 1993, I-3923, Tz. 37 – Kommission – Spanien). 93 EuGH, verb. Rs. 117/76 und 16/77, Slg. 1977, 1753, Tz. 7 – Ruckdeschel; zu nachfolgenden Urteilen vgl. Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 35, dort Fußnote 44; kritisch in Bezug auf eine Herleitung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes aus den Diskriminierungsverboten Huster, EuR 2010, 325, 333. 94  Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 41 ff. 91  Zur

§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts

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des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes qualifiziert und in diesem Zusammenhang auf seine Rechtsprechung zu eben diesem Grundsatz verwiesen.95 Die enge Verknüpfung der besonderen Diskriminierungsverbote des Primärrechts mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz manifestiert sich auch im systematischen Kontext zwischen Artikel 20 GR-Ch und Artikel 21 GR-Ch. Mit der Verbindung zwischen primärrechtlichen Diskriminierungsverboten und allgemeinem Gleichheitsgrundsatz wird aber zugleich die Verbindung zwischen Letzterem und dem in den Antidiskriminierungsrichtlinien vorgegebenen Diskriminierungsverboten hergestellt. Denn die sekundärrechtlich vorgebenenen Diskriminierungsverbote stellen sich, wie der EuGH ebenfalls im Urteil Mangold in Bezug auf das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters festgestellt hat, lediglich als Konkretisierungen der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote dar und partizipieren als solche an deren Verknüpfung zum allgemeinen Gleichheitsgrundsatz.96 Die Verankerung der in den Antidiskriminierungsrichtlinien etablierten Diskriminierungsverbote im allgemeinen Gleichheitsgrundsatz kommt zudem dadurch zum Ausdruck, dass in den Erwägungsgründen nahezu sämtlicher Richtlinien der enge Bezug zwischen der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und dem Schutz vor Diskriminierung betont wird.97 Aus der Verknüpfung aller unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote einschließlich der privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote der Antidiskriminierungsrichtlinien mit dem allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz folgt wiederum, dass der unionsrechtlich determinierte Schutz vor Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr einem im Grundsatz egalitaristischen Konzept folgt. Diese Zuordnung ist auch im Schrifttum – soweit ersichtlich – noch nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Anders als für das deutsche Verfassungsrecht scheint damit für das Unionsrecht kein strukturelles Problem darin zu bestehen, Gleichheitsverbürgungen neben einem an die Union oder die Mitgliedstaaten gerichteten Gebot der Rechtsgleichheit weitergehende, auch das Handeln Privater betreffende Vorgaben zu entnehmen. Dieser angesichts der deutschen Debatte um die Drittwirkung der Gleichheitsgrundrechte auf den ersten Blick erstaunliche Befund lässt sich allerdings mit 95 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 76 – Mangold (allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung insbesondere im Hinblick auf das Alter). 96 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 74. – Mangold. Zur Konkretisierung und Aktivierung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote durch das Sekundärrecht siehe ausführlich unten Zweiter Teil § 1 B. II. 97  Vgl. Erwägungsgrund 2 der RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft; Erwägungsgrund 2 der RL 2000/78/EG des Tates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf; Erwägungsgrund 2 der RL 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2014 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.

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Erster Teil: Die ratio legis

der überragenden Funktion erklären, die dem unionsrechtlichen Prinzip der Nichtdiskriminierung in der Anfangsphase gerade im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedstaaten und der Errichtung des Binnenmarktes zukam und noch stets zukommt.98 Immerhin handelt es sich bei den im Kern als Diskriminierungsverbote konzipierten Grundfreiheiten um das zentrale Instrument zur Beseitigung mitgliedstaatlicher Maßnahmen, die den grenzüberschreitenden Austausch von Gütern und Personen hindern und damit eine Segmentierung des Marktes in nationale Teilmärkte perpetuieren.99 Da Hindernisse für den Binnenmarkt aber nicht nur durch staatliche Maßnahmen, sondern auch durch das Handeln privater Marktakteure zu besorgen sind, hat der EuGH bereits frühzeitig unter bestimmten Voraussetzungen eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundfreiheiten bejaht100 und diesen in noch weiterem Umfang Schutzpflichten der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung privater Beeinträchtigungen entnommen.101 Die Einbeziehung auch privaten Handelns gehört somit geradezu zur DNA des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes, auch wenn die Art dieser Einbeziehung zwischen den einzelnen Diskriminierungsverboten variiert.

B. Die Zielkonzeption hinter dem Prinzip der Gleichbehandlung – vom binnenmarktbezogenen Diskriminierungsschutz zum Grundrecht auf Gleichbehandlung I. Ein Grundsatz – zwei Zielkonzeptionen Die soeben herausgestellte Bedeutung des Binnenmarktziels für die Anerkennung einer privaten Dimension der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote wirft allerdings die Frage auf, inwieweit eine solche funktionale Verknüpfung mit dem Binnenmarktziel für alle unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote prägend ist. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, ist die Frage, ob und inwieweit dem unionsrechtlich determinierten Antidiskriminierungsrecht ökonomische Zielsetzungen zugrunde liegen, für die Auslegung nicht nur der Antidiskriminierungsrichtlinien selbst, sondern letztlich auch des durch diese Richtli 98  Basedow, ZEuP 2008, 230, 234 f.; allgemein zur Rolle von Diskriminierungsverboten für die Integration vom Märkten Chalmers, ELR 19 (1994), 385, 397: „The non-discrimination principle is central to any market philosophy.“  99  Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 548: tool par excellelence for market integration. 100 EuGH, Rs. 36/74, Slg. 1974/1405, Tz. 16–17 – Walrave; EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Tz. 82 – Bosman; EuGH, Rs. C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Tz. 61 – Viking. 101 EuGH, Rs. 265/95, Slg. 1997, I-6959, Tz. 32 – Kommission gegen Frankreich; EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Tz. 59 – Schmidberger.

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nien determinierten nationalen Rechts von zentraler Bedeutung.102 Gleichwohl fällt eine eindeutige Beantwortung der Frage nach der ökonomischen Zielrichtung unionaler Diskriminierungsverbote zunächst schwerer als erwartet. Denn es ist inzwischen weitgehend anerkannt, dass der unionsrechtliche Grundsatz der Nichtdiskriminierung heute von zwei höchst unterschiedlichen Zielkonzeptionen geprägt ist. Es handelt sich hierbei zum einen um das bereits den Gründungsverträgen innewohnende Ziel der Binnenmarktintegration, zum anderen um das historisch jüngere, gesellschaftspolitisch zu verortende Ziel der Herstellung einer vom Grundsatz der Gleichbehandlung geprägten Wertegemeinschaft.103 Basedow unterteilt die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote vor diesem Hintergrund dann auch – treffend – in binnenmarktbezogene und gesellschaftspolitische Diskriminierungsverbote.104

II. Hintergrund: Metamorphose der EU von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft Die oben heute nahezu unbestrittene dichotome Zielkonzeption des unionalen Diskriminierungsschutzes lässt sich wiederum kaum erfassen, ohne dem konzeptionellen Wandel des Projekts der Europäischen Union zumindest eine kurze Betrachtung zu widmen. Hierbei lassen sich im Hinblick auf die konzeptionelle Ausrichtung der ehemaligen Europäischen (Wirtschafts-)Gemeinschaft und heutigen Europäischen Union zwei Phasen unterscheiden.105 In der Frühphase des europäischen Einigungsprojekts lag der Fokus nahezu ausschließlich auf dem Aspekt der Wohlfahrtssteigerung durch die Integration der nationalen Marktwirtschaften zu einem gemeinsamen Markt bzw. Binnenmarkt.106 Dieses Konzept beinhaltete zum einen die Beseitigung von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedstaaten, zum anderen die Sicherstellung eines freien Wettbewerbs zwischen den Wirtschaftsteilnehmern durch Etablierung entsprechender Wettbewerbsregeln.107 Neben dieses thema102  Zur Bedeutung rechtsökonomischer Erkenntnisse für die vorliegende Untersuchung siehe oben Einleitung § 2 B. II. 103  Zu diesen beiden Zielen More, in: Craig/de Búrca, The evolution of EU Law, S. 517– 553; Lauber, in. Schulze: Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 181, 190; Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 547 ff. 104  Basedow, ZEuP 2008, 230, 234 ff. 105  Bisweilen findet sich auch ein 3-Phasen-Modell, in welchem der Ausbildung originär-individueller Grundrechtspositionen (Konstitutionalisierung) neben dem allgemeinen Wandel von ökonomischen zu sozialgesellschaftspolitischen Zielsetzungen eigenständige Bedeutung beigemessen wird, vgl. Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 12 ff.; Lauber, in: Schulze, Non-Dis­crimi­nation Law and the European Union, S. 181, 190. 106  Die anfängliche Fokussierung auf marktintegrative Zielsetzungen ist allgemein anerkannt, vgl. nur Calliess/Hartmann, Demokratie in Europa, S. 34 ff. 107  Ausführlich zu den rechtlichen Prinzipien der Marktöffnung und Marktregulierung More, in: Craig/De Búrca, The Evolution of EU Law, S. 515, 518 ff.

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Erster Teil: Die ratio legis

tisch beschränkte Konzept einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft trat jedoch im Laufe der Zeit das bereits in den Gründungsverträgen angelegte, weitergehende Projekt einer umfassenden, auf der Gewährleistung sozialer Rechte der Bürger basierenden Wertegemeinschaft. Leitmotiv hinter dieser konzeptionellen Erweiterung war es, die als defizitär empfundene thematische Verengung der Union auf Wirtschaftsfragen zu überwinden und hierdurch die Akzeptanz der Bürger für das europäische Projekt insgesamt zu steigern.108 Mit der Erweiterung der Zielsetzung des europäischen Projekts ging zugleich ein Wandel der Funktion von durch das Unionsrecht eingeräumten Rechtspositionen einher. Im Rahmen des Binnenmarktkonzepts werden dem Einzelnen individuelle Rechte nur zur Verwirklichung des Binnenmarktzieles und demzufolge auch nur im Zusammenhang mit der Entfaltung grenzüberschreitender Marktaktivitäten eingeräumt.109 Dagegen basiert das Konzept der Union als Wertegemeinschaft auf der Verbürgung sozialer oder gesellschaftlicher Rechtspositionen, die dem Einzelnen um seiner selbst willen verliehen werden. Dieser „normative Paradigmenwechsel“110 in Bezug auf die Rolle des Einzelnen manifestiert sich in der plakativen Gegenüberstellung eines „Europa der Marktbürger“111 einerseits und eines „Europa der Bürger“112 andererseits. Andere Autoren legen den Fokus eher auf die schrittweise Anerkennung originär-individueller Rechtspositionen und sprechen in diesem Zusammenhang von der „Konstitutionalisierung“ der Europäischen Union.113 Motor für diese bereits in den Gründungsverträgen angelegte114 Entwicklung war zunächst, wie so oft, die Rechtsprechung des EuGH.115 Mit der im Vertrag von Maastricht erfolgten 108  Bell, Antidiscrimination Law, S. 13; Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 550: „… policy, aiming at bridging the gap between the Union and ,its‘ citizens.“. Kritisch hinsichtlich der identitätsstiftenden Funktion einer Grundrechtsunion Kingreen, EuR 2010, 338, 361 f. 109  Vgl. zu dieser Funktionalisierung des Einzelnen für das Ziel der Marktintegration Calliess/Hartmann, Demokratie in Europa, S. 30 ff.; zum Phänomen der funktionalen Subjektivierung im Unionsrecht allgemein vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 29 sowie die Ausführungen unten Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) bb). 110  Calliess/Hartmann, Demokratie in Europa, S. 47. 111  Calliess/Hartmann, Demokratie in Europa, S. 33; Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 20 AEUV Rn.1; Everson, in: Shaw/More, New legal dynamics in European Union, S. 73 ff. 112  Zur Geschichte des Begriffs vgl. Caliess/Hartmann, Demokratie in Europa, S. 48 ff. In der englisch-sprachigen Literatur hat sich der Begriff „social citizenship model“ etabliert, vgl. Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 12 ff. 113  Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 547; Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 12 ff. 114  Vgl. schon die Präambel des EWGV: „immer engerer Zusammenschluss der Völker“; noch deutlicher Art. 2 EWGV: „Schaffung allgemein engerer Beziehungen zwischen den in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten neben der Entwicklung des Wirtschaftslebens“. 115  Exemplarisch für diese Rechtsprechung sind neben dem sogleich in III.2 zu erörternden Ausbau des Gebots der Entgeltgleichheit zu einem allgemeinen Grundrecht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben vor allem Entscheidungen, in welchen

§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts

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Etablierung der Unionsbürgerschaft in Artikel 17 EGV (Artikel 20 AEUV) wurde das Konzept einer über die wirtschaftliche Integration hinausgehenden Wertegemeinschaft indes auch vertraglich verankert und hat seitdem durch den stetigen Ausbau der Kompetenzen der Union im Sozialbereich und nicht zuletzt durch die im Vertrag von Lissabon erfolgte primärrechtliche Verankerung der Grundrechtecharta (GR-Ch) einen stetigen Bedeutungszuwachs erfahren.

III. Auswirkungen auf die Zielrichtung des Diskriminierungsschutzes 1. Indienststellung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zur Verwirklichung des Binnenmarktes In keinem anderen Bereich manifestieren sich die thematische Erweiterung der Union von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft und der damit einhergehende Wandel der Funktion unionsrechtlich eingeräumter Rechte jedoch so deutlich, wie in der Erweiterung der Zielkonzeption des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung als dem tragenden Prinzip des Unionsrechts. So wurden ursprünglich die Diskriminierungsverbote des E(W)G-Vertrages ausschließlich in den Dienst der Binnenmarktintegration gestellt. Dies gilt nicht nur für das als konstituierender Faktor des Binnenmarktes fungierende, heute in Artikel 18 AEUV (ehemals Artikel 12 EG) verankerte Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit und die Grundfreiheiten als dessen spezieller Ausprägungen, sondern auch für das heute in Artikel 157 AEUV verankerte Gebot der Entgeltgleichheit. Zwar erscheint eine marktintegrative Funktion hinsichtlich der letztgenannten Verbürgung angesichts der auf eine gesellschaftspolitische Zielsetzung hindeutenden Thematik eher fernliegend. Gleichwohl wurde mit der auf Betreiben Frankreichs erfolgten Aufnahme dieser Norm in den EWG-Vertrag erstaunlicherweise kein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgt. Vielmehr diente die Norm ursprünglich der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zulasten von Unternehmen aus solchen Mitgliedstaaten, die – wie etwa Frankreich(!) – den Grundsatz der Entgeltgleichheit schon damals in ihrem Rechtssystem etabliert hatten.116 der EuGH bereits vor Einführung der Unionsbürgerschaft im Vertrag von Maastricht auch Personengruppen den Schutz der Arbeitnehmerfreizügigkeit zugestanden hat, bei welchen sich in persönlicher oder gegenständlicher Hinsicht nur eine äußerst schwache Verknüpfung mit einer grenzüberschreitenden Tätigkeit am Markt herstellen ließ; vgl. zu dieser Rechtsprechung, Shaw, in: Craig de Búrca, The Evolution of EU Law, S. 575, 588 ff. sowie Kingreen, EuR 2010, 338, 355 f. 116  More, in: Craig/De Búrca, The Evolution of EU Law, S. 517, 540 f.; grundlegend Barnard, in: Hervey/O’Keeffe, Sex Equalitiy Law in the European Union, S. 321, 334; aus dem deutschen Schrifttum statt vieler Langenfeld, Gleichbehandlung von Mann und Frau, S. 30 ff.

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Erster Teil: Die ratio legis

2. Die (nicht mehr ganz so) neue Zielkonzeption: Diskriminierungsverbote als originär-individuelle Rechte auf Gleichbehandlung Gerade der Grundsatz der Entgeltgleichheit war allerdings auch der normative Ausgangspunkt für die bereits angedeutete Genese einer neben das Ziel der Binnenmarktintegration tretenden zusätzlichen Zielkonzeption des unionsrecht­ lichen Diskriminierungsschutzes. Den Diskriminierungsverboten des Unionsrechts kommt danach nicht mehr (ausschließlich) eine marktöffnende Funktion zu, sondern ihnen wird vielmehr der Charakter originär-individueller Rechte auf Gleichbehandlung und damit letztlich der Charakter von Grundrechten zuerkannt.

a) Das Urteil Defrenne II oder die Geburtsstunde eines Grundrechts auf gleiches Entgelt Am Anfang dieser Entwicklung stand das mittlerweile legendäre Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Rechtssache Defrenne II.117 Dort hatte der EuGH die unmittelbare Wirkung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit (damals Artikel 119 EWG, heute Artikel 157 AEUV) auch gegenüber privaten Arbeitgebern festgestellt118 und dieses Ergebnis unter anderem auf die doppelte Zielsetzung der Norm zurückgeführt, welche neben der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen auch „sozialen Zielen der Gemeinschaft“ diene.119 Zur Begründung dieser Feststellung verweist der Gerichtshof ausdrücklich darauf, dass sich die Gemeinschaft nicht auf eine Wirtschaftsunion beschränke, sondern ausweislich der Präambel des Vertrages, zugleich durch gemeinsames Vorgehen den sozialen Fortschritt sichern und die ständige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen der europäischen Völker anstreben solle.120 Wenngleich der EuGH die im Urteil Defrenne II getroffene Aussage in nachfolgenden Urteilen zunächst teilweise relativiert hatte, so markiert das Urteil doch einen Meilenstein in der Geschichte nicht nur des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes, sondern des Grundrechtsschutzes als solchem.121 Denn mit der Bejahung eines dem Einzelnen um seiner selbst willen verliehenen Rechts auf Gleichbehandlung in einem bestimmten Lebensbereich hatte der EuGH nicht weniger etabliert als ein Grundrecht auf gleiches Entgelt.122 Dieser wichtige Schritt weg von der rein funktionalen Betrachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hin zu einer grundrechtlichen Betrachtung legte 117 EuGH,

Rs. 43/75, Slg. 1976, 455 – Defrenne II. Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 40 – Defrenne II. 119 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 8/11 – Defrenne II. 120 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 8/11 – Defrenne II. 121  Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 45. 122  Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 45. 118 EuGH,

§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts

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zugleich den Grundstein für die sukzessive Ausweitung der vom EuGH angestellten Erwägungen zur Zielkonzeption des Diskriminierungsschutzes auf weitere Lebensbereiche und Unterscheidungsmerkmale. Das Urteil Defrenne II und das hierdurch etablierte Grundrecht auf gleiches Entgelt lassen sich daher ohne Übertreibung als Nucleus des unionsrechtlich determinierten Antidiskriminierungsrechts charakterisieren.

b) Ausweitung auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben außerhalb des Entgelts Den nächsten Schritt in diese Richtung markierte der Ausbau des thematisch beschränkten, durch die Richtlinie 75/117/EWG (Lohngleichheitsrichtlinie)123 zwischenzeitlich konkretisierten Grundrechts auf Entgeltgleichheit zu einem umfassenden Grundrecht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich sämtlicher Aspekte des Arbeitsverhältnisses. Ausgangspunkt hierfür war die im selben Jahr wie das Urteil Defrenne II auf Grundlage von Artikel 235 EWG (Art. 345 AEUV) erlassene Richtlinie 76/207/ EWG (Gleichbehandlungsrichtlinie).124 Diese Richtlinie, deren Entstehungsgeschichte bis in die Zeit vor dem Urteil Defrenne II zurückreicht, verpflichtete die Mitgliedstaaten zur Erstreckung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung auf das übrige Arbeitsvertragsrecht außerhalb des Entgelts. Die gesellschaftspolitische Zielsetzung kommt in der Präambel immerhin ansatzweise Ausdruck („Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen“), während Hinweise auf die Verfolgung marktintegrativer Zielsetzungen gänzlich fehlen. Kern der Richtlinie ist die Etablierung eines Verbots jeder unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts in dem von der Richtlinie erfassten Lebensbereich. In der Folgezeit war die Auslegung sowohl des Artikels 119 EWG/141 EG (Artikel 157 AEUV) als auch der Gleichbehandlungsrichtlinie Gegenstand zahlreicher Entscheidungen des EuGH, die das Antidiskriminierungsrecht nicht zuletzt im Hinblick auf die im Rahmen dieser Arbeit thematisierten Rechtsfolgen bis heute prägen. Wesentliche Ergebnisse dieser Rechtsprechung wurden in der Folgezeit in weiteren, die Gleichbehandlungsrichtlinie flankierenden Richtlinien kodifiziert. Zwischenzeitlich große Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Richtlinie 97/80/EG (Beweislastrichtli123 

Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10 Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, ABl. 1975 L 45/19, zwischenzeitlich aufgegangen in der Richtlinie 2006/54/EG (konsolidierte Gleichbehandlungsrichtlinie). 124  Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 1976 L 39/40, zwischenzeitlich aufgegangen in der Richtlinie 2006/54/EG (konsolidierte Gleichbehandlungsrichtlinie).

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Erster Teil: Die ratio legis

nie)125 erlangt, die zum einen in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH eine Definition für das Verbot der mittelbaren Diskriminierung enthielt, darüber hinausgehend aber auch eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Vorliegens einer diskriminierenden Motivation der anderen Partei etablierte. Die Erweiterung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit zu einem umfassenden Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsrecht vollzog sich zunächst unstreitig auf der Ebene des Sekundärrechts. Daneben hat der EuGH allerdings bereits im Urteil Defrenne III die parallele Entwicklung eines entsprechenden primärrechtlichen Diskriminierungsverbots angedeutet. Zwar lehnte es der EuGH in dem genannten Urteil ab, das unmittelbar gegenüber privaten Arbeitgebern anwendbare Gebot der Entgeltgleichheit auch auf sonstige Arbeitsbedingungen zu erstrecken.126 Auch ein nur die Mitgliedstaaten bindender primärrechtlicher Grundsatz der Gleichbehandlung von Mann und Frau sollte insoweit ausscheiden.127 Letzteres begründete der EuGH aber ausschließlich damit, dass die Gemeinschaft zum Zeitpunkt der Klageeinreichung im Ausgangsverfahren noch keine Rechtsakte in Bezug auf ein auf sonstige Arbeitsbedingungen erweitertes Diskriminierungsverbot erlassen habe.128 Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass im Falle des Bestehens entsprechender Sekundärrechtsakte aus diesen durchaus ein entsprechendes primärrechtliches Verbot abgeleitet werden kann.129 Mit der Verabschiedung der Richtlinie 76/207/EWG war dies – noch während des laufenden Vorabentscheidungsverfahrens – geschehen. Auch außerhalb der Gleichbehandlungsrichtlinie verdichteten sich indes die Hinweise für das Bestehen eines primärrechtlichen Verbots der Geschlechtsdiskriminierung im Arbeitsleben. In Bewegung geriet die Materie spätestens mit dem Vertrag von Amsterdam, welcher nicht nur über Artikel 2, 3 Abs. 2 EG (Artikel 3 Abs. 3 UAbs. 2, EUV) die Gleichstellung von Männern und Frauen zum eigenständigen Ziel der Gemeinschaft und zur Querschnittsaufgabe erhob, sondern darüber hinaus mit Artikel 141 Abs. 3 EG (Artikel 157 Abs. 3 AEUV) eine Kompetenz der Union zum Erlass sekundärrechtlicher Maßnahmen zur Gewährleistung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen Beschäftigungsfragen etablierte. Zwar handelt es sich bei der letztgenannten Vorschrift nur um eine Kompetenznorm, welche in der Folgezeit etwa die Zusammenfassung aller bestehenden Gleichbehandlungsrichtlinien in einer konsolidierten Richtlinie (RL 2006/54/EG) auf nunmehr 125  Richtlinie

97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. 1997 L 14/6. 126 EuGH, Rs. 149/77, Slg. 1978/1365, Tz. 24 – Defrenne III; More, in: Craig/De Búrca, The Evolution of EU Law, S. 517, 541 sieht dagegen bereits im Urteil Defrenne III die Etablierung eines primärrechtlichen Verbots der Geschlechtsdiskriminierung. 127 EuGH, Rs. 149/77, Slg. 1978/1365, Tz. 30/32 – Defrenne III. 128 EuGH, Rs. 149/77, Slg. 1978/1365, Tz. 30/32 – Defrenne III. 129  Zu der herausragenden Bedeutung des Sekundärrechts in Bezug auf Genese, Inhalt und Funktion primärrechtlicher Diskriminierungsverbote siehe unten Zweiter Teil § 1 B.

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eindeutiger Kompetenzgrundlage ermöglichte. Aus der Gesamtschau dieser Kompetenznorm und der Erweiterung der Vertragszielbestimmungen um den Grundsatz der Gleichbehandlung wurde aber im Schrifttum teilweise auf das Bestehen einer primärrechtlich verankerten Pflicht der Union zur Achtung und Förderung der Gleichheit von Mann und Frau im Arbeitsleben geschlossen.130 Eine ausdrückliche und unzweifelhafte primärrechtliche Verankerung erhielt der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben freilich erst mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon und der damit einhergehenden verbindlichen Geltung von Artikel 21, 23 GR-Ch als primärrechtliche Grundrechtsverbürgung.

c) Ausweitung auf weitere Unterscheidungsmerkmale und Lebensbereiche Eine weiteren Etappe der Entwicklung des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes stellte die Schaffung des Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV) dar, welcher die Union im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten zum Erlass sekundärrechtlicher Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung ermächtigt. Zwar handelt es sich bei dieser eindeutig gesellschaftspolitisch motivierten Norm nach nahezu einhelliger Auffassung nicht bereits für sich genommen um ein (primärrechtliches) Diskriminierungsverbot,131 sondern lediglich um eine Kompetenznorm.132 Auf Grundlage dieser Norm wurden indes in der Folgezeit drei Richtlinien erlassen, welche eine deutliche Ausweitung des Diskriminierungsschutzes sowohl im Hinblick auf die verbotenen Unterscheidungsmerkmale als auch im Hinblick auf die erfassten Lebensbereiche mit sich brachten. Bei diesen als Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation bezeichneten Rechtsakten handelte es sich um die Richtlinie 2000/43/EG (Antirassismus-Richtlinie),133 die Richtlinie

130  Vgl. nur Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 157 AEUV Rn. 2, 72. Bereits zuvor konnte ein solcher Grundsatz aber wohl als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EG aus Artikel 14 EMRK und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hergeleitet werden. 131  So aber Cirkel, NJW 1998, 3332. 132 EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6067, Tz. 55 – Navas, sowie ganz h.M. im Schrifttum, vgl. nur Basedow, ZEuP 2008, 230, 236; Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 1; Flynn, CML Rev. 36 (1999), 1127, 1132 f.; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 93, 334; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 19; Waddington, ILJ 28 (1999), 133, 138. 133  Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22.

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2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf)134 und die Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie).135 Inhaltlich wurde mit dem Inkrafttreten der Richtlinien der Schutz vor Diskriminierung im Bereich des Arbeitsrechts auf sämtliche in Artikel 19 AEUV genannten Unterscheidungsmerkmale ausgedehnt, während für die Merkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft zudem ein Diskriminierungsverbot für den Bereich des allgemeinen Zivilrechts etabliert wurde.136 Diese zunächst nur sekundärrechtlich etablierte Ausweitung des Diskriminierungsschutzes vom Arbeitsrecht auf weitere Bereiche des Privatrechts hat indes zwischenzeitlich ebenfalls eine primärrechtliche Unterfütterung erfahren. Diese erfolgte zunächst punktuell durch das bereits in anderem Kontext erwähnte Urteil Mangold.137 Dort hatte der EuGH dem bis dato nur in der Richtlinie 2000/78/EG enthaltenen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters den Status eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 EG zuerkannt und dieses Ergebnis aus diversen völkerrechtlichen Verträgen sowie den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hergeleitet.138 Eine ausdrückliche primärrechtliche Verankerung haben sowohl dieses Diskriminierungsverbot als auch das Verbot der Diskriminierung wegen der übrigen von den Richtlinien erfassten Unterscheidungsmerkmale – ähnlich wie das Gebot der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsrecht – erst über Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch erfahren. Auch der weitere Ausbau des Diskriminierungsschutzes schien lange Zeit bereits vorgezeichnet. So existiert seit dem Jahre 2008 ein Vorschlag der Kommission für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie, welche das bisher nur hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft vorgegebene Verbot der Diskriminierung im allgemeinen Zivilrecht auf die übrigen Merkmale des Artikel 19 AEUV ausdehnen und damit eine Schutzlücke im bisherigen unionsrechtlichen Antidiskriminierungsprogramm schließen soll.139 134  Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, Abl. 2000 L 303/16. 135  Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004, L 373/37. 136  Ausführlich zum Inhalt der unionsrechtlich determinierten Diskriminierungsverbote siehe unten Dritter Teil. 137 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 – Mangold; ausführlich zu dieser für die Dogmatik des Unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes in mehrfacher Hinsicht wegweisenden Entscheidung siehe unten Zweiter Teil § 1 B. II. 1. A). 138 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 74 ff. – Mangold. 139  Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichberechtigung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, KOM (2008) 426 endgültig; hierzu Vandenberghe, ZEuP 2011, 235.

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Die primärrechtliche Unterfütterung für diese Ausweitung des Diskriminierungsschutzes ist bereits in Artikel 21 Abs. 1 GR‑Ch angelegt und bedürfte nur noch der Aktivierung durch den Erlass der geplanten Richtlinie. Die Verabschiedung dieser Richtlinie ist derzeit jedoch, nicht zuletzt aufgrund deutschen Widerstands, ungewiss.140

IV. Das Verhältnis der beiden Zielkonzeptionen in Bezug auf die einzelnen Diskriminierungsverbote 1. Dichotomie oder Wandel der Zielkonzeption als fortschreitender Prozess? Der soeben skizzierte Ausbau des Verbots der Entgeltdiskriminierung zu einem originär-individuellen Recht auf Gleichbehandlung auch im Privatrechtsverkehr vermag indes nicht darüber hinwegzutäuschen, dass das Recht der Entgeltdiskriminierung als Ausgangspunkt dieser Entwicklung ursprünglich im binnenmarktbezogenen Diskriminierungsschutz wurzelt. Es stellt sich somit die Frage nach dem Verhältnis der beiden Zielkonzeptionen des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes. Die mittlerweile gängige Aufteilung der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote in binnenmarktbezogene und gesellschaftspolitische Diskriminierungsverbote suggeriert hierbei auf den ersten Blick eine strenge Dichotomie des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes im Sinne eines „entweder oder“. Die beiden Zielkonzeptionen des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes stehen aber keinesfalls bezugslos nebeneinander. Vielmehr markieren binnenmarktbezogener und gesellschaftspolitischer Diskriminierungsschutz die beiden Enden eines Evolu­ tionsprozesses, in dessen Verlauf sich Letzterer aus Ersterem heraus entwickelt hat und an dessen Ende sämtlichen unionsrechtlichen Diskriminierungsverboten dereinst – als Ausdruck des Wandels der Union von einer Wirtschafts- zu einer Wertegemeinschaft – die Eigenschaft universeller Gleichheitsgrundrechte zuzuerkennen sein könnte.141 Inwieweit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist, kann jeweils nur im Hinblick auf die einzelnen Diskriminierungsverbote beantwortet werden.

140 

Siehe unten Zweiter Teil § 1 A. II. 2. c) bb). Evolutionsprozess kommt etwa zum Ausdruck bei Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 548 in Bezug auf das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit: „However, the nexus between economic integration and non-discrimination on grounds of nationality is getting weaker and weaker.“ Sehr kritisch gegenüber einem (möglichen) Grundrechtscharakter der binnenmarktbezogenen Diskriminierung und hier insbesondere des Artikels 18 AEUV dagegen Huster, EuR 2010, 325, 332 („funktional auf politische Integrationsziele bezogen“). 141 Dieser

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2. Der Grad des Wandels der Zielkonzeption in Bezug auf die einzelnen Diskriminierungsverbote a) Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit Das in Artikel 18 Abs. 1 AEUV und mittlerweile inhaltsgleich zusätzlich in Artikel 21 Abs. 2 GR‑Ch verankerte Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit wird – anders als der im Sozialkapitel angesiedelte Art. 157 AEUV – bis heute im Wesentlichen als dogmatischer Kern der Grundfreiheiten wahrgenommen,142 deren marktintegrative Zielsetzung nicht zur Disposition steht. Außerhalb der Grundfreiheiten schienen einer eigenständigen Bedeutung des Verbots der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit hingegen lange Zeit dadurch Grenzen gesetzt, dass dieses Diskriminierungsverbot nur „im Anwendungsbereich der Verträge“ besteht und ein vom Binnenmarktziel entkoppelter Anwendungsbereich nicht ersichtlich war. Dies änderte sich freilich mit der Einführung der Unionsbürgerschaft (Artikel 17 EGV/Art. 20 AEUV) und dem hieran anknüpfenden Recht auf Freizügigkeit unabhängig von einer wirtschaftlichen Betätigung gemäß Artikel 18 EGV (21 AEUV). Zum einen markiert die Etablierung dieses Rechtsinstituts schon für sich genommen geradezu sinnbildlich den Wandel der Union von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft und den damit einhergehenden Wandel des Individuums vom Marktbürger zum Unionsbürger.143 Zum anderen eröffnete das nicht an eine wirtschaftliche Tätigkeit gekoppelte Aufenthaltsrecht der Unionsbürger einen neuen, eigenständigen Anwendungsbereich für das bis dahin außerhalb der Grundfreiheiten funktionsarme Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit,144 welchen der EuGH in zahlreichen Entscheidungen herausgearbeitet hat.145 Artikel 18 Abs. 1 AEUV kommt danach die Funktion zu, sicherzustellen, dass das durch die Unionsbürgerschaft begründete Aufenthaltsrecht nicht durch staatliche (oder private) Ungleichbehandlungen wie etwa die Vorenthaltung sozialer Leistungen146 oder aber andere Maßnahmen 142  Allgemeine Meinung, vgl. nur Streinz, in: Streinz, EGV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 2; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 24. Streng genommen gilt dies aber nicht für die Waren- oder Kapitalverkehrsfreiheit, weil hierbei nicht an die Staatsangehörigkeit von Personen angeknüpft wird, sondern an die Herkunft von Waren oder Kapital; vgl. Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Artikel 18 Rn. 6. Auch Plötscher, Begriff der Diskriminierung im Unionsrecht, 2003, behandelt die Warenverkehrsfreiheit (§ 6) getrennt vom Diskriminierungsverbot wegen der Staatsangehörigkeit (§ 5). 143  Calliess/Hartmann, Zur Demokratie in Europa, S. 47 ff. 144  Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 18 AEUV Rn. 26. 145  Vgl. insbesondere das grundlegende Urteil des EuGH, Rs. C 85/96, Slg. 1998, I-2691, Tz. 63 – Martinez Sala, wonach sich ein Unionsbürger, der sich rechtmäßig in dem Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates aufhält, in allen vom sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts erfassten Fällen auf Artikel 18 Abs. 1 AEUV berufen kann. 146  Zur umfangreichen diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH vgl. Giegerich, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl., § 9 Rn. 57 ff. mit zahlreichen Nachweisen.

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außerhalb des Sozialrechts147 konterkariert werden kann.148 Die Funktion des Artikels 18 Abs. 1 AEUV als „freizügigkeitsakzessorisches Diskriminierungsverbot“149 wird allerdings durch den Umstand eingeschränkt, dass das Aufenthaltsrecht des Artikels 21 AEUV selbst nicht absolut gewährleistet wird. Vielmehr können die Mitgliedstaaten den Aufenthalt von Unionsbürgern in ihrem Gebiet grundsätzlich vom anfänglichen Vorhandensein und Fortbestand einer sozialen Absicherung abhängig machen.150 Die diesbezüglichen Voraussetzungen sind zwar noch nicht abschließend geklärt. Fest steht aber, dass zwar einerseits die bloß vorübergehende Abhängigkeit von sozialen Unterstützungsleistungen noch keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ermöglicht,151 eine exzessive oder gar missbräuchliche Inanspruchnahme solcher Leistungen dagegen schon.152 Ungeachtet der genannten Beschränkungen des Aufenthaltsrechts gemäß Artikel 21 AEUV lässt sich daher jedenfalls konstatieren, dass gerade im Anwendungsbereich dieser nicht an eine wirtschaftliche Betätigung geknüpften Verbürgung dem Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit eine eigenständige Funktion zukommt, welche neben die Funktion der Binnenmarktintegration im Rahmen der Grundfreiheiten tritt. Nicht zuletzt angesichts dieser Doppelfunktionalität wird Artikel 18 Abs. 1 AEUV heute verbreitet als Grundrecht qualifiziert.153 Diese Qualifikation wurde durch die Aufnahme des Verbots der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit in den Kanon der Grundrechte-Charta letztlich bestätigt (Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch).

b) Diskriminierung im Hinblick auf die übrigen Unterscheidungsmerkmale außerhalb der Staatsangehörigkeit Während sich bei dem im Binnenmarktkonzept wurzelnden Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit die Frage stellt, inwieweit diesem eine zusätzliche gesellschaftspolitische Zielkonzeption innewohnt, stellt sich 147 EuGH,

Rs. C-148/02, Slg. 2003, I-11613 – Garcia Avello. Rs. C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Tz. 31 – Grzelczyk. Kaum vereinbar mit einer lediglich das Aufenthaltsrecht des Artikels 21 AEUV flankierenden Funktion des Artikels 18 AEUV erscheint jedoch die Feststellung des EuGH, wonach sich die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zwangsläufig aus dem Unionsrecht ergeben muss, sondern auch dem nationalen Recht entspringen kann, vgl. EuGH, Rs. C-456/02, Slg. 2004, I-7573 – Troiani. Kritisch insoweit auch Hatje, in: Schwarze, EU‑Kommentar, Art. 21 AEUV Rn. 12. 149  Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, S. 224. 150  Vgl. nur EuGH, Rs. C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Tz. 42 f. – Grzelczyk. 151 EuGH, Rs. C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Tz. 43 – Grzelczyk, mittlerweile sekundärrechtlich verankert in Artikel 14 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG. 152 Artikel 14 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG; zu den Einzelheiten vgl. EuGH, Rs. C-333/13, EU:C:2014:2358, Tz. 56 ff. – Dano. 153  Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 18 AEUV Rn. 4; ablehnend gegenüber einer Qualifikation des Artikels 18 AEUV als Grundrecht unter Verweis auf die funktionale Verknüpfung mit dem Ziel der Binnenmarktintegration dagegen Huster, EuR 2010, 325, 332. 148 EuGH,

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bei den im Gebot der Entgeltgleichheit wurzelnden gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverboten hinsichtlich anderer Unterscheidungsmerkmale die umgekehrte Frage nach dem Vorhandensein einer (auch) binnemarktbezogenen Zielkonzeption. Im Schrifttum wird dies zum Teil bejaht.154 Gestützt wird dies zum einen auf die allgemeine Feststellung, dass sämtliche der vor allem in Artikel 2 EUV begründeten supranationalen Werte der EU funktional begründet seien, um final auf die Schaffung einer im hohen Maß wettbewerbsfähigen und sozialen Marktwirtschaft hinzuwirken.155 Zum anderen wird auf Richtlinientexte und Aussagen der Kommission verwiesen, in welchen jeweils eine Verbindung zwischen dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung und gewissen marktintegrativen und sonstigen ökonomischen Zielen hergestellt wird.156 Schließlich weist von Hoff darauf hin, dass Artikel 6 Richtlinie 2000/78/EG (§ 10 AGG) eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Alters aus ökonomischen Gründen zulässt.157 Sollte sich die These von der auch binnenmarktbezogenen Zielsetzung der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote außerhalb des Verbots der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit als richtig erweisen, wäre die Tragweite dieser Aussage für die Bestimmung des Inhalts bestehender Diskriminierungsverbote kaum zu unterschätzen. Denn wenn diesen Verboten tatsächlich eine funktionale Ausrichtung am Binnenmarktziel und damit zugleich am Ziel ökonomischer Wohlfahrtssicherung innewohnen sollte, müssten die daneben verfolgten gesellschaftspolitischen und individualschützenden Ziele im Rahmen der Normauslegung stets mit dem Wohlfahrtsziel abgewogen werden, wenn sich der Schutz des Einzelnen vor Diskriminierung im Einzelfall als ineffizient und damit wohlfahrtsmindernd herausstellen sollte.158 Bei näherer Betrachtung vermögen die zugunsten einer (auch) binnenmarktbezogenen Zielsetzung der gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote vorgebrachten Argumente indes nicht zu überzeugen. Dies gilt zunächst im Hinblick auf vermeintlich in diese Richtung deutende Aussagen des Unionsgesetzgebers im Rahmen der Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien. Zwar findet sich in den Erwägungsgründen einiger, wenn auch bei weitem nicht aller Richtlinien, die Feststellung, wonach Diskriminierungen der von 154  Grundmann, in: Grundmann (Hrsg.), Constitutional Values and European Contract Law, S. 3 ff.; Purnhagen, EuR 2011, 690, 695; von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 45 ff. Einen funktional-ökonomischen Ansatz des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzkonzepts im Ganzen konstatiert (und kritisiert) auch O’Brien, 36 E.L. Rev. (2011), 26 ff. 155  So explizit Purnhagen, EuR 2011, 690, 695. 156  O’Brien, 36 E.L. Rev. (2011), 26 ff. Auch Kingreen, EuR 2010, 338, 352 konstatiert, dass die binnenmarktfinale Zielsetzungen in den Begründungserwägungen der Richtlinien immerhin noch „anklingen“. 157  von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 49 ff. 158  Insoweit zu Recht O’Brien, 36 E.L. Rev. (2011), 28.

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der jeweiligen Richtlinie erfassten Art die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren können. Genannt werden in diesem Kontext die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus, eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität und die Freizügigkeit.159 Ein Rückschluss auf eine binnenarktintegrative Zielsetzung der gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote lässt sich daraus freilich nicht ziehen. Zum einen handelt es sich bei einigen der genannten Ziele (Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, hohes Maß an sozialem Schutz) schon gar nicht um marktintegrative Ziele. Denn die Steigerung der Wohlfahrt soll hier auf unmittelbarem Wege und nicht mittelbar über die Integration der Teilmärkte zu einem Binnenmarkt erreicht werden. Selbst wenn man aber in der Nennung allgemeiner Wohlfahrtsziele einen Hinweis gerade auf das letztlich ebenfalls am Wohlfahrtsziel orientierte Binnenmarktkonzept sehen wollte, spricht dies letztlich nicht für eine martkintegrative Zielsetzung der Richtlinien. Denn es ist ja unbestritten, dass Diskriminierungsverbote durchaus eine marktöffnende Wirkung im Sinne eines verbreiterten Zugangs zum Arbeits- und Gütermarkt entfalten und in diesem Falle die optimale Allokation von Ressourcen fördern können.160 Dies ist aber keineswegs immer der Fall, wie etwa das Beispiel statistischer Diskriminierungen lehrt.161 Hier kann die Verwendung diskriminierender aber aussagekräftiger Ersatzkriterien (proxies) durchaus gesamtwirtschaftlich effizient sein, während ein Verbot zur Verwendung dieser Kriterien im Gegenzug als ineffizient zu qualifizieren ist. Vor diesem Hintergrund muss die Frage somit nicht lauten, ob das Unionsrecht mit der Etablierung von Diskriminierungsverboten neben gesellschaftspolitischen auch marktintegrative Ziele verfolgt, sondern ob diese Ziele den gesellschaftspolitischen Zielen und dem Schutz des Einzelnen im Konfliktfall vorgehen. Noch pointierter könnte man fragen: Ist der Schutz des Einzelnen vor Diskriminierung ein erwünschtes Nebenprodukt der Binnenmarktförderung oder ist umgekehrt die Binnenmarktförderung ein erwünschtes Nebenprodukt des Schutzes des Einzelnen vor Diskriminierung? Die bloße Nennung ökonomischer neben gesellschaftspolitischen Zielen durch den Unionsgesetzgeber deutet weder in die eine noch in die andere Richtung. Des Weiteren lässt sich auch aus der Ausgestaltung von Rechtfertigungsgründen insbesondere in Bezug auf die Diskriminierung wegen des Alters kein Hinweis auf eine vorrangig ökonomische Zielsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien entnehmen.162 Denn selbst wenn diese Rechtfertigungsgründe dem 159  Vgl. Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2000/43/EG (Anti-Rassismus-Richtlinie) sowie Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf). 160 Vgl. Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 193. 161  Siehe dazu oben Einleitung § 2 B. I. 1. 162  So aber von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 45 ff.

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Staat, den Tarifparteien oder dem einzelnen Arbeitgeber eine Ungleichbehandlung wegen des Alters unter Bezugnahme auf im weitesten Sinne als ökonomisch zu qualifizierende Erwägungen erlauben, impliziert dies nicht, dass diese Erwägungen im Einzelfall stets überwiegen. Vielmehr ist eine Ungleichbehandlung wegen des Alters auch unter Berufung auf ökonomische Gründe zusätzlich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen und muss sich damit letztendlich als geeignete, erforderliche sowie angemessene Maßnahme zur Erreichung des jeweils verfolgten ökonomischen Ziels erweisen. Die Möglichkeit der Berücksichtigung ökonomischer Faktoren stellt sich damit im Verhältnis zum Schutz des Einzelnen vor Diskriminierung als gewöhnliche Schrankenregelung mit dem Ziel eines Ausgleichs konfligierender Rechtspositionen dar. Sie unterscheidet sich damit nicht von vergleichbaren Schrankenregelungen etwa zugunsten der Privatautonomie des (potentiellen) Vertragspartners, als dessen Ausfluss sich die Berücksichtigung ökonomischer Faktoren im Übrigen darstellt. Aus der Existenz derartiger Regelungen folgt nur, dass das dem Einzelnen in Folge der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien einzuräumende Recht auf Nichtdiskriminierung nicht unbeschränkt gewährleistet wird, sondern vielmehr gegebenenfalls hinter die andere Rechtspositionen zurücktreten muss. Diese im Einzelfall vorrangigen Rechtspositionen mutieren damit keineswegs zu einem eigenständigen Regelungsziel, welches die Richtlinie gleichfalls oder sogar vorrangig verfolgen würde. Aus diesem Grund lassen sich allein aus der Möglichkeit einer ökonomischen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Rückschlüsse auf eine (vorrangige) ökonomische Zielsetzung der Richtlinie ziehen. Hierfür wäre es vielmehr erforderlich, dass das Verbot einer Diskriminierung nach den Vorgaben der Richtlinien stets einem Effizienztest zu unterwerfen wäre. Dies ist aber ersichtlich nicht der Fall. Viel spricht somit dafür, dass marktintegrativen Zielsetzungen im Zusammenhang mit dem unionsrechtlichen Schutz vor Diskriminierung aus anderen Gründen als der Staatsangehörigkeit allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zukommt. In diese Richtung deutet zum einen, dass die genannten Diskriminierungsverbote auch reine Binnensachverhalte erfassen und damit – anders als etwa die Grundfreiheiten und das in diesen enthaltene Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit – grenzüberschreitende Konstellationen nicht gezielt in den Blick nehmen.163 Zum anderen wird in den Erwägungsgründen zu beinahe allen Antidiskriminierungsrichtlinien der Menschenrechtscharakter des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung betont und unter Verweis auf völkerrechtliche Verträge belegt.164 In den Richt163  So zu Recht Basedow, ZEuP 2008, 230, 236. Auch Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 193 stellt hierzu fest: „On the contrary, the primary focus of the Directives is discrimination between individuals in the labour market (and beyond), most instances of which will have no connection to cross-border trade or the migration of workers“. 164  Vgl. Erwägungsgründe 2–8 der Richtlinie 2000/43/EG (Anti-Rassismus-Richtlinie),

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linien, die Diskriminierungen im Bereich des Erwerbslebens betreffen, erfolgt zudem ein Hinweis auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer. Die entsprechenden Verweise verteilen sich zumeist über mehrere Erwägungsgründe und sind Hinweisen auf die Verfolgung weitergehender ökonomischer wie nicht-ökonomischer Ziele, soweit solche überhaupt existieren, textlich vorangestellt.165 Noch deutlichere Belege gegen eine (auch) marktintegrative Zielsetzung der gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote liefert indes die Rechtsprechung des EuGH. Dies gilt im Besonderen in Bezug auf das heute in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerte Gebot der Entgeltgleichheit, welchem der EuGH im Urteil Defrenne II immerhin noch eine Doppelfunktionalität bescheinigt hatte.166 In nachfolgenden Urteilen trat allerdings die Verknüpfung mit dem Binnenmarktziel im Sinne einer Vermeidung diskriminierungsbedingter Wettbewerbsvorteile immer stärker in den Hintergrund und wurde durch den EuGH schließlich im Urteil Schröder nahezu vollständig auf dem Altar der gesellschaftspolitischen Zielsetzungen sowie des konstitutionellen Gehalts der Norm geopfert. In dem genannten Urteil bestätigte der EuGH zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach der Ausschluss von Teilzeitbeschäftigten von einem Betriebsrentensystem bei Nachweis einer statistisch stärkeren Betroffenheit von Frauen eine mittelbare Entgeltdiskriminierung im Sinne des Artikels 119 EG (Artikel 157 AEUV) darstellen kann.167 Im selben Urteil stellte der Gerichtshof des Weiteren fest, dass als Folge dieser Diskriminierung ein Anschluss von Teilzeitbeschäftigten an das in Rede stehende Betriebsrentensystem geboten ist, dies allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit nur zurückwirkend auf den Zeitpunkt des Urteils Defrenne II.168 Schließlich hatte sich der EuGH mit der Frage zu befassen, ob einer nationalen Vorschrift, welche eine noch weitergehende Rückwirkung des Anschlusses an das Betriebsrentensystem gebietet, im Hinblick auf die hierdurch bedingten Wettbewerbsnachteile inländischer Arbeitgeber wiederum Artikel 119 EG (Artikel 157 AEUV) entgegensteht. Der EuGH hat dies mit der Begründung verneint, dass „der Erwägungsgründe 1 sowie 4 bis 8 der Richtlinie 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf), Erwägungsgründe 1 bis 7 der Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie) sowie Erwägungsgründe 2 und 5 der Richtlinie 2006/54/EG (konsolidierte Gleichbehandlungsrichtlinie). Auch die Erwägungsgründe 1 bis 7 des Kommissionsentwurfs für eine Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, KOM (2008) 426 endgültig, enthalten entsprechende Hinweise. 165  Eine Ausnahme besteht insoweit nur im Hinblick auf die konsolidierte Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG, in welcher sämtliche Bezugnahmen sowohl auf ökonomische als auch auf gesellschaftspolitische Ziele vollständig fehlen. 166 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 8/11 – Defrenne II; siehe dazu bereits oben III. 2 a. 167 EuGH, Rs. C-50/96, Slg. 2000, I-743, Tz. 27 f. – Schröder. 168 EuGH, Rs. C-50/96, Slg. 2000, I-743, Tz. 38 ff. – Schröder.

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Erster Teil: Die ratio legis

wirtschaftliche Aspekt von Artikel 119 des Vertrages, der darin besteht, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen zu beseitigen, gegenüber dem sozialen Ziel dieser Vorschrift, das Ausdruck eines Grundrechts ist, nachgeordnete Bedeutung“ hat.169 Für das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts außerhalb des Entgelts und der Diskriminierung aus weiteren Gründen findet sich eine derart klare Positionierung des EuGH zugunsten einer primär gesellschaftspolitischen oder konstitutionellen Ausrichtung zwar nicht. In diese Richtung deutet für das allgemeine Verbot der Geschlechtsdiskriminierung aber das Urteil des EuGH in der Rechtssache Test Achats.170 In diesem Urteil, dem auch Bedeutung im Hinblick auf die Binnenstruktur des unionalen Diskriminierungsschutzes zukommt,171 hat der EuGH Artikel 5 Abs. 2 aF der Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie) für nicht vereinbar mit dem in Artikel 21, 23 GR-Ch verankerten primärrechtlichen Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts erklärt.172 Artikel 5 Abs. 2 aF der Richtlinie sah Ausnahmen von dem im Absatz 1 desselben Artikels vorgegebenen Verbot der geschlechtsbezogenen Berechnung von Versicherungstarifen vor, sofern das Geschlecht bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor war. Der Ausnahmeregelung in Artikel 5 Abs. 2 aF der Richtlinie lag eine eindeutig ökonomische Zielsetzung zugrunde, indem sie unter bestimmten Voraussetzungen die Verwendung des Geschlechts als Ersatzkriterium (proxy) zugunsten einer optimalen Ressourcenallokation erlaubte. In seinem Urteil geht der EuGH gleichwohl mit keinem Wort auf diese ökonomischen Hintergründe ein, sondern er erklärt jede geschlechtsbedingte Prämien- und Leistungsberechnung per se für unvereinbar mit dem in Artikel 5 Abs. 1 der Richtlinie statuierten Verbot der Geschlechtsdiskriminierung und damit zugleich mit dem in Artikel 21, 23 GR-Ch verankerten primärrechtlichen Diskriminierungsverbot.173 Diese apodiktische Aussage des Gerichtshofs ohne jede Auseinandersetzung mit den ökonomischen Zielsetzungen der von ihm für nichtig erklärten Regelung lässt sich kaum anders deuten, als dass der Gerichtshof diese schlicht für unbeachtlich hält. Noch deutlicher in diese Richtung deuten die Ausführungen von Generalanwältin Kokott, welche zwar auf die ökonomischen Argumente zugunsten der Ausnahmeregelung ausführlicher eingeht, diese aber quasi mit einem Hand-

169 EuGH,

Rs. C-50/96, Slg. 2000, I-743, Tz. 57 – Schröder. Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats. 171  Siehe unten Zweiter Teil B. II. 2. 172 EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 34 – Test Achats. 173 EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 30 – Test Achats; zu den aus dem Urteil zu ziehenden Schlussfolgerungen in Bezug auf das Verhältnis von Richtlinien und den durch diese konkretisierten Grundrechten siehe unten Zweiter Teil § 1 B. II. 2. und 3. b). 170 EuGH,

§ 3 Die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts

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streich zur Seite wischt.174 Sind die ökonomischen Zielsetzungen hinter der vom EuGH für nichtig erklärten Ausnahmeregelung aber unbeachtlich, folgt hieraus zugleich, dass der Grundsatz der Geschlechtsdiskriminierung aus Sicht sowohl des Gerichtshofs als auch der Generalanwältin nicht in den Dienst der Wohlfahrtssteigerung durch Binnenmarktintegration gestellt wird, da andernfalls wohlfahrtsökonomische Erwägungen wie etwa die Ineffizienz alternativer Berechnungskriterien ein solches Ergebnis in Frage gestellt hätten. Das Urteil Test Achats ist damit ein weiterer Beleg dafür, dass das Ziel der Binnenmarktförderung in Bezug auf das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung aus anderen Gründen als der Staatsangehörigkeit keine maßgebliche Rolle spielt. Die in Artikel 157 AEUV und in den Antidiskriminierungsrichtlinien verankerten Verbote dienen vielmehr (heute) ausschließlich dem Ziel der Herstellung einer vom Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung geprägten Gesellschaft und etablieren in diesem Zusammenhang originär-individuelle Rechtspositionen des Diskriminierungsopfers. Nur eine solche Interpretation der entsprechenden Diskriminierungsverbote wird der zentralen Rolle gerecht, welche speziell der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Rahmen des von den Institutionen spätestens seit dem Vertrag vom Maastricht vorangetriebenen Projekts der Errichtung einer von Fairness, Selbstbestimmtheit, Würde und Respekt getragenen Wertegemeinschaft einnimmt.175 Diskriminierungsverboten kommt damit zugleich die Aufgabe zu, die Distanz der Bürger gegenüber der Europäischen Union abzubauen und auf diesem Wege die Identifikation mit diesem Projekt zu erleichtern.176 Ob ausgerechnet das Antidiskriminierungsrecht dieser ihm zugedachten Funktion vor dem Hintergrund zunehmender Re-Nationalisierungstendenzen innerhalb der Union gerecht werden kann, steht freilich auf einem anderen Blatt. Angesichts der Tatsache, dass sich der Unmut der Bürger in vielen Mitgliedsstaaten 174  Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats, Tz. 66 ff.: „Zugegebenermaßen lässt sich eine Differenzierung nach dem Geschlecht in Versicherungsprodukten besonders leicht in die Tat umsetzen. Die korrekte Erfassung und Bewertung wirtschaftlicher und sozialer Gegebenheiten sowie der Lebensgewohnheiten von Versicherten ist ungleich komplizierter und lässt sich auch schwerer nachprüfen, zumal diese Faktoren im Laufe der Zeit Änderungen unterliegen können. Praktische Schwierigkeiten allein rechtfertigen jedoch nicht, gewissermaßen aus Bequemlichkeitsgründen (sic) auf das Geschlecht der Versicherten als Unterscheidungskriterium zurückzugreifen. Mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist es unvereinbar, das Geschlecht einer Person gleichsam als Ersatzkriterium für andere Differenzierungsmerkmale heranzuziehen. … Rein finanzielle Erwägungen, wie die von manchen Verfahrensbeteiligten ins Feld geführte Gefahr einer Erhöhung der Prämien für einen Teil der Versicherten, stellen jedenfalls keinen sachlichen Grund dar, der [eine] Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht erlauben würde.“ 175 Vgl. Ellis, in: Arnull/Wincott, Accountability and Legitimacy in the European Union, S. 291, 293; Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 550. 176  Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 550.

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Erster Teil: Die ratio legis

nicht zuletzt gegen einen als übertrieben empfundenen Schutz von Minderheiten richtet (Stichwort: „Gender-Wahn“), scheinen der einigenden Kraft eines supranationalen Werteregimes doch deutliche Grenzen gesetzt zu sein. Dieser ernüchternde Befund vermag indes nichts daran zu ändern, dass dem unionsrechtlichen Schutz vor Diskriminierungen aus anderen Gründen als der Staatsangehörigkeit und – wie oben gesehen – zum Teil auch dem Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit ein gesellschaftspolitisch motivierter und am Grundsatz des Individualschutzes orientierter Ansatz zugrunde liegt. Mit einem solchen Ansatz lässt sich eine rein funktionale Indienstnahme des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zugunsten der Förderung des Binnenmarktes, wie er nach wie vor für die Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht prägend ist, nicht vereinbaren.

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Zweiter Teil:

Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland Auch wenn sich der nationale Rechtsanwender in erster Linie mit den Normen des AGG bzw. des BGB konfrontiert sieht, so ist das in Deutschland geltende Antidiskriminierungsrecht doch letztlich zu einem wesentlichen Teil durch Normen höherer Rangstufe geprägt. Dies sind neben dem nationalen Verfassungsrecht, welchem insoweit allerdings nur eine begrenzte Bedeutung zukommt,1 vor allem die Vorgaben des primären und sekundären Unionsrechts. Das Antidiskriminierungsrecht ist damit durch das Vorhandensein von Normkomplexen unterschiedlicher Regelgeber und Regelungsebenen gekennzeichnet und stellt sich infolgedessen, einer gängigen Bezeichnung folgend, als Mehrebenensystem dar. 2 Jede Untersuchung, die sich mit Fragen des in Deutschland geltenden Antidiskriminierungsrechts auseinandersetzt, muss sich daher vorab vergewissern, welche Normen auf die Beantwortung einwirken und in welchem Verhältnis diese Normen zueinander stehen. Dies gilt in besonderem Maße für die Frage nach den Rechtsfolgen von Diskriminierungen im Zusammenhang mit Abschluss und Beendigung privater Verträge, für welche das Unionsrecht einen eng gesteckten Rahmen vorgibt, während die Klärung von Detailfragen den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Im folgenden zweiten Teil der Arbeit sollen daher die Rechtsquellen des in Deutschland geltenden Antidiskriminierungsrechts einer Analyse im Hinblick auf ihre inhaltliche Aussage und ihr wechselseitiges Verhältnis unterzogen werden.

1 

Siehe dazu unten § 2 A. Herkunft des Begriffes und seiner Verwendung in nicht-juristischen und juristischen Kontext Metzger, extra legem, intra ius, S. 117 ff.; In Bezug auf das Privatrecht Joerges, ELJ 1997, 378, 386 ff. 2  Zum

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§ 1 Die unionsrechtliche Ebene Angesichts der Tatsache, dass im Bereich des Antidiskriminierungsrechts das nationale Recht wie in kaum einem anderen Rechtsbereich durch das Unionsrecht geprägt ist, muss eine Rechtsquellenanalyse bei den unionsrechtlichen Vorgaben ihren Ausgang nehmen. Bereits im ersten Teil der Arbeit wurden mit der dogmatischen Verankerung im Gleichbehandlungsgrundsatz und der gesellschaftspolitischen Zieldimension wichtige Strukturprinzipien des unionsrechtlich determinierten Antidiskriminierungsrechts herausgearbeitet. Im Folgenden werden nunmehr die insoweit einschlägigen Rechtsquellen analysiert. Hierbei werden primärrechtliche und sekundärrechtliche Diskriminierungsverbote entsprechend der herkömmlichen Dogmatik zunächst getrennt voneinander im Rahmen eines kurzen Überblicks vorgestellt. Der darauf folgende Abschnitt widmet sich dem sich in der Rechtsprechung des EuGH manifestierenden Phänomen einer inhaltlichen Prägung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote durch die Antidiskriminierungsrichtlinien und den sich hieraus ergebenden Folgen für das Binnengefüge des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes der Europäischen Union. Auf eine für den Rechtsanwender zentrale Folge des inhaltlichen Gleichlaufs der unionsrechtlichen Regelungsebenen für das Außenverhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht wird dagegen erst im letzten Abschnitt eingegangen, der sich allgemein dem Verhältnis zwischen unionalen und nationalen Rechtsquellen widmet. Es handelt sich dabei um die durch den inhaltlichen Gleichlauf bedingte Möglichkeit einer kombinierten Anwendung primärrechtlicher und sekundärrecht­ licher Diskriminierungsverbote und die hieraus resultierende Pflicht der nationalen Gerichte zur Inzidentkontrolle nationalen Privatrechts am Maßstab der Antidiskriminierungsrichtlinien.

§ 1 Die unionsrechtliche Ebene

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A. Die Rechtsquellen des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes im Einzelnen I. Primärrecht 1. Inhaltliche Gewährleistungen a) Diskriminierungsverbote aa) Diskriminierungsverbote der (Gründungs-)Verträge Wie bereits oben angeführt, enthalten die Gründungsverträge nur für einen kleinen Ausschnitt des heute maßgeblich durch Sekundärrecht geprägten gesellschaftspolitischen Diskriminierungsschutzes entsprechende primärrechtliche Verbürgungen. Diesen Verbürgungen ist gemeinsam, dass ihnen entsprechend dem ursprünglichen Charakter der Union als Wirtschaftsgemeinschaft zunächst eine ausschließlich binnenmarktpolitische Zieldimension innewohnte, welche erst im Nachhinein um eine gesellschaftspolitische Zieldimension erweitert und später von dieser zum Teil verdrängt wurde.3 Die doppelte Zieldimension bedingt zugleich die vom EuGH mehrfach hervorgehobene zentrale Bedeutung der vertraglichen Diskriminierungsverbote für die Verfasstheit der Europäischen Union im Ganzen, welche sich insbesondere in ihrer unmittelbaren Wirkung auch im Horizontalverhältnis manifestiert.

(1) Artikel 157 Abs. 1 AEUV (Artikel 141 EG/119 EWG) An vorderster Stelle der vertraglichen Diskriminierungsverbote mit gesellschaftspolitischer Zieldimension steht das heute in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerte Verbot der Entgeltdiskriminierung. Danach stellen die Mitgliedstaaten die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher und gleichwertiger Arbeit sicher. Nach ihrem Wortlaut scheint sich die Norm nur an die Mitgliedstaaten zu richten, bindet aber, im Hinblick auf ihre Qualifizierung als Grundrecht auch die Union selbst.4 Im Urteil Defrenne II hat der EuGH zudem, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, unter Bezugnahme auf die zentrale Bedeutung der Norm auch private 3 

Siehe oben Erster Teil § 3 B. So jedenfalls hinsichtlich des Beamtenstatuts der EG EuGH, Rs. 75/82, Slg. 1984, 1509; Tz. 17 – Razzouk; a.A. Kingreen, in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 21 Rn. 6, 25, wonach es sich bei Artikel 157 Abs. 1 AEUV wegen seiner ursprünglich binnenmarktfinalen Zieldimension („transnationale Wurzeln“) um eine nur an die Mitgliedstaaten gerichtete Vorschrift handeln soll, während Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch als „supranationale Legitimationsnorm“ zuvörderst die Union binde. Zur Abgrenzung zwischen „transnationalen Integrationsnormen“ und „supranationalen Legitimationsnormen“ vgl. auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 AEUV Rn. 5 ff. 4 

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

Arbeitgeber in den Kreis der Verpflichteten einbezogen und damit ihre unmittelbare Wirkung auch auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse begründet.5 Der umfassenden Bindungswirkung der Norm und ihrer bereits hervorgehobenen großen Bedeutung für die Genese eines gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes in der Europäischen Union steht allerdings ihr relativ enger Anwendungsbereich in gegenständlicher Hinsicht gegenüber. Denn mit der Beschränkung auf die Sicherstellung gleichen Entgelts von Männern und Frauen deckt Artikel 157 Abs. 1 GR‑Ch letztlich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum möglicher Diskriminierungen im Bereich des Privatrechts ab. Diskriminierungen wegen des Geschlechts in Bezug auf sonstige Arbeitsbedingungen und in Bezug auf sonstige private Rechtsverhältnisse werden von dieser primärrechtlichen Verbürgung ebenso wenig erfasst wie Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale.

(2) Artikel 18 Abs. 1 AEUV (Artikel 12 bzw. 7 EG/5 EWG), Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch Ebenfalls von Bedeutung für einen gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutz im Bereich des Privatrechts ist das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (Artikel 18 Abs. 1 AEUV). Wie bei Artikel 157 AEUV handelt es sich auch hier um eine zentrale Vorschrift des Unionsrechts, welcher neben ihrer marktintegrativen Zieldimension im Bereich der Grundfreiheiten auch eine an das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger anknüpfende gesellschaftspolitische Zieldimension innewohnt.6 Adressaten des Artikels 18 Abs. 1 AEUV sind die Union und die Mitgliedstaaten.7 Im Rahmen der mitgliedstaatlichen Bindung liegt der Fokus naturgemäß auf der Bekämpfung staatlicher Diskriminierungen seitens des jeweiligen Aufenthaltsstaates, etwa hinsichtlich des Zugangs zur Bildung oder zu sozialen Unterstützungsleistungen. Wie bei den Grundfreiheiten stellt sich aber darüber hinaus die Frage, ob und wenn ja in welcher Weise Artikel 18 Abs. 1 AEUV auch Diskriminierungen erfasst, denen sich Unionsbürger im Aufenthaltsstaat von Seiten privater Anbieter von Waren und Dienstleistungen ausgesetzt sehen. Wie später noch erörtert werden wird,8 lässt sich der Rechtsprechung des EuGH zur Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht nur ein Privatrechtsbezug des Artikels 18 Abs. 1 AEUV als solcher, sondern sogar eine unmittelbare Bindung Privater an diese zentrale Vorschrift des Unionsrechts entnehmen. Artikel 18 Abs. 1 AEUV wirkt damit in ähnlich intensiver Weise auf Privatrechtsverhältnisse ein wie Artikel 5 

Siehe oben Erster Teil § 3 B. III. 2. a). Siehe oben Erster Teil § 3 B. IV. 2. a). 7  Ganz h.M.; siehe nur Holoubek. in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 18 AEUV Rn. 39 m.w.N. 8  Siehe unten C. III. 2. b) dd) (2) (b). 6 

§ 1 Die unionsrechtliche Ebene

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157 AEUV und geht in seinem gegenständlichen Anwendungsbereich hinsichtlich der erfassten Lebensbereiche sogar weit über die letztgenannte Norm hinaus. Denn während Artikel 157 AEUV geschlechtsbezogene Diskriminierungen nur im Hinblick auf das Arbeitsentgelt verbietet, erfasst Artikel 18 Abs. 1 AEUV jede Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit. Zwei Faktoren schränken die Bedeutung des Artikels 18 Abs. 1 AEUV für den Schutz vor Diskriminierungen im Privatrecht gleichwohl erheblich ein. Zunächst verbietet Artikel 18 AEUV, wie auch die Grundfreiheiten mit Ausnahme der Kapitalverkehrsfreiheit, nur die Diskriminierung von Unionsbürgern, nicht aber die Diskriminierung von Drittstaatenangehörigen.9 Mithin fungiert nicht die Staatsangehörigkeit schlechthin als verbotenes Unterscheidungsmerkmal, sondern ausschließlich die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates. Ein weiterer Hemmschuh für die Charakterisierung des Artikels 18 Abs. 1 AEUV als universelles Verbot privatrechtsbezogener Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit besteht darin, dass EuGH10 und Schrifttum11 das in den Grundfreiheiten verwirklichte Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit auf ein Gebot der Inländergleichbehandlung beschränken. Artikel 18 Abs. 1 AEUV verbietet somit nur die Bevorzugung, nicht aber die Benachteiligung von Inländern gegenüber Bürgern anderer Mitgliedstaaten. In dieser einseitigen (asymmetrischen) Ausgestaltung unterscheidet sich Artikel 18 Abs. 1 AEUV maßgeblich von den Diskriminierungsverboten der Artikel 157 AEUV, 21 Abs. 1 GR-Ch bzw. der Antidiskriminierungsrichtlinien, die – abgesehen vom Verbot der Diskriminierung wegen der Behinderung – als symmetrische Diskriminierungsverbote ausgestaltet sind und damit einen allseitigen Schutz vor Diskriminierung gewähren.12  9 Vgl.

EuGH, verb. Rs. C-22 und C-23/08, Slg. 2009, I-4585, Tz. 52 – Vatsouras; Holoubek, in: Schwarze, EU‑Kommentar, Art. 18 Rn. 36; Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 18 Rn. 41. 10  Die Nichtanwendbarkeit des Verbots der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit und der Grundfreiheiten auf nicht-grenzüberschreitende, rein innerstaatliche Sachverhalte entspricht der ständigen Rechtsprechung des EuGH; vgl. für die Grundfreiheiten (auch als Beschränkungsverbote) etwa Rs. 175/78, Slg. 1979, 1129, Tz. 9 ff. – Saunders; EuGH, Rs. 35 und 36/82, Slg. 1982, 3723, Tz. 12 ff. – Morson; speziell in Bezug auf das Diskriminierungsverbot des Artikels 7 EWG (Artikel 18 AEUV) außerhalb der Grundfreiheiten vgl.: EuGH, Rs. 44/84, Slg. 1986, 29, Tz. 55 f. – Hurd. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass in der Rechtsprechung des EuGH schon marginale Anknüpfungspunkte eines Sachverhalts mit einem anderen Mitgliedstaat zur Herstellung eines grenzüberschreitenden Bezugs genügen, vgl. etwa EuGH, Rs. C-148/02, Slg. 2003, I-11613 – Garcia Avello (Anwendung des belgischen Namensrechts auf eine in Belgien geborene und wohnhafte Person mit doppelt belgisch-spanischer Staatsbürgerschaft). 11  H.M. siehe nur Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 18 Rn. 28 ff.; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 18 Rn. 62 ff.; einen differenzierten, weitergehenden Ansatz im Hinblick auf das Binnenmarktkonzept (Herstellung eines grenzenlosen Marktes) vertritt dagegen Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 18 Rn. 35 ff. 12  Siehe dazu noch unten Dritter Teil § 2 A. I. 2. a).

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

bb) Diskriminierungsverbote der Grundrechte-Charta Primärrechtliche Diskriminierungsverbote mit (potentiellem) Bezug zum Privatrecht werden nicht nur unmittelbar in den Gründungsverträgen statuiert, sondern sie finden sich zudem in Titel III (Gleichheit) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Ch), die mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon über Artikel 6 Abs. 1 EUV in den Rang von Primärrecht erhoben wurde.

(1) „Doppelung“ der vertraglichen Diskriminierungsverbote in Bezug auf Staatsangehörigkeit und Geschlecht (Artikel 21 Abs. 2, Artikel 23 GR-Ch) Zunächst begegnen einem in Titel III GR-Ch aber lediglich zwei „alte Bekannte.“ So ist nach Artikel 21 Abs. 2 GR‑Ch unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit verboten. Die Norm entspricht in Anwendungsbereich und Wirkungsweise nach einhelliger Meinung Artikel 18 AEUV.13 Darüber hinaus verpflichtet Artikel 23 GR-Ch die Union und – unter den Voraussetzungen des Artikels 51 Abs. 1 GR-Ch – die Mitgliedstaaten zur Sicherstellung der Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts. Hierbei handelt es sich partiell ebenfalls um die erneute Festschreibung des primärrechtlich bereits in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerten Grundsatzes der Entgeltgleichheit einschließlich des aus dieser Norm in Verbindung mit der Richtlinie 76/207/EWG herzuleitenden Grundrechts auf Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Arbeitsleben.14 Ein zusätzlicher Aussagegehalt kommt Artikel 23 Abs. 1 GR-Ch insoweit nur dann zu, wenn man entgegen dem EuGH eine Bindung der Union an Artikel 157 Abs. 1 AEUV im Hinblick auf die marktintegrativen Wurzeln der Norm ablehnt und diese Bindung – folgerichtig – erst durch Artikel 23 Abs. 1 GR-Ch als verwirklicht ansieht.15 Einen Mehrwert auch in gegenständlicher Hinsicht beinhaltet Artikel 23 Abs. 1 GR-Ch aber in jedem Falle in Bezug auf von Artikel 157 Abs. 1 AEUV nicht erfasste geschlechtsbezogene Diskriminierungen außerhalb des Arbeitslebens. Artikel 23 Abs. 1 GR-Ch verstärkt insoweit auf primärrechtlicher Ebene die Vorgaben der Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie), welche die Mitgliedstaaten zur Etablierung eines Verbots der geschlechtsbezogenen Diskriminierungen im Bereich der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verpflichtet. 13  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C-303/24; aus dem Schrifttum statt vieler Hölscheidt, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 21 Rn. 19, 56; Jarass, Grundrechte-Charta, Art. 21 Rn. 34. 14  Siehe zu diesem Grundrecht bereits oben Erster Teil § 3 B. III. 2. b). 15 So Kingreen, in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 21 Rn. 25.

§ 1 Die unionsrechtliche Ebene

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(2) Diskriminierung aus anderen Gründen (Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch) Neben den bereits in den Gründungsverträgen verankerten Diskriminierungsverboten mit (ursprünglich) doppelter Zieldimension statuiert Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch weitere, ausschließlich gesellschaftspolitisch motivierte primärrechtliche Diskriminierungsverbote. Die Vorschrift verbietet Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen und sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion und der Weltanschauung, der politischen und sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters sowie der sexuellen Ausrichtung. Der gegenständliche Anwendungsbereich des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch scheint damit gegenüber den Vertragsgrundrechten äußerst weit geraten. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die erfassten Lebensbereiche als auch im Hinblick auf die verbotenen Unterscheidungsmerkmale. So beschränkt sich das Diskriminierungsverbot des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch, anders als Artikel 157 AEUV, weder auf das Arbeitsentgelt noch überhaupt auf den Bereich des Arbeitslebens, sondern es betrifft – insoweit gleichlautend mit Artikel 18 AEUV – Diskriminierungen in allen Lebensbereichen. Im Hinblick auf die verbotenen Unterscheidungsmerkmale deckt Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch zunächst neben dem Merkmal Geschlecht den gesamten sekundärrechtlichen Acquis in Gestalt der derzeit bestehenden Antidiskriminierungsrichtlinien ab. Der Katalog des Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch geht indes noch erheblich über diesen Bestand hinaus und enthält zudem mit der Formulierung „insbesondere“ eine Öffnungsklausel für weitere, nicht ausdrücklich aufgezählte Merkmale. Adressaten des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch sind die Union und die Mitgliedstaaten unter den Voraussetzungen des Artikels 51 Abs. 1 GR-Ch.16 Die Norm schützt zum einen vor legislativer und administrativer Ungleichbehandlung, darüber hinaus aber unter den später herauszuarbeitenden Voraussetzungen auch vor Diskriminierungen privaten Ursprungs.17

b) Konfligierende Freiheitsrechte privater Verbotsadressaten Nun kann es freilich mit der Nennung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote nicht sein Bewenden haben; entzündet sich doch, wie bereits eingangs der Arbeit erwähnt, die Kontroverse um das Für und Wider privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote vor allem an den hiermit einhergehenden Beschränkungen der Privatautonomie der an solche Diskriminierungsverbote gebundenen Personen. Bemängelt wird hierbei regelmäßig eine falsche Gewichtung der Belange des Diskriminierungsschutzes mit gegenläufigen Freiheitsrechten. Ungeachtet der Berechtigung dieser Kritik im Einzelfall wird jedenfalls von nie16 

17 

Siehe unten C. II. 2. Siehe unten C III. 2. c) bb) (3).

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

mand bestritten, dass das Ziel eines Schutzes vor privater Diskriminierung keine unbeschränkten Eingriffe in die Freiheitssphäre der h ­ ieran gebundenen Privatpersonen rechtfertigt, sondern mit entsprechenden Freiheitsverbürgungen im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz abzuwägen ist. Dies gilt nicht nur in den (seltenen) Fällen, in welchen Private unmittelbar an ein unionsrechtliches Diskriminierungsverbot gebunden sind, sondern auch dort, wo der Unionsgesetzgeber in Ausübung der ihm eingeräumten Kompetenzen sekundärrechtliche Diskriminierungsverbote etabliert bzw. die Mitgliestaaten zur Etablierung solcher Diskriminierungsverbote verpflichtet. Auf der Ebene des Unionsprimärrechts ist der unionsrechtlich gebotene bzw. angestrebte Schutz vor Diskriminierung in erster Linie mit der in heute in Artikel 16 GR-Ch verbürgten unternehmerischen Freiheit abzuwägen,18 welche unter anderem auch die Vertragsabschluss und -inhaltsfreiheit gewährleistet.19 In Konstellationen, in denen eine Beschränkung der Vertragsfreiheit zugleich mit einer Beschränkung von Eigentumspositionen einhergeht, kommt ergänzend Artikel 17 GR-Ch ins Spiel, der auf unionsrechtlicher Ebene die Freiheit des Eigentums und hier insbesondere auch die Freiheit des Anteilseigentums garantiert. 20 Schnittstellen zum unionalen Diskriminierungsrecht ergeben sich insoweit etwa hinsichtlich der Erstreckung des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbots auf die Rechtsstellung der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften und der hieraus resultierenden Folgen.21 Beeinträchtigungen der unternehmerischen Leitungsmacht der vorgenannten Art müssen sich schließlich unter bestimmten Voraussetzungen an den Grundfreiheiten messen lassen, 22 welche neben den Mitgliedstaaten auch die Union selbst binden. 23 So schützt die 18  Eingehend zu Genese, Inhalt und Abgrenzung dieses Grundrechts Gundel, ZHR 180 (2016), 323 ff. 19  St. Rspr. des EuGH, vgl. noch zur Berufsfreiheit als allgemeinem Rechtsgrundsatz EuGH, verb. Rs. C-90/90 und C-91/90, Slg. 1991, I-3617, Tz. 13 – Jean Neu; EuGH Rs. C-240/07, Slg. 1999, I- 6571, Tz. 99 – Spanien gegen Kommission sowie nunmehr zu Artikel 16 GR-Ch EuGH Rs. C-283/11, EU:C:2013:28, Tz. 43 – Sky Österreich. Die Charakterisierung der Vertragsfreiheit als Bestandteil der Unternehmerfreiheit deckt sich mit den Erläuterungen des Präsidiums zu Artikel 16 GR-Ch (ABl. 2007, C-303/23) und entspricht zudem der ganz h.M. im Schrifttum, vgl. nur Blanke, in: Tettinger/Stern, Grundrechte-Charta, Art. 16 Rn. 11; Jarass, Grundrechte-Charta, Art. 16 Rn. 9; Gundel, ZHR 180 (2016), 323, 350 ff.; Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 358; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Artikel 16 GR-Ch Rn. 6. 20  Bernsdorff, in: Meyer, Grundrechte-Charta, Art. 17 Rdnr. 15; Depenheuer, in: Tettinger/Stern, Grundrechte-Charta, Art. 17 Rn. 34; Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 352. 21  Vgl. hierzu Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 352 ff., Hoentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 110 ff. (bezüglich der Rechtfertigung); siehe noch eingehend unten Dritter Teil § 2 B. II. 2. 22  Schubert, ZIP 2013, 289, 295 ff. Eine Maßstabswirkung der Kapitalverkehrsfreiheit in Bezug auf das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht erwägt auch Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 352. 23  St. Rspr. des EuGH (siehe nur Rs. 15/83, Slg. 1984, 2171, Rn. 15, 17 – Denkavit), sowie, wenn auch mit gewissen Abstrichen hinsichtlich der Bindungsintensität, ganz h.M. im

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in Artikel 63 AEUV verbürgten Kapitalverkehrsfreiheit die grenzüberschreitende Beteiligung an Unternehmen gerade auch mit dem Ziel der Beteiligung an der tatsächlichen Verwaltung und Kontrolle, während die in Artikel 49 AEUV verbürgte (sekundäre) Niederlassungsfreiheit ebenfalls den auf unter Kontrolle angelegten Erwerb von Tochtergesellschaften schützt. 24 Der insoweit durch die Grundfreiheiten vermittelte Schutz richtet sich nicht nur auf die Möglichkeit des Anteilserwerbs als solchem, sondern gerade auch auf die Möglichkeit einer effektiven Beteiligung an der Unternehmensführung. 25 Nationale wie unional determinierte Regelungen, die eine solche Beteiligung erschweren, bedürfen daher der Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, 26 als welche sich die unional gebotene bzw. angestrebte Bekämpfung von Diskriminierungen darstellen kann. In speziellen Konstellationen, in denen eine vertragliche Ungleichbehandlung nicht (ausschließlich) auf allgemeinen unternehmerischen Erwägungen beruht, können privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote zudem in Konflikt mit weiteren grundrechtlich verbürgten Rechtspositionen des Adressaten geraten. So konfligiert ein durch Diskriminierungsverbote erzwungener Zugang von Merkmalsträgern zu gleichzeitig privat genutztem Wohnraum mit dem in Artikel 7 GR-Ch verbürgten Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, 27 während sich ein auch an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gerichtetes Verbot, ihre Mitarbeiter frei von gerichtlicher Überprüfung nach selbst bestimmten Kriterien auszuwählen, als Einschränkung der

Schrifttum; siehe für alle W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 29; a.A. aber Kingreen in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 AEUV, wonach die Grundfreiheiten als „transnationale Integrationsnormen“ nur durch die Mitgliedstaaten verursachte föderale Gefährdungslagen kompensieren. 24  Die aufgrund der erga-omnes Wirkung der Kapitalverkehrsfreiheit gebotene Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden Grundfreiheiten wird durch den EuGH nicht einheitlich vorgenommen. Während in Steuersachverhalten eine Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die Niederlassungsfreiheit konstatiert wird (vgl. EuGH, Rs. C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Rn. 33 ff. – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), ging der EuGH in den so genannten Golden Share-Fällen lange Zeit von einer parallelen Anwendbarkeit beider Grundfreiheiten aus (vgl. EuGH, Rs. C-367/98, Slg. 2002, I-4731, Rn. 56 – Kommission gegen Portugal I); in neueren Urteilen wird aber auch insoweit von einer Verdrängung ausgegangen (vgl. EuGH, Rs. C-326/07, Slg. 2009, I‑2291, Rn. 33 – Kommission gegen Italien). 25  Zur Unionsrechtswidrigkeit von Höchststimmrechten, Entsenderechten und Sperrminoritäten, welche den Einfluss der Anteilseigner entsprechend der Höhe ihrer Beteiligung hindern vgl. EuGH, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995 – Kommission gegen Deutschland (VW-Gesetz I) sowie EuGH, Rs. C-95/12, EU:C:2013:676 – Kommission gegen Deutschland (VW-Gesetz II). 26  Zur Möglichkeit einer Rechtfertigung von Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses vgl. nur EuGH, Rs. C-112/05, Slg. 2007, I-8995, Tz. 72 – Kommission gegen Deutschland (VW-Gesetz I). 27  Siehe dazu noch unten, Dritter Teil § 2 B. III. 2.

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in Artikel 10 GR-Vh verbürgten Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit darstellt. 28

2. Kompetenzen zum Erlass von Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr a) Artikel 157 Abs. 3 AEUV (ex Artikel 141 Abs. 3 EG) Eine spezielle Kompetenz der Union zum Erlass von Maßnahmen zur Gewährleistung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen enthält Artikel 157 Abs. 3 AEUV. Die Vorschrift wurde durch den Vertrag von Amsterdam eingefügt, um eine bis dahin bestehende Kompetenzlücke zu schließen. So wurde die erste Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG in Ermangelung einer speziellen Kompetenz noch auf die Kompetenzabrundungsklausel des Artikels 235 EWG (Artikel 352 AEUV) gestützt. In gegenständlicher Hinsicht deckt Artikel 157 Abs. 3 AEUV, ungeachtet des systematischen Kontextes zum Verbot der Entgeltdiskriminierung in Abs. 1 der Vorschrift, auch Maßnahmen zur Bekämpfung von geschlechtsbezogenen Diskriminierungen in Bezug auf Beschäftigung und Beruf außerhalb der Frage des Entgelts ab. Damit ist insbesondere auch die Frage des diskriminierungsfreien Zugangs zur Beschäftigung umfasst. Artikel 157 Abs. 3 AEUV ermöglicht die Verabschiedung sämtlicher Maßnahmen im Sinne des Artikels 288 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.

b) Artikel 19 AEUV aa) Gegenstand, Entstehungsgeschichte und Funktion Wesentliche Kompetenzgrundlage für den Erlass sekundärrechtlicher Antidiskriminierungsmaßnahmen außerhalb geschlechtsbezogener Diskriminierungen im Arbeitsleben ist allerdings Artikel 19 AEUV. Danach kann der Rat im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten nach einem besonderen Verfahren mit Zustimmung des Parlaments geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Der gegenständliche Anwendungsbereich des Artikels 19 AEUV ist damit sowohl im Hinblick auf die Unterscheidungsmerkmale als auch im Hinblick auf die potentiell erfassten Lebenskonstellationen deutlich weiter als der Anwendungsbereich des Artikels 157 Abs. 3 AEUV. Im Gegenzug ist allerdings auch das Gesetzgebungsverfahren strenger ausgestaltet, indem Artikel 19 Abs. 1 AEUV 28  Zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften siehe unten Dritter Teil § 2 C. II. 5. C) aa) (2).

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auf das besondere Gesetzgebungsverfahren gemäß Artikel 289 AEUV verweist, welches unter anderem Einstimmigkeit im Rat voraussetzt. Art. 19 AEUV wurde durch den Vertrag von Amsterdam als Artikel 13 in den EG-Vertrag eingefügt. Ausweislich ihrer Entstehungsgeschichte diente diese Vertragsänderung nicht der Bekämpfung von Diskriminierungen zur Förderung der Binnenmarktintegration oder zur Erreichung sonstiger ökonomischer Ziele. Vielmehr sollte der Union mit der Schaffung des Artikels 13 EG ein Instrument in die Hand gegeben werden, um Diskriminierungen wegen der in dieser Norm aufgezählten Unterscheidungsmerkmale um ihrer selbst willen zu bekämpfen und hierdurch die Identifikation der Bürger mit dem Projekt der Gemeinschaft zu erhöhen.29 Die Vertragsänderung stellt sich damit als integraler Bestandteil des Paradigmenwechsels in Bezug auf die Zielkonzeption der Union weg von einem „Europa der Marktbürger“ hin zu einem „Europa der Bürger“ dar.30 Im Hinblick auf die dem Unionsgesetzgeber durch Artikel 13 EG erstmals eingeräumte Möglichkeit zur Verfolgung einer eigenständigen, breit angelegten Antidiskriminierungspolitik wurde Artikel 13 EG noch vor seinem Inkrafttreten im Schrifttum der Charakter eines „schlafenden Riesen“ zugesprochen.31 Die Kommission wertete die Einfügung des Artikels 13 EG rückblickend als „Quantensprung nach vorn bei der Bekämpfung von Diskriminierungen auf EU-Ebene.“32

bb) Die Reichweite der Ermächtigung Die besondere Bedeutung, welche Artikel 19 AEUV für die Entwicklung des gesellschaftspolitisch motivierten, vom Binnenmarktziel entkoppelten Diskriminierungsschutzes in der EU gemeinhin zugesprochen wird, kontrastiert allerdings in deutlicher Weise mit dem restriktiven Wortlaut der Vorschrift, welcher sich in zwei tatbestandlichen Einschränkungen manifestiert.

(1) Artikel 19 AEUV als subsidiäre Kompetenznorm Artikel 19 AEUV sieht eine Kompetenz der Union zum Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen „unbeschadet der sonstigen Bestimmungen der Verträge“ vor. Im Schrifttum wird diese Passage zum Teil als bloßer Hinweis darauf gedeutet, dass andere mögliche Kompetenzgrundlagen für den Erlass von 29 

Prechal, CML Rev. 41 (2004), 533, 550. Ellis, in: Arnull/Wincott, Accountability and Legitimacy in the European Union, S. 291, 293 nennt als Motiv hinter der Etablierung neuer Antidiskriminierungsmaßnahmen „preponderantly … the concepts of fairness, autonomy, human dignity and respect for human rights, the creation of a better society in which the quality of people’s life will be improved.“ 31  Zuleeg, in: Europaforum Wien (Hrsg.), Bekämpfung der Diskriminierungen: Orien­ tierungen für die Zukunft, 1999, 104, 108 f. 32  Europäische Kommission, Grünbuch zu „Gleichstellung sowie Bekämpfung von Diskriminierungen in einer erweiterten Union, KOM (2004) 379 endgültig, S. 6. 30 

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Antidiskriminierungsmaßnahmen einer zusätzlichen Kompetenz nach Artikel 19 AEUV nicht im Wege stehen.33 Der Terminus „unbeschadet“, sei insoweit – anders als im Rahmen des Artikels 18 AEUV – nicht im Sinne einer Verdrängung durch speziellere Vorschriften zu verstehen. Er bringe vielmehr lediglich zum Ausdruck, dass sonstige für den Erlass einer bestimmten Antidiskriminierungsmaßnahme ebenfalls einschlägige Kompetenznormen vom Bestehen des Artikels 19 AEUV „unberührt“ blieben und damit kumulativ zur Anwendung kommen könnten.34 Die wohl herrschende Meinung geht dagegen zu Recht von einer Subsidiarität des Artikels 19 AEUV gegenüber anderen Kompetenzgrundlagen mit Ausnahme von Artikel 352 AEUV aus.35 Hierfür spricht zum einen der systematisch-grammatikalische Vergleich mit Artikel 18 AEUV. Nach dieser Vorschrift gilt das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit „unbeschadet der besonderen Bestimmungen des Vertrages.“ Der EuGH interpretiert die genannte Passage in ständiger Rechtsprechung dahingehend, dass Artikel 18 AEUV autonom nur in durch das Unionsrecht geregelten Fällen angewendet werden kann, für die der Vertrag kein besonderes Diskriminierungsverbot vorsieht.36 Das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit wird danach insbesondere durch die diesen Grundsatz konkretisierenden Grundfreiheiten in deren jeweiligem Anwendungsbereich verdrängt. Wenn der Terminus „unbeschadet“ aber im Rahmen des Artikels 18 AEUV im Sinne eines Vorrangverhältnisses zu verstehen ist, kann demselben Terminus im Rahmen einer unmittelbar benachbarten Vorschrift des Vertrages keine hiervon abweichende Bedeutung beigemessen werden.37 Für eine identische Interpretation des Terminus „unbeschadet“ in Artikel 18 und Artikel 19 AEUV spricht zudem die Entstehungsgeschichte der letztgenannten Vorschrift. 33 

Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 AEUV Rn. 7; Khan, in Geiger/ Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 9. 34  Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 AEUV Rn. 7. 35  Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 3; Flynn, CML Rev. 36 (1999) S. 1127, 1134; Grabenwarter, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 11; Waddington, ILJ 28 (1999) 133, 136; Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 56; Unklar Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 128 ff., der zwar wie die Vertreter der Gegenauffassung eigens herausstellt, dass Artikel 13 EG weder Anwendungsbereich noch Auswirkungen anderer Vertragsbestimmungen beeinträchtigt, weitergehend aber wie die h.M. vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur isolierten Anwendbarkeit von Artikel 12 EG (Artikel 18 AEUV) und wegen des jeweils unterschiedlich ausgestalteten Entscheidungsverfahrens von einer Verdrängung des Artikels 13 EG durch spezielle wie allgemeine Kompetenznormen ausgeht. 36  Vgl. nur EuGH, Rs. C-179/90, Slg. 1991, I-5889; Tz. 11 – Merci convenzionali porto di Genova; EuGH Rs. C‑176/96, Slg. 2000, I-2681, Tz. 37 – Lehtonen sowie EuGH, Rs. C-240/10, EU: C: 2011: 591; Tz. 29 – Schulz-Delzers. 37  So ausdrücklich Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 Rn. 3; Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 56; wohl auch Bell, Anti-Dis­crimi­ nation Law, S. 129 f., der seine Argumentation auf die Rechtsprechung des EuGH zur Verdrängung des Artikels 18 AEUV durch die Grundfreiheiten stützt.

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So war die erste Fassung des Artikels 13 EG (Artikel 19 AEUV) im Wortlaut noch gleichlautend zu Artikel 12 EG (Artikel 18 AEUV) formuliert, indem die Union zum Erlass von Maßnahmen „unbeschadet der besonderen Bestimmungen des Vertrages“ ermächtigt werden sollte. Im Rahmen der niederländischen Ratspräsidentschaft wurde dann der Wortlaut des Artikels 13 EG von „besonderen Bestimmungen“ in „sonstige Bestimmungen“ abgeändert. Den Mitgliedstaaten stand der enge Bezug zwischen Artikel 12 EG und dem geplanten Artikel 13 EG somit deutlich vor Augen, nur dass nunmehr für die letztgenannte Norm – insoweit abweichend von Artikel 12 EG – eine vollständige Subsidiarität gegenüber allen sonstigen Kompetenznormen angestrebt wurde.38 Für eine Subsidiarität des Artikels 19 AEUV gegenüber anderen, weniger spezifisch auf die Beseitigung von Diskriminierungen ausgelegten Kompetenznormen spricht schließlich das im Vergleich zu jenen Normen strenger ausgestaltete Gesetzgebungsverfahren, welches unter anderem Einstimmigkeit im Rat vorsieht (vgl. Artikel 19 Abs. 1 AEUV i.V.m. Artikel 289 Abs. 2 AEUV). Die Abstufung der Verfahrensanforderungen würde aber geradezu ad absurdum geführt, wenn man Artikel 19 AEUV auch als Grundlage für solche Antidiskriminierungsmaßnahmen heranziehen könnte, für die bereits eine Kompetenz nach einer anderen Vorschrift mit geringeren Verfahrensanforderungen besteht.

(2) Artikel 19 AEUV als akzessorische Kompetenznorm? Neben der Subsidiarität gegenüber anderen Kompetenznormen enthält Artikel 19 AEUV noch eine weitere Einschränkung, wonach eine Kompetenz nach dieser Vorschrift nur „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ besteht. Die ganz herrschende Meinung interpretiert diese Passage im Sinne einer wie auch immer gearteten Akzessorietät des Artikels 19 AEUV zu den sonstigen Zuständigkeitsnormen des Vertrages.39 Eine Kompetenz nach Artikel 19 AEUV soll danach nur insoweit bestehen, als im Hinblick auf die konkret geplante Maßnahme eine weitere Kompetenznorm einschlägig ist. Diese alles in allem restriktive Auslegung des Artikels 19 AEUV scheint auf den ersten Blick bereits durch die unterschiedliche Formulierung dieser Vorschrift im Vergleich zu Artikel 18 AEUV gestützt zu werden. Denn während nach der letztgenannten Vorschrift das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit „im Anwendungsbereich der Verträge“ und damit 38 Ähnlich

Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 56. Epiney in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 6; Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 AEUV Rn. 9; Jochum, ZRP 1999, 279, 280; Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 182; Stork, Antidiskriminierungsrecht, S. 76; Streinz, in Streinz, EUV/AEUV, Art. 19 AEUVV Rn. 14; Wernsmann, JZ 2005, 224, 230; a.A. Khan, in: Geiger/ Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 8; wohl auch Schiek, in Schiek, AGG, Einl. AGG Rn. 33. 39 

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nach Lesart des EuGH im Rahmen jeder „unionsrechtlich geregelten Situation“ gilt, verleiht Artikel 19 AEUV der Union nur eine Kompetenz zum Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten.“ Der Eindruck eines sich bereits aus dieser grammatikalischen Diskrepanz ergebenden Anforderungsgefälles beider Vorschriften wird noch verstärkt durch die Entstehungsgeschichte des Artikels 19 AEUV. Immerhin hatte der erste Entwurf des damaligen Artikels 13 EG noch eine identische Formulierung wie Artikel 12 EG (Artikel 18 AEUV) vorgesehen. Die Änderung des Wortlautes im Rahmen der niederländischen Ratspräsidentschaft könnte somit darauf schließen lassen, dass für die Begründung einer Kompetenz nach Artikel 19 AEUV mehr erforderlich sein muss als allein das Vorliegen einer unionsvertraglich geregelten Situation im Hinblick auf die zu verabschiedende Maßnahme.40 Bei näherer Betrachtung erweist sich indes ein grammatikalischer Vergleich zwischen den Artikeln 18 und 19 AEUV für die Bestimmung der Reichweite des Artikels 19 AEUV als wenig zielführend. Dies folgt aus der unterschiedlichen Funktion der beiden Vorschriften. Bei Artikel 18 AEUV handelt es sich um einen zentralen Rechtsgrundsatz der Union, der dem Einzelnen selber unmittelbar Rechte verleiht. Die Beschränkung des Geltungsbereichs solcher Grundsätze auf den „Anwendungsbereich der Verträge oder des Unionsrechts“ entspricht dem üblichen Standard41 und dient der Vermeidung einer uferlosen Bindung der Mitgliedstaaten an unionsrechtliche Grundsätze, deren Anwendungsbereich sich nicht bereits aus ihrer Funktion oder ihrem Gegenstand erschließt.42 Dagegen handelt es sich bei Artikel 19 AEUV lediglich um eine Kompetenznorm, die nicht bereits für sich genommen Rechte Einzelner zu begründen vermag.43 In Bezug auf eine solche 40 

In diesem Sinne in der Tat Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 133. etwa im Hinblick auf das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Rn. 74 ff.; – Mangold; EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 Tz. 23 f. – Kücükdeveci. 42  Der Anwendungsbereich primärrechtlicher Rechtsgrundsätze kann sich zum einen aus deren Funktion ergeben. So erfordert die marktöffnende Funktion der Grundfreiheiten eine umfassende Bindung der Mitgliedstaaten zur Beseitigung sämtlicher im nationalen Recht bestehenden Hindernisse. Bei Artikel 157 Abs. 1 AEUV, welcher heute schwerpunktmäßig gesellschaftspolitischen Zielen dient und zudem ein Grundrecht darstellt, ergibt sich der (enge) Anwendungsbereich dagegen aus dem begrenzten thematischen Bezug dieser Verbürgung (Entgeltgleichheit im Zusammenhang mit Beruf und Beschäftigung). Bei thematisch nicht begrenzten, (auch) gesellschaftspolitisch motivierten Rechtsgrundsätzen, wie etwa Artikel 18 AEUV, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gemäß Artikel 6 Abs. 3 EUV sowie den Grundrechten der GR-Ch bedarf die Bindung der Mitgliedstaaten (nicht die der Union!) dagegen einer Begrenzung. Diese wird üblicherweise durch den „Anwendungsbereich des Unionsrechts“ markiert, während Charta-­Grund­rechte die Mitgliedstaaten gem. Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch nur im Rahmen der „Durchführung des Unionsrechts“ binden. Vgl. hierzu unten C. II. 2. 43 EuGH, Rs. 13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 55 – Navas; sowie ganz h.M. im Schrifttum, siehe nur Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 Rn. 1 und Streinz, in: Streinz, 41  Vgl.

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Norm stellt sich nicht die Frage ihres Anwendungsbereichs, sondern die Frage der von ihr gedeckten Maßnahmen und der hierbei zu verfolgenden Ziele. Vor dem Hintergrund dieser funktionalen Unterschiede zwischen Artikel 18 und 19 AEUV vermag ein Wortlautvergleich im vorliegenden Kontext daher keine Erkenntnisse hinsichtlich der Auslegung einer der beiden Vorschrift zu liefern. Diese Feststellung enthebt indes nicht der Aufgabe zu klären, was denn nun konkret unter der von Artikel 19 AEUV statuierten Kompetenz „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ zu verstehen ist. Fest steht in diesem Zusammenhang nur, dass mit „Zuständigkeit“ mehr gemeint sein muss als nur ein Tätigwerden im Rahmen der Ziele der Union. Denn indem Artikel 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUV die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und von Diskriminierungen neben der Errichtung des Binnenmarktes als eigenständiges Ziel der Union definiert, würde Artikel 19 AEUV in diesem Falle den Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen in sämtlichen Lebensbereichen ermöglichen. Dies würde zum einen der offensichtlich intendierten Begrenzungsfunktion des Tatbestandsmerkmals „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ zuwiderlaufen und zum anderen Artikel 19 AEUV auf eine Stufe mit der Kompetenzabrundungsklausel des Artikels 352 AEUV stellen. Reicht somit allein das Ziel einer Bekämpfung von Diskriminierungen zur Begründung einer Kompetenz nach Artikel 19 AEUV nicht aus, so bestehen gleichwohl erhebliche Zweifel, ob insoweit stattdessen mit der herrschenden Meinung eine wie auch immer geartete Einschlägigkeit einer weiteren Kompetenznorm zu fordern ist. Denn wenn Artikel 19 AEUV der Union im Bereich des Antidiskriminierungsrechts keine weitergehenden Kompetenzen eröffnen würde, als diese bereits nach dem bisherigen Kompetenzgefüge hatte, käme der Norm kaum mehr als ein reiner Symbolcharakter zu.44 Die herrschende Meinung in Deutschland versucht dieser Konsequenz dadurch zu entrinnen, dass sie hinsichtlich der jeweils geplanten Antidiskriminierungsmaßnahme nur die materielle Einschlägigkeit einer anderen Kompetenznorm fordert45 und nicht EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 19 jeweils m.w.N.; a.A. Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 AEUV Rn. 4, wonach Artikel 19 AEUV in Kombination mit auf Grundlage dieser Norm erlassenen Sekundärrechtsakten ein unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot begründet. 44  Dies konzedieren auch Meyer, Diskriminierungsverbot, S. 62; Stork, Antidiskriminierungsrecht, S. 75; kritisch im Hinblick auf den Mehrwert des Artikels 13 EG (Artikel 19 AEUV) auch Flynn, CML Rev. 36 (1999), 1127, 1134: „It thereby seems to subject that provision [Article 13] to the limits of existing Community competences, in which case, Article 13 adds nothing to the EC Treaty.“ Ähnlich Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 135: „The importance of that discussion is in establishing that Article 13 EC is not a truly autonomous competence for anti-discrimination law.“ 45  Epiney in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 6; Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 AEUV Rn. 9; Stork, Antidiskriminierungsrecht, S. 76; Streinz, in Streinz, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 14.

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zugleich die Einschlägigkeit im Hinblick auf die jeweils legitimierte konkrete Handlungsform.46 Die Funktion des Artikels 19 AEUV bestünde dann allein darin, Handlungsformen zu ermöglichen, welche nach der jeweils einschlägigen anderen Kompetenznorm gegebenenfalls ausgeschlossen sind.47 Auch nach dieser Lesart wäre der Anwendungsbereich des Artikels 19 AEUV indes gerade in Bezug auf die Kompetenz der Union zum Erlass privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote äußerst begrenzt. So besteht im Hinblick auf die Etablierung arbeitsrechtlicher Diskriminierungsverbote wegen anderer Unterscheidungsmerkmale als dem Geschlecht bereits eine Kompetenz der Union nach Artikel 153 Abs. 1 lit b, Abs. 2 b AEUV (Regelung der Arbeitsbedingungen), die auch den Erlass von Richtlinien ermöglicht und damit wenig Raum für eine Annex-Kompetenz nach Artikel 19 AEUV lässt. Noch weniger erschließt sich der Mehrwert von Artikel 19 AEUV unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung hinsichtlich des Schutzes vor Diskriminierung im Bereich des allgemeinen Zivilrechts. Anders als im Arbeitsrecht bestehen insoweit nämlich bereits Zweifel am Vorliegen einer Grundkompetenz, an welche die Annexkompetenz des Artikels 19 AEUV anknüpfen könnte. In Betracht kommt hier, in Ermangelung einer allgemeinen Kompetenz der Union zur Vereinheitlichung des Zivilrechts, nur die Binnenmarktkompetenz des Artikels 114 AEUV. Um eine Kompetenz nach dieser Vorschrift zu begründen, muss die in Aussicht genommene Maßnahme entsprechend der vom EuGH im ersten Tabak-Urteil aufgestellten Formel aber entweder dem Abbau von Hemmnissen für die Grundfreiheiten dienen oder der Beseitigung von spürbaren Wettbewerbsverfälschungen, die durch unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten hervorgerufen werden.48 Beides erscheint hinsichtlich der bestehenden Diskriminierungsverbote im Bereich des Güteraustauschs nicht unbedingt naheliegend. Zunächst stellen sich private Diskriminierungen wegen anderer Gründe als der Staatsangehörigkeit auch unter Anerkennung einer privaten Dimension der Grundfreiheiten nicht als Verstoß gegen das den Grundfreiheiten innewohnende Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit dar. Möglich wäre allenfalls, private Diskriminierungen wegen anderer Gründe als der Staatsangehörigkeit als (nicht-diskriminierende!) Beschränkungen der Grundfreiheiten anzusehen, indem sie deren Ausübung behindern. Bell konstruiert hierzu das Beispiel eines britischen Staatsangehörigen indischer Herkunft, welchem auf einer Reise nach Italien aus ethnischen Gründen die Anmietung eines Ho-

46  So aber Jochum, ZRP 1999, 279, 280 sowie offenbar Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 182. 47  So explizit Epiney, in: Calliess/Rufffert, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 6. 48 EuGH, Rs. C-376/89, Slg. 2000, I-8419, Tz. 83 f. – Kommission gegen Deutschland (Tabakwerbeverbot I).

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telzimmers oder der Zugang zu einer Bar verweigert wird.49 Wie Bell selbst einräumt, dürfte ein solch konstruiertes Beispiel allerdings kaum den strengen Anforderungen genügen, die der EuGH im ersten Tabak-Urteil hinsichtlich des Nachweises des tatsächlichen und nicht nur abstrakten Bestehens von Handelshemmnissen aufgestellt hat.50 Zudem wird man angesichts der Tatsache, dass es sich bei privaten Diskriminierungen nicht um staatliche Beschränkungen handelt, eine spürbare Auswirkung solcher Diskriminierungen auf den zwischenstaatlichen Güteraustausch verlangen müssen.51 Angesichts vorhandener Ausweichmöglichkeiten potentieller Diskriminierungsopfer in einem funktionierenden Markt52 erscheint ein solcher Nachweis aber nur schwer zu erbringen. Dasselbe Problem stellt sich letztlich, wenn man mit W.-H. Roth unabhängig vom Vorliegen einer Beschränkung der Grundfreiheiten solche Maßnahmen von der Kompetenz des Artikels 114 AEUV als umfasst ansieht, die den praktischen Gebrauch der Grundfreiheiten erleichtern und die wirtschaftliche und soziale Durchdringung innerhalb der Union fördern.53 Zwar lässt sich kaum in Abrede stellen, dass die Bekämpfung privater Diskriminierungen aus anderen Gründen als der Staatsangehörigkeit den Güteraustausch zwischen den Mitgliedstaaten eher fördert denn hemmt.54 Will man über den Gedanken der Binnenmarktförderung keine uferlose Kompetenz zur Angleichung nationaler Rechtsregeln legitimieren, bedarf es aber auch insoweit eines Korrektivs in dem Sinne, dass durch die geplante Rechtsangleichungsmaßnahme die Ausübung der Grundfreiheiten spürbar gefördert wird. Gerade ein solcher Nachweis lässt sich im Hinblick auf die Bekämpfung privater Diskriminierung jedoch aus den soeben dargelegten Gründen kaum erbringen. Schließlich ist auch eine spürbare Verfälschung des Wettbewerbs durch unterschiedliche Antidiskriminierungsregeln in den einzelnen Mitgliedstaaten eher nicht zu besorgen. Zwar lag der Aufnahme des Verbots der Entgeltdiskriminierung gemäß Artikel 119 EWG (Artikel 157 AEUV) in die Verträge gerade eine solche Sorge zugrunde.55 Die Auswirkungen der Höhe des Entgelts auf die Produktionskosten und damit auf den zwischenstaatlichen Wettbewerb liegen 49 

Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 138. Bell, Anti-Dis­crimi­nation Law, S. 138; Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 71. 51  Einen solchen Spürbarbarkeitstest im Rahmen der Bindung Privater an die Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten erwägt zu Recht W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393, 411, unter Verweis auf gleichlautende Erwägungen von GA Maduro, Schlussanträge zu Rs. C-438/05, Slg. 2007, I‑10779, Tz. 47 – Viking. 52  Siehe dazu oben Einleitung § 2 B. I. 1. 53 Vgl. W.-H. Roth, in: Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 13, 38 f. unter Berufung auf EuGH, Rs. 2/74, Slg. 1974, 631, Tz. 21 – Reyners. 54  Siehe dazu oben Erster Teil § 3 B. IV. 2. b). 55  Zu den marktintegrativen Wurzeln des Gebots der Entgeltgleichheit siehe oben Erster Teil § 3 B. III. 1. 50 

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allerdings wesentlich deutlicher auf der Hand als entsprechende Auswirkungen unterschiedlicher Antidiskriminierungsregelungen im Bereich des Marktes für Güter und Dienstleistungen, wie etwa im Bereich der Wohnungsmiete oder gar der Versorgung mit in Zeitungen annoncierten Alltagsgütern. Im Hinblick auf bestimmte Dienstleistungen, wie etwa Versicherungen, mag dies angesichts der insoweit produktgestaltenden Wirkung rechtlicher Regelungen56 anders sein. Sofern sich im Hinblick auf solche Dienstleistungen aber eine Kompetenz der Union zum Erlass von einheitlichen Antidiskriminierungsmaßnahmen nach Artikel 114 AEUV begründen ließe, würde diese Kompetenz wiederum zum Erlass sämtlicher in Artikel 288 AEUV genannter Maßnahmen einschließlich Richtlinien und Verordnungen ermächtigen. Auch insoweit bestünde somit weder Raum noch Notwendigkeit für eine zusätzliche Kompetenz nach Artikel 19 AEUV.57 Legt man die herrschende Meinung zugrunde, käme Artikel 19 AEUV somit – abweichend von der allgemeinen Wahrnehmung der Norm – allenfalls eine marginale Bedeutung im Zusammenhang mit dem Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen durch die Union zu. Der „schlafende Riese“ würde sich bei näherer Betrachtung als mickriger Zwerg entpuppen. Mehr noch, bei einigen der zwischenzeitlich auf Grundlage von Artikel 19 AEUV erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, ob die Union überhaupt eine Kompetenz hatte, sie zu erlassen.58 Dieses ebenso erstaunliche wie ernüchternde Zwischenfazit gibt Anlass, Artikel 19 AEUV unter Einbeziehung seines Telos in einem weiteren Sinne zu verstehen und ihm, wie offensichtlich auch die Kommission und der EuGH, den Charakter einer eigenständigen Kompetenzgrundlage zuzugestehen.59 Eckpunkt für eine solche erweiternde Auslegung des Artikels 19 AEUV ist zum einen die bereits eingangs gewonnene Erkenntnis, dass diese Norm als integraler Bestandteil des Konzepts einer europäischen Wertegemeinschaft eine nicht-binnenmarktfinale Bekämpfung von Diskriminierungen ermöglichen sollte.60 Eine Auslegung des Artikels 19 AEUV, die den Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen im Bereich des Privatrechts nach wie vor an die Förderung des Binnenmarktziels knüpft, ist mit einer solchen Zielsetzung nicht zu vereinbaren. 56  Die produktgestaltende Wirkung des Versicherungsvertragsrechts betont W.-H. Roth, in: Bitburger Gespräche Jahrbuch 2006/II, 2007, 109, 123 ff. 57 Ähnlich Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 66. 58  Vgl. die diesbezügliche Untersuchung bei Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 71 f. Zu einem positiven Ergebnis speziell im Hinblick auf die Richtlinie 2000/43/EG (Anti-Rassismus-Richtlinie) gelangt Althoff, Bekämpfung von Diskriminierungen, S. 205 f., wonach die genannte Richtlinie sogar primär der Bekämpfung von Hindernissen für den freien Gütermarkt dienen soll. 59  Khan, in Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 19 AEUV Rn. 8; wohl auch Schiek, in: Schiek, AGG, Einl. AGG Rn. 33. 60  Siehe oben Erster Teil § 3 B. III. 2. c).

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Aus der Entstehungsgeschichte des Artikels 19 AEUV und hier insbesondere aus der zwischenzeitlichen Änderung des Wortlauts folgt jedoch zugleich, dass die Mitgliedstaaten der Union keine unbegrenzte Kompetenz zum Erlass von nicht-binnenmarktfinalen Antidiskriminierungsmaßnahmen in allen denkbaren Lebensbereichen einräumen wollten. Beide Eckpunkte für eine erweiternde Auslegung des Artikel 19 AEUV im Auge behaltend wird man das Merkmal „im Rahmen der durch die Verträge auf die Union übertragenen Zuständigkeiten“ einerseits nicht dahingehend interpretieren können, dass im Hinblick auf die geplante Maßnahme eine Zuständigkeit in materieller Hinsicht in all ihren Tatbestandsvoraussetzungen bestehen muss. Andererseits muss die geplante Maßnahme eine durch eine andere Zuständigkeit abgedeckte Materie zumindest „berühren.“ Konkret im Hinblick auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote bedeutet dies, dass sich Antidiskriminierungsmaßnahmen der Union auf die Märkte für Produkte und Produktionsfaktoren beschränken müssen, für deren Regelung die Union unter der weiteren Voraussetzung der Binnenmarktförderung eine Kompetenz nach Artikel 114 AEUV innehat. Die Voraussetzungen des Artikels 114 AEUV im Einzelnen müssen hingegen für das Bestehen einer Kompetenz nach Artikel 19 AEUBV nicht vorliegen. Insbesondere ist es für das Bestehen einer Kompetenz nach Artikel 19 AEUV – abweichend von der herrschenden Meinung – unerheblich, ob eine bestimmte Antidiskriminierungsmaßnahme tatsächlich dem Abbau von Hemmnissen für die Grundfreiheiten oder von spürbaren Wettbewerbsverfälschungen dient, so lange sich die Maßnahme nur auf den Güter- und Dienstleistungsmarkt als solchen bezieht. Nicht von Artikel 19 AEUV gedeckt ist dagegen der Erlass privatrechtsbezogener Antidiskriminierungsmaßnahmen außerhalb dieses Marktes, wie etwa im Bereich des Familien- und Erbrechts61 oder des Vereinsrechts, da für eine Regelung der genannten Materien nicht einmal im Ansatz eine Kompetenz der Union besteht. Der hier vertretene Ansatz weist auf den ersten Blick Ähnlichkeit mit einem jüngst von Zoppel entwickelten Ansatz auf, wonach Artikel 114 AEUV und Artikel 19 AEUV kumulativ heranzuziehen sind, wenn eine Antidiskriminierungsmaßnahme einerseits einen gewissen Binnenmarktbezug aufweist, dieser aber andererseits nicht ausreichend ist, eine Kompetenz allein nach Artikel 114 AEUV zu begründen.62 Zoppel stützt diesen Ansatz auf Aussagen des EuGH, wonach Maßnahmen, durch welche zwei untrennbar miteinander verbundene Ziele verfolgt werden, kumulativ auf zwei unterschiedliche Kompetenzgrundlagen gestützt werden dürfen.63 Bei genauer Betrachtung vermag die genannte 61 

Insoweit auch Schiek, in: Schiek, AGG, Einl. AGG Rn. 33. Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 67 ff. 63  St. Rspr., Zoppel selbst zitiert die Urteile EuGH, Rs. C-211/01, Slg. 2003, I-8913, Tz. 40 – Kommission gegen Rat; EuGH, Rs. C-411/06, Slg. 2009, I-7585, Tz. 47 – Kommission gegen Parlament und Rat; zustimmend Leible/Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 Rn. 130. 62 

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Rechtsprechung den von Zoppel verfolgten Ansatz einer aus Artikel 114 und 19 AEUV zusammengesetzten Kompetenz indes gleich aus mehreren Gründen nicht zu tragen. Zum einen besteht die Möglichkeit einer kumulativen Heranziehung des Artikels 114 AEUV neben einer anderen Kompetenzgrundlage nur insofern, als für die in Rede stehende Rechtsangleichungsmaßnahme nicht eine der vom Unionsgesetzgeber verfolgten Zielsetzungen als die wesentliche zu qualifizieren und damit allein zur Begründung der Maßnahme heranzuziehen ist.64 Vor allem aber kommt die Heranziehung des Artikels 114 AEUV gemeinsam mit einer anderen Kompetenzgrundlage überhaupt nur dann in Betracht, wenn beide Kompetenzgrundlagen im Hinblick auf die geplante Rechtsangleichungsmaßnahme schon für sich genommen einschlägig sind.65 Die kumulative Heranziehung zweier Kompetenzgrundlagen erfüllt hier also gerade nicht den ihr von Zoppel zugedachten Zweck, eine Kompetenz überhaupt erst zu begründen. In Bezug auf Artikel 114 AEUV bedarf es vielmehr nach wie vor einer auf Errichtung und Funktionieren des Binnenmarktes ausgerichteten Zielsetzung des Unionsgesetzgebers. Zwar schadet insoweit die Verfolgung weiterer Ziele neben dem Binnenmarktziel nicht, da nahezu jede binnenmarktfinale Maßnahme zugleich die Regelung einer bestimmten Rechtsmaterie beinhaltet und insoweit eigenständige Ziele verfolgt. So kann Artikel 114 AEUV etwa auch dann geeignete Rechtsgrundlage sein, wenn dem Gesundheitsschutz im Rahmen einer Harmonisierungsmaßnahme maßgebende66 oder entscheidende Bedeutung67 neben der Verfolgung des Binnenmarktziels zukommt. Mindestvoraussetzung für das Stützen einer Maßnahme auf Artikel 114 AEUV ist aber stets, dass die in Rede stehende Maßnahme tatsächlich zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr oder von Wettbewerbsverzerrungen beiträgt und dieses Ziel nicht nur nebenbei verfolgt.68 Gerade diese 64  St. Rspr., vgl. neben den in Fußnote 52 genannten Urteilen (dort Tz. 39 und 46) nur EuGH, Rs. C-96/98, Slg. 2001, I-779, Tz. 59 – Spanien gegen Rat; EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Tz. 74 – British American Tobacco; EuGH, Rs. C-178/03, Slg. 2006, I-107, Tz. 43 – Kommission gegen Parlament und Rat. Diese bisweilen als „Schwerpunkttheorie bezeichnete“ Sichtweise wird im Schrifttum weitgehend geteilt, vgl. nur Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 114 AEUV Rn. 23; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV (4. Aufl.), Art. 114 AEUV Rn. 83; jeweils m.w.N; kritisch Ludwigs, Rechtsangleichung, S. 297 f. Einen schon im Ausgangspunkt abweichenden Ansatz (Vorrang sachgebietsregelnder vor finalen Kompetenznormen) vertreten Barents, CML Rev. 30 (1993), 85, 97 ff. sowie Nettesheim, EuR 1993, 243, 248 ff. 65  Zur Unterscheidung der Abgrenzung zweier für sich genommen einschlägiger Kompetenzen der Union (horizontale Kompetenzabgrenzung) und der Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten (vertikale Kompetenzabgrenzung) vgl. Ludwigs, Rechtsangleichung, S. 276 ff. 66 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Tz. 88 – Kommission gegen Deutschland (Tabakwerbeverbot I); EuGH, C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Tz. 31 – Swedish Match. 67 EuGH, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Tz. 75 – British American Tobacco. 68 EuGH, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Tz. 88 – Kommission gegen Deutschland (Tabakwerbeverbot I); Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 114 Rn. 24.

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Voraussetzung ist aber im Hinblick auf privatrechtsbezogene Antidiskriminierungsmaßnahmen nicht erfüllt, da solche Maßnahmen, wie oben gesehen, zur Förderung des Binnenmarktziels nicht notwendig sind. Knüpft Artikel 19 AEUV somit die Kompetenz der Union zum Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen an die materielle Einschlägigkeit einer anderen Kompetenznorm, wovon Zoppel mit der h.M. nach wie vor auszugehen scheint, vermag Artikel 114 AEUV diesen Anknüpfungstatbestand nicht zu liefern. Eine aus Artikel 114 und 19 AEUV zusammengesetzte Kompetenz fügt sich damit – entgegen Zoppel – gerade nicht in die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu Artikel 114 AEUV ein. Zudem führt das Stützen einer Maßnahme auf zwei verschiedene Rechtsgrundlagen zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des einzuhaltenden Verfahrens.69 Alles in allem erscheint es daher vorzugswürdig, Artikel 19 AEUV von vornherein erweiternd dahingehend auszulegen, dass diese Norm im Bereich des Gütermarktes eigenständige, vom Binnenmarktziel entkoppelte Antidiskriminierungsmaßnahmen ermöglicht.

II. Sekundärrecht 1. Überblick Auf der sekundärrechtlichen Ebene wird der gesellschaftspolitisch motivierte Schutz vor Diskriminierung heute durch vier Richtlinien geprägt, welche jeweils für bestimmte Lebensbereiche ein Verbot der Diskriminierung wegen bestimmter Unterscheidungsmerkmale etablieren. Bei den genannten Lebensbereichen handelt es sich zum einen um das Erwerbsleben, zum anderen um die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Die Richtlinien richten sich an die Mitgliedstaaten und verpflichten diese zur Etablierung des jeweiligen Diskriminierungsverbots („stellen sicher“, „Errichtung eines Rahmens“). Hieraus folgt für den Staat und seine Untergliederungen zum einen die Pflicht, sich selbst Diskriminierungen zu unterhalten. Zum anderen sind aber auch Diskriminierungen, die von Privatpersonen ausgehen, zu unterbinden. Angesichts der Tatsache, dass die von den Richtlinien erfassten Lebensbereiche (Erwerbsleben, Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen) in den meisten Mitgliedstaaten weitestgehend privat organisiert sind, kann der Auftrag an die Mitgliedstaaten zum Erlass privatrechtlicher Normen sogar als der zentrale Regelungsinhalt der Antidiskriminierungsrichtlinien bezeichnet werden.

69 

Vgl. hierzu Ludwigs, Rechtsangleichung, S. 292 ff.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

2. Die Richtlinien im Einzelnen a) Diskriminierung wegen des Geschlechts aa) Richtlinie 2006/54/EG (konsolidierte Gleichbehandlungsrichtlinie) Ausgangspunkt des sekundärrechtlichen Normbestands im Bereich des gesellschaftspolitisch motivierten Schutzes vor Diskriminierung und Vorbild für alle später erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien bezüglich anderer Lebensbereiche und Unterscheidungsmerkmale war zunächst die Richtlinie 76/207/ EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Erwerbsleben (Gleichbehandlungsrichtlinie).70 Die seinerzeit mangels spezieller Kompetenzgrundlage auf die Kompetenzabrundungsklausel des Artikels 235 EWG71 gestützte Richtlinie regelte das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Bereich des Erwerbslebens indes nur ausschnittsweise und bruchstückhaft. So erfassten die Vorgaben der Richtlinie in gegenständlicher Hinsicht nur Diskriminierungen im Erwerbsleben außerhalb des Arbeitsentgelts, während das in Artikel 157 Abs. 1 AEUV primärrechtlich verankerte Verbot der Entgeltdiskriminierung in der parallel erlassenen Richtlinie 75/117/EWG konkretisiert und näher ausgestaltet wurde.72 Auch in dem gegenständlich erfassten Bereich wies die Richtlinie 76/207/EWG zudem eine äußerst geringe Regelungsdichte auf. So fehlte es etwa an wichtigen Definitionen (etwa zum Tatbestand der Diskriminierung) und an einer detaillierten Regelung zu Rechtsfolgen und Sanktionen. Angelehnt an die Judikatur des EuGH wurden einige der zunächst fehlenden Regelungen, wie etwa eine Definition der mittelbaren Diskriminierung und eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Vorliegens einer diskriminierenden Motivation, zwischenzeitlich in einer eigenständigen Richtlinie 97/80/EG (Beweislastrichtlinie)73 etabliert. Die Richtlinie 76/207/EWG selbst wurde wiederum durch die nunmehr be70  Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 1976 L 39/40. 71 Heute dürfte eine entsprechende Richtlinie nicht mehr auf die Kompetenzabrundungsklausel (Artikel 352 AEUV) gestützt werden, weil für den Erlass von Maßnahmen zur Gewährleistung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Mann und Frau im Arbeitsleben mit Artikel 157 Abs. 3 AEUV eine spezielle Kompetenzgrundlage zur Verfügung steht, die Artikel 352 AEUV insoweit verdrängt; vgl. allgemein zur Subsidiarität des Artikels 352 AEUV gegenüber anderen Kompetenznormen Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 352 AEUV Rn. 40.ff. 72  Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, ABl. 1975 L 45/19. 73  Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. 1997 L 14/6.

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reits auf Artikel 141 Abs. 3 EG (= Artikel 157 Abs. 3 AEUV) gestützte Richtlinie 2002/73/EG geändert.74 Die wesentlichen Änderungen betrafen zum einen die Einfügung von Definitionen für alle Handlungsformen (unmittelbare und mittelbare Diskriminierung, Belästigung). Zum anderen wurde im Bereich der von den Mitgliedstaaten festzusetzenden Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot im Anschluss an die hierzu zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des EuGH75 ein zwingender Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Schadensersatz einschließlich Regeln zu dessen Ausgestaltung etabliert. Den letzten Akt der sekundärrechtlichen Regelung des Verbots der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Erwerbsleben stellte schließlich der Erlass der Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen dar.76 Ziel des Erlasses dieser ebenfalls auf Artikel 141 Abs. 3 EG (Artikel 157 AEUV) gestützten Richtlinie war die Vereinigung aller bisher erlassenen Richtlinien zum Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung im Erwerbsleben in einem konsolidierten Text. Die neue Richtlinie umfasst nunmehr insbesondere auch die bisher in der Richtlinie 75/117/EWG eigenständig geregelte sekundärrechtliche Ausgestaltung des Verbots der Entgeltdiskriminierung sowie die bisher in der Richtlinie 97/80/ EG geregelte Beweislastumkehr hinsichtlich des Vorliegens einer Diskriminierung. Im Hinblick auf die zahlreichen zwischenzeitlichen Änderungen und Anpassungen an die Rechtsprechung des EuGH weist die Richtlinie 2006/54/ EG von allen heute geltenden Richtlinien im Bereich des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes nicht nur die höchste Regelungsdichte, sondern auch die höchste Aktualität auf. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die vergleichsweise detaillierten Regelungen zu dem durch die Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgenregime bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot.

bb) Richtlinie 2010/41/EU Flankiert wird die Richtlinie 2006/54/EG durch die Richtlinie 2010/41/EU zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der 74 

Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 2002 L 269/15. 75  Zu dieser Rechtsprechung noch ausführlich unten Vierter Teil § 1 D. 76  Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.7.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung), ABl. 2006 L 204/23.

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Richtlinie 86/613 EWG des Rates. Die zentralen, das Privatrecht betreffenden Aspekte der Gleichbehandlung von Mann und Frau (Zugangs- und Ausübungsbedingungen) werden indes auch im Hinblick auf die selbständige Erwerbstätigkeit bereits von der Richtlinie 2006/54/EG abgedeckt,77 die der Richtlinie 2010/41/EU insoweit vorgeht (vgl. Erwägungsgrund 7 der Richtlinie 2010/41/ EU). Für den Untersuchungsgegenstand hat die Richtlinie 2010/41/EU daher keine Relevanz.

cc) Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie) Der Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts wird ergänzt durch die auf Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV) basierende Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (Gender-Richtlinie).78 Soweit die genannten Güter und Dienstleistungen, wie üblich, privat angeboten werden, etabliert die Richtlinie ein Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Bereich des allgemeinen Zivilrechts (außerhalb des Arbeitsrechts). Das Diskriminierungsverbot erfasst damit insbesondere auch die Verwendung geschlechtsspezifischer Faktoren zur Berechnung von Prämien und Leistungen bei der Begründung von Versicherungsverträgen. Regelungsdichte und Regelungsstandard der Richtlinie gehen über den Standard der Richtlinie 76/207/EG in ihrer ursprünglichen Fassung deutlich hinaus und entsprechen hinsichtlich der Rechtsfolgen dem Standard der auf der Rechtsprechung des EuGH aufbauenden konsolidierten Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG.

b) Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft – die Richtlinie 2000/43/EG (Antirassismus-Richtlinie) Die auf Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV) basierende Richtlinie 2000/43/EG (Antirassismus-Richtlinie)79 etabliert ein Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft. Das Verbot erfasst in gegenständlicher Hinsicht u.a. sowohl das Erwerbsleben als auch die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen und deckt damit ein weites Spektrum innerhalb des Privatrechts ab. Regelungsdichte und -standard entsprechen grundsätzlich 77  Zu der Frage, inwieweit die Richtlinie 2006/54/EG auch die selbständige Erwerbstätigkeit abdeckt, siehe auch noch unten Dritter Teil § 2 B. II. 2. c). 78  Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373/37. 79  Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22.

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dem der Richtlinien zur geschlechtsbedingten Diskriminierung, bleiben aber hinsichtlich der Rechtsfolgenregelung (keine ausdrückliche Anordnung von Schadensersatzansprüchen) hinter diesen zurück.

c) Diskriminierung wegen anderer Gründe aa) RL 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf ) Nur das Erwerbsleben betrifft dagegen die ebenfalls auf Artikel 13 EG (Artikel 19 ARUV) gestützte Richtlinie 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf).80 Die Richtlinie etabliert insoweit ein Diskriminierungsverbot wegen aller in Artikel 19 AEUV aufgezählter Unterscheidungsmerkmale mit Ausnahme des Geschlechts, der Rasse und der ethnischen Herkunft. Konkret betrifft die Richtlinie somit Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung. Im Hinblick auf Regelungsdichte und -standard gilt das zur Richtlinie 2000/43/EG Gesagte.

bb) Der fehlende Baustein: Richtlinienentwurf vom 2.7.2008, KOM (2008) 426 endgültig Anhand der bisherigen Ausführungen zum sekundärrechtlichen Normbestand im Bereich des gesellschaftspolitisch motivierten Schutzes vor Diskriminierung sticht eine Besonderheit ins Auge. Während in Bezug auf die Unterscheidungsmerkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft ein sekundärrechtlicher Schutz vor Diskriminierungen sowohl im Bereich des Erwerbslebens als auch hinsichtlich der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen etabliert wurde, beschränkt sich der Schutz gegen Diskriminierungen aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung auf den Bereich des Erwerbslebens. In Bezug auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen fehlt es somit bisher an einem sekundärrechtlichen Schutz vor Diskriminierungen wegen der letztgenannten Unterscheidungsmerkmale. Das Schließen dieser Lücke ist Ziel eines Vorschlags der Kommission vom 2.7.2008 zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung (sog. 5. Gleichbehandlungsrichtlinie).81 Das weitere Schicksal dieses Vorschlags erscheint allerdings derzeit unsicher. Ende 2014 wurde der Entwurf zuletzt im Rat verhandelt.82 Während die meisten Mit80  Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16. 81 KOM (2008) 426 endgültig; hierzu Vandenberghe, ZEuP 2011, 235. 82  Diskussionsbericht vom 8. Dezember 2014, 15705/14 ADD 1 REV 2.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

gliedstaaten den Entwurf im Wesentlichen unterstützen, scheiterte dessen zügige Verabschiedung bisher offensichtlich vor allem am Widerstand Deutschlands. Begründet wird diese ablehnende Haltung von deutscher Seite zum einen mit dem Fehlen einer einschlägigen Kompetenzgrundlage, einem Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz sowie – in inhaltlicher Hinsicht – mit im Falle der Verabschiedung der Richtlinie zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Folgen für kleine und mittelständische Unternehmen.83

B. Das Binnenverhältnis der Regelungsebenen des unionalen Diskriminierungsschutzes Nachdem im vorhergehenden Abschnitt die einzelnen Rechtsquellen des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes im Unionsrecht zunächst getrennt nach Regelungsebenen dargestellt wurden, soll nunmehr das Verhältnis der primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbote einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Hierbei soll ausgehend vom rechtsquellentheoretischen Ideal eines Stufenbaus der Rechtsordnung auf eine dogmatische Besonderheit eingegangen werden, welche dieses Ideal in einem wichtigen Teilbereich des unionalen Antidiskriminierungsrechts in Frage stellt. Angesprochen ist die vom EuGH seit dem Urteil Mangold praktizierte Herleitung primärrechtlicher Norminhalte aus dem Sekundärrecht und der hierdurch bedingte Verlust des Primärrechts als Auslegungs- und Gültigkeitsmaßstab für das Sekundärrecht. Die sich hierin manifestierende Umkehr der Hierarchieebenen zeitigt nicht nur Folgen von hoher dogmatischer und verfassungsrechtlicher Brisanz für das Binnengefüge des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes. Ihr kommt darüber hinaus – gerade im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen unzulässiger Diskriminierungen – maßgebende Bedeutung für die Intensität der mitgliedstaatlichen Bindung an die unionsrechtlichen Vorgaben zu (siehe dazu Abschnitt C).

I. Das rechtsquellentheoretische Ideal: Primärrecht als Auslegungs- und Gültigkeitsmaßstab für das Sekundärrecht Nach dem von der Wiener rechtstheoretischen Schule im Anschluss an die Arbeiten von Kelsen84 entwickelten Modell eines Stufenbaus der Rechtsordnung gestaltet sich das Verhältnis zwischen Normen unterschiedlicher Regelungs83 

84 

Ibid. S. 2. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 228 ff.

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ebenen als ein System von Normen, die jeweils durch Normen einer höheren Rangstufe legitimiert werden und an diesen zu messen sind.85 Dieses Modell prägt im Grundsatz auch die Binnenstruktur des Unionsrechts und damit das Verhältnis von Primärrecht und Sekundärrecht.86 Für die Charta-­Grund­rechte ist die Bindung der Union und ihrer Organe bereits in Art. 51 Abs. 1 GR-Ch festgeschrieben. Für die bereits in den Verträgen enthaltenen primärrechtlichen Verbürgungen (Grundfreiheiten, Diskriminierungsverbote) gilt ungeachtet des teilweise in eine andere Richtung deutenden Wortlauts im Prinzip nichts anderes.87 Ausfluss dieser normhierarchischen Beziehung zwischen Primärrecht und Sekundärrecht ist zunächst das vom EuGH in ständiger Rechtsprechung88 etablierte Gebot der primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts.89 Daneben tritt im Falle einer durch Auslegung nicht zu bereinigenden Normkollision die gegebenenfalls durch den EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 267 Abs. 1 lit b AEUV festzustellende Ungültigkeit der sekundärrechtlichen Norm (Geltungsvorrang).90

85 Grundlegend Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, S. 145 ff. 86  Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 11; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 8; W. Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, S. 364: „Normhierarchie, wie dies für eine Verfassung typisch ist“; Eingehend zur Binnenstruktur des Unionsrechts Nettesheim, EuR 2006, 737 ff. 87  Zur Bindung der Union an Artikel 18, 157 AEUV siehe bereits oben A I 1 a. Auch in Bezug auf die Grundfreiheiten entspricht die Bindung der Unionsorgane nicht nur der ständigen Rechtsprechung des EuGH seit Rs. 15/83, Slg. 1984, 2171, Tz. 15, 17– Denkavit, sondern zugleich der wohl h.L., siehe nur W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rn. 29, a.A. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 AEUV Rn. 110 mit der Begründung, der Unionsgesetzgeber baue regelmäßig keine Zugangshindernisse auf, sondern ab; grundlegend zur Bindung der Union an die Grundfreiheiten Schwemer, Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten (1995) und Scheffer, Die Marktfreiheiten des EG-Vertrags als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers (1997); vgl. auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, S. 81 ff. 88 EuGH, Rs. 29/69, Slg. 1969, 419 Tz. 4 ff. – Stauder; EuGH, Rs. C-98/91, Slg. 1994, I-248, Tz. 9 – Herbrink; EuGH, Rs. C-/02, Slg. 2004, I-3219, Tz. 30 – Borgmann 89  Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 11; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 9. 90  Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 11; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 9; W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 Rn. 20.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

II. Friktionen mit dem rechtsquellentheoretischen Ideal: Umkehr der Normhierarchie als Folge der Mangold-Rechtsprechung des EuGH Nach dem soeben Gesagten wäre auch bei dem Bereich des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes von einer Normhierarchie zwischen primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Diskriminierungsverboten auszugehen. Erstere müssten somit Maßstab für die Auslegung und Gültigkeit der letzteren sein. Friktionen mit diesem Idealbild ergeben sich allerdings in Bezug auf bestimmte Aussagen des EuGH, welche dieser erstmalig im Urteil Mangold 91 getroffen und dann in weiteren Urteilen verfestigt und ausgebaut hat. Die Aussagen des EuGH stellen, wie zu zeigen sein wird, im Bereich des Antidiskriminierungsrechts nicht nur die Funktion des Primärrechts als Rechtserkenntnisquelle für das Sekundärrecht, sondern zugleich als dessen Gültigkeitsmaßstab in Frage. Beide Aspekte weisen zwar einen engen dogmatischen Zusammenhang auf, lassen sich jedoch verschiedenen Etappen der hier untersuchten Rechtsprechung des EuGH zuordnen und sollen daher zunächst getrennt voneinander dargestellt werden. Es folgt eine Analyse der Gründe für die Vorgehensweise des EuGH, welcher sich eine dogmatische Einordnung unter dem Aspekt der Auswirkungen auf das Binnengefüge des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes anschließt.

1. Sekundärrecht als Rechtserkenntnisquelle für das Primärrecht a) Das Urteil Mangold oder die „Entdeckung“ eines Grundrechts auf Nichtdiskriminierung wegen des Alters durch den EuGH aa) Sachverhalt und Vorlagefragen Gegenstand des von einem deutschen Gericht (Arbeitsgericht München) initiierten Vorabentscheidungsverfahrens in der Rechtssache Mangold war die Überprüfung der Vereinbarkeit von § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. mit dem Unionsrecht. Die Norm sah die generelle Möglichkeit einer (Ketten-)Befristung von Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern vor, die das 52. Lebensjahr (ab dem 1. Januar 2007: das 58. Lebensjahr) vollendet hatten. Erklärtes Ziel der Vorschrift war die Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer. Zweifel an der Vereinbarkeit der Regelung mit dem Unionsrecht bestanden zum einen im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie 1999/70/EG (Befristungsrichtlinie),92 welche die Mitgliedstaaten in Durchführung einer Vereinbarung von auf Gemeinschaftsebene tätigen Tarifpartnern zu einer Beschränkung der Befris91 EuGH,

Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 54. – Mangold. 1999/70/EG des Rates vom 28.6.1999 zu der EGB-UNICCE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge. 92  Richtlinie

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tungsmöglichkeit von Arbeitsverträgen verpflichtete. Angesichts der Tatsache, dass die in § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. statuierte Ausnahme vom Befristungsverbot ausschließlich ältere Arbeitnehmer betraf, stellte sich zudem die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung mit Artikel 1 der Richtlinie 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf).93 Die letztgenannte Richtlinie, deren bereits einmal verlängerte Umsetzungsfrist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer Bekämpfung von Diskriminierungen unter anderem wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf.

bb) Entscheidung des EuGH In seinem Urteil vom 22.11.2005 verneinte der EuGH einen Verstoß des § 14 Abs. 3 Tz.B.fG gegen die Richtlinie 1999/70/EG,94 bejahte indes einen Verstoß gegen Artikel 1 der Richtlinie 2000/78/EG.95 Den Schwerpunkt seiner diesbezüglichen Ausführungen widmet der EuGH der Prüfung einer möglichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung älterer Arbeitnehmer durch den deutschen Gesetzgeber nach Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie, welche er – mit durchaus kritikwürdiger Begründung – verneint.96 Bedeutsam für die Binnenstruktur des unionalen Antidiskriminierungsrechts ist gleichwohl erst die nachfolgende Aussage des EuGH, wonach das vorlegende Gericht die deutsche Regelung im Hinblick auf ihre Unionsrechtswidrigkeit „unangewendet“ zu lassen habe.97 Dieses Ergebnis begründet der EuGH nämlich nicht mit dem zuvor konstatierten Verstoß der deutschen Regelung gegen die Richtlinie 2008/78/EG. Vielmehr konstatierte der Gerichtshof einen Verstoß gegen ein in dieser Richtlinie nicht verankertes, sondern lediglich konkretisiertes primärrechtliches Verbot der Diskriminierung wegen des Alters,98 welches als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes seinen Ursprung ausweislich der Erwägungsgründe der Richtlinie in diversen völkerrechtlichen Verträgen und den Verfassungstraditio­ nen der Mitgliedstaaten habe.99

93 

Zu dieser Richtlinie siehe oben A. II. 2. c) aa). Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 54 – Mangold. 95 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 56–65 – Mangold. 96 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 58 ff. – Mangold 97 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 77 – Mangold 98 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 74 ff. – Mangold. 99  Die Richtlinie 2000/78/EG selbst benennt als völkerrechtliche Verträge zur Begründung des allgemeinen Gleichheitssatzes die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das VN-Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (CEDAW), den internationalen Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte (CCPR), den internationalen Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (­ CESCR) sowie die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK). 94 EuGH,

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

cc) Kritik im Schrifttum Im Schrifttum ist das Urteil auf zum Teil heftige Kritik gestoßen.100 Diese entzündete sich zum einen daran, dass keiner der in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie aufgezählten völkerrechtlichen Verträge, auf welche sich der EuGH in seiner Begründung bezieht, ein spezifisches Verbot der Diskriminierung wegen des Alters enthalte und auch die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten mitnichten für die Herleitung eines solchen Verbots herangezogen werden könnten.101 Aus dieser Feststellung wurde verbreitet der Vorwurf abgeleitet, der EuGH habe durch die „Erfindung“ eines bis dato nicht bekannten primärrechtlichen Rechtssatzes seine Kompetenzen und die der EU als solche überschritten.102 Speziell in Deutschland wurde in diesem Zusammenhang die Frage diskutiert, ob das Urteil Mangold als „ausbrechender Rechtsakt“ im Sinne des Lissabon-Urteils des Bundesverfassungsgerichts103 zu werten ist.104 Schließlich wurde gerügt, dass der EuGH auf dem Umweg über das primärrechtliche Diskriminierungsverbot mittelbar zu einer unmittelbaren Anwendung einer Richtlinienvorschrift in einem Rechtsstreit zwischen Privaten gelangen konnte,105 welche er in ständiger Rechtsprechung ablehnt.106

100  Bauer/Arnold, NJW 2006, 6, 9 ff., Gas, EuZW 2005, 737; Preis, NZA 2006, 401, 404 ff., Reich, EuZW 2006, 21 ff.; Riesenhuber, ERCL 2007, 62, 67 ff.; Thüsing, ZIP 2005, 2149 ff., Wank, FS Birk, 2008, S. 929, 941 f. 101  Vgl. die diesbezügliche Analyse von Preis, NZA 2006, 401, 406, wonach ausschließlich die Verfassungen Finnlands und – mit Abstrichen – Portugals zum Zeitpunkt des Urteils ein Verbot der Altersdiskriminierung enthielten. Konzilianter im Hinblick auf die Möglichkeit einer Herleitung aus völkerrechtlichen Verträgen aber ders./Temming, NZA 2010, 185. 102  Reich, EuZW 2006, 21; Riesenhuber, ERCL 2007, 62, 67 ff.; Wank, FS Birk, 2008, S. 929, 941 f. 103 BVerfG, Az. 2 BvE 2/08, E 123, 267 – Lissabon. 104  Vgl. hierzu die Untersuchung von Gerken/Rieble/G.H. Roth/Stein/Streinz, Mangold als ausbrechender Rechtsakt, 2009. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob die Mangold-Rechtsprechung des EuGH als ausbrechender Rechtsakt zu werten ist, mittlerweile in seinem auf die Verfassungsbeschwerde eines Arbeitgebers ergangenen Beschluss vom 6.7.2010 verneint, BVerfG, Az. 2 BvR 2661/06, E 186, 286 – Honeywell. Zur Begründung führt das Gericht unter anderem aus, dass sich ein hinreichend qualifizierter Verstoß des EuGH gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nicht feststellen lasse, da die Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Altersdiskriminierung nicht zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten mitgliedstaatlicher Kompetenzen geführt habe (Tz. 59). 105  Bauer/Arnold, NJW 2006, 6, 9 ff., Gas, EuZW 2005, 737. 106  St. Rspr. seit EuGH, Rs. C-52/84, Slg. 1986, 723, Tz. 47 f. – Marshall I; zuletzt, EuGH, Rs. C-441/14, EU:C:2016:278, Tz. 30 – Rasmussen; vgl. ausführlich zu dieser Rechtsprechung und ihrer dogmatischen Herleitung Mörsdorf, EuR 2009, 219, 222 ff.

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dd) Alternative Deutung: Genese und inhaltliche Definition des Primärrechts durch den Unionsgesetzgeber? So berechtigt die vorstehende Kritik an der Vorgehensweise des EuGH im Einzelnen auch sein mag, so vermag sie doch die dogmatische Brisanz der Vorgehensweise des EuGH nicht vollständig zu erfassen. Zu kurz greift zunächst der Vorwurf, der EuGH habe unter Zuhilfenahme des primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung der einschlägigen Richtlinie 2000/78/EG in einem Rechtsstreit zwischen Privaten zur unmittelbaren Anwendung verholfen. Denn selbst wenn dieses Ergebnis im konkreten Fall durchaus der Intention des EuGH entsprochen haben mag,107 so hat der EuGH die Unanwendbarkeit der nationalen Vorschrift im Fall Mangold formell gerade nicht mit einer wie auch immer gearteten Horizontalwirkung der Richtlinie begründet. Ausschlaggebend war vielmehr allein der vom Gerichtshof konstatierte Verstoß gegen das in der Richtlinie nicht verankerte, sondern durch diese lediglich konkretisierte primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung.108 Gegen eine solche Vorgehensweise wäre im Prinzip nichts einzuwenden, sofern a) das vom EuGH bemühte primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich existiert hätte und b) ein inhaltlicher Gleichlauf zwischen diesem Diskriminierungsverbot und dem in der Richtlinie verankerten sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbot auszumachen wäre. Bereits am Vorliegen der ersten Voraussetzungen bestehen allerdings in der Tat erhebliche Zweifel, wenn man als Rechtserkenntnisquelle für das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung allein die vom EuGH benannten, in der Sache nicht einschlägigen völkerrechtlichen Verträge und Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten heranzieht. Dies nährt in der Tat den Verdacht, dass der EuGH das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in Wahrheit – entgegen seiner anderslautenden Beteuerung – gar nicht aus den von ihm angeführten völkerrechtlichen und nationalen Erkenntnisquellen hergeleitet hat, sondern vielmehr aus der Richtlinie selbst.109 Zwingend ist dieser Schluss aber keineswegs. Denn mit Artikel 21 Abs. 1 der am 7.12.2000 auf der Regierungskonferenz von Nizza proklamierten Grundrechte-Charta 107  Mörsdorf, EuR 2009, 219, 235; Riesenhuber, ERCL 2007, 62, 66; vgl. auch GA Tizziano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 – Mangold, Tz. 101, der dem Gerichtshof den Rückgriff au den primärrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gerade vor dem Hintergrund der fehlenden Horizontalwirkung der Richtlinie 2000/78/EG nahelegt. 108  So auch Böhm, JZ 2008, 324, 328; Hermann, EuZW 2006, 69, 70; Schlachter, ZfA 2007, 249, 270, Schiek, 35 Industrial Law Journal (2006), 329, 337 sowie Streinz, JuS 2006, 357, 360, der insoweit zu Recht anmerkt, dass der EuGH eine Abkehr von seinem seit Jahrzehnten aufrechterhaltenen Dogma der fehlenden Horizontalwirkung von Richtlinien entsprechend kenntlich gemacht und begründet hätte; offenlassend Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2150. 109 Ähnlich Preis, NZA 2006, 401, 405: Hochzonung der strengen Interpretation der Richtlinie (bzw. ihrer Rechtfertigungsgründe) zum Bestandteil des Primärrechts.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

stand schon zum damaligen Zeitpunkt durchaus eine alternative Rechtserkenntnisquelle für die Existenz eines primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung zur Verfügung.110 Die fehlende ausdrückliche Erwähnung dieser Vorschrift im Urteil Mangold mag daher eher der Zurückhaltung des EuGH geschuldet sein, zur Begründung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Sinne des Artikel 6 Abs. 1 EUV a.F. auf die vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon noch nicht verbindlichen Gewährleistungen der Grundrechte-Charta zurückzugreifen. Generalanwälte des EuGH111 und das EuG112 hatten in dieser Hinsicht indes weit weniger Zurückhaltung an den Tag gelegt. Aber selbst wenn sich schon zum damaligen Zeitpunkt aus den vom EuGH genannten oder anderen Rechtserkenntnisquellen ein primärrechtliches Verbot der Diskriminierung wegen des Alters herleiten ließ, so stünde doch die Frage im Raum, warum sich der konkrete Inhalt dieses Verbots einschließlich etwaiger Rechtfertigungsmöglichkeiten mit dem entsprechenden Inhalt der Richtlinie 2000/78/EG decken soll. Genau einen solchen inhaltlichen Gleichlauf indiziert allerdings die argumentative Vorgehensweise des EuGH, der zuerst ausgiebig den Verstoß des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. gegen die Richtlinie prüft und erst im Nachhinein bei der Frage nach den Rechtsfolgen dieses Verstoßes auf das vermeintlich durch die Richtlinie konkretisierte primärrechtliche Diskriminierungsverbot „umschwenkt“.113 Im Fokus des Vorwurfs der Unionsrechtswidrigkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. steht damit aus Sicht des EuGH der Verstoß gegen die Richtlinie, welcher sich aber zugleich als Verstoß gegen das durch die Richtlinie vermeintlich „konkretisierte“ primärrechtliche Diskriminierungsverbot darstellen soll. Alles in allem spricht mithin auf den ersten Blick viel dafür, dass der EuGH im Urteil Mangold wenn nicht bereits die Existenz so doch jedenfalls den Inhalt des von ihm konstatierten primärrechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters einzig der bereits bestehenden und im vorliegenden Fall einschlägigen Richtlinie 2000/78/EG entnommen hat. Nicht der primärrechtliche Rechtssatz würde nach dieser Lesart den Inhalt des se-

110  von Dannwitz, JZ 2007, 697, 704 sieht in der ausdrücklichen Gewährleistung des Verbots der Altersdiskriminierung in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch das maßgebliche Motiv des EuGH für die Etablierung dieses Verbots als allgemeinen Rechtsgrundsatz. 111  Vgl. etwa GA Jacobs, Schlussanträge zu EuGH Rs. C-377/98, Slg. 2001, I-7079, Tz. 197 – Niederlande gegen Parlament und Rat; GA Léger, Schlussanträge zu EuGH Rs. C-340/99, Slg. 2001, I-4109, Tz. 94 – TNT Traco, wonach die Art der in der Grundrechte-Charta niedergelegten Grundsätze es verbietet, sie als folgenlose bloße Aufzählung rein moralischer Grundsätze zu betrachten. 112  Vgl. etwa EuG, Rs. T-54/99, Slg. 2002, II-313, Tz. 48 – max. mobil Telekommunikation Service GmbH; EuG, Rs. T-377/00, Slg. 2003, II-1, Tz. 122 – Philipp Morris. 113  Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2150 (argumentatives Hin- und Herspringen zwischen Richtlinie und primärrechtlichem Verbot). Die zentrale Bedeutung der Richtlinie betont auch Preis, NZA 2006, 401, 406.

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kundärrechtlichen Rechtssatzes bestimmen, sondern das Sekundärrecht diente, umgekehrt, als Rechtserkenntnisquelle für das Primärrecht.

b) Bestätigung durch nachfolgende Urteile Schon weil der EuGH die Herleitung und inhaltliche Ausfüllung des Verbots der Altersdiskriminierung aus der Richtlinie im Urteil Mangold nicht als solche kenntlich gemacht hatte, schien zunächst fraglich, ob die Vorgehensweise des EuGH im Fall Mangold den Beginn einer neuen Rechtsprechungslinie markierte, oder ob es sich um eine einmalige, der Konstellation des Einzelfalles geschuldete Abirrung handelte.

aa) Navas, Palacios de la Villa Eher in die letztere Richtung schienen zunächst einige Folgeurteile des EuGH zu deuten, in denen der EuGH in unterschiedlichen Konstellationen jeweils einen Rückgriff auf das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung ablehnte. So war der EuGH etwa im Fall Navas114 auf Vorlage eines spanischen Gerichts mit der Frage befasst, ob die Richtlinie 2000/78/EG (Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf) über das in der Richtlinie enthaltene Diskriminierungsmerkmal „Behinderung“ auch eine Arbeitnehmerin schützt, der wegen des nicht in der Richtlinie enthaltenen Diskriminierungsmerkmals „Krankheit“ gekündigt wurde oder ob zumindest bei Verneinung dieser Frage die Richtlinie vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes um ein zusätzliches Diskriminierungsmerkmal „Krankheit“ zu ergänzen ist. Der Gerichtshof hat beide Vorlagefragen verneint und dabei insbesondere die Herleitung eines zusätzlichen Diskriminierungsmerkmals „Krankheit“ aus dem im Fall Mangold herangezogenen primärrechtlichen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz abgelehnt.115 Letzteres begründete der Gerichtshof mit der Erwägung, dass außerhalb des gegenständlichen Geltungsbereichs der Richtlinie der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts für eine Kontrolle des nationalen Rechts am Maßstab primärrechtlicher Grundsätze nicht eröffnet sei.116 Ebenfalls auf Vorlage eines spanischen Gerichts hatte der EuGH kurz darauf im Fall Palacios de la Villa117 darüber zu befinden, ob (1) das in der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegte Verbot der Altersdiskriminierung einem nationalen Gesetz entgegensteht, das in Tarifverträgen enthaltene Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand bei Erreichung fester Altersgrenzen für zulässig erklärt, und ob (2) im Fall des Bejahens der ersten Vorlagefrage ein na114 EuGH,

Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467 – Navas. Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 56 – Navas. 116 EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 56 – Navas. 117 EuGH, Rs. C-411/05, Slg. 2007, I-8531, Palacios de la Villa. 115 EuGH,

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

tionales Gericht vor dem Hintergrund des im Urteil Mangold entdeckten primärrechtlichen Diskriminierungsverbots gehalten sei, das gemeinschaftswidrige nationale Gesetz nicht anzuwenden. Der EuGH hat die erste Vorlagefrage in Anbetracht einer möglichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nach der Richtlinie verneint118 und zur zweiten Vorlagefrage unter Verweis auf die fehlende Einschlägigkeit der Richtlinie gar nicht erst Stellung genommen.119 Im Schrifttum wurde die Tatsache, dass der Gerichtshof in beiden genannten Urteilen dem primärrechtlichen Gleichheitssatz keine eigenständige, über die Richtlinie hinausreichende Wirkung zuerkannt hat, als Abkehr des Gerichtshofs von der im Fall Mangold praktizierten unmittelbaren Heranziehung des allgemeinen Gleichheitssatzes zur Durchsetzung von Richtlinienrecht gedeutet und aus diesem Grund nahezu einhellig begrüßt.120 Bei nüchterner Betrachtung ließ sich den Urteilen indes eine derartige Aussage nicht entnehmen. Da die Richtlinie 2000/78/EG im Hinblick auf krankheitsbedingte Kündigungen schon in sachlicher Hinsicht nicht anwendbar ist bzw. einer Ruhestandsregelung mit festen Altersgrenzen wegen deren möglichen Rechtfertigung nicht entgegensteht, stellte sich in diesen beiden Verfahren nämlich überhaupt nicht die im Verfahren Mangold aufgeworfene Frage nach der unmittelbaren Anwendung einer im konkreten Fall einschlägigen Richtlinie unter Rückgriff auf einen durch diese konkretisierten primärrechtlichen Grundsatz.121 Gerade in dieser kombinierten Anwendung von Rechtssätzen unterschiedlicher Regelungsebenen liegt aber die dogmatische Brisanz des Urteils Mangold begründet und nicht etwa in einer von der Richtlinie losgelösten separaten Anwendung des primärrechtlichen Grundsatzes. Da der EuGH eine solche separate Anwendung bereits im Urteil Mangold entgegen anderslautender Befürchtungen nicht erwogen hatte, bedurfte es insoweit auch keiner Korrektur in den Urteilen Navas und Palacios de la Villa. Die durch den EuGH in der Begründung zu diesen Urteilen hergestellte Verknüpfung zwischen der Einschlägigkeit des primärrechtlichen Grundsatzes und dem Geltungsbereich der Richtlinie bestärkt vielmehr – im Gegenteil – die hier geäußerte Vermutung, dass der primärrechtliche Grundsatz nur in Kombination mit der Richtlinie Wirkung zu entfalten vermag, indem er seine Existenz und seinen Inhalt ausschließlich aus dieser bezieht. Die Urteile Navas und Palacio de la Villa können mithin bei aller gebotenen Vorsicht als Bestätigung des im Urteil Mangold eingeschlagenen 118 EuGH,

Rs. C-411/05, Slg. 2007, I-8531, Tz. 42 ff. – Palacios de la Villa. Rs. C-411/05, Slg. 2007, I-8531, Tz. 78 – Palacios de la Villa. 120  Junker/Aldea, EuZW 2007, 13, 17; Reichhold/Heinrich, JZ 2007, 196, 198; Wendeling-Schröder, NZA 2007, 1399, 1403. 121  So in Bezug auf das Urteil Palacios de la Villa auch Thüsing RdA 2008, 51, 52, der im Hinblick auf den gänzlich anders gelagerten Sachverhalt im diesem Urteil weder eine Bestätigung noch eine Abkehr von den im Urteil Mangold getroffenen Feststellungen des EuGH erkennen kann. 119 EuGH,

§ 1 Die unionsrechtliche Ebene

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Weges gewertet werden, indem sie die zentrale Bedeutung der Richtlinie für Existenz und Inhalt primärrechtlicher Diskriminierungsverbote hervorheben.

bb) Bartsch Diese Sichtweise wird letztlich auch durch das nachfolgend ergangene Urteil Bartsch122 bestätigt. Der EuGH hatte hier die Frage zu klären, ob von den nationalen Gerichten ein primärrechtliches Verbot der Altersdiskriminierung auch dann zu beachten ist, wenn zum Zeitpunkt der diskriminierenden Handlung (hier: betriebsinterne Versorgungsrichtlichtlinien eines deutschen Arbeitgebers) die Umsetzungsfrist der gegenständlich einschlägigen Richtlinie 2000/78/EG noch nicht abgelaufen ist. Der EuGH verneint dies mit der Begründung, dass infolge der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78/ EG der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet sei.123 Auf den ersten Blick scheint hierin eine Abkehr von der Kernaussage des Urteils Mangold zu liegen. Denn anders als in den Fällen Navas und Palacios de la Villa war die Richtlinie 2000/78/EG im Fall Bartsch in gegenständlicher Hinsicht einschlägig und vermochte damit ein aus ihr hergeleitetes primärrechtliches Diskriminierungsverbot gleichen Inhalts zu begründen. Der Fall Bartsch gleicht insoweit dem Fall Mangold, unterscheidet sich von diesem allerdings in einem zentralen Punkt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH binden allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts die Mitgliedstaaten nur im Anwendungsbereich des Unionsrechts.124 Im Fall Mangold war der Anwendungsbereich des Unionsrechts bereits dadurch eröffnet, dass § 14 Abs. 3 TzBfG der Umsetzung der Richtlinie 1999/73/EG (Befristungsrichtlinie) diente.125 Im Fall Bartsch stellte sich dagegen die Frage, ob auch die den primärrechtlichen Grundsatz (vermeintlich) konkretisierende Richtlinie selbst den Anwendungsbereich des Unionsrechts zu eröffnen vermag. Der EuGH lehnte dies im konkreten Fall ab, begründet seine Feststellung aber allein mit der zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78/EG.

cc) Kücükdeveci Damit drängte sich allerdings die Frage auf, ob die Richtlinie 2000/78/EG den Anwendungsbereich des Unionsrechts und damit zugleich des primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung hätte eröffnen können, wenn die Umsetzungsfrist der Richtlinie zum Zeitpunkt der Diskriminierung bereits abge122 EuGH,

Rs. C-427/06, Slg. 2008, I-7245 – Bartsch. Rs. C-427/06, Slg. 2008, I-7245, Tz. 17 – Bartsch. 124  Zur Bindung der Mitgliedstaaten an Unionsgrundrechte siehe noch unten C. II. 125  Editorial Comments, CML Rev. 47 (2010), 1589, 1591 f. 123 EuGH,

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

laufen gewesen wäre. Im Rahmen seines Urteils zur Rechtssache Kücükdeveci126 sollte der EuGH schon bald Gelegenheit erhalten, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Gegenstand des deutschen Ausgangsverfahrens war die Wirksamkeit der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, bei welcher die beklagte Arbeitgeberin die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 BGB a.F. berechnet hatte. Die Regelung sieht nach der Beschäftigungsdauer gestaffelte Kündigunsfristen vor, wobei in der zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt geltenden Fassung Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr nicht berücksichtigt wurden. Hierin sah das LAG Düsseldorf als Berufungsgericht eine potentielle Diskriminierung und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine nationale Regelung mit dem Inhalt des § 622 Abs. 2 BGB a.F. gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung, namentlich gegen Primärrecht oder gegen die RL 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf), verstößt. Im Falle der Bejahung dieser Frage durch den EuGH wollte das Gericht zudem wissen, ob die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem Rechtsstreit zwischen Privaten eine nicht auslegungsfähige unionsrechtswidrige nationale Vorschrift unangewendet lassen müssen, oder ob dem Vertrauen, das die Normunterworfenen in die Anwendung innerstaatlicher Gesetze setzen, dahingehend Rechnung zu tragen ist, dass die Unanwendbarkeitsfolge erst nach Vorliegen einer Entscheidung des EuGH über die Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Regelung eintritt. In seinem Urteil vom 19.1.2010 bejaht der EuGH auf die erste Vorlagefrage die Unvereinbarkeit der deutschen Vorschrift mit dem primärrechtlichen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner durch die Richtlinie 2000/78/EG konkretisierten Form.127 Zur Herleitung des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots verweist der EuGH zum einen auf seine Ausführungen im Urteil Mangold,128 zum anderen nunmehr ergänzend auf Artikel 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit 21 Abs. 1 GR‑Ch.129 Den Anwendungsbereich des Unionsrechts sieht der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren dadurch eröffnet, dass der Ausgangsfall in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, deren Umsetzungsfrist, anders als im Fall Bartsch, zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen war.130 Auf die zweite Vorlagefrage stellt der EuGH sodann fest, dass das nationale Gericht jede mit den Vorgaben der 126 EuGH,

Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 – Kücükdeveci. Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 43 – Kücükdeveci. 128 EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 21 – Kücükdeveci. 129 EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 22 – Kücükdeveci. Der Rückgriff auf die Charta ist insoweit bemerkenswert, als diese zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch nicht über Artikel 6 Abs. 1 EUV den Status von bindendem Primärrecht erlangt hatte. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt des Urteils Kücükdeveci nicht vom Sachverhalt des Urteils Mangold, in welchem der EuGH auf eine Herleitung des primärrechtlichen Diskkriminierungsverbots aus Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verzichtet hatte. 130 EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 24, 25 – Kücükdeveci. 127 EuGH,

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Richtlinie 2000/78/EG unvereinbare nationale Norm, die einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich ist, im Hinblick auf das in der Richtlinie nicht verankerte, sondern durch diese lediglich konkretisierte primärrechtliche Diskriminierungsverbot unangewendet zu lassen habe.131 Zentraler Aspekt des Urteils Kücükdeveci ist zweifellos die im Schrifttum kontrovers diskutierte132 Aussage des Gerichtshofs, dass eine Richtlinie, die einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Primärrechts im Sinne des Artikels 6 Abs. 2 EG konkretisiert, bereits für sich genommen ohne Dazwischentreten nationaler Umsetzungsakte den Anwendungsbereich des Unionsrechts zu eröffnen und damit eine Bindung der Mitgliedstaaten an diesen Grundsatz zu begründen vermag. Der Gerichtshof beantwortet hiermit eine bis dahin offene Frage, der eine weit über das Antidiskriminierungsrecht hinausgehende Bedeutung im Zusammenhang mit der Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte zukommt. Hierauf wird an späterer Stelle noch näher einzugehen sein.133 Speziell im Bereich des Antidiskriminierungsrechts unterstreicht die vom EuGH festgestellte „Türöffnerfunktion“ von Richtlinien für den unionsrechtlichen Grundrechtsschutz einmal mehr die zentrale Rolle, welche dem Sekundärrecht in diesem Rechtsbereich im Gefüge der unionsrechtlichen Rechtsquellen nach Auffassung des EuGH zukommen soll. Diese zentrale Rolle wird des Weiteren dadurch betont, dass der EuGH im Urteil Kücükdeveci erneut, in Fortführung seiner Rechtsprechung aus dem Urteil Mangold, den Regelungsinhalt des primärrechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung allein aus der Richtlinie 2000/78/EG hergeleitet hat. Diesem Umstand kommt umso größere Bedeutung zu, als dem EuGH spätestens zu diesem Zeitpunkt die verbreitete Kritik an seinem im Urteil Mangold eingeschlagenen Weg der kombinierten Anwendung primärrechtlicher und sekundärrechtlicher Diskriminierungsverbote bekannt gewesen sein dürfte. Diese Kritik hatte sich immerhin Generalanwalt Bot zu eigen gemacht, der dem EuGH in seinen Schlussanträgen nachdrücklich empfohlen hatte, an Stelle eines dogmatisch zweifelhaften Rückgriffs auf Primärrecht die unmittelbare negative Ausschlusswirkung von Richtlinien auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten anzuerkennen.134 Die Tatsache, dass der EuGH auf diesen alternativen Lösungsansatz mit keinem Wort eingeht und stattdessen seine Formel aus dem 131 EuGH,

Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 51 – Kücükdeveci. Urteil begrüßen in dieser Hinsicht Bauer/von Medem, ZIP 2010, 449, 450 ff.; Preis/Temming, NZA 2010, 185, 187; kritisch dagegen Editorial Comments, CML Rev. 47 (2010), 1589, 1594 ff.; Höpfner, ZfA 2010, 449, 469 ff.; Thüsing, ZIP 2010, 196 ff.; ders./Horler, CML. Rev. 47 (2010), 1161, 1168 ff. 133  Siehe unten C. II. 2. b). 134 GA Bot, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 – Kücükdeveci, Tz. 70 ff. Allgemein zur Frage der Ausschlusswirkung bzw. negativen Wirkung von Richtlinien im Horizontalverhältnis siehe unten C. III. 2. c) bb) (1). 132  Das

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

Urteil Mangold wiederholt, kann nur als ausdrückliche Bestätigung der in diesem Urteil präferierten Herangehensweise aufgefasst werden.

dd) AMS Als Bestätigung des Urteils Mangold stellt sich letztlich auch das Urteil AMS vom 15.1.2014 dar135 – auch wenn es sich nur am Rande mit dem Verhältnis primärrechtlicher und sekundärrechtlicher Diskriminierungsverbote befasst. Im Fokus stand hier vielmehr die Frage, ob Artikel 27 GR-Ch, der ein Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung statuiert, in Kombination mit der diesen Grundsatz konkretisierenden Richtlinie 2002/14/EG eine entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts im Sinne der Mangold-Doktrin des EuGH zu verdrängen vermag. Der EuGH verneint dies mit der Begründung, dass es sich bei Artikel 27 GR-Ch, anders als bei dem Diskriminierungsverbot des Artikels 21 GR‑Ch, nicht um ein für sich allein wirksames, subjektives Recht, sondern lediglich um einen Grundsatz handele, der gemäß Artikel 52 Abs. 5 GR-Ch zur Entfaltung seiner vollen Wirksamkeit erst der Konkretisierung durch den Unionsgesetzgeber bedürfe.136 Das Urteil beendet zunächst Spekulationen darüber, inwieweit sich die vom EuGH im Urteil Mangold getroffene Feststellung von der Unanwendbarkeit nationaler Regelungen, die gegen das sekundärrechtlich konkretisierte Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen, auf weitere, ebenfalls durch primärrechtskonkretisierende Richtlinien geregelte Rechtsbereiche übertragen lässt.137 Die Ablehnung einer solchen Wirkung in Bezug auf Charta-Grundsätze im Sinne des Artikels 52 Abs. 5 GR-Ch ist dabei ersichtlich von dem Motiv getragen, eine uferlose faktische Horizontalwirkung grundrechtskonkretisierender Richtlinien zu vermeiden. Die hierzu gelieferte Begründung stiftet dagegen mehr Verwirrung als dass sie für Klarheit sorgt. Denn mit seinem Abstellen darauf, dass Artikel 21 GR-Ch, anders als Artikel 27 GR-Ch, keiner Konkretisierung bedürfe, übergeht der EuGH geflissentlich, dass er selbst das Verbot der Altersdiskriminierung im Urteil Mangold noch vor Inkrafttreten des Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch de facto aus der Richtlinie 2000/78/EG hergeleitet hatte und dessen Inhalt auch heute noch einzig anhand der Vorgaben dieser Richtlinie definiert. Jedenfalls im Hinblick auf die im Verfahren ASM in Rede stehende Bindung der Mitgliedstaaten kann von einer eigenständigen Wirksamkeit des Artikels 21 GR-Ch somit keine Rede sein. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Hinweis des EuGH auf die „eigenständige Wirksamkeit“ des Artikels 21 GR-Ch und das

135 EuGH,

Rs. C-176/12, EU:C:214:2 – AMS. Rs. C-176/12, EU:C:214:2, Tz. 47, 48 – AMS. 137 Allgemein: Bauer/von Medem, ZIP 2010, 449, 451 f.; Thüsing, ZIP 2010, 199, 201; speziell im Hinblick auf Artikel 38 GR-Ch (Verbraucherschutz): Mörsdorf, JZ 2010, 759 ff. 136 EuGH,

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Fehlen einer solchen bei Artikel 27 GR-Ch wohl eher als Hinweis auf die eingeschränkte Justiziabilität von Charta-Grundsätzen gemäß Artikel 52 Abs. 5 GR-Ch deuten, vermag aber auch in dieser Lesart letztlich nicht zu überzeugen. Denn es ist zwar einerseits zutreffend, dass Charta-Grundsätze vor Gericht nur bei der Auslegung unionsrechtlicher und mitgliedstaatlicher Umsetzungsakte sowie bei Entscheidungen über deren Gültigkeit herangezogen werden können. Unter mitgliedstaatlichen „Umsetzungsakten“ im Sinne des Art. 52 V GR-Ch sind allerdings nicht nur Akte zu verstehen, die gerade „in Umsetzung“ eines durch eine Richtlinie konkretisierten Charta-Grundsatzes ergangen sind, sondern auch solche Akte, die primär anderen Zielsetzungen dienen und hierbei einen Charta-Grundsatz nicht in ausreichendem Maße berücksichtigen.138 In diesem Fall ist der Charta-Grundsatz in Ermangelung einer Möglichkeit zur unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Norm bei der Entscheidung über die Gültigkeit der Norm dergestalt zu berücksichtigen, dass letztere von dem durch die Richtlinie konkretisierten Grundsatz verdrängt wird.139 Ungeachtet dieser Ungereimtheiten folgt aus dem Urteil AMS allerdings in jedem Fall, dass der EuGH für die heute primärrechtlich in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verorteten, in den bestehenden Antidiskriminierungsrichtlinien konkretisierten Diskriminierungsverbote an seiner Mangold-Rechtsprechung festhalten möchte.140 Die im Urteil AMS vorgenommene Abgrenzung dieser Rechtsprechung zu anderen denkbaren Konstellationen unterstreicht damit einmal mehr die Sonderrolle, welche der EuGH dem Antidiskriminierungsrecht in dieser Hinsicht beizumessen scheint.

ee) Rasmussen Ließ schon die bisherige Rechtsprechung des EuGH wenig Zweifel zu, dass dieser an seiner im Urteil Mangold erstmals praktizierten Herleitung primärrechtlicher Norminhalte aus dem sekundärrechtlichen Normbestand im Bereich des Antidiskriminierungsrechts festhalten will, so hat der EuGH diese Vermutung im Urteil Rasmussen nochmals eindrucksvoll bestätigt.141 In dem Verfahren hatte sich der EuGH unter anderem mit der Frage zu befassen, ob das Gebot der Nichtanwendung einer nationalen Norm, die im Widerspruch zum primärrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung steht, aus Gründen 138 

Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52 Rn. 90 ff.; wohl auch Jarass, Grundrechte-Charta, Art. 52 Rn. 82. 139 Ähnlich Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 52 Rn. 95: objektive unmittelbare Wirkung von Charta-Grundsätzen, die zu einer Nichtanwendung entgegenstehen mitgliedstaatlichen Rechts führen kann. Zweifelnd dagegen Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 52 Rn. 75: „unklar, jedenfalls nicht in privatrechtlichen Fällen. 140 EuGH, Rs. C-176/12, EU:C:214:2, Tz. 47, 49 – AMS. 141 EuGH, Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278 – Rasmussen.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

des Vertrauensschutzes beschränkt werden kann. Der EuGH verneint dies und geht bei dieser Gelegenheit nochmals auf das Verhältnis zwischen Richtlinie und primärrechtlichem Diskriminierungsverbot ein. Er stellt hierzu erneut fest, dass die Richtlinie den primärrechtlichen Grundsatz nicht selbst enthalte, sondern lediglich konkretisiere,142 was nunmehr angesichts der Verortung des Verbots der Altersdiskriminierung im mittlerweile verbindlichen Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch auch nachvollziehbar erscheint. Hinsichtlich der Frage, ob die in Rede stehende Regelung inhaltlich gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstößt, verweist der EuGH zunächst, wie gehabt, auf die Unvereinbarkeit der Regelung mit der Richtlinie143 und stellt im Anschluss fest, „das Gleiche“ gelte für den tragenden Grundsatz der Gleichbehandlung, der im allgemeinen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters lediglich seinen Ausdruck finde.144 Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass der EuGH von einer weitgehenden inhaltlichen Prägung des primärrechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters durch die Richtlinie 2000/78/EG ausgeht, welche dieses Verbot konkretisiert. Nicht das Sekundärrecht ist somit nach Maßgabe des Primärrechts auszulegen, sondern das Sekundärrecht stellt – umgekehrt – die maßgebende Rechtserkenntnisquelle für die Bestimmung der primärrechtlichen Vorgaben dar.

2. Verlust der Kontrollfunktion des Primärrechts als unausweichliche Konsequenz – der Fall Test Achats Mutete bereits die vom EuGH in den Urteilen Mangold und Kücüddeveci vorausgesetzte Rechtserkenntnisfunktion der Antidiskriminierungsrichtlinien für den Inhalt primärrechtlicher Diskriminierungsverbote befremdlich an,145 so mochte man sich erst recht die Frage stellen, wie sich der EuGH wohl aus der Affäre ziehen würde, wenn dereinst nicht, wie in den genannten Fällen, die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht in Frage stehen würde, sondern innerhalb der Ebene des Unionsrechts die Vereinbarkeit von Sekundärrecht mit Primärrecht. Denn muss nicht die Eignung des Primärrechts als Gültigkeitsmaßstab für das Sekundärrecht versagen, wenn Ersteres inhaltlich aus Letzterem heraus entwickelt wird, die Stufenordnung der Rechtsquellen also quasi auf den Kopf gestellt wird?146 Den Lackmustest stellte insoweit das Verfahren Test Achats dar und der EuGH hat in seinem vielbeachteten Urteil 142 EuGH,

Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278, Tz. 23 – Rasmussen. Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278, Tz. 24 f. – Rasmussen. 144 EuGH, Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278, Tz. 26 – Rasmussen. 145  Deutliche Kritik (bezogen auf das Urteil Mangold) etwa bei Craig 34 E.L. Rev. (2009), 349, 373 ff. und Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2150 f. 146  Auf eine mögliche Auswirkung der Mangold-Rechtsprechung auf die Kontrollfunktion des Primärrechts hinweisend bereits W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 814. 143 EuGH,

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vom 1.3.2011147 deutlich gemacht, dass er seiner in den Urteilen Mangold und Kücükdeveci eingeschlagenen Linie auch in dieser Hinsicht im Grundsatz treu bleiben möchte. Gegenstand des auf Vorlage des belgischen Verfassungsgerichtshofs eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 267 Abs. 1 lit b AEUV war die Gültigkeit des Artikels 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG (Gender-Richtlinie). Die auf Grundlage von Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV) erlassene Richtlinie schloss seinerzeit eine Lücke im sekundärrechtlichen Diskriminierungsschutz, indem sie das bis dahin nur hinsichtlich des Merkmals „Rasse und ethnische Herkunft“ bestehende Verbot der Diskriminierung im allgemeinen Zivilrechtsverkehr auch auf das Unterscheidungsmerkmal „Geschlecht“ ausdehnte. Versicherungen fallen als „Dienstleistungen“ unproblematisch in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Artikel 5 der Richtlinie enthielt allerdings eine Sonderregelung hinsichtlich der Heranziehung geschlechtsbezogener versicherungsmathematischer Faktoren zur Berechnung von Prämien und Leistungen. Nach Artikel 5 Absatz 1 Gender-Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich dafür Sorge zu tragen, dass bei spätestens nach dem 21. Dezember 2007 neu abgeschlossenen Versicherungsverträgen die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht nicht zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führt. Nach Absatz 2 konnten die Mitgliedstaaten allerdings vor dem 21. Dezember 2007 beschließen, proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Faktors Geschlecht bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Der belgische Verfassungsgerichtshof hat seine Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Ausnahmeregelung mit dem mittlerweile in Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch verankerten Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts zum Anlass genommen, dem EuGH die Frage nach der Gültigkeit der Regelung vorzulegen. Der EuGH hat diese Frage in seinem Urteil vom 1.3.2011 dahingehend beantwortet, dass Artikel 5 Abs. 2 Gender-Richtlinie mit Artikel 21, 23 GR-Ch unvereinbar und aus diesem Grunde ungültig sei.148 Aufmerksamkeit verdient indes weniger das Ergebnis, bei dem es sich immerhin um einen der seltenen Fälle handelte, in welchem der EuGH eine sekundärrechtliche Vorschrift wegen Verstoßes gegen Primärrecht für ungültig erklärt hat. Beachtlich ist im vorliegenden Kontext vielmehr die äußerst knappe Herleitung dieses Ergebnisses. So ist der Unionsgesetzgeber nach Auffassung des EuGH zwar nicht verpflichtet, in Ausübung der ihm gemäß Artikel 19 AEUV eingeräumten Kompetenz Vorschriften zum Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts im Rah147 EuGH,

148 EuGH,

Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats. Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 32 f. – Test Achats.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

men des Versicherungswesens zu erlassen.149 Habe der Unionsgesetzgeber jedoch ein Tätigwerden beschlossen, müsse er auch in kohärenter Weise auf die Verwirklichung des Ziels hinwirken, was nicht die Möglichkeit ausschließe, Übergangszeiten oder Ausnahmen begrenzten Umfangs vorzusehen.150 Das Ziel der Richtlinie sieht der Gerichtshof ausgehend von Artikel 5 Absatz 1 in der Anwendung der Regel geschlechtsneutraler Prämien und Leistungen.151 Dieses Ziel werde durch Artikel 5 Absatz 2, den der Unionsgesetzgeber selbst als Ausnahme bezeichne, nicht nur eingeschränkt sondern, insbesondere aufgrund seiner fehlenden Befristung, geradezu konterkariert.152 Die Begründung des EuGH gibt bei flüchtiger Betrachtung Rätsel auf.153 Auf den ersten Blick scheint es fast, als habe der EuGH mit der inneren Kohärenz des Artikels 5 der Richtlinie einen vom primärrechtlichen Diskriminierungsverbot zu unterscheidenden eigenständigen primärrechtlichen Prüfungsmaßstab etabliert.154 Hiergegen spricht allerdings, dass der EuGH die Kohärenz einer rechtlichen Regelung bis dahin allenfalls unselbständig im Zusammenhang mit der Eignung nationaler Normen zur Rechtfertigung von Eingriffen in Grundfreiheiten thematisiert hatte.155 Prüfungsmaßstab war im Fall Test Achats somit – dem Tenor entsprechend – tatsächlich das in Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch verankerte, primärrechtliche Verbot der Geschlechtsdiskriminierung.156 Dies beantwortet aber noch nicht die Frage, warum der EuGH diesen Maßstab nicht eigenständig definiert, sondern die Unionsrechtswidrigkeit des Artikels 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG der Sache nach ausschließlich mit der fehlenden inneren Kohärenz der Richtlinie begründet. Diese augenscheinliche Diskrepanz zwischen formalem Prüfungsmaßstab und tatsächlichem Vorgehen des EuGH ergibt allerdings dann einen Sinn, wenn man das Urteil Test Achats im Kontext mit den Urteilen Mangold und Kücükdeveci liest. Indem nämlich der EuGH zur Begründung der Unvereinbarkeit des Artikel 5 Abs. 2 Richtlinie 2004/113/EG mit Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch der Sache nach ausschließlich das Kohärenzargument bemüht und die Richtlinie damit letztlich „in sich prüft,“157 verzichtet der EuGH auch in dieser Konstellation, wie bereits in den Urteilen Mangold und Kücükdeveci, auf eine autonome inhaltliche Definition des als Prüfungsmaßstab dienenden primärrechtlichen Diskriminie149 EuGH,

Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 20 – Test Achats. Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 21 – Test Achats. 151 EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 24 – Test Achats. 152 EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 32 – Test Achats. 153  Vgl. etwa Kahler NJW 2011, 894, 895; Kroll-Ludwigs, JZ 2011, 734, 735; Lüttringhaus, EuZW 2011, 296, 297 f.; Purnhagen, EuR 2011, 690, 696 f. 154  Dies vermuten etwa Kahler, NJW 2011, 894, 895; Lüttringhaus, EuZW 2011, 296, 297. 155  Purnhagen, EuR 2011, 690, 696. 156  In diesem Sinne auch Purnhagen, EuR 2011, 690, 697: Diskriminierungsverbot als „hinter dem Kohärenzgebot versteckter Maßstab“. 157  So die treffende Beschreibung von Kahler, NJW 2011, 894. 150 EuGH,

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rungsverbots. Dessen Ausfüllung soll vielmehr augenscheinlich auch im Rahmen einer Gültigkeitskontrolle des abgeleiteten Rechts dem Unionsgesetzgeber überlassen bleiben, der hierbei vorbehaltlich einer Kohärenzprüfung seitens des EuGH eine weitreichende Gestaltungsfreiheit zu besitzen scheint. Mit der Vorgehensweise des EuGH im Urteil Test Achats schließt sich damit der Kreis von der im Urteil Mangold praktizierten Heranziehung des Sekundärrechts für die inhaltliche Definition primärrechtlicher Norminhalte zu dem daraus nahezu zwangsläufig resultierenden Verlust der Kontrollfunktion des Primärrechts für die Gültigkeit des Sekundärrechts. Nicht dem Primärrecht kommt demnach augenscheinlich im Bereich des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes die prägende Rolle zu, sondern dem Sekundärrecht.

3. Legitimation für eine inverse Normhierarchie im unionalen Antidiskriminierungsrecht Nun ist es aber mit der Feststellung, dass der EuGH jedenfalls für den Bereich des Antidiskriminierungsrechts von einer inhaltlichen Prägung des Primärrechts durch das Sekundärrecht ausgeht, nicht getan. Denn mit dieser Feststellung ist ja noch keine Aussage über die Legitimität einer solchen Vorgehensweise getroffen, die letztlich nicht weniger beinhaltet als eine sektorspezifische Umkehrung der Normhierarchie im Bereich des Antidiskriminierungsrechts mit weitreichenden Auswirkungen auf die Binnenstruktur des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes.

a) Schwache Binnenhierarchisierung als allgemeines Charakteristikum des Unionsrechts Zunächst ist zu konstatieren, dass eine Prägung primärrechtlicher Norminhalte durch Sekundärrecht und eine damit einhergehende faktische Aufweichung der Normhierarchie zwischen Primär- und Sekundärrecht keineswegs ein spezifisches Phänomen des Antidiskriminierungsrechts darstellt, sondern im Unionsrecht überall dort begegnet, wo der Unionsgesetzgeber durch den Erlass von Sekundärrechtsakten primärrechtliche Norminhalte konkretisiert.158 Prominente Beispiele für eine solche „richtlinienorientierte Auslegung des Primärrechts“159 durch den EuGH finden sich insbesondere im Bereich der Grundfreiheiten. So misst etwa der EuGH in ständiger Rechtsprechung der Nomenklatur in Anhang I der Richtlinie 88/361 (Kapitalverkehrs-Richtlinie) Hinweischarakter für 158  Vgl. hierzu von Bogdandy, JZ 2001, 157, 166; Nettesheim, EuR 2006, 737, 753 ff.; W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 812 ff. 159  Begriff bei Höpfner, ZfA 2010, 449, 453, der aber zugleich die Möglichkeit einer solchen Vorgehensweise im Fall Mangold mangels auszulegenden primärrechtlichen Rechtsaktes vermeint. Zum nationalen Pendant der gesetzesorientierten Auslegung des Verfassungsrechts vgl. Leisner, Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, S. 62.

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den Inhalt der in Artikel 63 AEUV nicht primärrechtlich definierten Kapitalverkehrsfreiheit bei.160 Im Urteil Walrave begründet der EuGH die unmittelbare Bindung privater Sportvereine an Artikel 7, 48, 49 EGV unter anderem unter Rückgriff auf Artikel 7 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68.161 Auf Artikel 4 derselben Verordnung stützt der EuGH im Urteil Bosman ein in Artikel 39 Abs. 2 EG verortetes Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Beschäftigung, der Entlohnung und der sonstigen Arbeitsbedingungen.162 Die Argumente für eine sekundärrechtsorientierte Auslegung primärrechtlicher Norminhalte sind vielfältig und zudem eng miteinander verwoben. So spricht für eine Orientierungsfunktion des Sekundärrechts schon dessen höhere Regelungsdichte im Vergleich zum Primärrecht. Die höhere Regelungsdichte ist wiederum untrennbar mit der Funktion des Sekundärrechts verknüpft, die oftmals abstrakten Rechtsverbürgungen des Primärrechts durch Konkretisierung für die Rechtsanwendung überhaupt erst handhabbar zu machen und hierdurch die Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Schönberger sieht gerade in dieser Funktion des Sekundärrechts die Ursache für dessen herausgehobene Rolle gegenüber dem Primärrecht.163 Die Notwendigkeit der Durchsetzung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht bedingt danach, dass das Gemeinschaftsrecht keine starken materiellen Anforderungen an das Sekundärrecht entwickelt.164 Die sich in Vorrang und unmittelbarer Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts manifestierende starke Hierarchisierung zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht gehe deshalb nahezu zwangsläufig mit einer geringen Hierarchisierung zwischen dem gemeinschaftlichen Primär- und Sekundärrecht einher.165 Dieses „Phänomen gegenläufiger Hierarchisierungen“ sei wiederum charakteristisch für junge föderale Ordnungen, sofern dort der Vollzug des Bundesrechts überwiegend bei den mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten liege.166 Eine sekundärrechtsorientierte Auslegung des Primärrechts liegt ferner auf einer Linie mit Stimmen im Schrifttum, die eine stärkere Rücksichtnahme des EuGH auf die Vorstellungen des primärrechtskonkretisierenden Unionsge160  Vgl. etwa EuGH, Rs. C-256/06; Slg. 2008, I-123, Tz. 24 – Jäger; EuGH, Rs. C-567/07, Slg. 2009, I-9021, Tz. 20 – Woningsstichting Sint Servatius; Ob dies letztlich auch eine Überprüfung der Richtlinie am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit hindern würde, ist schwer zu beurteilen. 161 EuGH, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405, Tz. 23 – Walrave. 162 EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Tz. 118 ff. – Bosman. 163  Schönberger, EuR 2003, 600 ff.; zustimmend Jestaedt, in: VdVdDSL 64 (2005) S. 298, 323; gegen den Ansatz einer sekundärrechtsorientierten Auslegung des Primärrechts zur Wahrung der Einheit des Unionsrechts dagegen Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 31. 164  Schönberger, EuR 2003, 606, 601, 613 f. 165  Schönberger, EuR 2003, 600, 601, 613 f. 166  Schönberger, EuR 2003, 600, 600, 614 ff. nennt als Beispiele die Schweiz, die USA sowie frühere Epochen des deutschen Föderalismus in Kaiserreich und Weimarer Republik.

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setzgebers anmahnen und damit Letzterem eine Rolle als (ergänzendem) Verfassungsinterpreten zuweisen.167 Die Idee einer wie auch immer gearteten Beschränkung des Letztentscheidungsmonopols der Judikative zugunsten der unmittelbar demokratisch legitimierten Legislative ist dabei kein Spezifikum des unionsrechtlichen Verfassungsdiskurses, sondern findet ihre Parallelen in ähnlich gelagerten Diskursen in den USA168 und in Deutschland.169 Das Phänomen gegenläufiger Hierarchisierungen im Unionsrecht und der Respekt vor dem primärrechtskonkretisierenden Unionsgesetzgeber vermögen indes allenfalls eine Orientierungsfunktion des Sekundärrechts zu erklären.170 Sie liefern indes keinen befriedigenden Erklärungsansatz für eine Umkehr der unionalen Hierarchieebenen im Sinne einer Auslegungsprärogative des Unionsgesetzgebers in Bezug auf das Primärrecht, wie sie das unionale Antidiskriminierungsrecht spätestens seit den Urteilen Mangold und Test Achats zu prägen scheint. Denn ungeachtet einer unter verschiedenen Gesichtspunkten gebotenen Stärkung bzw. Achtung der Position des Unionsgesetzgebers ist doch der Vorrang des Primärrechts vor dem Sekundärrecht auch heute noch im Grundsatz allgemein anerkannt.171 Er manifestiert sich nicht nur in der Exis167  So etwa Davies, CML Rev. 51 (2014), 1579, 1606; Syrpis, CML Rev. 52 (2015), 461, 482 ff.; Instruktiv zu diesem Ansatz unter Bildung unterschiedlicher Fallgruppen Nettesheim, EuR 2006, 737, 755 ff. 168  In den USA wird seit längerem die Frage diskutiert, welche Staatsgewalt zur Interpretation der Verfassung berufen ist; vgl. zu dieser Debatte Davies, CML Rev. 51 (2014), 1579, 1584 mit Nachweisen aus dem US-amerikanischen Schrifttum. Seit der Entscheidung Marbury v. Madison, 5 U.S. 137 (1803) nimmt der ­Supreme Court die Aufgabe der letztverbindlichen Interpretation der Verfassung grundsätzlich für sich allein in Anspruch (doctrine of judicial supremacy); vgl. hierzu grundlegend Charles. G. Haines, The American Doctrine of Judicial Supremacy, 1914; Teile des Schrifttums möchten das Letztentscheidungsmonopol der Judikative hingegen durch alternative Modelle ersetzen, die eine stärkere Einbeziehung anderer Staatsgewalten bzw. Akteure in den Prozess der Verfassungsinterpretation beinhalten (vgl. etwa Murphy, Rev. Pol. 48 (1986), 401 ff. [Dialog zwischen Judikative und Legislative]; sehr weitgehend Kramer, The People Themselves, Popular Constitutionalism and Judicial Review, 2004 [unmittelbare Einbeziehung der Bürger]); zu Ansätzen eines solchen Kooperationsmodells auch in der Rechtsprechung vgl. die Entscheidung Unites States v. South-­Eastern Underwriters Ass., 322 U.S. 533 (1944), in welcher der S­ upreme Court mit den Grundfreiheiten vergleichbare Schranken für die einzelstaatliche Gesetzgebebung entwickelt, diese aber zugleich zur Disposition des Kongresses gestellt hat. Hierzu W. H. Roth, Freier Warenverkehr, S. 163 ff. 169  Häberle, JZ 1975, 297. 170 Ebenso Höpfner, ZfA 2010, 449, 453, wonach es sich bei der richtlinienorientierten Auslegung des Primärrechts nicht um eine Vorrangregel, sondern um einen Unterfall der historisch-systematischen Auslegung handelt. 171  Dezidiert in diesem Sinne Nettesheim, EuR 2006, 737, 753: „Normhierarchisches Denken legt es nahe, eine interpretative Rückwirkung des Sekundärrechts auf die Interpretation des Primärrechts auszuschließen. Wer sich der Frage nach der Existenz derartiger Rückwirkungen schematisch und rein rechtsnormbezogenen nähert, wird nicht umhinkommen, sie zu verneinen: Eine Norm, die aus einer anderen abgeleitet worden ist, kann nicht ihrerseits wieder die Ausgangsnorm determinieren.“ Kritisch gegenüber einer die Normhierarchie um-

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tenz der Nichtigkeitsklage des Artikels 263 AEUV,172 die ohne die Möglichkeit von Normkonflikten zwischen beiden Regelungsebenen nicht denkbar wäre, sondern auch in dem vom EuGH in ständiger Rechtsprechung praktizierten Grundsatz der primärrechtskonformen Auslegung von Sekundärrechtsakten.173 Zu weit geht daher insbesondere die Auffassung von Kingreen, der im Hinblick auf den Charakter der Grundfreiheiten als „transnationale Integrationsnormen“ eine Bindung des Unionsgesetzgebers an die Grundfreiheiten rundweg ablehnt.174 Zwar ist der letztgenannten Auffassung darin beizupflichten, dass ein Normkonflikt zwischen Primärrecht und konkretisierendem Sekundärrecht nur selten festzustellen sein wird, weil die Tätigkeit des Unionsgesetzgebers regelmäßig darauf gerichtet ist, Integrationshindernisse ab- und nicht aufzubauen.175 Diese Feststellung allein hindert den EuGH im Einzelfall gleichwohl nicht an einer von den Vorstellungen des Unionsgesetzgebers abweichenden Interpretation des primärrechtlichen Normgehalts.

b) Inverse Normhierarchie als Konsequenz der Steuerungsfunktion grundrechtskonkretisierender Richtlinien aa) Die Aktivierung der mitgliedstaatlichen Bindung an Charta-­G rund­rechte durch konkretisierende Richtlinien Für die vom EuGH zugrunde gelegte rechtliche Determinierung des Primärrechts durch das Sekundärrecht lässt sich jedoch, jedenfalls für Teilbereiche des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes, ein anderer Erklärungsansatz fruchtbar machen. Zum Verständnis ist es zunächst hilfreich, sich die an anderer Stelle nachgezeichnete Entwicklung des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes im Ganzen in Erinnerung zu rufen. Diese Entwicklung war zum einen dadurch gekennzeichnet, dass – mit Ausnahme von Artikel 18 und 157 AEUV – sämtliche im Bereich des gesellschaftspolitischen Diskriminierungsschutzes erlassenen Sekundärrechtsakte den durch sie formal konkretisierten primärrechtlichen Diskriminierungsverboten in zeitlicher Hinsicht weit vorauseilten.176 Das Verhältnis zwischen Antidiskriminierungsrichtlinien und primärrechtlichen Diskriminierungsverboten erschöpft sich indes keinesfalls in dieser zeitlichen Priorität, sondern es kehrenden, sekundärrechtskonformen Auslegung des Primärrechts auch Leible/Domröse, in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 8 Rn. 44; Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 31. 172  W.-H. Roth, ZHR 179 (2015), 668, 675. 173  Vgl. nur EuGH, Rs. C-402/07 und C-432/07, EU:C:2009:716, Tz. 30 – Sturgeon. 174  Kingreen, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 AEUV Rn. 110. 175  Kingreen, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 AEUV Rn. 110. 176  Zur Genese des gesellschaftspolitischen Diskriminierungsschutzes in der Union siehe oben Erster Teil § 3 B. III. 2.

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scheint zudem durch eine genetische Determinierung des Primärrechts durch das Sekundärrecht geprägt. In diese Richtung deutet etwa das Urteil Defrenne III, in welchem der EuGH den Grundrechtsstatus eines über den Bereich des Entgelts hinausgehenden Verbots der Geschlechtsdiskriminierung vom vorherigen Erlass entsprechender Sekundärrechtsakte abhängig machte.177 Im Urteil Mangold sah sich der EuGH, wie gesehen zu Unrecht, sogar dem Verdacht ausgesetzt, das von ihm in diesem Urteil aus der Taufe gehobene primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nicht aus den von ihm genannten völkerrechtlichen und nationalen Rechtserkenntnisquellen sondern in Wahrheit aus der Richtlinie 2000/78/EG entnommen zu haben.178 Nun bestehen allerdings gegen eine originäre Herleitung unmittelbar anwendbarer primärrechtlicher Rechtssätze aus dem Sekundärrecht in der Tat erhebliche Bedenken; ist es doch allein den Mitgliedstaaten vorbehalten, im Wege der Aufnahme solcher Rechtssätze in die Verträge über die Verfasstheit der Union zu bestimmen. Dies gilt auch im Hinblick auf Artikel 6 Abs. 3 EUV, der als mögliche Rechtserkenntnisquellen für die Herleitung allgemeiner Rechtsgrundsätze nur die EMRK und die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, nicht indes das Sekundärrecht nennt. Eine Delegation der Befugnis zur Schöpfung von Grundrechten an den Unionsgesetzgeber ist in den Verträgen mithin gerade nicht vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist auch die vom EuGH im Urteil Mangold getroffene und in den Folgeurteilen gebetsmühlenartig wiederholte Feststellung zu verstehen, wonach das Verbot der Altersdiskriminierung in der Richtlinie 2000/78/EG „nicht verankert“ ist, sondern durch diese lediglich „konkretisiert“ wird. Zwar dürfte es sich hierbei angesichts der zu diesem Zeitpunkt äußerst „dünnen“ Beweislage für die Existenz dieses Diskriminierungsverbots außerhalb der Richtlinie um ein bloßes Lippenbekenntnis gehandelt haben. Vom heutigen Standpunkt her ist die Frage nach den Rechtserkenntnisquellen für die Existenz primärrechtlicher Diskriminierungsverbote allerdings ohnehin nur noch von historischer Relevanz, seit mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon die in Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch verankerten Diskriminierungsverbote über Artikel 6 Abs. 1 EUV den Status bindenden Primärrechts erlangt haben. Kommt somit den durch den Unionsgesetzgeber erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien nicht die Funktion zu, primärrechtliche Diskriminierungsverbote originär zu begründen, so geriet spätestens mit der Inkorporierung der Grundrechte-Charta eine anders geartete, aber nicht minder wichtige Funktion dieser Richtlinien in den Blickpunkt. Anders als die unmittelbar in den Verträgen verankerten Verbürgungen des Primärrechts binden die Grundrechte der 177 EuGH, Rs. 149/77, Slg. 1978/1365, Tz. 30/32 – Defrenne III; siehe bereits oben Erster Teil § 3 B III. 2. b). 178  Siehe oben 1. a) dd).

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Charta die Mitgliedstaaten nur, soweit diese Unionsrecht durchführen (Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch) und damit im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln.179 Der Anwendungsbereich des Unionsrechts wird aber gerade, wie der EuGH im Urteil Kücükdeveci festgestellt hat, durch den Erlass grundrechtskonkretisierender Richtlinien eröffnet.180 Mit anderen Worten: Der Erlass der Richtlinie bedingt die Bindung der Mitgliedstaaten an das durch diese Richtlinie konkretisierte Grundrecht. Im Hinblick auf diese „Türöffnerfunktion“ kommt Richtlinien, die ein Charta-­Grund­recht konkretisieren, somit eine weitergehende Bedeutung zu als Richtlinien, welche die bereits für sich genommen mit umfangreicher Bindungswirkung ausgestatteten primärrechtlichen Verbürgungen der Gründungsverträge konkretisieren: In Bezug auf letztere erschöpft sich die Bedeutung konkretisierender Richtlinien in der Konkretisierung des primärrechtlichen Norminhalts; in Bezug auf erstere dient die konkretisierende Richtlinie dagegen zugleich der Aktivierung dieses Norminhalts im Außenverhältnis gegenüber den Mitgliedstaaten. Dem Unionsgesetzgeber wird damit zwar keine Befugnis zur originären Neuschöpfung von Primärrecht eingeräumt. Eine Bindung der Mitgliedstaaten an die genannten Diskriminierungsverbote ist dagegen untrennbar mit einem vorherigen Tätigwerden des Unionsgesetzgebers verbunden, der damit Umfang und Intensität der mitgliedstaatlichen Bindung entscheidend steuert. So ließ sich im Fall Navas mangels Einschlägigkeit der Richtlinie 2000/78/EG kein primärrechtliches Verbot der Diskriminierung wegen einer Krankheit begründen. Im Fall Palacios de la Villa schied ein primärrechtlicher Schutz vor einer tarifvertraglichen Ungleichbehandlung wegen des Alters aus, weil diese Ungleichbehandlung nach Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt war. Im Fall Bartsch scheiterte ein primärrechtlicher Schutz vor Altersdiskriminierung an der noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78/EG. Schließlich lässt sich im Rückblick auch bereits das Urteil Defrenne III in diesem Sinne lesen: Zwar war schon zum damaligen Zeitpunkt in dem Verbot der Entgeltdiskriminierung gemäß Artikel 119 EWG (Artikel 157 AEUV) ein über das Entgelt hinausgehendes primärrechtliches Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Ansatz angelegt. Dieses bedurfte indes zu seiner Aktivierung des Erlasses entsprechender Sekundärrechtsakte und befand sich in Ermangelung solcher Akte zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch im „Schlummermodus.“181 179  Zur Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Bindung der Mitgliedstaaten an die allgemeinen Rechtsgrundsätze „im Anwendungsbereich des Unionsrechts“ für die Auslegung des in Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch gewählten Begriffs „Durchführung des Unionsrechts“ siehe unten C. II. 2. 180  Siehe oben 1. b) cc). 181  Hilson, E.L.Rev. 29 (2004), 636, 641 klassifiziert das Recht, nicht wegen des Geschlechts diskriminiert zu werden, im Hinblick auf die zu seiner Aktivierung erforderlichen Maßnahmen des Unionsgesetzgebers als „partial hybrid right“.

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Festhalten lässt sich somit, dass dem Unionsgesetzgeber im Bereich des Antidiskriminierungsrechts eine zentrale Rolle nicht nur bei der Schaffung sekundärrechtlicher Diskriminierungsverbote sondern zugleich bei der Etablierung eines entsprechenden, die Mitgliedstaaten bindenden primärrechtlichen Schutzstandards zukommt. Der Erlass einer neuen Antidiskriminierungsrichtlinie, wie etwa der geplanten Richtlinie zur Erstreckung des allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots auf die weiteren Unterscheidungsmerkmale Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung, aktiviert und präzisiert somit für die geregelten Lebensbereiche die bereits in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch angelegten Verbote und generiert insoweit seine eigene primärrechtliche Unterfütterung. Auf diese Weise wächst der primärrechtliche, durch die Grundrechte-Charta gewährleistete Diskriminierungsschutz gegenüber den Mitgliedstaaten letztlich mit dem durch die Antidiskriminierungsrichtlinien definierten Anwendungsbereich des Unionsrechts mit.182

bb) Rückkoppelungseffekte hinsichtlich der Grundrechtsbindung des Unionsgesetzgebers Die Abhängigkeit der mitgliedstaatlichen Bindung an die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1, 23 GR-Ch vom vorherigen Erlass konkretisierenden Sekundärrechts stellt aber wiederum die Eignung des Primärrechts als Maßstab für die Auslegung und Kontrolle solcher Konkretisierungsakte in Frage. Zwar ist die Union selbst im Grundsatz unbegrenzt an die Grundrechte der Charta gebunden.183 So muss sich der Unionsgesetzgeber im Rahmen des Erlasses von Rechtsakten in anderen Politikbereichen eigener Diskriminierungen auch wegen solcher in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch genannter Merkmale enthalten, für die es – schon mangels Kompetenz – an entsprechenden sekundärrechtlichen Diskriminierungsverboten fehlt. Ein fiktiver Rechtsakt, der etwa im Rahmen der Etablierung verbraucherschützender Rechte nach der sozialen Herkunft oder der Geburt differenzierte oder im Ergebnis zu einer überproportionalen Belastung entsprechender Merkmalsträger führte, wäre mithin unmittelbar an Artikel 21 GR- Ch zu messen. Eine Maßstabsfunktion von Charta-­Grund­rechten muss indes für solche Sekundärrechtsakte ausscheiden, welche die Mitgliedstaaten zum Schutz gerade des jeweils in Rede stehenden Grundrechts verpflichten und damit dieses Grundrecht für eine Bindung der Mitgliedstaaten aktivieren. Denn neben die allgemeinen Schwierigkeit, den Inhalt des als Maßstab dienenden Grundrechts unabhängig vom Inhalt des mit höherer Regelungsdichte ausgestatteten Sekundärrechtsakts festzulegen, tritt im Falle einer solchen Kontrolle das 182 Ähnlich Perner, Grundfreiheiten, Grundrechte-Charta und Privatrecht, S. 177: „Mitwachsen der Grundrechte-Charta in ihrer Bedeutung mit dem Unionsrecht.“ 183  Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 115.

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zusätzliche Problem einer inhaltlichen Bindung der Mitgliedsstaaten über das vom Unionsgesetzgeber vorgesehene Maß hinaus. Eine solche Bindung widerspricht indes dem hinter Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch stehenden Rechtsgedanken, die beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte über die Koppelung des Grundrechtsschutzes an die von den Mitgliedstaaten selbst steuerbare Sekundärrechtsgebung sicherzustellen. Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass die Bindung auch der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte und deren Reichweite zu den umstrittensten Materien im Rahmen der Beratungen des Grundrechtekonvents gehörte.184 Bereits bei der vom EuGH im Urteil Kücükdeveci konstatierten Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten im gesamten Anwendungsbereich einer grundrechtskonkretisierenden Richtlinie und nicht nur im Hinblick auf nationale Umsetzungsakte handelt es sich um eine äußerst weitgehende Interpretation des Durchführungsbegriffs im Sinne des Artikels 51 Abs. 1 GR‑Ch.185 Diese weite Interpretation des Durchführungsbegriffs erscheint nur deshalb noch vertretbar, weil die Mitgliedstaaten ihre Bindung an die Grundrechte der Charta auch insoweit über ihre Entscheidung für oder gegen den Erlass grundrechtskonkretisierender Rechtsakte letztlich selbst steuern können. Eine noch weitergehende Bindung der Mitgliedstaaten über das von diesen in bisweilen mühsamen Kompromissfindungsprozessen festgesetzte sekundärrechtliche Schutzniveau hinaus wäre indes mit dem Rechtsgedanken des Artikels 51 Abs. 1 GR-Ch nicht mehr vereinbar. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf Richtlinien, die auf Basis von Artikel 19 AEUV (Artikel 13 EG) erlassen wurden; spiegelt doch das diesbezüglich bestehende Erfordernis einer einstimmigen Beschlussfassung im Rat ein besonderes Bedürfnis der Mitgliedstaaten wider, die Kontrolle über den Erlass neuer Diskriminierungsverbote in den Händen zu behalten.186 Eine – zudem noch primärrechtlich aufgeladene – Ausweitung des von den Mitgliedstaaten festgesetzten Schutzniveaus lässt sich mit dieser Beschränkung nicht vereinbaren. Es muss somit dem Unionsgesetzgeber vorbehalten bleiben, ob er im Hinblick auf bestimmte Diskriminierungsmerkmale und Lebensbereiche überhaupt ein Diskriminierungsverbot statuiert, welche Formen der Diskriminierung hiervon erfasst werden und welche Rechtfertigungsgründe bestehen sollen. Sähe man dies anders, würde sich die dem Unionsgesetzgeber durch Artikel 19 AEUV eingeräumte Berechtigung zum Erlass sekundärrechtlicher Diskriminierungsverbote unter Berücksichtigung der Vorgaben des Artikels 21 GR-Ch in eine entsprechende Verpflichtung wandeln. Dem184 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51 Rn. 24 f. 185  Zur diesbezüglichen Kritik siehe bereits oben 1. b) cc). 186  Siehe hierzu oben A. I. 2. b) bb) (2).

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gegenüber hat der EuGH im Urteil Test Achats zu Recht betont, dass es dem Unionsgesetzgeber zusteht, den Zeitpunkt seines Tätigwerdens zur Ausschöpfung der ihm in Artikel 19 AEUV eingeräumten Kompetenz zur Herstellung von Gleichheit selbst zu bestimmen.187 Im Hinblick auf den Erlass von Sekundärrechtsakten, welche die Mitgliedstaaten auf den Schutz eines Charta-­Grund­rechts verpflichten, unterliegt die Union demnach nur einer eingeschränkten Grundrechtsbindung. Während ein solcher Rechtsakt vollumfänglich an mit diesem Rechtsakt konfligierenden Charta-­Grund­rechten und sonstigen primärrechtlichen Verbürgungen in ihrer jeweiligen Abwehrfunktion zu messen ist (Übermaßverbot), findet eine Kontrolle am Maßstab des zu schützenden Charta-­Grund­rechts im Sinne eines Untermaßverbots nicht statt. Bezogen auf die in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verbürgten Diskriminierungsverbote bedeutet dies: Rechtsakte der Union, welche die Mitgliedstaaten unter Ausschöpfung der Kompetenz des Artikels 19 AEUV zur Etablierung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote verpflichten, sind an den konfligierenden primärrechtlichen Rechtspositionen des Adressaten solcher Diskriminierungsverbote zu messen,188 nicht aber an Artikel 21 GR-Ch. Überspitzt könnte man danach auch formulieren: Es gibt gemessen am Maßstab des Primärrechts ein Zuviel an privatrechtsbezogenem Diskriminierungsschutz, aber kein Zuwenig.

cc) Öffnungsklauseln Die Freiheit des Unionsgesetzgebers, den Umfang seines Tätigwerdens zum Schutz vor Diskriminierungen und damit den Umfang der mitgliedstaatlichen Bindung an Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch selbst zu bestimmen, erstreckt sich dabei insbesondere auch auf den Erlass so genannter Öffnungsklauseln, wonach seitens aller oder bestimmter Mitgliedstaaten dem Richtlinienziel zuwiderlaufende Regelungen geschaffen oder aufrechterhalten werden dürfen.189 Im Schrifttum ist allerdings gerade dies unter Verweis auf die umfassende Bindung der Union an die Grundrechte der Charta bezweifelt worden.190 Zwar verletze die Union im Rahmen der Schaffung von Ausnahmetatbeständen und Rechtfertigungsgründen nicht selbst unmittelbar Grundrechte, sie ermächtige aber die Mitgliedstaaten und damit letztendlich Private dazu und schaffe hiermit am 187 EuGH,

Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 20 – Test Achats; zurückhaltender dagegen GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats, Tz. 34, die dem Unionsgesetzgbeber nur ein „gewisses Ermessen“ im Hinblick auf ein Tätigwerden nach Artikel 19 AEUV zugestehen möchte. 188  Zu diesen Rechtspositionen siehe oben A. I. 1. b). 189  So im Hinblick auf die im Urteil Test Achats überprüfte Regelung des Artikel 5 Abs. 2 Gender-Richtlinie Armbrüster, VersR 2010, 1571, 1579 ff.; Karpenstein, EuZW 2010, 885; Looschelders, VersR 2011, 421, 425. 190  Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 114 ff.

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Maßstab der Grundrechte überprüfbares Unionsrecht.191 Der Unionsgesetzgeber sei daher an die Charta gebunden, sobald er tätig werde. Wolle er eine Materie dezidiert vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausnehmen, müsse er eine andere Rechtsetzungstechnik wählen.192 Diese Sichtweise liegt durchaus im Einklang mit der bisherigen Behandlung von Öffnungsklauseln durch den EuGH. So stellte dieser noch im Familienzusammenführungs-Urteil aus dem Jahre 2006 in Bezug auf das Grundrecht auf Schutz des Fa­mi­lien­lebens fest, „dass der Umstand, dass die angefochtenen Bestimmungen der Richtlinie den Mitgliedstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumen und es ihnen erlauben, unter bestimmten Umständen nationale Rechtsvorschriften anzuwenden, die von den mit der Richtlinie vorgegebenen Grundsatzregelungen abweichen, nicht dazu führen kann, dass diese Bestimmungen der Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit durch den Gerichtshof nach Artikel 230 EG entzogen werden.“193 Die Argumentation, wonach ein wie auch immer geartetes Tätigwerden des Unionsgesetzgebers zum Schutz eines Grundrechts zu einer vollen Überprüfbarkeit auch von Ausnahmetatbeständen am Maßstab des geschützten Grundrechts führen soll, leidet indes an einem logischen Fehler. Denn für die Bindung des Unionsgesetzgebers und damit mittelbar der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte kann es letztlich nicht darauf ankommen, ob der Unionsgesetzgeber seine Absicht eines nur partiellen Tätigwerdens über einen beschränkten Anwendungsbereich der Richtlinie oder über die Statuierung eines Regel-Ausnahmeverhältnisses artikuliert. Entscheidend ist vielmehr, dass in beiden Fällen eine aus dem konkretisierten Grundrecht hergeleitete (Teil-) Nichtigkeit des Sekundärrechtsakts die selbst gewählte Beschränkung des Unionsgesetzgebers auf ein niedriges Schutzniveau zugunsten eines höheren Schutzniveaus außer Kraft setzt. Wenn der Unionsgesetzgeber überhaupt nicht tätig werden muss, kann auch ein initiales gesetzgeberisches Tätigwerden nicht den Anlass dafür liefern, über den Rückgriff auf das durch den Unionsgesetzgeber erst zu aktivierende Grundrecht einen weitergehenden sekundärrechtlichen Schutz und damit mittelbar eine weitergehende Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten zu etablieren. Dies folgt, wie gesehen, aus der beschränkten Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte gemäß Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch, welche nicht über den Verweis auf die im Übrigen unbeschränkte Grundrechtsbindung der Union überspielt werden darf. Eine Öffnungsklausel stellt nach dieser Prämisse letztlich nichts anderes dar als den partiellen Verzicht

191  Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 115; ähnlich Tobler, CML Rev. 48 (2011) 2041, 2049, die aber, nach hier zugrundegelegter Interpretation fälschlicherweise, dem EuGH im Urteil Test Achats denselben dogmatischen Ansatz unterstellt. 192  Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 116. 193 EuGH, C-540/03, Slg. 2006, I-5769, Tz. 22 – Parlament gegen Rat (Familienzusammenführung).

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des Unionsgesetzgebers auf ein Tätigwerden und insoweit auch auf eine Aktivierung des Grundrechtsschutzes.194 Zu dieser Sichtweise scheint sich mit dem Urteil Test Achats auch der Gerichtshof durchgerungen zu haben, wo mit Artikel 5 Abs. 2 Richtlinie 2004/ 113/EG ebenfalls die Konformität einer Öffnungsklausel mit in Frage stand. Generalanwältin Kokott wandelte im Rahmen ihrer Schlusanträge allerdings noch auf den Pfaden der bisherigen Rechtsprechung, indem sie betonte, dass etwaige vom Unionsgesetzgeber getroffene Maßnahmen im vollen Umfang an den Anforderungen der Grundrechte zu messen seien und insbesondere im Sinne des Artikels 13 EG „geeignet“ sein müssten, Diskriminierungen zu bekämpfen.195 Zur Begründung, warum dies im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 2 Richtlinie 2004/113/EG nicht der Fall sei, misst sie die in Rede stehende Norm unmittelbar an Artikel 21, 23 GR-Ch, deren Norminhalt sie eigenständig, unter anderem unter Rückgriff auf die Judikatur des EuGH zu Artikel 157 AEUV definiert. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass eine nach dem Geschlecht differenzierende Kalkulation von Versicherungstarifen allenfalls bei eindeutig biologisch begründbaren, nicht aber bei rein statistisch ermittelten Unterschieden zwischen männlichen und weiblichen Versicherten gerechtfertigt sei.196 Auch eine Anknüpfung an das Geschlecht als statistisch leicht nachweisbares Ersatzkriterium (proxy) für außerhalb des Geschlechts liegende Risikofaktoren müsse ausscheiden, da die mit dieser Vorgehensweise verbundenen finanziellen Vorteile die damit verbundene Ungleichbehandlung nicht aufwiegen könnten.197 Mit diesen Feststellungen setzt sich die Generalanwältin indes an die Stelle des Unionsgesetzgebers, dem es allein obliegt, die erforderlichen Abwägungen im Hinblick auf das von ihm mit der Richtlinie 2004/113/EG neu etablierte Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts hinsichtlich der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen zu treffen und insoweit das Ausmaß seines Tätigwerdens in Ausschöpfung der Kompetenz des Artikels 13 EG zu bestimmen. Von daher erscheint es nur konsequent, dass der Gerichtshof einen anderen Weg beschritten hat und die Vorgaben des von ihm als Maßstab für die Unions­ rechts­kon­formität des Artikels 5 Abs. 2 Gender-Richtlinie herangezogenen primärrechtlichen Verbots der Geschlechtsdiskriminierung nicht extern, sondern unter Rückgriff auf die Richtlinie bestimmt. Der Gerichtshof misst damit zwar ebenfalls die sekundärrechtliche Norm formell an dem durch sie konkretisier194 Ähnlich Armbrüster, VersR 2010, 1978, 1979; Looschelders, VersR 2011, 421, 425 („unionsrechtliches Nichts“); Karpenstein, EuZW 2010, 885 („Nichtharmonisierung“). 195 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats, Tz. 34, 35. 196 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats, Tz. 55–57. 197 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats, Tz. 55–57.

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ten Grundrecht, erkennt aber mit der inhaltlichen Definition des Grundrechts anhand der Richtlinie im Kern das Primat des Unionsgesetzgebers hinsichtlich der Aktivierung von Charta-­Grund­rechten an. Mit dieser Herangehensweise setzt sich der Gerichtshof einerseits in Widerspruch nicht nur zur Generalanwältin, sondern auch zu seiner eigenen Argumentation im Fa­mi­lien­zu­ sam­menführungs-Urteil, welches er anders als die Generalanwältin198 gar nicht erst zitiert.199 Andererseits fügt sich der neue Ansatz des EuGH nahtlos in die Mangold-Rechtsprechung ein, welche ebenfalls von einer zentralen Rolle des Sekundärrechts bei der inhaltlichen Definition und Aktivierung primärrecht­ licher Diskriminierungsverbote geprägt ist. Umso bedauerlicher erscheint es allerdings, dass der EuGH den im Urteil Test Achats beschrittenen Weg nicht konsequent zu Ende geht. Als problematisch erweist sich insoweit die vom EuGH vorgenommene „Kohärenzprüfung“ der in Artikel 5 Abs. 2 Richtlinie 2004/113/EG enthaltenen Öffnungsklausel an Artikel 5 Abs. 1 der Richtlinie. Denn es erscheint schlicht nicht einsichtig, warum gerade das in Artikel 5 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG statuierte Verbot geschlechtsbasierter Prämien- und Leistungsberechnung den Ausgangspunkt einer solchen Prüfung darstellen soll und nicht etwa Artikel 5 Absatz 2, welcher eine geschlechtsbasierte Tarifkalkulation unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. 200 Muss es nicht auch insoweit dem Unionsgesetzgeber vorbehalten sein, wie der Gerichtshof im Grundsatz selbst einräumt, neben einem schrittweisen Vorgehen in zeitlicher Hinsicht auch unbefristete Ausnahmen in tatsächlicher Hinsicht vorzusehen und stellt Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie nicht gerade eine solche Ausnahme dar? In Wahrheit verbirgt sich hinter der vermeintlichen Kohärenzprüfung dann auch nichts anderes als eine gespaltene Definition des Grundrechtsinhalts anhand der Richtlinie 2004/113/EG, indem unselbständige Teile einer einheitlichen Entscheidung des Unionsgesetzgebers künstlich getrennt und gegeneinander ausgespielt werden. Der EuGH erkennt damit zwar im Grundsatz die Definitionsmacht des Unionsgesetzgebers bei der Aktivierung von Charta-­Grund­rechten für eine mitgliedstaatliche Bindung an, bleibt insoweit aber auf halbem Wege stehen und legt den Unionsgesetzgeber im Ergebnis wie die Generalanwältin auf einen bestimmten, vom Gerichtshof für richtig befundenen Norminhalt fest. Konsequent wäre es dagegen gewesen, die Entscheidung des Unionsgesetzgebers im Ganzen zu akzeptieren, was wiederum eine Kontrolle von Sekundärrechtsakten, die ein Charta-­Grund­recht konkretisieren, am Maßstab des konkretisierten Grundrechts ausschließt. 198 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats, Tz. 28 und 36. 199  Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 114 ff. l scheint in der Vorgehensweise des Gerichtshofs dagegen eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung zu sehen. 200  Purnhagen, EuR 2011, 690, 696.

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Darüber, warum sich der EuGH im Verfahren Test Achats zu diesem letzten Schritt nicht durchringen konnte, kann nur gemutmaßt werden. Offensichtlich teilte der Gerichtshof im Ergebnis die Auffassung der Generalanwältin, dass sich der Rückgriff auf das Geschlecht als Ersatzkriterium (proxy) bei der Berechnung von Versicherungstarifen nicht rechtfertigen lasse. Da der Gerichtshof andererseits, anders als die Generalanwältin, keine autonome inhaltliche Definition des als Maßstab dienenden primärrechtlichen Diskriminierungsverbots vornimmt, sondern diese Definition dem Sekundärrechtsgeber anheim stellt, stand der EuGH vor einem Dilemma. Dieses Dilemma ließ sich nur – dogmatisch unbefriedigend – über eine künstliche Aufspaltung der Entscheidung des Unionsgesetzgebers unter Rückgriff auf das in diesem Zusammenhang zweifelhafte Kohärenzargument auflösen. Seinem Ansatz, wonach die Definition des primärrechtlichen Norminhalts dem das Grundrecht konkretisierenden und aktivierenden Unionsgesetzgeber obliegt, ist der Gerichtshof damit freilich treu geblieben. Ob der EuGH den im Urteil Test Achats beschrittenen Weg zu Ende gehen wird, indem er das Primat des Unionsgesetzgebers zur Aktivierung von Charta-­Grund­rechten im Außenverhältnis gegenüber den Mitgliedstaaten auch im Ergebnis vollständig anerkennt, bleibt abzuwarten. Gelegenheit zur erneuten Stellungnahme besteht etwa im Rahmen der anstehenden Entscheidung auf ein Vorabentscheidungsersuchen des BAG, wo im Rahmen der vom EuGH erbetenen Auslegung des Artikels 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG (Ungleichbehandlung durch Religionsgemeinschaften) erneut das Verhältnis einer Öffnungsklausel mit dem durch die Richtlinie konkretisierten primärrechtlichen Diskriminierungsverbot des Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch in den Blick geraten könnte. 201

4. Detailfragen Festhalten lässt sich damit zunächst, dass der EuGH beginnend spätestens mit dem Urteil Mangold einen Ansatz verfolgt, der in Teilbereichen des unionalen Antidiskriminierungsrechts die Maßstabsfunktion des Primärrechts für das Sekundärrecht in ihr Gegenteil verkehrt. Den Antidiskriminierungsrichtlinien kommt danach eine zentrale Bedeutung zu, indem sie den Inhalt des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots inhaltlich definieren und zugleich seine Anwendbarkeit im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten steuern. Dies bedingt wiederum nach hier vertretener, im Ansatz auch der Rechtsprechung des 201  Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 17. März 2016 – Az. 8 AZR 501/14 (A). In seinen zwischenzeitlich vorliegenden Schlussanträgen vom 9. November 2017 vermeidet Generalanwalt Tanchev indes einen Rückgriff auf Artikel 21 GR-Ch zur Auslegung der fraglichen Richtlinienbestimmung und widmet sich stattdessen – entsprechend der Vorlagefrage – dem Verhältnis dieser Bestimmung zu Artikel 17 AEUV, welcher die Union zur Achtung des Status der Religionsgemeinschaften nach mitgliedstaatlichem Standard verpflichtet, vgl. GA Tanchev, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-414/16, EU:C:2017:851 – Egenberger, Tz. 81 ff.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

EuGH zugrundeliegender Auffassung einen Verlust der Kontrollfunktion primärrechtlicher Diskriminierungsverbote in Bezug auf die Unionsrechtskonformität konkretisierender Sekundärrechtsakte. Hinsichtlich der Details bestehen aber noch einige Fragezeichen, denen im Anschluss nachgegangen werden soll.

a) Reichweite: Keine Bedeutung für die Vertragsgrundrechte aus Artikel 157 und 18 AEUV Zunächst stellt sich die Frage, welche Bereiche des unionalen Antidiskriminierungsrechts von dem soeben herausgearbeiteten Phänomen einer nicht nur faktischen sondern rechtlichen Umkehr der Regelungsebenen betroffen sind. Die Antwort ergibt sich unschwer aus der Begründung dieses Phänomens. Ein Primat des Unionsgesetzgebers zur Aktivierung der Außenwirkung von Unionsgrundrechten ist nur dort zu bejahen, wo es dieser Aktivierung in Bezug auf die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bedarf. Dies ist der Fall im Hinblick auf die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1, 23 GR-Ch, welche die Mitgliedstaaten wie alle Charta-­Grund­rechte nur im Rahmen der Durchführung von Unionsrecht binden. Etwas anderes gilt hingegen in Bezug auf die bereits in den Gründungsverträgen statuierten Diskriminierungsverbote der Artikel 18 und 157 AEUV. Indem diese Grundrechte die Mitgliedstaaten bereits für sich genommen umfassend binden, bedarf es keiner vorherigen Aktivierung dieser Bindung durch den Unionsgesetzgeber. Die Funktion konkretisierender Sekundärrechtsakte erschöpft sich insoweit in der Verstärkung einer bereits bestehenden Außenwirkung. 202 Hierdurch wird zwar ebenfalls eine Kontrolle des Sekundärrechts am Maßstab des Primärrechts faktisch erschwert, aber eben nicht, wie im Falle des Artikels 21 Abs. 1, 23 GR-Ch, rechtlich ausgeschlossen.

b) Äußerste Konkretisierungsgrenze? Eine weitere Frage drängt sich beim Vergleich der in Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch statuierten Diskriminierungsverbote mit anderen normgeprägten Grundrechten auf. Es handelt sich hierbei um die Frage, ob der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung der sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbote einer äußersten Konkretisierungsgrenze unterliegt, wie sie etwa im deutschen Verfassungsrecht für die Eigentumsgarantie des Artikels 14 Abs. 1 GG in Form einer „Institutsgarantie“ allgemein anerkannt ist. 203 Danach dürfen Sachbereiche, die zum elementaren Bestandteil grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören, nicht der Privatrechtsordnung ent202 

Siehe oben 3. a). 1 BvR 638/64, E 24, 367, 379; BVerfG 1 BvL 77/78, E 58, 300, 339; aus dem Schrifttum vgl. nur Badura, Handbuch des Verfassungsrechts, § 10 Rn. 33; Wendt, in: Sachs, GG, Artikel 14 Rn. 10 f.; eingehend ders., Eigentum und Gesetzgebung, S. 18 ff. 203  BVerfG

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zogen werden. Übertragen auf Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch müsste man somit fragen, ob der Unionsgesetzgeber bei der Ausgestaltung der sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbote einem bestimmten Mindeststandard zu gewährleisten hat, welcher etwa in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zu den Artikeln 18 und 157 AEUV sowie an den Standard der ersten Gleichbehandlungsrichtlinie ein Verbot sowohl der unmittelbaren wie der mittelbaren Diskriminierung erfassen könnte. Die Unterschiede zwischen Artikel 14 GG und den Grundrechten der Charta sprechen indes gegen einen solche Schlussfolgerung. Denn während der deutsche Gesetzgeber das Privateigentum niemals als Rechtsinstitut abschaffen darf, 204 ist der Unionsgesetzgeber gänzlich frei in seiner Entscheidung, von der ihm in Artikel 19 AEUV eingeräumten Kompetenz Gebrauch zu machen oder nicht. Ein Mindestmaß an Diskriminierungsschutz ist insoweit weder durch Artikel 19 AEUV noch durch Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch vorgegeben.

c) Fesselung des Sekundärrechtsgebers oder dynamische Verweisung auf Richtlinieninhalt? Eng mit dem Problem der Institutsgarantie verknüpft ist die Frage, ob die einmal durch den Unionsgesetzgeber getroffene und vom Primärrecht vorgefundene Festlegung des Norminhalts für alle Zeiten festgeschrieben ist und damit Änderungen durch den künftigen Unionsgesetzgeber entzogen ist, 205 oder ob es sich bei dem primärrechtlichen Grundsatz um eine dynamische Verweisung auf den jeweiligen sekundärrechtlichen Norminhalt handelt. Auf den ersten Blick scheint es durchaus denkbar, dass dereinst mit zunehmender Verdichtung und Akzentuierung des sekundärrechtlichen Diskriminierungsschutzes durch den Unionsgesetzgeber auf sekundärrechtlicher Ebene ein Konkretisierungsgrad erreicht wird, von dem ab sich erneute Änderungen des Sekundärrechts an diesem, primärrechtlich eingefrorenen Maßstab messen lassen müssten. 206 Angesichts der zahlreichen Regelungslücken und offenen Fragen innerhalb bereits sekundärrechtlich geregelter Bereiche dürfte dieser Zustand allerdings zum einen in naher Zukunft kaum erreicht werden. Zum anderen, und hierin liegt das 204  Die Institutsgarantie sichert nicht nur die traditionellen Grundformen und Grundstrukturen des Eigentums, sondern sie verpflichtet den Staat auch, auf Gebieten, in denen sich bisher nur schwach ausgeprägte vermögensrechtliche Grundstrukturen gebildet haben, Rechtsvorschriften zu schaffen, die den eigentumsrechtlichen Freiraum in diesen Gebieten sichern; eingehend Wendt, Eigentum und Gesetzgebung, S. 188 ff. 205 Eine „gefährliche Versteinerung“ des Primärrechts befürchtet W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 814. 206  Von einer solchen „Verfestigung des primärrechtlichen Norminhalts nach einer ersten „Konsolidierungsrunde“ geht – jedenfalls in Bezug auf Charta-Grundsätze – auch Generalanwalt Cruz Villalón im Verfahren AMS aus, vgl. GA Cruz-Villalón, Schlussanträge zu Rs. C-176/12, EU:C:2014:2 – AMS, Tz. 78.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

gewichtigere Argument, würde eine Fixierung des Primärrechtsinhalts auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt etablierten Schutzstandard den Unionsgesetzgeber bei der sekundärrechtlichen Ausgestaltung des Diskriminierungsschutzes in einem bestimmten Lebensbereich auf seine einmal getroffene diesbezügliche Entscheidung festnageln. Mit dem hier vertretenen Primat des Unionsgesetzgebers in Bezug auf die Aktivierung der mitgliedstaatlichen Bindung an die Diskriminierungsverbote der Artikel 21 Abs. 1, 23 GR-Ch lässt sich eine solche Determinierung nach dem Grundsatz „vorwärts immer, rückwärts nimmer“ aber nicht vereinbaren. Vielmehr beinhaltet das Recht des Unionsgesetzgebers, das Maß des sekundärrechtlichen wie primärrechtlichen Diskriminierungsschutzes selbst zu bestimmen auch das Recht, ein einmal etabliertes Schutzniveau wieder zurückzufahren.

III. Folgen für den Untersuchungsgegenstand Welche Bedeutung hat aber die vorstehend herausgearbeitete Prägung der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote durch das einschlägige Sekundärrecht im Bereich des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes für den Untersuchungsgegenstand? Auf den ersten Blick scheint ein solcher Bezug nicht auf der Hand zu liegen, weil das beschriebene Phänomen unmittelbar nur das interne Gefüge des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes betrifft. Aus der Perspektive der durch die Vorgaben des Unionsrechts gebundenen Mitgliedstaaten scheint sich nämlich zunächst nichts zu ändern, wenn die maßgebenden Vorgaben nicht nur den Antidiskriminierungsrichtlinien sondern zugleich den inhaltsgleichen primärrechtlichen Diskriminierungsverboten entnommen werden können. Letztere Aussage gilt aber nur hinsichtlich des Gegenstands der mitgliedstaatlichen Bindung, nicht jedoch hinsichtlich des Charakters und der Intensität dieser Bindung. Hier kommt dem Primärrecht traditionell gegenüber dem Sekundärrecht eine wesentlich höhere Durchschlagskraft zu. Für das Außenverhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht ist es also keinesfalls gleichgültig, ob sich die Bindung der Mitgliedstaaten nur aus sekundärrechtlichen oder darüber hinaus aus primärrechtlichen Vorgaben ergibt. Ein weitgehender Gleichlauf zwischen primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Diskriminierungsverboten könnte somit vor diesem Hintergrund Änderungen im Außenverhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht mit sich bringen, welche sich letztlich auch auf die Rechtsanwendung der in Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien ergangenen nationalen Diskriminierungsverbote auswirken würden. Hiervon wird im folgenden Unterabschnitt zu handeln sein.

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C. Außenverhältnis der unionsrechtlichen zur nationalen Ebene – Die Bindung der Mitgliedstaaten an die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die rechtspolitischen Zielsetzungen, der Normbestand und das dogmatische Binnengefüge des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes auf der Ebene des Unionsrechts beleuchtet wurden, soll nunmehr das Verhältnis der unionsrechtlichen Vorgaben zur nationalen Regelungsebene geklärt werden. Konkret geht es hierbei um die in Teilbereichen bereits im vorherigen Kapital angeschnittene Frage, ob und inwieweit die Mitgliedstaaten und ihre einzelnen Staatsfunktionen an die unionsrechtlichen Vorgaben gebunden sind. Von der Art dieser Bindung hängt wiederum die Beantwortung der Frage nach den Folgen nationaler Umsetzungsdefizite ab, die sich im weiteren Verlauf der Untersuchung ergeben können.

I. Die Bindung an die Vorgaben des Unionsrechts als Ausfluss des Loyalitätsgebots des Artikels 4 Abs. 3 EUV Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Vorgaben des Unionsrechts wurzelt im Loyalitätsgebot des Artikel 4 Abs. 3 EUV. Die Mitgliedstaaten ergreifen danach alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Speziell in Bezug auf Richtlinien ergibt sich die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Anpassung des nationalen Rechts an die Vorgaben der Richtlinie aus dem in Artikel 288 Abs. 3 AEUV sowie in der Richtlinie selbst verankerten Umsetzungsbefehl. 207 Der Umsetzungsbefehl stellt sich allerdings wiederum als besondere Ausprägung der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten allgemeinen Loyalitätspflicht dar. 208 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Artikel 4 Abs. 3 EUV bzw. Artikel 288 Abs. 3 AEUV betrifft sämtliche Untergliederungen und Staatsfunktionen der Mitgliedstaaten.

207 EuGH,

Rs. C-129/96, Slg. 1997, I-7411, Tz. 40 – Inter-Environnement Wallonie. zu Recht Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6, Rn. 5. Konkrete Rechtsfolgen ergeben sich aus dieser Qualifikation zwar nicht, da Art. 288 Abs. 3 AEUV als lex specialis Anwendungsvorrang gegenüber der allgemeinen Loyalitätspflicht genießt. Damit ist der Hinweis auf das Verhältnis zwischen allgemeiner und besonderer Loyalitätspflicht aber nicht überflüssig (so aber eine verbreitete Sichtweise im Schrifttum, vgl. nur W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 78), sondern im Gegenteil zur dogmatischen Einordnung des Artikels 288 Abs. 3 AEUV hilfreich. 208  So

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

II. Sonderproblem: Reichweite der mitgliedstaatlichen Bindung in Bezug auf die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote Bevor näher auf die Art der Bindung der Mitgliedstaaten und ihrer einzelnen Staatsfunktionen an die unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote eingegangen wird, muss jedoch zunächst die Reichweite dieser Bindung bestimmt werden. Es handelt sich hierbei um eine Fragestellung, die spezifisch die primärrechtlichen Rechtsquellen des unionalen Diskriminierungsschutzes betrifft, während sich die Reichweite der mitgliedstaatlichen Bindung an die Antidiskriminierungsrichtlinien unproblematisch aus dem begrenzten Gegenstand der kompetenzgemäß erlassenen Richtlinien selbst ergibt. In Bezug auf die deutlich abstrakter gefassten primärrechtlichen Diskriminierungsverbote ist dagegen zu klären, ob sie die Mitgliedstaaten hinsichtlich aller unional determinierter wie national-autonom geregelter Sachverhalte zu binden vermögen. Die Frage erscheint aus deutscher Sicht verwunderlich, weil das bundesstaatliche Modell des Grundgesetzes eine vollumfängliche Bindung der Länder an die Bundesgrundrechte beinhaltet (vgl. Artikel 1 Abs. 2 GG). Auf das jüngere, stärker die Eigenstaatlichkeit der Mitgliedstaaten betonende Integrationsmodell der Union lässt sich eine solche Regelung aber nicht übertragen. 209 Vielmehr stellt die Etablierung neuer, die Mitgliedstaaten bindender Grundrechte in einem solchen System ein potentielles Einfallstor für eine Kompetenzverlagerung zulasten der Mitgliedstaaten dar, welcher über eine gegenständliche Beschränkung der Bindungswirkung begegnet wird. Hinsichtlich des Bestehens einer solchen Beschränkung ist das unionale Antidiskriminierungsrecht von einer strengen Dichotomie zwischen den bereits in den Gründungsverträgen verankerten Diskriminierungsverboten und den Diskriminierungsverboten des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch geprägt.

1. Unbeschränkte Bindung an die Vertragsgrundrechte Keinen wie auch immer gearteten Beschränkungen unterliegt die Bindung der Mitgliedstaaten an die bereits in den Verträgen statuierten primärrechtlichen Diskriminierungsverbote gemäß Art. 157 AEUV (Gebot der Entgeltgleichheit) und Art. 18 AEUV (Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit). 210 Die unbeschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an das Verbot der Dis209 Vgl. Nusser, Bindung an die Unionsgrundrechte, S. 84 ff., der die Beschränkung der mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte auf den Charakter der Union als Staatenverbund im Vergleich zu einem tendenziell stärker integrierten bundesstaatlichen Modell zurückführt. 210  Speziell in Bezug auf Artikel 157 AEUV werden die Mitgliedstaaten neben privaten Arbeitgebern nach verbreiteter Ansicht sogar als die eigentlichen Verpflichtungsadressaten

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kriminierung wegen der Staatsangehörigkeit wird auch nicht etwa durch die inhaltsgleiche Übernahme dieser Verbürgung in Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch eingeschränkt. Zwar ist, wie sogleich zu zeigen sein wird, für Charta-­Grund­rechte grundsätzlich nur eine eingeschränkte Bindung der Mitgliedstaaten vorgesehen (Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch). Mit der Aufnahme eines bereits in den Gründungsverträgen verbürgten Rechts in den Katalog der Unionsgrundrechte soll aber, wie Artikel 52 Abs. 2 GR-Ch statuiert, keine Wirkungsabschwächung erzielt werden, sondern – im Gegenteil – die zentrale Bedeutung dieses Rechts für das gesamte Unionsrecht hervorgehoben werden. 211 Dies gilt auch in Bezug auf Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch, welcher ausweislich der Charta-Erläuterungen Artikel 18 AEUV „entspricht“. 212 Im Hinblick auf die hierdurch entstehende Verwirrung erscheint die Duplizierung des genannten Diskriminierungsverbots gleichwohl unglücklich. 213

2. Beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch gemäß Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch Ganz anders stellt sich die Rechtslage im Hinblick auf die in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verankerten Diskriminierungsverbote dar. Auf der einen Seite erscheint die genannte Norm angesichts ihres im Vergleich zu Artikel 157 und Artikel 18 AEUV deutlich weiteren gegenständlichen Anwendungsbereichs in besonderem Maße geeignet, einen umfassenden primärrechtlichen Schutz vor Diskriminierungen im Privatrechtsverkehr zu gewährleisten. Auf der anderen Seite wird dieser vermeintlich weite Anwendungsbereich sogleich durch die beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte der Charta gem. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GR-Ch relativiert. Nach der letztgenannten Norm binden Charta-­Grund­ rechte in erster Linie die Union, während die Mitgliedstaaten nur insoweit gebunden sind, als sie Unionsrecht durchführen. In dieser beschränkten Wirkungsweise manifestiert sich nicht nur ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Integrationsmodell der Europäischen Union und dem bundesstaatlichen Modell des Grundgesetzes, wonach auch im die Länder umfassend an die (Bundes-)Grundrechte gebunden sind. Vielmehr bleiben die Charta-­Grund­rechte insoweit auch, wie soeben gesehen, hinter den bereits in den Gründungsverträgen verankerten Rechtsverbürgungen des Primärrechts zurück.

angesehen, während die Bindung der Union, wiewohl selbstverständlich, oftmals kaum erwähnt bzw. vereinzelt sogar geleugnet wird; vgl. dazu oben A. I. 1. a) aa). 211  Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C-303/33; Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 52 Rn. 24. 212  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C-303/24; siehe bereits oben A. I. 1. b) aa). 213  So auch Epiney, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 2.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

a) Die vom Begriff der „Durchführung des Unionsrechts“ erfassten Konstellationen Fraglich ist, wann von einer „Durchführung“ des Unionsrechts im Sinne des Artikels 51 Abs. 1 GR-Ch gesprochen werden kann. Die Norm knüpft ausweislich der Erläuterungen des Präsidiums an die bereits vor Inkrafttreten der Charta bestehende Rechtsprechung des EuGH zum Anwendungsbereich der grundrechtsgleichen allgemeinen Rechtsgrundsätze an. 214 Diese Rechtsprechung manifestiert sich im Wesentlichen in zwei Entscheidungslinien. Die Mitgliedstaaten handeln danach zum einen im Anwendungsbereich des Unionsrechts, wenn sie Letzteres durchführen (Agency-Situation, Rechtsprechungslinie Wachauf), 215 worunter sowohl der administrative Vollzug von Verordnungen 216 als auch der legislative Vollzug von Richtlinien durch Umsetzung in das nationale Recht fällt. 217 Der Anwendungsbereich des Unionsrechts soll zum anderen eröffnet sein, wenn die Mitgliedstaaten von unionsrechtlich eingeräumten Möglichkeiten zur Einschränkung von Grundfreiheiten Gebrauch machen (Rechtsprechungslinie ERT). 218 Inwieweit sich beide Konstellationen in dem Begriff der „Durchführung“ des Artikels 51 Abs. 1 S. 1 GR-Ch wiederfinden, war lange Zeit umstritten. 219 Während die erstgenannte Konstellation (Durchführung im engeren Sinne) schon bisher nach allgemeiner Meinung unter den Durchführungsbegriff des Artikel 51 Abs. 1 S. 1 GR-Ch fallen sollte, 220 wurde dies von Teilen des Schrifttums für die zweitgenannte Konstellation – auch im Hinblick auf den engen Wortlaut der Norm – bezweifelt.221 Diese Sichtweise stand indes im Widerspruch zu den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta zu Artikel 51 GR-Ch, die hinsichtlich des Durchführungsbegriffs ausdrücklich auf die ge214 

Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C-303/32. Rs. C-5/88, Slg. 1989, 2609 – Wachauf. Einen guten Überblick über diese Rechtsprechungslinie bietet Calliess, JZ 2009, 113, 115 ff. 216 EuGH, Rs. C-5/88, Slg. 1989, 2609, Tz. 19, 22; Rs. C-2/92, Slg. 1994, I-955, Rz. 16 – Bostock. 217 EuGH, Rs. C-540/03, Slg. 2006, I-5769, Tz. 71 – Parlament gegen Rat. 218 EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925, Tz. 42 f. – ERT. 219  Zum Streitstand Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51 Rn. 24 ff.; grundlegend zu den wechselseitigen Argumenten und zugleich Überblick über den Meinungsstand im europäischen Schrifttum Lenaerts/Gutiérrez-Fons, CML Rev. 47 (2010), 1629, 1657 ff. 220  So unter Berufung auf die Erläuterungen des Präsidiums etwa Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51 Rn. 25 ff.; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rn. 53; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51 Rn. 21 ff.; Streinz/Michel, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 6. 221  Lenaerts/Gutiérrez-Fons, CML Rev. 47 (2010), 1629, 1657 ff.; ebenfalls zweifelnd noch Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union (3. Aufl.), Art. 51 Rn. 29 ff.; nunmehr allerdings ders. (4. Aufl. Rn. 30 ff.) resignierend angesichts der jüngeren Rechtsprechung des EuGH. 215 EuGH,

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samte Rechtsprechung des EuGH zur Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts einschließlich der Rechtsprechungslinie ERT verweisen. 222 Zu Recht geht daher die wohl h.M. im Schrifttum von einer Einbeziehung auch dieser Rechtsprechungslinie aus. Der EuGH hat sich dieser Auffassung unterdessen im Urteil Akerberg Fransson angeschlossen. 223

b) Die Türöffnerfunktion von Richtlinien für die Anwendbarkeit der Charta-­Grund­rechte nach dem Urteil Kücükdeveci Für den im Wesentlichen durch Richtlinien geregelten gesellschaftspolitisch motivierten Schutz vor privaten Diskriminierungen stellt sich die Frage einer Bindung der Mitgliedstaaten an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch allerdings ohnehin allein im Hinblick auf die erstgenannte Konstellation (Durchführung von Unionsrecht im engeren Sinne). Zu klären ist in diesem Kontext die Frage, wann eine nationale Vorschrift in „Durchführung von Unionsrecht“ ergeht und somit an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch zu messen ist. Als gesichert gilt insoweit, dass eine Durchführung von Unionsrecht nicht bereits dann vorliegt, wenn die Regelung einer Rechtsmaterie als solche in die Kompetenz der Union fällt, solange der Unionsgesetzgeber diese Kompetenz nicht ausgeschöpft hat. 224 Umstritten war hingegen lange Zeit, ob im Falle der Ausschöpfung der Kompetenz durch Erlass einer Richtlinie ausschließlich solche nationalen Vorschriften als Durchführungsakt zu qualifizieren sind, die spezifisch der Umsetzung dieser Richtlinie dienen, 225 oder ob auch der umzusetzenden Richtlinie selbst eine entsprechende „Türöffnerfunktion“ zukommen kann, 226 so dass in deren Anwendungsbereich auch das übrige nationale Recht an den Unionsgrundrechten zu messen ist. Wie bereits an anderer Stelle erläutert, hat der EuGH diese Streitfrage im Urteil Kücükdeveci im letzteren Sinne entschieden. 227 Danach spielt es für die Frage nach dem Anwendungsbereich des Unionsrechts keine Rolle, ob eine nationale Vorschrift der Umsetzung einer Richtlinie dient, sofern die von der nationalen Vorschrift geregelte Materie als solche in den Regelungsbereich 222 

Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C-303/32.

223 EuGH, Rs. C-617/10, EU:C:2013:105, Tz. 19 – Akerberg Franssson (Gleichsetzung des

Anwendungsbereichs der Charta mit dem Anwendungsbereich des Unionsrechts). Diese sehr weitgehende Definition der „Durchführung des Unionsrechts“ wurde in späteren Entscheidungen dahingehend (wohl nur rethorisch) abgeschwächt, dass „‚Durchführung des Rechts der Union‘ einen hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad verlangt, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der einen von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen haben kann,“ vgl. etwa EuGH, Rs. C-206/13, EU:C:2014:126, Tz. 24 – Siragusa. 224  So zuletzt für Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV): EuGH, Rs. C-427/06, Slg. 2008, I-7245, Tz. 18 – Bartsch. 225  Thüsing, ZESAR 2009, 26, 27. 226  Mörsdorf, ZIP 2009, 1491, 1495; Preis/Temming, NZA 2008, 1209 (1210). 227  Siehe oben B. II. 1. b) cc).

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der Richtlinie und damit auch in den Anwendungsbereich eines durch diese konkretisierten Unionsgrundrechts fällt. 228 Festhalten lässt sich somit, dass die Bindung der Mitgliedstaaten an die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch maßgeblich vom Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinien bestimmt wird. Die Bindung an Art. 21 Abs. 1 GR-Ch mit seinem durch die Richtlinien definierten Inhalt beschränkt sich insoweit auf nationale Umsetzungsakte sowie das sonstige nationale Recht im Anwendungsbereich dieser Richtlinien. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien, etwa im Hinblick auf sekundärrechtlich noch nicht geregelte Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale oder im Hinblick auf andere Lebensbereiche entfaltet Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch hingegen keine isolierte Bindungswirkung und vermag damit auch keine Pflichten der mitgliedstaatlichen Legislative oder Judikative zu begründen. Aus der sich hieraus ergebenden zentralen Bedeutung der Antidiskriminierungsrichtlinien für die Aktivierung des primärrechtlichen Diskriminierungsschutzes wurde bereits an anderer Stelle die These hergeleitet, dass das Sekundärrecht nicht nur den Inhalt der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote bestimmt sondern sich einer Kontrolle an dessen Maßstäben weitgehend entzieht. 229 Die Rolle des Primärrechts beschränkt sich in dieser Konstellation somit darauf, die zu seiner Konkretisierung erlassenen sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbote primärrechtlich zu unterfüttern und damit zugleich die Bindung der Mitgliedstaaten an diese Diskriminierungsverbote zu intensivieren.

c) Die Reichweite der Bindung an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch bei der Umsetzung von Richtlinien Auch in den unionsrechtlich geregelten Bereichen des Diskriminierungsschutzes, in welchen die sekundärrechtlich konkretisierten Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch nach dem soeben Gesagten grundsätzlich eine Bindungswirkung gegenüber den die unionsrechtlichen Vorgaben durchführenden Mitgliedstaaten entfalten, stellt sich allerdings die Frage nach den Grenzen dieser Bindung und dem Verhältnis zum nationalen Grundrechtsschutz.

228 EuGH,

Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 25, 26 – Kücükdeveci. Von Teilen des Schrifttums wird diese Rechtsprechung nicht als Unterfall der Fallgruppe „Durchführung von Unionsrecht im engeren Sinn“, sondern vielmehr als eigenständige Fallgruppe gewertet; in diesem Sinne Dougan, CML Rev. 52 (2015), 1201, 1223 (otherwise than by implementation or derogation); Starke, EU-Grundrechte und Vertragsrecht, S. 80 ff. (weitere von spezifischem Unionsrecht geregelte Sachverhalte); Streinz/Michel, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 10 (sonstige Richtlinienwirkungen); Thüsing/Horler, 47 CML Rev. (2010), 1161, 1168 (without foundation in previous case law). 229  Siehe oben B. II. 3. b).

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aa) Unbeschränkte Bindung an die Charta-­G rund­rechte auch bei Umsetzungsspielräumen Das Bundesverfassungsgericht und ein Teil des (deutschen) Schrifttums wollen eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte bei der Durchführung von Unionsrecht nur insoweit anerkennen, als das Unionsrecht zwingende Vorgaben enthält. 230 Bei der Umsetzung von Richtlinien soll Letzteres auch im Hinblick auf die so genannte Systementscheidung der Richtlinie gelten. 231 Soweit die Richtlinie den Mitgliedstaaten hingegen Gestaltungsspielräume belässt, sollen allein die nationalen Grundrechte zur Anwendung kommen. 232 Eine solche Sichtweise erscheint allerdings gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen zwingt sie dem Rechtsanwender die Beantwortung der schwierigen Abgrenzungsfrage auf, wo die Systementscheidung der Richtlinie endet und der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten beginnt. 233 Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten auch im Falle bestehender Gestaltungsspielräume – etwa beim Erlass von Sanktionsregelungen – über die Systementscheidung der Richtlinie hinausgehend jedenfalls an die aus Artikel 4 Abs. 3 EUV hergeleiteten Gebote der Äquivalenz und Effektivität gebunden.234 Das Ermessen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausgestaltung des Umsetzungsaktes ist insoweit ohnehin bereits deutlich, gegebenenfalls sogar bis auf Null reduziert. Schließlich ist ganz allgemein zu konstatieren, dass nationale Umsetzungsakte auch im Falle der Ausnutzung von Umsetzungsspielräumen stets unionsrechtlich veranlasst sind. 235 Zu Recht bejaht daher der EuGH236 im Einklang mit der wohl h.M. im deutschen Schrifttum 237 im Falle der Umsetzung von Richtli230 BVerfG, Az. 1 BvF 1/05, E 118, 79, 95, Tz. 69 – Emmissionshandel I; BVerfG Az. 1 BvR 1215/07, E 133, 277, Tz. 88 ff.; Calliess, JZ 2009, 113, 120; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUVAEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 14; Rengeling/Szczekalla, § 4 Rn. 312 f.; wohl auch Nusser, Bindung an die Unionsgrundrechte, 2011, S. 207 ff., der ein „Beruhen“ des nationalen Umsetzungsakts auf den Vorgaben der Richtlinie fordert. Noch weitergehend (absoluter Vorrang der nationalen Grundrechte außerhalb des Geltungsbereichs unmittelbar anwendbaren Unionsrechts): Di Fabio, NJW 1990, 947, 952. 231  BVerfG Az. 1 BvR 2036/05, NVwZ 2007, 942, Tz. 9 – Emmissionshandel II. 232 BVerfG, Az. 1 BvF 1/05, E 118, 79, 95, Tz. 69 – Emmissionshandel I; BVerfG Az. 1 BvR 1215/07, E 133, 277, Tz. 88 ff. 233  Dies konsentieren auch Nusser, Bindung an die Unionsgrundrechte, 2011, S. 45 und Calliess, JZ 2009, 113, 120 („schwierige Identifizierung des nationalen Teils“). 234  Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 51 Rn. 17; Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 51 Rn. 31; Streinz/Michel, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 7. Zum Äquivalenz- und Effektivitätsgebot bei der Ausgestaltung individualschützender Rechtsfolgenregelungen siehe unten Vierter Teil § 2 B I 1 b. 235  Bleckmann, Nationale Grundrechte, S. 30 f.; W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 836. 236 EuGH, Rs. C-540/03, Slg. 2006, I-5769, Tz. 104 f. – Familienzusammenführung. 237  Bleckmann, Nationale Grundrechte, S. 31; Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte, Art. 51 Rn. 25; Ehlers, in: ders. Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14 Rn. 50; Ladenburger, in Tettinger/Stern, Europäische Grundrechtecharta, Art. 51 Rn. 35;

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

nien eine von der Regelungsdichte der jeweiligen Richtlinie unabhängige, umfassende Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte der Charta. Diese Bindung betrifft sowohl die nationalen Umsetzungsakte als solche als auch das übrige materielle und prozessuale nationale Recht im Anwendungsbereich der durchzuführenden Richtlinie.

bb) Verhältnis zum nationalen Grundrechtsschutz Mit der Feststellung einer umfassenden Bindung der Mitgliedstaaten an die Charta-­Grund­rechte im Rahmen der Durchführung von Unionsrecht ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob und inwieweit in diesem Bereich – gegebenenfalls parallel zu den Unionsgrundrechten – die nationalen Grundrechte zur Anwendung kommen können. Speziell in Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht geht die wohl h.M. in Deutschland von einer Bindung des nationalen Umsetzungsgesetzgebers an die Grundrechte des GG aus. 238 Auch das das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1993 die Verfassungsmäßigkeit des § 611a BGB a.F. am Maßstab des Artikels 3 Abs. 2 GG beurteilt. 239 Wie sogleich zu zeigen sein wird, hält diese Sichtweise einer kritischen Bewertung nicht stand. Zunächst folgt aus dem Vorrang des Unionsrechts, dass eine Überprüfung nationaler Umsetzungsmaßnahmen am Maßstab der nationalen Grundrechte allenfalls insoweit in Betracht kommt, als das sonstige Unionsrecht im Hinblick auf Art und Mittel seiner Durchführung durch die Mitgliedstaaten keine verbindlichen Vorgaben macht. 240 Hierzu zählen neben den Vorgaben der Richtlinie selbst erneut die aus Artikel 4 Abs. 3 EUV hergeleiteten Gebote der Äquivalenz und Effektivität in Bezug auf die Durchsetzung unionsrechtlich determinierter individueller Rechte in den Mitgliedstaaten. 241 Ist danach nur eine ­Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 51 Rn. 17; W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 737, 836; 21; Ruffert, EuR 2004, 165, 177; Streinz/Michel, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 7. 238  Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 357 ff.; Schiek, in: Schiek, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Einl. AGG Rn. 40. 239  Vgl. BVerfG, 1 BvR 251/86, E 89/276, Tz. 37 ff. Eine Überprüfung des § 611a BGB a.F. auch am Maßstab der Unionsgrundrechte erfolgte in diesem Urteil nicht, obwohl schon zum damaligen Zeitpunkt die Herleitung eines primärrechtlichen Verbots der Geschlechtsdiskriminierung im Arbeitsleben aus Artikel 157 AEUV in Kombination mit der Richtlinie 76/207/ EWG zu erwägen war, siehe dazu oben Erster Teil § 3 B. III. 2. b). 240  St. Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur BVerfG, Az. 1 BvR 256/08 u.a.; E 125, 260, Rn. 182 sowie ganz h.L.,vgl. nur Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte, Art. 53 Rn. 14; Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechtecharta, Artikel 51 Rn. 31; Streinz/Michel, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 8. Der Verzicht des BVerfG auf die Bindung des durch zwingende Richtlinienvorgaben determinierten nationalen Gesetzgebers an die Grundrechte des GG ist letztlich eine Konsequenz des seitens des Gerichts geübten Verzichts einer Überprüfung des abgeleiteten Unionsrechts am Maßstab der Grundrechte des GG (vgl. BVerfG 2 BvR 197/83, E 73/339 – Solange II). 241  Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechtecharta, Artikel 51 Rn. 31.

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rechtliche Gestaltung möglich, die im Widerspruch zur jeweiligen nationalen Grundrechtsordnung steht, so ist diese Diskrepanz aus nationaler Sicht als Ausfluss des Vorrangs des Unionsrechts hinzunehmen. Dies gilt uneingeschränkt auch im Bereich des Antidiskriminierungsrechts. 242 Für die Wahrnehmung verbleibender Gestaltungsspielräume der Mitgliedstaaten folgert die h.M. hingegen aus Artikel 53 GR-Ch, dass die nationalen Grundrechte grundsätzlich neben den Unionsgrundrechten im Sinne einer Meistbegünstigung zur Anwendung kommen.243 Der Bürger könnte sich dann gegenüber dem das Unionsrecht durchführenden Mitgliedstaat auf den jeweils höheren Schutzstandard berufen. Ob Artikel 53 GR-Ch tatsächlich auch im Anwendungsbereich des Unionsrechts die Funktion einer Schutzverstärkungsklausel zukommt, erscheint indes fraglich. Denn eine Verdrängung von Unionsgrundrechten durch schutzintensivere nationale Grundrechte nach dem Prinzip der Meistbegünstigung würde letztlich der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts in seinem eigenen Anwendungsbereich zuwiderlaufen und ließe sich mit dem Vorrang des Unionsrechts nicht vereinbaren. 244 Zu Recht geht daher ein Teil des Schrifttums davon aus, dass Artikel 51 Abs. 1 S. 1 GR-Ch die Anwendungsbereiche der Charta und der nationalen Grundrechte exklusiv voneinander abgrenzt, während Artikel 53 GR-Ch lediglich die Aufgabe zukommt, die Eigenständigkeit der nationalen Grundrechte in dem ihnen verbliebenen Anwendungsbereich gewährleisten. 245 Unabhängig von der Frage, ob Artikel 53 GR-Ch die Funktion einer Schutzverstärkungsklausel innewohnt, kommt eine Meistbegünstigung aber jedenfalls in den Fällen nicht in Betracht, in denen ein Mitgliedstaat Unionsrecht in multipolaren Rechtsverhältnissen durchführt und hierbei widerstreitende Grundrechtspositionen mehrerer Privatpersonen in Einklang zu bringen hat.246 Denn 242  Insoweit auch Jestaedt, VdVdDSL 64 (2005) S. 298, 327 f.; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 354; Schiek, in: Schiek, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Einl. AGG Rn. 40. 243  Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte, Art. 53 Rn. 14; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 53, Rn. 3; Streinz/Michel, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 8. In diese Richtung deutet auch EuGH, Rs. 399/11, EU:C:2013:107, Tz. 60 – Melloni, wonach „es den nationalen Behörden und Gerichten, wenn ein Umsetzungsakt nationale Durchsetzungsmaßnahmen erforderlich macht, weiterhin freisteht, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.“ 244  Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 53 GR-Ch Rn. 5 f. 245  So insbesondere Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 53 GR-Ch Rn. 5; ähnlich Hatje, in: Schwarze, EU‑Kommentar, Art. 53 GR-Ch Rn. 9. 246  Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Art. 51 Rn. 31 aE, der diese Konstellation als möglichen Konflikt zwischen Charta und nationalen Grundrechten benennt, allerdings keine Aussage darüber trifft, zugunsten welchen Grundrechte-Regimes der Konflikt aufzulösen ist. Skeptisch hinsichtlich einer Kumulation des unionalen und nationalen Grundrechtsschutzes nach dem Günstigkeitsprinzip in multipolaren Rechtsverhältnissen nunmehr auch

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

die Begünstigung der einen Person geht hier stets mit der Belastung der anderen Person einher. Verlangt hier die Charta einen konkret anderen Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen als das nationale Grundrechtsregime, bedarf es einer Entscheidung für eines der in Betracht kommenden Regime, welche im Anwendungsbereich des Unionsrechts nur zugunsten der Charta ausfallen kann. Um ein solches multioplares Rechtsverhältnis handelt es sich indes auch beim Privatrecht, welches, wie Medicus einst treffend festgestellt hat, nichts zu verschenken hat, indem es dem einen nur geben kann, was es dem anderen nimmt. 247 Von daher sind die Mitgliedstaaten im Rahmen der Durchführung diesbezüglicher unionsrechtlicher Vorgaben ausschließlich an die Charta-­ Grund­rechte, nicht aber an die nationalen Grundrechte gebunden. Hierauf wird an späterer Stelle zurückzukommen sein. 248

III. Art der Bindung Nach dem oben Gesagten sind die Mitgliedstaaten im Rahmen der Etablierung und Durchführung von Regeln zum Schutz vor Diskriminierung im Privatrechtsverkehr an die Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien und der Vertragsgrundrechte (Artikel 18, 157) sowie – im Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinien – an die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch gebunden. Im Folgenden soll nunmehr geklärt werden, was unter dieser Bindung im Detail zu verstehen ist. Hierbei ist zwischen den einzelnen Staatsfunktionen und den verschiedenen Rechtsquellen des unionalen Diskriminierungsschutzes zu differenzieren.

1. Bindung des Gesetzgebers a) Richtlinien Der Umsetzungsbefehl der Antidiskriminierungsrichtlinien verpflichtet innerhalb der Mitgliedstaaten zunächst den nationalen Gesetzgeber. Zwar folgt aus dem Umsetzungsbefehl nicht notwendig eine Verpflichtung zu gesetzgeberischen Aktivitäten, weil das Rechtsinstrument der Richtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl des Mittels zur Erreichung des Richtlinienziels freistellt. 249 Ein Mitgliedstaat kann daher grundsätzlich untätig bleiben, wenn das nationale Recht zum Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist bereits im Einklang mit Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 14; ähnlich, wiewohl rekurrierend auf die (vermeintliche) Sichtweise des EuGH Starke, EU-Grundrechte und Vertragsrecht, S. 110. 247  Medicus, AcP 192 (1992), 35, 57. 248  Siehe unten § 2 A. 1. 249  Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 28; W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 92

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dem Unionsrecht steht. 250 Die bloße Möglichkeit der unionsrechtskonformen Auslegung von Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen genügt dieser Anforderung jedoch im Regelfall nicht. 251 Dies ist zwar entgegen der Ansicht des EuGH252 und der h.L. 253 nicht bereits der Tatsache geschuldet, dass zahlreiche neuere Richtlinien wie auch die Antidiskriminierungsrichtlinien 254 ein Zitiergebot enthalten, wonach die Mitgliedstaaten in den zur Umsetzung erlassenen Vorschriften auf die Richtlinie Bezug nehmen müssen. Denn allein mit einer Vorgabe zur Ausgestaltung etwaiger Umsetzungsvorschriften ist ja noch keine Aussage darüber getroffen, ob es überhaupt eigener Umsetzungsvorschriften bedarf. Dies folgt bereits aus der konditionalen Verknüpfung des Zitiergebots mit dem tatsächlichen Erlass von Umsetzungsnormen („wenn“). Ein Bedürfnis zur ausdrücklichen Verankerung des Richtlinienziels im nationalen Recht besteht aber jedenfalls in den Fällen, in denen eine Richtlinie auf die Verleihung individueller Rechte abzielt.255 Hier sind die Mitgliedstaaten nämlich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zur Schaffung einer „bestimmten, klaren und transparenten Lage verpflichtet, welche dem Einzelnen die vollumfängliche Kenntnis und Wahrnehmung seiner Rechte ermöglicht (Transparenzgebot).“256 Indem die Antidiskriminierungsrichtlinien die Etablierung eines individuellen Rechts auf Nichtdiskriminierung in den durch die Richtlinien geregelten Bereichen vorsehen, bedarf es mithin sowohl zur Einräumung dieses Rechts als auch zur Sanktionierung seiner Verletzung einer konkreten gesetzlichen Regelung. Mit dem Erlass des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) hat der deutsche Gesetzgeber diesem Erfordernis im wesentlichen Rechnung getragen.

250 

W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 92. W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 93 (nur im Einzelfall) 252  St. Rspr., vgl. nur EuGH, Rs. C-137/96, Slg. 1997, I-6749, Tz. 8 – Kommission gegen Deutschland; EuGH, C‑360/95, Slg. 1997, I 7337, Tz. 15 – Kommission gegen Spanien. 253  König, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 51; W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 92. 254  Vgl. etwa Artikel 32 UAbs. 2 Richtlinie 2006/54/EG; Artikel 17 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie 2004/113/EG; Art. 18 UAbs. 3 Richtlinie 2000/78/EG sowie Artikel 16 UAbs. 2 Richtlinie 2000/43/EG. 255  Biervert, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 288 AEUV Rn. 28; König, in: Schulze/ Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 2 Rn. 51; Ruffert, in: Callliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 32; W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 92. 256 St. Rspr., vgl. nur EuGH, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Tz. 23 – Kommission gegen Deutschland; EuGH, Rs. C-340/96, Slg. 1999, I 2023, Tz. 37 – Kommission gegen Vereinigtes Königreich. 251 

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

b) Primärrechtliche Diskriminierungsverbote Auch aus den primärrechtlichen Diskriminierungsverboten folgt in Verbindung mit Artikel 4 Abs. 3 EUV grundsätzlich eine Pflicht zur Angleichung entgegenstehenden nationalen Rechts an den unionsrechtlichen Maßstab. Dies gilt jedenfalls für das Gebot der Entgeltgleichheit gemäß Artikel 157 AEUV und das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 18 AEUV mit ihrem jeweils eigenständigen primärrechtlichen Norminhalt. Eine Sonderrolle nimmt im Hinblick auf die Bindung des Gesetzgebers hingegen Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch ein. Zwar besteht auch im Hinblick auf dieses Grundrecht – theoretisch – eine Bindung des nationalen Gesetzgebers im Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinien. Wegen des insoweit konstatierten inhaltlichen Gleichlaufs von Primärrecht und Sekundärrecht257 kommt dieser Pflicht indes gegenüber dem Umsetzungsbefehl der Richtlinien keine eigenständige Bedeutung zu.

2. Bindung der Judikative Als weitaus problematischer und in ihren Auswirkungen komplexer gestaltet sich die Bindung der nationalen Gerichte an die Vorgaben des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes. Diese Bindung wurzelt – ebenso wie die Bindung der Legislative – in Art. 4 Abs. 3 EUV, der die Mitgliedstaaten für die Gewährleistung der effektiven Wirkung des Unionsrechts in allen ihren Staatsfunktionen in die Pflicht nimmt. Entscheidend für den nationalen Rechtsanwender ist aber weniger die Bindung der nationalen Judikative als solche, sondern vielmehr der Umfang der den Gerichten hieraus im einzelnen erwachsenden Pflichten. Hier bestehen bekanntermaßen erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Rechtsquellen des Unionsrechts, die allerdings, wie zu zeigen sein wird, durch den inhaltlichen Gleichlauf von Primärrecht und Sekundärrecht in Teilbereichen des unionalen Antidiskriminierungsrechts weitestgehend nivelliert werden.

a) Unionsrechtskonforme Auslegung Ein bereits im Grundsatz einheitlicher, rechtsquellenunabhängiger Standard besteht im Hinblick auf die Pflicht der nationalen Gerichte, die Vorschriften des nationalen Rechts im Lichte der Vorgaben des Unionsrechts auszulegen. So ist nicht nur die richtlinienkonforme Auslegung in der Rechtsprechung des EuGH mittlerweile als Rechtsinstitut fest verankert. 258 Vielmehr besteht eine 257 

Siehe oben B. II. 1. zu diesem Rechtsinstitut mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum W.‑H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 263 ff. 258 Grundlegend

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Pflicht zur Konformauslegung nach allgemeiner Meinung auch im Hinblick auf die übrigen Rechtsquellen des Unionsrechts einschließlich des Primärrechts. 259 Hinsichtlich des Inhalts dieser Pflicht kann – auch für das Primärrecht – weitgehend auf die immer weiter ausdifferenzierte Rechtsprechung des EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung zurückgegriffen werden. Diese Rechtsprechung nahm ihren Ausgang im Urteil von Colson, in welchem der EuGH die Pflicht der nationalen Gerichte konstatierte, „das nationale Recht, insbesondere die Vorschriften eines speziell zur Durchführung der Richtlinie erlassenen Gesetzes, im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen.“260 Im nachfolgenden Urteil Marleasing hat der EuGH diese Pflicht dahingehend präzisiert, dass die Gerichte ihre Auslegung des gesamten nationalen Rechts „so weit wie möglich am Wortlaut und Ziel der Richtlinie ausrichten [müssen], um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.“261 Die Gerichte sollen danach, mit anderen Worten ausgedrückt, das gesamte, ihnen nach ihrer jeweiligen Rechtsordnung zur Verfügung stehende Methodenspektrum ausschöpfen, um den Vorgaben der Richtlinie zur innerstaatlichen Anwendung zu verhelfen. 262 Für die deutschen Gerichte schließt dies, wie der BGH im Urteil Quelle festgestellt hat, die Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ein. 263 Eine Pflicht zu einer Rechtsfindung contra legem besteht hingegen nach ausdrücklicher Feststellung des EuGH im Urteil Adeneler nicht. 264 Abzulehnen ist danach insbesondere eine richtlinienkonforme Reduktion, als deren Ergebnis für eine Norm des deutschen Rechts kein Anwendungsbereich verbliebe (Reduktion auf Null). 265 259  Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 EUV Rn. 48; Jarass, EuR 1991, 211, 223; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 97; Streinz, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 4 EUV Rn. 63. 260 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 26 – von Colson. 261 EuGH, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135, Tz. 8 – Marleasing. In EuGH, verb. Rs. C-397/01, Slg. 2004, I-8835, Tz. 115 – Pfeiffer u.a. stellt der Gerichtshof klar, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nicht nur speziell zur Umsetzung einer Richtlinie erlassene nationale Normen betrifft, sondern das gesamte nationale Recht im Anwendungsbereich der Richtlinie. 262  So ausdrücklich EuGH, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Tz. 111– Adeneler. 263  BGH NJW 2009, 427 ff. 264 EuGH, Rs. C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Tz. 110 – Adeneler. Zur Diskussion, ob diese Aussage des EuGH nur als Grenze der unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung zu verstehen ist oder als im Unionsrecht wurzelndes Verbot vgl. W.-H. Roth/ Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 263, 277 mit zahlreichen Nachweisen zum Streitstand. Die anderen Sprachfassungen dieses Urteils sowie jüngerer Urteile deuten eher auf ersteres (so auch W.-H. Roth/Jopen, a.a.O.). Der Begriff des contra legem-Judizierens ist national-autonom zu bestimmen; a.A. GA Bot, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-441/14, Tz. 68 – Rasmussen (unionsautonome Deutung im Sinne einer Auslegung entgegen dem Wortlaut). 265 So Canaris, in: Festschrift Bydlinski, 2002, S. 94, 100 f.; W.-H. Roth/Jopen, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, S. 263, 295.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

Für das deutsche Recht folgt aus dem oben Gesagten eine Verpflichtung der nationalen Gerichte, sowohl die Vorschriften des AGG als auch weitere Vorschriften im Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinien, wie etwa die Vorschriften des BGB und des KSchG, im Lichte der entsprechenden Richtlinienvorgaben auszulegen bzw. fortzubilden. Der daneben bestehenden Pflicht zur Auslegung des nationalen Rechts im Lichte der inhaltlich und funktional mit den Richtlinien gleichlaufenden primärrechtlichen Diskriminierungsverbote kommt hingegen angesichts dieses Gleichlaufs keine eigenständige Bedeutung zu.

b) Unmittelbare Wirkung aa) Das Urteil Van Gend en Loos Kann eine Vorschrift des deutschen Rechts nicht im Lichte der unionsrechtlichen Vorgaben ausgelegt oder fortgebildet werden, stellt sich die Frage, ob die nationalen Gerichte in einem konkreten Rechtsstreit unmittelbar, gegebenenfalls unter Verdrängung entgegenstehenden nationalen Rechts, auf die entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben zurückgreifen können bzw. müssen. Angesprochen ist an dieser Stelle das Rechtsinstitut der unmittelbaren Wirkung unionsrechtlicher Normen, welches im Kern auf das Urteil Van Gend en Loos aus dem Jahr 1963 zurückgeht.266 In dieser zentralen Entscheidung zur Dogmatik des Unionsrechts hatte der EuGH erstmals festgestellt, dass die Mitgliedstaaten mit dem Abschluss der Gründungsverträge eine eigene Rechtsordnung geschaffen hätten, welche nicht nur wechselseitige Rechte der Mitgliedstaaten untereinander begründe, sondern zugleich – unter bestimmten Voraussetzungen – Rechte Einzelner, auf welche diese sich gegenüber den Mitgliedstaaten berufen könnten. 267

bb) Funktion der unmittelbaren Wirkung subjektiver unionaler Rechtsverbürgungen Ausweislich der Begründung des EuGH beruht der Grundsatz der unmitttelbaren Wirkung des Unionsrechts auf zwei tragenden Erwägungen, von denen die erste die wichtigere darstellt. Zunächst erteilt der EuGH mit der Feststellung, dass das Unionsrecht eine eigene Rechtsordnung darstellt, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten sondern auch die einzelnen (Markt)Bürger sind, einer beschränkten, rein völkerrechtlichen Qualifikation des Unionsrechts eine klare Absage und implementiert stattdessen das bis heute unangefochtene Verständnis des Unionsrechts als supranationale Rechtsordnung. 268 Dem Einzelnen werden da266 EuGH,

Rs. 26/62, Slg. 1963, 3 – Van Gend en Loos. Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 24 f. – Van Gend en Loos. 268  So auch die allgemeine Deutung des Urteils im Schrifttum, vgl. statt vieler nur Ruffert, 267 EuGH,

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nach durch die objektiven Normen des Unionsrechts zugleich subjektive Rechte verliehen, die er vor den mitgliedstaatlichen Gerichten gegenüber den Normadressaten geltend machen kann. Eng mit der Zuerkennung subjektiver Rechte verknüpft ist die vom EuGH spätestens seit dem Urteil Simmenthal II anerkannte Maßstabsfunktion des Unionsrechts für die Anwendbarkeit des nationalen Rechts. Danach haben die Mitgliedstaaten nationale Normen, die mit der jeweils in Rede stehenden unionsrechtlichen Norm unvereinbar sind, außer Anwendung zu lassen. 269 Eine weitere Auspägung der Gewährung subjektiver Rechte ist die Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen der Rechtsinhaber gegen die Adressaten der das subjektive Recht verbürgenden Norm. Nach der Rechtsprechung des EuGH bestehen solche im Unionsrecht wurzelnden Schadensersatzansprüche zum einen gegenüber Mitgliedstaaten, die ihre aus dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen wie etwa der Pflicht zur Umsetzung von Richtlinien nicht nachkommen;270 zum anderen bejaht der EuGH aber auch Schadensersatzansprüche gegenüber Privaten, sofern diese, wie etwa im unionalen Wettbewerbesrecht – unmittelbar an die Regeln des Unionsrechts gebunden sind. 271 Sowohl das Unanwendbarkeitspostulat als auch die Gewährung von Schadensersatzansprüchen fügen sich damit in ein gestuftes Individualschutzkonzept ein, wonach die Gewährung subjektiver Rechte die Existenz individueller Rechtsbehelfe zu deren Durchsetzung bedingt. Hierauf soll aber erst später im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot näher eingegangen werden. 272 An dieser Stelle genügt die Feststellung, dass die Zuerkennung von unmittelbar vor den nationalen Gerichten einklagbaren subjektiven Rechten den Grundstein für die Qualifikation der EU als eigenständige Rechtsgemeinschaft legt. Die im Urteil Van Gend en Loos getroffene Aussage, wonach die einzelnen Bürger aus dem Unionsrecht unmittelbar Rechte herleiten können, war jedoch ausweislich der Urteilsbegründung zusätzlich von dem Bestreben getragen, über die Wachsamkeit des Einzelnen an der Wahrung seiner Rechte die effektive Wirksamkeit des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. 273 Die Gewährung subjektiver, vor den nationalen Gerichten einklagbarer Rechte274 stellt sich damit auch als Instrument einer dezentralen Durchsetzung in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 27; Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Artikel 1 EUV Rn. 2. 269 EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Tz. 28 – Simmenthal II. 270 EuGH, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357, Tz. 33 ff. – Francovich. 271 EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297, Tz. 25 ff. – Courage (Kartellrecht); EuGH Rs. C-253/00, Slg. 2002, I‑7289, Tz. 30 – Muñoz (Lauterkeitsrecht). 272  Siehe dazu unten Vierter Teil § 1 D. I. 2. b). 273 EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 26 – Van Gend en Loos. 274 Der EuGH spricht dagegen regelmäßig von „individuellen Rechten“ vgl. bereits EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 26 – Van Gend en Loos, aus der neueren Judikatur etwa EuGH, Rs. C-12/08, Slg. 2009, I-6653, Tz. 46 – Mono Car. Bisweilen wählt der Gerichtshof auch an-

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

des Unionsrechts dar. 275 Hierbei kommt der Möglichkeit des Einzelnen, sich vor Gerichten und Behörden auf die ihm gewährten subjektiven Rechte und die Unanwendbarkeit entgegenstehender nationaler Regelungen zu berufen, der Charakter eines Durchsetzungsinstruments erster Stufe zu, welches bei Bedarf durch weitere Durchsetzungsinstrumente wie insbesondere Ansprüche auf Schadensersatz ergänzt wird. 276 Gerade in Bezug auf Schadensersatzansprüche hat der EuGH wiederholt darauf hingewiesen, dass solche Ansprüche bzw. die mit ihnen verbundene Klagebefugnis die Durchschlagskraft des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten erhöhen. 277 Das heißt letztlich nicht anderes, als dass insoweit schon die Einräumung subjektiver Rechte durch das Unionsrecht im Hinblick auf die präventive Funktion privater Schadensersatzansprüche erfolgt. Das Interesse des Einzelnen an der Wahrnehmung seiner eigenen Belange wird auf diese Weise in den Dienst der Durchsetzung des Unionsrechts gestellt; sein Schutz ist somit kein Selbstzweck sondern lediglich ein erwünschter Nebeneffekt im Rahmen der Durchsetzung objektiver Regelungsziele.278 Im Schrifttum hat sich hierfür der Begriff „funktionale Subjektivierung“ eingebürgert. 279 In den letzten Jahren ist dem Gedanken der funktionalen Subjektivierung eine zunehmende Aufmerksamkeit zuteil geworden. In neueren Publikationen mutierte dieser Ansatz gar zum alleinigen Erklärungsansatz für die Existenz subjektiver Unionsrechte. 280 Eine derartige Sichtweise schießt aber deutlich über das Ziel hinaus. 281 Der Gedanke der funktionalen Subjektivierung verdere Formulierungen, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung verbunden wäre, vgl. etwa EuGH, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357, Tz. 31 – Francovich (Rechte Einzelner); Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278, Tz. 2 – Rasmussen (Rechtsschutz für den Einzelnen). Hier soll dagegen der aus dem nationalen Recht geläufige, funktionsäquivalente Begriff des „subjektiven Rechts“ beibehalten werden. 275  Basedow, in: Festschrift Mestmäcker, S. 347; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 18; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 184 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 272 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 29; eingehend Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 55 ff. 276  Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 274 f. (Sanktionscharakter der unmittelbaren Wirkung). 277  Vgl. nur EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297, Tz. 26 – Courage; EuGH Rs. C-253/00, Slg. 2002, I‑7289, Tz. 31 – Muñoz. 278  Masing, Mobilisierung des Bürgers, S. 46; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 274. 279  Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 29; Schoch, NVwZ 1999, 457, 463 ff. 280  So etwa in Bezug auf die Begründung aus dem Unionsrecht hergleiteterer Schadensersatzansprüche Franck; Marktordnung durch Haftung, S. 208; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 281 ff.; ähnlich G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 416; dezidiert Hellgardt, Regulierung durch Privatrecht, S. 185 ff., nach dem die Berechtigung des Einzelnen im Unionsrecht von Beginn an ein regulativer Akt war (S. 185) und das Unionsrecht keine Konstruktionen, wie das Konzept eines subjektiven Rechts zugrunde legt, sondern vielmehr einen funktionalen Ansatz verfolgt (S. 188, 193). 281  Kritisch gegenüber einer ausschließlichen oder vorrangigen Herleitung subjektiver

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mag die Herleitung subjektiver Rechte nämlich nur dort zu begründen, wo die Zuerkennung solcher Rechte tatsächlich ausschließlich der Durchsetzung objektiver Ziele dient. Dies ist unbestreitbar der Fall im Hinblick auf das Ziel der Binnenmarktintegration, welche das Wohl aller Bürger in der Union, nicht aber den Schutz der einzelnen Privatrechtsakteure im Blick hat. Die funktionale Indienststellung des Einzelnen zur Verwirklichung des Binnenmarktziels wird hier, wie bereits an anderer Stelle festgestellt, 282 durch die gängige Bezeichnung des Einzelnen als „Marktbürger“ auch terminologisch zum Ausdruck gebracht.283 Dagegen fehlt es an einer funktionalen Indienststellung des Einzelnen dort, wo diesem als Ausdruck des Wandels der EU von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft subjektive Rechte bereits um seiner selbst willen zuerkannt werden. 284 Hier markiert der Schutz der Individualinteressen des Einzelnen das eigentliche Ziel und nicht nur den Weg zur Erreichung eines anderen Ziels. Solche originär-individuellen Schutzpositionen beziehen ihre unmittelbare Wirkung im Anwendungsbereich des Unionsrechts folglich auch nicht aus dem Gedanken der funktionalen Subjektivierung sondern ausschließlich aus der im Urteil Van Gend en Loos ebenfalls vollzogenen Anerkennung der Union als supranationale Organisation, die im Anwendungsbereich ihres Rechtes den Schutz der Grundrechte ihrer Bürger gegenüber den Akten der Union und grundrechtlich gebundener Privatpersonen garantiert. Letzteres trifft insbesondere auf die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bildenden gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote zu, deren Grundrechtscharakter erstmals im Urteil Defrenne II anerkannt wurde und heute angesichts ihrer Verankerung in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch von niemand mehr in Zweifel gezogen wird. Es erstaunt vor diesem Hintergrund, dass im Schrifttum ausgerechnet die Anerkennung der unmittelbaren Horizontalwirkung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit im Urteil Defrenne II oder auch die Rechtsprechung des EuGH zur Sanktionierung von Verstößen gegen die Vorgaben der Richtlinie 76/207/EG285 bisweilen geradezu als Musterbeispiele für das Prinzip der funktionalen Subjektivierung herausgestellt werden.286 Zu einer solchen Feststellung Rechtspositionen aus dem Kollektivinteresse an der dezentralen Kontrolle und Durchsetzung des Unionsrechts auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen in Unionsprivatrecht, S. 123 f. 282  Siehe oben Erster Teil § 3 B. II. 283  Vgl. etwa Basedow, in: Festschrift Mestmäcker, S. 347 (Marktbürger als Agent der Integrationspolitik). 284  Den Umstand, dass unionsrechtliche Rechtspositionen inzwischen auch auf die Augestaltung der individuellen Rechtsspäre der einzelnen Bürger zielen, betont auch Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen in Unionsprivatrecht, S. 123. 285  Zu dieser Rechtsprechungslinie noch eingehend unten Vierter Teil § 1. D. 286  In diesem Sinne etwa Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 265 ff.; Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, S. 271, der es sogar zur allgemeinen Bedingung für die Zuerkennung subjektiver Rechte macht, dass die effektive

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mag der Umstand verleiten, dass die genannte Rechtsprechung die historisch älteste Rechtsprechungslinie markiert, in welcher sich der EuGH grundlegend und detailliert mit dem Schutz subjektiver Rechte befasst hat. Der genannten Rechtsprechung ist daher ein Vorbildcharakter für den gesamten Bereich des unionalen Individualrechtsschutzes in der Tat nicht abzusprechen. Just hinsichtlich der Frage nach dem Grund der Zuerkennung subjektiver Rechte endet allerdings dieser Vorbildcharakter, weil sich das Antidiskriminierungsrecht insoweit von anderen, auf die Verfolgung objektiver Ziele angelegten Bereichen des Unionsrechtsrechts grundlegend unterscheidet. Für die Existenz des subjektiven Rechts und die Erforderlichkeit seines Schutzes ist dieser genetische Unterschied freilich ohne Belang.

cc) Gegenständliche Voraussetzungen – Subsumtionsfähigkeit der unionsrechtlichen Vorgabe unter den vorliegenden Sachverhalt Zur Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte unionsrechtliche Norm eine unmittelbare Wirkung in einem nationalen Rechtsstreit entfaltet, hat der EuGH gegenständliche Kriterien aufgestellt. Diese Kriterien sind in ihrer Gesamtheit funktional darauf ausgerichtet, die Subsumtionsfähigkeit der Norm zur Lösung eines konkreten Sachverhalts zu gewährleisten. 287 Auch in dieser Hinsicht enthielt bereits das Urteil Van Gend en Loos erste Anhaltspunkte, 288 die durch die Nachfolgejudikatur289 insbesondere in Bezug auf Richtlinien 290 weiter präzisiert wurden. Eine unmittelbare Wirkung kommt danach in Betracht, wenn sich der in Rede stehenden unionsrechtlichen Norm im Hinblick auf die in dem jeweiligen Rechtsstreit zu entscheidende Frage eine unbedingte und hinreichend bestimmte Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnehmen lässt, die nicht von weiteren Vollzugsmaßnahmen (der Union) abhängig ist. 291 Im Hinblick auf die hohe Regelungsdichte der Antidiskriminierungsrichtlinien (und die durch diese konkretisierten und aktivierten primärrechtlichen Erfüllung des Regelungszweckes gerade die Anerkennung eines privatrechtlichen Rechts zwingend erfordert. 287  Die Anwendbarkeit der Norm auf einen konkreten Sachverhalt als Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung betont Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 109 f.; ebenso Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 85 f. 288 EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 3, 25 f. – Van Gend en Loos. 289  Zur Nachfolgejudikatur Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 85 ff. 290  Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien vgl. Mörsdorf, EuR 2009, 219 ff. 291  Eine gute Zusammenfassung der Kriterien liefert Zuleeg, NJW 1993, 31, 37: „Nach ständiger Rechtsprechung entspringen den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts dann subjektive Rechte, wenn der Gemeinschaft oder den Mitgliedstaten klare und uneingeschränkte Verpflichtungen auferlegt sind, die keinem zeitlichen Aufschub unterliegen, nicht oder nicht mehr von einer Bedingung abhängen und keine weitere Rechtssetzung auf der Ebene der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten erfordern, um günstige Rechtsfolgen für den einzelnen deutlich festzulegen.“

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Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch) ist diese Voraussetzung jedenfalls insoweit erfüllt, als die Etablierung des Rechts auf Nichtdiskriminierung für sich genommen im Raum steht. Was die im Vierten Teil der Arbeit thematisierten Folgen einer Verletzung dieses Rechts angeht, kann aber letztlich nichts anderes gelten, soweit sich auch diesbezüglich eine unbedingte und hinreichend bestimmte Verpflichtung der Mitgliedstaaten ausmachen lässt. Während der EuGH dies im Urteil von Colson noch pauschal ver­­neinte, 292 stellte er im nachfolgenden Urteil Marshall II darauf ab, ob den Mitgliedstaaten in der konkreten Situation des Ausgangsfalls ein Ermessenspielraum für die Wahl und Ausgestaltung der Sanktionen verbleibt.293 Dies ist aus heutiger Perspektive jedenfalls für die Diskriminierung wegen des Geschlechts zu verneinen, weil die einschlägigen Richtlinien Schadensersatzansprüche des Opfers insoweit ausdrücklich vorschreiben. 294 Ob eine ähnlich weit reichende Verpflichtung auch in Bezug auf Diskriminierungen wegen der anderen von den Richtlinien erfassten Unterscheidungsmerkmale besteht, wird an späterer Stelle zu klären sein. 295 Sollte dies der Fall sein, könnten Diskriminierungsopfer in einem nationalen Rechtstreit aus einer solchen Verpflichtung aber ebenfalls unmittelbar Rechte herleiten, sofern die sogleich zu problematisierenden persön­ lichen Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung vorliegen.

dd) Persönliche Voraussetzung – Der Verfahrensgegner als Adressat der unionsrechtlichen Vorgabe Die Erfüllung der gegenständlichen Voraussetzungen, die unmittelbar am Inhalt der in Frage stehenden Norm ansetzen, ist lediglich eine notwendige, keinesfalls aber eine hinreichende Bedingung für die unmittelbare Wirkung unionsrechtlicher Normen in einem nationalen Rechtstreit. Letztere hängt vielmehr des Weiteren von der Person des Verfahrensgegners ab. Insoweit ist zu unterscheiden.

(1) Rechtsstreitigkeiten gegenüber dem Staat (Vertikalverhältnis) Unproblematisch ist die unmittelbare Wirkung unionsrechtlicher Normen in Konstellationen, in denen ein Bürger aus einer unionsrechtlichen Vorschrift Rechte gegenüber einem Mitgliedstaat herleiten will (Vertikalverhältnis). Denn der Staat ist als Adressat der in Rede stehenden unionsrechtlichen Norm ohnehin in der Pflicht, die effektive Wirkung dieser Norm sicherzustellen. Der EuGH trägt diesem Umstand Rechnung, indem er dem Bürger gegenüber den 292 EuGH,

Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 27 – von Colson. Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-, Tz. 36 – Marshall II. 294  Vgl. Artikel 18 Richtlinie 2006/54/EG und Artikel 8 Abs. 2 Richtlinie 2007/113/EG. 295  Siehe unten Vierter Teil § 1 F. 293 EuGH,

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Mitgliedstaaten eine Berufung sowohl auf primärrechtliche Verbürgungen 296 als auch auf Richtlinienvorgaben 297 gestattet, bei denen sich die Adressatenstellung des Staates im Umsetzungsbefehl manifestiert. Speziell im Hinblick auf Richtlinien liefert der EuGH seit dem Urteil Ratti zudem einen zweiten, vermeintlich eigenständigen Begründungsansatz für eine unmittelbare Vertikalwirkung, wonach es dem Staat verwehrt ist, sich zu Lasten des Bürgers auf seine eigene Versäumnis bei der Richtlinienumsetzung zu berufen.298 Hierbei handelt es sich letztlich um einen Grundsatz, der im deutschen Rechtskreis als Verbot treuwidrigen Handelns („venire contra factum proprium“), im angloamerikanischen Rechtskreis unter dem Begriff des „estoppel“ geläufig ist. Bei genauer Betrachtung ist dieser Begründungsansatz indes eng mit dem ersten Begründungsansatz verwoben, indem die fehlende Möglichkeit des umsetzungsverpflichteten Staates, sich auf sein eigenes unionsrechtswidriges Handeln zu berufen, als Sanktionierung gerade dieses Verhaltens zu begreifen ist.

(2) Rechtstreitigkeiten zwischen Privatpersonen (Horizontalverhältnis) Die Vertikalwirkung unionsrechtlicher Vorgaben kommt im Bereich des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes indes allenfalls in solchen Konstellation zum Tragen, in denen eine Diskriminierung durch den Staat, etwa einen staatlichen Arbeitgeber oder Wohnraumvermieter im Raum steht. Viel bedeutender im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand sind indes Diskriminierungen, die von Privatpersonen ausgehen. Insoweit stellt sich die Frage, ob und wenn ja auf welche Weise ein nationales Gericht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten (Horizontalverhältnis) unmittelbar auf die 296  Der EuGH bejaht eine vertikale unmittelbare Wirkung für alle in den Gründungsverträgen verankerten primärrechtlichen Verbürgungen, vgl. EuGH, Rs. 2/74 – Slg. 1974, 631, Tz. 3 ff. – Reyners (Niederlassungsfreiheit); EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299, Tz. 18 ff. – van Binsbergen (Dienstleistungsfreiheit), EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, Tz. 4 ff. – van Duyn (Arbeitnehmerfreizügigkeit); EuGH, Rs. 74/76, Slg. 1976, 557, Tz. 13 – Ianelli (Warenverkehrsfreiheit); EuGH, Rs. 293/83, Slg. 1985, 593, Tz. 15, 26 – Gravier (Artikel 7 EG = Artikel 18 AEUV) sowie EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455 – Defrenne II (Artikel 119 EWG = Artikel 157 Abs. 1 AEUV), wo die unmittelbare Wirkung der Norm zugleich auf horizontale Verhältnisse erstreckt wird. Für die Charta-­Grund­rechte und allgemeinen Rechtsgrundsätze gem. Artikel 6 Abs. 3 EUV ergibt sich die unmittelbare Vertikalwirkung unproblematisch aus ihrem Charakter als originär-individuelle Rechte, Jarass, Charta der Grundrechte, Einl. Rn. 23; vgl. aus der Rechtsprechung des EuGH, Rs. 230/78, Slg. 1979, 2749, Tz. 31 – Eridania. 297 EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, 835, Tz. 5 – Grad; EuGH Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, Tz. 12 – Van Duyn; EuGH Rs. 148/78, Slg. 1979, 1629, Tz. 19 ff. – Ratti; EuGH Rs. 8/81, Slg. 1982, 53, Tz. 20 ff. – Becker. 298  EuGH Rs. 148/78, Slg. 1979, 1629, Tz. 22 ff. – Ratti. EuGH Rs. 8/81, Slg. 1982, 53, Tz. 24 – Becker; vgl. auch EuGH Rs C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Tz. 23 – Faccini Dori, wo eine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien im Horizontalverhältnis gerade wegen des Fehlens dieser Voraussetzung abgelehnt wird.

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diesbezüglichen Vorgaben des Unionsrechts zurückgreifen kann. Die Frage der Bindung Privater an höherrangige Regelungsvorgaben ist kein spezifisches Problem des Unionsrechts, sondern gleichermaßen aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannt, wo sie unter dem Schlagwort „unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte“ diskutiert wird. Bereits sehr früh wurde hier vor allem von Nipperdey und Leisner die These vertreten, dass die Grundrechte nicht nur den Staat binden, sondern gleichermaßen die Privatrechtssubjekte.299 Dieser Auffassung hatte sich zwischenzeitlich auch das BAG angeschlossen.300 Das Bundesverfassungsgericht lehnt eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte dagegen bekanntermaßen ebenso ab301 wie große Teile des Schrifttums.302 Demgegenüber steht das Unionsrecht im Hinblick einer unmittelbaren Bindung Privater an unionsrechtliche Gebote deutlich aufgeschlossener gegenüber als das deutsche Recht. Nach traditionellem, durch eine gefestigte Rechtsprechung des EuGH geprägtem Verständnis ist hierbei allerdings zwischen unterschiedlichen unionalen Rechtsquellen und Regelungsebenen zu unterscheiden.

(a) Keine Horizontalwirkung von Richtlinien Ausgeschlossen ist nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien im Horizontalverhältnis.303 Dies begründet der EuGH mit der Erwägung, dass Richtlinien, anders als Verordnungen, schon nach dem Wortlaut des Artikels 288 Abs. 3 AEUV ausschließlich an die Mitgliedstaaten adressiert seien und damit nicht selbst unmittelbar Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen könnten.304 Aus der fehlenden Adressatenstellung Privater folgert der EuGH wiederum, dass nur dem umsetzungsverpflichteten Staat, nicht aber dem Bürger, eine treuwidrige Berufung auf die fehlende Umsetzung von Richtlinien verwehrt werden könne.305 Die Begründung der fehlenden Horizontalwirkung von Richtlinien manifestiert sich damit als Um299  Ennecerus/Nipperdey, BGB AT, 15, § 15 II 4 c; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 285 ff. 300  BAGE 1, 185, 193; zuletzt BAGE 31, 67, 71 f.; aufgegeben seit BAGE 47, 363, 373 und seither st. Rspr. 301 BVerfG, 1 BvR 400/51, E 7, 198, Tz. 24 – Lüth. 302  Statt vieler Dürig, in: Festschrift Nawiasky, S. 157, 176 ff.; weitere Nachweise bei Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff. 303  EuGH Rs. 152/84; Slg. 1986, 723, Tz. 47 f. – Marshall I, EuGH Rs C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Tz. 20 – Faccini Dori; EuGH, verb. Rs. C-397/01 – C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Tz. 109 – Pfeiffer u.a.; EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 46 – Kücükdeveci; zuletzt EuGH, Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278, Tz. 30 – Rasmussen. 304  Vgl. nur die entsprechende Formulierung aus EuGH Rs. 152/84; Slg. 1986, 723, Tz. 47 f. – Marshall I, die der EuGH sodann in allen weiteren in der vorhergehenden Fußnote aufgezählten Urteilen verwendet hat. 305  EuGH Rs C-91/92, Slg. 1994, I-3325, Tz. 23 – Faccini Dori. Aus demselben Grund lehnt der EuGH eine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien auch in den Fällen ab, in denen eine Richtlinie den Bürger im Verhältnis zum Staat belastet (so genanntes umgekehr-

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kehrschluss aus der Begründung der Vertikalwirkung von Richtlinien und steht damit als solcher im Einklang mit dem Sanktionscharakter des Instruments der unmittelbaren Wirkung.

(b) Horizontalwirkung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote? (aa) Artikel 157 Abs. 1 AEUV und Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Übrigen Während Richtlinien schon im Hinblick auf die im Wortlaut des Artikels 288 Abs. 3 AEUV angelegte fehlende Adressatenstellung Privater keiner Horizontalwirkung fähig sind, steht der EuGH einer Horizontalwirkung primärrechtlicher Verbürgungen – unabhängig vom Wortlaut der jeweiligen Norm – offener gegenüber. So hat der EuGH, wie bereits an anderer Stelle dargelegt, im Urteil Defrenne II eine unmittelbare Bindung privater Arbeitgeber an das heute in Artikel 157 AEUV verankerte Verbot der Entgeltdiskriminierung bejaht, obwohl die Norm von ihrem Wortlaut her nur an die Mitgliedstaaten adressiert ist.306 Fraglich ist aber, ob die Bejahung der Horizontalwirkung des Artikels 157 Abs. 1 AEUV durch den EuGH im Urteil Defrenne II jedenfalls im Ansatz für das ebenfalls aus Artikel 119 EWG (Artikel 157 AEUV) hergeleitete allgemeine Verbot der Geschlechtsdiskriminierung307 eine ähnliche Wirkung nahe legt. Zwar ist dieses Diskriminierungsverbot heute in Artikel 21 Abs.1, 23 GR-Ch verankert und folgt damit hinsichtlich der Bindungswirkung den für Charta-­ Grund­rechte geltenden Regelungen. Nach Artikel 52 Abs. 2 GR-Ch erfolgt jedoch die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte, die bereits in den Verträgen geregelt sind, im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen.308 Jedenfalls für das unmittelbar in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerte Gebot der Entgeltgleichheit als solches folgt hieraus, dass die gleichzeitige Verankerung dieses Gebots in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch nichts an dessen Horizontalwirkung zu ändern vermag. Wie verhält es sich nun aber mit der Horizontalwirkung hinsichtlich des allgemeinen Verbots der Geschlechtsdiskriminierung außerhalb des Entgelts? Für einen Gleichlauf von speziellem und allgemeinem Verbot der Geschlechtsdiskriminierung in Bezug auf die Adressatenstellung könnte auf den ersten Blick sprechen, dass es sich auch bei Letzterem wie bei Ersterem um eine originär-­ individuelle, vom Binnenmarktziel entkoppelte Rechtsverbürgung handelt. Denn im Urteil Defrenne II hatte der EuGH die Bindung privater Arbeitgeber an Artikel 119 EWG (Artikel 157 AEUV) gerade mit der „sozialen“ Zielsetzung tes Vertikalverhältnis). Vgl. hierzu EuGH Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969, Tz. 15 – Kolpinghuis Nijmegen. 306 EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976/455, Tz. 39 – Defrenne II. 307 EuGH, Rs. 149/77, Slg. 1978/1365, Tz. 26/29 – Defrenne III. 308  Siehe dazu bereits oben Zweiter Teil § 1 A. I. 1.b) aa).

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dieser Norm begründet. Eine solche Sichtweise würde aber den gleichwohl vorhandenen Unterschieden beider Diskriminierungsverbote nicht in gebührender Weise Rechnung tragen. So kann der Anspruch auf gleiches Entgelt gemäß Artikel 157 Abs. 1 AEUV bereits nach seinem Inhalt nur durch den jeweiligen Arbeitgeber erfüllt werden, bei welchem es sich in der großen Mehrzahl der Fälle um einen privaten Arbeitgeber handeln wird. Auch begegnet die Zuerkennung der Horizontalwirkung bei einer Norm, die mit der Entgeltgleichheit nur einen kleinen Ausschnitt möglicher Ungleichbehandlungen abdeckt, deutlich geringeren Bedenken im Hinblick auf die damit verbundene Beschränkung der Privatautonomie als die Zuerkennung einer ähnlich umfassenden Wirkung in Bezug auf das thematisch deutlich weiter gefasste allgemeine Verbot der Geschlechtsdiskriminierung. Ein letztes und wohl entscheidendes Argument gegen einen auf die Adressatenstellung bezogenen Gleichlauf beider Diskriminierungsverbote gründet sich auf die jeweils unterschiedlich ausgestaltete Art der mitgliedstaatlichen Bindung an die genannten Rechtsverbürgungen. Während das in Artikel 157 Abs. 1 AEUV als bereits vom Wortlaut her in den Gründungsverträgen verankerte Rechtsverbürgung die Mitgliedstaaten umfassend zu binden vermag, ist die Bindung der Mitgliedstaaten an das erst später aus derselben Norm hergeleitete allgemeine Verbot der Geschlechtsdiskriminierung von einer sekundärrechtlichen Aktivierung abhängig. Dies folgt zwar nicht bereits aus Artikel 51 Abs. 1 S. 1 GR-Ch, weil Artikel 52 Abs. 2 GR-Ch insoweit die Aufrechterhaltung eines hinsichtlich der Bindungswirkung weiterreichenden Acquis sicherstellt. Gerade im Hinblick auf das allgemeine Verbot der Geschlechtsdiskriminierung lässt sich ein solcher Acquis aber gerade nicht ausmachen. Entscheidend ist insoweit nämlich, dass der EuGH bereits im Urteil Defrenne III die Bindung der Mitgliedstaaten an das von ihm im Grundsatz anerkannte allgemeine Verbot der Geschlechtsdiskriminierung vom Erlass vorheriger Sekundärrechtsakte durch den Unionsgesetzgeber abhängig gemacht hat.309 Anders als Artikel 157 Abs. 1 AEUV (und auch Artikel 18 Abs. 1 AEUV) ist das heute in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verankerte allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlecht somit bereits hinsichtlich der Bindung der Mitgliedstaaten nicht self-executing, was wiederum eine noch weitergehende Bindung Privater an dieses Verbot jedenfalls nicht zwingend nahelegt.

(bb) Artikel 18 Abs. 1 AEUV Fraglich ist dagegen, ob und inwieweit dem in Artikel 18 Abs. 1 AEUV verankerten Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit Horizontalwirkung zukommt. Für die Grundfreiheiten, bei denen es sich mit Ausnahme der Warenverkehrsfreiheit um spezielle Ausprägungen dieses Diskriminie309 EuGH,

Rs. 149/77, Slg. 1978/1365, Tz. 30/32 – Defrenne III.

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rungsverbotes handelt, ist eine inhaltlich wie personell abgestufte Bindung Privater mittlerweile weitgehend anerkannt.310 So bejaht der EuGH einerseits in Bezug auf die Personenverkehrsfreiheiten und die Dienstleistungsfreiheit eine unmittelbare Bindung solcher privater Institutionen, die wie etwa Sportverbände und Gewerkschaften aufgrund ihrer quasi-legislatorischen oder faktischen Machtposition ähnlich dem Staat in der Lage sind, auf die Rechtspositionen von Marktbürgern einzuwirken (intermediäre Gewalten).311 Darüber hinaus soll auch der einzelne Arbeitgeber – unabhängig vom Vorliegen einer vergleichbaren Machtposition – einer unmittelbaren Bindung an die Arbeitnehmerfreizügigkeit unterliegen.312 Für die Warenverkehrsfreiheit lehnte der EuGH hingegen nach anfänglich anders lautenden Signalen313 bis vor wenigen Jahren eine unmittelbare Bindung Privater ab.314 Diese Rechtsprechung könnte indes durch das im Juli 2012 ergangene Urteil Fra.bo315 eine (erneute) Änderung erfahren haben.316 In diesem Urteil wertet der EuGH die Weigerung eines privatrechtlichen Vereins, für ein ausländisches Produkt eine Zertifizierung auszustellen, als Beschränkung des freien Warenverkehrs. Ausschlaggebend hierfür war allerdings allein die Tatsache, dass der Verein aufgrund einer gesetzlichen Verknüpfung der Zertifizierung mit der Verkehrsfähigkeit der zertifizierten Produkte über die Befugnis verfügte, den Zugang von Erzeugnissen zum inländischen Markt zu regeln.317 Im Hinblick auf diese Regelungsfunktion könnte die Verweigerung der Zertifizierung durch den Verein daher – ähnlich der Funktion eines Beliehenen – noch im weitesten Sinne dem Staat zuzurechnen sein.318 Aber auch wenn man den Verein tatsächlich als Privaten wertet, wäre die sich sich hierin manifestierende Horizontalwirkung, so man in der genannten Konstellation überhaupt von einer solchen sprechen mag, der untersten Stufe im Sinne einer Bindung intermediärer Gewalten mit quasilegislatorischen Befugnissen zuzuordnen.319 Die Rechtsprechung des EuGH 310 

Eingehend zum Ganzen W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393 ff. Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Tz. 82 – Bosman, EuGH Rs. C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Tz. 61 – Viking. 312  Spätestens anerkannt seit EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Tz. 34–36 – Angonese; vgl. aber bereits das obiter dictum in EuGH, Rs. 36/74, Slg. 1974/1405, Tz. 21 – Walrave, wonach Artikel 48 EWG (jetzt Artikel 45 AEUV) ganz allgemein „Verträge und sonstige Vereinbarungen erfasst, die nicht von staatlichen Stellen herrühren.“ 313 EuGH, Rs. 58/80, Slg. 1981/181, Leitsatz 3 und Tz. 17 – Dansk Supermarket. 314 EuGH, verb. Rs. 177 und 178/82, Slg. 1984/1797, Tz. 11–12 – van Haar u.a.; EuGH, Rs. 311/85, Slg. 1987/3801, Tz. 30 – Vlaamse Reisbureaus. 315 EuGH, Rs. C-171/11, EU:C:2012:453 – Frab.bo. 316 So Grünberger, Personale Gleichheit, S. 1023, dort Fußnote 148 a.E.; W.-H. Roth, EWS 2013, 16, 24. 317 EuGH, Rs. C-171/11, EU:C:2012:453, Tz. 27, 31 – Frab.bo. 318  Eine solche Deutung ablehnend aber W.-H. Roth, EWS 2013, 6, 20; wohl auch Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 33 f. 319  So auch W.-H. Roth, EWS 2013, 6, 24. 311 EuGH,

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zur Horizontalwirkung der Personenverkehrsfreiheiten geht indes, wie dargelegt, deutlich über die Bindung intermediärer Gewalten hinaus, indem sie auch eine rein faktische Einwirkungsmöglichkeit von Privaten auf die Ausübung der Grundfreiheiten durch andere Marktbürger hat ausreichen lassen oder sogar auf eine solche Einwirkungsmöglichkeiten wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit vollständig verzichtet. Ob der EuGH selbiges dereinst auch im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit annehmen wird, bleibt derzeit ebenso mit Fragezeichen versehen wie der dogmatische Begründungsansatz hinter der bisher vom EuGH vorgenommenen Differenzierung zwischen den einzelnen Grundfreiheiten hinsichtlich des Ausmaßes der Horizontalwirkung. Überzeugend erscheint insoweit der Erklärungsansatz von W.-H. Roth, wonach die am Ziel der Binnenmarktintegration ausgerichteten Grundfreiheiten grundsätzlich nur den reibungslosen Leistungsaustausch gegen externe Eingriffe absichern, nicht aber die am Marktprozess Beteiligten selbst einer Bindung unterwerfen sollen.320 Private sind demnach nur insoweit an die Grundfreiheiten gebunden, als diese von außen auf die Entscheidung der am Leistungsaustausch Beteiligten einzuwirken vermögen, was üblicherweise auf Verbände zutrifft.321 Die sich hierin manifestierende Indifferenz der Grundfreiheiten in Bezug auf privatrechtsbezogene Diskriminierungen seitens der Marktbürger selbst folgt letztlich aus der an anderer Stelle gewonnenen ökonomischen Erkenntnis, dass es für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes nicht zwingend privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote bedarf.322 Hinsichtlich präferenzbedingter Diskriminierungen folgt dies bereits aus der Erwägung, dass potentielle Vertragspartner, die aus irrationalen Motiven heraus freiwillig auf Transaktionen mit einem Teil der Marktgegenseite verzichten, weniger wettbewerbsfähig sind als ihre das volle Trans­ak­tions­potential ausschöpfenden Konkurrenten und damit auf lange Sicht ohnehin vom Markt verdrängt werden.323 In Bezug auf statistische Diskriminierungen mögen Diskriminierungsverbote zwar kurzfristig eine Zunahme von grenzüberschreitenden Transaktionen bewirken; langfristig führen solche Verbote indes zu Wohlfahrtsverlusten als Folge suboptimaler Ressourcenallokation. Misst man den Grundfreiheiten auch heute noch primär eine binnenmarktintegrative Zielfunktion bei,324 spricht mithin aus ökonomischen Gründen viel für eine Beschränkung der Horizontalwirkung auf solche Privatpersonen, die das Marktgeschehen von

320  W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393, 404 ff.; ebenso jetzt auch Davies, in Leczykiewicz/Weatherill, The Involvement of EU Law in Private Law Relationships, S. 53, 62 sowie Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 37. 321  W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393, 405 ff. 322  Siehe oben Erster Teil § 3 B. IV. 2. b). 323  Siehe oben Einleitung Teil § 2 B. I. 1. 324  Siehe oben Erster Teil § 3 B. IV. 2. a).

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

außen steuern bzw. beeinflussen.325 Dies müsste allerdings streng genommen auch für die Arbeitnehmerfreizügigkeit gelten. Von daher drängt sich die Frage auf, warum der EuGH gleichwohl in Bezug auf diese Grundfreiheit eine weitergehende Bindung einzelner, am Marktprozess beteiligter privater Arbeitgeber bejaht. Zu berücksichtigen ist insoweit, wie W.H.-Roth dargelegt hat, dass das Unionsrecht die Modalitäten der Nachfrage nach Arbeitsleistungen auch hinsichtlich des Geschlechts der Arbeitnehmer nicht den Marktkräften überlässt sondern vielmehr über Artikel 157 Abs. 1 AEUV den einzelnen Arbeitgeber zur Herstellung von Entgeltgleichheit unmittelbar in die Pflicht nimmt.326 Die über die Bindung intermediärer Gewalten hinausgehende Bindung auch einzelner Marktteilnehmer erklärt sich hier aus der Tatsache, dass sich Artikel 157 Abs. 1 AEUV zwischenzeitlich seiner marktintegrativen Eierschalen entledigt hat und heute primär als originär-individuelle Grundrechtsverbürgung verstanden wird. Es geht mithin bei Artikel 157 Abs. 1 AEUV schon lange nicht mehr um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes, für welches es privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote nicht bedarf, sondern um die Bekämpfung privatrechtsbezogener Diskriminierung um ihrer selbst willen. Wenn das Unionsrecht den einzelnen Arbeitgeber aber zur Gleichbehandlung der Arbeitnehmer im Hinblick auf das Merkmal Geschlecht verpflichtet, so kann insoweit hinsichtlich des für die Verfasstheit der Europäischen Union noch zentraleren Kriteriums der Staatsangehörigkeit nichts anderes gelten.327 Die sich hieraus ergebende, im Vergleich zu den anderen Grundfreiheiten stärker ausgeprägte Horizontalwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist damit zugleich ein Beleg für die an anderer Stelle aufgestellte These, dass dereinst allen unionalen Diskriminierungsverboten einschließlich der Grundfreiheiten die Funktion umfassender, vom Binnenmarktziel entkoppelter Grundrechte zuzuerkennen sein könnte. Zu klären bleibt danach aber immer noch die Frage, inwieweit – außerhalb der Arbeitnehmerfreizügigkeit – eine unmittelbare Bindung Privater an das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 18 Abs. 1 AEUV zu bejahen ist. Der EuGH hatte sich mit dieser Frage nur ein einziges Mal im Urteil Ferlini zu befassen und bejaht dort die Bindung 325 A.A. Grünberger, Personale Gleichheit, S. 1023 f., der gerade aus der vermeintlich marktöffnenden Funktion von Diskriminierungsverboten auf die Horizontalwirkung aller Grundfreiheiten einschließlich des Artikels 18 Abs. 1 AEUV schließen möchte. Eine Differenzierung zwischen diskriminierenden externen Eingriffen in den Marktprozess und Diskriminierungen seitens der am Leistungsaustausch beteiligten Marktteilnehmer findet hier somit nicht statt. 326  W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393, 408. 327  Vgl. EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Tz. 34, 35 – Angonese, wo dieser Bezug zwischen der von EuGH im Urteil Defrenne II festgestellten Bindung privater Arbeitnehmer an Artikel 119 EWG (Artikel 157 Abs. 1 AEUV) und der Bindung privater Arbeitnehmer an die Arbeitnehmerfreizügigkeit ausdrücklich hergestellt wird.

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einer die Behandlungspreise für alle Mitglieder einheitlich festsetzenden privaten Vereinigung von Krankenhäusern an das allgemeine Diskriminierungsverbot.328 Dies beantwortet indes nicht die Frage, ob darüber hinausgehend auch einzelne am Leistungsaustausch beteiligte Private unmittelbar an Artikel 18 Abs. 1 AEUV gebunden sind. Kann sich der Bürger eines Mitgliedstaates, der sich – etwa als Studierender – berechtigt in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, gegenüber einem ihn wegen seiner Staatsangehörigkeit diskriminierenden Vermieter oder Anbieter von Dienstleistungen unmittelbar auf Artikel 18 Abs. 1 AEUV berufen?329 Im Schrifttum wird dies überwiegend verneint.330 Die besseren Argumente sprechen hingegen für eine solche Bindung.331 Hervorzuheben ist insoweit zum einen, dass der EuGH speziell im Zusammenhang mit der von ihm bejahten Bindung privater Arbeitgeber an die Arbeitnehmerfreizügigkeit wiederholt den Charakter dieser Grundfreiheit als besondere Ausprägung des Artikels 18 AEUV bzw. seiner Vorgängernormen hervorgehoben hat.332 Zum anderen ist in Erinnerung zu rufen, dass der EuGH seinerzeit auch die Bindung privater Arbeitgeber an das heute in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerte Gebot der Entgeltgleichheit mit der über das Binnenmarktziel hinausgehenden „sozialen“ Zieldimension dieses Gebots begründet und damit zugleich dessen Grundrechtscharakter hervorgehoben hat.333 Nichts anderes kann aber hinsichtlich Artikel 18 Abs. 1 AEUV außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten gelten, weil es sich insoweit ebenfalls um eine vom Binnenmarktziel entkoppelte Rechtsverbürgung des Unionsrechts mit originär-individueller Zielsetzung handelt.334 Schließlich wäre es aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, wenn die Bindung Privater an das bereits in den Grün328 EuGH, Rs. C-411/98, Slg. 2000, I-8081, Tz. 50 – Ferlini. Zur Begründung verweist der Gerichtshof auf seine eigene Rechtsprechung zur (beschränkten) Horizontalwirkung der Grundfreiheiten. Kritisch hinsichtlich eines automatischen Gleichlaufs zwischen Grundfreiheiten und dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit dagegen W.-H. Roth, in: Festschrift Everling 1995, S. 1231, 1240 f., ders. in: Festschrift Medicus, S. 393, 399 f. (siehe dort insbesondere Fußnote 43). 329  Zu der Frage, ob und inwieweit eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit als Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft zu qualifizieren ist, siehe unten Dritter Teil § 2 A. II. 1. d). 330  Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 18 Rn. 44; Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 18 AEUV Rn. 35; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 4; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 18 AEUV Rn. 43. 331  So auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 18 AEUV Rn. 28; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, S. 262; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 1024. 332 EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Tz. 35 – Angonese; EuGH, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939, Tz. 45 – Raccanelli. 333  Siehe oben Erster Teil § 3 B. III. 2. a). 334  Vgl. zur Grundrechtsdimension des Artikel 18 Abs. 1 AEUV auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 1025, der die unmittelbare Wirkung des Artikel 18 Abs. 1 AEUV aber im Anschluss mit einer – hier abgelehnten – Funktion von Gleichheitsrechten, über die Si-

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dungsverträgen verankerte Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit in seiner Grundrechtsdimension schwächer ausgestaltet wäre als die Bindung Privater an die in Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien etablierten nationalen Diskriminierungsverbote in Bezug auf andere, von Artikel 19 AEUV aufgezählte Merkmale wie etwa die Religion oder das Alter.335

(cc) Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch außerhalb des Verbotes der Entgeltdiskriminierung? Das Verbot der Entgeltdiskriminierung und der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit stellen allerdings nur einen kleinen Ausschnitt der in Artikel 21 Abs. 1 und 2 GR-Ch verankerten gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote dar. Dies gilt bereits im Hinblick auf die Diskriminierung wegen des Geschlechts außerhalb der Frage des Entgelts, erst recht aber im Hinblick auf die ebenfalls von Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch erfassten Diskriminierungen wegen anderer Merkmale wie etwa der Rasse und ethnischen Herkunft, des Alters u.a. Da es im Hinblick auf die letztgenannten Unterscheidungsmerkmale und Konstellationen an einem unmittelbar in den Verträgen verankerten Diskriminierungsverbot fehlt, kommt eine Adressatenstellung Privater nur im Hinblick auf Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch selbst in Betracht. Der EuGH hatte sich mit der Frage der Horizontalwirkung der Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch bislang noch nicht zu befassen.336 Dies gilt auch im Hinblick auf das Urteil Mangold, welches im Schrifttum zum Teil dahingehend interpretiert wird, der EuGH habe durch die Verpflichtung des vorlegenden Gerichts, § 14 Abs. 3 Tz.B.fG wegen Verstoßes gegen das primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung unangewendet zu lassen, eine Horizontalwirkung dieses Grundsatzes bejaht.337 Andere Autoren wollen dem Urteil Kücükdeveci eine entsprechende Aussage entnehmen.338 Bei genauer Betrachtung geben die genannten Urteile indes keinen Anlass für eine solche Interpretation.339 Dies folgt aus der Erwägung, dass in den genannten Verfahcherstellung der Partizipation aller Marktteilnehmer zur Herstellung „neuer Operationen im Wirtschaftssystem“ beizutragen. 335 A.A. Khan, in: Geiger/Kotzur/Khan, EUV/AEUV, Art. 18 Rn. 4. 336  Hartkamp, RabelsZ 75 (2011), 241, 250. 337  Classen, EuR 2009, 627, 645; Lauber, in Schulze, Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 181, 191; wohl auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 1030; noch weitergehend Kroll-Ludwigs, JZ 2011, 734, 736 f., wonach aus der Mangold-Rechtsprechung des EuGH eine unmittelbare Drittwirkung nicht nur des Verbots der Altersdiskriminierung, sondern letztlich sogar des Verbots der Geschlechtsdiskriminierung gefolgert werden kann. 338  Muir, CML Rev. 48 (2011), 39, 56 ff.; Peers, Eur. L. Rev. 35 (2010), 849, 855. 339  So in Bezug auf das Urteil Mangold Preis, NZA 2006, 401, 402; Schiek, 35 Industrial Law Journal (2006), 329, 337; Temming, Altersdiskriminierung, S. 420; Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2150, sowie in Bezug auf das Urteil Kücükdeveci Hartkamp, RabelsZ 75 (2011), 241, 250; W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 825 dort Fußnote 264.

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ren nicht eine Diskriminierung durch den privaten Arbeitgeber in Rede stand, sondern eine Diskriminierung durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber,340 dessen Bindung an die Vorgaben des Primärrechts unstreitig ist.341 So hatte im Fall Mangold die Bundesrepublik Deutschland ältere Arbeitnehmer gegenüber jüngeren Arbeitnehmern benachteiligt, indem sie erstere vom Schutz vor Kettenbefristungen gemäß § 14 TzBfG ausnahm. Im Fall Kücükdeveci bestand die legislative Ungleichbehandlung darin, dass gemäß § 622 Abs. 2 BGB a.F. zu Lasten jüngerer Arbeitnehmer Arbeitszeiten vor dem 25. Lebensjahr bei der Berechnung der Fristen für eine Kündigung durch den Arbeitgeber nicht angerechnet wurden. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, dass der EuGH in den Verfahren Mangold und Kücükdeveci mit keinem Wort auf eine Adressatenstellung Privater und eine daraus folgende Horizontalwirkung des primärrechtlichen Grundsatzes eingeht. Die Unanwendbarkeit des § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. bzw. des § 622 Abs. 2 BGB a.F. werden vielmehr ausschließlich mit dem im Urteil Simmenthal II aufgestellten Grundsatz begründet, wonach eine nationale Norm, die im Widerstreit zu einer Norm des Unionsrechts steht, in einem nationalen Rechtsstreit grundsätzlich außer Anwendung zu bleiben hat (Maßstabsfunktion). Zwar wird durch die mit der Nichtanwendung der unionswidrigen Norm einhergehende Übertragung der gleichheitswidrig verweigerten legislativen Begünstigung auf die bisher benachteiligte Gruppe mittelbar gleichwohl eine Privatperson in Form des jeweiligen Arbeitgebers belastet. Diese Belastung stellt sich jedoch lediglich als Reflex des Nichtanwendungsbefehls da, beinhaltet für sich genommen aber gerade nicht die Aussage, dass auch der Arbeitgeber gemäß dem primärrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung zur Gleichbehandlung angehalten war. Der Rechtsprechung des EuGH in Sachen Mangold und Kücükdeveci lässt sich somit keine Aussage zur Horizontalwirkung der Diskriminierungsverbote des Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch entnehmen. Im übrigen Schrifttum wird eine unmittelbare Bindung Privater an die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch ohnehin nahezu geschlossen abgelehnt.342 Hierfür spricht jedenfalls, dass Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch als 340 Ebenso Starke, EU-Grundrechte und Vertragsrecht, S. 202; Thüsing, ZIP 2005, 2149, 2150 (bezüglich Mangold); W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 825, dort Fußnote 264 (bezüglich Kücükdeveci). 341  Eine Bindung gerade auch des Privatrechtsgesetzgebers bejahend Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, § 3 Rn. 97; Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 28. 342  Blanck-Putz/Köchle, in: Holoubek/Lienbacher, GRC, Art. 21 Rn. 75; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Ch Rn. 18; Hölscheidt, in: Meyer, Charta der Grundrechte, Art. 21 Rn. 34; Höpfner, ZfA 2010, 449, 465; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 21 Rn. 4; Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechtecharta, Artikel 51 Rn. 13; Perner, Grundfreiheiten, Grundrechte-Charta und Privatrecht, S. 157; Rengeling/­Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, Rn. 913; Rossi, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 21 GR-Ch Rn. 5; Sachs, in: Tettinger/Stern, Europäische Grund-

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Verpflichtete der Charta-Grundrechte ganz allgemein nur die Union und die Mitgliedstaaten, nicht aber Private nennt. Damit ist aber entgegen der h.M. noch nicht für alle Charta-­Grund­rechte eine unmittelbare Bindung Privater schlechthin ausgeschlossen. Vielmehr kann sich eine solche Adressatenstellung für jedes Charta-­Grund­recht ungeachtet der in Artikel 51 Abs. 1 GR-Ch postulierten grundsätzlichen Hoheitsbezogenheit über die Transferklauseln in Artikel 52 Abs. 2 und 3 GR-Ch ergeben, soweit das betroffene Charta-­Grund­ recht einer bereits in den Gründungsverträgen oder der EMRK verankerten Rechtsverbürgung entlehnt wurde und diese Rechtsverbürgung eine unmittelbare Bindung Privater vorsieht. Nach Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch ist Charta-­Grund­rechten, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite zuzuerkennen, die ihnen in der EMRK verliehen wird. Zu erwägen wäre daher, eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundrechte des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch aus Artikel 14 EMRK herzuleiten.343 Es ist allerdings schon zweifelhaft, ob Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch überhaupt dem in Artikel 14 EMRK verankerten Diskriminierungsverbot im Sinne des Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch „entspricht.“ Hiergegen ließe sich immerhin anführen, dass Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch in keiner der in den Erläuterungen des Konventspräsidiums zu Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch enthaltenen Aufzählungen eigens genannt wird, obwohl dort für eine große Zahl von Charta-­Grund­rechten eine vollständige oder weitreichende Übereinstimmung mit Grundrechten der EMRK festgestellt wird. Für ein „Entsprechen“ im Sinne von 52 Abs. GR-Ch lassen sich allerdings die Erläuterungen zu Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch selbst ins Feld führen, wonach sich die Norm an Artikel 14 EMRK „anlehnt.“344 Auch in diesem Fall würde die Herleitung einer unmittelbaren Horizontalwirkung der Diskriminierungsverbote des Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch aus Artikel 14 EMRK aber des Weiteren voraussetzen, dass Artikel 14 EMRK selbst eine solche Wirkung entfaltet. Die ganz h.M. schließt jedoch aus Artikel 1 EMRK, dass eine Bindung Privater für alle EMRK-Grundrechte nicht in Betracht kommt.345 Dies soll namentlich auch für Artikel 14 EMRK gelten,346 was die Europäische Kommission für Menschenrechte-Charta, Art. 21 Rn. 17; a.A. Temming, Altersdiskriminierung, S. 430, der der Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten und des Artikels 141 EG (Artikel 157 AEUV) eine Tendenz zur Bejahung einer unmitelbaren Bindung Privater an alle primärrechtlichen Diskriminierungsverbote entnehmen möchte. 343  Sachs, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 21 Rn. 17. 344  Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C-303/24. 345  Vgl. nur GA Trstenjak, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-282/10, EU:C:2011:559 – Dominguez, Tz. 86; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 2 Rn. 58; Röben, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, Kap. 5 Rn. 101; Szcekalla, Schutzpflichten, S. 900 f.; a.A. aber BGHZ 27, 284, 285. 346  König/Peters, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanz-Kommentar, Kap. 21 Rn. 87.

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rechte im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde auch ausdrücklich bestätigt hat.347 Aus Artikel 14 EMRK lässt sich mithin keine unmittelbare Bindung Privater an die Grundrechte des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch herleiten.348

(c) Zwischenergebnis Es lässt sich festhalten, dass eine unmittelbare Herleitung von Rechten des Diskriminierungsopfers in einem Rechtsstreit mit einem privaten Verbotsadressaten in den meisten Konstellationen mangels einer Adressatenstellung Privater ausscheidet. So sind die Antidiskriminierungsrichtlinien schon per se nur an die umsetzungsverpflichteten Mitgliedstaaten adressiert. Auch für die meisten der primärrechtlichen Diskriminierungsverbote ist eine unmittelbare Bindung Privater nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung des EuGH nicht anzuerkennen. Eine Ausnahme besteht insoweit allerdings im Hinblick auf die bereits in den Gründungsverträgen verankerten, (auch) gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote, nämlich zum einen der Grundsatz der Entgeltgleichheit (Artikel. 157 Abs. 1 AEUV) sowie das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (Artikel. 18 Abs. 1 AEUV bzw. Artikel 21 Abs. 2 GR-Ch).

c) Negative Ausschlusswirkung unionsrechtlicher Normen als Ausweg? aa) Das Urteil Simmenthal II als Ausgangspunkt Wenn damit auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Artikels 18 Abs. 1 und 157 Abs. 1 AEUV die unmittelbare Herleitung von Rechten aus den unionsrechtlichen Diskriminierungsverboten in einem Rechtsstreit zwischen Privaten mangels Adressatenstellung derselben scheitert, ist damit noch keine Aussage darüber getroffen, dass die unionsrechtlichen Vorgaben nicht auf anderem Wege den Ausgang privater Rechtsstreitigkeiten zu beeinflussen vermögen. Dies wäre etwa über einen im Schrifttum vertreteten dogmatischen Ansatz möglich, wonach aus den Vorgaben des Unionsrechts als Minus gegenüber der Horizontalwirkung in jedem Fall eine Verpflichtung nationaler Gerichte folgt, unionsrechtswidrige Vorschriften des gesamten nationalen Rechts einschließlich des Privatrechts außer Anwendung zu lassen.349 Begründet wird eine solche negative Ausschlusswirkung, die im Schrifttum auch unter dem Begriff „Maßstabswirkung“ bzw. „legal review“ firmiert,350 entweder mit einer so genannten 347 

EMRK Nr. 12597/86, § 1 – K.W. Haughton (1987). Sachs, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 21 Rn. 17. 349  Vgl. zu diesem Ansatz und den unterschiedlichen Begründungsansätzen von Danwitz, JZ 2007, 748 ff. sowie (in Bezug auf Richtlinien) von Kiel­manns­egg, EuR 2014, 30, 41 ff. 350  Zur Terminologie speziell in Bezug auf Richtlinien vgl. von Kiel­m anns­egg, EuR 2014, 30, 41 f. 348 

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

objektiven Wirkung unionsrechtlicher Normen, die von einer weitergehenden subjektiven Wirkung abzugrenzen sei,351 oder schlicht mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts 352 Letzteren Ansatz verfolgte der EuGH offenbar bereits frühzeitig im Urteil Simmenthal II, indem er feststellte, dass aus dem Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht ein Gebot für nationale Gerichte folge, nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbares nationales Recht außer Anwendung zu lassen.353

bb) Negative Ausschlusswirkung auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten? – Koppelung des Unanwendbarkeitspostulats an die unmittelbare Wirkung der unionsrechtlichen Maßstabsnorm Das dem Urteil Simmenthal II zugrunde liegende Ausgangsverfahren hatte allerdings einen Rechtsstreit zwischen einem Bürger und der staatlichen Finanzverwaltung zum Gegenstand, in welchem sich die Maßstabsfunktion des Unionsrechts für die Anwendbarkeit des nationalen Rechts bereits aus der unmittelbaren Wirkung der einschlägigen unionsrechtlichen Norm im Verhältnis des Bürgers zum Staat ergab. Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand ist es dagegen entscheidend, ob die Verdrängung unionsrechtswidrigen nationalen Rechts durch die entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angezeigt ist, wo eine unmittelbare (Horizontal-)Wirkung im Hinblick auf die gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote mit Ausnahme von Artikel 18 Abs. 1 AEUV und Artikel 157 Abs. 1 AEUV in Ermangelung einer Adressatenstellung Privater ausscheidet. Es stellt sich damit die Frage, ob das im Urteil Simmenthal II vom EuGH konstatierte Unanwendbarkeitspostulat an die unmittelbare Wirkung der unionsrechtlichen Maßstabsnorm und damit an die Existenz eines gerade im Verhältnis des Normadressaten bestehenden subjektiven Rechts gekoppelt ist, oder ob auch eine isolierte Ausschlusswirkung hinsichtlich aller objektiven Maßstabsnormen in Betracht kommt.354

351  Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Artikel 288 AEUV Rn. 151 ff., 161 ff. 352 Siehe statt vieler Hermann, Richtlinienumsetzung, S. 78 ff.; Lenaerts/Corthout, EL Rev 31 (2006) 287, 289 ff.; Prechal, Directives, S. 268; Vgl. zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen von Danwitz, JZ 2007, 748 ff. sowie (in Bezug auf Richtlinien) von Kiel­ manns­egg, EuR 2014, 30, 41 ff. 353 EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Tz. 28 – Simmenthal II. 354  Eingehend zu dieser Fragestellung Dougan, CML Rev. 44 (2007) 931, der dem Modell des Vorrangs als freischwebende Eigenschaft des Unionsrechts (primacy model) ein Modell gegenüberstellt, nach welchem der Vorrang erst durch die unmittelbare Wirkung ausgelöst wird (trigger model).

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(1) Keine (horizontale) Ausschlusswirkung von Richtlinien In Bezug auf Richtlinien hat der EuGH eine horizontale Ausschlusswirkung bisher ebenso wenig anerkannt wie eine unmittelbare Wirkung.355 Zwar geht der EuGH auf diese Frage nicht explizit ein, sondern wiederholt nur seine allgemeine Formel, wonach eine Richtlinie in einem Rechtsstreit zwischen Privaten nicht als solche Anwendung finden kann.356 Dies würde an sich Spielraum für eine Deutung lassen, wonach zwar aus der Richtlinie selbst keine Rechte gegenüber Privatpersonen hergeleitet werden können, die Richtlinie aber auch in einem Rechtstreit zwischen Privaten entgegenstehende nationale Regelungen zu verdrängen vermag. Eine solche Lesart der Judikatur des EuGH verbietet sich aber angesichts der Tatsache, dass zwischenzeitlich immer wieder Generalanwälte just eine solche Ausschlusswirkung von Richtlinien auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeregt hatten.357 Der letzte Vorstoß in diese Richtung erfolgte durch Generalanwalt Bot im Rahmen seiner Schlussanträge zum Verfahren Kücükdeveci aus dem Jahr 2009.358 Der Gerichtshof hielt jedoch hier wie in den genannten frühreren Urteilen stets an seiner Aussage fest, dass Einzelne aus Richtlinien in einem Rechtsstreit zwischen Privaten keine Rechte herleiten könnten und Private damit auch keinen im nationalen Recht nicht vorgesehenen Belastungen ausgesetzt werden dürfen.359 Der Gerichtshof hat damit implizit im Sinne eines „beredten Schweigens“ zum Ausdruck gebracht, dass dies auch die Nichtanwendung richtlinienwidrigen nationalen Rechts einschließt.360 Dies soll offensichtlich selbst in einer Konstellation wie der des Verfahrens Mangold gelten, bei der sich die Belastung des Einzelnen nur als Reflex der Unanwendbarkeit einer nationalen Norm darstellt, deren Urheber selbst an die Vorgaben des Unionsrechts gebunden ist. In Bezug auf Richtlinien ist das Unwendbarkeitspostulat somit an die unmittelbare Wirkung gekoppelt. In einem Rechtsstreit zwischen Privaten kommt ihm demzufolge mangels unmittelbarer Wirkung von Richtlinien gegenüber Privaten keine Bedeutung zu.

355  Eingehend zur Frage der Ausschlusswirkung von Richtlinien und den hierzu in der Literatur vertretenen Begründungsansätzen von Kiel­manns­egg, EuR 2014, 30 ff. 356  Zuletzt zu EuGH, Rs. C-441/14, EU:C:2016: 278, Tz. 30 – Rasmussen. 357 GA Saggio, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-240/98 – 244/98, Slg. 2000, I-4941 – Oceano, Tz. 27 ff.; GA Colomer, Schlussanträge zu EuGH, verb. Rs. C-397/01 – C-403/01, Slg. 2004, I-8835 – Pfeiffer u.a., Tz. 58. 358 GA Bot, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 – Kücükdeveci, Tz. 70 ff. 359 EuGH, verb. Rs. 397/01, Slg. 2004, I-8835, Tz. 108, 109 – Pfeiffer u.a.; EuGH, EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 – Tz. 46 – Kücükdeveci. 360 GA Bot, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C 441/14, EU:C:2016: 278 – Rasmussen, Tz. 40, konstatiert vor diesem Hintergrund eine „beharrliche Weigerung des Gerichtshofs, Richtlinien eine unmittelbare horizontale Wirkung zuzuerkennen“.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

(2) Negative Ausschlusswirkung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote – von Caballero zu Mangold Ganz anders stellt sich die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die Ausschlusswirkung primärrechtlicher Normen im Horizontalverhältnis dar. So hat der Gerichtshof im Urteil Caballero das vorlegende Gericht unter Berufung auf seine eigenen Aussagen im Urteil Simmenthal II darauf verpflichtet, eine nationale Vorschrift, die gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstieß, in einem Zivilverfahren außer Anwendung zu lassen.361 Unter Berufung auf dieses Urteil hat der EuGH sodann im Urteil Mangold die Unanwendbarkeit des § 14 Abs. 3 Tz.B.fG a.F. wegen Verstoßes gegen das neu entdeckte primärrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung festgestellt.362 Auch im letztgenannten Urteil stand der Nichtanwendung der nationalen Vorschrift nicht die Tatsache entgegen, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Zivilverfahren handelte und durch die Nichtanwendung einer nationalen Norm letztlich eine durch diese Norm begünstigte andere Privatperson belastet wurde, die selbst nicht unmittelbar Adressat des in Rede stehenden Diskriminierungsverbotes war.363 Anders als in Bezug auf Richtlinien, wo der EuGH eine isolierte, von der unmittelbaren Wirkung entkoppelte Ausschlusswirkung wegen der damit einhergehenden belastenden Wirkung auf nicht unmittelbar gebundene Privatpersonen ablehnt, wird eine solche isolierte Ausschlusswirkung in Bezug auf primärrechtliche Normen somit befürwortet. Diese Rechtsprechung vermag indes gleich aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Zunächst sprechen gegen eine isolierte, allein aus dem Vorrang des Unionsrechts hergeleitete Ausschlusswirkung bereits normtheoretische Erwägungen. Denn das Vorrangprinzip vermag einen solchen Ansatz nur dann eigenständig zu tragen, wenn es sich beim Vorrang auf der einen Seite und der unmittelbaren Wirkung auf der anderen Seite um zwei isoliert voneinander zu betrachtende Phänome handeln würde.364 Dies ist aber gerade nicht der Fall. Wie bereits Ipsen zutreffend dargelegt hat, liegt eine über das Rechtsinstitut des Anwendungsvorrangs zu lösende Normkollision nämlich überhaupt nicht vor, wenn sich die Kollisionsfrage im Hinblick auf eine Norm des Unionsrechts stellt, die in der konkreten Konstellation keine Anwendung findet.365 Die letztgenannte Sichtweise entspricht zudem exakt der Begründung, mit welcher der EuGH selbst 361 EuGH,

Rs. C-442/00, Slg. 2002, I-11915, Tz. 43 – Caballero. Siehe oben B. II. 1. a) bb). 363 Aus der bloßen Reflexwirkung der Unanwendbarkeit lässt sich gerade nicht darauf schließen, dass der EuGH insoweit eine unmittelbare Wirkung des heute in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verankerten Verbots der Alterdiskriminierung vorausgesetzt hat. Siehe oben b) dd) (2). 364  von Danwitz, JZ 2007, 697. 702. 365  Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 259 f.; zustimmend von Danwitz, JZ 2007, 697. 702. Ähnlich von Kiel­manns­egg, EuR 2014, 30, 43. 362 

§ 1 Die unionsrechtliche Ebene

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− zu Recht – eine Ausschlusswirkung von Richtlinien im Horizontalverhältnis verneint, indem Einzelne aus einer Richtlinie keinen wie auch immer gearteten Belastungen ausgesetzt werden dürfen. Warum im Hinblick auf primärrechtliche Rechtsverbürgungen etwas anderes gelten soll, vermag sich mithin schon aus der eigenen Logik des EuGH heraus nicht zu erschließen. Gegen die Entkoppelung von unmittelbarer Wirkung und Anwendungsvorrang spricht zudem die Zufälligkeit der hierdurch erzielten Ergebnisse im Hinblick auf den Ausgang des konkreten Rechtsstreits. Denn häufig ist es allein der Ausgestaltung des nationalen Rechts geschuldet, ob dem durch eine unionsrechtliche Vorgabe begünstigten Bürger durch die Nichtanwendung einer entgegenstehenden nationalen Norm zu seinem Recht verholfen werden kann oder nicht. Während beim gänzlichen Fehlen einer nationalen Regelung das Instrument der Nichtanwendung unionsrechtswidrigen Rechts mangels Ansatzpunkt ins Leere läuft, greift das genannte Instrument in denjenigen Konstellationen voll durch, in denen eine unionsrechtlich vorgegebene Rechtsposition im nationalen Recht zunächst unbeschränkt eingeräumt und sodann durch eine Ausnahmeregelung in unionsrechtswidriger Weise eingeschränkt wird.366 Auch in letzterem Fall führt aber die Nichtanwendung der nationalen Ausnahmevorschrift letztlich dazu, dass in einem Rechtsstreit zu Lasten einer anderen Privatperson auf Regelungen des Unionsrechts zurückgegriffen wird. Eine Trennung zwischen unmittelbarer Wirkung einerseits und Ausschlusswirkung andererseits erscheint vor diesem Hintergrund nachgerade künstlich.367 Diesen Vorwurf muss sich im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht gefallen lassen, soweit dieses im Einklang mit der h.L. ebenfalls zwischen der (in ständiger Rechtsprechung verneinten!) unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten und der Ungültigkeit grundrechtswidrigen Privatrechts differenziert. Prominentestes Beispiel für die Auswirkung dieser Trennung auf den Ausgang privatrechtlicher Rechtsstreitigkeiten ist das berühmte Handelsvertreter-Urteil, in welchem das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf den in Artikel 12 GG enthaltenen Schutzauftrag des Staates die Ungültigkeit einer Vorschrift festgestellt hatte, welche den gesetzlich vorgesehenen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters zur Disposition der Parteien stellte.368

366  Ebenso in Bezug auf eine Ausschlusswirkung von Richtlinien Craig, E.L. Rev 34 (2009), 349, 368: „Consider the structure of legal rules. They will normally contain a core provision that will then be qualified or conditioned by other provisions… It cannot be assumed that the impact of exclusion of one such rule for inconsistency with a directive, coupled with the application of the remainder of national contract law, will be any less far-reaching for that legal system than the subsitution/introduction of a legal concept which that system did not hitherto possess.“ Ähnlich von Kielmansegg, EuR 2014, 30, 43 („von den Zufälligkeiten der nationalen Regelungstechnik abhängig“). 367  Editorial Comments, CML Rev. 42 (2006), 1, 4; Schlachter, ZfA 2007, 249, 271. 368  BVerfG v. 7.2.1990, 1 BvR 26/84, E 81, 242, Tz. 74.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

Schließlich spricht gegen eine isolierte Ausschlusswirkung unionsrechtlicher Normen die Funktion, die dem vom EuGH im Simmenthal II statuierten Unanwendbarkeitspostulat für die Durchsetzung des Unionsrechts zukommt. Das Recht, sich vor den Gerichten auf die Unanwenbarkeit einer unionsrechtswidrigen Norm berufen zu können, stellt sich danach bereits als Durchsetzungsinstrument (erster Stufe) zum Schutz des durch die Norm verbürgten subjektiven Rechts dar.369 Dies gilt verstärkt in den Bereichen des Unionsrechts, in welchen bereits die Zuerkennung subjektiver Rechte als solche die dezentrale Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten sicherstellen soll.370 Die beiden Zielsetzungen (Individualschutz, dezentrale Rechtsdurchsetzung) tragen aber zugleich die maßgebende Begrenzung des Prinzips der unmittelbaren Wirkung in sich, indem subjektive Rechte nur gegenüber einem Verfahrensgegner gerichtlich geltend gemacht werden können, der selbst Adressat der das subjektive Recht gewährenden Norm ist. Im Hinblick auf Richtlinien ist dies, wie der EuGH zu Recht betont, ausschließlich der zur Umsetzung verpflichtete Mitgliedstaat. Nichts anderes kann aber im Hinblick auf die Normen des Primärrechts gelten, soweit sich diese nicht ausnahmsweise, wie Artikel 157 Abs. 1 AEUV oder in bestimmten Konstellationen Artikel 18 Abs. 1 AEUV, auch an Private richten. Wie bereits ausgeführt, liegt diese Voraussetzung im Hinblick auf die Diskriminierungsverbote des Artikel 21 Abs. 1 GR‑Ch außerhalb des speziellen Falls der Entgeltdiskriminierung nicht vor. Damit verbietet sich aber eigentlich jede, wenn auch nur reflexhafte Belastung von Privatpersonen, die mit einer Nichtanwendung von dieser Norm entgegenstehendem nationalen Regelungen einhergeht und zwar sowohl in Bezug auf Richtlinien als auch in Bezug auf primärrechtliche Vorgaben. Ungeachtet der vorstehend geäußerten Kritik an der inkonsequenten Rechtsprechung des EuGH ist jedoch zu konstatieren, dass letzterer eine isolierte Ausschlusswirkung primärrechtlicher Verbürgungen offensichtlich auch dort für geboten hält, wo die als Maßstab fungierende Norm des Primärrechts, wie Art. 21 I GR-Ch, den Verfahrensgegner im Prozess nicht unmittelbar bindet. Unter Zugrundelegung dieser mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des EuGH könnten damit auch die Vorschriften des AGG und der sonstigen deutschen Privatrechtvorschriften im Bereich des gesellschaftspolitisch motivierten Diskriminierungsschutzes einer umfassenden Inzidentkontrolle durch die deutschen Zivilgerichte am Maßstab des durch die Antidiskriminierungsrichtlinien konkretisierten Art. 21 Abs. 1 GR-Ch unterliegen.

369  Allgemein zur Durchsetzung individueller Rechtspositionen in den Mitgliedstaaten Van Gerven, CML Rev. 37 (2000) 501, 506; siehe hierzu noch unten Vierter Teil § 1 D I. 2. 370  Zum Konzept der funktionalen Subjektivierung siehe bereits oben b) bb.

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(3) Staatliche Pflicht zum Schutz vor privater Diskriminierung als zusätzliche Voraussetzung für eine Kontrolle des nationalen Antidiskriminierungsrechts am Maßstab des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch Für eine Inzidentkontrolle der Vorschriften des deutschen Antidiskriminierungsrechts am Maßstab des Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch bedarf es aber noch einer weiteren Voraussetzung, die im Schrifttum gerne übersehen wird. Um in einem Verfahren eine Maßstabsfunktion für die Anwendbarkeit nationaler Regelungen entfalten zu können, muss die als Maßstab herangezogene Norm des Unionsrechts zunächst einmal funktional einschlägig sein. Dies war im Verfahren Mangold und Kücükdeveci allein deshalb der Fall, weil dem heute in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verankerten Verbot der Alterdiskriminierung unzweifelhaft ein Gebot an die Mitgliedstaaten entnommen werden kann, sich eigener Diskriminierungen zu enthalten. Um eine Maßstabswirkung auch in den von den Antidiskriminierungsrichtlinien und dem AGG erfassten Konstellation privater Diskriminierungen entfalten zu können, müsste sich den maßgeblichen primärrechtlichen Verbürgungen aber zudem eine Verpflichtung entnehmen lassen, die Bürger aktiv auch vor solchen Diskriminierungen zu schützen, die von Privatpersonen ausgehen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, ist das jeweilige Diskriminierungsverbot im Falle einer Diskriminierung durch Private nämlich schon funktional nicht einschlägig und vermag damit dem nationalen Antidiskriminierungsrecht auch nicht als Maßstab zu dienen.

(a) Grundsätzliche Anerkennung des Schutzpflichtkonzepts durch den EuGH Die Erkenntnis, dass Grundrechte nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat begründen, sondern den Staat zugleich zum Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Privatpersonen verpflichten, ist aus dem deutschen Verfassungsrecht geläufig.371 Insbesondere Canaris gebührt insoweit der Verdienst, das Schutzpflichtkonzept auch für das Privatrecht fruchtbar gemacht zu haben, indem er es dogmatisch in die bis dato eher diffuse Lehre von der mit-

371 

Spätestens anerkannt seit BVerfG, Az. 1 BvF 1/74, E 39, 1, 41 f. – Schwangerschaftsabbruch I. Zu möglichen früheren Nachweisen in der Rspr. des BVerfG vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung, 2001, S. 141. Im Schrifttum wurde die bisweilen als „justischer Paukenschlag“ (Isensee) bezeichnete Rechtsprechung des BVerfG von Beginn an wohlwollend monographisch begleitet, vgl. etwa Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit − Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht: Aspekte der Geschichte, Begründung und Wirkung einer Grundrechtsfunktion, 1987. Anklänge an das Schutzpflichtkonzept finden sich auch bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 485 ff.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

telbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht 372 einbettete.373 Das Schutzpflichtkonzept ersetzt in diesem Sinne die im deutschen Recht nicht anerkannte Rechtsfigur der unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten.374 Das Unionsrecht hat bezüglich einer solchen unmittelbaren Bindung zwar, wie gesehen, weit weniger Berührungsängste als das deutsche Recht. Gleichwohl hat sich das Schutzpflichtkonzept auch hier – als ergänzender Begründungsstrang – für eine (mittelbare) Bindung von Privatpersonen an die die Verbürgungen des Primärrechts etabliert. So konstatiert der EuGH im Hinblick auf Warenverkehrsfreiheit eine Pflicht der Mitgliedstaaten, Marktbürger vor Beeinträchtigungen durch andere Privatpersonen zu schützen. Die beiden Leitentscheidungen zu diesem Thema Kommission ./. Frankreich (Bauernproteste)375 und Schmidberger 376 betrafen jeweils Konstellationen, in denen der Vorwurf im Raum stand, der betroffene Mitgliedstaat sei nicht (ausreichend) gegen von privaten Dritten ausgehende Blockademaßnahmen eingeschritten, die andere Marktbürger an der Ausübung ihrer Grundfreiheiten hinderten. Der Sache nach erkennt der EuGH damit sowohl für Gleichheits- als auch für Freiheitsverbürgungen der Gründungsverträge eine zusätzliche Funktion an, die der Funktion der Schutzpflichten im deutschen Recht weitestgehend entspricht.377

(b) Übertragbarkeit auf die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs.1 GR-Ch? Wenn damit auch konzeptionell eine Schutzfunktion in Bezug auf die Rechtsverbürgungen des Unionsrechts anerkannt ist, so stellt sich doch die Frage, ob eine solche Funktion auch speziell im Hinblick auf die heute in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verankerten, gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote zu bejahen ist. Im Rahmen der Erarbeitung der Grundrechte-Charta wurde die Frage grundrechtlicher Schutzpflichten bewusst ausgespart und der Klärung durch Rechtsprechung und Lehre überlassen.378 Der EuGH hatte über die Frage bisher noch nicht zu entscheiden. Im Schrifttum ist das Meinungsbild disparat. Es ist insoweit zwischen verschiedenen Unterscheidungsmerkmalen zu differenzieren.

372  Die Lehre wurde begründet von Dürig, in: Festschrift Nawiasky, 1956, S. 157, 176 ff. und später durch das Bundesverfassungsgericht im Lüth-Urteil rezipiert, vgl. BVerfG, Az. 1 BvR 400/51, E 7, 198, 204 ff. – Lüth. 373  Canaris, AcP) 184 (1984), 201, 225 ff. 374  Siehe dazu bereits oben b) dd) (2). 375 EuGH, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959, Tz. 32 – Kommission gegen Frankreich. 376 EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Tz. 59 – Schmidberger. 377 Ebenso W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393, 402. 378 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51 Rn. 31.

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(aa) Sicherstellung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern gemäß Artikel 23 GR-Ch, 8 AEUV Hinsichtlich der Diskriminierung wegen des Geschlechts – auch außerhalb des Gebots der Entgeltgleichheit – kann eine entsprechende Schutzpflicht der Union und der Mitgliedstaaten (vgl. Artikel 51 Abs. 1 S. 1) aus Artikel 23 GR-Ch hergeleitet werden.379 Nach dieser Norm, die letztlich Artikel 8 AEUV nachzeichnet, ist die Gleichbehandlung zwischen Frauen und Männern in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen. Die Norm bringt die besondere, auch historisch gewachsene Bedeutung der Geschlechtergleichbehandlung für das gesamte Recht der Europäischen Union zum Ausdruck. Sie findet ihre nationale Parallele in der speziellen Förderpflicht des Artikels 3 Abs. 2 GG, welchem anders als den Diskriminierungsverboten des Artikels 3 Abs. 3 GG ebenfalls eine Verpflichtung des Staates zum Schutz vor privater Diskriminierung entnommen werden kann. Den Schutzpflichtcharakter des Artikels 23 GR-Ch hat der EuGH implizit im Urteil Test Achats anerkannt. Denn indem der EuGH Artikel 5 Abs. 2 Gender-Richtlinie nicht isoliert an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch sondern zugleich an Artikel 23 GR-Ch misst, impliziert der EuGH, dass sich der für eine solche Prüfung notwendige Schutzpflichtcharakter des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots just aus der letztgenannten Norm ergibt.380

(bb) Artikel 5 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Im Hinblick auf Diskriminierungen wegen einer Behinderung lässt sich eine Schutzpflichtfunktion des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch aus Artikel 5 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 herleiten, welches nicht nur sämtliche Mitgliedstaaten sondern auch die Union selbst unterzeichnet haben. Die genannte Norm verpflichtet die Parteien des Übereinkommens gerade auch zur Etablierung von Regeln zum Schutz vor privaten Diskriminierungen. Da die Union als solche das Abkommen unterzeichnet hat, ist Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch mithin völkerrechtsfreundlich dahingehend auszulegen, dass er eine Pflicht zum Schutz vor privaten Diskriminierungen enthält.381 379  Ganz h.M.: Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 23 Rn. 14; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 366; Nussberger, in: Tettinger/Stern, Europäische Grundrechte-Charta, Art. 23 Rn. 111; Streinz, in: Streinz EUV/AEUV, Art. 23 GR-Ch Rn. 5. 380  Vgl. oben B. II. 2. Dies verkennt Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote im Privatrecht, S. 112, der aus der Heranziehung der Artikels 21 GR-Ch durch den EuGH im Urteil Test Achats auf eine mittelbare Drittwirkung aller Diskriminierungsverbote der Grundrechte-Charta schließen möchte. 381 Ähnlich Grünberger, Personale Gleichheit, S. 586.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

(cc) Im Übrigen: Keine Herleitung von Schutzpflichten aus Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch in Verbindung mit Artikel 14 EMRK Bis heute ungeklärt ist dagegen, ob auch hinsichtlich der übrigen, in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch aufgezählten Unterscheidungsmerkmale eine Schutzfunktion bejaht werden kann.382 Die Befürworter einer solchen Funktion ziehen zur Begründung zum Teil Artikel 14 EMRK als Rechtserkenntnisquelle heran,383 welchem der EGMR in bestimmten Konstellationen einen begrenzten Schutzpflichtcharakter bescheinigt hat. Diese Schlussfolgerung begegnet jedoch diversen Bedenken. Neben der bereits zuvor erörterten Frage, ob für die beiden Normen ein „Entsprechen“ im Sinne des Artikel 52 Abs. 3 GR-Ch zu bejahen ist,384 lässt sich die Rechtsprechung des EGMR zur Schutzfunktion des Artikels 14 EMRK nur begrenzt auf Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch übertragen, weil Artikel 14 EMRK als akzessorisches Grundrecht eine andere Normstruktur aufweist als Artikel 21 Abs. 1 GR‑Ch.385 Eine Verletzung des erstgenannten Diskriminierungsverbots kann nämlich nur dann geltend gemacht werden, wenn in diesem Zusammenhang gleichzeitig ein anderes (Freiheits-) Grundrecht der Konvention zumindest von seinem Anwendungsbereich her einschlägig ist. Zwar kann dieses andere Grundrecht ebenfalls nicht nur in seiner Abwehrfunktion, sondern gerade auch in seiner Leistungs- oder Schutzfunktion betroffen sein.386 Auch hat der EGMR den hierfür erforderlichen Bezug wiederholt relativ weit interpretiert. So fordert etwa das Recht auf Leben gemäß Artikel 2 EMRK nicht nur die strafrechtliche Verfolgung absichtlicher Tötungshandlungen durch die Konventionsstaaten sondern in Verbindung mit Artikel 14 EMRK auch die Untersuchung, ob bei der Straftat rassistische oder ethnische Vorurteile eine Rolle gespielt haben.387 Ein über die genannten Konstellationen hinausgehender allgemeiner Schutz vor privater Diskriminierung lässt sich dagegen aus Artikel 14 EMRK schwerlich herleiten, wenn auch speziell im Hinblick auf rassistisch

382  Gegen eine Schutzpflicht Hölscheidt, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 21 Rn. 54; Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Artikel 21 GR-Ch Rn. 10; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Artikel 21 GR-Ch Rn. 6; befürwortend dagegen Classen, EuR 2008, 627, 639; ebenso Jarass, GRCh, Artikel 21 Rn. 18, der hieraus eine Pflicht von Privatpersonen herleitet, die Gleichstellungsrichtlinien bereits vor Ablauf der Umsetzungspflicht zu beachten. Vorsichtig in diese Richtung tendiert auch Starke, EU-Grundrechte und Vertragsrecht, S. 203, der aber alternativ auch eine unmittelbare Bindung von Privatpersonen an Art. 21 GR-Ch für möglich hält. 383  Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 21 Rn. 18. 384  Siehe oben b) dd) (2) (b). 385  König/Peters, in: Grote/Marauhn, EMRK-GG, Kap. 21, Rn. 36; Lehner, Zivilrecht­ licher Diskriminierungsschutz, S. 253. 386  EGMR Nr. 59140/00 – Okpisz gegen Deutschland. 387  EGMR Nr. 43577/98 und Nr. 43579/98 – Nachova u.a. gegen Bulgarien.

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motivierte Diskriminierungen ein zaghafter Trend des EGMR 388 in diese Richtung auszumachen sein mag.389 Ob sich an diesem im Ganzen ernüchternden Befund durch das am 1.4.2005 in Kraft getretene, von Deutschland noch nicht ratifizierte 12. Zusatzprotokoll (ZP) zur EMRK etwas geändert hat, ist ebenfalls zweifelhaft. Zwar bestimmt Artikel 1 des 12. ZP, dass „der Genuss eines jeden Rechtes, das durch Gesetz eingeräumt wurde“ ohne Diskriminierung zu gewährleisten sei, und enthält damit für den Anwendungsbereich der EMRK erstmals ein nicht-akzessorisches Diskriminierungsverbot.390 Den Erläuterungen zu dieser Norm lässt sich andererseits entnehmen, dass Artikel 1 des 12. ZP den Mitgliedstaaten keine allgemeine positive Schutzpflicht zur Verhinderung jeglicher von Privatpersonen ausgehender Diskriminierung auferlegen soll.391 Inwieweit sich der Norm gleichwohl, wie bisweilen im Schrifttum vertreten,392 eine eng begrenzte Schutzpflicht zur Beseitigung privater Diskriminierungen in besonders sensiblen Bereichen wie dem Zugang zur Arbeit oder der Versorgung mit öffentlich angebotenen lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen entnommen werden kann, bleibt unklar.393

(dd) Die Antidiskriminierungsrichtlinien als Rechtserkenntnisquelle für einen Schutzpflichtfunktion des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch? – Von der inhaltlichen zur funktionalen Konkretisierung des Primärrechts Als Erfolg versprechender für die Herleitung einer über das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung hinausgehenden Pflicht der Mitgliedstaaten zum Schutz vor privater Diskriminierung könnte sich aber letztlich ein anderer dogmatischer Ansatz erweisen, welcher aus der oben herausgearbeiteten be388  Vgl.

EGMR, Nr. 4149/04, Z. 52 ff. – Aksu gegen Türkei. die Deutung von Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Auf. 2012, § 26, Rn. 22. 390  König/Peters, in: Grote/Marauhn, EMRK-GG, Kap. 21, Rn. 39; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 253. 391  Vgl. Explanatory Report (12. ZP) Z 25: „On the one hand, Article 1 protects against discriminations by public autorities. The article is not intended to impose a general positive obligation on the Parties to take measures to prevent or remedy all instances of discrimination in relations between private persons. …“ 392  König/Peters, in: Grote/Marauhn, Kap. 21, Rn. 72 („klare Rechtslücken in Bezug auf den Schutz vor Diskriminierung“); Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 253. 393  Vgl. Explanatory Report (12. ZP) Z 26, 28: „On the other hand it cannot be totally excluded that the duty to secure under the first paragraph of Article 1 might entail positive obligations. For example, this question could arise if there is a clear lacuna in domestic law protection from discrimination. …“; Z 28: „These considerations indicate that any positive obligations in the area of relations between private persons would concern, at the most, relations in the public sphere normally regulated by law for which the State has a certain responsibility (for example, arbitrary denial of access to work, access to restaurants or to services which private persons may make available to the public such as medical care or utilities such as water and electricity etc).“ 389  So

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sonderen Binnenstruktur des unionsrechtlichen gesellschaftspolitischen Diskriminierungsschutzes folgt. Zurückzukommen ist in diesem Zusammenhang zunächst auf die Feststellung, dass der EuGH im Urteil Mangold und den Folgeurteilen eine weitgehende Befugnis des Unionsgesetzgebers zur inhaltlichen Konkretisierung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote postuliert hat.394 Im Hinblick auf die hier aufgeworfene Frage, ob Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch den Mitgliedstaaten auch eine Pflicht zum Schutz vor privaten Diskriminierungen auferlegen, könnte der vom EuGH vorausgesetzten Konkretisierungsbefugnis des Sekundärrechtsgebers jedoch noch eine zusätzliche, viel weitergehende Bedeutung zukommen. Indem nämlich die Existenz derartiger Schutzpflichten, mit Ausnahme der in Artikel 23 GR-CH angeordneten Pflicht zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Diskriminierungen, nicht bereits als klassische Grundrechtsfunktion in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch angelegt ist, bedarf es zu ihrer Herleitung einer besonderen Rechtserkenntnisquelle. Artikel 14 EMRK vermag diese Quelle, wie gesehen, nicht zu liefern. Hierfür bestünde allerdings gar kein Bedürfnis, wenn sich die vom EuGH im Urteil Mangold vorausgesetzte Befugnis des Unionsgesetzgebers zur Konkretisierung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote nicht nur auf deren inhaltliche Ausgestaltung erstrecken würde, sondern zugleich auf eine etwaige, über das Verbot legislativer Ungleichbehandlung hinausgehende Schutzfunktion der in Rede stehenden primärrechtlichen Norm. Konkret müsste man also fragen, ob der in den Antidiskriminierungsrichtlinien enthaltene Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung privater Diskriminierung funktionale Rückkoppelungseffekte auf das entsprechende primärrechtliche Diskriminierungsverbot zeitigt.395 Auf den ersten Blick scheint sich ein solcher Ansatz mit bereits vorhandenen Ansätzen im Schrifttum zu decken, die den auf Grundlage des Artikel 19 AEUV (ex Art. 13 EG) erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien396 oder auch Artikel 19 AEUV selbst397 entsprechende Schutzpflichten entnehmen möchten. Die genannten Ansätze vermögen indes einen effektiven Schutz vor privater 394 

Siehe oben B. II. 1. Kokott/Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 271 wollen einen ähnliche Schussfolgerung bereits aus dem Urteil Kücükdeveci ziehen, welches aber, wie oben dargelegt, nur einen Fall legislativer Ungleichbehandlung betraf. 396  Dies klingt an bei Jarass, GR-Ch, Art. 21 Rn. 35 („mittelbare Bindung durch Regelungen zur Umsetzung der Schutzpflicht“). 397  Holoubek, in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 Rn. 4, möchte Artikel 19 AEUV nicht nur einen Schutzpflichtgehalt bestehender primärrechtlicher Diskriminierungsverbote, sondern darüber hinaus entgegen der h.M. das Diskriminierungsverbot als solches entnehmen; unklar dagegen Perner, Grundfreiheiten, Grundrechte-Charta und Privatrecht, S. 175 f. der einerseits zur Begründung des Schutzpflichtgehalts der Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch offensichtlich Artikel 19 AEUV als solchen heranziehen möchte, andererseits auf S. 177 von einem „schrittweisen Mitwachsen der Grundrechtecharta mit dem Unionsrecht“ spricht und damit wohl – entsprechend dem hier vertretenen Ansatz – den primärrechtlichen Schutzpflichtgehalt den Richtlinien entnimmt. 395 

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Diskriminierung bei näherer Betrachtung gerade nicht zu gewährleisten. So steht einer Herleitung von Schutzpflichten aus Artikel 19 AEUV bereits die Tatsache entgegen, dass es sich bei dieser Vorschrift lediglich um eine Kompetenznorm handelt, die etwaige Handlungspflichten des Unionsgesetzgebers oder der Mitgliedstaaten per se nicht zu begründen vermag.398 Dieser Einwand gilt zwar nicht für die auf Grundlage dieser Kompetenznorm erlassenen Antidiskriminierungsrichtlinien. Mit einer terminologischen Umetikettierung dieser Richtlinien bzw. des in ihnen enthaltenen Umsetzungsbefehls in „sekundärrechtliche Schutzpflichten“ ist aber keinerlei dogmatischer Mehrwert verbunden. Denn eine nur „sekundärrechtliche Schutzpflicht“ teilt letztlich auch die beschränkten Wirkungen des entsprechenden Sekundärrechtsakts und partizipiert somit gerade nicht an der vom EuGH postulierten Maßstabswirkung des Primärrechts für die Anwendbarkeit des nationalen Rechts. Der unionsrechtliche Schutz vor privater Diskriminierung wäre somit, beschränkt man sich auf diese Art sekundärrechtlicher Schutzpflicht, deutlich schwächer ausgeprägt als der Schutz vor legislativer Ungleichbehandlung. Eine solche Zweispurigkeit des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes vermeidet indes der hier vertretene Ansatz, wonach die Antidiskriminierungsrichtlinien nicht nur eine unmittelbare Rechtsquelle für „sekundärrechtliche Schutzpflichten“ darstellen, sondern zugleich eine Rechtserkenntnisquelle für die Existenz entsprechender primärrechtlicher Schutzpflichten.399 Der EuGH selbst hat diesen entscheidenden Gedankenschritt indes noch nicht vollzogen. In den Fällen Mangold und Kücükdeveci kam das dort inhaltlich durch die Richtlinie 2000/78/EG konkretisierte Verbot der Altersdiskriminierung in seiner klassischen Funktion eines Verbots legislativer Ungleichbehandlung zum Tragen. Die Frage des Schutzes vor privater Diskriminierung stellte sich hier nicht. Im Fall Test Achats ging es zwar just um den Schutz vor geschlechtsbedingter Diskriminierung durch private Versicherungsunternehmen. Hier konnte der EuGH den Schutzpflichtcharakter des primärrechtlichen Verbots der Geschlechtsdiskriminierung jedoch unproblematisch der in Artikel 23 GR-Ch verankerten Förderpflicht entnehmen. Der bisher fehlende Anlass für eine Herleitung des Schutzpflichtcharakters der Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch aus dem konkretisierenden Sekundärrecht sollte indes nicht zu dem Schluss verleiten, dass der EuGH den im Urteil Mangold beschrittenen Weg bei gegebenem Anlass nicht zu Ende gehen würde. Hierfür spricht schon, dass die funktionale Konkretisierung des Primärrechts durch Sekundärrecht in der übrigen Rechtsprechung des EuGH kein Novum 398 EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6067, Tz. 55 – Navas, sowie die ganz h.M. im Schrifttum: Nachweise siehe oben Erster Teil, § 3. B. III. 2. c), Fußnote 132. 399  Ähnlicher Ansatz bei Perner, Grundfreiheiten, Grundrechtecharta und Privatrecht, S. 175 f., der als Rechtserkenntnisquelle für eine Schutzpflichtfunktion der Diskriminierungsverbote allerdings nicht die Richtlinien, sondern Artikel 19 AEUV heranziehen möchte.

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darstellt. So hat der EuGH im Urteil Walrave sogar eine unmittelbare Horizontalwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit jedenfalls ergänzend aus dem Inhalt der Verordnung Nr. 1612/68 hergeleitet, nach welcher das dort konkretisierte Diskriminierungsverbot auch für Einzelarbeitsverträge und Kollektivvereinbarungen gelten sollte.400 Neu im Hinblick auf die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch wäre freilich der zwingende Charakter einer solchen funktionalen Konkretisierung. Denn während die Grundfreiheiten als bereits in den Gründungsverträgen verankerte primärrechtliche Verbürgungen die Mitgliedstaaten auch unabhängig einer sekundärrechtlichen Konkretisierung zu binden vermögen, ist die Bindung der Mitgliedstaaten an Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch wegen der beschränkten Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte der Charta vom Erlass grundrechtskonkretisierender und -aktivierender Sekundärrechtsakte abhängig. Mit anderen Worten: Im Urteil Walrave kam der Verordnung Nr. 1612/68 in Bezug auf eine eventuelle Horizontalwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit allenfalls eine (starke) Indizwirkung zu; die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR‑Ch werden hingegen bereits in rechtlicher Hinsicht nur mit dem Inhalt und in der Funktion für die mitgliedstaatliche Bindung aktiviert, welchen die aktivierende Richtlinie vorgibt. Hieraus folgt, dass den Antidiskriminierungsrichtlinien im Zusammenhang mit dem das Antidiskriminierungsrecht prägenden Schutz vor privater Diskriminierung eine noch fundamentalere Bedeutung zukommt als im Rahmen des Verbots legislativer Ungleichbehandlung, indem hier der primärrechtliche Rechtsatz sowohl inhaltlich wie funktional der Konkretisierung durch Sekundärrecht bedarf und damit auf den Charakter eines beliebig aufladbaren Torsos herabgestuft wird.401

cc) Zwischenfazit zur Ausschlusswirkung Nach dem soeben Gesagten bedingt die funktionale Prägung des Artikels 21 Abs. 1 durch die diese Norm konkretisierenden Antidiskriminierungsrichtlinien eine auch im Rahmen dieser Norm bestehende Pflicht der Mitgliedstaaten zum Schutz vor privater Diskriminierung. Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch ist mithin auch im Bereich privater Diskriminierung einschlägig und vermag, anders als die Antidiskriminierungsrichtlinien selbst, entgegenstehendes nationales Recht als Folge seiner Ausschlusswirkung zu verdrängen. Die bereits im Abschnitt B herausgearbeiteten dogmatischen Besonderheiten im Binnengefüge des unionalen Diskriminierungsschutzes schlagen damit letztlich auf das

400 EuGH,

Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405, Tz. 23 – Walrave. Im Ansatz auch Perner, Grundfreiheiten, Grundrechtecharta und Privatrecht, S. 177, wonach die Grundrechte-Charta „in ihrer Bedeutung mit dem Unionsrecht mitwächst“. 401 

§ 1 Die unionsrechtliche Ebene

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Außenverhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht durch. Die inhaltliche wie funktionale Prägung der Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch durch die Antidiskriminierungsrichtlinien markiert in diesem Sinne die eine Seite der Medaille. Die andere Seite besteht darin, dass über den Gleichlauf von Sekundär- und Primärrecht letztlich eine negative Ausschlusswirkung des Unionsrechts in Bezug auf entgegenstehendes nationales Recht erreicht wird, obwohl den Antidiskriminierungsrichtlinien für sich genommen eine solche Wirkung gerade nicht zukommt. Primärrechtliche und sekundärrechtliche Diskriminierungsverbote profitieren damit wechselseitig in geradezu symbiotischer Weise voneinander, indem ihre jeweiligen Eigenschaften miteinander kombiniert werden.402

d) Folgen für den Untersuchungsgegenstand Gerade im Hinblick auf die damit verbundene Ausschlusswirkung der unionsrechtlichen Vorgaben gegenüber dem nationalem Recht kommt der vorstehend konstatierten Prägung des Primärrechts durch das Sekundärrecht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand zu; vermag diese Ausschlusswirkung doch den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Antidiskriminierungsrechts maßgeblich zu beeinflussen. Für das deutsche Recht ist dies insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der Vorschriften des AGG relevant, soweit sich diesbezüglich im Verlaufe der weiteren Untersuchung Umsetzungsdefizite ergeben sollten. Manifestiert sich ein solches Umsetzungsdefizit in einer zu weit geratenen Ausnahme- bzw. Rechtfertigungsvorschrift, ist ein deutsches Gericht gehalten, die entsprechende Vorschrift außer Anwendung zu lassen, sofern eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung nicht möglich ist. Dies gilt sowohl für die Ausgestaltung des streng durch die Richtlinien determinierten Tatbestandes als auch der Rechtsfolgen der jeweiligen Norm. Zwar soll sich in Bezug auf letztere nach teilweise vertretener Auffassung ein ähnliches Ergebnis bereits aus der Erwägung herleiten lassen, dass Verstöße gegen die unionsrechtlichen Vorgaben für die effektive Durchsetzung des Unionsrechts403 der primärrechtlichen Pflicht zur Unionstreue (Artikel 4 Abs. 3 EUV) zuzuordnen seien und schon aus diesem Grund an der Ausschlusswirkung des Primärrechts partizipierten.404 Die 402 

Zu dieser symbiotischen Beziehung bereits Mörsdorf, EuR 2009, 219, 237. Zu den Pflichten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die effektive Durchsetzung unional eingeräumter subjektiver Rechte siehe ausführlich unten Vierter Teil § 1 D. I. 2. 404  Dougan, CLJ 59 (2000) 586, 592 f. unter fälschlicher Berufung auf EuGH, Rs. C-180/95 – Draehmpaehl; Fischinger, NZA 2010, 1048, 1052; Hatje, in: Festschrift Rengeling, S. 248, 258 ff.; Kolbe, EuZA 2011, 65, 67 unter fälschlicher Berufung auf EuGH, C‑327/00 (Santex), Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 129; noch weitergehend offensichtlich Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 314, der aus Artikel 5 EGV (Art. 4 Abs. 3 EUV) unmittelbar privatrechtliche Rechtsfolgen ableiten möchte, wenn bisheriges 403 

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

Verankerung des Gebots der Unionstreue im Primärrecht vermag aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich dieses Gebot in der vorliegenden Konstellation auf die Umsetzung einer Richtlinie bezieht und daher in seiner Wirkung grundsätzlich nicht über die Wirkung hinausgehen kann, welche der EuGH Richtlinien gemeinhin zuspricht.405 Im Horizontalverhältnis scheidet aber die unmittelbare Herleitung von Rechten aus nicht oder nicht korrekt umgesetzten Richtlinien nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ebenso aus wie die bloße Nichtanwendung richtlinienwidrigen nationalen Rechts406. Insoweit kann es keinen Unterschied machen, ob sich der Umsetzungsverstoß des nationalen Gesetzgebers auf die Einräumung der privatrechtlichen Rechtsposition als solcher bezieht oder auf die nicht ausreichende Sanktionierung eines Verstoßes gegen diese Rechtsposition. In beiden Fällen würde über eine Nichtanwendung der richtlinienwidrigen nationalen Vorschriften eine durch die Richtlinie nicht adressierte Privatperson belastet.407 Anders verhält es sich nach den in diesem Abschnitt herausgearbeiteten Grundsätzen aber dann, wenn durch die Richtlinie nicht eine beliebige Rechtsposition eingeräumt wird, sondern ein im Primärrecht verankertes Diskriminierungsverbot inhaltlich wie funktional definiert wird. Hier ergibt sich die Ausschlusswirkung richtlinienwidrigen nationalen Rechts einschließlich unzureichender Sanktionen aus dem Verstoß gegen das inhalts- und funktionsgleiche primärrechtliche Diskriminierungsverbot. Die inhaltlich-funktionale Verschmelzung der Regelungsebenen im Bereich des unionsrechtlichen Antidiskriminierungsrechts führt somit – auch in Bezug auf die Rechtsfolgen privater Verstöße – zu einer gesteigerten Durchschlagskraft des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht.

staatliches Recht die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht garantiert. Vorsichtiger dagegen ders. in CML Rev. 34 (1997), 1259, 1266 (zum Urteil Draehmpaehl): „Shortcomings in the latter field [sanctions, d.V.] could be overcome by the direct application of Article 5 EC. We cannot claim that this is lex lata. Nevertheless, if the aim is full enforcement of directives, the possibility should be left open for a more direct impact via Article 5 EC.“ 405  Kritisch auch Classen, JZ 1997, 724, 725, Rörig, Direktwirkung, S. 57 sowie jüngst von Kiel­manns­egg, EuR 2014, 30, 38 (dort Fußnote 37), der es für höchst fragwürdig ansieht, einem Sekundäranspruch eine Horizontalwirkung zuzusprechen, die dem damit bewehrten Primäranspruch nicht zukommt; differenzierend Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 428, der eine unmittelbare Wirkung des Grundsatzes der effektiven Rechtsdurchsetzung nur dann für möglich hält, wenn sich die entsprechenden Vorgaben, wie etwa im Verfahrensrecht, allein aus dem Primärrecht ohne Rückgriff auf die das subjektive Recht etablierende Richtlinie ermitteln lässt. 406  Siehe oben c) bb) (1). 407  So verwundert es auch nicht, dass der EuGH eine Nichtanwendbarkeit nationaler Sanktionsvorschriften wegen Verstoßes gegen Artikel 4 Abs. 3 EUV bzw. Art. 5/10 EGV bisher nur in Rechtsstreitigkeiten des Bürgers gegen den Staat festgestellt hat. In dieser Konstellation kann sich der Bürger aber ohnehin nach der Rechtsprechung des EuGH unmittelbar auf die Richtlinie als solche berufen.

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§ 2 Die nationale Ebene Ungeachtet der soeben herausgearbeiteten, weitgehenden unionsrechtlichen Determinierung des deutschen Antidiskriminierungsrechts begegnet dieses Rechtsgebiet dem nationalen Rechtsanwender im Wesentlichen in den Normen des deutschen Rechts und hier vornehmlich den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Es sind – mit Ausnahme von Artikel 18 Abs. 1 AEUV – diese nationalen Normen und nicht die Normen des Unionsrechts, welche der Richter im Prozess anzuwenden hat, vorbehaltlich allerdings einer unionsrechtskonformen Auslegung oder – als ultima ratio – der Nichtanwendung einer deutschen Regelung im Falle der Unvereinbarkeit dieser Regelung mit den Vorgaben des Unionsrechts.

A. Verfassungsrecht Bevor wir uns aber der einfachgesetzlichen Regelungsebene des deutschen Antidiskriminierungsrechts zuwenden, ist zunächst ein kurzer Blick auf die diesbezüglichen Vorgaben des Grundgesetzes angebracht; sind doch die Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung Kernanliegen des nationalen Grundrechtsschutzes jedenfalls im Verhältnis des Bürgers zum Staat. Es scheint sich damit die Frage aufzudrängen, wie sich das Grundgesetz zu privaten Diskriminierungen verhält und welchen konkreten Vorgaben Gesetzgebung und Rechtsprechung insoweit unterliegen.

I. Die beschränkte Maßstabswirkung des Grundgesetzes für das deutsche Antidiskriminierungsrecht Gegen eine eingehende Befassung mit den Vorgaben des Grundgesetzes in Bezug auf den Schutz vor privater Diskriminierung spricht indes die bereits an anderer Stelle gewonnene Erkenntnis, dass die nationalen Grundrechte in diesem Rechtsbereich weitgehend durch die Unionsgrundrechte verdrängt werden.408 Die Verdrängung als solche wurde dabei aus der Qualifizierung privater Diskriminierungsverbote als Regelung eines multipolaren Rechtsverhältnisses hergeleitet, in welchem die Begünstigung des einen Bürgers stets mit der Belastung 408 

Siehe oben § 1 C. II. 2. c) bb.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

eines anderen Bürgers korrespondiert. Eine kumulierte Anwendung unionaler und nationaler Grundrechte führt hier nicht wie im klassischen Vertikalverhältnis zu einer Meistbegünstigung des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern zu potentiellen Wertungswidersprüchen in Bezug auf die Abwägung privater Rechtspositionen, welche zugunsten des vorrangigen unionalen Grundrechtsschutzes aufzulösen sind. Inwieweit die nationalen Grundrechte in multipolaren Rechtsverhältnissen zur Anwendung kommen, ist somit abhängig vom Anwendungsbereich des unionalen Grundrechtsschutzes. Im Rahmen des auf unionsrechtliche Richtlinien zurückzuführenden deutschen Antidiskriminierungsrechts reicht dieser Anwendungsbereich äußerst weit. Denn nach der hier vertretenen Auffassung sind die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien nicht nur insoweit an die Unionsgrundrechte gebunden, als die Richtlinie oder das sonstige Unionsrecht zwingende Vorgaben enthalten, sondern auch soweit die Mitgliedstaaten zwar über einen Umsetzungsspielraum verfügen, damit aber gleichwohl aus unionsrechtlicher Veranlassung agieren. Außerhalb des Anwendungsbereichs der unionalen Grundrechte liegen demzufolge ausschließlich solche Regelungen des deutschen Antidiskriminierungsrechts, die weder unionsrechtlich determiniert sind, noch – wie große Teile des Sank­ tionsregimes – unionsrechtlich veranlasst sind. Dies trifft etwa auf solche Regelungen des AGG zu, die das unionsrechtlich nur für den Bereich Beschäftigung und Beruf vorgesehene Verbot der Diskriminierung wegen der Religion, der Behinderung, des Alters und der sexuellen Identität auch auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistung erstrecken.409 Lediglich dieser „überschießend“ umgesetzte Teil des AGG unterliegt mithin eine Kontrolle am Maßstab des Grundgesetzes. Die im deutschen Schrifttum zum Teil intensiv geführte Debatte über die verfassungsrechtliche Bewertung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote mutet vor diesem Hintergrund befremdlich an. Es sei insoweit erneut auf die zutreffende Feststellung von Jestaedt verwiesen, wonach in Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht der Maßstabwechsel vom nationalen Verfassungsrecht hin zum Unionsrecht im Schrifttum noch nicht vollständig realisiert wurde.“410

409  Zur diesbezüglich nach wie vor bestehenden „Lücke“ im unionalen gesellschaftspolitischen Diskriminierungsschutz siehe oben Zweiter Teil § 1 A. II. 2. c) bb). 410  Jestaedt, VdVdDSL 64 (2005) S. 298, 304, dort Fußnote 27; siehe dazu bereits oben Erster Teil § 2 B. II. 1.

§ 2 Die nationale Ebene

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II. Die Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts für das autonom-nationale Antidiskriminierungsrecht – Zwischen Übermaß und Untermaßverbot Soweit nach dem soeben Gesagten eine Kontrolle des deutschen Antidiskriminierungsrechts am Maßstab des Grundgesetzes überhaupt in Betracht kommt, stellt sich der diesbezügliche Diskussionsstand wie folgt dar.411 Einigkeit besteht darüber, dass sich die Adressaten potentieller privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote auf die in Artikel 2 Abs. 1 GG wurzelnde Privatautonomie in ihrer Abwehrfunktion berufen können. Die Etablierung von Diskriminierungsverboten stellt sich als Eingriff in dieses Grundrecht dar und bedarf als solche der Rechtfertigung durch widerstreitende Rechtspositionen des Diskriminierten. Da die (potentielle) Grundrechtsbeeinträchtigung nicht vom Staat, sondern von Privaten ausgeht, können Grundrechte des Diskriminierten insoweit nur in ihrer Schutzfunktion zum Tragen kommen.412 Nicht geklärt ist aber, aus welchen Grundrechtspositionen des Diskriminierten sich etwaige staatliche Schutzpflichten herleiten lassen. Aus thematischen Gründen naheliegend wäre es eigentlich, insoweit auf die Gleichheitssätze des Artikels 3 GG zurückzugreifen. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, besteht aber in Deutschland eine erhebliche Scheu davor, den traditionell staatsgerichteten Gleichheitsverbürgungen des Grundgesetzes eine gesellschaftliche (d.h. auch private Rechtsverhältnisse in den Blick nehmende) Dimension zuzuerkennen.413 So wird dann auch nahezu einhellig eine Herleitung von Schutzpflichten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG abgelehnt.414 Als disparater stellt sich das Meinungsbild im Hinblick auf die besonderen Gleichheitssätze der Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG dar. Teilweise wird die Herleitung einer Schutzpflicht aus Artikel 3 Abs. 3 GG, der eine Diskriminierung des Bürgers wegen bestimmter Merkmale verbietet, bejaht415 – mehr-

411  Eine eingehende Analyse der verfassungsrechtlichen Vorgaben für privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote findet sich bei Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 213. 412  Baer, Würde oder Gleichheit?, S. 237 ff.; Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 66 ff.; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 34 ff. 413  Siehe oben Erster Teil § 2 B. 414  Siehe nur Canaris, AcP, 184 (1984), 201, 236; Classen, EuR 2008, 627, 641; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 420; Dietlein, Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. S. 84; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 68; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 125; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 175; Thüsing, in: MüKoBGB, Einleitung, Rn. 38; a.A. aber Szcekalla, Schutzpflichten, S. 338 ff. 415  Canaris, AcP, 184 (1984), 201, 236; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 80; Szcekalla, Schutzpflichten, S. 338 ff.; Eine Schutzpflichtcharakter aller besonderen Gleichheitssätze im Hinblick auf deren über den nur modalen allgemeinen Gleichheitssatz hinausgehende inhaltliche Wertungen bejaht Classen, EuR 2008, 627, 641.

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

heitlich aber abgelehnt.416 Dagegen bejaht die wohl h.M. einschließlich des Bundesverfassungsgerichts die Herleitung einer Pflicht des Staates zur Herstellung der Gleichheit von Mann und Frau auch im gesellschaftlichen Bereich aus Artikel 3 Abs. 2 GG.417 Alternativ hierzu sowie im Hinblick auf andere, nicht in Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG aufgeführten Unterscheidungsmerkmale wird im Schrifttum die Herleitung einer staatlichen Pflicht zum Schutz vor privater Diskriminierung aus dem in den Artikeln 1 und 2 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder aus der (materiell verstandenen) Privatautonomie des Diskriminierten erwogen.418 Unabhängig davon, aus welcher Verbürgung des Grundgesetzes man eine Schutzpflicht des Staates im Hinblick auf die Bekämpfung privater Diskriminierungen herleiten möchte, sind die hieraus dem Staat erwachsenden Vorgaben hinsichtlich Etablierung und Ausgestaltung von Diskriminierungsverboten jedenfalls weniger klar definiert als die diesbezüglichen Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien im unionsrechtlich determinierten Bereich des deutschen Antidiskriminierungsrechts. Leitplanken staatlichen Handelns stellen insoweit lediglich das Übermaß- und Untermaßverbot dar.419 Innerhalb dieses Rahmens verfügt der Staat hingegen über eine Fülle von Alternativen zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den Grundrechtspositionen der Verbotsadressaten und den Grundrechtspositionen potentieller Diskriminierungsopfer. Anders als in Bezug auf die detaillierten unionsrechtlichen Vorgaben werden sich daher Verstöße des deutschen Gesetzgebers gegen die Vorgaben des Grundgesetzes – auch unter Berücksichtigung der dem Gesetzgeber einzuräumenden Einschätzungsprärogative – nur schwerlich ausmachen lassen. Auch diese Feststellung verdeutlicht den eher geringen Stellenwert verfassungsrechtlicher Erwägungen im Bereich des deutschen Antidiskriminierungsrechts.

416  Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Artikel 3 Rn. 132 f.; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 209; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 493 f. 417 BVerfG, 1 BvR 251/86, E 89/276, Tz. 37 ff.; Britz, in: VdVdDSL 64 (2005) S. 355, 364, Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Artikel 3 Rn. 91; Schiek, in: Schiek, AGG, Einleitung Rn. 38; a.A. aber Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 223 f. 418  Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 226 ff. 419  Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 260 ff.; allgemein zum Untermaßverbot Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff.

§ 2 Die nationale Ebene

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B. Einfaches Gesetzesrecht I. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 1. Überblick Zentrale einfachgesetzliche Regelung zum Schutz vor privatrechtsbezogenen Diskriminierung in Deutschland ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches am 18.8.2006 in Kraft getreten ist. Das Gesetz verbietet Diskriminierungen allgemein im Erwerbsleben sowie in Bezug auf bestimmte, gesetzlich näher definierte zivilrechtliche Vertragsverhältnisse. Dem öffentlichen Recht unterliegende Rechtsverhältnisse sind dagegen, abgesehen vom Erwerbsleben (vgl. § 24 AGG), nicht erfasst. Das AGG bleibt insoweit hinter den Anforderungen der Antidiskriminierungsrichtlinien zurück, welche nicht nach der Ausgestaltung des von der Diskriminierung betroffenen Rechtsverhältnisses differenzieren. Die diesbezüglich bestehenden Lücken des einfachgesetzlichen Diskriminierungsschutzes in Deutschland lassen sich indes, jedenfalls vorübergehend, durch eine insoweit in Betracht kommende unmittelbare Anwendung der Antidiskriminierungsrichtlinien im Verhältnis Bürger-Staat schließen.

2. Partielle Determinierung durch Vorgaben des Unionsrechts Wie bereits mehrfach ausgeführt, dient der Erlass des AGG im Wesentlichen der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, genauer gesagt der vier zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes bestehenden Antidiskriminierungsrichtlinien. Das Gesetz ist damit zu weiten Teilen durch die Vorgaben des Unionsrechts determiniert oder doch zumindest, soweit der Gesetzgeber etwa im Bereich der Rechtsfolgenregelungen Umsetzungsspielräume ausgeschöpft hat, durch unionsrechtliche Vorgaben veranlasst. Dies gilt uneingeschränkt für das in §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 6 ff., 24 AGG statuierte Verbot der Diskriminierung im Erwerbsleben, dessen Etablierung und Ausgestaltung hinsichtlich aller in § 1 AGG aufgezählter Unterscheidungsmerkmale durch die Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/EG vorgegeben ist. Auch das in §§ 2 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, 19 ff. AGG statuierte allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot lässt sich hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft unmittelbar aus dem Unionsrecht herleiten (vgl. RL 2000/43/EG und 2004/113/EG). Nicht unionsrechtlich determiniert oder veranlasst ist hingegen das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot, soweit es sich auch auf die Merkmale Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität erstreckt. Denn die hinsichtlich der Diskriminierung außerhalb des Erwerbslebens einschlägigen Richtlinien 2000/43/EG und 2004/113/EG sehen insoweit nur ein Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder wegen des

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

Geschlechts vor. Zwar existiert bereits seit längerem ein Richtlinienentwurf der Kommission, der diese Lücke im unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz schließen soll. Die Verhandlungen im Rat über die Verabschiedung des Entwurfs sind jedoch ins Stocken geraten.420 Ausgehend vom derzeitigen Stand des Unionsrechts fehlt es § 19 AGG somit partiell an einer unionsrechtlichen Unterfütterung. Die in dieser Norm statuierte Erstreckung des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots auf nahezu alle Unterscheidungsmerkmale des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbots (mit Ausnahme der Weltanschauung) geht vielmehr auf eine autonome Entscheidung des deutschen Gesetzgebers zurück, was seinerzeit nicht unwesentlich zu der heftig geführten Debatte über die Legitimität zivilrechtlicher Diskriminierungsverbote beigetragen hat. Die überschießende Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien durch den deutschen Gesetzgeber impliziert jedoch nicht, dass den entsprechenden Richtlinienvorgaben insoweit keine Bedeutung für die Auslegung des § 19 AGG zukäme. Es stellt sich hier vielmehr zunächst wie allgemein im Bereich des unionsrechtlich überformten nationalen Rechts die Frage, ob eine nur partiell in den Anwendungsbereich unionsrechtlicher Vorgaben fallende nationale Norm einheitlich richtlinienkonform auszulegen ist, oder ob auch eine gespaltene Auslegung in Betracht kommt.421 Dem Unionsrecht selbst lässt sich keine Pflicht zur einheitlichen Auslegung des nationalen Rechts entnehmen.422 Anerkannt ist aber, dass eine solche Pflicht aus den Regeln der nationalen Methodik und hier speziell aus einer teleologischen Auslegung der betreffenden nationalen Norm folgen kann.423 Denn letztlich ist mit der überschießenden Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben regelmäßig das gesetzgeberische Ziel verbunden, über den Erlass einer einheitlichen Norm der Zersplitterung des nationalen Rechts entgegenzuwirken.424 Diese Zielsetzung kann jedoch im Einzelfall 420 

Siehe oben Zweiter Teil § 1 A. II. 2. c) bb). zu dieser Frage W.-H. Roth, in: Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 883 ff.; Koch, JZ 2006, 277, 284; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545 ff.; Schnorbus, RabelsZ 65 (2001), 654 ff. 422  BGHZ 195, 135, Tz. 20; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 545, 548 ff.; a.A. W.-H. Roth, in: Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 847, 883 ff. unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach die nationalen Gerichte berechtigt sind, dem EuGH auch dann gemäß Artikel 267 AEUV Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, wenn streitentscheidende Norm des Ausgangsverfahrens eine nationale Norm ist, für welche der nationale Gesetzgeber freiwillig unionsrechtliche Vorgaben übernommen hat; vgl. hierzu EuGH, Rs. C‑297/88, Slg. 1990, I-3763 – Dzodzi, Tz. 36 f., wo der Gerichtshof sogar ein offensichtliches Interesse der Gemeinschaftsordnung an einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts unabhängig von den Voraussetzungen seiner Anwendung konstatiert (Tz. 37); zuletzt in diesem Sinne EuGH, Rs. C-184/12, EU:C:2013:663, Tz. 31 – Unamar. Ob sich allein aus einem Interesse der Union an einer einheitlichen Auslegung unionsrechtlich geprägter nationaler Normen eine entsprechende Verpflichtung der nationalen Gerichte herleiten lässt, erscheint gleichwohl zweifelhaft. 423  BGHZ 195, 135, Tz. 20; Koch, JZ 2006, 277, 284; Mayer/Schürnbrand, JZ 2004, 531. 424  Herresthal, in: Langebucher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, § 2 Rn. 96. 421  Siehe

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hinter die mit dem Erlass der konkreten Regelung verbundene Sachentscheidung zurücktreten. Im Hinblick auf § 19 AGG ist letzteres aber gerade nicht der Fall. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der überschießenden Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben lediglich sicherstellen, dass Diskriminierungen wegen der unionsrechtlich nicht erfassten Merkmale „nicht ungeregelt bleiben“.425 Konkrete, von den Vorgaben der Richtlinien abweichende inhaltliche Vorstellungen verband der Gesetzgeber hiermit offensichtlich nicht, zumal er das Regelungskonzept der Richtlinien insgesamt gutheißt. Die Vorgaben der Richtlinien in ihrer jeweiligen Auslegung durch den EuGH sind daher bei der Auslegung des § 19 AGG in dem gesamten Anwendungsbereich der Norm zu berücksichtigen.426

3. Struktur und Inhalt des Gesetzes Das AGG weist eine für deutsche Kodifikationen typische AT/BT-Struktur mit einer sich über mehrere Regelungsebenen erstreckenden, bisweilen kompliziert anmutenden Verweisungstechnik auf. Vorangestellt ist mit Abschnitt 1 (§§ 1 bis 5 AGG) ein nicht als solcher bezeichneter Allgemeiner Teil, in welchem zentrale Regelungen und Definitionen „vor die Klammer gezogen“ werden. § 1 AGG bezeichnet in sehr allgemeiner Form als Ziel des Gesetzes die Verhinderung und Beseitigung von Benachteiligungen wegen der dort im Einzelnen aufgezählten Unterscheidungsmerkmale. § 2 AGG umschreibt den gegenständlichen und personellen Anwendungsbereich des Gesetzes und enthält damit bereits im Kern das erwerbsbezogene und allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot, verweist jedoch hinsichtlich der genauen Ausgestaltung dieses Verbots auf die Vorschriften des besonderen Teils („nach Maßgabe dieses Gesetzes“). § 3 AGG enthält Legaldefinitionen für die einzelnen Formen der Benachteiligung, namentlich die unmittelbare und mittelbare Benachteiligung, die Belästigung sowie die Anweisung zur Benachteiligung. §§ 4 und 5 AGG regeln mit der Mehrfachdiskriminierung und der Rechtfertigung positiver Maßnahmen ebenfalls Probleme mit Bezug zu allen Diskriminierungsverboten. Diese Diskriminierungsverbote werden sodann in den Abschnitten 2 und 3 des Gesetzes näher spezifiziert. Abschnitt 2 (§ 6 bis 18 AGG) enthält Regelungen zum erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot. Neben einer Wiederholung des bereits in § 2 AGG statuierten Verbots als solchem (§§ 7, 18 AGG) findet sich in § 6 AGG eine genaue Umschreibung des persönlichen Anwendungsbereichs (Beschäftigte und diesen gleichgestellte Personen). §§ 8 bis 10 AGG enthalten allgemeine sowie spezifisch auf einzelne Unterscheidungsmerkmale bezogene Gründe für eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. § 15 425 

BT-Drs. 16/1780, S. 26. So jetzt auch BGHZ 193, 110 Tz. 42 in Bezug auf die einheitliche Auslegung des Merkmals Alter. 426 

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Zweiter Teil: Die Rechtsquellen des Diskriminierungsschutzes in Deutschland

AGG regelt die Rechtsfolgen von Verstößen gegen das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot. §§ 11 bis 14 AGG sowie §§ 16 und 17 AGG enthalten das Diskriminierungsverbot als solches oder dessen Sanktionierung flankierende Verpflichtungen des Arbeitgebers. Eine ähnliche Struktur wie die Regeln zum erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot weisen auch die in Abschnitt 3 (§§ 19 bis 22 AGG) enthaltenen Sonderregeln zum allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot auf. § 19 AGG spezifiziert das bereits in § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG statuierte Diskriminierungsverbot durch Etablierung eines in gegenständlicher Hinsicht sowie hinsichtlich der jeweils erfassten Unterscheidungsmerkmale gestaffelten Schutzregimes. Während § 19 Abs. 1 AGG für Massengeschäfte und Versicherungsverträge − in überschießender Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben − ein Diskriminierungsverbot hinsichtlich aller in § 1 AGG aufgezählter Unterscheidungsmerkmale mit Ausnahme der Weltanschauung etabliert, statuiert § 19 Abs. 2 AGG in Bezug auf die sonstigen in § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 AGG aufgezählten Schuldverhältnisse nur den von der Richtlinie 2000/43/EG vorgegebenen Schutz vor rassischer oder ethnischer Diskriminierung. § 20 AGG enthält eine einheitliche Regelung zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen aller vom zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot erfassten Unterscheidungsmerkmale mit Ausnahme von Rasse und ethnischer Herkunft. Die zentrale Regelung zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot findet sich in § 21 AGG. In den Abschnitten 4 bis 6 des Gesetzes hat der Gesetzgeber wiederum zentrale, hinsichtlich aller Diskriminierungsverbote relevante Regelungen gleichsam „hinter die Klammer“ gezogen. Die Regeln betreffen den Rechtsschutz des Diskriminierungsopfers (§§ 22, 23 AGG), die (systemwidrige) Erstreckung des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbots auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, die Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie Schlussbestimmungen.

II. Sonstige Regelungen mit Bezug zum Antidiskriminierungsrecht Neben Ansprüchen aus dem AGG können sich im Falle privatrechtsbezogener Diskriminierungen für das Diskriminierungsopfer unter zusätzlichen Voraussetzungen auch Ansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen ergeben. In Betracht kommen etwa deliktische Ansprüche wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. § 823 Abs. 1 BGB sowie wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB. Möglich erscheint des Weiteren ein Schadensersatzanspruch des Diskriminierungsopfers aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, sofern die in Frage stehende Diskriminierung im Rahmen von

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bereits eingeleiteten Vertragsverhandlungen oder in einer sonstigen Anbahnungssituation erfolgt ist. Als weitere Regelungen mit Bezug zum Antidiskriminierungsrecht kommen auf den ersten Blick die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sowie § 242 BGB in Betracht. Dies folgt aus § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen von Beschäftigungsverhältnissen nicht die Regelungen des AGG, sondern ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes gelten sollen. Wie an späterer Stelle noch näher dargelegt werden wird, ist diese Regelung indes nicht mit den diesbezüglichen Vorgaben des Unionsrechts zu vereinbaren und aus diesem Grunde außer Acht zu lassen.

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Dritter Teil:

Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots Die ersten beiden Teile dieser Untersuchung dienten dazu, die ratio legis der in Deutschland geltenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote zu ergründen und die das deutsche Antidiskriminierungsrecht steuernden bzw. regelnden unionalen wie nationalen Rechtsquellen in ihrer vielfältigen Verflechtung zu analysieren. Hiermit wurde eine unverzichtbare Grundlage gelegt, um nunmehr im nächsten Schritt den Tatbestand des in § 1 AGG statuierten Diskriminierungsverbots unter die Lupe zu nehmen. Was beinhaltet dieses Verbot und wer ist daran in welchem Bereich seines privatrechtsbezogenen Handelns gebunden? Diesen Fragen soll im Folgenden, stets unter Einbeziehung der bereits erarbeiteten dogmatischen Grundlagen, nachgegangen werden. Hierbei ist zunächst ein Hinweis angebracht: Wenn soeben vom „Diskriminierungsverbot“ als solchem gesprochen wurde, geschah dies im Bewusstsein des Umstands, dass das AGG im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben streng genommen eine Vielzahl unterschiedlicher Diskriminierungsverbote statuiert, die sich jeweils anhand der vom AGG erfassten Unterscheidungsmerkmale, Vertragsverhältnisse und Handlungsformen ergeben. So lässt sich etwa hinsichtlich der verbotenen Unterscheidungsmerkmale zwischen einem Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse oder des Geschlechts und einem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters differenzieren. In gegenständlicher Hinsicht steht einem erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot ein allgemein-zivilrechtliches Diskriminierungsverbot gegenüber und im Hinblick auf die Handlungsform unterscheidet auch das AGG, der Dichotomie unionaler Diskriminierungsverbote folgend, zwischen einem Verbot der unmittelbaren und einem Verbot der mittelbaren Diskriminierung, dem sich noch die (sexuelle) Belästigung und die Anleitung zur Diskriminierung als Sonderformen hinzugesellen. Alle soeben vorgenommenen Unterscheidungen haben in ihrem jeweiligen Kontext ihre Berechtigung; spiegeln sie doch die klassische Unterteilung des Diskriminierungstatbestands in drei Strukturelemente wider, die sich aus einer Gesamtschau der §§ 1, 2 und 3 AGG ergibt. Es handelt sich hierbei namentlich um den Katalog der verbotenen Unterscheidungsmerkmale, die Festlegung des gegenständlichen Anwendungsbereichs des Diskriminierungsverbots und die Definition der von diesem erfassten Handlungsformen. Auch die nachfolgende Untersuchung wird sich an diesen Strukturelementen orientieren (§ 2). Vorab (§ 1) sind allerdings einige übergreifende Bemerkungen über den Tatbestand

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

des Diskriminierungsverbots als solchen geboten, welche die Funktion dieses Tatbestands und seiner einzelnen Strukturelemente einordnen und verstehen helfen.

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§ 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie zwischen Gleichheit und Freiheit A. Die Instrumentalisierung des Einzelnen zur Gewährleistung gesellschaftlicher Gleichheit und deren Begrenzung durch die Privatautonomie Wie bereits an anderer Stelle eingehend erläutert wurde, ist der unionsrechtlich determinierte Schutz vor privatrechtsbezogenen Diskriminierungen Ausprägung eines erweiterten, um eine gesellschaftliche Dimension ergänzten Prinzips von Gleichheit. Der Einzelne wird hierbei, gleich dem Staat, in die Pflicht genommen, diese Gleichheit in der Gesellschaft zu gewährleisten. Dies beinhaltet wiederum ein an den Einzelnen gerichtetes Verbot, im Rahmen seiner Entscheidungen über Eingehung und Ausgestaltung privater Rechtsverhältnisse an bestimmte persönliche Merkmale anzuknüpfen, deren Auswahl auf der Beobachtung gesellschaftlich existierender Ungleichheiten beruht. Ein derart weit verstandenes, Privatpersonen in die Pflicht nehmendes Konzept von Gleichheit stößt allerdings – anders als die Neutralitätspflicht des Staates – auf Grenzen. Denn anders als dem Staat ist dem Einzelnen als Ausfluss seiner Privatautonomie grundsätzlich das Recht eingeräumt, seine privaten Rechtsverhältnisse eigenständig und frei von staatlicher Bevormundung zu regeln. Dies beinhaltet auch das Recht, solche Entscheidungen willkürlich, gegebenenfalls auch auf Grundlage von persönlichen Abneigungen oder Stereotypen zu treffen. Der Verbotsadressat ist insoweit selbst Grundrechtsträger.1 Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Verpflichtung des Einzelnen zur Gleichbehandlung und seinem Recht auf autonome Gestaltung seiner privaten Rechtsverhältnisse muss ein privatrechtsbezogenes Diskriminierungsverbot im Sinne praktischer Kon-

1  Bei der Grundrechtsträgerschaft des privaten Verbotsadressaten handelt es sich um ein Problem, das nicht nur in Bezug auf das Antidiskriminierungsrecht im engeren Sinne oder Diskriminierungsverbote im Allgemeinen auftaucht, sondern darüber hinaus immer dort für Kontroversen sorgt, wo genuin staatsbezogene Verhaltenspflichten auf Privatpersonen übertragen werden. Vgl. etwa zur Frage der Bindung Privater an die Grundfreiheiten (auch in Bezug auf die Beschränkungsfunktion) W.-H. Roth, Festschrift Medicus, S. 393 ff. sowie Müller-Graff, EuR 2014, 3, 12.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

kordanz auflösen. 2 Wo die genaue Bruchlinie zwischen Gleichheit und Freiheit verläuft, ist Gegenstand gesellschaftlicher wie politischer Aushandlungspro­ zesse.3 Als deren in Gesetzesform gegossenes Ergebnis stellt sich der weitgehend durch das Unionsrecht determinierte privatrechtsbezogene Diskriminierungstatbestand des § 1 AGG in seiner konkreten Ausgestaltung dar.

B. Folgerungen für die Ausgestaltung des Diskriminierungstatbestands Wenn soeben die Feststellung getroffen wurde, dass der Tatbestand des in § 1 AGG statuierten Diskriminierungsverbotes als gesetzgeberisch festgelegte Bruchlinie zwischen gesellschaftlich verstandener Gleichheit und Freiheit zu qualifizieren ist, kann dieser Befund auf die Auslegung dieses Tatbestands und seiner einzelnen Strukturelemente nicht ohne Auswirkungen bleiben. Diese Feststellung betrifft beide Seiten der Medaille, die Wahrung der Privatautonomie wie die Ausgestaltung als Gleichheitsgebot. Sie ist aber nicht gleichermaßen anerkannt.

I. Die freiheitswahrende Funktion der Elemente des Diskriminierungstatbestands Nicht zu leugnen ist zunächst die funktionale Verknüpfung zwischen dem Tatbestand des in § 1 AGG statuierten Diskriminierungsverbots und der sich in diversen unionalen Verbürgungen4 manifestierenden Freiheitssphäre des Adressaten; stellen sich doch die einzelnen Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands letztlich als Einschränkungen derselben dar.5 Gerade angesichts dieser freiheitsbeschränkenden Wirkung des Diskriminierungstatbestands lassen sich seine einzelnen Strukturelemente aber auch zugleich als Vehikel zur Wahrung 2  So bezogen au den gegenständlichen Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots, Grünberger, Personale Gleichheit, S. 600. 3  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 600. 4  Zu diesen Verbügungen im Einzelnen siehe oben Zweiter Teil § 1 A. I. 1. b). 5  Der Hinweis auf die freiheitsbeschränkende privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote findet sich nicht nur in den Erwägungsgründen der Antidiskriminierungsrichtlinien (vgl. nur Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2000/43/EG) und der Regierungsbegründung zum AGG (BT-Drs. 16/1780, S. 39), sondern ist darüber hinaus auch im Schrifttum weitestgehend konsentiert. Vgl. aus der Vielzahl exemplarischer Beiträge nur Dammann, Die Grenzen zulässiger Diskrimierung im allgemeinen Zivilrecht, S. 140 ff.; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 29 ff.; Leible, in: Schulze, Non-Dis­crimi­nation in European Private Law, S. 27 ff.; Neuner, in: Leible/Schlachter, Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, S. 74 ff.; aus dem internationalen Schrifttum Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 33 ff. („Possibly the most serious rival for priority with equality is freedom or liberty“).

§ 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie

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der genannten Freiheitsrechte begreifen. Indem nämlich das Diskriminierungsverbot nur bestimmte Unterscheidungsmerkmale erfasst, nur im Hinblick auf bestimmte Vertragsverhältnisse anwendbar ist, dort jeweils nur eine Seite bindet und nur ein bestimmtes Verhalten untersagt, besteht hinsichtlich der nicht von dem so eingegrenzten Verbot erfassten Konstellationen Raum für die privatautonome Entfaltung der Verbotsadressaten. In Bezug auf diese freiheitswahrende Funktion des Diskriminierungstatbestands unterscheidet sich der hier vertretene gleichheitliche Erklärungsansatz für das bestehende deutsche Antidiskriminierungsrecht nicht von alternativen freiheitlichen oder sozialstaatlichen Ansätzen. Denn auch im Rahmen der letztgenannten Ansätze wird letztlich der Einzelne zur Verwirklichung übergeordneter Ziele in die Pflicht genommen, welche mit seiner Privatautonomie konfligieren und damit im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen sind.6

II. Implikationen aus der Einordnung als Gleichheitsverbürgung Die freiheitswahrende Funktion des in § 1 AGG statuierten Diskriminierungstatbestands stellt aber nur die eine Seite der Medaille dar. Die andere Seite wird durch Funktionen markiert, welche sich aus der dogmatischen Einbettung dieses Tatbestands in das System unionaler Gleichheitsverbürgungen ergeben. Die Kernaussage sowohl des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes als auch der Diskriminierungsverbote als seiner besonderen Ausprägungen ist das Verbot, gleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln. Absolute Gleichheit zweier Sachverhalte ist indes eine Illusion, da zwei Sachverhalte immer in einigen Punkten gleich, in anderen aber ungleich sind.7 Dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz wohnt damit ein Wertungselement inne, indem festgestellt werden muss, ob die in Rede stehenden Sachverhalte im Wesentlichen als gleich zu betrachten und daher auch gleich zu behandeln sind.8 Eine solche finale Feststellung 6  Das Abwägungsproblem entsteht sowohl, wenn man privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote, wie hier geschehen, als Ausfluss eines privatrechtsbezogenen Gleichheitsprinzps wertet, als auch bei Zugrundelegung freiheitlicher oder rein teilhabebezogener Erklärungsansätze. Dies gilt, entgegen Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 21 Rn. 81 selbst für den hier nicht zugrundegelegten Ansatz, wonach privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote als Ausfluss eines materiell aufgeladenen Prinzips der Vertragsfreiheit („Recht auf einen kontrahierungswilligen Vertragspartner“, siehe dazu oben Erster Teil, § 1. B. I. 1) zu werten sind. Denn auch die Vertreter dieser Auffasssung leugnen ja nicht die negative Komponente der Vertragsfreiheit, welche sodann mit der positiven Komponente derselben Freiheit (beim Gegenüber) abzuwägen ist. 7  Vgl. bereits Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 122 („Gleichheit ist nur Abstraktion von gegebener Ungleichheit.“); Osterloh/Nussberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 1; ebenso speziell zum Antidiskriminierungsrecht Grünberger, Personale Gleichheit, S. 648. 8  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 648.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

wesent­licher Gleichheit bedarf zunächst eines Anknüpfungspunktes, welchem insoweit eine Indizfunktion zukommt. Hierzu wird in einem ersten Schritt ein möglichst markantes Merkmal herausgegriffen, in welchem sich die Sachverhalte gleichen. In einem zweiten Schritt wird sodann untersucht, ob nicht gleichwohl so gewichtige Unterschiede zwischen den genannten Sachverhalten bestehen, dass eine Ungleichbehandlung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt erscheint. Diskriminierungsverbote weisen als besondere Ausprägungen des Gleichheitsgrundsatzes letztlich dieselbe zweigliedrige Struktur auf. Dem verbotenen Merkmal kommt hier eine entscheidende Rolle zu, und dies gleich in doppelter Hinsicht. Auf der ersten Ebene liefert bereits die Anknüpfung an das verbotene Merkmal selbst das Indiz für eine verbotene Ungleichbehandlung. Denn jede Norm, die an ein verbotenes Merkmal anknüpft, tut dies denklogisch im Hinblick auf Sachverhalte, die sich in mindestens einem anderen Aspekt gleichen. Eines weitergehenden Vergleichbarkeitstests bedarf es daher auf dieser Ebene nicht. Gleichwohl können auch hier wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Sachverhalten bestehen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Ob dies der Fall ist, muss auf der Rechtfertigungsebene geklärt werden. Das Vorhandensein des verbotenen Merkmals kann dabei – hier liegt die zweite Funktion dieses Merkmals – für sich genommen niemals einen wesentlichen Unterschied markieren und demzufolge auch niemals eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Nimmt man vor diesem Hintergrund den Tatbestand des im AGG geregelten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbots in den Blick, so lassen sich dessen Strukturelemente ohne Mühe den soeben herausgearbeiteten Funktionen einer besonderen Gleichheitsprüfung zuordnen. Zunächst ist festzulegen, in welchem Lebensbereich Private überhaupt zur Gleichbehandlung verpflichtet werden sollen. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz enthält insoweit keine Begrenzungen, ein Diskriminierungsverbot in der Regel schon. Für den Tatbestand des im AGG geregelten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbots übernimmt diese Begrenzungsfunktion die in § 2 AGG enthaltene Festlegung des gegenständlichen Anwendungsbereichs. Herzstück des Diskriminierungstatbestands ist sodann das Verbot der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal, mit dem die Vergleichbarkeit der ungleich behandelten Sachverhalte auf erster Ebene festgestellt werden soll. Diese Funktion übernehmen in Bezug auf das im AGG geregelte privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbot die Festlegung der verbotenen Unterscheidungsmerkmale in § 1 AGG und die Definition der verbotenen Handlungsformen in § 3 AGG. Schließlich ist auf zweiter Ebene zu klären, welche Ungleichheiten des Sachverhalts eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal gleichwohl zu rechtfertigen vermögen. Im AGG kommt diese Aufgabe primär den auf unmittelbare Diskriminierungen zugeschnittenen Rechtfertigungsgründen der §§ 8, 9, 10 und 20 AGG zu. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung, bei dem es sich, wie zu zeigen sein wird, ebenfalls

§ 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie

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um ein Anknüpfungsverbot handelt, enthält dagegen ein separates Rechtfertigungselement im Rahmen der Definition des § 3 Abs. 2 AGG. Eine derartige, an der Dogmatik unionaler Gleichheitsverbürgungen orientierte Funktionszuschreibung des in § 1 AGG statuierten Diskriminierungstabestands ist allerdings, anders als die Feststellung seiner zugleich freiheitswahrenden Funktion, exklusiv mit dem hier vertretenen egalitaristischen Erklärungsansatz verbunden. Wie bereits dargelegt, wird dieser Erklärungsansatz in Deutschland nicht von allen geteilt und vielfach durch freiheitliche oder sozialstaatliche Erklärungsansätze ersetzt.9 Es wird aber im Folgenden zu zeigen sein, dass nur die Einbettung in die Dogmatik unionsrechtlicher Gleichheitsgebote die Eigenheiten dieses durch den Unionsgesetzgeber ausgeformten Tatbestands und die Auslegung, die er in der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat, vollständig zu erfassen vermag, während alternative Ansätze insoweit an ihre Grenzen stoßen. Ausgangspunkt eines gleichheitlichen Verständnisses privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote ist die Feststellung, dass Diskriminierungsverbote als Ausprägungen des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes ein primär an den Staat gerichtetes Verbot beinhalten, im Rahmen der Etablierung und Anwendung von Normen jedweder Art an ein verbotenes Merkmal anzuknüpfen. Privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote erstrecken diese genuin staatsgerichtete Gleichbehandlungspflicht auf Privatpersonen. Die Ausdehnung der Gleichbehandlungspflichten vom Staat auf Privatpersonen dient der Verbreiterung des Anwendungsbereichs dieser Pflichten und trägt damit der wirtschaftlichen Realität Rechnung, dass ein großer Teil der Austauschprozesse innerhalb der vom Diskriminierungsverbot erfassten Märkte nicht staatlicher, sondern privater Kontrolle unterliegt. Denn in einer Marktwirtschaft entscheidet nicht der Staat in erster Linie über den Zugang zu Beruf und Beschäftigung oder die Versorgung des Bürgers mit Gütern und Dientleistungen, sondern der einzelne Arbeitgeber oder Anbieter solcher Leistungen.10 Soll im Hinblick auf die genannten „Güter“ die Gleichbehandlung sichergestellt werden, liegt eine Ausdehnung der Adressatenstellung von Diskriminierungsverboten auf die letztgenannten Personen daher nahe. In diesem Sinne erklärt sich die vom EuGH im Urteil Defrenne II festgestellte unmittelbare Bindung privater Arbeitgeber an das Gebot gleichen Entgelts gemäß Artikel 119 Abs. 1 EWG (Artikel 157 Abs. 1 AEUV) auch aus der, vom EuGH allerdings selbst nicht angeführten simplen Erwägung, dass der einzelne Arbeitgeber in einer privat organisierten Wirtschaft die Entscheidung über das Entgelt der Arbeitnehmer trifft. Auch die Rechtsprechung des EuGH zur Bindung Privater an die Grundfreiheiten folgt dieser Logik,11 wobei allerdings eine unmittelbare Bindung ein 9 

Siehe oben Erster Teil § 1 B. So bezogen auf die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen auch die Regierungsbegründung zum AGG, BT.-Drs. 16/1780, S. 32. 11  Vgl. bereits EuGH, Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405, Tz. 16–24 – Walrave, wo der Gerichtshof 10 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

zelner Privatrechtssubjekte hinsichtlich der Auswahl des Vertragspartners bisher nur im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit konstatiert wurde.12 Die mit der Ausweitung genuin staatsgerichteter Diskriminierungsverbote auf Privatpersonen einhergehende funktionale Gleichsetzung des Einzelnen mit dem Staat bestimmt letztlich auch den Inhalt der den Einzelnen insoweit treffenden Pflichten. Dies heißt letztlich nichts anderes, als dass sich nunmehr auch der Einzelne, gleich dem Staat, in einem gesetzlich definierten, von ihm verantworteten Bereich der Etablierung oder Anwendung von ihm selbst gesetzter diskriminierender Normen (Entscheidungsmaximen) zu enthalten hat. Mit anderen Worten: Soweit Privatpersonen funktional dem Staat gleichgestellt werden, unterliegen die ihren Entscheidungen zugrundeliegenden Entscheidungsmaximen der Kontrolle des genuin staatsgerichteten Diskriminierungsverbots. Hieraus erklärt sich zum einen der an späterer Stelle noch herauszuarbeitende Charakter des privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbotes als normbezogenes Anknüpfungsverbot mit all den Konsequenzen, die eine solche Deutung mit sich bringt.13 Darüber hinaus prägt die funktionale Gleichsetzung des Einzelnen mit dem Staat aber auch die Begrenzung des gegenständlichen Anwendungsbereichs durch den Unionsgesetzgeber, indem der Einzelne nur dort einem genuin staatsgerichteten Gleichbehandlungsgebot unterworfen wird, in welchem ihm eine maßgebliche Rolle bei der Versorgung der Bürger mit Gütern zukommt, die für die soziale Teilhabe des Bürgers unerlässlich sind. Dies betrifft zum einen den Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt sowie die Anbieter auf dem öffentlichen Markt für Güter und Dienstleistungen. Hierauf wird ebenfalls zurückzukommen sein.14 Die Begrenzung des gegenständlichen Anwendungsbereichs lenkt den Blick indes erneut auf die zuvor konstatierte freiheitswahrende Funktion des Diskriminierungstatbestands, indem die Begrenzung des Anwendungsbereichs zugleich der Wahrung der Privatautonomie des Verbotsadressaten dient. Eine freiheitswahrende und eine gleichheitsimmanente Funktion ein- und desselben Strukturmerkmals des Diskriminierungstatbestands schließen einander somit nicht aus, sondern sie dienen gleichermaßen seiner Erklärung und greifen insoweit ineinander. Dies gilt aber nicht für alle Strukturmerkmale des Diskriminierungstatbestands. So lassen sich die verbotenen Handlungsformen der undarauf hinweist, dass die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten teilweise durch Gesetze oder Verordnungen und teilweise durch von Privatpersonen geschlossene oder vorgenommene Verträge und sonstige Rechtsgeschäfte geregelt werden, hierauf verweisend EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Tz. 82 – Bosman, EuGH Rs. C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Tz. 61 – Viking. 12 EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Tz. 34–36 – Angonese; EuGH, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939 Tz. 42 ff. – Raccanelli; zu den Gründen vgl. W.-H. Roth in: Festschrift Medicus, S. 393, 408; dazu bereits oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) dd) (2) (b). 13  Siehe unten § 2 C. II. 3. und 4. 14  Siehe unten § 2 B. I. 2.

§ 1 Der Diskriminierungstatbestand als Bruchlinie

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mittelbaren und mittelbaren Diskriminierung als „Herzstück“ des Diskriminierungstatbestandes in der ihnen vom EuGH beigelegten Bedeutung nur auf dem Boden eines gleichheitlichen Verständnisses erfassen. Dem Verständnis des privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbotes als Gleichheitsverbürgung und seiner damit einhergehenden Einbettung in die Dogmatik der unionalen Gleichheitsgebote kommt damit letztlich die steuernde Funktion bei der Erfassung seines inhaltlichen Gehalts zu.

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§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen A. Verbotene Unterscheidungsmerkmale Als besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes verbieten die im AGG statuierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbot nur die Ungleichbehandlung wegen bestimmter, gesetzlich festgelegter Unterscheidungsmerkmale, welche Hey als „die sieben Todsünden“ bezeichnet hat.15 Das AGG statuiert damit, entgegen der einen anderen Inhalt suggerierenden Bezeichnung des Gesetzes gerade kein allgemeines Gebot zur Gleichbehandlung im Privatrechtsverkehr,16 sondern im Einklang mit den Vorgaben der Gleichbehandlungsrichtlinien ausschließlich ein Verbot der Anknüpfung an eines der genannten Merkmale im Rahmen der Entscheidung über den Abschluss, den Inhalt oder die Beendigung privater Vertragsverhältnisse. Den verbotenen Merkmalen kommt dabei zum einen, wie bereits gesehen, eine zentrale Funktion im Tatbestand eines jeden Diskriminierungsverbots zu, indem eine Anknüpfung an eines dieser Merkmale eine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte indiziert. Zum anderen dient die vom (Unions-)Gesetzgeber getroffene Auswahl der verbotenen Unterscheidungsmerkmale auch der Wahrung der Privatautonomie des Normadressaten und markiert insoweit die Bruchlinie zwischen Gleichheit und Freiheit. Ungleichbehandlungen wegen anderer Merkmale werden durch § 1 AGG gerade nicht verboten und stellen sich damit als Ausübung der Privatautonomie des Verbotsadressaten dar.

15  Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 2. Je nachdem, ob man die Merkmale Rasse und ethnische Herkunft sowie Religion und Weltanschauung wegen ihres engen Bezugs als ein Merkmal wertet, kann man auch nur zu einer Gesamtzahl von 5 Unterscheidungsmerkmalen gelangen. 16  So zu Recht Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 36.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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I. Allgemeine Fragen 1. Abschließender Katalog oder offener Tatbestand? § 1 AGG, welcher die Vorgaben diverser Antidiskriminierungsrichtlinien umsetzt, nennt als verbotene Merkmale die Rasse oder ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Alter oder die sexuelle Identität. Der Katalog entspricht exakt dem des Artikels 19 AEUV, der sich wiederum an völkerrechtlichen Vorgaben orientiert, ohne allerdings den diesbezüglichen Acquis exakt abzubilden.17 Bei den genannten Merkmalen handelt es sich sämtlich um Merkmale, die in der Gesellschaft typischerweise Gründe für Ungleichbehandlungen und hieraus resultierend den Ausschluss von sozialer Teilhabe darstellen. Die Beschränkung auf die genannten Merkmale erscheint auf den ersten Blick gleichwohl keinesfalls zwingend, da auch wegen anderer als der in § 1 AGG genannten Merkmale Ungleichbehandlungen zu konstatieren sind, welche die soziale Teilhabe der hiervon betroffenen Personen ebenso nachhaltig zu beeinflussen vermögen. Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum zum einen die konkret getroffene Auswahl der Unterscheidungsmerkmale als willkürlich kritisiert.18 Noch weiter geht der Vorwurf, dass § 1 AGG, indem diese Norm überhaupt den Schutz vor Diskriminierung auf bestimmte Merkmale beschränke, geradezu zwingend die Benachteiligung von Trägern anderer, nicht vom Diskriminierungsverbot erfasster Merkmale mit sich bringe?19 Hinsichtlich der Stichhaltigkeit dieser Kritik ist zu differenzieren: Was die Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf bestimmte Merkmale als solche betrifft, besteht hierzu keine Alternative; zeichnet doch gerade die Begrenzung auf bestimmte Unterscheidungsmerkmale ein Diskriminierungsverbot gegenüber dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus, wonach bereits jede sachwidrige Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte untersagt ist. Die Beschränkung auf bestimmte Unterscheidungsmerkmale ist zudem zur Wahrung der Privatautonomie des Verbotsadressaten geboten. Ihr kommt, wie bereits dargelegt, eine freiheitswahrende Funktion zu. Was die konkrete Auswahl der Unterscheidungsmerkmale betrifft, mag es in der Tat als erwägenswert erscheinen, kranke, körperlich unansehnliche oder sozial unterprivilegierte Menschen genauso vor Diskriminierungen zu schützen wie Behinderte und Homosexuelle. De lege lata ließe sich derartigen Erwägungen aber nur dann Rechnung tragen, wenn der Katalog des § 1 AGG als 17 Hierzu

Schiek, in: Schiek, AGG, Einleitung Rn. 34. Willkürlichkeit der herausgegriffenen Merkmale wird kritisiert von Adomeit/ Mohr, AGG, § 1 Rn. 38; Runggaldier, in: Festschrift Doralt, S. 511, 523. Als Manko wird vor allem die fehlende Einbeziehung von Familien mit Kindern in den Diskriminierungsschutz gerügt (vgl. Adomeit/Mohr a.a.O., Säcker, BB Special, 6/2004, S. 19). 19  Baer, ZRP 2002, 290, 294 konstatiert insoweit eine „Hierarchisierung von Opfern.“ 18  Die

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

nicht abschließend zu betrachten wäre und damit die Etablierung neuer, durch bestimmte Kriterien vorab definierter Unterscheidungsmerkmale durch die Rechtsprechung ermöglichen würde. Das Antidiskriminierungsrecht einiger Mitgliedstaaten kennt in der Tat solche offenen Diskriminierungstatbestände20 und auch in völkerrechtlichen Instrumenten begegnen sie des Öfteren. 21 Bei § 1 AGG handelt es sich indes nicht um einen offenen Diskriminierungstatbestand. Der Wortlaut nennt ausschließich bestimmte verbotene Unterscheidungsmerkmale, denen auch nicht der Charakter von Regelbeispielen zukommt. Dies folgt bereits aus dem Fehlen jedweden normativen Anknüpfungspunktes im Wortlaut der Vorschrift (etwa in Form einer Generalklausel), der als Anker für die Etablierung weiterer verbotener Merkmale fungieren könnte. Auch ergibt sich aus der Regierungsbegründung, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf den Katalog der verbotenen Merkmale ausschließlich die unionsrechtlichen Vorgaben erfüllen wollte, 22 welche ebenfalls nur einen Diskriminierungsschutz hinsichtlich der in § 1 AGG aufgezählten Merkmale vorsehen. Aus letzterer Feststellung folgt wiederum, dass auch das Unionsrecht als Quelle für eine Erweiterung der Unterscheidungsmerkmale de lege lata ausscheidet. Dies gilt, wie gesehen, im Hinblick auf das Sekundärrecht, trifft aber ebenso im Hinblick auf das Primärrecht zu. Zwar veranlasste die durch den EuGH im Urteil Mangold hergestellte dogmatische Verknüpfung des Verbots der Altersdiskriminierung mit dem heute im Artikel 20 GR-Ch verankerten allgemeinen Gleichheitsgrundsatz23 einen Teil des Schrifttums zu der (zwischenzeitlichen) Befürchtung, dieser Grundsatz könne hinfort für die Herleitung jedweden besonderen Diskriminierungsverbots herangezogen werden.24 Diese Annahme war indes von einem doppelten Missverständnis des Urteils getragen. Zum einen diente der Hinweis des EuGH auf den allgemeinen Gleich20  Vgl. allgemein zu einem solchen Konzept mit internationalen Beispielen Fredman, Dis­ crimi­nation Law, S. 125 ff.; Weitere Beispiele bei Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 4. 21  Vgl. etwa Artikel 14 EMRK: „Der Genuß der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten“. 22  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 30: „Das Gesetz hat die Zielsetzung, Benachteiligungen wegen der in § 1 genannten Gründe … zu verhindern oder zu beseitigen. Es setzt damit die Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG um, die – in ihrem jeweiligen spezifischen Anwendungsbereich – gegen Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, der Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität schützen. Einen Schutz gegen Benachteiligung wegen anderer Gründe regelt dieses Gesetz nicht.“ 23  Siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. a) bb). 24  Vgl. etwa die erleichterten Reaktionen auf die Nachfolgejudikatur des EuGH, in welcher dieser eine über den sekundärrechtlichen Bestand hinausgehende Herleitung primärrechtlicher Diskriminierungsverbote aus dem allgemeinen Gleicheitssatz abgelehnt hatte; siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. b) aa) Fußnote 120.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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heitsgrundsatz nur der Herstellung des dogmatischen Bezuges zwischen allgemeinem und besonderem Gleichbehandlungsgebot. Als (vermeintliche) Rechtserkenntnisquelle für die Existenz eines besonderen Gleichbehandlungsgebots in Form des Verbots der Altersdiskriminierung dienten dem EuGH hingegen die in der Urteilsbegründung angeführten völkerrechtlichen Verträge. 25 Zum anderen ging es im Fall Mangold um einen Fall legislativer Ungleichbehandlung und nicht um den Schutz vor privater Diskriminierung. 26 Für die Erweiterung des primärrechtlichen Grundrechtsschutzes um eine private Dimension, sei es in Form einer Adressatenstellung Privater, sei es in Form einer mitgliedstaatlichen Schutzpflicht, bedarf es jedoch (außerhalb der Artikel 18, 157 AEUV) einer diesbezüglichen Aktivierung durch Sekundärrecht. 27 Folgerichtig hat es der EuGH im Urteil Navas abgelehnt, dem allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz unmittelbar ein privatrechtsbezogenes Verbot der Diskriminierung wegen einer Krankheit zu entnehmen, ohne dass die Richtlinie 2000/78/ EG ein solches vorsieht. 28 Dieselbe Erwägung hindert letztlich auch die Herleitung weiterer Unterscheidungsmerkmale aus Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch, wiewohl gerade diese Norm durch die Verwendung des Wortes „insbesondere“ ein klassisches Beispiel für einen offenen Diskriminierungstatbestand zu liefern scheint. Auch insoweit bedarf es jedoch zur Gewährleistung des Schutzes vor privater Diskriminierung auf primärrechtlicher Ebene einer sekundärrechtlichen Aktivierung der mitgliedstaatlichen Bindung an das Grundrecht, welche außerhalb der bestehenden Antidiskriminierungsrichtlinien nicht gegeben ist. 29 Dies gilt bereits für die in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch explizit aufgezählten, über den Katalog des Artikels 19 AEUV hinausgehenden Unterscheidungsmerkmale (wie zum Beispiel die Sprache, die soziale Herkunft oder genetische Merkmale), erst recht jedoch für weitere nicht namentlich aufgezählte Merkmale. Die soeben erneut herausgestellte zentrale Rolle, die dem Unionsgesetzgeber bei der Definition der Reichweite des privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes in der Union zukommt, beschränkt indes auch die Möglichkeiten einer Ausweitung des Kataloges der verbotenen Merkmale de lege ferenda. Denn dem Unionsgesetzgeber sind insoweit die Hände gebunden, weil Artikel 19 AEUV die Kompetenz der Union zum Erlass von Antidiskriminierungsmaßnahmen auf die von den bestehenden Richtlinien bereits erfassten Unterscheidungsmerkmale beschränkt. Möglich erscheint eine Auweitung der Unterscheidungsmerkmale allerdings auf nationaler Ebene. Unionsrechtliche Vorgaben stünden dem jedenfalls nicht entgegen und zwar unabhängig davon, ob 25 

Zur Kritik siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. a) cc). Siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) dd) (2) (b). 27  Siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. c) bb) (3) (b). 28 EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 56 – Navas; siehe auch bereits oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. b) aa). 29  Siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 3. b). 26 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

man insoweit bereits den Regelungsbereich der bestehenden Antidiskriminierungsrichtlinien für nicht betroffen hält oder ob man die Erweiterung des Diskriminierungsverbotes um in der Richtlinie nicht genannte Unterscheidungsmerkmale als erlaubte Schutzverstärkung der mindestharmonisierenden Richtlinienvorgaben30 qualifiziert.31

2. Klassifizierung von Unterscheidungsmerkmalen a) Symmetrische und asymmetrische Merkmale Die Unterscheidungsmerkmale des AGG lassen sich in vielerlei Hinsicht in Gruppen klassifizieren.32 Eine gängige Klassifizierung differenziert zwischen symmetrischen und asymmetrischen Unterscheidungsmerkmalen. Der Unterschied liegt in der Schutzrichtung des jeweiligen Diskriminierungsverbots begründet. Symmetrische Diskriminierungsverbote sind neutral konzipiert, indem sie nicht spezifisch die Mitglieder strukturell benachteiligter Gruppen, sondern in ihrem Anwendungsbereich potentiell jeden schützen. Diese Charakterisierung trifft angesichts der offenen Formulierung auf fast alle Unterscheidungsmerkmale im Sinne des § 1 AGG zu. So werden vom Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse und ethnischen Herkunft Fremde wie Einheimische geschützt, das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts betrifft Frauen wie Männer, das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität Homosexuelle wie Heterosexuelle und so fort. Anders verhält sich dies nur in Bezug auf das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung. Hier lässt sich bereits aus der Anknüpfung an den negativen Begriff der Behinderung und nicht etwa an den neutralen Begriff der „Befähigung“ herleiten, dass ausschließlich Behinderte geschützt werden. Das Verbot der Diskriminierung wegen der Behinderung erfüllt damit alle Voraussetzungen eines asymmetrischen Diskriminierungsverbots, welches einseitig dem Schutz von Mitgliedern strukturell benachteiligter Gruppen dient. Ein weiteres Beispiel für ein asymetrischen Diskriminierungsverbot außerhalb des Katalogs des § 1 AGG stellt das in Artikel 18 Abs. 1 AEUV verankerte Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit dar. Geschützt werden nur die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, während die Diskriminierung von Inländern durch das Unionsrecht nicht untersagt ist.33 Dies lässt sich zwar nicht bereits aus der neutralen Formulierung des Verbots herleiten, folgt aber aus den Wurzeln des 30  Vgl. Artikel 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 8 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG; Artikel 27 Abs. 1 Richtlinie 2006/54/EG. 31  Zu den dogmatischen Unterschieden zwischen überschießender Umsetzung und erlaubter Schutzverstärkung vgl. Riehm, in: Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, S. 83 ff. 32  Überblick bei Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 5 ff. 33  Siehe oben Zweiter Teil § 1 A. I. 1. a) bb).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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heute partiell Grundrechtstatus genießenden Verbots als transnationale Inte­ grationsnorm.34

b) Veränderbarkeit des Merkmals als Kriterium für eine Hierarchie der Unterscheidungsmerkmale? Die geläufigste Klassifizierung von Unterscheidungsmerkmalen betrifft jedoch die Unterscheidung in solche Merkmale, die der Person unveränderbar anhaften und solchen Merkmalen, die auf einer bewussten Entscheidung für eine bestimmte Überzeugung oder Lebensform beruhen.35 Zur ersten Gruppe zählen unbestreitbar die Merkmale Rasse und ethnische Herkunft sowie die Behinderung. Bis vor einigen Jahrzehnten ließ sich auch das Geschlecht noch ohne Wenn und Aber dieser Gruppe zuordnen. Die durch die Fortschritte der modernen Medizin eröffnete Möglichkeit, über das eigene Geschlecht abweichend vom biologischen Geschlecht autonom zu bestimmen, stellen die Unveränderbarkeit dieses Merkmals aber zumindest theoretisch infrage.36 Angesichts der Hürden medizinischer, psychologischer und gesellschaftlicher Art, die einem Geschlechtswechsel in der Praxis entgegenstehen, dürfte das Merkmal Geschlecht aber auch heute noch faktisch eher der Gruppe der unveränderbaren Unterscheidungsmerkmale zuzuordnen sein. Zur Gruppe der veränderbaren Unterscheidungsmerkmale zählen dagegen die Merkmale Religion, Weltanschauung und sexuelle Identität. Eine Sonderrolle kommt schließlich dem Merkmal Alter zu, welches zwar im Laufe des menschlichen Lebens einem steten Wandel unterliegt, durch den Merkmalsträger selbst indes nicht zu beeinflussen ist. Die Klassifizierung der Unterscheidungsmerkmale hat wiederum Einfluss auf die Intensität des Schutzes, welchen das AGG im Hinblick auf merkmalsbezogene Diskriminierungen zur Verfügung stellt. Im Schrifttum wird vor diesem Hintergrund zu Recht eine „Hierarchie der Unterscheidungsmerkmale“ konstatiert.37 An der Spitze dieser Hierarchie stehen die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht und Behinderung. Hier ist ein besonderer Schutz 34  Zur Einordnung des Artikels 12 EG (Artikel 18 AEUV) als transnationale Integrationsnorm Kingreen, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 17 Rn. 2; allgemein zur zentralen Bedeutung des Artikels 18 AEUV für die Integration des Binnenmarktes bereits oben Erster Teil § 3 B. III. 1 sowie IV. 2. a). 35  Soweit ersichtlich war es Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 26 ff., die für die einer Person untrennbar anhaftenden Merkmale Rasse, Geschlecht und Behinderung den Begriff „askriptive Persönlichkeitsmerkmale“ geprägt hat, den sie von den handlungsbezogenen bzw. selbstgewählten Persönlichkeitsmerkmalen (Religion, sexuelle Ausrichtung) unterscheidet. 36 Zur Frage der Zuordnung des Phänomens der Transsexualität zum Merkmal Geschlecht siehe unten II. 2. 37  Flynn, CML Rev. 36 (1999), 1127, 1138 antizipierte bereits im Jahr 1999 in Bezug auf die Ausschöpfung der neu geschaffenen Kompetenz des Artikels 13 EG (Artikel 19 AEUV) durch die Kommission eine „de facto hierarchy of protected statuses both of priority on the legislative agenda and of the stringency of measures adopted.“ Ähnlich Schiek, in: Schiek,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

vor Diskriminierung schon deshalb geboten, weil die genannten Merkmale dem Merkmalsträger unveränderbar anhaften und er sich Diskriminierungen insoweit schlicht aufgrund seines „Soseins“ ausgesetzt sieht. Schutz vor Diskriminierung ist in Bezug auf die genannten Merkmale somit in besonderem Maße gleichbedeutend mit Würdeschutz. Der Unionsgesetzgeber trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, dass er in Bezug auf die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht einen privatrechtsbezogenen Schutz vor Diskriminierung auch außerhalb des Erwerbslebens vorgibt. Hinsichtlich des Merkmals Behinderung ist letzteres zwar nicht der Fall. Dafür ist der erwerbsbezogene Schutz vor Diskriminierungen wegen dieses Merkmals insoweit „vertieft“, als die Rechtfertigung einer behinderungsbedingten Ungleichbehandlung wegen fehlender zwingender beruflicher Anforderungen (§ 8 AGG) ausscheidet, wenn der Arbeitgeber in der Lage wäre, das Beschäftigungshindernis durch Schaffung entsprechender (technischer) Vorrichtungen zu beseitigen. Dies folgt mittelbar aus Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG, der mit dem Verweis auf § 81 Abs. 4 SGB IX indes nur unzureichend ins deutsche Recht umgesetzt wurde.38 In Bezug auf die (theoretisch) veränderbaren Unterscheidungsmerkmale Religion, Weltanschauung und sexuelle Identität tritt der Aspekt des Schutzes vor dem Ausgeliefertsein gegenüber gesellschaftlichen Diskriminierungen dagegen in den Hintergrund, ohne freilich vollständig zu verblassen. Schutz vor Diskriminierung soll in diesem Kontext aber in erster Linie die freie Ausübung grundrechtlich verbürgter, höchstpersönlicher Entscheidungen in Bezug auf die eigene Lebensführung sichern. Es geht insoweit somit um Freiheitsschutz durch Gleichbehandlung.39 Der Unionsgesetzgeber hat es vor diesem Hintergrund offensichtlich – jedenfalls im ersten Anlauf – nicht für nötig befunden, den Schutz vor Diskriminierung in Bezug auf die genannten Merkmale über den Bereich des Erwerbslebens hinausgehend auch auf sonstige Schuldverhältnisse zu erstrecken. Planungen, dies im zweiten Anlauf nachzuholen, sind mit dem Stillstand der Verhandlungen hinsichtlich des Erlasses einer 5. Gleichbehandlungsrichtlinie vorläufig auf Eis gelegt.40 Ganz unten in der Hierarchie der Unterscheidungsmerkmale ist schließlich das Alter angesiedelt.41 Auch in Bezug auf dieses Diskriminierungsmerkmal besteht derzeit nur ein Schutz vor Diskriminierungen im Erwerbsleben. AGG, Einleitung Rn. 36; ebenso speziell im Hinblick auf das Merkmal Alter Waddington/ Bell, CML Rev. 38 (2001) 587. 38  Siehe unten C. II. 5. c) aa) (1) (c). 39  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 575, 583; Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 6. 40  Siehe oben Zweiter Teil § 1 A. II. 2. c) bb). 41  Waddington/Bell, CML Rev. 38 (2001) 587; Kritisch gegenüber einer Hierarchisierung in Bezug auf das Verbot der Altersdiskriminierung Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 198, wonach die ausgeweiteten Möglichkeiten der Rechtfertigung nicht Ausdruck einer wie auch immer gearteten Minderwertigkeit des Verbots der Altersdiskriminierung, sondern vielmehr Ausdruck seiner Eigenständigkeit sind. Dies hindert aber gleichwohl nicht, auch das Verbot

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Selbst insoweit ist der Schutzstandard jedoch gegenüber den Unterscheidungsmerkmalen Religion, Weltanschauung und sexuelle Identität noch weitergehend abgesenkt, indem Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG den Mitgliedstaaten in Bezug auf Ungleichbehandlungen wegen des Alters die Option zur Schaffung weitreichender Rechtfertigungsmöglichkeiten einräumt. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Option mit der Schaffung des § 10 AGG wahrgenommen. Zurückzuführen ist der im Vergleich zu den anderen Unterscheidungsmerkmalen nur schwach ausgeprägte Schutz vor altersbedingten Diskriminierungen auf die Erwägung, dass das Alter einem steten Wandel auf der Zeitachse des menschlichen Lebens unterliegt, dessen einzelne Stadien jeder Mensch im Laufe seines Lebens durchläuft.42 Wer als junger Mensch wegen seines (jungen) Alters diskriminiert wird, hat immerhin die Aussicht, diesem Zustand später zu entrinnen; wer zum jetzigen Zeitpunkt in der Blüte seines Arbeitslebens steht, wird sich zu einem späteren Zeitpunkt Diskriminierungen ausgesetzt sehen.43 Altersbedingten Diskriminierungen haftet vor diesem Hintergrund wegen seines fortgeschrittenen Alters nicht derselbe Stigmatisierungswert an wie Diskriminierungen wegen sonstiger Merkmale. Sie treffen potentiell jeden und nicht nur einen bestimmten, strukturellen Benachteiligungen ausgesetzten Teil der Bevölkerung wie etwa dunkelhäutige Menschen, Frauen, Behindert oder Schwule.44

II. Merkmale im Einzelnen 1. Rasse und ethnische Herkunft a) Die herkunftsbezogene Ablehnung von Personen als gesellschaftliches Phänomen Die Begriffe Rasse und ethnische Herkunft werden weder in § 1 AGG noch im Rahmen der unionsrechtlichen Vorgaben definiert. Auch in den völkerrechtlichen Instrumenten, welche der Schaffung des Artikel 13 EG (Artikel 19 AEUV) und der Richtlinie 2000/43/EG als Rechtserkenntnisquelle zugrunde liegen, findet sich keine entsprechende Definition geschweige denn eine Abgrenzung der beiden Merkmale. Vielmehr ist nach Artikel 26 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminieder Altersdiskriminierung unter dem Aspekt der Schutzintensität in einen allgemeinen Vergleich der einzelnen Diskriminierungsverbote mit einzubeziehen. 42  Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2000/78/EG; Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 154; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 594; Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 45. Auch das Bundesarbeitsgericht führt die erweiterten Rechtfertigungsmöglichkeit von Ungleichbehandlungen wegen des Alters auf die „lineare Eigenschaft“ des Unterscheidungsmerkmals Alter als ambivalentes relatives Diskriminierungsmerkmal zurück, vgl. BAG, NZA 2010, 561 Tz. 20. 43 Ähnlich Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 494; Waltermann, NZA 2005, 1265, 1269. 44  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 589.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

rung vom 7.3.1966 (CERD)45 als Rassendiskriminierung jede auf der „Rasse“, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung anzusehen. Bei Diskriminierungen wegen der Rasse oder ethnischen Herkunft handelt es sich somit offensichtlich um verschiedene Ausprägungen ein und desselben sozialen Phänomens, welches sich mit der Ablehnung einer Person wegen ihrer Herkunft im weitesten Sinne umschreiben lässt. Wohl aus diesem Grund sowie wegen des sogleich näher zu erörtenden problematischen Charakters des Merkmals Rasse begnügen sich die Antidiskriminierungsregeln einiger Mitgliedstaaten mit der Nennung eines einheitlichen Begriffs, indem zum Beispiel ausschließlich auf die „ethnische Zugehörigkeit“ abgestellt wird46 oder der im Unionsrecht nicht verankerte Begriff „Ursprung“ gewählt wird.47 Auch der EuGH trennt im Urteil Feryn nicht zwischen beiden Merkmalen.48 Da das deutsche Recht ebenso wie die Richtlinie 2000/43/EG zwischen den Begriffen Rasse und ethnische Herkunft unterscheidet und die Zuordnung zu dem einen oder anderen Merkmal etwa bei der Bemessung eines Schadensersatzanspruchs des Diskriminierungsopfers maßgeblich sein kann,49 ist auch an dieser Stelle eine Differenzierung geboten.

b) Rasse Das Merkmal Rasse wird gemeinhin als das problematischere der beiden Merkmale betrachtet. Denn mit der Nennung der „Rasse“ knüpft der Unionsgesetzgeber an ein Merkmal an, dessen tatsächliche Existenz in der Wissenschaft heute nahezu einhellig abgelehnt wird.50 Gleichwohl konnte sich auch der Unionsgesetzgeber nicht der Erkenntnis rassistischer Ausgrenzung als gesellschaftliches Phänomen verschließen. Das sich in dieser Diskrepanz manifestierende Dilemma kommt im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/ EG deutlich zum Ausdruck. Die Europäische Union weist danach Theorien 45 

BGBl. 1969 II, S. 961. §§ 17 Abs. 1, 31 Abs. 1, 3 GBlG (Österreich). 47  So das finnische Recht, vgl. Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 9. 48 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 25 – Feryn („keine Arbeitnehmer einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Rasse“). Es handelt sich um das bisher einzige Urteil, in welchem der EuGH überhaupt ernsthaft mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse und ethnischen Herkunft befasst war. Das andere in diesem Kontext bisweilen zitierte Urteil, Rs. C-328/04, Slg. 2005, I-8577, TZ. 14 – Vajnai Attila war bereits von seinem Ausgangssachverhalt (ungarisches Verbot, einen fünfzackigen roten Stern zu tragen) so skurill, dass sich der EuGH ohne Ausführungen zu den Begriffen Rasse und ethnische Herkunft mit der Feststellung begnügt hat, dass die in dem Ausgangsverfahren angewandte ungarische Regelung keinen Bezug zu einer der von den Bestimmungen der Verträge in Betracht gezogenen Situationen aufweist. 49  Allgemein zu den bei der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes zu berücksichtigenden Faktoren siehe unten Vierter Teil § 2 B. II. 4. c). 50  Lee, Stanford Law Review 46 (1994), 747 ff.; weitere Nachweise bei Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 AGG Rn. 10, dort Fußnote 27 und Stork, Antidiskriminierungsrecht, S. 89. 46  Vgl.

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zurück, die die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen versuchen, und möchte die Verwendung des Begriffs Rasse von daher nicht als Beleg für die Akzeptanz solcher Theorien gewertet wissen. Der deutsche Gesetzgeber meinte, seiner inneren Distanz zum Rassebegriff dadurch Ausdruck verleihen zu müssen, dass er im Rahmen des § 1 AGG von einer Ungleichbehandlung „aus Gründen“ der Rasse spricht und nicht wie in Bezug auf alle anderen Unterscheidungsmerkmale von einer Ungleichbehandlung „wegen“ des betreffenden Merkmals.51 Anknüpfungspunkt für das Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse ist somit nicht ein dem Diskriminierten tatsächlich anhaftendes Merkmal, sondern die Bezugnahme des Diskriminierenden auf dessen vermeintliches Vorhandensein. Damit bleibt gleichwohl zu klären, auf welches vermeintliche Merkmal bei der rassistischen Diskriminierung konkret Bezug genommen wird und wie dieses Merkmal von der ethnischen Diskriminierung abzugrenzen ist. Beiden Merkmalen gemeinsam ist das Abstellen des Diskriminierenden auf die Herkunft des Diskriminierten im weitesten Sinne und einer hieran anknüpfenden Zuschreibung von Eigenschaften. Die Besonderheit des Merkmals Rasse besteht hingegen darin, dass die Herkunft des Diskriminierten genetisch definiert wird, indem sich seine Erbanlagen vermeintlich von den Erbanlagen anderer Menschen unterscheiden, was den Diskriminierten in der Folge als weniger wertvoll oder zugehörig erscheinen lässt. Als Manifestation der nach außen nicht sichtbaren genetischen Herkunft dienen dabei üblicherweise bestimmte als typisch empfundene physiognomischen Eigenschaften des Diskriminierten wie Hautfarbe, Körperbau, Gesichts- und Augenform sowie gewisse kulturelle Merkmale wie etwa die Haartracht.52 Diese Feststellung begründet nicht ihrerseits eine rassistische Diskriminierung,53 weil die Nennung der genannten Merkmale gerade nicht die eigenen Vorurteile des Feststellenden spiegelt, sondern lediglich das im Wege des Diskriminierungsverbots zu bekämpfende gesellschaftlich vorgefundene Phänomen rassistischer Diskriminierung in Bezug nimmt. Zwar ist es zutreffend, dass die Diskriminierungsverbote des AGG (und die der Richtlinien) subjektive stigmatisierende Fehlvorstellun51  BT-Drs. 16/1780, S. 31; kritisch insoweit zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 52: „‚Wegen der Rasse‘ und ‚aus Gründen der Rasse‘ sind sinngleiche Formulierungen; nur eine ist freilich gutes Deutsch.“ In den Umsetzungsgesetzen anderer Mitgliedstaaten wurde die Distanz des Gesetzgebers zum Rassebegriff auf elegantere Weise zum Ausdruck gebracht. Das belgische Gleichbehandlungsgesetz spricht etwa von „une race prétendue“, Beispiel bei Thüsing a.a.O. 52 Ähnlich Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 14 (Hautfarbe, Augenform, Haartracht); Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 10 (Hautfarbe, Morphologie des Körpers und des Gesichts, Pigmentierung); Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 10 (äußerliche und kulturelle Merkmale). 53  So aber Greiner, DB 2010, 1940 f.; Stein, in: Wendeling-Schröder, AGG, § 1 Rn. 11. Noch drastischer formuliert Grünberger, Personale Gleichheit, S. 563: „Die Ansicht, man könne diese Merkmale neutral feststellen, tappt in die rassistische Falle.“

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

gen seitens des Diskriminierenden bekämpfen wollen.54 Der Unionsgesetzgeber hat sich insoweit aber auf die Bekämpfung bestimmter Fehlvorstellungen beschränkt, welche wiederum in den verbotenen Unterscheidungsmerkmalen zum Ausdruck kommen. Ob die Motive des Diskriminierenden im konkreten Fall die Voraussetzungen eines der verbotenen Merkmale erfüllen, lässt sich daher nur objektiv auf Basis einer Definition des in Frage stehenden Merkmals ergründen.55 Etwas anderes folgt entgegen Greiner 56 auch nicht aus der Tatsache, dass Putativdiskriminierungen vom Diskriminierungsverbot des AGG erfasst sind (§ 7 Abs. 1 HS 2 AGG),57 geht es doch hierbei um etwas ganz anderes.58 Wer einen heterosexuellen Bewerber nicht einstellt, weil er glaubt, dieser sei homosexuell,59 diskriminiert in der Tat wegen der sexuellen Identität. Wer dagegen einen heterosexuellen Bewerber nicht einstellt, weil dieser regelmäßig einen Swinger-Club frequentiert, diskriminiert auch dann nicht wegen der sexuellen Identität, wenn er gerade im Besuch von Swinger-Clubs einen Ausdruck der sexuellen Identität des Bewerbers sieht. Denn die Entscheidung darüber, welche Sachverhalte unter ein Merkmal des § 1 AGG zu subsumieren sind, hat der Gesetzgeber nicht in die Hand des Normunterworfenen, sondern in die Hand der Gerichte gelegt.60 Alles andere würde letztlich zu einer vom (Unions-) Gesetzgeber nicht intendierten uferlosen Ausdehnung der Unterscheidungsmerkmale des § 1 AGG führen und wäre auch mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar. Bei den Merkmalen Rasse und ethnische Herkunft besteht die Schwierigkeit einer objektiven Definition zugebenermaßen darin, dass diese Kategorien an in der Gesellschaft vorgefundenen Vorstellungen darüber anknüpfen, wer hinsichtlich seiner Herkunft als zugehörig empfunden wird und wer nicht. Dies enthebt den Rechtsanwender jedoch nicht der Pflicht, die insoweit vorzufindenden Vorstellungen im Wege einer typisierten Betrachtung zu ergründen. Nicht auf die Vorstellungen des Einzelnen kommt es an, sondern auf die Vorstellungen in der Gesellschaft. Im Falle des Merkmals Rasse kommt als weitere Erschwerung hinzu, dass es sich bei den zu ergründenden 54  Greiner, DB 2010, 1940, 1941, der in diesem Zusammenhang von „Gesinnungszivilrecht“ spricht. 55  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 50. Dies konsentiert mittelbar auch Greiner, DB 2010, 1940, 1942 indem er im Zusammenhang mit der Frage, ob es sich bei Ostdeutschen um eine eigene Ethnie handelt, auf die geographische Herkunft als, wenn auch sehr weit gefasstes, objektives Kriterium rekurriert. 56  Greiner, DB 2010, 1940, 1941. Ähnlich im Zusammenhang mit der ethnischen Diskriminierung Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 28, wonach die Diskriminierung wegen „Nicht-Dazugehörens“ möglicherweise auch dann als Putativdiskriminierung verboten ist, wenn die fragliche Gruppe [objektiv] keine Ethnie darstellt. 57  Siehe dazu noch eingehend unten C. II. 3. b) cc) (1). 58  So zu Recht Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 52a.E. („hiervon zu trennendende Frage“); Thüsing in: MüKoBGB, § 7 AGG Rn. 9 („nicht vom Gesetz erfasst“). 59  So das Beispiel von Greiner, DB 2010, 1940, 1941. 60 Ähnlich Thüsing, in: MüKoBGB, § 7 AGG Rn. 9.

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gesellschaftlichen Vorstellungen um (Fehl-)Vorstellungen eines Teils der Gesellschaft hinsichtlich der Existenz genetisch bedingter Wertigkeiten von Menschen handelt. Anknüpfungspunkt für diese Fehlvorstellungen sind nun einmal bedauerlicherweise gerade die oben genannten physiognomischen wie kulturellen Merkmale. Gerade aus diesem Grund kommt dem Unterscheidungsmerkmal Rasse indes eine Filterfunktion zu, indem im Falle einer Anknüpfung des Diskriminierenden an die genannten „Merkmale“ unproblematisch eine rassistische Diskriminierung zu bejahen ist, ohne das es des Rückgriffs auf das schwieriger zu definierende Auffangmerkmal der ethnischen Herkunft61 bedarf. Mit anderen Worten: Wer einen Mietinteressenten wegen dessen dunkler Hautfarbe ablehnt (keine Vermietung an „Neger“)62 diskriminiert ohne Wenn und Aber wegen der Rasse.

c) Ethnische Herkunft Schwieriger gestaltet sich die Definition des Unterscheidungsmerkmals ethnische Herkunft. Auch bei der Diskriminierung wegen dieses Merkmals geht es letztlich um die Wertung des Diskriminierten als nicht „nicht dazugehörend“ aufgrund der Herkunft des Diskriminierten, nur dass die Herkunft in diesem Falle durch die Zugehörigkeit zu einer durch Tradition, Sprache oder Geschichte definierten Gruppe bestimmt wird.63 Auf welche Gruppen die genannten Eigenschaften im Allgemeinen sowie im Einzelfall zutreffen, ist umstritten. Konsens besteht aber jedenfalls darüber, dass eine Ethnie mit den Einwohnern eines bestimmten Staates (weitgehend) zusammenfallen kann, wie dies etwa im Hinblick auf Deutsche und Franzosen der Fall ist. Zwingend ist dies aber vor dem Hintergrund der in der Vergangenheit oft willkürlich erfolgten Grenzziehungen keineswegs. Vielmehr kann eine Ethnie auch, wie etwa die Basken, 61  Die

Qualifikation der ethnischen Herkunft als Auffangmerkmal entspricht der wohl h.M. im Schrifttum, vgl. Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 19; Schlachter, in: ErfK, § 1 AGG Rn. 4; in diese Richtung gehend auch BAG NZA 2012, 1345 Tz. 40 unter Berufung auf die Gesetzesbegründung zum AGG, BT.-Drs. 16/1780, S. 31; a.A. (Ausschließlichkeitsverhältnis) Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 12. 62  Solche Lehrbuchbeispiele einer rassistischen Diskriminierung kommen offenbar bedauerlicherweise auch in der Praxis vor, vgl. hierzu den von Grünberger (S. 582) genannten Fall LG Aachen, NZM 2009, 318 (Berufungsinstanz OLG Köln NZM 2010, 294). 63  Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 54 verweist als Orientierungspunkt für die Annahme einer Ethnie auf die Rechtsprechung zum britischen Race Relation Act und hier namentlich auf die Ausführungen von Lord Fraser in HL (House of Lords) Mandla v. Dowell Lee [1983] IRLR 209. Für die Qualifikation einer Bevölkerungsgruppe als „Ethnie“ ist danach erforderlich „eine lange gemeinsame Geschichte, derer sich eine Gruppe bewusst ist als ein Unterschied gegenüber anderen Gruppen, eine eigene kulturelle Tradition einschließlich familiären und sozialen Gebräuchen und Sitten, oftmals aber nicht notwendig im Einklang mit religiösen Gebräuchen; eine gemeinsame Religion unterschiedlich von der benachbarter Gruppen oder der sie umgebenden Allgemeinheit; oder − viertens − eine Gruppe in der Minderheit oder eine benachteiligte Gruppe innerhalb einer größeren Gruppe.“

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Teile des Staatsvolkes mehrerer Staaten umfassen, oder, wie die Sorben in der Oberlausitz,64 Teile eines Staatsvolkes. Als Ethnie in diesem Sinne lassen sich auch Religionsgemeinschaften definieren, soweit die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft über die gemeinsame Religion hinausgehend auch kulturelle Gemeinsamkeiten wie ein gemeinsames Brauchtum oder eine gemeinsame Sprache miteinander verbinden.65 Letzteres ist von der englischen Rechtsprechung etwa in Bezug auf in England lebende Juden oder Sikhs bejaht worden.66 Stellt die Religion dagegen das alleinige Abgrenzungskriterium der Gruppe nach außen dar, wie dies etwa im Hinblick auf die in der westlichen Gesellschaft lebenden Muslime der Fall ist, kommt als Unterscheidungsmerkmal im Sinne des § 1 AGG allein das diskriminierungsrechtlich schwächer geschützte Merkmal Religion in Betracht.67 Nicht vollständig geklärt ist, wie tiefgehend die kulturellen, sprachlichen oder religiösen Gemeinsamkeiten zwischen den Mitgliedern einer Gruppe sein müssen, um diese als Ethnie zu qualifizieren. So sind gerade die pluralistischen Gesellschaften des Westens von einem bunten Nebeneinander unterschiedlicher Lebensformen und Kulturen gekennzeichnet, deren Anerkennung als eigene Ethnie im Sinne des § 1 AGG die Vertragsfreiheit empfindlich aushöhlen würde. Exemplarisch für dieses Problem steht die mitunter nicht ohne humoristischen Einschlag geführte Diskussion, inwieweit sich die Herkunft aus einer bestimmten deutschen Region oder gar Stadt in Abgrenzung zum Rest der deutschen Bevölkerung als Ethnie im Sinne des § 1 AGG qualifizieren lässt.68 Im Grundsatz ist dies abzulehnen.69 Ebenso wie das Merkmal Rasse ist auch das Merkmal Ethnie objektiv zu definieren. Eine Ethnie ist damit eine Gruppe, die von der Gesellschaft (nicht vom Einzelnen!) wegen ihrer Herkunft als nicht zugehörig betrachtet wird. Im Hinblick auf einzelne Regionen Deutschlands oder gar noch kleinere örtliche Untereinheiten ist dies in der Regel nicht der Fall. Zwar lassen sich gewisse kulturelle, mentale und bisweilen auch sprachliche Unterschiede zwischen einem Holsteiner und einem Bayern nicht leug64 

Beispiel bei Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 56. Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 51; Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 21; Thüsing, in: ­MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 55; auch die in Fußnote 63 referierte „Fraser-Formel“ nennt die Religion als Kriterium. 66 HL (House of Lords) Mandla v. Dowell Lee [1983] IRLR 209 (Sikhs); EAT Seide v. Gilette Industries LTs [1980] IRLR 427 (Juden). 67 Ähnlich Schiek, in: Schiek. AGG, § 1 Rn. 17: Qualifizierung von Muslimen als Ethnie nur, wenn sie mit anderen Faktoren (z.B. südländisches Erscheinungsbild) einhergeht und mit bestimmten weiteren Zuschreibungen verbunden ist (türkische oder arabische Muslime, Einwanderer mit muslimischem Hintergrund). 68 Befürwortend Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 22 f. (Herkunft aus einem anderen Bundesland bei Vorliegen darüber hinausgehender Zusammengehörigkeitsmerkmale wie z.B. gemeinsamer Dialekt oder Traditionen); sehr weitgehend Greiner, DB 2010, 1940, 1942 (Kölner und Düsseldorfer). 69 Ebenso Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 59; Thüsing, in: MüKoBGB. § 1 AGG Rn. 56. 65 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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nen; das spätestens mit der Reichsgründung im Jahre 1870 geknüpfte Band einer gemeinsamen nationalen Geschichte dürfte demgegenüber als verbindender Faktor indes stärker ins Gewicht fallen. Unterbrochen wurde dieses Band freilich durch die vierzig Jahre währende politische und gesellschaftliche Teilung Deutschlands als Folge des zweiten Weltkriegs. Dies wirft die Frage auf, ob es sich bei Ost- und Westdeutschen um jeweils unterschiedliche Ethnien handelt. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat selbiges in einem Urteil aus dem Jahre 2010 mit der Begründung abgelehnt, dass die getrennte gesellschaftspolitische Entwicklung der beiden deutschen Staatshälften im Vergleich zur gemeinsam erlebten Geschichte für die Annahme zweier getrennter Ethnien zu kurz gewesen sei.70 Das Urteil ist im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung gestoßen.71 Ob allein die Kürze der Trennungsperiode als Argument ausreicht, um Deutschland auch insoweit „diskriminierungsrechtlich“ als „ein Volk“ zu qualifizieren,72 erscheint hingegen zweifelhaft. Als zu einschneidend stellt sich demgegenüber die Tatsache dar, dass zwei Generationen von Bürgern insbesondere in der Osthälfte des Landes in strenger moralischer Abgrenzung zum „Klassenfeind“ erzogen wurden und auch die Wendejahre auf beiden Seiten von höchst unterschiedlichen, teils traumatischen Erfahrungen geprägt waren.73 Die hieraus resultierenden wechselseitigen Ressentiments, wie sie etwa in den Begriffen „Jammer-Ossi“ und „Besser-Wessie“ zum Ausdruck kommen, sind geradezu Paradebeispiele einer herkunftsbezogenen stereotypen Eigenschaftszuschreibung. Entlarvend ist insoweit der Vortrag der beklagten Arbeitgeberin in dem vom Arbeitsgericht Stuttgart entschiedenen Fall, ihre Mitarbeiterin habe mit dem Hinweis auf die ostdeutsche Herkunft der abgewiesenen Bewerberin nur ihre Bedenken hinsichtlich der qualitativen Eignung derselben zum Ausdruck bringen wollen.74 Wie gerade dieser noch nicht allzu weit zurückliegende Fall lehrt, sprechen somit derzeit die besseren Argumente für eine Qualifizierung Ostdeutscher und Westdeutscher als jeweils eigene Ethnien im Sinne des

70  ArbG Stuttgart, NZA-RR 2010, 344, 345. Das Urteil erging auf die Schadenersatzklage einer abgelehnten ostdeutschen Stellenbewerberin. In dem der Klägerin vom potentiellen westdeutschen Arbeitgeber zurückgesendeten Lebenslauf fand sich hinter dem Geburtsort der Bewerberin der durch eine Mitarbeiterin der Beklagten gefertigte handschriftliche Hinweis „Ossi (-)“ sowie hinter den einzelnen beruflichen Stationen mehrfach der Hinweis „DDR“. 71  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 59; Thüsing, in: MüKoBGB. § 1 AGG Rn. 56. Im Ergebnis auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 566, der die Qualifikation der regionalen Herkunft (Heimat) als Ethnie aber allein deshalb ablehnt, weil es sich bei der Ethnie um die allgemeinste aller Gruppen handelte, aufgrund derer sich Individuen kategorisierten. 72  So die Feststellung von Thüsing, in: MüKo BGB, § 1 AGG Rn. 56. 73  Diesen zusätzlichen sozio-kulturellen Aspekt der deutschen Teilung Aspekt übersieht Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 15, nach welchem allein politische Geschehnisse nicht zum prägenden Element für die Herausbildung einer Ethnie gemacht werden sollten. 74  Der vollständige Tatbestand des Urteils ist abrufbar unter openjur.de.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

§ 1 AGG.75 In Zukunft dürfte hier aber in der Tat dem Zeitfaktor eine entscheidende Bedeutung zukommen.76 Problematisch sind solche Fälle, in denen der Diskriminierende nicht auf eine spezifische Herkunft des Diskriminierten abstellt, sondern diesen allgemein als „Ausländer“ stigmatisiert. Wer hier das Merkmal Ethnie, unzulässigerweise, subjektiv anhand der Vorstellungen des Diskriminierenden definiert, hat insoweit keine Probleme; käme es doch in diesem Fall allein darauf an, dass der Diskriminierende den Diskriminierten aus welchem Grund auch immer als nicht zugehörig betrachtet. Dies wird aber schon durch das Abstellen auf die genannten Kriterien deutlich zum Ausdruck gebracht. Wer das Unterscheidungsmerkmal ethnische Herkunft dagegen wie hier vertreten objektiv definiert, muss die Frage aufwerfen, ob eine derart allgemeine, örtlich wie kulturell nicht spezifizierte Herkunftsbezeichnung auch in der Gesellschaft als Kriterium für die Definition von herkunftsbezogener Zugehörigkeit bzw. fehlender Zugehörigkeit existiert. Auch dies wird man bejahen müssen. Die Zuordnung zu einem fremden Volk oder zu einer fremden Kultur dient in der Gesellschaft als Abgrenzungskriterien und zwar auch dann, wenn die Gruppe der in Deutschland lebenden Ausländer nicht durch gemeinsame kulturelle, sprachliche wie religiöse Merkmale geprägt ist.77 Ausschlaggebend ist insoweit allein die gefühlte Abweichung von der Mehrheitsgesellschaft.

d) Abgrenzung zur Staatsangehörigkeit Die vorstehend getroffene Feststellung, dass allein das Abstellen auf die Ausländereigenschaft eine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft darstellen kann, wirft die Frage nach der Abgrenzung zur Staatsangehörigkeit auf, welche als Unterscheidungsmerkmal im Katalog des § 1 AGG nicht genannt ist. Insoweit ist zu unterscheiden: Zum einen stellt das BAG zu Recht fest, dass bei einer scheinbar allein auf die Staatsangehörigkeit bezogenen Differenzierung eine Benachteiligung wegen der Ethnie vorliegen kann, wenn tatsächlich die Zugehörigkeit zur Volks- und Kulturgemeinschaft für die Zurückstellung tra75  Baur/Krieger, AGG, § 1 Rn. 23; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 43a. Im Ergebnis auch Greiner, DB 2010, 1940, 1942, der die Diskriminierung wegen der ostdeutschen Herkunft allerdings als Fall der Putativdiskriminierung qualifiziert. Dies erscheint jedenfalls dann zweifelhaft, wenn der Diskriminierte wie in dem vom ArbG Stuttgart entschiedenen Fall tatsächlich aus den neuen Bundesländern stammt. Einer Fehlvorstellung unterliegt der Diskriminierende in diesem Fall ausschließlich hinsichtlich der von ihm vorgenommenen stigmatisierenden Klassifizierung von Menschen nach ihrer geographischen Herkunft innerhalb Deutschlands. Ob dies als Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft zu qualifizieren ist, ist eine Frage der objektiven Definition dieses Unterscheidungsmerkmals. 76  Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 15 sieht diesen Zeitpunkt bereits als erreicht an, weil sich die kulturellen Unterschiede (wenn überhaupt vorhanden) zwischenzeitlich „verwachsen“ hätten. 77  BAG NZA 2012, 1345, Tz. 32; Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 19.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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gend ist.78 Ein anschauliches Beispiel für eine solche Konstellation liefert Thüsing mit dem vom Arbeitsgericht Wuppertal entschiedenen Fall eines Unternehmers, der seine Weigerung zur Einstellung von „Türken“ mit zu erwartenden Handgreiflichkeiten seitens türkischer Familienangehöriger begründet.79 Hier geht es dem Unternehmer ersichtlich nicht um den türkischen Pass, sondern die türkische Herkunft seiner potentiellen Arbeitnehmer, welche eben auch türkische Familienangehörige mit sich bringt.80 Ein weiteres Beispiel liefert der Ausgangsfall der vom EuGH entschiedenen Rechtssache Feryn.81 Dort hatte ein belgischer Hersteller von Türen per Zeitungsinterview angekündigt, keine „Marokkaner“ als Monteure einstellen zu wollen, weil seine Kunden Angst vor zukünftigen Wohnungseinbrüchen hätten. Der EuGH sah hierin zu Recht eine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft82 und nicht eine solche wegen der Staatsangehörigkeit, denn es ging ersichtlich ausschließlich um charakterliche Zuschreibungen an eine Gruppe von Menschen nordafrikanischer Herkunft.83 Anders ist dies nur dann, wenn unmittelbar mit der Staatsangehörigkeit in Zusammenhang stehende Fragen wie etwa behördliche Genehmigungen im Vordergrund stehen. Auch in diesem Fall kann in dem Abstellen auf die Staatsangehörigkeit jedoch zugleich eine mittelbare Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft liegen.84 Denn wer etwa bei der Ausschreibung einer Stelle die inländische (z.B. deutsche) Staatsbürgerschaft zur Einstellungsbedingung macht, schließt damit nicht nur alle Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, sondern zugleich überproportional viele Personen mit ausländischer Herkunft als potentielle Bewerber aus und muss dieses Vorgehen sachlich rechtfertigen. Die an anderer Stelle getroffene Feststellung, dass Artikel 18 AEUV im Zusammenhang mit einer unionsrechtlich geregelten Situation auch private Diskriminierungen gegenüber EU-Ausländern erfasst und insoweit Private so-

78  BAG NZA 2012, 1345, Tz. 32; ebenso die h.L., vgl. nur Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 24; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 586; Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 18; Stork, Antidiskriminierungsrecht, S. 90; Thüsing: in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 99. Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 63 gehen auch in diesem Fall von einer nur mittelbaren Diskriminierung aus (siehe dazu sogleich). Dies ist aber nicht richtig, weil es dem Diskriminierenden in der hier genannten Konstellation gerade um die Ethnizität des Diskriminierten zu tun ist. Der Diskriminierende unterscheidet damit unmittelbar nach der Ethnizität, freilich unter Verwendung eines „ethnischen Ausländerbegriffs“ (Begriff bei Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 18). 79  ArbG Wuppertal, 1 Ca 1469/07, zitiert bei Thüsing: in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 99, abrufbar bei openjur.de. 80  Thüsing: in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 99. 81 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 – Feryn; zur Bedeutung des Urteils für die Qualifikation des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot siehe noch eingehend unten C. II. 4. c). 82 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 25 – Feryn. 83  Grünberger, Personale Gleichhheit, S. 568. 84  Grünberger, Personbale Gleichheit, S. 568; Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 18.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

gar unmittelbar zu binden vermag,85 verliert vor diesem Hintergrund erheblich an praktischer Relevanz.

2. Geschlecht Beim Unterscheidungsmerkmal Geschlecht handelt es sich um das „älteste“ Unterscheidungsmerkmal im Bereich des nicht-binnenmarktfinalen unionalen Diskriminierungsschutzes.86 Von seinem Inhalt her erschließt sich dieses Merkmal deutlich leichter als die anderen in § 1 AGG aufgezählten Unterscheidungsmerkmale. Anknüpfungspunkt ist in erster Linie das biologische Geschlecht.87 Dieses umfasst in der Regel die durch die Geschlechtschromosomen bestimmte Zuordnung einer Person als weiblich oder männlich88 sowie seltene, durch eine abnormale Kombination der Geschlechtschromosomen hervorgerufene Formen der Intersexualität.89 Die biologischen Erscheinungsformen des Geschlechts zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit der Geburt erworben werden und nicht auf einer bewussten Entscheidung des Merkmalsträgers beruhen. Anders ist dies hingegen in den mit dem Begriff Transsexualität bezeichneten Fällen, in denen sich eine Person psychisch einem von ihrem biologischen Geschlecht abweichenden Geschlecht zugehörig fühlt oder gar entsprechende chemische oder operative Angleichungsmaßnahmen hat vornehmen lassen. Der EuGH fasst auch dieses Phänomen in ständiger Rechtsprechung unter den Begriff des Geschlechts und bejaht im Falle einer hiermit in Zusammenhang stehenden Ungleichbehandlung das Vorliegen einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung.90 Dies soll nicht nur nach Abschluss einer geschlechtsumwandelnden Operation gelten, sondern bereits im Hinblick auf den Wunsch, sich einer

85 

Siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) dd) (2) (b). Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 45. 87  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 73; ähnlich Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 25 (objektive Geschlechtlichkeit). 88  So wörtlich Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 57 im Einklang mit der allgemeinen Meinung im Schrifttum, vgl. nur Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 73 (Unterscheidung zwischen Mann und Frau); Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 45 (männliches oder weibliches Geschlecht); Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 1 Rn. 37 (Einteilung in männliche und weibliche Individuen). 89  Die Einbeziehung auch der Intersexualität (Zweigeschlechtlichkeit) entspricht der ganz h.M., vgl. nur Adomeit/Mohr, AGG, § 1 AGG Rn. 73; Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 57. Der deutsche Gesetzgeber ordnet die Phänomene der Zwischengeschlechtlichkeit und Transsexualität dagegen gleichermaßen dem Unterscheidungsmerkmal sexuelle Identität zu, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 31; ähnlich wohl auch Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 25 (tertium non datur). 90 EuGH, Rs. C-13/94, Slg. 1996, I-2143, Tz. 20 f. – P/S. Der EuGH hat diese Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten der Richtlinie 2000/78/EG, welche erstmals einen Schutz vor Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität gewährt, bestätigt, vgl. EuGH, Rs. C-423/04, Slg. 2006, I-3585, Tz. 24 – Richards. 86 Ähnlich

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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solchen zu unterziehen.91 Im Schrifttum wird die Gleichsetzung von Transsexualität und Geschlecht zum Teil mit dem Hinweis abgelehnt, dass es sich hierbei in Wahrheit um eine Frage der sexuellen Identität handele.92 Auch der deutsche Gesetzgeber ordnet das Phänomen Transsexualität dem Unterscheidungsmerkmal sexuelle Identität zu.93 Dem kann nicht beigepflichtet werden.94 Sexuelle Identität bezeichnet die Präferenz bei der Wahl des Sexualpartners; das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht bezieht hingegen ein ganzes Bündel identitätsstiftender Aspekte mit ein, unter denen die sexuelle Präferenz nur ein Aspekt von vielen ist. Das Phänomen der Transsexualität ist mithin im Einklang mit dem EuGH dem Unterscheidungsmerkmal Geschlecht zuzuordnen und auch § 1 AGG ist richtlinienkonform in diesem Sinne auszulegen. Geht es dagegen ausschließlich um eine Diskriminierung wegen der sexuellen Präferenz des Diskriminierten liegt, wie der EuGH im Urteil Grant zu Recht festgestellt hat, keine geschlechtsbedingte Diskriminierung vor.95 Hier ist heute allein das Unterscheidungsmerkmal sexuelle Identität einschlägig.

3. Behinderung Wie in Bezug auf alle Unterscheidungsmerkmale liefern auch in Bezug auf das Merkmal Behinderung weder das AGG noch die insoweit einschlägige Richtlinie 2000/78/EG eine Definition. Eine solche Definition findet sich allerdings in Artikel 1 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006, welches neben allen Mitgliedstaaten auch die Union selbst unterschrieben hat und welches aus diesem Grunde bei der Auslegung des Unionsrechts zu berücksichtigen ist. Als behindert zu qualifizieren sind danach „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern könnten.“ Die Definition erteilt einer ausschließlich medizinisch-individuellen Sichtweise eine Absage, indem sie auch die Wechselwirkung mit sozialen Kontextfaktoren in die Betrachtung einbezieht. Voraussetzung für das Vorliegen einer Behinderung sind damit zwar nach wie vor bestimmte individuelle Beeinträchtigungen.96 Diese werden jedoch in einem zweiten Schritt 91 EuGH,

Rs. C-13/94, Slg. 1996, I-2143, Tz. 21 – P/S. Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 25; einen differenzierenden Ansatz verfolgen Adomeit/ Mohr, AGG, § 1 AGG Rn. 76, wonach nach erfolgter Geschlechtsumwandlung das Merkmal Geschlecht, vor der Umwandlung dagegen das Merkmal sexuelle Identität einschlägig ist. 93  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 31. 94  So auch Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 48; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 572; Holuebek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 AEUV Rn. 14; Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 27. 95 EuGH, Rs. C-249/96, Slg. 1998, I, Tz. 15 – Grant. 96  Von daher ist die Befürchtung von Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 80a unbe92 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

darauf überprüft, ob sie in Verbindung mit anderen Faktoren die Teilnahme des Betroffenen an der Gesellschaft beeinträchtigen. Im Rahmen dieser gesellschaftlichen Rückkoppelung der individuellen Beeinträchtigung kann sich sowohl eine Linderung als auch eine Steigerung der Beeinträchtigung ergeben,97 welche zudem Veränderungen auf der Zeitachse unterliegt. Ein anschauliches Beispiel für eine kontextbezogene Linderung einer individuellen Beeinträchtigung nennt Grünberger. Während eine Kurzsichtigkeit für den hiervon Betroffenen im Zeitalter der Kontaktlinsen mit wenigen Nachteilen verbunden ist, kann sie die Möglichkeiten eines steinzeitlichen Jägers zur gesellschaftlichen Teilhabe erheblich beeinträchtigen.98 Das Gegenbeispiel der sich erst aus dem sozialen Kontext ergebende Steigerung einer medizinisch harmlosen individuellen Beeinträchtigung liefert Schiek mit dem Hinweis darauf, dass speziell bei Frauen entstellende Narben oder totaler Haarausfall durch die typische Reaktion Dritter zu einer Beeinträchtigung der Kommunikationsfähigkeit führen kann.99 Der EuGH hat die kontextbezogene Definition der Behinderung zum Zwecke der Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG im Wesentlichen übernommen. So entschied der EuGH bereits im vor Inkrafttreten des Übereinkommens ergangenen Urteil Navas, „dass der Begriff Behinderung so zu verstehen ist, dass er eine Einschränkung erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet.“100 Im Urteil Ring hat der EuGH diese Definition, diesmal bereits unter Berufung auf Artikel 1 des völkerrechtlichen Übereinkommens verfeinert. Unter Behinderung versteht die Richtlinie 2000/78/EG danach eine „Einschränkung, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können.“101 Die aktuelle Definition findet sich nunmehr im Urteil Kaltoft, wonach der Begriff der Behinderung im Sinne der Richtlinie „eine Einschränkung erfasst, die u.a. auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit gründet, unter Zugrundelegung des ebenfalls kontextbezogenen Behindertenbegriffs des EuGH könnte jeder low performer als behindert angesehen werden. 97  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 26. 98  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 585 f. 99  Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 43. Auch das Bundessozialgericht wertet die Kahlköpfigkeit einer Frau als Funktionsbeeinträchtigung im Rahmen des Behindertenbegriffs in § 2 SGB IX, vgl. BSG, Urteil vom 23.7.2002, B 3 K R/66 R; in Bezug genommen von LAG Düsseldorf, Urt. v. 14.5.2008 12 Sa 256/08; kritisch hinsichtlich der Einbeziehung rein ästhetischer Beeinträchtigungen dagegen Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 Rn. 81. 100 EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 43 – Navas. 101 EuGH, Rs. C-335/11, EC:C:2013:222, Tz. 37 – Ring.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können.“102 Diese Definition des Begriffs der Behinderung durch den EuGH ist auch für die Auslegung des AGG maßgeblich, welches jedenfalls in seinem arbeitsrechtlichen Teil durch die Vorgaben der Richtlinie determiniert ist.103 Nicht mit den Vorgaben der Richtlinie zu vereinbaren wäre damit die vom Gesetzgeber angeregte Auslegung des Begriffs der Behinderung in § 1 AGG anhand der sozialrechtlichen Definition in § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand nach unten abweicht und daher ihre Teilnahme am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt. Sowohl die Festlegung hinsichtlich der Dauer der Beeinträchtigung als auch der Verweis auf das Lebensalter des Diskriminierten können im Einzelfall eine Abschwächung des durch die Richtlinie vorgegebenen Schutzes mit sich bringen. Zu Recht hat daher das BAG entscheiden, dass die Definition des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX nur dann für die Auslegung des § 1 AGG maßgeblich sein soll, wenn dies zu einem gegenüber der Richtlinie erweiterten Behindertenbegriff führt; andernfalls soll für den arbeitsrechtlichen Teil des AGG die Definition des EuGH maßgeblich sein.104 Für den allgemein-zivilrechtlichen Teil des AGG gilt dies freilich nicht. Hier erscheint die allein auf das arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbot bezogene Definition des EuGH nämlich zu eng geraten, indem – abweichend von der Definition des völkerrechtlichen Übereinkommens – ausschließlich auf eine Teilhabe am Berufsleben abgestellt wird. Soweit sich der Behindertenbegriff des § 1 AGG auf Diskriminierungen im Zusammenhang mit sonstigen Schuldverhältnissen gemäß § 19 AGG bezieht, muss es mithin ausreichen, dass die individuelle Beeinträchtigung des Betroffenen diesen an der gesellschaftlichen Teilhabe im Ganzen hindert.105 Die damit einhergehende gespaltene Auslegung des § 1 AGG ist hier ausnahmsweise hinzunehmen, weil die Übernahme des engen, auf das Berufsleben abstellenden Behinderungsbegriffs des EuGH für den zivilrechtlichen Anwendungsbereich der Norm die Wirksamkeit der vom Gesetzgeber intendierten Erweiterung des Diskriminierungsschutzes auf den zivilrechtlichen Bereich konterkarieren würde.

102 EuGH,

Rs. C-354/13, EU:C:2014:2463, Tz. 53 – Kaltoft. Notwendigkeit einer unionsautonomen und einheitlichen Definition des der Richtlinie 2000/78/EG zugrundeliegenden Begriffs Behinderung vgl. EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 42 – Navas. 104 BAG, NZA 2014, 372. 105  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 38. 103 Zur

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Steht damit fest, dass auch der Behindertenbegriff des § 1 AGG in Anlehnung an die Richtlinie 2000/78/EG und dahinter stehende völkerrechtliche Konzeptionen kontextbezogen zu interpretieren ist, so birgt diese Feststellung doch zugleich das Risiko einer uferlosen Ausdehnung des Unterscheidungsmerkmals. Denn hindert nicht jede Krankheit den Betroffenen, wenn auch nur vorübergehend, an der Teilhabe am Berufsleben und am sonstigen gesellschaftlichen Leben? Und werden nicht ebenso durch jede Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes und die Reaktion des sozialen Umfelds auf diese Beeinträchtigung das Selbstwertgefühl des Betroffenen und damit seine Möglichkeit zur beruflichen und allgemein-gesellschaftlichen Teilhabe beschnitten? Hier bedarf es zweifellos limitierender Faktoren. Den ersten dieser Faktoren liefern bereits die völkerrechtliche und unionsrechtliche Definition der Behinderung selbst, indem sie eine Langfristigkeit bzw. Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung fordern.106 Folgerichtig hat der EuGH im Urteil Navas festgestellt hat, dass eine Krankheit für sich genommen zur Bejahung einer Behinderung nicht ausreicht, sofern diese nicht ihrerseits mit dauerhaften Beeinträchtigungen für den Betroffenen verbunden ist.107 Neben der Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung wird man indes auch eine gewisse Intensität fordern müssen. Ganz auf dieser Linie liegt das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kaltoft, wonach eine krankhafte Fettleibigkeit (Adipositas) nicht bereits für sich genommen als Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG zu werten ist.108 Etwas anderes soll aber gelten, wenn der Betroffene aufgrund eingeschränkter Mobilität oder dem Auftreten von Krankheitsbildern an der Verrichtung seiner Arbeit gehindert oder in der Ausübung seiner Tätigkeit beeinträchtigt ist.109 Indem der EuGH mit der Einschränkung der Mobilität und dem Auftreten von (speziellen) Krankheitsbildern ausschließlich bestimmte, durch die Ausgangskrankheit vermittelte Umstände für eine Beeinträchtigung der beruflichen Teilhabe benennt, schließt er zugleich andere Umstände, wie etwa negative Umweltreaktionen auf das Erscheinungsbild des Betroffen und eine hierdurch nur psychisch vermittelte Einschränkung der Teilhabe des Betroffenen am Berufsleben als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Behinderung aus. Diesem Ansatz ist im Kern beizupflichten. Es würde wohl tatsächlich zu weit führen, jeden Menschen der „keine schöne und edle Gestalt hat“ als behindert zu qualifizieren.110 Auch hier kommt es aber eben entscheidend auf die Intensität der Beeinträchtigung an, 106  Auf das Erfordernis der Langfristigkeit speziell hinweisend EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 45 – Navas; EuGH, Rs. C-335/11, EC:C:2013:222, Tz. 39 – Ring. In die neue, seit dem Urteil Kaltoft verwandten Formel ist der Aspekt der Langfristigkeit bereits integriert. 107 EuGH, Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 44, 46 f. – Navas 108 EuGH, Rs. C-354/13, EU:C:2014:2463, Tz. 58 – Kaltoft. 109 EuGH, Rs. C-354/13, EU:C:2014:2463, Tz. 60 – Kaltoft. 110  Insoweit zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 81.

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wie das bereits oben bemühte Extrembeispiel der von Narben entstellten oder vollständig kahlen Frau lehrt.

4. Religion und Weltanschauung Als ebenso schillernd wie schwer abgrenzbar stellen sich die Unterscheidungsmerkmale Religion und Weltanschauung dar; wohnt diesen Merkmalen doch wie keinem anderen Merkmal des § 1 AGG aufgrund der Anknüpfung an eine innere Überzeugung des Merkmalsträgers die Tendenz zur Uferlosigkeit inne. Dies gilt bereits für die Religion als dem inhaltlich noch leichter zu fassenden der beiden Merkmale. Zwar besteht hier Einigkeit hinsichtlich der Einbeziehung aller anerkannten großen Weltreligionen wie Christentum, Islam, Judentum oder Buddhismus, so dass es insoweit eines Rückgriffs auf eine allgemeine Definition nicht bedarf.111 Anders ist dies freilich in den zahlreichen Grenzfällen, in denen das religiöse Selbstverständnis des Betroffenen mit den Anschauungen der Öffentlichkeit divergieren mag. Will man hier nicht jede beliebige Überzeugung mit dem Attribut Religion adeln,112 zugleich aber auch nicht die Entwicklung neuer Vorstellungen begrenzen,113 bedarf es gewisser Abgrenzungskriterien.114 Diese liefern weder das AGG noch die Richtlinie 2000/78/ EG. Im Schrifttum besteht indes weitgehende Einigkeit darüber, dass die Einordnung einer Überzeugung als Religion zweierlei voraussetzt, nämlich zum einen den Glauben an eine umgreifende sinnerfüllte Wirklichkeit115 und zum anderen einen transzendenten Bezug dieses Glaubens. Die Voraussetzungen für das Vorliegen des ersten Kriteriums hat Thüsing dahingehend auf den Punkt gebracht, dass Religion (ebenso wie die Weltanschauung) nicht irgendwelche Fragen beantwortet, sondern ausschließlich die eng mit der menschlichen Existenz zusammenhängenden Fragen „Wo komme ich her?“, Was darf ich hoffen?“ und „Was soll ich tun?“116 Kultische Handlungen, wie etwa die Einnahme von Betäubungsmitteln, ohne diese „Einbettung“ in einen übergeordneten Sinnzusammenhang genießen damit als solche keinen Schutz.117 Zudem darf der Glauben an eine sinnerfüllte Wirklichkeit nicht nur vorgeschoben sein, um dahinterstehende finanzielle Ziele zu verdecken. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang der Religionsstatus von Sekten und hier namentlich der Scien111 

Dies ist allgemein anerkannt, vgl. nur Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AG, § 1 Rn. 52. Hiergegen zu Recht Mohr, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 201. 113  So die Befürchtung von Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 20; zum Religionsbegriff des Grundgesetzes ähnlich Kokott, in: Sachs, GG, Artikel 4 Rn. 30. 114  Allgemein zu diesem Zielpluralismus bei der Definition des Religionsbegriffs Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 51 sowie Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 19 ff. 115  So die treffende Umschreibung von Bauer/Krieger, AGG Rn. 29. 116  Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 63. 117  Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 32 mit weiteren Beispielen aus der US-amerikanischen Rechtsprechung. 112 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

tology Church.118 Einen transzendenten Bezug weist eine Überzeugung dann auf, wenn die soeben genannten Fragen menschlicher Existenz nicht aus dem innerweltlichen Ansatz heraus beantwortet werden, sondern stattdessen außerweltliche Erklärungsansätze bemüht werden. Hierzu bedarf es keiner Berufung auf einen Gott, wie das Beispiel des Buddhismus lehrt.119 Auch die Größe der Glaubensgemeinschaft spielt keine Rolle. Liegen die Voraussetzungen einer Religion im Hinblick auf eine bestimmte Überzeugung vor, ist nur das Vorhandensein der Überzeugung als solche diskriminierungsrechtlich geschützt, sondern zugleich ihre aktive Betätigung nach außen.120 Gerade in diesem Aspekt des religionsbezogenen Diskriminierungsverbots manifestiert sich dessen Charakter als ergänzender Freiheitsschutz durch Gleichbehandlung.121 Die Betätigung einer Religion umfasst insbesondere die Einhaltung von religionsbezogenen Regeln hinsichtlich Bekleidung, Gebet und Nahrungsaufnahme. Als problematisch stellen sich in diesem Zusammenhang etwa Kopftuchverbote dar und zwar unabhängig davon, ob sie als einseitiges Verbot oder als allgemeine Kleiderregeln daherkommen, weil auch solche neutralen Regelungen letztlich allein gläubige Menschen treffen und damit gegebenenfalls, vorbehaltlich einer möglichen Rechtfertigung, als mittelbare religionsbezogene Diskriminierungen zu qualifizieren sind.122 Auch bei der Weltanschauung geht es um innere Überzeugungen. Erforderlich ist zudem auch hier, dass die in Frage stehende Überzeugung wie bei der Religion Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel menschlichen Lebens trifft.123 Der für die Qualifikation als Religion erforderliche transzendentale Bezug wird insoweit lediglich durch einen innerwelt­ lichen philosophischen Erklärungsansatz ersetzt. Als Weltanschauung in diesem Sinne zu qualifizieren sind danach komplexe Ideengebilde wie etwa die

118  Das Bundesarbeitsgericht stuft die Scientology Church als nicht dem Religionsbegriff unterfallende Sekte ein, vgl. BAG NJW 1996, 143 ff.; zur zum Teil abweichenden Rechtsprechung in anderen Mitgliedstaaten vgl. Wiedemann/Thüsing, DB 2002, 463, 466. 119  Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 66. 120 EuGH, Rs. C-188/15, EU:C:2017:204, Tz. 28 ff. – Bougnaoui unter Berufung auf die auch in Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2000/78/EG in Bezug genommenen Verfassungsbestimmungen der Mitgliedstaaten sowie Artikel 10 Abs. 1 GR-Ch in seiner Auslegung im Lichte des Artikels 9 EMRK. Die Einbeziehung auch der praktizierten Religion (forum externum) in den Anwendungsbereich des unional determinierten Diskriminierungsschutzes entspricht auch der ganz h.M. im Schrifttum, vgl. nur Grünberger, Personale Gleichheit, S. 578 ff.; Schlachter, in: ErfK, § 1 AGG Rn. 9 und findet ihre Parallele in der Rechtsprechung des BVerfG zu Artikel 4 GG, vgl. BVerfG, 1 BvR 307/65, E 32, 98, 106. 121  Grünberger, S. 580. Siehe hierzu bereits oben I. 2. b). 122  In diesem Sinne nunmehr EuGH, Rs. C-157/15, EU:C:2017:203, Tz. 34 – Achbita. 123  Dies entspricht bereits der Regierungsbegründung zum AGG (vgl. BT-Drs. 16/2022, S. 8 f.) und ist zudem im Schrifttum weitgehend anerkannt, vgl. statt aller etwa Grünberger, Personale Gleichheit, S. 580.

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anthroposophischen Lehren Rudolf Steiners oder der Marxismus.124 Nicht vom Merkmal der Weltanschauung erfasst sind dagegen sonstige Überzeugungen zu Einzelaspekten des irdischen Lebens wie der Vegetarismus oder der Schutz der Umwelt. Sofern im Schrifttum eine Erstreckung des Begriffs der Weltanschauung auf solche einfachen Einstellungen verlangt wird,125 findet eine solche Deutung keine Stütze in den unionsrechtlichen Vorgaben. Zwar scheinen nahezu alle anderen Sprachfassungen der Richtlinie 2000/78/ EG eine weite Auslegung des Merkmals Weltanschauung unter Einbeziehung auch einfacher Überzeugungen nahezulegen.126 Dem steht indes, worauf Grünberger zu Recht hinweist, Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch entgegen, welcher die politischen und sonstigen Anschauungen als eigenständige Unterscheidungsmerkmale neben der Weltanschauung nennt.127 Da davon auszugehen ist, dass das Unionsrecht nicht ein und denselben Begriff mit jeweils unterschiedlicher Bedeutung verwendet, ist somit auch der Begriff der Weltanschauung in Artikel 19 AEUV sowie in dem auf Basis dieser Norm erlassenen Richtlinie 2000/78/EG eng auszulegen. Damit sind insbesondere politische Auffassungen nicht vom Merkmal der Weltanschauung im Sinne des § 1 AGG erfasst,128 sofern diese nicht, wie etwa der Marxismus, Ausfluss eines komplexen philosophischen Ideengebildes sind. Nicht geschützt ist damit auch die Mitgliedschaft in einer politischen Vereinigung.129 Ungeachtet dessen hat der deutsche Gesetzgeber die Nichterstreckung des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots auf das Unterscheidungsmerkmal Weltanschauung mit der Erwägung begründet, dass sich andernfalls Anhänger radikaler Parteien „Zugang zu Geschäften verschaffen (könnten), die ihnen aus anerkennenswerten Gründen verweigert wurden.“130 Diese Vorgehensweise ist nicht nur angesichts der vom Gesetzgeber selbst zugrunde gelegten engen Interpretation des Merkmals Weltanschauung inkonsequent. Sie wirft vor dem Hintergrund der 124 

Beispiele bei Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 60. Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 68; Säcker, ZRP 2002, 286, 289. 126  Vgl. etwa die englische Sprachfassung (belief), die französische Sprachfassung (convictions) und die niederländische Sprachfassung (overtuiging); eine Zusammenschau sämtlicher Sprachfassungen liefert Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 62–67. 127  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 580 f. 128  Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 30; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 580; ähnlich BAG NZA 2014, 21, wonach die freundliche Einstellung gegenüber der Regierung eines fremden Landes nicht als Weltanschauung zu werten ist. Weitergehend dagegen Däubler, NJW 2006, 2608 f., der „feste Überzeugungen, hinter denen die fragliche Person steht und durch die sie sich von anderen unterscheidet“ unter den Begriff der Weltanschauung subsumiert. 129 Differenzierend Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 AGG Rn. 69, der nicht die Mitgliedschaft an sich, wohl aber das persönliche Eintreten für bestimmte Inhalte als Weltanschauung werten möchte; offen gelassen in BAG NZA 2012, 317. 130  So jedenfalls die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BTDrs. 16/2022, S. 13, welcher der Bundestag durch Streichung der Weltanschauung aus dem Katalog des § 19 Abs. 1 AGG letztlich gefolgt ist. 125 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Feststellung, dass die Ungleichbehandlung von Religion und Weltanschauung den nicht unionsrechtlich determinierten oder veranlassten Teil des AGG betrifft, die Frage nach einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 3 Abs. 1 GG auf.131

5. Sexuelle Identität Deutlich weniger komplizierte Auslegungsfragen stellen sich im Hinblick auf das Unterscheidungsmerkmal sexuelle Identität. Dies folgt daraus, dass der EuGH die wesentliche Abgrenzung zum Merkmal Geschlecht bereits im Urteil P/S vorgenommen hat, wonach eine Diskriminierung wegen des Phänomens der Transsexualität als geschlechtsbezogene Diskriminierung zu qualifizieren ist.132 Die dieser klaren Aussage des EuGH entgegenstehende Zuordnung der Transsexualität zum Merkmal sexuelle Identität seitens des deutschen Gesetzgebers133 ist somit schlicht unzutreffend und damit im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 1 AGG zu ignorieren. Vom Merkmal der sexuellen Identität erfasst ist danach ausschließlich die Präferenz hinsichtlich des Geschlechts des Sexualpartners, also in erster Linie das Phänomen der weiblichen und männlichen Homosexualität sowie der Bisexualität.134 Neben in der Praxis immer noch häufig anzutreffenden Diskriminierungen bei der Eingehung und Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen und sonstigen Vertragsverhältnissen bildet auch die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Paare gegenüber Ehen im bestehenden Beschäftigungsverhältnis einen wichtigen Anwendungsfall für das entsprechenden Diskriminierungsverbot. Der EuGH hat insoweit ein Gebot der Gleichbehandlung von Ehen und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften hinsichtlich eines Anspruchs auf Witwenrente im Rahmen eines berufsständischen Versorgungssystems135 sowie hinsichtlich des Anspruchs auf Zusatzversorgung statuiert.136 Nicht unter das Merkmal sexuelle Identität im Sinne des § 1 AGG fallen dagegen bestimmte, sexuelle Praktiken als solche. Dies gilt nicht nur für solche von der Norm abweichende Praktiken wie etwa Pädophilie oder Sodomie, die ohnehin im Sinne eines breiten Konsenses unter den Mitgliedstaaten verboten sind,137 sondern für sexuelle Praktiken schlechthin. Das Merkmal der sexuellen Identität schützt nämlich, wie oben gesehen, nicht die Präferenz einer Person 131 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 582. Rs. C-13/94, Slg. 1996, I-2143, Tz. 20 f. – P/S; siehe bereits oben 2. 133  BT-Drs. 16/1780, S. 31. 134  Ganz h.M., vgl. statt aller Thüsing, MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 88 mit der berechtigten Ergänzung, dass in einer homosexuellen Arbeitsumwelt auch heterosexuelle Personen vom Diskriminierungsverbot wegen der sexuellen Identität geschützt werden. 135 EuGH, Rs. C-267/06, Slg. 2008, I-1757, Tz. 72 f. – Maruko. 136 EuGH, Rs. C-147/08, EU:C:2011:286, Tz. 52 – Römer. 137  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 164, die insoweit aber nicht, wie erforderlich, zwischen 132 EuGH,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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hinsichtlich der Frage, was diese im sexuellen Bereich tut, sondern allein hinsichtlich der Frage, ob sie es mit Männern oder Frauen tut. Der hiernach erforderliche Bezug zum Geschlecht des Sexualpartners kommt in dem in der Richtlinie 2000/78/EG sowie in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch und Artikel 19 AEUV gewählten Begriff „sexuelle Ausrichtung“ allerdings wesentlich deutlicher zum Ausdruck als in dem hiervon abweichenden, vom deutschen Gesetzgeber ohne ersichtlichen Grund bevorzugten Begriff der „sexuellen Identität. Eine hiervon zu trennende Frage ist es dagegen, ob unter das Merkmal sexuelle Identität im Sinne des § 1 AGG neben der Präferenz hinsichtlich des Geschlechts des Sexualpartners auch das tatsächliche Verhalten in diesem Sinne fällt. Mit anderen Worten: Schützt das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität nur die homosexuelle Neigung als Status oder auch das ein dieser Neigung entsprechendes Verhalten in Form homosexueller Akte. Thüsing weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass zahlreiche Arbeitgeber wie etwa die Kirchen nachteilige Maßnahmen just an die praktizierte Homosexualität knüpfen, während die Präferenz als solche toleriert wird.138 Diese zutreffende Feststellung kann aber nicht dazu verleiten, nunmehr selbst eine solche Differenzierung vorzunehmen.139 Der Schutz vor Diskriminierung wegen verhaltensbezogener Merkmale, die dem Merkmalsträger nicht von Geburt anhaften,140 sondern vielmehr Ausfluss seiner persönlichen Präferenz sind, beinhaltet schon per definitionem den Schutz der Freiheit des Merkmalsträgers, sich entsprechend seiner Präferenz verhalten.141 Diskriminierungsschutz in Bezug auf handlungsbezogene Merkmale bedeutet nun einmal in erster Linie Freiheitsschutz durch Gleichbehandlung.142 Dies wird hinsichtlich des Merkmals Religion auch zu Recht von niemandem in Frage gestellt. Im Hinblick auf das Merkmal sexuelle Identität kann insoweit nichts anderes gelten. Praktiken im Allgemeinen und der praktizierten Homosexualität im Besonderen differenzieren; siehe dazu sogleich. 138  Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 89. Die deutliche Unterscheidung zwischen Neigung und Handlung findet sich etwa im Katechismus der katholischen Kirche 1997: (Nr. 2358) „Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen… . (Nr. 2359) Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft –, durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern. 139  So aber Hanau/Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht, S. 35; Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 89; Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 164. 140  Zum Begriff und zur Abgrenzung von Merkmalen, die der Person untrennbar anhaften (askriptive Merkmale) siehe bereits oben I. 2. b). 141 Ebenso Joussen, RdA 2003, 32, 38 dort insbesondere Fußnote 63; Schiek, NZA 2004, 873, 875; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 584. 142  Siehe hierzu bereits oben I. 2. b).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

6. Alter Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt143 kommt dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Vergleich zu den anderen merkmalbezogenen Diskriminierungsverboten des AGG ein Sonderstatus zu. Dieser Sonderstatus erklärt sich aus dem geringen Stigmatisierungsgehalt von Ungleichbehandlungen, denen sich letztlich alle Menschen früher oder später auf der Zeitachse des Lebens ausgesetzt sehen. Nicht Ausgrenzung steht damit im Fokus des Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters, sondern vielmehr die das Arbeitsverhältnis traditionell prägende, gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Segmentierung des Arbeitslebens in Zeitabschnitte, welche wiederum an die erwartete Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers anknüpft. Das Alter dient insoweit lediglich als Ersatzkriterium (proxy), um die Leistungsfähigkeit zu bestimmen.144 Altersdiskriminierung begegnet damit typischerweise in Form der statistischen Diskriminierung, während präferenzbedingte Diskriminierung (Hass auf Alte) insoweit kaum zu beobachten ist.145 Aus dem genannten Grund indiziert eine Ungleichbehandlung wegen des Alters nicht, wie Ungleichbehandlungen wegen anderer Merkmale, das Vorliegen einer Diskriminierung vorbehaltlich einer Rechtfertigung im Ausnahmefall.146 Vielmehr kommt der möglichen Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen beim Verbot der Altersdiskriminierung eine zentrale Bedeutung zu, was sich unter anderen in den gegenüber anderen Merkmalen deutlich erweiterten Rechtfertigungsmöglichkeiten manifestiert.147 Aufgrund der genannten Besonderheiten verknüpfen sich mit dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters zahlreiche Fragen von hoher Komplexität, die sowohl den EuGH als auch die deutschen Gerichte im letzten Jahrzehnt intensiv beschäftigt haben. Mit der rechtlichen Komplexität des Diskriminierungsverbots kontrastiert freilich die nahezu einheitliche Auslegung, welche das Merkmal Alter als solches in Rechtsprechung und Schrifttum erfährt.148 Dabei ist der in der deutschen Sprachfassung gewählte Begriff „Alter“ in rein sprachlicher Hinsicht durchaus mehrdeutig, da er sowohl, im Sinne von „Lebensalter“, irgendeine Phase auf der Zeitachse des Lebens als auch, im Sinne von „hohes Lebensalter,“ eine fortgeschrittene Phase auf dieser Zeitachse bezeichnet. Sprachfassungen von Mitgliedstaaten, deren Sprache unterschiedliche Begriffe für beide Phäno143 

Siehe oben I. 2. b). Grünberger, Personale Gleichheit, S. 590. 145 Ähnlich Grünberger, Personale Gleichheit, S. 590. 146 BAG, NZA 2010, 561 Tz. 20. 147  Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 198 konstatiert sogar, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters von allen merkmalsbezogenen Ungleichbehandlungen die einzigen sind, die im Grundsatz, und nicht nur ausnahmsweise, einer Rechtfertigung zugänglich sind. 148  Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 83 konstatiert ein „erstaunliches Maß an Übereinstimmung.“ 144 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

221

mene kennt,149 legen indes die neutrale Deutung als „Lebensalter“ nahe.150 Dies folgt auch aus Artikel 6 Abs. 1 Uabs. 2 lit b der Richtlinie 2000/78/EG, wonach die Mitgliedstaaten unter anderem die Rechtfertigung von „Mindestanforderungen an das Alter“ vorsehen können. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Option ausgeschöpft und mit dem Erlass des § 10 S. 3 Nr. 3 AGG die Möglichkeit der Rechtfertigung von Mindestaltersregeln eröffnet. Wenn aber Mindestaltersregeln vorbehaltlich einer Rechtfertigung grundsätzlich unter das Diskriminierungsverbot fallen, muss der Begriff des Alters in § 1 AGG auch das junge Lebensalter und damit das Lebensalter als solches erfassen.151 Die Einbeziehung auch junger Arbeitnehmer in den Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters hat auch der EuGH im Urteil Kücükdeveci bestätigt.152 Auch das Alter ist damit wie alle Merkmale des § 1 AGG mit Ausnahme der Behinderung als symmetrisches Unterscheidungsmerkmal konzipiert.153 In diesem Punkt unterscheidet sich der Schutz vor Diskriminierungen wegen des Alters nach europäischem und deutschem Recht klar von dem asymmetrischen Schutz nach dem US-amerikanischen Age Dis­crimi­nation and Employment Act von 1967 (ADEAA), welcher ausschließlich älteren Arbeitnehmern ab dem 40. Lebensjahr zugute kommt.154

B. Der gegenständlich-personelle Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots I. Funktion Durch das im AGG statuierte, unionsrechtlich determininierte privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbot wird der Einzelne – gleich dem Staat – zur Gewährleistung gesellschaftlicher Gleichheit in die Pflicht genommen. Der in einem solchen Konzept angelegte Konflikt mit Freiheitsrechten des Verbotsadressaten bedarf der Auflösung im Wege praktischer Konkordanz. Dies geschieht zum einen durch die Begrenzung des Diskriminierungsverbots auf 149  Im Französischen bezeichnet „âge“ das Lebensalter und „vieillesse“ das hohe Lebensalter. Ähnliche Unterscheidungen finden sich im Englischen (age/old aged person) und im Niederländischen (leeftijd/oude leeftijd) und im Spanischen (edad/vejez). 150  Vgl nur die französische Sprachfassung (âge), die englische Sprachfassung (age) und die niederländische Sprachfassung (leeftijd) und die spanische Sprachfassung (edad). 151  Diesen Gegenschluss zieht die ganz h.M., vgl. nur Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 153; Bauer/Krieger, AGG, § 1 Rn. 46; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 84; im Ergebnis auch für eine Einbeziehung der Jugenddiskriminierung Schiek, in: Schiek, AGG, § 1 Rn. 46 sowie Thüsing, in: MüKoBGB, § 1 AGG Rn. 86. 152 EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 31 – Kücükdeveci. 153  Zur Unterscheidung zwischen symetrischen und asymetrischen Unterscheidungsmerkmalen siehe oben I. 2.a). 154  Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, 1234, 1236.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

bestimmte Unterscheidungsmerkmale, darüber hinaus aber auch durch die Festlegung seines gegenständlich-personellen Anwendungsbereichs.155 Der Regelungsort für die Vornahme dieser Begrenzung ist § 2 AGG, welcher durch die Spezialregelungen der §§ 6, 7 und 19 AGG ergänzt wird. Das privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbot des AGG erfasst danach, grob vereinfacht, Vertragsverhältnisse im Bereich der Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 AGG) sowie Vertragsverhältnisse über den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG). Man differenziert daher üblicherweise zwischen einem arbeitsrechtlichen und einem allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot. Der Begriff des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbotes ist freilich insoweit irreführend,156 als das so benannte Diskriminierungsverbot auch den Zugang zur selbständigen Erwerbstätigkeit erfasst. Im Folgenden soll daher von einem erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot die Rede sein; soweit es nicht spezifisch um die selbständige Erwerbstätigkeit geht, soll dagegen der Einfachheit halber für die Bezeichnung der Parteien auf die gängigen Bezeichnungen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ zurückgegriffen werden.

1. Gegenständlicher Anwendungsbereich Sowohl das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 7 AGG) als auch das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot (§ 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 AGG) beziehen sich auf private Vertragsverhältnisse. Für letzteres ergibt sich dies zwar nicht aus der allgemein gehaltenen Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG, die auch öffentliche-rechtliche Sachverhalte erfasst,157 wohl aber aus dem insoweit engeren, weil auf Schuldverhältnisse bezogenen Anwendungsbereich des § 19 AGG. Für die Anwendbarkeit der privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote des AGG ist es allerdings nicht von Belang, ob es sich bei dem Arbeitgeber oder dem Anbieter von Gütern und Dienstleistungen um eine Privatperson oder eine dem Staat zuzurechnende Einrichtung handelt. Ausschlaggebend ist vielmehr allein die privatrechtliche Ausgestaltung des in Rede stehenden Rechtsverhältnisses. Auf öf155  Diese interessenausgleichenden Funktion des Diskriminierungstatbestandes wird allerdings marginalisiert, wenn man wie Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 137, einen weiten Anwendungsbereich des unionalen Diskriminierungsverbotes wegen einer damit vermeintlich einhergehenden Verstärkung des „effet utile“ befürwortet; müssen doch die Vorgaben, denen effektive Wirkung verliehen werden soll, erst einmal feststehen. 156  So auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 617. 157  Dies betont auch der Regierungsentwurf (BT-Drs. 16/1780, S. 32), verbindet diese Aussage aber mit der gleichzeitigen Feststellung, dass zumeist privatrechtliche Rechtsverhältnisse betroffen sein werden, weil der Zugang zu bzw. die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft schwerpunktmäßig auf Grundlage privatwirtschaftlicher Verträge erfolge.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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fentlich-rechtlich geregelte Rechtsverhältnisse im Bereich des Erwerbslebens und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen finden das erwerbsbezogene und zivilrechtliche Diskriminierungsverbot hingegen grundsätzlich keine Anwendung. Eine Ausnahme gilt insoweit lediglich in Bezug auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, für welche § 24 AGG die (erwerbsbezogenen) Vorschriften des AGG unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten für entsprechend anwendbar erklärt.

2. Personeller Anwendungsbereich: Einseitige Schutzrichtung oder Ausdehung auf die Marktgegenseite? Ist damit der gegenständliche Anwendungsbereich, vorbehaltlich einer weiteren Ausdifferenzierung unter II und III, in groben Zügen umrissen, bedarf es darüber hinaus auch einer Definition des persönlichen Anwendungsbereichs. Grundsätzlich sind an einem privaten Vertragsverhältnis mindestens zwei Personen beteiligt. Beim Arbeitsverhältnis stehen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber, bei einem Kaufvertrag Verkäufer und Käufer. Das erwerbsbezogene und allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot des AGG richten sich jedoch jeweils nur an eine Seite des bestehenden oder in Aussicht genommenen Vertragsverhältnisses, während die andere Seite durch dieses Verbot geschützt wird. Dies ergibt sich beim erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot eindeutig aus § 7 Abs. 1 AGG, wonach Beschäftigte im Sinne des § 6 AGG nicht wegen eines verbotenen Merkmals benachteiligt werden dürfen. Adressat des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbots ist mithin der (potentielle) Arbeitgeber. Eine einseitige Schutzrichtung weist aber auch das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot auf. Zwar lässt sich dies aus der insoweit neutralen Formulierung des § 19 I, II AGG nicht unmittelbar herleiten; ist dort doch nur die Rede davon, dass eine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals „bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse“ verboten ist. Schon ein Blick auf die unmittelbar an den Wortlaut der Richtlinien 2000/43/EG und 2004/113/EG angelehnte Grundregel in § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG ergibt aber ein anderes Bild. Verboten sind danach Benachteiligungen „in Bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“. Durch die Wahl der Termini „Zugang“ und „Versorgung“ wird die Schutzrichtung klar zum Ausdruck gebracht. Den Abnehmern der vom Diskriminierungsverbot erfassten Güter und Dienstleistungen wird ein Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu bzw. eine diskriminierungsfreie Versorgung mit den genannten Leistungen gegenüber den Anbietern dieser Leistungen eingeräumt. Ein reziprokes Recht der Anbieter auf diskriminierungsfreie Abnahme lässt sich der Formulierung dagegen nicht entnehmen. Es ergibt sich entgegen Grün-

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

berger 158 auch nicht daraus, dass laut Artikel 3 Abs. 1 lit h Richtlinie 2000/43/ EG das Diskriminierungsverbot für „alle Personen“ gilt, denn diese Formulierung bezieht sich ersichtlich auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, denen, wie gesehen, eine einseitige Schutztendenz innewohnt. In diese Richtung deutet auch, wie Grünberger selbst einräumt,159 Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG, wonach sich das Verbot an alle Personen richtet, die Güter und Dienstleistungen „bereitstellen“160. Klar in die Richtung einer einseitigen Schutzrichtung der Diskriminierungsverbote deuten schließlich die Erwägungsgründe der einschlägigen Richtlinien. Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2000/43/EG begründet die Erstreckung des Diskriminierungsverbots auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen damit, dass allen Menschen ohne Unterschied der Rasse oder Herkunft „eine Teilhabe“ ermöglicht werden soll. Noch deutlicher formuliert Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2004/113/EG, wonach das Diskriminierungsverbot „für Personen gelten (soll), die Güter und Dienstleistungen liefern bzw. erbringen“. Nach alldem sprechen nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass der Unionsgesetzgeber, und ihm folgend der deutsche Gesetzgeber, von einem Transaktionsmodell ausgegangen ist, an dem Anbieter und Nachfrager als handelnde Akteure gleichermaßen beteiligt sind.161 Dies entspricht auch der Deutung des deutschen Gesetzgebers, der in seiner Begründung zum AGG davon ausgeht, dass der „Anbieter“ verpflichtet wird.162 Adressaten des Diskriminierungsverbots sind somit allein die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, während die (potentiellen) Abnehmer durch dieses Verbot geschützt werden. Die Feststellung, dass die im AGG statuiuerten, unional determinierten Diskriminierungsverbote eine einseitige Schutzrichtung aufweisen, enthebt indes nicht von der Beantwortung der Frage, warum dies so ist. Mit einer im Vergleich zum Nachfrager geringeren Schutzbedürftigkeit des Anbieters von Gütern und Dienstleistungen lässt sich dieses einseitige Schutzkonzept, das sein Vorbild im US-amerikanischen Recht findet,163 jedenfalls nicht erklären. So lehrt bereits 158 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 628. Grünberger, Personale Gleichheit, S. 628. 160  Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass nach Artikel 3 Abs. 2 Richtlinie 2004/113/EG ganz allgemein „die Wahl des Vertragspartners“ nicht vom Geschlecht abhängig gemacht werden darf. Denn dieser Absatz bezieht sich auf den ersten Absatz desselben Artikels und darf daher nicht isoliert gelesen werden. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts verbietet danach gerade den in Absatz 1 genannten Personen, die Güter und Dienstleistungen bereitstellen, die Wahl ihres Vertragspartners (also des potentiellen Kunden) von dessen Geschlecht abhängig zu machen. 161  So aber Grünberger, Personale Gleichheit, S. 628. Wie hier Thüsing, in: MüKoBGB, § 19 AGG Rn. 124. 162  BT-Drs. 16/1780, S. 3, 41 ff. 163 Vgl. Grünberger, Personale Gleichheit, S. 627 mit dem Hinweis auf die US-amerikanische Entscheidung Jones v. Alfred H. Mayer Co, 392 U.S. 409 (1968), in welchem das Ziel 159 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

225

die jüngere nationale Geschichte, dass ein Nachfrageboykott („Kauf nicht beim Juden!“) für die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen ebenso existentielle Folgen zeitigen kann wie für die Nachfrager die Verweigerung des Zugangs zu solchen Leistungen. Und auch das Geschäftskonzept des türkischstämmigen Inhabers eines Lebensmittelmarktes in einer deutschen Kleinstadt wird vor arge Herausforderungen gestellt, wenn sich auf die von ihm geschalteten Stellenanzeigen aus rassistischen Beweggründen zu wenige Bewerber melden. Wenn das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht solche Diskriminierungen gleichwohl nicht erfasst und sich auschließlich an Arbeitgeber und Anbieter von Gütern und Dienstleistungen richtet, muss die Frage also lauten, welche gemeinsame Eigenschaft die genannten Personengruppen von ihren jeweiligen Vertragspartnern unterscheidet. Die Antwort liefert eine Rückbesinnung auf den Zweck der gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote des Unionsrechts und dessen Einbindung in das Konzept eines Europas der Bürger.164 Der einzelne Inhaber unionaler Rechte wird insoweit nicht für das wirtschaftliche Ziel der Binnemarktintegration funktionalisiert, sondern er wird um seiner selbst willen vor Diskriminierungen in Bezug auf solche Faktoren geschützt, die für seine Teilhabe am sozialen Leben von zentraler Bedeutung sind165. Ein wesentlicher Faktor für die Teilhabe am sozialen Leben ist der Zugang zur Erwerbstätigkeit, um hierdurch ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu generieren. Allein das Vorhandensein ausreichender Mittel gewährleistet aber noch nicht die Teilhabe am sozialen Leben, wenn der Einzelne sich hierfür am Markt nichts kaufen kann, weil ihm der Abschluss der entsprechenden privatrechtlichen Verträge aus rassistischen oder anderen stereotypen Gründen heraus verwehrt wird. Dies gilt hinsichtlich der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen im Allgemeinen und hinsichtlich des Zugangs zu Wohnraum im Besonderen; stellt doch die Wohnung neben der Erwerbstätigkeit eine unverzichtbare Voraussetzung für die Teilhabe am sozialen Leben dar. Dies kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass das deutsche Recht hier wie dort mit dem arbeitsrechtlichen und mietrechtlichen Kündigungsschutz einen umfassenden Bestandsschutz vorsieht. Das Antidiskriminierungsrecht setzt noch eine Stufe früher an, indem es bereits den diskriminierungsfreien Zugang zu den für die Teilhabe des Einzelnen relevanten Märkten gewährleistet. des Civil Rights Law wie folgt umschrieben wird: „to assure that a dollar in the hands of a Negro will purchase the same thing as a dollar in the hands of a white man. At the very least, the freedom that congress is empowered to secure under the Thirteenth Amendment includes the freedom to buy whatever a white man can buy, the right to live wherever a white man can live.“ 164  Zu diesem Konzept Erster Teil § 3 B. II. 165  Zur Bedeutung des Aspekts der Teilhabesicherung für das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht siehe oben Erster Teil § 1 B. II. und § 2 A.

226

Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Damit unterscheidet sich das Antidiskriminierungsrecht zwar einerseits deutlich vom ebenfalls auf Teilhabesicherung ausgerichteten klassischen Sozialrecht. Denn Teilhabesicherung wird hier in einem weiteren Kontext verstanden, indem nicht nur, wie in den Fällen des spezialgesetzlichen oder allgemeinen Kontrahierungszwangs, die Versorgung mit existenziell wichtigen Gütern und Diensleistungen, sondern ganz allgemein der diskriminierungsfreie Zugang zum vollen Spektrum öffentlich angebotener Güter und Dienstleistungen gewährleistet wird. Auch werden dem Einzelnen nicht die für die Sicherung seiner Teilhabe am sozialen Leben erforderlichen Güter oder die hierzu erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sondern er wird lediglich in die Lage versetzt, sich diese Güter an den relevanten Märkten selbst zu gleichen Bedingungen zu beschaffen. Dies ist der bereits an anderer Stelle herausgestellte166 spezifisch egalitaristische Aspekt des Antidiskriminierungsrechts, der insbesondere die dogmatische Ausgestaltung des Diskriminierungsverbotes als solchem prägt. Andererseits lässt sich der gegenständliche Anwendungsbereich und hier insbesondere die einheitliche Schutzrichtung des Diskriminierungsverbots nicht ohne Rückgriff auf den teilhaberechtlichen Aspekt dieses Verbots erklären. Denn wenn es beim Antidiskriminierungsrecht um die Sicherung der diskriminierungsfreien Teilhabe des Einzelnen am sozialen Leben geht, so impliziert dies zugleich die Inpflichtnahme gerade derjenigen Personen, die als Anbieter der für die Teilhabe des Einzelnen entscheidenden „Güter“ auftreten. Dies sind zum einen die Anbieter auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten, zum anderen aber auch (potentielle) Arbeitgeber, die zwar rein wirtschaftlich betrachtet die Leistung Erwerbstätigkeit nachfragen, aus der Perspektive des teilhabeberechtigten Bürgers aber als „Anbieter“ von Erwerbsgelegenheiten auftreten. Hieraus erklärt sich geradezu zwingend die jeweils einseitige Schutzrichtung des erwerbsbezogenen und zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots: Weil eine Adressierung der Gleichbehandlungspflicht auch an Arbeitnehmer und Abnehmer von Gütern und Dienstleistungen über das Ziel der Teilhabesicherung durch Nichtdiskriminierung hinausschießen würde, ist die damit einhergehende Beschränkung der Privatautonomie insoweit nicht erforderlich. In diesem Sinne stellt sich nicht nur die Beschränkung des Diskriminierungsverbotes in gegenständlicher Hinsicht (Erwerbs- und Güter- bzw. Diensleistungsmarkt), sondern auch in persönlicher Hinsicht als Ausgleich grundrechtlicher Schutzpositionen im Sinne praktischer Konkordanz dar.

166 

Siehe oben Erster Teil § 2 A.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

227

II. Erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot 1. Allgemeines Das in §§ 6 ff. AGG geregelte erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot verbietet Diskriminierungen in Bezug auf die selbstständige und unselbständige Erwerbstätigkeit. Adressat des Verbots ist der potentielle Arbeitgeber bzw. Auftraggeber. Geschützt werden Arbeitnehmer (Beschäftigte), Stellenbewerber und selbständige Erwerbstätige einschließlich Organmitgliedern. Grundsätzlich erfasst der Schutz vor Diskriminierung sämtliche Aspekte der betroffenen Vertragsverhältnisse „von der Wiege bis zur Bahre“, also den Zugang, die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts sowie die Beendigung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 AGG). Gerade im Hinblick auf die Beendigung der Erwerbstätigkeit sieht die deutsche Regelung allerdings Beschränkungen vor, hinsichtlich derer sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Unionsrechts stellt.

2. Diskriminierungsrechtlicher Status von Organmitgliedern Gemäß § 6 Abs. 3 AGG gelten die Vorschriften des AGG für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg auch für Selbständige und Organmitglieder. Hierin liegt eine Erweiterung des personellen Anwendungsbereichs,167 die aber zugleich ihre gegenständliche Beschränkung in sich trägt, indem das Diskriminierungsverbot im Hinblick auf die genannte Personengruppe nur den Zugang zur Erwerbstätigkeit, nicht aber die Ausübungsbedingungen und die Beendigung betrifft. Insbesondere diskriminierende Kündigungen von Organmitgliedern wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes könnten in diesem Falle nicht vom Diskriminierungsschutz erfasst sein. Welche Konsequenzen aus dieser Regelung zu ziehen sind, wird im deutschen Schrifttum seit Langem kontrovers diskutiert.168 Genauer gesagt stellen sich im Hinblick auf den diskriminierungsrechtlichen Status von Organmitgliedern gleich mehrere Fragen.

a) Organmitglieder und unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff Zunächst ist zu klären, ob bestimmte Organmitglieder bereits als „Beschäftigte“ im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG einzustufen sind, und damit Diskriminierungsschutz auch hinsichtlich der Ausübungsbedingungen und der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses genießen. Indem § 6 Abs. 1 AGG lediglich die Vorgaben der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2006/54/EG umsetzt, 167 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 617; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 324. Einen guten Überblick zum Gesamtproblem m.w.N. liefern Bauer/Krieger, AGG, § 6 Rn. 27 ff. 168 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

kann diese Klärung nur auf Grundlage des unionsautonom zu bestimmenden, in den Richtlinien verwendeten Begriffs des „Arbeitnehmers“ erfolgen. Der EuGH hat diesen Begriff in der Entscheidung D ­ anosa in Bezug auf die Mitglieder von Gesellschaftsorganen weit ausgelegt und Organmitglieder als hiervon erfasst angesehen, wenn sie hinsichtlich der Ausübung ihrer Tätigkeiten Weisungen der Gesellschafter oder eines Aufsichtstsgremiums unterstehen und jederzeit ohne Einschränkung von ihrem Amt abberufen werden können.169 Der Gerichtshof knüpft damit an den von ihm im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit entwickelten allgemeinen unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff an, welcher ebenfalls das Merkmal der Weisungsgebundenheit in den Mittelpunkt stellt.170 Dies ist auf § 6 Abs. 1 AGG zu übertragen. Soweit eine Person danach als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren ist, genießt die in Rede stehende Person den vollen Diskriminierungsschutz nach § 6 Abs. 1 AGG.171 Welche Schlussfolgerungen sich hieraus für die Arbeitnehmereigenschaft der verschiedenen Arten von Organmitgliedern deutscher Gesellschaften ziehen lassen, soll hier wegen des primär gesellschaftsrechtlichen Charakters dieser Fragestellung nicht weiter erörtert werden. Angesichts der besonderen Organstruktur der GmbH, die sich durch weitreichende Weisungsbefugnisse der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung auszeichnet, wird man aber jedenfalls den Fremdgeschäftsführer einer GmbH als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts und damit als Beschäftigten im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG zu qualifizieren haben.172 169 EuGH,

Rs. C-232/09, EU:C:2010:674, Tz. 51 – Danosa. vollständige Formel lautet: „Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.“ Vgl. nur EuGH, Rs. 66/85, Slg. 1986, 2121, Tz. 16, 17 – Lawrie-Blum; EuGH, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I‑5939, Tz. 33 – Raccanelli. 171  Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 60; Schubert, ZIP 2013, 289, 290; a.A. Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 996, wonach die Qualifikation von Organmitgliedern als „Beschäftigte“ im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG wegen des vermeintlich entgegenstehenden Willens des deutschen Gesetzgebers nicht in Betracht kommt und § 6 Abs. 3 AGG insoweit eine Sperrwirkung entfaltet. Dies vermag aber schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sich der Regierungsbegründung zum AGG an vielen Stellen klar entnehmen lässt, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des Unionsrechts korrekt umsetzen wollte (vgl. nur BT-Drs. 16/1780, S. 30). Darüber hinaus behält § 6 Abs. 3 AGG auch bei Qualifikation bestimmter Organmitglieder als Beschäftigte einen eigenen Anwendungsbereich als Auffangnorm für Organmitglieder, die nicht unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fallen. Etwas anderes gilt aber, wenn man die letztgenannte Norm auch in gegenständlicher Hinsicht an § 6 Abs. 1 AGG angleicht. Siehe dazu sogleich unter b). 172  Dies entspricht der h.M. im Schrifttum, vgl. nur Bauer/Krieger, AGG, § 6 Rn. 35a. m.w.N; vgl. auch EuGH, Rs. C-107/94, Slg. 1996, I-3089, Tz. 26 – Asscher (keine Arbeitnehmereigenschaft des Geschäftsführers einer niederländischen B.V., der gleichzeitig Alleingesellschafter ist); a.A. Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 340 ff., der dem Urteil Danosa qualitative Anforderungen an die dort verlangte Weisungsunterworfenheit entnehmen möchte (jederzeitige, kurzfristige Abberufbarkeit), die auf GmbH-Gesellschafter bei einer auch das Be170  Die

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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b) Schutz nur vor Zugangsdiskriminierung oder voller Schutz? Für den Fall, das Organmitglieder nicht bereits als Arbeitnehmer einzuordnen sind, stellt sich die weitergehende Frage, was die in § 6 Abs. 3 AGG angeordnete Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf den „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ konkret in Bezug auf die verschiedenen Arten der Beendigung von Organverhältnissen bedeutet. Der BGH und ein Teil des Schrifttums differenzieren insoweit zwischen der nicht vom Diskriminierungsverbot erfassten Entlassung und der Nichtverlängerung eines befristeten Amtsverhältnisses.173 Wenn auch der Wortlaut der Vorschrift und die Systematik des § 6 AGG insgesamt eine soche Deutung nahelegen mögen, sprechen doch gleich mehrere Gründe dafür, den vollen, die Beendigung des Erwerbsverhältnisses einbeziehenden Diskriminierungsschutz auch auf die Tätigkeit von nicht als Arbeitnehmer zu qualifizierenden Organmitgliedern und sonstigen Selbständigen zu erstrecken. Gegen eine Beschränkung des Diskriminierungsschutzes von Organmitgliedern und Selbständigen auf den Zugang zur Beschäftigung spricht zum einen die Erwägung, dass andernfalls etwa ein älterer Bewerber zwar bei der Bewerbung berücksichtigt werden müsste, danach aber sofort wegen seines Alters gekündigt werden könnte.174 Ein weitaus stärkeres Argument ist jedoch die Feststellung, dass ein Ausschluss der Beendigungskonstellation vom Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots hinter den Vorgaben des Unionsrechts zurückbliebe.175 Zwar scheint der deutsche Gesetzgeber mit der Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und des § 6 Abs. 3 AGG exakt die Formulierung in den einschlägigen Antidiskriminierungsrichtlinien nachgezeichnet zu haben. So definiert jeweils Artikel 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG und der Richtlinie 2000/78/EG die Aspekte, hinsichtlich derer es keinerlei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf als a) die Bedingungen einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für den Zugang zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position einschließlich des beruflichen Aufstiegs; … c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe von Artikel 141 des Vertrags schäftigungsverhältnis einbeziehenden Gesamtbetrachtung nicht zutreffen sollen; die Arbeitnehmereigenschaft von GmbH-Geschäftsführern offenlassend BGHZ 193, 110, Tz. 18; zu weiteren Organverhältnissen vgl. Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 6 Rn. 24. 173  BGHZ 193, 110, Tz. 22; aus dem Schrifttum Hoentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 39 ff.; Adomeit/Mohr, AGG, § 6 Rn. 8 und 10; Mohr, ZHR 178 (2014), 326; 346; Krause, AG 2007, 392; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 63 ff. 174  Lutter, BB 2007, 725, 728 („Hin und Her“); ebenso Bauer/von Medem, NZA 2012, 945, 949 („Drehtüreffekt“); Thüsing, in: MüKoBGB, § 2 AGG Rn. 7. 175  In diesem Sinne Schubert, ZIP 2013, 289, 291 f.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Bei flüchtiger Betrachtung scheint die Differenzierung zwischen einem auch die selbständige Erwerbstätigkeit erfassenden Verbot der Zugangsdiskriminierung einerseits und einem nur unselbständige Tätigkeiten erfassenden Diskriminierungsverbot auch hinsichtlich Arbeits- und Entlassungsbedingungen somit in der Richtlinie angelegt.176 Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn der in Artikel 3 Abs. 1 lit c verwendete Begriff „Beschäftigung“ ausschließlich unselbständige Tätigkeiten erfassen soll. Hieran bestehen allerdings berechtigte Zweifel. Diese werden bereits dadurch genährt, dass der Begriff „Beschäftigungsbedingungen“ neben dem Begriff „Arbeitsbedingungen“ eigens aufgeführt wird. „Beschäftigung“ im Sinne der Richtlinie muss also etwas anderes meinen als „Arbeit“. Was dies sein könnte, erschließt sich aus einem Blick auf Artikel 3 Abs. 1 lit a der Richtlinie, welcher die Begriffe „abhängige und selbständige Erwerbstätigkeit“ nebeneinander nennt. Die Begriffe „Arbeits-“ und „Beschäftigungsbedingungen“ in lit c könnten sich jeweils auf die beiden in lit a genannten Varianten von Erwerbstätigkeit beziehen. Der Begriff „Arbeitsbedingungen“ würde sich dann auf die abhängige Erwerbstätigkeit und der neutralere Begriff „Beschäftigungsbedingen“ (auch) auf die selbständige Erwerbstätigkeit beziehen. In diese Richtung deuten auch andere Sprachfassungen der genannten Richtlinie. So spricht die englische Sprachfassung in lit a von „access to employment and self employment“, in lit c dagegen von „employment and working conditions“. Auch hier stehen sich somit in lit a und lit c zwei Begriffspaare gegenüber und es spricht auch hier einiges dafür, dass der in lit c neben dem Begriff working conditions genannte Begriff „employment conditions“ sich gerade auf den Begriff „self employment“ in lit a beziehen soll. Noch aufschlussreicher ist insoweit die niederländische Sprachfassung, die in lit a zwischen „arbeid in loondienst of als zelfstandige“ und in lit c zwischen „werkgelegenheid en arbeidsvoorwaarden“ unterscheidet. Indem hier sogar in lit a sowohl die abhängige als auch die selbständige Erwerbstätigkeit mit „arbeid“ umschreiben wird, soll ersichtlich auch in lit c mit dem Begriffen „arbeidsvorwaarden“ und „werkgelegenheid“ die Bedingungen hinsichtlich beider der in lit a benannten Arten von „arbeid“, die selbständige und die unselbständige, vom weiter­ reichenden Diskriminierungsverbot des lit c erfasst sein. Gegen eine solche Parallelität zwischen lit a und lit c könnte allerdings sprechen, dass in Artikel 14 Abs. 1 lit a der ebenfalls einschlägigen Richtlinie 2006/54/EG der Begriff „Beschäftigung“ zusätzlich neben den Begriffen „unselbständige und selbständige Erwerbstätigkeit“ genannt wird. Dies könnte darauf hindeuten, dass dieser in lit c gleichfalls auftauchende Begriff dort nicht, wie vorstehend angedacht, als Platzhalter für die selbständige Tätigkeit fun176  Dies entspricht auch einer verbreiteten Meinung im Schrifttum, siehe etwa Hoentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 39 ff.; Adomeit/Mohr, AGG, § 6 Rn. 8 und 10; Krause, AG 2007, 392.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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giert. Wahrscheinlicher ist aber, dass hier dem Begriff „Beschäftigung“ in lit a lediglich die Funktion eines Oberbegriffs für die nichtselbständige und selbständige Erwerbstätigkeit zukommt. Dies legt erneut ein Blick auf die anderen Sprachfassungen nahe; findet sich doch hier bei allen Richtlinien und nicht nur bei der Richtlinie 2006/54/EG in Abs. 1 lit a des den jeweiligen Anwendungsbereich festlegenden Artikels ein zusätzlicher Begriff.177 Anders als in der deutschen Sprachfassung wird dieser Begriff allerdings nicht in lit c wiederholt. Die fehlende Wiederholung des Begriffes in lit c deutet darauf hin, dass es sich hierbei in der Tat um einen in lit a genannten Oberbegriff für die beiden im Kontext genannten Äquivalente für selbständige und unselbständige Erwerbstätigkeit handeln soll. Dann spricht aber wiederum viel dafür, dass auch in der deutschen Sprachfassung des Artikels 14 Abs. 1 lit a der Richtlinie 2006/54/EG der dort genannte Begriff „Beschäftigung“ lediglich als Oberbegriff für die unselbständige und selbständige Erwerbstätigkeit fungieren soll, während ihm in lit c des gleichen Artikels die abweichende Funktion zukommt, die Anwendung der Norm auch auf die selbstängige Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Schon anhand einer textlichen, andere Sprachfassungen einbeziehenden Bestandsaufnahme erscheint es mithin alles andere als ausgemacht, dass der von den Richtlinien vorgegebene Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots im Hinblick auf Selbständige ein engerer ist als im Hinblick auf Arbeitnehmer und Stellenbewerber. Es deutet vielmehr einiges darauf hin, dass von dem Diskriminierungsverbot hinsichtlich aller Aspekte der Erwerbstätigkeit vom Zugang bis zur Beendigung jeweils Arbeitnehmer und Selbständige gleichermaßen erfasst sein sollen. Der Begriff „Beschäftigung“ dient damit im Unionsrecht, anders als im nationalen Recht, der Umschreibung sowohl der unselbständigen als auch der selbständigen Erwerbstätigkeit.178 Gegen einen Gleichlauf des Diskriminierungsschutzes in Bezug auf die unselbständige und die selbständige Erwerbstätigkeit lassen sich auch keine systematischen Argumente fruchtbar machen. Zwar hat der Unionsgesetzgeber zwischenzeitlich mit der Richtlinie 86/613/EG,179 später ersetzt durch die Richtlinie 2010/41/EU,180 einen Rechtsakt erlassen, der sich spezifisch der Verwirklichung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Bezug auf selbständige Tätigkeiten widmet. Hieraus lassen sich aber schon deshalb keine Rückschlüsse auf den Diskriminierungstatus von Selbständigen nach der Richt177  Die

englische Sprachfassung spricht insoweit von „occupation“, die niederländische Fassung von „beroep.“ 178  So zu Recht auch Thüsing, in: MüKoBGB, § 2 AGG Rn. 4. 179 Richtlinie 86/613/EWG vom 11.12.1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit – auch in der Landwirtschaft – ausüben, sowie über den Mutterschutz, ABl. EWG 1986 L 359/56. 180 Richtlinie 2010/41/EG vom 07.07.2010 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG des Rates ABl. EWG 2010 L 180/1.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

linie 76/207/EWG und den hierauf basierenden Nachfolge-Rechtsakten ziehen, weil der insoweit bereits bestehende Diskriminierungsschutz durch die Richtlinien 86/613/EG und 2010/41/EU lediglich ergänzt werden soll.181 Konkret geht es hierbei um flankierende Maßnahmen zur Erleichterung der Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens.182 Hierbei handelt es sich zwar um Maßnahmen betreffend den Zugang zur Erwerbstätigkeit im weitesten Sinne. Diese setzen aber mit der Phase der Unternehmensgründung bereits zu einem dem Marktzugang vorgelagerten Zeitpunkt ein. Es geht somit nicht darum, die Gleichbehandlung durch potentielle Vertragspartner auf dem Beschäftigungsmarkt sicherzustellen, sondern um die organisatorische wie finanzielle Gewährleistung des Marktzutritts als solchem. Die Gleichbehandlung durch andere Marktakteure hinsichtlich des Zugangs zu einer konkreten Beschäftigung selbständiger wie unselbständiger Art regeln dagegen ausschließlich die Richtlinien 2006/45/EG (hinsichtlich des Geschlechts) sowie die Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG (hinsichtlich der anderen verbotenen Merkmale). Ob insoweit durch die genannten Richtlinien ein graduell schwächerer Schutz in Bezug auf selbständige Tätigkeiten (nur Zugang) im Vergleich zu unselbständigen Tätigkeiten (auch Bedingungen und Beendigung) vorgesehen ist, lässt sich aus dem systematischen Kontext zu den flankierenden Richtlinien somit nicht herleiten. Ein graduell schwächerer, nur auf den Zugang beschränkter Diskriminierungsschutz in Bezug auf die selbständige Erwerbstätigkeit lässt sich auch nicht pauschal mit dem teleologischen Argument begründen, dass es sich hierbei regelmäßig um auf eine einzelne Tätigkeit bezogene Werk- oder Dienstverträge handelt, die nach kurzer Zeit automatisch enden.183 Vielmehr ist insoweit eine differenzierte Betrachtung geboten: In Bezug auf Verträge, die auf einen einmaligen Leistungsaustausch gerichtet sind, greift in der Tat nicht der dem Arbeitsrecht zugrundeliegende Schutzgedanke zugunsten des schwächeren Vertragsteils.184 Zwar mag auch der Anbieter solcher Leistungen auf fortwährende Neubeauftragung in wirtschaftlicher Hinsicht angewiesen sein. Eine Erstreckung des Diskrimninierungsschutzes auch auf solche Verträge gestaltet sich aber schon deshalb problematisch, weil es in diesem Falle zu Friktionen mit dem zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot käme, welches nur die Nachfrager, nicht aber den Anbieter von Dienstleistungen schützt (Versorgung mit Gütern 181  Schubert, ZIP 2013, 289, 291; insoweit auch Hoentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 42. 182  Vgl. Artikel 4 Abs. 1 der 2010/41/EG. 183  So aber Hoentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 53 f. 184  Die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern und selbständigen Erwerbstätigen hinsichtlich der Frage der Vertragsparität betonen in diesem Kontext H ­ oentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 52 und Wank, in: Festschrift Hüffer, S. 1051, 1055 f.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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und Dienstleistungen).185 Dies gilt im Übrigen im Hinblick auf den Zugang und Beendigung gleichermaßen. So handelt es sich bei der Nichtbeauftragung eines Klempners wegen dessen Hautfarbe zwar um ein moralisch verwerfliches, vom unionalen Diskriminierungsschutz aber gleichwohl nicht erfasstes Verhalten. Anders verhält es sich dagegen bei Dauerschuldverhältnissen mit einer langfristigen oder sogar unbeschränkten Laufzeit. Hier besteht angesichts des stärkeren existenziellen Bezugs ein Bedürfnis nach einen sowohl auf den Zugang als auch auf die Beendigung bezogenen Diskriminierungsschutz; zum anderen ist im Falle der Etablierung eines solchen Schutzes das Risiko von Friktionen mit dem an die Anbieterseite adressierten zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz als eher gering zu veranschlagen; weisen doch auf selbstängige Tätigkeiten gerichtete Dauerschuldverhältnisse eine gewisse Nähe zu Arbeitsverhältnissen auf. Für letztere sieht das Unionsrecht indes ein an die Nachfrageseite adressiertes Diskriminierungsverbot unstreitig vor. In Bezug auf Dauerschuldverhältnisse fügt sich ein auch selbständige Tätigkeiten erfassender vollständiger Diskriminierungsschutz somit nahtlos in das unionale Antidiskriminierungs-Regime ein.186 Speziell in Bezug auf den Schutz vor geschlechtsbezogene Diskriminierungen bei Beendigung einer selbständigen Erwerbstätigkeit legt der EuGH ohnehin eine eher pragmatische Haltung an den Tag. So ließ es der Gerichtshof im Urteil Danosa dahinstehen, ob die Klägerin des Hauptverfahrens als Arbeitnehmerin im Sinne der Richtlinien 92/85/EWG bzw. 76/207/EWG oder als selbständige Erwerbstätige im Sinne der Richtlinie 86/613/EG einzustufen sei, weil auch die letztgenannte Richtlinie einen Schutz vor diskriminierenden Entlassungen gewährleiste!187 Hieraus folgt, dass – jedenfalls nach Auffassung des EuGH – das Unionsrecht insgesamt einen vollwertigen Schutz vor diskriminierenden geschlechtsbezogenen Vertragsbeendigungen auch in Bezug auf die langfristig angelegte selbständige Erwerbstätigkeit vorgibt. Jedenfalls in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen kommt es auf die – vorstehend bejahte – Frage, ob ein solcher Schutz auch in Bezug auf die übrigen Unterscheidungsmerkmale besteht, somit nicht an.188 185  Ebenso dezidiert Thüsing, in: MüKoBGB. § 2 AGG Rn. 5, der zugleich bedauert, dass die Frage, welche Art von selbständigen Verträgen vom erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot erfasst sind, durch die Rechtsprechung noch nicht strukturiert sei. 186  Schubert, ZIP 2013, 289, 291. 187 EuGH, Rs. C-232/09, EU:C:2010:674, Tz. 70 – Danosa. 188 Entgegen Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 346 lässt sich aus der zitierten Passage des Urteils Danosa nicht im Umkehrschluss herleiten, dass der EuGH einen bereits durch die „arbeitsrechtlichen Richtlinien“ gewährleisteten vollwertigen Diskriminierungsschutz (in Bezug auf andere verbotene Merkmale?) ablehne. Vielmehr deuten die Ausführungen in den der zitierten Passage vorhergehenden Teilziffern des Urteils darauf hin, dass der Gerichtshof in Bezug auf Kündigungen wegen der Schwangerschaft auch bereits die Richtlinie 76/207/ EWG für einschlägig hält. Vgl. insoweit etwa Tz. 67, wonach es dem Schutzziel der Richtlinie

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Für das deutsche Recht folgt hieraus, dass § 6 Abs. 3 AGG, der den Schutz vor Diskriminierung in Bezug auf Selbständige und Organmitglieder nur auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit beschränkt, hinter den Anforderungen des Unionsrechts zurückbleibt. Dem lässt sich auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung abhelfen.189 Eine richtlinienkonforme Auslegung im engeren Sinne scheitert bereits am klaren Wortlaut der deutschen Regelung. Weder ist es insoweit möglich, Selbständige und Organmitglieder entsprechend der weiteren unionsrechtlichen Terminologie als „Beschäftigte“ zu qualifizieren, weil § 6 Abs. 1 AGG insoweit eine klare und unmissverständliche Legaldefinition liefert. Auch geht es nicht an, den Begriff „Zugang“ in § 6 Abs. 3 AGG erweiternd dahingehend auszulegen, dass dieser auch den fortwährenden Zugang und damit auch die wie auch immer gestaltete Beendigung der Erwerbstätigkeit umfasst.190 Denn würde man in dieser Weise verfahren, verbliebe für § 6 Abs. 3 AGG, der offensichtlich eine Sonderregel für Selbständige und Organmitglieder anstrebt, kein Anwendungsbereich, was wiederum als Ergebnis einer Auslegung ausscheiden muss. Aus dem gleichen Grund verbietet sich auch eine richtlinienkonforme teleologische Reduktion der in § 6 Abs. 3 AGG statuierten Beschränkung des Schutzes von Selbständigen und Organmitgliedern auf den „Zugang“ zur Erwerbstätigkeit.191 Ebenfalls nicht in Betracht kommt vor diesem Hintergrund die Wertung einer wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgten Beendigung eines Organverhältnisses als „sittenwidrig“ und damit nichtig im Sinne des § 138 BGB.192 Denn das Verdikt der Sittenwidrigkeit würde sich hier einzig auf den Verstoß gegen § 7 AGG gründen, dessen Anwendbarkeit auf die Beendigung selbständiger Erwerbsverhältnisse allerdings durch § 6 Abs. 3 AGG gesperrt wird.193 Möglich und unionsrechtlich geboten ist es aber, die Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf den Zugang in § 6 Abs. 3 AGG nach den vom EuGH im Urteil Mangold aufgestellten und in nachfolgenden Urteilen weiterentwickelten Grundsätzen außer Anwendung zu lassen.194 Denn bei den auch die selbständige Tätigkeit einbeziehenden Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien handelt es sich um Regelungen, die den Grundsatz der Nichtdiskriminierung nicht konstituieren, sondern einen 76/207/EWG zuwiderliefe, wenn man die einseitige Beendigung eines mit einer Schwangeren bestehenden „Geschäftsbesorgungsverhältnisses“ als nicht von der genannten Richtlinie erfasst ansehen wollte. 189 Ebenso Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 599; Schubert, ZIP 2013, 289, 293. 190  So aber Thüsing, in MüKoBGB, § 2 Rn. 7: Kündigung bzw. Abberufung als actus contrarius der Anstellung bzw. Bestellung. 191  Zu den Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. a). 192  So aber Schubert, ZIP 2013, 289, 294. 193  Insoweit zu Recht Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 347. 194 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 77 – Mangold; siehe hierzu oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. a).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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insoweit bereits im Primärrecht angelegten grundrechtlichen Schutz lediglich inhaltlich konkretisieren und aktivieren.195 Wenn auch dem Sekundärrecht insoweit letztlich die entscheidende Bedeutung zukommt, führt doch gerade die Rückkoppelung mit inhaltsgleichen primärrechtlichen Rechtsverbürgungen dazu, dass das nationale Recht im Falle eines Verstoßes gegen grundrechtskonkretisierende Richtlinienvorgaben zurückzutreten hat. Bis zu einer schon nach dem Transparenzgrundsatz dringend gebotenen Neuregelung196 durch den deutschen Gesetzgeber haben die deutschen Gerichte somit § 6 Abs. 3 AGG insoweit außer Anwendung zu lassen, als diese Norm den Schutz von Selbständigen und Organmitgliedern vor Diskriminierung auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit beschränkt. Selbständige und alle Organmitglieder genießen damit schon heute den vollen Diskriminierungsschutz auch in Bezug auf die Beendigung der Erwerbstätigkeit und sind damit den in § 6 Abs. 1 AGG genannten Personen gleichgestellt. Für eine erweiternde, unionskonforme Auslegung des § 6 Abs. 1 AGG im Hinblick auf den Begriff des Beschäftigten besteht in diesem Falle kein Bedarf mehr.

c) Schutz vor Diskriminierung auch in Bezug auf das Organverhältnis? Der Schutz vor Diskriminierung in Bezug auf Organmitglieder erstreckt sich nicht nur auf das Anstellungsverhältnis (Dienstvertrag), sondern darüber hinaus auf das Organverhältnis als solches.197 Im Schrifttum wird dies bisweilen bezweifelt,198 dies allerdings zu Unrecht. Denn der Schutz vor Diskriminierung in Bezug auf die Tätigkeit von Organmitgliedern wäre unvollkommen, wenn dieser sich nur auf das Anstellungsverhältnis beziehen und das betroffene Organmitglied damit auf den Status eines reinen Gehaltsempfängers degradieren würde. Teilhabe am Erwerbsleben bedeutet eben mehr als Alimentation.199 Einer den Interessen der Gesellschaft zuwiderlaufenden Belastung mit einem nicht (mehr) gewünschten Organmitglied kann im Rahmen des Rechtsfolgen-Regimes dadurch entgegengewirkt werden, dass eine unmittelbare Abhilfe 195  Zum Verhältnis zwischen primären Diskriminierungsverboten und konkretisierenden Richtlinien siehe eingehend oben Zweiter Teil § 1 B. II. 196  Zur Pflicht der Mitgliedstaaten zur ausdrücklichen und transparenten Umsetzung von Richtlinien, die auf die Einräumung subjektiver Rechte angelegt sind, siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 1. a). 197  BGHZ 193, 110, Tz. 19; ebenso Hoentzsch, Anwendung des AGG auf Organmitglieder, S. 31 ff.; Lutter, BB 2007, 725, 726, Grünberger, Personale Gleichheit, S. 617; Paefgen, ZIP 2012, 1297; Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 6 Rn. 34. 198  Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997; Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 34 f.; Reuter, in: Festschrift Adomeit, 2008, S. 595, 598 f. 199 A.A. Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 343, der auch unter Berufung auf den Gesetzeswortlaut („Erwerbstätigkeit“) die soziale Absicherung des Organwalters in den Vordergrund stellt und ein etwaiges weitergehendes Interesse des Organwalters an der tatsächlichen Vertragsdurchführung dahinter zurückstehen lassen möchte.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

des Diskriminierungsopfers auf der Primärebene insoweit ausgeschlossen und dieses auf Schadensersatzansprüche verwiesen wird. 200

d) Friktionen mit divergierenden Freiheitsrechten der Anteilseigner? Im Schrifttum wird die Erstreckung des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbotes auf Organmitglieder einer kritischen Überprüfung am Maßstab der hierdurch beeinträchtigten Grundrechte bzw. Grundfreiheiten 201 der insoweit in die Pflicht genommenen Anteilseigner unterzogen.202 Einen besonders kritischen Standpunkt nimmt insoweit Mohr ein, der den Interessen der Anteilseigner durch eine restriktive, primärrechtskonforme Auslegung des Diskriminierungsverbotes in Bezug auf die Anstellung und Bestellung von Organmitgliedern Rechnung tragen möchte.203 Danach gebiete die primärrechtlich verbürgte Kontrollbefugnis der Anteilseigner über die ihnen gehörenden Unternehmen, dass Personalentscheidungen in Bezug auf die Mitglieder von Leitungsorganen angesichts der diesen zukommenden besonderen Vertrauensstellung nur einer Mißbrauchskontrolle unterliegen dürften. Für altersbezogene Diskriminierungen soll eine Diskriminierung danach bereits ausscheiden, sofern die Anknüpfung an das Alter lediglich als Stellvertretermerkmal für Defizite des (in Aussicht genommenen) Organmitglieds im Leistungs- und Verhaltensbereich oder für das geminderte Vertrauen in seine Fähigkeiten fungiert. 204 Diese Sichtweise sieht sich schon im Ansatz erheblichen Bedenken ausgesetzt. Zwar ist es zutreffend, dass bei einer Erstreckung des Diskriminierungsverbotes auf Organverhältnisse (im weiteren Sinne) die Grundrechtspositionen und Marktfreiheiten der Anteilseigner in besonderem Maße betroffen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn man, wie hier vertreten, auch die Organstellung als solche dem Diskriminierungsschutz unterstellt. Die von Mohr vorgeschlagene Reduzierung des Diskriminierungsschutzes auf eine Missbrauchskontrolle dient allerdings nicht etwa der Auflösung der konfligierenden Rechtspositionen des Diskriminierungsopfers und der Anteilseigner, sondern sie beinhaltet vielmehr eine vollständige Negierung des Diskriminierungsschutzes in Bezug auf Organverhältnisse. Zur Gewährleistung der Rechte der Anteilseigner bedarf es dessen aber gar nicht, weil die Anwendung des Diskriminierungsverbotes auf Organmitglieder eine ihrer besonderen Vertrauensstellung Rechnung tragende Auswahl unter qualitativen und sonstigen, von unternehmerischen Entschei200 

Siehe unten Vierter Teil § 2 A. II. 1. b) cc). handelt es sich zum einen um die in der Grundrechte-Charta verbürgte Unternehmer- und Eigentumsfreiheit (Artikel 16, 17 GR-Ch), zum anderen um die den Erwerb und die Kontrolle von Unternehmen im Binnenmarkt sichernde Kapitalverkehrs- bzw. Niederlassungsfreiheit. Siehe hierzu oben Zweiter Teil § 1 A. I. 1. b). 202  Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 348 ff.; Schubert, ZIP 2013, 289, 295 ff. 203  Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 348 ff. 204  Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 346. 201  Hierbei

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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dungen getragenen Gesichtspunkten, anders als Mohr unterstellt, gerade nicht hindert. Ausgeschlossen sind ausschließlich Personalentscheidungen unter Anknüpfung an eines der verbotenen Merkmale. Können die Anteilseigner mithin im Prozess darlegen, dass die Nichtbestellung oder Abberufung eines Organmitglieds auf einer negativen Einschätzung seiner individuellen Eigenschaften beruht, liegt keine Diskriminierung vor. Wenn Mohr den Anteileignern hingegen erlauben möchte, Rückschlüsse vom Vorhandensein eines verbotenen Merkmals auf die qualitative Eignung potentieller Organmitglieder zu ziehen, berührt genau dies das Kernanliegen des unional determinierten Diskriminierungsschutzes, eine ungleiche Teilhabe von Merkmalsträgern aufgrund stereotyper Eigenschaftszuschreibungen zu unterbinden. Dem lässt sich auch nicht mit dem pauschalen Argument begegnen, dass eine individuelle Eignungsprüfung zu aufwendig bzw. kostenintensiv sei; sind doch statistische Diskriminierungen im Grundsatz ebenso vom Diskriminierungsverbot erfasst wie präferenzbedingte Diskriminierungen, und zwar unter Inkaufnahme der hiermit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Kosten. Beizupflichten ist Mohr allerdings darin, dass in Bezug auf altersbezogene Diskriminierungen aufgrund des insoweit reduzierten Stigmatisierungsgrades205 andere Maßstäbe gelten mögen. Hier kann mit dem Diskriminierungsschutz konfligierenden Interessen von vornherein mehr Raum zugestanden werden. Dies wird allerdings erst nachfolgend im Zusammenhang mit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen zu erörtern sein. 206 Ebenfalls an späterer Stelle zu erörtern ist die Frage, inwieweit den Interessen der Anteilseigner auf der Rechtsfolgenebene Rechnung zu tragen ist, indem eine primäre Abhilfe jedenfalls in Bezug auf das Organverhältnis (im engeren Sinne) ausscheiden muss und das Diskriminierungsopfer auf Schadensersatzansprüche zu verweisen ist. 207

3. Allgemeiner Anwendungsausschluss des AGG in Bezug auf Kündigungen gem. § 2 Abs. 4 AGG Eine weitere, mindestens ebenso kontrovers diskutierte Einschränkung des Diskriminierungsschutzes in Bezug auf die Beendigung der Erwerbstätigkeit enthält § 2 Abs. 4 AGG. Danach gelten für Kündigungen ausschließlich die Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz. Ausweislich der Gesetzesbegründung dient diese Vorschrift, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens verschärft wurde, 208 nicht dazu, Kündigungen vom Diskri205 

Siehe hierzu bereits oben A. II. 6. Siehe unten C. 5. c) aa) (1) und (3). 207  In diesem Sinne Schubert, ZIP 2013, 289, 298; eingehend hierzu unten Vierter Teil § 2 A. II. 1. c). 208  Nach der Regierungsbegründung zum 1. Entwurf des AGG sollten die Bestimmungen des Kündigungsschutzes auf diskriminierende Kündigungen nur „vorrangig“ Anwendung finden, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 7. 206 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

minierungsverbot auszuschließen, sondern vielmehr dazu, den unionsrechtlich auch in Bezug auf Kündigungen gebotenen Schutz vor Diskriminierung209 über die vermeintlich sachnäheren Vorschriften des deutschen Kündigungsschutzrechts zu realisieren.210 Hiermit sollte ein im Gesetzgebungsverfahren von Arbeitgeberseite befürchteter doppelter Kündigungsschutz durch die bestehenden Kündigungsschutzvorschriften und die hinzutretenden Vorschriften des AGG verhindert werden. 211 Zum allgemeinen Kündigungschutz zählt die Gesetzesbegründung die Vorschriften des BGB (§ 626) und § 1 KSchG, zum besonderen Kündigungsschutz die Vorschriften des zweiten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes, § 9 MuSchG, §§ 18, 19 BErzG und zahlreiche weitere Vor­schriften. 212 Schon seit dem Inkrafttreten des AGG ist die genannte Vorschrift und ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Unionsrechts Gegenstand einer lang andauernden, bis heute nicht verstummten Debatte, die eine unübersehbare Flut an Publikationen hervorgebracht hat. 213 Die Beiträge lassen sich im Wesentlichen zwei miteinander verbundenden Fragen zuordnen: Ist der von § 2 Abs. 4 AGG angeordnete Ausschluss der Anwendbarkeit des AGG in Bezug auf Kündigungen mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar und wenn nicht, welche Konsequenzen hat der nationale Richter hieraus zu ziehen? Die Vereinbarkeit des 2 Abs. 4 AGG mit dem Unionsrecht steht und fällt mit der Beantwortung der Frage, ob die hiernach ausschließlich anwendbaren Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes einen den Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien entsprechenden Schutz des Diskriminierungsopfers gewährleisten. Es ist hier nicht der Ort, all die hierzu im Schrifttum intensiv erörterten Detailfragen erneut aufzugreifen und kritisch zu würdigen. 214 Zweifel an der Vereinbarkeit des § 2 Abs. 4 AGG mit den Vorgaben des Unionsrechts liegen aber auf der Hand. Fokussiert man sich auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 KSchG, tun sich wichtige Schutzlücken bereits auf Tatbestandsebene auf. Thüsing benennt in diesem Zusammenhang die personenbedingte Kündigung wegen einer Krankheit, 215 bei der es sich nach der Rechtsprechung des EuGH zugleich um eine Behinderung im Sinne des § 1 209 EuGH,

Rs. C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Tz. 51 – Navas. BT-Drs. 16/2022, S. 12. 211  Bauer/Krieger, AGG, § 2 Rn. 59; dieses Argument aufgreifend BAG NZA 2009, 361, Tz. 38. 212  BT-Drs. 16/2022, S. 12. 213  Monographisch widmen sich dem Thema etwa Blessing, Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes 2011; von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2008 und Stenslik, Diskriminierende Arbeitgeberkündigungen, 2009. 214  Eine eingehende Analyse der Problematik liefert von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, insbesondere S. 153 ff. 215  Thüsing, in: MüKoBGB, § 2 AGG Rn. 19. 210 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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AGG handeln kann, 216 sowie die betriebsbedingte Kündigung auf Grundlage einer diskriminierenden unternehmerischen Entscheidung. 217 Auf der Rechtsfolgenebene ergeben sich Schutzlücken in erster Linie in Bezug auf die nach § 2 Abs. 4 AGG vom Wortlaut her ebenfalls gebotene Nichtanwendbarkeit des § 15 AGG. Zwar gewährleistet die Unwirksamkeit sozialwidriger Kündigungen gemäß § 1 KSchG in Verbindung mit der in § 615 BGB statuierten Pflicht zur fortlaufenden Entlohnung des Arbeitnehmers einen effektiven Bestandschutz des Diskriminierungsopfers. Ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Ver­dienst­ ausfallschadens gemäß § 15 Abs. 1 AGG könnte insoweit nicht weitergehen. Indem die Nichtanwendbarkeit des § 15 AGG aber auch Abs. 2 der Vorschrift erfassen würde, wäre dem gekündigten Arbeitnehmer ein Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden verwehrt. Ein solcher Anspruch ist, wie später noch zu zeigen sein wird, unionsrechtlich nach dem Grundsatz des vollen Schadensausgleichs jedenfalls dann geboten, wenn sich der nationale Gesetzgeber für die individuelle Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung im Wege des Schadensersatzes entschieden hat. 218 In Bezug auf das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts lässt das Unionsrecht dem nationalen Gesetzgeber insoweit freilich keine Wahl, indem hier Schadensersatzansprüche der Opfer verbindlich vorgeschrieben sind. 219 Alles in allem sind damit Schutzlücken sowohl im Bereich der Rechtsfolgen als auch im tatbestandlichen Bereich zu verorten, letzteres jedenfalls soweit man die Vorschriften des KSchG allein nach herkömmlichen national-autonomen Gesichtspunkten auslegt. Dies wirft die Frage auf, in welcher Weise der nationale Richter die Unionsrechtskonformität der deutschen Regelung im Einzelfall sicherzustellen hat. Mittel erster Wahl ist in diesem Zusammenhang die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts. Als Bezugspunkt hierfür kommen neben § 2 Abs. 4 AGG die Vorschriften des deutschen Kündigungsschutzrechts in Betracht, auf welche § 2 Abs. 4 AGG verweist. Das BAG hat sich in einer eingehend begründeten Entscheidung aus dem Jahre 2008 zu einer einschränkend korrigierenden Auslegung des § 2 Abs. 4 AGG durchgerungen, um hiermit das Problem gleichsam an der Wurzel zu packen.220 § 2 Abs. 4 AGG enthält danach keinen Anwendungsausschluss für die Diskriminierungsverbote des AGG. 221 Ziel der Vorschrift sei vielmehr die Beschreibung des Weges, auf dem die Diskriminierungsverbote des AGG in das bisherige System des Kündigungsschutzrechts nach der Vorstellung des Gesetzgebers einzupassen

216 EuGH,

Rs. C-354/13, EU:C:2014:2463, Tz. 60 – Kaltoft; siehe dazu oben A. II. 3. Thüsing, in: MüKoBGB, § 2 AGG Rn. 20. 218  Siehe dazu eingehend unten Vierter Teil § 2 B. I. 2. b) bb). 219  Vgl. Artikel 18 Richtlinie 2006/54/EG. 220  BAG NZA 2009, 361. 221  BAG NZA 2009, 361, Tz. 41. 217 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

seien. 222 Für den Weg, auf dem dies geschehe, sollten allerdings „ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ maßgeblich sein. 223 Dies bedeute, dass der Grundsatz des Kündigungsrechts, demzufolge rechtswidrige Kündigungen gerichtlich nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes geltend zu machen seien, unangetastet bleibe und nicht etwa eine „Diskriminierungsklage“ neben die Kündigungsschutzklage trete oder etwa die besonderen Beschwerderechte nach dem AGG irgendetwas an der kündigungsrechtlichen Dogmatik ändern sollten.224 Die Diskriminierungsverbote des AGG sollten somit nicht als eigenständige Unwirksamkeitsnormen angewendet werden, gleichwohl aber für den Bereich des Kündigungsschutzgesetzes im Zusammenhang mit der Frage erörtert werden, ob die jeweils in Rede stehende Kündigung sozial ungerechtfertigt sei oder nicht.225 Offengelassen hat das BAG dagegen mangels Entscheidungserheblichkeit zunächst die Frage, ob und inwieweit neben die Unwirksamkeit der Kündigung tretende Rechte des Diskriminierungsopfers, wie insbesondere Entschädigungsansprüche gemäß § 15 AGG, ebenfalls gemäß § 2 Abs. 4 AGG ausgeschlossen sein sollen. 226 In einer späteren Entscheidung aus dem Jahre 2009 hat sich das Gericht aber zu einem obiter dictum durchgerungen, wonach eine Anwendung des § 15 AGG ungeachtet § 2 Abs. 4 AGG nicht als systemwidrig zu betrachten sei. 227 Die Feststellungen des BAG sind ersichtlich von dem Bemühen getragen, eine zugleich mit den Vorstellungen des Gesetzgebers wie den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbare Lösung zu erzielen. 228 Der hierbei eingeschlagene Weg einer Einbeziehung der Diskriminierungsverbote des AGG in die Prüfung der Sozialwidrigkeit nach § 1 KSchG vermag allerdings dogmatisch nicht zu überzeugen. Denn bei den im AGG geregelten Diskriminierungsverboten handelt es sich um eigenständige Verbotsnormen, die mit den Kündigungsschutzvorschriften, wie das BAG selbst feststellt, 229 normhierarchisch auf einer Stufe stehen. Naheliegender erscheint es von daher, § 2 Abs. 4 AGG in seiner die Anwendung des AGG auschließenden Funktion zunächst beim Wort zu nehmen 230 und den unionsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf Kündigungen unmittelbar im Wege der Auslegung der zur Anwendung berufenen Kündigungs222 

BAG NZA 2009, 361, Tz. 41. BAG NZA 2009, 361, Tz. 41. 224  BAG NZA 2009, 361, Tz. 41. 225  BAG NZA 2009, 361, Tz. 41. 226  BAG NZA 2009, 361. 227  BAG NZA 2010, 280, Tz. 18. 228  Bauer/Krieger, AGG, § 2 AGG Rn. 59. 229  BAG NZA 2009, 361, Tz. 40. 230 Ähnlich von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 248, nach dem die diskriminierungsrechtliche Relevanz einer Kündigung nicht anhand der Normen des AGG überprüft werden kann, weil § 2 Abs. 4 AGG deren Anwendbarkeit auf Kündigungen gerade ausschließt. 223 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

241

schutzvorschriften zur Geltung zu verhelfen. Im Ergebnis läuft dies wegen des inhaltlichen Gleichlaufs der Vorschriften des AGG mit den Regelungsvorgaben der Richtlinien allerdings auf die vom BAG angestrebte Prüfung des § 1 KSchG am Maßstab des unional determinierten Diskriminierungsverbots hinaus. Auch in diesem Falle gestaltet sich aber die Integration der Anforderungen der Richtlinien in das bestehende Kündigungsschutzrecht als schwierig. Der Grund hierfür liegt in den unterschiedlichen Schutzkonzepten des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts. Während das Kündigungsschutzrecht auf Bestandsschutz angelegt ist, zielt das Antidiskriminierungsrecht auf die Bekämpfung von Ungleichbehandlungen. Zwar mag es in vielen Konstellationen gelingen, auf die eine oder andere Weise eine Kohärenz zwischen den beiden Schutzkonzepten herzustellen. So ließe sich etwa die Sozialwidrigkeit einer betriebsbedingten Kündigung ausnahmsweise mit der Sachwidrigkeit der dieser zugrunde liegenden unternehmerischen Entscheidung begründen, wenn diese Entscheidung selbst an ein verbotenes Merkmal im Sinne der Antidiskriminierungsrichtlinien anknüpfte. 231 Einem solchen integrativen Ansatz sind jedoch Grenzen gesetzt, da Fälle denkbar sind, in denen die beiden Konzepte zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Kündigt etwa ein Arbeitgeber nur einem von drei des Diebstahls überführten Arbeitnehmern unter zusätzlichem Verweis auf dessen Homosexualität, so findet das am Bestandsschutz orientierte Kündigungsschutzrecht hierauf nicht die passende Antwort. 232 Denn ein zur Kündigung berechtigender Grund im Verhalten des Arbeitnehmers liegt hier offensichtlich vor. Das eigentliche Problem stellt aber die Ungleichbehandlung zwischen den gleichermaßen betroffenen Arbeitnehmern dar. Eine Integration in das am Bestandsschutz orientierte Konzept des KSchG ließe sich in diesem Falle nur unter arger Strapazierung dieses Konzepts erreichen, indem etwa die Tatsache, dass der Arbeitgeber die anderen ebenfalls des Diebstahls verdächtigen Personen weiterbeschäftigt, als Indiz für die fehlende Negativprognose hinsichtlich der Fortführung des Arbeitsverhältnisses gewertet wird. 233 231 So von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 355. Als Beispiel ließe sich etwa der Fall des Betreibers eines asiatischen Schnellimbisses nennen, der diesen in ein Restaurant mit authentischem Flair umwandeln möchte und deshalb seinem deutschen Kellner kündigt, um statt seiner einen Kellner mit asiatischem Erscheidnungsbild einzustellen (Beispiel bei Braun, Kündigungsschutz, S. 104, 134 f.). 232  So bereits Sagan, NZA 2006, 1257; ebenso Kamanabrou, RdA 2007, 199, 200; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 107. 233  So aber Bayreuther, DB 2006, 1842, 1844; Stenslik, Diskriminierende Arbeitgeberkündigungen, S. 60 (bezüglich Kündigungen nach § 626 BGB). Wie hier Sagan, NZA 2006, 1257 f. mit dem berechtigten Hinweis, dass nach dem Konzept der Antidiskriminierungsrichtlinien diskriminierende Kündigungen in jedem Fall verboten sein müssen und nicht nur unter der einschränkenden Voraussetzung, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zugemutet werden kann.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Aus alldem wird deutlich, dass eine Integration der am Gleichheitsprinzip orientierten Vorgaben der Antdiskriminierungsrichtlinien in die Regelungen des am Bestandsschutzkonzept orientierten deutschen Kündigungsschutzrechts nicht als gangbarer Weg erscheint, um diesen Vorgaben zur Geltung zu verhelfen. Normativer Anknüpfungspunkt für eine Unwirksamkeit diskriminierender Kündigungen kann somit allenfalls § 138 BGB sein, der von § 2 Abs. 4 AGG ebenfalls in Bezug genommen wird („allgemeiner Kündigungsschutz“). Eine Umsetzung von Richtlinienvorgaben allein über die richtlinienkonforme Auslegung von Generalklauseln steht jedoch im Widerspruch zu dem vom EuGH in ständiger Rechtsprechung hochgehaltenen Transparenzgebot, wonach der Bürger die ihm durch durch die Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben eingeräumten Rechte auch als solche erkennen muss. 234 Dies wird aber nur gewährleistet, wenn die nationalen Umsetzungregeln die unionalen Vorgaben detailgenau abbilden, wie dies in §§ 6 ff. AGG im Hinblick auf das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot auch geschehen ist. Einer Anwendung dieser Regelungen auf diskriminierende Kündigungen steht aber § 2 Abs. 4 AGG im Weg. Da diese Norm einer richtlinienkonformen Reduktion mangels verbleibenden Anwendungsbereichs nicht zugänglich ist, bleibt nur der Weg, die Vorschrift nach den vom EuGH im Urteil Mangold entwickelten Grundsätzen 235 außer Anwendung zu lassen, so dass die Vorschriften des AGG unmittelbar Anwendung auf diskriminierende Kündigungen finden können. 236 In Bezug auf Schadensersatzansprüche gemäß § 15 AGG scheint dies ohnehin der Weg zu sein, den das BAG zu gehen bereit ist.

III. Zivilrechtliches Diskriminierungsverbot 1. Deutsche Regelung Den Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbotes definiert § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG im Einklang mit den Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien als „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen einschließlich 234  Auf das Transparenzgebot verweisen im Zusammenhang mit § 2 Abs. 4 AGG zahlreiche Autoren, darunter etwa Fuchs, in: BeckOKBGB, § 2 AGG Rn. 9; Kamanabrou, RdA 2007, 199, 205; Sagan, NZA 2006, 1257; Thüsing, in: MüKoBGB, § 2 AGG Rn. 24. zum Transparenzgebot siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 1. a). 235  Siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. 236  Dies entspricht einer verbreiteten Meinung im Schrifttum, vgl. nur Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 2 Rn. 260 ff.; Sagan, NZA 2006, 1259; Thüsing, in: MüKoBGB, § 2 AGG Rn. 27; a.A. aber Stenslik, Diskrimininierende Arbeitgeberkündigungen, S. 267 ff. und Blessing, Diskriminierende Kündigungen, S. 92, die allerdings die Mangold-Rechtsprechung entweder bereits im Grundsatz kritisieren (Stenslik) oder die Übertragbarkeit des vom Gerichtshof verfolgten Ansatzes auf andere Unterscheidungsmerkmale (Geschlecht, Rasse etc.) und andere Konstellationen (Schutz vor privater Diskriminierung) verneinen (Blessing).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Wohnraum“. Die Begriffe Güter und Dienstleistungen entstammen der Terminologie des Primärrechts und dem dort statuierten freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Dies hat Einfluss insbesondere auf die Definition der Dienstleistung, die dem weiten Dienstleistungsbegriff des Unionsrechts folgend auch Werkverträge, Geschäftsbesorgungsverträge sowie Gebrauchsüberlassungsverträge wie Miet- und Leasingverträge erfasst. 237 Die Erfassung gerade von Mietverträgen wird zudem durch den Zusatz „einschließlich Wohnraum“ klargestellt. Nach der Gesetzesbegründung werden Güter und Dienstleistungen dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, wenn ein Angebot zum Vertragsschluss durch Anzeigen in Tageszeitungen, Schaufensterauslagen, Veröffentlichungen im Internet oder auf vergleichbare Weise öffentlich gemacht wird. Es kommt nicht darauf an, wie groß die angesprochene Öffentlichkeit ist, sondern nur darauf, dass die Erklärung über die Privatsphäre des Anbietenden hinaus gelangt. 238 Dieser zunächst weite Anwendungsbereich wird allerdings in einem zweiten Schritt im Hinblick auf die einzelnen verbotene Merkmale und bestimmte Arten von Gütern und Dienstleistungen eingeschränkt, woraus im Ergebnis ein mehrfach gestaffelter Anwendungsbereich des allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots im deutschen Recht resultiert. 239 Die erste Einschränkung (1. Abschichtungsebene) ergibt sich bereits daraus, dass das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot für alle in § 1 AGG genannten Unterscheidungsmerkmale mit Ausnahme der Weltanschauung gilt (§ 19 Abs. 1 vor Nr. 1 AGG). Durch diese erst nachträglich durch den Rechtsausschuss des Bundestages eingefügte Ausnahme sollte ausweislich der Begründung vermieden werden, dass Anhänger rechtsradikalen Gedankenguts versuchen, sich Zugang zu Geschäften zu verschaffen, die ihnen aus anerkennenswerten Gründen verweigert wurden. 240 Eine weitere Einschränkung des Diskriminierungsverbots (2. Abschichtungsebene) findet sich sodann für Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird (§ 19 Abs. 5 S. 1 AGG). Als Regelbeispiel für ein solches Näheverhältnis nennt die Vorschrift Mietverhältnisse, bei denen die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen (§ 19 Abs. 5 S. 2 AGG). Eine weitere Beschränkung des Anwendungsbereichs (3. Abschichtungsebene) erfährt das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot in § 19 Abs. 1 237 

BT-Drs. 16/1780, S. 32. Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 32. 239  Einen guten Überblick über die einzelnen Normbereiche liefert Grünberger, Personale Gleichheit, S. 602. 240  BT-Drs. 16/2022, S. 13. Wie oben unter A. II. 4. dargelegt, umfasst das Merkmal Weltanschauung aber ohnehin keine politischen Anschauungen, so dass der durch den Ausschluss dieses Merkmals vom zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot bezweckte Schutz vor radikalen Diskriminierungsklägern ins Leere läuft. 238 

244

Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Nr. 1 AGG. Hiernach erfasst das Verbot grundsätzlich nur so genannte Massengeschäfte oder Quasi-Massengeschäfte, also Verträge, die typischerweise in einer Vielzahl von Fällen zu vergleichbaren Bedingungen zustandekommen und bei denen dem Ansehen der Person keine oder nur eine nachrangige Bedeutung zukommt. Diese Beschränkung gilt wiederum in gegenständlicher Hinsicht nicht in Bezug auf Versicherungsverträge (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG), worin man eine vierte Abschichtungsebene sehen mag. Schließlich ordnet § 19 Abs. 2 AGG ein umfassendes, den vollen Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG umfassendes Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft an (5. Abschichtungsebene), weil sich der Gesetzgeber zur Etablierung dieses weitergehenden Diskriminierungsschutzes durch die Vorgaben der Richtlinie 2000/43/EG verpflichtet sah. 241

2. Die Staffelung des Anwendungsbereichs als Antwort auf die Frage nach der Grenze zwischen öffentlicher und privater Sphäre Wie bereits festgestellt, dient die Definition des Anwendungsbereich privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen einem gesellschaftsbezogenen auch Privatpersonen in die Pflicht nehmenden Konzept von Gleichheit und der hierdurch berührten Privatautonomie. Während die danach zu ziehende Grenzlinie der Inpflichtnahme Privater beim erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot verhältnismäßig einfach zu definieren ist, indem jeder „Anbieter“ von Beschäftigung von diesem Verbot erfasst wird, stellt sich die Situation im Hinblick auf das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot komplizierter dar. Denn Güter und Dienstleistungen werden in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten angeboten. Das Spektrum reicht vom breiten, an die Öffentlichkeit gerichteten Angebot standardisierter Güter und Dienstleistungen seitens eines Unternehmers bis zum Verkauf des eigenen gebrauchten PKW. Es liegt auf der Hand, dass der mit der Etablierung eines Diskriminierungsverbots verbundene Eingriff in die Privatautonomie des Verbotsadressaten in dem letztgenannten Fall als deutlich einschneidender zu qualifizieren ist, als in dem erstgenannten Fall. Dies lehrt bereits die in Deutschland heftig geführte Debatte um die Einführung privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote, die sich, wenn auch bisweilen symbolisch, gerade an der Erstreckung dieser Verbote auf Geschäfte im mehr oder weniger privaten Kontext entzündeten. 242 Es bedarf also im Bereich des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots, anders als im Bereich des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbotes, wie Grünberger zu Recht feststellt, einer Abgrenzung zwischen privater und öffentlicher Sphäre243 und die Definition 241 

BT-Drs. 16/1780, S. 40. Siehe oben Einleitung § 1. 243  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 604. 242 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

245

des gegenständlichen Anwendungsbereichs ist der Ort für die Vornahme dieser Abgrenzung. Im Hinblick auf das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot sind allerdings die Grenzziehungen zweier Normgeber im Auge zu behalten, nämlich neben der des nationalen Gesetzgebers auch und vor allem die des Unionsgesetzgebers. Der mehrfach gestaffelte Anwendungsbereich des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots gemäß § 19 AGG trägt dabei der Tatsache Rechnung, dass diese Grenzziehung auf den verschiedenen Regelungsebenen durchaus unterschiedlich ausgefallen ist. Soweit Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale als der Rasse, der ethnischen Herkunft und des Geschlechts betroffen sind, hatte der deutsche Gesetzgeber freie Hand bei der Regelung eines zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots und hätte von der Etablierung eines solchen Verbots sogar vollständig absehen können. Er hat sich gleichwohl für eine überschießende Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben entschieden, indem er das durch die Richtlinie 2000/43/EG und 2004/113/EG nur für die Merkmale Rasse, ehtnische Herkunft und Geschlecht vorgebenene zivilrechtliche Diskriminierungsverbot auf alle in § 1 AGG genannten Merkmale mit Ausnahme der Weltanschauung erstreckt hat. Die Grenze zwischen privater und öffentlicher Sphäre hat der deutsche Gesetzgeber dann aber deutlich zugunsten des privaten Bereichs gezogen, was neben der Ausklammerung privatrechtlicher Näheverhältnisse vor allem in der Beschränkung des Diskriminierungsverbots auf Massengeschäfte und Quasi-Massengeschäfte zum Ausdruck kommt. Der annoncierte Verkauf eines PKW durch eine Privatperson fällt hierunter ebenso wenig wie die Vermietung einer einzelnen Wohnung. 244 Hinsichtlich der Merkmale Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht war der deutsche Gesetzgeber dagegen an die Vorgaben der Richtlinien 2000/43/ EG und 2004/113/EG gebunden, die mit der Erstreckung auf alle „Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen“ eine deutlich andere Grenzziehung zwischen privater und öffentlicher Sphäre vorgeben als die autonom deutsche Regelung im Bereich der überschießenden Umsetzung. Güter und Dienstleistungen stehen der Öffentlichkeit nämlich bereits dann zur Verfügung, wenn diese öffentlich angeboten werden. 245 Zwar wird dies im Schrifttum bisweilen bestritten. 246 So hat Maier-Reimer aus der Tatsache, dass die Güter und Dienstleistungen nach Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/ EG „ohne Ansehen der Person“ zur Verfügung stehen müssen, nicht nur einen Gleichlauf zwischen dieser Regelung und der im deutschen Recht vorge244 

BT-Drs. 16/1780, S. 40. die wohl h.M., vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 32, Adomeit/Mohr, AGG, § 2 Rn. 151; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 2 Rn. 58; Gaier/Wendtland, AGG, Rn. 28 ff.; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 604 f.; Schiek, in: Schiek, AGG, § 2 Rn. 7; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1087. 246  Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2580; Thüsing, in: MüKoBGB, § 19 Rn. 63 ff. 245  So

246

Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

sehenen Beschränkung auf (Quasi-)Massengeschäfte hergeleitet, 247 sondern einen solchen Gleichlauf auch in Bezug auf Artikel 3 Abs. 1 lit h der Richtlinie 2000/43/EG festgestellt, welcher einen solchen Zusatz nicht enthält. 248 Zutreffend an dieser Auffassung ist indes nur, dass Artikel 3 Abs. 1 lit h Richtlinie 2000/43/EG und Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG in Bezug auf die Abgrenzung von privater und öffentlicher Sphäre ungeachtet ihres unterschiedlichen Wortlauts keine unterschiedlichen Vorgaben machen. Der Inhalt dieser Vorgaben ist freilich ein gänzlich anderer als Maier-Reimer annimmt. Denn der Zusatz „ohne Ansehung der Person“ in Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/ EG ist mitnichten in dem engen Sinne zu verstehen, welchem ihm der deutsche Gesetzgeber in § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG zugedacht hat. Ein Schuldverhältnis wird ausweislich der Gesetzesbegündung ohne Ansehen der Person begründet, durchgeführt oder beendet, wenn hierbei die in § 1 genannten Merkmale typischerweise keine Rolle spielen.249 Eine solche eingrenzende Funktion kann dem Zusatz „ohne Ansehen der Person“ in Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG aber schon deshalb nicht zukommen, weil diese Richtlinie auch Versicherungsverträge erfasst, bei deren Abschluss und inhaltlicher Ausgestaltung persönlichen Faktoren typischerweise eine erhebliche Bedeutung zukommt. Gerade dieser Umstand hat den deutschen Gesetzgeber bewogen, die Anwendbarkeit des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots auf Versicherungsverträge separat in § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG und damit außerhalb der Definition des (Quasi-) Massengeschäfts anzuordnen. 250 Hierdurch wird allerdings nicht nur das grundsätzliche Konzept in Frage gestellt, über den Begriff des Massengeschäfts und des ihm immanenten fehlenden Personenbezugs den gegenständlichen Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots festzulegen. 251 Vielmehr führt die Notwendigkeit einer eigenständigen Nennung von Versicherungsverträgen in § 19 Abs. 1 Nr. 2 AGG auch deutlich vor Augen, dass sich jedenfalls dieser Vertragstyp mit der Definition vom nicht personenbezogenen Vertragsverhältnis nicht erfassen lässt. Der Zusatz „ohne Ansehung der Person“ in Artikel 3 Abs. 1 der Versicherungsverträge einschließenden Richtlinie 2004/113/ 247 

Insoweit auch Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 130. Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2580. 249  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 41. 250  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 42, wonach Versicherungsverträge nur dann Massengeschäfte im Sinne des § 19 Abs. 1 AGG darstellen, wenn beim Abschluss solcher Verträge typischwerweise, wie bei Reisegepäckversicherungen, auf eine individuelle Risikoprüfung verzichtet wird. An späterer Stelle begründet der Gesetzgeber die (unionsrechtlich vorgebenene) Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots auf Versicherungsverträge in § 19 Abs. 2 AGG zudem damit, dass auch bei individueller Risikoprüfung ein Bedürfnis bestehe, nicht sozial zu rechtfertigende Unterscheidungen zu unterbinden. 251  Denn danach kommt das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot ja gerade in den Fällen nicht zur Anwendung, in denen typischerweise diskriminiert wird und ein Diskriminierungsverbot damit erst Recht not täte. Skeptisch auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 609 sowie Thüsing, in: MüKoBGB, § 19 AG, Rn. 7. 248 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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EG muss daher etwas anderes meinen. Bei näherem Besehen kann es sich hierbei nur um die normative Feststellung handeln, dass derjenige, der Güter und Dienstleistungen öffentlich anbietet, hiermit zugleich erklärt, beim Abschluss der entsprechenden Verträge nicht an ein verbotenes Kriterium anzuknüpfen. Das Angebot an die Öffentlichkeit enthält damit zugleich, im normativen Sinne, das Versprechen der merkmalsneutralen Entscheidung, auch wenn dies typischerweise eher nicht der Fall ist.252 Tatbestandliche Relevanz kommt damit auch im Rahmen des Artikels 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/113/EG allein der Tatsache, zu, dass die in Rede stehenden Güter und Dienstleistungen öffentlich angeboten werden. Weitergehende Einschränkungen sieht die Richtlinie nicht vor, so dass in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen, ebenso wie in Bezug auf rassistische Diskriminierungen (§ 19 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG), ein Angebot an die Öffentlichkeit zur Eröffnung des Diskriminierungsschutzes genügen muss. Die letztgenannte Vorschrift ist somit, richtlinienkonform, im Wege der Analogie auch auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen anzu­wenden. Ein weiteres Umsetzungsdefizit besteht, wie Thüsing zu Recht angemerkt hat, in Bezug auf den Ausschluss des Diskriminierungsverbots für private Näheverhältnisse (§ 19 Abs. 5 S. 2 AGG), soweit dieser Ausschluss auch Ungleichbehandlungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft erfasst. 253 Denn die einschlägige Richtlinie 2000/43/EG sieht, anders als die Richtlinie 2004/113/ EG (vgl. Artikel 3 Abs. 1 a.E.), eine solche Einschränkung schlicht nicht vor. Hieran vermag auch der im Schrifttum vielfach zur Rechtfertigung dieser Einschränkung ins Feld geführte Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2000/43/ EG nichts zu ändern, weil dieser in den bestimmenden Teil der Richtlinie als solcher keinen Eingang gefunden hat. 254 Dessen bedarf es auch gar nicht, weil die Berücksichtigung der Privatsphäre und des Fami­lien­lebens schon dadurch gewährleistet wird, dass sich das Diskriminierungsverbot nur auf öffentlich angebotene Güter und Dienstleistungen bezieht. Wer die Einliegerwohnung in seinem Privathaus nicht an eine dunkehäutige Person vermieten möchte, mag von einer öffentlichen Annonce absehen und die Wohnung im Familien- und Bekanntenkreis anbieten. Wer dagegen den Schritt an die Öffentlichkeit wagt, verlässt die private Sphäre und ist insoweit an das Diskriminierungsverbot gebunden.

252  Einen ähnlich normativen Ansatz verfolgt wohl Looschelders, JZ 2012, 105, 108, indem er tatsächlich auftretende Missbräuche im Geschäftsverkehr bei der Konkretisierung der „typischen Relevanz“ der verbotenen Merkmale für den Abschluss des jeweils in Rede stehenden Rechtsgeschäfts außer Betracht lassen möchte. 253  Thüsing, in: MüKoBGB, § 19 AGG Rn. 98. 254 Ähnlich Thüsing, in: MüKoBGB, § 19 AGG Rn. 98.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

C. Verbotenes Verhalten I. Das Verhältnis der Handlungsformen – eigenständige Tatbestände oder Flankenschutz? Das dritte Element des Diskriminierungstatbestands betrifft die Frage, welches Verhalten konkret verboten ist. § 3 AGG nennt und definiert als vom Diskriminierungsverbot des AGG erfasstes Verhalten die unmittelbare Benachteiligung, die mittelbare Benachteilligung, die (sexuelle) Belästigung sowie die Anweisung zur Benachteiligung einer Person. Sämtliche Formen der Benachteiligung präsentieren sich damit als gleichrangig nebeneinander stehende Erscheinungsformen der Diskriminierung. Dies wird von Teilen des Schrifttums in Frage gestellt, indem allein dem Verbot der unmittelbaren Diskriminierung ein eigener Gerechtigkeitsgehalt zugesprochen wird, während die anderen Handlungsformen nur dem Zweck dienen sollen, das primär im historisch älteren Verbot der unmittelbaren Diskriminierung verankerte Ziel der Sicherstellung von Gleichbehandlung und Gleichstellung stärker zu schützen.255 Thüsing bemüht in Bezug auf eine solche flankierende Funktion den bib­lischen Vergleich vom „Zaun, der um die Thora gebaut wird, um das eigentliche Verbot des Dekalogs zu schützen.“256 Ob diese Sichtweise der Funktion der einzelnen Tatbestände, insbesondere dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung, tatsächlich gerecht wird und damit das System des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts zu tragen vermag, soll im Folgenden eingehend untersucht werden. Zunächst gilt es dabei den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung in seinem Wesenskern und seinen einzelnen Voraussetzungen zu erschließen, bevor in einem zweiten Schritt – stellvertretend für die anderen Tatbestände – auf das Verbot der mittelbaren Diskriminierung eingegangen wird.

II. Das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot 1. Die Bedeutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung für das Verständnis des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts Der Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung führt in der wissenschaftlichen Wahrnehmung gegenüber dem Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung, wie Dammann zu Recht beklagt, 257 ein unerklärliches Schattendasein. In 255  Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 127; Thüsing, in: MüKoBGB, AGG Einl. Rn. 59. Zum unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot im Allgemeinen auch Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 618 ff. 256  Thüsing, in: MüKoBGB, AGG Einl. Rn. 59. 257  Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 197.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Abhandlungen und Beiträgen zum Antidiskriminierungsrecht wird er häufig nur mit wenigen Worten abgehandelt, während im Anschluss eingehend der Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung unter die Lupe genommen wird. Diese Vorgehensweise verwundert schon deshalb, weil es sich nach verbreitet vertretener Auffassung beim Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung doch gerade um den Kerntatbestand des Diskriminierungsverbots handeln soll, während die anderen Tatbestände einschließlich der mittelbaren Diskriminierung nur seiner Absicherung und Flankierung dienen. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht geboten, dem vermeintlichen Kerntatbestand mehr Aufmerksamkeit zu widmen? Bei näherem Besehen hängen die Vernachlässigung des Tatbestands der unmittelbaren Diskriminierung auf der einen Seite und die Qualifizierung als Kerntatbestand auf der anderen Seite aber untrennbar miteinander zusammen; sind sie doch auf das verbreitete Einschätzung zurückzuführen, dass das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als Verbot der individuellen Benachteiligung im Vergleich zu dem auf einen Gruppenvergleich hinauslaufenden Verbot der mittelbaren Diskriminierung keine besonders komplizierten Fragen aufwirft. 258 Zu einem solchen Schluss kann allerdings nur gelangen, wer mit dem Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung ausschließlich die Lehrbuchbeispiele assoziiert, in denen eine Person wegen eines bei ihr vorhandenen verbotenen Merkmals in einer vertraglichen oder vorvertraglichen Situation im Vergleich mit einer konkreten anderen Person benachteiligt wird. Diese Beispiele prägen den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung allerdings allenfalls in statistischer, nicht aber in dogmatischer Hinsicht. Hier lohnt eher ein Blick auf die nach der Rechtsprechung des EuGH ebenfalls vom Verbot der unmittelbaren Diskriminierung erfassten Randkonstellationen, und zwar ungeachtet der Häufigkeit, in der sie tatsächlich auftreten mögen. Der erste Eindruck vom Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als einem Verbot individueller Benachteiligung weicht in diesem Fall einem komplexeren, auf die Beseitigung benachteiligender Normen bezogenem Ansatz, was sich wiederum auf das Verhältnis zu den anderen Handlungsformen und hier speziell zur mittelbaren Diskriminierung auswirken muss.

258 So Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 197 mit weiteren Beispielen aus dem Schrifttum.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

2. Annäherung an den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung a) Die klassische Fokussierung auf das Diskriminierungsopfer und die Defizite dieses Ansatzes im Hinblick auf die Ergründung des Wesenskerns des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung Der Kerntatbestand der unmittelbaren Diskriminierung ist in § 3 Abs. 1 S. 1 AGG legaldefiniert. Der Wortlaut lehnt sich an den Wortlaut der Antidiskriminierungsrichtlinien an, nur dass statt des Begriffs Diskriminierung der Begriff „Benachteiligung“ gewählt wurde. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt danach vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG bezeichneten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Der Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung setzt danach folgendes voraus: (1) Eine weniger günstige Behandlung einer Person im Vergleich zu einer anderen Person, (2) eine vergleichbare Situation im Hinblick auf die gewählte Vergleichsperson sowie (3) ein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen der ungünstigen Behandlung und einem in § 1 AGG genannten verbotenen Unterscheidungsmerkmal. Vor diesem Hintergrund scheint es sich geradezu aufzudrängen, die genannten Tatbestandsmerkmale einzeln in der vermeintlich gesetzlich vorgegebenen Reihenfolge zu analysieren. Genau dies entpricht dann auch der Vorgehensweise in nahezu allen Erörterungen zum Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung. 259 Ausgangspunkt und zugleich zentraler Gegenstand dieser Erörterungen ist dabei stets die ungünstige Behandlung einer konkreten Person im Vergleich zu einer konkreten Vergleichsperson, die sich mit dem potentiellen Diskriminierungsopfer in einer vergleichbaren Situation befinden muss. Erst im Anschluss finden sich, oft weniger detailiert, Erörterungen zur Frage nach dem erforderlichen Zusammenhang zwischen der ungünstigen Behandlung und einem verbotenen Unterscheidungsmerkmal im Sinne des § 1 AGG. Die dahinter stehende Prämisse ist deutlich: Wo es bereits an einer ungünstigen Behandlung einer bestimmten Person im Vergleich zu einer konkreten Vergleichsperson fehlt, kommt eine unmittelbare Diskriminierung schon von vornherein nicht in Betracht. 260 Der Günstigkeitsvergleich im Hinblick auf die Behandlung zweier konkreter Personen stellt nach dieser Sichtweise somit das zentrale Element des

259 Vgl. nur Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 26; Armbrüster, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, § 7 Rn. 97 ff.; Rupp, RdA 2009, 307 ff.; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 2 ff.; Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 9 ff. 260  Explizit findet sich diese Aussage etwa bei Armbrüster, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, § 7 Rn. 97: „Erforderlich ist stets eine objektiv ungünstigere Behandlung; allein der böse Wille genügt nicht, sofern der Betroffene objektiv keine Schlechterstellung erfährt.“

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Diskriminierungstatbestands dar. 261 Der Blick richtet sich hierbei primär auf die Behandlung des potentiellen Diskriminierungsopfers. Diese opferzentrierte Perspektive ist jedoch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, problematisch; verstellt sie doch den Blick auf den Wesenskern des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung und seine dogmatische Einbettung in das Gleichbehandlungskonzept des Unionsrechts. Letzteres verleitet wiederum zu falschen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Reichweite der Diskriminiersverbote im Einzelnen sowie zu überzogener Kritik in Bezug auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH. 262

b) Alternative Herangehensweise Um dieser „Falle“ zu entgehen und den Wesenskern des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung zu erschließen, ist es daher hilfreich, die Frage, ob eine konkrete Person im Vergleich zu einer anderen konkreten Person benachteiligt worden sein muss, zunächst auszublenden. Es verbleibt nämlich auch ohne Klärung dieser Frage ein allseits konsentierter Rumpftatbestand, den man als die abstrakte Benachteiligung von Personen gegenüber anderen Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals umschreiben kann. Nachfolgend soll zunächst Klarheit über den den dogmatischen Wesenskern dieses Rumpftatbestandes erzielt werden, bevor im Anschluss der Frage nach der Erforderlichkeit eines konkreten Günstigkeitsvergleichs nachgegangen wird. Hierbei wird sich zeigen, dass die prioritär zu gewinnende Erkenntnis über den dogmatischen Wesenskern des Rumpftatbestands (abstrakte Benachteiligung von Personen wegen eines verbotenen Merkmals) die Beantwortung der Frage, ob darüber hinaus eine konkrete Benachteiligung erforderlich ist, entscheidend steuert.

3. Der Rumpftatbestand: Personale Benachteiligung unter Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal a) Abstrakte Benachteiligung von Personen Unerlässliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Diskriminierung ist zunächst per definitionem die unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten durch den Normadressaten. Im Rahmen des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts geht es dabei, wie die Definition des § Abs. 1 AGG na261  Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 2 ff. leitet die Kommentierung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung mit einer ausführlichen Darstellung des Vergleichspersonenkonzepts ein. Zurückhaltender formuliert aber Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 3 Rn. 7, wonach zur Feststellung einer Benachteiligung „oftmals“ Vergleichspersonen gefunden werden müssen. 262  Ein Beispiel hierfür liefert die umfassende Kritik weiter Teile des Schrifttums an der vom EuGH im Urteil Feryn konstatierten Erstreckung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung auf die Ankündigung diskriminierenen Verhaltens, auf welche später unter 4. c) näher eingegangen wird.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

helegt, spezifisch um die unterschiedliche Behandlung von Personen. Die unterschiedliche Behandlung muss sich zudem gerade in einer Benachteiligung von Personen gegenüber anderen Personen manifestieren. Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut der Definition der unmittelbaren Diskriminierung, die von der weniger günstigen Behandlung einer Person im Vergleich zu einer anderen Person spricht. Zum anderen bedarf es für das sogleich zu prüfende zentrale Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Diskriminierung, wonach die weniger günstige Behandlung gerade „wegen“ eines verbotenen Merkmals erfolgt sein muss, eines logischen Bezugspunktes. Die hiernach zwingend erforderliche Benachteiligung kann in jeder eine Belastung auferlegenden oder einen Vorteil verweigernden Behandlung bestehen, die anderen Personen nicht zuteil wird. 263 Keine logisch zwingende Voraussetzungfür das Vorliegen einer Diskriminierung ist dagegen, dass eine konkrete Person im Vergleich zu einer anderen konkreten Person benachteiligt wird. Zwar scheint der Wortlaut des § 3 Abs. 1 AGG dies ebenfalls zu suggerieren („eine Person“, „eine andere Person“). Denkbar ist aber auch, wie sogleich zu zeigen sein wird, dass die ungünstige Behandlung Ausfluss einer allgemeinen Regel des Verbotsadressaten ist, nach welcher Merkmalsträger im Allgemeinen ungünstiger behandelt werden als andere Personen. Soweit im Folgenden von „Benachteiligung“ gesprochen wird, soll es daher zunächst immer nur um diese abstrakte Form der Benachteiligung gehen, die gerade nicht die Feststellung einer konkreten Benachteiligung voraussetzt.

b) Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal Die Benachteiligung von Personen gegenüber anderen Personen muss gerade wegen eines verbotenen Merkmals erfolgt sein. Der Auslegung des Wortes „wegen“ kommt damit eine Schüsselrolle im Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung zu.

aa) Die Bedeutung des Wortes „wegen“ und seine Auslegung in Rechtsprechung und Literatur Über die Bedeutung des Wortes „wegen“ scheint im deutschen Schrifttum auf den ersten Blick große Uneinigkeit zu bestehen, indem hierin wahlweise ein Anknüpfungs-, 264 ein Kausalitäts-, 265 ein Motivations-266 oder ein Vorsatz263 Ähnlich

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 647. Begriff verwenden Grünberger, Personale Gleichheit, S. 653; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 16; Stork, Antidiskriminierungsrecht, S. 278; Thüsing, in: MükoBGB, § 3 AGG Rn. 8 („geknüpft“). 265  Vgl. Thüsing, in: MükoBGB, § 3 AGG Rn. 8 („Kausalität im Sinne einer conditio sine qua non). 266 Vgl. Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2579 („Motivationsverknüpfung“); Thüsing, in: MükoBGB, § 3 AGG Rn. 8 („oder durch dieses motiviert“). 264  Den

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

253

erfordernis267 gesehen wird. Der Eindruck der Uneinigkeit wird allerdings zunächst dadurch relativiert, dass die meisten Autoren die unterschiedlichen Begrifflichkeiten nebeneinander verwenden und diese damit ausgenscheinlich als alternative Bezeichnung für dasselbe Phänomen betrachten. Auch die Gesetzesbegründung zum AGG formuliert in diesem Sinne, indem sie fordert, dass die Benachteiligung entweder durch eines (oder mehrere) Merkmale „motiviert“ sein muss oder der Benachteiligende bei seiner Handlung hieran „anknüpfen“ muss. 268 Diese Formel hat das BAG zu einer noch umfassenderen Formel weiterentwickelt. Erforderlich für das Vorliegen einer unmittelbaren Benachteiligung ist danach ein „Kausalzusammenhang“, welcher dann gegeben ist, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere in § 1 AGG genannte Gründe „anknüpft“ oder dadurch „motiviert“ ist. 269 Im Rahmen dieser Formel werden damit sogar drei der im Schrifttum zur Umschreibung des Zusammenhangs zwischen Benachteiligung und Unterscheidungsmerkmal herangezogenen Begriffe synonym verwendet. Bedeuten die genannten Begriffe also in der Lesart ihrer Verwender letztlich doch dasselbe? Hiergegen spricht wiederum, dass die unterschiedlichen Begriffe zwar in der soeben geschilderten Weise nebeneinander verwendet werden, hierunter aber jeweils etwas anderes verstanden wird. Versucht man, durch das Dickicht der Begrifflichkeiten zum inhaltlichen Kern der Debatte vorzudringen, verbleibt am Ende immerhin ein Punkt, über den tatsächlich Uneinigkeit zu bestehen scheint. Es handelt sich hierbei um die Frage, ob der Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung neben einer Anknüpfung an das verbotene Merkmal eine wie auch immer geartete zusätzliche subjektive Komponente enthält und wie diese beschaffen sein muss. Während die h.L. 270 und wohl auch das BAG271 dies ablehnen, wird ein solches subjektives Element von einzelnen Autoren gefordert, 272 wobei hierunter wiederum Unterschiedliches verstanden wird. So fordert Maier-Reimer „Vorsatz“ im Sinne einer „Motivationsverknüpfung“273 und versteht hierunter offensichtlich lediglich ein bewusstes Anknüpfen an das verbotene Merkmal. Adomeit/Mohr fordern hingegen weitergehend einen „Motivationszusammenhang“ im Sinne einer „Herabwürdigung“, dies allerdings wiederum nur im Rahmen von Bewer267 

Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2579. BT-Drs. 16/1780, S. 32. 269  BAG NZA 2009, 945 Tz. 37 und seitdem ständige Rechtsprechung. 270  Armbrüster, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, § 7 Rn. 104; Bauer/ Krieger, AGG, § 3 Rn. 10; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 654; Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 38; Thüsing, in: MükoBGB, § 3 AGG Rn. 8. 271  Das BAG lehnt ein Verschuldenserfordenis ausdrücklich nur im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch des § 15 Abs. 2 AGG ab, vgl. BAG NZA 2009, 945, Tz. 68. Diese Ausführungen wären indes unnötig, wenn bereits die einem solchen Anspruch zugrunde liegende unmitttelbare Diskriminierung für sich genommen Verschulden voraussetzen würde. 272  So insbesondere Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 52; Maier-Reimer, NJW 2006, 577, 579. 273  Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2579. 268 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

bungsverfahren, wo sich die Diskriminierung nicht bereits anhand abstrakter Bedingungen erkennen lasse und wo es eher um die Abwehr einer Persönlichkeitsrechtsverletzung denn um das Gebot distributiver Zugangsberechtigung gehe. 274

bb) Normen im Kopf – Die private Entscheidungsmaxime des Verbotsadressaten als Bezugspunkt des Anknüpfungsverbots Alles in allem liefert eine Analyse des Meinungsstands zur dogmatischen Einordnung des in § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vorausgesetzten Zusammenhangs zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal ein verwirrendes Bild. 275 Löst man sich allerdings von den in Rechtsprechung und Schrifttum speziell in Bezug auf diese Vorschrift verwendeten Begrifflichkeiten und betrachtet das dort definierte Verbot der unmittelbaren Diskriminierung in einem funktional-dogmatischen Kontext, so erscheint die Deutung als Anknüpfungsverbot der geeignetste Ausgangspunkt für eine Annäherung an den Wesenskern dieses Verbots zu sein. Eine solche Deutung entspricht nicht nur der üblichen Deutung von Diskriminierungsverboten im Unionsrecht276 wie im nationalen Recht, 277 sondern sie ergibt sich darüber hinaus aus der Qualifikation von Diskriminierungsverboten als besondere Ausprägungen des allgemeinen Gleichheitssatzes. Während bei Letzterem die Frage, welche Sachverhalte sich aufgrund ihrer wesentlichen Vergleichbarkeit einer Ungleichbehandlung entziehen, für jeden einzelnen Sachverhalt festzustellen ist, wird die Frage der Vergleichbarkeit bei den merkmalsbezogenen Diskriminierungsverboten durch das verbotene Merkmal gesteuert, indem eine Anknüpfung an eben dieses Merkmal im Anwendungsbereich des jeweiligen Diskriminierungsverbots grundsätzlich untersagt wird. 278 Anknüpfungsverbote schränken den Adressaten bei der Aufstellung von Regeln ein, indem die unterschiedliche Behandlung zweier Sachverhalte nicht mit dem Vorhandensein des jeweils verbotenen Merkmals begründet werden darf. Prädestiniert als Gegenstand eines Anknüpfungsverbots erscheinen damit in erster Linie Normen in einem weit verstanden Sinn; tragen diese doch als abstrakt-generelle Regelungen das Anknüpfungselement ohnehin in sich, indem 274 

275 

Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 54. Die Begriffsverwirrung beklagt auch Damann, Grenzen zulässiger Diskriminierung,

S. 208. 276 Vgl. Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 53. 277  So zu Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG mit eingehender Begründung Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 428 ff.; Der Begriff des Anknüpfungsverbotes konkurriert hier freilich mit dem des Begründungsverbotes, wobei der Unterschied zwischen beiden Verbotskategorien in der Erforderlichkeit eines auf der Tatbestandsebene angesiedelten Vergleichbarkeitskriteriums liegt, vgl. hierzu Huster, Rechte und Ziele, S. 315 ff.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 286. 278  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 649; ähnlich bereits Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 47.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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das Vorliegen bestimmter Tatbestandsvoraussetzungen konditional nach einem Wenn-Dann-Schema 279 mit einer bestimmten Rechtsfolge verknüpft wird. 280 Unter Normen lassen sich in diesem Zusammenhang nicht nur staatlich gesetzte Normen (Gesetze, Verordnungen, Satzungen) verstehen, sondern auch durch private Verbände gesetzte Normen, wie etwa Tarifverträge, da es sich hier wie dort um abstrakt-generelle Regelungen mit den soeben beschriebenen Eigenschaften handelt. Rechts- wie Verbandsnormen stellen damit auch im Unionsrecht den klassischen Gegenstand für eine Überprüfung auf ihre Vereinbarkeit mit den unionalen Diskriminierungsverboten dar. 281 Hierfür findet sich eine Fülle von Beispielen aus der Rechtsprechung des EuGH. 282 Musterbeispiele für die Überprüfung gesetzlicher Normen speziell am Maßstab der Antidiskriminierungsrichtlinien (hier: Richtlinie 2000/78/EG) sind etwa die Urteile Mangold und Kücükdeveci, wo jeweils die Unionsrechtskonformität nationaler, nach dem Alter differenzierender Regelungen zu Überprüfung anstand.283 In anderen Urteilen hat der EuGH Regelungen in Tarifverträgen am Maßstab der Richtlinie 2000/78/EG gemessen. 284 Nun ist es aber weniger die Anwendung diskriminierender Gesetze oder Verbandsregelungen, die im Bereich des privatrechtsbezogenen Diskriminierungsschutzes im Fokus der Betrachtung steht, sondern die privatautonome Entscheidung von Einzelpersonen im Zusammenhang mit der Begründung, dem Inhalt oder der Beendigung von Vertragsverhältnissen. Der auf generell-abstrakte Regelungen zugeschnittene Begriff der Anknüpfung will in diesem Kontext auf den ersten Blick nicht recht passen, weil es insoweit an einer abstrakt-generellen Regelung als Gegenstand für ein Anknüpfungsverbot gerade zu fehlen scheint. Dieser erste Eindruck trügt indes. So hat Sachs im Rahmen seiner Habilitationsschrift über die in Artikel 3 Abs. 2 und 2 GG verankerten Diskriminierungsverbote überzeugend dargelegt, dass auch gesetzlich nicht gebundenen staatlichen Einzelfallentscheidungen wie insbesondere Ermessenentscheidungen einer Behörde, stets eine generell-abstrakte Entscheidungsmaxime im Kopf der entscheidenden Person zugrundeliegt, auf welche 279 

Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 46. im Ansatz für die Diskriminierungsverbote des Grundgesetzes (Artikel 3 Abs. 3 und 2 GG) bereits Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 71; speziell im Hinblick auf die Diskriminierungsverbote des Unionsrechts Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 205; Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 46; Fuchs, Gleichbehandlungsverbot, S. 59 f. 281  Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 205. 282  Vgl. die Beispiele bei Damann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 205, dort Fußnote 33. 283 EuGH, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981, Tz. 54 – Mangold; EuGH, Rs. C.555/07, Slg. 2010, I-365 – Kücükdeveci; zur Bedeutung der Urteile für das Binnenverhältnis der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 1. a) und b) cc). 284 EuGH C-45/09, EU:C:2010:601, Tz. 54 – Rosenbladt; EuGH, Rs. C-447/09, EU:C:2011:573, Tz. 42 ff. – Prigge. 280  So

256

Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

sich die Anknüpfungsverbote des Artikel 3 Abs. 2, 3 GG beziehen. 285 Diese Entscheidungsmaxime kann offengelegt werden und in diesem Falle auch eine Selbstbindung entfalten. Sie kann aber auch unausgesprochen bleiben. An ihrem Vorhandensein und an ihrer Eignung als Gegenstand eines Anknüpfungsverbots ändert dies freilich nichts. Diese von Sachs im Hinblick auf Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG getroffenen Feststellungen lassen sich auf die strukturell identischen Diskriminierungsverbote des Unionsrechts und hier besondere auf die privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote des AGG übertragen. 286 Denn was für die gesetzlich ungebundene Einzelentscheidung staatlicher Behörden gilt, muss auch für die ebenfalls gesetzlich ungebundene Entscheidung von Privatpersonen gelten. Auch diesen Entscheidungen liegt letztlich eine privatautonom gesetzte, generell-abstrakte Entscheidungsmaxime zugrunde, welche als Gegenstand eines Anknüpfungsverbotes in Betracht kommt. 287 Wer einer dunkelhäutigen Person im Hinblick auf deren Hautfarbe den Eintritt zu einer Diskothek verwehrt, tut dies auf der Grundlage einer vorgefertigten diskriminierenden Entscheidungsmaxime, mag diese auch nur ein einziges Mal zur Anwendung kommen und dem Diskriminierungsopfer gegenüber nicht offengelegt werden. Aus Sicht des Diskriminierungsopfers stellt sich die private Entscheidungsmaxime als ebenso wirksame Barriere wie eine ihn benachteiligende gesetzliche Norm dar, nur dass die Norm in diesem Fall nicht im Gesetzblatt festgeschrieben, sondern im Kopf des Diskriminierenden zu verorten ist. Auch im Hinblick auf privatautonome Entscheidungen lässt sich das in § 3 Abs. 1 S. 1 AGG definierte Verbot der unmittelbaren Diskriminierung somit als Anknüpfungsverbot qualifizieren. Bezugspunkt dieses Verbots ist auch in diesem Falle die diskriminierende Entscheidungsmaxime selbst. Im Hinblick auf den generell-abstrakten Charakter dieser Entscheidungsmaxime, welcher insoweit von einer Rechtsnorm nicht zu unterscheiden ist, soll das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung hinfort als „normbezogenes Anknüpfungsverbot“ qualifiziert werden. Im Vergleich zu der soeben befürworteten Qualifikation als normbezogenes Anknüpfungsverbot sind die alternativen in Rechtsprechung und Schrifttum angebotenen Begrifflichkeiten weit weniger geeignet, das Wesen des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung zu erfassen und verleiten bisweilen 285 

Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 72 f. zu Recht Fuchs, Gleichbehandlungsverbot, S. 60; a.A. wohl Plötscher, Begriff der Diskriminierung, der betont, dass eine konkrete Einzelmaßnahme – schon per definitionem – nur einen einzigen Sachverhalt betreffe. 287 Auch von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 47 stellt darauf ab, dass das verbotene Merkmal Teil einer „Entscheidungsregel“ ist. Vorsichtig den Normbezug von Einzelmaßnahmen herausstellend auch Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 24, nach dem auch bei Auftreten nur eines einzelnen Stellenbewerbers die Ungleichbehandlung schon in den Einstellungsbedingungen oder in der Stellenausschreibung programmiert sein kann. 286  So

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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sogar zu Trugschlüssen hinsichtlich des Inhalts dieses Verbots. Diese Feststellung betrifft zunächst die verbreitet aufgestellte Forderung nach einem „Moti­ vationszusammenhang“ zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal. Auf dem ersten Blick scheint die Wahl dieses Begriffs zwar durchaus für solche Konstellationen naheliegend, in denen sich keine Rechtsnorm (im weiteren Sinne) findet, deren Tatbestand man eine diskriminierende Anknüpfung und die sich hierin manifestierende Benachteiligung bereits aus sich heraus entnehmen kann. Denn wenn sich die Anknüpfung an das verbotene Merkmal ausschließlich im Kopf des Diskriminierenden abspielt, ist die darauf beruhende Entscheidung in der Tat – jedenfalls in terminologischer Hinsicht – eher durch dieses Merkmal „motiviert“ als dass sie hieran „anknüpft“. Bezeichnend für eine solche feinsinnige terminologische Differenzierung ist die oben zitierte Rechtsprechung des BAG, welches die Begriffe Anknüpfung und Motivation augenscheinlich nur deshalb gleichberechtigt nebeneinander verwendet, um zwischen gesetzlichen und privatautonomen Diskriminierungen zu trennen. Gegen eine solche Verdeutlichung wäre als solche auch nichts einzuwenden. Das Abstellen auf die Motivation des Diskriminierenden birgt allerdings in sich die Gefahr der Gleichsetzung von Motivation und Bewusstsein, 288 von welchem es wiederum nur noch ein kleiner Schritt zu einem Vorsatzerfordernis ist. Die Befürworter eines solchen Erfordernisses scheinen davon auszugehen, dass derjenige, welcher im Rahmen seiner Entscheidung an ein verbotenes Merkmal anknüpft, sich dieses Umstands stets bewusst ist, so dass im Falle der unmittelbaren Diskriminierung Vorsatz unproblematisch zu bejahen ist. 289 Diese Prämisse ist indes falsch, da einer solchen Entscheidung durchaus stereotype Vorstellungen etwa über die Körperkraft von Frauen oder den Charakter von Angehörigen bestimmter ethnischer Gruppen zugrunde liegen können, denen sich der Entscheidende selbst gerade nicht bewusst ist. 290 Bauer/Krieger nennen in diesem Zusammenhang das anschauliche Beispiel eines Arbeitgebers, der gar nicht erst auf die Idee kommt, einen behinderten Beschäftigten für eine Beförderungsstelle in Betracht zu ziehen, weil er unterbewusst davon ausgeht, die mit der 288  In diesem Sinne scheint Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 16 den Begriff Motivation zu verstehen und lehnt seine Relevanz für den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung daher folgerichtig ab. 289  So augenscheinlich Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2579, wonach Vorsatz bei unmittelbaren Benachteiligungen wegen der hier erforderlichen Motivationsanknüpfung eine „natürliche Voraussetzung“ darstelle, während dies bei mittelbaren Ungleichbehandlungen gerade nicht der Fall sei; ähnlich allgemein für unionale Diskriminierungsverbote Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 53 (formale Ausgestaltung einer Regelung als „Indiz“ einer Diskriminierungsabsicht). 290 So zu Recht Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 235; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 16; ähnlich Bauer/Krieger, AGG, § 3 Rn. 10. Eingehend zum Einfluss unbewusster Vorurteile und Stereotype auf die Entscheidungsfindung Watzenberg, Homo Oeconomicus, S. 90 ff.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Beförderungsstelle verbundene zusätzliche Belastung sei mit der Behinderung des Beschäftigten nicht vereinbar. 291 Gerade vor solchen Stereotypisierungen wollen die gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote des § 1 AGG indes schützen. 292 Von daher bedarf es für die Feststellung einer unmittelbaren Diskriminierung weder eines bewussten noch gar eines die Person des Diskriminierten absichtlich herabsetzenden Anknüpfens an ein verbotenes Merkmal. Die Anknüpfung an sich reicht aus. Gerade im Hinblick auf diesen einfachen, nicht von einem Verschulden abhängigen Anknüpfungszusammenhang erscheint es allerdings verführerisch, die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal begrifflich mit Kausalität gleichzusetzen. 293 Wie bereits gesehen, dient auch dem BAG der Begriff der Kausalität im Rahmen seiner „großen Formel“ als Oberbegriff zur Verklammerung des vom Gericht alternativ für erforderlich gehaltenen Anknüpfungs- oder Motivationszusammenhangs. Gleichwohl erscheint die Verwendung des Begriffes Kausalität in dem gegebenen Zusammenhang jedenfalls dann problematisch, wenn man Kausalität mit Äquivalenz im Sinne der conditio sine qua non-Formel gleichsetzt. 294 Denn nicht in allen Fällen, in denen im Rahmen einer Entscheidung im vertraglichen oder vorvertraglichen Bereich an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal angeknüpft wird, lässt sich die Entscheidung auch kausal auf diese Anknüpfung zurückführen. Letzteres gilt insbesonderere im Hinblick auf Auswahlentscheidungen, in denen die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten auf einer Vielzahl von Erwägungen beruht. Lädt etwa der Arbeitgeber einen Stellenbewerber wegen dessen ehtnischer Herkunft nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, lässt sich allein hieraus noch nicht darauf schließen, ob der Bewerber die Stelle unter Hinwegdenken der diskriminierenden Anknüpfung letztendlich erhalten hätte. Je nach Anzahl der Bewerber und der Qualifikation des zurückgewiesenenen Bewerbers erscheint dies sogar hochgradig unwahrscheinlich. Will man hier auf Kausalitätsaspekte abstellen, lässt sich ein kausaler Zusammenhang zwischen ablehnender Auswahlentscheidung und Anknüpfung an das verbotene Merkmal allenfalls für denjenigen Bewerber feststellen, der nach dem subjektiven Anforderungsprofil des Arbeitgebers am besten für die Stelle geeignet ist. Pro Bewerbungsverfahren gäbe es damit nur ein potentielles Diskriminierungsopfer!295 Ein solches Er291 

Bauer/Krieger, AGG, § 3 Rn. 10. Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 16. 293  So aber Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 72; Thüsing, in: MüKOBGB, § 3 AGG Rn. 8. 294  So explizit Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 8. 295  Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 72 hat dem Einwand fehlender Kausalität entgegengehalten, dass die aussortierten Bewerber nur hätten genommen werden können, wenn ihre Bewerbung nicht ohne inhaltliche Prüfung aussortiert worden wäre. Die Möglichkeit, auch in einem fairen Verfahren von geeigneteren Mitbewerbern um den Erfolg gebracht zu werden, ändere daran nichts. Letzteres impliziert wohl eine Wertung der besseren 292 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

259

gebnis steht aber in Widerspruch mit der Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch der deutschen Gerichte. So hat der EuGH imUrteil Draehmpaehl festgestellt, dass der einem diskriminierten Stellenbewerber zu gewährende Schadensersatz der Tatsache Rechnung tragen kann, dass bestimmte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Stelle wegen der besseren Qualifikation des eingestellten Bewerbers nicht erhalten hätten. 296 Der EuGH unterscheidet mithin klar zwischen zwei Gruppen von Diskriminierungsopfern, nämlich solchen, deren andernfalls gebotene Einstellung gerade wegen der Anknüpfung an ein diskriminierendes Merkmal unterblieben ist und damit kausal auf diese zurückzuführen ist und solchen, für die sich diese Feststellung nicht treffen lässt und die lediglich um ihre Chance auf Einstellung gebracht wurden. 297 Auch die letztgenannte Gruppe soll aber augenscheinlich vom Diskriminierungsverbot erfasst sein. Das BVerfG hat hieraus die Konsequenz gezogen, dass die Anknüpfung an einen in § 1 AGG genannten Grund lediglich Bestandteil eines Motivbündels sein muss, welches die Entscheidung beeinflusst hat.298 Das BAG hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und zudem in Anlehnung an den EuGH festgestellt, die Benachteiligung liege regelmäßig bereits in der Versagung einer Chance auf Einstellung. 299 Im Schrifttum wird diese Rechtsprechung bisweilen dahingehend auf den Punkt gebracht, dass das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens den Bewerbern ein Recht auf ein diskriminierungsfreies Verfahren garantiere.300 Letztere Formulierung ist allerdings missverständlich; suggeriert sie doch eine Verlagerung des Bezugspunktes des Diskriminierungsverbotes auf hiervon ursprünglich nicht erfasste Bereiche. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr folgt das vermeintliche „Recht auf ein diskriminierungsfreies Verfahren“ ausschließlich aus der Qualifikation des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als Anknüpfungsverbot und dem Verzicht auf ein wie auch immer geartetes Kausalitätserfordernis.

Eignung von Mitbewerbern als unbeachtliche Reserveursache. Diese Wertung ist indes nicht zutreffend. Bezugspunkt der conditio-­sine-qua-non-Formel ist der konkrete Erfolg. Um diesen handelt es sich aber gerade bei der endgültigen Nichteinstellung. Der Fall unterscheidet sich damit schon im Ansatz von Konstellationen, in denen ein konkret bereits eingetretenes Ereignis (Tod) unter anderen Umständen (Reserveursache) ohnehin zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten wäre. 296 EuGH, Rs. 180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 33 – Draehmpaehl. 297 EuGH, Rs. 180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 34 – Draehmpaehl. 298 BVerfG, Az. 1 BvR 258/86, E 89, 276, Tz. 50. 299  BAG NZA 2010, 327, Tz. 50. 300  Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 37; Bauer/Krieger, AGG, § 3 Rn. 13; vgl. bereits zu § 611a Abs. 2 BGB in der Fassung vom 14.8.1980 Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 172, wonach der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nicht gerade in der Einstellungsentscheidung selbst liegen muss, sondern auch in der geschlechtsspezifischen Zusammenstellung des Bewerberkreises liegen kann.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

cc) Konsequenzen im Hinblick auf einzelne Fallgruppen Versteht man das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung, wie hier vertreten, als normbezogenes Anknüpfungsverbot, erschließt sich auch die Einschlägigkeit dieses Verbots in Bezug auf solche Konstellationen, für die sich ein Qualifikation als Diskriminierung bei flüchtiger Betrachtung nicht unbedingt aufdrängt. Denn auf den ersten Blick scheint ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorauszusetzen, dass es sich bei einer im Einzelfall konkret benachteiligten Person selbst um den Träger eines verbotenen Merkmals handelt. Diese Voraussetzungen sind etwa erfüllt, wenn eine bestimmte dunkelhäutige Person im Zusammenhang mit der Besetzung einer Stelle oder der Vermietung einer Wohnung benachteiligt wird. Kaum mit diesem klassischen Modell des Diskriminierungstatbestands vereinbar erscheint es hingegen, dass der EuGH und Teile des Schrifttums auch solche Konstellationen als vom Verbot der unmittelbaren Diskriminierung umfasst ansehen, in denen eine konkret benachteiligte Person nicht selbst Merkmalsträger ist. Dies betrifft etwa den Fall, dass der Verbotsadressat das Vorhandensein eines verbotenen Merkmals bei der benachteiligten Person lediglich irrig annimmt (so genannte Putativdiskriminierung) oder der Fall, dass der Verbotsadressat die nachteilige Behandlung einer Person an das Vorhandensein eines verbotenen Merkmals bei einer anderen Person knüpft (so genannte Drittdiskriminierung). Richtet man hier den Blick ausschließlich auf den konkret Benachteiligten oder gar seine Herabwürdigung, so könnte man hier – unter dem Aspekt der fehlenden Betroffenheit oder Schutzbedürftigkeit – am Vorliegen einer Diskriminierung zweifen. Dies wäre aber, wenn man wie hier vertreten, das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot qualifiziert, zu kurz gedacht. Dies wird im Folgenden zu zeigen sein.

(1) Schutz vor Diskriminierung von Nicht-Merkmalsträgern (Putativdiskriminierung) Unproblematisch vom Verbot der unmittelbaren Diskriminierung erfasst sind zunächst solche Fälle, in denen eine konkret benachteiligte Person selbst ein verbotenes Merkmal im Sinne des § 1 AGG aufweist, also etwa dem weiblichen Geschlecht angehört, eine bestimmte vom Diskriminierenden negativ bewertete ethnische Herkunft aufweist, behindert oder homosexuell ist. Nach ganz h.M. ist die Merkmalsträgerschaft des potentiellen Diskriminierungsopfers indes keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung. Vielmehr reicht es aus, dass der Diskriminierende das Vorliegen dieses Merkmals beim Diskriminierungsopfer nur annimmt.301 Die Einbezie301  Adomeit/Mohr, AGG, § 1 Rn. 176; Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 35; Speziell im Hinblick auf die irrtümliche Annahme einer Rasse oder ethnischen

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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hung einer solchen Putativdiskriminierung in den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung folgt für das Verbot der erwerbsbezogenen Diskriminierung bereits aus § 7 Abs. 1 HS 2 AGG. Der Gesetzgeber begründet die Einfügung dieser Klarstellung mit dem Umstand, dass Menschen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen oft – etwa aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes – zugeschrieben werden.302 Für das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot des § 19 AGG kann aber insoweit nichts anderes gelten.303 Denn die Einbeziehung auch der Putativdiskriminierung ist letztlich die logische Konsequenz aus der Qualifizierung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als Anknüpfungsverbot. Wer irrig vom Vorhandensein eines verbotenen Merkmals beim Gegenüber ausgeht, knüpft im Rahmen seiner Entscheidung an dieses Merkmal an oder – noch genauer – er legt seiner Entscheidung eine nach dem verbotenenen Merkmal differenzierende Entscheidungsmaxime zugrunde. Genau die Bekämpfung solcher merkmalsbezogener Entscheidungsmaximen wie überhaupt die Bekämpung aller nach einem verbotenen Merkmal differenzierenden Normen steht aber im Fokus des Verbotes der unmittelbaren Diskriminierung.304 Es geht somit nicht (nur) um den Schutz von Merkmalsträgern vor Diskriminierung, sondern um den Schutz jeder Person, nicht aufgrund eines (wenn auch nur angenommenen) Merkmals diskriminiert zu werden. Der egalitaristische Begründungsansatz des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts schlägt hier voll durch.

(2) Drittdiskriminierung Genau aus diesem Grund kann es auch nicht weiter erstaunen, dass der EuGH im Urteil Coleman eine unmittelbare Diskriminierung auch dann bejaht, wenn nicht eine konkret benachteiligte Person selbst, sondern eine andere Person ein verbotenes Merkmal aufweist und der Verbotsadressat seine nachteilige Entscheidung hierauf stützt.305 Gegenstand des Ausgangsverfahrens zu diesem Urteil war, grob vereinfacht, die (behauptete) Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen der Behinderung ihres Kindes. Das vorlegende englische Gericht hatte unter anderem die Frage aufgeworfen, ob die Richtlinie 2000/78/EG im RahHerkunft des Gegenübers auch Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 256 f., der diese Feststellung allerdings damit begründet, dass die Definition von Rassen und ­Ehtnien ohnehin auf willkürlicher Zuordnung beruht. Der Fall der Putativdiskriminierung ist hiervon aber zu trennen, weil es hier nicht um die Frage der Definition eines Merkmals im Sinne des § 1 AGG geht, sondern um die irrtümliche Annahme des Vorliegens eines Merkmals beim potentiellen Diskriminierungsopfer; siehe bereits oben A. II. 1. c). 302  BT-Drs. 16/1780, S. 34. 303  So zu Recht Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 35; Stork, ZEuS 2005, 1, 10. 304  Siehe oben bb). 305 EuGH, Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603, Tz. 56 − Coleman.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

men des Verbots der Diskriminierung wegen einer Behinderung nur Menschen vor unmittelbarer Diskriminierung und Belästigungen schützt, die selbst eine Behinderung haben. Der EuGH hat diese Frage bejaht und dies in erster Linie auf grammatikalische wie teleologische Argumente gestützt. Aus den Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG ergebe sich nicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz, den sie gewährleisten solle, auf Personen beschränkt sei, die selbst eine Behinderung im Sinne der Richtlinie aufwiesen.306 Ihr Zweck sei vielmehr, in Beschäftigung und Beruf jede Form der Diskriminierung aus Gründen einer Behinderung zu bekämpfen.307 Der in diesem Bereich in der Richtlinie 2000/78/EG verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz gelte daher nicht für eine bestimmte Kategorie von Personen, sondern in Bezug auf die in ihrem Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe.308 Insbesondere die letztgenannte Feststellung ist Beleg dafür, dass der EuGH das in den Antidiskriminierungsrichtlinien sowie in § 3 Abs. 1 S. 1 AGG definierte Verbot der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot versteht. Bezugspunkt dieses Verbots ist bei privatautonomen Entscheidungen die diesen zugrundeliegende Entscheidungsmaxime, welche sich dann als diskriminierend darstellt, wenn sie in irgendeiner Weise an ein Merkmal wie etwa eine Behinderung anknüpft. Dies deckt sich mit dem vom EuGH an anderer Stelle des Urteils hervorgehobenen Zweck der Richtlinie 2000/78/EG, einen Arbeitsmarkt zu schaffen, welcher frei von Diskriminierungen wegen der in der Richtlinie genannten Merkmale ist.309 Es gilt insoweit dasselbe wie im Hinblick auf Putativdiskriminierungen.310 Jedermann, und nicht nur tatsächliche Merkmalsträger, sollen vor diskriminierenden Entscheidungen in den durch die Richtlinien erfassten Lebensbereichen geschützt werden. Ob sich diese Sichtweise, wie der Gerichtshof meint,311 mit dem Wortlautargument begründen lässt, erscheint zwar eher zweifelhaft.312 Denn während die im vorliegenden Fall einschlägige 2000/78/EG in der Tat auf eine possessive Zuordnung der von der Richtlinie erfassten Merkmale verzichtet,313 findet sich eine solche Zuordnung sehr wohl in anderen Richtlinien.314 Die teleologischen Argumente tragen die Entscheidung aber allemal. 306 EuGH,

Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603, Tz. 38 − Coleman. Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603, Tz. 38 − Coleman. 308 EuGH, Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603, Tz. 38 − Coleman. 309 EuGH, Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603, Tz. 56 − Coleman. 310  Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen, S. 209 sieht ebenfalls einen engen Bezug zwischen Putativdiskriminierungen („Diskriminierungen durch Askription“) und drittbezogenen Diskriminierungen. 311 EuGH, Rs. C-303/06, Slg. 2008, I-5603, Tz. 38 − Coleman. 312  Kritisch zu Recht Schlachter, RdA 2010, 104, 106 ff.; Sutschet, EuZA 2009, 245, 250. 313  Vgl. Artikel 2 Abs. 2 lit a Richtlinie 2000/78/EG (wegen „eines“ der in Artikel 1 genannten Gründe). 314 Vgl. Artikel 2 Abs. 1 lit a Richtlinie 2006/54/EG (aufgrund „ihres“ Geschlechts); 307 EuGH,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

263

4. Das Vergleichspersonenkonzept und seine Bedeutung für die Definition der unmittelbaren Diskriminierung a) Vergleichsperson und Vergleichsrahmen – auf der Suche nach dem heiligen Gral des Antidiskriminierungsrechts Nachdem als Wesenskern des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Rahmen von Normen inklusive privatautonomer Entscheidungsmaxime herausgearbeitet wurde, ist nunmehr der zunächst zurückgestellten Frage nachzugehen, welche Rolle für die Definition einer unmittelbaren Diskriminierung der in § 3 Abs.1 S. 1 AGG enthaltenen Forderung zukommt, dass „eine Person eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“. Es geht also augenscheinlich nicht nur darum, dass Personen wegen eines verbotenen Merkmals eine für sich genommen nachteilige Behandlung erfahren. Vielmehr wohnt dem Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung darüber hinaus ein komparatives Element in Form eines personellen Günstigkeitsvergleichs inne. Zu dessen Durchführung scheint es wiederum zwingend geboten, eine konkrete Person zu benennen, welche im Vergleich zu einer anderen konkreten Person eine bessere Behandlung erfährt und dies zudem in einer vergleichbaren Situation. Dieser auch als Vergleichspersonenkonzept bezeichnete315 personelle Günstigkeitsvergleich, findet sein Regelungsvorbild im US-amerikanischen und englischen Antidiskriminierungsrecht. In den USA erfordert der Nachweis einer unmittelbaren Diskriminierung (disparate treatment) nach der vom S­ upreme Court im Urteil McDonell Douglas Corp. v. Green entwickelten Formel ­( McDonell Douglas-Formel)316 jedenfalls in Bewerbungsverfahren grundsätzlich den Nachweis, dass das potentielle Diskriminierungsopfer verglichen mit einer anderen, nicht seiner Gruppe zugehörigen Person ungleich behandelt wurde. Auch die in England lange Zeit maßgebliche Definition der unmittelbaren Diskriminierung in Section 1 des Race Relations Act 1976 basiert auf dem Nachweis einer ungünstigen Behandlung einer konkreten Person gegenüber einer anderen Person in einer vergleichbaren Situation.317 Im neuen, Artikel 2 Abs. 2 lit a Richtinie 2000/43/EG (aufgrund „ihrer“ Rasse oder ethnischer Herkunft). 315  Der Begriff wird erstmals verwendet von Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 2. 316  McDonell Douglas Corp. v. Green, 411 U.S. 792, 93 S.Ct. 1817, 36 L.Ed.2d 668 [1973]. Zwar bedarf es hierfür nicht des Beweises, dass der Arbeitgeber tatsächlich eine konkrete andere Person eingestellt hat. Für einen Rückgriff auf eine hypothetische Vergleichsperson muss das potentielle Diskriminierungsopfers aber zumindest belegen, dass der Arbeitgeber nach seiner Ablehnung erneut einen Bewerber suchte. 317  Vgl. section 1(1) Race Relations Act 1976: „A person discriminates against another in any circumstances relevant for the purposes of any provision of this act if (a) on racial grounds he treats that other less favourably than he treats or would treat other persons.“ Die

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

alle Arten von Diskriminierung zusammenfassenden Equality Act 2010 wurde an dem Vergleichspersonenkonzept festgehalten.318 Dem Unionsrecht war ein solches Konzept hingegen lange Zeit fremd. In Bezug auf das primär an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit und die in ihrem Kern ebenfalls als Diskriminierungsverbote ausgestalteten Grundfreiheiten, fand sich, wenn überhaupt, nur die knappe Aussage, dass jede Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit verboten (Artikel 18 Abs. 1 AEUV) oder abzuschaffen ist (vgl. Artikel 45 Abs. 2 AEUV). Eine Definition der einzelnen Handlungsformen findet sich hier ebensowenig wie in der ersten Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG, die Diskriminierungen durch einzelne Arbeitgeber erfasst. Während der EuGH aber für die mittelbare Diskriminierung bereits in den 70er Jahren eine Definition entwickelt hatte, welche später in Artikel 2 Abs. 2 der Richtlinie 97/80/EG (Beweislastrichtlinie) ihren Niederschlag fand, wurde die unmittelbare Diskriminierung erstaun­ licherweise erstmals in der Richtlinie 2000/43/EG definiert und enthielt nunmehr das offensichtlich dem angelsächsischen Regelungsvorbild entnommene Vergleichspersonenkonzept, welches wortgleich auch für die übrigen Antidiskriminierungsrichtlinien der zweiten Generation übernommen wurde. Zahlreiche Probleme sind mit diesem personellen Vergleichskonzept verbunden, deren Behandlung im Detail den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ein Problem besteht in vielen Fällen schon darin, überhaupt irgendeine konkrete Person zu finden, die als Vergleichsperson in Betracht kommt. Ein weiteres Problem liegt in der Notwendigkeit begründet, die Vergleichsperson just im Hinblick darauf auszuwählen, dass sich diese in einer mit dem potentiellen Diskriminierungsopfer vergleichbaren Situation befindet. Dies erscheint nämlich leichter gesagt als getan; sind doch zwei Sachverhalte stets in bestimmten Aspekten gleich, in anderen ungleich.319 Die Entscheidung der Frage, ob eher die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede maßgeblich sein sollen, enthält damit immer zugleich einen wertenden Akt,320 welchem für den Ausgang des Prozesses eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Suche nach der richtigen

Vorschrift ist zusammen zu lesen mit section 3(4): „A comparison of the case of a person of a particular racial group with that of a person not of that group under section 1(1) … must be such that the relevant circumstances in the one case are the same, or not materially different, than in the other.“ 318  Vgl. Section 13 (1) of the Equality Act 2010: „A person (A) discriminates against an­ other (B) if, because of a protected characteristic, A treats B less favourably than A treats or would treat others.“ 319  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 649; Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 43. 320  Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 43 spricht von einer kritischen Masse an Gemeinsamkeiten zwischen zwei Sachverhalten, die erreicht sein muss, um diese als im wesentlichen gleich zu bezeichnen.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

265

Vergleichsperson gestaltet sich vor diesem Hintergrund bisweilen wie die Suche nach dem heiligen Gral. Angesichts dieser Schwierigkeiten drängt sich die Frage auf, ob es eines Günstigkeitsvergleichs unter Hinzuziehung einer konkreten Vergleichsperson tatsächlich, wie der Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG und der Antidiskriminierungsrichtlinien suggerieren, stets bedarf, um eine unmittelbare Diskriminierung feststellen zu können. Denn wenn der Kern des Vorwurfs, wie oben festgestellt, in der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal besteht, erscheint der zusätzliche Nachweis einer individuellen, an einer konkreten Vergleichsperson festgemachten Ungleichbehandlung eigentlich überflüssig. Wer seine Entscheidungen in den gegenständlich vom Diskriminierungsverbot erfassten vertraglichen oder vorvertraglichen Situationen vom Vorhandensein eines verbotenen Merkmals beim Gegenüber abhängig macht, verwehrt diesem gerade wegen des verbotenen Merkmals eine Chance, welche dieser andernfalls hätte wahren können. Diese Tatsache steht ganz unabhängig davon fest, ob eine konkrete andere Person in diesem Zusammenhang günstiger behandelt wurde oder nicht. Muss ein dunkelhäutiger Mietinteressent, der im Rahmen der Vermietung einer Wohnung wegen seiner Hautfarbe nicht berücksichtigt wird und dem dem dies auch so kommuniziert wird, seine gegen den Vermieter gerichtete Klage auf Schadensersatz wegen Diskriminierung tatsächlich auf das Vorhandensein einer ihm gegenüber bevorzugten Person stützen und diese im Vorfeld des Verfahrens ermitteln? Allein dieses simple Beispiel weckt Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines obligatorischen personellen Günstigkeitsvergleichs. Andererseits scheint an der Erforderlichkeit eines solchen Günstigkeitsvergleichs kein Weg vorbei zu führen; spricht doch § 3 Abs. 1 S. 1 AGG unmissverständlich von „einer Person“, die eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine „andere Person“. Es stellt sich also letztlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem das Wesen der unmittelbaren Diskriminierung ausmachenden Anknüpfungskonzept und dem im Wortlaut der Definitionsnorm verankerten Vergleichspersonenkonzept. Da ein Vergleich immer zwei zu vergleichende Sachverhalte beinhaltet, stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer konkreten Vergleichsperson für beide Seiten eines konkreten Günstigkeitsvergleichs. Es ist also zum einen zu fragen, ob es als Ausgangspunkt des Vergleichs einer konkreten Person als potentielles Diskriminierungsopfer bedarf; zum anderen stellt sich die Frage, ob die Behandlung dieser Person mit der Behandlung einer konkreten anderen Person zu vergleichen ist. Da über die Notwendigkeit eines konkreten Diskriminierungsopfers im Schrifttum nahezu Einigkeit zu herrschen scheint, soll im Folgenden als erstes die Frage nach dem Erfordernis einer konkreten Vergleichsperson geklärt werden. Hierbei wird das Vorhandensein eines konkreten Diskriminierungsopfers zunächst unterstellt. Erst im Anschluss wird dann der heiklen Frage nachgegangen, ob nicht auch – im Sinne eines beidseitig ab-

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

strakten Günstigkeitsvergleichs – auf ein konkretes Diskriminierungsopfer verzichtet werden kann.

b) Die Vergleichsperson Wird einer bestimmten Person ein Nachteil zugefügt oder ein Vorteil vorenthalten, stellt sich zunächst die Frage, ob im Rahmen der Feststellung einer günstigeren Behandlung, die eine „andere Person“ erfährt auf eine konkrete Vergleichsperson abzustellen ist. Der Frage ist im Folgenden nachzugehen, wobei zunächst die Notwendigkeit der Heranziehung einer konkreten Vergleichsperson als solche und sodann das ihrer Bestimmung dienende Kriterium der situativen Vergleichbarkeit in den Blick genommen werden soll.

aa) Konkrete versus abstrakte Vergleichsperson – zwei Wege führen nach Rom Der Rückgriff auf eine konkrete Vergleichsperson ist jedenfalls in der großen Mehrzahl der Fälle unentbehrlich, in denen die diskriminierende Entscheidungsmaxime, auf welcher die nachteilige Behandlung des potentiellen Diskriminierungsopfers basiert, nicht auf die eine oder andere Weise offengelegt wird. Denn wie soll das Diskriminierungsopfer in diesem Fall das Vorliegen einer Diskriminierung beweisen? Hier kann allein die nach außen sichtbare Ungleichbehandlung des potentiellen Diskriminierungsopfers und einer konkreten anderen Person den entscheidenden ersten Anhaltspunkt für eine Diskriminierung und damit den Ausgangspunkt für eine Beweislastumkehr gemäß § 22 AGG liefern.321 Es findet über den Nachweis einer konkreten Ungleichbehandlung gegenüber einer anderen Person sozusagen eine schrittweise Annäherung an den Kern des Vorwurfs, die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal statt. Dem Rückgriff auf eine konkrete Vergleichsperson kommt in diesem Zusammenhang allerdings ausschließlich eine prozessuale Funktion zu. Die konkrete, in situativer Hinsicht mit dem potentiellen Diskriminierungsopfer vergleichbare Person dient hier quasi als „Krücke“ zur Etablierung des Diskriminierungstatbestands im Prozess. Auf diese prozessuale Funktion des Vergleichspersonenkonzepts wird an späterer Stelle im Zusammenhang mit der Frage der prozessualen Durchsetzbarkeit individueller Ansprüche des Diskriminierungsopfers noch zurückzukommen sein.322 Ist die diskriminierende Entscheidungsmaxime dagegen bekannt, bedarf es in prozessualer Hinsicht keiner konkreten Vergleichsperson zum Nachweis einer Diskriminierung. Was sollte die Benennung einer solchen Person auch an der bereits feststehenden Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal ändern? Die 321 

322 

von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 48. Siehe unten Vierter Teil § 2 C. II. 1. c) cc).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Prüfung, ob eine Diskriminierung vorliegt, kann hier unschwer anhand eines abstrakten Günstigkeitsvergleichs auf Basis der diskriminierenden Entscheidungsmaxime selbst erfolgen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich bei dieser Entscheidungsmaxime um eine (Rechts-)Norm oder um eine individuelle Entscheidungsmaxime handelt. Eine Diskriminierungsklage ohne konkrete Vergleichsperson ist somit, anders als im Schrifttum bisweilen behauptet,323 keineswegs „unmöglich“. Vielmehr existieren für das potentielle Diskriminierungsopfer zwei alternative Wege, eine Diskriminierung nachzuweisen.324 Der klassische, dornige Weg führt über den Nachweis einer Ungleichbehandlung im Vergleich zu einer konkreten anderen Person. Ihn muss das potentielle Diskriminierungsopfer beschreiten, wenn, wie häufig, die diskriminierende Entscheidungsmaxime des Gegenübers nicht offengelegt wurde. Steht eine diskriminierende Anknüpfung dagegen fest, kann das Diskriminierungsopfer den Königsweg des abstrakten Günstigkeitsvergleichs anhand des Nachweises der diskriminierenden Entscheidungsmaxime als solche beschreiten. Fraglich ist nun aber, ob die Definition der unmittelbaren Diskriminierung in § 3 Abs. 1 AGG und den Antidiskriminierungsrichtlinien dem Diskriminierungsopfer diesen zweiten Weg des Nachweises einer Diskriminierung überhaupt eröffnet, oder ob nicht auch in dem Fall, dass die Entscheidungsmaxime als solche bekannt ist, eine konkrete Vergleichsperson zu benennen ist. Die oben aufgeworfene Frage nach der Bedeutung des Vergleichspersonenkonzepts für die Etablierung des Diskriminierungstatbestandes mündet daher in die Frage, ob dem Vorhandensein einer Vergleichsperson nicht nur eine prozessuale, sondern auch eine materiellrechtliche Bedeutung zukommt. Den Schlüssel für die Beantwortung dieser Frage liefert der Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG und der Antidiskriminierungsrichtlinien, wonach es für die Bejahung einer unmittelbaren Benachteiligung bzw. Diskriminierung ausreicht, dass eine andere Person eine günstigere Behandlung als das potentielle Diskriminierungsopfer erfahren „würde“. Denn die Prognose, ob eine andere Person eine günstigere Behandlung erfahren „würde“ lässt sich, wie von Medem zu Recht anmerkt, ohne Rückgriff auf die diskriminierende Entscheidungsmaxime überhaupt nicht tätigen.325 Hinter der im Schrifttum gemeinhin so bezeichneten „hypothetischen“ Vergleichsperson326 versteckt sich somit in Wahrheit nichts anderes als die Möglichkeit, eine unmittelbare Diskrimi323  So explizit Wintermute, ILJ 27 (1998), 23, 25 („impossible“); ähnlich Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 46 f., nach welchem bei konkreten Einzelmaßnahmen nur ein Vergleich dieses Sachverhalts mit einem anders behandelten Sachverhalt weiterhelfen kann. 324  Izzi, Giornale di diritto del lavoro e di relazioni industriali, 99/100 (2003), 423, 426. 325  von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 50. 326  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 650; Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 3 Rn. 7; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 2. Bisweilen ist auch von einem fiktiven Vergleich die Rede, vgl. etwa Adomeit/Mohr, AGG § 3 Rn. 33.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

nierung allein im Wege eines abstrakten Günstigkeitsvergleichs auf Basis der diskriminierenden Entscheidungsmaxime durchzuführen.327 Indem das Vergleichspersonenkonzept aber den Weg zu einem abstrakten Günstigkeitsvergleich ohne Rückgriff auf eine Vergleichsperson aus Fleisch und Blut eröffnet, ist zugleich die eingangs aufgeworfene Frage beantwortet, ob der Existenz einer solchen Person im Tatbestand des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung eine materiellrechtliche Bedetung zukommt: Die Frage ist zu verneinen. Einzig maßgeblich für den materiellrechtlichen Tatbestand einer unmittelbaren Diskriminierung ist somit die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Rahmen einer Rechtsnorm oder privaten Entscheidungsmaxime. Dem Vergleichspersonenkonzept kommt demgegenüber lediglich eine prozessuale Hilfsfunktion zu. Genau dies entspricht letztlich auch der Funktion des Vergleichspersonenkonzepts im englischen Antidiskriminierungsrecht, welchem dieses Konzept ja entlehnt ist. Zwar ist auch hier der um eine hypothetische Vergleichsperson erweiterte Günstigkeitsvergleich im Tatbestand der jeweiligen Vorschriften verortet.328 Über dessen wahre Rolle gibt aber das Urteil des House of Lords in der Sache Shamoon v. Chief Constable oft he Roayl Ulster Consabulary Auskunft.329 Gegenstand des Verfahrens war die Klage einer Chef-Inspektorin im nordirischen Polizeidienst gegen ihren Dienstherrn wegen einer behaupteten Diskriminierung. Die Klage gründete sich auf die Entbindung der Klägerin von einem Teil ihres Aufgabenbereiches, der darin bestanden hatte, andere Polizisten zu berurteilen. Grundlage für diese Maßnahme waren Beschwerden über das dienstliche Verhalten der Klägerin. Die Klägerin behauptete, Opfer eine Geschlechtsdiskriminierung geworden zu sein, weil zwei ihrer männlichen Kollegen weiterhin mit Beurteilungen anderer Polizisten betraut wären. Das House of Lords hat die Klage letztinstanzlich aus Mangel an Beweisen für das Vorliegen einer Diskriminierung abgewiesen, weil die beiden männlichen Kollegen der Klägerin nicht gleichfalls Gegenstand von Beschwerden gewesen seien und deshalb nicht als geignete Vergleichspersonen in Betracht gekommen seien. Interessant im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand ist nicht der eher unspektakuläre Sachverhalt, sondern die Ausführungen, mit welchen Lord Scott im Rahmen der Urteilsbegründung die Rolle der Vergleichsperson (comparator) im englischen Diskriminierungsprozess beschreibt. 327 Unklar

insoweit Armbrüster, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, § 7 Rn. 99, der eine konkrete Wahrscheinlichkeit fordert, dass eine Vergleichsperson tatsächlich ungleich behandelt worden wäre; andernfalls bliebe die Ungleichbehandlung mangels eines tatsächlichen Vergleichsfalls fiktiv. 328  Vgl. Section 13 (1) of the Equality Act 2010: „A person (A) discriminates against another (B) if, because of a protected characteristic, A treats B less favourably than A treats or would treat others.“ 329  Shamoon v. Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, [2003] 2 All ER 26, HL.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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107. There has been, in my respectful opinion, some confusion about the part to be played by comparators in the reaching of a conclusion as to whether a case of Article 3(1) discrimination – or for that matter a case of discrimination under section 1(1) of the Sex Dis­crimi­nation Act 1975, or under section 1(1) of the Race Relations Act 1976, or under the comparable provision in any other anti-discrimination legislation – has been made out. Comparators come into play in two distinct and separate respects. 108. First, the statutory definition of what constitutes discrimination involves a comparison: “… treats that other less favourably than he treats or would treat other persons”. The comparison is between the treatment of the victim on the one hand and of a comparator on the other hand. The comparator may be actual (“treats”) or may be hypothetical (“or would treat”) but “must be such that the relevant circumstances in the one case are the same, or not materially different, in the other” (see Article 7). If there is any material difference between the circumstances of the victim and the circumstances of the comparator, the statutory definition is not being applied. It is possible that, in a particular case, an actual comparator capable of constituting the statutory comparator can be found. But in most cases a suitable actual comparator will not be available and a hypothetical comparator will have to constitute the statutory comparator. … 109. But, secondly, comparators have a quite separate evidential role to play. Article 7 has nothing to do with this role. It is neither prescribing nor limiting the evidential comparators that may be adduced by either party. The victim who complains of discrimination must satisfy the fact finding tribunal that, on a balance of probabilities, he or she has suffered discrimination falling within the statutory definition. This may be done by placing before the tribunal evidential material from which an inference can be drawn that the victim was treated less favourably than he or she would have been treated if he or she had not been a member of the protected class. Comparators, which for this purpose are bound to be actual comparators, may of course constitute such evidential material. But they are no more than tools which may or may not justify an inference of discrimination on the relevant prohibited ground eg. sex. The usefulness of the tool will, in any particular case, depend upon the extent to which the circumstances relating to the comparator are the same as the circumstances relating to the victim. The more significant the difference or differences the less cogent will be the case for drawing the requisite inference. But the fact that a particular chosen comparator cannot, because of material differences, qualify as the statutory comparator, eg. under Article 7, by no means disqualifies it from an evidential role. It may, in conjunction with other material, justify the tribunal in drawing the inference that the victim was treated less favourably than she would have been treated if she had been the Article 7 comparator.330

Die entscheidende Weichenstellung erfolgt schon am Anfang der hier zitierten Passage. Für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung auf der materiellrechtlichen Ebene bedarf es zwar einer Vergleichsperson, die sich jeweils in einer vergleichbaren Lage wie das Diskriminierungsopfer befinden muss. Was sich aber auf den ersten Blick wie ein Plädoyer für eine tragende Rolle der Ver330  Shamoon v. Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, [2003] 2 All ER 26, HL (Lord Scott), paras 107–109 (Hervorhebungen durch den Verfasser).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

gleichsperson schon auf der Ebene des materiellen Rechts liest, besagt bei näherem Besehen genau das Gegenteil. Indem nämlich auch im englischen Recht eine hypothetische Vergleichsperson ausreicht und deren Ergründung die Kenntnis der diskriminierenden Entscheidungsmaxime voraussetzt, mutiert auch hier die hypothetische Vergleichsperson zu einer Leerformel für das Vorliegen einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime als eigentlichem materiell-rechtlichen Ziel der Beweisführung. Die daneben erwähnte konkrete Vergleichsperson, von der Lord Scott sagt, dass sie „in most cases“ ohnehin nicht existiert, sinkt damit, wiewohl als materielle Voraussetzung „geadelt“, zu einer bloßen Alternative der Beweisführung hinsichtlich des Vorliegens einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime ab. Diese lässt sich indes, wie Lord Scott im Anschluss betont, auch auf anderem Wege beweisen als durch Benennung einer den Anforderungen des materiellen Rechts genügenden konkreten Vergleichsperson. Möglich ist etwa der Rückgriff auf weniger geeignete konkrete Vergleichs­personen oder auf andere Umstände des Falles, bei welchen es sich, ohne das Lord Scott dies eigens erwähnt, etwa auch Äußerungen während eines Vorstellungsgespräches oder eine diskriminierende Stellenanzeige handeln kann. Damit ist es auch im englischen Recht möglich, auf Basis einer offengelegten oder durch andere Tatsachen bewiesenen diskriminierenden Entscheidungsmaxime die (materiellrechtlich ausreichende) hypothetische Vergleichsperson zu ermitteln und auf diesem Wege die Voraussetzungen für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung zu ergründen. Noch deutlicher wird die Möglichkeit eines unmittelbaren Beweises der diskriminierenden Entscheidungsmaxime als solcher ohne die vorherige Ermittlung einer den materiell-rechtlichen Anforderungen genügenden konkreten Vergleichsperson aus den Ausführungen von Lord Nicholls zum selben Urteil: 7. …When the claim is based on direct discrimination or victimisation, in practice tribunals in their decisions normally consider, first, whether the claimant received less favourable treatment than the appropriate comparator (the ‘less favourable treatment’ issue) and then, secondly, whether the less favourable treatment was on the relevant proscribed ground (the ‘reason why’ issue). Tribunals proceed to consider the reason why issue only if the less favourable treatment issue is resolved in favour of the claimant. Thus the less favourable treatment issue is treated as a threshold which the claimant must cross before the tribunal is called upon to decide why the claimant was afforded the treatment of which she is complaining. 8. No doubt there are cases where it is convenient and helpful to adopt this two step approach to what is essentially a single question: did the claimant, on the proscribed ground, receive less favourable treatment than others? But, especially where the identity of the relevant comparator is a matter of dispute, this sequential analysis may give rise to needless problems. Sometimes the less favourable treatment issue cannot be re-

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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solved without, at the same time, deciding the reason why issue. The two issues are intertwined.331

Die von Lord Nicholls propagierte Herangehensweise, abhängig von den Gegebenheiten des Falles in Abkehr von der üblichen Prüfungsreihenfolge unmittelbar auf die diskriminierende Entscheidungsmaxime abzustellen (the ‚reason why‘ issue), unterstreicht einmal mehr die zentrale Bedeutung dieser Entscheidungsmaxime für die Definition einer unmittelbaren Diskriminierung. Dieser Umstand wird allerdings durch die Aufnahme der konkreten Vergleichsperson in den Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung eher verschleiert, indem insoweit eine letztlich nicht vorhandene materiellrechtliche Bedeutung des (konkreten) Vergleichspersonentests suggeriert wird. Die aus kontinentaleuropäischer Perspektive missliche Vermengung materiellrechtlicher und prozessualer Aspekte mag damit zu erklären sein, dass das englische wie das USamerikanische Recht beide Aspekte nicht in ähnlich scharfer Weise trennen wie kontinentaleuropäische Rechtsordnungen, sondern primär auf die Benennung der Anforderungen für eine erfolgreiche Klage ausgerichtet ist. So sind denn auch die Voraussetzungen für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung nach Title VII des US-amerikanischen Civil Rights Act 1964 nach der McDonell Douglas-Formel332 nicht nur als Formulierung materiellrechtlicher Anforderungen, sondern in erster Linie als Regeln zur Beweisführung in arbeitsrechtlichen Diskriminierungsfällen zu begreifen. Spätestens wenn eine solche doppelfunktionale Regelung, wie hier etwa das Vergleichspersonenkonzept des englischen Antidiskriminierungsrechts, in eine andere Rechtsordnung, wie hier die der Europäischen Union, transformiert wird, treten die funktionalen Diskrepanzen indes zu Tage und können Anlass zu weitreichenden Missverständnissen geben. Die auf den ersten Blick materiellrechtliche Verortung des im Wortlaut der Definition für die unmittelbare Diskriminierung verankerten Vergleichspersonenkonzepts ist ein treffendes Beispiel für dieses Phänomen. Das Vorliegen einer konkreten Vergleichsperson ist damit nicht Bestandteil der in § 3 Abs. 1 AGG verankerten materiellrechtlichen Definition der unmittelbaren Diskriminierung, sondern lediglich eine Möglichkeit ihres Nachweises. Gleichfalls möglich ist allerdings der unmittelbare Nachweis der diskriminierenden Entscheidungsmaxime anhand einer auf ihrer Basis ermittelten hypothetischen Vergleichsperson. Es stellt sich nur die Frage, wie sich die beiden Möglichkeiten des Nachweises einer unmittelbaren Diskriminierung zueinander verhalten. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, die Durchführung eines Günstigkeitsvergleichs anhand einer hypothetischen Vergleichsperson komme nur ausnahmsweise in den Fällen in Betracht, in denen es an 331  Shamoon v. Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, [2003] 2 All ER 26, HL (Lord Nicholls), paras 7, 8 (Hervorhebungen durch den Verfasser). 332  Siehe oben Fußnote 316.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

einer konkreten Vergleichsperson fehlt.333 Eine solche Rangfolge der von § 3 Abs. 1 S. 1 AGG aufgezählten Vergleichsvarianten lässt sich aber nicht mit der hier gezogenen Schlussfolgerung vereinbaren, dass es sich bei dem konkreten und abstrakten Günstigkeitsvergleich jeweils um alternative prozessuale Methoden zum Nachweis einer Diskriminierung, nicht aber um materiellrechtliche Elemente des Tatbestands der unmittelbaren Diskriminierung handelt. Zudem lässt sich weder § 3 Abs. 1 S. 1 AGG selbst noch den entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben ein Vorrang des konkreten Günstigkeitsvergleichs entnehmen.334 Die Definition der unmittelbaren Diskriminierung in § 3 Abs. 1 AGG nennt vielmehr alle drei Vergleichsvarianten („erfährt“, „erfahren hat“ und „erfahren würde“) im Einklang mit dem Text der Richtlinien gleichberechtigt nebeneinander. In der Rechtsprechung des EuGH finden sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine zwingende Rangfolge dieser Varianten. Im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Diskriminierung wegen des Geschlechts nach der Richtlinie 76/207/EWG hatte der Gerichtshof die Feststellung einer unmittelbaren Diskriminierung stets anhand einer konkreten Vergleichsperson durchgeführt.335 Mit der Möglichkeit der Heranziehung einer hypothetischen Vergleichsperson hat sich der EuGH zu dieser Zeit ebensowenig befasst wie mit den Voraussetzungen einer solchen Vorgehensweise.336 Hierbei ist es auch nach Inkrafttreten der Antidiskriminierungsrichtlinien der zweiten Generation geblieben. Zwar hat der Uninionsgesetzgeber mit der erstmaligen Definition der unmittelbaren Diskriminierung in der Richtlinie 2000/43/EG, wie gesehen, das bereits aus dem englischen Antidiskriminierungsrecht bekannte Vergleichspersonenkonzept übernommen. Eine Gelegenheit zur Klärung des Verhältnisses zwischen konkretem und abstraktem Günstigkeitsvergleich hat sich für den EuGH seitdem indes noch nicht ergeben.

333 So Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 33; Schlachter, in: Erfurter Kommentar, § 3 AGG Rn. 5 („notwendige Rangfolge“). 334  A.A. wohl Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 33; 335 Vgl. Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 2. 336  Mit letzter Sicherheit lässt sich dies zwar nicht feststellen, da sich der EuGH hierzu nie explizit geäußert hat. Die im Schrifttum (Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 3) in einem solchen Sinne interpretierten Entscheidungen des EuGH zur Diskriminierung von Schwangeren (EuGH, Rs. C‑32/93, Slg. 1994, I-3567 – Webb) betrafen jedenfalls die dogmatisch anders zu verortende Frage, ob auch eine Ungleichbehandlung wegen eines mit einem verbotenem Merkmal zusammenhängenden Merkmals als unmittelbare Diskriminierung zu werten ist.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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bb) Vergleichsperson und verbotenes Merkmal Obwohl weder der Wortlaut des § 3 Abs. 1 AGG noch die Richtlinien dies eigens erwähnen, gehen sowohl das BAG337 als auch die ganz h.L.338 davon aus, dass als (konkrete oder hypothetische) Vergleichsperson nur eine Person in Frage kommt, die nicht selbst das verbotene Unterscheidungsmerkmal aufweist. Dies entspricht auch den Anforderungen des US-amerikanischen Rechts. Nach der McDonell Douglas-Formel muss die Vergleichsperson einer anderen Gruppe als das potentielle Diskriminierungsopfer angehören.339 Auch nach den bis 2010 geltenden Bestimmungen des englischen Antidiskriminierungrechts setzte der zur Feststellung einer unmittelbaren Diskriminierung (direct discrimination) erforderliche personelle Günstigkeitsvergleich voraus, dass die (konkrete oder hypothetische) Vergleichsperson das verbotene Merkmal nicht selbst aufwies.340 Dies entsprach auch der höchstrichterlichen Rechtssprechung.341 Im Equality Act 2010, in welchem die bisher in Einzelgesetzen geregelten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote wegen unterschiedlicher Merkmale zusammengefasst wurden, ist die Definition der unmittelbaren Diskriminierung hingegen neutral formuliert. Erforderlich ist nach Sec. 13 (1) lediglich, dass „A treats B less favourably than A treats or would treat others“. Das diese Abweichung eine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage markieren sollte, ist allerdings eher unwahrscheinlich. Einzelne Stimmen im deutschen Schrifttum möchten auf das Erfordernis der unterschiedlichen Merkmalsausprägung der Vergleichsperson dagegen in den Fällen verzichten, in denen der Diskriminierende nicht an ein verbotenes Merkmal als solches, sondern an ein damit untrennbar zusammenhängendes Merkmal anknüpft.342 Als Beispiel für diese Fallgruppe wird üblicherweise die Ablehnung einer Stellenbewerberin wegen ihrer Schwangerschaft genannt, wenn sich kein Mann auf die zu besetzende Stelle beworben hat. Schiek bildet des Weiteren das etwas skurill anmutende Beispiel einer dunkelhäutigen 337 

BAG NZA 2010, 280, Tz. 23; BAG NJW 2011, 2458, Tz. 27. nur Armbrüster, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, § 7 Rn. 101, Bauer/Krieger, AGG, § 3 Rn. 11; von Medem, Kündigungsschutz und Allgermeines Gleichbehandlungsrecht, S. 51 f.; Rupp, RdA 2009, 307, 308. 339  McDonell Douglas Corp. V. Green, 411 U.S. 792, 93 S.Ct. 1817, 36 L.Ed.2d 668 [1973]; siehe hierzu bereits oben Fußnote 316. 340  Vgl. etwa Section 3(4) Race Relations Act 1976: „A comparison of a case of a person of a particular racial group with that of a person not of that group …“. 341  Vergleiche erneut die Entscheidung Shamoon v. Chief Constable of the Royal Ulster Constabulary, [2003] 2 All ER 26, HL (Lord Scott), para 110: „In summary, the comparator required for the purpose of the statutory definition of discrimination must be a comparator in the same position in all material respects as the victim save only that he, or she, is not a member of the protected classs.“ 342  In diesem Sinne Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 13; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 650 f. 338  Vgl.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Stellenbewerberin, deren Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch damit begründet wurde, dass sie sich ihr krauses Haar nicht künstlich glättet.343 Das Problem scheint auf der Hand zu liegen: Verlangt man in Fällen der genannten Art, dass die begünstigte Vergleichsperson das verbotene Merkmal (hier: das weibliche Geschlecht oder die dunkle Hautfarbe) nicht aufweist, scheint sich keine geeignete Vergleichsperson zu finden. In dem zweiten Fall gilt dies jedenfalls dann, wenn es sich bei den Personen, die zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurden, ebenfalls um dunkelhäutige Personen gehandelt hat. Auch der Rückgriff auf eine hypothetische Vergleichsperson, etwa in Gestalt eines kranken Mannes oder einer hellhäutigen Person mit Kraushaar kann hier nicht der Weisheit letzter Schluss sein und sollte Anlass zum Nachdenken geben. Dies folgt allerdings weniger aus der von Grünberger geäußerten Sorge, dass die mit einer Gleichsetzung von Schwangerschaft und Krankheit verbundene Pathologisierung der Frau einen zu hohen moralischen Preis darstellen könnte.344 Vielmehr ist bereits der gesamte Ansatz schief. Das vermeintliche Problem der fehlenden merkmalsidentischen Vergleichsperson erweist sich nämlich schnell als Scheinproblem, wenn man sich von dem Gedanken freimacht, die Suche nach einer (auch hypothetischen) Vergleichsperson gelte einem materiellrechtlichen Merkmal des Diskriminierungstatbestands; handelt es sich doch bei dem gesamten Vergleichspersonenkonzept, wie oben dargetan, nur um eine prozessuale Krücke zum Nachweis der Tatsache, dass einer nachteiligen Behandlung im Einzelfall eine diskriminierende Entscheidungsmaxime zugrundelag. In den genannten Konstellationen handelt es sich aber sämtlich um Fälle, in denen der Grund der Unterscheidung und damit die dieser Entscheidung zu Grunde liegende Entscheidungsmaxime offengelegt wurde. Dies meint wohl auch Grünberger, wenn er sagt, man dürfe nicht bereits bei der Ermittlung der Vergleichsperson auf das verbotene Merkmal „schielen“, sondern müsse vielmehr feststellen, nach welchem Merkmal der Benachteiligende tatsächlich entscheidet.345 Die einzig relevante Frage in den Fällen der vorgenannten Art ist somit allein, ob es sich bei dem Merkmal, an welches tatsächlich angeknüpft wurde, um ein verbotenes Merkmal handelt.346 Das Problem, ob es sich bei einem Merkmal, welches untrennbar mit einem verbotenen Merkmal zusammenhängt, ebenfalls um ein solches handelt, ist aber dogmatisch bei der Definition der einzelnen Unterscheidungsmerkmale anzusiedeln, und wurde dort auch bereits erörtert. Speziell für die Merkmale Schwangerschaft und Mutterschaft hat der EuGH diese Frage auf Basis der Richtlinie 1976/207/EG bejaht.347 Inzwischen ist die 343 

Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 13. Grünberger, Personale Gleichheit, S. 651. 345  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 651 f. 346  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 651 f. 347 EuGH, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 2 – Dekker (Einstellung); EuGH, Rs. C‑179/88, Slg. 1990, I‑3979, Tz. 13 – Hertz (Entlassung). 344 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Gleichsetzung einer Ungleichbehandlung wegen der Schwangerschaft oder Mutterschaft mit einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung sekundärrechtlich vorgegeben348 und für das deutsche Recht in § 3 Abs. 1 S. 2 AGG umgesetzt. Auch ohne eine solche positivrechtliche Regelung wird man das Abstellen auf das Kraushaar einer Person akrikanischer Abstammung als rassische Diskriminierung einzuordnen haben, weil dieses Merkmal nur bei dieser Bevölkerungsgruppe vorkommt. Es geht also in den Fällen der vorgenannten Art streng genommen nicht um den Verzicht auf eine merkmalsidentische hypothetische Vergleichsperson349, sondern um die Frage, ob die offenliegende Unterscheidungsmaxime eine diskriminierende im Sinne des AGG ist. Die „hypothetische Vergleichsperson“ stellt insoweit, wie bereits dargelegt, ohnehin nur eine, wenngleich im Gesetzeswortlaut angelegte, Leerformel für den auf Basis der Entscheidungsmaxime durchzuführenden abstrakten Günstigkeitsvergleich dar. Bedarf es dagegen zum prozessualen Nachweis einer Diskriminierung mangels Offenlegung der Entscheidungsmaxime des Rückgriffs auf eine konkrete Vergleichsperson, stellt sich in der Tat die Frage eines Verzichts auf die Merkmalsidentität. Würde in dem ersten der genannten Beispielsfälle die schwangere Frau ohne jede Begründung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, so könnte der erste Schritt zum Nachweis einer dieser Entscheidung zugrundeliegenden diskriminierenden Entscheidungsmaxime entweder darin bestehen die bevorzugte Behandlung eines Mannes darzutun oder wenigstens die Bevorzugung einer nicht-schwangeren Frau. Denn sowohl die Benachteiligung wegen des Geschlechts als solche als auch die Benachteiligung wegen der Schwangerschaft gelten als unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 2 AGG.

cc) Der situative Vergleichbarkeitstest als materiell-rechtliches Korrektiv? § 3 Abs. 1 S. 1 AGG formuliert im Einklang mit den Antidiskriminierungsrichtlinien die Voraussetzung, dass sich das potentielle Diskriminierungsopfer und die Vergleichsperson in einer vergleichbaren Situation befinden müssen. Im Hinblick auf das Arbeitsentgelt wird dieser Maßstab dahingehend konkretisiert, dass die zu vergleichenden Personen gleiche Arbeit leisten müssen. Dies folgt für Diskriminierungen wegen des Geschlechts unmittelbar aus Artikel 157 Abs. 1 AEUV und ergibt sich für Diskriminierungen wegen anderer in § 1 AGG genannter Unterscheidungsmerkmale aus § 8 Abs. 2 AGG. Der situative Vergleichbarkeitstest ist damit augenscheinlich ein konstituierendes Element des 348  Vgl. Artikel 2 Abs. 2 lit c Richtlinie 2006/54/EG und Artikel 4 Abs. 1 lit a Richtlinie 2004/113/EG. 349  Insoweit zu Recht Grünberger, Personale Gleichheit, S. 651.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Vergleichspersonenkonzepts als solchem. Die Bedeutung dieses Konzepts wurde im vorhergehenden Abschnitt allerdings bereits deutlich relativiert, indem der konkreten Vergleichsperson eine ausschließlich prozessuale Funktion zugeschrieben wurde, während die hypothetische Vergleichsperson als (materielle) Leerformel für einen abstrakten Günstigkeitsvergleich auf Basis einer feststehenden Entscheidungsmaxime fungiert. Von daher stellt sich die Frage, ob auch dem situativen Vergleichbarkeitstest des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG in Bezug auf die beiden Arten von Vergleichsperson je eine unterschiedliche Rolle zukommen könnte. Sofern, wie in der großen Mehrzahl der Fälle, die diskriminierende Entscheidungsmaxime nicht offengelegt wird oder aus anderen Gründen bekannt ist, bedarf es, wie oben dargelegt, des Rückgriffs auf eine konkrete Vergleichsperson, um überhaupt den Nachweis einer Diskriminierung führen zu können. Dieser Nachweis kann aber nur gelingen, wenn sich Diskriminierungsopfer und Vergleichsperson in einer im Übrigen vergleichbaren Situation befinden. Ist dies nicht der Fall, spricht viel dafür, dass gerade die bestehenden Unterschiede für die nachteilige Behandlung des Diskriminierungsopfers ausschlaggebend waren und nicht das verbotene Unterscheidungsmerkmal. Wer in einem Bewerbungsverfahren einen objektiv besser qualifizierten Mann einer schlechter qualifizierten Frau vorzieht, tut dies allem Anschein nach gerade im Hinblick auf die Qualifikation und nicht im Hinblick auf das Geschlecht der beiden Bewerber. Dies mag im Einzelfall anders sein. Hierfür liefert der äußere Anschein aber keinen Anhaltspunkt. Je stärker hingegen die Gemeinsamkeiten des potentiellen Diskriminierungsopfers mit der Vergleichsperson ins Gewicht fallen, desto stärker drängt sich der Verdacht auf, dass bei der zu überprüfenden Entscheidung doch nicht alles mit rechten Dingen zuging. Wenn etwa, um bei dem genannten Beispiel zu bleiben, die weibliche Stellenbewerberin dieselben oder sogar höhere berufliche Qualifikationen als der bevorzugte männliche Stellenbewerber vorweisen kann, spricht viel dafür, dass das verbotene Merkmal den Ausschlag gegeben hat. Dem Aspekt der Vergleichbarkeit kommt somit in Fällen, in denen die diskriminierende Entscheidungsmaxime nicht feststeht, eine zentrale Funktion zu.350 Hierbei handelt es sich aber um eine rein prozessuale Funktion. Der situative Vergleichbarkeitstest teilt insoweit das Schicksal des Vergleichspersonenkonzepts im Ganzen, dessen konstituierendes Element er ist. Eine ganz andere Rolle könnte der situative Vergleichbarkeitstest dagegen in denjenigen Fällen spielen, in denen die diskriminierende Entscheidungsmaxime offengelegt wurde oder aus anderen Gründen feststeht. Hierfür muss das soeben verwendete Beispiel nur insoweit umgebildet werden, als die Bevorzugung des besser qualifizierten Mannes gegenüber der weiblichen Konkurrentin 350  Den Zusamenhang zwischen dem Merkmal der „vergleichbaren Situation“ und dem Nachweis der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal betont auch Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 263.

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von Seiten des Arbeitgebers mit der klaren Begründung garniert wurde, er stelle prinzipiell keine Frauen ein, um keine Unruhe ins Team zu bringen. Verlangt man auch hier, dass sich die auf Basis der Entscheidungsmaxime ermittelte „hypothetische Vergleichsperson“ in einer mit dem potentiellen Diskriminierungsopfer vergleichbaren Situation befindet, lässt sich dies allein mit der Notwendigkeit zur prozessualen Etablierung des Diskriminierungstatbestands nicht mehr begründen. Denn die Anknüpfung an das verbotene Merkmal steht ja in diesem Falle bereits fest. Die hypothetische Vergleichsperson fungiert dagegen, nach hier vertretener Auffasung, als reine Leerformel für die Möglichkeit, einen abstrakten Günstigkeitsvergleich allein auf Basis der diskriminierenden Entscheidungsmaxime durchzuführen. Ein zusätzlicher Vergleichbarkeitstest kann vor diesem Hintergrund nur dazu dienen, den äußeren Rahmen abzustecken, in welchem eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal schädlich ist. Dem situativen Vergleichbarkeitstest käme insoweit eine den Tatbestand des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung begrenzende, materiell-rechtliche Bedeutung zu, welche dem Vergleichspersonenkonnzept als solchem nach hier vertretener Auffassung gerade nicht zuzuerkennen ist. Auf den ersten Blick erscheint ein materieller Vergleichbarkeitstest auch einleuchtend; fügt sich doch ein solcher Test vermeintlich gut in die Dogmatik des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes im Ganzem ein, wonach die besonderen Diskriminierungsverbote des Unionsrechts ihre Grundlage im allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz finden. Bei Letzterem stellt die Feststellung, dass zwei Sachverhalte im Wesentlichen vergleichbar sind, aber unbestritten das prägende Tatbestandselement dar. Gleiches darf nicht ungleich und ungleiches nicht gleich behandelt werden. Warum sollte dem Aspekt der Vergleichbarkeit dann aber nicht im Rahmen der Diskriminierungsverbote als besondere Ausprägungen des Gleichheitsgrundsatzes ebenfalls eine zentrale Rolle zukommen? Eine solche Betrachtung würde allerdings den zwischen allgemeinem Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverbot bestehenden Unterschieden nicht gerecht. Beim allgemeinen Gleichheitsgrundsatz muss die Frage, welche Sachverhalte sich aufgrund ihrer Vergleichbarkeit einer Ungleichbehandlung entziehen, immer erst im Hinblick auf jeden einzelnen Sachverhalt festgestellt werden.351 Dem Vergleichbarkeitstest auf der ersten Ebene der Tatbestandsprüfung kommt damit eine zentrale Rolle zu. Bei den merkmalsbezogenen Diskriminierungsverboten wird diese Frage hingegen primär durch das verbotene Merkmal selbst gesteuert, indem eine Anknüpfung an eben dieses Merkmal im gegenständlichen Anwendungsbereich des jeweiligen Diskriminierungsverbots grundsätzlich untersagt wird.352 Dem Aspekt der situativen Vergleichbarkeit kann somit bei den merkmalsbezogenen Diskriminierungs351 

352 

Siehe oben § 1 B. II. So zu Recht Grünberger, Personale Gleichheit, S. 649.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

verboten nicht die gleiche zentrale Funktion zukommen wie beim allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, sollen die Unterschiede zwischen beiden Institutionen durch eine Kumulierung der Voraussetzungen des allgemeinen mit denen des besonderen Gleichheitsgebots nicht bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden.353 Denn die Anknüpfung an das verbotene Merkmal soll ja eine Vergleichbarkeitsprüfung gerade im Wesentlichen entbehrlich machen.354 Welchen Platz kann ein Vergleichbarkeitstest dann aber im Tatbestand eines merkmalsbezogenen Diskriminierungsverbots überhaupt einnehmen? Die Frage ist aus dem deutschen Verfassungsrecht wohlbekannt und begegnet dort vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Artikel 3 Abs. 1 GG und Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG. Das BVerfG hat hier unter Berufung auf „biologische oder funktionale Unterschiede“ zwischen Mann und Frau Regelungen für vereinbar mit Artikel 3 Abs. 2 GG gehalten, die klar zwischen Mann und Frau differenzieren.355 Aufschlussreich, auch im Hinblick auf die Diskriminierungsverbote des Unionsrechts, ist insoweit die zentrale Passage aus dem Homosexuellen-Urteil (Verfassungsmäßigkeit des § 175 StGB a.F.), in welchem das Bundesverfassungsgericht die Funktion eines (beschränkten) Vergleichbarkeitstests auch im Rahmen eines Diskriminierungsverbotes beschreibt: „Auch für das Gebiet der Homosexualität rechtfertigen biologische Verschiedenheiten eine unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. Die Verwendung des Ausdrucks ‚wegen seines Geschlechts‘ in Art. 3 Abs. 3 GG scheint allerdings darauf hinzudeuten, daß gerade solche Unterscheidungen untersagt sind. Mit dieser Auslegung wird man dem Sinn dieser Bestimmung jedoch nicht gerecht: Wie der ganze Grundrechtsteil des Grundgesetzes hat auch Art. 3 GG den Menschen als sozialbezogene Persönlichkeit im Auge; daher gilt das Verbot der Differenzierung nach dem Vergleichspaar MannFrau nur dann, wenn der zu ordnende soziale Lebenstatbestand essentiell vergleichbar ist, d.h. wenn er, vom Geschlecht der Betroffenen abgesehen, weitere wesentliche Elemente umfaßt, die ihrerseits gleich sind. Es müssen also den für Mann und Frau zu vergleichenden Tatbeständen wesentliche Elemente gemeinsam sein, die verglichen werden können – wie z.B. im Arbeitsrecht oder im Wahlrecht. Diese Voraussetzung für die Anwendung von Art. 3 Abs. 3 GG fehlt nicht nur, wenn gemeinsame Elemente überhaupt nicht vorhanden sind, sie ist auch dann nicht gegeben, wenn der biologische Geschlechtsunterschied den Lebenssachverhalt so entscheidend prägt, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten. Auch dann sind für eine natürliche Auffassung vergleichbare Tatbestände nicht mehr gegeben, so daß die verschiedene Behandlung von Mann und Frau mit den in Art. 3 Abs. 3 GG gebrauchten Begriffen ‚Benachteiligen‘ und ‚Bevorzugen‘ nicht mehr sinnvoll zu erfassen ist – sie passen nicht mehr.“356 353 

Prechal, CML Rev. 41 (2004) 533, 543. Prechal, CML Rev. 41 (2004) 533, 543 ff. 355 BVerfG 1 BvR 555/52, E 6, 389, 422 f. (Strafbarkeit männlicher Homosexualität); BVerfG 1 BvR E 31, 1, 4 ff. (Benachteiligung des Witwers gegenüber der Witwe in der Arbeiterrentenversicherung). 356  BVerfG 1 BvR 555/52, E 6, 389, 422 (Strafbarkeit männlicher Homosexualität). 354 

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Es scheint mithin auch im Rahmen von merkmalsbezogenen Diskriminierungsverboten ein gewisses Bedürfnis der Eindämmung eines als zu streng empfundenen Anknüpfungsverbotes zu bestehen, wo gewichtige Unterschiede eine Ungleichbehandlung ausnahmsweise rechtfertigen. Aber wie gewichtig müssen diese Unterschiede sein? Unproblematisch erscheinen jedenfalls, auch nach der Aussage des Gerichts, solche tatbestandliche Begrenzungen, die lediglich eine minimale Basis an tatbestandlicher Vergleichbarkeit sicherstellen sollen. Wie Sachs insoweit zu Recht feststellt, bedeutet der Ausschluss eines bestimmten tertium comparationis ja nicht, dass beliebig viele Sachverhalte deshalb gleichzubehandeln sind, weil den einen ein Mann und den anderen eine Frau verwirklicht hat.357 Für den Mann, der eine Urkundenfälschung begeht, können in der Tat andere Rechtsfolgen angeordnet werden als für die Frau, die ihren Arbeitsvertrag erfüllt.358 Alles andere hieße letztlich Äpfel mit Birnen vergleichen. Eine Regelung oder eine Entscheidungsmaxime mit einem solch unsinnigen Inhalt dürfte sich aber ohnehin kaum finden und wenn doch, so könnte man sich zu Recht die Frage stellen, ob hinsichtlich einer derartig perplexen Regelung überhaupt von einer diskriminierenden Anknüpfung die Rede sein kann. Interessant im Hinblick auf das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht sind aber gerade nicht solche perplexen Regelungen, sondern darüber hinausgehende Einschränkungen des Anknüpfungsverbots im Hinblick auf die fehlende Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Wie gesehen hält das BVerfG in Bezug auf Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG auch derartige weitergehende Einschränkungen in gewissen, vom Gericht näher definierten Grenzen, für möglich. Zu berücksichtigen ist insoweit aber, dass es sich bei Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG um sogenannte absolute Anknüpfungsverbote handelt,359 welche grundsätzlich keiner Rechtfertigung fähig sind. Bei den Diskriminierungsverboten des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts wird jedoch der Unterschiedlichkeit bestimmter Sachverhalte in begrenztem Maße auf der Rechtfertigungsebene Rechnung getragen.360 So erlaubt etwa § 8 AGG im Einklang mit den einschlägigen Richtlinien eine Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Bereich Beruf und Beschäftigung, wenn das Merkmal für die auszuübende Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Der Rechtfertigungsebene kommt insoweit eine Korrektivfunktion zu. Die Anknüpfung an das verbotene Merkmal indiziert den Tatbestand einer unmit357 

Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 347. Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots, S. 347. 359  Bisweilen ist auch die Rede von einem absoluten Differenzierungsverbot, vgl. Heun, in: Dreier, GG, Art. 33 Rn. 110. 360  Prechal, CML Rev. 41 (2004) 533, 543 ff. Zur engen dogmatischen Verwandtschaft von Vergleichbarkeitstest und Rechtfertigungselement im Rahmen des Tatbestands unionaler Diskriminierungsverbote vgl. auch Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 64 mit einer Übersicht über die insoweit undurchsichtige Rechtsprechung des EuGH. 358 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

telbaren Diskriminierung, indem sie die Vergleichbarkeit der in Rede stehenden Sachverhalte im Grundsatz bejaht; das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes beseitigt dieses Indiz, indem dieser Grund die Vergleichbarkeit der Sachverhalte ausnahmsweise negiert. In einem solchen vorbestimmten System ist prinzipell, wie Prechal zu Recht anmerkt, kein Raum für einen Vergleichbarkeitstest außerhalb der Rechtfertigungsebene.361 Ein solcher führt vielmehr dazu, potentiell diskriminierende Sachverhalte unter erleichterten Bedingungen dem Rechtfertigungsdiskurs zu entziehen.362 Denn zum einen wird durch einen allgemeinen Vergleichbarkeitstest auf Tatbestandsebene eine Beseitigung des Diskriminierungsvorwurfs auch in Fällen ermöglicht, in denen kein spezieller Rechtfertigungsgrund greift.363 Hiermit wird bei Diskriminierungsverboten, die eine Rechtfertigung nicht bereits bei Vorliegen jedes sachlichen Grundes zulassen, das geschlossene System von Anknüpfungsverbot (Grundsatz) und Rechtfertigung (Ausnahme) durchbrochen. Zum anderen ist die Rechtfertigung nach den gesetzlich vordefinierten Tatbeständen stets an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gekoppelt, welche bei Zulassung eines allgemeinen Vergleichsbarkeitstests umgangen würde. Die soeben angestellten, in der Dogmatik rechtfertigungsfähiger unionaler Diskriminierungsverbote wurzelnden Erwägungen sprechen mithin dagegen, dem situativen Vergleichbarkeitstest die Funktion einer materiell-rechtlichen Beschränkung des Diskriminierungstatbestandes zuzuerkennen.364 Zur Begründung einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, die im Kern auch den merkmalsbezogenen Diskriminierungsverboten innewohnt, bedarf es eines solchen Korrektivs nicht, sondern dieses schwächt vielmehr, wie Prechal zu Recht anmerkt, das gerade zu diesem Zweck entwickelte System eines rechtfertigungsfähigen Anknüpfungsverbots. Dem lässt sich auch nicht mit von Medem entgegenhalten, die auf einem Vergleichbarkeitstest basierenden Verteidigungsmöglichkeiten des Verbotsadressaten reduzierten die Gefahr eines reinen Gesinnungsrechts.365 Eine solche „Gefahr“ besteht nämlich schon deshalb nicht, weil Bezugspunkt des dem Verbot der unmittelbaren Diskriminierung immanenten Anknüpfungsverbotes nicht eine wie auch immer gear361  Prechal, CML Rev. 41(2004) 533, 545; ähnlich in Bezug auf Anknüpfungsverbote im Allgemeinen Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 286. 362  So explizit Grünberger, Personale Gleichheit, S. 649. Die mit einem allgemeinen Vergleichbarkeitstest im Tatbestand von Diskriminierungsverboten einhergehende Gefahr des Unterlaufens von Rechtfertigungsgründen sehen auch Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 262 f. („relativierendes Rechtfertigungselement im Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung“) und Rebhahn, in: Rebhahn, GlbG, § 3 Rn. 8 („ungeschriebene Rechtfertigungsgründe“). 363  Prechal, CML Rev. 41 (2004) 533, 545. Kritisch gegenüber der Gleichsetzung von Vergleichbarkeit und Rechtfertigung dagegen Tobler, Indirect Dis­crimi­nation, S. 87. 364  Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 263; Prechal, CML Rev. 41 (2004) 533, 544. 365  von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 54.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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tete Gesinnung des Verbotsadressaten ist, sondern die seinem privatrechtlichen Handeln jeweils zugrundeliegende Entscheidungsmaxime, derer sich der Verbotsadressat nicht einmal bewusst sein muss. Gerade hierin manifestiert sich der an anderer Stelle herausgearbeite Charakter des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot, welches wiederum auf der Deutung als Gleichheitsgebot mit gesellschaftlicher Dimension fußt. Indem der Einzelne, gleich dem Staat, in einem gesetzlich definierten, von ihm verantworteten Bereich zur Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in die Pflicht genommen wird, muss dieser sich auch gleich dem Staat der Eta­ blierung und Anwendung diskriminierender „Normen“ enthalten. Das Kernanliegen des Verbots unmittelbarer Diskriminierung liegt mithin in der Beseitigung diskriminierender Normen bzw. Entscheidungsmaximen, die den davon betroffenen Personen den Zugang zu Beschäftigung, Gütern und Dienstleistungen zu vergleichbaren Bedingungen erschweren oder verstellen. Liegt das Bestehen einer solchen diskriminierenden „Norm“ (im weiteren Sinne) offen zutage, ist der Diskriminierungstatbestand allein hierdurch erfüllt. Nach alldem kann dem im Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG bzw. der Richtlinien angelegten situativen Vergleichbarkeitstest in Bezug auf die hypothetische Vergleichsperson nur die Funktion zukommen, eine minimale Basis an tatbestandlicher Vergleichbarkeit zwischen der Behandlung des potentiellen Diskriminierungsopfers und der auf Grundlage der offengelegten Entscheidungs­ maxime ermittelten Vergleichsperson zu gewährleisten. Eine solche Basis stellt für entgeltbezogene Diskriminierungen das Erfordernis der gleichen Arbeit dar, welches in Artikel 157 Abs. 2 S. 2 AEUV für Akkordarbeit als gleiche Maßeinheit (lit a) und für nach Zeit bezahlte Arbeit als gleicher Arbeitsplatz (lit b) weiter spezifiziert wird. Im Hinblick auf Diskriminierungen im Übrigen befinden sich alle Arbeitnehmer eines bestimmten Arbeitgebers sowie alle Kunden eines Anbieters von Gütern oder Dienstleistungen in einer „vergleichbaren Situa­tion“.366 Dies gilt auch für Bewerber in Bezug auf den Abschluss eines entsprechenden Vertrages. Anders sieht dies allerdings das BAG im Hinblick auf Verfahren zur Besetzung einer Stelle. Hier sollen nicht alle Bewerber miteinander vergleichbar sein, sondern ausschließlich diejenigen Bewerber, die objektiv für die Stelle geeignet sind.367 Dies soll gerade auch in solchen Fällen gelten, in denen die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal offengelegt wurde oder aufgrund anderer Indizien wie etwa einer diskriminierenden Stellenanzeige feststeht.368 Das BAG begründet diese Feststellung mit teleologischen Erwägungen. Könne ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschä366 

Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 3. bereits BAG, NZA 2004, 540, 544 (bezüglich § 611a BGB) sowie nunmehr BAG NZA 2010, 872, Tz. 22 (bezüglich § 3 Abs. 1 S. 1 AGG) und seitdem st. Rspr., vgl. zuletzt BAG, NZA 2013, 840 Tz. 28. 368  Vgl. hierzu nur die Sachverhalte von BAG NZA 2004, 540 (Bewerbung eines Mannes 367  So

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

digung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, wenn für den Arbeitgeber auch das verbotene Merkmal ein Motiv der unterbliebenen Einstellung war, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG, der nicht darin bestehe, eine unredliche Gesinnung des (potenziellen) Arbeitgebers zu sanktionieren, sondern vor ungerechtfertigter Benachteiligung zu schützen.369 Im Schrifttum hat diese Rechtsprechung nahezu einhellige Zustimmung erfahren;370 überzeugend ist sie damit, wie Thüsing zu Recht anmerkt, noch lange nicht.371 Ausschlaggebend für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung ist vielmehr allein die Nichtberücksichtigung des potentiellen Diskriminierungsopfers unter Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal. Dies folgt aus der Charakterisierung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als Anknüpfungsverbot, welche letztlich auf alle unionalen Diskriminierungsverbote zutrifft und diese vom allgemeinen Gleichheitsgrundsatz unterscheidet.372 Mit der Sanktionierung einer unredlichen Gesinnung ohne konkrete Benachteiligung einer Person hat dies, wie oben gesehen, nichts zu tun. Denn allein durch die Anknüpfung an das verbotene Merkmal wird das Diskriminierungsopfer bereits schlechter behandelt als eine (hypothetische) Vergleichsperson, die jedenfalls nicht wegen des verbotenen Merkmals unberücksichtigt bleibt. In der Versagung dieser Chance, und sei sie theoretisch noch so klein, liegt der „Unrechtsgehalt“ der Diskriminierung begründet.373 Steht damit die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal fest, ist der Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung unabhängig von der objektiven Eignung des Bewerbers erfüllt. Auf die objektive Eignung kommt es insoweit erst im Zusammenhang mit der auf der Rechtsfolgenebene zu klärenden Frage an, ob der Bewerber die Stelle unter Fortdenken der Diskriminierung erhalten hätte und damit im Rahmen des Anspruchs auf materiellen Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 1 AGG den so genannten Nichteinstellungsschaden geltend machen kann.374 Schon auf tatbestandlicher Ebene, wenngleich nur in prozessualer Hinsicht, ist die objektive Eignung dagegen in den Fällen maßgeblich, in denen der Nachweis einer Diskriminierung nur unter Rückgriff auf eine konkrete Vergleichsperson möglich ist. Fehlt es hier bereits an einer objektiven Eignung des Bewerbers, fehlt es auch an jedwedem Indiz für die Anknüpfung des Arbeitgebers an als „Gleichstellungsbeauftragte“) und von BAG NZA 2010, 872 (Bewerbung eines Mannes als „Rechtsanwältin“). 369  BAG NZA 2010, 872, Tz. 22. 370  Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 47; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 650; Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 3 Rn. 11; Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 18. 371  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 5. 372  Siehe dazu oben 3. 373  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 5. 374  Zu den Voraussetzungen eines materiellen Schadensersatzanspruchs des bestqualifizierten Bewerbers siehe unten Vierter Teil § 2 B. I. 2. b) cc) (2); speziell zur Rolle der objektiven Eignung im Rahmen der Beweisführung siehe unten Vierter Teil § 2 C. II. 1 c) cc) bzw. 2.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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ein verbotenes Merkmal. Ob man aus diesem Grund, wie das BAG, bereits eine Benachteiligung im Vergleich zu einer konkreten Vergleichsperson ablehnt oder lediglich das Vorliegen von Indizien gemäß § 22 AGG für eine Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal, ist insoweit irrelevant.

c) Diskriminierung ohne Diskriminierungsopfer? – Das Urteil Feryn als Probe aufs Exempel für die Deutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot Im Rahmen der bisherigen Ausführungen wurde der Charakter des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot herausgestellt und die Bedeutung des Vergleichspersonenkonzepts auf die einer prozessualen Krücke zur Etablierung des Diskriminierungstatbestands im Prozess beschränkt. Dies wurde allerdings bisher ausschließlich an Fällen illustriert, in denen eine konkrete Person eine für sich genommen nachteilige Behandlung erfahren hatte. Es wurde zwar auf eine konkrete Vergleichsperson verzichtet, nicht aber auf ein konkretes Diskriminierungsopfer. Wenn das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung aber tatsächlich allein auf die Beseitigung merkmalsbezogener (auch privater) Normen zielt, kann es für das Vorliegen einer solchen Diskriminierung eigentlich nicht darauf ankommen, ob diese in einem Einzelfall tatsächlich im Hinblick auf eine konkrete Person (das Diskriminierungsopfer) zur Anwendung gekommen sind. Eine Gelegenheit zur Klärung dieser Frage ergab sich für den EuGH in der Rechtssache Feryn.375 Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Klage einer belgischen Stelle zur Förderung der Gleichbehandlung gegen die Firma Feryn N.V., einen Hersteller von Türen und Toren, auf Feststellung einer diskriminierenden Einstellungspraxis. Der Feststellungsantrag stützt sich auf öffentliche, in diversen Zeitungs- und Fernsehinterviews getätigte Äußerungen des Direktors des Unternehmens, wonach das Unternehmen für die Montage der von ihm hergestellten Produkte beim Kunden keine Marrokaner einstellen werde. Diese Praxis wurde mit Sicherheitsbedenken begründet, welche die Kunden des Unternehmens gegenüber dem Einsatz marokkanischer Monteuere in ihren Häusern hegten. Das angerufene belgische Gericht legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob auch eine bloße Ankündigung, Personen mit einer bestimmten ethnischen Herkunft nicht einzustellen, eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/43/EG darstellt. Der EuGH hat dies bejaht und diese Feststellung in erster Linie mit teleologischen Argumenten begründet. Zwar definiere Artikel 2 Abs. 2 der Richtlinie 2000/43/EG die unmittelbare Diskriminierung als eine Situation, in der eine Person aufgrund ih375 EuGH,

Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 – Feryn.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

rer Rasse oder ethnischen Herkunft in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige „Behandlung“ als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.376 Auch verlange Artikel 7 der Richtlinie von den Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass allen Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, und Einrichtungen des öffentlichen Interesses, die vor Gericht im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung auftreten, der Gerichtsweg offenstehe.377 Das bedeute jedoch nicht, dass aus dem Fehlen einer identifizierbaren beschwerten Person auf das Fehlen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/43 geschlossen werden könne. Die Frage, was eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/43/EG ist, sei nämlich zu unterscheiden von der Frage, welche Rechtsbehelfe in Artikel 7 der Richtlinie zur Feststellung und Sanktionierung der Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgesehen werden.378 Ziel dieser Richtlinie sei laut ihrem achten Erwägungsgrund, günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarkts zu schaffen, der die soziale Integration fördere.379 Dieses Ziel werde durch öffentliche Äußerungen eines Arbeitgebers konterkariert, welche Bewerber einer bestimmten ethnischen Herkunft ernsthaft davon abhalten könnten, ihre Bewerbungen einzureichen, und damit ihren Zugang zum Arbeitsmarkt behindere.380 Das Urteil Feryn, welches der EuGH in einer späteren Entscheidung bestätigt hat,381 ist im Schrifttum zum Teil auf fundamentale Kritik gestoßen.382 Schnabel widmet diesem Urteil gemeinsam mit dem in anderem Kontext erwähnten Urteil Coleman gar eine ganze Dissertation.383 Zentraler Kritikpunkt ist die Feststellung, die durch den EuGH vorgenommene Qualifizierung einer bloßen Ankündigung diskriminierenden Verhaltens als Diskriminierung beinhalte letztlich die Sanktionierung einer bloßen Diskriminierungsgefahr.384 Die genannte Aussage findet sich zuerst bei Thüsing, der sich bereits zuvor ganz allgemein und nicht nur im Hinblick auf die Ankündigung diskriminierenden Verhaltens gegen die Gleichsetzung von Diskriminierung und Diskri-

376 EuGH,

Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 22 – Feryn. Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 22 – Feryn. 378 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 23, 26 – Feryn. 379 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 23 – Feryn. 380 EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 25 – Feryn. 381 EuGH, Rs. C-81/12, EU:C:2013:275, Tz. 36 – ACCEPT. 382  Lobinger, EuZA 2009, 365, 367 ff.; Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 12. 383  Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen? – Reichweite und Grenzen des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs des Antidiskriminierungsrechts am Beispiel der Entscheidungen Coleman (C-303/06) und Feryn (C-54/07) des EuGH, 2014. 384  Lobinger, EuZA 2009, 365, 367 ff.; Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen?, S. 385 ff.; Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 12. 377 EuGH,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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minierungsgefahr gewendet hatte.385 Eine solche Gleichsetzung sei nicht mit der Definition der unmittelbaren Diskriminierung in der Richtlinie 2000/43/ EG vereinbar.386 Zwar bringe diese durch die Einbeziehung einer Behandlung, die eine andere Person erfahren „würde“ zum Ausdruck, dass es für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung keiner konkreten Vergleichsperson bedürfe. Auf das Vorhandensein eines individuellen Diskriminierungsopfers solle hierdurch aber gerade nicht verzichtet werden. Eine Ausdehnung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung auf konkrete Gefährdungen der Benachteiligung sei zudem sinnwidrig und brächte das Antidiskriminierungsrecht in die Nähe des Gesinnungsunrechts.387 Sie finde auch kein Vorbild im Recht anderer Rechtsordnungen.388 Zudem seien die praktischen Probleme einer solchen Gleichsetzung unübersehbar. Thüsing benennt als Beispiele Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Rechtfertigung, der Feststellung der in den Vergleich einzubeziehenden Personen, der Bemessung der Entschädigungshöhe und der Festlegung der entschädigungsberechtigten Personen sowie der Beantwortung der Frage nach dem erforderlichen Konkretisierungsgrad der Gefährdung.389 Schnabel greift diese Kritik im Wesentlichen auf390 und untermauert sie zusätzlich durch einen vergleichenden Blick auf die USamerikanische Rechtsprechung, die im Zusammenhang mit Diskriminierungsklagen ebenfalls das Vorliegen einer konkret benachteiligten Person fordere.391 Lobinger sieht darüber hinaus einen Widerspruch zwischen der vom EuGH im Urteil Feryn zugrundegelegten weiten Definition der unmittelbaren Diskriminierung, die auch die bloße Ankündigung umfasst, mit einer früheren Aussage des EuGH,392 wonach die Richtlinie 76/207/EG keine Verpflichtung zur merkmalsneutralen Ausschreibung kenne.393 Schließlich müsse die Einbeziehung einer Diskriminierung ohne Diskriminierungsopfer in den Diskriminierungsbegriff angesichts der Tatsache, dass Artikel 7 der Richtlinie 2000/43/ EG auch im Hinblick der Beteiligung von Verbänden ausschließlich auf einen subjektiven Rechtsschutz abziele, zu dem Schluss führen, dass die Richtlinie ein konzeptionell sanktionsloses Verbot aufstelle.394 Diese Vorstellung sei aber nicht nur dem europäischen Recht, sondern jeder entwickelten Rechtsordnung grundsätzlich fremd.395 385 

Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 96 f. Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 11, 12. 387  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 12. 388  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 12. 389  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 12. 390  Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen?, S. 385 f. 391  Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen?, S. 420 ff. 392  Vgl. EuGH, Rs. 248/83, Slg. 1985, 1459 – Kommission gegen Deutschland. 393  Lobinger, EuZA 2009, 365, 370. 394  Lobinger, EuZA 2009, 365, 369. 395  Lobinger, EuZA 2009, 365, 369. 386 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Alles in allem vermag diese Kritik nicht zu überzeugen. Denn sie fußt letztlich allein auf der Prämisse, dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Antidiskriminierungsrichtlinien in ihrem Wesenskern die Benachteiligung einer konkreten Person impliziert. Aufbauend auf dieser Prämisse muss die Einbeziehung der bloßen Ankündigung diskriminierenden Verhaltens in den Diskriminierungstatbestand in der Tat als vom Unionsgesetzgeber nicht vorgesehene und damit letztlich unzulässige Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes erscheinen. Die Gleichsetzung von Diskriminierung und konkreter Benachteiligung ist indes unzutreffend. Wie bereits dargelegt, verbieten Diskriminierungsverbote, und zwar sowohl solche des Unionsrechts als auch solche des nationalen Rechts, die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Rahmen von Normen. Hierbei kann es sich um Rechtsnormen im weitesten Sinn handeln, aber auch um Entscheidungsmaxime, die dem privatautonomen Handeln Einzelner zugrundeliegen. Bezugspunkt des Anknüpfungsverbots ist gleichwohl die Norm als solche, nicht ihre Anwendung in einem konkreten Einzelfall. Zuzugeben ist allerdings, dass ein solch weites, an die Entscheidungsmaxime und nicht deren konkrete Anwendung anknüpfendes Verständnis der unmittelbaren Diskriminierung auf den ersten Blick im Wortlaut der Antidiskriminierungsrichtlinien keinen Ausdruck gefunden hat. Dort ist im Rahmen der Definition der unmitttelbarenDiskriminierung fraglos die Rede davon, dass „eine Person“ gegenüber einer tatsächlichen oder hypothetischen Vegleichsperson benachteiligt wird. Dies ergibt sich zwar nicht aus der deutschen Sprachfassung des Artikels 2 Abs. 2 lit a der Richtlinie 2000/43/EG, in welcher sich das Wort „würde“ sowohl auf die benachteiligte Person als auch auf die hypothetische Vergleichsperson bezieht. Der deutsche Gesetzgeber, der die Formulierung in seinem ersten Entwurf zum AGG wörtlich übernommmen hatte, hatte dann auch im Rahmen der Gesetzesbegründung ausgeführt, es reiche die hinreichend konkrete Gefahr einer Benachteiligung für das Vorliegen einer Diskriminierung aus. Thüsing hat allerdings aufgezeigt, dass es sich bei dieser weiten Definition der unmittelbaren Diskriminierung um einen Fehler ausschließlich der deutschen Sprachfassung handelt, während alle anderen Sprachfassungen davon sprechen, dass eine Person eine nachteilige Behandlung „erfährt“.396 In den anderen Richtlinien entspricht dies auch der deutschen Fassung. Der deutsche Gesetzgeber hat dieser Erkenntnis noch im Gesetzgebungsverfahren zum AGG Rechnung getragen und die Definition des § 3 Abs. 1 AGG an den Text der Richtlinien angepasst. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass aus dem engeren Wortlaut zwangsläufig darauf zu schließen ist, dass die Definition der unmittelbaren Diskriminierung das Vorliegen eines konkreten Diskriminierungsopfers fordert; ist doch der Wortlaut im Unionsrecht schon im Hinblick auf die verschiedenen 396 

Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 96.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Sprachfassungen ein eher schwaches Argument.397 So hat der EuGH auch in der Vergangenheit nicht gezögert, einen vermeintlich klaren Wortlaut im Wege der Rechtsfortbildung hinter den ebenso klar zutage tretenden Zweck eines Sekundärrechtsakts zurücktreten zu lassen.398 Aus methodischen Gründen ist der Rechtsanwender somit nicht daran gehindert, entgegen dem klaren Wortlaut der Antidiskriminierungsrichtlinien für die Definition der unmittelbaren Diskriminierung auf ein konkretes Diskriminierungsopfer zu verzichten, wenn das Regelungsziel der Richtlinien eine solche Lesart nahelegen würde. Das Ziel aller Antidiskriminierungsrichtlinien besteht in der Bekämpfung von Diskriminierungen wegen der jeweils genannten Merkmale. Dieses Ziel umfasst sowohl die Bekämpfung staatlicher Diskriminierungen als auch die Bekämpfung von Diskriminierungen, die von Einzelpersonen ausgehen. Hierbei kann es sich, wie häufig bei staatlichen Diskriminierungen, um diskriminierende Gesetze oder sonstige Rechtsnormen im weiteren Sinne handeln, oder, wie häufig bei Privatpersonen, um diskriminierende Einzelmaßnahmen wie etwa die Verweigerung eines Vertragsschlusses oder eine Kündigung. Ungeachtet dieses breiten Spektrums der zu bekämpfenden Diskriminierungen verfügen die Richtlinien gleichwohl jeweils nur über eine einzige Definition der verbotenen Handlungsformen, welche sämtliche der genannten Ungleichbehandlungen erfassen soll. Dies gilt auch für die Definition der unmittelbaren Diskriminierung. Die Verfechter eines engen, auf ein konkretes Diskriminierungsopfer abstellenden Begriffs der unmittelbaren Diskriminierung stoßen hier aber unweigerlich auf ein Problem. Würde man nämlich aus dem engen Wortlaut dieser Definition darauf schließen, dass eine unmittelbare Diskriminierung zwingend das Vorhandensein eines konkreten Diskriminierungsopfers erfordert, wäre das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung auf diskriminierende Gesetze oder Verbandsregelungen schlicht nicht anwendbar. Dies wäre aber vor dem Hintergrund des den Richtlinien innewohnenden Ziels, Diskriminierungen unabhängig von ihrer jeweiligen Quelle zu bekämpfen, nachgerade absurd.399 Auch der EuGH hat daher wiederholt Rechtsnormen und Verbandsregelungen isoliert am Maßstab 397  Zur begrenzten Aussagekraft des Wortlautarguments im Unionsrecht angesichts der Vielzahl von Sprachfassungen vgl. etwa Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, S. 264 ff.; Köndgen, GPR 2005, 105; W.-H. Roth, RabelsZ 75 (2011), 787, 819. 398  Paradebeispiel für eine solche Vorgehensweise ist das Urteil EuGH, verb. Rs. C-402/07 und C-432/07, Slg. 2009, I-10923, Tz. 42 ff. – Sturgeon, in welchem der EuGH unter Bezugnahme auf das in den Erwägungsgründen der VO (EG) Nr. 261/2004 benannte Verbraucherschutzziel sowie den allgemeinen unionsrechtlichen Gleichheitssatz einen Ersatzanspruch von Passagieren nicht nur, wie im bestimmenden Teil der Verordnung ausdrücklich vorgesehen, bei Annulierung von Flügen, sondern auch bereits bei einer großen Verspätung bejaht hat. 399  Ein Ausschluss gesetzlicher und kollektiver Regelungen vom Anwendungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinien kontrastiert insbesondere mit Formulierungen, die als gegenständlichen Anwendungsbereich der das Arbeitsrecht betreffenden Richtlinien die „Bedingungen“ der Einstellung, Beschäftigung oder Entlassung definieren bzw. Sanktionen für mit der Gleichbehandlung unvereinbare „Bestimmungen“ vorgeben. Hierauf weist bereits

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung gemessen und die in den jeweiligen Regelungen enthaltene Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal ungeachtet des Fehlens einer individuellen Betroffenheit bedenkenlos unter den von ihm in diesem Kontext zitierten Diskriminierungsbegriff der Richtlinien subsumiert. Dies sollen zwei Beispiele aus der Rechtsprechung des EuGH deutlich machen, von denen das erste die Überprüfung einer gesetzlichen Regelung, das zweite die Überprüfung der Klausel eines Tarifvertrages betrifft. So führt der EuGH im Urteil Kücükdeveci aus: „Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie [2000/78/EG] stellt klar, dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des Abs. 1 vorliegt, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde… . Im vorliegenden Fall sieht § 622 Abs. 2 Unterabs. 2 BGB eine weniger günstige Behandlung für Arbeitnehmer vor, die ihre Beschäftigung bei dem Arbeitgeber vor Vollendung des 25. Lebensjahrs aufgenommen haben. Diese nationale Regelung behandelt somit Personen, die die gleiche Betriebszugehörigkeitsdauer aufweisen, unterschiedlich, je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind.“400

Und im Urteil Prigge heißt es: „Im vorliegenden Fall sieht § 19 Abs. 1 MTV Nr. 5a vor, dass das dem genannten Tarifvertrag unterliegende Arbeitsverhältnis eines Piloten der Deutschen Lufthansa automatisch endet, wenn er das 60. Lebensjahr vollendet. Ein solcher Pilot befindet sich in einer Situation, die derjenigen eines Piloten vergleichbar ist, der jünger ist als er und für dieselbe Luftfahrtgesellschaft die gleiche Tätigkeit ausübt und/oder demselben Tarifvertrag unterliegt. Der erstgenannte Pilot, dessen Arbeitsvertrag automatisch endet, wenn er das 60. Lebensjahr vollendet, erfährt wegen seines Alters eine weniger günstige Behandlung als der zweitgenannte. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme begründet folglich eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.“401

Die hervorgehobenen Textstellen in den zitierten Urteilen machen deutlich, dass die vom EuGH jeweils unter die Definition des Verbotes unmittelbarer Diskriminierung subsumierten Fallkonstellationen den Anforderungen dieser Definition jedenfalls vom Wortlaut her nicht entsprachen: Die Richtlinie fordert die Benachteiligung „einer Person“ und damit nach Lesart von Teilen des Schrifttums ein konkretes Diskriminierungsopfer; die überprüften Regelungen beinhalteten eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen. An Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 28 hin, der hieraus die besondere Bedeutung der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung gerade für kollektive Regelungen herleitet. 400 EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365, Tz. 43 – Kücükdeveci (Hervorhebungen durch den Verfasser). 401 EuGH, verb. Rs. C-447/09, EU:C:2011:573, Tz. 43–45 – Prigge (Hervorhebungen durch den Verfasser).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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dieser Diskrepanz hat sich aber merkwürdigerweise bisher niemand gestört, was nur bedeuten kann, dass die Befürworter eines auf das Vorhandensein eines konkreten Diskriminierungsopfers abstellenden Diskriminierungsbegriffs ausschließlich private Diskriminierungen im Blick haben und damit letztlich einer gespaltenen Definition der unmittelbaren Diskriminierung sowohl in den Richtlinien als auch in § 3 Abs. 1 S. 1 AGG das Wort reden. Unabhängig davon, dass eine gespaltetene inhaltliche Deutung eines so zentralen Begriffs wie der unmittelbaren Diskriminierung vom Unionsgesetzgeber kaum gewollt sein dürfte, fehlt es hierfür auch an einer überzeugenden Begründung. Auf das angelsächsische Regelungsvorbild lässt sich insoweit kaum verweisen. Denn auch wenn die nahezu wortgleiche Definition des englischen Race Relations Act 1976 offensichtlich Pate für die erstmalige Definition der unmittelbaren Diskriminierung in den Antidiskriminierungsrichtlinien der zweiten Generation gestanden hat, bezieht sich doch diese Definition wie auch die McDonell Douglas-Formel des US-amerikanischen ­Supreme Court402 nur auf die Begründung von individuellen Ansprüchen, welche selbstredend einen konkreten Anspruchsinhaber und damit ein Diskriminierungsopfer voraussetzen. Die Antidiskriminierungsrichtlinien verfolgen aber ein weitergehendes Konzept der Bekämpfung jedweder Diskriminierung im staatlichen und nicht-staatlichen Bereich und beschränken sich damit gerade nicht nicht auf die Durchsetzung subjektiver Rechtspositionen. Die gegenteilige Behauptung vermengt, wie der Gerichtshof zu Recht feststellt, die Frage nach der Reichweite des Diskriminierungsbegriffs als solchem mit der Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten im Falle der Verletzung des Diskriminierungsverbots einen individuellen Rechtsschutz garantieren müssen. Für letzteren bedarf es in der Tat einer individuellen Betroffenheit, die im Falle einer nur angekündigten Diskriminierung außerhalb eines konkreten Bewerbungsverfahrens (noch) nicht gegeben ist. Der Ankündigung eines bestimmten zukünftigen Verhaltens kommt insoweit allenfalls eine Beweisfunktion zu, wenn es zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich zu einem Bewerbungsverfahren kommt und ein Merkmalsträger ankündigungsgemäß nicht berücksichtigt wird. Der Diskriminierungsbegriff als solcher reicht jedoch weiter als die hiermit verbundene Rechtsschutzgarantie und erfasst auch die Etablierung einer noch nicht zur Anwendung gekommenen diskriminierenden Entscheidungsmaxime. Hierbei handelt es auch nicht, wie von Lobinger konstatiert, um ein Verbot ohne Sanktion. Denn auch wenn es bei der bloßen Offenlegung einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime (noch) an der Verletzung eines subjektiven Rechts fehlt, bedeutet dies gerade nicht, dass das Bestehen einer solchen Entscheidungsmaxime nicht gemäß den Vorschriften der jeweils einschlägigen Richtlinie zu sanktionieren wäre, wobei zivilrechtliche Ansprüche naturgemäß 402 

Siehe oben Fußnote 316.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

mangels Anspruchsinhaber ausscheiden. Auch hierauf hat der Gerichtshof im Urteil Feryn ausdrücklich hingewiesen. Die Feststellung von Lobinger hinsichtlich des Fehlens einer Sanktion ist vor diesem Hintergrund unverständlich. Sie beruht wohl auf einer (unzulässigen) Gleichsetzung des unionsrechtlichen Gebots, Opfern verbotener Diskriminierung einen individuellen Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen, mit der Pflicht der Mitgliedstaaten, objektive Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot zu sanktionieren. Hierbei handelt es sich aber, wie in vierten Teil der Arbeit noch darzulegen sein wird, um zwei voneinander streng zu unterscheidende Aspekte der Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung, von denen nur der erste das Vorhandensein eines konkreten Diskriminierungsopfers voraussetzt.403 Schwerer scheint allerdings der Einwand von Lobinger zu wiegen, wonach sich der EuGH im Urteil Feryn in Widerspruch zu seiner eigenen früheren Rechtsprechung gesetzt haben soll. Das Urteil, auf welches Lobinger hierbei rekurriert, erging auf ein Vertragsverletzungsverfahren, in welchem der Bundesrepublik unter anderem vorgeworfen wurde, den seinerseits in § 612 BGB aF verankerten Grundsatz der merkmalsneutralen Ausschreibung von Stellenangeboten nicht zwingend ausgestaltet zu haben.404 Der Gerichtshof sah hierin keine Verletzung der Vorgaben der Richtlinie 76/207/EWG. Auf den ersten Blick scheint diese Aussage des Gerichtshofs in der Tat in krassem Widerspruch zu der nunmehr im Urteil Feryn getroffenen Aussage zu stehen, wonach bereits die Ankündigung einer Ungleichbehandlung eine unmittelbare Diskriminierung darstellt. Denn in diesem Fall spricht umso mehr dafür, die auf der Zeitachse näher mit einem konkreten Stellenbesetzungsverfahren verknüpfte nicht merkmalsneutrale Ausschreibung ebenfalls als Diskriminierung zu werten. Diese vermeintliche Unstimmigkeit zwischen den beiden Urteilen könnte im Sinne Lobingers wiederum darauf deuten, dass es sich bei dem jüngeren Urteil Feryn um einen „Ausreißer handelt“. Bei näherem Blick in die Begründung des älteren Urteils kann von einer Inkonsistenz der beiden Entscheidungen freilich keine Rede sein. Denn in der Passage, in welcher sich der Gerichtshof mit der nicht merkmalsneutralen Ausgestaltung befasst, stellt dieser zunächst einmal klar, dass man die Frage der Ausschreibung von Arbeitsplätzen „insoweit nicht von vornherein vom Anwendungsbereich der Richtlinie 76/207 ausnehmen kann, als diese Ausschreibungen in einem engen Zusammenhang mit dem Zugang zur Beschäftigung stehen und sich auf den Zugang restriktiv auswirken können“.405 Die vom EuGH im Anschluss konstatierte fehlende Verpflichtung 403  Siehe dazu unten Vierter Teil § 1 D. I. 2. Zu eng daher auch Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 139, nach der sich die Sanktionsvorgaben der Richtlinien mangels eines anderweitigen Bezugspunktes für einen Schadensersatzanspruch nur auf Fälle beziehen soll, in denen ein Opfer identifizierbar ist. 404 EuGH, Rs. 248/83, Slg. 1985, 1459 – Kommission gegen Deutschland. 405 EuGH, Rs. 248/83, Slg. 1985, 1459, Tz. 43 – Kommission gegen Deutschland.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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der Mitgliedstaaten, „Rechtsvorschriften von allgemeiner Geltung für die Ausschreibung von Arbeitsplätzen einzuführen“, bezieht sich dagegen offensichtlich nur auf eine Verpflichtung zur ausdrücklichen gesetzlichen Festschreibung eines Verbots der nicht merkmalsneutralen Stellenausschreibung, welche laut Gerichtshof ohnehin von der Definition der unmitttelbaren Diskriminierung erfasst ist. Dies folgt aus dem Verweis auf die Ausführungen des Gerichtshofs zur von der Kommission ebenfalls gerügten fehlerhaften Umsetzung von Artikel 2 Abs. 2 der Richtlinie, der den Mitgliedstaaten die Rechtfertigung geschlechtsbezogener Ungleichbehandlungen wegen wesentlicher beruflicher Anforderungen freistellt. Der Gerichtshof hat es insoweit genügen lassen, das die Bundesrepublik die generalklauselartige Formulierung aus der Richtlinie übernommen hat und nicht, wie von der Kommission gefordert, einen Katalog von Berufen mit zwingendem Merkmalsbezug erstellt hat.406 Genau auf diese fehlende Pflicht zur detaillierten Regelung verweist der Gerichtshof im Zusammenhang mit dem vom Diskriminierungsverbot umfassten Gebot der merkmalsneutralen Ausschreibung und entbindet damit die Mitgliedstaaten insoweit lediglich von der Pflicht, dieses Verbot eigens gesetzlich zu statuieren. Eine Relativierung der im gleichen Kontext, wenn auch weniger deutlich, getroffenen Aussage des Gerichtshofs, dass die nicht merkmalsneutrale Ausschreibung unter das Diskriminierungsverbot fällt, lässt sich dieser Passage somit gerade nicht entnehmen. Das Urteil Feryn steht hierzu dann auch nicht in Widerspruch, sondern geht den bereits damals andeutungsweise beschrittenen Weg hin zur Deutung des Verbotes der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot konsequent weiter. Dieses weite, der dogmatischen Struktur des unionsrechtlichen Diskriminierungsschutzes im Ganzen Rechnung tragende Verständnis der unmittelbaren Diskriminierung auf der Ebene des Unionsrechts liegt letztlich auch der Definition des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG zugrunde. Zwar gilt auch hier das bereits zum identischen Wortlaut der Antidiskriminierungsrichtlinien Gesagte, wonach die der Richtlinie entlehnte Formulierung „eine Person“ das Erfordernis einer individuellen Betroffenheit nahezulegen scheint. Von einer solchen individuellen Betroffenheit schien seinerzeit auch der Gesetzgeber auszugehen, wenn die Begründung des Regierungsentwurfs ausführt, der für die Feststellung einer Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG erforderliche Nachteil bestehe in einer „Zurücksetzung“.407 Bei der Auslegung der Vorschriften des AGG darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass diese Vorschriften der Umsetzung der diesbezüglichen unionsrechtlichen Vorgaben dienten oder doch zumindest, im überschießend umgesetzten Teil, durch diese inspiriert wa-

406 EuGH, 407 

Rs. 248/83, Slg. 1985, 1459, Tz. 36 – Kommission gegen Deutschland. BT-Drs. 16/1780, S. 32.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

ren.408 Der deutsche Gesetzgeber hat damit grundsätzlich auch die Aussagen des Unionsrechts hinsichtlich Reichweite und Bedeutung der einzelnen Begriffe mit in seine Zielvorstellungen übernommen. Diesem Zweck lässt sich entweder im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs „eine Person“ Rechnung tragen oder, sofern der Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG insoweit für unüberwindbar gehalten wird, im Rahmen der richtlinienkonformen Reduktion dieses Begriffs nach den Grundsätzen des Quelle-Urteils des EuGH.409 Festzuhalten bleibt damit, dass auch die Etablierung einer benachteiligenden merkmalsbezogenen Entscheidungsmaxime für sich genommen bereits eine unmittelbare Diskriminierung darstellt. Dies gilt im Einklang mit der vom EuGH im Urteil Feryn getroffenen Feststellung auch im Hinblick auf diskriminierende privatautonome Entscheidungsmaximen, sofern diese isoliert von ihrer Anwendung im Einzelfall offengelegt werden. Zwar mag gerade die Übertragung einer in Bezug auf staatlich gesetzte Normen akzeptierten Wirkungsweise von Diskriminierungsverboten auf privatautonomes Handeln auf den ersten Blick befremdlich erscheinen und dem verbreiteten Verdacht Nahrung geben, hierbei handele es es sich in Wahrheit um Gesinnungsunrecht. Die Gleichsetzung staatlicher wie privatautonomer Entscheidungsmaximen als Bezugspunkt von Anknüpfungsverboten ist aber letztlich nur die Konsequenz eines auch private Akteure einbeziehenden, gesellschaftsbezogenen Verständnisses von Gleichheit, wie es dem Unionsrecht, nicht aber dem deutschen Recht immanent ist. Genau in dieser Diskrepanz manifestiert sich der Charakter des unionnal determinierten Antidiskriminierungsrechts als „legal transplant“ und die damit einhergehende geringe Akzeptanz dieses Rechtsinstituts und seiner als „Auswüchse“ empfundenen Erscheinungsformen im Inland. Mit „Gesinnungsunrecht“ hat dies gleichwohl wenig zu tun, mit der dogmatischen Struktur unionaler (wie auch nationaler) Diskriminierungsverbote dagegen umso mehr.

408 Der Umsetzungscharakter des AGG kommt in der Begründung des Regierungsentwurfs gleich an mehreren Stellen deutlich zum Ausdruck, vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 1 ff., 20 ff. 409  Vgl. BGHZ 179, 27 – Quelle. Ob man insoweit auf die vom EuGH im Urteil Pfeiffer (verb. Rs. C-397/01 bis C-403/01, Slg. 204, I-8835, Tz. 113 ff.) getroffene und seitdem nicht wiederholte Feststellung zurückgreifen kann, wonach der Regelungswille des nationalen Gesetzgebers stets die korrekte Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben umfasst, sei dahingestellt (befürwortend immerhin BGHZ 201, 101, Tz. 24). Denn in jedem Fall lässt sich der konkrete Umsetzungswille des deutschen Gesetzgebers in Bezug auf die Umsetzung der Anti­d iskriminierungsrichtlinien, wie erwähnt, klar den Gesetzesmaterialien entnehmen. Dies reicht als Anknüpfungspunkt für eine (richtlinienkonforme) teleologische Auslegung oder Rechtsfortbildung in jedem Falle aus, vgl. BGHZ 179, 27, Tz. 31 – Quelle.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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5. Rechtfertigung a) Das System der Rechtfertigungsgründe im unional determinierten Antidiskriminierungsrecht Nicht jede benachteiligende Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal bedeutet zugleich einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Vielmehr sehen §§ 8 bis 10 AGG für das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot und § 20 AGG für das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot die Möglichkeit einer Rechtfertigung vor, welche den durch die Anknüpfung an das verbotene Merkmal indizierten Diskriminierungsvorwurf wieder entfallen lässt. Die Rechtfertigungungsmöglichkeiten im Hinblick auf das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot gehen auf entsprechende, den Mitgliedstaaten in den Richtlinien 2006/54/EG, 2000/43/EG und 2000/78/EG eingeräumte Regelungsvorbehalte zurück, welche der deutsche Gesetzgeber vollständig ausgeschöpft hat. Für den in § 20 AGG in Bezug auf das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot statuierten Rechtfertigungsgrund existiert eine unionsrechtliche Grundlage dagegen nur in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen (vgl. Artikel 4 Abs. 5 Richtlinie 2004/113/EG), nicht aber in Bezug auf die von § 20 AGG ebenfalls erfassten Diskriminierungen wegen der Religion, einer Behinderung, der sexuellen Identität und des Alters. Dies ist schlicht darauf zurückzuführen, dass in Bezug auf die genannten Merkmale bereits keine unionsrechtlichen Vorgaben für die Etablierung eines allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots als solchem bestehen. Das Diskriminierungsverbot des § 19 Abs. 1 AGG beruht damit insoweit, ebenso wie die in § 20 AGG eröffnete Rechtsfertigungsmöglichkeit, allein auf einer autonomen Entscheidung des deutschen Gesetzgebers.410 Diskriminierungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft können schließlich im Bereich des allgemeinen Zivilrechts überhaupt nicht gerechtfertigt werden, weil die das Diskriminierungsverbot in Bezug auf diese Unterscheidungsmerkmale vorgebende Richtlinie 2000/43/EG eine Rechtfertigungsmöglichkeit nicht vorsieht und damit eine entsprechende nationale Regelung sperrt.

410 

Siehe oben Zweiter Teil § 2 B. I. 2.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

b) Funktion des Rechtfertigungselements im Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung aa) Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte als Ausdruck wesentlicher Unterschiede im Rahmen des Tatbestands von Gleichheitsgeboten Die Möglichkeit der Rechtfertigung ist ein zentraler Baustein unionsrechtlicher Diskriminierungstatbestände, dessen generelle Funktion sich erst aus einer Gegenüberstellung mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz erschließt.411 Die erste und wesentliche Kernaussage sowohl des allgemeinen Gleichheitssgrundsatzes als auch der Diskriminierungsverbote als seiner besonderen Ausprägung ist das Gebot, Gleiches gleich zu behandeln. Da zwei Sachverhalte jedoch immer in einigen Punkten gleich, in anderen aber ungleich sind, gilt es letztlich festzustellen, ob die in Rede stehenden Sachverhalte im Wesentlichen als gleich zu betrachten und daher auch gleich zu behandeln sind. Die Feststellung der wesentlichen Gleichheit zweier Sachverhalte erfolgt beim allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und den Diskriminierungsverboten aber auf unterschiedliche Weise. Beim allgemeinen Gleichheitssatz ist auf der ersten Ebene zunächst ein markantes Merkmal herauszugreifen, in welchem sich die zu vergleichenden Sachverhalte gleichen. Dieses Indiz der Vergleichbarkeit ist auf der zweiten Ebene entweder zu bestätigen oder durch Feststellung anderer Merkmale, in denen sich die Sachverhalte nicht gleichen, zu widerlegen. Der am Einzelfall orientierten Feststellung der Vergleichbarkeit beim allgemeinen Gleichheitsgrundsatz steht bei den Diskriminierungsverboten eine formellere, am jeweils verbotenen Merkmal orientierte Festellung der Vergleichbarkeit gegenüber. Dem verbotenen Merkmal kommt hier gleich in doppelter Hinsicht eine entscheidende Rolle zu. Auf der ersten Ebene liefert bereits die Anknüpfung an das verbotene Merkmal das Indiz für eine verbotene Ungleichbehandlung. Denn jede Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Rahmen einer generell-abstrakten Regelung oder Entscheidungsmaxime bezieht sich notgedrungen auf Sachverhalte, die sich in mindestens einem anderen Aspekt gleichen. Gleichwohl können auch hier wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Sachverhalten bestehen, die eine Ungleichbehandlung letztendlich rechtfertigen. Ob dies der Fall ist, muss auf der Rechtfertigungsebene geklärt werden. Das Vorhandensein des verbotenen Merkmals kann dabei – hier liegt die zweite Funktion dieses Merkmals – für sich genommen niemals einen wesentlichen Unterschied markieren und damit eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Welche Unterschiede außerhalb des verbotenen Merkmals hierzu in der Lage sind, ergibt sich vielmehr erst mittelbar aus den Zielen, die eine Anknüp411  Zum dogmatischen Verhältnis zwischen allgemeinem Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverboten siehe bereits oben § 1 B. II.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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fung an das verbotene Merkmal rechtfertigen können. Fordert das Diskriminierungsverbot, wie etwa § 20 AGG, lediglich das Vorliegen eines sachlichen Grundes oder die Verfolgung eines legitimen Ziels, darf der Verbotsadressat im Grundsatz jedem Sachverhaltsunterschied durch eine merkmalsbezogene Ungleichbehandlung Rechnung tragen. Lässt das in Rede stehende Diskriminierungsverbot dagegen eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal nur zur Verfolgung bestimmter Ziele zu, müssen auch die Sachverhaltsunterschiede gerade hiermit in einem Zusammenhang stehen. So darf der Arbeitgeber etwa bei der Personalauswahl gemäß § 8 AGG dann an ein verbotenes Merkmal anknüpfen, wenn es sich hierbei um eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung handelt. Mit anderen Worten: Geht mit dem unterschiedlichen Geschlecht zweier Bewerber auch – ausnahmsweise – eine unterschiedliche Eignung für die zu besetzende Stelle einher, darf der Arbeitgeber diesem, für ihn wesentlichen Unterschied im Grundsatz durch einen Anknüpfung an das verbotene Merkmal Rechnung tragen. Unabhängig davon, welche Gründe eine Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Prinzip zu tragen vermögen, muss sich die Anknüpfung an das verbotene Merkmal indes stets als verhältnismäßig erweisen. Die Anknüpfung an das Merkmal muss mithin geeignet und erforderlich sein, um das verfolgte Ziel zu erreichen und sie muss zu diesem Ziel zudem in einem angemessenen Verhältnis stehen.

bb) Besondere Funktion in Bezug auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote: Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen als Ausdruck der Privatautonomie Die Möglichkeit des Normadressaten, Sachverhaltsunterschieden im Rahmen der Verfolgung eigener Ziele durch Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal Rechnung zu tragen, ist jedoch nicht nur zentraler Baustein eines jeden unionalen Diskriminierungsverbots, sondern in Bezug auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote auch Ausfluss der durch verschiedene unionale Rechtsverbürgungen412 geschützten Freiheitssphäre der Adressaten.413 Erkennt man Gleichheitsrechten, wie das Unionsrecht, auch eine gesellschaftliche, private Rechtsverhältnisse mit einbeziehende Dimension zu, gerät die hiermit einhergehende Inpflichtnahme von Privatpersonen zur Herstellung gesellschaftlicher Gleichheit in ein unmittelbares Spannungsverhältnis zur diesen Freiheitsrechten. Dieses Spannungsverhältnis ist im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen. Sowohl Unionsgesetzgeber als auch der deutsche Gesetzgeber im Rahmen seines beschränkten autonomen Tätigwerdens versuchen diese praktische Konkordanz auf zweierlei Weise herzustellen. Ein erster Ansatzpunkt für 412 

Zu den einzelnen Verbürgungen siehe oben Zweiter Teil § 1 A. I. 1. B). freiheitswahrenden Funktion des Diskriminierungstatbestands siehe oben § 1

413  Zur

B. I.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Gleichheitsgebot und Privatautonomie ist, wie bereits gesehen, der Anwendungsbereich der Diskriminierungsverbote. Den Belangen der Privatautonomie wird hierbei durch die Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf bestimmte Vertragsverhältnise und die Aussparung privater Rückzugssphären vom Diskriminierungsschutz Rechnung getragen. Ein weiterer Ansatzpunkt für die Herstellung praktischer Konkordanz ist die Einräumung von Rechtfertigungsmöglichkeiten, welche die Verbotsadressaten in die Lage setzen, ihre legitimen, zumeist wirtschaftlichen Ziele insoweit zu verfolgen, als hierdurch nicht das Recht der Vertragsgegenseite auf Nichtdiskriminierung über Gebühr beeinträchtigt wird. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt hier das geeignete Instrument dar, die Grenzen der Privatautonomie im Einzelfall auszuloten. Soweit auf der Ebene der Rechtfertigung den Zielen der an das Diskriminierungsverbot gebundenen Privatrechtsakteure Rechnung getragen wird, handelt es sich regelmäßig um rationale, in erster Linie wirtschaftliche Zielsetzungen, die einen Bezug zum Inhalt des bestehenden oder in Aussicht genommenen Vertragsverhältnisses aufweisen. So hat der Arbeitgeber ein nachvollziehbares Interesse an der fachlichen und persönlichen Eignung eines Stellenbewerbers für die neu zu besetzende Stelle; dem Vermieter geht es nicht anders hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit eines zukünftigen Mieters. In den meisten Fällen dient die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal dem Verbotsadressaten gerade dazu, eine informierte Entscheidung hinsichtlich der Eingehung, der inhaltlichen Ausgestaltung oder der Beendigung eines Vertragsverhältnisses zu treffen. Das verbotene Merkmal dient hierbei als Hilfskriterium (proxy) zur Vermeidung prohibitiver Kosten, die mit einer anderweitigen Informationsbeschaffung verbunden wären. Die Rechtfertigungsgründe des AGG adressieren damit in erster Linie statistische Diskriminierungen. Diese Art der Diskriminierung birgt aber letztlich kaum weniger als präferenzbedingte Diskriminierungen das Risisko sterotyper Zuschreibungen von Eigenschaften, die durch privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote gerade bekämpft werden sollen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Privatautonomie des Verbotsadressaten und den Zielen des Diskriminierungsschutzes wird auf der Rechtfertigungsebene in der Weise aufgelöst, dass das Interesse an einer kostensparenden Art der (vor)vertraglichen Informationsbeschaffung einerseits als schützenswerter Belang des Verbotsadressaten (sachlicher Grund, legitimes Interesse) anerkannt wird, seine Verfolgung aber einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen wird, wobei insbesondere mildere, das Recht des Gegenübers auf Gleichbehandlung weniger beeinträchtigende Handlungsalternativen im Fokus stehen. Präferenzbedingte Diskriminierungen werden dagegen von den Rechtfertigungsgründen des AGG grundsätzlich nicht erfasst. Denn der Ausschluss von Merkmalsträgern vom Vertragsschluss oder ihre schlechtere Behandlung im Rahmen der inhaltlichen Ausgestaltung von Verträgen aus rein irrationalen,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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von persönlichen Abneigungen getragenen Motiven kann im Grundsatz kein legitmes Ziel darstellen, welches eine Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal rechtfertigt. Einen dogmatisch schwierig zu verortenden Grenzfall stellt insoweit allerdings der Rechtfertigungsgrund des § 9 AGG dar. Hiernach ist Religionsgemeinschaften und ähnlichen Einrichtungen im Rahmen der Eingehung, Ausgestaltung und Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion gestattet, soweit eine bestimmte Religion und Weltansschauung unter Beachtung ihres Selbstverständnisses und im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Indem hier, nach richtiger Auffassung, die Beurteilung der an die Beschäftigten zu stellenden Anforderungen ausschließlich in die Hand der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Einrichtung gelegt und damit einer objektiven Beurteilung durch den Richter entzogen wird, kann die in Rede stehende Religionsgemeinschaft auch für so genannte verkündungsferne Tätigkeitsbereiche (Hausmeister) fern jeder rational begründbaren Notwendigkeit das Vorhandensein einer bestimmten Religion und die Einhaltung ihrer Verhaltensregeln fordern und damit letztlich ihre Präferenzen für eine bestimmte Art der Lebensführung durchsetzen.414

c) Rechtfertigungsgründe im Einzelnen aa) Erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot In Bezug auf das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot des § 7 AGG existiert mit § 8 AGG ein allgemeiner, auf Diskriminierungen wegen aller in § 1 AGG aufgezählter Unterscheidungsmerkmale bezogener Rechtfertigungsgrund. Dieser allgemeine Rechtfertigungsgrund wird durch zwei spezielle Regelungen (§§ 9, 10 AGG) flankiert, welche für Diskriminierungen wegen des Alters und Diskriminierungen wegen der Religion jeweils erleichterte Rechtfertigungsmöglichkeiten vorsehen.

(1) Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung (a) Allgemeines Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen aller in § 1 AGG aufgezählten Merkmale zulässig, wenn das Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Die Vorschrift, mit deren Erlass der deutsche Gesetzgeber entprechende Regelungsvorbehalte in Artikel 4 Richtlinie 2000/43/EG, Artikel 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG, und Arti414 

Siehe dazu noch eingehend unten c) aa) (2).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

kel 14 Abs. 2 Richtlinie 2006/54/EG ausschöpft, findet ihr Vorbild im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht. So erlaubt Title VII Civil Rights Act § 2000e-2(e)(2) Ungleichbehandlungen von Arbeitnehmern wegen ihrer Religion, ihres Geschlechts oder wegen ihrer nationalen Herkunft, wenn das jeweilige Merkmal eine unbedingte Einstellungsvoraussetzung bedeutet, die vernünftigerweise für den normalen Betrieb eines Geschäfts oder eines Unternehmens notwendig ist (bona fide occupational qualification, abgekürzt: ­BFOQ).415 Die Regelung trägt dem Interesse des Arbeitgebers Rechnung, die Eignung des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers für die von diesem auszuübende Tätigkeit im Wege der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal sicherzustellen. Abgesehen von den äußerst seltenen Fällen, in denen das Vorhandensein eines bestimmten Merkmals schon aus biologischen oder rechtlichen Gründen für die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit unverzichtbar ist, geht es hier regelmäßig um Konstellationen, in denen sich der Arbeitgeber des verbotenen Merkmals als leicht zugänglichem und damit kostensparendem Ersatzkriterium (proxy) zur Feststellung der Eignung des Arbeitnehmers oder Bewerbers bedient. Wie bereits dargelegt, steht das Interesse des Arbeitgebers an einer kostengünstigen Informationsbeschaffung in einem Spannungsverhältnis mit dem Kernanliegen privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote, vertraglich relevanten Entscheidungen, die auf Grundlage stereotyper Eigenschaftszuschreibungen getroffen werden, entgegenzuwirken. Praktische Konkordanz zwischen diesem Anliegen und den Belangen des Arbeitgebers wird im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG auf zwei Stufen hergestellt, nämlich zum einen durch die Akzeptanz des vom Arbeitgeber mit der merkmalsbezogenen Unterscheidung verfolgten Ziels als solchem und zum anderen im Rahmen der Mittel-Zweck-Relation (Verhältnismäßigkeit).416 Der Wortlaut sowohl des § 8 Abs. 1 AGG als auch der entsprechenden unionalen Regelungsvorbehalte sind insoweit mißverständlich, als es sich danach gerade bei dem verbotenen Merkmal als solchem um eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung handeln muss. Wie bereits gesehen, verfolgt der Arbeitgeber mit der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal aber regemäßig keinen Selbstzweck, sondern vielmehr das Ziel, die Eignung eines Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers für die Ausführung der von ihm zu erbringenden Tätigkeit sicherzustellen. Der EuGH hat daher im Urteil Wolf zu 415  Der englische Originaltext lautet: „It shall not be an unlawful employment practice … to hire and employ … on the basis of religion, sex or national origin in those certain instances where religion, sex or national origin is a bona fide occupational qualification reasonably necessary to the normal operation of that particular business or enterprise.“ Ausführlich zur BFOQ defense in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen Manley, Duke J. of Gender L. & pol’y 16 (2009), 169. 416  Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 10.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Recht klargestellt, dass sich das Kriterium der wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung sinnvollerweise nur auf eine mit dem verbotenen Merkmal im Zusammenhang stehende Eigenschaft beziehen kann.417 Je nach Fallkonstellation kann dieser Zusammenhang aber so eng sein, dass eine Trennung zwischen Merkmal und Eigenschaft nachgerade künstlich anmutet und eher Verwirrung stiftet als Klarheit schafft.418 Das Abstellen auf das Merkmal als solches oder eine damit im Zusammenhang stehende Eigenschaft ist nur dann als legitim zu betrachten, wenn die vom Arbeitgeber vorausgesetzte Eigenschaft, wie etwa eine bestimmte Ausbildung, die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit oder die Verfügbarkeit tatsächlich eine unverzichtbare Voraussetzung für die Verrichtung gerade der in Rede stehenden Tätigkeit darstellt. Die Festlegung, welche konkrete Tätigkeit geschuldet ist, ist dabei zwar dem Arbeitgeber als Ausfluss seiner unternehmerischen Freiheit vorbehalten;419 die Frage, ob es zur Ausübung dieser Tätigkeit gerade der vom Arbeitgeber vorausgesetzten Eigenschaft bedarf, unterliegt dagegen einer Überprüfung anhand objektiver Kriterien.420 So bedarf es zur Verrichtung reiner Bürotätigkeiten keiner überproportionalen körperlichen Leistungsfähigkeit. Hält ein Arbeitgeber die körperliche Leistungsfähigkeit der Stellenbewerber in diesem Zusammenhang gleichwohl für geboten und knüpft zu deren Feststellung an das Alter des Stellenbewerbers als Ersatzkriterium an, kann er sich somit nicht auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen. Etwas anderes gilt dagegen im Hinblick auf eine Tätigkeit als Feuerwehrmann, Bodyguard oder Berufssoldat. Hier ist ein gewisses Maß an körperlicher Leistungsfähigkeit Voraussetzung für die Ausübung der vom Arbeitgeber geforderten Tätigkeit.421 Das Ziel des Arbeitgebers, das Vorhandensein dieser Eigenschaften beim Arbeitnehmer oder Stellenbewerber sicherzustellen, ist daher als legitim zu betrachten. 417 EuGH, Rs. C-229/08, Slg. 2010, I-1, Tz. 35 – Wolf und seitdem st. Rspr., vgl. nur EuGH, Rs. C-447/09, EU:C:2011:573, Tz. 66 – Prigge; EuGH, Rs. C-188/15, EU:C:2017:204, Tz. 37 – Bougnaoui. 418  Vgl. etwa BAG NZA 2009, 1016, Tz. 39, wo die Unverzichtbarkeit des (weiblichen) Geschlechts als solchem, und nicht die damit im Zusammenhang stehenden Eigenschaften (fehlendes sexuelles Interesse an Frauen) für die Tätigkeit eines Erziehers in einem Mädcheninternat geprüft wird. 419  BAG NZA 2009, 1016, Tz. 39; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 687; Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 10. 420  In diesem Sinne wohl auch BAG NZA 2009, 1016, Tz. 39, wonach der Arbeitgeber nicht lediglich das Vorhandensein bzw. Fehlen eines in § 1 AGG genannten Grundes verlangen darf, sondern vielmehr entscheidend ist, ob die Tätigkeiten, die auf dem konkreten Arbeitsplatz zu erbringen sind, zur Erreichung der unternehmerischen Zwecke das Merkmal erfordern, oder das Merkmal erforderlich ist, damit durch die von dem Arbeitnehmer erbrachten Arbeiten der unternehmerische Zweck verwirklicht werden kann. 421  So für die Tätigkeit im mittleren Feuerwehrdienst EuGH, Rs. C-229/08, Slg. 2010, I-1, Tz. 35 – Wolf.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Steht die Legitimität des Anforderungsprofils als solche fest, ist in einem weitereren Schritt zu klären, ob der Arbeitgeber das Vorhandensein tätigkeitsrelevanter Eigenschaften beim Arbeitnehmer oder Stellenbewerber gerade im Wege der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal sicherstellen darf. Dies ist im Wege einer Verhältnismäßigkeitprüfung zu klären. Die Anknüpfung an das verbotene Merkmal muss somit zur Erreichung des Ziels geeignet und erforderlich sein und mit dem Ziel in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ausschlaggebend für den Ausgang dieser Prüfung ist letztlich, wie eng der Zusammenhang zwischen dem verbotenen Merkmal und der sicherzustellenden Eigenschaft beim Arbeitnehmer oder Stellenbewerber ist. Der engstmögliche Zusammenhang zwischen Merkmal und Eigenschaft ist sicherlich dann gegeben, wenn ausnahmsweise gerade das Vorhandensein des Merkmals als solches unverzichtbar für die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit ist. Dies wird allerdings nur äußerst selten der Fall sein, etwa im Hinblick auf die Tätigkeit einer Amme422 oder im Zusammenhang mit der Erbringung sexueller Dienstleistungen.423 Den soeben genannten Fällen der biologischen Unverzichtbarkeit eines verbotenen Merkmals sind die Fälle gleichzustellen, in denen das Vorhandensein eines verbotenen Merkmals in rechtlicher Hinsicht unverzichtbar ist, weil etwa für bestimmte Merkmalsträger gesetzliche Beschäftigungsverbote bestehen.424 Sowohl in den Fällen der biologischen wie der rechtlichen Unverzichtbarkeit, in denen das Merkmal selbst die tätigkeitsrelevante Eigenschaft darstellt, ist eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal selbstverständlich geeignet, erforderlich und angemessen, die Ausübung der vom Arbeitgeber verlangten Tätigkeit sicherzustellen.425 Die nächste Stufe bilden solche Fälle, in denen das Vorhandensein eines verbotenen Merkmals einen so starken Bezug zu der in Rede stehenden Tätigkeit aufweist, dass regelmäßig nur ein Merkmalsträger die Tätigkeit sinnvollerweise verrichten kann. Hierunter fallen etwa die Fälle der Authentizitätswahrung im Bereich der Besetzung von Rollen in Theater und Film oder der Einstellung von Kellnern in Restaurants. Die Rolle der Julia im Bühnenstück „Romeo und Julia“426 sollte von einer Frau gespielt werden, der Kellner in einem asiatischen Restaurant sollte kein Schwede sein.427 Streng genommen beginnt hier bereits der Bereich, wo das verbotene Merkmal 422  Beispiel bei Bauer/Krieger, AGG, § 8 Rn. 27 unter Berufung auf Preis, Arbeitsrecht, 1999, S. 343. 423  So im Hinblick auf Prostitution Yuracko, Calif. L. Rev. 92 (2004) 147, 172: Arguably, the inherent essence of heterosexual prostitution is vaginal intercourse. If this is so, then the essence of heterosexual prostitution requires sex discrimination in the hiring of prostitutes. 424  Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 13. 425 Ebenso Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 12 f. (biologische und rechtliche Notwendigkeit); zum US-amerikanischen Recht Yuracko, Calif. L. Rev. 92 (2004), 147, 157 (Prostitution). 426  Beispiel bei Bauer/Krieger, AGG, § 8 Rn. 30. 427  Beispiel bei Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 12.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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nicht für sich genommen eine unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit darstellt, sondern eine andere Eigenschaft, für welche das verbotene Merkmal lediglich als Ersatzkriterium fungiert.428 In dem genannten Theaterbeispiel geht es dem Arbeitgeber um die authentische Verkörperung der Bühnenrolle der Julia. Einem Mann ist selbiges weder biologisch noch rechtlich unmöglich; es besteht allerdings eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass ihm die Verkörperung einer weiblichen Rolle zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers und des Publikums gelingen wird. Auf dieser Ebene sind auch solche Fälle zu verorten, in denen eine gegenüber Dritten zu erbringende Tätigkeit, wie etwa die Tätigkeit eines Krankenpflegers oder Masseurs, die Wahrung der Intimsphäre oder anderer wichtiger privater Belange dieser Personen voraussetzt und die Erfüllung dieser Voraussetzung durch Träger eines anderen Geschlechts als unwahrscheinlich einzuordnen ist. In den genannten Fällen erscheint die Heranziehung des verbotenen Merkmals als Ersatzkriterium sowohl geeignet als auch erforderlich, um eine zufriedenstellende Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeiten sicherzustellen.429 Insbesondere stellt es angesichts der starken Verknüpfung zwischen geforderter Eigenschaft und verbotenem Merkmal in den genannten Fällen kein milderes, den Stellenbewerber weniger belastendes Mittel dar, die Eignung des Stellenbewerbers individuell zu testen und diesem – entgegen aller Erfahrungswerte – eine Chance zur Bewährung zu geben. Letztere Vorgehensweise kommt aber zunehmend als rechtlich gebotene Alternative ins Spiel, wenn der Zusammenhang zwischen verbotenem Merkmal und geforderter Eigenschaft als schwächer einzustufen ist und sich etwa nur in Statistiken oder gar in stereotypen Eigenschaftszuschreibungen manifestiert. So mag es sein, dass Frauen im Durchschnitt über eine geringere Körperkraft verfügen als Männer oder die physische und mentale Leistungskraft des Menschen mit zunehmendem Alter abnimmt. Dies rechtfertigt es aber regelmäßig nicht, Frauen oder ältere Stellenbewerber pauschal, etwa durch eine entsprechende Stellenausschreibung oder die Festlegung von Höchstaltersgrenzen, vom Bewerbungsverfahren auszuschließen.430 Denn es stellt das zentrale Regelungsanliegen des Antidiskriminierungsrechts dar, stereotype Eigenschaftszuschreibungen zu verhindern. Der individuelle Fähigkeitsnachweis stellt danach regelmäßig die mildere und damit vorzugswürdige Alternative dar und zwar auch dann, wenn dieser mit zusätzlichen Kosten der Informationsbeschaffung verbunden ist.431 In Bezug auf die Anknüpfung an das Merkmal Alter folgt dies im Umkehrschluss schon aus § 10 S. 3 Nr. 2 und 3 AGG, wonach die Fest428 

Zu den rechtsökonomischen Hintergründen siehe oben Einleitung § 2 B.I.1. Im Ergebnis ebenso Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 12, der die genannten Fälle aber noch unter die Fallgruppe der biologischen Notwendigkeit fasst. 430  So auch Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 Rn. 21. 431  Zweifelnd insoweit Grünberger, Personale Gleichheit, S. 689. 429 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

legung von Mindest- und Höchstaltersgrenzen unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Wäre ein solches Vorgehen des Arbeitgebers bereits nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt, wäre die Sonderregel des § 10 S. 3 Nr. 2 und 3 AGG funktionslos. Von daher erscheint es wenig überzeugend,432 dass der EuGH im Urteil Wolf eine auf statistischen Erkenntnissen beruhende Höchstaltersgrenze für die Einstellung in den Berufsfeuerwehrdienst auf Basis von Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, welcher § 8 Abs. 1 AGG entspricht, gerechtfertigt hat.433 Von den mutmaßlichen Gründen wird an späterer Stelle im Rahmen der Erläuterung der Rechtfertigung von Altersdiskriminierungen zu handeln sein.434

(b) Sonderproblem: Kundenpräferenzen Ein besonders heikles Problem stellt sich, wenn der Arbeitgeber mit der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal lediglich den geäußerten oder vermeintlichen Wünschen seiner Kunden entsprechen möchte. Im US-amerikanischen Recht ist das Problem ebenfalls bekannt und wird dort unter dem Begriff customer preferences diskutiert.435 Im Kern geht es hierbei um die Frage, ob das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines verbotenen Merkmals über den Umweg der Wünsche oder Bedürfnisse Dritter den Status einer wesentlichen und entscheidenen beruflichen Anforderungen erlangen kann und damit die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal zu rechtfertigen vermag. Geradezu ein Lehrbuchbeispiel für eine solche Konstellation liefert das bereits in anderem Kontext angesprochene Urteil des EuGH in der Rechtssache Feryn.436 Hier hatte der Geschäftsführer eines belgischen Herstellers von Türen in diversen Zeitungsinterviews verkündet, für die Montage dieser Türen beim Kunden in Zukunft auf die Mitarbeit von Marrokanern verzichten zu wollen, da letztere von den Kunden des Unternehmens abgelehnt würden. Dies ist sicherlich ein besonders krasser Fall. Der Promblemkreis „Kundenpräferenzen“ reicht allerdings viel weiter. Erfasst sind nämlich nicht nur solche Konstellationen, in denen der Arbeitgeber wie im Fall Feryn auf mehr oder weniger klar artikulierte, rassistische oder an432  Verhaltene Kritik insoweit auch bei Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 21, wonach die pauschale Anknüpfung an das Alter nur in Betracht kommen kann, wo das Hilfskriterium (Alter) vom Zielkriterium (Belastbarkeit) nur mit unüberwindbarem Aufwand getrennt werden kann. 433  Vgl. EuGH, Rs. C-229/08, Slg. 2010, I-1 – Wolf. Die alleinige Überprüfung der in Rede stehenden Höchstaltersgrenze am Maßstab des Artikels 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG erscheint schon deshalb unverständlich, weil das vorlegende Gericht ausschließlich um eine Überprüfung am Maßstab des Artikels 6 der Richtlinie gebeten hatte. 434  Siehe unten (3). 435  Einen guten Überblick über den Diskussionsstand liefert Krause, in: Festschrift Adomeit, S. 377 ff. 436  EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 – Feryn; siehe oben 4. c).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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derweitig vorurteilsbehaftete Forderungen seiner Kunden reagiert,437 sondern letztlich jedes drittbezogene, auf (antizipierten) Kundenwünschen beruhende Geschäftskonzept. In den Blickpunkt rücken damit erneut all diejeingen, oben bereits angesprochenen Fälle, in denen der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Leistung an oder gegenüber Dritten erbringen soll und in denen sich wegen dieser Drittbezogenheit die Unverzichtbarkeit eines verbotenen Merkmals für die Ausübung der Tätigkeit bereits aus dem Anforderungsprofil ergibt. Das China-Restaurant, das ausschließlich einen Kellner mit asiatischem Erscheinungsbild einstellen will, ist in diesem Kontext ebenso zu nennnen wie das Theater, welches die Rolle der Julia im Bühnenstück „Romeo und Julia“ partout mit einer Frau besetzen will. Ebenso auf die Wünsche ihrer Kunden reagieren der Pflegedienst, der für die Pflege seiner weiblichen Patienten nur weibliche Pflegekräfte sucht, das Unternehmen, das für den Außendienst im nahen Osten aus Rücksicht auf seine arabischen Geschäftspartner keine Juden einstellt und die Gemeinde, die für die neu zu besetzende Stelle einer Frauenreferentin nur Frauen in Betracht zieht. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Gemeinsam ist all den genannten Fällen, dass es nicht Präferenzen des Arbeitgebers selbst sind, die das diskriminierende Anforderungsprofil definieren, sondern solche seiner Kundschaft. Im Rahmen einer ersten, unbefangenen Betrachtung scheint daher einiges dafür zu sprechen, in allen genannten Fällen eine Rechtfertigung zuzulassen. Denn wenn die vom Arbeitnehmer zu verrichtende Tätigkeit den Kontakt zu dritten Personen mit einschließt oder durch diesen Drittbezug sogar maßgeblich geprägt ist, liegt die Befriedigung der Bedürfnisse von Drittpersonen zugleich im Interesse des wirtschaftlich tätigen, den Gesetzen des Marktes unterworfenen Arbeitgebers. Wer seine Produkte und Dienstleistungen am Markt anbietet, kann sich nicht unabhängig von der Nachfrageseite machen und die von dieser Seite an ihn herangetragenen Wünsche komplett ignorieren, auch wenn er die dahinter stehenden Präferenzen selbst nicht teilt. Auf plastische Weise manifestiert sich dieses Dilemma des Arbeitgebers in den Äußerungen, mit welchen der Geschäftsführer der Firma Feryn in dem der gleichnahmigen EuGH-Entscheidung zugrundeliegenden Ausgangsverfahren die Nichteinstellung marokkanischer Monteure rechtfertigt. „Ich muss mich nach den Forderungen meiner Kunden richten. Wenn Sie sagen, ‚ich will dieses bestimmte Produkt oder ich will es so oder so ausgeführt haben‘, und wenn ich dann sage, ‚das mache ich nicht, ich schicke diese Leute doch vorbei‘, dann werden Sie mir sagen, ‚ich brauche diese Tür nicht unbedingt von Ihnen‘. Dann kann ich mein 437  Ein solch enges Verständnis des Themenkomplexes Kundenpräferenzen legt aber wohl Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG zugrunde, der dort unter dem Schlagwort „Vorurteile oder Präferenzen der Kundschaft“ (Rn. 17 ff.) nur die Fälle aufführt, bei denen die Erwartungen der Kunden auf Vorurteile zurückzuführen sind, und andere Konstellationen (Wahrung der Intimsphäre des Kunden, Authentiziätswahrung) ohne Bezug zu diesem Thema behandelt.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

eigenes Geschäft schließen. Wir müssen den Forderungen unserer Kunden nachkommen. Es ist nicht mein Problem, ich habe dieses Problem in Belgien nicht verursacht. Ich will, dass die Firma läuft und dass wir am Jahresende unseren Umsatz erreichen, und wie schaffe ich das? Indem ich es so mache, wie der Kunde es will!“?438

Die einzig mögliche Lösung dieses Dilemmas scheint auf der Hand zu liegen. Dem Arbeitgeber, der sich den Wünschen seiner Kunden nicht anpasst, drohen wirtschaftliche Nachteile bis hin zur Verdrängung vom Markt. Es scheint damit Ausfluss der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers zu sein, die am Markt angebotene Tätigkeit den Wünschen seiner Kunden anzupassen und damit zugleich die zur Ausübung dieser Tätigkeit erforderlichen Eigenschaften von Arbeitnehmern und Stellenbewerbern zu definieren. Denn auch wenn die Erforderlichkeit dieser Eigenschaften für die Ausführung der Tätigkeit nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist, kann doch auch ein objektiver Betrachter die sich aus dem Drittbezug der Tätigkeit ergebenden Notwendigkeiten nicht ausblenden. Folgt man dieser Logik, dürfte der Arbeitgeber als Ausfluss seiner unternehmerischen Freiheit den Wünschen seiner Kunden stets nachgeben. Auch auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit wäre dann keine Korrektur dieses Ergebnisses mehr möglich, weil die aus dem Drittbezug der Tätigkeit resultierenden Anforderungen an Arbeitnehmer und Stellenbewerber mit dem verbotenen Merkmal, an welches der Arbeitgeber anknüpft, identisch sind. Ein für den Arbeitnehmer oder Stellenbewerber weniger einschneidendes, die Privatautonomie des Arbeitgebers gleichermaßen wahrendes Mittel ist nicht ersichtlich. Anders als in den Fällen, in denen das verbotene Merkmal lediglich als Hilfskriterium herangezogen wird, kann man den Arbeitgeber auch nicht auf die Möglichkeit einer individuellen Eignungsprüfung verweisen, weil die fehlende Eignung des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers angesichts der eindeutigen Kundenerwartungen von vornherein feststeht. Ein solches Ergebnis löst gleichwohl ein gewisses Unbehagen aus, hätten es doch auf diese Weise letztlich die Kunden des Arbeitgebers in der Hand, ihre Vorurteile oder stereotypen Eigenschaftszuschreibungen über den Arbeitgeber an die jeweiligen Merkmalsträger „durchzureichen“, wodurch diese Vorurteile und Eigenschaftszuschreibungen perpetuiert würden und der Schutz vor merkmalsbezogenen Diskriminierungen in Bezug auf eine beträchtlichen Ausschnitt des Beschäftigungsmarktes praktisch ins Leere liefe.439 Es herrscht vor diesem Hintergrund – national wie international – Einigkeit darüber, eine derart weitgehende Zurückdrängung des Diskriminierungsschutzes nicht zuzulassen. So zeigt sich etwa das BAG äußerst zurückhaltend bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen mit Kundenpräferenzen440 und weiß sich damit in guter 438 EuGH,

Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187, Tz. 22 – Feryn. Grünberger, Personale Gleichheit, S. 690 f. 440  BAG NZA 2010, 872, Tz. 36. 439 Ähnlich

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Gesellschaft nicht nur mit US-amerikanischen Gerichten,441 sondern auch mit der Equal Opportunity Commission, welche dem Arbeitgeber die Berufung auf Kundenpräferenzen sogar nahezu gänzlich verwehren will.442 In zwei aktuellen Entscheidungen hat sich nunmehr auch der EuGH erstmals ausdrücklich443 explizit zur Berücksichtigungsfähigkeit von Kundenpräferenzen im Rahmen der Rechtfertigung verbotener Ungleichbehandlungen geäußert und hierbei ebenfalls einen äußerst restriktiven Standpunkt eingenommen.444 Bei aller Einigkeit über das Bedürfnis eines wie auch immer gearteten Korrektivs zur Einschränkung der Möglichkeit, Ungleichbehandlungen mit darauf gerichteten Kundenwünschen zu rechtfertigen, stellt sich doch die Frage der konkreten Ausgestaltung eines solchen Korrektivs?445 Der erste hierbei zu klärende Punkt betrifft seine dogmatische Verortung im Rahmen des Rechtfertigungstatbestands. Bauer/Krieger halten die Verhältnismäßigkeitsprüfung und innerhalb dieser die Angemessenheit für den richtigen Bezugspunkt.446 Dies vermag nicht zu überzeugen. Denn soweit der Arbeitgeber diskriminierenden Kundenwünschen nicht nachgeben darf, wird letztlich bereits seine unternehmerische Freiheit beschnitten, das von ihm verfolgte Geschäftskonzept autonom, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Kundenwünschen zu definieren. Vorzugswürdig erscheint es daher, im Einklang mit Brors die Ausrichtung des Unternehmenskonzepts an diskriminierenden Kundenwünschen bereits bei der Frage nach der Legitimität des Anforderungsprofils zu berücksichtigen.447 In 441  Vgl. etwa die Entscheidungen Diaz vs. Pan American World Airways Inc. 442 F.2nd 385 (5th Cir. 1971) und E.E.O.C. vs. Sedita 755 F.Supp 808 (N.D.III.1991); Überblick über weitere Entscheidungen bei Thüsing, JZ 2006, 223, 226, dort Fußnote 25. 442  Guidelines der E.E.O.C. 29 § 1604.02 a 1 iii. 443  In dem bereits mehrfach erwähnten Urteil Feryn (siehe Fußnote 436 sowie zur Bedeutung des Urteils in einem anderen Kontext oben 4. c) spielte die Möglichkeit der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung unter Berufung auf Kundenpräferenzen zwar der Sache nach bereits eine maßgebliche Rolle; der EuGH hatte das Problem hier aber nicht als solches benannt und eine Rechtfertigung noch nicht einmal erwogen (siehe auch noch sogleich S. 311 f.). 444  In beiden Urteilen ging es jeweils um die Kündigung einer Arbeitnehmerin wegen des Tragens eines islamischen Kopftuchs.; vgl. EuGH, Rs. C-188/15, EU:C:2017:204, Tz. 34 ff. – Bougnaoui; EuGH, Rs. C-157/15, EU:C:2017:203, Tz. 37, 38 – Achbita. Nur im erstgenannten Urteil stellte sich das Problem der Berücksichtigung von Kundenpräferenzen allerdings im Rahmen der Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung wegen des Fehlens wesentlicher und entscheidender beruflicher Anforderungen. Im zweitgenannten Urteil dienten Kundenpräferenzen dagegen der sachlichen Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung (Kopftuchverbot als Bestandteil einer internen Politik religiöser Neutralität); kritisch im Hinblick auf die Einordnung einer Politik religiöser Neutralität als mittelbare Diskriminierung Mangold/Payandeh, EuR 2017, 700, 702 ff. sowie Sagan, EuZW 2017, 457, 459 f.; siehe allgemein zur mittelbaren Diskriminierung unten III. 445  Vgl. etwa Adomeit/Mohr, AGG, § 8 Rn. 46; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 692; Krause, in: Festschrift Adomeit, 2008, S. 377, 388 ff.; Thüsing, JZ 2006, 223, 227. 446  Bauer/Krieger, AGG, § 8 Rn. 30. 447  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 8 Rn. 12; wohl auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 691.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

diese Richtung geht auch die aktuelle Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Bougnaoui, wonach der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ objektiv durch die Art der beruflichen Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung vorgegeben ist und sich nicht auf subjektive Erwägungen wie den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen, erstreckt.448 Hierbei geht es um weit mehr als nur die objektive gerichtliche Bestimmung des Anforderungsprofils auf Basis einer durch den Arbeitgeber autonom definierten Tätigkeitsumschreibung. Vielmehr setzt die gerichtliche Kontrolle hier noch eine Stufe früher an, nämlich bereits bei der Definition der vom (potentiellen) Arbeitnehmer zu erbringenden Tätigkeit und des dahinter stehenden Geschäftsmodells. Die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers wird hier also bereits im Ansatz empfindlich eingeschränkt. Fraglich ist aber, nach welchen Kriterien dies geschieht. US-amerikanische Gerichte erlauben dem Arbeitgeber nur dann, sich zur Rechtfertigung diskriminierender Auswahlentscheidungen auf entsprechende Kundenwünsche zu berufen, wenn letztere den Kernaspekt des in Rede stehenden Geschäftskonzepts betreffen (essence of the business test). So wird es etwa Fluggesellschaften verwehrt, die auschließliche Rekrutierung weiblicher Flugbegleiter mit einem Geschäftsmodell zu rechtfertigen, welches neben dem Transport als Hauptgeschäft auch die „Unterhaltung“ der (zumeist männlichen) Fluggäste durch attraktives weibliches Bordpersonal umfasst.449 Dagegen soll die Nichtberücksichtigung männlicher Bewerber für eine Anstellung als „playboy bunny“ erlaubt sein, weil bei dieser Tätigkeit der Aspekt der „Unterhaltung“ im Fokus steht450 Eine ähnliche Differenzierung nimmt nunmehr auch der EuGH im Urteil Boug­naoui vor, wenn er das von ihm objektiv definierte Anforderungsprofil in Bezug auf die gekündigte Arbeitnehmerin allein an der von dieser konkret zu erbringenden Tätigkeit ausrichtet und etwaige negative Kundenreaktionen hierbei ausblendet. In Wahrheit unterteilt der Gerichtshof damit nämlich (mittelbar) die vom Arbeitgeber seinen Kunden angebotene Leistung in einen Kern­aspekt (die zu erbringende Dienstleistung) und einem Nebenaspekt (ein den Kunden­ erwartungen entsprechendes äußeres Erscheinungsbild der die Dienstleistung ausführenden Person). Indem das Tragen des islamischen Kopftuches die Klägerin nicht an der Ausübung der Dienstleistung hindert, muss eine Rechtfertigung in der Logik des Gerichtshofs ausscheiden. Auch der EuGH legt seinen Erwägungen damit letztlich einen essence of the business test zugrunde.

448 EuGH,

Rs. C-188/15, EU:C:2017:204, Tz. 40 – Bougnaoui. Diaz vs. Pan American World Airways Inc. 442 F.2nd 385 (5th Cir. 1971); Wilson vs. Southwestern Airlines Co., 517 F.Supp. 292, 302 (ND Tex 1981). 450  St. Cross v. Playboy Club, Appeal No. 773, Case No. CFS 22618–70 (New York Human Rights Appeal Board, 1971); Weber v. Playboy Club, Appeal No. 774, Case No. CFS 22619–70 (New York Human Rights Appeal Board, 1971). 449 

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Dieser Ansatz vermag allerdings nicht zu überzeugen. Denn es kann für die Frage, ob der Arbeitgeber Kundenwünschen nachgeben darf, nicht darauf ankommen, ob er seinen Kunden eine bestimmte Leistung isoliert oder „im Paket“ mit anderen Leistungen anbietet. In beiden Fällen sieht sich der Arbeitgeber nämlich gleichermaßen der wirtschaftlichen Notwendigkeit ausgesetzt, den Wünschen seiner Kunden entgegenzukommen, weil die Kunden ihre Entscheidung auf Basis aller Aspekte des ihnen angebotenen Leistungspakets treffen. So war es dann auch in den erwähnten Flugbegleiterfällen gerade der „Unterhaltungsfaktor“, welchem die verklagten Fluggesellschaften ihre Erfolge am Markt verdankten, auch wenn das Kerngeschäft nach wie vor darin bestand, die Fluggäste zu ihrem Reiseziel zu transportieren. Dass es auf den Schwerpunkt des Geschäftskonzepts nicht ankommen kann, zeigt sich schließlich auch an obiter dicta US-amerikanischer Gerichte, wonach Restaurantbetreibern eine Personalauswahl nach ethnischen Gesichtspunkten unter dem Aspekt der Authentizitätswahrung gestattet sein soll;451 obwohl sich die Authentizitätswahrung ebenso wenig als Kerngeschäft solcher Restaurants qualifizieren lässt wie die Unterhaltung der Fluggäste als Kerngeschäft von Fluggesellschaften. Auch nach der US-amerikanischen Judikatur scheint damit in Wahrheit nicht die strukturelle Ausgestaltung des Geschäftskonzepts ausschlaggebend für die Berücksichtigungsfähigkeit von Kundenpräferenzen zu sein, sondern ein von den Gerichten nicht offengelegter, wertender Faktor. Dasselbe lässt sich auch in Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH konstatieren, wie ein Vergleich der am selben Tag ergangenen Urteile Bougnaoui und Achbita demonstriert. In beiden Urteilen ging es um die Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen des Tragens eines muslimischen Kopftuchs unter Berufung auf Kundenerwartungnen. Im Fall Bougnaoui störten sich die Kunden spezifisch am Tragen des islamischen Kopftuchs. Ihre Erwartungen wurden daher von EuGH nicht bei der objektiven Definition des Anforderungsprofils berücksichtigt, das zugrunde liegende Geschäftsmodell mithin auf die konkret geschuldete Tätigkeit reduziert. Im Urteil Achbita gestattete der EuGH dagegen einem Arbeitgeber, eine Arbeitnehmerin wegen Tragens eines muslimischen Kopftuchs zu entlassen, wenn die Abwesenheit jedweder religiöser Symbole am Arbeitplatz einer allgemeinen Politik des Arbeitgebers entspricht.452 Hier fand der auf allgemeine religiöse Neutralität gerichtete (antizipierte) Kundenwunsch Gnade vor den Augen des EuGH. Der Wille, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, philosophischen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, wird daher als rechtmäßiger Ausdruck der durch Artikel 16 GR-Ch unternehmerischen Freiheit 451  Utility Workers v. Southern California Edison, 320 F. Supp. 1262, 1265 (C.D.Cal. 1970). Vgl. auch die Guidelines der E.E.O.C. 29 § 1604.02 a 2, wonach Diskriminierungen wegen des Geschlechts unter dem Aspekt der Authentizitätswahrung gerechtfertigt werden können. 452 EuGH, Rs. C-157/15, EU:C:2017:203, Tz. 38 – Achbita.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

des Arbeitgebers bezeichnet.453 Eine Korrektur seines autonom gebildeten, die Zufriedenstellung der Kunden beinhaltenden Geschäftsmodells aus wertenden Gesichtspunkten findet in diesem Falle nicht statt.454 Was sind denn nun aber die wertenden Gesichtspunkte, die offensichtlich der Korrektur des arbeitgeberseitigen Geschäftsmodells durch die Gerichte sowohl in den USA als auch in der EU zugrunde liegen? Bei näherem Besehen kann es sich hierbei letztlich nur um die Sozialadäquanz der jeweils in Rede stehenden Kundenpräferenzen handeln. Ein solcher Ansatz entspräche wiederum in groben Zügen dem Ansatz des BAG und der wohl h.L. im deutschen Schrifttum, wonach der Arbeitgeber solchen Kundenwünschen nicht nachgeben darf, denen selbst ein diskriminierender Charakter innewohnt.455 Grünberger hat diesen Ansatz mit dem Argument kritisiert, dass subjektive Momente für das Vorliegen einer Diskriminierung irrelevant seien.456 Dies ist zweifellos richtig, trifft aber nicht den Kern des Problems. Denn es geht ja auch der h.M. ersichtlich nicht darum, dem Arbeitgeber selbst eine diskriminierende Gesinnung nachzuweisen. Vielmehr soll über die Beurteilung der sozialen Adäquanz von Kundenwünschen eine Aussage darüber getroffen werden, ob der Arbeitgeber diesen Kundenwünschen bei der Definition seines Geschäftsmodells nachgeben darf oder ob er ihnen, gegebenenfalls unter Hinnahme wirtschaftlicher Ein­bußen, standhalten muss. In Wahrheit unterscheidet sich dieser Ansatz dann auch nicht wesentlich von dem alternativen Ansatz von Grünberger, der die Beachtlichkeit von Kundenwünschen unter Berücksichtigung der „Umweltsensitivität des Diskriminierungsrechts“ feststellen möchte und damit etwa das Bedürfnis diskriminierter muslimischer Frauen rechtfertigt, ausschließlich mit Frauen zu kommunizieren.457 Denn mit dem Hinweis auf die Umweltsensitivität des Diskriminierungsrechts geht es letztlich auch Grünberger wie der h.M. darum zu ergründen, ob sich die in Rede stehenden Kundenwünsche unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen als sozialadäquat darstellen. Eine solche Vorgehensweise, wie auch immer man sie in concreto bezeichnen mag, beinhaltet in jedem Fall ein stark wertendes Element mit Bezug zum jeweiligen Einzelfall. Unproblematisch bejahen lässt sich danach etwa die Sozialadäquanz des Wunsches von Patienten einer Betreuungseinträchtigung, nur von Personen 453 EuGH,

Rs. C-157/15, EU:C:2017:203, Tz. 37 – Achbita. beachten ist allerdings, dass sich die Frage nach der Berücksichtigung von Kundenpräferenzen im Fall Abchita im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung stellte, an welche insgesamt geringere Anforderungen zu stellen sind. Siehe dazu unten III. 3.c). 455  BAG NZA 2010, 872, Tz. 36; Adomeit/Mohr, AG, § 8 Rn. 46; Bauer/Krieger, AGG, § 8 Rn. 29; Thüsing, JZ 2006, 223, 227. 456  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 692. 457  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 692. 454  Zu

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des gleichen Geschlechts behandelt oder gepflegt zu werden.458 Denn dieser Wunsch beruht nicht auf Vorurteilen oder Abneigung gegenüber Personen des jeweils anderen Geschlechts, sondern er artikuliert nur den legitimen Anspruch auf Wahrung der Intimsphäre und Berücksichtigung des Schamgefühls der Betroffenen.459 Aus einer ähnlichen Erwägung heraus erscheint es auch nachvollziehbar, dass (zumeist muslimische) Frauen, die in ihrem eigenen Lebensumfeld vielfach mit sexueller Unterdrückung konfrontiert sind, ihre diesbezüglichen Probleme nicht unbedingt mit einem Mann besprechen wollen. Von daher ist es auch nicht zu beanstanden, dass das BAG aus eben dieser Erwägung heraus in einem vielkritisierten Urteil die Nichtberücksichtigung männlicher Bewerber für die Besetzung der Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten nach § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt hat.460 Als sozialadäquat zu bewerten ist ferner die rege Nachfrage nach Restaurants, die ihren Gästen neben der Zubereitung von Speisen auch eine landestypische Atmosphäre bieten wollen und hierzu ausschließlich Kellner mit passendem ethnischem Erscheinungsbild rekrutieren. Auch hier sind nämlich keine Vorurteile oder Abneigungen der Gäste gegenüber Personen anderer, gegebenenfalls ja sogar der eigenen ethnischen Herkunft im Spiel, sondern nur das nachvollziehbare Bedürfnis nach einem authentischen gastronomischen Gesamterlebnis.461 Auf erheblich stärkeren gesellschaftlichen Widerspruch scheint dagegen offensichtlich die von Fluggesellschaften antizipierte Erwartung (männlicher) Fluggäste zu stoßen, im Rahmen einer Flugreise ausschließlich von attraktiven Frauen jüngeren Alters umsorgt zu werden. Warum aber ist das so? Ausgangspunkt für den Versuch einer Erklärung ist wohl die Befürchtung, dass durch das Bedienen des Wunsches männlicher Fluggäste nach weiblicher „Unterhaltung“ gesellschaftlich heute nicht mehr erwünschte Rollenbilder perpetuiert werden. Dies kann aber kaum die ganze Wahrheit sein, da US-amerikanische Gerichte ja, wie oben gesehen, keine Probleme damit haben, Kundenwünschen nach einer entsprechenden „Unterhaltung“ dann Relevanz zuzuerkennen, wenn der Unterhaltungsfaktor im Fokus steht. Was aber macht den Wunsch nach sexuell aufge458  Ebenso BAG NZA 2010, 872, Tz. 36 und die ganz h.L., vgl. nur Thüsing, in: ­MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 15. Zur insoweit ebenfalls sehr großzügigen Rechtsprechung der US-Gerichte vgl. Yuracko, Calif. L. Rev. 92 (2004) 147, 156 m.w.N. sowie Manley, Duke J. of Gender L. & pol’y 16 (2009), 169, 176; eher kritisch Kapczynski, Yale L.J. 112 (2003) 1257. 459  BAG NZA 2010, 872, Tz. 36; Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 15. 460  Vgl. BAG NZA 2010, 872 Tz. 30. 461  Die Sozialadäquanz im Zusammenhang mit dem Aspekt der Authentizitätwahrung bejahen auch BAG, NZA 2010, 872, Tz. 36; Krause, in: Festschrift Adomeit, 2008, S. 377; ähnlich mit anderer Begründung Thüsing, JZ 2006, 223, 227, der primär darauf abstellt, dass es in den Fällen der Authentizitätswahrung nicht zu einem Ausschluss der Bevölkerungsgruppen vom Arbeitsmarkt komme, sondern lediglich zu einer Markttrennung, indem „das spanische Restaurant einen spanischen Kellner einstellen wird und das französiche Restaurant einen Franzosen“.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

ladener „Unterhaltung“ im Rahmen von Flugreisen anrüchiger als den Wunsch nach ebensolcher Unterhaltung in einem einschlägigen, auf diese Art der Unterhaltung spezialisierten Etablissement? Auch wenn man hier nicht den oben als wenig aussagekräftig entlarvten essence of the business test bemühen will, scheint es doch in Bezug auf sexuelle „Unterhaltung“, und nur hier, gerade die Kombination von Hauptleistung (Transport) und Nebenleistung (Unterhaltung) zu sein, welche die durch die Fluggesellschaft bedienten Kundenwünsche als nicht sozialadäquat erscheinen lässt, indem die Sexualisierung einer Alltagssituation fortbestehende Rollenmuster zwischen den Geschlechtern auf besonders drastische Weise vor Augen führt. Sollte dies in der Tat das ausschlaggebende Motiv hinter der US-amerikanischen Flugbegleiter-Rechtsprechung sein, und es spricht viel dafür, dass dem so ist, muss allerdings die Frage gestellt werden, ob das Antidiskriminierungsrecht ein Instrument für die Beförderung eines Wechsels gesellschaftlicher Rollenbilder sein soll, oder ob es mit dieser Aufgabe nicht vielmehr überfordert ist. Denn bei aller Euphorie hinsichtlich der Steuerungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Prozesse durch Recht sollte nicht das eigentliche Ziel des Antidiskriminierungsrechts aus den Augen verloren werden, den gleichen Zugang zu Beschäftigung und anderen teilhaberelevanten Gütern sicherzustellen. So geht es auch in Fällen der vorgenannten Art immer noch um die Klärung der Frage, inwieweit der Arbeitgeber den Wünschen seiner Kunden bei der Personalauswahl nachgeben und in diesem Zusammenhang die Rechte von Stellenbewerbern auf diskriminierungsfreie Berücksichtigung in Bewerbungsverfahren beschneiden darf. Erweisen sich Kundenwünsche als nicht sozialadäquat, darf der Arbeitgeber sein Anforderungsprofil bei der Auswahl von Stellenbewerbern nicht nach diesen Wünschen ausrichten, was wiederum nichts anders heißt, als dass dem Arbeitgeber eine Bedienung solcher Kundenwünsche – jedenfalls in arbeitsteiliger Form – unmöglich gemacht wird. Eine solche Beschränkung des Angebotsspektrums stellt einen empfindlichen Einschnitt in die Privatautonomie des jeweiligen Arbeitgebers dar, den das Antidiskriminierungsrecht um des Ziels der Gleichbehandlung willen bewusst in Kauf nimmt. Diese Erkenntnis gebietet aber zugleich Zurückhaltung bei der Aufladung des Antidiskriminierungsrechts mit weitergehenden Zielen, die auf eine Umformung der gesellschaftlichen Realität hinauslaufen. Das in dem Wunsch männlicher Fluggäste nach weiblicher Unterhaltung zum Ausdruck kommende Rollenbild mag uns gefallen oder nicht. Eine vorurteilsbehaftete Ablehnung von Männern, um deren Ausschluss vom Bewerbungsverfahren es ja letztlich geht, ist hiermit jedenfalls nicht verbunden. Auf die Herausfilterung solcher, auf Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen angelegten Kundenwünsche, sollte sich das Antidiskriminierungsrecht beschränken. Die Bedienung spezieller, gar absonderlicher oder aus der Zeit gefallener Kundenwünsche muss dagegen in einer freien Gesellschaft möglich bleiben. Dies gilt für den Wunsch nach authentischen Gastronomieerlebnissen ebenso wie für den männlichen Wunsch nach Unterhaltung

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durch charmante Flugbegleiterinnen mit dem ja, heute oder in Zukunft, auch ein weiblicher Wunsch nach charmanten männlichen Flugbegleitern korrespondieren mag, der dann selbstverständlich ebenso zu bedienen wäre. Völlig außerhalb jeder Sozialadäquanz sind allerdings Kundenwünsche anzusiedeln, die ausschließlich von Vorurteilen und Abneigungen gegen Merkmalsträger oder stereotypen Eigenschaftszuschreibungen getragen sind. So durfte sich im Fall Feryn der belgische Türenhersteller selbstverständlich nicht den Wünschen seiner Kunden beugen, keine Marrokaner im Außendienst einzusetzen.462 Zwar hatte der EuGH die Frage einer Rechtfertigung durch Kundenpräferenzen in der Urteilsbegründung erstaunlicherweise – anders als Generalanwalt Maduro463 – noch nicht einmal angesprochen und damit all diejenigen enttäuscht, die eine Stellungnahme des EuGH zu diesem Thema mit Spannung erwartet hatten.464 Die Nichterwähnung der Streitfrage durch den EuGH war aber schon damals als beredtes Schweigen dahingehend zu werten, dass eine Rechtfertigung durch die von Feryn antizipierten, rassistischen Erwartungen seiner Kunden nicht einmal im Ansatz in Betracht kam.465 Diese Schlussfolgerung wird bestätigt durch das Urteil Bougnaoui, in welchem der Gerichthof einen Arbeitgeber verwehrt hat, die Kündigung einer Arbeitnehmerin wegen Tragens eines muslimischen Kopftuchs unter Berufung auf entsprechende Kundenwünsche zu rechtfertigen. Dem Wunsch seiner Kunden nach Wahrung religiöser Neutralität darf der Arbeitgeber dagegen nachgeben, da diesem Wunsch keine Vorurteile gegen eine bestimmte Religion sondern lediglich der Wunsch nach einer allgemeinen Religionsfreiheit des öffentlichen Raums zugrunde liegen. Alles in allem ist der Arbeitgeber somit gehalten, nicht-sozialadäquaten Kundenwünschen standzuhalten und ihnen nicht durch Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Rahmen der Personalauswahl nachzugeben. Die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Handelns hat der Arbeitgeber zu tragen. Dies gilt entgegen Thüsing466 selbst dann, wenn hierdurch der Bestand des Betriebs gefährdet wird.467 Zum einen verdient der Betrieb eines Unternehmens, das seine Existenz allein auf der Bedienung diskriminierender Kundenwünsche aufbaut, keine Unterstützung durch die Rechtsordnung. Zum anderen dürfte das Risiko einer Existenzgefährdung für den Betrieb durch die Nichtbedienung diskriminierender Kundenwünsche, wie Thüsing selbst einräumt,468 letztlich überschaubar sein. Denn indem sämtliche potentielle Anbieter der in Rede ste462  So

im Ergebnis auch der das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung bejahende EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 – Feryn. 463 GA Maduro, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 – Feryn, Tz. 18. 464  So etwa Krause, in: Festschrift Adomeit, 2008, S. 377, 390; Lobinger, EuZA 2009, 371. 465  So auch die Deutung von Bayreuther, NZA 2007, 986, 988; Lobinger, EuZA 2009, 365, 371 und Schnabel, Diskriminierungsschutz ohne Grenzen?, S. 404. 466  Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 20. 467  So zu Recht Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 15. 468  Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 20 (selten oder nie der Fall).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

henden Dienstleistung gleichermaßen an das Diskriminierungsverbot gebunden sind und somit ebenfalls nicht-sozialadäquate Kundenwünsche zu ignorieren haben, droht gerade nicht das vom Geschäftsführer der Firma Feryn so eindrucksvoll an die Wand gemalte Szenario einer Verdrängung durch weniger skrupulöse Konkurrenten.469

(c) Nichterfüllung des Anforderungsprofils wegen Behinderung, Schwangerschaft oder Mutterschaft Weitergehende, gesondert zu behandelnde Fragen im Zusammenhang mit der Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG stellen sich, sofern der Arbeitgeber nachteilige Entscheidungen im Rahmen der Besetzung einer Stelle oder im bestehenden Arbeitverhältnis auf eine Behinderung, die Schwangerschaft oder die Mutterschaft eines Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers bzw. einer Arbeitnehmerin oder Stellenbewerberin stützt. In allen genannten Fällen liegt eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wobei letzteres im Falle des Anknüpfens an die Schwangerschaft oder Mutterschaft erst aus § 3 Abs. 2 AGG folgt, welcher die Benachteiligung wegen eines der genannten Merkmale einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung gleichstellt. Anders als bei Benachteiligungen wegen der übrigen in § 1 AGG aufgezählten Merkmale wird dem Arbeitgeber allerdings bei behinderungs-, schwangerschafts- oder mutterschaftsbezogenen Benachteiligungen eine Rechtfertigung nach § 8 Abs. 1 AGG regelmäßig gelingen. Dies folgt schlicht daraus, dass Arbeitnehmer oder Bewerber, die eines der genannten Merkmale aufweisen, häufig gerade aufgrund dieses Merkmals die Anforderungen nicht erfüllen, welche sich aus der autonom durch den Arbeitgeber definierten Tätigkeitsbeschreibung ergeben. Die Merkmale Behinderung, Schwangerschaft und Mutterschaft sind damit nicht wie die übrigen Merkmale des § 1 AGG tätigkeitsneutral.470 So sind im Falle der Schwangerschaft oder Mutterschaft Einschränkungen hinsichtlich der auszuübenden Tätigkeiten und längere Fehlzeiten vorprogrammiert, welche sich nachteilig auf die Verfügbarkeit der Arbeitnehmerin auswirken. Bestimmte Behinderungen können sich ebenfalls schon für sich genommen nachteilig auf die Fähigkeit des Merkmalsträgers zur Ausführung aller von ihm zu erbringenden Tätigkeiten auswirken. Derartigen merkmalsbedingten Nichterfüllungen des Anforderungsprofils darf der Arbeitgeber grundsätzlich gemäß § 8 Abs. 1 AGG im Wege einer Anknüpfung an das betroffene Merkmal Rechnung tragen; mutet doch auch das Antidiskriminierungsrecht dem Arbeitgeber – jedenfalls im 469  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 8 Rn. 7; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 691; Sagan, EuZW 2017, 457, 458; vgl. auch GA Maduro, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-54/07, Slg. 2008, I-5187 – Feryn, Tz. 18 („Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen“). 470  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 687; bezüglich des Merkmals Behinderung: Lindemann, in: Hey/Forst, AGG, § 8 Rn. 39; Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 42.

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Ausgangspunkt – nicht zu, mit einem ungeeigneten Arbeitnehmer vorlieb zu nehmen, sondern lediglich, sich bei der Auswahl von Arbeitnehmern nicht von Abneigungen oder Stereotypen leiten zu lassen. Um letzterers geht es aber im Falle behinderungs-, schwangerschafts oder mutterschaftsbezogener Benachteiligungen regelmäßig nicht. Vielmehr stellt das verbotene Merkmal – oder besser gesagt: dessen Fehlen – in diesem Fall selbst das Ausschlusskriterium für die Eignung des Stellenbewerbers dar und dient nicht lediglich als Ersatzkriterium (proxy) zur Feststellung einer dahinterstehenden Eigenschaft. Genau aus dem genannten Grunde scheint zugunsten der betroffenen Merkmalsträger auch auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit keine Möglichkeit auf Abhilfe zu bestehen. Der Arbeitgeber ist hier insbesondere nicht gehalten, als mildere, den Merkmalsträger weniger belastende Lösung auf eine pauschale Anknüpfung an das verbotene Merkmal zugunsten einer individuellen Feststellung der Eignung des Merkmalsträgers zu verzichten. Denn welchen Nutzen sollte ein solches Vorgehen bringen, wenn bereits aufgrund des Vorliegens des Merkmals als solchem feststeht, dass der Merkmalsträger nicht in der Lage sein wird, die vom Arbeitgeber vorgesehene Tätigkeit ordnungsgemäß auszuführen? Als Zwischenfazit lässt sich somit festhalten, dass das aus der Privatautonomie fließende, über § 8 Abs. 1 AGG geschützte Interesse des Arbeitgebers an der Eignung des Arbeitnehmers für die Ausübung der vom Arbeitgeber definierten Tätigkeit der Möglichkeit von Behinderten, Schwangeren und Müttern auf Teilnahme am Arbeitsleben natürliche Grenzen zu setzen scheint.471 An Grenzen stößt hier freilich auch ein (im engeren Sinne) formell verstandendes Konzept von Gleichheit, welches die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Menschen nicht in den Blick nimmt.472 Um den Anspruch Behinderter, Schwangerer und Mütter auf Teilnahme am Arbeitsleben nicht vollständig leerlaufen zu lassen, bedarf es hier eines Schrittes hin zu einem Konzept materieller Gleichheit. Das Unionsrecht geht diesen Schritt, indem es die Chancen der betroffenen Merkmalsträger auf Teilnahme am Arbeitsleben über jeweils unterschiedliche Regelungsmechanismen erhöht und damit zugleich die Grenze zwischen dem Recht auf Gleichbehandlung und der Privatautonomie des Arbeitgebers ein weiteres Stück zulasten der letzteren verschiebt.473 Im Hinblick auf das Merkmal Behinderung wird eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben über Artikel 5 Richtlinie 2000/78/EG gewährleistet, wonach der Arbeitgeber geeignete und im konkreten Fall erforderliche Maßnah471  Schlachter, in: ErfK, § 8 AGG Rn. 6; zu entsprechenden Erfahrungen im US-amerikanischen Recht vgl. Brors, RdA 2003, 223. 472  Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 214; zum Konzept materieller Gleichheit siehe oben Erster Teil § 1 A. 473  So im Hinblick auf die Pflicht des Arbeitgebers zur Vornahme von Anpassungsmaßnahmen zugunsten Behinderter Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 215 („advance towards substantive equality“).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

men ergreifen muss, um Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Der Arbeitgeber ist danach verpflichtet, Barrieren zu beseitigen, welche die oben genannten Möglichkeiten des Behinderten beschränken, wobei Barrierefreiheit hier nicht nur im Sinne einer Beseitigung physischer Hindernisse wie etwa Türschwellen, Stufen etc. sondern auch im Sinne einer Beseitigung sonstiger Hindernisse zu verstehen ist.474 Mit anderen Worten ausgedrückt, soll der Arbeitgeber eine Tätigkeit, die für den Behinderten wegen seiner Behinderung im Ausgangspunkt nicht passt, durch die Beseitigung von Barrieren für eine Ausübung durch den Behinderten „passend machen“ und hiermit dem Behinderten und seinen beschränkten Fähigkeiten ein Stück weit entgegenkommen.475 Die Pflicht zur Anpassung des Arbeitsplatzes an die Bedürfnisse des Behinderten beschränkt wiederum das Recht des Arbeitgebers auf privatautonome Definition der von dem Arbeitnehmer zu erbringenden Tätigkeit. Beurteilungsgrundlage für die Bestimmung des Anforderungsprofils ist in Bezug auf den behinderten Bewerber der angepasste, nicht der tatsächlich offerierte Arbeitsplatz.476 Die Kosten der Anpassungsmaßnahmen trägt der Arbeitgeber, was für diesen letztlich ein über das normale Maß des Diskriminierungsschutzes hinausgehendes Sonderopfer bedeutet. Es stellen sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen, nämlich (1) Wo endet die Pflicht zur Beseitigung von Barrieren? und (2) Ist der Arbeitgeber für die ihm entstehenden Kosten in irgendeiner Form zu entschädigen? Auf beide Fragen gibt Artikel 5 Richtlinie 2000/78/EG die passende Antwort. Zunächst besteht die Pflicht des Arbeitgebers zur Beseitigung von Barrieren gemäß Artikel 5 S. 2 HS 2 Richtlinie 2000/78/EG nur insoweit, als die zu treffenden Maßnahmen den Arbeitgeber nicht unverhältnismäßig belasten. Wann dies der Fall ist, ist anhand einer Gesamtschau von Faktoren zu beurteilen. Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2000/78/EG nennt als Faktoren den mit der Maßnahme verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand, die Größe, die finanziellen Ressourcen und den Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten. Detailfragen bleiben der Rechtsprechung überantwortet.477 In jedem Fall ist aber die Grenze der Verhältnismäßigkeit erreicht, 474 Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2000/78/EG nennt als mögliche Anpassungsmaßnahmen eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen. 475  Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 217; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 688. 476  So ausdrücklich Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 8 Rn. 33; Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 8 Rn. 53. 477  Einen guten Überblick über die diesbezügliche Rechtsprechung in den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU sowie US-amerikanischer Gerichte liefern Schiek/Waddington/Bell, Non-Dis­crimi­nation Law, S. 634 ff.

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wenn die Einstellung eines behinderten Bewerbers sich für den Arbeitgeber als Zuschussgeschäft erweist.478 Der Hinweis auf die Verfügbarkeit von Mitteln beantwortet zugleich die zweite Frage: Eine Kompensation der unter Berücksichtigung der anderen Faktoren als verhältnismäßig zu betrachtenden Maßnahmen bzw. der hierfür anfallenden Kosten gibt die Richtlinie nicht vor. Eine gleichwohl im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehene Kompensation fließt aber dergestalt in die Kalkulation der Verhältnismäßigkeit mit ein, dass eine mit der Anpassungsmaßnahme für den Arbeitgeber einhergehende Belastung nicht als unverhältnismäßig zu werten ist, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird. Mit anderen Worten: Das Ausmaß der vom Arbeitgeber durchzuführenden Anpassungsmaßnahmen und damit auch das Ausmaß der Inklusion behinderter Arbeitnehmer richtet sich nach dem Umfang staatlicher Ausgleichsmaßnahmen. Je höher diese Ausgleichsmaßnahmen ausfallen, desto mehr Anpassungsmaßnahmen verlangt das Antidiskriminierungsrecht dem Arbeitgeber ab und desto weniger lässt sich die Ablehnung behinderter Bewerber rechtfertigen. In die andere Richtung funktioniert die Koppelung von Verhältnismäßigkeit der Anpassungsmaßnahme und staatlichen Ausgleichsleistungen freilich nicht. Auch wenn ein Mitgliedstaat überhaupt keine staatlichen Ausgleichsmaßnahmen vorsieht, bleibt es bei der Belastung des Arbeitsgebers bis zur Schwelle der anhand anderer Faktoren zu bestimmenden Unverhältnismäßigkeit. In dieser Belastung des Arbeitgebers mit der Gemeinschaftsaufgabe der Inklusion Behinderter mag ein Sonderopfer liegen. Das Antidiskriminierungsrecht ist aber nicht der Ort, dieses Sonderopfer zu vermeiden. Denn für den Fall, dass das unionale Antidiskriminierungsrecht den Arbeitgeber nicht selbst zu Anpassungsmaßnahmen verpflichtete, bestünde die Gefahr eines „negativen Kompetenzkonflikts“ in dem Sinne, dass weder das Unionsrecht noch das nationale Recht Maßnahmen zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen vorsehen. Das Unionsrecht schlägt hier mit der Etablierung einer diskriminierungsrechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme verhältnismäßiger Anpassungsmaßnahmen gleichsam einen Pflock ein und bringt damit die Mitgliedstaaten in Zugzwang, dem dergestalt in die Pflicht genommenen Arbeitgeber im Wege öffentlich-finanzieller Ausgleichsmaßnahmen unter die Arme zu greifen. Als misslich erscheint allerdings, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben des Artikels 5 der Richtlinie 2000/78/EG nur unzureichend, streng genommen sogar überhaupt nicht umgesetzt hat.479 Zwar findet sich in § 81 Abs. 4 478  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 8 Rn. 34. Ein Fallbeispiel für ein solches Zuschussgeschäft liefert der Sachverhalt der Entscheidung LAG Hamm, Urteil vom 7.8.2012, Az. 10 Sa 916/12 (Ermöglichung der Einstellung eines blinden Bewerbers durch zeitgleiche Einstellung eines persönlichen Assistenten, die ökonomisch auf eine Stellenverdoppelung hinausläuft). 479  Einen deutlich hinter den unionalen Vorgaben zurückbleibenden Schutzstandard kon-

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

SGB IX eine Bestimmung, wonach schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf eine behindertengerechte Ausstattung ihres Arbeitsplatzes haben. Die Regelung betrifft aber nur schwerbehinderte Menschen in einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Sie gilt damit nicht für normal Behinderte und auch für Schwerbehinderte nicht in Bezug auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit.480 Zur Wahrung der Umsetzungspflicht des deutschen Gesetzgebers wäre es aber erforderlich, die Pflicht des Arbeitgebers zur Vornahme von Anpassungsmaßnahmen in Bezug auf alle Behinderten und hinsichtlich aller Aspekte des Erwerbslebens gesetzlich zu statuieren. Dies folgt bereits aus der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung hochgehaltenen Transparenzpflicht, wonach die Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung von Richtlinien, die dem Einzelnen Rechte verleihen, zur Schaffung einer „bestimmten, klaren und transparenten Lage verpflichtet sind, welche dem Einzelnen die vollumfängliche Kenntnis und Wahrnehmung seiner Rechte ermöglicht.“481 Bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ist die Erfüllung der Vorgaben des Artikels 5 Richtlinie 2000/78/EG über eine richtlinienkonforme Auslegung des § 8 Abs. 1 AGG sicherzustellen. Das Fehlen einer Behinderung stellt damit im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit keine wesentliche, entscheidende berufliche Anforderung dar, soweit mit der Behinderung verbundene, die Eignung des Arbeitnehmers oder Bewerbers in Frage stellenden Hindernisse durch entsprechende, nicht unverhältnismäßige Anpassungsmaßnahmen des Arbeitgebers beseitigt werden können. Lassen sich mit einer Behinderung zusammenhängende Hindernisse hingegen nicht allein durch Anpassungsmaßnahmen des Arbeitgebers wie etwa eine entsprechende Ausstattung des Arbeitsplatzes beseitigen,482 oder wären solche Maßnahmen als unverhältnismäßig zu bewerten, darf der Arbeitgeber den fortbestehenden Eignungshindernissen durch eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal Rechnung tragen.483 statieren auch Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG, Rn. 43 und Lindemann, in: Hey/Forst, AGG, § 8 Rn. 42. 480  Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 43. 481 EuGH, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Tz. 23 – Kommission gegen Deutschland; EuGH, Rs. C 340/96, Slg. 1999, I 2023, Tz. 37 – Kommission gegen Vereinigtes Königreich; vgl. dazu bereits oben Zweiter Teil § 1 C. III. 1. a). 482  Lindemann, in: Hey/Forst, AGG, § 8 Rn. 40 bildet das anschauliche Beispiel einer Rollstuhlfahrerin, die sich um die Stelle einer Tänzerin bewirbt. 483  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 8 Rn. 34, die aber davon ausgeht, dass in diesem Falle mangels Eignung schon tatbestandlich keine Diskriminierung vorliegt. Letzteres ist aber unzutreffend, weil der Tatbestand der unmittelbaren Diskriminierung, jedenfalls nach der hier vertretenen Auffassung, keinen materiell-rechtlichen Vergleichspersonentest kennt (siehe oben 4.). Die objektive Eignung spielt daher auf Tatbestandsebene allenfalls dann eine (prozessuale) Rolle, wenn sich die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar unter Rückgriff auf objektiv schlechter qualifizierte Vergleichspersonen beweisen lässt (siehe zum Beweis und zur dortigen Funktion des Vergleichspersonenkonzepts unten Vierter Teil § 2 C. II. 1. c) cc).

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Insoweit verbleibt es bei der Feststellung, dass das Antidiskriminierungsrecht den Arbeitgeber letztendlich nicht zur Einstellung oder Beförderung eines ungeeigneten Arbeitnehmers oder Bewerbers zwingt. In diesem Punkt noch ein Stück weiter geht das unionale Antidiskriminierungsrecht hingegen in Bezug auf Schwangere und Frauen im Mutterschaftsurlaub. Hier geht es, anders als in Bezug auf behinderte Arbeitnehmer oder Stellenbewerber, nicht darum, den Arbeitsplatz an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der genannten Merkmalsträgerinnen anzupassen. Dies wäre auch ein vergebliches Unterfangen; lassen sich doch schwanger- oder mutterschaftsbedingte Einschränkungen der Einsatzfähigkeit bis hin zu einem durch Schutzgesetze bedingten partiellen oder totalen Ausfall der Verfügbarkeit durch keine Anpassungsmaßnahme der Welt vermeiden.484 Die Grenzen der Schaffenskraft der Betroffenen diktiert die Biologie in Kombination mit Schutzgesetzen, die wiederum biologischen Notwendigkeiten geschuldet sind. Das Diskriminierungsrecht steht hier, ähnlich wie in Bezug auf Behinderungen, vor einem Dilemma: Soll es sich auf die Gewährleistung formeller Gleichheit zurückziehen und damit den temporären Ausschluss der Betroffenen vom Arbeitsmarkt in Kauf nehmen, oder soll es die Teilnahme der Betroffenen am Arbeitsleben im Rahmen eines Konzepts materieller Gleichheit durchsetzen? Zur Verwirklichung der letztgenannten Alternative müsste allerdings das Interesse des Arbeitgebers an der Eignung seiner Arbeitnehmer für die von ihnen auszuübenden Tätigkeiten vollständig zurücktreten. Das Unionsrecht geht gleichwohl diesen drastischen Schritt, indem es dem Arbeitgeber eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal ohne Rechtfertigungsmöglichkeit versagt. Diese Rechtsfolge wird zwar in der Richtlinie 2006/54/EG an keiner Stelle ausdrücklich angeordnet und auch im AGG findet sich kein diesbezüglicher Hinweis. Sie ergibt sich allerdings mittelbar aus Artikel 2 Abs. 2 lit c der Richtlinie 2006/54/EG (§ 3 Abs. 1 S. 2 AGG), wonach die Ungleichbehandlung wegen der Schwangerschaft oder wegen eines Mutterschaftsurlaubs im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG eine (unmittelbare) Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellt. 485 Soll nämlich das Verbot der Anknüpfung an die Schwangerschaft oder einen Mutterschaftsurlaub einer Arbeitnehmerin oder Bewerberin nicht regelmäßig auf der Ebene der Rechtfertigung konterkariert werden, müssen schwanger- oder mutterschaftsbedingte Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit oder Verfügbarkeit bereits bei der 484 Ähnlich

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 637 f. Bezug zwischen der die Ungleichbehandlung bedingenden fehlenden Verfügbarkeit Schwangerer und Mütter und der Ausübung der diesen Personen zu ihrem Schutz eingeräumten Rechte vgl. EuGH, Rs. C-136/95, Slg. 1998, I-2011, Tz. 26 – Thibault, wonach die Richtlinie 76/207/EWG auf eine inhaltliche, nicht formelle Gleichheit abzielt, soweit sie vorschreibt, dass die Ausübung der Rechte, die Frauen nach Maßgabe des Artikels 2 Absatz 3 der Richtlinie gewährt werden, nicht zu Nachteilen beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen führen darf. 485  Zum

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Definition des Anforderungsprofils berücksichtigt werden, indem sie zu einer Absenkung desselben bis auf Null führen. Der Arbeitgeber kann eine mit der Schwangerschaft oder Mutterschaft einer Arbeitnehmerin oder Stellenbewerberin begründete Benachteiligung dann nicht mehr wegen Fehlens einer entscheidenden und wesentlichen beruflichen Anforderung gemäß § 8 Abs. 1 AGG rechtfertigen. Diese Schlussfolgerungen stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. So hattte der Gerichtshof bereits im Urteil Dekker festgestellt, dass der finanzielle Nachteil, der dem Arbeitgeber im Fall der Einstellung einer Schwangeren während deren Mutterschaftsurlaubs bzw. dadurch entsteht, dass die Arbeitnehmerin während der Dauer ihrer Schwangerschaft nicht auf dem betreffenden Arbeitsplatz beschäftigt werden darf, die Verweigerung einer Einstellung wegen Schwangerschaft nicht rechtfertigt.486 Im nachfolgenden Urteil Webb präzisierte der Gerichtshof diese Aussagen dahingehend, dass die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers zwar für den Arbeitgeber zwangsläufig eine wesentliche Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrags sei; doch könne der vom Gemeinschaftsrecht gewährleistete Schutz für die Frau während der Schwangerschaft und nach der Entbindung nicht von der Frage abhängen, ob die Anwesenheit der Betroffenen in dem ihrer Mutterschaft entsprechenden Zeitraum für das ordnungsgemäße Funktionieren des Unternehmens, in dem sie beschäftigt sei, unerlässlich sei.487 Die schwangerschaftsbedingte Unfähigkeit einer Arbeitnehmerin, die ihr übertragene Tätigkeit ordnungsgemäß auszuführen, soll schließlich nach der Aussage des EuGH im Urteil Tele Danmark selbst dann keine Ungleichbehandlung wegen der Schwangerschaft rechtfertigen, wenn es sich um einen befristeten Vertrag handelt.488 Da nämlich die Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen ihrer Schwangerschaft unabhängig von der Art und dem Umfang des hierdurch beim Arbeitgeber verursachten Schadens eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstelle, sei es für die Beurteilung der Frage, ob die Entlassung diskriminierenden Charakter habe, unerheblich, ob der Arbeitsvertrag auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geschlossen wurde. In beiden Fällen beruhe die Unfähigkeit der Arbeitnehmerin, den Arbeitsvertrag zu erfüllen, auf der Schwangerschaft.489 Dies erscheint einerseits angesichts der Zunahme befristerer Arbeitsverhältnisse nur konsequent, weil andernfalls Schwangere und Mütter von einem Teil des Arbeitsmarktes faktisch ausgeschlossen wären, was wiederum weitreichende Folgen für die Erwerbsbiographie mit sich brächte. Andererseits wird durch das Beharren auf der Wahrung der Beschäftigungschancen von Schwangeren und Müttern, welche die von ihnen auszu486 EuGH,

Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 12 – Dekker. Rs. C-32/93, Slg. 1994, I-3567, Tz. 26 – Webb. 488 EuGH, Rs. C-109/00, Slg. 2001, I-6993, Tz. 31 – Tele Danmark. 489 EuGH, Rs. C-109/00, Slg. 2001, I-6993, Tz. 31 – Tele Danmark. 487 EuGH,

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übende Tätigkeit ganz oder überwiegend nicht ausführen können, die Privatautonomie des Arbeitgebers nicht nur in erheblichem Maße zurückgedrängt, sondern geradezu negiert. Thüsing hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich beim Arbeitsvertrag um einen gegenseitigen Vertrag handelt, der bei Entfallen einer der beiden Leistungen seinen Zweck verfehlt.490 Im Widerspruch zu diesem Grundsatz möchte der EuGH den Arbeitgeber hingegen dazu verpflichten, auf die ihm gegenüber zu erbringende Arbeitsleistung im Dienste der guten Sache zu einem großen Teil oder sogar vollständig zu verzichten. Dies läuft letztlich auf eine Alimentation Schwangerer und Mütter durch den Arbeitgeber und damit auf ein erhebliches Son­ der­opfer Einzelner zur Erreichung eines gesamtgesellschaftlichen Ziels hinaus. Anders als in Bezug auf die Förderung Behinderter fehlt es aber in diesem Falle an einem Korrektiv für den Fall einer unverhältnismäßigen Belastung des Arbeitgebers. Ob und inwieweit die Pflicht zur Berücksichtigung nicht geeigneter Bewerber für den Arbeitgeber mit einem Sonderopfer verbunden ist, bleibt in Bezug auf Schwangere und Mütter damit letztlich dem zuständigen Mitgliedstaat und der Ausgestaltung etwaiger von diesem vorgesehenen Ausgleichsmechanismen überlassen. Mit der primärrechtlich verankerten Privatautonomie des Arbeitgebers lässt sich eine solche Lesart der Richtlinienvorgaben nur schwer vereinbaren. Dass sich der EuGH diese Sichtweise in absehbarer Zeit zu Eigen machen wird, steht allerdings nicht zu erwarten.491 Denn dem EuGH und dem dessen Rechtsprechung kodifizierenden Unionsgesetzgeber ging es mit der Gleichsetzung von schwangerschafts- und geschlechtsbedingter Diskriminierung gerade darum sicherzustellen, dass Schwangeren und Müttern allein aus ihrem Zustand keine Nachteile im Hinblick auf ihre Erwerbsbiographie erwachsen sollen. Solche Nachteile entstehen aber immer dann, wenn drohende schwanger- oder mutterschaftsbedingte Abwesenheiten den Grund für die Nichtberücksichtigung einer Stellenbewerberin darstellen, und zwar unabhängig davon, ob die Dauer der Beschäftigung die schwanger- oder mutterschaftsbedingte Abwesenheit überschreitet oder nicht. Auch Schwangerschaftsvertretungen sind Stellen, auf die sich ein Mann hätte bewerben können. Allein dieser Vergleich zählt für den EuGH! Diese strikte, hier kritisierte, Grundentscheidung des EuGH lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf den Aspekt des Rechtsmissbrauchs492 oder 490 

Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 21. Skeptisch insoweit auch Thüsing, a.a.O. 492  Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die mißbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht nicht gestattet, vgl. bereits EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299, Tz. 13 – van Bisnsbergen; EuGH, Rs. 367/96, Slg. 1998, I-2843, Tz. 20 – ­Kefalas, EuGH, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Tz. 24 – Centros. In neueren Urteilen hat der Gerichtshof seine Anforderungen an das Vorliegen eines Missbrauchs weiter spezifiziert, vgl. nur EuGH C-155/13, EU:C:2014:145, Tz. 32 – SICES u.a. 491 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

des Grundsatzes venire contra factum proprium konterkarieren.493 Denn der EuGH hat bereits in anderem Kontext wiederholt festgestellt, dass allein die konsequente Ausübung von durch das Unionsrecht eingeräumten Rechten keinen Rechtsmissbrauch begründet, wenn nicht zusätzliche Gesichtspunkte auf einen solchen hindeuten.494 Als objektives Kriterium verlangt der EuGH insoweit, dass nach einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel der in Anspruch genommenen Regelung nicht erreicht wurde.495 In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist.496 Beide Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Bewerbung einer Schwangeren auf eine befristete Stelle nicht vor. Denn es ist ja gerade das Ziel der Gleichstellung von schwangerschaftbedingter und geschlechtsbedingter Ungleichbehandlung, dass sich Frauen gleich Männern auf jede auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Stelle bewerben können. Die potentielle Besetzung einer befristeten Stelle, auch die einer Schwangerschaftsvertretung, mit einer Schwangeren ist mithin durch das Unionsrecht gerade gewollt. Wenn dem so ist, erstrebt eine Schwangere, die sich auf eine solche Stelle bewirbt auch keinen ungerechtfertigten Vorteil. Denn sie erstrebt ja nur das, was ihr unionsrechtlich zusteht, nämlich die (materielle) Gleichbehandlung mit männlichen Stellenbewerbern. In diesem Punkt unterscheidet sich auch eine schwangere Stellenbewerberin maßgeblich von Personen, die sich nur zum Schein auf eine Stelle bewerben, um im Falle einer merkmalsbezogenen Ungleichbehandlung Entschädigungsansprüche geltend machen zu können (so genannte AGG-Hopper). Insoweit hat der EuGH erst kürzlich zu Recht im Urteil Kratzer festgestellt, dass eine Person, die mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen und Entschädigung geltend machen möchte, nicht als Stellenbewerber im Sinne der Richtlinien 2000/78/EG und 2006/54/ EG zu qualifizieren ist und ihre Bewerbung gegebenfalls als Rechtsmissbrauch 493  So aber für krasse Fälle (Bewerbung einer Schwangeren als Schwangerschaftsvertretung) Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 21. 494  So im Ansatz bereits EuGH, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Tz. 27 – Centros: „Damit kann es für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit.“ 495 EuGH, C‑110/99, EU:C:2000:695, Tz. 52 – Emsland-Stärke und EuGH C-155/13, EU:C:2014:145, Tz. 32 – SICES u.a. 496 EuGH, Rs. C-255/02, EU:C:2006:121, Tz. 75 – Halifax, C‑103/09, EuGH, Rs. EU:C:2010:804, Tz. 30 – Weald Leasing und EuGH, Rs. C-155/13, EU:C:2014:145, Tz. 33 – SICES u.a.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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bewertet werden kann.497 Auf schwangere Stellenbewerberinnen treffen die vom EuGH genannten Voraussetzungen aber gerade nicht zu. Denn während es einem AGG-Hopper in der Tat gar nicht darum geht, tatsächlich zum Zuge zu kommen, ist Letzteres das tatsächliche Ziel der schwangeren Bewerberin. Ihr fehlt es, anders als dem AGG-Hopper, nicht an der Ernsthaftigkeit hinsichtlich ihrer Bewerbung, sondern lediglich an der Fähigkeit, die von ihr zu erbringende Tätigkeit auszuüben. Der AGG-Hopper will nicht ernsthaft arbeiten, die schwangere Stellenbewerberin kann es aufgrund zu ihrem Schutz erlassener Vorschriften nicht. Dies ist ein gewichtiger Unterschied!

(2) Ungleichbehandlung durch Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – Freiraum für Präferenzen des Arbeitgebers Nach § 8 Abs. 1 AGG lässt sich die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal nur rechtfertigen, wenn gerade das Vorhandensein oder Fehlen dieses Merkmals unverzichtbar ist, um die Eignung des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers für die von ihm auszuführende Tätigkeit zu gewährleisten. Wann dies der Fall ist, wird im Streitfall durch ein Gericht anhand objektiver Kriterien auf Basis der durch den Arbeitgeber vorgegebenen Tätigkeitsumschreibung festgestellt. Mit anderen Worten: Der Arbeitgeber legt als Ausfluss seiner Privatautonomie die zu erbringende Tätigkeit fest, der Richter bestimmt anhand objektiver Kriterien, welche Eigenschaften zur Erfüllung dieser Tätigkeit erforderlich sind. Im Anwendungsbereich des § 9 AGG, der auf eine entsprechende Regelungsermächtigung in Artikel 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG zurückgeht, wird der Privatautonomie dagegen ein weiterer Spielraum eingeräumt. § 9 Abs. 1 AGG gestattet Religionsgemeinschaften und ähnlichen Einrichtungen eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern und Stellenbewerbern wegen der Religion oder Weltanschauung, sofern die Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses und im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinschaft eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Nach § 9 Abs. 2 AGG berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung zudem nicht das Recht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. Beide Teile der Regelung bergen erhebliches Diskussionspotential. § 9 Abs. 1 AGG erklärt für die Beantwortung der Frage, ob die Religion oder Weltanschauung eines Bewerbers eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, das Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft für ausschlagge497 EuGH,

Rs. C-423/15, EU:C:2016:604, Tz. 35–40 – Kratzer.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

bend. Die Privatautonomie der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften wird hierdurch im Vergleich zu anderen Arbeitgebern dahingehend erweitert, dass nicht nur die Umschreibung der Tätigkeiten als solche, sondern auch die Festlegung des tätigkeitsbezogenen Anforderungsprofils in die Hände dieser Gemeinschaften gelegt wird. Anders als im Rahmen des § 8 Abs. 1 AGG bestimmt somit nicht der Richter nach objektiven Kriterien, welche Anforderungen an die Eignung der Arbeitnehmer zur Ausführung der vom Arbeitgeber definierten Tätigkeit zu stellen sind, sondern der Arbeitgeber selbst. Das heißt letztlich nicht anderes, als dass eine Religionsgemeinschaft die Religionszugehörigkeit ihrer Arbeitnehmer auch dann zur Bedingung für die Begründung oder Aufrechterhaltung eines Anstellungsverhältnisses machen kann, wenn dies nach objektiven Kriterien im Hinblick auf die auszuführende Tätigkeit nicht erforderlich ist.498 Die praktische Relevanz dieser Regelung zeigt sich im unmittelbaren Vergleich zu § 8 Abs. 1 AGG. Nach dem (objektiven) Maßstab des Artikels 8 Abs. 1 AGG muss der Priester katholisch sein, nicht aber der Hausmeister. Denn es ist zur Ausführung von Hausmeistertätigkeiten objektiv nicht erforderlich, im Glauben gefestigt zu sein. § 9 Abs. 1 AGG geht hierüber hinaus, indem die persönlichen Anforderungen an die Ausführung aller für eine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft zu erbringenden Tätigkeiten dem Definitionsrecht der jeweils in Rede stehenden Gemeinschaft unterstellt werden.499 Teile des Schrifttums500 wollen § 9 Abs. 1 AGG hingegen lediglich ein System abgestufter Loylitätspflichten entnehmen. Hiernach soll eine Anknüpfung an die Religion oder Weltanschauung nur bei Tätigkeiten mit besonderem Verkündungsauftrag möglich sein, während bei sonstigen Tätigkeiten der volle Diskriminierungsschutz greifen soll.501 Ein solcher, der richterlichen Grenzziehung unterworfener Tendenzschutz wird aber bereits, wie oben dargelegt, über Artikel 8 Abs. 1 AGG gewährleistet. Soll § 9 Abs. 1 AGG nicht funktionslos sein, muss die Vorschrift der Privatautonomie mehr Raum geben.502 Etwas anderes folgt, entgegen Stimmen im Schrifttum,503 auch nicht aus den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG. Zwar knüpft Artikel 4 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie die Möglichkeit einer Rechtfertigung religions- bzw. weltanschauungsbedingter Ungleichbehandlungen an die Voraussetzung, dass die Religion nach dem 498 

Insoweit auch Bauer/Krieger, AGG, § 9 Rn. 14. Adomeit/Mohr, AGG, § 9 Rn. 15; Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 12 f. 500  Belling, in: Erman, BGB, § 9 AGG Rn. 6; Deinert, EuZA 2009, 332, 339 f.; Ka­m ana­ brou, RdA 2006, 321, 328; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 676 f.; Wedde, in: Däubler/ Bertzbach, AGG, § 9 Rn. 34 ff.; ähnlich Bauer/Krieger, AGG, § 9 Rn. 14 f. 501  Bauer/Krieger, AG, § 9 Rn. 13; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 676 f.; Wedde, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 9 Rn. 34 ff. 502  So zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 12. 503  Budde, AuR 2005, 353, 358 ff.; Classen, EuR 2008, 627, 636; Deinert, EuZA 2009, 332, 339 f.; Reichegger, Richtlinie 2000/78/EG und kirchliches Arbeitsrecht, S. 204 ff. 499 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

323

Selbstverständnis (die Richtlinie spricht vom „Ethos“) der jeweiligen Gemeinschaft gerade im Hinblick auf die „Art der Tätigkeit“ eine wesentliche berufliche Anforderung sein muss, während § 9 Abs. 1 AGG eine solche Einschränkung nicht enthält. Der Wortlaut legt somit auf den ersten Blick durchaus den Schluss nahe, dass die Richtlinie das von der jeweiligen Religions- bzw. Welt­ anschauungsgemeinschaft aufgestellte tätigkeitsbezogene Anforderungsprofil verobjektivieren und damit der gerichtlichen Kontrolle unterstellen möchte.504 Gewichtige systematische, teleologische und historiche Argumente sprechen indes gegen einen solchen Befund und für die Feststellung, dass auch nach der Richtlinie allein das Selbstverständnis der jeweiligen Glaubens- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft ausschlaggebend sein soll.505 In systematischer Hinsicht steht zunächst, wie im nationalen Recht, der Kontext zur allgemeinen Rechtfertigungsregel im Vordergrund. Indem nach Artikel 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/ EG eine Rechtfertigung religions- bzw. weltanschauungsbezogener Ungleichbehandlungen unter Berufung auf gerichtlich überprüfbare tätigkeitsbezogene Anforderungen ohnehin möglich ist, muss die speziell auf Religions- und Welt­ an­schauungsgemeinschaften zugeschnittene Öffnungsklausel des Artikels  4 Abs. 2 ein darüber hinausgehendes Maß an Autonomie dieser Gemeischaften ermöglichen, was eine externe Beschränkung auf bestimmte Tätigkeiten gerade ausschließt. Dieser Befund wird dadurch gestützt, dass den in Artikel 4 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG bezeichneten Gemeinschaften nach dem zweiten Halbsatz der Regelung sogar weitergehend, und zwar ohne jeden objektivierbaren Tätigkeitsbezug (!), gestattet werden kann, von ihren Mitarbeitern ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Ethos zu verlangen. Ausschlaggebend ist insoweit allein der Ethos der entsprechenden Gemeinschaft. Eine weniger weitgehende Möglichkeit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen, die sich allein auf den religiösen Status beziehen, wäre vor diesem Hintergrund kaum verständlich.506 Dass der Unionsgesetzgeber eine solche intendiert haben könnte, erscheint aber auch unter teleologischen Gesichtspunkten nahezu ausgeschlossen. Hierfür ist es geboten, die besondere Situation von Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften als Arbeitgeber in den Blick zu nehmen. Durch ein Verbot der Diskriminierung wegen anderer Gründe als der Religion und Weltanschauung werden nur unternehmensbezogene Freiheitsrechte dieser Gemeinschaften beschränkt. Ein unterschiedslos an Religionsgemeinschaften gerichtetes Diskriminierungsverbot berührt dagegen zusätzlich das diesen Ge504 

Joussen, RdA 2003, 32, 37. In diesem Sinne Belling, NZA 2004, 885, 886; Dill, ZRP 2003, 318, 320; Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht und kirchliche Dienstgemeinschaft, S. 209; Joussen, RdA 2003, 32, 37; Rüfner, in: FS Krause, 2006, S. 283, 291; Hanau/Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht, S. 28 ff.; Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 2, 6; ders. bereits NZA 2002, 306, 312; wohl auch Reichold, NZW 2001, 1054, 1059. 506  Joussen, RdA 2003, 32, 37. 505 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

meinschaften jedenfalls in Deutschland verfassungsmäßig verbürgte Recht auf Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten (vgl. Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abbs. 3 WRV), welches die Europäische Union nicht antasten darf.507 Letzteres folgt aus dem durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Artikel 17 Abs. 1 AEUV, wonach die Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und nicht beeinträchtigt.508 Die Union hat danach auch die nationalen Besonderheiten der Religionsgemeinschaften zu achten („Einheit in Vielfalt“) und entsprechend differenzierte Maßnahmen zu ergreifen.509 Diesem Gebot trägt die in Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG vorgesehene spezielle Rechtfertigungsmöglichkeit religions- bzw. weltanschauungsbedingter Ungleichbehandlungen durch diese Gemeinschaften Rechnung, was sich auch Erwägungsgrund 24 entnehmen lässt. Dort heißt es unter Bezugnahme auf die dem heutigen Artikel 17 Abs. 1 AEUV zugrundeliegende Erklärung Nr. 11 des Vertrages von Amsterdam,510 dass „die Mitgliedstaaten spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen [können], die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können.“ Schon das Fehlen jedweden Bezugs auf „die Art der Tätigkeit“ legt nahe, dass eine Einschränkung der Öffnungsklausel des Artikels 4 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2000/78/EG auf bestimmte, verkündungsnahe Tätigkeit im Sinne eines Tendenzschutzes nicht intendiert war. Dieser Eindruck wird schließlich durch die Genese der Regelung untermauert.511 Während die den Mitgliedstaaten zugestandene Ausnahme­ regelung für Religions- und Weltanschauungsgemeinden im ersten Entwurf der Kommission auf bestimmte, ausdrücklich genannte verkündungsnahe Tätigkeiten beschränkt war,512 wurde im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsver507  Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 2, 6; zweifelnd hinsichtlich der Befugnis der Union zur Schaffung eines weit in den Rechtsraum der Kirchen eingreifenden Antidiskriminierungs-Regimes auch Joussen, RdA 2003, 32, 36, der insoweit neben der (noch nicht) rechtsverbindlichen Amsterdamer Kirchenerklärung (siehe dazu sogleich Fußnote 510) das in Artikel 6 Abs. 3 EUV a.F. (heute Artikel 4 Abs. 2 EUV) verankerte, an die Union gerichtete Gebot hervorhebt, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu respektieren. 508  Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 6. 509  Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Artikel 17 AEUV Rn. 4. 510  Erklärung Nr. 11 der Schlussakte des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften. 511  Ausführlich zur Genese des Artikels 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG Hanau/Thüsing, Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht, S. 28 ff.; Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht und kirchliche Dienstgemeinschaft, S. 210 ff. 512  Vgl. Artikel 4 Abs. 2 des Vorschlages für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, KOM (565) endgültig vom 25.11.1999, S. 22: „Mitgliedstaaten können in Bezug auf öffentliche und private Organisationen, die in den Bereichen der Religion oder des Glaubens im Hinblick auf Erziehung, Berichterstattung und Meinungsäußerung unmittelbar und überwiegend eine bestimmte weltanschauliche Tendenz verfolgen und innerhalb dieser Organi-

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fahrens von derartigen tätigkeitsbezogenen Beschränkungen – insbesondere auf Betreiben Irlands – schrittweise Abstand genommen. Der Unionsgesetzgeber eröffnet damit den Mitgliedstaten die Möglichkeit, das Maß der Öffnung von Religions- und Wertanschauungsgemeinschaften für konfessionsfremde Arbeitnehmer in die Hände dieser Gemeinschaften zu legen, sofern dies dem bisherigen nationalen Standard entspricht. An diesem auf Basis einer historisch-teleologischen Auslegung gewonnenen Befund zur Reichweite der Öffnungsklausel des Artikels 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG würde sich im Übrigen auch dann nichts ändern, wenn Artikel 17 AEUV selbst eine derart weitgehende Rücksichtnahme auf das nationale Kirchenrecht gar nicht fordern würde, der Unionsgesetzgeber mithin insoweit über das primärrechtlich gebotene Maß hinausgegangen wäre.513 Zwar ließe sich in diesem Falle das hier gefundene Auslegungsergebnis nicht zusätzlich über eine primärrechtskonforme Auslegung des Artikels 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/ EG begründen.514 Es bliebe aber die Erkennntis, dass der Unionsgesetzgeber mit der Schaffung dieser Regelung dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften entsprechend der mitgliedstaatlichen Traditionen auch im Bereich des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes Rechnung tragen wollte. Dieser gesetzgeberische Wille ist zu respektieren. Anders wäre dies allenfalls dann, wenn sich aus primärrechtlichen Vorgaben eine Pflicht des Unionsgesetzgebers zur Etablierung eines weitergehenden Diskriminierungsschutzes herleiten ließe, welcher dann wiederum über eine primärrechtskoforme Auslegung des Artikels 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG Rechnung zu tragen wäre. Eine solche Pflicht der Union zur Ausübung der Kompetenz des Artikels 19 AEUV existiert jedoch nicht. Sie kann insbesondere nicht aus Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch hergeleitet werden, da nach der hier vertretenen Auffassung ein Charta-­Grund­recht den dasselbe Grundrecht konkretisierenden und gegenüber den Mitgliedstaten aktivierenden Unionsgesetzgeber nicht über das von diesem vorgesehene Schutzniveau hinaus zu binden vermag.515 So wie der Unionsgesetzgeber Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vollständig vom Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots hätte

sationen spezieller beruflicher Tätigkeiten, die unmittelbar und überwiegend diesem Zweck dienen, vorsehen, dass eine unterschiedliche Behandlung dann keine Diskriminierung darstellt, wenn sie durch ein bestimmtes Merkmal begründet ist, das mit der Religion oder dem Glauben zusammenhängt, und wenn auf Grund der Eigenschaft dieser Tätigkeiten, dieses bestimmte Merkmal eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt.“ 513 Dies entspricht der Sichtweise von GA Tanchev, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-414/16, EU:C:2017:851 – Egenberger, Tz. 8 ff. zum Vorabentscheidungsersuchen des BAG vom 17. März 2016 – Az. 8 AZR 501/14. 514  Vgl. GA Tanchev, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-414/16, EU:C:2017:851– Egenberger, Tz. 81. 515  Siehe dazu eingehend oben Zweiter Teil, § 1 B. II. 3. b) bb).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

ausschließen können,516 musste es ihm auch möglich sein, insoweit nur einen graduell abgeschwächten Diskriminierungsschutz vorzusehen bzw. den Mitgliedstaaten insoweit einen weiteren Spielraum einzuräumen. Es bleibt damit bei der eingangs gewonnenen Erkenntnis, dass § 9 Abs. 1 AGG in Ausschöpfung des den Mitgliedstaaten in Artikel 4 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 2000/78/EG eröffneten Regelungsvorbehalts eine Rechtfertigung von religions- bzw. weltanschaungsbezogenen Ungleichbehandlungen allein auf der Basis eines subjektiv durch die entsprechenden Gemeinschaften festgelegten Anforderungsprofils ermöglicht. Die Berechtigung dieses Anforderungsprofils im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit unterliegt damit keiner gerichtlichen Kontrolle anhand objektiver Kriterien.517 Sehr wohl einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt dagegen die Frage, ob im Hinblick auf eine bestimmte Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit überhaupt ein durch den jeweiligen Ethos vorgegebenen Anforderungsprofil existiert518 und ob dieses in der Praxis tastsächlich in kohärenter Form angewandt wird. Darlegung und Beweis obliegen insoweit dem (kirchlichen) Arbeitgeber, der sich auf Artikel 9 Abs. 1 AGG berufen möchte. § 9 Abs. 1 AGG rechtfertigt allerdings nur Benachteiligungen wegen der Religion oder Weltanschauung. Eine Ungleichbehandlung wegen anderer Merkmale wie etwa der sexuellen Identität oder des Geschlechts kann dagegen grundsätzlich nur über § 8 Abs. 1 AGG im Rahmen eines bloßen Tendenzschutzes gerechtfertigt werden. Ein kirchlicher Arbeitgeber darf somit einen homosexuellen Bewerber um die Stelle eines Hausmeisters nicht allein im Hinblick auf dessen homosexuelle Neigung abweisen.519 Zwar lehnt die katholische Kirche nach ihrem Selbstverständnis Homosexualität nach wie vor kategorisch ab.520 Für die Tätigkeit eines Priesters erscheint ein homosexueller Bewerber daher bereits objektiv nicht qualifiziert, weil er die Botschaft der Kirche, welche die Ablehnung von Homosexualität mit einschließt, kaum glaubhaft verkünden könnte. Bei der Tätigkeit eines Hausmeisters handelt es sich hingegen um eine verkündungsferne Tätigkeit, für deren ordnungsgemäße Ausübung die sexuelle Identität des Arbeitnehmers nach objektiven Gesichtspunkten keine Rolle spielt. 516 

Diese Möglichkeit betont zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 5 f. Reichold NZA 2001, 1054, 1059, der die aus dem Ethos einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft fließenden Anforderungen an die Erfüllung einer bestimmten Tätigkeit lediglich einer eingeschränkten Verhältnismäßigkeitsprüfung unterziehen möchte (Geeignetheit und Angemessenheit ja, Notwendigkeit nein). 518  In diesem Sinne auch Kamanabrou, RdA 2006, 321, 328, die aber davon ausgeht, dass sich das Erfordernis einer bestimmten Religionszugehörigkeit nicht in Bezug auf sämtliche Beschäftigte eines kirchlichen Arbeitgebers aus dem Selbstverständnis der entsprechenden Religionsgemeinschaft herleiten lässt. 519  Insoweit zu Recht Kamanabrou, RdA 2006, 321, 328. 520  Siehe oben, Fußnote 138. 517 Einschränkend

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

327

Anders wäre der soeben gebildete Beispielsfall allerdings zu entscheiden, wenn der homosexuelle Bewerber seine Homosexualität praktizierte, etwa indem er eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit einem anderen Mann einginge. Zwar beinhaltet der Schutz vor Diskriminierung wegen verhaltensbezogener Merkmale, die dem Merkmalsträger nicht von Geburt anhaften, sondern vielmehr Ausfluss seiner persönlichen Präferenz sind, nach hier vertretener Auffassung den Schutz der Freiheit des Merkmalsträgers, sich entsprechend seiner Präferenz zu verhalten.521 Auf der Ebene der Rechtfertigung kommt hier allerdings speziell zugunsten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften § 9 Abs. 2 AGG ins Spiel, wonach die genannten Gemeinschaften von ihren Beschäftigten ungeachtet des Diskriminierungsverbots ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen können. Über § 9 Abs. 2 AGG, der auf Artikel 4 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2000/78/ EG zurückgeht, lassen sich, wie Thüsing zu Recht feststellt, damit auch Diskriminierungen wegen anderer Merkmale als Religion und Weltanschauung rechtfertigen, soweit der jeweilige Arbeitgeber hierbei nicht an den Status, sondern an das Verhalten des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers anknüpft.522 Bei der katholischen Kirche schließt ein aufrichtiges und loyales Verhalten die an homosexuelle Personen gerichtete Forderung ein, sich homosexuellen Verhaltens zu enthalten.523 Die Eingehung einer eingetragenen Lebensgemeinschaft ermöglicht daher die Kündigung von Bediensteten der katholischen Kirche und zwar unabhängig von ihrer konkreten Tätigkeit. Dies ist mit den Vorgaben des Artikels 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar.524 Zwar stellt Artikel 4 Abs. 2 S. 1 letzter HS klar, dass die erleichterte Möglichkeit der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen seitens Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften keine Ungleichbehandlung wegen anderer Gründe als der Religion und Weltanschauung rechtfertigt. Diese Aussage bezieht sich aber ersichtlich nur auf den ersten Satz des Artikels 4 Abs. 2 und nicht auf die erst im zweiten Satz in Bezug genommenen Loylitätspflichten. Nur diese Deutung wird auch Artikel 17 Abs. 1 AEUV gerecht, weil das Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften gerade auch die Möglichkeit einschließt, von ihren Beschäftigten ein

521 

Siehe oben A. II. 5. Thüsing, in: MüKoBGB, § 9 AGG Rn. 23; Joussen, RdA 2003, 32, 38; a.A. Belling, NZA 2004, 885, 886 f. und Kamanabrou, RdA 2006, 321, 328, wonach § 9 Abs. 2 AGG, anders als Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG, überhaupt keine Benachteiligungen mit einem Bezug zur sexuellen Identität erfassen soll. 523  So ist nach dem Katechismus der katholischen Kirche 1997, Nr. 2357 ff. (siehe bereits oben A. II. 5, Fußnote 138) „homosexuellen Menschen „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“ und sie sind nicht „ungerecht“ zurückzusetzen, so lange sie keusch bleiben. 524 Noch weitergehend Joussen, RdA 2003, 32, 38, der offenbar auch statusbezogene Ungleichbehandlungen wegen Homosexualität als von Artikel 4 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2000/78/EG gedeckt ansieht. 522 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

verkündigungsgerechtes Verhalten einzufordern und hiermit die Glaubwürdigkeit des Verkündungsauftrags zu wahren. Nach alldem statuiert § 9 Abs. 2 AGG im Einklang mit Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG ein weitgehendes Recht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, in ihrem Wirkungsbereich einen ihrem Selbstverständnis entsprechenden konfessionellen Status sowie ein konfessionsgemäßes Verhalten ihrer Beschäftigten durchzusetzen. Dieses Recht ist von funktionalen Notwendigkeiten entkoppelt, indem es auf die objektive Erforderlichkeit dieses Status oder Verhaltens für die Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit gerade nicht ankommt. § 9 AGG eröffnet damit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit präferenzbedingter Ungleichbehandlungen525 und stellt damit ein Kuriosum im Gefüge des Diskriminierungsschutzes dar. Dies mag in Zeiten offener und toleranter Gesellschaften anachronistisch anmuten und für die Betroffenen bisweilen die belastende Wahl zwischen freiheitswahrendem Verhalten und Erhalt des Arbeitsplatzes bedeuten.526 Dieser Umstand ist aber letztlich Ausfluss des den Religionsgemeinschaften im nationalen Recht vorbehaltenen und von der Union zu achtenden Selbstverwaltungsrechts und damit ebenso hinzunehmen, wie dies eine vollständige Ausnahme der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vom Diskriminierungsverbot gewesen wäre.

(3) Diskriminierungen wegen des Alters – Segmentierung des Arbeitslebens zum Wohle der Allgemeinheit oder des Arbeitgebers? Dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters kommt, wie bereits an anderer Stelle dargelegt,527 ein Sonderstatus unter den merkmalsbezogenen Diskriminierungsverboten zu, der in dem geringen Stigmatisierungsgehalt altersbedinger Ungleichbehandlungen seine Ursache hat. Jeder Mensch sieht sich auf der Zeitachse seines Arbeitslebens früher oder später einer Behandlung ausgesetzt, die an sein hohes oder geringes Alter anknüpft. Nicht Ausgrenzung steht damit im Fokus des Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters, sondern vielmehr die das Arbeitsverhältnis traditionell prägende, gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Segmentierung des Arbeitslebens in Zeitabschnitte. Diese Segmentierung des Arbeitslebens geht nur zu einem Teil vom Arbeitgeber aus, der als Ausfluss seiner Privatautonomie mit der Anknüpfung an das Alter als Ersatzkriterium (proxy) die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers sicherstellen 525 A.A. Grünberger, Personale Gleichheit, S. 675, wonach § 9 AGG, aus seiner Sicht konsequent, lediglich „intrinsische“ und damit letztlich statistische Diskriminierungen adressiert. 526  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 678, der diese Wahl für unzumutbar hält. 527  Siehe oben A. II. 6.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

329

will.528 Daneben sind es aber auch der Staat und die Tarifparteien, die mit nach dem Alter differenzierenden Regeln übergeordnete, am Allgemeinwohl orientierte Zielsetzungen verfolgen. Den Besonderheiten altersbedingter Ungleichbehandlungen soll § 10 AGG Rechnung tragen, der auf einen entsprechenden Regelungsvorbehalt in Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG zurückgeht. Unterschiedliche Behandlungen wegen des Alters sind demnach, unbeschadet einer Rechtfertigung nach § 8 AGG, auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. In § 10 S. 3 AGG werden Regelbeispiele für Ungleichbehandlungen aufgezählt, die nach Satz 1 der Vorschrift „insbesondere“ gerechtfertigt werden können. Genannt werden Zugangs- und Arbeitsbedingungen zur Förderung der Eingliederung Jugendlicher oder älterer Beschäftigter (Nr. 1), Mindest- und Höchtsaltersgrenzen (Nr. 2 und 3) oder die automatische Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu dem Zeitpunkt, in welchem Anspruch auf Altersrente besteht (Nr. 5). § 10 AGG scheint damit zwei wesentliche Weiterungen gegenüber dem allgemeinen Rechtfertigungsgrund in § 8 AGG zu enthalten. Die erste Weiterung betrifft die Motive, die eine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigen können. § 8 AGG adressiert mit seinem Abstellen auf berufliche Anforderungen lediglich Ungleichbehandlungen, die aus dem individuellen Interesse des einzelnen Arbeitgebers an der beruflichen Eignung des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit resultieren. § 10 S. 1 AGG fordert demgegenüber nur das Vorhandensein eines legitimen Zieles, bei welchem es sich ausweislich der Regelbeispiele in § 10 S. 3 AGG auch um Interessen der Allgemeinheit wie etwa die Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten handeln kann. Daneben scheint § 10 AGG, und hierin liegt die zweite vermeintliche Weiterung gegenüber § 8 AGG, dem einzelnen Arbeitgeber auch in Bezug auf die Verfolgung seiner individuellen, unternehmensbezogenen Interessen einen größeren Spielraum einzuräumen. Denn anders als § 8 AGG stellt § 10 AGG ja gerade nicht darauf ab, dass es sich bei dem Alter eines Stellenbewerbers oder Arbeitnehmers um eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung handeln muss. Die Norm scheint damit auch individuelle Interessen des Arbeitgebers außerhalb der beruflichen Eignung des Stellenbewerbers oder Arbeinehmers (etwa eine ausgewogene Altersstruktur im Unternehmen) zu adressieren und auch in Bezug auf die berufliche Eignung weniger strenge Anforderungen zu stellen. Ob § 10 AGG die Rechtfertigungsmöglichkeiten des einzelnen Arbeitgebers tatsächlich in der genannten Weise ausweitet, ist allerdings zweifelhaft und im Schrifttum seit jeher umstritten. Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die 528  Zur Heranziehung verbotener Merkmale als Ersatzkriterium für andere, vertragsrelevante Kriterien siehe bereits oben Einleitung § 2 B. I. 1.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Frage, ob unter dem legitimen Ziel im Sinne des § 10 AGG auch individuelle, unternehmensbezogene Ziele des einzelnen Arbeitgebers zu verstehen sind, oder ob im Rahmen des § 10 AGG nur am Gemeinwohl ausgerichtete Ungleichbehandlungen einem Rechtfertigungsdiskurs unterstellt werden. Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 AGG, wonach die Verfolgung eines „legitimen“ bzw. „rechtmäßigen“ Ziels erforderlich ist, erfasst unproblematisch auch solche eigennützigen unternehmensbezogene Ziele. Auch der Regierungsbegründung zum AGG lässt sich entnehmen, dass der deutsche Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Bestimmung legitimer Ziele nicht nur die Verwirklichung staatlich definierter Gemeinwohlbelange, sondern – sogar vorrangig – die Situation des einzelnen Unternehmens im Blick hatte.529 Die überwiegende Auffassung im Schrifttum geht dann auch davon aus, dass als legitimes Ziel im Sinne des § 10 AGG auch ein unternehmens- oder betriebsbezogenes Ziel des Arbeitgebers zu qualifizieren ist.530 Dieser Auffassung hatte sich zwischenzeitlich auch das BAG angeschlossen.531 Legitime unternehmensbezogene Ziele des Arbeitgebers sind nach dieser Sichtweise etwa die die Gewährleistung einer ausgewogenen Alters- und Personalstruktur,532 die Amortisation von Ausbildungskosten (vgl. § 10 S. 2 Nr. 3 AGG) oder das unternehmerische Ziel, bestimmte Arbeitnehmer durch freiwillige Leistungen an den Betrieb zu binden.533 Demgegenüber wird im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, dass unter „legitimen Zielen“ im Sinne des § 10 AGG nur Allgemeinwohlziele zu verstehen seien.534 Begründet wird diese restriktive Sichtweise mit dem vermeintlich engeren Anwendungsbereich des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/ EG, wonach als legitime Ziele insbesondere solche aus den Bereichen Beschäf529  Vgl. BT-Drs. 16/1780, S. 36: „Die Legitimität eines Zieles ist unter Berücksichtigung der fachlich-beruflichen Zusammenhänge aus Sicht des Arbeitgebers oder der Tarifvertragsparteien zu beurteilen. Dies können auch Ziele sein, die über die Situation eines einzelnen Unternehmens oder einer Branche hinausgehen und von allgemeinem Interesse sind, wie etwa Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung.“ 530 Ebenso Bauer/Krieger, AGG, § 10 Rn. 20, 20a; von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 218 ff.; Meinel/Heyn/Herms AGG § 10 Rn. 18; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 329; Schlachter, in: ErfK; § 10 AGG Rn. 2; Thüsing, in: MüKoBGB, §10 AGG Rn. 12; anders aber noch Wiedemann/ders., NZA 2002, 1234, 1237. 531  Grundlegend BAG, NZA 2009, 945 Tz. 53. In einer späteren Entscheidung aus dem Jahre 2010 hat das BAG die Frage, ob auch unternehmensbezogene Interessen ein legitimes Ziel im Sinne des § 10 S. 1 AGG darstellen, unter Verweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des EuGH in der Rechtssache Age Concern (siehe dazu sogleich) offengelassen, vgl. BAG NZA 2010, 561 Tz. 39. 532  So bereits BAG, NZA 2009, 361, Tz. 53, bestätigt in BAG NZA 2009, 945, Tz. 51. 533  BAG NZA 2006, 1217, Tz. 36 bestätigt in BAG NZA 2009, 945, Tz. 52. 534  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 10 Rn. 15; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 680. Nach Adomeit/Mohr, AGG, § 10 Rn. 39, sollen unternehmensbezogene Ziele zwar grundsätzlich ein legitimes Ziel darstellen können, wobei allerdings zwingend notwendig sei, dass diese Ziele vom Gesetzggeber als im Allgemeinwohlinteresse liegend anerkannt worden seien.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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tigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung in Betracht kommen.535 Die Wahl des Wortes „insbesondere“ durch den Unionsgesetzgeber zeige, dass andere Rechtfertigungen qualitativ den genannten entsprechen müssten. Auch spreche gegen die Qualifizierung eigennütziger Ziele als legitime Ziele im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie, dass diese Norm ausschließlich den Gesetzgeber bzw. oder die Sozialpartner zum Erlass diskriminierender Normen ermächtigen wolle, der aber selbst nur Gemeinwohlziele verfolgen könne.536 Der einzelne Arbeitgeber möge zwar – wie jeder andere Bürger – eine Ansicht zur Ausgestaltung des legitimen Ziels haben; ihm fehle es aber an gesetzlicher bzw. demokratischer Entscheidungskompetenz.537 Der zuletzt genannnten Auffassung ist jedenfalls darin beizupflichten, dass Maßstab für die Frage, welche Ziele eine Ungleichbehandlung wegen des Alters rechtfertigen können, nicht das deutsche Recht, sondern nur Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG sein kann. Und hier ergibt sich in der Tat ein deutlich diffuseres Bild als im nationalen Recht. Der Wortlaut des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG scheint auf den ersten Blick in Richtung einer Einbeziehung auch individueller Belange des Arbeitgebers zu deuten. So legt die Formulierung, wonach die Mitgliedstaaten eine Rechtfertigung von Diskriminierungen „vorsehen“ können, den Schluss nahe, dass hiermit auf Diskriminierungen Bezug genommen wird, die nicht bereits vom Gesetzgeber selbst, sondern von dritten Personen inklusive dem einzelnen Arbeitgeber ausgehen. Andernfalls hätte die Formulierung lauten müssen, dass der nationale Gesetzgeber selbst Unterscheidungen nach dem Alter treffen darf. Der Wortlaut liefert aber gleichwohl nur einen schwachen Beleg dafür, dass Artikel 6 Richtlinie 2000/78/EG auch die Verfolgung individueller Ziele durch einzelne Arbeitgeber adressiert, weil dieser Wortlaut ebenso gut für die gegenteilige Auffassung ins Feld geführt werden kann. So können die Mitgliedstaaten Ungleichbehandlungen wegen des Alters nur dann gestatten, wenn diese „im Rahmen des nationalen Rechts“ durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind. In der Bezugnahme auf das nationale Recht könnte man eine Beschränkung auf legislative Ungleichbehandlungen sehen, welche, worauf Brors hingewiesen hat,538 in anderen Sprachfassungen der Richtlinie sogar noch klarer zum Ausdruck kommt, indem insoweit von den „Motiven des Gesetzgebers“ die Rede ist.539 In dieselbe Richtung deutet Erwägungsgrund 25 der Richtlinie: Ungleichbehandlungen wegen des Alters 535 

536 

Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 10 Rn. 15. Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 10 Rn. 15; Grünberger, Personale Gleichheit,

S. 680. 537  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 10 Rn. 15; ähnlich Adomeit/Mohr, AGG, § 10 Rn. 39. 538  Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 10 Rn. 15. 539  Vgl. etwa die spanische Sprachfassung („motivos de edad“) oder die niederländische Sprachfassung („in het kader van de nationale wetgeving“).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

können danach unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein, und erfordern daher besondere „Bestimmungen“, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Adressiert Artikel 6 der Richtlinie also doch ausschließlich am Gemeinwohlziel orientierte legislative Ungleichbehandlungen? Hiergegen scheint wiederum zu sprechen, dass der Katalog der im Anschluss an die Generalklausel aufgeführten Regelbeispiele auch Ungleichbehandlungen benennt, die genuinen Interessen des Arbeitgebers entspringen.540 Denn welchem Ziel sollen Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter dienen (lit b), wenn nicht dem Interesse des Arbeitgebers an der Eignung des Stellenbewerbers für die von ihm zu verrichtende Aufgabe? Und wem ist an einer angemessenen Beschäftigungszeit der Arbeitnehmer vor dem Eintritt in den Ruhestand zur Amortisierung seines Ausbildungsaufwands (lit c) mehr gelegen, als dem Arbeitgeber, der diesen Aufwand getätigt hat? Alles in allem ergibt sich somit auf der Grundlage des Wortlauts und der Systematik der Richtlinie 2000/78/EG ein widersprüchliches Bild hinsichtlich der Art des legitimen Ziels, welches altersbedingte Ungleichbehandlungen seitens des Arbeitgebers zu rechtfertigen vermag. Diese vermeintliche Widersprüchlichkeit ist indes kein Zufall, sondern vielmehr Ausdruck eines mit der Bindung Privater an unionale Diskriminierungsverbote einhergehenden Kernproblems.541 Indem diese Verbote nämlich von ihrer ursprünglichen Konzeption her an die Mitgliedstaaten adressiert sind, knüpfen auch die im Unionsrecht vorgesehenen Möglichkeiten der Rechtfertigung von Verstößen gegen diese Verbote an die Verfolgung staatlicher Gemeinwohlziele an.542 Sollen nun Privatpersonen ebenfalls an diese Verbote gebunden sein, scheinen die auf staatliche Verbotsadressaten ausgerichteten Rechtfertigungsgründe nicht mehr recht zu passen.543 Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese Bindung nicht nur auf Verbände und sonstige intermediäre Gewalten mit quasi-staatlicher Regelungsfunktion, sondern auch auf einzelne Privatrechtsakteure erstreckt wird, wie dies der EuGH im Urteil Angonese in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit festgestellt hat.544 Denn der einzelne Arbeitgeber 540  Thüsing, in: MüKoBGB, § 10 AGG Rn. 12; von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 219. 541  Vgl. zur Bindung Privater an die Grundfreiheiten eingehend W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393 ff. 542 Ausdrückliche, an die Verfolgung von Gemeinwohlzielen anknüpfende Rechtfertigungsregelungen finden sich etwa in Artikel 36 AEUV (Warenverkehrsfreiheit), Artikel 45 Abs. 3 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit), Artikel 52 Abs. 1 AEUV (Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit). Darüber hinaus besteht im Hinblick auf Beschränkungen die Möglichkeit einer Rechtfertigung unter Berufung auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses (vgl. für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 – Cassis de Dijon), die der Gerichtshof, wenn auch unausgesprochen, zunehmend auch auf Diskriminierungen anwendet. 543  Zu diesem Problem W.-H. Roth, in: Festschrift Medicus, S. 393, 413. 544 EuGH, Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Tz. 30 ff. – Angonese.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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verfolgt bei der Definition seiner Einstellungspolitik regelmäßig keine Gemeinwohlbelange, sondern eigennützige Interessen, die wiederum Ausfluss seiner Privatautonomie sind. Die Anerkennung einer auch Privatpersonen in die Pflicht nehmenden gesellschaftlichen Konzeption von Gleichheit gerät somit, anders als die Bindung staatlicher Akteure, in einen unmittelbaren Konflikt mit der Privatautonomie des Verbotsadressaten, der im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen ist. Im Urteil Angonese hat der EuGH dieser Erwägung Rechnung getragen, inder er bereits „sachliche bzw. legitime Erwägungen“ genügen lässt, um die diskriminierende Einstellungspraxis eines einzelnen Arbeitnehmers zu rechtfertigen.545 Dem unterschiedlichen Rechtfertigungsstandard in Bezug auf private und staatliche Verbotsadressaten trägt auch die Ausgestaltung der Rechtfertigungsregeln in den Artikeln 4 Abs. 1 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/787EG Rechnung. Hort des Schutzes der Privatautonomie des einzelnen Arbeitgebers ist Artikel 4 der Richtlinie. Artikel 6 ermöglicht hingegen dem unmittelbar an die Vorgaben der Richtlinie gebundenen Privatrechtsgesetzgeber entgegen der h.M.546 in der Literatur die Verfolgung von Gemeinwohlzielen. Dies betrifft zum einen Ungleichbehandlungen durch den Gesetzgeber selbst, wie sie etwa den Urteilen Mangold und Kücüdeveci zu Grunde lagen.547 Zum anderen erfasst die in Artikel 6 der Richtlinie statuierte Möglichkeit der Rechtfertigung altersbedingter Diskriminierungen durch Gemeinwohlziele aber auch die Regelung der Bindung nichtstaatlicher Akteure an das Diskriminierungsverbot. Letzteres folgt aus der Formulierung, wonach die Mitgliedstaaten die Rechtfertigung von Diskriminierungen aus den genannten Gründen „vorsehen“ können. In Bezug auf kollektive Regelungen erscheint eine solche Delegation staatlicher Gemeinwohlwahrung angesichts der quasi-staatlichen Funktion der Sozialpartner wenig erstaunlich. Im Hinblick auf den einzelnen Arbeitgeber löst sie dagegen auf den ersten Blick Befremden aus. Denn beim einzelnen Arbeitgeber ist, wie Thüsing zu Recht feststellt, ein solcher Altruismus nur selten zu vermuten.548 Hierum geht es aber bei näherem Besehen auch gar nicht, denn die Möglichkeit der Rechtfertigung durch ein Gemeinwohlziel bedeutet in diesem Falle gerade nicht, dass der betroffene Arbeitgeber ein solches Ziel tatsächlich in seiner Person verfolgen muss, sondern nur, dass die Ungleichbehandlung durch den Arbeitgeber einem solchen Ziel objektiv dient. Das Gemeinwohlziel 545 EuGH,

Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Tz. 42, 44 – Angonese. von Hoff, Verbot der Altersdiskriminierung, S. 220; Sprenger, Altersdiskriminierung, S. 111; Waddington/Bell, CML Rev. 38 (2001), 587, 599; Thüsing, in: MüKoBGB, § 10 AGG, Rn. 12; Waltermann, NZA 2005, 1267; wohl auch Temming, Altersdiskriminierung, S. 507, der eine parallele Heranziehung von Artikel 4 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG für möglich hält: „Was anhand von Art. 4 Abs. 1 Rahmenrichtlinie gerechtfertigt werden kann, gelingt auch mit Hilfe von Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie. Jener ist in diesem enthalten.“ 547  Siehe hierzu oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. c) bb) (3). 548  Thüsing, in: MüKoBGB, § 10 AGG Rn. 12. 546 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

verfolgt insoweit nicht der Arbeitgeber, sondern der Gesetzgeber, der dem Arbeitgeber aus diesem Grunde bestimmte eigennützige Ungleichbehandlungen gestattet. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass der Katalog der Regelbeispiele für das Vorliegen eines legitimen Ziels auch genuin unternehmensbezogene Interessen des Arbeitgebers adressiert. Denn bei diesen Interessen des Arbeitgebers, wie etwa dem Interesse an einer Amortisation des eigenen Ausbildungsaufwands oder der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Bewerbers, kann es sich sehr wohl zugleich um Gemeinwohlinteressen handeln.549 Verwehrt man dem Arbeitgeber, über eine Höchstaltersgrenze für Neueinstellungen die Amortisation seines Ausbildungsaufwands zu gewährleisten, kann dies letztlich einen Rückgang der Bereitschaft zur unternehmensinternen Ausbildung mit sich bringen. Ein generelles Verbot von Altergrenzen zur Sicherstellung der Eignung des Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit kann bei gefahrsensiblen Tätigkeiten (Pilot, Feuerwehrmann) Risiken für Leib, Leben und Eigentum Dritter mit sich bringen und damit Gemeinwohinteressen tangieren. Derselbe Gleichlauf zwischen unternehmensbezogenen und Gemeinwohlinteressen lässt sich auch in Bezug auf arbeitgeberseitige Maßnahmen außerhalb des Regelbeispielskatalogs konstatieren. So liegt die Gewährleistung einer ausgewogenen Alterstruktur im Unternehmen nicht nur im Interesse des jeweils betroffenen Arbeitgebers, sondern sie dient zugleich der fairen Aufteilung der Ressource Arbeit über die Generationen, indem ältere Arbeitnehmer zu einem gesellschaftlich auszuhandelnden Zeitpunkt den Arbeitsmarkt verlassen und jüngere Arbeitnehmer nachrücken.550 Kann somit der nationale Gesetzgeber eine Rechtfertigung von eigennützigen Ungleichbehandlungen durch den Arbeitgeber vorsehen, sofern diese nur objektiv einem Gemeinwohlziel dienen, bleibt noch die Frage zu klären, ob der Gesetzgeber die Art der hiernach zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung zwingend selbst festlegen muss551 oder ob insoweit die Übernahme der Generalklausel aus der Richtlinie ausreichend ist.552 Nur letzteres vermag zu überzeugen. Die Gegenauffassung, wonach nur solche Ziele ein legitimes Ziel im Sinne des § 10 AGG darstellen könnten, die zuvor vom Gesetzggeber als im Allgemeinwohlinteresse liegend anerkannt worden seien,553 beruht dagegen auf der Fehlvorstellung, Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG ermögliche eine Delegation der Verfolgung von Gemeinwohlzielen an den (altruistisch eingestellten) Arbeitgeber. Hierum geht es aber gerade nicht. Die Motivation des Arbeitge549 Ebenso Bauer/von Medem, NZA 2012, 945, 949 unter Verweis auf die Rechtsprechung des BAG und des BGH; Lindemann, in: Hey/Forst, AGG, § 10 Rn. 10. 550 Ähnlich Grünberger, Personale Gleichheit, S. 697. 551 So Adomeit/Mohr, AGG, § 10 Rn. 10. 552  So in Bezug auf § 10 AGG BAG, NZA 2013, 491; Lindemann, in: Hey/Forst, § 10 Rn. 10. 553  Adomeit/Mohr, AGG, § 10 Rn. 10.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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bers spielt für die Rechtfertigung von ihm ausgehender Ungleichbehandlungen keine Rolle, sofern hierdurch nur objektiv ein Gemeinwohlziel gefördert wird. Von daher wird dem Arbeitgeber auch nicht, wie von Brors befürchtet,554 eine nicht demokratisch legitimierte Entscheidungskompetenz darüber eingeräumt, welche Ziele als legitime Ziele im Sinne der Richtlinie anzusehen sind. Denn jede konkrete Maßnahme des Arbeitgebers steht ja selbst wiederum unter der Kontrolle der nationalen Gerichte, denen, gegebenenfalls nach vorheriger Befassung des EuGH, die Letztentscheidung darüber obliegt, ob die konkrete vom Arbeitgeber vorgenommene Anknüpfung an das Alter objektiv einem Gemeinwohlziel im Sinne der Richtlinie dient. Nach alldem lässt sich festhalten, dass es sich bei dem von Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genannten legitimen Ziel tatsächlich um ein Gemeinwohlziel handeln muss. Adressat im Hinblick auf die Verfolgung eines solchen Gemeinwohlziels ist aber ausschließlich der nationale Gesetzgeber, der unter Berufung auf dieses Ziel Ungleichbehandlungen seitens einzelner Arbeitgeber, die zur Erreichung dieses Ziels objektiv geeignet, erforderlich und angemessen sind, gestatten darf. Die Festlegung, welche Ziele insoweit als legitim anzusehen sind, muss der nationale Gesetzgeber nicht selbst treffen, sondern es genügt insoweit die Übernahme der Generalklausel aus der Richtlinie. Ob auch der EuGH diese Sichtweise teilt, ist freilich zweifelhaft. Maßgeblich sind insoweit die Aussagen, die der Gerichtshof im Urteil Age Concern aus dem Jahre 2009 getroffen hat.555 In diesem Urteil hatte der Gerichtshof über die Unionsrechtskonformität einer englischen Vorschrift (Regulation 3, Employment Equality [Age] Regulations 2006, SI 1031/2006) zu befinden, nach der eine Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters keine Diskriminierung darstellt, wenn nachgewiesen wird, dass es sich bei ihr um ein verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels handelt. Das vorlegende Gericht hatte dem Gerichthof insoweit die Frage vorgelegt, ob Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen ist, dass er von den Mitgliedstaaten verlangt, diejenigen Arten von Ungleichbehandlungen aus Gründen des Alters, die nicht vom Diskriminierungsverbot erfasst werden, durch eine Aufzählung oder sonstige Maßnahme zu definieren, die nach Form und Inhalt Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie entspricht? Der Gerichtshof hat dies verneint,556 zugleich aber festgestellt, dass Ziele nur dann als „rechtmäßig“ im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden könnten, wenn es sich hierbei um „sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung handele“.557 Rein individuelle Beweggründe des Arbeitgebers, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbs554 

Brors, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 10 Rn. 15. Rs. C-388/07, Slg. 2009, I-1569 – Age Concern. 556 EuGH, Rs. C-388/07, Slg. 2009, I-1569, Tz. 44 – Age Concern. 557 EuGH, Rs. C-388/07, Slg. 2009, I-1569, Tz. 46 – Age Concern. 555 EuGH,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

fähigkeit, seien hiervon nicht erfasst, ohne dass allerdings ausgeschlossen werden könne, dass eine nationale Rechtsvorschrift bei der Verfolgung der genannten rechtmäßigen Ziele den Arbeitgebern einen gewissen Grad an Flexibilität einräume.558 Diese Aussage, die der EuGH in nachfolgenden Urteilen wiederholt hat,559 deckt sich nur teilweise mit der hier vertretenen Ansicht zur Beschaffenheit des legitimen Ziels in Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG. Zwar scheint auch der Gerichtshof – anders als Teile des Schrifttums – davon auszugehen, dass die Ermächtigungsvorbehalt des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/ EG im Prinzip auch Diskriminierungen durch private Arbeitgeber erfasst und damit nicht ausschließlich der Rechtfertigung legislativer Diskriminierungen dient. Auch teilt der Gerichtshof die hier vertretene Auffassung, wonach der nationale Gesetzgeber in Bezug auf private Diskriminierungen keine eigenständige Definition der legitimen Ziele vornehmen muss, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Es genügt mithin auch eine Übernahme der Generalklausel aus Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie den Anforderungen dieser Norm. Nicht zu beanstanden ist im Kern auch die Aussage, wonach es sich bei dem von Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie geforderten legitimen Ziel um ein „sozialpolitisches Ziel“ handeln muss. Dies gilt aber nur dann, wenn Adressat dieses Gebots nach der Sichtweise des Gerichtshofs der Gesetzgeber und nicht der einzelne Arbeitgeber sein soll. Hieran bestehen aber Zweifel, weil der Gerichtshof den von ihm für notwendig erachteten sozialpolitischen Zielen „rein individuelle Beweggründe des Arbeitgebers“ gegenüberstellt. Entscheidend ist somit aus Sicht des Gerichtshofs die Motivation des Arbeitgebers und nicht die des nationalen Gesetzgebers. Diese Vermutung wird erhärtet durch die nachfolgende Aussage, wonach den Arbeitgebern insoweit ein gewisser Grad an Flexibilität einzuräumen sei. Damit deutet vieles darauf hin, dass der EuGH in Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG eine Ermächtigung an die Mitgliedstaaten sieht, neben den Sozialpartnern auch den einzelnen Arbeitgeber zu altruistisch motivierten Ungleichbehandlungen zu legitimieren. Dies will angesichts der unterschiedlichen Rolle, die den Sozialpartnern und dem einzelnen Arbeitgeber insoweit zukommt, nicht einleuchten. Denn während die Sozialpartner das einzelne Arbeitsverhältnis – ähnlich dem Gesetzgeber – von außen durch Setzung abstrakt-genereller Regeln gestalten und insoweit auch Gemeinwohlbelange verfolgen, macht der einzelne Arbeitnehmer im Rahmen des Abschlusses von Arbeitsverträgen nur Gebrauch von seiner Privatautonomie und verfolgt damit regelmäßig individuelle, unternehmensbezogene Ziele. Käme es hier auf eine altruistische Motivation gerade des Arbeitgebers an, ließe sich nicht erklä558 EuGH,

Rs. C-388/07, Slg. 2009, I-1569, Tz. 46 – Age Concern. Vgl. nur EuGH, Rs. C-88/08, Slg. 2009, I-5325, Tz. 41 – Hütter; EuGH, Rs. C-447/09, EU:C:2011:573, Tz. 80 f. – Prigge. 559 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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ren, warum die Regelbeispiele auch genuin unternehmensbezogene Interessen adressieren. Zudem käme eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen, die von einzelnen Arbeitgebern ausgehen, nach dieser Regelung allenfalls dann in Betracht, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um einen staatlichen Arbeitgeber handelt. Selbst wo eine solche altruistische Motivation des einzelnen Arbeitgebers ausnahmsweise vorliegen mag, ist zudem eine weitere gegenständliche Einschränkung zu beachten, die der EuGH im Urteil Age Concern vorgenommen hat. Es genügt nämlich, wie bereits gesehen, bei weitem nicht jedes Gemeinwohlziel den Anforderungen an ein legitimes Ziel im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, sondern es muss sich hierbei vielmehr um ein sozialpolische Ziel, etwa aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung handeln. Leitmotiv einer Rechtfertigung altersbedingter Ungleichbehandlungen nach dieser Norm ist somit im weitesten Sinne die gerechte Verteilung des Faktors Arbeit über die Generationen. Andere, ebenfalls mit dem Alter verknüpfte Allgemeinwohlbelange, wie etwa Sicherheitsapekte, spielen insoweit keine Rolle. Dies hat der EuGH im Urteil Prigge im Hinblick auf die Flug­ sicherheit ausdrücklich festgestellt.560 Im nachfolgenden Urteil Wolf, wo sich die gleiche Frage im Hinblick auf eine Höchstaltersgrenze für die Einstellung in die Laufbahn des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes stellte, hat der Gerichtshof eine Rechtfertigung nach Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG nicht einmal erwogen, obwohl das vorlegende deutsche Gericht genau danach gefragt hatte.561 Man muss hierin aber wohl einen klaren Hinweis sehen, dass der Gerichtshof die Gewährleistung der beruflichen Eignung von Feuerwehrleuten und die dahinter stehenden Sicherheitsaspekte ebenfalls nicht als legitimes Ziel im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie einstuft.562 In einem solchen Fall bleibt nur die Prüfung einer Rechtfertigung am Maßstab des Artikels 4 Abs. 1 der Richtlinie, die der Gerichtshof im Urteil Wolf dann auch ungefragt vornimmt.563 Die insoweit an den Tag gelegte Vorgehensweise des EuGH genügt allerdings kaum den strengen Anforderungen dieser Norm.564 So hält der Gerichtshof die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung in die Laufbahn des mittleren feuerwehrtechnischen Dienstes auf 560 EuGH,

Rs. C-447/09, EU:C:2011:573, Tz. 82 – Prigge. Rs. C-229/08; Slg. 2010, I-1 – Wolf. 562 So Grünberger, Personale Gleichheit, S. 680. 563  Zu den Gründen für die eigenmächtige Erweiterung des Vorlagebegehrens schweigt sich der Gerichtshof aus. Die in Tz. 31 gegebene Standarderklärung, dass sich der Gerichtshof nach seiner eigenen ständigen Rechtsprechung nicht daran gehindert sehe, dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, ersetzt nicht die Feststellung, warum im vorliegenden Fall Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, nicht aber Artikel 6 der gleichen Richtlinie einschlägig sein soll. 564  Siehe dazu oben (1) (a). 561 EuGH,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

30 Jahre für gerechtfertigt, wenn hierdurch gewährleistet werden soll, dass die diesem Dienst angehörenden Beamten mehrheitlich in der Lage sind, die körperlich anspruchsvollen Aufgaben zu erfüllen und daher jünger sein müssen als 45 oder 50 Jahre.565 Der EuGH lässt hierbei allerdings unberücksichtigt, dass die konkret festgesetzte Altergrenze auf einer Prognose über die Leistungsfähigkeit von Feuerwehrleuten beruht, die sich letztlich auf statistische Erfahrungswerte gründet. Das Lebensalter dient hier als Ersatzkriterium (proxy) für die Eignung, so dass sich auf der Rechtfertigungsebene die Frage des milderen Mittels in Form individueller Eignungstests gestellt hätte.566 Der EuGH hat eine solche Alternative indes nicht einmal erwogen und damit letztlich im Anwendungsbereich des Artikels 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG speziell für altersbezogene Eignungsfeststellungen einen hinter den üblichen Anforderungen zurückbleibenden Rechtfertigungsstandard etabliert567 In der Sache mag dies in der Tat geboten sein, nur wäre wohl Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG der geeignetere Ort, solchen Spezifika altersbedingter Segmentierungen des Arbeitslebens gerecht zu werden. Alles in allem bleiben hinsichtlich der Haltung des EuGH zum Regelungsgehalt des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/ EG und zum Verhältnis dieser Vorschrift zu Artikel 4 Abs. 1 derselben Richtlinie viele Fragen offen.568

bb) Allgemeines Zivilrecht Für das in § 2 AGG statuierte und in § 19 AGG konkretisierte Verbot merkmalsbezogener Diskriminierungen im allgemeinen Zivilrechtsverkehr begnügt sich das AGG mit nur einem, sehr weit gehaltenen Rechtfertigungsgrund. Dieser ist in § 20 AGG geregelt. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen finden sich in § 20 Abs. 1 AGG, während § 20 Abs. 2 AGG Sonderregeln hinsichtlich der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen der Schwangerschaft und für Ungleichbehandlungen im Versicherungswesen enthält. § 20 AGG ist nur in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen durch die Vorgaben der Richtlinie 2004/113/EG unionsrechtlich überlagert. Hinsichtlich der Etablierung einer Rechtfertigungsmöglichkeit für Ungleichbehandlungen wegen der anderen Merkmale (mit Aus565 EuGH,

Rs. C-229/08; Slg. 2010, I-1 – Wolf. Kritisch insoweit auch Thüsing, in: MüKoBGB, § 8 AGG Rn. 21; zur Vorzugswürdigkeit von Eignungstests unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit siehe oben (1) (1a). 567  Ein Stufenverhältnis zwischen der Rechtfertigung nach Artikel 4 Abs. 1 und Artikel 6 der Richtlinie sehen auch Adomeit/Mohr, AGG, § 10 Rn. 23, wonach die Höchstaltersgrenze aufgrund des strengeren Prüfungsmaßstabs des Artikels 4 Abs. 1 der Richtlinie erst Recht auf Grundlage von Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie zulässig war. 568  Zu Friktionen mit der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im allgemeinen Zivilrecht (Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen) siehe unten bb) (3). 566 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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nahme der Rasse und der ethnischen Herkunft), für die das Unionsrecht keinen allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsschutz vorgibt, hatte der Gesetzgeber dagegen freie Hand.569 Eine Ausnahme gilt im Hinblick auf Ungleichbehandlungen wegen der Rasse und ethnischen Herkunft: Hier stehen die Vorgaben der Richtlinie 2000/43/EG, die insoweit keine Rechtfertigung vorsieht, der Etablierung eines Rechtfertigungsgrundes im nationalen Recht entgegen.

(1) Sachlicher Grund Nach § 20 Abs. 1 S. 1 AGG ist eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt. S. 2 enthält vier Regelbeispiele, die eine Orientierung darüber geben, um welche Art von Gründen es sich hierbei handeln könnte. In Betracht kommt aber letztlich jedes nachvollziehbare Motiv. Hierbei wird es sich zumeist um wirtschaftliche Motive handeln; die Verfolgung altruistischer Motive ist allerdings ebenso Bestandteil der Privatautonomie und damit ebenso erfasst. Ein Blick auf die einzelnen Regelbeispiele des S. 2 legt auf den ersten Blick sogar nahe, dass altruisitischen Motiven eine besondere Bedeutung bei der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im allgemeinen Zivilrechtsverkehr gemäß § 20 Abs. 1 AGG zukommen könnte. Immerhin geht es hier um die Vermeidung und Verhütung von Gefahren (Nr. 1), den Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit (Nr. 2) oder die Gewährung von Vorteilen (Nr. 3). Von dem vermeintlich altruistischen Charakter der Regelbeispiele darf man sich indes nicht täuschen lassen; stehen doch, wie sogleich näher auszuführen sein wird, hinter der Berücksichtigung der Interessen des potentiellen Vertragspartners genuin wirtschaftliche Interessen des Anbieters von Gütern und Dienstleistungen, die damit letztlich auch im Rahmen des § 20 GG dominieren. Ein klassisches wirtschaftliches Motiv der Parteien eines Vertragsanbahnungsverhältnisses ist die Sicherstellung bestimmter Eigenschaften der Person des Vertragspartners, welche sich auf die Bereitschaft zum Vertragsschluss oder die Höhe der Gegenleistung auswirken können. Die Fähigkeit des Vertragspartners, die von ihm geschuldete Leistung ordnungsgemäß zu erbringen, steht allerdings im allgemeinen Zivilrecht weit weniger im Vordergrund als im Arbeitsrecht, da es der Anbieter von Gütern und Dienstleistungen selber ist, der die vertragscharakteristische Leistung erbringt, während der Vertragspartner regelmäßig nur Geld schuldet. Hier beschränkt sich das Interesse des Anbieters der vertragscharakteristischen Leistung im Wesentlichen auf die Sicherstellung der Bonität des Vertragspartners, soweit dieser die Geldleistung nicht, wie bei zahlreichen Geschäften des täglichen Lebens, in bar zu erbringen hat. 569 

Thüsing, in: MüKoBGB, § 20 AGG Rn. 1.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

Größere Bedeutung kommt den Eigenschaften des Vertragspartners daher vor allen bei der Begründung von Dauerschuldverhältnissen wie etwa Miet-, Kredit und Versicherungsverträgen zu. Hier besteht zum einen ein Interesse des Anbieters der vertragscharakteristischen Leistung, die Bonität des potentiellen Vertragspartners über die gesamte Laufzeit des Vertrages sicherzustellen. Zum anderen können im Hinblick auf die dauerhafte Bindung der Vertragspartner auch andere persönliche Eigenschaften des Vertragspartners eine gewisse Rolle für den Abschluss, inhaltliche Ausgestaltung oder Beendigung des Vertrages spielen. Letzteres trifft allerdings niemals für Massengeschäfte zu, da hier der Vertragsschluss ohne Ansehen der Person erfolgt. Eine beschränkte Bedeutung kann persönlichen Eigenschaften des Vertragspartners hingegen bei massengeschäftsähnlichen Verträgen zukommen. So ist etwa dem Vermieter häufig an der Sicherstellungen bestimmer persönlicher Eigenschaften des Mieters wie etwa Sauberkeit, Einhaltung der Ruhezeiten aber auch etwa an der Verträglichkeit mit anderen Mietern gelegen, wobei die Relevanz der genannten Eigenschaften in einem antiproportionalen Verhältnis zur Zahl der vermieteten Wohnungen steht.570 Eine geradezu herausragende Bedeutung kommt den persönlichen Eigenschaften des Vertragspartners aber beim Versicherungsvertrag zu, wo etwa die Gesundheit, voraussichtliche Lebensdauer oder Risikobereischaft des Versicherten (etwa als Kraftfahrer) maßgeblichen Einfluss auf die Kalkulation der Versicherungstarife (Prämien und Leistungen) haben. Neben der Sicherstellung persönlicher Eigenschaften beim Vertragspartner kommen auch andere wirtschaftliche Belange des Anbieters von Gütern oder Dienstleistungen in Betracht. Zu nennen ist hier etwa das Anstreben einer möglichst langen Vertragslaufzeit durch Vermieter von Wohnraum oder Mobilfunkanbieter, welches unter Umständen die Weigerung des Abschlusses eines solchen Vertrages mit älteren Personen rechtfertigen kann. Ein weiteres Motiv kann die Vermeidung von Kosten sein, die im Zusammenhang mit der Warnehmung eines Angebots durch bestimmte Personengruppen bestehen. Hier muss der Anbieter von Dienstleistungen regelmäßig gewisse Sicherheitsstandards einhalten, welche es etwa rechtfertigen, Behinderten oder älteren Personen den Zugang zu einer Achterbahn oder auch einer Aussichtsplattform zu verweigern. Theoretisch mag es hier möglich sein, die in Rede stehende Leistung mit einem höheren Aufwand, zum Beispiel dem Einbau höherer Sicherheitsgeländer oder einer Aufstockung des Sicherheitspersonals, auch den genannten Personengruppen gegenüber zu erbringen. Das Regelbeispiel des § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AGG, wonach eine unterschiedliche Behandlung zur Vermeidung von Gefahren oder der Verhütung von Schäden möglich ist, setzt der aus dem Diskriminierungsverbot folgenden Pflicht zur Aufrechterhaltung des Angebots unter Tragung des zusätzlichen (Kosten-)Aufwands jedoch Grenzen. Der Anbieter 570 

Looschelders, JZ 2012, 105, 108; Thüsing, in: MüKoBGB, § 19 AGG Rn. 44.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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der Leistung kann vielmehr im Hinblick auf die Gefahr- und Schadensvermeidungskosten die Erbringung der Leistung an die genannte Personengruppe entweder vollständig verweigern oder von der Zahlung eines höheren Entgelts abhängig machen. Hier wird, wie bereits angedeutet, kein altruistisches Motiv des Anbieters der Dienstleistung adressiert, sondern ein wirtschaftliches. Ihre Grenzen findet die Berücksichtigung eines mit der Leistungserbringung an Merkmalsträger verbundenen Mehraufwands allerdings nach § 20 Abs. 2 S. 1 AGG, sofern dieser Mehraufwand auf die Schwangerschaft oder Mutterschaft der Leistungsempfängerin zurückzuführen ist. In diesem dem Leistungserbringer abverlangten Sonderopfer manifestiert sich, wie bereits beim beschäftigungsbezogenen Diskriminierungsverbot, der besondere Schutzstatus, welchen die (Unter-)Merkmale Schwangerschaft und Mutterschaft im Rahmen des Antidiskriminierungsrechts genießen.571 Ein vergleichbarer Schutzstatus für Behinderte exitiert dagegen im Rahmen des allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots nicht. Insbesondere fehlt es hier mangels unionsrechtlicher Unterfütterung an einer Artikel 5 der Richtlinie 2000/78/EG vergleichbaren Vorschrift, welche den Anbieter der Dienstleistung zur Vornahme von Anpassungsmaßnahmen verpflichten und den Rechtsanwender zu einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts zwingen würde. Im Rahmen des derzeit nicht weiter verfolgten Entwurfs der Kommission vom 2.7.2008 für eine Richtlinie zur Etablierung eines das allgemeine Zivilrecht (Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen) betreffenden Verbotes von Diskriminierungen wegen der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung ist eine solche Verpflichtung indes vorgesehen.572 Nicht zuletzt diese Verpflichtung und die damit einhergehende finanzielle Belastung für kleine und mittlere Unternehmen waren bisher der Grund für den fortwährenden Widerstand der Bundesrepublik und weiterer Mitgliedstaaten gegen die Verabschiedung des Entwurfs.573 Wirtschaftliche Notwendigkeiten zur unterschiedlichen Behandlung von Merkmalsträgern können sich schließlich auch unmittelbar anhand eines bestimmten Geschäftsmodells ergeben, welches darauf angelegt ist, Güter und Dienstleistungen nur bestimmten Personengruppen zur Verfügung zu stellen. Zu nennen sind insoweit etwa Fitness-Studios nur für Frauen sowie bestimmte Szene-Lokale, die nur einer bestimmten, nach persönlichen Merkmalen definierten Klientel (Homosexuelle) offenstehen. Ausschlaggebend für die Etablierung eines auf Ausschluss von Merkmalsträgern ausgerichteten Geschäftskon571 

Siehe oben aa) (1) (c). Artikel 4 des Vorschlages für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, KOM(2008) 426 endgültig. 573  Siehe oben Zweiter Teil § 1 A. II. 2. c) bb). Zu den ökonomischen Auswirkungen vgl. Vandenberghe, ZEuP 2011, 235, 253 ff. 572 Vgl.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

zepts ist regelmäßig die Reaktion auf tatsächlich geäußerte oder antizipierte Kundenpräferenzen. Im Hinblick auf die Beachtlichkeit solcher Präferenzen stellen sich letztlich dieselben Probleme wie beim arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot. Im Grundsatz gilt auch hier, dass die Ausrichtung an den Wünschen des Marktes die Quintessenz jeder wirtschaftlichen Tätigkeit darstellt und damit von der Privatautonomie umfasst ist. Auf der anderen Seite gilt es zu verhindern, dass über den Transmissionsriemen der Wirtschaftlichkeit solche Vorurteile und stereotype Eigenschaftszuweisungen der Kunden perpetuiert werden, die das Antidiskriminierungsrecht gerade zu verhindern trachtet. Mit anderen Worten: Es kommt auch hier letztlich auf die Sozialadäquanz der vom Adressaten des Diskriminierungsverbots bedienten Kundeninteressen an. Es gilt diesbezüglich derselbe Standard wie beim beschäftigungsbezogenen Diskriminierungsverbot.574 Als sozialadäquat ist etwa das Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit zu werten. Dies folgt unmitelbar aus dem Regelbeispiel in § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, wonach die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen diesem Bedürfnis durch eine Ungleichbehandlung von Merkmalsträgern Rechnung tragen dürfen. Frauenparkplätze in Parkhäusern lassen sich vor diesem Hintergrund unproblematisch rechtfertigen. Auch das Angebot der Erbringung weiterer Dienstleistungen nur an Frauen, wie etwa die Mitgliedschaft in entsprechend spezialisierten Fitnessstudios, könnte noch unter diese Gruppe fallen. Ausschlaggebend für die Beschränkung des Angebots dürfte hier aber regelmäßig nicht (allein) der Schutz von Frauen vor Belästigungen durch Männer sein, sondern eher der Wunsch nach unverkrampfter Entfaltung der Persönlichkeit oder gar die Vermittlung eines Gefühls der Exklusivität. Die Bedienung des Wunsches nach Exklusivität steht etwa im Vordergrund beim Betrieb von Szenelokalen, die auschließlich einer bestimmten Klientel, etwa bekennenden Homosexuellen, offenstehen. Auch hiergegen bestehen im Grundsatz keine Bedenken, soweit das Gefühl der Exklusivität nur von dem Wunsch des Ungestörtseins getragen ist, erscheint doch der Wunsch, einen Teil seiner Freizeit mit Menschen ähnlicher kultureller oder sozialer Prägung zu verbringen auch in einer pluralistischen Gesellschaft durchaus legitim. Es sind gerade diese gesellschaftlich akzeptierten Rückzugsräume, welche das Antidiskriminierungsrecht im Grundsatz nicht antasten will, was sich bereits im Ausschluss der Privatsphäre vom Diskriminierungsverbot manifestiert. Die Bedienung des Wunsches solcher erweiterten Privaträume muss bis zu einem gewissen Grad auch im semi-öffentlichen Bereich grundsätzlich möglich sein. Die Grenzlinie zwischen dem gesellschaftlich tolerablen Wunsch nach Ungestörtsein und dem nicht mehr tolerablen Wunsch nach Ausgrenzung von Merkmalsträgern ist freilich schwer zu ziehen. So erscheint es akzeptabel, wenn auch grenzlastig, dass der Betreiber eines „Wellness-Hotels“ zur Gewährleistung der 574 A.A.

Thüsing, in: MüKoBGB, § 20 AGG Rn. 20.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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optimalen Erholung seiner Gäste keine Familien mit (kleinen) Kindern aufnimmt. Ließe sich selbiges aber auch vertreten, wenn derselbe Hotelbetreiber die Beherbergung oder Bewirtung behinderter Menschen mit dem Hinweis verweigerte, dass sich seine Gäste durch die Anwesenheit behinderter Personen gestört fühlen? Immerhin haben deutsche Gerichte noch bis ins Jahr 1993 in der Anwesenheit von Behinderten am Reiseort einen Reisemangel gesehen.575 Der insoweit erfolgte – begrüßenswerte – Wandel der Rechtsauffassung lässt sich auf die Frage nach der Sozialadäquanz einschlägiger Kundenwünsche im Rahmen des Antidiskriminierungsrechts übertragen: Sie ist zu verneinen.

(2) Verhältnismäßigkeit als ungeschriebenes Merkmal Nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 1 AGG genügt für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nach dieser Vorschrift allein das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Weitere Voraussetzungen werden nicht genannt. Besonders auffällig ist das Fehlen eines Verhältnismäßigkeitserfordernisses, wie es die anderen Rechtfertigungsgründe des AGG kennzeichnet. Teile des Schrifttums wollen dann auch im Rahmen des § 20 AGG auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ganz allgemein576 oder jedenfalls auf eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung577 verzichten. Dies erscheint im Einklang mit der ganz h.M. nicht überzeugend,578 und das gleich aus mehreren Gründen: Zum einen wäre die Ausgestaltung als reines Willkürverbot in Bezug auf geschlechtsbezogene Ungleichbehandlungen nicht mit den Vorgaben des Artikels 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/113/EG vereinbar, wonach eine unterschiedliche Behandlung nicht ausgeschlossen ist, wenn es durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, die Güter und Dienstleistungen ausschließlich oder vorwiegend für die Angehörigen eines Geschlechts bereitzustellen, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.579 Eine unionsrechtskonforme Auslegung des Merkmals „sachlicher Grund“ muss diesen Vorgaben dahingehend Rechnung tragen, dass jedenfalls Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts zu ihrer Rechtfertigung nicht nur eines sachlichen Grundes bedürfen, sondern zudem verhältnismäßig sein müssen. Für die anderen Diskriminierungsgründe 575  LG Frankfurt, NJW 1980, 169 ff.; AG Flensburg, NJW 1993, 272; a.A. heute dagegen die ganz h.M. in Rechtsprechung und Literatur, vgl. AG Kleve, NJW 2000, 84, zuletzt AG München, Urteil vom 1.12.2011, Az. 223 C 17592/11; aus dem Schrifttum statt vieler Welti, Behinderung und Rehabilitation, S. 730 m.w.N. 576  Bauer/Krieger, AGG, § 20 Rn. 6. 577  Adomeit/Mohr, AGG, § 20 Rn. 20. 578  Armbrüster, in: Erman, § 20 AGG Rn. 4; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 697; Schiek, in: Schiek, AGG, § 20 Rn. 2; Thüsing, in: MüKoBGB, § 20 AGG Rn. 12; Weimann, in: Hey/Forst, AGG, § 20 Rn. 17 ff. 579 Ebenso Thüsing, in: MüKoBGB, § 20 AGG Rn. 11; Weimann, in: Hey/Forst, AGG, § 20 Rn. 18.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

kann aber letztlich nichts anderes gelten, da der deutsche Gesetzgeber mit der überschießenden Umsetzung der Richtlinie 2004/113/EG zu verstehen gegeben hat, dass er insoweit eine einheitliche Lösung anstrebt.580 Eine gespaltene Auslegung des § 20 Abs. 1 AGG kommt mithin nicht in Betracht.581 Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BGH, der im Hinblick auf die Definition des Merkmals Alter ebenfalls eine gespaltene Auslegung abgelehnt hat.582 Ein Verzicht auf das Verhältnismäßigkeitserfordernis stünde zudem im Widerspruch zur dogmatischen Struktur von Gleichheitsgeboten, und zwar sowohl auf unionaler wie auch auf nationaler Ebene. So bedarf es für die Rechtfertigung eines (indizierten) gesetzgeberischen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG durch die Ungleichbehandlung von Personengruppen nach der „neuen Formel“ des Bundesverfassungsgerichts nicht nur des Vorliegens eines sachlichen Grundes (Willkürverbot), sondern auch einer verhältnismäßigen Verfolgung desselben durch den Staat.583,584 Auch der unionale Gleichheitsgrundsatz koppelt die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.585 Dasselbe gilt im Hinblick auf alle unionalen Diskriminierungsverbote, und zwar unabhängig davon, ob sie der Integration des Binnenmarktes oder gesellschaftspolitischen Zielen bzw. dem Schutz von Grundrechten dienen. Zu guter Letzt erfordert auch die in den Tatbestand integrierte Rechtfertigung von mittelbaren Diskriminierungen, dass die Verwendung des neutralen Kriteriums einem sachlichen Ziel dient und zu dessen Erreichung erforderlich und angemessen ist.586 Gerade der Vergleich mit dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung zeigt zudem, dass der Verzicht auf ein Verhältnismäßigkeitskriterium in § 20 AGG zu systematisch nicht hinnehmbaren Verschiebungen im Gefüge der Diskriminierungsverbote und Rechtfertigungsmöglichkeiten führen würde. Denn wenn sich selbst die Anknüpfung an ein neutrales Kriterium am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

580 

Siehe dazu oben Zweiter Teil § 2 B. I. 2. Weimann, in Hey/Forst, AGG, § 20 Rn. 18. 582  BGHZ 193, 110 Tz. 42. 583  Seit BVerfG Az. 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, E 55, 72, Tz. 61. Hiernach ist das Gleichheitsgebot des Artikels 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten; Seit BVerfG Az. 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, E 55, 72, Tz. 61. 584  Auf Artikel 3 Abs. 1 und 3 GG verweist in diesem Kontext auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 697, der hieraus eine unmittelbare Bindung des nationalen Gesetzgebers an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herleiten möchte. 585  In diesem Sinne breits EuGH, verb. 117/76 und 16/77, Slg. 1977, 1753, Tz. 7 – Ruck­ deschel, wonach vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre. 586  Siehe dazu unten III. 1. c). 581 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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messen lassen muss, kann für die unmittelbare Anknüpfung an ein verbotenes Kriterium kaum etwas anderes gelten.

(3) Sonderproblem statistische Diskriminierungen: Lehren aus dem Urteil Test Achats Wie schon im Zusammenhang mit § 8 AGG dargelegt, lassen sich Ungleichbehandlungen, bei denen die Anknüpfung an das verbotene Merkmal als Ersatzkriterium (proxy) für das Vorliegen eines vertragsrelevanten Merkmals fungiert, nur schwer rechtfertigen. Als milderes Mittel kommt hier häufig das Ausweichen auf ein anderes, erlaubtes Ersatzkriterium oder auch eine individuelle Eignungsprüfung in Betracht.587 Nur wo das Ausweichen auf ein anders Kriterium mit schlechterem Informationswert zu prohibitiv hohen Kosten führen würde, lässt sich an eine Rechtfertigung denken. Letzteres ist allerdings im Hinblick auf Versicherungen, bei denen die Abschätzung von Risiken der Versicherten unter Rückgriff auf Ersatzkriterien zum Kern ihrer Geschäftstätigkeit gehört, regelmäßig der Fall. Häufig handelt es sich bei diesen Kriterien indes gerade um verbotene Merkmale. So werden bzw. wurden insbesondere die Merkmale Alter und Geschlecht herangezogen, um auf Grundlage entsprechender Statistiken etwa Lebensdauer, Gesundheitsrisiko oder Risikobereitschaft der versicherten Person feststellen zu können und anschließend die Tarife basierend auf dieser Feststellung zu gestalten. Diesen Besonderheiten des Versicherungswesens hatte der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Ausgestaltung der Richtlinie 2004/113/EG Rechnung getragen, indem die Richtlinie die geschlechtsbezogene Tarifkalkulation zwar grundsätzlich verbot (Artikel 5 Abs. 1), die Mitgliedstaaten aber zugleich ermächtigt wurden, in ihrem nationalen Recht bestehende Möglichkeiten der geschlechtsbezogenen Tarifkalkulation zeitlich unbegrenzt beizubehalten (Artikel 5 Abs. 2 a.F.). Voraussetzung für die Ausgestaltung einer entsprechenden nationalen Regelung war lediglich, dass die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Der deutsche Gesetzgeber hatte diese Ermächtigung seinerzeit ausgeschöpft und die Möglichkeit einer merkmalsbezogenen Tarifkalkulation darüber hinaus auf alle vom allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot erfassten Unterscheidungsmerkmale mit Ausnahme der Rasse und ethnischen Herkunft erstreckt (§ 20 Abs. 2 a.F. AGG). Diese heile Welt aus Sicht der Versicherungsunternehmer fand jedoch ihr jähes Ende mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Test Achats.588 In diesem Urteil, dem wie gesehen auch für die Binnenstruktur des unionalen Diskrimi587 

Siehe dazu bereits oben aa) (1) (a). Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773 – Test Achats.

588 EuGH,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

nierungsschutzes erhebliche Bedeutung zukommt,589 erklärte der EuGH Artikel 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG, der den Mitgliedstaaten die weitere Duldung der geschlechtsbezogenen Tarifkalkulation durch Versicherungsunternehmen erlaubte, für unvereinbar mit dem in Artikel 21, Abs. 1, 23 GR‑Ch verankerten primärrechtlichen Verbot der Geschlechtsdiskriminierung.590 Für die Beibehaltung bestehender Regelungen wurde eine Übergangsfrist zuge­ lassen.591 Was die Möglichkeit einer geschlechtsbezogenen Kalkulation von Versicherungstarifen angeht, spricht das Urteil eine klare Sprache. Durch den Wegfall der den Mitgliedstaaten in Artikel 5 Abs. 2 der Richtlinie 2000/113/EG eingeräumten Ermächtigung zur Beibehaltung bisheriger nationaler Regelungen wird das in Artikel 5 Abs. 1 der Richtlinie statuierte Verbot einer geschlechtsbezogenen Tarifkalkulation zur unionsrechtlich allein maßgeblichen Norm. Der deutsche Gesetzgber hat auf das Urteil zwischenzeitlich reagiert und für die geschlechtsbezogene Tarifkalkulation in § 33 Abs. 5 AGG eine Übergangsvorschrift geschaffen, wonach die bisherige Regelung noch für solche Versicherungsverträge gilt, die vor dem 21. Dezember 2012 geschlossen wurden. Im Hinblick auf die Kalkulation von Versicherungstarifen unter Berücksichtigung der übrigen Merkmale beließ es der Gesetzgeber dagegen bei der bisherigen Ausnahmeregelung in § 20 Abs. 2 S. 2 AGG. Allein aus der Fortexistenz dieser Regelung folgt im Gegenschluss, dass eine geschlechtsbezogene Tarifkalkulation nunmehr nicht etwa über die Generalklausel des § 20 Abs. 1 S. 1 AGG gerechtfertigt werden kann. Einer solchen Lösung würde aber auch eine richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Rechts entgegenstehen, weil der deutsche Gesetzgeber mit der Schaffung des AGG die Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien korrekt umsetzen wollte. Die aus dem Urteil Test Achats zu ziehenden Lehren reichen jedoch weit über das Versicherungsrecht hinaus, indem sie die Möglichkeit der Rechtfertigung statistischer Diskriminierungen grundsätzlich in Frage stellen. Dies ergibt ein Blick auf die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott, die sich anders als der Gerichtshof selbst eingehend mit der Frage der Rechtfertigung geschlechtsbezogener Tarifgestaltung befasst hatte.592 Die Generalanwältin erkennt im Ausgangspunkt das hinter dem Rückgriff auf das Merkmal Geschlecht bei der Berechnung von Versicherungstarifen stehende Ziel der Vermeidung prohibitiv hoher Informationskosten durchaus an. Sie räumt dabei insbesondere ein, dass sich eine Differenzierung nach dem Geschlecht in Versicherungsprodukten be-

589 

Siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 2. Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 32 – Test Achats. 591 EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-773, Tz. 33 – Test Achats. 592  Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-2011, I-773 – Test Achats, Tz. 66 ff. 590 EuGH,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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sonders leicht in die Tat umsetzen lasse.593 Die korrekte Erfassung und Bewertung wirtschaftlicher und sozialer Gegebenheiten sowie der Lebensgewohnheiten von Versicherten sei ungleich komplizierter und lasse sich auch schwerer nachprüfen, zumal diese Faktoren im Laufe der Zeit Änderungen unterliegen könnten.594 Diese ökonomischen Notwendigkeiten fechten die Generalanwältin indes nicht weiter an. Praktische Schwierigkeiten allein rechtfertigen nach ihrer Auffassung nämlich nicht, „gewissermaßen aus Bequemlichkeitsgründen (sic) auf das Geschlecht der Versicherten als Unterscheidungskriterium zurückzugreifen“.595 Mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen sei es vielmehr unvereinbar, das Geschlecht einer Person gleichsam als Ersatzkriterium für andere Differenzierungmerkmale heranzuziehen.596 Rein finanzielle Erwägungen, wie die von manchen Verfahrensbeteiligten ins Feld geführte Gefahr einer Erhöhung der Prämien für einen Teil der Versicherten, stellten jedenfalls keinen sachlichen Grund dar, der eine Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht erlauben würde597. Der Gerichtshof hat diese Argmentation in seinem äußerst knapp gehaltenen Urteil zwar nicht aufgegriffen, sondern die Unionsrechtswidrigkeit der in Artikel 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/EG allein mit der fehlenden inneren Kohärenz des Artikels 5 im Ganzen begründet. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, dient diese Argumentation allerdings lediglich der Auflösung eines dogmatischen Dilemmas, vor welchem der EuGH angesichts seiner eigenen Rechtsprechung stand. Indem der Gerichtshof nämlich, anders als die Generalanwältin, keine autonome Definition des als Maßstab herangezogenen Artikels 21, 23 GR-Ch vornimmt, sondern diese im Grundsatz dem Unionsgesetzgeber überlässt,598 sah er sich gezwungen, den in Artikel 5 der Richtlinie 2004/113/EG manifestierten Willen des Unionsgesetzgebers zur Duldung geschlechtsbezogener Tarifierung künstlich in zwei Teile aufzuspalten, von denen nur der eine, das grundsätzliche Verbot, maßgeblich sein sollte. Dass der Gerichtshof sich überhaupt zu einem solchen, dogmatisch eher zweifelhaften Vorgehen genötigt sah, zeigt aber auch, dass er die Ausführungen der Generalanwältin zur fehlenden Rechtfertigungsmöglichkeit einer geschlechtsbezogenen Tarifierung im Grundsatz teilt. Dies hat weitreichende Konsequenzen: Denn mit ihrer Argumentation im Urteil Test Achats hat die Generalanwältin nicht allein die Heranziehung des Ge593 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-2011, I-773 – Test Achats, Tz. 66. 594 Ibid. 595 Ibid. 596 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-2011, I-773 – Test Achats, Tz. 67. 597 GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-2011, I-773 – Test Achats, Tz. 68. 598  So jedenfalls die hier zugrunde gelegte Deutung des Urteils, siehe oben Zweiter Teil § 1 B. II. 2 und 3. b) cc).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

schlechts als Ersatzkriterium zur Gewichtung von Versicherungsrisiken abgelehnt, sondern zugleich den Rückgriff auf ein verbotenes Merkmal als Ersatzkriterium (proxy) ganz allgemein in Frage gestellt. Hierauf deutet insbesondere die Feststellung der Generalanwältin hin, wonach rein finanzielle Erwägungen kein sachliches Kriterium darstellen, welches eine Ungleichbehandlung erlauben könnte. Sämtliche ökonomische Argumente, die für die Beibehaltung einer seit langem praktizierten Übung der Versicherungsunternehmen in vielen Mitgliedstaaten sprechen, wie etwa die Gefahr der Erhöhung von Versicherungskosten durch Abwanderung guter Risiken vom Markt, werden damit ohne viel Federlesens beiseite gewischt. Wenn dies aber bereits im Hinblick auf die geschlechtsbezogene Berechnung von Versicherungstarifen gilt, wo gute ökonomische Argumente für eine „Rechtfertigung unter Auflagen“ sprechen, muss dies erst recht für andere Konstellationen gelten, in denen ein verbotenes Merkmal als Ersatzkriterium zur Informationsbeschaffung über vertragsrelevante Umstände herangezogen wird. Der Rechtfertigung statistischer Diskriminierungen sind hierdurch enge Grenzen gesetzt, so sie denn überhaupt noch möglich sind. Dies müsste streng genommen nicht nur für die in § 20 AGG geregelte Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im allgemeinen Zivilrechtsverkehr gelten, sondern – angesichts des universellen Begründungsansatzes der Generalanwältin im Urteil Test Achats – auch für die in § 8 Abs. 1 AGG geregelte Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen im Arbeitsrecht. Wie gesehen, hat sich der Gerichtshof diesbezüglich aber im Urteil Wolf deutlich konzilianter gezeigt, indem er eine Höchstaltersgrenze für den Zugang zum mittleren Feuerwehrdienst gebilligt hat, durch welche die Leistungsfähigkeit der Mehrheit der diesem Dienst angehörenden Beamten sichergestellt werden sollte.599 Individuelle Leistungstests als milderes Mittel hat der Gerichtshof insoweit noch nicht einmal erwogen. Mit den von der Generalanwältin im Fall Test Achats getätigten und vom Gerichtshof akzeptierten Feststellungen lässt sich dies kaum in Einklang bringen. In beiden Fällen wurde ein verbotenes Merkmal als Ersatzkriterium zur Informationsgewinnung über eine vertragsrelevante Eigenschaft potentieller Vertragspartner herangezogen. Der einzige Unterschied betrifft das jeweils in Rede stehende Unterscheidungsmerkmal. Im Fall Test Achats wurde an das Merkmal Geschlecht angeknüpft, im Fall Wolf an das Merkmal Alter. Die Privilegierung statistischer Diskriminierungen wegen des Alters könnte somit den mehrfach erwähnten Besonderheiten dieses Merkmals Rechnung tragen und damit die an anderer Stelle konstatierte „­ Hierarchie der Unterscheidungsmerkmale“ abbilden.600 In diesem Falle wäre es aber konsequent gewesen, wenn der EuGH im Urteil Wolf zur Rechtfertigung der Höchstaltersgrenze, wie vom vorlegenden Gericht nahegelegt, Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG 599 EuGH,

600 

Rs. C-229/08; Slg. 2010, I-1, Tz. 42 ff. – Wolf. Siehe oben A. I. 2. b).

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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(§ 10 AGG) herangezogen hätte, welcher eigens für Diskriminierungen wegen des Alters geschaffen wurde und insoweit eine Rechtfertigung unter erleichterten Bedingungen ermöglicht. Indem der EuGH die in Rede stehende Höchstaltersgrenze indes am strengeren Maßstab des Ungleichbehandlungen wegen aller Merkmale erfassenden Artikels 4 der Richtlinie gerechtfertigt hat, legt der EuGH in Bezug auf statistische Diskriminierungen für die einzelnen Unterscheidungsmerkmale einen unterschiedlichen Standard an. Die gesamte Rechtsprechung zu dieser Frage weist hierdurch eine merkwürdige Schieflage auf und erzeugt Unsicherheit über den derzeit geltenden Standard in Bezug auf die Rechtfertigung statistischer Diskriminierungen wegen anderer Merkmale als des Geschlechts und des Alters. Ungeachtet dessen stützen das Urteil Test Achats sowie die Feststellungen der Generalanwältin zur Irrelevanz finanzieller Erwägungen bei der Rechtfertigung geschlechtsbezogener Versicherungstarife aber jedenfalls die bereits an anderer Stelle getroffene Feststellung, dass dem unionsrechtlich determinierten Antidiskriminierungsrecht grundsätzlich keine ökonomische Zielkonzeption zugrundeliegt, die bei der Auslegung seiner einzelnen Regelungen zu berücksichtigen wäre.601 Eine Ausnahme gilt insoweit lediglich im Hinblick auf das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters.602 Sowohl die unterschiedliche gesetzliche Ausgestaltung der Rechtfertgungsmöglichkeiten als auch die im Ergebnis differierende Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Test Achats und Wolf belegen diese Feststellung auf eindrückliche Weise.

cc) Positive Maßnahmen: Die sensible Bruchlinie zwischen formeller und materieller Gleichheit Bei den Diskriminierungsverboten des AGG und den dahinterstehenden unionalen Vorgaben handelt es sich, wie an anderer Stelle dargelegt, um besondere Ausprägungen des allgemeinen unionalen Gleichheitssatzes, oder, genauer gesagt, seines ersten Teils, wonach Gleiches nicht ungleich behandelt werden darf. Dem trägt das Verbot der unmitelbaren Diskriminierung durch ein Verbot der Anknüpfung an bestimmte, verbotene Merkmale Rechnung. Dem Verbot der unmittelbaren Diskriminierung liegt allerdings ein formeller Ansatz zugrunde, welcher gesellschaftlich vorgefundene tatsächliche Ungleichheiten ausblendet. Ein materielles Verständnis von Gleichheit umfasst dagegen auch den Ausgleich in der Gesellschaft vorgefundener tatsächlicher Ungleichheiten. Mit dieser Zielsetzung wird etwa im Rahmen des Verbots der mittelbaren Diskriminierung die Anknüpfung an ein neutrales Unterscheidungsmerkmal untersagt, wenn sich diese Anknüpfung aufgrund gesellschaftlich ungleicher Startbedingungen überwiegend nachteilig auf die Träger verbotener Merkmale auswirkt. Auch hier 601 

Siehe oben Einleitung § 2 B. I. 2. B.

602 Ibid.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

geht es aber noch immer um das Verbot einer Ungleichbehandlung (im weiteren Sinne), da gerade die Anknüpfung an ein, wenn auch auf den ersten Blick neutrales, Unterscheidungsmerkmal untersagt wird. Nach einem noch weitergehenden Konzept materieller Gleichheit soll tatsächlichen gesellschaftlichen Ungleichheiten dagegen nicht nur im Wege einer Erweiterung von Anknüpfungsverboten, sondern darüber hinaus durch positive, auf tatsächliche Gleichstellung gerichtete Fördermaßnahmen zugunsten der benachteiligten Merkmalsträger begegnet werden.603 Solche Maßnahmen können darauf abzielen, die Startbedingungen von Merkmalsträgern etwa durch Zurverfügungstellung kostenloser Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu verbessern; sie können aber auch im Wege einer Quotenregelung die bevorzugte Berücksichtigung von Merkmalsträgern im Rahmen von Einstellungsverfahren zum Inhalt haben. In jedem Falle geht es hierbei im Sinne der Aristotelischen Formel nicht mehr um das Verbot der Ungleichbehandlung von Gleichem, sondern um das Verbot der Gleichbehandlung von Ungleichem. In dieser Gegenüberstellung manifestiert sich aber bereits das Konfliktpotential beider Ansätze; kann doch die aktive Förderung von Merkmalsträgern durchaus mit einer Ungleichbehandlung von Nichtmerkmalsträgern einhergehen, denen eine solche Förderung nicht zuteil wird. Der männliche Bewerber, der im Anwendungsbereich einer Geschlechterquote trotz gleicher oder gegebenenfalls sogar besserer Qualifikation nicht zum Zug kommt, wird sich als diskriminiert ansehen. Das auf Gleichbehandlung angelegte „klassische“ Antidiskriminierungsrecht muss diesen Konflikt zwischen Gleichstellung und Gleichbehandlung im Sinne praktischer Konkordanz auflösen. Diese Funktion übernimmt für das deutsche Antidiskriminierungsrecht § 5 AGG, wonach ungeachtet der in den §§ 8, 9, 10 sowie in § 20 benannten Gründe eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig ist, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Der Hinweis auf §§ 8, 9, 10 und 20 AGG macht deutlich, dass § 5 AGG ebenfalls einen Rechtfertigungsgrund statuiert und nicht etwa eine Verpflichtung zur Einführung positiver Maßnahmen.604 Die Vorschrift geht auf entsprechende, an die Mitgliedstaaten adressierte Ermächtigungen in allen vier Gleichbehandlungsrichtlinien zurück, wonach der Gleichbehandlungsgrundsatz die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, zur Gewährleistung der vollen Gleichstellung in der Praxis spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines der in der jeweiligen Richtlinie genannten Unterscheidungsmerk-

603  Im US-amerikanischen Recht hat sich hierfür der Begriff „affirmative action“ eta­ bliert. Siehe zur Unterscheidung zwischen Gleichbehandlung und Gleichstellung bereits oben Erster Teil § 1 A. II. 604  Ganz h.M., vgl. nur Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 5 Rn. 1; Thüsing, in: MüKoBGB, § 5 AGG Rn. 1.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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male ausgeglichen werden.605 Für das primärrechtliche Verbot der Entgeltdiskriminierung findet sich eine ähnliche Ermächtigungsnorm in Artikel 157 Abs. 4 AEUV.606 Der Wortlaut der genannten Ermächtigungsnormen, nach denen die Mitgliedstaaten nicht gehindert sind, spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen bzw. zu beschließen, deutet darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber ausschließlich staatliche Ungleichbehandlungen mit dem Ziel der Gleichstellung benachteiligter Merkmalsträger rechtfertigen wollte. Es stellt sich insoweit auf den ersten Blick ein ähnliches Problem wie in Bezug auf Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, welcher ebenfalls nur den Gesetzgeber zu altersbedingten Ungleichbehandlungen zu ermächtigen scheint.607 Bezüglich der letztgenannten Norm trügt aber, wie gesehen, der erste Anschein, da sich die Aussage, dass die Mitgliedstaaten eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen „vorsehen“ können, auch auf Ungleichbehandlungen beziehen kann, die nicht vom Staat selbst ausgehen. Der Wortlaut der Richtlinienvorgaben, durch welche die Mitgliedstaaten zur „Beibehaltung oder Einführung“ positiver Maßnahmen ermächtigt werden, ist hingegen enger gefasst und lässt wenig Spielraum für die Einbeziehung positiver Maßnahmen durch Privatpersonen wie etwa den einzelnen Arbeitgeber. Auch teleologisch deutet – ungeachtet der ein wenig neutraler gehaltenen Formulierung der Erwägungsgründe608 – nichts darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber bei der Schaffung der genannten Ermächtigungsnormen derartiges im Blick hatte.609 Alles in allem ist somit nicht davon auszugehen, dass die 605  Vgl. Artikel 5 Richtlinie 2000/43/EG, Artikel 7 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 6 Richtlinie 2004/113/EG. Die jeweils gewählten Formulierungen (volle bzw. völlige Gleichstellung) weichen nur geringfügig voneinander ab. Für das Verbot der geschlechtsbedingten Diskriminierung im Arbeitsrecht verweist Artikel 3 Richtlinie 2006/54/EG auf die entsprechende Ermächtigung in Artikel 157 Abs. 4 AEUV. 606  Die Regelung wurde erst mit dem Vertrag von Amsterdam eingeführt und war zu diesem Zeitpunkt schärfer formuliert als die entsprechende Ermächtigung in Artikel 2 Abs. 4 Richtlinie 76/207 (effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung statt Förderung der Chancengleichheit). Der EuGH musste aber seinerzeit nicht darüber entscheiden, ob mit der unterschiedlichen Formulierung auch ein unterschiedlicher Rechtfertigungsmaßstab einherging. Mit der Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation, die sich im Wortlaut an Artikel 157 Abs. 4 AEUV anlehnen oder sogar auf diesen verweisen, hat sich das Problem ohnehin erledigt. 607  Siehe oben aa) (3). 608  Vgl. etwa Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2000/43/EG, wonach das Diskriminierungsverbot nicht der Beibehaltung oder dem Erlass von Maßnahmen entgegenstehen soll, mit denen der Ausgleich von Benachteiligungen bezweckt wird. 609  Auch der EuGH spricht im Kontext mit der Ermächtigung des Artikels 2 Abs. 4 der Richtlinie 76/207/EWG stets von der Zulässigkeit „nationale[r] Maßnahmen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung einschließlich des Aufstiegs, die Frauen spezifisch begünstigen und ihre Fähigkeit verbessern sollen, im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen und unter den gleichen Bedingungen wie Männer eine berufliche Laufbahn zu verfolgen; vgl. nur EuGH, Rs. C-409/95, Slg. 1997, I-6363, Tz. 26, 27 – Marschall; EuGH, Rs. C-450/93, Slg. 1995, I-3051, Tz. 19 – Kalanke; EuGH, Rs. C-476/99, Slg. 2002, I-2891, Tz. 32 – Lommers.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigung zur Beibehaltung und Einführung positiver Maßnahmen auch die Einräumung einer Rechtfertigungsmöglichkeit für private positive Maßnahmen deckt.610 Der deutsche Gesetzgeber scheint die unionsrechtliche Regelungsermächtigung gleichwohl in diesem Sinne aufgefasst zu haben. Dies legt schon der Wortlaut des § 5 AGG nahe, der ohne Differenzierung nach der Urheberschaft auf „eine unterschiedliche Behandlung“ rekurriert. Für eine vom deutschen Gesetzgeber intendierte Einbeziehung privater positiver Maßnahmen spricht auch die Bezugnahme auf die in §§ 8 bis 10 und 20 AGG geregelten Rechtfertigungsgründe, welche ebenfalls private Diskriminierungen umfassen. Schließlich können auch nach der Gesetzesbegründung positive Maßnahmen durch Arbeitgeber, Tarifvertrags- und Betriebsparteien sowie durch sonstige Vertragspartner ergriffen werden.611 Ungeachtet dieses Befunds wird man § 5 AGG indes, wegen der engeren unionsrechtlichen Regelungsermächtigung, unionsrechtskonform dahingehend auslegen (oder reduzieren) müssen, dass die Vorschrift nur staatliche Maßnahmen deckt. Die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nach § 5 AGG kommt freilich nur in Betracht, wenn sich die jeweils in Rede stehende positive Maßnahme als geeignet und angemessen darstellt. Ein solches Verhältnismäßigkeitselement lässt sich den Gleichbehandlungsrichtlinien zwar nicht entnehmen; es entspricht aber dem allgemeinen Standard unionaler (wie nationaler) Gleichbehandlungsgebote612 und wird spätestens seit dem Urteil Lommers auch vom EuGH vorausgesetzt.613 Welche Maßnahmen danach gerechtfertigt werden können, lässt sich nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich eher zu rechtfertigen sind Maßnahmen, die lediglich auf die Beseitigung von Ursachen für die geringeren Zugangschancen von Merkmalsträgern abzielen, während eine bevorzugte Berücksichtigung beim Zugang zur Arbeit oder bei Beförderungsmaßnahmen an strengen Voraussetzungen zu messen ist.614 Nicht gerechtfertigt ist danach eine Quotenregelung, welche unabhängig von der Qualifikation der Bewerber verbindliche Zielvorgaben für die Zugangsbedingungen von Frauen 610 Ebenso Annuß, BB 2006, 1629, 1634; Kamanabrou, RdA 2006, 321, 333; wohl auch Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 81 („Den Weg der affirmative action kann nur der Gesetzgeber gehen.“) a.A. dagegen Adomeit/Mohr, AGG, § 5 Rn. 12; Bauer/Krieger, AGG, § 5 Rn. 3; zweifelnd Thüsing, in: ­MüKoBGB, § 5 AGG Rn. 2, der aber im Hinblick auf entsprechende Regelungen in anderen Mitgliedstaaten im Ergebnis von der Zulässigkeit privater positiver Maßnahmen ausgeht; ebenso Hey, in: Hey/Forst, AGG, § 5 Rn. 7. 611  BT-Drs. 16/1780, S. 34. 612  Siehe dazu oben b) aa). 613 EuGH, Rs. C-476/99, Slg. 2002, I-2891, Tz. 39 – Lommers. Bereits in früheren Urteilen hattte der EuGH im Zusammenhang mit der Rechtfertigungsermächtigung in Artikel 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG festgestellt, dass bei der Bestimmung des Geltungsbereichs von Ausnahmen zu einem Individiualrecht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, vgl. etwa EuGH, Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651, Tz. 38 – Johnston. Im Urteil Lommers bezieht sich der EuGH ausdrücklich auf diese Rechtsprechung. 614  Thüsing, in: MüKoBGB, § 5 AGG Rn. 10.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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vorsieht.615 Auch eine Quotenregelung, wonach bei gleicher Qualifikation automatisch der Frau Vorrang, gegenüber dem männlichen Bewerber einzuräumen ist, lässt sich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbaren.616 Möglich ist dagegen die bevorzugte Einstellung oder Beförderung weiblicher Bewerber, wenn gleichqualifizierten Männern eine objektive Beurteilung im Einzelfall garantiert wird, bei der alle die Person betreffenden Kriterien berücksichtigt werden.617

III. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Verbot der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal Mit der im letzten Abschnitt erfolgten Qualifizierung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als rechtfertigungsfähiges, normbezogenes Anknüpfungsverbot wurde bereits die nötige Vorarbeit geleistet, um nunmehr den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung zu erschließen. Dies kann in deutlich knapperer Form geschehen als üblich, da sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung weitgehend in die Strukturen des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung einfügt und von daher – ungeachtet seines abweichenden inhaltlichen Konzepts – wenig dogmatische Eigenständigkeit aufweist.

1. Definition und Genese Nach dem im Einklang mit den Antidiskriminierungsrichtlinien618 formulierten § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen könnnen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Kurz zusammengefasst besagt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung somit, dass auch eine differenzierende Regelung, die nicht an ein verbotenes, sondern ein neutrales Merkmal anknüpft, eine Diskriminierung darstellen kann, wenn sie eine überwiegend nachteilige Wirkung auf Merkmalsträger hat.619 Das Rechtsinstitut der mittelbaren Diskriminierung, welches in Ansätzen bereits in völkerrechtlichen Verträgen aus der Zwischenkriegszeit begegnet,620 615 EuGH,

Rs. C-407/98, Slg. 1998, I-6401, Tz. 55, 56 – Abrahamsson. Rs. C-450/93, Slg. 1995, I-3051, Tz. 22, 23 – Kalanke. 617 EuGH, Rs. C-409/95, Slg. 1997, I-6363, Tz. 33 – Marschall. 618  Vgl. Artikel 2 Abs. 2 lit. b Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 2 Abs. 2 lit. b Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 2 lit. b Richtlinie 2004/113/EG und Artikel 2 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2006/54/EG. 619 Ähnlich Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 19. 620 Vgl. Tobler, Indirect Dis­crimi ­nation, S. 89 ff. mit Einzelnachweisen. 616 EuGH,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

wurde spätestens durch die Leitentscheidung des ­Supreme Court in der Sache Griggs v. Duke Power Co. aus dem Jahr 1971 im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht etabliert621 und firmiert dort seitdem unter dem Begriff „disparate impact“ in Abgrenzung zum Begriff „disparate treatment“, der die unmittelbare Diskriminierung beschreibt. Gegenstand des Verfahrens Griggs waren die Auswahlkriterien eines Arbeitgebers, der in der Zeit vor dem Inkrafttreten des auch Privatpersonen bindenden Civil Rights Act 1964 Personen afro-amerikanischer Herkunft nur für die am schlechtesten bezahlten Tätigkeiten eingestellt hatte. Dies erfolgte auf der Grundlage von neutralen Auswahlkriterien, wonach für alle außer für die am schlechtesten bezahlten Tätigkeiten ein High-School-Abschluss und das Bestehen eines Eignungstests erforderlich war. Angesichts der Tatsache, dass nur 12 % der afro-amerikanischen, aber 36 % der weißen Bewerber über den geforderten High-School-Abschluss verfügten und nur 6 % der afro-amerikanischen, aber 56 % der weißen Bewerber den Test bestanden, bejahte der S­ upreme Court eine Diskriminierung, obwohl der Arbeitgeber nicht an ein verbotenes Merkmal angeknüpft hatte. Das Gericht führte hierzu aus: “The Act proscribes not only overt disccrimination but also practices that are fair in form but discriminatory in operation. The touchstone is business neccessity. If an employment practice which operates to exclude Negroes cannot be shown to be related to job performance, the practice is prohibited.” 622

Im Unionsrecht erfolgte die Rezeption des Rechtsinstituts der mittelbaren Diskriminierung „zweigleisig“ in kurzer zeitlicher Abfolge sowohl im Hinblick auf das seinerzeit primär dem Binnenmarktziel verpflichtete Verbot der Diskriminierung wegen der Statsangehörigkeit als auch im Hinblick auf das sich zu dieser Zeit herausschälende gesellschaftspolitische Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts. In zeitlicher Hinsicht lag die Staatsangehörigkeit um einen Wimpernschlag vorne. Die erstmalige Einführung des Rechtsinstituts erfolgte hier durch den EuGH im Urteil Sotgiu623 im Zusammenhang mit dem in Artikel 48 Abs. 2 EGV (heute Artikel 45 AEUV) verankerten und in der Verordnung EWG Nr. 16/12/68624 konkretisierten Verbot der Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine interne Regelung der deutschen Bundespost, wonach ortsfremden Arbeitnehmern, deren Wohnort bei Einstellung im Inland belegen war, eine Trennungsentschädigung in Höhe von 10 DM je Arbeitstag gezahlt wurde, während im Falle eines ausländischen Wohnsitzes am Tage der Einstellung nur eine Tren621 

Griggs v Duke Power Co. 401 U.S. 424 (1971). Griggs v Duke Power Co. 401 U.S. 424, 431 (1971). 623 EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974, 153 – Sotgiu. 624  Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. 1968 L 257/2. 622 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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nungsentschädigung in Höhe von 7,50 DM gezahlt wurde. Der EuGH stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Vorschriften über die Gleichbehandlung sowohl des Vertrages als auch der Verordnung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen verbieten, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen.625 Das Verbot beziehe sich aber nicht auf solche Regelungen, die lediglich sachlichen Unterschieden der Lage Rechnung tragen, in der sich die Arbeiter mit Einstellungswohnsitz im Inland oder Ausland jeweils befänden. Für die Diskriminierung wegen des Geschlechts wurde das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zuerst sekundärrechtlich in der Richtlinie 76/207/EWG etabliert. Seine inhaltliche Definition erhielt es aber auch hier erst durch den EuGH im Urteil Jenkins im Zusammenhang mit dem seinerzeit in Artikel 119 EWG (Artikel 157 AEUV) verankerten Verbot der Entgeltdiskriminierung.626 Gegenstand des Verfahrens war die ungleiche Bezahlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften durch einen Arbeitgeber. Der EuGH sah hierin ein ungleiches Entgelt im Sinne des Artikels 119 EWG, wenn sich herausstellen sollte, dass ein erheblich geringerer Anteil der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer in Vollzeit arbeiteten und die Lohnpolitik des betreffenenden Unternehmens unter Berücksichtigung der Schwiergkeiten weib­ licher Arbeitnehmer, in Vollzeit zu arbeiten, nicht durch Umstände zu klären sei, die objektiv gerechtfertigt seien und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten.627 Im Urteil Bilka wurden die Kriterien für die Rechtfertigung einer nicht unmittelbar an das Geschlecht anknüpfenden Ungleichbehandlung (hier: Ausnahme von Teilzeitkräften von betrieb­lichen Versorgungsleistungen) dahingehend präzisiert, dass diese Ungleichbehandlung einem „wirklichen Ziel“ des Arbeitgebers dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sein müsse.628 Nach weiteren Präzisierungen in späteren Urteilen wurde die durch den EuGH entwickelte Definition für die mittelbare Diskriminierung durch den Unionsgesetzgeber zunächst für das Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Rahmen der Richtlinie 97/80/EG kodifiziert629 und später, mit geringen Abweichungen, für die Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation übernommen.630

625 EuGH,

Rs. 152/73, Slg. 1974, 153, Tz. 11 – Sotgiu. Rs. 96/80, Slg. 1981, 911 – Jenkins. 627 EuGH, Rs. 96/80, Slg. 1981, 911, Tz. 11, 13 – Jenkins. 628 EuGH, Rs. 170/84, Slg. 1986, 1607, Tz. 36 – Bilka. 629  Vgl. Artikel 2 Abs. 2 Richtlinie 97/80/EG des Rates vom 15. 12. 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. 1998, L 14/6. 630  Zur Genese und den einzelnen Abweichungen Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 23 ff. 626 EuGH,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

2. Funktion Angesichts der Aufmerksamkeit, welche dem Rechtsinstitut der mittelbaren Diskriminierung im Schrifttum seit jeher zuteil wird, erstaunt auf den ersten Blick, dass über die Funktion dieses Rechtsinstituts und seine Einordnung in den dogmatischen Kontext des unionalen Antidiskriminierungsrechts nach wie vor Uneinigkeit herrscht. Nach einer wohl von Rutherglen im Hinblick auf die Rechtslage in den USA begründeten631 und von anderen Autoren632 für das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht übernommenen Lesart dient das Verbot der mittelbaren Diskriminierung lediglich dazu, Umgehungen des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung durch eine Anknüpfung an neutrale Kriterien zu verhindern. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Feststellung, dass sich die Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal als innere Tatsache nur schwer beweisen lässt, da die Verbotsadressaten diese regelmäßig nicht offenlegen, sondern stattdessen vermeintlich „neutrale“ Kriterien zur Begründung ihrer Entscheidungen „vorschieben“. Im Ergebnis wirkt sich die Anknüpfung an diese Kriterien aber gleichwohl, durchaus beabsichtigt, überwiegend nachteilig auf die Träger verbotener Merkmale aus. Dieser Vorgehensweise soll ein Riegel vorgeschoben werden, indem die Tatsache, dass von der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal überwiegend Träger eines verbotenen Merkmals betroffen sind, als Indiz dafür herangezogen wird, dass der Verbotsadressat in Wahrheit eine Differenzierung nach dem verbotenen Merkmal anstrebt.633 Durch die Darlegung eines sachlichen Grundes für die Anknüpfung an das neutrale Kriterium kann das Indiz einer verbotenen Anknüpfung widerlegt werden. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung stellt sich nach dieser Lesart somit als bloßes Hilfsinstrument zur Durchsetzung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung dar,634 welchem ein eigener Gerechtigkeitsgehalt nicht zukommt.635 Nach der Gegenauffassung dient das Verbot der mittelbaren Diskriminierung dagegen der Verwirklichung eines Konzepts materieller Gleichheit, indem die nachteiligen Auswirkungen neutraler Anknüpfungen auf die Träger verbotener Merkmale vor dem Hintergrund in der Gesellschaft vorgefundener struktureller 631 

Rutherglen, Va. L. Rev. 73 (1987), S. 1297 ff. Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 121 ff.; Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 61; Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, 1234, 1236. 633  Unverständlich insoweit Wiedemann, der den Zweck des Verbots der mittelbaren Diskriminierung einerseits in der Verhinderung von Umgehungen des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung sieht (Wiedemann/Thüsing, NZA 2002, 1234, 1236: Kein Suchen von Vorwänden zur Realisierung der verbotenen Unterscheidung), andererseits eine gezielte Ungleichbehandlung nicht als konstitutiven Bestandteil einer mittelbaren Diskriminierung ansieht (Gleichbehandlungsgebote, S. 32). 634  Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 129; Bauer/Krieger, AGG, § 3 Rn. 20; Thüsing, in: ­MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 24. 635  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 24. 632 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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Benachteiligungen dieser Merkmalsträger in den Blick genommen und ausgeglichen werden sollen.636 Nach dieser Lesart wohnt dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung somit ein eigener Gerechtigkeitsgehalt inne. Setzt man sich näher mit den unterschiedlichen Lesarten des Verbots der mittelbaren Diskriminierung auseinander, wird schnell deutlich, dass es hier nicht um die Frage eines „entweder/oder“ geht, sondern eher um die Frage eines „sowohl als auch“. Einerseits lässt sich schlicht nicht leugnen, und wird auch von niemandem geleugnet, dass der umgehungsschützende Effekt dieses Rechtsinstituts bei seiner Entwicklung jedenfalls als Hintergrundmotiv eine Rolle gespielt haben dürfte. Grünberger hat überzeugend dargelegt, dass allein der Kontext der Leitentscheidungen Griggs und Jenkins eine solche Deutung nahelegt; reagierte doch in beiden Fällen der Arbeitgeber mit seiner Anknüpfung an ein vermeintlich neutrales Merkmal nur auf die erstmalige Einführung oder Durchsetzung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung, um eine unter der alten Rechtslage etablierte diskriminierende Einstellungs- oder Vertragsgestaltungspraxis beibehalten zu könnnen. Wenige Jahre im Vorfeld der Entscheidung Griggs war mit dem Inkrafttreten des Civil Rights Act 1964 Title VII erstmals ein auch Privatpersonen bindendes arbeitsrechtliches Diskriminierungsverbot etabliert worden; der der Rechtssache Jenkins zugrundeliegende Sachverhalt weist einen deutlichen zeitlichen Kontext zur bevorstehenden Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Defrenne II auf, in welchem der Gerichtshof eine unmittelbare Bindung privater Arbeitgeber an das in Artikel 119 EGV (Artikel 157 AEUV) festgestellt hatte. In die Richtung eines Umgehungsverbotes scheint auch zu deuten, dass der EuGH selbst die mittelbare Diskriminierung immer wieder als „versteckte“ Form der Diskriminierung bezeichnet hat.637 Zugleich finden sich aber sowohl im Urteil Griggs als auch bereits in den frühen Entscheidungen des EuGH deutliche Hinweise darauf, dass dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung ein weitergehender Ansatz zugrundeliegen muss, der sich nicht in der Funktion eines reinen Flankenschutzes für das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung erschöpft. So hatte sich der ­Supreme Court in Griggs mit dem Argument des Berufungsgerichts auseinanderzusetzen, die Einführung des afro-amerikanische Bewerber benachteiligenden Eignungstests sei ohne diskriminierende Absicht (discriminatory intent) erfolgt. Das Gericht führt dazu aus: “We do not suggest that either the District Court nor the Court of Appeals erred in examining the employer’s intent; but good intent or absence of discriminatory intent does 636  Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 180 ff.; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 659 ff.; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 21 f.; Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 151. 637  Vgl. nur EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974, 153, Tz. 11 – Sotgiu; weitere Nachweise aus der Judikatur des EuGH bei Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 61.

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

not redeem employment procedures or testing mechanisms that operate as ‘built-in headwinds’ for minority groups and are unrelated to measuring job capability. … The Company’s lack of discriminatory intent is suggested by special efforts to help the undereducated employees through Company financing of two thirds the cost of tuition for high school training. But Congress directed the thrust of the Act to the consequences of employment practices, not simply the motivation. More than that, Congress has placed on the employer the burden of showing that any given requirement must have a manifest relationship to the employment in question.”638

Allein diese kurze Passage aus dem Urteil Griggs macht deutlich, dass für den ­Supreme Court die ungleichen Auswirkungen des an neutrale Kriterien anknüpfenden Eignungstests als solche im Fokus standen und nicht eine sich in diesen Auswirkungen lediglich manifestierende Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal. Dieser Fokus kommt auch in der Terminologie der Handlungsformen im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht zum Ausdruck, indem dort der handlungsbezogenen Variante disparate treatment (unmittelbare Diskriminierung) die auswirkungsbezogene Variante disparate impact (mittelbare Diskriminierung) zur Seite gestellt wird. Auch in den ersten Entscheidungen des EuGH finden sich Hinweise, dass das Verbot der mittelbaren Diskriminierung gerade der Erfassung faktischer, durch unterschiedliche Ausgangsbedingungen hervorgrufener Nachteile dienen soll. Las sich das Urteil Sotgiu insoweit noch „unverdächtig“, so führt der EuGH im Urteil Jenkins bereits aus: „Stellt sich dagegen heraus, daß ein erheblich geringerer Prozentsatz der weiblichen Arbeitnehmer als der männlichen Arbeitnehmer die Mindestzahl der Wochenarbeitsstunden leistet, die die Voraussetzung für den Anspruch auf den Stundenlohn zum vollen Satz ist, so steht das ungleiche Entgelt dann im Widerspruch zu Artikel 119 EWG-Vertrag, wenn – unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, die die weiblichen Arbeitnehmer haben, um diese Mindeststundenzahl pro Woche leisten zu können – die Lohnpolitik des betreffenden Unternehmens nicht durch Umstände zu erklären ist, die eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausschließen.“639

Die zitierte Passage liest sich auf den ersten Blick wie eine Bestätigung der Ansicht, wonach das Verbot der mittelbaren Diskriminierung der Klärung des wahren Motivs der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal dient. Diese „Klärung“ soll aber gerade unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten erfolgen, welchen Frauen im Hinblick auf die Ausübung einer Vollzeittätigkeit begegnen. Es geht also wohl doch nicht allein um die Ergründung eines diskriminierenden „Motivs“ des Verbotsadressaten, sondern darum, die faktischen Nachteile von Frauen in einer Gesellschaft auszugleichen, die Kindererziehung und Hausarbeit im Wesentlichen immer noch Frauen zuweist.640 Noch deutlicher wird der EuGH dann im Urteil Bilka: 638 

Griggs v Duke Power Co. 401 U.S. 424, 432 (1971). Rs. 96/80, Slg. 1981, 911, Tz. 13 – Jenkins. 640  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 660.

639 EuGH,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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„Nach Auffassung der Komission genügt es für den Ausschluss eines Verstoßes gegen Artikel 119 nicht darzulegen, daß der Arbeitgeber mit einer Lohnpolitik, die im Ergebnis die weiblichen Arbeitnehmer benachteiligt, andere Ziele als die Diskriminierung der Frauen verfolgt. Wie der Gerichtshof, in seinem Urteil vom 31. März 1981 festgestellt habe, müsse der Arbeitgeber, um eine solche Lohnpolitik im Hinblick auf diese Bestimmung zu rechtfertigen, objektiv gerechtfertigte wirtschaftliche Gründe anführen, die mit der Führung seines Unternehmens zusammenhängen. Ferne sei die in Rede stehende Lohnpolitik danach zu beurteilen, ob sie im Verhältnis zu den vom Arbeitgeber verfolgten Zielen erforderlich und verhältnismäßig sei. … Es ist Sache des vorlegenden Gerichts … festzustellen, ob und inwieweit Gründe, die ein Arbeitgeber zur Rechtfertigung seiner Lohnpolitik anführt, … als objektiv gerechtfertigte wirtschaftliche Gründe angesehen werden können. Stellt das vorliegende Gericht fest, dass die von der Beklagten gewählten Mittel einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen und für die Eignung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind, so reicht der Umstand, daß diese Maßnahmen eine wesentlich größere Anzahl von weiblichen als von männlichen Arbeitnehmern treffen, für die Feststellung, daß sie eine Verletzung des Artikels 119 darstellen, nicht aus.“641

Mit dem Zitat der Stellungnahme der Kommission macht sich der Gerichtshof zugleich deren Sichtweise zu Eigen, wonach allein das Nichtvorliegen eines diskriminierenden Ziels des Verbotsadressaten den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung nicht ausschließt. Die Aussage erinnert frappant an die nahezu gleichlautende Aussage des ­Supreme Court im Urteil Griggs642 Die Bedeutung des Urteils Bilka erschöpft sich allerdings nicht in dieser negativen Aussage. Auch wenn, um mit den Worten des EuGH zu sprechen, die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal einem wirklichen wirtschaftlichen Bedürfnis des Verbotsadressaten entspringt, muss zudem die Anknüpfung an das neutrale Merkmal zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sein. Mit dieser Forderung liefert der Gerichtshof das wohl schlagendste Argument gegen eine Reduktion des Verbotes der mittelbaren Diskriminierung auf den Aspekt des Umgehungsschutzes. Denn wenn das wirtschaftliche Ziel hinter der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal einem Verhältnismäßigkeitstest unterworfen wird, kann es beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung nicht allein darum gehen, über die Benennung eines sachlichen Grundes die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal auszuschließen.643 Vielmehr handelt es sich bei einer Anknüpfung an ein neutrales Merkmal, die sich im Ergebnis überwiegend nachteilig für Träger eines verbotenen Merkmals auswirkt, um eine eigenständige Form von Ungleichbehandlung, die, wie auch die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal selbst, dem Rechtfertigungsdiskurs unterstellt wird. Das Ver641 EuGH,

Rs. 170/84, Slg. 1986, 1607, Tz. 35, 36 – Bilka. Siehe oben Fußnote 638. 643 Treffend von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz; S. 73 f., wonach es für eine Beweiserleichterung keiner Verhältnismäßigkeits-, sondern lediglich einer Plausibilitätsprüfung bedürfte; ähnlich Grünberger, Personale Gleichheit, S. 659 ff.; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 21 f. 642 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

bot der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal wird somit, unter bestimmten Bedingungen, erweitert um ein Verbot der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal.644 Auch dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung kommt damit ein eigenständiger materiellrechtlicher Gerechtigkeitsgehalt zu. Der Aspekt des Umgehungs- oder Flankenschutzes – wiewohl für die „Entdeckung“ dieses Rechtsinstituts nicht ganz unwesentlich – stellt sich demgegenüber heute eher als gerne in Kauf genommemer Nebeneffekt da.

3. Der Tatbestand a) Anknüpfung an ein neutrales Merkmal Die Begriffspaare unmittelbare und mittelbare Diskriminierung oder – im USamerikanischen Recht – disparate treatment und disparate impact umschreiben den Bezug zwischen dem Handeln des Verbotsadressaten und der Benachteiligung des Merkmalsträgers. Während sich diese Benachteiligung bei der unmittelbaren Diskriminierung direkt in der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal manifestiert, ergibt sie sich bei der mittelbaren Diskriminierung erst aus der Feststellung, dass sich die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal überproportional belastend auf die Träger eines verbotenen Merkmals auswirkt. Auch diese Auswirkungen müssen sich aber auf eine in irgendeiner Weise unterscheidende Anknüpfung des Verbotsadressaten im Rahmen einer wie auch immer gearteten Regelung oder Entscheidungsmaxime zurückführen lassen. Eine unterschiedslose Behandlung mit unterschiedlichen Auswirkungen reicht dagegen nicht aus645. Zwar entspräche eine Einbeziehung auch dieser Kategorie in den Diskriminierungstatbestand dem zweiten Gebot der Aristotelischen Formel, wonach Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. Speziell im Antidiskriminierungsrecht spricht gegen die Qualifikation unterschiedsloser Behandlungen als (mittelbare) Diskriminierung aber bereits, dass Artikel 5 der Richtlinie 2000/78/EG ausdrücklich angemessene Vorkehrungen für Behinderte verlangt und damit in diesem speziellen Fall eine Ungleichbehandlung anordnet.646 Aus dem Ausnahmecharakter der Regelung folgt somit, dass die Diskriminierungsverbote des unionalen Antidiskriminierungsrechts im Übrigen kein Gebot der Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte, sondern ausschließlich ein Gebot der Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte im Sinne des ersten Teils der Aristotelischen Formel gebieten. Das Antidiskriminierungsrecht (im engeren Sinne) unterscheidet sich in diesem Punkt von den Grundfreiheiten, denen der EuGH seit dem Urteil Dasson644 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 661. zu Recht von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 78. 646  von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 78; Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 30. 645  So

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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ville neben einem Diskriminierungsverbot auch ein Verbot der unterschiedslosen Behandlung mit faktisch nachteiliger Wirkung (Beschränkungsverbot) entnimmt.647 Im Hinblick auf die Auffangfunktion des Beschränkungsverbots scheint in diesem Bereich somit die, ohnehin schwer zu ziehende,648 Grenze zur (mittelbaren) Diskriminierung nicht so entscheidend zu sein und wird im Schrifttum sogar vereinzelt zugunsten eines weiten, auch unterschiedslose Maßnahmen umfassenden Diskriminierungsbegriffs geleugnet.649 In der Theorie bestehen aber auch dort wegen der anders ausgestalteten Rechtfertigungsmöglichkeiten Unterschiede zwischen den beiden Kategorien. Durch den EuGH werden diese Unterschiede freilich nur allzu oft nivelliert, indem eine an sich nur in Bezug auf Beschränkungen offenstehende Rechtfertigung durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“650 auch in in Bezug auf Maßnahmen zugelassen wird, deren diskriminierender Charakter klar auf der Hand liegt.651 Für das Antidiskriminierungsrecht als solchem stellt sich die Frage einer Einbeziehung unterschiedsloser Behandlungen aber, wie oben gesehen, ohnehin nicht. Indem das Verbot der mittelbaren Diskriminierung eine unterschiedliche Behandlung untersagt, handelt es sich hierbei, wie beim Verbot der unmittelbaren Diskriminierung, um ein Anknüpfungsverbot.652 Untersagt ist hier aber nicht die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal als solches, sondern die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal, dessen Bezug zu einem verbotenen Merkmal sich erst aus den weiteren Vorraussetzungen des Tatbestands ergibt. Als Anknüpfungsverbot bezieht sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zudem, ebenso wie das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung, auf eine Rechtsnorm oder eine private Entscheidungsmaxime. Dieser Normbezug kommt in der gesetzlichen Definition der mittelbaren Diskriminierung sogar deutlicher zum Ausdruck als bei der unmittelbaren Diskriminierung, indem hier ausdrücklich auf „Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ rekurriert wird. Ein auf die nachteilige Behandlung einer einzelnen Person abstellendes Ver647 EuGH,

Rs. 8/74/, Slg. 1974, 837, Tz. 5 – Dassonville. Vgl. hierzu Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 62 ff. 649  Kingreen, Struktur der Grundfreiheiten, S. 121; ders., in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34–36 AEUV Rn. 69 ff. 650  Die Möglichkeit der Rechtfertigung durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ wurde durch den Gerichtshof etabliert in EuGH, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649, Tz. 8 – Cassis de Dijon, aber erst in einer Folgeentscheidung auf unterschiedslos geltende Maßnahmen beschränkt, vgl. EuGH, Rs. 261/81, Slg. 1982, 3961, Tz. 12 – Rau/de Smedt. 651 Vgl etwa EuGH, C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Tz. 121 ff. – Bosman; EuGH, Rs. C-411/03, Slg. 2005, I‑10805 Tz. 23 – SEVIC; zu dieser Rechtsprechung und ihrer Auswirkung auf die Dogmatik der Grundfreiheiten Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34–36 Rn. 82. 652  Wank, in: Festschrift Wißmann, S. 599, 605; zustimmend von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 69; ähnlich auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 661. 648 

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

gleichspersonenkonzept fehlt somit vollständig. Diese Diskrepanz verwundert indes nicht; dient doch das Vergleichspersonenkonzept nach hier vertretener Auffassung auch bei der unmittelbaren Diskriminierung einzig dem Nachweis einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime beim Verbotsadressaten, deren Vorhandensein sich dem Außenstehenden häufig verschließt.653 Bei der mittelbaren Diskriminierung bedarf es einer solchen prozessualen „Krücke“ allerdings nicht, denn die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal erscheint per se unverdächtig und wird vom Verbotsadressaten daher regelmäßig – zur Widerlegung der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal – offengelegt.654 Der auch hier nach materiellem Recht erforderliche Gruppenvergleich kann daher von vorherein allein auf der Basis der offengelegten Entscheidungsmaxime vorgenommen werden, was letztlich auch in der Definition der mittelbaren Diskriminierung seinen Niederschlag gefunden hat. Zugleich ist der Normbezug im Rahmen der Definition der mittelbaren Diskriminierung aber auch ein weiterer Beleg dafür, dass es sich beim unional determinierten Diskriminierungsverbot insgesamt um ein normbezogenes Anknüpfungsverbot handelt und das Vergleichsper­sonenkonzept bei der unmittelbaren Diskriminierung allein prozessualen Zwecken dient.655

b) Besondere Benachteiligung aa) Der Gruppenvergleich als Herzstück des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung Auch wenn es sich nach dem soeben Gesagten bei der mittelbaren Diskriminierung ebenso wie bei der unmittelbaren Diskriminierung um ein Anknüpfungsverbot handelt, so erschöpft sich bei der mittelbaren Diskriminierung die Feststellung des Tatbestandes nicht in der Feststellung der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal. Hinzukommen muss hier vielmehr die weitere Feststellung, dass diese Anknüpfung die Träger eines oder mehrerer verbotener Merkmale gegenüber Nichtmerkmalsträgern in besonderer Weise benachteiligt. Nur in diesem Falle kann die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal als äquivalent zur Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal betrachtet werden.656 Der insoweit anzustellende Gruppenvergleich stellt das Herzstück des Tatbestands der 653 

Siehe oben II. 4. sowie unten Vierter Teil § 2 C. II. 1. c) cc). Dies verkennt Rupp, RdA 2009, 307, 308, nach welchem eine mittelbare Diskriminierung, anders als eine umittelbare Diskriminierung, nur in der Anwendung einer allgemeinen Regel, nicht aber in einer konkreten Einzelmaßnahme liegen kann. 655  A.A. offenbar Fredman, Dis­crimi­nation Law, S. 179, die in dem Gruppenbezug (comparative dimension of equality in a collective sense) gerade ein wesentliches Abgrenzungsmerkmal der mittelbaren Diskriminierung zur unmittelbaren Diskriminierung sieht. Ähnlich auch Rupp, RdA 2009, 307, 308. 656  Den Begriff der Äquivalenz verwendet in diesem Zusammenhang Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 56 ff. 654 

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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mittelbaren Diskriminierung dar. Denn anders als bei der unmittelbaren Diskriminierung ergibt sich die Benachteiligung von Merkmalsträgern hier ja nicht bereits unmittelbar aus der an ein verbotenes Merkmal anknüpfenden Norm (bzw. privaten Entscheidungsmaxime), sondern es bedarf erst der Feststellung, dass die an ein neutrales Merkmal anknüpfende Norm zu einer besonderen Belastung von Merkmalsträgern führt. Bei der unmittelbaren Diskriminierung liegt der Fokus mithin auf dem – in der Regel schwer zu erbringenden – Nachweis der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal und damit eines Verhaltens des Verbotsadressaten; bei der mittelbaren Diskriminierung steht dagegen der Nachweis der aus der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal resultierenden besonderen Belastung von Merkmalsträgern im Mittelpunkt. Im ersten Fall geht es um den Nachweis eines Verhaltens, ihm zweiten Fall um den Nachweis der Auswirkungen eines Verhaltens. Die im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht gängige Unterscheidung zwischen disparate treatment und disparate impact macht genau diesen gewichtigen Unterschied hinsichtlich des Schwerpunkts der Beweisführung auch in terminologischer Hinsicht deutlich.

bb) Homogene und inhomogene Gruppenbildung als Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung Dies hat auch Auswirkungen auf die Struktur der Gruppenbildung. Bei der unmittelbaren Diskriminierung ergibt sich aus der Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal zwangsläufig eine homogene Gruppenbildung dahingehend, dass der benachteiligten Gruppe nur Merkmalsträger und der begünstigten Gruppe nur Nichtmerkmalsträger angehören.657 Bei der mittelbaren Diskriminierung führt dagegen die Anknüpfung an ein neutrales Kriterium zu einer inhomogenen Verteilung von Merkmalsträgern und Nichtmerkmalsträgern, indem sowohl der benachteiligten Gruppe als auch der begünstigten Gruppe Merkmalsträger wie Nichtmerkmalsträger angehören. Um diesen Vorgang gleichwohl als mittelbare Diskriminierung qualifizieren zu können, bedarf es hier erst eines voneinander abweichenden Verhältnisses von Merkmalsträgern und Nichtmerkmalsträgern in den beiden Teilgruppen und eines sich hierin manifestierenden Missverhältnisses. Welche quantitativen Anforderungen an dieses Missverhältnis zu stellen sind, wurde bisher noch nicht geklärt. Der EuGH überlässt die Festlegung der Relevanzschwelle im Einzelfall den nationalen Gerichten.658 657 

Rupp, RdA 2009, 307. Rs. C-167/97, Slg. 1999, I-623, Tz. 61 – Seymour-Smith. Beispielhaft aus der aktuellen Judikatur EuGH, Rs. C-157/15, EU:C:2017:203, Tz. 34 – Achbita: „Im vorliegenden Fall ist nicht ausgeschlossen, dass das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel eine mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 begründet, wenn sich erweist – was zu prüfen Sache des vorlegenden 658 EuGH,

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

cc) Die Benachteiligung von Teilgruppen als Grenzfall Wenn die unmittelbare von der mittelbaren Diskriminierung vorstehend hinsichtlich der Homogenität der zu bildenden Vergleichsgruppen abgegrenzt wurde, verbleiben gleichwohl Fallkonstellationen, in welchem sich die Zuordnung zu einer der beiden Kategorien als schwierig gestaltet. Dies ist etwa der Fall, wenn die Regel oder Entscheidungsmaxime des Verbotsadressaten nur einen Teil der Träger eines verbotenen Merkmals erfasst. Möglich ist etwa, dass der Verbotsadressat an ein Merkmal anknüpft, welches ausschließlich mit einem verbotenen Merkmal verbunden ist, oder dass er die Anknüpfung an das verbotene Merkmal mit der Anknüpfung an ein weiteres neutrales Merkmal verbindet.659 Klassisches Beispiel für die erste Fallgruppe ist die Ungleichbehandlung wegen der Schwangerschaft und für die zweite Fallgruppe die kombinierte Anknüpfung an das Geschlecht und den Personenstand oder die Benachteiligung von homosexuellen Personen, die zugleich einen Gay Pride Sticker tragen.660 Gemeinsam ist beiden Fallgruppen, dass hier eine Homogenität der Gruppen nur noch auf einer der beiden Seiten besteht, während die andere Seite eine inhomogene Gruppenprägung aufweist.661 So finden sich etwa im Falle einer Benachteiligung wegen der Schwangerschaft auf der Benachteiligtenseite nur Frauen, auf der Begünstigtenseite dagegen nichtschwangere Frauen und Männer. Die kumulierte Anknüpfung an die Merkmale Homosexualität und Gay Pride-Sticker benachteiligt ausschließlich homosexuelle Personen, während heterosexuelle Personen sowie homosexuelle Personen ohne Gay Pride ­Sticker nicht davon erfasst werden. Diese partiell inhomogene Gruppenstruktur könnte dazu verleiten, die genannten Fallgruppen der mittelbaren Diskriminierung zuzuordnen.662 Dies würde allerdings dem Charakter der in diesen Fällen zur Anwendung gekommenen Regelung oder Entscheidungsmaxime nicht gerecht werden. Dies wird ganz deutlich bei der ersten Fallgruppe: Wer an ein Merkmal anknüpft, welches sich ausschließlich bei Trägern eines verbotenen Merkmals findet, knüpft an eben dieses verbotene Merkmal an. Denn die Anknüpfung an ein Untermerkmal eines geschützten Merkmals enthält stets die Anknüpfung an das geschützte Merkmal in sich, welches mit einem anderen Gerichts ist –, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden.“ 659  Für die genannte Fallgruppe hat sich im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht der Begriff „sex plus discrimination“ eingebürgert, weil das Phänomen dort vor allem im Zusammenhang mit der kombinierten Anknüpfung an das Geschlecht und ein neutrales Merkmal diskutiert wird; siehe hierzu Schlachter, Wege zur Gleichberechtigung, S. 149, dort Fußnote 26. 660  Beispiel bei Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 16. 661  Rupp, RdA 2009, 307, 309. 662  So wohl Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 57.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

365

Zusatzmerkmal kombiniert wird.663 So gehört die Schwangerschaft untrennbar zum Frausein; eine Unterscheidung allein wegen der Schwangerschaft ist ohne Unterscheidung (auch) nach dem Geschlecht undenkbar. Von daher ist es nur konsequent, dass § 3 Abs. 1 S. 2 AGG in Umsetzung der Vorgaben des Unionsrechts die Ungleichbehandlung wegen der Schwangerschaft oder Mutterschaft der Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts gleichstellt. Die dahinter stehende Regel ist über den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 S. 2 AGG hinaus verallgemeinerungsfähig.664 Bei der zweiten Fallgruppe stellt sich die Lage kaum anders dar. Zwar handelt es sich hier bei dem kumulativ herangezogenen Merkmal um ein neutrales Merkmal, welches nicht ausschließlich bei Trägern des verbotenen Merkmals vorzufinden ist. Zugleich erfolgt in den genannten Fällen aber eine Anknüpfung an das verbotene Merkmal als solches. Das verbotene Merkmal hat mithin eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt. Dies reicht zur Bejahung einer unmittelbaren Diskriminierung aus und wird durch die zusätzliche Anknüpfung an das neutrale Merkmal nicht in Frage gestellt.665 Denn nach der Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch der deutschen Gerichte muss das verbotene Merkmal nicht das einzige Motiv der Entscheidungsfindung sein, sondern es kann sich hierbei auch um ein Motiv im Rahmen eines Motivbündels handeln.666 Dies wird besonders deutlich, wenn man, wie hier vertreten, auch bei Einzelfallentscheidungen als Bezugspunkt des Anknüpfungsverbotes nicht die Entscheidung als solche betrachtet, sondern die dieser zugrundeliegende Entscheidungsmaxime als abstrakt generelle Regelung, bei welcher das verbotene Merkmal auch nicht neben anderen Merkmalen als (differenzierendes) Tatbestandsmerkmal auftauchen darf. Anders stellt sich die Sache wiederum dar, wenn der Verbotsadressat allein an das neutrale Merkmal anknüpft und dieses nicht mit einen verbotenen Merkmal kombiniert. Hier taucht das verbotene Merkmal an keiner Stelle in der der Entscheidung zugrundeliegenden Entscheidungsmaxime auf, was sich in der beidseitig inhomogenen Gruppenstruktur äußert. Dies ist genau die Konstellation, die das Verbot der mittelbaren Diskriminierung im Auge hat, sofern aus der Anknüpfung an das neutrale Merkmal eine tatsächlich stärkere Betroffenheit von Merkmalsträgern resultiert. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist auch einschlägig, wenn die Anknüpfung an das (vermeintlich) neutrale Merkmal nur der Verdeckung einer Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal 663 Ähnlich

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 655.

664 Ebenso Grünberger, Personale Gleichheit S. 655, der darüber hinaus zutreffend darauf

hinweist, dass bereits die Regelung des § 3 Abs. 1 S. 2 AGG hinter den Vorgaben des Unionsrechts zurückbleibt, indem Artikel 4 Abs. 1 lit a der Richtlinie 2004/113/EG die Gleichstellung von Schwangerschaft und Mutterschaft mit dem Geschlecht auch für den zivilrechtlichen Bereich (Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen) vorschreibt. 665 Ebenso Rupp, RdA 2009, 307, 309. 666  Siehe oben II. 3. b) aa).

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Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

dient, das Diskriminierungsopfer diese aber, wie häufig, nicht beweisen kann. In diesen Fällen kommt die dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung neben dem Prinzip materieller Gleichheit innewohnende Umgehungsschutzfunktion zum Tragen, indem auch für die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal mit belastender Auswirkung das Vorliegen eines sachlichen Grundes verlangt wird.

dd) Nachweis Umstritten ist ferner, auf welche Weise der Nachweis der besonderen Benachteiligung von Merkmalsträgern zu erbringen ist. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass ein Nachweis auf Basis statistischer Erkenntnisse stets möglich und auch vorzugswürdig ist.667 Das BAG668 und die h.L.669 folgern aber aus der Formulierung des § 3 Abs. 2 AGG, wonach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Merkmalsträger in besonderer Weise benachteiligen „können“, dass auf einen statistischen Nachweis im Einzelfall zugunsten einer typisierenden Betrachtung verzichtet werden kann.670 Für diese Interpretation spricht, dass sich die mit § 3 Abs. 2 AGG wortlautidentischen Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation671 in diesem Punkt deutlich von den noch strengeren, einen statistischen Nachweis fordernden Vorgaben der Beweislastrichtlinie unterscheiden. Dass diese Änderung im Wortlaut durchaus auch mit einer Änderung in der Sache einhergehen sollte, lässt sich dem Komissionsentwurf zur Richtlinie 2000/78/EG entnehmen, in welchem insoweit auf die ähnlich großzügige Rechtsprechung des EuGH zum Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit hingewiesen wird.672. Angesichts dieses vom Unionsgesetzgeber klar intendierten Gleichlaufs zwischen Arbeitnehmerfreizügigkeit und unionalem Antidiskriminierungsrecht fallen die dogmatischen Unterschiede zwischen beiden Diskriminierungsverboten entgegen Thüsing673 nicht ins Gewicht. Zwar ist es richtig, dass der EuGH die Grundfreiheiten anders als 667 

von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 75. NZA 2010, 222, Tz. 29; BAG, NZA 2010, 947, Tz. 22. 669  Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 268 ff.; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 663 f.; von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 74 ff.; Schlachter, in: ErfK, § 3 AGG Rn. 8; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 5; Scholten, Diskriminierungsschutz im Privatrecht, S. 27 f.; Windel, RdA 2007, 1, 5; zweifelnd Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 59. 670  Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 57 ff. unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen faktischer und normativer Äquivalenz. 671  Vgl. Artikel 2 Abs. 2 lit b Richtlinie 2000/43/EG, Artikel 2 Abs. 2 lit b Richtlinie 2000/78/EG, Artikel 2 lit b Richtlinie 2004/113/EG;Artikel 2 Abs. 1 lit b Richtlinie 2006/54/ EG. 672 KOM (1999) 565 endg. S. 9 unter Hinweis auf EuGH, Rs. 237/94, Slg. 1996, I-2617, Tz. 18 ff. – O’Flynn. 673  Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 29. 668 BAG,

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

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die gesellschaftspolitischen Diskriminierungsverbote zwischenzeitlich zu umfassenden Beschränkungsverboten ausgebaut hat, die auch die unterschiedslose Behandlung mit ungleichen Auswirkungen umfassen, was insoweit wiederum die Grenzen zur mittelbaren Diskriminierung verschwimmen lässt.674 Dies spricht aber nicht gegen einen identischen Standard hinsichtlich des Nachweises einer mittelbaren Diskriminierung, weil es sich nach hier vertretener Auffassung beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung ebenso wie beim Verbot der unterschiedslosen Behandlung mit ungleicher Auswirkung um einen Ausfluss des Prinzips materieller Gleichheit handelt und nicht nur um ein Hilfsinstrument zum Nachweis (verdeckter) unmittelbarer Diskriminierungen.675

c) Rechtfertigung Eine mittelbare Diskriminierung liegt auch im Falle der Anknüpfung an ein neutrales, aber Träger eines verbotenen Merkmals tatsächlich benachteiligendes Merkmal nicht vor, wenn diese Anknüpfung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Über die Rolle dieses Kriteriums besteht einige Unklarheit. Wohl vor allem wegen der Einbindung in die Definition der mittelbaren Diskriminierung scheint heute im Schriftum weitgehende Einigkeit darüber zu bestehen, dass es sich hierbei nicht um einen echten Rechtfertigungsgrund, sondern um ein negatives Merkmal des Diskriminierungstatbestandes handelt.676 Dies vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr korreliert die Rolle, die dem Kriterium der sachlichen Rechtfertigung beizumessen ist, mit der Funktion des Verbots der mittelbaren Diskriminierung als solchem. Sieht man in dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung ausschließlich ein Hilfsinstrument zur Durchsetzung des Verbotes der unmittelbaren Diskriminierung, kommt dem Kriterium der sachlichen Rechtfertigung in der Tat nur die tatbestandsausschließende Funktion zu, die Vermutung der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal zu widerlegen.677 Wer dagegen in dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch ein Instrument zur Gewährleistung materieller Gleichheit sieht und diesem Verbot daher einen eigenständigen Gerechtigkeitsgehalt beimisst, kommt um die Qualifikation des Kriteriums der sachlichen Rechtfertigung als echter Rechtfertigungsgrund nicht herum.678 Wie oben eingehend dargelegt, sprechen die besseren Argumente für die zweite Alternative, wobei sich als eines 674 

Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 29; siehe hierzu schon oben § 2 C. III. 3. a). Siehe oben § 2 III. 2.; a.A. Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 29. 676  Adomeit/Mohr, AGG, § 3 Rn. 157; Bauer/Krieger, § 3 Rn. 31; von Medem, Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, S. 71; Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 60 f.; Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 47; Schrader/Schubert, in: Däubler/ Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 52; Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 39. 677  Insoweit konequent Thüsing, in: MüKoBGB, § 3 AGG Rn. 39. 678  In diesem Sinne wohl auch Grünberger, Personale Gleichheit, S. 661. 675 

368

Dritter Teil: Der Tatbestand des Diskriminierungsverbots

der wichtigsten Argumente gerade die Ausgestaltung des Kriteriums der sachlichen Rechtfertigung erwiesen hat.679 Denn zur Widerlegung einer verdeckten Anknüpfung des Verbotsadressaten an ein verbotenes Merkmal würde schon allein das Vorliegen eines sachlichen Grundes als solchem ausreichen. § 3 Abs. 2 AGG fordert indes zusätzlich, dass die Verfolgung des sachlichen Ziels angemessen und erforderlich ist und enthält damit ein allen Rechtfertigungsgründen eigenes Verhältnismäßigkeitselement. Dies ergibt nur einen Sinn, wenn die Anknüpfung an das neutrale, aber Merkmalsträger in besonderer Weise belastende Merkmal als solche im Grundsatz verhindert werden soll und daher dem Rechtfertigungsdiskurs unterstellt wird. Die Anknüpfung an ein neutrales aber faktisch belastendes Merkmal tritt somit, wie bereits gesehen, gleichberechtigt als weiterer Tatbestand neben die direkte Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal.680 Hierdurch werden auch, anders als Plötscher meint,681 nicht die merkmalsbezogenen Diskriminierungsverbote dem allgemeinen Gleichheitssatz angenähert. Dies wird schon allein dadurch verhindert, dass bei der mittelbaren Diskriminierung an die Stelle der unmittelbaren Anknüpfung an das verbotene Merkmal die „besondere Belastung“ von Merkmalsträgern durch die Anknüpfung an das neutrale Merkmal tritt. Eines weiteren Tatbestandsmerkmals bedarf es somit nicht zur Herstellung von Äquivalenz zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Das Fehlen eines rechtmäßigen Ziels ist vielmehr, ungeachtet der Einbeziehung in die Definition des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung, dogmatisch klar der Rechtfertigungsebene zuzuordnen. Hierfür spricht im Übrigen auch die in der Formulierung „es sei denn“ zum Ausdruck kommende Beweislastverteilung, wonach der Verbotsadressat das Vorhandensein eines rechtmäßigen Ziels beweisen muss. Indem das vom Verbotsadressaten herangezogene neutrale Merkmal aber regelmäßig nicht stereotype Verhaltenszuschreibungen oder gar persönliche Abneigungen gegenüber Merkmalsträgern, sondern vielmehr berechtigte, zumeist wirtschaftliche Interessen des Verbotsadressaten abbildet, sind die an die Rechtfertigung zu stellenden Anforderungen niedriger anzusetzen als bei einer direkten Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal. Dies kommt in der Definition der mittelbaren Diskriminierung dadurch zum Ausdruck, dass, anders als bei unmittelbaren Diskriminierung, jeder sachliche Grund potentiell geeignet ist, die Anknüpfung an das neutrale Merkmal zu rechtfertigen. Über die nachgeschaltete Verhältnismäßigkeitsprüfung wird jedoch sichergestellt, dass die berechtigten Interessen des Verbotsadressaten nur insoweit zu einer besonderen Benachteiligung von Merkmalsträgern und damit zu einer Verstetigung gesellschaftlicher Ungleichheiten führen dürfen, als die Anknüpfung an das 679 

Siehe oben 2.

681 

Plötscher, Begriff der Diskriminierung, S. 61.

680 Ibid.

§ 2 Die Strukturelemente des Diskriminierungstatbestands im Einzelnen

369

neutrale Merkmal unbedingt notwendig ist, um diese Interessen zu verwirklichen.682 Selbstverständlich darf eine Unternehmungsberatungsgesellschaft für die von ihren Arbeitnehmern zu verrichtenden Beratungstätigkeiten einen Hochschulabschluss fordern, auch wenn dies bedeutet, dass dadurch schwerpunktmäßig Bewerbern mit Migrationshintergrund, denen eine solche Ausbildung statistisch gesehen häufiger fehlt, der Zugang zu dieser Tätigkeit verstellt wird. Auch eine nachträgliche Ausbildung durch den Arbeitgeber „on the job“ stellt sich angesichts der Komplexität der hierbei zu vermittelnden Lehrinhalte insoweit nicht als milderes, den Arbeitgeber weniger belastendes Mittel dar. Für die Tätigkeit einer Reinigungskraft wäre die Anforderung eines Hochschulabschlusses dagegen ersichtlich fehl am Platz. Sofern eine solche überzogene Anforderung nicht ohnehin nur die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal kaschieren soll, erweist sich das Erfordernis eines Hochschulabschlusses hier schon als nicht geeignet, in jedem Falle aber als nicht erforderlich, die Qualität der Reinigungsleistung sicherzustellen. Dies ist die Kernaussage des Urteils Griggs, die auch heute noch den Charakter der mittelbaren Diskriminierung veranschaulicht.

682  Schiek, in: Schiek, AGG, § 3 Rn. 22. Mustergültig in diesem Sinne ist etwa die Verhältnismäßigkeitprüfung in EuGH, Rs. C-157/15, EU:C:2017:203, Tz. 39–43 – Achbita.

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371

Vierter Teil:

Die Rechtsfolgen Während im vorhergehenden dritten Teil der Arbeit der Tatbestand des Diskriminierungsverbots im Vordergrund stand, sollen nunmehr im vierten und letzten Teil der Arbeit die Rechtsfolgen von Verstößen gegen dieses Verbot in den Blick genommen werden. Denn jede Norm, ob gerecht oder ungerecht, effizient oder ineffizient, muss sich letztlich daran messen lassen, ob sie das mit ihrem Erlass verfolgte Ziel tatsächlich zu erreichen vermag. Bei den Verhaltensnormen des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts besteht dieses Ziel in der Verwirklichung eines subjektiven, dem Einzelnen um seiner selbst willen zuerkannten Rechts auf Gleichbehandlung in Teilen des Privatrechtsverkehrs. Rechtsfolgen von Verstößen gegen diese Normen müssen damit so ausgestaltet sein, dass Ungleichbehandlungen unterbunden oder ungeschehen gemacht werden. Inwieweit das bestehende Rechtsfolgenregime diesen Anforderungen gerecht wird, soll nachfolgend untersucht werden. Wie im dritten Teil der Arbeit, der sich mit dem Tatbestand des Diskriminierungsverbots beschäftigte, sind insoweit erneut die unionale und die nationale Ebene gleichermaßen in den Blick zu nehmen. Hierbei sollen allerdings, anders als im dritten Teil der Arbeit, nicht die Vorschriften des AGG Ausgangspunkt der Betrachtung sein. Denn während die Vorgaben des Unionsrechts im Hinblick auf den Tatbestand des Diskriminierungsverbots äußerst engmaschig sind und damit einen weitgehenden – auch terminologischen – Gleichlauf unionaler wie nationaler Regelungen bedingen, verfügen die Mitgliedstaaten bei der Etablierung und Ausgestaltung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen dieses Verbot über einen größeren, wenn auch bei weitem nicht unbegrenzten Spielraum. Dieser Spielraum soll als Maßstab für das nationale Recht zunächst separat ausgelotet werden. Hierbei soll die Frage am Anfang stehen, ob und wenn ja inwieweit das Unionsrecht zwingend die Etablie­r ung privatrechtlicher Rechtsfolgen vorgibt oder ob sich die Mitgliedstaaten auch auf ausschließlich öffentlich-rechtliche Rechtsfolgen beschränken können. In einem weiteren Schritt sollen dann die Vorgaben des Unionsrechts im Hinblick auf die Ausgestaltung einzelner privatrechtlicher Rechtsbehelfe des Diskriminierungsopfers spezifiziert und der nationale Normbestand jeweils im Anschluss auf Kompatibilität mit diesen Vorgaben übergeprüft werden. Hierbei wird zwischen primären, auf Abhilfe ausgelegten Rechtsbehelfen und sekundären Rechtsbehelfen in Form von Schadensersatzansprüchen des Diskriminierungsopfers unterschieden. Angesichts

372

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

der Tatsache, dass die Durchsetzung der materiellrechtlichen Ansprüche des Diskriminierungsopfers mit der Nachweisebarkeit ihrer Voraussetzungen im Prozess steht und fällt, soll abschließend der Beweisfrage gesonderte Aufmerksamkeit zuteil werden.

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§ 1 Der unionsrechtliche Rahmen: Freie Wahl der Rechtsfolgen oder obligatorisch privatrechtlicher Rechtsbehelf? A. Die Bedeutung des Begriffs Sanktion Wer sich mit den Rechtsfolgen von Verstößen gegen unionale oder unional determinierte Verhaltensnormen befasst, wird insoweit unweigerlich mit dem Begriff Sanktion konfrontiert. Das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht stellt hier keine Ausnahme dar. So legen die Texte der Richtlinien den Mitgliedstaaten die Pflicht zur Etablierung wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen auf. Der EuGH benutzt den Begriff im Rahmen seiner Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung und auch das Schrifttum zum unional determinierten Antidiskriminierungsrecht widmet sich dem Thema Rechtsfolgen häufig unter der Überschrift „Sanktionen“ und fasst hierunter sämtliche mögliche Rechtsfolgen privater Diskriminierungen, seien sie strafrechtlicher, verwaltungsrechtlicher oder zivilrechtlicher Art. Die Verwendung des Begriffs Sanktion zur Umschreibung sämtlicher Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot verwundert allerdings vor dem Hintergrund seines deutlich engeren sprachlichen Bedeutungsgehalts. Laut Duden bezeichnet der Begriff Sanktion in der deutschen Sprache nämlich in seiner rechtssprachlichen Bedeutung neben der im vorliegenden Kontext nicht in Betracht kommenden Billigung eines Verhaltens als dessen genaues Gegenteil „den Teil oder die Klausel eines Gesetzes, worin die Rechtsfolgen eines Verstoßes, die gegebenfalls zu verhängende Strafe festgelegt sind“.1 Es geht also ersichtlich darum, das zukünftige Verhalten des Verbotsadressaten durch eine Strafandrohung zu steuern. Noch deutlicher kommt dieser Strafzweck in der außerrechtlichen, bildungssprachlichen Bedeutung des Wortes Sanktion zum Ausdruck. Danach versteht man unter einer Sanktion eine „gegen jemanden gerichtete Maßnahme zur Erzwingung eines bestimmten Verhaltens oder zur Bestrafung. 2 Die sich hierin manifestierende 1 

Duden, Das Bedeutungswörterbuch.

2 Ibid.

374

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Fokussierung auf den Aspekt der Verhaltenssteuerung3 lässt den Begriff Sanktion jedenfalls in sprachlicher Hinsicht als eher ungeeignet erscheinen, das volle Spektrum möglicher Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot abzubilden. Denn diese Rechtsfolgen zielen, wie zu zeigen sein wird, mitnichten ausschließlich auf die Steuerung des zukünftigen Verhaltens des Verbotsadressaten, sondern sie dienen zugleich der Herstellung tatsächlicher Gleichheit zugunsten des Diskriminierungsopfers.4 Der Begriff Sanktion bringt diese zweite Zielrichtung möglicher Rechtsfolgen nur unzureichend zum Ausdruck.5 Zwar spricht diese Feststellung nicht per se dagegen, dass das Unionsrecht den Begriff Sanktion in einem weiteren, vom üblichen Sprachgebrauch abweichenden Kontext verwendet. Diese Abweichung ist aber vor einer Befassung mit den unionsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen kenntlich zu machen, um allfälligen Missverständnissen hinsichtlich der Zielrichtung und der Art der danach im einzelnen in Betracht kommenden Rechtsfolgen vorzubeugen. Im Rahmen der nachfolgenden Analyse soll der Begriff Sanktion deshalb nur dort verwendet werden, wo Texte der Union, die Rechtsprechung des EuGH oder Literaturauffassungen wiedergegeben werden. Im Übrigen soll der neutrale, auch die Perspektive des Diskriminierungsopfers einbeziehende Begriff Rechtsfolge zugrunde gelegt werden.

B. Die Kontroverse um die angebliche Sanktionsneutralität des Unionsrechts Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht, soweit dieses auf die Beseitigung privatrechtsbezogener Diskriminierungen zielt. Der privatrechtliche Bezugspunkt des Diskriminierungsverbotes legt es nahe, auch die Rechtsfolgen von Verstö3  Vgl. auch Bitter, Sanktion im Recht der EU, S. 36, wonach der Begriff Sanktion im Sinne der Soziologie und Philosophie ein Übel bezeichnet, welches einen normwidrig handelnden Rechtssubjekt zum Zwecke der Durchsetzung von Rechtsnormen auferlegt wird; ebenso Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 189 f. 4  In diesem Sinne auch Böse, Strafen und Sanktionen, der jedenfalls der Rechtsprechung des EuGH ein weiteres, auch restitutive Elemente einbeziehendes Sanktionsverständnis entnimmt. 5  Kritisch in Bezug auf die Verwendung des Begriffs Sanktion auch Tobler, Remedies and Sanctions, S. 32: „Whilst remedies (understood in a substantive sense) can generally be defined as concerning the form and the extent of the relief and the redress granted to victims of dis­ crimination, sanctions in a strict sense concern penalizing measures (and thus the measures aimed at by the Commission in its original proposals)“. Einen engeren, auf repressiv-präventive Zielsetzungen beschränkten Sanktionsbegriff propagieren auch Böse, Strafen und Sanktionen, S. 53 und Bitter, Sanktion im Recht der EU, S. 243.

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ßen gegen dieses Verbot ebenfalls im Bereich des Privatrechts anzusiedeln, welches als prädestiniert für die Definition und Durchsetzung privater Rechtspositionen erscheint. Als umso erstaunlicher stellt es sich vor diesem Hintergrund dar, dass das Unionsrecht in Bezug auf die Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen eine gewisse Indifferenz an den Tag zu legen scheint. Zwar existieren einige Spezialregelungen, die hinsichtlich bestimmter Arten von Diskriminierung explizit privatrechtlich zu verortende Rechtsfolgen vorsehen.6 Hinsichtlich der Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot im Übrigen enthalten jedoch alle vier Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation lediglich eine (General)Klausel, wonach die von den Mitgliedstaaten festzusetzenden Sanktionen, „die auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen. Indem die genannten Sanktionen Schadensersatzleistungen lediglich umfassen können und nicht etwa müssen, scheint eine privatrechtliche Durchsetzung des Diskriminierungsverbots mithin nicht zwingend vorgeschrieben zu sein. Diese Interpretation entspricht der Auffassung von Teilen des Schrifttums, wonach privatrechtliche Rechtsfolgen grundsätzlich nur eines unter verschiedenen Mitteln zur Sanktionierung von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot darstellen und alternativ eine Ahndung durch Bußgeld oder gar das Strafrecht in Betracht kommt.7 Bisweilen wird in diesem Kontext auch auf einzelne Mitgliedstaaten verwiesen, die im Rahmen der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien auf die Schaffung eigenständiger privatrechtlicher Haftungstatbestände verzichtet und einer öffentlich-rechtlichen Sanktion den Vorzug gegeben hätten.8 Nach anderen Stimmen im Schrifttum erfordern Verstöße gegen das 6 

Siehe dazu sogleich C. I. Annuß, NZA 1999, 738, 744; Bennecke/Kern, EuZW 2005, 360, 361; Thüsing, in: MüKoBGB, § 21 AGG Rn. 5; Schlachter, in: ErfK, § 15 AGG Rn. 1; Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 93; Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 148; wohl auch Busche, in: Leible/Schlachter, Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 159, 161, nach dem sich die Richtlinien hinsichtlich weiterer, nicht explizit geforderter Vorgaben für das nationale Rechtsfolgenregime zurückhalten, um den nationalen Gesetzgeber nicht zu präjudizieren. Eine Sanktionsneutralität als allgemeine Regel für die Durchsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten formuliert unter Einbeziehung der Rechtsprechung des EuGH zum Antidiskriminierungsrecht Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, S. 187 sowie dort Fußnote 86); wohl auch Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 205 ff., die einerseits unter Verweis auf das EuGH-Urteil von Colson (siehe sogleich unten D. I.) konstatiert, ein Bußgeld reiche zur Sanktionierung nicht aus, im weiteren Verlauf aber ausführt, die Sanktion könne auch nur eine einseitige sein, und dies im Umkehrschluss aus denjenigen Richtlinienvorgaben herleitet, die ausdrücklich Schadensersatzleistungen an die Opfer vorsehen (S. 219 ff.). 8  Thüsing, MüKoBGB, § 21 AGG Rn. 5 nennt als Beispiel die portugiesische Umsetzungsregelung, die Verstöße gegen die in den Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG vorgebenen Diskriminierungsverbote über das Ordungswidrigkeitenrecht ahndet. Das Beispiel stützt seine These (Möglichkeit der Ahndung von verbotenen Diskriminierung allein durch Straf- oder Verwaltungsrecht) indes nicht, weil in Portugal neben den genannten Sanktionen 7 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

durch die Antidiskriminierungsrichtlinien vorgebenen Diskriminierungsverbot dagegen zwingend die Etablierung privatrechtlicher Rechtsfolgen.9 Angesichts dieses unklaren Bildes besteht Anlass, die Frage nach etwaigen Vorgaben des Unionsrechts hinsichtlich der Art der Sanktion vorab zu untersuchen. Ausgangspunkt dieser Untersuchung sollen die Texte der Richtlinien sein, welche hinsichtlich bestimmter Sanktionen deutliche Aussagen treffen. Für den danach offenen, lediglich von der Generalklausel abgedeckten Bereich muss allerdings eine eingehende Befassung mit der Rechtsprechung des EuGH zur Diskriminierung wegen des Geschlechts erfolgen, welche dieser Generalklausel zugrundeliegt und ohne deren Kenntnis sie nicht verständlich wäre.

C. Sichtung des Normbestands – Vorgaben der Richtlinien Ausgangspunkt einer Untersuchung der Frage, ob das Unionsrecht für den Fall eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot zwingend privatrechtliche Rechtsfolgen anordnet, kann nur der aktuelle Normbestand der Antidiskriminierungsrichtlinien sein.

I. Spezifische Regelungen zur Nichtigkeit diskriminierender Vertragsbedingungen und zum Schadensersatz Eine erste Sichtung des aktuellen Normbestands fördert zwei spezifische an die Mitgliedstaaten gerichtete Regelungsvorgaben zutage, deren Inhalt eindeutig auf die Etablierung privatrechtlicher Regelungen zielt. Zum einen werden die Mitgliedstaaten in allen vier Antidiskriminierungsrichtlinien verpflichtet, die Unwirksamkeit diskriminierender Regelungen oder Bestimmungen in Kollektiv- und Einzelverträgen sicherzustellen.10 Zum anderen wird in den beiden Richtlinien, die für das Arbeitsrecht und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ein Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts vorauch eine privatrechtliche Haftung des Verbotsadressaten existiert (vgl. Tobler, Remedies and Sanctions, S. 28). 9  Basedow, ZEuP 2008, 230, 239; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 7; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 513; Kossak, Rechtsfolgen, S. 26; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz, S. 58; Tobler, Remedies and Sanctions, S. 33; wohl auch Kocher, in: Schiek, AGG, vor § 13 Rn. 3 und G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 402; der sich hiermit aber in einen gewissen Widerspruch zu seiner eigenen, im selben Beitrag (S. 393) getroffenen Feststellung setzt, wonach der EuGH die Androhung von Schadensersatzpflichten als Sanktion sieht, „die in einem Arsenal möglicher Sanktionsinstrumente neben anderen steht“.  10  Artikel 14 lit b Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 16 lit b Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 13 lit b Richtlinie 2004/113/EG; Artikel 23 lit b Richtlinie 2006/54/EG.

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geben, zwingend die Etablierung von Schadensersatzansprüchen der Diskriminierungsopfer angeordnet.11 Jedenfalls im Hinblick auf diese spezifischen Vorgaben bzw. Konstellationen fordert das Unionsrecht also, insoweit von niemand bezweifelt, die Etablierung privatrechtlicher Rechtsfolgen.

II. Die beiden Generalklauseln: Rechtsschutz und Sanktionen Für den weiten, durch diese Regelungen nicht abgedeckten Bereich möglicher Diskriminierungen, insbesondere also für Diskriminierungen wegen anderer Merkmale als des Geschlechts, die sich nicht in einer diskriminierenden Vertragsregelung manifestieren, fehlt es dagegen an derart spezifischen Rechtsfolgenanordnungen. Grundlage für die Bestimmung der seitens des Unionsrechts geforderten Rechtsfolgen für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot sind insoweit zwei generalklauselartige Regelungen, die sich in allen vier Antidiskriminierungsrichtlinien finden. Die erste dieser Regelungen, die mit „Rechtsschutz“ überschrieben ist, verpflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen „daß alle Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche aus dieser Richtlinie auf dem Gerichts- und/oder Verwaltungsweg sowie, wenn die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, in Schlichtungsverfahren geltend machen können, selbst wenn das Verhältnis, während dessen die Diskriminierung vorgekommensein soll, bereits beendet ist“.12

Nach der bereits erwähnten zweiten, mit „Sanktionen“ überschriebenen Regelung legen „die Mitgliedstaaten … die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“13

Auf den ersten Blick scheint die erste der beiden Regelungen primär prozessuale Vorgaben zu enthalten, während die materiellen Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot ausschließlich von der zweiten Regelung erfasst werden. Eine solche Schlussfolgerung wäre aber voreilig, da sie die Entstehungsgeschichte der beiden Regelungen unberücksichtigt ließe. In der ersten Richtlinie 11 

Artikel 18 Richtlinie 2006/54/EG; Artikel 8 Abs. 2 Richtlinie 2004/113/EG. Artikel 7 Abs. 1 Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 9 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG; Artikel 17 Abs. 1 Richtlinie 2006/54/EG. 13  Artikel 15 Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 17 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 14 Richtlinie 2004/113/EG; Artikel 25 Richtlinie 2006/54/EG. 12 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

zur Gleichbehandlung im Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 76/207/EG, die man mit Fug und Recht als die „Mutter aller Antidiskriminierungsrichtlinien“ bezeichnen kann, fand sich nämlich nur die den Rechtsschutz betreffende erste der beiden Regelungen. Die zweite Regelung, welche die durch die Mitgliedstaaten zu etablierenden „Sanktionen“ betrifft, wurde dagegen erst durch die Rechtsprechung des EuGH aus ersterer Regelung heraus entwickelt und noch später im Rahmen der Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien der zweiten Generation um die Jahrtausendwende sekundärrechtlich kodifiziert. Allein dieser Umstand macht deutlich, dass sich der Text der Richtlinien zur Frage der Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot nicht aus sich heraus interpretieren lässt, sondern dass es hierzu einer gründlichen Analyse der dahinterstehenden Rechtsprechung des EuGH bedarf.14

D. Ein Blick zurück: Die Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 76/207/EWG I. Das Urteil von Colson als Ausgangspunkt für die Dichotomie der Rechtsfolgen 1. Gegenstand des Verfahrens und Feststellungen des Gerichtshofs Den Ausganspunkt für die Beantwortung der Frage nach den durch das Unionsrecht vorgebenen Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot markiert das Urteil von Colson,15 welchem daneben maßgebliche Bedeutung für die Entwicklung des Rechtsinstituts der richtlinienkonformen Auslegung zukommt.16 Das deutsche Ausgangsverfahren vor dem Arbeitsgericht Hamm betraf einen Fall der Diskriminierung wegen des Geschlechts beim Zugang zur Beschäftigung. Die Klägerinnen hatten sich auf zwei durch eine Justizvollzugsanstalt ausgeschriebene Sozialarbeiterstellen beworben. Eingestellt wurden aber schließlich zwei Bewerber männlichen Geschlechts. Die Klägerinnen hatten vor dem Arbeitsgericht Hamm Klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Abschluss eines Arbeitsvertrages, hilfsweise auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 6 Monatsgehältern wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung erhoben. Das Gericht bestätigte das Vorliegen einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung, sah sich aber gleichwohl außerstande den Klageanträgen stattzugeben, weil § 611a BGB in seiner damaligen Fassung als Rechtsfolge nur einen 14  Zur zentralen Rolle der Rechtsprechung des EuGH bei der Erschließung des unionalen Antidiskriminierungsrechts und zum beschränkten Erkenntniswert einer rein textlichen Interpretation der maßgeblichen Rechtsquellen siehe bereits oben Erster Teil § 2 B. II. 2. 15 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891 – von Colson. 16  Siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. a).

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Ersatz des Vertrauensschadens vorsah (Portoparagraph). Wegen Zweifels an der Richtlinienkonformität der deutschen Regelung legte das Gericht dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob die Richtlinie 76/207/EWG einen Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages vorsieht (1. Vorlagefrage). Für den Fall, dass der EuGH die erste Frage verneint, wollte das Amtsgericht Hamm wissen, welche Sanktion die Richtlinie im Falle von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot vorsieht (5. Vorlagefrage). Der EuGH hat die Vorlagefragen wie folgt beantwortet: Auf die erste Vorlagefrage (Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrages) stellte der EuGH fest: „Artikel 6 verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Erlaß der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die notwendig sind, damit jeder, der sich durch eine Diskriminierung für beschwert hält, „seine Rechte gerichtlich geltend machen kann“.Aus dieser Bestimmung folgt, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, die hinreichend wirksam sind, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen, und dafür Sorge zu tragen, daß die Betroffenen sich vor den nationalen Gerichten tatsächlich auf diese Maßnahmen berufen können. Zu solchen Maßnahmen könnten zum Beispiel Vorschriften gehören, die den Arbeitgeber zur Einstellung des diskriminierten Bewerbers verpflichten oder eine angemessene finanzielle Entschädigung gewähren und die gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden. Allerdings schreibt die Richtlinie keine bestimmte Sanktion vor, sondern beläßt den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung ihrer Zielsetzung geeigneten Lösungen.“17

Auf die fünfte Vorlagefrage (Sanktionen im Übrigen) antwortete der EuGH wie folgt: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß wirkliche Chancengleichheit nicht ohne eine geeignete Sanktionsregelung erreicht werden kann. Diese Folgerung ergibt sich nicht nur aus der Zielsetzung der Richtlinie selbst, sondern insbesondere aus ihrem Artikel 6, der dadurch, daß er den Bewerbern um einen Arbeitsplatz, die diskriminiert worden sind, ein Klagerecht einräumt, anerkennt, daß ihnen Rechte zustehen, die sie vor Gericht geltend machen können.“18 „Auch wenn eine vollständige Durchführung der Richtlinie nicht – wie in der Antwort auf die erste Frage festgestellt – eine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordert, so setzt sie doch voraus, daß diese Sanktion geeignet ist, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten. Sie muß ferner eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. Entscheidet sich der Mitgliedstaat dafür, als Sanktion für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, so muß diese deshalb jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen.“19

17 EuGH,

Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 18 – von Colson. Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 22 – von Colson. 19 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 23 – von Colson.

18 EuGH,

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2. Schlussfolgerungen a) Der Schutz subjektiver Rechte des Diskriminierungsopfers als zentrales Ziel von Rechtsfolgenanordnungen Normativer Bezugspunkt der Ausführungen des EuGH zu den Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen ist Artikel 6 der Richtlinie 76/207/EG, der die Mitgliedstaaten darauf verpflichtet, die gerichtliche Geltendmachung der Rechte von Diskriminierungsopfern sicherzustellen. Im Fokus steht mithin der Schutz der den Diskriminierungsopfern durch die Richtlinie eingeräumten bzw. durch den nationalen Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie einzuräumenden subjektiven Rechte. Die mit dem Urteil van Gend en Loos erfolgte Anerkennung subjektiver Rechte des Einzelnen gegenüber den Adressaten unionaler Verhaltensnormen, 20 bei denen es sich um die Mitgliedstaaten, aber auch, wie etwa im Wettbewerbsrecht, um Einzelpersonen handeln kann, wurde bereits an anderer Stelle als Charakteristikum der Union als suprana­ tionaler Rechtsgemeinschaft herausgestellt. 21 Ob eine Norm des Unionsrechts dem Einzelnen subjektive Rechte einräumt oder – bei Richtlinien – die Schaffung solcher Rechte vorgibt, muss der jeweiligen Norm im Wege der Auslegung entnommen werden. 22 Bei den binnenmarktbezogenen Verbürgungen des Primärrechts wie auch bei zahlreichen auf die Verwirklichung des Binnenmarktes zielenden Sekundärrechtsakten ergibt sich die Einräumung subjektiver Rechte aus dem Gedanken der funktionalen Subjektivierung, indem das Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner Rechte in den Dienst der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts gestellt wird. 23 Im unionalen Antidiskriminierungsrecht bedarf es eines solchen Begründungsansatzes dagegen nicht, da den insoweit vorgegebenen Verhaltensnormen per se Grundrechts- und damit Indivi­ dualschutzcharakter zukommt. 24

20  Vgl.

EuGH, Rs, 26/62, Slg. 1963, 1, 24 – van Gend en Loos. Siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) bb). 22  Dies entspricht der allgemeinen Meinung, vgl. aus dem Schrifttum nur Hellgardt, Regulierung durch Privatrecht, S. 194. Der EuGH betont den Auslegungsaspekt in ständiger Rechtsprechung durch den Hinweis, dass individuelle Rechte nicht nur entstehen, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch aufgrund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt, vgl. bereits EuGH, Rs, 26/62, Slg. 1963,1, 25 – van Gend en Loos; aus der späteren Judikatur EuGH, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357, Tz. 33 ff. – Francovich; EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297; Tz. 26 ff. – Courage. 23  Siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) bb). 24 Ibid. 21 

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b) Individualschutz nach dem Grundsatz ubi ius, ibi remedium Wo aber unionsrechtliche Normen subjektive Rechte entweder selbst einräumen oder deren Einräumung durch die Mitgliedstaaten vorgeben, gebietet der Grundsatz der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts zuallererst, dass den Trägern solcher Rechte die Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Rechtsposition zu verteidigen und vor den Gerichten durchzusetzen. Hieraus wurde im Schrifttum der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz „ubi ius, ibi remedium“ hergleitet, wonach die Einräumung subjektiver Rechte zwingend die Gewährung individueller Rechtsbehelfe des Rechsinhabers für den Fall der Verletzung dieses Rechts bedingt. 25 Das Erfordernis individueller Rechtsbehelfe ist danach letztlich eine logische Folge des im Urteil van Gend en Loos festgestellten Charakters der Europäischen Union als supranationaler Rechtsgemeinschaft mit unmittelbar von den mitgliedstaatlichen Gerichten zu beachtenden subjektiven Rechten der einzelnen (Markt)Bürger. 26 Die Einräumung subjektiver Rechte gewährleistet auf der ersten Ebene die Unanwendbarkeit bzw. Nichtigkeit mitgliedstaatlicher (oder privater) Regelungen, die dem unional eingeräumten subjektiven Recht entgegenstehen. 27 Insoweit genügt als flankierende Maßnahme die Möglichkeit des Bürgers, sich vor den Gerichten auf diese Unanwendbarkeit berufen zu können. Manifestiert sich die Verletzung des subjektiven Rechts dagegen nicht in einer Rechtsnorm, sondern in einem (legislativen) Unterlassen oder einem sonstigen Verhalten des Normadressaten, ist dem Rechtsinhaber mit dem Unanwendbarkeitspostulat und dessen klageweiser Durchsetzung nicht gedient, sondern es bedarf in diesem Falle der Einräumung eigenständiger materieller Rechtsbehelfe zur Wiedergutmachung der Rechtsverletzung.28 Diesen Schritt ist der EuGH im Hinblick auf Rechtsverletzungen seitens der Mitgliedstaaten im Urteil Franco25  Die Herleitung dieses Grundsatzes aus der Judikatur des EuGH geht zurück auf die Schlussanträge von Generalanwalt van Gerven in der Rechtssache Banks (GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 – Banks, Tz. 36 ff.). In einem späteren, grundlegenden Beitrag zu diesem Thema aus dem Jahr 2000 hat van Gerven den von ihm entwickelten Ansatz weiter spezifiziert, vgl. van Gerven, CML Rev. 37 (2000), 501 ff. Vgl. monographisch zum Ganzen auch Eilmannsberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997; Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, 2016. 26 GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 – Banks, Tz. 43; Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 79 ff. Eine ausrückliche Bezugnahme auf das Urteil van Gend en Loos und die in diesem Urteil vorgenommene Qualifikation der Union als „eigenständige Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte auch die Einzelnen sind“ enthalten auch alle Urteile zur Haftung der Mitgliedstaaten und Privater im Falle der Verletzung subjektiver unionaler Rechte, siehe dazu sogleich. 27 EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Tz. 28 – Simmenthal II. Siehe zur negativen Ausschlusswirkung (legal review) subjektiver unionaler Rechtsverbürgungen bereits oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. c). 28  van Gerven, CML Rev. 37 (2000), 501, 509; näher zu den Voraussetzungen ungeschriebener Schadensersatzansprüche Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 518 ff.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

vich gegangen, indem er dem von der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie betroffenen Bürger einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den säumigen Mitgliedstaat eingeräumt hat. 29 Für Rechtsgutsverletzungen, die von Privatpersonen ausgehen, kann aber letztlich nichts anderes gelten, soweit diese Privatpersonen (ausnahmsweise) ebenfalls unmittelbar gegenüber dem Bürger an die Regelungen des Unionsrechts gebunden sind.30 So war es erneut nur ein logischer Schritt, dass der EuGH im Urteil Courage private Unternehmer im Falle des Verstoßes gegen Regelungen des unionalen Wettbewerbsrechts zur Leistung von Schadensersatz an hierduch geschädigte Personen verpflichtet hat.31 Was für subjektive Rechte gilt, die dem Bürger funktional zur Verwirklichung des Binnenmarktzieles eingeräumt werden, muss aber erst Recht für das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht gelten, in dessen Rahmen dem Einzelnen subjektive Rechte um seiner selbst willen eingeräumt werden. Das Antidiskriminierungsrecht ist damit in besonderem Maße prädestiniert für die Gewährleistung eines Individualrechtsschutzes durch Einräumung individueller Rechtsbehelfe der Diskriminierungsopfer gegenüber den Verbotsadressaten. Nichts anderes meint letztlich auch der EuGH, wenn er im Urteil von Colson gleich eingangs seiner Ausführungen zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot den Erlass mitgliedstaatlicher Maßnahmen fordert, auf welche sich die Betroffenen vor den nationalen Gerichten „tatsächlich“ berufen können.32 Noch deutlicher wird der Gerichtshof an späterer Stelle mit seinem Hinweis auf den Zusammenhang zwischen der Einräumung eines Klagerechts und dem Bestehen von Rechten, die mithilfe dieses Klagerechts gerichtlich durchgesetzt werden sollen. Das Rechtsgebiet, in dessen Rahmen Rechtspositionen zwischen Bürgern definiert und durchgesetzt werden, ist aber das Privatrecht. Zwar mag dem Bürger auch im Verwaltungs- oder Strafprozess die Möglichkeit eingeräumt werden, ein Verfahren gegen den Verbotsadressaten zu initiieren bzw. zu erzwingen. Hierbei geht es aber gerade nicht um die Durchsetzung der individuellen Rechtsposition des Bürgers, sondern um die Verhinderung zukünftiger Verstöße. Die Gewährung eines individuellen, auf dem Klagewege durchsetzbaren materiellen Rechtsbehelfs bedeutet damit zugleich die Gewährung eines privatrechtlichen Anspruchs. Diese vom EuGH später in den Urteilen Francovich und Courage ausdrücklich vollzogene Schlussfolgerung lässt sich damit im Ansatz bereits im frühen Stadium seiner Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Verbot der geschlechtsbezognenen Diskriminierung ausmachen. Das Urteil von Colson kann 29 EuGH,

Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357, Tz. 33 ff. – Francovich. bereits 6 Jahre vor dem Urteil Courage GA van Gerven, Schlussanträge zu EuGH Rs. C-128/92, Slg. 1994, I-1209 – Banks, Tz. 36; ebenso Steindorff, CML Rev. 34 (1997), 1259, 1269. 31 EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297; Tz. 26 ff. – Courage. 32  Ähnliche Deutung bei Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 509 f. 30  So

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damit als der eigentliche nucleus des Rechts auf einen privatrechtlichen Rechtsbehelf als Folge der Verletzung subjektiver Rechte durch Private betrachtet ­werden. Gegen diese Interpretation des Urteils von Colson lässt sich auch nicht die vielzitierte Passage ins Feld führen, wonach die Richtlinie keine bestimmte Sanktion vorschreibt, sondern den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung ihrer Zielsetzung geeigneten Lösungen belässt.33 Denn diese Passage ist im Kontext mit dem vorhergehenden Satz zu lesen, in welchem sich der EuGH spezifisch zu der an ihn gestellten ersten Vorlagefrage äußert, ob die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Etablierung eines Anspruchs auf Abschluss eines Arbeitsvertrages verbindlich vorschreibt. Der EuGH verneint dies mit dem Verweis auf ein den Mitgliedstaaten eingeräumtes Wahlrecht zwischen Vorschriften, die den Arbeitgeber zur Einstellung des diskriminierten Bewerbers verpflichten, und Vorschriften, die eine angemessene finanzielle Entschädigung gewähren und die gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden. Die den Mitgliedstaaten zu Verfügung stehenden Alternativen lauten somit Kontrahierungszwang und Schadensersatz. Bei beiden Alternativen handelt es sich indes um privatrechtliche Ansprüche, welche nur „gegebenenfalls“ durch eine Bußgeldregelung „verstärkt werden „können“.34 Genau auf dieses grundsätzliche Wahlrecht zwischen unterschiedlichen privatrechtlichen Ansprüchen bezieht sich aber auch die nachfolgende Aussage, wonach die Richtlinie den Mitgliedstaaten keine bestimmte Sanktion vorschreibt. Eine spezifische Pflicht zur Etablierung eines Kontrahierungszwanges, nach welcher das vorlegende Gericht ausdrücklich gefragt hatte, besteht also nicht,35 eine Pflicht zur Etablierung irgendeines privatrechtlichen Rechtsbehelfs dagegen schon.36

33  So aber Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 53, 177 ff., der dem Urteil von Colson im Hinblick auf die dort konstatierte Wahlfreiheit der Sanktion nur eine Aussage hinsichtlich des Sanktionscharakters nationaler Rechtsfolgenregelungen entnehmen möchte und das weitere Erfordernis eines individuellen Rechtsbehelfs erst im späteren Urteil Marshall II verortet. Ähnlich Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 706. 34  Auf den nur verstärkenden Charakter von Bußgeldregelungen ebenfalls hinweisend Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 509. 35 Ähnlich Kossak, Rechtsfolgen, S. 26. Curtin, CML Rev. 22 (1985), 505, 519 erklärt diese Zurückhaltung des EuGH mit der Zurückhaltung mitgliedstaatlicher Gerichte, die Durchführung eines bestehenden Arbeitsvertrages im Wege der „specific performance“ durchzusetzen: „To do so, it is said, would turn contracts of service into contracts of slavery.“ 36  Im Ergebnis ebenso Grünberger, Personale Gleichheit, S. 716 f., wohl auch Tobler, Remedies and Sanctions, S. 8 („right to a personal remedy“). Vorsichtiger in diese Richtung formuliert Kossak, Rechtsfolgen, S. 26 unter Verweis auf den Umstand, dass dem EuGH bisher nur zivilrechtliche Haftungsregelungen vorgelegt wurden.

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c) Verhaltenssteuerung als zusätzliches Element Der Hinweis auf die verstärkende Bußgeldregelung weist aber bereits auf einen weiteren Ansatz des EuGH zum Schutz der subjektiven Rechte der Diskriminierungsopfer hin, welchen der EuGH im Urteil von Colson parallel zum Aspekt des Individualrechtsschutzes entwickelt und in der Folge weiter ausgebaut hat.37 Ausgangspunkt für diesen zweiten Ansatz ist die Aussage des EuGH, wonach die von den Mitgliedstaaten zu etablierende Sanktion nicht nur geeignet sein muss, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten, sondern darüber hinaus eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben muss. Es geht also ersichtlich nicht nur darum, als Minimalstandard ex post die Durchsetzung der individuellen Rechte des Diskriminierungsopfers auf dem Klagewege zu gewährleisten, sondern darüber hinaus um die Verhinderung zukünftiger Verstöße durch die Abschreckung des Arbeitgebers ex ante. Die von den Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgen müssen somit eine verhaltenssteuernde Komponente aufweisen und sich insoweit als „Sanktionen“ auch im Sinne des allgemeinen Sprachverständnisses gerieren. Auf welche Weise die Verhaltenssteuerung beim Verbotsadressaten erreicht werden soll, bleibt wiederum den Mitgliedstaaten überlassen. Naheliegend erscheinen zunächst Straf- oder Bußgeldtatbestände, die der EuGH ja auch eigens als flankierende Maßnahmen erwähnt. Ein weiteres Instrument zur Verhaltenssteuerung stellen Schadensersatzansprüche dar; hat sich doch in den letzten Jahrzehnten zunehmend die Erkenntis durchgesetzt, dass Schadensersatzansprüchen neben der seit jeher unbestrittenen Kompensationsfunktion auch eine verhaltenssteuernde, präventive Funktion zukommt.38 Dass auch das Unionsrecht die Präventionswirkung von Schadensersatzansprüchen durchaus im Blick hat und sich zu Nutzen macht,39 folgt nicht zuletzt daraus, dass diese Wirkung in weiten Bereichen des Unionsrechts überhaupt erst der Anlass für die Anerkennung subjektiver Rechte war, indem der einzelne „Markt“-Bürger zum Sachwalter der Durchsetzung des Binnenmarkziels gegenüber den Mit37  Zum weiteren Ausbau des Sanktionsgedankens durch den EuGH außerhalb des Antidiskriminierungsrechts vgl. Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 54 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH. 38  Die Präventionsfunktion von Schadensersatzansprüchen ist bereits seit längerem ein Untersuchungsgegenstand der ökonomischen Analyse des Rechts, vgl. aus dem US-amerikanischen Schrifttum Calabresi, Yale L.J. 70 (1961), 499 ff. In Deutschland ist die Präventionsfunktion verstärkt mit der Rechtsprechung des BGH zur Höhe des Schadensersatzes wegen Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BGH NJW 1995, 861, 864 – Caroline I) in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses geraten. Vgl. etwa die Monographien von Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, 2003 und Möller, Das Präventionsprinzip des Schadensrechts, 2006. Eingehend mit dem Präventionsfunktion von Schadensersatzansprüchen beschäftigt sich auch G. Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff. 39 Vgl. Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 98 ff. mit Nachweisen zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH aus verschiedenen Bereichen des Unionsrechts.

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gliedstaaten und einzelner Marktakteure bestimmt wird (funktionale Subjektivierung).40 Auch im Urteil von Colson manifestiert sich die zentrale Bedeutung, die der EuGH Schadenensersatzregelungen gerade im Hinblick auf die erforderliche Abschreckungswirkung beimisst, in der Feststellung, wonach ein von dem Mitgliedstaaten als Sanktion etablierter Entschädigungsanspruch in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss. Hierin liegt zugleich eine erste, zugleich der Kompensationsfunktion Rechnung tragende inhaltliche Anforderung an Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot, auf welche an späterer Stelle unter dem Stichwort „Prävention durch Kompensation“ noch näher einzugehen sein wird.41 An dieser Stelle genügt der Hinweis, dass auch und gerade Schadensersatzansprüche ein geeignetes Instrument zu der vom EuGH geforderten Abschreckung des Verbotsadressaten vor zukünftigen Diskriminierungen darstellen. Schadensersatzansprüchen kommt damit in Bezug auf den Schutz subjektiver Rechte eine Doppelfunktion zu.42 Über ihre Kompensationsfunktion gewährleisten sie die Wiedergutmachung einer erlittenen Rechtsverletzung auf dem Klageweg, über ihre Präventionsfunktion stellen sie sicher, dass zukünftige Diskriminierungen unterbleiben. Gerade im Hinblick auf diese Doppelfunktion kann man Schadensersatzansprüche als Mittel erster Wahl für die Durchsetzung subjektiver Rechte im Allgemeinen und des Rechts auf Nichtdiskriminierung im Besonderen bezeichnen. Diese Feststellung impliziert aber nicht, dass Schadensersatzansprüche unter dem Aspekt der Abschreckung zwingend geboten sind.43 Insoweit gilt vielmehr die von Teilen des Schrifttums fälschlicherweise der Rechtsfolgenregelung insgesamt zugesprochene Sanktionsneutralität des Unionsrechts. Unter Abschreckungsgesichtspunkten kommt damit einer Ahndung von Diskriminierungen durch Straf- oder Bußgeldtatbestände ebenso in Betracht wie Schadensersatzansprüche der Diskriminierungsopfer.44

40  Ausdrücklich erwähnt wird die Präventionswirkung von Schadensersatzansprüchen etwa in EuGH, Rs. C‑453/99, Slg. 2001, I-6297, Tz. 26 – Courage. Allgemein zum Prinzip der funktionalen Subjektivierung siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) bb). 41  Siehe unten § 2 B. I. 2 b) ee). 42  Die Doppelnatur von Schadensersatzansprüchen im Unionsrecht betont auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 541. 43  In diese Richtung tendierte aber zunächst Steindorff, Jura 1992, 566, der allein aus dem Sanktionspostulat (und nicht aus dem Aspekt des Individualschutzes) privatrechtliche Schadensersatzansprüche bei Verstößen gegen das unionale Wettbewerbsrecht herleiten wollte. Anders später jedoch ders., CML Rev. 34 (1997), 1259, 1269 („rights of individuals“). 44  Zu weit geht vor diesem Hintergrund die Auffassung von Tobler, Remedies and Sanctions, S. 34 und (zustimmend) Kocher, in: Schiek, AGG, vor § 13 Rn. 8, wonach bei bestimmten Arten der Diskriminierung unter dem Aspekt der Verhaltenssteuerung zwingend eine Flankierung des zivilrechtlichen Sanktionssystems durch Strafen geboten ist, die ein gesellschaftliches Unwerturteil zum Ausdruck bringen.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

d) Zwischenfazit: Doppelte Zielrichtung von Rechtsfolgenregelungen Als wichtigste Erkenntis aus dem Urteil von Colson stellt sich somit die doppelte Zielrichtung der von den Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot dar. Zum einen müssen den Opfern von Diskriminierungen individuelle Rechtsbehelfe an die Hand gegeben werden, mit deren Hilfe sie so gestellt werden, als hätte die Diskriminierung nicht stattgefunden. Die Rechtsfolge muss in diesem Sinne geeignet sein, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtscchutz zu gewährleisten. Zum anderen müssen künftige Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot verhindert werden, indem Rechtsfolgen auch eine abschreckende Wirkung entfalten.45 Beide Ziele stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die von den Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsbehelfe müssen stets beiden Anforderungen genügen. Dies schränkt wiederum die den Mitgliedstaaten durch den EuGH eingeräumte freie Wahl der Rechtsfolgen („Sanktionen“ im weiteren Sinne) ein, indem sich dieses Wahlrecht nicht auf die Art der festzusetzenden Rechtsfolgen im Allgemeinen, sondern auf das jeweils hierdurch zu verwirklichende Ziel bezieht. So haben die Mitgliedstaaten zum einen im Hinblick auf die Schaffung eines individuellen Rechtsbehelfs die Wahl (und hierum ging es vorrangig im Urteil von Colson) zwischen verschiedenen privatrechtlichen Rechtsbehelfen, wie etwa Schadensersatzansprüchen oder einem Kontrahierungszwang, und können zum anderen zwischen verschiedenen verhaltenssteuernden Instrumenten frei wählen. Ein Verzicht auf einen individuellen (und damit privatrechtlichen) Rechtsbehelf ist damit insgesamt ebensowenig möglich wie ein Verzicht auf ein verhaltenssteuerndes Element. Diese Mehrdimensionalität des Rechtsfolgenregimes und das damit einhergehende zwingende Erfordernis privatrechtlicher Rechtsbehelfe ist die wohl wichtigste rechtsfolgenbezogene Aussage des Urteils von Colson, der im Schrifttum allerdings deutlich weniger Beachtung zuteil wurde als der im gleichen Urteil erstmals herausgestellten Abschreckungsfunktion mitgliedstaatlicher Rechtsfolgenregelungen. Diese einseitige, einem Zeittrend geschuldete Fokussierung auf den Aspekt der Verhaltenssteuerung ist aber im höchsten Maße bedauerlich; hat sie doch neben dem unglücklich gewählten Begriff der „Sanktion“ wesentlich zu Verfestigung der Auffassung beigetragen, wonach das Unionsrecht den Mitgliedstaaten bei der Feststetzung der Rechtsfolgen gegen das Diskriminierungsverbot die Wahl der Mittel grundsätzlich freistellt und damit auch Lösungen außerhalb des Privatrechts ermöglicht. Diese Auffassung war, wie gesehen, bereits auf Basis des Urteils von Colson nur schwer begründbar.46 Deutlicher wird dies aber erst im Rahmen einer Betrachtung der Folgeurteile des EuGH. 45 Treffend: Curtin, CML Rev. 22 (1985), 505, 518: „The remedial model envisaged by the Court of Justice in Von Colson and Harz is Janus-faced with remedies looking to the future and remedies looking to the past, seeking to compensate for injuries“. 46  In diesem Sinne ganz allgemein zur Frage der Erforderlichkeit privaterechtlicher Recht-

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II. Das Urteil Marshall II Die nächste Möglichkeit, sich zu den Rechtsfolgen einer Verletzung des Diskri­ minierungsverbots zu äußern, ergab sich für den EuGH im Urteil Marshall II.47 Es handelt sich hierbei um eine Folgeentscheidung zu einem früheren Urteil des EuGH (Marshall I). In diesem auf Vorlage eines englischen Gerichts ergangenen Urteil hatte der EuGH festgestellt, dass Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 EWG dahin auszulegen ist, dass eine allgemeine Entlassungspolitik, wonach eine Frau nur aus dem Grund entlassen wird, weil sie das staatliche Ren­ ten­eintrittsalter erreicht oder überschritten hat, eine durch die Richtlinie verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn das Rentenalter nach den nationalen Rechtsvorschriften für Männer und Frauen unterschiedlich ist.48 In dem von der Klägerin des Ausgangsverfahrens angestrentgen nationalen Folgeprozess stellte sich nunmehr die Frage, in welcher Höhe der diskriminierende Staat (Vereinigtes Königreich) zur Leistung von Schadensersatz an die Klägerin verpflichtet war. Nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden englischen Vorschriften umfasste die dem Diskriminierungsopfer zu zahlende Entschädigung keine Zinsen und war zudem durch eine Obergrenze gedeckelt. Das House of Lords bezweifelte die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit den Vorgaben des Unionsrechts und legte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH nahm die eigentlich nur auf die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen bezogene Vorlagefrage zum Anlass, sich erneut allgemein mit der Art der von den Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgenregelung zu befassen, und führte hierzu folgendes aus: „Wie der Gerichtshof im Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colson und Kamann, Slg.1984, 1891, Randnr. 18) entschieden hat, schreibt Artikel 6 keine bestimmte Maßnahme im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots vor, sondern beläßt den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen, zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie geeigneten Lösungen. Deren Ziel ist jedoch die Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit; es würde nicht erreicht, wenn Maßnahmen fehlten, durch die diese Gleichheit wiederhergestellt werden kann, falls sie nicht gewahrt ist. Wie der Gerichtshof in dem angeführten Urteil Von Colson und Kamann in Randnummer 23 ausgeführt hat, müssen diese Maßnahmen einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährleisten und eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. Diese Erfordernisse machen die Berücksichtigung der Besonderheiten jedes einbehelfe im Unionsprivatrecht Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 515, wonach die bisherige Formulierung des Regel (mitgliedstaatliche Wahlfreiheit der Sanktionen) – Ausnahme (sofern nicht die Effektivität einen bestimmten Rechtsbehelf gebietet) – Verhältnisses umzukehren ist. Ebenso Hofmann, NJW 2010, 1782, 1784 f. (generelle Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Etablierung zivilrechtlicher Sanktionen aus dem Effektivitätsgrundsatz). 47 EuGH, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367 – Marshall II. 48 EuGH, Rs. 152/84, Slg. 1986, 723, Tz. 38 – Marshall I.

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zelnen Falles einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes notwendig. Im Falle einer diskriminierenden, gegen Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie verstoßenden Entlassung kann jedoch die Gleichheit ohne Wiedereinstellung der diskriminierten Person oder aber finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens nicht wiederhergestellt werden.“49

Wie schon im Urteil von Colson stellt der EuGH im Urteil Marhall II somit erneut die Zweidimensionalität der durch die Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgenregelung heraus, wonach solche Regelungen sowohl einen tatsächlichen und wirksamen Schutz der Diskriminierungsopfer gewährleisten als auch eine abschreckende Wirkung auf die Verbotsadressaten entfalten müssen. Hinsichtlich der ersten, auf den Schutz des einzelnen Diskriminierungsopfers zielenden Dimension wird der EuGH allerdings konkreter als im Urteil von Colson, indem er betont, dass sich das Ziel der Schaffung tatsächlicher Chancengleichheit nicht verwirklichen läst, wenn Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichheit fehlen. Der EuGH legt die Mitgliedstaaten somit deutlicher als im Urteil von Colson auf die Etablierung privatrechtlicher Rechtsfolgen als Minimalstandard fest und spezifiziert diese Aussage sogar noch weitergehend in Bezug auf diskriminierende Kündigungen. Erforderlich ist hier nämlich nach Auffassung des EuGH entweder die Wiedereinstellung des Diskriminierungsopfers oder die finanzielle Wiedergutmachung des ihm entstandenen Schadens. Die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten beschränkt sich somit hinsichtlich der Gewährleistung eines individuellen Rechtsschutzes auf die Rechtsbehelfe Kündigungsschutz oder Schadensersatz. Tertium non datur!50 Liest man die detaillierten Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Marshall II im Kontext mit den Aussagen im Urteil von Colson, klärt sich das Bild nicht nur hinsichtlich des Erfordernisses eines privatrechtlichen Rechtsbehelfs als solchem, sondern auch hinsichtlich der Art dieses Rechtsbehelfs.51 Danach kommen grundsätzlich zwei Arten individueller Rechtsbehelfe in Betracht: Ein Anspruch auf Schadensersatz auf sekundärer Ebene oder – vorgelagert – ein Anspruch auf unmittelbare Abhilfe auf primärer Ebene.52 Diese unmittelbare 49 EuGH,

Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, Tz. 23–25 – Marshall II. Seziell auf Kündigungen bezogen entspricht dies der allgemeinen Deutung des Urteils. Vgl Tobler, Remedies and Sanctions, S. 11: „In such a situation [a discriminatory dismissal], therefore, the Member States’ choice is limited in the sense that they must in any event provide for either reinstatement or financial compensation“; ebenso Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 707; Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 184; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 509 f.; Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 132 51 A.A. Eilmannsberger, Rechtsfolgen, S. 184 und Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 707, die erst dem Urteil Marshall II eine – auf diskriminierende Kündigungen beschränkte – belastbare Aussage zur Erforderlichkeit privatrechtlicher Rechtsbehelfe entnehmen möchten. 52  Steindorff, CML Rev. 34 (1997), 1259, 1269 spricht insoweit, die prozessuale Ebene 50 

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Abhilfe kann wiederum, die Konstellation der Urteile von Colson und Marshall II widerspiegelnd, zweierlei beinhalten. Einer diskriminierenden Vertragsverweigerung lässt sich regelmäßig durch eine Pflicht zum Vertragsschluss (Kontrahierungszwang) abhelfen; im Falle einer diskriminierenden Vertragsbeendigung bedarf es eines wie auch immer ausgestalteten Kündigungsschutzes. Für die von den beiden Urteilen erfassten Fälle der Zugangsdiskriminierung stellt sich das Spektrum möglicher individueller Rechtsbehelfe somit als begrenzt dar.

E. Kodifizierung der Rechtsprechung des EuGH durch den Unionsgesetzgeber und Ausweitung auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen außerhalb des Erwerbslebens Wie soeben festgestellt, ließ sich bereits der Rechtsprechung zu Artikel 6 der Richtlinie 76/207/EWG eine Pflicht der Migliedstaaten entnehmen, neben der Sanktionierung zukünftiger Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot die Wahrung der tatsächlichen Chancengleichheit der Diskriminierungsopfer durch Etablierung individueller und damit letztlich privatrechtlicher Rechtsbehelfe zu gewährleisten. Der Unionsgesetzgeber hat diese Rechtsprechung erstmalig im Rahmen der Änderung der Richtlinie 76/207/EWG durch die Richtlinie 2002/73/EG in den Normtext der Richtlinie aufgenommen, indem er – insoweit über die Rechtsprechung des EuGH hinausgehend – zwingend die Etablierung von Schadensersatzansprüchen des Diskriminierungsopfers vorschrieb. Diese Vorgabe wurde im Rahmen der Vereinigung aller Richtlinien zum Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf in der Richtlinie 2006/54/EG beibehalten. Artikel 18 der Richtlinie legt nunmehr fest: „Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entstandene Schaden – je nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten – tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise geschehen muss.“

Eine allgemeine Rechtsfolgenregelung findet sich darüber hinaus in Artikel 25 der Richtlinie.

mit einbeziehend, von „actions for damages and even for injunctions enabling individuals to defend their rights.“

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

„Die Mitgliedstaaten legen die Regeln für die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Anwendung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

Beide Regelungen wurden zudem wortgleich in die Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen aufgenommen (vgl. Artikel 8 Abs. 2 und 14 Richtlinie 2004/113/EG). Damit existiert für den gesamten Bereich des Verbots geschlechtsbezogener Diskriminierungen innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens eine einheitliche Rechtsfolgenvorgabe, die individuelle Rechtsbehelfe in Form von Schadensersatzansprüchen als Minimalstandard einschließt.

F. Übertragung auf Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale? Die Feststellung, dass in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen bereits in den Richtlinientexten die Etablierung individueller Rechtsbehelfe in Form von Schadenersatzansprüchen zwingend vorgegeben ist, wirft die Frage auf, ob ähnliche Vorgaben auch im Hinblick auf das Verbot der Diskriminierung wegen anderer Unterscheidungsmerkmale als dem Geschlecht bestehen. Der Text der insoweit einschlägigen Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG gibt hierauf keine befriedigende Antwort. Zwar wurde auch hier jeweils eine Artikel 25 der Richtlinie 2006/54/EG entsprechende allgemeine Rechtsfolgenregelung statuiert, wonach die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen erlassen, die auch Schadensersatzansprüche an die Opfer umfassen können.53 Dies allein rechtfertigt aber keinen Rückschluss auf eine Übernahme der gesamten dahinterstehenden Rechtsprechung einschließlich der Erforderlichkeit eines privatrechtlichen Rechtsbehelfs.54 Denn an einer Artikel 18 der Richtlinie 2006/54/EG entsprechenden Regelung, die individuelle Rechtsfolgen oder gar Schadensersatzleistungen an die Opfer verbindlich vorschreibt, fehlt es gerade. Diese im Wortlaut der Antidiskriminierungsrichtlinien zum Ausdruck kommende Diskrepanz der Rechtsfolgenregelungen könnte den Schluss nahe53  Vgl. Artikel 7 Abs. 1 Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 9 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG. 54  Gerade auf den identischen Wortlaut der allgemeinen Rechtsfolgenregel bei allen Richtlinien rekurrieren zur Begründung eines obligatorisch privatrechtlichen Rechtsbehelfs für alle Diskriminierungsverbote aber Kamanabrou, ZfA 2006, 327, 330 und Kossak, Rechtsfolgen, S. 28.

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legen, dass der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Verabschiedung derjenigen Richtlinien, die Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale als des Geschlechts betreffen, bewusst auf eine weitergehende Rechtsfolgenregelung verzichtet hat.55 Die allgemein gehaltene Rechtsfolgenregelung dieser Richtlinien wäre dann im Sinne eines beredten Schweigens des Unionsgesetzgebers dahingehend zu lesen, dass die Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung ihrer Rechtsfolgen Wahlfreiheit auch in Bezug auf die Art der Rechtsfolge genießen und sich mithin auch auf Straf- oder Bußgeldregelungen beschränken können. Gegen einen solchen Umkehrschluss sprechen allerdings diverse Gründe.56 Zum einen hieße es den Gestaltungswillen des Unionsgesetzgebers überschätzen, wollte man in der Diskrepanz der Rechtsfolgenregelungen eine bewusste Differenzierung zwischen den einzelnen Diskriminierungsverboten erkennen; ist doch die Ursache für die unterschiedliche Ausgestaltung der Richtlinien viel profaner. So wollte der Unionsgesetzgeber mit der verbindlichen Vorgabe von Schadensersatzleistungen an die Opfer in Artikel 18 der Richtlinie 2006/54/EG lediglich die Rechtsprechung des EuGH zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das zuvor in der Richtlinie 76/207/EG verankerte Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts im Erwerbsleben nachzeichnen.57 Des Weiteren scheint der Unionsgesetzgeber in dieser speziellen Rechtsfolgenregelung einen Grundsatz gesehen zu haben, welcher nicht nur für geschlechtsbezogene Diskriminierungen im Erwerbsleben, sondern allgemein für geschlechtsbezogene Diskriminierungen Geltung erheischt. Anders lässt sich die Übernahme der Regelung auch für das in der Richtlinie 2004/113/EG geregelte Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierungen bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen nicht erklären, zumal die Erwägungsgründe zu dieser Frage schweigen. Wenn der Unionsgesetzgeber aber mit der Vorgabe von Schadensersatzansprüchen in Bezug auf das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung lediglich die Rechtsprechung des EuGH nachzeichnen wollte, lässt sich aus dem Unterbleiben einer ähnlich weitgehenden Regelung in Bezug auf Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale allenfalls der Schluss ziehen, dass der Unionsgesetzgeber der Rechtsprechung des EuGH zum Zeitpunkt des Erlasses der einschlägigen Richtlinien insoweit (noch) keine Vorgaben entnommen hat. Es verbietet sich somit einerseits, die spätere Kodifikation der Rechtsprechung zur geschlechtsbezogenen Diskriminierung nunmehr quasi rückwirkend in die Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG hineinzulesen.58 Andererseits lässt sich aus der fehlenden Vorgabe von Schadensersatzansprüchen in 55 

So wohl Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 11. Ergebnis ebenso Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 711. 57  Vgl. Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2006/54/EG. 58  So aber wohl Högenauer, Richtlinien, S. 141 f., der aus der ausdrücklichen Anordnung von Schadensersatzansprüchen in der Richtlinie 2006/54/EG darauf schließen möchte, dass 56  Im

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

den letztgenannten Richtlinien nicht der Schluss ziehen, dass der Unionsgesetzgeber ein solches spezifisches Erfordernis für diese Richtlinien abgelehnt hat. Es fehlt vielmehr an jeder gesetzgeberischen Festlegung zu dieser Frage, und zwar sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.59 Die fehlende ausdrückliche Regelung zwingender Schadensersatzansprüche in den Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG sperrt somit nicht eine unmittelbare Herleitung solcher Vorgaben aus der Rechtsprechung zum Verbot der Geschlechtsdiskriminierung. Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot müssen danach sowohl einen tatsächlichen und wirksamen individuellen Rechtsschutz ex post gewährleisten als auch eine abschreckende Wirkung gegenüber den Verbotsadressaten ex ante entfalten. Ein wirksamer Individualrechtsschutz lässt sich wiederum, wie gesehen, nur dadurch erreichen, dass dem einzelnen Diskriminierungsopfer privatrechtliche Ansprüche auf Abhilfe oder Schadensersatz eingeräumt werden. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf Diskriminierungen wegen des Geschlechts sondern ebenso im Hinblick auf Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale; ist doch die Einräumung individueller Ansprüche Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes ubi ius, ibi remedium, welcher die Durchsetzung subjektiver, durch das Unionsrecht eingeräumter Rechtspositionen kennzeichnet. Von daher verwundert es nicht, dass der EuGH auch für Verstöße gegen binnenmarktbezogene Diskriminierungsverbote, soweit diese sich auch unmittelbar an Privatpersonen richten, die Einräumung individueller Rechtsbehelfe des Diskriminierungsopfers zu fordern scheint. In diese Richtung deutet jedenfalls das Urteil Raccanelli. Dort hatte der EuGH festgestellt, dass ein privater Arbeitgeber (hier: eine Forschungseinrichtung) unmittelbar an die in Artikel 39 EG (Artikel 45 AEUV) verankerte Arbeitnehmerfreizügigkeit gebunden ist und daher grundsätzlich gehalten ist, einem ausländischen Doktoranden eine Wahlmöglichkeit zwischen einem Stipendienvertrag und einem Arbeitsvertrag einzuräumen, wenn inländischen Doktoranden eine solche Wahl offen steht.60 Im Hinblick auf die unionsrechtlich vorgegebene Rechtsfolge einer gleichwohl erfolgten Diskriminierung führte der EuGH aus: Insoweit ist festzustellen, dass weder Art. 39 EG noch die Verordnung Nr. 1612/68 den Mitgliedstaaten oder Vereinen wie der MPG eine bestimmte Maßnahme im Fall einer Verletzung des Diskriminierungsverbots vorschreibt, sondern ihnen nach Maßder Schadensersatzanspruch nunmehr der vom Unionsrecht allgemein bevorzugte Rechtsbehelf in Bezug auf Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot sei. 59  Eine Entscheidung zugunsten zwingender Schadensersatzansprüche konstatiert dagegen Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 711 unter Berufung auf die Vorentwürfe zur Richtlinie 2000/43, in denen die Kommission einen Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Entschädigung als Mindeststandard propagiert hatte, vgl. EG KOM 99(566), S. 22 und KOM 2000(328), S. 15. 60 EuGH, Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939, Tz. 50, 51 – Raccanelli.

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gabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen belässt, die zur Verwirklichung des Ziels der jeweiligen Bestimmungen geeignet sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 1984, Von Colson und Kamann, 14/83, Slg. 1984, 1891, Randnr. 18, und vom 11. Oktober 2007, Paquay, C‑460/06, Slg. 2007, I-8511, Randnr. 44). Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vorbringt, wäre es daher Sache des vorlegenden Gerichts, in Ansehung der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung zu beurteilen, welche Art von Wiedergutmachung der Kläger des Ausgangsverfahrens beanspruchen könnte.61

Indem der Gerichtshof den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Rechtsfolgen von Verstößen gegen das in Artikel 39 EG enthaltene Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit nur die Wahl zwischen verschiedenen Arten der „Wiedergutmachung“ belässt, schließt er bereits terminologisch eine Rechtsfolgenregelung ohne die Gewährleistung individueller Ansprüche aus. Dies ergibt ein Abgleich mit dem Urteil Marshall II, wo der Gerichtshof den Begriff „Wiedergutmachung“ ebenfalls zur Bezeichnung des von ihm im Falle einer diskriminierenden Kündigung für nötig befundenen individuellen Rechtsbehelfs benutzt hat.62 Das Urteil kann daher als weiterer Hinweis dahingehend betrachtet werden, dass Verstöße gegen privatrechtsbezogene unionale Diskriminierungsverbote ganz allgemein eine individualschützende Komponente enthalten müssen. Der individuelle Schutz des Diskriminierungsopfers stellt sich somit nicht als Spezifikum des Verbots der geschlechtsbezogenen Diskriminierung dar, auch wenn er nur insoweit in den einschlägigen Richtlinien ausdrücklich in Form der zwingenden Vorgabe von Schadensersatzansprüchen kodifizert wurde. Anders verhält es sich dagegen mit der Frage, ob der dem Diskriminierungsopfer einzuräumende individuelle Rechtsbehelf zwingend Schadensersatzansprüche umfassen muss. Die ausdrückliche Anordnung solcher Ansprüche in den Richtlinien, die sich mit geschlechtsbezogenen Diskriminierungen befassen, beruht hier nämlich auf einer Fehlinterpretation der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH durch den Unionsgesetzgeber. Denn so eindringlich der EuGH seit dem Urteil von Colson auf die Notwendigkeit eines individuellen Rechtsbehelfs hingewiesen hat, so beharrlich hat der Gerichtshof stets an seiner im selben Urteil getätigten Ausage festgehalten, wonach die Mitgliedstaaten innerhalb des Spektrums individueller Rechtsbehehelfe keiner weitergehenden Bindung unterliegen. Dies betraf im Urteil von Colson die Alternative zwischen Schadensersatz und Kontrahierungszwang, im Urteil Marshall II die 61 EuGH,

Rs. C-94/07, Slg. 2008, I-5939, Tz. 50, 51 – Raccanelli. aber Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 232, der der hypothetisch gehaltenen Formulierung „welche Art von Wiedergutmachung der Kläger des Ausgangsverfahren beanspruchen ,könnte‘“ eine Aussage hinsichtlich der Unverbindlichkeiten der Rechtsfolge entnehmen möchte. 62  A.A.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Alternative zwischen Schadensersatz und einem Anspruch auf Wiedereinstellung. Gerade auf diese Alternativität der privatrechtlichen Rechtsbehelfe bezog sich die im Schrifttum im Sinne einer allgemeinen Sanktionsneutralität fehl­ interpretierte Aussage des EuGH, wonach die Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung der Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen frei sind. Mit der Etablierung zwingender Schadensersatzansprüche als Folge von Verstößen gegen das Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierungen ist der Unionsgesetzgeber somit über das selbstgesteckte Ziel, die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH nachzuzeichnen, hinausgeschossen. Für das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung ist diese nun ausdrücklich im Richtlinientext verankerte Vorgabe zwar gleichwohl verbindlich. Dies gilt aber nicht für die Auslegung der allgemeinen Sanktionsvorgaben in den Richtlinien, die sich mit Diskriminierungen wegen anderer Merkmale befassen.63 Hier ist das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, dem EuGH die weitergehende Definition der Rechtsfolgen zu überlassen, im Rahmen der teleologischen Auslegung dieser Vorgaben zu berücksichtigen. Aus der in diesem Kontext in Bezug genommenen Rechtsprechung lässt sich aber nur die Erforderlichkeit privatrechtlicher Rechtsbehelfe im Allgemeinen, nicht dagegen die spezifische Erforderlichkeit von Schadensersatzansprüchen herleiten. Hieraus folgt eine Zweispurigkeit der Rechtsfolgenvorgaben des Unionsrechts in Bezug auf Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot: In Bezug auf Diskriminierungen wegen aller verbotenen Unterscheidungsmerkmale ist zwingend ein privatrechtlicher Rechtsbehelf des Diskriminierungsopfers vorzusehen.64 Nur in Bezug auf Diskriminierungen wegen des Geschlechts ist weitergehend die Etablierung von Schadensersatzansprüchen gefordert.65

63 A.A.

Högenauer, Richtlinien, S. 141 f. Ergebnis ebenso Ebers, Rechte, Rechtsbehelfe und Sanktionen im Unionsprivatrecht, S. 711; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 513; Kossak, Rechtsfolgen, S. 34, Grünberger, Personale Gleichheit, S. 716 f.; wohl auch Kamanabrou, ZfA 2006, 321, 335. Auch G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1088 gehen für den gesamten Bereich des AGG von der Erforderlichkeit zivilrechtlicher Haftungsnormen aus, leiten dies aber vor allen aus der im Urteil von Colson ebenfalls festgestellten Präventionsfunktion unionaler Haftungsregeln (Prävention durch Kompensation) her. 65  Wohl auch Kossak, Rechtsfolgen, S. 34, die insoweit in Bezug auf die Richtlinie 2000/43/ EG (Antirassismus-Richtlinie) von einem opt out-Recht der Mitgliedstaaten spricht. 64  Im

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§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen Nachdem im vorangehenden Abschnitt die Notwendigkeit privatrechtlicher Rechtsbehelfe als Quintessenz der unionalen Vorgaben für die Ausgestaltung nationaler Rechtsfolgenregelungen herausgearbeit wurde, sollen nunmehr einzelne privatrechtliche Rechtsbehelfe in den Blick genommen werden. Auch insoweit soll jeweils zunächst der unionsrechtliche Rahmen erörtert werden, bevor das deutsche Umsetzungsrecht an diesem Maßstab gemessen wird. Zwar scheint der Relevanz des Unionsrechts auf der Detailebene auf den ersten Blick die Formel des EuGH aus dem Urteil von Colson entgegenzustehen, wonach die Mitgliedstaaten innerhalb des Spektrums individueller Rechtsbehelfe frei wählen können. Indes sehen sowohl das geschriebene Unionsrecht als auch die Rechtsprechung des EuGH Ausnahmen von diesem Grundsatz vor, welche nicht nur die Art des zu etablierenden Rechtsbehelfs, sondern sogar, wie in Bezug auf Schadensersatzansprüche, dessen konkrete Ausgestaltung betreffen. Zudem sind die Mitgliedstaaten auch außerhalb solcher punktuellen Bindungen nicht gänzlich frei in der Ausgestaltung des Rechtsfolgenregimes, sondern vielmehr an die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität sowie an die Unionsgrundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Aus alldem resultiert am Ende doch ein relativ dichtes Geflecht unionaler Regelungsvorgaben, das den Mitgliedstaaten auch auf der Rechtsfolgenebene nur wenig mehr Umsetzungsspielräume belässt als die noch engmaschigeren Vorgaben hinsichtlich der Etablierung des Diskriminierungsverbots als solchem. Im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung der einzelnen Rechtsbehelfe soll in gegenständlicher Hinsicht zwischen Rechtsfolgen, die bereits eine Abhilfe auf der primären Ebene beinhalten und Schadensersatzansprüchen, die auf Reparation auf der sekundären Ebene angelegt sind, unterschieden werden. Eine solche Unterscheidung zwischen primären und sekundären Rechtsbehelfen orientiert sich nicht nur an national bekannten Strukturen. Sie ist vielmehr darüber hinaus auch bereits in der Rechtsprechung des EuGH zu den Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen angelegt, wo der Gerichtshof der Sache nach zwischen diesen zwei Formen der „Wiedergutmachung“ unterscheidet.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

A. Die primäre Ebene – unmittelbare Abhilfe I. Nichtigkeit diskriminierender Bestimmungen in Einzel- oder Kollektivverträgen 1. Unionsrechtliche Vorgaben Manifestiert sich ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot in der Ausgestaltung eines Tarifvertrages oder eines privaten Vertragsverhältnisses, so ist den Interessen des Diskriminierungsopfers häufig bereits durch die Feststellung der Unwirksamkeit der jeweiligen Norm gedient. Denn allein die Existenz der diskriminierenden Norm hindert in derartigen Konstellationen das Diskriminierungsopfer daran, so behandelt zu werden, wie es unter Hinwegdenken der verbotenen Anknüpfung behandelt worden wäre. Alle Antidiskriminierungsrichtlinien enthalten daher eine Vorgabe, wonach die Mitgliedstaaten nicht nur verpflichtet sind, sämtliche dem Gleichbehandlungsgebot entgegenstehende Rechts- und Verwaltungsvorschriften aufzuheben, sondern darüber hinaus sicherzustellen, dass sämtliche mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarende Bestimmungen in Einzel- oder Kollektivverträgen oder -vereinbarungen für nichtig erklärt werden, erklärt werden können oder geändert werden.66 Die Möglichkeit, unionsrechtswidrige Normen außer Anwendung zu lassen, entspricht der im Urteil Simmenthal II statuierten ersten Stufe des Schutzes subjektiver Rechte nach dem Prinzip ubi ius, ibi remedium67 und überträgt diese auf das Verhältnis zwischen dem (zumeist privaten) Verbotsadressaten des Diskriminierungsverbotes und dem Diskriminierungsopfer. Die genannten unionalen Vorgaben enthalten einen Auftrag an die Mitgliedstaaten, für die Unwirksamkeit der jeweiligen diskriminierenden Norm Sorge zu tragen. Für den Fall, dass eine solche Regelung unterbleibt, ist zu unterscheiden. Handelt es sich bei der Norm um eine Diskriminierung seitens des Staates oder eines sonstigen Hoheitsträgers, folgt aus der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie im Vertikalverhältnis,68 dass die in Rede stehende Norm nach den vom EuGH im Urteil Simmenthal II getroffenen Feststellungen69 auch ohne vorheriges Tätigwerden des Gesetzgebers oder der Verwaltung außer Anwendung bleiben muss. Dies betrifft diskriminierende Gesetze ebenso wie diskriminierende Regelungen in Einzel- oder Kollektivverträgen, soweit Vertrags66  Vgl. Artikel 14 Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 16 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 13 Richtlinie 2004/113/EG und Artikel 23 Richtlinie 2006/54/EG. 67  Zu diesem Prinzip und zur Rolle des Unanwendbarkeitspostulat innerhalb des Systems individueller Rechtsbehelfe siehe van Gerven, CML Rev 37 (2000), 501, 506 f. sowie oben § 1 D I. 2. b). 68  Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Vertikalverhältnis siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) dd) (2) (a). 69 EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, Tz. 28 – Simmenthal II.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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partner des Diskriminierungsopfers der Staat oder ein sonstiger Hoheitsträger ist. So hat der EuGH im Urteil Kutz-Bauer die mitgliedstaatlichen Gerichte dazu verpflichtet, eine gegen die Vorgaben der Richtlinie 76/207/EWG verstoßende Regelung in einem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst nicht anzuwenden.70 Handelt es sich bei der in Rede stehenden Norm um eine geschlechtsbezogene Diskriminierung im Hinblick auf das Arbeitsentgelt, ist die entsprechende Norm selbst dann unanwendbar, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine Privatperson handelt. Dies folgt aus der unmittelbaren Horizontalwirkung des Artikels 157 Abs. 1 AEUV. In Bezug auf alle übrigen Regelungen oder Bestimmungen in privaten Vertragsverhältnissen oder Tarifverträgen bedarf es hingegen für die Unwirksamkeit einer diese Rechtsfolge anordnenden gesetzlichen Regelung, weil Richtlinien im Horizontalverhältnis zwischen Privatpersonen keine unmittelbare Wirkung zu entfalten vermögen.71 Fehlt es somit vollständig an einer gesetzlichen Nichtigkeitsanordnung, kann unmittelbar aus der Richtlinie keine solche Rechtsfolge hergeleitet werden. Mit der sich entweder aus der Richtlinie selbst oder einer nationalen Umsetzungsnorm ergebenden Unanwendbarkeit einer diskriminierenden Norm ist allerdings noch nicht geklärt, in welche Richtung die sich hierin manifestierende Benachteiligung zu beseitigen ist. Hierbei kann es sich letztlich nur um eine Anpassung nach oben handeln, indem dem Diskriminierungsopfer die ihm im Vergleich zur Vergleichsgruppe vorenthaltene Vergünstigung sowohl für die Vergangenheit als auch – vorbehaltlich einer Neuregelung durch den Verbotsadressaten – für die Zukunft zu gewähren ist.72 Dies entspricht nicht nur der ständigen Rechtsprechung des EuGH zu Artikel 157 AEUV73 und – weniger 70 EuGH,

Rs. C-187/00, Slg. 2003, I-2741, Tz. 74 – Kutz-Bauer. daher Grünberger, Personale Gleichheit, S. 715, der eine Unanwendbarkeit von Maßnahmen konstatiert, „soweit die privaten Akteure direkt an die Richtlinie gebunden sind“. Möglicherweise macht sich Grünberger hier die Auffassung von Krebber, EuZA 2009, 200, 201 zu Eigen, wonach sich aus der Rechtsprechung des EuGH eine unmittelbare Unanwendbarkeit diskriminierender Tarifvertragsklauseln ergeben soll. Das hierbei in Bezug genommene Urteil Kutz-Bauer (s.o.) stellt insoweit aber nur eine schwache Referenz dar, weil die in diesem Urteil für unanwendbar erklärte Tarifklausel einem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst entstammte. Ob dies letztlich der ausschlaggebende Punkt war, lässt sich der Begründung nicht entnehmen. Es bleibt damit Raum für Spekulationen, ob der EuGH Tarifvertragsparteien im Hinblick auf ihre normsetzende Tätigkeit als „intermediäre“ Gewalten ganz allgemein der öffentlichen Sphäre zuordnet. Zur parallelen Vorgehensweise bei den Grundfreiheiten siehe oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. b) dd) (2) (b). 72 So Grünberger, Personale Gleichheit, S. 715; ebenso in Bezug auf einen Verstoß gegen Diskriminierungsverbote Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 85 ff., der allerdings im Falle eines (hier nicht relevanten) Verstoßes gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot einen differenzierteren Ansatz propagiert; grundsätzlich a.A. (auch Anpassung „nach unten“ möglich) dagegen Krebber, EuZA 209 (2009), 200; Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 234. 73  So bereits EuGH, Rs. 43/75, Slg. 1976, 455, Tz. 14 ff.; weitere Nachweise bei Krebber, EuZA 2009, 200, 202 ff.; gegen eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf andere Bereiche 71  Unverständlich

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

deutlich – auch zum allgemeinen Verbot der Geschlechtsdiskriminierung gemäß der Richtlinie 76/207/EG.74 Es handelt sich hierbei auch um einen allgemeinen Grundsatz, wonach im Falle eines Verstoßes gegen unionale Diskriminierungsverbote bis zum Erlass von Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden müssen wie den Angehörigen der privilegierten Gruppe, wobei diese Regelung, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt.75 Die damit grundsätzlich erforderliche Angleichung nach oben mag für Kollektivregelungen in höchstem Maße unbefriedigend sein, weil sie, etwa bei tariflichen Vergütungssystemen, den von den Parteien zugrundegelegten Dotierungsrahmen sprengt.76 Gegen jede andere Lösung bestehen jedoch in der Sache erhebliche Bedenken. Nicht gangbar ist der Weg, den Tarifparteien lediglich für die Zukunft eine nicht diskriminierende Lösung aufzugeben. Zum einen würde mit einem Verzicht auf eine in die Vergangenheit wirkende Anpassung nach oben für den Adressaten des Diskriminierungsverbots der falsche Anreiz gesetzt, jedenfalls zeitweise auf eine diskriminierende Vertragsgestaltung zu spekulieren.77 Zum anderen dürfte eine solche Lösung, wenn sie die Zustimmung bisher bevorzugter Dritter oder ihrer Interessenvertreter erfordert, an der fehlenden Bereitschaft dieser Personengruppe zu einer Neuregelung scheitern. Letzteres Argument steht auch der von Thüsing erwogenen Angleichung des Vertragswerks im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung auf Basis eines zuvor ausdrücklich fixierten Dotierungsrahmens78 entgegen. Zudem würde eine nachträgliche „Umverteilung“ bei des unionalen Diskriminierungsschutzes dagegen Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 234. 74  Zurückhaltend insoweit Krebber, EuZA, 2009, 200, 209. 75  Vgl. in Bezug auf Diskriminierungen im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur EuGH, Rs. C-18/95, Slg. 1999, I-345, Tz. 57 – Terhoeve und EuGH, Rs. 399/09; EU:C:2011:415, Tz. 51 – Landtová mit Verweisen auf noch ältere Judikate des EuGH. Eine Ausnahme von dieser Regel lässt der EuGH nur in Konstellationen zu, in denen ein gültiges Bezugssystem als Orientierung für eine Anpassung nach oben nicht existiert. Ein solches Problem stellte sich etwa im Zusammenhang mit dem vom EuGH als Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78/ EG gewerteten Beamtenbesoldungssystem des Landes Berlin, das eine Vergütung nach Lebensaltersstufen vorsah. (EuGH, verb. Rs. C-501/12 u.a., EU:C:2014:2005, Tz. 52 – Specht). Der EuGH sah sich hier zu einer rückwirkenden Besoldung aller Beamten nach der höchsten Besoldungsstufe außerstande, weil es angesichts der Vielzahl möglicher Bezugspunkte für einen Günstigkeitsvergleich nicht möglich war, eine einzige Kategorie bevorzugter Beamter als Bezugspunkt zu benennen (Tz. 96). 76  Thüsing, in: MüKoBGB, § 7 AGG Rn. 14. „Absurde Konsequenzen“ konzedieren auch Bauer/Krieger, AGG, § 7 Rn. 29 jedenfalls für Fälle, in denen einer großen Zahl benachteiligter Personen eine kleine Zahl bevorzugte Personen gegenübersteht. 77  So zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, § 7 AGG Rn. 17. 78  Thüsing, in: MüKoBGB, § 7 AGG Rn. 15. Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage, ob ausnahmweise eine hohe Kostenbelastung eine Abweichung vom Grundsatz der „Anpassung nach oben“ rechtfertigen könne, offengelassen, vgl. BAG NZA-RR 2012, 100.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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unveränderlichem Dotierungsrahmen kaum ohne eine Anpassung nach unten in Bezug auf die bisher begünstigte Gruppe durchzuführen sein, was schon im Hinblick auf den Gedanken des Vertrauensschutzes keinen gangbaren Weg darstellt79.

2. Deutsches Recht Für die Feststellung der Unwirksamkeit diskriminierender Bestimmungen in Einzel- oder Kollektivverträgen bedarf es, wie gesehen, einer gesetzlichen Regelung. Der deutsche Gesetzgeber hat eine solche Regelung jeweils für das erwerbsbezogene und das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot in §§ 7 Abs. 2 und 21 Abs. 4 AGG geschaffen, wonach Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das jeweilige Diskriminierungsverbot verstoßen, unwirksam sind bzw. sich der Verbotsadressat hierauf nicht berufen kann. Die Regelung wird allerdings angesichts der Tatsache, dass sich die Nichtigkeitsfolge bei Fehlen der Spezialregelung bereits aus § 134 BGB in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot ergeben würde, im Schriftum zu Recht nahezu einhellig als redundant angesehen.80

II. Abhilfe gegen Diskriminierungen außerhalb vertraglicher Regelungen 1. Unionsrechtliche Vorgaben Diskriminierungen, die sich in einer vertraglichen Regelung manifestieren, stellen aber nur einen kleinen Ausschnitt möglicher Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot dar. In vielen Fällen erfolgt die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal dagegen im Rahmen eines einseitigen rechtsgeschäftlichen oder faktischen Verhaltens. Hierunter fallen neben der Belästigung all diejenigen Fälle, in denen dem Diskriminierungsopfer unter Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal einseitig eine Vergünstigung verweigert oder eine Belastung auferlegt wird. Wichtigste Beispiele für die genannten Konstellationen sind jeweils die diskriminierende Beendigung von Vertragsverhältnissen und die diskriminierende Verweigerung eines Vertragsschlusses zu bestimmten Bedingungen. Auch hier stellt sich die Frage, ob der Beeinträchtigung der Chancengleichheit des Diskriminierungsopfers bereits auf der Primärebene abgeholfen werden kann oder gegebenfalls sogar muss.

79 

So auch BAG, NZA-RR, 2012, 100 Tz. 26. nur Grünberger, Personale Gleichheit, S. 715; Thüsing, in: MüKoBGB, § 7 AGG Rn. 11, jeweils m.w.N. 80  Vgl.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

a) Keine unionsrechtliche Verpflichtung zur Etablierung primärer Abhilfemöglichkeiten Die letztere der beiden Fragen ist allerdings zu verneinen, da das Unionsrecht für einseitige, sich nicht in einer vertraglichen Regelung manifestierende Diskriminierungen keine zwingende Abhilferegelung vorsieht.81 Zwar hatte der EuGH im Urteil von Colson als eine mögliche Alternative für die Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit im Falle der Verweigerung eines Vertragsschlusses neben Schadensersatzansprüchen ausdrücklich einen Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Vertragsschluss genannt.82 Auch im Urteil Marshall II, das eine diskriminierende Kündigung zum Gegenstand hatte, stellte der Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Wiedereinstellung eine vom EuGH akzeptierte Alternative zu Schadensersatzansprüchen dar.83 In beiden Urteilen hat der Gerichtshof aber stets die Äquivalenz beider Arten der individuellen „Wiedergutmachung“ betont und keinesfalls der Abhilfemöglichkeit auf der Primärebene gegenüber dem Schadensersatzanspruch den Vorzug gegeben.84 Ganz im Gegenteil kristallisierte sich in nachfolgenden Entscheidungen sogar der Schadensersatzanspruch als der vom EuGH bevorzugte, wenn auch nicht zwingend vorgegebene individuelle Rechtsbehelf zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit heraus. Diese Präferenz des Gerichtshofs hat der Unionsgesetzgeber, freilich in Verkennung ihres fakultativen Charakters, in der Weise nachvollzogen, als nunmehr im Falle von Diskriminierungen wegen des Geschlechts sogar zwingend Schadensersatzansprüche der Opfer vorgeschrieben sind.85 Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass Rechtsbehelfe des Diskriminierungsopfers, die eine Abhilfe bereits auf der primären Ebene vorsehen, außerhalb der Unwirksamkeit diskriminierender Vertragsregelungen, durch das Unionsrecht nicht zwingend vorgegeben sind.86

81  Dies entspricht der allgemeinen Meinung im Schrifttum, vgl. nur Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1495; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 716; Kossak, Rechtsfolgen, S. 23; Thüsing/von Hoff, NJW 2007, 21, 22; wohl auch Sponhoff, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 235 ff.; A.A. aber Zoppel, Europäische Diskriminierungsverbote und Privatrecht, S. 193, wonach es nicht mit den Zielen der Wiederherstellung der Chancengleichheit und des Würdeschutzes vereinbar ist, einen Kontrahierungszwang pauschal auszuschließen. 82 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 18 – von Colson. 83 EuGH, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, Tz. 23–25 – Marshall II. 84  Siehe oben § 1 D. I und II. 85  Siehe dazu oben § 1 E. 86  Zu Konstellationen außerhalb des Antidiskriminierungsrechts, in denen ausnahmsweise einer zwingenden Ergänzung von Schadensersatzansprüchen durch Primärrechtsschutz geboten ist, vgl. Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 533 mit Beispielen aus der Rechtsprechung des EuGH.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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b) Möglichkeit und Grenzen der Etablierung primärer Abhilfemöglichkeiten Aus der Indifferenz des Unionsrechts in Bezug auf die Erforderlichkeit primärer Abhilfemöglichkeiten des Diskriminierungsopfers außerhalb der Unwirksamkeit diskriminierender Regelungen lässt sich allerdings nicht der Schluss ziehen, dass die Etablierung solcher Rechtsbehelfe nicht in Betracht kommt. Vielmehr gilt insoweit die allgemeine Feststellung des EuGH aus dem Urteil von Colson, wonach die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen einer verbotenen Diskriminierung grundsätzlich freie Hand haben, soweit nur ein individueller Rechtsschutz des Diskriminierungsopfers gewährleistet ist. Auch aus der zwischenzeitlich erfolgten Fokussierung des Pflichtprogramms auf Schadensersatzansprüche lässt sich nicht im Umkehrschluss herleiten, dass primäre Abhilfeansprüche nunmehr ausgeschlossen wären. Die Mitgliedstaaten sind allerdings bei der Etablierung solcher Ansprüche an die Unionsgrundrechte87 und damit insbesondere an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, was im übrigen auch in der allgemeinen Sanktionsvorgabe der Richtlinien zum Ausdruck kommt, wonach die zu etablierenden Sanktionen verhältnismäßig sein müssen. Zu überprüfen ist insoweit insbesondere, ob eine primäre Abhilfemöglichkeit des Diskriminierungsopfers, durch welche dem Verbotsadressaten letztlich ein nicht (mehr) gewollter Vertragspartner aufgezwungen wird, einen zu weitgehenden Eingriff in divergierende Freiheitspositionen des Verbotsadressaten darstellt.88

aa) Diskriminierende Vertragsverweigerung Als problematisch in Bezug auf die Freiheitspositionen des Verbotsadressaten erscheinen zunächst Vorschriften, die im Falle einer diskriminierenden Vertragsverweigerung dem Diskriminierungsopfer einen Anspruch auf Abschluss des in Aussicht genommenen Vertrages einräumen. Denn im Rahmen eines solchen Kontrahierungszwanges soll ja immerhin dem Verbotsadressaten unmittelbar ein Vertragspartner aufgezwungen werden, den er sich nicht selbst ausgesucht hat.89 Vor diesem Hintergrund könnte sich ein Kontrahierungszwang daher als ein zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit zwar ge-

87  Zur ausschließlichen Bindung des nationalen Gesetzgebers an die Unionsgrundrechte im Rahmen der Durchführung unionaler Regelungsvorgaben auch bei bestehenden Umsetzungsspielräumen siehe oben Zweiter Teil § 1 C. II. 2. c). 88  Eingehende Erörterung des Problems bei Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 292 ff. 89  Bedenken im Hinblick auf die Beschränkung der Privatautonomie durch einen Kontrahierungszwang äußern Adomeit/Mohr, AGG, § 21 Rn, 10; Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1495 ff.; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 292 ff.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

eigneter und erforderlicher,90 im Hinblick auf den nicht gewünschten vertraglichen Kontakt jedoch nicht mehr angemessener Eingriff in die Privatautonomie des Verbotsadressaten darstellen. Gegen eine solche pauschale Sichtweise spricht aber, dass die insoweit maßgebliche Abwägung zwischen dem Recht auf Nichtdiskriminierung und der Privatautonomie des Verbotsadressaten im wesentlichen bereits im Rahmen der verbindlichen Vorgabe des Diskriminierungsverbots als solchem vorgenommen wurde und allein die Existenz dieses Verbots für den Verbotsadressaten einen mittelbaren Kontrahierungszwang mit sich bringt.91 Für den Verbotsadressaten wird es nämlich regelmäßig keinen Unterschied machen, ob er unmittelbar auf Abschluss des verweigerten Vertrages verklagt werden kann, oder ob er sich angesichts prohibitiv hoher Schadensersatzforderungen nur faktisch zum Abschluss des nicht gewollten Vertrages genötigt sieht.92 Die Steigerung der Eingriffsintensität eines Kontrahierungszwangs im Vergleich zu einer reinen Schadensersatzregelung manifestiert sich letztlich allein in dem fehlenden Wahlrecht des Verbotsadressaten, den Vertrag abzuschließen oder die mit der Verweigerung einhergehenden Kosten zu tragen. Letzteres Wahlrecht wird aber vor allem im Bereich des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbotes relevant, weil hier wegen des gesteigerten sozialen Kontakts dem Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine große Bedeutung zukommt, die aus Sicht des Arbeitgebers sogar

90  So zu Recht (gemessen am Maßstab des Grundgesetzes) Kossak, Rechtsfolgen, S. 155. Die Eignung eines Kontrahierungszwanges zur Herstellung von Chancengleichheit lässt sich insbesondere nicht mit dem Argument verneinen, dass das Diskriminierungsopfer kein Interesse an einem dem Verbotsadressaten aufgezwungenen Vertrag habe (so aber Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 44 ff.: „zähneknirschender Scheingehorsam“; ähnlich Busche, in: Leible/ Schlachter, Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, S. 159, 174 f.: „Steine statt Brot“). Denn ob ihm an einem Vertragsschluss gelegen ist, kann das Diskriminierungsopfers selbst entscheiden. Eine diesbezüglichen Bevormundung bedarf es nicht (so zu Recht Röttgen, Schutz vor Diskriminierung, S. 178; ebenso Looschelders, JZ 2012, 105, 111; Grünberger, Personale Gleichhheit S. 731: „paternalistische Falle“). Von daher muss entgegen Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen S. 243 der Kontrahierungszwang auch nicht in materiell-rechtlicher Hinsicht vom Kontrahierungswillen des Diskriminierungsopfers abhängig gemacht werden, da er in seiner prozessualen Durchsetzung ohnehin an eine klageweise Geltendmachung geknüpft ist. 91 Ähnlich Kossak, Rechtsfolgen, S. 153, dort Fußnote 804, wonach das „Ob“ eines Eingriffs in die Privatautomie auch auf der Rechtsfolgenebene durch das Unionsrecht zwingend vorgegeben ist. Treffend Grünberger, Personale Gleichheit, S. 731: „Voller Abwägungseuphorie übersieht man, dass es nichts mehr abzuwägen gibt.“ 92  Zur Unterscheidung zwischen einer unmittelbaren Beschränkung der Abschlussfreiheit durch einen Kontrahierungszwang und einem mittelbaren Kontrahierungszwang durch Statuierung nachteiliger Rechtsfolgen an die Vertragsverweigerung vgl. Korell, Jura 2006, 1, 8 (dort Fußnote 64, 65); Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1496 f. sieht in Schadensersatzansprüchen sogar die im Vergleich zu einem Kontrahierungsanspruch härtere Sanktion. Dies erscheint aber angesichts des durch einen erzwungenen Vertragsschluss gesteigerten sozialen Kontakts zweifelhaft.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

403

die Inkaufnahme von Kosten rechtfertigen mag.93 Im Bereich des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots ist das Wahlrecht des Verbotsadressaten dagegen wegen des hier deutlich geringeren sozialen Kontakts der Parteien des angestrebten Vertragsverhältnisses von geringerer Relevanz. Dies gilt jedenfalls für Austauschverträge aber auch für die meisten Dauerschuldverhältnisse wie etwa Verträge über Bankdienstleistungen, Versicherungen oder die Miete von KFZ. Ein gesteigerter sozialer Kontakt zwischen den Vertragsparteien besteht hier allenfalls bei der Vermietung von Wohnungen in einem vom Vermieter selbst genutzten Haus. Sieht man solche Vertragsverhältnisse, wie hier vertreten, als vom unional determinierten Diskriminierungsverbot erfasst an,94 ist somit jedenfalls ein Kontrahierungszwang in diesem eng umgrenzten Anwendungsbereich als unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatautonomie des Verbotsadressaten nicht mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar.

bb) Diskriminierende Beendigung von Vertragsverhältnissen In Bezug auf Dauerschuldverhältnisse stellt sich die Frage nach einer primären Abhilfemöglichkeit zudem in Bezug auf die diskriminierende Beendigung solcher Vertragsverhältnisse. Primäre Abhilfe bedeutet hier die Sicherung des Fortbestands des Vertragsverhältnisses in erster Linie über die Anordnung der Unwirksamkeit vertragsbeendigender Erklärungen des Verbotsadressaten. Gegen eine zu starke Belastung des Verbotsadressaten durch solche Regelungen spricht hier, anders als beim Kontrahierungszwang, die Erwägung, dass sich der Verbotsadressat seinen Vertragspartner immerhin zum Zeitpunkt der Begründung des Vertragsverhältnisses selbst ausgesucht hat, so dass sich die Zumutung eines ungewollten Fortbestehens dieses Vertragsverhältnisses in Grenzen halten dürfte. Zudem fällt auf der anderen Seite der Waage das Interesse des Diskriminierungsopfers am Fortbestand des bereits bestehenden Vertrags stärker ins Gewicht als das Interesse des Diskriminierungsopfers an der erstmaligen Begründung eines Vertragsverhältnises im Falle der diskriminierenden Vertragsverweigerung. Nationale Regelungen, die eine Unwirksamkeit diskriminierender Kündigungen oder einen Anspruch auf Wiedereinstellung vorsehen, stellen daher grundsätzlich keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitssphäre des Verbotsadressaten dar. Dies bestätigt in Bezug auf das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot letztlich auch das Urteil Marshall II, in dem der EuGH einen Anspruch auf Wiedereinstellung ausdrücklich als eine mögliche Art der Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit genannt hat.95

93  Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn.129; Korthaus, Antidiskriminierungsrecht, S. 219. 94  Siehe oben Dritter Teil § 2 B. III. 2. 95 EuGH, Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, Tz. 25 – Marshall II.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

cc) Sonderproblem: Organverhältnisse Ein spezielles Problem hinsichtlich der Möglichkeit einer primären Abhilfe des Diskriminierungsopfers stellt sich allerdings beim erwerbsbezogenen Diskriminerungsverbot in Bezug auf von diesem Verbot erfasste gesellschaftsrechtliche Organverhältnisse.96 Bejaht man auch insoweit einen Anspruch des Diskriminierungsopfers auf primäre Abhilfe, träte auf der Seite des Verbotsadressaten neben die übliche Belastung einer ihm aufgezwungenen Zusammenarbeit mit einem nicht (mehr) erwünschten Vertragspartner die zusätzliche Belastung der Bindung an Rechtsgeschäfte, die dieser Vertragspartner in Ausübung seiner aus dem Organverhältnis resultierenden Vertretungsbefugnisse eingehen könnte. Eine derart weitgehende Beschneidung der aus der Gesellschafterstellung resultierenden Möglichkeit einer effektiven Beteiligung an der Unternehmensführung stellt nicht nur einen tiefgehenden Eingriff in unternehmerische Grundrechtspositionen der Anteilseigner dar, sondern sie beschränkt darüber hinaus die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit dieser Anteilseigner und berührt hierdurch mit dem Funktionieren des Binnenmarktes die originäre Zielkonzeption der Union.97 Dieser Feststellung muss ein von dem Bestreben nach praktischer Konkordanz getragenes unionales Antidiskriminierungs-Regime durch eine die betroffenen Freiheitspositionen möglichst schonende Ausgestaltung der Rechtsfolgen Rechnung tragen. Eine nationale Rechtsfolge, welche einen Anspruch auf die Begründung eines Organverhältnisses oder die Unwirksamkeit seiner Beendigung nicht nur in Bezug auf das zugrundeliegende Arbeits- oder Dienstverhältnis, sondern zugleich in Bezug auf das gesellschaftsrechtliche Organverhältnis als solchem anordnen würde, entspräche nicht den Anforderungen an einen verhältnismäßigen Rechtsbehelf und wäre damit als unionsrechtswidrig einzustufen.98 Rechtsbehelf der Wahl kann insoweit nur der Schadensersatzanspruch des Diskriminierungsopfers sein, der zwar ebenfalls einen hohen wirtschaftlichen Druck auf die Anteilseigner zu entfalten vermag, diesen aber immerhin die Wahl lässt, sich von der nicht mehr erwünschten Bindung an das Organmitglied „freizukaufen.“99

96 

Siehe hierzu oben Dritter Teil § 2 B. II. 2. c) und d). zu den primärrechtlichen Zielkonflikten im Zusammenhang mit einer Er­ streckung des erwerbsbezogenen Diskriminierungsschutzes auf gesellschaftsrechtliche Organverhältnisse Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 352 ff., der infolgedessen aber, anders als hier vertreten, weitgehende Restriktionen bereits auf der Tatbestandsebene befürwortet. Vgl. speziell zu Implikationen der Kapitalverkehrsfreiheit Schubert, ZIP 2013, 289, 295 ff. 98  Schubert, ZIP 2013, 289, 296 f. 99 Ebenso Schubert, ZIP 2013, 289, 296; a.A. Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 357; Kort, WM 2013, 1049, 1056. 97  Eingehend

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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2. Deutsches Recht a) Unwirksamkeit diskriminierender Kündigungen gemäß § 134 BGB Eine Vorschrift, die explizit die Nichtigkeit diskriminierender Kündigungen anordnet, enthält das AGG nicht. §§ 7 Abs. 2, 21 Abs. 4 AGG sind insoweit schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich bei Kündigungen um einseitige Rechtsgeschäfte und nicht, wie von der genannten Regelung gefordert, um „Bestimmungen in Vereinbarungen“ handelt. Als einseitige Rechtsgeschäfte unterfallen diskriminierende Kündigungen aber der allgemeinen Nichtigkeitsanordnung des § 134 BGB. Dies ist für Kündigungen, die sich als Verstoß gegen das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot darstellen, allgemein anerkannt, gilt aber auch für Kündigungen von Arbeitsverhältnissen und sonstigen Erwerbsverhältnissen. § 2 Abs. 4 AGG, wonach in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz gelten, steht dem nach hier vertretener Auffassung nicht entgegen, weil die genannte Vorschrift wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den Vorgaben des Unionsrechts außer Anwendung zu lassen ist.100 Für Kündigungen von Arbeitsverhältnissen, die dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG unterfallen, ergibt sich danach eine zweistufige Wirksamkeitsprüfung. Auf der ersten Stufe steht eine eventuelle Sozialwidrigkeit nach § 1 KSchG im Raum, auf der zweiten Stufe eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 7 Abs. 1 AGG. Ist eine Kündigung wegen Verstoßes gegen das im AGG statuierte Diskriminierungsverbot gemäß § 134 BGB nichtig, bleiben die gegenseitigen Pflichten der Vertragsparteien bestehen. Ein zu Unrecht gekündigter Arbeitnehmer behält damit seinen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, und zwar gemäß § 615 BGB auch dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund der diskriminierenden Kündigung die Annahme der Arbeitsleistung verweigert. Keine Anwendung findet § 134 BGB hingegen auf die diskriminierende Beendigung gesellschaftsrechtlicher Organverhältnisse.101 Zwar umfasst das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot auch insoweit nicht nur das der Organstellung zugrundeliegende Dienst- oder Arbeitsverhältnis, sondern auch die Organstellung als solches.102 Der mit einem Fortbestand des Organstellung einhergehende Fortbestand der organschaftlichen Vertretungsbefugnis wäre aber mit dem primärrechtlich verbürgten Interesse der betroffenen Anteilseigner an einer effektiven Kontrolle der Unternehmensführung unvereinbar und kann damit im nationalen Recht nicht angeordnet werden.103

100 

Siehe dazu ausführlich oben Dritter Teil § 2 B. II. 3. Schubert, ZIP 2013, 289, 298. 102  Siehe oben Dritter Teil § 2 B. II. 2. c). 103  Siehe oben 1. b) cc). 101 So

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

b) Kontrahierungszwang im Falle der Vertragsverweigerung? Während für den Fall der diskriminierenden Kündigung eines Vertragsverhältnisses über die Nichtigkeitsanordnung des § 134 BGB ein Rechtsschutz auf der Primärebene gewährleistet wird, stellt sich die Rechtslage hinsichtlich des Bestehens einer primären Abhilfemöglichkeit in Bezug auf diskriminierende Vertragsverweigerungen als deutlich unübersichtlicher dar. Klar ist lediglich, dass ein Kontrahierungszwang im Bereich des erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbots ausscheidet, da § 15 Abs. 6 AGG in Fortschreibung der Regelung in § 611a Abs. 2 und 5 BGB einen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses explizit ausschließt. Die Regelung ist offensichtlich von der Erwägung geleitet, dass sich eine alternativlose Fesselung des Arbeitgebers an einen von ihm nicht gewollten Arbeitnehmer wegen der besonderen Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatautonomie des Arbeitgebers darstellen würde.104 Der Ausschluss eines Kontrahierungszwanges in Bezug auf die Begründung von Arbeitsverhältnissen ist vor diesem Hintergrund nicht nur unionsrechtlich erlaubt,105 sondern im Hinblick auf die Bindung des nationalen Gesetzgebers an die Unionsgrundrechte sogar geboten.106 Nach wie vor umstritten ist dagegen, ob ein Kontrahierungszwang in Bezug auf das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot aus § 21 Abs. 1 AGG hergeleitet werden kann, wonach das Diskriminierungsopfer im Falle einer Verletzung des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbots die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen kann.107 Dies ist zu bejahen. Der Beseitigungsanspruch des § 21 Abs. 1 AGG zielt ähnlich § 1004 BGB auf die Beseitigung der Beeinträchtigung als solche, nicht auf deren Folgen. Im Falle der diskriminierenden Vertragsverwei104  Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 129 m.w.N. spricht insoweit von einem Grundsatz des deutschen Arbeitsrechts. Die im Schrifttum bisweilen gelieferte Alternativ­ erklärung, wonach § 15 Abs. 6 AGG das Interesse des anstelle des diskriminierten Bewerbers eingestellten Dritten am Bestand seines Beschäftigungsverhältnisses schützen soll (Armbrüster, ZRP 2005, 41, 43; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 728), vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Denn der Bestand dieses Beschäftigungsverhältnisses ist unabhängig von einer etwaigen Verpflichtung des Verbotsadresaten, eine weitere Person (das Diskriminierungsopfer) ebenfalls einzustellen. Im Übrigen ließe sich unter Zugrundelegung einer solchen Zielsetzung nicht erklären, warum der Gesetzgeber von einem Ausschluss des Kontrahierungszwangs im allgemeinen Zivilrecht abgesehen hat, wo sich in Bezug auf das Bestands­ interesse Dritter das gleiche Problem stellen kann. 105  Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 42. 106  Siehe oben 1. b) aa). 107  Einen Kontrahierungszwang bejahen etwa Kossak, Rechtsfolgen, S. 155; Maier-Reimer, NJW 2006, 2577, 2582; Schiek, in: Schiek, AGG, § 21 Rn. 8; Thüsing, in: MüKoBGB, § 21 Rn. 17; ders./von Hoff, NJW 2007, 21 ff.; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1098; verneinend dagegen Adomeit/Mohr, AGG, § 21 Rn. 19; Armbrüster, NJW 2007, 1494; Bachmann, ZBB 2006, 257, 265 f.; Grüneberg, in: Palandt, § 21 AGG Rn. 7. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage steht noch aus.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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gerung besteht diese Beeinträchtigung in der Anwendung einer privaten Entscheidungsmaxime, die an ein nach § 1 AGG verbotenes Merkmal anknüpft. Eine Beseitigung dieser Beeinträchtigung erfolgt dadurch, dass man dem Diskriminierenden die Anwendung der diskriminierenden Entscheidungsmaxime untersagt. Entfällt dieses Hindernis, ist wiederum der Weg zu dem begehrten Vertragsschluss frei, soweit es sich bei der Anknüpfung um den einzigen Grund für die Vertragsverweigerung handelte. Dies ist regelmäßig der Fall bei Massengeschäften.108 Bei Auswahlentscheidungen folgt dagegen aus dem Wegfall der diskriminierenden Entscheidsmaxime nur dann ein Anspruch auf Abschluss des begehrten Vertrages, wenn der Diskriminierende den Vertrag ohne Anknüpfung an das verbotene Merkmal mit dem Diskriminierungsopfer geschlossen hätte.109 In den genannten Fällen stellt sich der Vertragsschluss als actus contrarius der diskriminierenden Vertragsverweigerung dar.110 Selbst wenn man nur den Wegfall der diskriminierenden Entscheidungsmaxime als solche als actus contrarius ansieht und aus diesem Grunde § 21 Abs. 1 AGG als Anspruchsgrundlage für einen Kontrahierungszwang ablehnt,111 lässt sich ein solcher Anspruch unproblematisch über einen Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution gemäß § 21 Abs. 2 AGG begründen.112 Für das Bestehen eines Kontrahierungszwanges bei Verstößen gegen das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot spricht ferner ein Umkehrschluss aus § 15 Abs. 6 AGG, der einen solchen Anspruch im Falle von Verstößen gegen das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot explizit ausschließt.113 Auch aus 108 

Kossak, Rechtsfolgen, S. 166. Nachweis, dass dies der Fall gewesen wäre, stellt sich allerdings keinesfalls als die unüberwindbare Hürde dar, als welche sie im Schrifttum bisweilen dargestellt wird (vgl. Busche, in: Leible/Schlachter, Diskriminierungsverbot und Privatrecht, S. 159, 173; Thüsing, in: MüKoBGB, § 21 Rn. 23). Zwar bezieht sich die in § 22 AGG geregelte Beweislastumkehr nur auf das Vorliegen einer verbotenen Diskriminierung als solche. Der EuGH hat allerdings im Zusammenhang mit einer Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts dem Arbeitgeber die Beweislast dafür auferlegt, dass es sich bei dem abgelehnten Bewerber nicht um den bestqualifizierten Bewerber gehandelt hat, vgl. EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 36 – Draehmpaehl, siehe dazu noch eingehend unten B. I. 2. b) cc) (2) (b). Diese Vorgabe lässt sich wegen der insoweit vergleichbaren Interessenlage auch auf den Nachweis der Kausalität zwischen der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal und der Vertragsverweigerung im Rahmen des Beseitungsanspruchs übertragen. 110  Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 159; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 729; Thüsing, in: MüKoBGB, § 21 Rn. 17. 111  So etwa Bruns, NJW 2007, 385, 389. 112  Der bereits vor Einführung des AGG geführten Diskussion, ob sedes materiae eines Kontrahierungszwanges im Kartellrecht oder im allgemeinen Zivilrecht der Beseitigungsoder Schadensersatzanspruch ist (vgl. dazu Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 220 ff.) kommt für das AGG schon deshalb keine Bedeutung zu, weil nach der hier vertretenen Auffassung auch der Schadensersatzanspruch entgegen dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 S. 2 AGG nicht an ein Vertretenmüssen des Verbotsadressaten geknüpft ist; siehe unten B. I. 2. a). 113  So statt vieler Thüsing/von Hoff, NJW 2007, 21, 22. Kritisch Grünberger, Personale 109  Der

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

der Gesetzgebungsgeschichte folgt nichts Gegenteiliges.114 Zwar war im Vorentwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG-E) ein Kontrahierungszwang noch ausdrücklich vorgesehen.115 Aus dem Fehlen einer solchen Vorschrift im AGG lassen sich aber schon deshalb keine weitergehenden Schüsse ziehen, weil bereits im Vorentwurf die Nennung des Kontrahierungszwanges nur der Klarstellung dienen sollte, dass sich ein solcher aus dem Beseitigungsanspruch herleiten lässt.116 Eine Einschränkung für das Bestehen eines Kontrahierungszwanges ergibt sich aber im Hinblick auf Verträge, die ein besonderes Vertrauens- oder Näheverhältnis zwischen den Parteien begründen. Wie an anderer Stelle dargelegt, erfasst das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot entgegen § 19 Abs. 5 S. 1, 2 AGG auch solche Verträge, weil die genannte Ausnahmevorschrift im Unionsrecht keine Grundlage findet und daher außer Anwendung zu lassen ist.117 Ein Kontrahierungszwang würde sich in Bezug auf solche Verträge indes als unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Artikel 16, 17 GR-Ch gewährleistete Privatautonomie des Diskriminierungsopfers darstellen. Dem ist im Rahmen der richtlinienkonformen Reduktion des § 21 Abs. 1 AGG (oder § 21 Abs. 2 AGG) dahingehend Rechnung zu tragen, dass der Beseitigungsanspruch des Diskriminierungsopfers keinen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages begründet, wenn durch diesen Vertrag ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis begründet werden soll. Ein Schadensersatzanspruch kommt danach aber gleichwohl in Betracht. Auch außerhalb von Nähe- und Vertrauensverhätnissen besteht ein Kontrahierungsanspruch des Diskriminierungsopfers nicht in jedem Fall einer verbotenen Diskriminierung, sondern er ist an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft.118 Zum einen muss der zu beseitigende bzw. in Natur zu restituierende vertragslose Zustand kausal auf die verbotene Diskriminierung zurückzuführen sein.119 SoGleichheit, S. 729 f., wonach § 15 Abs. 6 AGG ebensogut als Fortschreibung der alten Rechtslage zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot gelesen werden kann. Dann hätte aber vor dem Hintergrund der Diskussion um das Für und Wider eines Kontrahierungszwanges eine inhaltsgleiche Klarstellung auch für das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot nahegelegen. 114  So auch Kossak, Rechtsfolgen, S. 146 ff. Grüneberger, Personale Gleichheit, S. 730. 115  Vgl. § 22 Abs. 2 ADG-E, der im Hinblick auf einen solchen Anspruch detaillierte Voraussetzungen enthielt. 116  Noch weniger aufschlussreich sind entgegen Stimmen im Schrifttum (Bachmann, ZBB, 2006, 257, 265) Aussagen diverser Parlamentarier, wonach ein Kontrahierungszwang nach dem AGG wahlweise bestehen oder gerade nicht bestehen soll. Einen Überblick über die einzelnen Beiträge liefert Kossak, Rechtsfolgen, S. 147, Fußnoten 773–775. 117  Siehe oben Dritter Teil § 2 B. III. 2. 118  Vgl. hierzu die detaillierten Regelungen in § 22 Abs. 2 ADG-E, die jedoch lediglich eine Klarstellung der geltenden Gesetzlage enthielten, vgl. BT-Drs. 15/4538, S. 43. Eingehend zu den Voraussetzungen eines Kontrahierungszwanges Kossak, Rechtsfolgen, S. 158 ff, sowie Thüsing/von Hoff, NJW 2007. 119  Siehe oben. Näher zu diesem Erfordernis beim Anspruch des abgelehnten Bewerbers

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dann kommt ein Anspruch auf Vertragsschluss nicht (mehr) in Betracht, wenn dem Verbotsadressaten der Vertragsschluss zwischenzeitlich durch anderweitige Verfügung des Verbotsadressaten über den avisierten Vertragsgegenstand gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden ist.120 Auch insoweit stehen Auswahlverfahren im Fokus, während Massengeschäfte angesichts der hier regelmäßig vorhandenen Kapazität kaum eine Rolle spielen. Schließlich stellt sich das Problem des Vertragsinhalts. Bei Massengeschäften, die zumeist standardisierte Produkte und Dienstleistungen betreffen, kann insoweit hinsichtlich Leistung und Gegenleistung auf die Leistungsumschreibung des öffentlichen Angebots bzw. den Listenpreis des Verbotsadressaten abgestellt werden. Bei anderen Verträgen (z.B. Wohnungsmiete, Verkauf eines Gebrauchtwagens) verbleibt, sofern die Leistungen nicht auch hier in einem öffentlichen Angebot fixiert sind, nur der Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen wie etwa ein Recht zur einseitigen Bestimmung der Gegenleistung durch den Verbotsadressaten (§ 316 BGB) mit richterlicher Billigkeitskontrolle (§ 315 Abs. 3 S. 1 BGB).121

B. Die sekundäre Ebene: Schadensersatzansprüche des Diskriminierungsopfers I. Unionsrechtliche Vorgaben 1. Grundlegende Feststellungen a) Die Rechtsprechung des EuGH zur Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen Schadensersatzansprüchen kommt als Rechtsfolge von Verstößen gegen privatrechtbezogene Diskriminierungsverbote eine herausragende Bedeutung zu; handelt es sich doch hierbei um die einzige Rechtsfolge, mit der den Anforderungen eines wirksamen Individualrechtsschutzes ebenso genügt werden kann wie den Anforderungen an eine abschreckende Sanktion (im engeren Sinne) gegenüber dem Verbotsadressaten.122 Die Doppelfunktionalität von Schadensersatzansprüchen als Rechtsfolge verbotener Diskriminierungen spiegelt dabei nur die doppelte Funktion wider, die dem Schadensersatz heute allgemein zugeauf Ersatz des materiellen, aus der Vertragsverweigerung resultierenden Schadens und der insoweit bestehenden Regeln hinsichtlich der Beweislast siehe unten B. I. 2. b) cc) (2) (b). 120  Dies ist unter den Befürwortern eines Kontrahierungszwanges nahezu unumstritten, vgl. nur Thüsing/von Hoff, NJW 2007, 21, 14 f. Besteht eine Möglichkeit, den Vertragsgegenstand vom bevorzugten Vertragspartner zurückzuerlangen, bestimmt sich die Opfergrenze nach § 275 Abs. 2 BGB. 121  Kossak, Rechtsfolgen, S. 169; Thüsing, in: MüKoBGB, § 21 AGG Rn. 28. 122  Zur Doppelfunktion von Schadensersatzansprüchen im Rahmen nationaler Rechtsfolgenregelungen siehe bereits oben § 1 D. 2. c).

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

sprochen wird, indem neben der seit jeher anerkannten Kompensationsfunktion in den letzten Jahrzehnten verstärkt die Präventionsfunktion dieses Rechtsinstituts in den Blick geraten ist.123 Es ist somit gerade diese Schadensersatzansprüchen per se innewohnende Doppelfunktionalität, welche sie als Rechtsfolge erster Wahl in Bezug auf die Durchsetzung subjektiver unionaler Rechtspositionen prädestiniert.124 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass in nahezu sämtlichen Urteilen des EuGH, die sich mit den Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot befassen, Schadensersatzansprüche im Fokus der Betrachtung standen. Ausgangspunkt der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH war dabei allerdings die – heute in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen nicht mehr aktuelle – Feststellung, dass das Unionsrecht weder unter dem Aspekt des Individualschutzes noch unter dem Aspekt der Verhaltenssteuerung zwingend Schadensersatzanspüche als Rechtsfolge vorgibt. Möglich ist danach, je nach Fallgestaltung, etwa auch die Kombination eines Kontrahierungszwanges mit einer flankierenden Bußgeldregelung.125 Wenn sich ein Mitgliedstaat aber für die haftungsrechtliche Lösung entscheidet, müssen die in diesem Zusammenhang statuierten Ansprüche bestimmten Voraussetzungen genügen, um ihrer Doppelfunktion gerecht zu werden. Der EuGH hat diese Voraussetzungen in zahlreichen Urteilen definiert und in Bezug auf haftungsrechtliche Einzelfragen spezifiziert. Diese auf das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung bezogene Rechtsprechung fügt sich wiederum nahtlos ein in die allgemeine Rechtsprechung des EuGH zu den Anforderungen an Schadensersatzansprüche, die der Durchsetzung anderer durch das Unionsrecht eingeräumter subjektiver Rechtspositionen dienen.126 Genannt seien hier nur die erstmals im Urteil Francovich konstatierte Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstößen gegen individualschützende Vorgaben des Unionsrechts127 sowie die im Urteil Courage konstatierte Haftung privater Unternehmer wegen Ver­stößen gegen das unionale Wettbewerbsrecht.128 Indem es hier wie dort, ebenso wie im unionalen Diskriminierungsrecht, um die Durchsetzung subjektiver Rechts123 Ibid.

124  Die hier vorgenommene Charakterisierung von Schadensersatzansprüchen als Rechtsfolge erster Wahl bedeutet freilich nicht, dass als privatrechtliche Rechtsfolge zur Durchsetzung unionaler subjektiver Rechte stets Schadensersatzansprüche vorzusehen wären, sofern andere privatrechtliche Instrumente wie etwa eine Abhilfe auf der Primärebene ebenfalls sowohl eine Wiedergutmachung als auch eine ausreichende Prävention gewährleisten. Vgl. zum Verhältnis zwischen Schadensersatz und Abhilfe auf der Primärebene Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 532 ff. 125  So ausdrücklich EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 18 – von Colson (Schadensersatz oder Anspruch auf Abschluss eines Vertrages, gegebenenfalls durch eine Bußgeldregel verstärkt). 126  Den engen Zusammenhang betont Tobler, Remedies and Sanctions, S. 12. 127 EuGH, Rs. C-6/90, Slg. 1991, I-5357, Tz. 33 ff. – Francovich. 128 EuGH, Rs. C-453/99, Slg. 2001, I-6297; Tz. 26 ff. – Courage.

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positionen geht, müssen Schadensersatzansprüche in allen genannten Konstellationen letztlich denselben Anforderungen genügen. Die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH ist daher über die einzelnen Fallgruppen hinweg von weitgehender Konsistenz geprägt, was es wiederum rechtfertigt, in dieser Gesamtrechtsprechung das Gerippe eines unionsrechtlichen Haftungsrechts zu sehen.129

b) Insbesondere: Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität Die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen zur Ahndung von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot orientiert sich an zwei Grundsätzen, welche allgemein im Zusammenhang mit der Durchsetzung subjekter unionaler Rechte Geltung beanspruchen. Es handelt sich hierbei um die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.130 Beide Grundsätze wurzeln in der Indivualschutzfunktion von Rechtsfolgenregelungen in Bezug auf die Verletzung subjektiver unionaler Rechte, wonach die Mitgliedstaaten gehalten sind, den Trägern solcher Rechte nach dem Grundsatz „ubi ius, ibi remedium“ einen individuellen Rechtsbehelf zur Durchsetzung ihrer Rechte zur Verfügung zu stellen.131 Über die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität gewährleistet das Unionsrecht einen bestimmten Standard hinsichtlich der durch die Mitgliedstaaten zur Durchsetzung unionaler Individualrechte zu etablierenden Verfahren, und zwar auch in Politikbereichen, in denen die Union an sich keine Verbandskompetenz besitzt.132 Anders als der Begriff „Verfahren“ suggeriert, betreffen diese qualitativen Standards nicht nur die prozessuale, sondern auch auf die materiellrechtliche Ausgestaltung der zur Durchsetzung des Unionsrechts etablierten nationalen Rechtsbehelfe.133 Der 129  Vgl. hierzu die grundlegenden Arbeiten von Heinze Schadensersatz im Unionsprivatrecht, 2017 und Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003. 130 EuGH, Rs. C-430/93 und C-431/93, Slg. 1995, I-4705, Tz. 17 – van Schijndel; EuGH, Rs. C-129/00, Slg. 2003, I-14637, Tz. 25 – Kommission gegen Italien; EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 25 – Bulicke. Eingehend zu diesen Grundsätzen Tridimas, General Principles, S. 279 f. und Heinze, Schadensersatz und Unionsprivatrecht, S. 20 ff. (insbesondere zum Effektivitätsgrundsatz). 131  Siehe dazu oben § 1 D. I. 2. b). 132 Eine solche Annexkompetenz für das Straf(prozess)recht ausdrücklich bejahend EuGH, Rs. C-176/03, Slg. 2005, I- 7879, Tz. 47 f. – Kommission gegen Rat. Auch im Schrifttum wird eine Annexkompetenz der Union zur effektiven Durchsetzung unionaler Rechte mehrheitlich befürwortet, vgl. etwa Franck, Marktordnung durch Haftung, S. 187; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 26 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 297; Rott, in: Leczykiewicz/Weatherill, The evolvement of EU-Law in Private Law Relationships, S. 181, 191; zurückhaltend dagegen Harnos, ZEuP 2015, 546, 550 ff. (Annexkompetenz nur, soweit zur Verwirklichung einer ausdrücklichen Kompetenz unerlässlich). 133  Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 26 mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung des EuGH zu einzelnen prozessualen und materiellen Aspekten der Rechtsdurchsetzung.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Grundsatz der Äquivalenz besagt dabei, dass die durch die Mitgliedstaaten zu etablierenden „Verfahren“, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht ungünstiger ausgestaltet sein dürfen als entsprechende Verfahren, die nur innerstaatliches Recht betreffen. Das Unionsrecht fordert somit als Mindeststandard, die Gleichbehandlung des Unionsrechts mit dem nationalen Recht in Bezug auf die Rechtsdurchsetzung in den Mitgliedstaaten. Die Gleichbehandlung des Unionsrechts mit dem nationalen Recht im Sinne des Grundsatzes der Äquivalenz markiert indes nur einen Mindeststandard,134 der durch den Grundsatz der Effektivität ergänzt wird. Danach darf die Ausgestaltung der zum Schutz subjektiver unionaler Rechte etablierten nationalen Rechtsbehelfe („Verfahren“) die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Selbst wenn ein Mitgliedstaat somit die durch das Unionsrecht verliehenen oder vorgegebenen Rechte in gleicher Weise schützt wie die durch das nationale Recht verliehenen Rechte, kann dieser Standard doch im Einzelfall nicht ausreichend sein. Das Unionsrecht fordert in diesem Fall eine Besserbehandlung des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht. In Bezug auf die durch die Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot hat der EuGH, wie sogleich zu zeigen sein wird, erstaunlich oft eine solche Besserbehandlung für geboten gehalten, während in anderen Fällen bereits eine verfahrensmäßige Gleichbehandlung als ausreichend erachtet wurde. Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität werden durch den EuGH allerdings insoweit nicht immer deutlich voneinander abgegrenzt,135 wiewohl eine Prüfung des nationalen Rechts anhand dieser beiden Grundsätze in der Sache stets durchscheint.

2. Einzelne Aspekte a) Verschuldensunabhängige Haftung Von erheblicher Bedeutung in Bezug auf die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung des Diskriminierungsverbots ist zunächst die Frage, ob es zur Auslösung der Haftungsfolge eines Verschuldens des Verbotsadressaten bedarf. Besonders aus dem Blickwinkel des deutschen Zivilrechtswissenschaftlers erscheint es nach wie vor schwer vorstellbar, Personen einer Schadensersatzhaftung auszusetzen, ohne dass diese ein Verschulden trifft; ist 134  Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 304 (Prinzip des nationalen Mindesstandards). 135  Mustergültig ist insoweit aber das Urteil EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 24–42 – Bulicke, in welchem der EuGH die im deutschen Recht hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen statuierte Ausschlussfrist des § 15 Abs. IV AGG einer eingehenden Prüfung am Maßstab der beiden Grundsätze vornimmt. Siehe hierzu noch unten 2. c).

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doch das in §§ 280 I 2, 823 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommende Verschuldensprinzip fest in der DNA des deutschen Privatrechts verankert, während andere Rechsordnungen hier zum Teil andere Traditionen pflegen.136 Der EuGH war mit der Frage des Verschuldenserfordernisses erstmalig im Urteil Dekker konfrontiert.137 Das niederländische Ausgangsverfahren betraf eine unter die Richtlinie 76/207/EWG fallende Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung. Die Klägerin hatte sich erfolglos um eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Erzieherin beworben. Die Beklagte begründete ihre ablehnende Entscheidung ausdrücklich mit der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Schwangerschaft der Klägerin und der Tatsache, dass die Krankenversicherung der Klägerin der Beklagten nicht das Krankengeld erstatten würde, welches sie der Klägerin während ihres Mutterschaftsurlaubs zu zahlen hätte. Infolgedessen sei es der Beklagten finanziell unmöglich, während der Verhinderung der Klägerin einen Vertreter einzustellen. Das letztinstanzlich mit dem Verfahren befasste niederländische Gericht sah sich an einer Entscheidung des Rechtsstreits gehindert, ohne dem EuGH zuvor einige Fragen zur Auslegung der Richtlinie 76/207/EG vorgelegt zu haben. Neben der vom EuGH letztlich bejahten Frage, ob es sich bei einer Anknüpfung an die Schwangerschaft um eine geschlechtsbezognene Diskriminierung handelt,138 wollte das niederländische Gericht wissen, ob das nationale Recht die Haftung des Arbeitgebers an ein Verschulden des Arbeitgebers knüpfen darf und ob eine Ungleichbehandlung auch dann gerechtfertigt werden kann, wenn keiner der in der Richtlinie ausdrücklich genannten Rechtfertigungsgründe vorliegt. Die EuGH hat beide Fragen verneint139 und dies wie folgt begründet: „Artikel 6 der Richtlinie erkennt an, daß die Opfer einer Diskriminierung Rechte besitzen, die sie gerichtlich geltend machen können. Wenn eine vollständige Durchführung der Richtlinie auch nicht eine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordert, so setzt sie doch voraus, daß diese Sanktion geeignet ist, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten (Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83, von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Randnr. 23). Sie muß ferner eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber haben. Wenn die Haftung eines Arbeitgebers für Verstöße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung davon abhinge, daß ein Verschulden des Arbeitgebers nachgewiesen wird und kein durch das anwendbare nationale Recht anerkannter Rechtfertigungsgrund vorliegt, würde dies die praktische Wirksamkeit dieser Grundsätze erheblich 136  Gegen eine Betrachtung des unionalen Schadensrechts allein aus der Perspektive des BGB auch G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 394 f. der zu Recht darauf hinweist, dass es sich bei den deutschen Regelungen zum Schadensersatz keineswegs um naturrechtlich vorgegebene Lösungen handelt, sondern um kontingente Entscheidungen, die in den europäischen Nachbarländern zum Teil ganz anders ausgefallen sind. 137 EuGH, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941 – Dekker. 138  Siehe dazu oben Dritter Teil § 2 C. II. 5. c) (1) (c). 139 EuGH, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 22, 26 – Dekker.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

beeinträchtigen. Daraus folgt, daß dann, wenn sich ein Mitgliedstaat für eine Sanktion entscheidet, die sich in den Rahmen einer Regelung über die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers einfügt, jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen muß, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, ohne daß die im nationalen Recht vorgesehenen Rechtfertigungsgründe berücksichtigt werden können.“140

Die klare, in späteren Urteilen bestätigte141 Ablehnung eines Verschuldenserfordernisses durch den EuGH erstaunt auf den ersten Blick. Denn auch wenn es für das Vorliegen einer Diskriminierung als solche, wie oben gesehen, nicht auf das Vorliegen einer wie auch immer gearteten subjektiven Einstellung, sondern einzig auf die (auch unbewusste) Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal oder ein nur dem Anschein nach neutrales Merkmal ankommt,142 stellt sich doch hinsichtlich einer hieran anknüpfenden Haftung des Verbotsadressaten die Frage der subjektiven Verantwortlichkeit in einem anderen Kontext. Gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich diskriminierende Entscheidungsmaximen oft unbewusst außerhalb der eigenen Wahrnehmung des Verbotsadressaten etablieren, erscheint jedenfalls in solchen Fällen eine über die bloße Abhilfe hinausgehende Belastung mit sämtlichen Folgekosten einer diskriminierenden Entscheidung eher nicht angemessen. Für eine verschuldensunabhängige Haftung spricht jedoch das im Antidiskriminierungsrecht mehr als in anderen Bereichen des Unionsrechts143 dominierende Gebot der effektiven Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung144 und dies gleich in zweierlei Hinsicht: Unter dem Aspekt des Individualschutzes (Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit durch Wiedergutmachung der Diskriminierung) ist zu berücksichtigen, dass gerade bei 140 EuGH,

Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 23–25 – Dekker. Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 17 – Draehmpaehl. 142  Siehe oben Dritter Teil § 2 C. II. 3. b) aa) und III. 3. a). 143  Das übrige unionale Haftungsrecht gestaltet sich in Bezug auf die Frage der Verschuldensabhängigkeit disparat. Während in Teilbereichen, wie im Produkthaftungsrecht (vgl. Erwägungsgrund 2 Richtlinie 85/374), dem Vergaberecht (vgl. EuGH, Rs. C-314/09, Slg. 2010, I-8769, Tz. 30 – Strabag) und im Prinzip auch im Staatshaftungsrecht (EuGH, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029, Tz. 79 – Brasserie du Pêcheur/Factortame) eine verschuldensunabhängige Haftung vorgesehen ist, wird die Haftung in anderen Bereichen an ein Verschulden geknüpft (so z.B. im Immaterialgüterrecht, vgl. Artikel 13 Abs. 1 Richtlinie 2004/48). In weiteren Bereichen wie etwa dem Kartellrecht ist die Frage der Verschuldensabhängigkeit bis heute umstritten; zu diesem Streit Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 193 ff.; allgemein zum Verschuldenserfordernis im Unionsprivatrecht ders., S. 573 ff. 144  Die besondere Rolle des Effektivitätsprinzips im Bereich des Antidiskriminierungsrechts betont auch Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 156, der das fehlende Verschuldenserfordernis aus diesem Grunde als nicht verallgemeinerungsfähiges Spezifikum gerade dieses Rechtsbereichs qualifiziert. Ähnlich Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 196 f.: Keine Rückschlüsse von der verschuldensunabhängig ausgestalteten Haftung im Antidiskriminierungsrecht auf andere Bereiche des Unionsrechts (hier: Kartellrecht) im Hinblick auf die Kontextabhängigkeit des Effektivitätsgrundsatzes. 141 EuGH,

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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diskriminierenden Entscheidungen im Rahmen von Auswahlverfahren eine Abhilfe auf der primären Ebene regelmäßig nicht mehr möglich ist, weil die zu vergebende Stelle oder Wohnung zwischenzeitlich bereits an einen anderen Bewerber vergeben wurde. Wäre hier eine Wiedergutmachung des dem Diskriminierungsopfer entstandenen Schadens auf der sekundären Ebene von einem Verschulden des Verbotsadressaten abhängig, würde der individuelle Schutz des Diskriminierungsopfers in vielen Fällen leerlaufen.145 Dies betrifft neben den Fällen, in denen dem Verbotsadressaten die (unmittelbare) Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal nicht bewusst geworden ist, vor allem die Fälle der mittelbaren Diskriminierung, deren Vorliegen ja lediglich einen dem Verbotsadressaten häufig ebenfalls nicht bewussten (statistischen) Zusammenhang zwischen einem neutralen und einem verbotenen Merkmal voraussetzt. Ein derart lückenhafter Schutz des Diskriminierungsopfers genügt nicht mehr dem vom EuGH im Urteil von Colson geforderten Minimalstandard eines individuellen, auf Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit ausgerichteten Rechtsbehelfs. Schon unter dem Aspekt des Individualschutzes ist dem EuGH somit darin beizupflichten, dass der dem Diskriminierungsopfer zur Verfügung zu stellende Rechtsbehelf von keiner weiteren Voraussetzung als dem Vorliegen einer Diskriminierung abhängig sein darf. Dasselbe könnte indes auch aus dem Gedanken der Abschreckung folgen. Zwar erscheint eine solche Schlussfolgerung auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegend, weil mit dem fehlenden Verschuldenserfordernis jeder Anreiz für ein pflichtadäquates Verhalten zur Haftungsvermeidung verlorenzugehen scheint und sich eine verschuldensunabhängige Haftung damit als ineffizient darstellen könnte.146 Nach einer verbreiteten Meinung im Schrifttum verhält sich dies aber gerade nicht so. Vielmehr wird einer verschuldensunabhängigen Haftung teilweise sogar ein stärker abschreckender Effekt zugeschrieben als einer verschuldensabhängigen Haftung, weil an die Stelle einer zentralen Festlegung des Sorgfaltsniveaus eine dezentrale und damit flexiblere Festlegung desselben durch die Verbotsadressaten tritt.147 Schließt man sich dieser Sichtweise an, ist die vom EuGH im Urteil Dekker konzedierte verschuldensunabhängige Haftung des Verbotsadressaten mithin auch unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung vorzugswürdig. Die zur Richtlinie 76/207/EWG getätigte Aussage des EuGH, wonach Schadensersatzansprüche des Diskriminierungsopfers nicht von einem Verschulden des Verbotsadressaten abhängig gemacht werden dürfen, lassen sich auf alle An145  Siehe zu den Grenzen eines Kontrahierungszwanges bei Auswahlentscheidungen bereits oben A. II. 2. b). 146  Adams, Verschuldens- und Gefährdungshaftung S. 33 ff.; Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 27 ff. 147  So bereits Posner, Economic Analysys of Law, S. 227 ff. Aus dem deutschen Schrifttum: G. Hager, Strukturen des Privatrechts, S. 19; Korch, Haftung und Verhalten, S. 21 ff.; Schlobach, Präventionsprinzip, S. 378; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 454 f.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

tidiskriminierungsrichtlinien übertragen. Denn die Vorgaben dieser Richtlinien in Bezug auf die Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen unterscheiden sich nicht von denen der Richtlinie 76/207/EWG, sondern sind vielmehr gerade von der Rechtsprechung des EuGH zu diesen Vorgaben geprägt.148 ­Hieran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass für geschlechtsbezogene Diskriminierungen nunmehr explizit Schadensersatzansprüche vorgeschrieben sind; gelten doch die vom EuGH aufgestellten Anforderungen an die Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen unabhängig von einer solchen spezifischen Vorgabe bereits dann, wenn ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Etablierung eines individuellen Rechtsbehelfs durch die Gewährleistung von Schadensersatzansprüchen nachkommt.149

b) Voller Schadensausgleich (Totalreparation) aa) Allgemeine Regel Neben der Frage des Verschuldenserfordernisses hat vor allem die Frage der Höhe des dem Diskriminierungsopfer zu gewährenden Schadensersatzes den EuGH eingehend beschäftigt. Ausgangspunkt für die Beantwortung sämtlicher hiermit in Zusammenhang stehender Einzelfragen ist die im Urteil von Colson getätigte Ausage des EuGH, wonach ein dem Diskriminierungsopfer nach nationalem Recht zugestandener Schadensersatzanspruch in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss.150 Aus dem Kontext dieser Aussage („deshalb“) wird deutlich, dass der durch den EuGH hergestellte Bezug zwischen Schadenshöhe und Höhe des Ersatzanspruchs beiden Zielen der durch die Mitgliedstaaten zu etablierenden Rechtsfolgenregelung genügen soll. Im Hinblick auf den zu gewährleistenden Individualschutz liegt ein solcher Bezug auf der Hand, weil nur ein angemessenes Verhältnis von Schaden und Er­satz­anspruch die Kompensation der durch die Diskriminierung erlittenen Nachteile und damit die tatsächliche Chancengleichheit des Diskriminierungsopfers sicherzustellen vermag. Bereits im Urteil von Colson wird aber deutlich, dass der EuGH ein angemessenes Verhältnis von Schaden und Ersatzanspruch auch im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Dimension der von den Mitgliedstaaten zu etablierende Rechtsfolgenregelung – jedenfalls als Minimalstandard – für unentbehrlich hält. Dies leuchtet ein: Wenn sich der dem Diskri148 

Kossak, Rechtsfolgen, S. 34. Dies ist im Schrifttum ungeachtet aller im Übrigen bestehenden Differenzen hinsichtlich der Frage der Sanktionsneutralität anerkannt, vgl. nur Grünberger, Personale Gleichheit, S. 717; Kossak, Rechtsfolgen, S, 26; Schlachter, in: ErfK, § 15 AGG Rn. 1, die aber ungeachtet des insoweit klaren Wortlauts des Artikels 18 der Richtlinie 2006/54/EG davon ausgeht, dass auch für Diskriminierungen wegen des Geschlechts nicht zwingend Schadensersatzansprüche der Opfer vorgeschrieben sind. 150 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 23 – von Colson. 149 

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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minierungsopfer zu gewährende Schadensersatz nur, wie bei § 611a BGB a.F. auf einen symbolischen Betrag beschränkt (Stichwort: Portokosten), ist eine ab­schreckende Wirkung auf die Verbotsadressaten kaum zu erwarten. Was ist aber unter einem angemessenen Verhältnis zwischen Schaden und Ersatzanspruch konkret zu verstehen? Der EuGH hat hierzu im Urteil Marshall II Stellung genommen, indem er ausführte: „Wird als Maßnahme zur Erreichung des vorstehend beschriebenen Ziels die finanzielle Wiedergutmachung gewählt, so muß diese angemessen in dem Sinne sein, daß sie es erlaubt, die durch die diskriminierende Entlassung tatsächlich entstandenen Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen.“151

Für Schadensersatzansprüche, welche die Mitgliedstaaaten als Rechtsfolge für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot statuieren, gilt somit der Grundsatz des vollen Schadensausgleichs (Totalreparation). Das Antidiskriminierungsrecht fügt sich insoweit in das übrige unionale Haftungsrecht ein, welches ebenfalls bereichsübergreifend152 vom Grundsatz des vollen Schadensausgleichs geprägt ist.153 Was dies im Hinblick auf die einzelnen Schadensarten und -Posten konkret bedeutet, soll im Folgenden unter Berückichtigung der insoweit ausdifferenzierten Rechtsprechung des EuGH erläutert werden.

bb) Materieller und immaterieller Schaden Mit der im Urteil Marshall II getroffenen Feststellung, dass der dem Diskriminierungsopfer entstandene Schaden in vollem Umfang auszugleichen ist, scheint der EuGH zunächst allein materielle Schadenspositionen im Blick zu haben, deren Ersatz, wie zu zeigen sein wird, auch den Kern des doppelfunktionalen Rechtsfolgenansatzes des EuGH bildet.154 Gerade im Zusammenhang mit verbotenen Diskriminierungen stellt sich aber die Frage, ob neben materiellen auch immaterielle Schäden vom Grundsatz des vollen Schadensausgleich erfasst sind; ist doch die Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal für das Diskriminierungsopfer regelmäßig mit einer Herabwürdigung seiner Person verbunden. Zwar ist eine solche Persönlichkeitsverletzung nicht Voraussetzung 151 EuGH,

Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, Tz. 26 – Marshall II. etwa EuGH, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg. 1996, I-1029, Tz. 90 – Brasserie du Pêcheur/Factortame (Staatshaftungsrecht); EuGH, Rs. C-295/04 bis C-298/04; Slg. 2006, I-6619, Tz. 97 – Manfredi (Wettbewerbsrecht); vgl. auch GA Tizziano, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631 – Leitner, Tz. 29 (Reisevertragsrecht); Auch im Sekundärrecht hat der Grundsatz der Totalreparation seinen Niederschlag gefunden, vgl. etwa Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2014/104/EU (Kartellschadensersatz-Richtlinie); Artikel 13 Abs. 1 S. 1 Richtlinie 2004/48/EG (Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum). 153  Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 585; Remien, in: Remien (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 359, 371; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 359. 154  Siehe dazu unten cc) (2) (a). 152  Vgl.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

für das Vorliegen einer Diskriminierung. Denn eine solche setzt nach der hier zugrundegelegten Deutung des Diskriminierungsverbots als normbezogenes Anknüpfungsverbot lediglich das Vorhandensein und nicht die Anwendung einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime voraus.155 Das dem Diskriminierungsopfer eingeräumte subjektive Recht auf Nichtdiskriminierung, dessen individueller Durchsetzung Schadensersatzansprüche des Diskriminierungsopfers dienen, ist jedoch erst dann verletzt, wenn eine diskriminierende Entscheidungsmaxime in einem Einzelfall, etwa im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens, zur Anwendung kommt, was dann regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine persönliche Herabwürdigung mit sich bringt. Diese Herabwürdigung als solche stellt einen immateriellen Schaden dar. Über die Frage, ob der Schadensersatzanspruch des Diskriminierungsopfers auch immaterielle Schäden erfassen muss, hat der EuGH mangels entsprechender Vorlagefrage bislang keine explizite Aussage getroffen.156 Ganz allgemein scheint der EuGH allerdings im Zusammenhang mit den Rechtsfolgen von Verstößen gegen unionsrechtlich verankerte oder vorgegebene Rechte von einem gemeineuropäischen Schadensbegriff auszugehen, der, ähnlich dem englischen und französischen Schadensbegriff,157 weder eine strikte Trennung von materiellen und immateriellen Schäden noch eine erhöhte Schwelle zur Kompensation der Letzteren kennt.158 So hat der EuGH im Urteil Leitner ganz selbstverständlich immaterielle Schäden in Form entgangener Urlaubsfeude als vom Schadensbegriff der (alten) Pauschalreise-Richtlinie erfasst angesehen.159 Auch Artikel 7 der Verordnung EU Nr. 261/2004 (Fluggastrechte-Verordnung) sieht einen Ersatzanspruch für Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit Flugverspätungen, Flugannullierungen oder Nichtbeförderung vor, und der Vorschlag der Kommission für die Kartellschadensersatz-Richtlinie rekurriert ebenfalls auf einen der Rechtsprechung des EuGH entstammenden Begriff der Vermögenseinbuße, der materielle wie immaterielle Schäden erfasst.160 Darüber hinaus besteht im Schrifttum weitgehende Einigkeit darüber, dass das Unionsprivatrecht grundsätzlich den Ersatz immaterieller Schäden verlangt.161 155 

Siehe hierzu oben Dritter Teil § 2 C. II. 4. Tobler, Remedies and Sanctions, S. 36. 157  Vgl. hierzu Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 198 ff., 202 ff. 158  von Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 339; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 394 f. 159 EuGH, Rs. C-168/00, Slg. 2002, I-2631, Tz. 23 – Leitner, Erwägungsgrund 34 der reformierten Pauschalreise-Richtlinie (Richtlinie 2015/2302/EU) stellt nunmehr klar, dass nach Artikel 13 Abs. 1, 14 Abs. 2 der Richtlinie zu etablierende Schadensersatzanspruch des Reisenden immaterielle Schäden umfassen muss. 160 KOM (2013) endgültig 404 S. 15 f. 161  Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 595 ff.; Remien, in: Remien (Hrsg.), Schadensersatz im europäischen Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 359, 372; Schubert, Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 464; Sponhorst, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 223; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 394 f.; Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 280 ff. 156 

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Es besteht somit kein Anlass zu der Annahme, dass Selbiges nicht auch für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot gelten soll,162 mit denen regelmäßig, wenn auch nicht zwingend, eine Persönlichkeitsverletzung und damit ein immaterieller Schaden einhergeht. In diese Richtung deutet auch das später noch ausführlich zu erörternde Urteil Draehmpaehl, in welchem der EuGH auch solchen diskriminierten Bewerbern einen Schadensersatzspruch zuerkannt hat, die bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht zum Zuge gekommen wären und damit keinen materiellen Nichteinstellungsschaden erlitten haben.163

cc) Insbesondere: Materieller Schadensersatz (1) Entgangener Gewinn und Zinsen Im Fokus stehen aus der Sicht des Diskriminierungsopfers allerdings naturgemäß die infolge der verbotenen Diskriminierung erlittenen materiellen Schäden. Hierbei handelt es sich typischerweise nicht um Substanzschäden an bestimmten Rechtsgütern,164 sondern um reine Vermögensschäden im Zusammenhang mit dem Nichtabschluss oder der Beendigung eines Vertrages, aus dessen Durchführung das Diskriminierungsopfer hätte Vorteile ziehen können. Es geht hierbei somit regelmäßig um den entgangenen Gewinn des Diskriminierungsopfers.165 Dass das Diskriminierungsopfer Ersatz gerade dieses zentralen Schadenspostens verlangen können muss, liegt auf der Hand; denn wie anders soll der Schadensersatzanspruch des Diskriminierungsopfers der ihm vom EuGH als Alternative zu einem Kontrahierungszwang zugedachten Wiedergutmachungsfunktion gerecht werden. Im Hinblick auf diese Selbstverständlichkeit verwundert es daher nicht, dass sich der Judikatur des EuGH zum Antidiskriminierungsrecht keine eindeutige Aussage im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns des Diskriminierungsopfers entnehmen lässt. Letztere folgt allerdings mittelbar aus den Ausführungen des EuGH zur Begrenzung der Höhe des Nichteinstellungsschadens,166 bei dem es sich, wie gesehen, um einen entgangenen Gewinn handelt. Eine unmittelbare Aussage des EuGH zur Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns findet sich dagegen in Urteilen zur Haftung wegen Verletzung von durch das Unionsrecht eingeräumten Rechten außerhalb des Antidiskriminie162 Ebenso

Sponhorst, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 223. Siehe unten cc) (2). 164  Eine allgemein geringe Bedeutung von Substanzschäden im unionalen Haftungsrecht konstatieren Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 276 und Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 591. 165  Ebenso aus dem Blickwinkel des deutschen Rechts L. Lehmann, Höhe des finanziellen Ausgleichs. S. 60; Stoffels, RdA 2009, 204, 212. Anders ist dies nur in den Fällen, in denen eine Abhilfe in Form eines Kontrahierungszwanges im Wege der actio negatoria oder Naturalrestitution noch möglich und auch rechtlich gefordert ist. 166  Siehe zu Haftungsobergrenzen unten dd). 163 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

rungsrechts. Das Problem stellte sich erstmals im Fall Brasserie de Pecheur Factortame. Der EuGH musste sich hier unter anderem mit der vom Bundesgerichtshof vorgelegten Frage befassen, ob ein Mitgliedstaat den Staatshaftungsanspruch eines Unternehmers wegen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht auf die Verletzung bestimmter besonders geschützter Rechtsgüter beschränken darf, wenn dies im seinem nationalen Haftungsrecht so vorgesehen ist. Der EuGH hat hierauf wie folgt geantwortet: „Der Bundesgerichtshof fragt, ob eine nationale Regelung die Entschädigungspflicht generell auf die Schäden beschränken kann, die an bestimmten, besonders geschützten individuellen Rechtsgütern wie dem Eigentum entstanden sind, oder ob sie auch den entgangenen Gewinn der Kläger abdecken muß. Er führt aus, daß die Chancen, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu vermarkten, von der deutschen Rechtsordnung nicht dem geschützten Bestand des Unternehmens zugeordnet würden. Dazu ist zu bemerken, daß es nicht zulässig sein kann, den entgangenen Gewinn bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vollständig vom ersatzfähigen Schaden auszuschließen. Insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ist nämlich ein solcher vollständiger Ausschluß des entgangenen Gewinns geeignet, den Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich zu machen.“167

Liest man die Frage des vorlegenden Gerichts und die Antwort des EuGH, bedarf es zunächst einer Spezifizierung: Gefragt war nach der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns, der sich nicht über die Verletzung eines absoluten Rechtsguts vermittelt. Es ging somit in dem genannten Urteil nicht um die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns als solchem, sondern um den Ersatz reiner Vermögensschäden in Form des entgangenen Gewinns. Im deutschen Recht ist eine solche Haftung außervertraglich nicht vorgesehen. Erforderlich ist hier stets die Verletzung eines absoluten Rechtsguts oder Rechts.168 Für die Verletzung unional eingeräumter oder vorgegebener Rechte kann dies indes nach Aufassung des EuGH nicht gelten, weil andernfalls der Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich gemacht werde. Der EuGH bemüht hier somit den Grundsatz der Effektivität, welcher den Einschluss des entgangenen Gewinns unabhängig von der Ausgestaltung des materiellen Rechts fordert. In späteren Urteilen hat der EuGH diese Aussage bestätigt.169 Sie lässt sich auf das Antidiskriminierungsrecht übertragen. Bereits im Urteil Marshall II hat der EuGH zudem die Zuerkennung von Zinsen nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften als unerläßlichen Bestandteil eines von den Mitgliedstaaten etablierten Schadensersatzanspru167 EuGH,

Rs. C-46/93; Slg. 1996, I-1029, Tz 86, 87 – Brasserie du Peccheur/Factortame. diente die Entwicklung bestimmter „sonstiger Rechte“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB wie etwa das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gerade dazu, über die Zwischenschaltung eines Rechts den Ersatz von Schäden sicherzustellen, die ohne diese Zwischenschaltung als reine Vermögensschäden zu qualifizieren gewesen wären. 169  Vgl. nur EuGH, Rs. C-295/04 bis C-298/04; Slg. 2006, I-6619, Tz. 95 – Manfredi zum Umfang der Haftung wegen Verstößen gegen das unionale Wettbewerbsrecht. 168  Freilich

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ches des Diskriminierungsopfers qualifiziert.170 Der EuGH begründet dies damit, dass für die völlige Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Entlassung entstandenen Schadens nicht von Umständen abgesehen werden könne, die, wie der Zeitablauf, den tatsächlichen Wert der Wiedergutmachung verringern könnten.171 Auch diese Feststellung beschränkt sich nicht auf das unionale Antidiskriminierungsrecht, sondern wurde vom EuGH später auf die Haftung wegen Verletzung anderer, durch das Unionsrecht eingeräumter subjektiver Rechte übertragen.172

(2) Ersatzfähiger Schaden bei Auswahlentscheidungen (a) Chance als Schaden versus Alles-oder-Nichts-Prinzip Ein besonderes Problem bei der Berechnung des materiellen Schadensersatzes stellt sich im Zusammenhang mit Diskriminierungen im Rahmen von Auswahlentscheidungen und hier insbesondere im Rahmen von Bewerbungsverfahren. Die Besonderheit dieser Fallkonstellation liegt darin begründet, dass der durch die Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal im Rahmen des Bewerbungsverfahrens entstandene Schaden hier nicht per se gleichbedeutend mit dem durch die Vertragsverweigerung entstandenen finanziellen Verlust des Diskriminierungsopfers ist. Denn in einem solchen Fall steht ja allein durch die Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal noch keinesfalls fest, dass das Diskriminierungsopfer bei Hinwegdenken der Diskriminierung tatsächlich zum Zuge gekommen wäre. Dies ist sogar eher unwahrscheinlich, weil in jedem Auswahlverfahren am Ende immer nur eine Person ausgewählt wird. Um welche Person unter einer Vielzahl von Bewerbern es sich hierbei konkret handelt, lässt sich nicht allein anhand der objektiven Bestqualifikation feststellen.173 Der Verbotsadressat kann seine Wahl vielmehr – außerhalb der Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal – auch nach völlig willkürlichen Kriterien wie etwa die Teamfähigkeit aber auch das attraktive oder sympathische Erscheinungsbild des Bewerbers treffen.174 Die Prognose, ob es sich bei einer bestimmten Person um den subjektiv bestqualifizierten Bewerber handelt, erfordert wiederum die Kenntnis der regelmäßig nicht offen170 EuGH,

Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, I-Tz. 31 – Marshall II. Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, I-Tz. 31 – Marshall II. 172 EuGH, Rs. C-295/04 bis C-298/04; Slg. 2006, I-6619, Tz. 95 – Manfredi (Wettbewerbsrecht). 173  L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 46; Stein, in: Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 15 Rn. 20. 174  Dieser Aspekt wird im Schrifttum nur allzu häufig übersehen, vgl. etwa Schlobach, Präventionsprinzip, S. 134, der auf der Basis der Einstellungsentscheidung eines Arbeitgebers ex post allen objektiv besser qalifizierten Bewerbern einen Anspruch auf Ersatz des Nichteinstellungsschadens zusprechen möchte. Zu der beweisrechtlichen Bedeutung der objektiven Bestqualifikation siehe aber unten C. II. 1 c) dd) und 3. 171 EuGH,

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

gelegten Entscheidungskriterien des Verbotsadressaten. Angesichts der hiermit verbundenen Beweisprobleme kann die im Urteil Marshall II getroffene Aussage des EuGH, dass der tatsächliche Schaden in voller Höhe auszugleichen ist, unter Zugrundelegung des die reale Situation abbildenden Alles-oder-NichtsPrinzips schnell zur Leerformel mutieren. Diesem Problem ließe sich indes begegnen, wenn man als Schaden des einzelnen diskriminierten Bewerbers allein die ihm entgangene Chance auf Berücksichtigung im Rahmen des Auswahlverfahrens sehen würde und diese Chance entsprechend bezifferte. In ausländischen Rechtsordnungen ist die Möglichkeiten, Chancen als ersatzfähige Schäden zu werten, im Grundsatz anerkannt.175 Auch in der Rechtsprechung des EuGH außerhalb des Antidiskriminierungsrechts finden sich Ansätze in diese Richtung,176 ohne dass sich die Ersatzpflichtigkeit entgangener Chancen mangels breiteren Befundes in der Rechtsprechung des EuGH bereits als gefestigter Bestandteil des unionalen Haftungsrechts einordnen ließe.177 G. Wagner hat allerdings genau eine solche Herangehensweise für die Berechnung von Diskriminierungsschäden vorgeschlagen.178 Für jeden Bewerber wäre dann auf der Basis objektiver Kriterien wie Ausbildung oder Berufserfahrung zu klären, wie hoch die Wahrscheinlichkeit der Auswahl zu veranschlagen war und dieser Prozentsatz wäre sodann in einem zweiten Schritt mit dem durch die Nichtauswahl entstandenen finanziellen Verlust zu multiplizieren.179 Dies würde aber zugleich bedeuten, den Anspruch desjenigen Bewerbers zu kürzen, der tatsächlich zum Zuge gekommen wäre und dies auch – ausnahmsweise – beweisen könnte. Belässt man dem subjektiv Bestqualifizierten dagegen nach dem Alles-oderNichts-Prinzip seinen vollen Anspruch, stellt sich neben dem fortbestehenden Beweisproblem die Frage, von welcher Art dann der Schaden derjenigen Bewerber ist, die den Zuschlag auch bei Hinwegdenken der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal nicht erhalten hätten und ob sich ein hierauf bezogener

175 Vgl. Fleischer, JZ 1999, 766 ff.; Mäsch, Chance als Schaden, S. 156 ff.; Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 200 ff., 205 ff.; speziell zum englischen Recht Jansen, Oxford Journal of Legal Studies 271, 275 ff. (1999). 176  Die Entscheidungen ergingen vorwiegend zum Beamtenrecht der EU; vgl. etwa die mit eingehender Begründung versehene Entscheidung EuGH, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833, Tz. 55– Giradot (Nichtberücksichtigung in einem Auswahlverfahren für eine Dauerplanstelle bei der Kommission); weitere Beispiele aus der älteren Rechtsprechung des Gerichtshofs und des EuG (auch zu Sachverhalten aus dem Bereich des Binnemmarktes) bei Wurmnest, Europäisches Haftungsrecht, S. 213 ff. 177  Zurückhaltend auch Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 595 (nicht durch den Effektivitätsgrundsatz begründet) und Weitenberg, Begriff der Kausalität, S. 499 ff. (im Grundsatz anerkannt, aber noch kein systemübergreifendes einheitliches Konzept). 178  G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 396 ff.; ihm folgend von Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 341. 179  G. Wagner, AcP 206 ( 2006), 352, 397.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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Schadensersatzanspruch angesichts der Vielzahl der in Frage kommenden Anspruchssteller auf einen Höchstbetrag deckeln läst. Genau diese Fragen hatte der EuGH im Urteil Draehmpaehl zu beantworten.180 Gegenstand des deutschen Ausgangsverfahrens war die Schadensersatzklage eines Mannes, der sich auf eine nicht merkmalsneutral ausgeschriebenen Stellenanzeige für die Tätigkeit einer „Asistentin der Betriebsleitung“ beworben hatte und – erwartungsgemäß – bei der Besetzung der Stelle nicht berücksichtigt worden war. Das vorlegende Gericht bejahte das Vorliegen einer Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, da bereits die Stellenausschreibung nicht geschlechtsneutral formuliert gewesen sei und augenscheinlich ausschließlich Frauen habe ansprechen sollen.181 Das Gericht stellte außerdem fest, dass keine Gründe für eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung ersichtlich seien, und zog daraus den Schluss, daß die Beklagte dem Kläger grundsätzlich zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sei.182 Einem Anspruch auf Schadensersatz standen gleichwohl mehrere Hindernisse entgegen. Zum einen machte die damals einschlägige deutsche Regelung (§ 611a Abs. 1 BGB) die Haftung des Arbeitgebers von einem Verschulden abhängig. Auf diesen Aspekt des Urteils wurde bereits an anderer Stelle eingegangen.183 Hinsichtlich der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes sah sich das vorlegende Gericht ferner durch weitere Regelungen des deutschen Rechts eingeschränkt. So beschränkte § 611a Abs. 2 BGB die Höhe des dem Diskriminierungsopfer zu gewährenden Schadensersatzes auf 3 Monatsverdienste. § 61b Abs. 2 ArbGG sah darüber hinaus für den Fall der gerichtlicher Geltendmachung von Schadensersatz durch mehrere Bewerber eine Begrenzung des durch den Arbeitgeber insgesamt zu zahlenden Schadensersatzes auf 6 Monatsverdienste bzw. bei Ausschreibung mehrerer Stellen auf 12 Monatsverdienste vor. Das vorlegende Gericht zweifelte an der Vereinbarkeit der genannten Regelungen mit den Vorgaben der Richtlinie 76/207/EG. Es legte dem EuGH aus diesem Grund unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob das Unionsrecht einer individuellen Haftungsobergrenze entgegenstehe und ob insoweit zwischen dem bestqualifizierten Bewerber und solchen Bewerbern zu unterscheiden sei, welche die Stelle auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht erhalten hätten. Was sich zunächst ausschließlich wie eine Frage in Bezug auf Haftungsobergrenzen liest, berührt in Wahrheit die vorstehend angeschnittene Frage nach der Qualifikation des Schadens der unterschiedlichen Bewerbergruppen in einem Auswahlverfahren. Denn die Frage, ob im Rahmen einer Haftungsobergrenze, deren Zulässigkeit als solche erst später zu erörten ist,184 zwischen dem sub180 EuGH,

Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195 – Draehmpaehl. ArbG Hamburg, DB 1995, 1234. 182  ArbG Hamburg, DB 1995, 1234. 183  Siehe oben a). 184  Siehe unten dd). 181 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

jektiv bestqualifizierten Bewerber und den übrigen diskriminierten Bewerbern differenziert werden darf, lässt sich ohne eine Klärung der Frage nach der Art des jeweils zu ersetzenden Schadens nicht beantworten. Der Gerichtshof führt hierzu aus: „Jedoch kann ein derartiger Schadensersatz der Tatsache Rechnung tragen, daß bestimmte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position wegen der besseren Qualifikationen des eingestellten Bewerbers nicht erhalten hätten. Es steht außer Frage, daß solche Bewerber, da sie nur einen Schaden erlitten haben, der sich aus ihrem Ausschluß von dem Einstellungsverfahren ergibt, nicht geltend machen können, ihr Schaden sei ebenso hoch wie der von Bewerbern, die bei diskriminierungsfreier Auswahl die zu besetzende Position erhalten hätten.185 Ein Bewerber, der zu der in Randnummer 31 des vorliegenden Urteils genannten ersten Gruppe gehört, hat daher nur einen Schaden erlitten, der aus der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung wegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts folgt, während ein zur zweiten Gruppe gehörender Bewerber einen Schaden erlitten hat, der sich daraus ergibt, daß seine Einstellung gerade deshalb unterblieben ist, weil der Arbeitgeber wegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts seine Bewerbungsunterlagen objektiv fehlerhaft beurteilt hat.186 In Anbetracht dieser Erwägungen erscheint es nicht unangemessen, daß ein Mitgliedstaat eine gesetzliche Vermutung aufstellt, wonach der Schaden, den ein Bewerber der ersten Gruppe erleidet, eine Höchstgrenze von drei Monatsgehältern nicht übersteigen kann.“187

Indem der EuGH nur dem subjektiv bestqualifizierten Bewerber den Anspruch auf den Ersatz des (vollen) Nichtanstellungsschadens zuerkennt, hat sich der EuGH für das Diskriminierungsrecht klar zugunsten eines Alles-oder-NichtsPrinzips und gegen die Qualifizierung der Chance auf Berücksichtigung im Bewerbungsverfahren als eigenständigen materiellen Schaden entschieden. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass der EuGH hinsichtlich des den anderen Bewerbern zuerkannten „Nichtberücksichtigungsschadens“ überhaupt eine Deckelung zulässt; kann doch die Chance des einzelnen abgewiesenen Bewerbers je nach Qualifikation des Bewerbers und Struktur des Bewerberfeldes deutlich höher zu bepreisen sein als die vom EuGH als Vermutungsregel akzeptierten drei Monatsgehälter. Würde der EuGH in der Chance auf Berücksichtigung im Bewerbungsverfahren, wie von G. Wagner angedacht und vom EuGH selbst im Beamtenrecht praktiziert, bereits für sich genommen einen materiellen Schaden des Bewerbers sehen, wäre eine solche Deckelung mit dem vom EuGH im gleichen Urteil hochgehaltenen Grundsatz des vollen Schadensausgleichs nicht zu vereinbaren.188 Möglich erscheint eine solche Deckelung nur dann, wenn 185 EuGH,

Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 33 – Draehmpaehl. Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 34 – Draehmpaehl. 187 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 35 – Draehmpaehl. 188  Unverständlich insoweit von Roettteken, NZA 2013, 337, 340, nach dem der reine 186 EuGH,

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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man die bloße Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren als immateriellen Schaden qualifiziert, bei dessen Berechnung den Gerichten naturgemäß ein Spielraum eingeräumt ist. Auch wenn der EuGH eine solche Qualifikation nicht ausdrücklich vornimmt, spricht doch viel dafür, dass dem EuGH genau eine solche Wertung vor Augen stand. Einen materiellen, in voller Höhe zu ersetzenden Schaden erleidet nach der Sichtweise des EuGH mithin nur der subjektiv bestqualifizierte Bewerber, der sich diesbezüglich allerdings mit einem eklatanten Beweisproblem konfrontiert sieht.189 Bliebe es hierbei, ließe sich die Lösung des EuGH kaum mit der von diesem selbst aufgestellten Prämisse vereinbaren, wonach Schadensersatzansprüche des Diskriminierungsopfers sowohl einen wirksamen Individualschutz des Diskriminierungsopfers gewährleisten als auch eine abschreckende Wirkung auf die Verbotsadressaten entfalten müssen. Denn angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit des Diskriminierungsopfers, vor Gericht zu obsiegen, würde nur in wenigen Fällen eine volle Kompensation des bestqualifizierten Diskriminierungsopfers gewährleistet190 und an eine abschreckende Wirkung wäre hier schon gar nicht zu denken. Der EuGH hat dieses Problem erkannt und löst es, indem er feststellt: „Der Arbeitgeber, der über sämtliche eingereichte Bewerbungsunterlagen verfügt, hat zu beweisen, daß der Bewerber die zu besetzende Position auch dann nicht erhalten hätte, wenn keine Diskriminierung stattgefunden hätte.“191

Die im Schrifttum erstaunlicherweise wenig beachtete Aussage des EuGH192 hat es in sich: Nicht das Diskriminierungsopfer muss demnach beweisen, dass es bei diskriminierungsfreier Auswahl zum Zuge gekommen wäre, sondern der Arbeitgeber muss beweisen, dass dies nicht der Fall gewesen wäre. 193 Diese Feststellung des EuGH bewirkt zweierlei: Zunächst ermöglicht überhaupt erst Vermutungscharakter der möglichen Deckelung des Anspruchs darauf hindeutet, dass aus Sicht des EuGH am Eintritt eines Schadens auch für die nicht-bestqualifizierten Bewerber kein Zweifel besteht. Das Vorliegen eines Schadens als solcher steht aber im Hinblick auf die besagte Personengruppe überhaupt nicht zur Debatte; fraglich ist allein, welcher Art dieser Schaden ist. 189  Andere Deutung der Aussage des EuGH bei von Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 341, wonach die entgangenen Bezüge des Bestqualifizierten und der Verlust aus der verlorenen Einstellungschance der anderen diskriminierten Bewerber nebeneinander geltend gemacht werden können. 190  Steindorff, CML Rev. 34 (1997), 1259, 1272: „… we suggest that plaintiffs asking for this damage could hardly ever be succesful.“ 191 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 36 – Draehmpaehl. 192  Vgl. aber von Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 342 ff. 193 Ebenso von Roetteken, NZA-RR 2013, 337, 342 („unmissverständlich“); a.A. wohl Steindorff, CML Rev. 34 (1997), 1259, 1272, der die vom Gerichtshof vorgegebene Beweislastumkehr für den Fall, dass ein Bewerber behauptet, ohne Diskriminierung eingestellt worden zu sein, für nicht einschlägig hält („may not be pertinent for these cases“), hierbei aber die Antwort schuldig bleibt, worauf sich diese Beweislastumkehr dann überhaupt beziehen soll.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

die vom EuGH angeordnete Beweislastumkehr die Aufrechterhaltung des vom EuGH favorisierten Systems, wonach bei Auswahlentscheidungen nicht bereits die verlorene Chance als solche, sondern ausschließlich der hieraus entstandene finanzielle Verlust des subjektiv Bestqualifizierten als materieller Schaden betrachtet wird. Denn angesichts der bereits angesprochenen Beweisprobleme wäre, wie soeben gesehen, ohne eine entsprechende prozessuale Unterstützung der volle Schadensausgleich des bestqualifizierten Bewerbers kaum zu gewährleisten. In ihrer Wirkung geht die vom EuGH statuierte Beweislastumkehr aber noch erheblich weiter. Denn indem es sich bei dem Beweis der fehlenden subjektiven Bestqualifikation des diskriminierten Bewerbers um eine probatio diabolica handeln dürfte,194 verkehrt sich die eingangs getroffene Aussage, wonach es bei Auswahlentscheidungen immer nur ein materiell geschädigtes Diskriminierungsopfer gibt, auf prozessualer Ebene in ihr faktisches Gegenteil um; kann doch danach, je nach Zusammensetzung des Bewerberfeldes, eine Mehrzahl an „bestqualifizierten“ Bewerbern einen Anspruch auf den vollen materiellen Schadensersatz gelten machen. Diese mögliche Haftungspotenzierung lässt den materiellen Schadensersatz bereits in seiner reinen Kompensationsfunktion und damit ganz ohne zusätzliche pönale Elemente als scharfes Schwert auch im Sinne einer wirksamen Abschreckung der Verbotsadressaten erscheinen. Wie die nachfolgenden Ausführungen zur Zulässigkeit von Haftungsobergrenzen und der Notwendigkeit von Strafschadensersatzansprüchen noch zeigen werden, scheint genau dies die Rolle zu sein, welche auch der EuGH dem materiellen Schadensersatzanspruch zugedacht hat.

(b) Höhe des materiellen Schadens des subjektiv bestqualifizierten Bewerbers Wenn der EuGH auch mit dem im Urteil Draehmpaehl favorisierten „Alles- oder Nichts-Prinzip“ für das Diskriminierungsrecht einen anderen Weg eingeschlagen hat als den im unionalen Beamtenrecht beschrittenen Weg einer Bewertung der bloßen Einstellungschance als Schaden, so lassen sich der letztgenannten Rechtsprechung doch Hinweise für die Berechnung des (vollen) Nichteinstellungsschadens im Falle eines diskriminierenden Bewerbungsverfahrens entnehmen. Zwar will die Einschlägigkeit dieser Rechtsprechung auf den ersten Blick nicht ganz einleuchten, weil es im Antidiskriminierungsrecht ja gerade um die Berechnung des vollen Nichteinstellungsschadens und nicht, wie im Beamtenrecht, um die Berechnung einer Einstellungschance geht. Auch die Berechnung des Wertes einer Einstellungschance soll aber nach der Recht194 Ähnlich Schlobach, Präventionsprinzip, S. 135, allerdings basierend auf der falschen Prämisse, der Arbeitgeber müsse die fehlende objektive Bestqualikation beweisen, was bei objektiv besserqualifizierten Bewerbern in der Tat unmöglich ist. Zur Bedeutung der objektiven Bestqualifikation im Rahmen der Beweisführung siehe unten C. II. 2.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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sprechung des EuGH zum Beamtenrecht auf Basis des vollen Nichteinstellungsschadens erfolgen, der dann erst in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung der Einstellungswahrscheinlichkeit zu quoteln ist. Im Hinblick auf die Berechnung des vollen Nichteinstellungsschadens lehnt der EuGH im Urteil Girardot zunächst eine Orientierung an der aus Anlass einer vorzeitigen Vertragsbeendigung zu zahlenden Abfindung ab, weil dem die unzulässige Annahme zu Grunde liege, das ohne Rechtsverstoß begründete Beschäftigungsverhältnis wäre alsbald wieder beendet worden.195 Zudem betont der Gerichtshof im selben Urteil, dass die nach dem Rechtsverstoß tatsächlich erhaltenen Bezüge von dem zu zahlenden Schadensersatz in Abzug zu bringen seien, da jeder Geschädigte zur Schadensminderung verpflichtet sei.196 Aus beiden Aussagen lässt sich die Regel herleiten, dass der (vollständig oder quotal) zu ersetzende Schaden infolge einer aus der Verletzung von Unionsrecht resultierenden Nichteinstellung auf Basis des tatsächlich und individuell entgangenen Gewinns zu berechnen ist. Für die Bestimmung dieses Gewinns ist auf die voraussichtliche Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und nicht pauschal auf eine Mindestdauer im Falle der schnellstmöglichen Kündigung abzustellen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der abgewiesene Bewerber die in Aussicht gestelllt Vergütung nur gegen Zurverfügungsstellung seiner Arbeitsleistung erhalten hätte. Nutzt er diese Arbeitskraft anderweitig, ist die hierfür erhaltene Vergütung von der wegen der voraussichtlichen Beschätigungsdauer erhaltenen Vergütung in Abzug zu bringen. Dasselbe gilt für den Fall, dass der Bewerber die ihm mögliche anderweitige Nutzung seiner Arbeitskraft unterlässt und hierdurch gegen seine Schadensminderungspflicht verstößt. Auf diese detailierten Vorgaben des EuGH wird an späterer Stelle im Zusammenhang mit der Ausgestaltung der deutschen Schadensersatzregelung zurückzukommen sein.197

dd) Haftungsobergrenzen Den wohl deutlichsten Verstoß gegen das vom EuGH im Urteil von Colson aufgestellten Prinzip des vollen Schadensausgleiches markieren pauschale Haftungsobergrenzen; steht doch eine willkürlich ohne Rücksicht auf die konkrete Schadenshöhe gezogene Grenze in überhaupt keinem geschweige denn in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden. Dies hat der EuGH im Urteil Marshall II, wenig überraschend, im Grundsatz ebenso gesehen, indem sich seine Feststellung, dass Schäden gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in

195 EuGH,

Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833, Tz. 77 – Girardot. Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833, Tz. 69 – Girardot. 197  Siehe unten II. 3. b). 196 EuGH,

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

vollem Umfang auszugleichen sind,198 gerade auf eine im englischen Recht vorgesehene Haftungsobergrenze bezog.199 Eine vermeintliche Ausnahme vom Grundsatz des vollen Schadensausgleichs hat der EuGH indes, wie gesehen, im Urteil Draehmpaehl zugelassen. Danach darf bei Diskriminierungen im Rahmen von Auswahlentscheidungen der Schadensersatzanspruch derjenigen Bewerber, die die begehrte Stelle auch bei diskriminierungsfreier Entscheidung nicht erhalten hätten, der Höhe nach auf drei Monatsgehälter gedeckelt werden. 200 Bei näherer Betrachtung handelt es sich allerdings nicht um eine Einschränkung des Prinzips des vollen Schadensausgleichs, sondern nur um eine Folge der vom EuGH in diesem Urteil favorisierten Berechnung des materiellen Schadens bei Auswahlentscheidungen nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip. Hiernach erleidet nur der subjektiv bestqualifizierte Bewerber einen materiellen Schaden in Höhe des entgangenen Gehalts, während die übrigen Bewerber infolge ihrer Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren ausschließlich einen imateriellen Schaden geltend machen können. 201 Im Hinblick auf immaterielle Schäden stößt allerdings das Prinzip des vollen Schadensausgleichs an seine natürlichen Grenzen, weil immaterielle Schäden ohnehin durch das Gericht unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren festzulegen sind. Eine Haftungsobergrenze scheint daher in Bezug auf den Ersatz immaterieller Schäden jedenfalls unter dem Aspekt des Individualschutzes nicht per se schädlich. Sie könnte aber mit dem Aspekt der Abschreckung in Konflikt geraten; lässt doch gerade die Flexibilität bei der Festsetzung immaterieller Entschädigungsansprüche solche Ansprüche als besonders geeignetes Instrument der Verhaltenssteuerung erscheinen. Mit der Tolerierung von Haftungsobergrenzen für den Ersatz immaterieller Schäden schränkt der EuGH diese Möglichkeit erheblich ein. Dies lässt nur einen Schluss zu: Dem Ersatz von immateriellen Schäden kommt im Unionsrecht bei weitem nicht die zentrale Rolle im Rahmen der Abschreckung zu, die ihm im Schrifttum bisweilen beigemessen wird. Dies deckt sich mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung, wonach die Hauptrolle bei der Bekämpfung privatrechtsbezogener Diskriminierungen vom EuGH ohnehin dem mit einer drakonischen Beweislastregel flankierten materiellen Schadensersatz zugedacht wurde.

198 EuGH,

Rs. C-271/91, Slg. 1993, I-4367, Tz. 26 – Marshall II. Zum Sachverhalt und zu den Vorlagefragen im Fall Marshall II siehe oben § 1 D. II. 200 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 35 – Draehmpaehl. 201  Siehe oben cc) (2).

199 

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ee) Überkompensatorische Schadenselementezur Gewährleistung der Abschreckungswirkung versus „Prävention durch Kompensation“? Ebenfalls im Hinblick auf die vom EuGH im Urteil von Colson geforderte, nunmehr in die Richtlinientexte aufgenommene Abschreckungskomponente von Rechtsfolgenregelungen („wirklich abschreckende Wirkung“) stellt sich die Frage, ob ein seitens der Mitgliedstaaten statuierter Schadensersatzanspruch des Diskriminierungsopfers neben der Kompensation der dem Diskriminierungsopfer entstandenen Verluste auch überkompensatorische Elemente wie etwa die Leistung von Strafschadensersatz umfassen muss. Der EuGH hatte sich mit dieser Frage zunächst außerhalb des Antidiskriminierungsrechts im Zusammenhang mit der im Urteil Francovich festgestellten Staatshaftung der Mitgliedstaaten wegen Verstößen gegen das Unionsrecht zu befassen. Im Urteil Brasserie du Pecheur/Factortame antwortete der EuGH auf die Frage des vorlegenden englischen Gerichts, welche Erwägungen das nationale Gericht im Rahmen der Prüfung von Staatshaftungansprüchen speziell im Zusammenhang mit Strafschadensersatz (expemplary damages) anzustellen habe, wie folgt: „Für die verschiedenen, in der zweiten Frage des Divisional Court genannten Schadensposten stellt das Gemeinschaftsrecht keine besonderen Kriterien auf. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, über diese Schadensposten nach dem von ihm angewandten nationalen Recht vorbehaltlich der oben in Randnummer 83 erwähnten Erfordernisse zu entscheiden. Insbesondere zum „exemplarischen“ Schadensersatz (exemplary damages) ist zu bemerken, daß diese Art der Entschädigung, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, im nationalen Recht auf der Feststellung beruht, daß die betreffenden öffentlichen Stellen in unbilliger, willkürlicher oder verfassungswidriger Weise gehandelt haben. Da diese Verhaltensweisen einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begründen oder verstärken können, kann die Gewährung eines „exemplarischen“ Schadensersatzes nicht ausgeschlossen werden, wenn er, gestützt auf das Gemeinschaftsrecht – gegebenenfalls auch in Form einer Klage – geltend gemacht wird, sofern ein solcher, auf nationales Recht gestützter Schadensersatz zugesprochen würde.“202

Die Aussage des EuGH erscheint auf den ersten Blick kryptisch. Die Feststellung, dass es sich bei den im englischen Recht einen Strafschadensersatz begründenen Verhaltensweisen um einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht handelt, weckt zunächst die Erwartung, dass der Gerichtshof hieraus Vorgaben des Unionsrechts in Bezug auf ein zwingendes Erfordernis einer Stafschadenskomponente herleiten wird. Mit der vom Gerichtshof im nächsten Satz hergestellten Verknüpfung etwaiger unionaler Vorgaben an das Bestehen eines Anspruchs auf Strafschadensersatz im nationalen Recht scheint der Gerichtshof dann auch den Äquivalenzgrundsatz ins Spiel bringen zu wollen, ohne diesen freilich als solchen zu benennen. Hierzu passt zudem nicht, dass die Gewährung eines exemplarischen Schadensersatzes im Rahmen der Staatshaftung der Mitglied202 EuGH,

Rs. C-46/93; Slg. 1996, I-1029, Tz. 88, 89 – Brasserie du Pêccheur/Factortame.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

staaten wegen der Verletzung unionaler Rechte auch bei Bestehen eines solchen Anspruchs im nationalen Recht lediglich „nicht ausgeschlosen sein soll“. Nach einer zwingenden, aus dem Äquivalenzgrundsatz hergeleiteten unionalen Vorgabe klingt dies nicht, von einem möglichen Verstoß gegen den weitergehenden Effektivitätsgrundsatz ganz zu schweigen. Licht ins Dunkel brachte insoweit allerdings das Urteil Manfredi, in welchem sich der EuGH mit der Frage des Strafschadensersatzes im Zusammenhang mit der Haftung wegen Verstößen gegen das unionale Kartellrecht befassen musste. Der Gerichtshof führt hierzu aus. „Nach dem Äquivalenzgrundsatz muss ein besonderer Schadensersatz wie der exemplarische oder Strafschadensersatz im Rahmen der auf das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft gegründeten Klagen gewährt werden können, wenn er im Rahmen vergleichbarer, auf das innerstaatliche Recht gegründeter Klagen zugesprochen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Brasserie du Pêcheur und Factortame, Randnr. 90). Nach ständiger Rechtsprechung hindert das Gemeinschaftsrecht die innerstaatlichen Gerichte jedoch nicht daran, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (siehe u.a. Urteile vom 4. Oktober 1979 in der Rechtssache 238/78, Ireks-Arkady/Rat und Kommission, Slg. 1979, 2955, Randnr. 14, vom 21. September 2000 in den Rechtssachen C-441/98 und C-442/98, Michaïlidis, Slg. 2000, I-7145, Randnr. 31, und in der Rechtssache Courage und Crehan, Randnr. 30.“203

Die Aussagen des Gerichtshofs deuten klarer als im vorhergehenden Urteil auf eine verbindliche, aus dem Äquivalenzgrundsatz hereleitete Vorgabe an die Mitgliedstaaten hin, dass ein Strafschadensersatz auch im Zusammenhang mit der Haftung wegen Verstößen gegen das Unionsrecht vorzusehen ist, sofern das Recht der Mitgliedstaaten einen solchen Anspruch kennt. Zwar spricht gegen eine solche Lesart erneut die schwache Formulierung, wonach Strafschadensersatz lediglich gewährt werden „kann“. Für eine verbindliche Vorgabe spricht aber nicht nur die nunmehr ausdrückliche Nennung des Äquivalenzgrundsatzes in dem genannnten Kontext, sondern auch die Einschränkung, wonach die Mitgliedstaaten eine ungerechtfertigte Bereicherung der Anspruchsberechtigten vermeiden dürfen. Würde es sich nämlich bei der Etablierung eines Anspruchs auf Strafschadensersatz nicht um eine verbindliche Vorgabe des Unionsrechts handeln, wäre eine Einschränkung der vorgenannten Art überhaupt nicht von Nöten. Allerdings kann sich die genannte Einschränkung streng genommen nicht auf eine Vorgabe aus dem Äquivalenzgrundsatz beziehen, weil dieser nur eine Gleichbehandlung des Unionsrechts mit dem nationalen Recht fordert. Enthält aber bereits das nationale Recht ein Bereicherungsverbot, kann aus dem Äqvivalenzgrundsatz ohnehin keine zwingende Vorgabe hinsichtlich der Etablierung eines Anspruchs auf Strafschadensersatz hergeleitet werden. 203 EuGH,

Rs. C-295/04 bis C-298/04; Slg. 2006, I-6619, Tz. 93, 94 – Manfredi.

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Die Tatsache, dass der EuGH sich gleichwohl zu der genannten Einschränkung bemüßigt fühlt, wirft somit erneut die Frage auf, ob nicht das nationale Recht ganz unabhängig von seiner Ausgestaltung im Übrigen Strafscha­ densersatzansprüche vorsehen muss. Eine solche Vorgabe müsste in diesem Falle aber aus dem Effektivitätsgrundsatz hergeleitet werden, zu welchem sich der Gerichtshof im Zusammenhang mit Strafschadensersatz erneut nicht verhält. Mit umso größerer Spannung durfte man daher das Urteil des EuGH in der Rechtssache Camacho erwarten, in welchem sich der Gerichtshof erneut mit der Frage des Strafschadensersatzes, diesmal im Zusammenhang mit dem in der Richtlinie 2006/54/EG vorgegebenen Verbot der Geschlechtsdiskriminierung im Arbeitsrecht zu befassen hatte. Das Urteil vom 17.12.2015 erging auf Vorlage eines spanischen Gerichts. Der Klägerin des Ausgangsverfahrens war von ihrem Arbeitgeber wegen ihres Geschlechts gekündigt worden. Im Rahmen ihrer auf Schadensersatz gerichteten Klage erwog das spanische Gericht die Zuerkennnung von Strafschadensersatz, sah sich hieran aber durch die Vorschriften des spanischen Rechts, die eine solche Rechtsfolge nicht vorsehen, gehindert. Das spanische Gericht fragte daher den EuGH, ob sich Artikel 18 der Richtlinie 2006/54/EG, wonach der dem Diskriminierunsopfer zuzuerkennende Schadensersatz abschreckenden Charakter haben muss, eine Vorgabe dahingehend entnehmen lässt, dass der Schadensersatzatzanspruch auch Strafschadensersatz umfassen muss. Der EuGH hat hierzu auf seine Rechtsprechung zur Vorgängerrichtlinie 76/207/EWG verwiesen, wonach sowohl die Maßnahmen im Allgemeinen als auch eine von den Mitgliedstaaten vorgesehene Wiedergutmachung sowohl den individiuellen Schutz des Diskriminierungsopfers gewährleisten müsse als auch einen abschreckenden Effekt entfalten müsse. Er führt sodann aus: „Folglich ging aus Art. 6 der Richtlinie 76/207 in seiner ursprünglichen wie in seiner geänderten Fassung sowie aus der in den Rn. 29 bis 33 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die wirklich abschreckende Wirkung, die durch diesen Art. 6 erreicht werden sollte, nicht bedeutete, einer Person, der durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ein Schaden entstanden war, Strafschadensersatz zuzuerkennen, der über den vollständigen Ausgleich des ihr tatsächlich entstandenen Schadens hinausgeht und eine Sanktionsmaßnahme darstellt. Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, dass bei einer diskriminierenden Entlassung der in finanzieller Form gewährte Schadensausgleich, wie in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angegeben, eine Alternative darstellt. 204 Wie der Generalanwalt in Nr. 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist keine wesentliche Änderung im Unionsrecht eingetreten, die dazu führte, dass Art. 18 der Richtlinie 2006/54 insoweit anders auszulegen wäre als Art. 6 der Richtlinie 76/207. Damit der durch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entstandene Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine ab­ 204 EuGH,

Rs. C-407/14, EU:C:2015:831, Tz. 34–35 – Camacho.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

schreckende und angemessene Art und Weise geschehen muss, verpflichtet Art. 18 der Richtlinie 2006/54 wie schon Art. 6 der Richtlinie 76/207 die Mitgliedstaaten, die die finanzielle Form wählen, daher, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen Maßnahmen zu treffen, die – je nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten – die Zahlung von Schadensersatz an den Geschädigten vorsehen, der den entstandenen Schaden vollständig deckt, sieht aber keine Zahlung von Strafschadensersatz vor.“205

Die Aussagen des EuGH überraschen aus zwei Gründen. Zum einen verweist der EuGH nicht auf seine oben aufgeführte Rechtsprechung zum Staatshaftungsanspruch und zum kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch, wonach sich eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Etablierung eines Strafschadensersatzanspruchs aus dem Äquivalenzgrundsatz ergeben kann. Der EuGH prüft vielmehr der Sache nach ausschließlich eine mögliche Vorgabe an die Mitgliedstaaten nach dem Effektivitätsgrundsatz, der in Artikel 18 der Richtlinie („wirksamer“ Schadensausgleich) seine spezielle Ausgestaltung gefunden hat. Die fehlenden Ausführungen zum obligatorischen Strafschadensersatz nach dem Äquivalenzprinzip mögen zwar der Tatsache geschuldet sein, dass das spanische Recht keinen Strafschadensersatz kennt. Eine Anbindung des neuen Urteils an die bisherige Rechtsprechung zum Strafschadensersatz wäre gleichwohl hilfreich gewesen. Zum anderen ergab sich aus der vom EuGH zitierten eigenen Rechtsprechung zur Richtlinie 76/207/EWG mitnichten bereits in der vom EuGH behaupteten Klarheit, dass sich die Pflicht der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung von Schadensersatzansprüchen in der Gewährleistung der vollen Kompensation des Diskriminierungsopfers erschöpft. Eine solche Kompensation ist zwar in jedem Falle ausreichend unter dem Aspekt des Individualschutzes, stellt aber unter dem Aspekt der Abschreckung zunächst nur einen Mindeststandard dar. 206 Ob dieser Mindeststandard einer Ergänzung um weitere abschreckende Maßnahmen bedarf, war somit eine bislang durch den EuGH noch nicht geklärte Frage. 207 Im Urteil Camacho hat der EuGH diese Frage aber unmissverständlich dahingehend beantwortet, dass die volle Kompensation des Diskriminierungsopfers zugleich denjenigen Standard markiert, der unter dem Aspekt der Abschreckung erforderlich ist. Volle Kompensation des Diskriminierungsopfers ist somit unter beiden Aspekten des Schadensausgleichs ein ausreichender Standard. Es gilt der Grundsatz „Prävention durch Kompensation.“208 Dies 205 EuGH,

Rs. C-407/14, EU:C:2015:831, Tz. 36–37 – Camacho. Siehe oben aa). 207  Teile des Schrifttums wollten diese Frage allerdings bereits auf der Basis der bisherigen Rechtsprechung des EuGH verneinen, siehe dazu die folgende Fußnote. 208  Für einen solchen allgemeinen Standard im Unionsprivatrecht bereits vor dem Urteil Camacho Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 14; Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 550; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 479 f.; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 402; G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1088; Stoffels, RdA 2009, 204, 206; Schubert, Wiedergutmachung immaterieller Schäden, S. 467 ff. 206 

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mag man im Hinblick auf den Abschreckungsaspekt auf den ersten Blick durchaus bezweifeln, zumal der EuGH, wie gesehen, auch den Ausgleich immaterieller Schäden nicht als Hebel zur Verhaltenssteuerung einsetzen möchte und die volle Abschreckungslast dem Ersatz des materiellen Schadens aufbürdet. 209 Der Abschreckungseffekt des materiellen Schadensersatzes darf allerdings nicht ausschließlich von seiner materiell-rechtlichen Seite her bewertet werden, sondern es ist auch die prozessuale Seite mit in die Betrachtung einzubeziehen. Hier ergibt sich unter Berücksichtigung der vom EuGH im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren statuierten Beweislastumkehr hinsichtlich der subjektiven Bestqualifikation des Bewerbers210 ein gänzlich anderes Bild, welches die Durchschlagkraft des materiellen Schadensersatzes und damit zugleich seine Abschreckungsswirkung signifikant erhöht. 211 ­Hierauf wird aber erst im Zusammenhang mit der Beweislast näher einzugehen sein. Wenngleich die Mitgliedstaaten nach dem Prinzip „Prävention durch Kompensation“ nicht verpflichtet sind, dem unionsrechtlich geforderten Abschreckungseffekt von Schadensersatzansprüchen durch die Berücksichtigung überkompensatorische Schadenselemente bei der Schadensberechnung Rechnung zu tragen, sind sie durch das Unionsrecht gleichwohl nicht gehindert, eine solche weitergehende Haftung einzuführen.212 Dies hat der EuGH im Urteil Camacho unmissverständlich klargestellt, indem er feststellt: „Im Übrigen legen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 25 der Richtlinie 2006/54 die Regeln für die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Anwendung zu gewährleisten. Außerdem müssen nach dieser Bestimmung die Sanktionen, die ‚auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können‘, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Während durch Art. 18 der Richtlinie 2006/54 eine Entschädigung oder ein Ausgleich für den dem Geschädigten entstandenen Schaden vorgeschrieben werden soll, ist dem Wortlaut von Art. 25 dieser Richtlinie also zu entnehmen, dass er den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zum Erlass 209  Siehe oben b) cc) (2) und ee). Kritisch gegenüber dem Ansatz einer Prävention durch Kompensation aus diesem Grunde Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 216, wonach es sich bei der durch vollen Schadensausgleich erreichten Präventionswirkung lediglich um einen Reflex bzw. ein erwünschtes Nebenprodukt der Kompensation handele, während echte Prävention nur über die Gewährung eines überkompensierenden Zuschlags auf den tatsächlichen Schaden erreicht werden könne. 210  Siehe oben b) cc) (2) (b). 211  Weitere Beispiele für prozessuale wie materiell-rechtliche Hilfestellungen zur Verstärkung der Durchschlagskraft des materiellen Schadensersatzanspruchs aus der Rechtsprechung des EuGH außerhalb des Antidiskriminierungsrechts bei Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 551. 212  Einen solchen Präventionsaufschlag erwägen etwa Heinze, Schadensersatz im Unions­ privatrecht, S. 550 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 480; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 463.

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von Maßnahmen einräumt, mit denen eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Form von dem Opfer zuerkanntem Schadensersatz geahndet werden soll. Somit erlaubt Art. 25 der Richtlinie 2006/54 den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu treffen, die die Zahlung von Strafschadensersatz an das Opfer einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vorsehen, verpflichtet sie aber nicht dazu.“213

Die Aussage ist keineswegs so banal, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag; sind doch alle Rechtsfolgenregelungen im Bereich des unionalen Antidiskriminierungsrechts an den Unionsgrundrechten zu messen und müssen sich hierbei vor allem als verhältnismäßige Einschränkung konfligierender Grundrechts- bzw- freiheitspositionen des Verbotsadressaten darstellen. 214 Indem der EuGH feststellt, dass der Grundsatz „Prävention durch Kompensation“ keine Sperrwirkung für weitergehende, isoliert auf dem Präventionsgedanken beruhende Rechtsfolgenregelungen entfällt, gibt er zugleich zu erkennen, dass unionsrechtliche Bedenken gegen einen überkompensatorischen Schadensersatz jedenfalls im Grundsatz nicht bestehen und damit, vorbehaltlich einer Prüfung der Ausgestaltung der einzelnen Regelungen, auch einer Grundrechtsprüfung standhalten können. 215

c) Ausschlussfristen Eine maßgebliche Bedeutung für die effektive Durchsetzung des Diskriminierungsverbots kommt der Ausgestaltung von Fristen zu, innerhalb welcher die den Diskriminierungsopfern einzuräumenden individuellen Rechtsbehelfe geltend zu machen sind. Eine Überprüfung am Maßstab der unionalen Vorgaben bedürfen somit insbesondere die im nationalen Recht für die Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche des Diskriminierungsopfers bestehenden Verjährungsfristen und Ausschlussfristen sowie Klagefristen, wobei es keine Rolle spielt, ob die genannten Fristen im nationalen Recht dem materiellen Recht oder dem Prozessesrecht zuzuordnen sind. Der EuGH hat sich mit der Unionsrechtskonformität von Fristen eingehend im Urteil Bulicke befasst. 216 Das auf Vorlage eines deutschen Gerichts ergangene Urteil betraf die im deutschen Schrifttum seit langem streitige Unionsrechts-Konformität des § 15 Abs. 4 AGG, wonach ein Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Diskriminierung bei der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses innerhalb von zwei Monaten nach dem Zugang der Ablehnung der Einstellung schriftlich geltend gemacht werden muss. Der EuGH hat sich aufgrund der Vorlagefrage veranlasst gesehen, die deutsche Regelung einer ge-

213 EuGH,

Rs. C-407/14, EU:C:2015:831,Tz. 38–40 – Camacho. Siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 A. I. 1. b). 215 Ebenso Heinze, Schadensersatz im Unionsprivatrecht, S. 551. 216 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999 – Bulicke. 214 

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

435

radezu schulbuchmäßigen Prüfung am Maßstab des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes zu unterziehen, soweit ihm dies aufgrund der Angaben des vorlegenden Gerichts zur deutschen Rechtslage möglich war. Zunächst spezifiziert der EuGH die Anforderungen an die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass die streitige Regelung in gleicher Weise für Klagen gelten muss, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind.217 Voraussetzung für den hiernach anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist nach Auffassung des EuGH zum einen, dass die Klagen als solche einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben 218 und zum anderen, dass die in Rede stehende nationale Vorschift in Bezug auf ihre Stellung im gesamten Verfahren, den Verfahrensablauf und die Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen den zu vergleichenden nationalenVorschriften entspricht. 219 Im Hinblick auf die konkret in Rede stehende deutsche Vorschrift kommt der EuGH sodann zu dem – vorsichtigen – Schluss, dass ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz wohl nicht zu besorgen sei. Er stützt diese Feststellung auf die Begründung, dass die nach dem AGG geschaffenen Ansprüche im nationalen Recht hinsichtlich ihres materiellen Gegenstands keine Entsprechung fänden 220 und die Arbeitnehmer im Rahmen der in prozessualer Hinsicht am ehesten vergleichbaren arbeitsrechtlichen Kündigungs- und Befristungsschutzklagen ebenfalls gehalten seien, ihre Rechte innerhalb kurzer Fristen geltend zu machen. 221 Wesentlich aufschlussreicher, weil unabhängig von der Ausgestaltung des übrigen nationalen Rechts, sind ohnehin die Ausführungen des EuGH in Bezug auf die Frage, inwieweit eine Ausschlussfrist wie die in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene Frist einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz darstellt, indem sie geeignet ist, die Ausübung der Rechte des Diskriminierungsopfers unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren. Der EuGH verweist insoweit im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung darauf, dass bei der Beantwortung der genannten Frage die Prinzipien zu berücksichtigen sind, die der in Rede stehenden nationalen Vorschrift zugrunde liegen, wie zum Beispiel der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens. 222 Der Gerichtshof bestätigt sodann seine bisherige Rechtsprechung, wonach unter Berücksichtigung dieser Prinzi-

217 EuGH,

Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 26 – Bulicke. Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 26 – Bulicke. 219 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 29 – Bulicke. 220 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 30 – Bulicke. 221 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 31 – Bulicke. 222 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 35 – Bulicke. 218 EuGH,

436

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

pien Ausschlussfristen grundsätzlich mit dem Grundsatz der Effektivität vereinbar sind, weil solche Fristen dem Prinzip der Rechtssicherheit dienen. Es sei daher grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, für nationale Regelungen, die in den Bereich des Unionsrechts fielen, Fristen festzulegen, die insbesondere der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der Betroffenenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen entsprächen. 223 Unter Berücksichtigung dieser von ihm selbst aufgestellten Grundsätze prüft der EuGH schließlich die Vereinbarkeit der konkret in Rede stehenden, in § 15 Abs. 4 AGG statuierten Ausschlussfrist mit dem Grundsatz der Effektivität. Ausgangspunkt für diese Prüfung ist der seitens des deutschen Gesetzgebers mit der Etablierung dieser Frist verfolgte, Zweck, den Arbeitgeber von den gegen ihn geltend gemachten Ansprüchen zeitnah in Kenntnis zu setzen, um diesen in Anbetracht der im AGG vorgesehenen Beweisregeln nicht der Belastung auszusetzen, Dokumente über das Einstellungsverfahren unverhältnismäßig lange aufzubewahren. 224 Diesem als billigenswert geachteten Zweck der deutschen Fristregelung stellt der EuGH im Rahmen einer Art Konkordanzprüfung das Gebot der effektiven Durchsetzung der Rechte des Stellenbewerbers gegenüber und prüft im Anschluss, ob diese Rechtsdurchsetzung im Hinblick auf die Länge oder den Beginn der Frist gefährdet erscheint. Während der EuGH diese Frage hinsichtlich der Fristlänge von zwei Wochen ohne weitere Begründung verneint, 225 fällt das Urteil hinsichtlich des Fristbeginns differenzierter aus. So sei eine Gefährdung der effektiven Rechtsdurchsetzung zu besorgen, wenn der Fristbeginn im Falle einer Bewerbung, wie nach dem Wortlaut der deutschen Vorschrift, an den Zugang der Ablehnung der Bewerbung gekoppelt sei, weil in diesem Falle der Bewerber innerhalb der zweiwöchigen Frist möglichweise nicht erkennen könne, in welchem Umfang er diskriminiert worden sei. 226 Knüpfe eine nationale Fristregelung dagegen an die Kenntnis des Bewerbers von der behaupteten Diskriminierung an, sei die Rechtsdurchsetzung nicht gefährdet und ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz somit nicht zu bejahen. 227 Die vom EuGH vorgenommene Interessenabwägung präsentiert sich geradezu als Musterbeispiel für die Herstellung praktischer Konkordanz. Indem die den Interessen des Diskriminierungsopfers weit entgegenkommende, durch das Unionsrecht vorgegebenen Beweislastregelung in ein Verhältnis zu den da-

223 EuGH,

Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 36 – Bulicke. Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 37 – Bulicke. 225 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 39 – Bulicke. 226 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 40 – Bulicke. 227 EuGH, Rs. C-246/09, Slg. 2010, I-6999, Tz. 41 – Bulicke. 224 EuGH,

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

437

mit für den Verbotsadressaten einhergehenden finanziellen und organisatorischen Belastungen gesetzt wird, werden diese Belastungen auf das zur effektiven Rechtsdurchsetzung erforderliche Minimum reduziert. Die Lösung des EuGH vermag von daher zu überzeugen.

II. Deutsches Recht 1. Überblick Auch im deutschen Recht wurde der Schadensersatzanspruch des Diskriminierungsopfers als zentrale Rechtsfolge für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot verankert. Die Regelung dieser Rechtsfolge folgt, wie die gesamte Rechtsfolgenregelung, der den besonderen Teil des AGG durchziehenden Zweiteilung in das erwerbsbezogene und das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot. Die Schadensersatzregelung für das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot findet sich in § 15 AGG, die Schadensersatzregelung für das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot in § 21 Abs. 2 und 3 AGG. Die Struktur beider Regelungen ist nahezu identisch. Beide enthalten einen allgemein gehaltenen Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Ersatz des aus der Diskriminierung entstandenen Schadens (§§ 15 Abs. 1 S. 1, 21 Abs. 2 Satz 1 AGG), sowie einen spezifisch geregelten Anspruch auf Ersatz „des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist“ (§§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG). Beide Vorschriften enthalten zudem eine Regelung, wonach der Schaden des Diskriminierungsopfers nicht zu ersetzen ist, wenn der Verbotsadressat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§§ 15 Abs. 1 S. 2, 21 Abs. 2 S. 2 AGG). Für das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot sieht § 15 Abs. 3 AGG darüber hinaus eine Haftungsprivilegierung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit für den Fall vor, dass die Diskriminierung seitens des Arbeitgebers in Anwendung einer (selbst diskriminierenden) kollektivrechtlichen Vereinbarung erfolgt.

2. Vertretenmüssen Als der problematischste Teil der deutschen Haftungsregelung stellt sich die Verknüpfung der Haftung des Verbotsadressaten an ein Vertretenmüssen und damit gemäß § 276 Abs. 1 BGB an ein Verschulden desselben dar. Zunächst wird auf den ersten Blick nicht deutlich, auf welchen Teil der Gesamtregelung sich dieses Erfordernis beziehen soll. Angesichts des systematischen Kontextes kann es sich hierbei nur um die dem Verschuldenserfordernis räumlich vorangestellte Aussage handeln, wonach dem Diskriminierungsopfer der ihm entstandene Schaden zu ersetzen ist. Bedeutsam für die Reichweite des Verschuldenserfordernisses ist dann aber, welche Bedeutung dieser allgemein gehaltenen Haftungsansordnung im Verhältnis zu der erst im Anschluss an das Verschul-

438

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

denserfordernis getroffenen Anordnung zum Ersatz des immateriellen Schadens zukommt. Zwei Deutungen sind denkbar: Möglich ist zum einen, dass der erste Teil der Regelung die Verpflichtung des Verbotsadressaten zum Ersatz des gesamten Schadens statuiert, während der nachfolgenden Regelung zum Ersatz des immateriellen Schadens lediglich eine klarstellende Funktion zukommt. 228 Möglich ist aber auch, dass der erste Teil der Regelung allein den Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens statuiert, während der Ersatz des immateriellen Schadens eigenständig im zweiten Teil der Regelung angeordnet wird.229 Die Entscheidung für eine der beiden Postionen hat Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage nach der Reichweite des dazwischen angesiedelten Verschuldenserfordernisses. Enthält bereits der erste Teil der Regelung die zentrale Haftungsnorm für alle Arten von Schäden, bezieht sich das Verschuldenserfordernis sowohl auf den Ersatz materieller als auch auf den Ersatz immaterieller Schäden. Ordnet der erste Teil der Regelung dagegen nur den Ersatz materieller Schäden an, bezieht sich auch das Verschuldenserfordernis nur hierauf, während der Ersatz immaterieller Schäden verschuldensunabhängig ausgestaltet ist. Der Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte deutet klar in Richtung der zweiten Auslegungsalternative und damit zugleich in Richtung auf ein gespaltenes Verschuldenserfordernis. So folgt aus der Regierungsbegründung zum AGG, dass der Gesetzgeber den Ersatz des materiellen Schadens in §§ 15 Abs. 1 S. 1, 21 Abs. 2 S. 1 AGG und den Ersatz des immateriellen Schadens in §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 23 AGG verortet hat. 230 Die Anordnung des materiellen und immateriellen Schadensersatzes in getrennten Vorschriften erfolgte wohl auch gerade mit dem Ziel, über diese Trennung auch ein gespaltenes Verschuldenserfordernis zu etablieren. Dies lässt sich jedenfalls mittelbar der Gesetzesbegründung entnehmen, wonach der in § 15 Abs. 2 AGG angeordnete Ersatz des immateriellen Schadens dem unionsrechtlichen Erfordernis einer wirksamen und verschuldensunabhängig ausgestalteten Sanktion genügen soll. 231 In der Einschätzung des deutschen Gesetzgebers, dass die Etablierung eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruches nur im Hinblick auf den Ersatz des immateriellen Schadens unionsrechtlich geboten ist, manifestiert sich allerdings gleich das zweite, schwerwiegendere Defizit der deutschen Regelung;

228 

So etwa Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 5 und § 21 AGG Rn. 41. die Lesart der wohl h.M., vgl. etwa Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 15 und § 21 Rn. 12; Busche, in: Leible/Schlachter, Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, S. 159, 176 (bezüglich § 21 Abs. 2 AGG); Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 58 und § 21 Rn. 57; Kossak, Rechtsfolgen, S. 173; Schiek, in: Schiek, AGG, § 21 Rn. 20 (in Bezug auf § 21 Abs. 2 AGG); G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1098; offenlassend für § 15 Abs. 2 AGG, aber mit Tendenz zur eigenständigen (verschuldensunabhängigen) Regelung des immateriellen Schadensersatzes BAG NZA 2009, 945, Tz. 69. 230  BT-Drs. 16/1780, S. 38, 46. 231  BT-Drs. 16/1780, S. 38. 229  So

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

439

handelt es sich doch hierbei um eine glatte Fehleinschätzung. Denn wie bereits an anderer Stelle dargelegt, hat der EuGH wiederholt deutlich gemacht, dass der Ausgleich des dem Diskriminierungsopfers entstandenen Schadens von keiner weiteren Voraussetzung als dem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot abhängig sein darf und damit insbesondere eine Anknüpfung der Haftung an ein Verschuldenserfordernis nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. 232 Der Gerichtshof differenziert insoweit gerade nicht zwischen den einzelnen Schadensarten, 233 sondern bezieht die von ihm konstatierte Bedingungslosigkeit der Haftung ausdrücklich auf den Ersatz des vollen Schadens. 234 Zudem stehen tatbestandliche Restriktionen in Bezug auf den materiellen Schadensersatz in einem kaum überbrückbaren Gegensatz zu der Tendenz des EuGH, gerade den Ersatz des materiellen Schadens zu einem zentralen, durch entsprechende Beweislastregeln flankierten Instrument zur Herstellung individueller Chancengleichheit und Abschreckung des Verbotsadressaten auszubauen. 235 Angesichts dieser klaren Vorgaben ist es höchst erstaunlich, dass sich der ­deutsche Gesetzgeber gleichwohl bemüßigt sah, die verschuldensunabhängige Haftung auf den Ersatz des immateriellen Schadens zu begrenzen. Dies ist umso weniger verständlich, als eine Bevorzugung des immateriellen gegenüber dem materiellen Schadensersatz auch der Struktur des übrigen deutschen Haftungsrechts widerspricht, wo der Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden regelmäßg an strengere Voraussetzungen geknüpft wird als der Ersatz materieller Schäden. 236 Fragt man nach den Motiven des Gesetzgebers für diese offensichtlich unionsrechtswidrige Regelung, die zudem von dem bereits für das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot erreichten Schutzstandard nach unten abweicht, 237 232 EuGH, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 22–26 – Dekker; EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 17 – Dreahmpaehl. 233  So zu Recht Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 33; ähnlich Stoffels, RdA 2009, 204, 210. 234 EuGH, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 25 – Dekker; EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 18 – Dreahmpaehl. Die Aussage, wonach der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen muss, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen, erfolgte zwar allgemein im Hinblick auf die Unionsrechtswidrigkeit zusätzlicher national-autonomer Rechtfertigungsmöglichkeiten. Der Gerichtshof qualifiziert aber gerade auch das fehlende Verschulden des Verbotsadressaten als eine solche potentielle Rechtfertigungsmöglichkeit. 235  Siehe dazu oben I. 2. b) cc) (2) und ee). 236  Kritisch insoweit auch G. Wagner/Potsch, JZ 2006, 1085, 1091, die die Privilegierung des Nichtvermögensschadens als „singulär“ bezeichnen; ähnlich Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 5: „Unikum im deutschen Recht“. 237  Auch § 611a BGB, die durch § 15 Abs. 1 und 2 AGG abgelöste Haftungsregel für Verstöße gegen geschlechtsbezogene Diskriminmierungen im Erwerbsleben, war in ihrer ursprünglichen Fassung verschuldensabhängig ausgestaltet. Das Verschuldenserfordernis wurde allerdings in Reaktion auf das Urteil Draehmpaehl ersatzlos gestrichen.

440

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

findet sich nur der lapidare Hinweis auf die Parallelität mit § 280 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB, wonach Schadensersatzansprüche im bestehenden Schuldverhältnis ebenfalls an ein Vertretenmüssen geknüpft sind. Ganz davon abgesehen, dass hiermit Systemkonformität in Bezug auf das Verschuldenserfordernis durch Friktionen in Bezug auf das Verhältnis von materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüchen erkauft wird, ist die erstrebte Systemkonformität einer nationalen Umsetzungnorm kein Argument für die Unionsrechtskonformität dieser Regelung. 238 Dass auch dem deutschen Gesetzgeber die Diskrepanz seiner Regelung mit den unionsrechtlichen Vorgaben durchaus bewusst gewesen sein dürfte, zeigt sich unter anderen an der beschwichtigenden Aussage, wonach dem Verbotsadressaten der Entlastungsbeweis bei der unmittelbaren Diskriminierung ohnhein kaum gelingen werde, weil gemäß § 276 Abs. 1 BGB bereits Fahrlässigkeit ein Vertretenmüssen begründe. Auch diese Feststellung ist indes problematisch, und dies gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen hätte erneut ein Blick auf die Judikatur des EuGH genügt um festzustellen, dass ein Verschuldenserfordernis gerade nicht mit dem Hinweis auf die leichte Nachweisbarkeit des Verschuldens gerechtfertigt werden kann.239 Zum anderen stimmt aber auch die Prämisse des Gesetzgebers nicht, wonach dem Verbotsadressaten der Entlastungbeweis kaum gelingen dürfte. Dies gilt nämlich allenfalls für unmittelbare Diskriminierungen und auch hier nicht uneingeschränkt. 240 Bei mittelbaren Diskriminierungen würde die Möglichkeit des Entlastungsbeweises dagegen voll durchschlagen, da hier dem Verbotsadressaten der Bezug zwischen dem von ihm verwendeten neutralen Anknüpfungsmerkmal und der Benachteiligung von Trägern eines verbotenen Merkmals regelmäßig nicht bewusst sein dürfte. 241 Alles in allem ist das in §§ 15 Abs. 1 S. 2, 21 Abs. 2 S. 2 AGG im Hinblick auf den Ersatz des materiellen Schadens statuierte Verschuldenserfordernis somit nicht mit den Vorgaben des Unions-

238  So aber Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn.15, die die Europarechtskonformität des Verschuldenserfordernisses mit der Erwägung begründen, dass Schadensersatzansprüche auch sonst im deutschen Recht üblicherweise ein Verschulden vorausetzen. 239 EuGH, Rs. C-177/88, Slg. 1990, I-3941, Tz. 25 – Dekker; EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 20, 21 – Dreahmpaehl. Entgegen Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 328 reicht somit der Umstand, dass die weit überwiegende Zahl der nach dem Richtlinienzweck sanktionsbedürftigen Fälle von einer Sanktionsregelung erfasst wird, gerade nicht aus, um diese Regelung als hinreichend zu qualifizieren. 240  Dagegen spricht die Feststellung, dass eine unmittelbare Diskriminierung kein subjektives Element im Sinne eines Diskriminierungsbewusstseins verlangt, weil dem Diskriminierenden auch die unmittelbare Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal nicht stets bewusst sein muss; so zu Recht Kandler, Sanktionsregelungen, S. 200; Allgemein zum fehlenden subjektiven Element bei der unmittelbaren Diskriminierung siehe oben Dritter Teil § 2, C. II. 3. b) aa). 241  So zu Recht Schiek, in: Schiek, AGG § 21 Rn. 18.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

441

rechts vereinbar. 242 Für das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot hat dies unterdessen auch das BAG festgestellt. 243 Erst Recht unvereinbar mit den Vorgaben des Unionsrechts an eine effektive Rechtsfolgenregelung ist ferner die in § 15 Abs. 3 AGG statuierte Haftungsprivilegierung im Falle der nur leicht fahrlässigen Anwendung diskriminierender kollektivvertraglicher Regelungen. 244 Die vom Gesetzgeber gelieferte Begründung, wonach diesen Instrumenten eine höhere Richtigkeitsgewähr inne­ wohne, 245 vermag diese Regelung schon deshalb nicht zu tragen, weil es auf ein wie auch immer geartetes Verschulden nach den vom EuGH festgestellten Vorgaben des Unionsrechts für die Begründung einer Haftung des Verbotsadressaten überhaupt nicht ankommen soll. Aus der Feststellung, dass ein Verschuldenserfordernis nicht mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar ist, folgt zunächst für den deutschen Richter das Gebot, §§ 15 Abs. 1 S. 2, 21 Abs. 2 S. 2 AGG im Rahmen des methodisch Möglichen unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass auch der Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens nicht an ein Vertretenmüssen des Verbotsadressaten geknüpft ist. Einer entsprechende Auslegung im engeren Sinne steht allerdings der klare Wortlaut der Vorschriften entgegen 246 und auch eine richtlinienkonforme Reduktion der Vorschriften nach den vom BGH im Urteil Quelle aufgestellten Grundsätzen kommt vorliegend nicht in Betracht, 242 Ebenso Grünberger, Personale Gleichheit, S. 733 f.; Kocher, in: Schiek, AGG, § 15 Rn. 19 (zu § 15 AGG); vorsichtiger dagegen Schiek, in: Schiek, AGG, § 21 Rn. 19 (zu § 21 AGG): Gesamtbetrachtung der Rechtsfolgenregelung; Schlachter, in: ErfK, § 15 AGG Rn. 5 (zu § 15 AGG); Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 Rn. 40 und § 21 Rn. 47 f.; anders bezüglich § 15 Abs. 1 AGG dagegen noch ders., Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 536 (Achtung des klaren Willens des Gesetzgebers) sowie Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 327 ff. 243  BAG NZA 2009, 945, Tz. 63 ff. Vordergründig hatte das Gericht in diesem Urteil nur zu klären, ob der in § 15 Abs. 2 AGG statuierte Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens von einem Vertretenmüssen abhängig ist. Das Gericht hat hierbei allerdings darauf verzichtet, diese Frage im Einklang mit der h.L. bereits mit dem systematischen Argument zu verneinen, dass sich das in § 15 Abs. 1 S. 2 AGG statuierte Verschuldenserfordernis überhaupt nicht auf den Ersatz des immateriellen Schadens bezieht. Stattdessen stellt das Gericht fest, dass ein Verschuldenserfordernis mit der Rechtsprechung des EuGH zur Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG nicht vereinbar ist und damit im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 1 S. 2 AGG außer Betracht zu bleiben hat. Die Tatsache, dass das BAG insoweit nicht zwischen dem Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens trennt, lässt den Schluss zu, dass das Verdikt der Unionsrechtswidrigkeit auch den nicht streitgegenständlichen Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens gem. § 15 Abs. 1 S. 1 AGG betreffen soll. 244  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 734; Kocher, in: Schiek, AGG, § 15 Rn. 51; Schlachter, in: ErfK, § 15 AGG Rn. 14; Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 40; a.A. Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 340 ff.; offenlassend: BAG NZA 2009, 945, Tz. 68. 245  BT-Drs. 16/1780, S. 38. 246  So auch Stoffels, RdA 2009, 204, 2010.

442

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

weil es sich hierbei um eine unzulässige Reduktion des Regelungsgehalts auf Null handeln würde. 247 Als ultima ratio kommt in diesem Fall aber das vom EuGH erstmals im Urteil Simmenthal II an die mitgliedstaatliche Gerichte gerichtete Gebot zum Tragen, nationale Vorschriften, die mit einem Grundsatz des primären Unionsrechts unvereinbar sind, außer Anwendung zu lassen. 248 Zwar steht vorliegend auf den ersten Blick nur ein Verstoß gegen Richtlinien im Raum, für welche der EuGH eine negative Ausschlusswirkung nach dem Modell des Urteils Simmenthal II noch immer ablehnt. Wie der EuGH erstmals im Urteil Mangold festgestellt hat, ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung indes in den Richtlinien nicht verankert, sondern er wird durch diese nur konkretisiert und aktualisiert. Primärrechtliche Quelle des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung wegen der in den Richtlinien genannten Merkmale ist dagegen heute Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch. Die Vorschrift verbietet in erster Linie staatliche Diskriminierungen, wurde aber im Wege der Aktivierung und Konkretisierung durch die Antidiskriminierungsrichtlinien um eine Schutzfunktion verstärkt. 249 Die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien stellt sich damit auch im privatrechtsbezogenen Anwendungsbereich der Richtlinien zugleich als Verstoß gegen Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch dar. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die im deutschen Recht statuierte, unionsrechtswidrige Verknüpfung der Haftung des Verbotsadressaten mit einem Verschulden desselben. Dem lässt sich auch nicht mit Stoffels entgegenhalten, dass es in Bezug auf das Verschuldenserfordernis, anders als im Urteil Mangold, nicht um einen Verstoß gegen das primärrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot als solches gehe, sondern nur um die ineffektive Sanktionierung dieses Verbots.250 Denn gerade die ineffektive Sanktionierung von Verstößen gegen das in der Richtlinie konkretisierte primärrechtliche Diskriminierungsverbot beeinhaltet zugleich einen Verstoß gegen das Verbot als solches. Indem somit §§ 15 Abs. 1 S. 2, 21 Abs. 2 S. 2 AGG wegen des dort statuierten Verschuldenserfordernisses gegen das Sanktionsgebot der Antidiskriminierungsrichtlinien und damit zugleich gegen Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch verstoßen, müssen diese Regelungen auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten außer Anwendung bleiben. 251 Dies gilt indes für § 21 Abs. 2 S. 2 AGG nicht, als sich diese Norm auf Diskriminierungen wegen anderer Merkmale als der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts bezieht, weil es dem zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot diesbezüglich an einer unionsrecht-

247 

Siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. a). Siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. c). 249  Siehe dazu oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. c) bb) (3) (b). 250  Stoffels, RdA 2009, 204, 2010. 251  Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 30; Kocher, in: Schiek, AGG, § 15 Rn. 20. Ebenso für § 15 Abs. 3 AGG Grünberger, Personale Gleichheit, S. 734. 248 

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

443

lichen Unterfütterung fehlt. Ob hier in Anknüpfung an den Willen des deutschen Gesetzgebers zur Schaffung einer einheitlichen Regelung eine richt­li­ nien­orientierte Reduktion auch des überschießenden Anwendungsbereichs des § 21 Abs. 2 S. 2 AGG geboten ist, 252 kann vorliegend dahingestellt bleiben, weil eine solche Reduktion, wie oben gesehen, zu einer methodisch nicht erlaubten Reduktion auf Null führen würde.

3. Materieller Schadensersatz a) Voller Schadensausgleich oder Beschränkung auf den Vertrauensschaden? Nach § 15 Abs. 1 S. 1, 21 Abs. 2 S. 1 AGG ist der Verbotsadressat zunächst verpflichtet, dem Diskriminierungsopfer den durch die verbotene Diskriminierung entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen. Erfasst sind hiervon alle Vermögensschäden, die kausal auf die verbotene Diskriminierung zurückzuführen sind. Im Falle der diskriminierenden Verweigerung eines Vertragsschlusses oder einer Vertragsänderung (Beförderung) ist mithin das positive Interesse zu ersetzen. 253 Die Verwendung dieses dem Leistungsstörungsrecht entstammenden Begriffs mag in dem genannten Kontext verwirrend erscheinen, weil es hier gerade an einem Vertragsschluss fehlt, dessen Erfüllung geschuldet werden könnte. Richtig und mit dem Verweis auf das zu ersetzende positive Interesse gemeint ist aber die Feststellung, dass der Anspruch auf Ersatz des materiellen Diskriminierungsschadens nicht auf den Ersatz des Schadens beschränkt ist, den das Diskriminierungsopfer im Vertrauen auf die Einhaltung des Diskrimierungsverbots erleidet und der sich in der Regel in den hierfür getätigten nutzlosen Aufwendungen (Vertrags- und Bewerbungskosten) erschöpft. Die Frage muss vielmehr lauten, wie das Diskriminierungsopfer vermögensmäßig gestanden hätte, wenn der Verbotsadressat seinen vertragsrelevanten Entscheidungen nicht eine diskriminierende Entscheidungsmaxime zugrundegelegt hätte. 254 Wäre es in diesem Falle zu dem erstrebten Vertragsschluss gekommen, umfasst der dem Diskriminierungsopfer zu ersetzende Schaden mithin den entgangenen Gewinn (vgl. § 252 BGB) aus der Erfüllung der gegenseitigen Pflichten aus diesem Vertragsverhältnis. Im Falle einer Diskriminierung im Bewerbungsverfahren besteht dieser entgangene Gewinn

252 

So offensichtlich Grünberger, Personale Gleichheit, S. 734 f. Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 24 254 So auch die wohl h.L., vgl. nur Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 32, § 21 Rn. 13; Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 24, § 21 Rn. 11; Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 34, § 21 AGG Rn. 41 ff.; Stoffels, RdA 2009, 204, 212 (zu § 15 Abs. 1 AGG); Thüsing, in: ­MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 26, § 21 Rn. 54 ff.; L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 55. ff. (zu § 15 Abs. 1 AGG). 253 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

beim subjektiv bestqualifizierten Bewerber255 in seinem hierdurch bedingten Verdienstausfall. 256 Im Schrifttum zu § 15 Abs. 1 AGG finden sich dagegen noch immer Stimmen, die im Rahmen von Bewerbungsverfahren dem bestqualifizierten Bewerber nicht das positive Interesse in Form des Verdienstausfallschadens, sondern lediglich das negative Interesse in Form eines Anspruchs auf den Ersatz des Vertrauensschadens zugestehen wollen. 257 Zur Begründung für diese bereits zu § 611a BGB a.F. vertretene Ansicht wird zunächst auf § 15 Abs. 6 AGG verwiesen. Der Gesetzgeber habe mit dem Ausschluss eines Kontrahierungszwangs in § 15 Abs. 6 AGG zugleich die Aussage verbunden, dass der Ersatz des Erfüllungsschadens auch in finanzieller Form nicht in Betracht komme. 258 Diese Argumentation verfängt indes nicht, lässt doch der ausdrückliche Ausschluss eines Kontrahierungszwanges im Rahmen der Haftungsnorm des § 15 AGG gerade den Schluss zu, dass sich ein solcher Anspruch andernfalls im Wege der Naturalrestitution aus § 15 Abs. 1 AGG ergeben würde. 259 Eine solche „Gefahr“ bestünde aber gar nicht, wenn § 15 Abs. 1 AGG, wie von dieser Auffassung unterstellt, nicht auf den Ausgleich des vollen aus der Nichteinstellung resultierenden Schadens gerichtet wäre. Als weitere Begründung für eine Beschränkung des Anspruchs des § 15 Abs. 1 AGG auf das negative Interesse hat Bader ins Feld geführt, dass sich ein Anspruch des Diskriminierungsopfers auf das positive Interesse nicht in das System des deutschen Privatrechts einfüge. 260 Ein solcher Anspruch laufe nämlich auf eine im deutschen Haftungsrecht nicht vorgesehene Rechtskreiserweiterung hinaus und lasse sich auch nicht als Ausgleich für den Verlust einer rechtswidrig vorenthaltenen Chance begreifen, weil sich Private untereinander keine Entfaltungs-, Teilhabe und Vermögensaufstockungschancen gewähren müssten. 261 Füge sich aber der Ersatz des positiven Interesses nicht in das deutsche Privatrechtssystem ein, so sei mangels anderslautender Angaben in der Gesetzesbegründung auch nicht davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber mit § 15 Abs. 1 AGG eine systemwidrige Norm habe schaffen wollen. 262 In dieser Auffassung sieht sich Bader bestärkt durch die Feststellung, dass auch das Unionsrecht einen Ersatz des positiven Interesses nicht fordere und sich insbe255 

Zu diesem Begriff siehe oben I. 2. B) cc) (2). BAG NZA 2010, 1412 Tz. 75. 257  Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 196; Heyn/Meinel, NZA 2009, 20, 22 ff.; Stein, in: Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 15 Rn. 20. 258  Heyn/Meinel, NZA 2009, 20, 22 ff.; in der Tendenz auch Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 196, der § 15 Abs. 6 AGG hinsichtlich der Frage des positiven Interesses aber grundsätzlich Ambivalenz bescheinigt. 259  So zu Recht L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 56; Stoffels, RdA 2009, 204, 212. 260  Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 197 ff. 261  Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 198. 262  Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 205. 256 

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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sondere der Rechtsprechung des EuGH keine konkrete Aussage zur Art des bei Diskriminierung entstandenen Schadens entnehmen lasse. 263 Vielmehr lasse das Urteil von Colson nur den Schluss zu, dass allein eine Beschränkung auf das materielle negative Interesse den Vorgabendes Unionsrechts entgegenstehe. Dieser Gefahr sei der deutsche Gesetzgeber aber dadurch begegnet, dass er mit dem in § 15 Abs. 2 AGG statuierten Anspruch auf das immaterielle Interesse eine den unionsrechtlichen Vorgaben genügende und dazu systemkonforme Sanktion von verbotenen Diskriminierungen geschaffen habe. 264 Der Ansatz von Bader vermag gleich aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Unzutreffend ist schon die Ausgangsprämisse, wonach sich ein Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Ersatz des positiven Interesses nicht in das deutsche Privatrechtssystem einfügen soll; gewährt doch die Rechtsprechung auch im Rahmen der Haftung aus vorvertraglichem Schuldverhältnis ausnahmsweise einen Anspruch auf das positive Interesse, wenn ein Vertragsschluss ohne die in Rede stehende Pflichtverletzung, wie etwa einem grundlosen Abbruch von Vertragsverhandlungen, zustandegekommen wäre. 265 Die Beantwortung der Frage, ob das positive oder negative Interesse zu ersetzen ist, hängt dabei letztlich vom Schutzzweck der verletzten Pflicht ab. Die im AGG geregelten, unional vorgegebenen Diskriminierungsverbote sollen verhindern, dass teilhaberelevante Vertragsentscheidungen auf Basis einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime getroffen werden. Das deutsche Recht gewährt damit sehr wohl „Teilhabe- und Vermögensaufstockungschancen“, deren Verletzung zum Ersatz des positiven Interesses verpflichtet. Ob sich solche Rechte in das übrige deutsche Privatrechtssystem einfügen oder nicht, ist dabei ohne Relevanz, solange das Unionsrecht den deutschen Gesetzgeber zu deren Einführung und effektiver Durchsetzung verpflichtet. 266 Dies ist aber, wie im ersten Teil der Arbeit dargelegt wurde, der Fall. Die Antidiskriminierungsrichtlinien geben nicht nur die Einführung der im AGG geregelten Diskriminierungsverbote zwingend vor, sondern sie verlangen zugleich einen effektiven Rechtsschutz zur Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit und zur Abschreckung der Verbotsadressaten vor zukünftigen Diskriminierungen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat dafür, diesen Rechtsschutz in Form von Schadensersatzansprüchen der Diskriminierungsopfer zu etablieren, wozu er in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen sogar verpflichtet ist, umfasst dieser Anspruch den Ersatz des vollen 263 

Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 206 f. Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 198. 265  So zur culpa in contrahendo RGZ 103, 47, 51 ff., BGHZ 40, 22, 28; BGHZ 120, 284; BGH NJW 1988, 2236; im Schrifttum wird dieser Ansatz mehrheitlich geteilt; siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 65 f.; R. Schulze, in: Schulze, BGB, § 311 Rn. 26; hierauf zu Recht hinweisend Kandler, Sanktionsregelungen, S. 124. 266  Zur fehlenden Eignung der nationalen Systemkonformität als Argumentationstopos bei der Bestimmung unionaler Regelungsinhalte siehe bereits oben Erster Teil § 2 II. 2. 264 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

aus der Diskriminierung resultierenden Schadens einschließlich des entgangenen Gewinns. Was voller Schadensausgleich im Zusammenhang mit verbotenen Diskriminierungen bedeutet, lässt sich der Rechtsprechung des EuGH zudem, anders als Bader behauptet, sehr wohl entnehmen. Bereits im Urteil von Colson hat der Gerichtshof unmissverständlich festgestellt, dass der dem Diskriminierungsopfer zu gewährende Ersatzanspruch in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss und damit über einen rein symbolischen Schadensersatz wie etwa die bloße Erstattung der Bewerbungskosten hinausgehen muss.267 Die in diesem Verfahren streitgegenständliche erste Fassung des § 611a BGB, die eine Beschränkung der Haftung auf den Vertrauensschaden vorsah, entsprach diesen Anforderungen nach Ansicht des EuGH somit gerade nicht. Noch deutlicher wird der EuGH im Urteil Draehmpaehl, welches Bader geflissentlich gar nicht erst erwähnt. Der Gerichtshof qualifiziert nämlich in diesem Urteil den ersatzfähigen Schaden des bestqualifizierten Bewerbers als den Schaden, den dieser Bewerber als Folge seiner auf diskriminierenden Erwägungen beruhenden Nichteinstellung erlitten hat. 268 Das Unionsrecht ordnet mithin verbindlich den Ersatz des positiven Interesses an, wie überhaupt für den EuGH der materielle Schadensersatz das Mittel der Wahl zur Gewährleistung individueller Chancengleichheit und zur Abschreckung des Verbotsadressaten darstellt. Wenn der deutsche Gesetzgeber demgegenüber, worauf Bader hinweist, 269 im Ersatz des immateriellen Schadens die durch das Unionsrecht allein vorgegebene Rechtsfolge sieht, stellt dies eine eklatante Fehlinterpretation der unionsrechtlichen Vorgaben dar, welche sich in der ebenso falschen Einschätzung fortsetzt, nur in Bezug auf den Ersatz des immateriellen Schadens bedürfe es einer verschuldensunabhängigen Haftung. Auf die Frage, ob § 15 Abs. 1 AGG und damit letztlich auch der inhaltlich gleichlaufende § 21 Abs. 2 S. 1 AGG einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses gewähren, wirkt sich diese Fehleinschätzung freilich nicht aus. Zum einen deutet schon die Gesetzesbegründung darauf hin, dass jedenfalls der Anspruch des § 21 Abs. 2 S. 1 AGG auf Ersatz des positiven Intereses gerichtet sein soll. Denn anders wäre das zu dieser Norm gelieferte Anwendungsbeispiel nicht zu verstehen, wonach der Anspruch nach § 21 Abs. 2 S. 2 AGG den Schaden einer Person erfassen soll, der wegen der Beförderungsverweigerung eines Taxiunternehmers ein wichtiges Geschäft entgeht. Zwar findet sich in der Begründung zu § 15 Abs. 1 AGG kein entsprechendes Beispiel; es ist jedoch kein Grund dafür ersichtlich, dass das positive Interesse nach dieser Norm nicht ersetzt werden soll. Selbst wenn insoweit letzte Zweifel verbleiben würden, ließen sich diese Zweifel durch eine entsprechende unionsrechtskonforme Auslegung der Vorschrift beheben. 267 EuGH,

Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Tz. 28 – von Colson. Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 34 – Dreahmpaehl. 269  Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 207. 268 EuGH,

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b) Berechnung bei diskriminierender Verweigerung des Zugangs zu Dauerschuldverhältnissen Problematisch kann allerdings die Berechnung des positiven Interesses im Falle der diskriminierenden Verweigerung des Abschlusses von Dauerschuldverhältnissen sein. Das Problem wurde bisher vor allem für die diskriminierende Nichtbegründung eines Beschäftigungsverhältnisses bzw. die diskriminierende Nichtbeförderung diskutiert. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot mit § 611a BGB a.F. bereits eine längere Geschichte aufweist als das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot, welches zudem schwerpunktmäßig Austauschverträge erfasst. Sofern indes Diskriminierungen auch in Bezug auf allgemein-zivilrechtliche Dauerschuldverhältnisse wie etwa Miet- oder Versicherungsverträge in Rede stehen, lassen sich die für Beschäftigungsverhältnisse erarbeiteten Grundsätze auch auf diese Rechtsverhältnisse übertragen. Zunächst bedarf es hierbei der Feststellung, dass ein entgangener Gewinn bei der diskriminierenden Nichteinstellung oder Nichtbeförderung nur dann in Betracht kommt, wenn es sich bei dem Diskriminierungsopfer konkret um diejenige Person handelt, die bei diskriminierungsfreier Auswahl eingestellt bzw. befördert worden wäre. Dieser Hinweis ist wichtig vor dem Hintergrund der Tatsache, dass bereits der unter Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal zustandegekommene Ausschluss vom Bewerbungsverfahren als solches eine verbotene Diskriminierung darstellt. Einen materiellen Schaden erleidet freilich nur der subjektiv bestqualifizierte Bewerber. Etwas anderes würde nur gelten, wenn man, wie im Schrifttum teilweise gefordert, bereits den Verlust der Chance auf Einstellung als Schaden werten würde.270 Das Unionsrecht gibt eine solche Qualifikation, wie bereits gesehen, nicht vor, sondern es verortet einen materiellen Schaden in Form des entgangenen Gewinns ausschließlich beim subjektiv bestqualifizierten Erwerber, dem es zudem mit einer äußerst komfortablen Beweislastumkehr unter die Arme greift. 271 Zwar hindert dies den nationalen Gesetzgeber nicht, zusätzlich zum vollen Ersatzanspruch des bestqualifizierten Bewerbers die Einstellungschancen der anderen Bewerber als materiellen Schaden zu werten. Anders als in anderen europäischen Rechtsordnungen entspricht die Qualifikation von Chancen als Schaden jedoch nicht der Tradition des deutschen Rechts und hätte daher, wäre sie vom Gesetzgeber gewollt gewesen, in irgendeiner Weise im Gesetzestext oder wenigstens in der Begründung kenntlich gemacht werden müssen. 272 Eine unionsrechtskonforme Auslegung streitet für dieses Ergbnis mangels entsprechender Vorgaben jedenfalls nicht. 270 

Siehe dazu oben I. 2. b) cc) (2) (a). Siehe oben I. 2. b) cc) (2) (b). 272  Die Qualifikation der Einstellungschance als Schaden für das deutsche Recht im Ergebnis ebenfalls ablehnend L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 67. 271 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Im Falle der subjektiven Bestqualifikation des Bewerbers273 ist diesem der gesamte ihm durch die Nichteinstellung entgangene Vermögenszuwachs in Form entgangener Vergütung zu ersetzen. Durch anderweitigen Einsatz der Arbeitskraft erzielte Einkünfte sind dabei ebenso in Abzug zu bringen wie Einkünfte, die der abgewiesene Bewerber infolge einer Verletzung seiner Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 Abs. 2 S. 1 HS 2 BGB) zu erzielen unterlässt. 274 Beide Abzugsposten sind mit dem im Urteil Girardot spezifizierten unionsrechtlichen Grundsatz des vollen Schadensausgleichs vereinbar. 275 Umstritten ist aber, welcher Beschäftigungszeitraum bei der Bestimmung der dem bestqualifizierten Bewerber entgangenen Bezüge zugrundezulegen ist. Das LAG Berlin 276 und einige Stimmen im Schrifttum wollen pauschal von einer Beschäftigungsdauer bis zum Ruhestand ausgehen. 277 Eine solche Alimentierung des Diskriminierungsopfers bis zur Rente ist aber weder mit dem Bereicherungsverbot des deutschen Schadensrechts vereinbar noch ist sie unionsrechtlich geboten. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich die Verpflichtung zum Ausgleich des vollen Nichteinstellungsschadens, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Zur Feststellung dieses Schadens bedarf es danach einer Prognose der mutmaßlichen Beschäftigungsdauer des abgewiesenen Bewerbers auf der Grundlage eines hypothetischen Geschehensablaufs. Zu weit geht daher die im Schrifttum verbreitet vorgeschlagene Begrenzung der mutmaßlichen Beschäftigungsdauer auf den Zeitpunkt der frühestmöglichen Kündigung. 278 Dies lässt sich zwar nicht mit dem Argument entkräften, dass eine Kündigung zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nur diskriminierend erfolgen könnte. 279 Denn hierbei handelt es sich um nichts anderes als eine unzulässige Unterstellung, 280 während die Anknüpfung an das verbotene Merkmal doch gerade hinweggedacht werden soll, um dem hypothetischen Verlauf des dem Diskriminierungsopfer verweigerten Beschäftigungsverhältnisses auf den Grund zu gehen. Andererseits handelt es sich aber bei der Prämisse, dass eine Kündigung seitens des 273 

Zum Nachweis siehe unten C. II. 2. entspricht der h.M. vgl nur Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 36; Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 30; L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 68. 275  Siehe oben I. 2. b) cc) (2) (b) . 276  LAG Berlin-Brandenburg, NJOZ 2008, 5205, 5222. 277  Kocher, in: Schiek, AGG, § 15 Rn. 14; L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 67. Ebenso Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 39c, der aber auf die Möglichkeit einer Abänderungsklage hinweist, um eventuellen Unwägbarkeiten des späteren Arbeitslebens Rechnung zu tragen. 278  Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 38; Annuß, BB 2006, 1629, 1634; Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 28; Stoffels, RdA 2009, 204, 212 mit der Begründung, dass die andernfalls drohende Endloshaftung auf einen verfassungsrechtlich problematischen Strafschadensersatz hinauslaufe. 279  So aber Kocher, in: Schiek, AGG, § 15 Rn. 17. 280  Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 15 Rn. 39a; L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 65. 274  Dies

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Arbeitgebers überhaupt zu diesem Zeitpunkt erfolgt wäre, ebenfalls um eine nicht mit dem typischen Geschehensablauf übereinstimmende Unterstellung. Denn allein aus der bloßen Kündigungsmöglichkeit lässt sich ja noch nicht der Schluss ziehen, dass der Arbeitgeber dem abgewiesenen Stellenbewerber tatsächlich zu diesem Zeitpunkt gekündigt hätte. 281 Zudem stünde ein Abstellen auf den frühestmöglichen Kündigungszeitpunkt klar im Widerspruch zu den Anforderungen des Unionsrechts an die Ausgestaltung des Schadensersatzanspruchs abgelehnter Stellenbewerber; hat doch der EuGH im Urteil Girardot unmissverständlich klargemacht, dass insoweit auf die voraussichtliche Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und nicht pauschal auf eine Mindestdauer im Falle der schnellstmöglichen Kündigung abzustellen ist. 282 Diese Erwägung steht im Übrigen nicht nur einem Abstellen auf den frühestmöglichen Kündigungszeitpunkt, sondern auch allen anderen im Schrifttum propagierten pauschalen Begrenzungen der hypothetischen Beschäftigungsdauer entgegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Begrenzungen, wie etwa ein Rückgriff auf § 628 Abs. 2 BGB oder §§ 9, 10 KSchG, nur darauf angelegt sind, unter Rückgriff auf sachfremde Erwägungen eine wie auch immer geartete Obergrenze für den andernfalls als unangemessen hoch empfundenen Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens festzusetzen.283 Es führt damit letztlich kein Weg an der von Thüsing und G. Wagner vorgeschlagenen Methode vorbei, den (vollen) Verdienstausfall des bestqualifizierten Bewerbers auf Basis der durchschnittlichen Fluktuation der Beschäftigten in dem betroffenen Beruf und Betrieb zu berechnen. 284 Soweit dieser Methode pauschal ihre schwere oder gar unmögliche Durchführbarkeit entgegengehalten wird, 285 vermag dies nicht zu überzeugen. Denn es geht ja bei der Berechnung eines hypothetischen Kausalverlaufs letztlich immer darum, der Realität möglichst nahe zu kommen. Dieses Ziel lässt sich aber im Wege einer Berechnung der durchschnittlichen Verweildauer – selbst auf ungenauer Tatsachengrundlage – immer noch um einiges besser realisieren als über die alternativ vorgeschlagene Zugrundelegung einer unbegrenzten Beschäftigungsdauer oder einer 281  Von daher verfängt auch nicht das Argument von Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 28, dass die Beachtlichkeit von Reserveursachen gerade bei Dauerschäden wie Verdienstausfällen weitgehend anerkannt sei. Denn es steht hier ja gerade die Existenz der Reserveursache als solche in Frage. 282 EuGH, Rs. C-348/06 P, Slg. 2008, I-833, Tz. 77 – Girardot; siehe dazu oben I. 2. b) cc) (2) (b). 283  So aber dezidiert Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 26, wonach es Aufgabe der Rechtsprechung sei, eine im AGG nicht definierte Obergrenze für Schadensersatzansprüche zu finden; wie hier dagegen L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 65: Keine „Einschränkung um des Einschränkens willen“. 284  Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, Rn. 541; G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 396. 285  So etwa L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 67.

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Kündigung zum frühestmöglichen Zeitpunkt; handelt es sich doch in beiden Fällen um reine Unterstellungen.

4. Immaterieller Schadensersatz a) Immaterieller Schadensersatz und Prävention §§ 15 Abs. 2 S. 1, 21 Abs. 2 S. 3 AGG sehen ferner einen Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Entschädigung wegen immaterieller Schäden („ein Schaden, der nicht Vermögensschaden ist“) vor. Dem Anspruch wird im Schrifttum bisweilen mehr Aufmerksamkeit zuteil als dem Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens. 286 Dies mag damit zu tun haben, dass Teile des Schrifttums gerade in dem Ersatz des immateriellen Schadens wegen der hier möglichen eigenständigen Berücksichtigung des Präventionszwecks die gesetzgeberische Erfüllung der vom Unionsrecht geforderten Abschreckungswirkung des Schadensersatzanspruchs verorten. 287 Wie bereits gesehen, schimmert diese Deutung auch in der Gesetzesbegründung zu § 15 AGG durch, indem sich dort Ausführungen zur Abschreckungswirkung ausschließlich im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG finden. Insoweit fällt allerdings die Inkonsistenz zur Begründung des § 21 Abs. 2 AGG ins Auge. Hier beziehen sich nämlich die Ausführungen zu den unionsrechtlichen Anforderungen an eine effektive Rechtsdurchsetzung im Allgemeinen und zur erforderlichen Abschreckungswirkung einzelner Rechtsbehelfe im Besonderen auf die gesamte Haftungsregelung und umfassen damit sowohl den Ersatz materieller wie immaterieller Schäden. Die letztere Sichtweise bildet die unionsrechtlichen Anforderungen an eine effektive Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung durch Schadensersatzansprüche deutlich präziser ab, weil das Unionsrecht nicht dem Ersatz einer bestimmten Art von Schäden bestimmte Funktionen eines effektiven Rechtsschutzes zuordnet. Vielmehr beruht das vom EuGH propagierte Haf286  So behandelt etwa Grünberger, im Rahmen seiner Ausführungen zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Diskriminierungsverbote des AGG allein den Ersatz des immateriellen Schadens (Personale Gleichheit, S. 731 ff.). 287  So bezogen auf § 15 Abs. 2 AGG explizit Jacobs, RdA 2009, 193, 194 („die maßgebliche Sanktionsnorm“). Eine Präventionsfunktion des Anspruchs auf Ersatz des immateriellen Schadens bejahen auch Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 53 ff.; Kocher, in: Schiek, AGG, § 15 Rn. 38; L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG, S. 143; Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 226 sowie bereits Möller, Präventionsprinzip, S. 212 f. (zu § 611a BGB), während andere Autoren insoweit sogar eine Straffunktion ausmachen wollen, vgl. etwa Ebert, Pönale Elemente, S. 353 ff. Gerade an dieser vermeintlichen, von der Kompensation tatsächlicher Schäden entkoppelten eigenständigen „Straffunktion“ des Entschädigungsanspruchs entzündet sich die Qualifikation des Anspruchs als „systemwidrig“, vgl. Adomeit, NJW 1997, 2295 (zu § 611a BGB). Zur notwendigen Unterscheidung zwischen präventiven und pönalen Schadensfunktionen vgl. aber G. Wagner, AcP 206 (2006), 353, 398 ff.

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tungskonzept auf der zentralen Feststellung, dass bereits eine volle Kompensation aller Schäden des Diskriminierungsopfers sowohl den Anforderungen an die Herstellung individueller Chancengleichheit als auch den Anforderungen an eine abschreckende Sanktion genügt. „Prävention durch Kompensation“ lautet das Schlagwort. 288 Einer darüber hinausgehenden Abschreckung durch Gewährung zusätzlicher überkompensatorischer Schadensersatzansprüche bedarf es danach jedenfalls dann nicht, wenn solche Ansprüche auch im sonstigen nationalen Haftungsrecht nicht vorgesehen sind, wie der EuGH erst kürzlich im Urteil Camacho festgestellt hat. 289 Die Beschränkung auf den Ersatz der dem Diskriminierungsopfer tatsächlich entstandenen Schäden bleibt wiederum nicht ohne Auswirkungen auf das Verhältnis des materiellen und immateriellen Schadensersatzes. Denn tatsächliche Schäden in wirtschaftlich bedeutender und damit abschreckungsrelevanter Höhe entstehen dem Diskriminierungsopfer in erster Linie in materieller Hinsicht. 290 Im Fokus steht hier ein dem Diskriminierungsopfer entgangener Gewinn, etwa in Form einer Preis- oder Vergütungsdifferenz, eines Verdienstausfalls oder eines auf der Verweigerung einer Dienstleistung beruhenden Folgeschadens. Dem Ersatz solcher Schäden gilt dann auch die Aufmerksamkeit des EuGH. Dies kommt am deutlichsten im Urteil Draehmpaehl zum Ausdruck, in welchem der Gerichtshof zum einen eine Deckelung des Schadensersatzanspruchs des subjektiv bestqualifizierten Stellenbewerbers nicht zulässt und zum anderen die Beweislast hinsichtlich der fehlenden subjektiven Bestqualifikation dem Arbeitgeber auferlegt. 291 Mit der herausragenden Bedeutung, die dem materiellen Schadensersatz hiernach auch im Bereich der Abschreckung zukommt, korrespondiert eine in dieser Hinsicht geringere Bedeutung des immateriellen Schadensersatzes. Zwar umfasst der vom EuGH geforderte Ersatz des vollen Schadens auch immaterielle Schadenspositionen, da der EuGH insoweit keine Unterscheidung trifft. 292 Aus dem Grundsatz „Prävention durch Kompensation“ folgt aber, dass es sich auch bei den zu ersetzenden immateriellen Schäden um Nachteile handeln muss, die das Diskriminierungsopfer tatsächlich erlitten hat, und nicht um solche, die ledig-

288 

Siehe dazu oben I. 2. b) ee). Rs. C-407/14, EU:C:2015:831,Tz. 37 – Camacho; vgl. hierzu sowie zu Vorläuferentscheidungen des EuGH aus dem Bereich der Haftung wegen Verletzung anderer subjektiver Rechte oben I. 2. b) ee). 290 A.A. L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 125, nach dem der materielle Schadensersatz regelmäßig nicht besonders hoch ist. Diese Sichtweise verengt den Blick aber zu sehr auf den nicht-bestqualifizierten Bewerber in einem Auswahlverfahren und blendet selbst insoweit den prozessualen Aspekt aus, wonach der Arbeitgeber die fehlende Bestqualifikation eines jeden diskriminierten Bewerbers zu beweisen hat (vgl. hierzu oben I. 2. b) cc) (2) (a). 291 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 35 – Draehmpaehl, siehe oben oben I. 2. b) cc) (2) (a). 292  Siehe dazu oben I. 2. b) bb). 289 EuGH,

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lich unter dem Aspekt der Prävention fingiert werden.293 Dies mindert die Bedeutung, die dem Ersatz immaterieller Schäden im Haftungskonzept des unionalen Antidiskriminierungsrechts zukommt, immens. Die geringe Bedeutung des Ersatzes immaterieller Schäden für das unionale Haftungskonzept bedeutet aber nicht, dass der nationale Gesetzgeber den immateriellen Schadensersatz nicht durch eine stärkere Betonung des Präven­tions­ gedankens bei der Schadensberechnung zu einem eigenständigen überkompensatorischen Sanktionsinstrument ausbauen könnte. Im Urteil Camacho hat der EuGH solche nationalen Alleingänge in Form von Strafschadensersatzansprüchen ausdrücklich gebilligt und damit zugleich inzident die grundsätzliche Vereinbarkeit solcher Ansprüche mit den unionalen Grundrechten bejaht. 294 Fraglich ist aber, ob der deutsche Gesetzgeber mit der Etablierung der §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG einen solchen Weg gegangen ist. Hier lohnt sich ein erneuter Blick in die Gesetzesbegründung, diesmal zur Art der Berechnung des immateriellen Schadens. Zu § 15 Abs. 2 AGG findet sich hier nur die kryptische Aussage, die Höhe der Entschädigung müsse „angemessen“ sein. Dies entspreche den „bewährten Regeln des Schmerzensgeldes in § 253 BGB“. 295 In Bezug auf § 21 Abs. 2 S. 3 AGG wird die Gesetzesbegründung hingegen konkreter: Für die Geldentschädigung, die die Rechtsprechung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewähre, stehe regelmäßig die Genugtuungsfunktion im Vordergrund. Auch für den spezialgesetzlichen Entschädigungsanspruch nach § 21 Abs. 2 S. 3 AGG wegen der in der Benachteiligung liegenden Persönlichkeitsverletzung liege hierin der maßgebliche Entschädigungszweck, an welchem die Bemessung der Geldentschädigung auszurichten sei. 296 Dreh- und Angelpunkt für die Berechnung des immateriellen Schadens des Diskriminierungsopfers soll also nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein. Für die Beantwortung der Frage, ob dem Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden eine überkompensatorische Funktion zukommen soll, ist damit freilich zunächst wenig gewonnen. Denn mit der Genugtungsfunktion knüpft der Gesetzgeber die Berechnung des Entschädigungsanspruchs ausgerechnet an jene Funktion des Ersatzes immaterieller Schäden an, für die der Begriff „schillernd“ noch eine eher schmeichelhafte Umschreibung darstellt. 297 Die Genugttungsfunktion begegnet als eigenstän293 Ähnlich Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 218, wonach der Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Ersatz des immateriellen Schadens zwar eine Präventionswirkung entfaltet, es insoweit aber keiner eigenständigen Präventionsfunktion bedarf. 294 EuGH, Rs. C-407/14, EU:C:2015:831, Tz. 40 – Camacho. 295  BT-Drs. 16/1780, S. 38. 296  BT-Drs. 16/1780, S. 46. 297  Eine eingehende, kritische Analyse der Genugtuungsfunktion findet sich bereits bei Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immaterialschaden, S. 83 ff.

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dige Funktion neben der Ausgleichsfunktion erstmals in der Rechtsprechung zum Schmerzensgeldanspruch nach § 847 BGB a.F. und soll dort die Berücksichtigung auch solcher Faktoren bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ermöglichen, die nicht die Auswirkungen der Rechtsgutsverletzung beim Opfer, sondern Art und Umstände der Verletzungshandlung, wie etwa das Ausmaß des Verschuldens des Verletzers, betreffen. 298 Das Problem bestand aber von Anfang an darin, dass der Zweck der Berücksichtigung nicht-opferbezogener Faktoren im Unklaren blieb.299 Einerseits sprach die Berücksichtung von Faktoren der Verletzunghandlung und die damit einhergehende Fokussierung auf die Person des Verletzers dafür, der Genugtumgsfunktion präventive oder gar pönale Zielsetzungen zu unterstellen.300 Gegen eine solche Deutung sprach wiederum, dass die Berücksichtigung auch tatrelevanter Faktoren bei der Schadensbemessung ja gerade zu einer Genugtung beim Opfer führen sollte, wodurch letztlich doch wieder, wenn auch unausgesprochen, eine Klammer zur Ausgleichsfunktion gezogen wurde.301 Es ist hier nicht der Ort, eine dogmatische Einordnung der Genugtuungsfunktion beim Schmerzensgeldanspruch vorzunehmen. Aufschlussreich ist aber die Kennntis um die hierüber bestehenden Unklarkeiten für das Verständnis der Rolle, die der Genugtuungsfunktion für den ursprünglich aus § 847 BGB a.F., heute aus Artikel 1, 2 Abs. 1 GG hergleieteten Anspruch auf Entschädigung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zukommt. Hier hatte der BGH der Genugtuungsfunktion nämlich zunächst die zentrale Aufgabe zugewiesen, dafür Sorge zu tragen, dass Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht sanktionslos blieben.302 Dies sprach ziemlich eindeutig für einen präventiven Charakter der Genugtungsfunktion,303 deren Bedeutung noch dadurch verstärkt wurde, dass dieser Funktion neben der Ausgleichsfunktion sogar Vorrang zukommen sollte.304 Die präventive Deutung der Genugtuungsfunktion wurde aber später dadurch in Frage gestellt, dass der BGH beginnend mit dem Urteil Caroline I die Präventionsfunktion als eigenständige Funktion neben der Genugtuungsfunktion benannte305 und diese Dichotomie zwischen Genugtungs- und Präventionsfunktion in nachfolgen298 

Siehe hierzu die grundlgende Entscheidung BGH NJW 1955, 1675. 1676 f. Gute Übersicht zu den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten bei Kossak, Rechtsfolgen, S. 216 ff. und Möller, Präventionsprinzip, S. 35 ff. 300  Lange, VersR 1999, 274, 277; E. Lorenz, Immaterieller Schaden und billige Entschädigung in Geld, S. 109 ff.; Möller, Präventionsprinzip, S. 34. Zur Abgrenzung der auf Abschreckung angelegten Präventionsfunktion von einer auf Sühne angelegten Straffunktion vgl. aber G. Wagner, AcP 206 (2006), 352, 361 ff. 301  G. Wagner, ZEuP 2000, 200, 206 f. 302  BGH NJW 1961, 2059, 2060 – Ginseng-Wurzel. 303  Ähnliche Deutung bei Schlobach, Präventionsprinzip, S. 93. 304  BGH a.a.O. 305  BGH NJW 1995, 861, 864 – Caroline I; hierzu Schlobach, Präventionsprinzip, S. 95 ff. 299 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

den Urteilen beibehielt.306 Der Genugtuungsfunktion wuchs damit in zunehmendem Maße (wieder) die Aufgabe zu, über eine Genugtuung des Verletzten, wenn auch mit Blick auf die Art der Tatbegehung, einen Ausgleich für die von ihm erlittene Unbill zu gewährleisten. Vorläufiger Endpunkt dieser (Rück-)entwicklung der Genugtuungsfunktion zu einer erweiterten Ausgleichsfunktion markiert ein Urteil des BGH aus dem Jahre 2014, in welchem das Gericht die Vererblichkeit des Anspruchs auf Entschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gerade im Hinblick auf die gegenüber der Präventionsfunktion im Vordergrund stehende Genugtuungsfunktion dieses Anspruchs verneinte.307 Vor dem Hintergrund des Wandels, den die Genugtuungsfunktion im Laufe der Rechtsprechung zur Entschädigung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen erfahren hat, stellt sich die Frage, was der Gesetzgeber denn nun meint, wenn er im Zusammenhang mit der Berechnung der Entschädigung nach § 21 Abs. 2 S. 3 AGG auf den „Vorrang der Genugtuungsfunktion abhebt.“ Dass dies nicht in erster Linie präventive Aspekte sein können, zeigt eine weitere Passage der Gesetzesbegründung. Hiernach soll die Entschädigung angemessen sein, „wenn sie dem Benachteiligten Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung oder Zurücksetzung verschaffen kann.“308 Der Gesetzgeber versteht also unter Genugtuung letztlich einen Ausgleich erlittener Unbill auf Seiten des Verletzten und befindet sich damit im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BGH. Indem der Entschädigungsanspruch nur tatsächlich erlittene Nachteile auf Seiten des Diskriminierungsopfers ausgleichen soll, bewegt sich der deutsche Gesetzgeber zugleich im Rahmen des unionsrechtlichen Konzepts der „Prävention durch Kompensation“ und verfolgt keinen weitergehenden Ansatz einer isoliert am Ziel der Abschreckung ausgerichteten Berechnung immaterieller Schäden. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf § 21 Abs. 2 S. 3 AGG, sondern ebenso für § 15 Abs. 2 AGG, auch wenn die Gesetzesbegründung insoweit allein auf die „bewährten Regeln des Schmerzensgeldes in § 253 BGB“ verweist. Denn zum einen erschließt sich aus der Gesamtschau mit der Begründung zu § 21 Abs. 2 S. 3 AG, dass mit den „Regeln zum Schmerzensgeld“ die Regeln zum Ersatz immaterieller Schäden infolge einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemeint sind. Und zum anderen will nicht einleuchten, warum der Gesetzgeber im Hinblick auf Verstöße gegen das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot ein anderes Haftungskonzept verfolgt haben sollte als im Hinblick auf Verstöße gegen das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot.

306 

Vgl. etwa BGHZ 160, 298, Tz. 15; BGHZ 165, 203, Tz. 19. BGH NJW 2014, 2871 Tz. 19 f. 308  BT-Drs. 16/1780, S. 46. 307 

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

455

Das Bundesarbeitsgericht sieht dies freilich im Hinblick auf § 15 Abs. 2 AGG anders, indem es feststellt, dass bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung auch der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen und die erforderliche Abschreckungswirkung zu gewährleisten sei.309 Das Gericht beruft sich zur Begründung dieser Feststellung auf die den Antidiskriminierungsrichtlinien und der Rechtsprechung des EuGH entlehnte Formel, wonach „die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss“. Wie oben dargelegt, verlangt aber das Unionsrecht auch unter Abschreckungsgesichtspunkten gerade keinen über die Kompensation tatsächlich erlittener Schäden hinausgehende Schadensersatz und damit auch keine isoliert am Sanktionszweck ausgerichtete Berechnung immaterieller Schäden. An diesem Haftungsmodell hat sich, wie der Verweis auf die Genugtungswirkung deutlich macht, auch der deutsche Gesetzgeber orientiert. Die vom BAG zugrundegelegte Auslegung des § 15 Abs. 2 AGG steht damit im Widerspruch zu dem vom Gesetzgeber mit dem Erlass der Vorschrift verfolgten Zweck, ohne demgegenüber die Wahrung unionsrechtlicher Vorgaben für sich in Anspruch nehmen zu können. Sie ist aus diesem Grunde abzulehnen.

b) Vorhandensein eines immateriellen Schadens Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach § 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG richtet sich damit auf den Ausgleich eines Schadens, dessen Höhe nicht nach Sanktionszwecken festgelegt werden darf. Damit ist aber noch keine Aussage darüber getroffen, worin sich der nach diesen Normen auszugleichende Schaden überhaupt manifestieren soll. Die Gesetzesbegründung vermeldet hierzu vermeintlich Widersprüchliches: So heißt es zu § 15 Abs. 2 AGG, im Sinne des aus § 611a BGB bekannten Grundgedankens werde die Entschädigung ausschließlich für immaterielle Schäden gewährt, die regelmäßig bei einer ungerechtfertigten Benachteiligung aus den in § 1 genannten Gründen vorliegen.310 Deutlich abweichend formuliert dagegen die Begründung zu § 21 Abs. 2 S. 3 AGG: Hiernach sollen zur weiteren Konkretisierung des Entschädigungsanspruchs die Grundsätze des Geldentschädigungsanspruchs bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen werden, wonach der Geldentschädigungsanspruch nur schwerwiegende und anderweitig nicht auszugleichende Persönlichkeitsrechtsverletzungen kompensiert und für die Bemessung der Entschädigungshöhe die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung erheblich ist.311

309 

BAG NZA 2009, 945 Tz. 82. BT-Drs. 16/1780, S. 38. 311  BT-Drs. 16/1780, S. 46. 310 

456

Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Die je nach Haftungsnorm divergierenden Feststellungen zum Wesen des auszugleichenden Schadens berühren eine Frage, an der sich die Geister in Bezug auf den Ersatz immaterieller Schäden wegen Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot seit jeher entzünden: Bedarf es für eine Haftung auf Ersatz des immateriellen Schadens einer (zusätzlichen) Persönlichkeitsverletzung in Form einer Herabwürdigung des Diskriminierungsopfers oder liegt bereits in der Diskriminierung als solcher der ersatzfähige immaterielle Schaden? In die letztere Richtung scheint die Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 2 AGG zu deuten, indem ein immaterieller Schaden bei Vorliegen einer verbotenen Diskriminierung „regelmäßig“ vorliegen soll. Hierauf rekurriert auch das BAG, wenn es feststellt, der deutsche Gesetzgeber habe in § 15 Abs. 2 AGG eine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot geschaffen, die neben der Verletzung des Benachteiligungsverbots an keine weitere Voraussetzung und damit insbesondere nicht an das Vorliegen eines zur Entschädigung berechtigtenden Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht geknüpft sei.312 Auf den ersten Blick scheint sich diese Aussage auch mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung zu decken, wonach die unional determinierten Diskriminierungsverbote keine Persönlichkeitsverletzung sanktionieren, sondern vielmehr eine Pflicht zur Herstellung gesellschaftlicher Gleichheit bei der Versorgung mit Arbeit und weiteren teilhaberelevanten „Gütern“ statuieren.313 Da scheint es mit Grünberger auf den ersten Blick nur konsequent, auch auf der Rechtsfolgenebene auf das Vorhandensein einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im herkömmlichen Sinn zu verzichten.314 Zwingend ist dieser Schluss freilich nicht. Denn die Frage, ob das Verbot der Diskriminierung als solches an eine Persönlichkeitsrechtsverletzung geknüpft ist, und die Frage, ob es einer solchen für einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens bedarf, haben bei Lichte besehen nur wenig miteinander zu tun.315 Selbst wenn man nämlich die erste Frage zutreffend mit Grünberger und dem BAG verneint und einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ausreichen lässt, muss hieraus nicht automatisch ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens folgen. Hierfür ist es vielmehr im Einklang mit den Grundlagen des deutschen Schadensrechts erforderlich, dass ein solcher Schaden überhaupt entstanden ist.316 312 

BAG NZA 2009, 945 Tz. 75, 76. Siehe oben Erster Teil § 2 und 3. 314  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 732 f. 315  Im Ansatz ähnlich Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 223 ff., der auf der Basis der von ihm favorisierten Wertung des AGG als „Persönlichkeitsschutzgesetz“ klar zwischen der „unwiderleglichen Vermutung einer Rechtsverletzung“ und der „widerleglichen Vermutung eines immateriellen Schadens“ trennt; im Ergebnis auch Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 9. 316  Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 AGG Rn. 9. 313 

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

457

Etwas anderes folgt entgegen Grünberger 317 und dem BAG318 auch nicht aus den Vorgaben des Unionsrechts im Hinblick auf die effektive Durchsetzung des Diskriminierungsverbots. Denn das Unionsrecht verlangt zwar in der Tat zwingend, dass jede sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung effektiv sanktioniert wird.319 Das vom EuGH insoweit verfolgte Konzept einer „Prävention durch Kompensation“ gewährleistet dieses Ziel aber bereits dadurch, dass alle Schäden, die dem Diskriminierungsopfer tatsächlich entstanden sind, in voller Höhe ersetzt werden müssen.320 Ein solcher Ersatz tatsächlich entstandener Schäden genügt nicht nur dem Gedanken des Individualschutzes. Vielmehr wird über die potentielle Belastung des Verbotsadressaten mit gegebenenfalls hohen Schadensersatzforderungen wegen tatsächlich entstandener Schäden auch eine ausreichende Abschreckungswirkung gewährleistet, wobei der Fokus auf dem Ersatz des materiellen Schadens liegt. Die hier konstatierte Abschreckungswirkung von Schadensersatzforderungen bedeutet aber gerade nicht, wie Grünberger meint, dass jeder Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Ergebnis eine Schadensersatzverpflichtung mit sich bringen muss. Es besteht eben nur in jedem Fall ein entsprechendes Risiko einer Haftung, wodurch das Diskriminierungsverbot ausreichend sanktioniert wird. Insoweit gilt in Bezug auf immaterielle Schäden nichts anderes als in Bezug auf materielle Schäden. Die Gegenauffassung von Grünberger beruht dagegen auf der bereits oben als unzutreffend gekennzeichneten Annahme, wonach gerade der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens das Einfallstor für die Gewährleistung der unionsrechtlich geforderten Abschreckung der Verbotsadresaten darstellen soll. In Wahrheit liegt der Fokus des EuGH insoweit, wie an anderer Stelle dargelegt,321 auf dem Ersatz des materiellen Schadens. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle mithin, dass es für einen Ersatz des immateriellen Schadens nach §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG das Bestehen eines solchen Schadens im Einzelfall positiv festzustellen ist. Bei näherem Besehen besagt auch die Begründung zu § 15 Abs. 2 AGG nichts anderes; lässt sich doch die Aussage, dass ein immaterieller Schaden „regelmäßig“ bereits im Falle eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot vorliegen soll, auch so lesen, dass ein immaterieller Schaden sehr oft, aber eben nicht immer vorliegt.322 Einer solchen Feststellung wäre aber unbeschränkt beizupflichten. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der mit einer verbotenen Diskriminierung einhergehende Verlust an Teilhabechancen in der erdrückenden Mehrheit der Fälle bereits für sich genommen zu einer Verletzung des persönlichen Geltungs317 

Grünberger, Personale Gleichheit, S. 733. BAG NZA 2009, 945 Tz. 75. 319 So Grünberger, Personale Gleichheit, S. 733. 320  Siehe oben I. 2. b) ee). 321  Siehe oben I. 2. b) cc) (2). 322  So auch Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschgutz, S. 226. 318 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

anspruchs des Diskriminierten führt.323 Dies gilt auch im Falle der mittelbaren Diskriminierung. Zwar knüpft der Verbotsadressat hier nicht an ein verbotenes Merkmal, sondern an ein neutrales Merkmal an. Für das Diskriminierungsopfer bedeutet dies aber keinen Unterschied, weil ihm auch hier letztlich aufgrund seines Soseins eine Teilhabechance verwehrt bleibt. Das weniger an unmittelbarer Zurücksetzung wird hierbei kompensiert durch die mindestens ebenso frustrierende Erfahrung, Opfer einer strukturellen, in der Gesellschaft vorgefundenen Benachteiligung zu sein, zu welcher es nicht einmal eines Anknüpfens an ein verbotenes Merkmal bedarf. Die Qualifikation des Verlusts von Teilhabechancen als (immateriellen) Schaden erkennt auch der EuGH an, wenn er im Urteil Draehmpaehl einen Schaden auch der nicht-bestqualifizierten Bewerber im Hinblick auf den bloßen Verlust ihrer Chance auf Einstellung kon­ statiert.324 Mit der Anerkennung des Umstands, dass ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot regelmäßig zu einem wie auch immer gearteten immateriellen Schaden beim Opfer führt, nähert sich die hier vertretene Aufassung im Ergebnis der Auffassung an, wonach bereits der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot als solcher den immateriellen Schaden des Diskriminierungsopfers darstellen soll. Eine noch weitergehende Annäherung beider Positionen wird dadurch erreicht, dass auch das BAG, insoweit inkonsequent, die Existenz von Fällen in Betracht zieht, in denen ein immaterieller Schaden ausnahmsweise wegen der nur geringen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Opfers nicht vorliegen soll.325 Dies deckt sich mit einer Auffassung im Schrifttum, wonach das Vorliegen eines immateriellen Schadens widerleglich vermutet wird.326 Es bleibt aber bei aller Ähnlichkeit im Ergebnis die Unterschiedlichkeit in der Begründung bestehen.

c) Berechnung Mit der Feststellung, dass ein wie auch immer gearteter immaterieller Schaden beim Diskriminierungsopfer tatsächlich vorliegen muss, um einen Anspruch auf Entschädigung nach §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG zu begründen, kann es aber nicht sein Bewenden haben, weil noch stets die Frage im Raum steht, wie dieser Schaden zu berechnen ist und welche Faktoren hierbei Berücksichti323 Ähnlich Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 214, der aber zu Recht konstatiert, dass derjenige, der weiß, dass die Zurückweisung auch sachliche Gründe hatte, ein geringeres Maß an Zurücksetzung empfinden wird als derjenige, dem bewusst wird, dass ihm einzig aufgrund eines verbotenen Merkmals der Zugang zu einem (lukrativen) Arbeitsplatz oder beruflichen Aufstieg verbaut wurde. 324 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 33, 34 – Draehmpaehl; siehe oben I. 2. b) cc) (2) (a). 325  BAG NZA 2009, 945 Tz. 77. 326  Adomeit/Mohr, AGG, § 15 Rn. 52; Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 226; Schlachter in ErfK, § 15 AGG, Rn. 7.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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gung finden müssen. Insoweit lässt sich nicht leugnen, dass imaterielle Schäden hinsichtlich ihrer Feststellung Besonderheiten aufweisen, die sie von materiellen Schäden unterscheiden. Gefragt ist hier, anders als bei materiellen Schäden, nicht eine konkrete Berechnungsmethode, sondern vielmehr eine Bestimmung der Umstände, die bei der Festlegung des immateriellen Schadens und seiner Höhe Berücksichtigung finden sollen und dürfen. 327 Hier kommt erneut die Gesetzesbegründung (zu § 21 Abs. 2 S. 3 AGG) ins Spiel, wonach insoweit die Grundsätze des Geldentschädigungsanspruchs bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen werden sollen. Problematisch an dieser pauschalen Verweisung ist allerdings, dass eine solche Verweisung auch die insoweit von der Rechtsprechung aufgestellte Hürde einer „schwerwiegenden, anderweitig nicht auszugleichenden Persönlichkeitsverletzung“328 erfassen würde. Eine solche Beschränkung ist allerdings nicht mit dem unionalen Konzept des vollen Schadensausgleichs vereinbar und ist demzufolge abzulehnen.329 Indem der Gesetzgeber mehrfach zu verstehen gegeben hat, dass er mit der Einführung der Entschädigungsregeln die Vorgaben des Unionsrechts an eine effektive und abschreckende Sanktion umsetzen wollte, kann der Irrtum des Gesetzgebers hinsichtlich der Reichweite dieser Vorgaben unproblematisch im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 21 Abs. 2 S. 3 AGG behoben werden.330 Wenn auch die graduelle Hürde einer „schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung“ bei der Berechnung des nach §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG zu ersetzenden immateriellen Schadens nicht zur Anwendung kommen kann, ist der Gesetzgeber doch zumindest im Hinblick auf die insoweit zu berücksichtigenden Faktoren beim Wort zu nehmen. Besonderes Augenmerk ist hierbei darauf zu richten, dass diese Faktoren den Funktionen entsprechen, die der Gesetzgeber dem Entschädigungsanspruch zugeschrieben hat.331 Die Nennung auch der Genugtuungsfunktion erlaubt es dabei, neben den unmittelbaren Folgen der Diskriminierung für das Diskriminierungsopfer auch Umstände zu berücksichtigen, die eher der Sphäre des Verbotsadressaten zuzuordenen sind. Das BAG nennt als zu berücksichtigende Faktoren unter Verweis auf Stimmen im 327 

L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 93. Vgl. BGHZ 132, 13, 14, 27. 329  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 723 f.; Kossak, Rechtsfolgen, S. 212; Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 25; a.A. (bezogen auf § 15 Abs. 2 AGG) aber wohl Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 Rn. 9, der unter Hinweis darauf, dass die Hürden für die Annahme einer Persönlichkeitsverletzung in Diskriminierungsfällen „so niedrig nicht sind“ eine Herabwürdigung und einen sachwidrigen Ausschluss des Diskriminierungsopfers von der Teilnahme am Arbeitsleben fordert. 330  Zur Bedeutung des gesetzgeberischen Umsetzungswillens für die richtlinienkonforme Rechtsfindung siehe bereits oben Zweiter Teil § 1 C. III. 2. a). 331  Einen Versuch der Zuordnung einzelner Faktoren zu den Funktionen des Entschädigungsanspruchs (Ausgleich, Genugtuung, Prävention) unternimmt L. Lehmann, Finanzieller Ausgleich, S. 129 ff. 328 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Schrifttum etwa die Art und Schwere der Benachteiligung,332 ihre Dauer und Folgen, den Anlass und den Beweggrund des Handelns, den Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, eine etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles.333 Nicht in Betracht kommen dagegen Faktoren, deren Verwendung einzig einer Abschreckung des Verbotsadressaten dienen soll, ohne zugleich eine Genugtuung des Opfers zu gewährleisten.334 Denn der Gesetzgeber hat, insoweit im Einklang mit dem Haftungskonzept des EuGH, gerade davon abgesehen, den Ersatz des immateriellen Schadens durch Anerkennung überkompensatorischer Schadenselemente zu einem speziellen Instrument der Abschreckung des Verbotsadressaten auszubauen. Dies kommt mehr als deutlich in der Gesetzesbegründung zu § 21 Abs. 2 S. 3 AGG zum Ausdruck, wonach der Ersatz des immateriellen Schadens nach dieser Norm vorrangig an der Genugtuung des Diskriminierungsopfers ausgerichtet werden soll. Vorrangig am Präventionszweck ausgerichtete Schadenselemente ohne Bezug zu einer Genugtuung des Opfers, wie sie etwa die neuere Rechtsprechung des BGH zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Prominente prägen, kommen in Bezug auf Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot somit nicht in Betracht. Damit ist etwa entgegen der h.M.335 die wirtschaftliche Lage des Verbotsadressaten bei der Bemessung der Entschädigung nicht zu berücksichtigen. Denn diesem Faktor kommt weder unter Ausgleichsnoch unter Genugtuungsgesichtspunkten eine Bedeutung zu.336

C. Beweisfragen I. Das Problem: Die Verborgenheit der diskriminierenden Entscheidungsmaxime und die Auswirkungen auf die Effektivität des Diskriminierungsverbots Wie vielleicht in keinem anderen Rechtsgebiet kommt der Frage des Beweises in Bezug auf privatrechtsbezogene Diskriminierungsverbote eine maßgebliche Bedeutung zu.337 Dies erklärt sich aus dem Umstand, dass die Anknüpfung an 332  So wird der Schaden bei Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung regelmäßig höher zu veranschlagen sein als bei einer mittelbaren Diskriminierung. In diesem Sinne bereits Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 226. 333  BAG NZA 2009, 945 Tz. 82. 334  So zu Recht Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 246 ff. 335  Vgl. für alle Bauer/Krieger, AGG, § 15 Rn. 36; Thüsing, in: MüKoBGB, § 15 Rn. 12. 336  Zwanziger, DB 1998, 1330, 1331; ebenso Bader, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, S. 246 mit der zutreffenden Begründung, dass ein Erfahrungssatz, wonach der Kränkungsfaktor mit dem Vermögen des Verletzers steigt, nicht exisiert. 337  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 721; Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 78.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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ein verbotenes Merkmal im Rahmen einer individuellen Entscheidungsmaxime eine Tatsache ist, die sich ausschließlich in der Gedankenwelt des Diskriminierenden abspielt und deren Vorliegen der Außenwelt damit regelmäßig verborgen bleibt. So wird etwa die Zurückweisung einer dunkelhäutigen Person am Eingang einer Diskothek häufig mit Kapazitätsauslastung begründet und der abgewiesenen Stellenewerberin wird schon gleich gar kein Grund für die Erfolglosigkeit ihrer Bewerbung genannt. Dass es in beiden Fällen das Vorhandensein eines verbotenen Merkmals war, welches den Ausschlag für die Verweigerung des Vertragsschlusses gegeben hat, lässt sich aus Sicht des Diskriminierungsopfers wohl vermuten, nicht aber beweisen. Für das Diskriminierungsopfer stellt sich damit das Problem, auf dem Papier bestehende Ansprüche gegen den Verbotsadressaten wegen der strukturellen Beweisnot in zahlreichen Fällen nicht prozessual durchsetzen zu können, was wiederum die durch das Unionsrecht sowohl unter dem Aspekt des Individualschutzes als auch unter dem Aspekt der Abschreckung geforderte effektive Durchsetzung des dem Diskriminierungsopfer eingeräumten Rechtes auf Nichtdiskriminierung in Frage stellt.

II. Die Reaktion des Unionsrechts: Verlagerung der Beweislast auf den Beklagten Indem das Prinzip der effektiven Durchsetzung von durch das Unionsrecht gewährten oder vorgegebenen subjektiven Rechten (ubi ius, ibi remedium)338 neben einer materiell-rechtlichen Komponente auch eine prozessuale Komponente beinhaltet, muss das Unionsrecht der strukturellen Beweisnot des Diskriminierungsklägers unter gleichzeitiger Beachtung der legitimen Interessen des Beklagten auf die eine oder andere Weise abhelfen. Dies geschieht, wie im Folgenden näher auszuführen sein wird, im Wesentlichen durch eine an den Nachweis von Indizien geknüpfte Verlagerung der Beweislast auf den Beklagten.339 Ausgangspunkt war hier, wie so oft, die Rechtsprechung des EuGH im Zusammenhang mit dem Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung. Diese Rechtsprechung wurde später partiell durch die Richtlinie 97/80/EG (Beweislastrichtlinie) sekundärrechtlich verankert und im Zuge der Verabschiedung der Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation auf Diskriminierungen wegen anderer Unterscheidungsmerkmale und in anderen Lebensbereichen übertragen.

338 

Siehe oben § 1 D. I. 2. b). Die dogmatische Qualifikation der Richtlinienvorgaben sowie der deutschen Umsetzungsregelung als Beweislastumkehr entspricht heute der nahezu allgemeinen Meinung; vgl. bereits Prütting, Beweislast, S. 339; eingehend Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 154 ff. 339 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

1. Vorliegen einer Diskriminierung a) Entwicklung Zentrale Tatbestandsvoraussetzung für privatrechtliche Ansprüche des Diskriminierungsopfers ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Von daher standen naturgemäß Beweiserleichterungen in Bezug auf das Vorliegen eines solchen Verstoßes zunächst im Fokus der Rechtsprechung des EuGH.340 Ein erster zarter Hinweis auf die diesbezügliche Verteilung der Beweislast lässt sich bereits dem Urteil Jenkins entnehmen, in welchem der EuGH zugleich die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung erstmals in Bezug auf das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung zur Anwendung brachte.341 Der Gerichtshof stellte insoweit fest, dass eine unterschiedliche Vergütung von Teilzeit- und Vollzeitkräften nur dann nicht gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts gemäß Artikel 119 EGV (Artikel 157 AEUV) verstößt, soweit diese „auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.“342 Im nachfolgenden Urteil Bilka wird der EuGH deutlicher, indem er eine unterschiedlichen Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitkräften im Rahmen eines Systems der betrieblichen Altersversorgung als Verstoß gegen Artikel 119 EWG wertete, „weil es dem Arbeitgeber nicht gelungen ist, darzulegen, dass seine Lohnpolitik auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben“.343 Noch einen Schritt weiter ging der EuGH schließlich im Urteil Danfoss. Dort stellte sich die Frage nach dem Vorliegen einer Diskriminierung in Bezug auf individuelle Lohnzulagen, die so intransparent ausgestaltet waren, dass es einer Arbeitnehmerin nicht möglich war, die Ursachen für den Unterschied zwischen ihrem Gehalt und dem eines besser bezahlten männlichen Kollegen zu ergründen. Der EuGH stellte in diesem Zusammenhang fest, „daß, wenn in einem Unternehmen ein Entlohnungssystem angewandt wird, dem jede Durchschaubarkeit fehlt, dem Arbeitgeber der Nachweis obliegt, daß seine Lohnpolitik nicht diskriminierend ist, sofern der weibliche Arbeitnehmer auf der Grundlage einer relativ grossen Zahl von Arbeitnehmern belegt, daß das durchschnittliche Entgelt der weiblichen Arbeitnehmer niedriger ist als das der männlichen Arbeitnehmer.“344

In seiner Begründung stellt der EuGH auch den Bezug zu den unionsrechtlichen Vorgaben an eine effektive Durchsetzung des Diskriminierungsverbots her, indem er ausführt: 340  Ein guter Überblick über die insoweit einschlägige Rechtsprechung des EuGH findet sich bei Peick, Darlegungs- und Beweislast, S. 12 ff. 341  Siehe oben Dritter Teil § 2 C. III. 1. 342 EuGH, Rs. 96/80, Slg. 1981, 911, Tz.11 – Jenkins. 343 EuGH, Rs. 170/84, Slg. 1986, 1607, Tz. 30 – Bilka. 344 EuGH, Rs. 109/88, Slg. 1989, 3199, Tz. 16 – Danfoss.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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„Schließlich müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 6 der Richtlinie 75/117 nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Verhältnisse und ihrer Rechtssysteme die Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts zu gewährleisten. Das Bemühen um Effektivität, das der Richtlinie 75/117 zugrunde liegt, muß dazu führen, diese dahin auszulegen, daß sie Änderungen der nationalen Beweislastregeln in den Sonderfällen impliziert, in denen solche Änderungen für die wirksame Durchführung des Gleichheitsgrundsatzes unerläßlich sind.“345

Die in späteren Urteilen bestätigten und weiter ausdifferenzierten Vorgaben des EuGH wurden im Jahre 1997 in der Richtlinie 97/80/EG (Beweislastrichtlinie) sekundärrechtlich verankert.346 Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten zur Ergreifung von „Maßnahmen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, daß keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“

Die Regelung wurde später für alle Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation in nahezu wörtlicher Übereinstimmung übernommen347 und gehört seitdem zum festen Bestandteil des unionsrechtlichen Antidiskriminierungskonzepts.

b) Bedeutung für die einzelnen Arten der Diskriminierung Bei der Betrachtung der Entwicklung der heutigen Beweislastregelung wird deutlich, dass Beweiserleichterungen zugunsten des Diskriminierungsopfers anfangs Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit der mittelbaren Diskriminierung zugeschrieben wurde. Auf einen starken Bezug zwischen der Beweisfrage und dem Rechtsinstitut der mittelbaren Diskriminierung weist auf den ersten Blick auch der Umstand hin, dass die Richtlinie 97/80/EG neben der Regelung der Beweislast auch erstmalig eine Definition des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung enthielt (vgl. Artikel 2 Abs. 2 Richtlinie 97/80/EG). Den Grund für diesen Umstand nennt Erwägungsgrund 19 der Richtlinie, wonach eine Definition der mittelbaren Diskriminierung gerade deshalb geboten war, weil sich der Nachweis mittelbarer Diskriminierungen als besonders schwierig gestaltet. In dieser vom Unionsgesetzgeber vorausgesetzten Verknüpfung des Beweisproblems mit dem Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung manifestiert sich 345 EuGH,

Rs. 109/88, Slg. 1989, 3199, Tz. 14 – Danfoss. 97/80/EG des Rates vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, ABl. L 14/6. 347  Vgl. Artikel 8 Abs. 1 Richtlinie 2000/43/EG; Artikel 10 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG; Artikel 9 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG sowie Artikel 19 Abs. 1 Richtlinie 2006/54/EG, der die Regelung in Artikel 4 Abs. 1 Richtlinie 97/80/EG ablöste. 346  Richtlinie

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

die Funktion, die dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung auch heute noch für den Nachweis (verdeckter) unmittelbarer Diskriminierungen zugeschrieben wird:348 Lässt sich die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal schon nicht direkt beweisen, so wird sie doch durch die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal indiziert, wenn hieraus eine (statistisch) stärkere Betroffenheit von Merkmalsträgern resultiert. Es obliegt dann dem Verbotsadressaten, die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal durch den Nachweis eines sachlichen Grundes auszuschließen. Die Definition des Diskriminierungstatbestandes fügt sich auf diese Weise nahtlos in die allgemeine Beweislastregelung des Artikel 4 der Richtlinie 97/80/EG ein, wonach es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen habe. Schon nach dieser Sichtweise verblasst allerdings die Bedeutung der allgemeinen Beweislastregelung für die mittelbare Diskriminierung, weil die genannte Beweislastregel ja bereits, wie soeben ausgeführt, in der materiell-rechtlichen Definition dieser Handlungsform ihren Niederschlag gefunden hat.349 Als noch unbedeutender erweist sich die Beweislastumkehr für mittelbare Diskriminierungen jedoch, wenn man, wie hier vertreten, in der mittelbaren Diskriminierung über ihre Beweisfunktion hinausgehend einen eigenständigen Diskrimierungstatbestand mit dem Ziel der Herstellung materieller Gleichheit sieht.350 Denn in diesem Falle ist bereits mit der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal und der hieraus resultierenden stärkeren Betroffenheit von Merkmalsträgern der Diskriminierungstatbestand erfüllt,351 während die sachliche Rechtfertigung durch ein legitimes Ziel bereits der Rechtfertigungsebene zugeordnet wird und damit ohnehin dem Beweis durch den Verbotsadressaten unterliegt. Zwar gilt auch in diesem Falle die allgemeine Beweislastregel in Bezug auf den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung. Der Nachweis der Anknüpfung an ein neutrales Merkmal stellt das Diskriminierungsopfer aber ebenso wenig vor Beweisschwierigkeiten wie der Nachweis des kausalen Nexus zwischen der Anknüpfung an dieses Merkmal und der stärkeren Betroffenheit von Merkmalsträgern. Die Anknüpfung an das neutrale Merkmal wird der Verbotsadressat nämlich schon deshalb freiwillig offenlegen, weil er hierdurch gerade den Vorwurf der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal widerlegen will. Die stärkere Betroffenheit von Merkmalsträgern lässt sich wiederum entweder durch Statistiken oder, nach hier vertretener Ansicht, durch eine typisierte Betrachtung nachweisen. Indem bereits die materiellrechtlichen Anfor348  Zu den noch heute bestehenden Unstimmigkeiten im nationalen wie internationalen Schriftum über die Funktion der mittelbaren Diskriminierung siehe oben § 2 C. III. 2. 349 Ebenso Wörl, Beweislast, S. 147; a.A. (leichtere Beweisbarkeit unmittelbarer Diskriminierungen) dagegen Sponholz, S. 250, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 250. 350  Siehe oben § 2 C. III. 2. 351  Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 302 spricht insoweit vom „Grundtatbestand“ der mittelbaren Diskriminierung.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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derungen an das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung das potentielle Diskriminierungsopfer nicht vor unlösbare Beweisprobleme stellen, bedarf es weitergehender Beweiserleichterungen zu seinen Gunsten in Bezug auf diese Handlungsform somit eigentlich nicht. Erhebliche Bedeutung kommt der unionsrechtlich vorgegebenen Beweislastumkehr allerdings im Zusammenhang mit unmittelbaren Diskriminierungen zu. Denn hier umfasst der Diskriminierungstatbestand die Anknüpfung des Verbotsadressaten an ein verbotenes Merkmal, welcher regelmäßig nicht offengelegt zu werden pflegt352. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Anknüpfung an das verbotene Merkmal im Rahmen einer Norm wie etwa einer gesetzlichen Regelung oder Kollektivregelung erfolgt, da sich die Anknüpfung hier aus dem Konditionalschema der Regelung selbst erschließt. Unmittelbare Anknüpfungen an ein verbotenes Merkmal im Rahmen von Regelungen sind freilich gerade wegen ihrer leichten Erkennbarkeit äußerst selten. Dagegen befindet sich das Diskriminierungsopfer in einer strukturellen Beweisnot, wenn die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal Teil einer nicht offengelegten individuellen Entscheidungsmaxime ist, die einer vertragsbezogenen Entscheidung wie etwa der Ablehnung eines Stellenberwerbers zugrundeliegt. Hier bedarf es Beweiserleichterungen zugunsten des Diskriminierungsopfers, soll die Einräumung eines Rechts auf Nichtdiskriminierung nicht zu einem leeren Versprechen verkommen. Auf unmittelbare Diskriminierungen im Rahmen individueller Entscheidungen, soll sich die nachfolgende Analyse daher konzentrieren.

c) Tatsachen, die eine Diskriminierung vermuten lassen aa) Allgemein Die von den Richtlinien vorgegebene Beweislastumkehr bezieht sich auf das „Vorliegen einer (unmittelbaren oder mittelbaren) Diskriminierung“. Gegenstand der Beweislastumkehr bei diskriminierenden Individualentscheidungen ist somit der Umstand, dass diesen Entscheidungen eine diskriminierende, also eine an ein verbotenes Merkmal anknüpfende Entscheidungsmaxime zugrunde liegt. Indem nur der Verbotsadressat Kenntnis von seinen eigenen Motiven hat oder zumindest haben kann, muss er das Fehlen solcher Motive darlegen und beweisen. Es würde allerdings einen zu weitgehenden Eingriff in die Privatautonomie des Verbotsadressaten darstellen, diesen in jedem Fall, in dem sich eine vertragsbezogene Entscheidung nachteilig auf eine andere Person auswirkt, mit dem Nachweis zu befrachten, dass dieser Entscheidung keine diskriminie352  Siehe oben Dritter Teil, § 2 C. II. 4. b). Das von Wörl, Beweislast, S. 147 ausgemachte Problem, dass der Stellenbewerber bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses außerstande sein kann, das neutrale Kriterium zu beweisen, stellt sich damit bei näherem Besehen nicht.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

rende Entscheidungsmaxime zugrundelag. Voraussetzung für das Eingreifen der Beweislastumkehr ist daher, dass das potentielle Diskriminierungsopfer Indizien beweist, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf eine solche diskriminierende Entscheidungsmaxime schließen lassen.353 Hierbei muss es sich um äußere Umstände handeln, welche die schwer zu beweisende innere Tatsache der diskriminierenden Entscheidungsmaxime für die Außenwelt greifbar ­machen.

bb) Das erforderliche Beweismaß Unklarheiten bestehen im Schrifttum aber darüber, welches Beweismaß dem Beweis der auf das Vorliegen einer Diskriminierung hindeutenden Indizien zugrundezulegen ist.354 Teilweise soll auch diesbezüglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen,355 teilweise wird der volle Beweis gefordert. 356 Die deutsche Fassung der Richtlinien spricht davon, dass das potentielle Diskriminierungsopfer die Indizien „glaubhaft machen“ muss, was nach dem deutschen Verständnis dieses Begriffs eher auf ein abgesenktes Beweismaß im Sinne der erstgenannten Auffassung hindeutet. Diese Deutung wird aber weder durch die anderen Sprachfassungen der Richtlinien bestätigt,357 noch lässt sie sich aus der Entstehungsgeschichte der Richtlinien oder ihrem Telos herleiten.358 So le353  Die Feststellung, dass sich der Nexus zwischen Indiztatsache und Diskriminierung nach dem Kriterium der überwiegenden Wahrscheinlichkeit bestimmt, entspricht der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, vgl.nur BAG, NZA 2012, 34, Tz. 34; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 722, Schlachter, RdA 1998, 321, 324; Scholten; Diskriminierungsschutz, S. 109 ff. Kritisch gegenüber jeder Art der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung hingegen Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 319 ff., der einen normzweckorientierten, auf typisierten Betrachtungen (vorwerfbare Intransparenz) basierenden Ansatz verfolgt. 354 Normativer Bezugspunkt des Streites ist im Wesentlichen die in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben ergangene deutsche Regelung der Beweislast in § 22 AGG; Überblick über den Streitstand bei Peick, Darlegungs- und Beweislast, S. 150, Fn. 172. 355  In diesem Sinne etwa Kocher, in: Schiek, AGG, § 22 Rn. 16; C. Picker, NZA 2012, 641, 643; Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 AGG Rn. 2; Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 110 ff. 356  Schlachter, RdA 1998, 321, 325 (zur Richtlinie 97/80/EG; eingehend Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 293 ff. und Peick, Darlegungs- und Beweislast, S. 150 ff. 357  Die englische Fassung spricht von „establish facts“, die französische von „etablir des faits“, was sich eher in Richtung „nachweisen“, oder „beweisen“ übersetzen lässt und damit für einen Vollbeweis spricht; ebenso in diesem Sinne mit gründlicher Analyse sämtlicher(!) Sprachfassungen Dammann, Grenzen zulässiger Diskriminierung, S. 293 ff. sowie Peick, Darlegungs- und Beweislast, S. 152, dort Fußnote 19. Nicht zielführend ist dagegen die methodische Vorgehensweise von Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 110, der zur Klärung des von den Richtlinien geforderten Beweismaßes für das Vorliegen der Indiztatsache auch die Passagen zur Vermutungswirkung der Indiztatsachen für das Vorliegen einer Diskriminierung heranzieht, obwohl es sich hierbei um zwei getrennt voneinander zu betrachtende Probleme handelt. 358  So auch Peick, Darlegungs- und Beweislast, S. 154 ff.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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gen sowohl die Erwägungsgründe zu den genannten Richtlinien359 als auch die jeweiligen Entwurfsbegründungen der Kommission360 eher den Schluss nahe, dass sich der dort regelmäßig betonte abgesenkte Wahrscheinlichkeitsgrad auf die Vermutungswirkung der Indiztatsache für das Vorliegen einer Diskriminierung beziehen soll, nicht aber auf den Beweis der Indiztatsache als solche. Hierfür spricht auch, dass es dem Unionsgesetzgeber mit der sekundärrechtlichen Regelung der Beweislast gerade darum zu tun war, die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH sekundärrechtlich zu verankern.361 In seinen Urteilen, in denen sich der EuGH zur Beweislast im Diskriminierungsprozess geäußert hatte, stand der insoweit als Indiz für das Vorliegen einer (mittelbaren) Diskriminierung fungierende Grundtatbestand (stärkere Betroffenheit von Merk­mals­trägern) aber regelmäßig fest und die Aussagen des EuGH zur Beweislastumkehr bezogen sich nur auf die sachliche Rechtfertigung.362 Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der EuGH auch hinsichtlich der Indiztatsache eine Beweismaßabsenkung für geboten hielt. In einem späteren, freilich erst nach Erlass der Richtlinie 97/80/EG ergangenen Urteil fordert der Gerichtshof dann sogar ausdrücklich einen vollen Beweis der die Beweislastumkehr auslösenden Indiztatsache seitens des Diskriminierungsklägers. 363 Schließlich sprechen auch allgemein-teleologische Erwägungen nicht für eine Absenkung des Beweismaßes in Bezug auf die Indiztatsache. Denn bereits die Umkehr der Beweislast als solche stellt einen empfindlichen Eingriff in die Privatautonomie der Adressaten von Diskriminierungsverboten dar. Dieser Eingriff ist allerdings angesichts der Beweisnot der potentiellen Diskriminierungsopfer in Bezug auf die innere Motivation des Verbotsadressaten zur Herstellung prozessualer Waffengleichheit erforderlich und damit im Hinblick auf die 359 Vgl.

Erwägungsgrund 21 Richtlinie 2000/43/EG und Erwägungsgrund 31 Richtlinie 2000/78/EG sprechen davon, dass eine Änderung der Beweislastverteilung geboten ist, „wenn ein glaubhafter Anschein einer Diskriminierung besteht.“ Nach Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/113/EG gelten die Beweislastregeln „für die Fälle, in denen der Anschein einer Diskriminierung besteht.“ Ähnlich formuliert Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 206/54/EG: Beweislastverteilung, „wenn der Anschein einer Diskriminierung besteht.“ 360  Vgl. KOM (1999) 565 endgültig S. 14 und KOM (1999) endgültig, S. 10: „Die Kommission schlägt vor, dass die Beweislast beim Beklagten liegt, sobald der Kläger durch Fakten nachgewiesen hat, dass ihm durch offenkundige Diskriminierung eine ungünstige Behandlung zuteil wurde.“ 361  Vgl. den ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH in Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 97/80/EG. 362  Vgl. etwa EuGH, Rs. 96/80, Slg. 1981, 911, Tz.11 – Jenkins; EuGH, Rs. 170/84, Slg. 1986, 1607, Tz. 30 – Bilka; eingehende Analyse der Rechtsprechung bei Peick, Darlegungsund Beweislast nach § 22 AGG, S. 164 ff. 363 EuGH, Rs. C-381/99, Slg. 2001, I-4961, Tz. 57: „… Nach den üblichen Beweisführungsregeln obliegt es daher der Klägerin, vor dem vorlegenden Gericht nachzuweisen, dass die Voraussetzungen, unter denen das Vorliegen einer nach Artikel 119 EG-Vertrag und der Richtlinie verbotenen das Entgelt betreffenden Ungleichbehandlung vermutet werden kann, erfüllt sind.“

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

effektive Durchsetzung des individuellen Rechts auf Nichtdiskriminierung unionsrechtlich geboten. Anders verhält es sich allerdings im Hinblick auf die Indiztatsachen, die ja gerade als äußerer Anhaltspunkt für die nicht beweisbare innere Tatsache dienen sollen. Begügt man sich auch insoweit mit geringeren beweisrechtlichen Anforderungen, ist der Schritt zu einer vollen Beweislastumkehr auf Grundlage bloßer Spekulationen nicht mehr weit. Soweit sich das potentielle Diskriminierungsopfer auch im Hinblick auf die Beibringung der nötigen Indiztatsachen strukturellen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sieht, hat der EuGH, wie sogleich zu zeigen sein wird, mit der fallbezogenen, in das Indizienkonzept eingebetteten Auskunftsobliegenheit des Verbotsadressaten einen anderen Weg beschritten, so dass es auch insoweit einer Beweismaßabsenkung in Bezug auf die Indiztatsachen nicht bedarf.

cc) Mögliche Indizien, inbesondere: Vergleichspersonenkonzept Mögliche und zugleich starke Indizien für das Vorliegen einer Diskriminierung sind etwa eine nicht merkmalsneutrale Stellenausschreibung364 sowie auf ein verbotenes Merkmal Bezug nehmende Äußerungen des Verbotsadressaten oder einer von ihm mit der vertragsbezogenen Entscheidung betrauten Person365 innerhalb366 und außerhalb des Bewerbungsverfahrens.367 In vielen Fällen wird es aber an solchen, unmittelbar auf das Vorliegen einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime hindeutenden Indizien gerade fehlen, was nicht zuletzt auf eine größere Sensibilität der Verbotsadressaten gegenüber den mit privatrechtsbezogenen Diskriminierungen einhergehenden Haftungsrisiken zurückzuführen ist. In diesen Fällen bedarf es weiterer Anhaltspunkte, die zumindest mittelbar den Schluss auf ein diskriminierendes Motiv des Verbotsadressaten nahelegen. Ein möglicher Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime beim Verbotsadressaten können etwa aussagekräftige Statistiken sein, die auf eine diskriminierende Praxis des Verbotsadressaten in der Vergangenheit hindeuten.368 Fehlt es auch hieran, bleibt als 364  Ganz h.M., vgl. nur Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 AGG Rn. 12. Dies entsprach auch bereits der h.M. zu § 611a BGB, vgl. BAG NZA 2004, 540, Tz. 37; Schiek/Horstkötter, NZA 1998, 863, 866; aus dem Blickwinkel des Verfassungsrechts siehe auch BVerfG, Az. 1 BvR 258/86, E 89, 276 Tz. 45. 365  Der EuGH zieht den Kreis der Personen, deren Aussagen dem Verbotsadressaten zurechenbar sind, erstaunlich weit, vgl. EuGH, Rs. C-81/12, EU:C:2013:275, Tz. 47–53 – ACCEPT (Homophobe Äußerungen des nicht entscheidungsbefugten Patrons eines Fußballvereins, denen die tatsächlich entscheidungsbefugten Personen nicht widersprochen haben). 366  Bauer/Krieger, AGG, § 22 Rn. 11. 367 EuGH, Rs. 54/07, Slg. 2008, 5187, Tz. 31 – Feryn. Zur Qualifikation einer isoliert von einem konkreten Bewerbungsverfahren offengelegten diskriminierenden Entscheidungs­ maxime als Diskriminierung siehe oben Dritter Teil § 2 C. II. 4. c). 368  Dies entspricht der allgemeinen Meinung im Schrifttum, vgl. Peick, Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG m.w.N. sowie der Gesetzesbegründung zum AGG, vgl. BT-Drs.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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Anhaltspunkt nur die günstigere Behandlung einer anderen Person, die sich in ihrer Merkmalsausprägung vom Kläger unterscheidet. Die abweichende Merkmalsausprägung allein reicht hier aber als Indiz ebensowenig aus369 wie die Erfüllung der Mindestkriterien für einen Vertragsschluss seitens des potentiellen Diskriminierungsopfers.370 Ausschlaggebender Faktor für den Rückschluss auf ein diskriminierendes Motiv beim Verbotsadressaten ist vielmehr, dass sich die dem potentiellen Diskriminierungsopfer vorgezogene Person mit diesem in einer objektiv vergleichbaren Situation befindet. An dieser Stelle, und nicht etwa im Rahmen des materiellen Tatbestands, manifestiert sich die zentrale Bedeutung des so genannten Vergleichspersonenkonzepts.371 Wann sich das potentielle Diskriminierungsopfer und die Vergleichsperson in einer vergleichbaren Situation befinden, ist wiederum von der Art des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts abhängig. Bei Massengeschäften befinden sich regelmäßig alle potentiellen Vertragspartner in einer vergleichbaren Situation. Wenn einer dunkelhäutigen Person unter Verweis auf Kapazitätsgrenzen der Zugang zu einer Diskothek verwehrt wird, kurze Zeit später aber hellhäutige Personen eingelassen werden, liegt der Schluss auf ein diskriminierendes Motiv nahe. Höhere Anforderungen an die Vergleichbarkeit als in dem eben genannten Fall sind bei Auswahlentscheidungen zu stellen, da hier, anders als bei Massengeschäften, der bloße Mitbewerberstatus keine ausreichende objektive Vergleichbarkeit begründet, die Rückschlüsse auf die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal zulassen würde. Maßgebliches Vergleichskriterium zwischen dem potentiellen Diskriminierungsopfer und dem günstiger behandelten Mitbewerber kann hier vielmehr nur die objektive Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle, Mietwohnung oder sonstige Ware bzw. Dienstleistung sein. Gibt der Verbotsadressat einem objektiv schlechter qualifizierten Mitbewerber im Zusammennahg mit einzelnen Verfahrensschritten (Vorstellungsgespräch) oder der Letztscheidung den Vorzug vor dem vermeintlichen Diskriminierungsopfer, spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit – bei entsprechender Merkmalsausprägung der Beteiligten – dafür, dass hierfür ein verbotenes Merkmal mitursächlich war.372 Zwar darf der Verbotsadressat seinen Entscheidungen alle möglichen Gründe außerhalb der verbotenen Unterscheidungsmerkmale zugrundelegen. 16/1780, S. 47. Auch das BAG erkennt den Indizwert von Statistiken im Grundsatz an, übt sich insoweit aber im Ergebnis unter Verweis auf die Gefahr einer Verwechslung von Kausalität und (Schein)Korrelation in Zurückhaltung, vgl. BAG NZA 2012, 1345, Tz. 36 ff; kritisch insoweit Grünberger, Personale Gleichheit, S. 727. 369  BAG NZA 2010, 280, Tz. 28 f.; Adomeit/Mohr, AGG, § 22 Rn. 33; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 723; Peick, Darlegung und Beweislast, S. 225; vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 22 AGG, BT-Drs. 16/1780, S. 47: Verhinderung von Behauptungen „ins Blaue“. 370  BAG NZA 2010, 1006, Tz. 20; Grünberger, Personale Gleichheit, S. 723. 371  Siehe dazu oben Dritter Teil § 2 C. II. 4. b) aa). 372 Ebenso Bauer/Krieger, AGG, § 22 Rn. 11, der als Beispiel die Bevorzugung eines 20 Jahre jüngeren Mitbewerbers mit deutlich schlechteren Noten nennt.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Weicht allerdings die subjektive von der objektiven Bestqualifikation ab, so verlagert sich die diesbezügliche Beweislast auf den Verbotsadressaten. Er muss nun zur Überzeugung des Gerichts dartun, warum er der objektiv schlechter qualifizierten Person ohne Merkmalsausprägung vor der objektiv besser qualifizierten Person mit Merkmalsausprägung den Vorzug gegeben hat. Mit anderen Worten: Der Verbotsadressat muss sein subjektives Anforderungsprofil vor dem Gericht zwar nicht rechtfertigen, wohl aber als plausibel erscheinen lassen. Gelingt ihm dies nicht, ist vom Vorliegen einer Diskriminierung auszugehen.

dd) Fehlende Auskunft als Indiz für eine Diskriminierung? Der Rückgriff auf eine Vergleichsperson als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung setzt aber voraus, dass eine solche Vergleichsperson überhaupt benannt werden kann. Hier stehen insbesondere Bewerber im Rahmen eines Auswahlverfahrens regelmäßig vor dem Problem, dass nur der Verbotsadressat selber Kenntnis davon hat, welcher Person bzw. welchen Personen im Rahmen der einzelnen Verfahrensschritte oder bezüglich der Letztentscheidung der Vorzug eingeräumt wurde. Legt der Verbotsadressat diese Tatsache nicht freiwillig offen, wovon angesichts der bereits angesprochenen Sensibilisierung für diskriminierungsrechtliche Haftungsrisiken auszugehen ist, wird eine mögliche Beweisführung des Diskriminierungsopfers schon im Keim erstickt, zumal in Fällen der vorgenannten Art auch aussagekräftige Statistiken häufig nicht zur Verfügung stehen werden.373 Ursache für die strukturelle Beweisnot des Diskriminierungsopfers ist das Informationsgefälle zwischen dem Verbotsadressaten, der allein über die zur Begründung eines Anfangsverdachts erforderlichen Informationen verfügt (z.B. Bewerbungsunterlagen der dem Diskriminierungsopfer vorgezogenen Konkurrenten), und dem Diskriminierungsopfer, dem diese Informationen regelmäßig fehlen, da sich der Entscheidungsvorgang außerhalb seiner Sphäre abgespielt hat.374 Will man das Diskriminierungsopfer hier nicht gänzlich schutzlos stellen, muss zur Gewährleistung einer effektiven Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung das Informationsmonopol des Verbotsadressaten auf die eine oder andere Weise aufgebrochen werden. 375 373 

Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 156. Bestehen einer solchen strukturellen Beweisnot des Diskriminierungsopfers ist, anders als die Notwendigkeit ihrer Behebung, weitgehend anerkannt, vgl. nur Grünberger, Personale Gleichheit, S. 723; H. Hanau, EuZA 2013, 105 („offene Flanke des geltenden Antidiskriminierungsrechts“); P. Hanau, in: Festschrift Gnade, S. 351, 361; C. Picker, NZA 2012, 641; Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 161; Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 253; Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 93; a.A. aber Prütting, in: Festschrift 50 Jahre BAG, S. 1311, 1316, wonach sich die Beweisnot des Klägers nur auf die Motivation, nicht aber auf tatsächliche Ereignisse wie die Ungleichbehandlung als solche bezieht. 375  P. Hanau, in: Festschrift Gnade, S. 351, 361, der einen Auskunftsanspruch als „einziges Mittel“ betrachtet, der Beweisnot des Diskriminierungsklägers abzuhelfen, „ohne diesen andererseits, wie es bei einer völligen Beweislastumkehr wäre, zu Klagen auf Verdacht oder ins 374  Das

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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Ein möglicher Weg zur Erreichung dieses Ziels wäre es, dem Diskriminierungsopfer einen Auskunftanspruch gegen den Verbotsadressaten einzuräumen.376 Ein solche Vorgabe wurde im Vorfeld des Erlasses der Richtlinie 97/80/ EG auch tatsächlich erwogen,377 hat aber später keinen Eingang in den Richtlinientext gefunden und findet sich daher auch heute nicht im Text der Antidiskriminierungsrichtlinien der neuen Generation. Gleichwohl sah sich der EuGH in kurzer zeitlicher Folge gleich zweimal mit der Frage nach dem Bestehen eines Auskunftsanspruchs oder aber alternativer Beweiserleichterungen zur Beseitigung des Informationsgefälles der Parteien konfrontiert. Das erste Urteil, in welchem sich der EuGH mit der vorgenannten Frage zu befassen hatte, war das Urteil Kelly.378 Gegenstand des irischen Ausgangsverfahrens war die Weigerung einer Bildungseinrichtung, im Rahmen eines Diskriminierungsprozesses dem im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens um eine Berufsausbildung nicht berücksichtigten Kläger Unterlagen über das Verfahren der Bewerberauswahl in einer nicht redigierten Fassung offenzulegen. Das vorlegende irische Gericht stellte dem EuGH unter anderem die Frage, ob sich aus Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG ein Anspruch auf Informationen über die jeweiligen Qualifikationen der anderen Bewerber für den fraglichen Kurs und insbesondere derjenigen Bewerber ergebe, denen der Zugang zu der Berufsausbildung nicht verwehrt worden sei, damit der Bewerber bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen könne, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten ließen? Der EuGH verweist zunächst auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die in Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/80/EG vorgegebene Beweislastumkehr die Glaubhaftmachung von Tatsachen durch das potentielle Diskriminierungsopfer voraussetzt, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen und dass die Beurteilung dieser Frage den nationalen Gerichten

Blaue hinein anzuhalten.“ Ähnlich Sponholz, Rechtsfolgen von Diskriminierungen, S. 256, freilich ohne Festlegung, ob es sich hierbei um einen „echten“ (d.h. wohl materiell-rechtlichen) Auskunftsanspruch oder um ein „innerprozessuales Fragerecht“ handeln soll. Einen allgemeinen, aus § 242 BGB hergeleiteten materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch propagiert Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 185 ff. 376  Dezidiert für die Einführung eines Auskunftsanspruchs durch den (nationalen) Gesetzgeber Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 93. Einen konkreten Vorschlag zur Ausgestaltung eines Auskunftsanspruchs liefert P. Hanau, in: Festschrift Gnade, S. 351, 361 ff. mit Nachweisen zu weiteren Vorschlägen aus dem Schrifttum. Kritisch in Bezug auf die Praktikabilität dieses Ansatzes für andere Situationen als die Bewerbung um einen Arbeitsplatz Prütting, in: Festschrift 50 Jahre BAG, S. 1311, 1325. 377  Vgl. Artikel 5 lit b des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast bei geschlechtsbedingter Diskriminierung, KOM (1996) /340 endgültig, ABl. 1996, C 332/11. Zu Reglungsvorschlägen für einen Auskunftsanspruch nach deutschem Recht vgl. Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 169 ff. 378 EuGH, Rs. C-104/10, EU:C:2011:506 – Kelly.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

obliege.379 Sodann spezifiziert der EuGH allerdings die an die Würdigung des nationalen Gerichts zu stellenden Anforderungen wie folgt: „Es ist jedoch klarzustellen, dass mit der Richtlinie 97/80 nach ihrem Art. 1 eine wirksamere Durchführung der Maßnahmen gewährleistet werden soll, die von den Mitgliedstaaten in Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes getroffen werden, damit jeder, der sich wegen Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, seine Rechte nach etwaiger Befassung anderer zuständiger Stellen gerichtlich geltend machen kann. So sieht zwar Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie keinen spezifischen Anspruch einer Person, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, auf Einsichtnahme in Informationen vor, um sie in die Lage zu versetzen, „Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen“, gemäß dieser Bestimmung glaubhaft zu machen, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Beklagten im Rahmen des Nachweises solcher Tatsachen die Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels beeinträchtigen und auf diese Weise dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen kann.“380

Die Aussage des EuGH erstaunt. Zwar lehnt der EuGH, angesichts der Entstehungsgeschichte der Richtlinie wenig überraschend, die Herleitung eines Auskunftsanspruchs aus der Richtlinie ab. Zugleich misst der EuGH jedoch gleichwohl die Verweigerung von Informationen durch den Verbotsadressaten an dem in Artikel 1 der Richtlinie verankerten Gebot, eine wirksame Durchführung der von den Mitgliedstaaten zur Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung etablierten Rechtsfolgenregelungen zu gewährleisten. Die Frage, ob das Unionsrecht eine wie auch immer geartete Durchbrechung des Informationsmonopols des Verbotsadressaten gebietet, wird folglich mit der Verneinung eines Auskunftsanspruchs nicht abschließend im negativen Sinne beantwortet, sondern mit dem Verweis auf die Generalklausel des Artikels 1 der Richtlinie und das dahinter stehende allgemeine Gebot der effektiven Durchsetzung individueller unionaler Rechte lediglich auf eine abstraktere Ebene gehoben. Die Antwort, welche konkreten unionsrechtlichen Vorgaben sich hieraus entnehmen lassen, um das Informationsdefizit des potentiellen Diskriminierungsopfers auszugleichen, bleibt das Urteil freilich schuldig. Die kryptische Aussage, wonach „nicht ausgeschlossen werden kann“, dass die Verweigerung von Information die Verwirklichung des Richtlinienziels beeinträchtigten „kann“, vermag zur Erhellung wenig beizutragen.381 Eine Gelegenheit für den EuGH zur Präzisierung seiner Aussagen sollte allerdings nicht lange auf sich warten lassen. Denn bereits ein Jahr später musste 379 EuGH,

Rs. C-104/10, EU:C:2011:506, Tz. 30–32 – Kelly. Rs. C-104/10, EU:C:2011:506, Tz. 33, 34 – Kelly. 381  Zu Recht kritisch insoweit Thüsing/Stiebert, EuZW, 2012, 464, 465 in Bezug auf die wortgleiche Wiederholung dieser Passage im späteren Urteil Meister. 380 EuGH,

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der Gerichtshof im Verfahren Meister,382 diesmal auf Vorlage des BAG,383 erneut zu der Frage Stellung nehmen, inwieweit sich dem Unionsrecht Vorgaben zur Beseitigung des Informationsdefizits potentieller Diskriminierungsopfer entnehmen lassen. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war eine Schadensersatzklage wegen einer Diskriminierung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens. Die Beklagte veröffentlichte in der Presse eine Stellenanzeige für „eine/n erfahrene/n Softwareentwickler/-in“, auf die sich die im Jahre 1961 geborene Klägerin russischer Herkunft bewarb. Die Beklagte lehnte diese Bewerbung schriftlich ab, ohne die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Kurz danach erschien im Internet eine zweite Stellenanzeige der Beklagten, deren Inhalt dem der ersten Anzeige entsprach. Die Klägerin bewarb sich erneut um diese Stelle, doch lehnte die Beklagte ihre Bewerbung wiederum ab, ohne sie zu einem Gespräch einzuladen und ohne Gründe für diese Ablehnung anzugeben. Die Klägerin, die, von der Beklagten unbestritten, über die erforderlichen Qualifikationen verfügte, sah sich hierdurch wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert und verklagte die Beklagte auf Schadensersatz sowie auf Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers, um ihr den Nachweis zu ermöglichen, dass sie besser qualifiziert sei als Letzterer. Das letztinstanzlich mit dem Fall befasste BAG legte dem EuGH in diesem Kontext zwei Fragen vor. Zunächst wollte das Gericht wissen, ob sich aus den einschlägigen Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/ EG und 2006/54/EG ein Auskunftsanspruch hinsichtlich der Einstellung eines anderen Bewerbers und seiner Qualifikationen herleiten lasse. Darüber hinaus stellte das Gericht die Frage, ob der Umstand, dass der Arbeitgeber die geforderte Auskunft nicht erteile, eine Tatsache sei, welche das Vorliegen der vom Arbeitnehmer behaupteten Diskriminierung vermuten ließe. Der EuGH hat die Frage nach dem Bestehen eines Auskunftsanspruchs unter Bezugnahme auf seine Ausführungen im Urteil Kelly verneint.384 Interessanter sind dagegen die Ausführungen zur zweiten Vorlagefrage, die der EuGH allerdings unter der ersten Vorlagefrage385 behandelt. Der Gerichtshof führt hierzu aus:

382 EuGH,

Rs. C-415/19, EU:C:2012:217 – Meister. BAG NZA 2010, 1006. 384 EuGH, Rs. C-415/19, EU:C:2012:217, Tz. 39 – Meister. 385  Das vorlegende BAG hatte in seiner zweiten Vorlagefrage in sinnwidriger Weise danach gefragt, ob im Falle der Bejahung (!) eines Auskunftsanspruchs die Nichterteilung der Auskunft eine Tatsache sei, welche das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lasse. GA Mengozzi hatte dem Gerichtshof demgegenüber in seinen Schlussanträgen vorgeschlagen, die zweite Frage unabhängig vom Bestehen eines Auskunftsanspruchs zu beantworten (GA Mengozzi, Schlussanträge zu zu EuGH Rs. C-415/19, EU:C:2012:217 – Meister, Tz. 25–29, um hierdurch den Vorgaben der Antidiskriminierungsrichtlinien auch in einer Konstellation wie der vorliegenden zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Der Gerichtshof hat 383 

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

„Daher hat das vorlegende Gericht darüber zu wachen, dass die Auskunftsverweigerung durch Speech Design im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung zum Nachteil von Frau Meister vermuten lassen, nicht die Verwirklichung der mit den Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht. Es hat insbesondere bei der Klärung der Frage, ob es genügend Indizien gibt, um die Tatsachen, die das Vorliegen einer solchen Diskriminierung vermuten lassen, als nachgewiesen ansehen zu können, alle Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu berücksichtigen.“386 „Zu den Gesichtspunkten, die in Betracht gezogen werden können, gehört insbesondere der Umstand, dass, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil Kelly ergangen ist, der Arbeitgeber, um den es im Ausgangsverfahren geht, Frau Meister jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt.“387 „Darüber hinaus können, wie der Generalanwalt in den Nrn. 35 bis 37 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, insbesondere auch die Tatsache herangezogen werden, dass Speech Design nicht bestreitet, dass die Qualifikation von Frau Meister den Anforderungen in der Stellenanzeige entspricht, sowie die beiden Umstände, dass der Arbeitgeber sie gleichwohl nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat und dass sie auch im Rahmen des neuen Verfahrens zur Auswahl unter den Bewerbern um die Besetzung der betreffenden Stelle nicht eingeladen wurde.“388

Mit der Möglichkeit, die vollständige Informationsverweigerung seitens des Beklagten im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung zu werten, hat der EuGH einen gangbaren Weg gewiesen, das Informationsmonopol des Beklagten aufzubrechen und hierdurch Waffengleichheit der Parteien im Diskriminierungsprozess herzustellen. Zwar gilt im Zivilprozess der Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet werden darf, ihrem Prozessgegner die zur erfolgreichen Prozessführung notwendigen Informationen zu verschaffen.389 Dieser Grundsatz kann aber in Fällen struktureller Beweisnot jedenfalls dann nicht uneingeschränkt gelten, wenn sich der gesamte gerichtlich zu würdigende Vorgang in der Sphäre des Prozessgegners abspielt. Soweit es sich um den Beweis des Vorhandenseins einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime handelt, tragen die Richtlinien der Beweisnot des potentiellen Diskriminierungs nach dem Sphärengedanken bereits durch eine Umkehr der Beweislast auf der zweiten Ebene Rechnung, sofern (äußere) Indizien auf der ersten Ebene den Schluss auf das Vorhandensein einer diskriminierendiesen Vorschlag aufgegriffen, dies allerdings im Rahmen der ersten Vorlagefrage, während die zweite Vorlagefrage verneint wurde. 386 EuGH, Rs. C-415/19, EU:C:2012:217, Tz. 42 – Meister. 387 EuGH, Rs. C-415/19, EU:C:2012:217, Tz. 44 – Meister. 388 EuGH, Rs. C-415/19, EU:C:2012:217, Tz. 45 – Meister. 389  Zu diesem Grundsatz RGZ 63, 408, 410, BGH NJW 1958, 1491, 1492; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, S. 137. Auf die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes gerade auch im Diskriminierungsprozess verweisen Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 158 sowie (mit sarkastischem Unterton) Wackerbarth, ZIP 2012, 1055.

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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den Entscheidungsmaxime nahelegen. Das Informationsmonopol des Verbotsadressaten und die damit korrespondierende Beweisnot des Diskriminierungsopfers bestehen aber gleichermaßen auf der ersten Ebene, da nur der Verbots­ adressat über Informationen zum Bewerberfeld und dem von ihm bevorzugten Bewerber verfügt.390 Wie Generalanwalt Mengozzi in seinen Schlussanträgen zum Verfahren Meister zutreffend feststellt, ist der Diskriminierungskläger im Hinblick auf die Beschaffung dieser Informationen vollständig vom guten Willen des Beklagten abhängig.391 Hält sich dieser an die von Seiten der Anwaltschaft bereits frühzeitig ausgegebene Marschroute „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“,392 droht ihm selbst im Falle flächendeckender Diskriminierungen kein Ungemach. Die prekäre Beweissituation des Diskriminierungsklägers in Bewerbungsverfahren führt, wenn auch eher unfreiwillig, die Stellungnahme der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH in geradezu drastischer Weise vor Augen. So schlägt der Vertreter der Bundesregierung als alternative Methode zur Informationsbeschaffung für abgewiesene Stellenbewerber ernsthaft vor, diese möchten sich mit dem Betriebsrat in Verbindung setzen oder sich beim Arbeitsantritt an den Ort der Tätigkeit begeben, um dort die anwesenden Arbeitnehmer nach „Kategorien“ zu erfassen.393 Ganz davon abgesehen, dass dieser Vorschlag eines gewissen Zynismus nicht entbehrt, macht er eindrucksvoll deutlich, dass eine effektive Durchsetzung des individuellen Rechts auf Nichtdiskriminierung ohne weitergehende, über die Beweislastvorgaben der Richtlinien hinausgehende Beweiserleichterungen nicht gewährleistet werden kann. Nachdem sich der Unionsgesetzgeber gegen einen generellen Auskunftsanspruch des Diskriminierungsklägers entschieden hat, erscheint die Berücksichtigung der Auskunftsverweigerung im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung ein gangbarer Weg, dem unionsrechtlichen Gebot der effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Zwar kann die Knüpfung negativer prozessualer Folgen an eine Auskunftsverweigerung, je nach Sachverhalt, durchaus zu einem faktischen Auskunftsanspruch des Diskriminierungsklägers

390  Nicht zutreffend ist vor diesem Hintergrund die Feststellung von Adomeit/Mohr, AGG, § 22 Rn. 89, wonach die Beweislastregelung des § 22 AGG ein Funktionsäquivalent zu einem Auskunftsanspruch darstellt, denn dieser Auskunftsanspruch soll sich ja gerade nicht auf die von der Beweislastumkehr erfasste Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal, sondern auf das Vorliegen der hierauf deutenden Indiztatsachen beziehen. 391 GA Mengozzi, Schlussanträge zu EuGH Rs. C-415/19, EU:C:2012:217 – Meister, Tz. 32. 392  Vgl. stellvertretend für eine Vielzahl solcher Ratschläge Grobys, NJW-Spezial 2007, 81, 82. 393  Zitiert nach GA Mengozzi, Schlussanträge zu EuGH Rs. C-415/19, EU:C:2012:217 – Meister, Tz. 32; vgl. in diesem Kontext auch die zutreffende Feststellung von Wiedemann, Gleichbehandlungsgebote, S. 93, wonach Diskriminierungskläger, die nicht schon Mitarbeier sind, Gefahr laufen, eine Klage „ins Blaue“ erheben zu müssen.

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führen.394 Der hierauf basierende Vorwurf der Inkonsequenz395 ist jedoch unberechtigt. Zum einen besteht ein gewichtiger Unterschied zwischen einem selbständig einklagbaren Auskunftsanspruch und einer Auskunftsobliegenheit zur Vermeidung von Nachteilen im Prozess.396 Zum anderen soll eine solche Auskunftsobliegenheit, anders als ein Auskunftsanspruch, nach den Feststellungen des EuGH gerade nicht generell in jedem Diskriminierungsprozess, sondern nur unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Falles bestehen. Mit in die Betrachtung einzubeziehen sind damit insbesondere solche Umstände, die für sich allein kein Indiz für eine Diskriminierung zu begründen vermögen wie etwa die Tatasche, dass es sich bei dem Diskrimierungskläger um den Träger eines oder mehrerer verbotener Merkmale handelt oder dieser das in der Stellenoder Miet­an­zeige enthaltene Anforderungsprofil erfüllt.397 Treffen, wie im Fall Meister, beide letztgenannten Tatsachen zu, so legt die zusätzliche Weigerung des Beklagten zur Herausgabe jedweder Information über den vorgezogenen Bewerber und dessen Qualifikationen in der Tat den Schluss auf ein diskriminierendes Motiv nahe, welchen der Diskriminierungsbeklagte dann im Wege des Gegenbeweises beseitigen muss.398 Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, die Verweigerung der Auskunft könnte vielfältige andere Gründe haben, weil der Verbotsadressat nicht gezwungen sei, den objektiv bestqualifizierten Bewerber auszusuchen.399 Dies ist zweifellos zutreffend, ändert aber nichts daran, dass eine deutliche objektive Besserqualifikation des Diskriminierungsklägers im Vergleich zum bevorzugten Bewerber ein mögliches Indiz für eine Ungleichbehandlung sein kann, weil in der Regel das subjektive Anforderungsprofil des Verbotsadressaten dem objektiven Anforderungsprofil zumindest im Groben entsprechen wird. Verweigert man dem Diskriminierungskläger bereits an dieser Stelle den Zugriff auf die zur Durchführung eines Personenvergleichs nach objektiven Kriterien erforderlichen Fakten, schneidet man ihm zugleich die Beweisführung auf Basis des Vergleichspersonenkonzepts im Ganzen ab. Es verbleiben dann nur die wenigen Fälle, in denen der Verbotsadressat so ungeschickt war, sein diskriminierendes Motiv unmittelbar offenzulegen.

394 

C. Picker, NZA 2012, 641, 643. Forst, EWiR 2012, 265; ähnlich C. Picker, NZA 2012, 641, 643, Schmidt, ZESAR 2012, 417, 420. 396 Ähnlich Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 Rn. 8, der es nicht für inkonsequent hält, das Schweigen des Arbeitgebers einerseits als zulässige Rechtsausübung zu qualifizieren, andererseits aber die Ausübung dieses Rechts mit einem prozessualen Nachteil zu verknüpfen. 397 Nach P. Hanau, in: Festschrift Gnade, S. 351, 361 soll sogar allein die objektive Eignung des Bewerbers zur Begründung des de lege ferenda einzuführenden Auskunftsanspruchs ausreichen. 398 A.A. C. Picker, NZA 2012, 641, 643 (kein allgemeiner Erfahrungssatz); wie hier Thüsing/Stiebert, EuZW 2012, 462, 465, die diese Schlussfolgerung allerdings für trivial halten. 399  So aber Kock, NJW 2012, 2497, 2499. 395 

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Grundsätzlich besteht damit in den Fällen, in denen es sich bei dem die Mindestanforderungen erfüllenden Diskriminierungskläger um den Träger eines in dieser Konstellation verdächtigen Merkmals handelt, eine Obliegenheit des Beklagten, dem Kläger die zur Duchführung eines Personenvergleichs auf objektiver Grundlage erforderlichen Basis­informationen zu liefern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in Bezug auf den Umfang und die Art der herauszugebenden Information den Belangen des Diskriminierungsbeklagten und betroffener Dritter Rechnung getragen wird.400 So besteht aus Sicht von Arbeitgebern ein grundlegendes wirtschaftliches Bedürfnis nach weitestgehender Geheimhaltung interner Anforderungsprofile an Stellenbewerber.401 Als problematisch kann sich eine Auskunftsobliegenheit des Beklagten zudem unter dem Gesichtspunkt des Interesses erfolgreicher Mitbewerber auf Nichtpreisgabe ihrer persönlichen Daten erweisen, dessen Schutz sich die Union auf der Ebene folgt des Primärrechts wie des Sekundärrechts verschrieben hat.402 Mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsinteresse des Diskriminierungsklägers und dem Aspekt des Datenschutzes hatte sich der EuGH auf Nachfrage des vorlegenden Gerichts bereits im Urteil Kelly zu befassen und antwortete hierauf wie folgt: „Bei der Beurteilung solcher Umstände [der Auswirkungen der Informationsverweigerung auf die praktische Wirksamkeit des Diskriminierungsverbots] müssen die nationalen Gerichte oder anderen zuständigen Stellen die Vertraulichkeitsbestimmungen berücksichtigen, die sich aus den Akten des Unionsrechts wie der Richtlinie 95/46/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) und der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. L 337, S. 11) geänderten Fassung ergeben. Der Schutz personenbezogener Daten ist auch in Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehen.“403

Aus den Feststellungen des EuGH folgt, dass die Gerichte nur die Verweigerung solcher Informationen als Indiz für eine Diskriminierung werten dürfen, durch deren Preisgabe die vom Gerichtshof benannten Rechtspositionen Drit400  Zum Gebot einer Abwägung des Interesses der beweislastbelasteten Partei an der Beseitigung ihrer Beweisnot mit gegenläufigen (Geheimhaltungs-)Interessen der nicht-beweisbelasteten Partei vgl. Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 254 ff. (bezogen auf einen materiell-rechtlichen Informationsanspruch). 401 Vgl. Adomeit/Mohr, AGG, Einführung Rn. 91 (im Hinblick auf die ausgewogene Altersstruktur). 402  Den Aspekt des Datenschutzes betonen auch Schmidt, ZESAR 2012, 417, 421 und C. Picker, NZA 2012, 641, 643; eingehend Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 163 ff. 403 EuGH, Rs. C-104/10, EU:C:2011:506, Tz. 55 – Kelly, Hinzufügungen (eckige Klammern) durch Verfasser.

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ter nicht beeinträchtigt werden. Das Bedürfnis nach weitestmöglichen Schutz dieser Rechtspositionen sowie der eingangs erwähnten Interessen des Beklagten selbst gebietet somit, die prozessuale Obliegenheit zur Auskunftserteilung auf die zur Etablierung eines Anfangsverdachts absolut notwendigen Informationen zu beschränken. Nötig aber auch ausreichend zur Begründung eines Indizes für das Vorliegen einer Diskriminierung im Zusammenhang mit einem Stellenbewerbungsverfahren sind etwa Angaben zur Merkmalsausprägung und objektiven Qualifikation (Ausbildungsgrad, Zeugnisnoten, Berufserfahrung) des oder der jeweils bevorzugten Bewerber(s). Die Nennung von Namen oder gar die Zurverfügungstellung der kompletten Bewerbungsunterlagen ist dagegen nicht erforderlich.404

d) Gegenbeweis des Beklagten Kann der Diskriminierungskläger das Vorliegen von Indizien für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot darlegen und beweisen, so ist es nunmehr an dem Beklagten, den vollen Nachweis dafür zu erbringen, dass seiner den Diskriminierungskläger benachteiligenden Entscheidung keine diskriminierende, an ein verbotenes Merkmal anknüpfende Entscheidungsmaxime zugrundelag. Dies wird ihm in all den Fällen nur schwer gelingen, in denen die vom Diskriminierungskläger vorgebrachten Indizien einen unmittelbaren Rückschluss auf das Vorliegen einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime zulassen. Wie will etwa der Beklagte im Falle einer nicht merkmalsneutralen Stellenausschreibung („junges Team“) oder entsprechender Äußerungen im Rahmen oder im Vorfeld des Bewerbungsverfahrens („Keine Vermietung an Neger“; Fragen nach einer Schwangerschaft) zur Überzeugung des Gerichts dartun, dass das in Rede stehende Merkmal bei der vertragsbezogenen Entscheidung keine Rolle gespielt hat? Nur geringfügig besser stehen die Chancen des Beklagten, wenn das Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung auf dem Vergleichspersonenkonzept basiert. Wurde dem Diskriminierungskläger der Abschluss eines Vertrages (z.B. der Einlass zu einer Diskothek) verweigert, der mit Personen anderer Merkmals­ ausprägung nachweislich zustandegekommen ist, kann sich der Beklagte letztlich nur auf Kapazitätsgrenzen (volle Auslastung) oder Gründe in der Person des Klägers (Gewaltbereitschaft) berufen, die diesen für den Abschluss des Vertrages oder dessen Durchführung als nicht geeignet erscheinen lassen. Am günstigsten scheint sich die Beweissituation für den Beklagten noch bei Auswahlverfahren im Zusammenhang mit der Besetzung einer Stelle oder der Vermietung einer 404  C. Picker, NZA 2012, 641, 643 wendet gegen eine anonymisierte Mitteilung der Daten des erfolgreichen Bewerbers ein, im Facebook-Zeitalter sei deren Individualisierung anhand der mitgeteilten Grunddaten jederzeit möglich. Es leuchtet aber schlicht nicht ein, wie allein anhand einer Mitteilung wie „männlicher Bewerber, 48 Jahre alt, Diplomabschluss mit Note 2,3, 15 Jahre Berufserfahrung“ auf eine konkrete Person rückgeschlossen werden soll.

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Wohnung zu gestalten, weil hier anders als bei Massengeschäften im Hinblick auf die begrenzte Kapazität notgedrungen eine Auswahl zwischen verschiedenen Bewerbern nach subjektiven, durch den Beklagten aufgestellten Kriterien getroffen werden muss. Auch insoweit sind die Möglichkeiten des Gegenbeweises durch den Beklagten aber eingeschränkt, wenn als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung die objektive Besserqualifikation des abgewiesenenen Bewerbers herangezogen wurde. Denn in diesem Fall lässt sich der von Beklagten zu führende Gegenbeweis nur auf Basis eines subjektiven Anforderungsprofils erbringen. Dieses kann zwar durchaus persönliche Eigenschaften wie etwa das sympathische Auftreten oder die Teamfähigkeit des Bewerbers umfassen. Das Bestehen eines solchen, von objektiven Kriterien abweichenden Anforderungsprofils muss der Arbeitgeber aber nicht nur behaupten, sondern zur vollen Überzeugung des Gerichts beweisen, was ihm umso eher gelingen wird, als die von ihm behaupteten Anforderungen für das Gericht objektiv nachvollziehbar sind. Gerade in Bezug auf persönliche Eigenschaften ist hier Skepsis angebracht, weil die Entscheidung auf Basis solcher Kriterien ein erhöhtes Maß an Auseinandersetzung mit dem Bewerberfeld voraussetzt. So wird etwa die Glaubhaftigkeit der Behauptung eines Arbeitgebers, den eingestellten Bewerber gerade wegen seines sympathischen Auftretens oder aufgrund seiner Teamfähigkeit dem Kläger vorgezogen zu haben, durch den Umstand erschüttert, dass Letzterem noch nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt wurde, seine persönlichen Eigenchaften im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs unter Beweis zu stellen.

2. Subjektive Bestqualifikation bei der Bewerbung um eine Beschäftigung Durch die in den Richtlinien vorgegebene Beweislastumkehr und die – je nach Fallkonstellation – vorgelagerte Auskunftsobliegenheit des Beklagten wird in Bezug auf das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot ein ausreichender prozessualer Schutz potentieller Diskriminierungsopfer gewährleistet, der diesen eine effektive Wahrnehmung ihrer Rechte ermöglicht. Die insoweit unionsrechtlich vorgegebenen Beweiserleichterungen kommen aber nur im Hinblick auf die Frage zum Tragen, ob eine verbotene Diskriminierung als solche zu bejahen ist.405 Bestimmte Ansprüche des Diskriminierungsopfers sind jedoch an den Nachweis weiterer Tatsachen geknüpft. So kommt ein Kontrahierungszwang (bei Verletzung des zivilrechtlichen Diskriminierungsverbotes), aber auch ein auf den Ersatz des vollen aus der Vertragsverweigerung resultierenden materiellen Schadens im Falle der Nichtberücksichtigung in einem Auswahlverfahren nur dann in Betracht, wenn der abgewiesene Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl zum Zuge gekom405 

So zu § 22 AGG Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 Rn. 23.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

men wäre.406 Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn es sich bei dem abgewiesenen Bewerber um den subjektiv, das heißt, aus Sicht des Verbotsadressaten bestqualifizierten Bewerber gehandelt hat. Indem das subjektive Anforderungsprofil des Verbotsadressaten als innere Tatsache dem abgewiesenen Bewerber aber regelmäßig verborgen bleiben wird, befindet sich dieser auch insoweit in einer strukturellen Beweisnot,407 während der Verbotsadressat anderseits über die Informationen verfügt, um zur Aufklärung in Bezug auf seine eigene Motivation beizutragen. Der EuGH trägt diesem Umstand im Urteil Draehmpaehl Rechnung, indem er dem Arbeitgeber den Nachweis auferlegt, dass es sich bei dem aus diskriminierenden Gründen abgewiesenenen Stellenbewerber nicht um den subjektiv bestqualifizierten Bewerber gehandelt hat.408 Gerade in dieser, im Schrifttum wenig beachteteten Vorgabe des EuGH manifestiert sich, wie an anderer Stelle dargelegt, das vom EuGH etablierte Modell eines Rechtsschutzes durch vollen Schadensausgleich, in welchem der Ersatz des materiellen Schadens eine zentrale Funktion einnimmt.409 Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Herstellung individueller Chancengleichheit als auch im Hinblick auf die gebotene Ab­ schreckung des Verbotsadressaten. Denn was könnte abschreckender sein als das Risiko, im Falle einer verbotenen Diskriminierung in einem Auswahlverfahren (z.B. der Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch) den vollen aus der Vertragsverweigerung resultierenden Schaden auch einem solchen Bewerber ersetzen zu müssen, der unter Zugrundelegung der subjektiven Anforderungen des Verbotsadressaten auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht zum Zuge gekommen wäre? Und dieses Risiko besteht nach der vom EuGH vorgegebenen Beweislastumkehr durchaus, wenn die objektive Qualifikation des abgewiesenen Bewerbers die des vorgezogenen Bewerbers übersteigt. Letzteres ist wiederum zwangsläufig der Fall, wenn bereits das Vorliegen einer Diskriminierung (im Bewerbungsverfahren) nur auf Grundlage des Vergleichspersonenkonzepts bewiesen wurde, weil sich die Vermutung einer Diskriminierung hier ja gerade auf der objektiven Besserqualifikation des abgewiesenen Bewerbers im Vergleich zum bevorzugten Mitbewerber gründet. Der vom Arbeitgeber zu führende Gegenbeweis lässt sich dagegen, hier wie dort, letztlich nur auf Basis eines subjektiven Anforderungsprofils erbringen, dessen tatsächliches Bestehen der Arbeitgeber zur Überzeugung des Gerichts darzulegen und beweisen hat. Hier gilt im Hinblick auf die Plausibilität des Beklagtenvortrags das bereits zum Gegenbeweis des Beklagten in Bezug auf das Vorliegen einer Diskriminierung als solcher Gesagte. 406 

Siehe dazu oben A. II. 2. b) und B. I. 2. b) cc) (2). So auch P. Hanau, in: Festschrift Gnade, S. 351, 263 („Vorgang, ganz in der Sphäre des Arbeitgebers“). 408 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 36 – Draehmpaehl. 409  Siehe dazu oben B. I. 2. b) cc) (2). 407 

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3. Auswirkungen und Grenzen des prozessualen Vergleichspersonenkonzepts a) Objektivierung subjektiver Entscheidungsmaxime als Preis für die effektive Durchsetzung des Diskriminierungsverbots Unterzieht man die unionsrechtlich vorgebenen Beweiserleichterungen zugunsten des Diskriminierungsklägers einer Gesamtbetrachtung, so fällt als wesentliches Charakterisitikum die hierdurch bewirkte Objektivierung subjektiver Entscheidungsprozesse ins Auge. Denn überall dort, wo der Beklagte die seinen Entscheidungen zugrundeliegende diskriminierende Entscheidungsmaxime nicht selbst, etwa durch eine nicht merkmalsneutrale Stellenausschreibung oder entlarvende Äußerungen, offenlegt, erfolgt bereits der Nachweis des Vorliegens einer Diskriminierung ausschließlich auf Grundlage des Vergleichs­ personenkonzepts. In Bezug auf den zur Begründung bestimmter Ansprüche zusätzlich erforderlichen Nachweis der subjektiven Bestqualifikation des Bewerbers gilt dies allemal. Das Vergleichspersonenkonzept basiert aber auf einem anhand objektiver Kriterien durchgeführten Vergleich. Ist der Diskriminierungskläger nach objektiven Kriterien wie etwa seinem Ausbildungsstand im Vergleich zum bevorzugten Bewerber als besser qualifiziert zu betrachten, ist es am Beklagten, zur Überzeugung des Gerichts darzutun, aus welchen subjektiven Erwägungen heraus er gleichwohl letzterem Bewerber den Vorzug vor dem Diskriminierungskläger gegeben hat. Gegenstand des Diskriminierungsprozesses ist damit in der Mehrzahl der Fälle letztlich die Plausibilität einer solchen Motivation, welche wiederum in dem Maße steigt, in dem sie für das Gericht objektiv nachvollziehbar erscheint. Diese auf prozessualen Gründen beruhende Objektivierung der subjektiven Entscheidungsprozesse beim Verbotsadressaten steht indes in einem gewissen Widerspruch zum materiell-rechtlichen Wesenskern von Diskriminierungsverboten. Denn diese Verbote zeichnet es ja gerade aus, dass sie, anders als der allgemeine Gleichheitsgrundsatz, gerade kein umfassendes Verbot willkürlicher Ungleichbehandlungen statuieren, sondern ausschließlich die Anknüpfung an bestimmte tatbestandlich festgelegte Unterscheidungsmerkmale verbieten.410 So ist auch der Adressat der im AGG geregelten, unional determinierten Diskriminierungsverbote im Grundsatz völlig frei darin, welche Kriterien er seinen privatrechtsbezogenen Entscheidungen zugrundelegt, selbst wenn diese einem objektiven Betrachter als nicht nachvollziehbar oder gar unvernünftig erscheinen mögen. Der prozessual bedingte Zwang, diese Kriterien einer gerichtlich objektivierten Plausibilitätskontrolle zu unterwerfen, schränkt diese 410 Diesen Aspekt betonen nahezu alle Kritiker des EuGH-Urteils Meister, so etwa H. Hanau, EuZA 2013,105, 109; Kock, NJW 2012, 2497, 2499; Wackerbarth, ZIP 2012, 1055; vgl. auch die Folgeentscheidung des BAG, NJOZ 2013, 1699, Tz. 46.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

Freiheit wenn nicht rechtlich so doch faktisch bis zu einem gewissen Grade ein und nähert die Diskriminierungsverbote des AGG ein Stück weit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz an. Diese auf materiellrechtlicher Ebene nicht vorgesehene, weitergehende Einschränkung der Privatautonomie ist aber letztlich um der effektiven Durchsetzung des Diskriminierungsverbotes willen hinzunehmen. Denn angesichts der strukturellen Beweisnot des Klägers im Diskriminierungsprozess kämen die unionalen Diskriminierungsverbote andernfalls nur in den (zunehmend) seltenen Fällen zur Anwendung, in denen der Verbotsadressat so ungeschickt war, seine Motivation offenzulegen. Sanktioniert würde mithin nicht die Diskriminierung als solche, sondern die Geschwätzigkeit des Verbotsadressaten. Den unional determinierten Diskriminierungsverboten müsste man in diesem Fall den Charakter als reines Symbolrecht bescheinigen, welches über eine Apellfunktion hinausgehend nicht in der Lage wäre, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu gestalten. Mit dem Anspruch des unionalen Antidiskriminierungsrechts, über die Herstellung tatsächlicher Chancengleichheit gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen,411 wäre ein solches Ergebnis aber ebenso unvereinbar wie mit dem allgemeinen Grundsatz, dass durch das Unionsrecht eingeräumte oder vorgegebene subjektive Rechte einer effektiven materiellrechtlichen wie prozessualen Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfen.412 Auf der anderen Seite gestaltet sich die Einschränkung der Privatautonomie durch die prozessuale Objektivierung subjektiver Entscheidungsprozesse nicht gar so weitgehend, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn es besteht ein gewichtiger Unterschied zwischen einer Plausibilitätskontrolle anhand objektiver Kriterien und einer nach ebensolchen Kriterien durchgeführten sachlichen Rechtfertigung. So müssen die Gerichte nach dem vom EuGH zugrundegelegten Modell der Erkennntisgewinnung im Diskriminierungsprozess auch eine ihnen als nicht sachlich gerechtfertigt erscheinende subjektive Motivation des Beklagten letztlich akzeptieren, wenn sie zu der Überzeugung gelangt sind, dass diese beim Verbotsadressaten tatsächlich vorgelegen hat. Diese Überzeugung beim Gericht herbeizuführen obliegt aber allein dem Verbotsadressaten. Möchte ein Arbeitgeber seine Entscheidungen in einem Stellenberwerbungsverfahren etwa auf die Teamfähigkeit oder andere persönliche Eigenschaften des Bewerbers stützen, so muss er diesem zunächst die Möglichkeit gegeben haben, diese in einem Bewerbungsgepräch zu präsentieren. Wurde der Kläger bereits nicht eingeladen, wird sich ein Gericht nur schwer davon überzeugen lassen, dass dieses Kriterium und nicht etwa das Vorliegen eines verbotenen Merkmals für die zu Überprüfung anstehende Entscheidung des Beklagten ausschlaggebend gewesen ist. Hat ein solches Gespräch dagegen in Bezug auf alle in 411 

412 

Siehe oben Erster Teil § 2 A und Dritter Teil § 2 B. I. 1. Siehe oben § 1 D. I. 2. b).

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den Vergleich einzubeziehenden Bewerber stattgefunden, stößt die gerichtliche Plausibilitätskontrolle an ihre Grenzen und die Begründung des Beklagten ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte für das Vorliegen einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime als gegeben hinzunehmen. Das durch den EuGH zugrundegelegte Modell der Erkenntnisgewinnung im Diskriminierungsprozess bewirkt damit in Wahrheit keine weitergehende, über das materiell-rechtliche Anknüpfungsverbot hinausgehende Einschränkung der Privatautonomie des Verbotsadressaten. Vielmehr lenkt es dessen privatautonome Entscheidung in ein festes, die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung erhöhendes formelles Korsett und gewährleistet auf diese Weise den etwa im deutschen Verfassungsrecht vielbeschworenen Rechtsschutz durch Verfahren.413 Bereits hiermit ist aber für die Träger eines verbotenen Merkmals viel gewonnen. Denn indem der Verbotsadressat gezwungen wird, zur Vermeidung spürbarer Schadensersatzzahlungen ein objektiv überprüfbares Verfahren zu gewährleisten, wird er im Rahmen der Durchführung dieses Verfahrens mit der Möglichkeit konfrontiert, Merkmalsträgern eine Chance einzuräumen, deren Berücksichtigung er andernfalls überhaupt nicht in Betracht gezogen hätte. Unreflektierten diskriminierenden Entscheidungsmaximen, die einen nicht unerheblichen Teil verbotener Diskriminierungen ausmachen,414 wird somit ein Riegel vorgeschoben.

b) Die Grenzen des Vergleichspersonenkonzepts in Abhängigkeit zur Leistungspflicht des potentiellen Diskriminierungsopfers Das vom EuGH zugrundegelegte, auf der Objektivierung subjektiver Entscheidungen basierende Konzept der Erkenntnisgewinnung im Diskriminierungsprozess stößt allerdings in bestimmten Konstellationen an seine Grenzen. Ein solches Konzept greift nämlich nur im Hinblick auf Vertragstypen, wo sich die Plausibilität einer subjektiven Entscheidungsmaxime des Verbotsadressaten auf Grundlage einer breiten Basis objektiv vertragsrelevanter Kriterien überprüfen lässt. Letztereres ist immer dann der Fall, wenn, wie etwa beim Arbeitsvertrag, das potentielle Diskriminierungsopfer die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat. Hat dagegen das potentielle Diskriminierungsopfer nur die Geldleistung zu erbringen, reicht die Dichte an objektiv vertragsentscheiden413  Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss bereits ein Verwaltungsverfahren so ausgestaltet sein, dass Grundrechtsverstößen möglichst vorgebeugt wird. Vgl. etwa BVerfG, Az. BvR 1022/78, E 52, 380, Tz. 26 (schweigender Prüfling); BVerfG Az. 1 BvR 385/77, E 53/30; Tz. 65 ff. – Mühlheim-Kärlich. Auch im Antidiskriminierungsrecht wird die Bedeutung von Verfahrensverstößen als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung betont, vgl. etwa Adomeit/Mohr, AGG, § 3 AGG Rn. 37. Einschränkend Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 AGG Rn. 12b (nur bei Bezug auf eines der in § 1 AGG genannten Merkmale). 414  Zur grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, dass dem Verbotsadressaten das Vorhandensein seiner eigenen diskriminierenden Entscheidungsmaxime nicht bewusst ist, siehe oben Dritter Teil § 2 C. II. 3. b) bb).

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

den Kriterien regelmäßig nicht aus, um im Falle einer Abweichung von diesen Kriterien durch den Verbotsadressaten ein Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung zu begründen. Bestes Beispiel für einen solchen Vertragstyp ist der Mietvertrag, bei welchem sich nur wenige objektive Kriterien ausmachen lassen, die einen Mietinteressenten schon in objektiver Hinsicht als geeignet oder ungeeigneten Vertragspartner erscheinen lassen. Ausschlaggebend im Hinblick auf die Hauptleistung des Mieters ist allein die Zahlungsfähigkeit und -Willigkeit, die aber bei der Mehrzahl der Mietinteressenten gegeben sein wird. Bezieht man auch die etwaigen Nebenpflichten des Mieters wie die Pflicht zum pfleglichen Umgang mit der Mietsache mit ein, kommen zwar eine Anzahl weiterer Kriterien hinzu (Nichtraucher, keine Haustiere, geringe Anzahl der einziehenden Personen), die aber ebenfalls durch eine Vielzahl der Bewerber erfüllt werden dürften und sich im Übrigen teilweise der Nachprüfbarkeit entziehen. Insbesondere in Zeiten der Wohnungsknappheit dürfte somit regelmäßig eine Vielzahl von Bewerbern in objektiver Hinsicht als gleich gut geeignet erscheinen. Kommt es in diesem nur wenig eingeengten Bewerberfeld zu einer merkmalsbezogenen Ungleichbehandlung, lässt sich deren Vorliegen kaum anhand eines auf objektiven Kriterien basierenden Personenvergleichs vermuten. Denn es können letztlich tausend Gründe gewesen sein, die den Vermieter zur Auswahl des bevorzugten Nichtmerkmalsträgers und der damit einhergehenden Ablehnung des Diskriminierungsklägers bewogen haben. Mangels Indizwirkung eines objektiven Anforderungsprofils scheitert hier somit regelmäßig die prozessuale Etablierung einer Diskriminierung nach dem Vergleichspersonenkonzept, was die Effektivität des Diskriminierungsschutzes im Hinblick auf Mietverträge und andere Verträge, bei denen der Verbotsadressat die vertragscharakteristische Leistung erbringt, empfindlich einschränkt.

III. Deutsches Recht Im deutschen Recht wurden die unionsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Beweislastverteilung im Diskriminierungsprozess nur teilweise umgesetzt. Nicht zu bemängeln ist die Umsetzung der in den Antidiskrimierungsrichtlinien geforderten Beweislastumkehr in Bezug auf das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot, welche in § 22 AGG statuiert wird. Nach dieser Vorschrift trägt der Beklagte die Beweislast für das Nichtvorliegen einer verbotenen Diskriminierung, „wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen“. Die Vorschrift entspricht den unionsrechtlichen Anforderungen, vermeidet aber den Formulierungsfehler der Vorgängerregelung in § 611a Abs. 1 S. 3 BGB, die sich in allzu enger Anlehnung an den Wortlaut der Richtlinie 97/80/EG noch mit einer „Glaubhaftmachung“ der Indiztatsache begnügt hatte. Das Unionsrecht fordert eine solche Absenkung des Beweismaßes in Be-

§ 2 Die privatrechtlichen Rechtsbehelfe im Einzelnen

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zug auf die Indiztatsachen aber, wie oben dargelegt, gerade nicht.415 Es bedarf daher auch keiner unionsrechtskonformen Auslegung der Vorschrift in diese Richtung.416 Zudem hatte die Vorgängerregel im Schrifttum insoweit Verwirrung ausgelöst, als sich mit der Nennung des technischen Terminus „Glauhaftmachung“ die Frage stellte, ob hiermit auch ein Verweis auf die in § 294 ZPO aufgeführten Beweismittel einherging.417 Zu Recht hatte daher das BAG bereits die Vorgängerregelung in § 611a Abs. 1 S. 3 BGB dahingehend interpretiert, dass der klagende Arbeitnehmer die Beweislastumkehr nur dadurch herbeiführen konnte, dass er die auf eine Diskriminierung hindeutenden Hilfstatsachen „darlegt und ordnungsgemäß unter Beweis stellt“.418 Die Neuregelung in § 22 AGG vermeidet durch den Verzicht auf den Begriff der Glaubhaftmachung und die anstelle dessen nunmehr aufgestellte Forderung nach dem „Beweis“ der Indiztatsachen jede Unklarheit hinsichtlich des Beweismaßes, indem sie den Vollbeweis derselben ausdrücklich anordnet.419 Dieser Deutung der Vorschrift hat sich der BGH angeschlossen.420 Hinsichtlich der Frage, welche Tatsachen als Indizien für eine Diskriminierung herangezogen werden können, um eine Beweislastumkehr im Sinne des § 22 AGG herbeizuführen, enthält die Regelung naturgemäß keine konkreten Angaben, da die Bestimmung dieser Tatsachen, wie die Beweiswürdigung im Allgemeinen, auch nach den Vorstellungen des Unionsgesetzgebers den nationalen Gerichten vorbehalten bleiben soll.421 Dies betrifft grundsätzlich auch die Frage, inwieweit eine verweigerte Auskunft über die Merkmalsausprägung und objektive Qualifikation bevorzugter Mitbewerber als Indiz für eine Diskriminierung zu werten ist. Gleichwohl hatte der EuGH diesbezüglich im Urteil Meister422 gewisse Leitlinien vorgegeben, die das BAG in seiner Folgeentscheidung423 nur unzureichend umgesetzt hat. Ausgangspunkt für die Feststellungen des EuGH war der vom Generalanwalt herausgearbeitete Umstand, dass es einem Bewerber aufgrund seiner externen Stellung nahezu unmöglich 415 

Siehe dazu oben II. 1. c) bb). Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 Rn. 2. Im Ergebnis wie hier, allerdings unter Berufung auf die Grenzen der unionsrechtskonformen Rechtsfindung Wörl, Beweislast, S. 57. 417  Hierzu eingehend Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 112 ff. m.w.N. zum Streitstand. 418 BAG, NZA 2004, 540, 543; ähnlich BAG NZA 2005, 870, 872 (zu § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB IX a.F., der § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. nachgebildet war). Andere Interpretation des Urteils aber bei Thüsing, in: MüKoBGB, § 22 Rn. 10. 419  Zu dieser Intention vgl. BT-Drs. 16/2022, S. 30. 420  BGH NZA 2012, 797, Tz. 25 („wenn die andere Partei Indizien vorträgt und erforderlichenfalls beweist…“). 421  Vgl. Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 2006/54/EG: „Es ist jedoch klarzustellen, dass die Bewertung der Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, weiterhin der einschlägigen einzelstaatlichen Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten obliegt.“ 422 EuGH, Rs. C-415/19, EU:C:2012:217, Tz. 44 – Meister; siehe dazu oben II. 1. c) dd). 423 BAG, NJOZ 2013, 1699. 416 A.A.

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ist, Indizien für eine Diskriminierung vorzutragen, wenn sich der Arbeitgeber nur einigermaßen „klug“ verhält und seine Kommunikation auf ein Minimum beschränkt. Denn auch für den Nachweis auf Basis eines Vergleichspersonenkonzepts bedarf es zumindest marginaler Kenntnisse des Bewerbers hinsichtlich der Merkmalsausprägung und objektiven Qualifikation des bevorzugten Mitbewerbers. Der EuGH hat vor dem Hintergrund dieser Beweissituation zu Recht eine Pflicht der nationalen Gerichte konstatiert, auch ohne Bestehen eines Auskunftsanspruchs des Klägers darüber zu wachen, dass eine Auskunftsverweigerung seitens des Beklagten im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, nicht die Verwirklichung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung zu beeinträchtigen droht. Das nationale Gericht hat danach bei der Klärung der Frage, ob es genügend Indizien für eine Diskriminierung gibt, auch den Umstand in Betracht zu ziehen, dass der Arbeitgeber dem abgewiesenen Bewerber jeden Zugang zu den Informationen verweigert, deren Übermittlung er begehrt. Das BAG zieht hieraus in seiner Folgeentscheidung den folgenden Schluss: „Damit stellt die Verweigerung einer Auskunft über die Person, die an Stelle des klagenden Bewerbers vom Arbeitgeber eingestellt worden ist, und/oder über die Kriterien, die für deren Einstellung entscheidend waren, für sich betrachtet noch kein Indiz i. S. des § 22 AGG dar, welches die Vermutung für das Vorliegen einer gegen §§ 1, 7 AGG verstoßenden Benachteiligung des nicht eingestellten Bewerbers begründet. Wenn der abgelehnte Bewerber weder nach deutschem noch nach europäischem Recht einen solchen Auskunftsanspruch hat, kann die Verweigerung einer solchen nicht geschuldeten Auskunft grundsätzlich keine nachteiligen Rechtsfolgen für den Arbeitgeber haben. Dies wäre aber der Fall, wenn allein auf Grund der verweigerten Information dem Arbeitgeber gem. § 22 AGG die Beweislast dafür auferlegt würde, dass ‚kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat‘. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist von diesem Grundsatz nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn eine Verweigerung von Informationen durch den Arbeitgeber die ‚Verwirklichung der mit den Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht‘. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der abgelehnte Bewerber, dem grundsätzlich die Darlegungslast für die behauptete Benachteiligung wegen eines ‚verpönten Merkmals‘ obliegt (vgl. oben), zumindest schlüssig darlegt, dass und warum es ihm durch die vom Arbeitgeber verweigerte Information unmöglich gemacht oder zumindest unzumutbar erschwert wird, Tatsachen gem. § 22 AGG darzulegen, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten lassen, oder warum die Verweigerung der Auskunft ein Indiz i. S. des § 22 AGG für eine unzulässige Benachteiligung darstellt. Dazu genügt es nicht, wenn der Bewerber lediglich Tatsachen benennt, die für sich betrachtet und/oder in ihrer Gesamtschau ‚neutral‘ sind, d. h. keine Indizien für die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung begründen.“424

424 BAG,

NJOZ 2013, 1699, Tz. 58, 59.

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Die im Wortlaut zitierten Feststellungen des BAG zur Bedeutung der Aussagen des EuGH vermögen nicht zu überzeugen. Zunächst folgert das Gericht aus dem vom EuGH festgestellten Fehlen eines Auskunftsanspruchs unztreffenderweise, dass die Verweigerung einer Auskunft keine nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber zeitigen könne. Das Gericht übersieht hierbei aber geflissentlich, wie so manche Stimme im Schrifttum, die auch dem deutschen Recht durchaus geläufige Unterscheidung zwischen Pflichten und Obliegenheiten.425 Darüber hinaus scheint das BAG davon auszugehen, dass der Diskriminierungskläger, dem eine Auskunft verweigert wird, stets andere, „nicht neutrale“ Indizien vortragen müsse, um eine Auskunftsobliegenheit des Beklagten auszulösen. Hier beißt sich aber die Katze gewissermaßen in den Schwanz, denn wenn der Kläger solche „nicht neutralen“ Indizien, wie etwa entsprechende verdächtige Äußerungen des Beklagten, im Bewerbungsverfahren, vortragen könnte, wäre er nicht auf einen Nachweis der Diskriminierung auf Basis des Vergleichspersonenkonzepts und damit auch nicht auf Auskünfte des Beklagten hinsichtlich ihm vorgezogener Mitbewerber angewiesen. Gerade um in Fällen der vorgenannten Art der strukturellen Beweisnot des Klägers bereits auf der ersten Ebene des unionsrechtlichen Beweiskonzepts entgegenzuwirken, fordert der EuGH aber die nationalen Gerichte auf, dafür Sorge zu tragen, dass die unionsrechtlich geforderte effektive Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung nicht durch eine Auskunftsverweigerung des Beklagten gefährdet wird. Dann muss aber eben in bestimmten Konstellationen die Verweigerung einer Auskunft für sich genommen ausreichen, um eine Diskriminierung zu indizieren und hierdurch die in § 22 AGG statuierte Beweislastumkehr auszulösen. Dies gilt, wie der EuGH im Urteil Meister in Abgrenzung zum Urteil Kelly festgestellt hat, gerade dann, wenn der Verbotsadressat dem abgewiesenen Bewerber jede Information über den oder die ihm vorgezogenen Mitbewerber verweigert. Zwar soll auch nach dem EuGH die Berücksichtigung der Auskunftsverweigerung nur im Kontext mit weiteren Umständen als Indiz für eine Diskriminierung gewürdigt werden können. Die Umstände die dem EuGH hierbei vorschweben sind aber andere, als „nicht neutralen Indiztatsachen“, die das BAG offensichtlich für erforderlich hält. Der EuGH nennt, im Anschluss an den Generalanwalt, als zusätzliche Umstände nämlich lediglich die Erfüllung der vom Arbeitgeber vorausgesetzten Mindestqualifikation und die Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch. Indem letzterer Umstand in einem mehrstufigen Verfahren im Falle der Ablehnung auf einer frühen Entscheidungsstufe aber regelmäßig vorliegen wird, verbleibt in diesen Fällen als „Korrektiv“ für einen Indizschluss aus der bloßen Auskunftsverweigerung nur die fehlende Mindestqualifikation des Bewerbers. Mit anderen Worten: Wird ein Bewerber, der die vom vom Arbeitgeber vorausge425 

Siehe dazu bereits oben II. 1. c) dd).

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

setzten Mindestqualifikation besitzt, bereits nach der reinen Papierform ohne Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aussortiert, darf ihm, nach dem Modell des EuGH, die Basisinformation über Merkmalsausprägung und objektive Qualifikation des bevorzugten Bewerbers nicht vorenthalten werden. Dies ist unter Berücksichtigung der prekären Beweisstituation des Diskriminierungsklägers auch richtig. Denn nur die genannten Informationen setzen den Diskriminierungskläger überhaupt in die Lage, auf Basis des Vergleichspersonenkonzepts anhand objektiver Kriterien den Nachweis einer Diskriminierung führen zu können. Diesen Nachweis muss aber jedenfalls derjenige zu führen in der Lage sein, bei dem eine Ungleichbehandlung wegen eines verbotenen Merkmals nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Dies trifft auf alle Personen zu, welche die Mindestanforderungen erfüllen und dazu, obwohl der EuGH diesen Punkt nicht eigens erwähnt, eine diskriminierungsanfällige persönliche Merkmalsstruktur aufweisen. Zwar ist es richtig, dass jeder Mensch irgendein Merkmal (ein Geschlecht, eine ethnische Herkunft oder eine sexuelle Ausrichtung) aufweist.426 Zugleich ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass, jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt, Frauen, Personen mit Migrationshintergrund, Muslime oder Homesexuelle in höherem Maße der Gefahr einer merkmalsbezogenen Ungleichbehandlung ausgesetzt sind als Männer, Personen mitteleuropäischer Herkunft, Christen bzw. Agnostiker oder heterosexuelle Personen.427 Im Rahmen einer Indizwertung auf der ersten Ebene des unionsrechtlichen Beweiskonzepts kann dieser Umstand nicht unberücksichtigt bleiben. Die Berücksichtigung der Merkmalsausprägung und der Erfüllung der Mindestqualifikation als weitere Faktoren neben der Auskunftsverweigerung steht auch nicht im Widerspruch zu der auch hier vertretenen Auffassung, dass weder die Merkmalsausprägung noch die Erfüllung der Mindestanforderungen für sich genommen ausreicht, um ein Indiz für eine Diskriminierung zu begründen.428 Ein Indiz für eine Diskriminierung läge nämlich jedenfalls dann vor, wenn der aufgrund seiner Merkmalsstruktur diskriminierungsgefährdete Kläger nicht nur die Mindestanforderungen erfüllte, sondern nach objektiven Kriterien sogar deutlich besser geeignet wäre, als der ihm vorgezogene Bewerber. In diesem Falle wäre es, wie oben dargelegt, am Beklagten plausibel 426 

Meinel/Heyn/Herms, AGG, § 2 Rn. 20; Peick, Darlegungs- und Beweislast, S. 225. einem Umfeld, welches eine von der Norm abweichende Merkmalsstruktur aufweist, mag dies wiederum anders sein. Bewirbt sich etwa eine Person originär deutscher Herkunft als Koch in einem von Personen türkischer Herkunft betriebenen Restaurant und wird trotz entsprechend nachgewiesener Eignung ohne Begründung abgewiesen, könnte dies auch darauf zurückzuführen sein, dass man in den genannten Kreisen lieber „unter sich“ ist. Dasselbe dürfte für Schwulenbars zutreffen. Hiervon zu trennen ist wiederum die Frage, ob in diesem Fall unter dem Aspekt der „Authentizitätswahrung“eine Rechtfertigung nach § 8 AGG in Betracht kommt (siehe dazu oben Dritter Teil, § 2 II. 5. c) aa) (1) (b). Dies wäre für einen Kellner (mit Kundenkontakt) wohl zu bejahen, für einen Koch aber zu verneinen. 428  Vgl. BAG, NJOZ 2013, 1699, Tz. 46 siehe dazu bereits oben II. 1.c) cc). 427  In

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darzulegen und zu beweisen, dass er seiner Entscheidung ein vom objektiven Standard abweichenes subjektives Anforderungsprofil zugrundegelegt hat. Hat der Arbeitgeber etwa der weiblichen Bewerberin um die Stelle eines angestellten Rechtsanswalts einen männlichen Mitbewerber mit deutlich schlechterer Examens­note und kürzerer Berufserfahrung vorgezogen, ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass hierfür das Geschlecht der abgewiesenen Bewerberin zumindest mitursächlich war. Verweigert der Arbeitgeber nunmehr aber jede Auskunft über die Merkmalsausprägung und Qualifikation des bevorzugten Mitbewerbers, kann die Klägerin diesen Nachweis mangels Einblick in die inneren Geschehensabläufe beim Arbeitgeber nicht führen und wird den Prozess ungeachtet der gegebenfalls tatsächlich vorliegenden Diskriminierung verlieren. Von daher ist es nicht nur unionsrechtlich geboten sondern zudem nach allgemeinen Kriterien der Beweiswürdigung naheliegend, aus der vollständigen Auskunftsverweigerung gegenüber einem diskriminierungsgefährdeten Merkmalsträger, der die Mindestanforderungen erfüllt, auf das Vorliegen einer Diskriminierung zu schließen. Denn wer nichts zu verbergen hat, kann die geforderten Basisinformationen mit guten Gewissen erteilen und bei deutlicher objektiver Besserqualifikation des Klägers diesem und gegebenenfalls einem Gericht sein abweichendes subjektives Anforderungprofil erläutern. Dem Arbeitgeber wird hiermit kein materiell-rechtlich nicht bestehender sachlicher Rechtsfertigungszwang auferlegt, sondern ihm wird lediglich untersagt, sich auf eine formale Position des Schweigens zurückzuziehen und damit jede seiner Entscheidungen unangreifbar zu machen. Entgegen der gängigen Lebensweisheit gilt im Diskriminierungsprozess somit die Devise „Schweigen ist Silber und Reden ist Gold“. Um den Beklagten zum Reden zu bringen, bedarf es keines generellen Auskunftsanspruchs des Diskriminierungsklägers, den das Unionsrecht ja auch nicht vorgibt. Ebenfalls zweifelhaft erscheint aber, ob sich insoweit, wie von Teilen des Schrifttums vorgeschlagen,429 das von der Rechtsprechung entwickelte prozessuale Institut der sekundären Behauptungslast fruchtbar machen lässt.430 Hiernach kann eine an sich darlegungspflichtige Partei ihrer Darlegungspflicht mit einer allgemeinen Behauptung genügen und den Gegner zu einem substantierten Bestreiten zwingen, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des darlegungspflichtigen Geschehensablaufs steht, während der Gegner Kenntnis von diesem Geschensablauf hat.431 Übertragen auf den Diskriminierungsprozess würde dies bedeuten, dass man dem Diskriminierungskläger gestattete, die Existenz eines bevorzugten, objektiv schlechter qualifizierten Mitbewer429  Grünberger, Personale Gleichheit, S. 724; H. Hanau, EuZA 2013, 105, 113; eingehend Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 159 ff. 430  Eingehend zu Voraussetzungen und Grenzen dieses Rechtsinstituts Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, S. 61 ff. m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum. 431  Grundlegend BGHZ 86, 23, 29.

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Vierter Teil: Die Rechtsfolgen

bers mit vom Kläger abweichender Merkmalsausprägung pauschal zu behaupten. Am Beklagten wäre es sodann, die Existenz eines solchen Mitbewerbers substantiiert zu bestreiten, sei es durch Leugnung der Existenz eines bevorzugten Mitbewerbers überhaupt, sei es durch Angaben zu seiner Qualifikation und Merkmalsausprägung. Eine solche Vorgehensweise wird aber dadurch in Frage gestellt, dass es nach der Rechtsprechung neben der „Sphärenproblematik“432 stets eines zusätzlichen Faktors bedarf, um die Obliegenheit des beweisbegünstigten Beklagten zur Substantiierung des klägerischen Vortrags begründen zu können.433 Dies führt aber im Diskriminierungsprozess nur wieder dazu, dem Kläger die Darlegung von Umständen abzuverlangen, die außerhalb seiner allgemeinen Beweisnot im konkreten Fall die Annahme einer Diskriminierung rechtfertigen.434 Von hierher ist es aber nur noch ein kleiner Schritt hin zu der vom BAG aufgestellten Forderung nach Darlegung „nicht-neutraler“ Indizien, welche den Diskriminierungskläger letztlich in seiner prekären Beweissituation belässt. Möchte man nicht die vom BGH aufgestellten Regeln über die Voraussetzungen der sekundären Beweislast im Hinblick auf die besondere Situation des Diskriminierungsklägers modifizieren, ist es somit unausweichlich, die Verweigerung grundlegender Informationen über einen dem Kläger vorgezogenen Mitbewerber selbst als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung im Sinne des § 22 AGG zu werten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger eine diskriminierungsanfällige Merkmalsausprägung aufweist und zudem die vom Beklagten geforderten Mindestvoraussetzungen für einen Vertragsschluss erfüllt. Auch in einem anderen Punkt bleibt das deutsche Recht gemessen am Maßstab des unionalen Beweiskonzepts defizitär. Wie bereits dargelegt, hat der EuGH im Urteil Draehmpaehl festgestellt, dass im Zusammenhang mit der Geltendmachung des aus einer Nichtberücksichtigung in einem Stellenbewerbungsverfahren der Arbeitgeber zu beweisen hat, dass es sich bei dem diskriminierten Bewerber nicht um den subjektiv bestqualifizierten Bewerber gehandelt hat.435 § 22 AGG erfasst diesen Fall jedoch nicht, da er sich in Umsetzung der ausdrücklichen Richtlinienvorgaben allein auf den Nachweis eines Verstoßes 432 

Begriff bei Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 162. Hierbei handelt es sich zumeist um ein vorangegangenes Verhalten der beweisbegünstigten Partei oder um ihre spezielle Beziehung zur beweisbelasteten Partei, vgl. etwa BGH NJW 1997, 128, 129 mit m.N. aus der Rechtsprechung des BGH. 434  So etwa H. Hanau, EuZA 2013, 105, 113 f. Unklar insoweit Scholten, Diskriminierungsschutz, S. 162, der die prekäre Beweissituation des Diskriminierungsklägers allein nicht genügen lassen will, andererseits für Fälle, in denen eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung besteht, eine Ausnahme machen möchte. Die Antwort auf die Frage, ob es insoweit auf den Einzelfall ankommt, oder ob von einer hohen Wahrscheinlichkeit in den von Scholten genannten Fällen (ethnische Diskriminierung bei Begründung eines Wohnraummietverhältnisses) pauschal auszugehen ist, bleibt Scholten allerdings schuldig. 435 EuGH, Rs. C-180/95, Slg. 1997, I-2195, Tz. 36 – Draehmpaehl. 433 

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gegen das Diskriminierungsverbot als solches bezieht.436 Nun wäre es an sich an der Rechtsprechung, die hierdurch entstehende Schutzlücke bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers zu füllen. Hinsichtlich des Nachweises der Kausalität zwischen dem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und der Nichteinstellung des diskriminierten Bewerbers beharrt die Rechtsprechung indes auf der grundsätzlichen Beweislast des Letzteren und möchte diesem nur eine Beweiserleichterung zugestehen, „wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für eine Einstellung bei regelgerechtem Vorgehen der Anstellungskörperschaft besteht“.437 Dies bleibt erheblich hinter den Anforderungen des EuGH zurück, der insoweit eine vollständige Beweislastumkehr anordnet und diese Vorgabe mit dem Informationsmonopol des Arbeitgeber begründet, „der über sämtliche Unterlagen verfügt“. Völlig unverständlich erscheint vor diesem Hintergrund zudem, dass das BAG die vom EuGH vorgegebene Beweislastregel ausschließlich auf den Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG anwenden möchte,438 wo diese ersichtlich keinen Sinn ergibt. Aus dem Kontext erschließt sich, dass das BAG offensichtlich davon ausgeht, den Arbeitgeber treffe die Beweislast für die fehlende Bestqualifikation des abgewiesenen Bewerbers nur im Hinblick auf die Frage, ob eine Deckelung des diesem Bewerber zu zahlenden Schadensersatzes möglich ist. 439 Eine solche Beschränkung lässt sich dem Urteil Draehmpaehl jedoch nicht entnehmen. Vielmehr trennt der Gerichtshof zwischen zwei Arten von Diskriminierungsopfern, nämlich solchen, die bei diskriminierungsfreier Auswahl eingestellt worden wären und die daher Anspruch auf Ersatz des vollen Vergütungsausfalls geltend machen können und solchen Bewerern, bei denen dies nicht der Fall ist. Hinsichtlich der Frage, ob ein konkreter Bewerber der zweiten Kategorie angehört und damit nicht Ersatz des vollen Nichteinstellungsschadens verlangen kann, trifft den Arbeitgeber die Beweislast. Die vom EuGH vorgebenene Beweislastumkehr wird somit gerade im Hinblick auf den Ersatz des materiellen Schadens gemäß § 15 Abs. 1 AGG relevant und nicht, wie das BAG meint, im Hinblick auf den Ersatz immaterieller Schäden gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Wie bereits hinsichtlich der Behandlung einer Auskunftsverweigerung seitens des Beklagten zeigt sich auch an diesem Kontext, dass das BAG den Zusammenhang zwischen der prekären Beweissituation des Diskriminierungsklägers und dem Gebot der effektiven Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung nicht in seiner ganzen Tragweite erfasst hat.

436  Dies entspricht der ganz h.M., vgl. nur BGH NZA 2012, 797, Tz. 63; Thüsing, in MüKoBGB, § 22 Rn. 23. 437  BGH NZA 2012, 797, Tz. 64. 438  BAG NZA 2010, 1412, Tz. 78. 439  BAG NZA 2010, 1412, Tz. 78.

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Gesamtergebnis § 1 Erster Teil Am Anfang einer Befassung mit den durch das Unionsrecht determinierten privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverboten in Deutschland muss die Frage nach der ratio legis dieser Verbote stehen. Hierüber besteht aber in Rechtsprechung und Schrifttum, jedenfalls auf nationaler Ebene, alles andere als Klarheit. Teilweise werden die genannten Diskriminierungsverbote als Ausfluss des Gleichheitsprinzips gewertet. Gleichheit wird in diesem Sinne nicht nur als Gleichheit vor dem Gesetz verstanden, sondern in einem weiteren, gesellschaftliche Ungleichbehandlungen erfassenden Kontext. Hieraus wird ein auch an Privatrechtsakteure gerichtetes Gebot hergleitet, sich gleich dem Staat Ungleichbehandungen im Zusammenhang mit privaten Vertragsschlüssen zu enthalten. Dem gleichheitlichen (egalitaristischen) Erklärungsansatz für das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht werden aber zunehmend alternative, nicht-egalitaristische Erklärungsansätze gegenübergestellt. Die in Deutschland bestehenden privatrechtsbezogenen Diskriminierungsverbote werden dabei entweder als Normen zur Gewährleistung sozialer Teilhabe verstanden oder als Ausfluss verschiedener Freiheitsverbürgungen, namentlich einer materiell verstandenen Vertragsfreiheit oder des Persönlichkeitsrechts des Diskriminierten. Den alternativen, nicht-egalitaristischen Erklärungsansätzen kommt das Verdienst zu, den traditionellen egalitaristischen Erklärungsansatz für das unionale Antidiskriminierungsrecht um Facetten zu bereichern, welche dieser Ansatz nicht aus sich heraus zu liefern vermag. Dies gilt inbesondere im Hinblick auf die Definition des gegenständlichen Anwendungsbereichs der einschlägigen Verbote. Die große Schwäche der alternativen Ansätze liegt indes darin begründet, dass sie den inhaltlichen Kern dieser Verbote nicht eigenständig zu erklären vermögen. Denn es geht hierbei ja gerade nicht um sozialstaatliche Teilhabesicherung oder Persönlichkeitsschutz im klassisch verstandenen sozialstaatlichen bzw. freiheitlichen Sinne, sondern um die Etablierung einer in Teilbereichen des Privatrechts geltenden Verpflichtung Privater zur Gleichbehandlung. Nicht-egalitaristische Erklärungsansätze vermögen dieses vergleichende Element unionaler privatrechtbezogener Diskriminierungsverbote nur zu erklären, indem sie dieses Element in das jeweils eigene Konzept integrieren:

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Gesamtergebnis

Teilhabesicherung soll danach gerade im Wege der Gleichbehandlung erfolgen, die Verletzung der materiellen Vertragsfreiheit oder Persönlichkeit des Diskriminierten sich gerade in seiner Ungleichbehandlung manifestieren. Durch diese Einbeziehung des egalitaristischen Konzepts verlieren die alternativen Erklärungsansätze jedoch ihre Eigenständigkeit und scheitern damit an ihrem selbst gestellten Anspruch, egalitaristische Erklärungsansätze für das geltende Antidiskriminierungsrecht nicht nur zu ergänzen, sondern zu ersetzen. Dass dieser Versuch gleichwohl immer wieder unternommen wird, ist letztlich Folge eines auf nationaler Ebene immer noch nicht ausgetragenen Streits um die Frage, ob den Gleichheitsverbürgungen des Grundgesetzes neben einem Verbot staatlicher Ungleichbehandlung auch eine gesellschaftliche Dimension innewohnt. In Bezug auf das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht wird dieser Streit aber am falschen Objekt geführt, weil insoweit nur die diesbezüglichen Aussagen des Unionsrechts maßgeblich sein können. Diese Aussagen sind autonom aus den einschlägigen Rechts- und Rechtserkenntnisquellen des Unionsrechts zu ergründen, wobei der Rechtsprechung des EuGH herausragende Bedeutung zukommt. Eine allein dem Ziel der Herstellung nationaler Systemkohärenz verpflichtete Interpretation dieser Quellen kann dagegen zur Erschließung der ratio legis des unional determinierten Antidiskriminierungsrechts nicht nur wenig beitragen, sie ist auch schlicht unzulässig. Eine Analyse auf Basis der einschlägigen Rechtsquellen bestätigt den Befund, dass das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht einem Konzept gesellschaftlicher Gleichheit mit individueller Zieldimension folgt. Die Deutung als Gleichheitsverbürgung ergibt sich bereits aus der von EuGH und Unionsgesetzgeber stets hervorgehobenen Verwurzelung sämtlicher unionaler Diskriminierungsverbote im allgemeinen unionalen Gleichheitsgrundsatz. Die Deutung als Gleichheitsverbürgung reicht aber noch nicht aus, um die ratio legis des unionalen Antidiskriminierungsrechts vollständig zu erfassen. Denn das Verbot der Diskriminierung ist, wie das Unionsrecht insgesamt, heute von zwei unterschiedlichen Zielkonzeptionen geprägt. Im Vordergrund stand dabei zunächst das Ziel der Binnenmarktintegration, welches dem Einzelnen das Recht auf Inländergleichbehandlung gerade in seiner Funktion als Marktbüger einräumt. Beginnend mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Defrenne II hat sich indes eine zweite gesellschaftspolitische Zielkonzeption unionaler Diskriminierungsverbote herauskristallisiert, welche – eingebunden in die Idee eines Europas der Bürger“ oder einer europäischen „Wertegemeinschaft“ – den Schutz des Einzelnen vor Ausgrenzung um seiner selbst willen beinhaltet. Beide Zielkonzeptionen stehen allerdings nicht bezugslos nebeneinander, sondern weisen vielmehr einen genetische Verbindung auf, indem sich das zweite Konzept aus dem ersten heraus entwickelt hat. Für sämtliche Diskriminierungsverbote stellt sich damit die Frage, wie weit der Prozess der Entkoppelung vom Binnenmarktkonzept bereits fortgeschritten ist. Während die Grundfreiheiten

§ 2 Zweiter Teil

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heute noch ausschließlich dem Konzept der Binnenmarktintegration verhaftet sind, lassen sich in Bezug auf das in den Grundfreiheiten enthaltene Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit bereits stärkere Tendenzen einer Konstitutionalisierung erkennen. Im besonderen Maße gilt letzteres aber für das in den Antidiskriminierungsrichtlinien verankerte unionale Antidiskriminierungsrecht, welches ungeachtet der marktöffnenden Wirkung von Diskriminierungsverboten ausschließlich dem individuellen Schutz vor Ausgrenzung verpflichtet ist.

§ 2 Zweiter Teil Das in Deutschland geltende, unional determinierte Antidiskriminierungsrecht wird als Mehrebenenrecht geprägt durch Normen unterschiedlicher Regelungsgeber und Regelungsebenen. Die Kenntnis, um welche Normen es sich hierbei handelt und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist daher für die inhaltliche Erschließung dieser Rechtsmaterie unerlässlich. Auf der Ebene des Unionsrechts finden sich Diskriminierungsverbote mit gesellschaftspolitischer Zielsetzung zunächst im Primärrecht. Hierbei handelt es sich zum einen um die bereits in den Gründungsverträgen verankerten Verbote der geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung (Artikel 157 Abs. 1 AEUV) und der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (Artikel 18 AEUV). Letzterem kommt aber angesichts seiner den marktintegrativen Wurzeln dieser Norm geschuldeten Beschränkung auf den Grundsatz der Inländergleichbehandlung im Bereich des Privatrechts nur wenig Bedeutung zu. Ein thematisch umfassendes Diskriminierungsverbot findet sich dagegen heute in Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch. Den primärrechtlichen Diskriminierungsverboten stehen, ebenfalls auf der Ebene des Primärrechts, Freiheitsverbürgungen zugunsten der privaten Verbotsadressaten gegenüber, die mit dem Recht auf Gleichbehandlung im Sinne der Herstellung praktischer Konkordanz abzuwägen sind. Hierbei handelt es sich mit der unternehmerischen Freiheit (Artikel 16 GR-Ch) und der Eigentumsgarantie (Artikel 17 GR-Ch) teils um Grundrechte; in bestimmten Konstellationen, wie der Erstreckung des Diskriminierungsverbotes auf Mitglieder von Gesellschaftsorganen, kommen aber auch Grundfreiheiten (Kapitalverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit) ins Spiel. Die wichtigste primärrechtliche Norm im Bereich des unionalen Antidiskriminierungsrechts stellt allerdings Artikel 19 AEUV dar, welcher die Union neben Artikel 157 Abs. 3 AEUV zum Erlass eigenständiger, vom Binnenmarktziel entkoppelter Antidiskriminierungsmaßnahmen in Bezug auf persönliche Merkmale außerhalb der Staatsangehörigkeit ermächtigt. Deutungen, die der genannten Norm nur eine Annexkompetenz zum Erlass binnenmarktfunkti-

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Gesamtergebnis

onaler Maßnahmen entnehmen möchten, sind abzulehnen. Der Unionsgesetzgeber hat von der ihm in Artikel 19 AEUV eingeräumten Kompetenz durch Erlass von drei Richtlinien Gebrauch gemacht, welche gemeinsam mit der zwischenzeitlich konsolidierten, heute auf Artikel 157 Abs. 3 AEUV basierenden Gleichbehandlungsrichtlinie den Kernbestand des unionalen Antidiskriminierungsrechts ausmachen. Die Bedeutung des Artikels 19 AEUV und der auf Grundlage dieser Norm erlassenen Richtlinien für das Antidiskriminierungsrecht ergibt sich aus der besonderen Rolle, die dem Sekundärrecht im Bereich dieses Rechtsgebiets zukommt. Während nämlich nach dem rechtsquellentheoretischen Ideal das Primärrecht als Maßstabs- und Gültigkeitsnorn für das Sekundärrecht fungiert, verhält es sich in den Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch unterfallenden Teilen des Antidiskriminierungsrechts genau andersherum. Dies ergibt sich aus der Feststellung, dass die Regelungen der Antidiskriminierungsrichtlinien die primärrechtlichen Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch nicht nur inhaltlich konkretisieren, sondern diese zugleich in ihrer Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten im Sinne des Artikels 51 Abs. 1 GR-Ch erst aktivieren. Hieraus folgt zum einen ein sich in der Mangold-Rechtsprechung des EuGH manifestierender inhaltlicher Gleichlauf zwischen Charta-­Grund­ rechten und grundrechtsschützendem Sekundärrecht. Zum anderen zeitigt die Aktivierungsfunktion grundrechtsschützender Richtlinien auch Rückkoppelungseffekte auf die Kontrollfunktion des Primärrechts für die Gültigkeit des Sekundärrechts: Zwar ist der Unionsgesetzgeber im Grundsatz umfassend an die Verbürgungen der Grundrechte-Charta gebunden (Art. 51 Abs. 1 1. Alt.); dies gilt aber nicht für das Verhältnis zwischen einem Charta-­Grund­recht und einem den Schutz gerade dieses Grundrechts gewährleistenden Sekundärrechtsakt, was durch die Vorgehensweise des EuGH im Urteil Test Achats bestätigt wird. Die Prägung des Primärrechts durch das Sekundärrecht in Teilen des unionalen Antidiskriminierungsrechts betrifft indes nicht nur die Binnenstruktur des unionalen Antidiskriminierungsrechts. Eine weitere Konsequenz dieser partiellen Umkehr der Normhierarchie zeigt sich vielmehr erst, wenn man das Verhältnis zwischen der unionalen Regelungebene im Ganzen und der nationalen Regelungsebene in den Blick nimmt. Im Rahmen dieses Außenverhältnisses kommt den Antidiskriminierungsrichtlinien nämlich für sich genommen nur eine schwache Durchschlagskraft zu, indem sie zwar als Maßstab für eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts dienen, nicht aber in einem Rechtssteit zwischen Privaten eigene Rechte des Diskriminierungsopfers begründen können. Dieses vom EuGH in ständiger Rechtsprechung hochgehaltene Dogma der fehlenden unmittelbaren Horizontalwirkung von Richtlinien lässt es auch grundsätzlich nicht zu, eine nicht im Einklang mit den Vorgaben einer Richtlinie stehende nationale Norm außer Anwendung zu lassen. Primär-

§ 2 Zweiter Teil

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rechtlichen Verbürgungen erkennt der EuGH dagegen eine solche negative Ausschlussfunktion sehr wohl zu, und zwar unabhängig davon, ob der fraglichen Norm im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbare Wirkung zukommt oder nicht. In Bezug auf die Diskriminierungsverbote der Artikel 157 und 18 AEUV ist diese Feststellung zwar ohne Belang, weil beide Vorschrifte nach hier vertretener Auffassung ohnehin unmittelbare Wirkung auch im Horizontalverhältnis entfalten. Anders verhält sich dies jedoch in Bezug auf die Diskriminierungsverbote des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch, welche die Mitgliedstaaten nur binden, soweit diese Unionsrecht durchführen. Hier zeigt sich die eigentliche Bedeutung der zuvor konstatierten Prägung des Primärrechts durch das Sekundärrecht im Bereich des unionalen Antidiskriminierungsrechts: Indem die Richtlinie das primärrechtliche Diskriminierungsverbot in seiner Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten konkretisiert und damit in seiner Außenwirkung aktiviert, bringt sie dieses überhaupt erst als Maßstabsnorm gegenüber dem nationalen Recht in Stellung. Die Konkretisierung des primärrechtlichen Diskriminierungsverbots durch das Sekundärrecht ist dabei eine nahezu allumfassende: Sie betrifft nicht nur den Inhalt des erstgenannten Verbots, sondern vor allem auch die hieraus den Mitgliedstaaten erwachsende Verpflichtung, aktiv gegen private Diskriminierungen vorzugehen. Erst durch die auf Schutz vor privater Diskriminierung angelegte Richtlinie erlangt das primärrechtliche Diskriminierungsverbot des Artikels 21 Abs. 1 GR-Ch mithin seine Schutzfunktion, die es als Maßstabsnorm für das nationale Antidiskriminierungsrecht (nicht aber für den Unionsgesetzgeber!) qualifiziert. Auf der Ebene des Sekundärrechts wird das unionale Diskriminierungsrecht derzeit durch vier Richtlinien geprägt. Diese sehen für den Bereich des Erwerbslebens einen weitgehenden, alle in § 1 AGG genannten Merkmale erfassenden Diskriminierungsschutz vor, während ein Diskriminierungsschutz im Bereich des allgemeinen Zivilrechts (Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen) nur für die Merkmale Geschlecht und Rasse bzw. ethnische Herkunft vorgegeben ist. Auf nationaler Ebene weist das unional determinierte Antidiskriminierungsrecht im Wesentlichen eine einstufige Struktur auf, indem die üblicherweise zur Kontrolle einfachen deutschen Gesetzesrechts berufenen Grundrechte des Grundgesetzes hier weitgehend durch die Grundrechte der Charta verdrängt werden. Dies gilt im unionsrechtlich determinierten Teil auch für die Ausfüllung von Regelungsspielräumen durch den nationalen Gesetzgeber, weil die im Schrifttum insoweit propagierte kumulative Anwendung unionaler und nationaler Grundrechte nach dem Günstigkeitsprinzip in Bezug auf multipolare Rechtsverhältnise nicht in Betracht kommt. Ausschließlich am Maßstab der deutschen Grundrechte zu messen sind allerdings Regelungen, in denen der deutsche Gesetzgeber in überschießender Umsetzung den unional nur für die Merkmale Geschlecht und Rasse/ethnische Herkunft vorgegebeben Schutz vor

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Gesamtergebnis

Diskriminierung im allgemeinen Zivilrecht auf weitere, vom erwerbsbezogenen Diskriminierungsschutz erfasste Merkmale erstreckt hat.

§ 3 Dritter Teil Der Tatbestand der im AGG geregelten, unional determinierten Diskriminierungsverbote markiert die Bruchlinie zwischen einem auch Privatpersonen in die Pflicht nehmenden gesellschaftlichen Konzept von Gleichheit und den hiermit unmittelbar konfligierenden Freiheitsverbürgungen zugunsten des Verbotsadressaten. Die konkrete Ausgestaltung des Diskriminierungsverbotes stellt sich in diesem Sinne als Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den genannten Gegenpolen dar. Diese für den Tatbestand des Diskriminierungsverbotes als Ganzem getroffene Feststellung gilt auch in Bezug auf die einzelnen Strukturmerkmale dieses Tatbestands und erleichtert die Klärung ihrer Funktion innerhalb des Diskriminierungstatbestands. Die Auswahl der verbotenen Merkmale, die Definition des personellen und gegenständlichen Anwendungsbereichs sowie die Statuierung von Rechtfertigungsmöglichkeiten dienen danach zum einen dazu, die Freiheitssphäre des Verbotsadressaten gegenüber staatlicher Inpflichtnahme abzugrenzen. Diese freiheitssichernde Funktion kommt den genannten Strukturmerkmalen auch dann zu, wenn man, anders als hier vertreten, die unional determinierten Diskriminierungsverbot des AGG als solche nicht als Gleichheitsverbürgungen, sondern ausschließlich als Ausfluss von Freiheitsrechten des Diskriminierungsopfers oder sozialstaatlicher Teilhabesicherung begreift. Der dogmatische Kern des Diskriminierungsverbots und seiner einzelnen Handlungsformen lässt sich dagegen nur auf dem Boden des hier zugrunde gelegten gleichheitlichen Erklärungsansatzes erschließen. Auch die übrigen Strukturmerkmale des Diskriminierungstatbestands und hier insbesondere die verbotenen Merkmale und die Rechtfertigungsgründe erfüllen in dieser Hinsicht eine wichtige dogmatische Funktion, indem sie die Vergleichbarkeitsprüfung auf zwei hintereinandergeschalteten Ebenen entscheidend steuern. In dieser Hinsicht kommt dem hier zugrunde gelegten egalitaristischen Erklärungsansatz mithin eine exklusive Bedeutung zu. Eine wesentliche, der Privatautonomie des Verbotsadressaten geschuldete Einschränkung erfähren die im AGG geregelten Diskriminierungsverbote zunächst dadurch, dass sie nur Ungleichbehandlungen wegen bestimmter, in § 1 AGG aufgezählter persönlicher Merkmale erfassen. Ein allgemeines Gleichbehandlungsgebot wird den Verbotsadressaten somit, entgegen der insoweit missverständlichen Gesetzesbezeichnung, nicht auferlegt. Der Katalog der verbotenen Merkmale ist abschließend und enthält keinen offenen Tatbestand zur Etablierung weiterer Merkmale durch die Rechtsprechung. Auch das Unionsrecht

§ 3 Dritter Teil

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fordert ein solches nicht. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die Antidiskriminierungsrichtlinien, deren abschließenden Katalog der nationale Gesetzgeber in § 1 AGG übernommen hat. Zum anderen lässt sich auch aus dem Primärrecht keine Erweiterung der verbotenen Merkmale herleiten. Zwar nennt Artikel 21 Abs. 1 GR-Ch über den sekundärrechtlichen Acquis hinausgehende weitere Merkmale wie etwa die soziale Herkunft oder die Krankheit. Für eine Bindung auch der Mitgliedstaaten an die genannten Diskriminierungsverbote müssten diese Verbote indes zuvor durch Verabschiedung entsprechender sekundärrechtlicher Maßnahmen aktiviert und konkretisiert werden. Solche Maßnahmen existieren aber bisher nicht und wären zudem nicht durch die Kompetenz des Artikels 19 AEUV gedeckt, der sekundärechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen nur in Bezug auf die dort genannten, dem Katalog des § 1 AGG entsprechenden Merkmale ermöglicht. Nicht in Bezug auf alle Merkmale ist der Schutz vor Diskriminierung zudem gleich stark ausgestaltet. Vielmehr lassen sich die Merkmale des § 1 AGG − jeweils mit entsprechenden Folgen für die Schutzintensität − in unterschiedlicher Weise klassifizieren. Eine erste Klassifizierung betrifft die allseitige (symetrische) oder einseitige (asymetrische) Ausgestaltung des Merkmals. Während die meisten Merkmale (z.B. das Geschlecht) offen formuliert sind und damit einen allseitigen Schutz vor Diskriminierung gewährleisten (Frauen und Männer), erfasst der Schutz vor Diskriminierungen wegen einer Behinderung aufgrund der engeren Formulierung dieses Merkmals nur Behinderte und nicht etwa auch Nicht-Behinderte. Nach dem Grad ihrer Veränderlichkeit lassen sich die Merkmale des § 1 AGG des Weiteren in askriptive, dem Merkmalsträger unveränderbar anhaftende Merkmale (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht und Behinderung) und sonstige, auf Ausübung persönlicher Freiheit basierende Merkmale (Religion und Weltanschauung, sexuelle Identität) unterteilen. Mit der Einteilung in die eine oder andere Gruppe geht eine Hierarchisierung der Merkmale in Bezug auf die Schutzintensität einher. Diskriminierungen wegen askriptiver Merkmale werden dabei in stärkerem Maße bekämpft als Diskriminierungen wegen freiheitsbezogener Merkmale. Die Schutzverstärkung kann sich, wie bei den Merkmalen Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht, in einer Erweiterung des gegenständlichen Anwendungsbereichs des Diskriminierungsverbots (allgemeines Zivilrecht) manifestieren oder, wie bei der Behinderung und zum Teil beim Geschlecht, in einer stärkeren Akzentuierung des Aspekts materieller Gleichheit (Anpassungsmaßnahmen, Schwangerschaft). Am untersten Ende der Hierarchie der verbotenen Merkmale und zugleich außerhalb der Unterscheidung in askriptive und freiheitsbezogene Merkmale steht das Alter. Die im Vergleich zu allen anderen Merkmalen geringere Schutzintensität erklärt sich daraus, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters, anders als Ungleichbehandlungen wegen anderer Merkmale, kein ethischer Unwert innewohnt. Ziel des Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters ist es vielmehr ledig-

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Gesamtergebnis

lich, die gesellschaftlich akzeptierte und zum Teil auch ökonomisch vorteilhafte Segmentierung des Arbeitslebens in Teilabschnitte einem Rechtfertigunsdiskurs zu unterstellen. Eine weitere Beschränkung zugunsten der Privatautonomie der Verbotsadressaten erfährt der Tatbestand des Diskriminierungsverbots durch die Definition seines personellen und gegenständlichen Anwendungsbereichs. In gegenständlicher Hinsicht erfasst das Diskriminierungsverbot den Bereich der unselbständigen und selbständigen Erwerbestätigkeit sowie allgemein-zivilrechtliche Vertragsschlüsse in Bezug auf öffentlich angebotene Güter und Dienstleistungen. In personeller Hinsicht fällt die jeweils einseitige Schutzrichtung ins Auge. Verbotsadressat ist beim erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot allein der Arbeitgeber bzw. Dienstherr, beim allgemein-zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot allein der Anbieter von Gütern und Dienstleistungen. Die jeweilige Marktgegenseite (Erwerbstätige, Nachfrager von Gütern und Dienstleistungen) ist dagegen nicht an das Diskriminierungsverbot gebunden. Die Erklärung für diese einseitige Schutzrichtung des unional determinierten Diskriminierungsverbotes liegt in seinem Ziel begründet, die Gleichbehandlung des Einzelnen gerade hinsichtlich des Zugangs zu solchen „Gütern“ zu gewährleisten, die für die Teilhabe am sozialen Leben unerlässlich sind. Teilhaberelevante „Güter“ in diesem Sinne sind die Möglichkeit einer auf Dauer angelegten Erwerbstätigkeit zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie die Möglichkeit, sich am Markt Güter und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum zu beschaffen. Eine Bindung auch des Erwerbstätigen oder des Nachfragers von Gütern und Dienstleistungen bedarf es zur Erreichung dieses Ziels nicht, so dass sie unter Berücksichtigung der Freiheitssphäre der genannten Personen auch nicht angeordnet werden darf. Das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot verbietet jede Diskriminierung hinsichtlich der Begründung, der Bedingungen und der Beendigung von Erwerbsverhältnissen. Dieser volle Diskriminierungsschutz „von der Wiege bis zur Bahre“ gilt entgegen verbreiteter Auffassung nicht nur für Arbeitsverhältnisse, sondern auch für selbständige Tätigkeiten und gesellschaftsrechtliche Organverhältnisse. Für Letztere folgt dies im Falle der Weisungsgebundenheit unter Zugrundelegung des unionalen Arbeitnehmerbegriffs bereits aus § 7 AGG i.V.m. § 6 Abs. 1 AGG, wonach Arbeitnehmer den vollen Diskriminierungsschutz genießen. Aber auch im Falle fehlender Weisungsgebundenheit gilt nichts Anderes, da § 6 Abs. 3 AGG, wonach in Bezug auf selbständige Tätigkeiten und Organverhältnisse nur ein auf den Zugang beschränkter Diskriminierungsschutz besteht, hinter den diesbezüglichen unionalen Vorgaben zurückbleibt. Diese Vorgaben sehen auch für selbständige Tätigkeiten mit Dauer­schuld­charakter einen vollständigen, die Bedingungen und die Beendigung der Beschäftigung erfassenden Diskriminierungsschutz vor. Speziell in Bezug auf Organverhältnisse erfasst dieser Schutz zudem nicht nur das dem Organverhältnis zugrundeliegende An-

§ 3 Dritter Teil

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stellungsverhältnis, sondern auch die Organstellung als solche. Etwaigen Friktionen mit divergierenden Freiheitsrechten der betroffenen Unternehmenseigner (Recht auf Kontrolle des eigenen Unternehmens) ist erst auf der Rechts­folgen­ ebene dahingehend Rechnung zu tragen, dass eine primäre Abhilfe (Nichtigkeit des Abbestellungsaktes) insoweit nicht in Betracht kommt. § 6 Abs. 3 AGG, der für die diskriminierende Beendigung von selbständigen Erwerbsverhältnissen und Organverhältnissen bereits einen Ausschluss vom Diskriminierungsverbot vorsieht, ist hingegen nach den vom EuGH im Urteil Mangold aufgestellten Grundsätzen außer Anwendung zu ­lassen. Ebenfalls wegen Unionsrechtswidrigkeit außer Anwendung zu lassen ist § 2 Abs. 4 AGG, wonach ganz allgemein für Kündigungen (auch von Arbeitsverhältnissen) ausschließlich die Regelungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzrechts gelten sollen. Durch eine, auch vom BAG propagierte Integration des Diskriminierungsverbots in das Kündigungsschutzregime lässt sich der in den Antidiskriminierungsrichtlinien vorgegebene Schutz wegen der unterschiedlichen Zielkonzeption beider Regelungsregime (Gleichbehandlung versus Bestandsschutz) nicht äquivalent gewährleisten. Das in § 19 AGG statuierte zivilrechtliche Diskriminierungsverbot stellt sich mit seinem mehrfach gestaffelten Anwendungsbereich als Produkt des Bestrebens dar, zwischen einem privatrechtsbezogenen Konzept von Gleichheit und hiermit divergierenden Freiheitsrechten praktische Konkordanz herzustellen. Die zugrundeliegenden Abwägungsentscheidungen wurden dabei teils durch den Unionsgesetzgeber, teils durch den deutschen Gesetzgeber getroffen, soweit Letzterer die nur auf die Merkmale Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht bezogenen unionalen Vorgaben in autonomer Entscheidung auf weitere Merkmale erstreckt hat. Aus dieser Doppelspurigkeit erklärt sich die grundsätzliche Beschränkung des Diskriminierungsverbots auf Massengeschäfte (§ 19 Abs. 1 AGG) und die darüber hinausgehende Erstreckung auf alle öffentlich angebotenen Güter und Dienstleistungen in Bezug auf rassische bzw. ethnische Diskriminierungen (§ 19 Abs. 2 i.V.m. § 2 Nr. 8). Der deutsche Gesetzgeber ist allerdings auch insoweit gleich in zweifacher Weise hinter den unionalen Vorgaben zurückgeblieben. Zum einen sieht das Unionsrecht einen weitergehenden Diskriminierungsschutz (öffentlich angebotene Güter und Dienstleistungen) nicht nur hinsichtlich der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft vor, sondern auch hinsichtlich des Merkmals Geschlecht (vgl. Artikel 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/113/EG). Zum anderen findet der vom nationalen Gesetzgeber statuierte Ausschluss bestimmter Näheverhältnisse vom Diskriminierungsverbot (§ 19 Abs. 5 S. 2 AGG) keine Entsprechung im bestimmenden Teil der Richtlinie 2000/43/EG. Das erstgenannte Umsetzungsdefizit lässt sich über eine analoge Anwendung des § 19 Abs. 2 AGG auf geschlechtsbezogene Diskriminierungen beheben, das zweitgenannte Umsetzungsdefizit über eine Nichtanwendung des § 19 Abs.5 S.2 AGG nach den Grundsätzen des Urteils Mangold.

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Gesamtergebnis

Als unverzichtbarer Kern des Diskriminierungstatbestandes stellt sich jedoch der Inhalt des Verbots als solchem dar. Dieses begegnet im AGG (und den diesem zugrundeliegenden Richtlinien) in vier unterschiedlichen Handlungsformen, deren Verhältnis im Schrifttum noch immer ungeklärt ist. Im Fokus steht dabei das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung, deren Vorliegen nach klassischer Lesart tatbestandlich die Benachteiligung einer Person im Vergleich zu einer anderen Person wegen eines verbotenen Merkmals voraussetzt. Ein solches materiell-rechtlich verstandenes Vergleichspersonenkonzept, das vermeintlich im Wortlaut sowohl der Richtlinien als auch des § 3 Abs. 1 AGG seinen Ausdruck gefunden hat, verengt den Blick indes zu sehr auf den erst im Zusammenhang mit privatrechtlichen Rechtsfolgen entscheidenden Eingriff in Rechtspositionen des Diskriminierungsopfers und wird dem gleichheitsrechtlichen Charakter des unional determinierten, originär staatsgerichteten Diskriminierungsverbots nicht gerecht. Ausschlaggebend für das Vorliegen einer Diskriminierung ist demnach nicht eine individuelle Ungleichbehandlung, sondern allein die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal im Rahmen einer wie auch immer gearteten generell-abstrakten Norm. Hierbei kann es sich um eine gesetzliche oder kollektive Regelung handeln. Daneben liegt aber auch Einzelmaßnahmen stets eine generell-abstrakte Entscheidungsmaxime zugrunde, die von der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal geprägt sein kann. Was insoweit in Bezug auf staatliche Einzelmaßnahmen (Ermessensentscheidungen einer Behörde) konsentiert ist, kann für private Einzelmaßnahmen, wie etwa die Entscheidung über Abschluss und Inhalt eines Vertrages, nicht anders beurteilt werden. Das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung ist damit als normbezogenes Anknüpfungsverbot zu qualifizieren, welches Regelungen (im weitesten Sinne) ebenso erfasst wie Entscheidungsmaximen, die der Entscheidung Einzelner über den Abschluss oder den Inhalt von Verträgen zugrundeliegen. Der konkreten Ungleichbehandlung einer Person im Vergleich zu einer anderen Person (Vergleichspersonenkonzept) bedarf es dagegen auf materiell-rechtlicher Ebene nicht. Ihr kommt erst auf prozessualer Ebene maßgebliche Bedeutung für die Beweisführung des Diskriminierungsopfers zu. Der hier vorgenommenen Deutung des Verbotes der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot steht der Wortlaut des § 3 Abs. 1 AGG und der Richtlinien, wonach eine unmittelbare Diskriminierung die Benachteiligung einer Person im Verhältnis zu einer anderen, günstiger behandelten Person voraussetzt, nicht entgegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die genannte Definition nach der Konzeption der staatsgerichteten Richtlinien sowohl staatliche als auch individuelle Diskriminierungen erfassen soll. Würde die Definition dagegen dem vorherrschenden Verständnis folgend eine konkrete individuelle Ungleichbehandlung voraussetzen, wären die Richtlinien auf generell-abstrakte Ungleichbehandlungen seitens des Staates oder der So­

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zialpartner gerade nicht anwendbar. Die Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf staatliche Diskriminierungen (Mangold) oder in Bezug auf diskriminierende Regelungen in Tarifverträgen (Prigge) belehrt indes eines Besseren. Zudem hat die hier zugrunde gelegte Deutung des Verbotes der unmittelbaren Diskriminierung als Anknüpfungsverbot auch im Wortlaut der Definition des § 3 Abs. 1 AGG und der Richtlinien ihren Niederschlag gefunden, indem eine Diskriminierung auch vorliegt, wenn eine Person eine günstigere Behandlung erfährt, als eine andere Person erfahren „würde“. Denn eine solche hypothetische Vergleichsperson lässt sich allein auf Basis eines Gruppenvergleichs anhand einer abstrakt-generellen Regelung oder privaten Entscheidungsmaxime ergründen, ohne dass es hierzu einer konkreten Vergleichsperson bedarf. Die hier vorgenommene Deutung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung als normbezogenes Anknüpfungsverbot bedingt aber nicht nur die Entbehrlichkeit einer konkreten Vergleichsperson, sondern die Entbehrlichkeit einer individuell benachteiligten, konkreten Person überhaupt. Folgerichtig hat der EuGH im Urteil Feryn die Offenlegung einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime bereits als unmittelbare Diskriminierung qualifiziert. Eng verwoben mit dem gleichheitsrechtlichen Kern des Verbotes der unmittelbaren Diskriminierung und in wesentlichen Teilen zugleich Ausfluss der Privatautonomie des Verbotsadressaten sind die Möglichkeiten der Rechtfertigung einer Anknüpfung an ein verbotenes Unterscheidungsmerkmal. Erforderlich ist jeweils die Verfolgung bestimmter, vorab festgelegter Ziele durch den Verbotsadressaten sowie ein angemessenes Verhältnis zwischen Ziel und verbotener Anknüpfung. Das AGG sieht sowohl in Bezug auf das erwerbsbezogene Diskriminierung als auch in Bezug auf das zivilrechtliche Diskriminierungsverbot Rechtfertigungsmöglichkeiten vor, die jeweils auf entsprechende Ermächtigungen in den Antidiskriminierungsrichtlinien zurückgehen. Zentraler Rechtfertigungstatbestand in Bezug auf das erwerbsbezogene Diskriminierungsverbot ist § 8 AGG, der die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal erlaubt, wenn es sich bei diesem Merkmal um eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung handelt. Der Rechtfertigungsgrund trägt dem Interesse des Arbeitgebers an der Gewährleistung der Eignung des Arbeitnehmers oder Stellenbewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit Rechnung und dient damit dem Schutz der Freiheitssphäre des Verbotsadressaten. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei einem Merkmal oder einer damit in Zusammenhang stehenden Eigenschaft um eine entscheidende berufliche Anforderung handelt, ist die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers hinsichtlich der von dem (zukünftigen) Arbeitnehmer zu erbingenden Tätigkeit. Ob das vom Arbeitgeber für unverzichtbar befundene Merkmal bzw. die hiermit in Zusammenhang stehende Eigenschaft für die Ausübung der Tätigkeit tatsächlich entscheidend ist, ist dagegen auf Basis der Tätigkeitsdefinition des Arbeitgebers anhand objektiver Kriterien

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Gesamtergebnis

festzulegen. Die Unverzichtbarkeit eines Merkmals ist abzulehnen, wenn der Wunsch des Arbeitgebers nach dem Vorhandesein dieses Merkmals auf nicht sozialadäquaten Kundenpräferenzen beruht. In Bezug auf bestimmte Unterscheidungsmerkmale ist als Ausfluss des Prinzips materieller Gleichheit bereits die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers in Bezug auf die vom Arbeitnehmer zu erbringende Tätigkeit Einschränkungen unterworfen, indem der Arbeitgeber zur Anpassung des Arbeitsplatzes an die Fähigkeiten des Arbeitnehmers (Behinderung) oder sogar einen vollständigen Verzicht auf die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers (Schwangerschaft, Mutterschaft) verpflichtet wird. Mehr Raum für die Privatautonomie räumt § 9 AGG hingegen Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften ein, und dies gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen erfolgt die Feststellung der Unverzichtbarkeit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung des Arbeitnehmers oder Bewerbers für die Ausübung der vom Arbeitgeber festgelegten Tätigkeit nicht anhand objektiver Kriterien, sondern vielmehr ausschließlich anhand des Selbstverständnisses der jeweiligen Gemeinschaft und unter Beachtung ihres hieraus fließenden Selbstbestimmungsrechts. Zum anderen umfasst dieses Selbstbestimmungsrecht auch das Recht der genannten Gemeinschaften, von ihren Mitarbeitern ein aufrichtiges und loyales Verhalten im Sinne des Selbstverständnsises der Gemeinschaft verlangen zu können. Hierdurch wird die autonome Festlegung der an Arbeitnehmer zu stellenden Anforderungen zwar nicht Bezug auf den Status, wohl aber in Bezug auf das Verhalten, auf weitere Unterscheidungsmerkmale wie etwa die sexuelle Identität ausgedehnt. Artikel 9 AGG räumt damit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein Recht zur präferenzbedingten Diskriminierung ein, das in funktionaler Hinsicht einer Bereichsausnahme sehr nahe kommt. Mit den unionsrechtlichen Vorgaben ist diese weitgehende Beschränkung des Diskriminierungsschutzes zugunsten der Privatautonomie des Verbotsadressaten vereinbar, weil die entsprechende Ermächtigung in Ar­ tikel 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG auf der Achtung des Status beruht, der den Kirchen und religiösen Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten eingeräumt wird. Die zusätzliche Rechtfertigungsmöglichkeiten, die § 10 AGG den Arbeitgebern in Bezug auf Ungleichbehandlungen wegen des Alters einräumt, dienen dagegen nicht der Wahrung freiheitlicher Rechtspositionen des Arbeitgebers, sondern der Rechtfertigung einer altersbezogenen Segmentierung des Arbeitslebens zur Wahrung von Gemeinwohlbelangen. Dies folgt nicht bereits aus dem insoweit ambivalenten Wortlaut des § 10 AGG, wohl aber aus Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG, der eine entsprechende Ermächtigung an die nationalen Gesetzgeber enthält. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Ungleichbehandlungen durch den einzelnen Arbeitgeber nach § 10 AGG überhaupt nicht oder nur dann gerechtfertigt werden können, wenn der einzene Arbeitgebeber mit der Anknüpfung an das Alter altruistische Ziele verfolgt. Entscheidend ist viel-

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mehr, dass die in Rede stehende Maßnahme – unabhängig von der Motivation des Arbeitgebers – objektiv einem Gemeinwohlbelang dient. Der nationale Gesetzgeber muss die hierbei in Betracht kommenden Maßnahmen nicht vorab festlegen, sondern es genügt insoweit die Übernahme der Generalklausel aus Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG. Bei den Gemeinwohlbelangen, die eine Anknüpfung an das Alter durch Gesetzgeber, Sozialpartner oder einzelne Arbeitgeber zu rechtfertigen vermögen, muss es sich allerdings um ein sozialpolitisch motiviertes Ziel handeln. Andere Gemeinwohlbelange, wie etwa Sicherheitsaspekte, kommen insoweit nicht in Betracht. In Bezug auf das allgemein-zivilrechtliche Diskriminierungsverbot ­existiert mit § 20 AGG nur ein einziger, spezifischer Rechtfertigungstatbestand, der wiederum nur in Bezug auf Diskriminierungen wegen des Geschlechts unionsrechtlich unterfüttert ist. Diskriminierungen wegen aller vom zivilrechtlichen Diskriminierungsverbot erfassten Merkmale außer der Rasse und der ethnischen Herkunft sind danach gerechtfertigt, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt. Erforderlich ist zudem, dass die Anknüpfung an das verbotene Merkmal zu dem verfolgten Grund in einem angemessenen Verhältnis steht. Als Gründe kommen in erster Linie wirtschaftliche Gründe in Betracht, wenn auch die Regelbeispiele des § 20 Abs. 1 S. 2 AGG eine Dominanz altruistischer Motive nahezulegen scheinen. Die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal kann etwa (bei Dauerschuldverhältnissen) zur Sicherstellung bestimmter Eigenschaften beim Vertragspartner geboten sein oder sich als Reaktion auf gesetzlich vorgeschriebene, gesteigerte Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz bestimmter Merkmalsträger (Behinderte, alte Personen) darstellen. Auch das Geschäftsmodell als solches kann den Ausschluss von Merkmalsträgern bedingen. Beruht dieses Geschäftsmodell aber auf (antizipierten) Kundenpräferenzen, gelten insoweit dieselben Beschränkungen wie beim erwerbsbezogenen Diskriminierungsverbot. Geht es um die Sicherstellung bestimmter Eigenschaften des Vertragspartners stellt sich auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit die Frage, ob die Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal als Ersatzkriterium (proxy) für die Feststellung dieser Eigenschaften zulässig ist. Der EuGH hat dies im Ergebnis verneint, indem er Artikel 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/113/ EG, der eine Anknüpfung an das Geschlecht im Rahmen der Berechnung von Versicherungsprämien und Beiträgen unter bestimmten Voraussetzungen zuließ, für nicht vereinbar mit dem primärrechtlichen Verbot der Geschlechtsdiskriminierung erklärt hat. Das Urteil und die Ausführungen der Generalanwältin lassen darauf schließen, dass die Heranziehung eines verbotenen Merkmals als Ersatzkriterium allgemein nicht in Betracht kommt und wirtschaftliche Erwägungen insoweit keine Rolle spielen. Etwas anderes gilt aber in Bezug auf das Merkmal Alter, wo der EuGH im Urteil Wolf die Heranziehung des Lebensalters als Indiz für die körperliche Leistungsfähigkeit von Feuerwehrleuten zugelassen hat.

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Eine Möglichkeit der Rechtfertigung erwerbsbezogener wie allgemein-zivilrechtlicher Ungleichbehandlungen enthält § 5 AGG, sofern es sich hierbei um eine geeignete und angemessene Maßnahme zur Verhinderung oder zum Ausgleich bestehender Nachteile handelt. Die Vorschrift adressiert aktive Maßnahmen zum Ausgleich bestehender gesellschaftlicher Nachteile und markiert damit zugleich die Bruchlinie eines Konzepts materieller Gleichheit mit dem Konzept formeller Gleichbehandlung, das dem Verbot der unmittelbaren Diskriminierung zugrundeliegt. Ob die Vorschrift auch positive Maßnahmen durch Privatpersonen (z.B. einzelne Arbeitgeber) erfasst, erscheint zweifelhaft. Der Wortlaut und die Gesetzesbegründung deuten zwar klar in diese Richtung. Die unionsrechtlichen Vorgaben ermöglichen hingegen nur die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen durch den Staat oder die Tarifpartner, so dass eine entsprechende richtlinienkonforme Reduktion des § 5 AGG geboten scheint. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung erweitert das Verbot der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal um ein Verbot der Anknüpfung an scheinbar neutrale Kriterien, wenn hierdurch Merkmalsträger in besonderer Weise benachteiligt werden. Diese Erweiterung dient zum einen dem Schutz vor Umgehung des Verbots der unmittelbaren Diskriminierung, indem Verbotsadressaten auch in Bezug auf die Anknüpfung an Ersatzkriterien einem Begründungszwang unterworfen werden. Darüber hinaus soll durch das Verbot der mittelbaren Diskriminierung aber auch die tatsächlich nachteilige Auswirkung der Anknüpfung an neutrale Kriterien auf Merkmalsträger in den Blick genommen werden und auf diese Weise im Sinne eines Prinzips materieller Gleichheit gesellschaftlichen Benachteiligungen entgegengewirkt werden. Insoweit kommt dem Verbot der mittelbaren Diskriminierung ein eigener Gerechtigkeitsgehalt zu. In dogmatischer Hinsicht handelt es sich aber beim Verbot der mittelbaren Diskriminierung ebenso wie beim Verbot der unmittelbaren Diskriminierung um ein normbezogenes Anknüpfungsverbot, wobei an die Stelle der Anknüpfung an ein verbotenes Merkmal die Anknüpfung an ein neutrales, Merkmalsträger in besonderer Weise belastendes Merkmal tritt. Der Normbezug kommt hier sogar im Normtext sowohl des § 3 Abs. 2 AGG als auch der Richtlinien deutlicher zum Ausdruck, weil hier explizit von dem Anschein nach neutralen „Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ die Rede ist. Herzstück des Tatbestands der mittelbaren Diskriminierung ist der auf Basis des offengelegten neutralen Kriteriums durchzuführende Gruppenvergleich. Während sich eine unmittelbare Diskriminierung durch eine homogene Gruppenbildung auszeichnet, ist die mittelbare Diskriminierung durch eine imhomogene Gruppenbildung geprägt, indem sich sowohl in der Gruppe der bevorzugten wie der benachteiligten Personen Merkmalsträger und Nichtmerkmalsträger finden. Entscheidend für die Feststellung einer mittelbaren Diskriminierung ist das Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich des jeweiligen Anteils der bevorzugten und benachteiligten Personen. Be-

§ 4 Vierter Teil

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steht eine homogene Gruppenprägung dagegen, wie im Falle der Anknüpfung an die Schwangerschaft oder der kombinierten Anknüpfung an ein verbotenes und ein neutrales Merkmal, nur auf der einen Seite, während die andere Seite eine inhomogene Gruppenprägung aufweist, liegt ein Fall der unmittelbaren Diskriminierung vor. Der Nachweis der besonderen Belastung von Merkmalträgern kann sowohl anhand statistischer Erkenntnisse als auch anhand einer typisierten Betrachtung erfolgen. Eine mittelbare Diskriminierung liegt ungeachtet einer besonderen Belastung von Merkmalsträgern durch Anknüpfung an ein neutrales Merkmal nicht vor, wenn diese Anknüpfung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Bei den genannten Voraussetzungen handelt es sich, ungeachtet der Formulierung, um einen echten Rechtfertigungsgrund und nicht um ein negatives Tatbestandsmerkmal. Dies folgt aus der hier vorgenommen Qualifikation des Verbots der mittelbaren Diskriminierung als Verbotstatbestand mit eigenem Gerechtigkeitsgehalt. Die sachliche Rechtfertigung dient insoweit nicht nur der Widerlegung des Anscheins einer unmittelbaren Diskriminierung, sondern zugleich der Rechtfertigung der tatsächlichen Belastung von Merkmalsträgern durch die Anknüpfung an ein neutrales Merkmal.

§ 4 Vierter Teil Die Vorgaben des Unionsrechts in Bezug auf die Rechtsfolgen von Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot ergeben sich zuerst aus den Antidiskriminierungsrichtlinien. Neben der Pflicht der Mitgliedstaaten, die Unwirksamkeit diskriminierender Regelungen und Vertragsbestimmungen sicherzustellen, statuieren alle Richtlinien die Pflicht zur Etablierung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen sowie eine Rechtschutzgarantie. Die sich hieraus konkret ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten erschließen sich indes nur unter Berücksichtigung der ihnen zugrundeliegenden Rechtsprechung des EuGH zur Sanktionierung von Verstößen gegen das durch die Richtlinie 76/207/EG vorgegebene Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts. Danach müssen nationale Rechtsfolgenregelungen in diesem Bereich zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen zum einen nach dem Grundsatz „ubi ius, ibi remedium“ die tatsächliche Chancengleichheit des Diskriminierungsopfers durch Zurverfügungstellung eines individuellen Rechtsbehelfs gewährleisten. Zum anderen muss eine mitgliedstaatliche Rechtsfolgenregelung eine wirklich abschreckende Wirkung entfalten, um die Verbotsadressaten von künftigen Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot abzuhalten. Indem die Wiederherstellung tatsächlicher Chancengleichheit für das individuelle Diskriminierungsopfer nur über die Einräumung privatrechtlicher Ansprüche zur Wiedergutmachung bereits erfolgter Diskriminierungen denkbar ist, folgt be-

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reits aus der ersten Voraussetzung die Unzulänglichkeit eines ausschließlich auf öffentlich-rechtlichen oder strafrechtlichen Sanktionen aufbauenden Rechtsfolgenregimes. Hinsichtlich der Art der dem Diskriminierungsopfer einzuräumenden privatrechtlichen Ansprüche unterliegen die Mitgliedstaaten dagegen grundsätzlich keinen Beschränkungen. In Betracht kommen danach zum einen Schadensersatzansprüche, zum anderen Abhilfemöglichkeiten bereits auf der primären Ebene, wie etwa ein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages oder ein Wiedereinstellungsanspruch. Im Hinblick auf die unionsrechtlich ebenfalls geforderte Abschreckung der Verbotsadressaten vor zukünftigen Diskriminierungen können sich die Mitgliedstaaten dagegen eines breiten Spektrums an Rechtsfolgen einschließlich öffentlich-rechtlicher oder strafrechtlichern Sanktionen bedienen. Auch insoweit kommen indes erneut Schadensersatzansprüche in Betracht, denen heute nahezu einhellig eine präventive Wirkung zuerkannt wird. Schadensersatzansprüche stellen sich damit im Hinblick auf die ihnen innewohnende Doppelfunktion (Ausgleich und Prävention) insgesamt als Rechtsfolge erster Wahl zur effektiven Duchsetzung des Diskriminierungsverbots sowohl hinsichtlich des Individualschutzes als auch hinsicht der geforderten Abschreckung dar. Für Diskriminierungen wegen des Geschlechts schreiben die einschlägigen Richtlinien 2006/54/EG und 2004/113/EG sogar zwingend Schadensersatzansprüche an die Opfer vor. Auf Diskriminierungen wegen anderer Merkmale ist diese spezifische Regelung zwar nicht übertragbar, da sie auf einer Fehlinterpretation der diesbezüglichen Vorgaben des EuGH durch den Unionsgesetzgeber beruht. Im Hinblick auf die Umsetzung aller Antidiskriminierungsrichtlinien gilt dagegen das allgemeine Gebot der Einräumung privatrechtlicher Rechtsbehelfe des Diskriminierungsopfers. Hinsichtlich möglicher privatrechtlicher Rechtsbehelfe des Diskriminierungsopfers ist zu unterscheiden zwischen Rechtsbehelfen, die eine unmittelbare Abhilfe auf der Primärebene gewähren, und Schadensersatzansprüchen, die eine Wiedergutmachung auf der Sekundärebene anordnen. Gerade im Hinblick auf die diskriminierende Ausgestaltung von Verträgen ist den Belangen des Diskriminierungsopfers häufig schon allein durch die Unanwendbarkeit der jeweiligen Regelung oder Bestimmung genügt. Von daher enthalten alle Antidiskriminierungsrichtlinien jeweils eine Vorgabe, wonach die Mitgliedstaaten die Nichtigkeit diskriminierender Bestimmungen in Einzel- oder Kollektivverträgen gewährleisten müssen. Die Vorgabe an die Mitgliedstaaten entspricht der vom EuGH im Urteil Simmenthal II etablierten ersten Stufe des Schutzes subjektiver Rechte im Wege der Unanwendbarkeit entgegenstehender nationaler Regelungen und überträgt dieses Prinzip auf das Verhältnis zwischen Diskriminierungsopfer und Verbotsadressaten. Sofern es sich bei Letzterem um eine Privatperson handelt, ergibt sich die Nichtigkeit diskriminierender Vertragsbestimmungen nicht bereits aus der unmittelbaren Wirkung der Richtlinien, sondern sie muss im nationalen Recht erst installiert werden. Ist dies ge-

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schehen, folgt aus der Unanwendbarkeit der diskriminierenden Bestimmung die Pflicht des Verbotsadressaten, dem Diskriminierungsopfer vorbehaltlich einer Neuregelung die ihm im Vergleich zu anderen Personen vorenthaltene Vergünstigung im Sinne einer „Anpassung nach oben“ zu gewähren. Im deutschen Recht wurde die Unwirksamkeit diskriminierender Bestimmungen in Kolletiv-und Einzelverträgen in §§ 7 Abs. 2 und 21 Abs. 4 AGG umgesetzt, obschon sich diese Rechtsfolge bereits aus § 134 BGB in Verbindung mit dem in §§ 7, 19 AGG verankerten Diskriminierungsverbot ergibt. Erfolgt die Diskriminierung nicht im Rahmen einer vertraglichen Bestimmung, sondern im Wege eines einseitigen Rechtsgeschäfts oder eines faktischen Verhaltens, bedarf es auf der Primärebene einer weitergehenden Abhilfe, um die tatsächliche Gleichbehandlung des Diskriminierungsopfers sicherzustellen. Das Unionsrecht schreibt einen solchen auf Abschluss oder Fortsetzung eines Vertrages gerichteten Rechtsbehelf nicht vor, schließt ihn aber auch nicht aus. Entscheiden sich die Mitgliedstaaten für die Etablierung eines solchen Rechtsbehelfs, ist dieser im Hinblick auf die ihm innewohnende, gegenüber Schadensersatzansprüchen intensivere Beschränkung der Privatautonomie an den insoweit einschlägigen Unionsgrundrechten und -freiheiten zu messen. Die Steigerung der Eingriffsintensität eines Kontrahierungszwangs im Vergleich zu einer reinen Schadensersatzregelung manifestiert sich in dem fehlenden Wahlrecht des Verbotsadressaten, den Vertrag abzuschließen bzw. fortzusetzen, oder die mit der Verweigerung dieses Verhaltens einhergehenden Kosten zu tragen. Rechtsbehelfe, die auf Fortsetzung eines bereits bestehenden Vertragsverhältnisses gerichtet sind, stellen sich dabei als weniger ingriffsintensiv dar als Rechtsbehelfe, die einen Anspruch auf Neubegründung eines Vertragsverhältnisses beinhalten. Letzteres gilt jedenfalls in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse, da diese nicht auf einen einmaligen Leistungsaustausch beschränkt sind und damit potentiell einen gesteigerten sozialen Kontakt mit sich bringen. Als ungemessen starke Beschränkung der Freiheitssphäre des Verbotsadressaten stellt sich eine Pflicht zum Vertragsschluss daher vor allem im Hinblick auf Beschäftigungsverhältnisse dar, wo § 15 Abs. 6 AGG einen solchen Anspruch dann auch kategorisch ausschließt. Bei allgemein-zivilrechtlichen Rechtsverhältnissen fehlt es dagegen regelmäßig an einem ähnlich intensiven sozialen Kontakt. Dies gilt grundsätzlich auch für Dauerschuldverhältnisse, wobei Wohnraummietverhältnisse mit einem räumlichen Bezug zwischen Mieter und Vermieter eine Ausnahme darstellen. Außerhalb der letztgenannten Vertragsverhältnisse ist es allerdings unter dem Aspekt der Privatautonomie des Verbotsadressaten nicht zu beanstanden, dass § 21 Abs. 1 AGG mit dem Anspruch auf Beseitigung der mit einer Diskriminierung einhergehenden Beeinträchtigung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages gewährt. Jede Abhilfe auf der Primärebene muss dagegen in Bezug auf die ebenfalls vom Diskriminierungsverbot erfasste Bestellung der Mitglieder von Gesellschaftsorganen ausscheiden, weil

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die mit der Organstellung einhergehende Vertretungsbefugnis einen zu starken Eingriff in die durch die Grundrechte und Grundfreiheiten gewährleistete effektive Kontrolle der Anteilseigner über ihr Unternehmen darstellen würde. Als zentraler Rechtsbehelf im Antidiskriminierungsrecht stellen sich jedoch Schadensersatzansprüche dar, indem diese aufgrund ihrer Doppelfunktionalität sowohl dem Ziel des Individualschutzes als auch dem Ziel der Abschreckung gerecht werden können. Auch soweit die Etablierung von Schadensersatzansprüchen nicht bereits zwingend vorgeschrieben ist, enthält das Unionsrecht für den Fall, dass sich die Mitgliedstaaten für diesen Rechtsbehelf entscheiden, zahlreiche Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung der Haftung. Diese Vorgaben lassen sich zum Teil der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 76/207/ EG entnehmen; zum Teil ergeben sie sich aber auch aus der allgemeinen Rechtsprechung des EuGH zur Durchsetzung unionaler subjektiver Rechte. Zu den allgemein zu beachtenden Vorgaben gehören das Äquivalenz- und Effektivitätsprinzip. Unter den besonderen Vorgaben sticht zunächst das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung heraus, das im Antidiskriminierungsrecht deutlicher ausgeprägt ist als in anderen Rechtsbereichen des Unionsrechts. Hinsichtlich der Schadenshöhe gilt der Grundsatz des vollen Schadensausgleichs, wonach dem Diskriminierungsopfer alle materiellen wie immateriellen Schäden einschließlich Zinsen und entgangenem Gewinn zu ersetzen sind. Nach dem Konzept des EuGH wird über die volle Haftung des Verbotsadressaten sowohl ein wirksamer Individualschutz als auch eine ausreichende Abschreckung der Verbotsadressaten vor zukünftigen Diskriminierungen gewährleistet (Prävention durch Kompensation). Hieraus folgt zugleich, dass zusätzliche, über den Ersatz aller tatsächlich entstandenen Schäden hinausgehende Ansprüche des Diskriminierungsopfers auf überkompensatorischen Schadensersatz unionsrechtlich nicht geboten sind. Indem gerade der volle Ausgleich aller Schäden nach dem Haftungskonzept des EuGH auch eine Präventionsfunktion erfüllt, kommt dem Ersatz des materiellen Schadens eine herausragende Bedeutung zu. Diese manifestiert sich unter anderem darin, dass der EuGH bei Diskriminierungen im Rahmen von Bewerbungsverfahren dem subjektiv bestqualifizierten Stellenbewerber einen Anspruch auf Ersatz des vollen Nichtanstellungsschadens zuerkennt, der zudem in der Höhe nicht gedeckelt werden darf. Der schwierigen Beweislage des Diskriminierungsopfers hinsichtlich der subjektiven Bestqualifikation trägt der EuGH durch eine äußerst großzügige Beweislastregelung Rechnung und erteilt damit zugleich der alternativen Lösung, die bloße Chance auf Einstellung als materiellen Schaden zu qualifizieren, für das Diskriminierungsrecht eine ­Absage. Die deutsche Umsetzungsregelung in §§ 15, 21 Abs. 2, 3 AGG genügt den unionsrechtlichen Anforderungen nur zum Teil. Klar unionsrechtswidrig ist die Knüpfung des Anspruchs auf Ersatz des materiellen Schadens (§ 15 Abs. 1,

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21 Abs. 2 S. 1 AGG) an ein Verschulden des Verbotsadressaten. Zum einen widerspricht sie der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 76/207/EG, wonach ein Verschuldenserfordernis hinsichtlich des Ersatzes aller Schadensposten nicht in Betracht kommt. Zum anderen bedeutet die Privilegierung des immateriellen Schadensersatzs gegenüber dem materiellen Schadensersatz einen Bruch sowohl mit dem nationalen als auch mit dem unionalen Haftungssystem, wo dem immateriellen Schadensersatz eine eher nachgeordnete Rolle zukommt. Nicht mit dem unionsrechtlichen Grundsatz des vollen Schadensausgleichs vereinbar sind zudem Interpretationen der deutschen Regelung, die den Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens auf den Vertrauensschaden begrenzen wollen oder hinsichtlich der Schadensberechnung pauschal auf den Zeitpunkt der frühesten Kündigungsmöglichkeit abstellen wollen. Der in §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG geregelte Anspruch des Diskriminierungsopfers auf Ersatz des immateriellen Schadens passt sich dagegen bei richtiger Interpretation in das Haftungskonzept des Unionsrechts ein. Dem Entschädigungsanspruch kommt danach zunächst, entgegen dem BAG und Teilen des Schrifttums, nicht die Funktion zu, die Abschreckung der Verbotsadressaten vor zukünftigen Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot zu gewährleisten. Das Unionsrecht fordert keine isolierte, vom Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens entkoppelte Prävention. Der deutsche Gesetzgeber hatte selbiges bei der Schaffung der §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 2 S. 3 AGG ebenfalls nicht im Sinn, denn laut der Regierungsbegründung sollen die genannten Vorschriften der Genugtuung des Diskriminierungsopfers und dem Ausgleich seiner Zurücksetzung und Herabsetzung dienen. Hieraus folgt zudem, dass beim Diskriminierungsopfer tatsächlich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegen muss, um einen immateriellen Schaden konstatieren zu können. Etwas anderes folgt entgegen dem BAG und Teilen des Schrifttums auch nicht aus der im Übrigen richtigen Feststellung, dass eine Diskriminierung als solche keine Persönlichkeitsrechtsverletzung voraussetzt. Denn hier geht es nicht um das Vorliegen einer Diskriminierung, sondern um das Vorliegen eines ersatzfähigen immateriellen Schadens. Im Einklang mit der Regierungsbegründung zum AGG dürfte eine wie auch immer geartete Zurücksetzung im Falle einer merkmalsbezogenen Ungleichbehandlung allerdings bis auf wenige Ausnahmen regelmäßig vorliegen. Für die Bezifferung dieser Zurücksetzung verweist die Regierungsbegründung auf die Rechtssprechung zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieser Verweis kann aber nicht für die Beschränkung der Haftung auf schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen gelten, weil eine solche Beschränkung mit dem unionalen Grundsatz des vollen Schadensausgleichs nicht vereinbar wäre. In die Schadensberechnung können nicht nur opferbezogene, sondern auch tat- bzw. verletzerbezogene Faktoren einfließen, soweit die Berücksichtigung auch solcher Faktoren potentiell eine Genugtuung beim Diskriminierungsopfer bewirken kann. Nicht in Betracht kommt dagegen

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die Berücksichtigung verletzerbezogener Faktoren (wie etwa der Einkommensund Vermögensverhältnisse) unter rein präventiven Gesichtspunkten. Die Beweissituation des Diskriminierungsopfers stellt sich als strukturell prekär dar, weil ihm jedenfalls bei unmittelbaren Diskriminierungen die Entscheidungsmaxime des Gegenübers regelmäßig nicht offengelegt zu werden pflegt. Dies hat zunächst den EuGH und später dann den Unionsgesetzgeber dazu bewogen, die Beweissituation des Diskriminierungsopfers durch Beweiserleichterungen zu verbessern, um hierdurch dem unionsrechtlichen Gebot der effektiven Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung Rechnung zu tragen. Eine erste unionsrechtlich vorgesehene Beweiserleichterung betrifft das Vorliegen einer Diskriminierung als solche. Sämtliche Antidiskriminierungsrichtlinien enthalten insoweit eine Regelung, wonach es im Falle des Vorliegens von Indizien für eine Diskriminierung dem Beklagten obliegt zu beweisen, daß keine Diskriminierung vorgelegen hat. Die Vermutungstatsachen für die Begründung der Beweislastumkehr muss der Kläger darlegen und beweisen. Eine im Schrifttum erwogene Absenkung des Beweismaßes im Sinne einer Glaubhaftmachung findet hingegen weder in den Richtlinien noch der ihnen zugrundeliegenden Rechtsprechung des EuGH eine Stütze und würde sich auch als zu starke Einschränkung der Freiheitssphäre des Verbotsadressaten darstellen. Klassische Indizien für das Vorliegen einer Diskriminierung sind zunächst Äußerungen, durch welche der Verbotsadressat seine diskriminierende Entscheidungsmaxime unmitttelbar offenlegt, wie etwa nicht merkmalsneutrale Stellenausschreibungen oder diskriminierende Äußerungen im Bewerbungsverfahren. Des Weiteren kommen aussagekräftige Statistiken als Indiz in Betracht. Kann der Kläger keine Indizien vortragen, die unmittelbar auf das Vorliegen einer diskriminierenden Entscheidungsmaxime hindeuten, kann der diesbezügliche Nachweis nur mittelbar über den Nachweis der günstigeren Behandlung einer anderen, objektiv schlechter qualifizierten Person geführt werden. Hier, im Rahmen des prozessualen Nachweises einer Diskriminierung, und nicht bereits im Rahmen des materiell-rechtlichen Diskriminierungstatbestands, spielt das Vergleichspersonenkonzept eine herausragende Rolle. Die Beweisführung nach dem prozessualen Vergleichspersonenkonzept stößt indes an ihre Grenzen, wenn es dem Kläger noch nicht einmal gelingt, eine entsprechende Vergleichsperson zu benennen. Hier stellt sich die Beweissituation des Diskriminierungsopfers als ähnlich prekär, wie in Bezug auf das Vorliegen einer Diskriminierung als solche, weil der Verbotsadressat über alle diesbezüglichen Informationen verfügt. Soll die effektive Durchsetzung des Rechts auf Nichtdiskriminierung nicht regelmäßig bereits auf dieser frühen Stufe der Beweisführung scheitern, muss das nationale Recht Regelungsmechanismen vorsehen, mittels derer das Informationsmonopol des Beklagten durchbrochen werden kann. Die naheliegende Möglichkeit, dem Kläger einen Auskunftsanspruch über Person und Qualifikation des ihm vorgezogenen Be-

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werbers einzuräumen, sehen die Antidiskriminierungsrichtlinien nicht vor. Geboten erscheint es aber, auch nach der Sichtweise des EuGH, die Nichterteilung der erbetenenen Auskunft selbst unter bestimmten weiteren Voraussetzungen, als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung zu werten. In diesem Fall muss der Beklagte das Nichtvorliegen einer Diskriminierung beweisen. Dasselbe gilt, wenn sich aus der gleichwohl erteilten Auskunft die objektiv schlechtere Qualifikation des dem Kläger vorgezogenen Bewerbers mit vom Kläger abweichender Merkmalsstruktur ergibt. Der Gegenbeweis kann dann auf Basis eines subjektiven Anforderungsprofils des Beklagten erfolgen, dessen Existenz der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts darzutun und zu beweisen hat. In dieser Objektivierung subjektiver Entscheidungsmaximen liegt, entgegen dem ersten Anschein, keine auf prozessualem Wege vollzogene Annäherung des merkmalsbezogenen Diskriminierungsverbotes an ein allgemeines Willkürverbot. Denn der Beklagte hat es in der Hand, die Plausibilität seiner Entscheidungen durch Offenlegung der ihnen zugrundeliegenden Entscheidungsprozesse zu steigern. Das hier propagierte Modell gestufter Auskunfts- und Darlegungsobliegenheiten des Beklagten gewährleistet allerdings einen Rechtsschutz durch Verfahren und wirkt auf diese Weise zugleich unbewussten Anknüpfungen an ein verbotenes Merkmal entgegen. Das Modell einer gestuften Auskunfts- und Darlegungsobliegenheit des Beklagten in Auswahlverfahren stößt indes an seine Grenzen in Bezug auf Vertragstypen, bei denen der Verbotsadressat, und nicht das Diskriminierungsopfer die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat. Denn wenn das Diskriminierungsopfer nur die Geldleistung zu erbingen hat, scheitert regelmäßig die Beweisführung auf Basis der objektiven Besserqualifikation des Diskriminierungsopfers. Der effizienten Durchsetzung des Diskriminierungsverbotes und des Rechts auf Nichtdiskriminierungs sind insoweit Grenzen gesetzt. Eine weitere Beweiserleichterung zugunsten des Diskriminierungsklägers sieht das Unionsrecht im Hinblick auf die Frage vor, ob es sich bei dem diskriminierten Kläger um den subjektiv bestqualifizierten Bewerber gehandelt hat. Wie der EuGH im Urteil Draehmpaehl in Bezug auf Diskriminierungen in einem Stellenbewerbungsverfahren festgestellt hat, obliegt es dem Beklagten zu beweisen, dass der diskriminierte Bewerber auch bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Der EuGH begründet dies mit dem Informationsmonopol des Arbeitgebers in Bezug auf die Qualifikation der Bewerber. Die Aussage lässt sich auf sonstige Vertragstypen übertragen. Hinsichtlich des vom Verbotsadressaten zu führenden Gegenbeweises auf Basis seines subjektiven Anforderungsprofils gelten die gleichen Aussagen wie hinsichtlich des Vorliegens einer Diskriminierung als solcher. In Deutschland wurden die unionalen Vorgaben zur Verbesserung der Beweissituation des Diskriminierungsklägers nur unzureichend umgesetzt. Als ausreichend stellt sich allein die legislative Umsetzung der durch die Richtlinien

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angordneten Beweislastumkehr in Bezug auf das Vorliegen einer Diskriminierung in § 22 AGG dar. Hingegen weigert sich das BAG beharrlich, die Nichterteilung einer Auskunft über Merkmalsstruktur und Qualifikation der dem Kläger vorgezogenen Bewerber bereits für sich genommen bzw.in Kombination mit der Merkmalsträgereigenschaft des objektiv qualifizierten Klägers als Indiz für das Vorliegen einer Diskriminierung zu werten. Die Auskunftsverweigerung soll vielmehr nur in Zusammenschau mit weiteren, nicht-merkmalsneu­ tralen Umständen als Indiz für eine Diskriminierung zu werten sein. Hierdurch wird der Diskriminierungskläger, der solche Umstände ja regelmäßig nicht vortragen kann, ebenso in seiner strukturellen Beweisnot belassen wie durch den im Schrifttum vorgeschlagenen Rückgriff auf die Rechtsfigur der gestuften Darlegungslast, die ebenfalls an bereits vorhandene Indiztatsachen anknüpft. Defizitär ist schließlich die Umsetzung der Vorgabe des EuGH aus dem Urteil Draehmpaehl, wonach es dem Arbeitgeber obliegt, die subjektive Bestqualifikation eines diskriminierten Bewerbers zu widerlegen.

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Sach- und Personenregister Abhilfe, primäre (s.a. Kontrahierungszwang, Kündigungsschutz) 235 f., 371, 388, 396–409 – Kündigung 183, 225, 237–242, 388 f., 405 f. – Vertragsbedingungen, diskriminierende 376–378 – Vertragsverweigerung 389, 401–403, 406–409 Abschlussfreiheit (s. Vertragsfreiheit/ Abschlussfreiheit) Abschreckung (s. Prävention) Äquivalenzgrundsatz (s. Individualrechtsschutz/Äquivalenzgrundsatz) Age Concern-Urteil 335–337 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 179–182, 185–372 – Genese 101–103, 324 f., 353 ff., 377 f., 407 f., 438 – Struktur 10, 12, 181 f., 185 f., 188 ff., 437, 497 f. Alter 50 f., 65 f., 80, 95, 98–110, 117–119, 156–158, 195–197, 199–201, 220–221, 236 f., 293, 296 f., 299, 301–302, 328– 338, 340 f., 348 f., 499, 504 f. – als Unterscheidungsmerkmal 4, 59, 64, 77, 95, 119, 156, 200 f., 220 f., 348 f. – Begriff 220–221 Altersdiskriminierung, Verbot 101–110, 117 f., 162, 196 f. – allgemeiner Rechtsgrundsatz 60, 101 f., 117 – Rechtfertigung 64, 66, 99, 102, 201, 220 f., 297, 328–339, 348 f., 503 – Sonderstatus 220, 328 Altersgrenzen 103 f., 301 f., 329 Anknüpfungsverbot 30, 190 f., 248 ff., 254 ff., 261, 279 ff., 361 f., 365, 418, 483, 502 f.

– gruppenbezogenes 9, 30, 198 ff., 259, 263, 273 ff., 288, 340 ff., 362 ff., 398 – normbezogenes 12, 23, 192, 248–353, 362, 501 Anpassungsmaßnahmen 313–317, 341, 499 Antidiskriminierungsrichtlinien 41 f., 45 ff., 51 f., 64 ff., 72, 92–96, 125, 128, 133 f., 138 ff., 149 f., 161, 169–173, 179 f., 267, 286 ff., 376–378, 396, 415, 442, 495 f. – Kommissionsvorschlag KOM (2008) 426 95 f. – Kompetenz 3 f., 58 ff., 80 ff., 171, 197, 495 f. – Verhältnis zu primärrechtlichen Diskriminierungsverboten 96–128, vor allem 110, 116 f., 125 f. – neue Generation 40 f., 46 f., 59 f., 264, 272, 289, 366, 461, 463, 471 Antirassismus-Richtlinie 59, 94 f., 179 Arbeitnehmerfreizügigkeit 152 ff., 172, 228, 332 f., 366, 392 Aristoteles, Gebot 27, 30, 350, 360 Artikel 19 AEUV 59 ff., 80–91, 94 f., 120 f., 127, 170 f., 217, 219, 495 f. – Akzessorietät 83 ff. – Genese 81, 82 f. Auskunftsanspruch (s.a. Meister-Urteil) 471 ff., 486 f., 489 – faktischer 475 f. Ausschlussfristen 434 ff. Auswahlentscheidung (s. Schadensersatz/ Auswahlentscheidung) Barrierefreiheit (s. Besondere Maßnahmen) Basedow, Jürgen 53 Becker, Gary 13

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Sach- und Personenregister

Behinderung 75, 103, 167, 198–200, 211– 215, 221, 238, 257 f., 162 f., 312–316, 340 ff., 499, 504 – Adipositas (Fettleibigkeit) 214 – Begriff 211–215 – Kontextbezug 211 ff. Berufliche Anforderung, wesentliche und entscheidende 279, 291, 295, 297–321, 316, 318, 323, 324, 329, 503 – Anforderungsprofil, Legitimität 299 f., 305 f. – Ersatzkriterium (proxy) 298 – Kundenpräferenzen 302–312, 341 f., 502, 504 – Verhältnismäßigkeit 298, 300 ff., 304 f. Bestqualifikation 421, 426, 433, 448, 451, 470, 479–480, 481, 491 – Bedeutung 473, 479 ff. – Beweis 425 f., 433, 479 f., 490, 491, 502, 510, 512 ff. – objektive 421, 470, 476 – subjektive 421 ff., 426, 433, 443 f., 447 f., 451, 470, 479–483, 509, 512 Beweis (s.a. Beweisnot, strukturelle, Beweislastumkehr, Beweismaß, Vergleichspersonenkonzept) 270 f., 326, 422, 425 ff., 439 f., 460–491, 510, 512 ff. – der Benachteiligung 271 f., 275 ff., 362 f., 366 f., 425 f., 461–491 – der mittelbaren Diskriminierung 366 f., 440, 463–465, 471 f. – der subjektiven Bestqualifikation 426, 433, 451, 470, 479 f., 510, 512 ff. Beweislastumkehr 57 f., 92, 266, 426, 447, 464–468, 471, 479 f., 484, 487, 491, 510 – Bezugspunkt 407, 464, 465–466, 484 ff., 510 – Indiztatsache 467 f., 484 f. Beweismaß 466–468, 484 f., 510 Beweisnot, strukturelle 461, 465, 468, 470, 474 f., 480, 482, 487, 510, 512 Binnenmarktintegration 12, 16 f., 46, 51 ff., 61–70, 73, 85, 90, 145, 153 ff., 354, 380, 494 f. – als Zielkonzeption 52 f., 55 f., 61–70, 153 ff., 404, 494 f. – Verhältnis zum Gleichheitsgrundsatz 48, 49–70, 494 f.

Bulicke-Urteil 434–437 Canaris, Claus-Wilhelm 165 f. Civil Rights Act 1964 40, 271, 354, 357 Defrenne II-Urteil 46, 56 f., 67, 73, 145, 150 f., 191, 357, 494 Dekker-Urteil 318, 413 f. Diskriminierung – Definition 23, 57 f., 92 f., 197, 242 f., 248, 250 ff., 263–292, 353–355 – mittelbare 57 f., 92, 353–355, 367 ff., 463 f. – ohne Diskriminierungsopfer 39, 250 f. 265 f., 283–292 – präferenzbedingte 13–15, 153, 220, 237, 296 f., 328, 504 – statistische 13–15, 18, 65, 153, 220, 237, 249, 296, 345–349 – unmittelbare 250 ff., 263–292 – von Dritten (Drittdiskriminierung) 260–262 – von Drittstaatenangehörigen 75 – von Nichtmerkmalsträgern (Putativdiskriminierung) 350, 362 f., 484 Diskriminierungsschutz (s.a. Nichtdiskriminierung) 4 ff., 52 f., 55–61, 72 ff., 96–128, 195–197, 232–237, 296, 325 f., 497 f. – als Freiheitsschutz 31 f., 36, 39, 151 f., 154, 187–193, 195, 200, 216, 219, 264, 327, 493, 498 f., 503 – unionaler (Binnenstruktur) 6 ff., 22, 35 ff., 42–48, 49 ff., 68, 96–128, 169 f., 172 f., 188 ff., 224 f., 345 f., 496 Diskriminierungstatbestand 185, 187 ff., 194–372, 464 f., 498, 502, 512 – freiheitswahrende Funktion 188–193, 498 – offener 195–198, 498 f. – Strukturelemente 185, 194–372, 464, 498 Diskriminierungsverbot 187–372 – binnenmarktbezogenes 52 f., 55 f., 61– 70, 73, 81, 88 ff., 354, 380, 382, 392, 494 f. – erwerbsbezogenes 180–182, 185, 200, 222 f., 226–244, 260 f., 296, 297–338, 399,

Sach- und Personenregister

537

402–407, 437, 441, 447, 454, 497 f., 500, 503, 505 – gesellschaftspolitisches 22, 46, 53, 59, 61, 63 ff., 73–96, 116, 156, 159 f., 164, 166, 225, 258, 344, 254, 366 f., 494, 495 – privatrechtsbezogenes 4 ff., 10, 13–19, 22, 25–51, 79, 89, 121, 153 f., 176 ff., 185 ff., 221 ff., 244, 255 f., 295 ff., 393, 442, 460, 493 – ratio legis 5, 11, 22, 25–70, 493 f. – zivilrechtliches 4, 35 f., 179–182, 185, 217, 222 f., 226, 232 f., 242–247, 261, 293, 341, 345, 399, 403, 405–408, 437, 442 f., 447, 500 ff. Draehmpaehl-Urteil 259, 419, 423 ff., 446, 451, 458, 480, 490 f., 513 f. Drittwirkung 40 f., 74, 149, 163, 165 f. – mittelbare 165 f. – unmittelbare 74, 149, 163, 166 – von Gleichheitsgrundrechten 51 f.

– Abgrenzung zur Staatsangehörigkeit 208–210 – Begriff 201 ff., 205–208 Europa der Bürger (s. Europäische Union/ als Wertegemeinschaft) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 117, 158 f., 168 f. – als Rechtserkenntnisquelle für den Inhalt von Charta-Grundrechten 158 f., 168 f., 170 – Artikel 14 158 f., 168 f. Europäische Union (EU) – als supranationale Organisation 142– 146, 380 f. – als Wertegemeinschaft (Europa der Bürger) 53–55, 61 f., 69, 81, 88, 145, 494 – als Wirtschaftsgemeinschaft 53–55, 61 f., 73, 145 – Konstitutionalisierung 54, 495

Effizienz 12–19 – als Kriterium der Normauslegung 16–18 – der Rechtsdurchsetzung 19 – privatrechtsbezogener Diskriminierungsverbote 12–18 Effektivitätsgrundsatz (s. Individualrechtsschutz/Effektivitätsgrundsatz) Entgeltgleichheit, Gebot 46, 55 ff., 63 f., 67, 76, 130, 140, 145, 150 f., 155, 159, 167 – als Grundrecht 57, 155 – marktintegrative Wurzeln 55 f. Entscheidungsmaxime 192, 360 ff., 406 f., 502 f. – private 254–263, 292, 361 – diskriminierende 39, 256, 266–271, 274 ff., 289, 292, 361 ff., 407, 414, 418, 443, 445, 460 f., 465 f., 468, 474 f., 478, 481 ff., 503, 512 f. Ersatzkriterium (proxy, s.a. berufliche Anforderungen, Versicherung) 14, 18, 68, 123, 220, 298, 313, 328 f., 338, 345, 347 Ethnische Herkunft 4, 59 f., 77, 80, 86 f., 94 f., 111, 156, 168, 179, 182, 198 ff., 201 ff., 244 ff., 260, 283 f., 293, 309, 339, 345, 442 f., 497 ff.

Feryn-Urteil 39, 202, 209, 283–292, 302 ff., 311 f., 503 Flume, Werner 1 Freiheit (s. Vertragsfreiheit, Unternehmerfreiheit, Grundfreiheiten) Freiheitsschutz durch Gleichbehandlung (s. Diskriminierungsschutz/als Freiheitsschutz) Funktionale Subjektivierung (s. Individualrechtsschutz/funktionale Subjektivierung) Gender-Richtlinie 59 f., 68 f., 76, 94, 111, 123, 167 Geschlecht 4, 14, 49, 111 f., 123 ff., 147, 154, 156, 198 ff., 218 f., 345 ff., 364 f., 378 – Begriff 210–211 – Intersexualität 210 – Transsexualität 210 f., 218 Geschlechtsdiskriminierung, Verbot 4, 14, 46, 57 ff., 68 f., 74 ff., 92–95, 112, 117 f., 123 f., 150–151, 167, 169 ff., 198 ff., 229, 233, 239, 245, 247, 274 ff., 317 ff., 338, 354 f., 373, 376, 378, 382, 387, 389– 394, 410, 413, 423 f., 431 ff., 461 f., 495, 497 f., 505, 507 f.

538

Sach- und Personenregister

Gleichbehandlung (Gebot) 2, 6, 9, 27 f., 30, 60, 75, 191 ff., 194, 196 f., 218, 294 f., 352, 396, 498 – formelle 29–30, 294, 313, 317, 349–353, 506 – Grundsatz 2, 5 f., 7, 9, 53, 72, 80, 92 ff., 103, 175, 189–191, 194–197, 262, 284, 294, 347, 350, 377, 390, 396, 463, 472, 495 – materielle 23, 29–30, 313, 317, 320, 349–353, 356, 366–367, 499, 502, 504, 506 Gleichbehandlungsrichtlinie 57 f., 80, 127, 194, 200, 264, 350 ff., 496 – konsolidierte 58 f., 92–94, 496 Gleichheit (siehe Gleichbehandlung) Gleichheitsgrundsatz, unionaler 12, 48 ff., 99, 196 f., 277, 344, 349, 463, 494 – Rechtsquellen 48 ff., 99, 196 – Zielkonzeptionen 48 ff., 52–70 Gleichheitssatz (allgemeiner) 23, 50, 103 f., 177, 254, 277 ff., 294, 344, 368 Gleichstellung 9, 58, 248, 309, 320, 350 f. Grünberger, Michael 5–8, 27 f., 35 ff., 212, 217, 224, 244 f., 274, 308, 357, 456 f. Grundfreiheiten 62, 75, 78 f., 82, 86 ff., 97, 116, 264, 360 f., 495 – als Bestandteil des Binnenmarktes 12, 16, 55, 62 f., 70, 74, 153, 494 f. – als Diskriminierungsverbote 52, 56, 63, 75 – Drittwirkung 51 f., 74, 113 f., 149 ff., 166, 191 f. Grundrechte (s.a. Grundrechte-Charta) 52 ff. – deutsche 40, 49 f., 126 f., 130, 136, 149, 165 f., 177 f., 278 ff., 323 f., 344, 497 – unionale 49 f., 56 f., 59, 61, 63, 73, 76, 79, 116 ff., 128 ff., 145, 154 ff., 175 f., 380, 452, 497 Grundrechte-Charta (s.a. Grundrechte) 49 ff., 55, 63, 68, 75 ff., 101 f., 108 ff., 117 ff., 132 ff., 166 ff., 325, 495 – Bindung der Mitgliedstaaten 107, 116–119, 121 f., 126, 130 ff., 138–174, 197, 325 – Bindung der Union 97, 119–121, 496

– Grundsätze (Justiziabilität) 108 f. – Verhältnis zum nationalen Grundrechtsschutz 134, 136–138 Homosexuellen-Urteil (BVerfG) 278 Horizontalwirkung (s. Richtlinie/ Horizontalwirkung) Individuelle Rechtsposition (s. Individualrechtsschutz) Individualrechtsschutz (s.a. Rechtsdurchsetzung) 146, 382, 384, 392, 409 – Äquivalenzgrundsatz 135 f., 395, 411 f., 429 ff., 510 – Effektivitätsgrundsatz 135 f., 395, 411 f., 420, 430 ff., 510 – funktionale Subjektivierung 16, 144 ff., 380, 384 f. – originär-individuelle Rechtsposition 16, 49 ff., 54, 56, 61, 69, 145, 150, 154 – ubi ius, ibi remedium 381–383, 392, 396, 411, 461, 507 Inhaltsfreiheit (s. Vertragsfreiheit/ Inhaltsfreiheit) Intersexualität (s. Geschlecht/Intersexualität) Kapitalverkehrsfreiheit 75, 79, 114, 495 Kelsen, Hans 48, 96 Kingreen, Thorsten 116 Kohärenzprüfung 113, 124 Kokott, Juliane 68, 123, 346 Kompetenz der Union (s. Antidiskriminierungsrichtlinien, Kompetenz) Kontrahierungszwang (s.a. Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen) 2, 23 f., 35, 226, 383, 386, 389, 393 f., 401–403, 419, 444, 509 – unionsrechtliche Vorgaben 410 – Voraussetzungen 406–409, 479 Kopftuchverbot (s.a. Berufliche Anforderung, Kundenpräferenzen) 216, 306 ff. Krankheit – als Behinderung 103 f., 214, 238 f. – als verbotenes Merkmal 103 f., 118, 197, 214, 499

Sach- und Personenregister

Kundenpräferenzen (s.a. Berufliche Anforderung) 302–312, 341 f., 504 f. Kücükdeveci-Urteil 105–108, 111 f., 118, 120, 133–134, 156 f., 161, 165, 171, 221, 255, 288 Kündigung von Dauerschuldverhältnissen 104, 106, 157, 183, 225, 311, 327, 388 f., 393, 400, 427, 435, 448–450, 509 – § 2 Abs. 4 AGG 237–242 – primäre Abhilfe (Unwirksamkeit) 403, 405 – von Organmitgliedern 227, 229–235 Kündigungsschutz (s. Kündigung von Dauerschuldverhältnissen, § 2 Abs. 4 AGG) Lobinger, Thomas 6–8, 25, 43–48, 285, 289 f. Machtungleichgewicht 1, 38 Massengeschäft 4, 182, 244–247, 340, 407 ff., 469, 479, 501, 503 Mangold-Urteil 50 f., 60, 96, 98–109, 110 ff., 124 f., 156 f., 161 f., 165, 170 f., 196 f., 234, 242, 247, 255, 333, 442, 496, 501 Marktbürger 54, 62, 81, 145, 152 f., 166 Marktintegration (s. Binnenmarktintegration) Marshall II-Urteil 147, 387–389, 393 f., 400, 403, 417, 420 ff., 427 f. Materialisierung – des Gleichheitsbegriff (s. Gleichbehandlung/materielle) – der Vertragsfreiheit (s. Vertragsfreiheit/materielle) Mehrebenensystem 8, 43, 47, 71 Meister-Urteil (s.a. Auskunftsanspruch) 473 ff., 485 ff. Mittelbare Diskriminierung, Verbot 20, 23, 30, 67, 92 f., 181, 185, 190 ff., 209, 216, 248 f., 264, 349, 353–372, 415, 440, 458, 462 ff., 471 ff., 506 f. – Funktion 356–360 – Genese 353–355 – Gruppenvergleich 362–366 – Rechtfertigung 344, 367–369 Mutterschaft (s. Schwangerschaft)

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Navas-Urteil 103–105, 118, 197, 212 ff. Neutralitätspflicht des Staates 187 Nichtdiskriminierung 2, 4, 31 f., 64, 66, 98, 139, 147, 226, 234 f., 239, 290, 296, 385, 402, 414, 418, 442, 450, 461, 465, 468, 470, 472, 475, 486 f., 491, 512 f. – als unionsrechtliches Konzept 16, 49–52 – und Gleichbehandlung 53, 56–61, 69, 175 Niederlassungsfreiheit 79, 404, 495 Normhierarchie, inverse 113–125 Ökonomische Analyse des Rechts 12–19 Organmitglieder 227–237 – diskriminierende Beendigung des Organverhältnisses 235 f. – Reichweite des Diskriminierungsverbotes 229–235, 236 f. Persönlichkeitsrechtsverletzung 11, 32–34, 37 f., 182, 254 – schwerwiegende 34, 459 – und immaterieller Schadensersatz 33 f., 417 ff., 452–460, 510 f. Persönlichkeitsschutz 32 ff., 39 – als ratio legis von Diskriminierungsverboten 11, 37 f., 44, 48, 493 Positive Maßnahmen 30, 349–353 – durch Privatpersonen 351 f., 506 – Quotenregelungen 30, 350, 352 f. – Verhältnismäßigkeit 352 f. Prävention 384, 450–455, 460 – Bedeutung für das unionale Rechtsfolgenregime 384 f. – durch Kompensation 385, 429–434, 457, 510 – und Schadenersatz 384 f., 409 f. Privatautonomie (s. Vertragsfreiheit) Privat- und Familienleben, Recht auf Achtung 79, 122, 247 – § 19 Abs. 5 S. 1 AGG 243, 408 Private Näheverhältnisse (s. Privat- und Familienleben, Recht auf Achtung) Privatrechtsbezogenes Diskriminierungsverbot (s. Diskriminierungsverbot/ privatrechtsbezogenes)

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Sach- und Personenregister

Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf 60, 95, 103 Rasse 4, 60, 94 f., 179, 182, 185, 198 ff., 201 ff., 224, 244 ff., 284, 293, 338 f., 345, 442 f., 497 f., 499, 501, 505 – Begriff 202–205 Rechtfertigung von Diskriminierungen (s.a. mittelbare Diskriminierung, positive Maßnahmen) 17 f., 20, 50, 64– 66, 99, 102, 104, 112, 120 f., 173, 181 f., 190 f., 200 f., 216, 220 f., 279 f., 293–353, 355, 359, 361, 413 f., 423, 464, 467, 482, 498, 503 ff. – allgemeines Zivilrecht 338–349 – erwerbsbezogenes Diskriminierungsverbot 297–338 – Funktion im Tatbestand des Diskriminierungsverbots 294–297 Rechtsbehelf, privatrechtlicher (s. Rechtsfolgen/privatrechtliche) Rechtsdurchsetzung (s.a. Prävention, Individualrechtsschutz) 412, 45 – individueller Rechtspositionen 164, 412, 436 f., 450 – ökonomische Analyse 19 Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen (s.a. Abhilfe, Kontrahierungszwang, Schadensersatz) 373 ff. – privatrechtliche 395–460 – unionsrechtliche Vorgaben 373–394 – Zielsetzung, doppelte 164, 378–386, 409 f. Rechtsgleichheit (s. Gleichbehandlung/ formelle) Rechtsvergleichung, Bedeutung 19–21 Religion 79 f., 311 – Begriff 206, 215 f. – Status versus Verhalten 219, 327 f. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften – als Adressat von Diskriminierungsverboten 79 f. – loyales und aufrichtiges Verhalten 327 f., 504 – Rechtfertigung von Diskriminierungen 297, 321–328, 504 – Tendenzschutz 322 ff.

Richtlinie (s.a. Unionsrecht) – grundrechtskonkretisierende 108, 116 ff., 172, 235 – Horizontalwirkung 101, 108, 145, 149– 150, 496 – Konformauslegung 140–142, 173, 180, 211, 234, 239, 242, 292, 316, 341, 346, 378 f., 408, 441, 459, 506 – überschießende Umsetzung 42, 180 ff., 245, 344, 497 f. – Umsetzungsbefehl 48, 129, 138 ff., 148, 171 – Vertikalwirkung 148–150, Roth, Wulf-Henning 87, 153 ff. Sachlicher Grund 50, 280, 333 – mittelbare Diskriminierung 356, 359, 367–368, 464 – zivilrechtliches Diskriminierungsverbot 295 f., 339–344, 347 f., 500 ff. Sachs, Michael 255 f., 279 Sanktion 19 f., 147 f., 174, 282, 284 f., 289 f., 452 – Begriff 373 f. – unionsrechtliche Vorgaben 376–378, 379, 383–389, 390–394, 401, 409, 413, 431, 433, 438, 442, 445, 450 f., 455 ff., 500 ff. Sanktionsneutralität (s.a. Rechtsfolgen verbotener Diskriminierungen) 23, 374–376, 385, 394 Schadensbegriff, gemeineuropäischer 418 Schadensersatz 33, 93, 143–147, 182, 202, 236 f., 239, 242, 259, 265, 375, 376, 378, 382–388, 389, 390–394, 395, 400 ff., 409–460, 473, 483, 491, 508 ff. – Auswahlentscheidung 421–427 – Berechnung bei diskriminierender Nichteinstellung 426 f., 447–450 – Chance als Schaden 421–426, 444, 447 – entgangener Gewinn 419–421, 443, 446 f., 451, 510 – Funktion, doppelte 417 – Haftungsobergrenzen 423, 427–428 – immaterieller 417–419, 450–460, 510 f. – materieller 282, 417, 419–421, 443–446, 510 f.

Sach- und Personenregister

– positives versus negatives Interesse 443–446 – überkompensatorischer 429–434, 451 f., 460, 510 – Verschulden 423, 437–443 – voller Schadensausgleich (Totalreparation) 416–434, 443–446 – Zinsen 420–421, 510 Schiek, Dagmar 212, 273 Schutzpflicht 52, 165–173, 177 f., 197 – Artikel 21 GR-Ch 166–173 – Verhältnis zur mittelbaren Drittwirkung 165 f. Schwangerschaft 273–275, 364 f., 413, 478, 499, 504, 507 – als Unterscheidungsmerkmal 273–275 – Rechtfertigung von Diskriminierungen 312 f., 317–320, 338, 341 Sexuelle Identität 179, 195, 199 ff., 218–219 – Abgrenzung zum Geschlecht 210 f. – Status versus Verhalten 219, 504 Simmenthal II-Urteil 143, 157, 159–160, 162, 164, 396, 442, 508 Sozialstaatsprinzip – als Erklärungsansatz für Diskriminierungsverbote 36 Stereotype 187, 207, 225, 237, 257, 298, 301, 304, 311, 313, 342, 368 Stufenbau der Rechtsordnung 96 f. Subjektives Recht (s. Individualrechtsschutz) Systemkohärenz (s. Kohärenzprüfung) Teilzeitbeschäftigung 30, 67, 355, 462 Tendenzschutz (s. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften/ Tendenzschutz) Thüsing, Gregor 209, 215, 219, 247, 248, 282, 284, 285, 286, 311, 319, 327, 333, 366, 398 Ungleichbehandlung (s.a. Diskriminierung) 3, 5, 9, 13, 17 f., 32– 34, 36 ff., 49 f., 62, 66, 77, 79, 99, 104, 118, 123, 125, 151, 181 f., 190, 194 f., 200 f., 203, 210, 218, 220, 237, 241, 247, 254, 265–267, 275, 277, 279 f., 287 f., 290 f.,

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294 f., 298, 304 f., 317 f., 320, 321 ff., 328 ff., 339, 342 ff., 355, 359 f., 364 f., 371, 423, 457, 476, 481, 484, 488, 493 f., 498 ff., 502, 504, 506, 511 – administrative 77 – legislative 157, 170–172, 197 Unmittelbare Diskriminierung, Verbot 190, 248–353, 354, 358, 360, 440, 465, 502 f., 506 f. – Anknüpfungsverbot 251–262 – Normbezug 283–292 – Rechtfertigung 293–353 Unionsbürgerschaft 55, 62 Unionsrecht (s.a. Richtlinie, individuelle Rechtsposition) – Bindung der Mitgliedstaaten 84, 107 f., 116–125, 126, 128, 129–174, 406, 496 f., 499 – Konformauslegung 140 ff., 175, 218, 235, 236, 325, 343, 352, 441, 446 f., 485, 496 – Primärrecht 58 ff., 68, 72–91, 92, 101 ff., 110 ff., 113 ff., 125 ff., 130 ff., 140 ff., 150 ff., 162 ff., 165 ff., 173 f., 197, 235 f., 243, 319, 325, 346, 350, 380, 405, 442, 495 ff., 499, 505 – Sekundärrecht 22, 51, 58 ff., 73, 77 f., 80, 91–96, 97 ff., 107 ff., 113 ff., 125 ff., 128, 134, 140, 151, 170 ff., 196 f., 235, 275, 287, 355, 378, 380, 461, 463, 467, 477, 496 f., 499 – Unionstreue, Pflicht zur 173 f. – unmittelbare Wirkung 56, 74, 142–159, 160 f., 397, 497 Unionstreue, Pflicht zur (s. Unionsrecht/ Unionstreue) Unterscheidungsmerkmale, verbotene (s.a. Alter, Behinderung, Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, sexuelle Identität) 4, 20, 23, 29, 37, 42, 46, 49 f., 59–61, 63–70, 74, 77, 80 f., 86, 91 f., 95, 119, 134, 147, 156, 166, 168, 178–182, 184, 189 f., 194– 221 , 222, 233, 243, 245, 274 f., 293, 297, 345, 348 ff., 390–394, 461, 469, 481, 503 f. – askriptive 499

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Sach- und Personenregister

– asymmetrische 198 f. – Hierarchie 199–201 – symmetrische 198 f., 221 Tendenzschutz 322 ff. Test Achats-Urteil 68 f., 110–113, 115, 121 ff., 167, 171, 345–349, 496 Transsexualität (s. Geschlecht) Ubi ius, ibi remedium (s. Individualrechtsschutz/ubi ius, ibi remedium) Unternehmerfreiheit 78 Van Gend en Loos-Urteil 142–146, 380 f. Von Colson-Urteil 141, 147, 378–386, 387 ff., 393, 395, 400 f., 415 f., 427, 429, 445 f. Vergleichsbarkeitstest, situativer 275–283 Vergleichsperson 36, 250, 263–292, 470, 512 – abstrakte 266 ff., 272, 275–277 – Beweis (siehe Auskunftsanspruch) – Erforderlichkeit 273 – hypothetische 267 ff., 286, 503 – konkrete 263–276, 285, 503 – und verbotenes Merkmal 273–275 Vergleichspersonenkonzept (s.a. Vergleichbarkeitstest, Vergleichsperson) 263–292, 361 f., 468–470, 476, 478, 480, 481–484, 486–488, 502, 512 – Begriff 263 – materiell-rechtliches 270–272 – prozessuales 266 f. Verhältnismäßigkeit 66, 190, 280, 295 ff., 313 ff., 343 ff., 352 f., 359, 395, 401, 505

– Abwägung (praktische Konkordanz) 5, 28, 78, 178, 189, 221, 226, 244, 295 f., 298, 350, 404, 436, 495, 498 – als Voraussetzung der Rechtfertigung von Diskriminierungen 343–345, 352 f., 368 – Erforderlichkeit 304 – Geeignetheit 123, 368 f. – legitimes Ziel 329 ff., 343, 464 Versicherung 14 f., 68, 88, 94, 111, 171, 182, 244, 246, 338, 340, 345 ff., 505 – Ersatzkriterium (proxy) 68, 123–125, 348 – Tarifkalkulation 111, 123–125, 345 ff., 505 – zivilrechtliches Diskriminierungsverbot 185, 242–244 Versicherungsmathematische Faktoren (s. Versicherung/Tarifkalkulation) Vertikalwirkung (s. Richtlinie) Vertrag von Amsterdam 4, 58, 80 f., 324 Vertrag von Lissabon 49, 55, 59, 76, 102, 117, 324 Vertragsfreiheit 1 ff., 28, 31 ff., 36 f., 78, 206, 493 f. – Abschlussfreiheit 2 f., 31, 37 f., 78 – Inhaltsfreiheit 1, 31, 78 – Materialisierung 1, 31, 38 Wagner, Gerhard 422–424 Weltanschauung – Begriff 216–218 – politische Überzeugung 217–218, 243 Wolf-Urteil 298 ff., 337 f., 348 f., 505